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German Pages 599 [602] Year 2016
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 286
Privater Rechtsschutz gegen den Missbrauch von Marktmacht Eine Untersuchung zu zivilrechtlichen Rechtsfolgen bei Verstoß gegen Artikel 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1, 3 GWB
Von
Sven Thonig
Duncker & Humblot · Berlin
SVEN THONIG
Privater Rechtsschutz gegen den Missbrauch von Marktmacht
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 286
Privater Rechtsschutz gegen den Missbrauch von Marktmacht Eine Untersuchung zu zivilrechtlichen Rechtsfolgen bei Verstoß gegen Artikel 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1, 3 GWB
Von
Sven Thonig
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten für die Drucklegung im Wesentlichen bis Ende 2015 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Justus Meyer für die Anregung des Themas, die Betreuung der Arbeit und die stete Unterstützung. Dank gebührt zudem Herrn Professor Dr. Lutz Haertlein für die Erstellung des Zweitgutachtens. Poing, im Juni 2016
Sven Thonig
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Grundlagen
25
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Zweck der Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen . . . . . . . . . 29 I. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Kartellverwaltungsrecht und Kartellprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Gesetzeskonzeption und Entwicklung des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Gesetzeskonzeption und Entwicklung im europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . 33 3. Die Auswirkungen von Kartellrechtsreformen auf den Privatrechtsschutz . . . . 36 a) Die Sechste GWB Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Die Verordnung Nr. 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Das Verhältnis vom deutschen zum europäischen Recht . . . . . . . . . . . . 38 bb) Das System der Legalausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 cc) Verfahrensrecht und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Die Siebente GWB Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) Wettbewerbsbeschränkende Vertikalvereinbarungen und die Abgrenzung zwischen abgestimmten und missbräuchlichen Verhaltensweisen
42
bb) Verhältnis des Art. 102 AEUV zu § 19 Abs. 1, 2 GWB . . . . . . . . . . . . 43 cc) Die Änderung des § 33 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 d) Das Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels und die 8. GWB Novelle 45 4. Die Initiative der Kommission zur Stärkung des privaten Rechtsschutzes . . . . 47 III. Die Zielsetzung der Verbote des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen 50 1. Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Das Problem der wirtschaftlichen Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Der Normzweck der Missbrauchsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine ökonomische Analyse des Missbrauches von Marktmacht nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV. Die Anwendung der Missbrauchsverbote und individueller Rechtsschutz . . . . . . 61 1. Die Konkretisierung von Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Individueller Rechtsschutz und Wettbewerb als Institution . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Das Verhältnis von Individual- und Institutionenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 62
8
Inhaltsverzeichnis b) Die Feststellung des Missbrauchs in der Entwicklung des § 19 Abs. 1, 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Auslegung des § 19 Abs. 1, 2 GWB und 6. GWB Novelle . . . . . . . . . . . . . 66 d) Die Rechtsprechung zum Privatrechtsschutz bei Behinderung und Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 e) Individual- und Institutionenschutz im Europäischen Recht . . . . . . . . . . . . 68 3. Stellungnahme zum Verhältnis von individuellem Rechtsschutz und der Anforderung an Marktstrukturwirkungen missbräuchlichen Verhaltens . . . . . . . . 69 V. Privater Rechtsschutz im Verhältnis zu verwaltungsrechtlicher Kontrolle . . . . . . 71
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Teil 2 Grundlagen des Zusammenhanges zwischen Verbotsgesetz und zivilrechtlichen Sanktionen
77
A. § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV als Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB . . . . 77 I. § 19 Abs. 1, 2 GWB als Verbotsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Ein- und zweiseitige Verbotsnormen und der Zweck des Verbotsgesetzes . . . . 78 3. Deliktischer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Das Argument der Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5. Der Wille des Reformgesetzgebers und die Angleichung an das Europarecht
82
II. Art. 102 AEUV als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Verbot und Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 1 GWB sowie Abgrenzung zu Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Die Abgrenzung von Art. 101 zu 102 AEUV und die Bedeutung für die Rechtsfolgenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Die Kriterien für die Abgrenzung von Art. 101 und Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . 87 III. Das Verhältnis von Art. 101 AEUV zu § 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IV. Abgrenzung zwischen § 1 und §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB und Rechtsfolgenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 V. Reichweite der Nichtigkeit und Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 C. Rechtsgeschäft und Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Die Funktion des § 134 BGB und des Art. 101 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Vornahme eines Rechtsgeschäfts und Verbotsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Das Verhältnis zum Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Inhaltsverzeichnis
9
D. Die Normstruktur des § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Verbotsverstoß und Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Dogmatik der Rechtsfolgenbestimmung nach § 134 2. Halbsatz BGB . . . . . . . . . 99 1. Die Unterteilung in ein- und zweiseitige Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Die Berufung auf den Charakter als Ordnungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Unterscheidung zwischen verbotenen Umständen und verbotenem Inhalt . . . . 101 4. Der Sinn und Zweck des Gesetzes als entscheidendes Kriterium . . . . . . . . . . . 102 III. Der Normzweckvorbehalt des § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Nichtigkeitsanordnung und alternative Rechtsfolgenbestimmung . . . . . . . . . . 104 2. Das Festhalten am bestehenden Rechtsgeschäft trotz Verbotsverstoßes . . . . . . 106 3. Alternative Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Die Auslegungsregel des § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Die Unangemessenheit des § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Regelung der Teilnichtigkeit in § 19 GWB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Rahmen- und Massenverträge im Rahmen vertikaler Bindungen 112 (3) Der Schutz schwächerer Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Lösung auf Grundlage des § 134, 2. Halbsatz BGB . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Die geltungserhaltende Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Geltungserhaltende Extension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 d) Die halbseitige Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Personale Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 f) Die Versagung von Erfüllungsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 g) Nichtigkeit ex nunc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 h) Schwebende Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 i) Dispositives Gesetzesrecht, Ergänzungsklauseln und ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Das Verhältnis von § 134 BGB zu § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 E. Rechtsschutz nach § 33 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Die Normstruktur des § 33 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Die deliktsrechtliche Einordnung vor der 7. GWB Novelle . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Die Aufgabe des Schutzgesetzprinzips in der 7. GWB Novelle . . . . . . . . . . . . 128 3. Kritik am Merkmal der Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Sachliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Der Anspruch auf Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Das Problem der Konkretisierung des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . 137 2. Grundfragen zur Bestimmung von Unterlassungsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Keine Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
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Inhaltsverzeichnis b) Wahlfreiheit der Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Unterlassung durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Umgehungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Begehungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 III. Der Anspruch auf Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Abgrenzung zwischen Unterlassung und Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Abgrenzung zwischen Beseitigung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Anspruch auf Störungsbeseitigung nach § 1004 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Beseitigungsanspruch bei Marktmachtmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Übertragung der Grundsätze aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . . . 147 bb) Rechtsprechung zum Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (1) Die Problematik der Stromeinspeisungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (2) Zahlungsanspruch als Störungsbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (3) Kritik an der BGH Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (4) Geltungserhaltende Extension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Der Anspruch auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Die Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Die Sichtweise der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Die Vorgaben im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Umfang des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Die Sichtweise der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Grundlagen im deutschen Recht unter Beachtung europäischen Rechts . . . 159 c) Mögliche Schadenspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Beendigung missbräuchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Der entgangene Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Konkrete Berechnung des entgangenen Gewinnes . . . . . . . . . . . . . . 162 (2) Abstrakte Berechnung des entgangenen Gewinnes . . . . . . . . . . . . . 163 (a) Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (b) Die Gewinnberechnung bei gewöhnlichem Verlauf . . . . . . . . . . 164 (c) Die Gewinnberechnung bei besonderen Vorkehrungen . . . . . . . 165 cc) Marktanteils- und Wertverlust des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Besonderheiten bei der Schadensberechnung der Marktgegenseite . . . 167 ee) Die Vorteilsausgleichung und „pass on defence“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Die Sichtweise der Kommission im Verhältnis zum deutschen Recht 168 (2) Die Regelung in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB und der Grundsatz der Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Inhaltsverzeichnis
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ff) Der anteilige Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Teil 3 Fallgruppen des Marktmachtmissbrauchs und zivilrechtliche Sanktionen
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A. Kampfpreisunterbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Unterscheidung zwischen Einstandspreis und Selbstkosten . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Zur Abgrenzung zwischen den Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Verkauf unter Einstandspreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Angebot unter Selbstkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Kampfpreisunterbietung nach europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Wirkung der Behinderung und Zweck ihres Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Wirkung gegenüber der Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Wirkung gegenüber der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Der Verstoß gegen § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Die Diskussion zu Artikel 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Rechtsgeschäft und gesetzliches Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Die Auslegungsregel und der Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Wirksamkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Massengeschäfte mit niedrigpreisigen Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Höherwertige Produkte und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Rückabwicklung nach der Zweikondiktionentheorie . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Die Rechtsfolgen bei Anwendung von § 817 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 195 e) Die Interessen der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 f) Der Schutz der Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 g) Mangelnde Praktikabilität der Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 h) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Sachliche Reichweite der Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
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Inhaltsverzeichnis 3. Inhalt und Bestimmtheit des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Verkauf unter Einstandspreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Der Begriff des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Die Bezeichnung der Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 cc) Die Festlegung des Einstandspreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (1) Berufung auf Einhaltung der Missbrauchsgrenze . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Die Berechnung des Einstandspreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (a) Statische Preisgrenze im Unterlassungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (b) Berechnungsschema im Unterlassungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . 210 dd) Systematisches Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ee) Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 ff) Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 gg) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Angebot unter Selbstkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Bestimmung der Preisgrenze in Abhängigkeit zur Leistung . . . . . . . . . 215 bb) Änderung der Marktbedingungen nach Urteilserlass . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4. Anspruch auf Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Anspruch auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Der Ersatz entgangenen Gewinnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Geldersatz für Substanzverlust des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni . . . . . . . . . . . . . 223 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Rabatte auf einzelne Geschäftsabschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Irreführung und Kampfpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Missbräuchliche Rabattsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Gesamtumsatzrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Treuerabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Gesamtsortimentsrabatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Schutzzweck des Verbots von Umsatzrabattsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . 227 2. Verfälschung des Leistungswettbewerbs auf Drittmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Behinderung der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Diskriminierende Rabattgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Keine Einschränkung der Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Inhaltsverzeichnis
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IV. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Rechtsgeschäft und gesetzliches Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Auslegungsregel und Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Wirksamkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Wirkungen vor Gewährung des Rabatts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Auswirkungen der Nichtigkeit auf ausgezahlte Rabatte . . . . . . . . . 236 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Nichtigkeit ex nunc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 d) Die Interessen der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Das Vertrauen auf den Erhalt des Rabattes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Das Vertrauen auf den Erhalt der Hauptleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Der Schutz der Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 f) Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 g) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Rechtsgeschäft als Ganzes und weitere Einzelverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Begrenzte Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Rahmenverträge und einzelne Folgeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Aufrechterhaltung von Rahmenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Folgeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Anwendbarkeit von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (2) Auswirkung der Anwendung von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 c) Sukzessivlieferungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 d) Auslobung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 e) Vorherige Rabattgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 V. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Wettbewerber auf Drittmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Abnehmer des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Sachliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Inhalt des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Umsatzrabatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (1) Die Bestimmung der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
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Inhaltsverzeichnis (2) Die Referenzperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (3) Das Gewähren des Rabattes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Treuerabatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Gesamtsortimentsrabatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Wettbewerber auf Drittmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 d) Abnehmer auf der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4. Anspruch auf Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Anspruch auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Wettbewerber auf dem beherrschten und dritten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Abnehmer auf der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
C. Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Wirtschaftliche Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Kostenlose Zugabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 b) Gewährung von Vorzugsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Gesamtpreisbildung für verschiedene Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Die Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Wettbewerber auf dem Markt der gekoppelten Leistung . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Vertragliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Kopplung von Leistungen in einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (2) Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (3) Wirksamkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (a) Entgeltliche Nebenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (b) Kostenlose Zugaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (4) Bereicherungsrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (a) Die Rechtslage für den Marktbeherrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (b) Die Rechtslage für den Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (5) Interessen der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (a) Anwendbarkeit von § 139 BGB und Gesamtnichtigkeit . . . . . . 279 (b) Teilnichtigkeit und Fortbestand des Hauptgeschäfts . . . . . . . . . 280 (6) Schutz der Wettbewerber auf beherrschtem und drittem Markt . . . 280
Inhaltsverzeichnis
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(7) Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (8) Praktikabilität der Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (9) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 cc) Teilnichtigkeit und Vertrag im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Anwendbarkeit von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) Rechtsfolgen der Anwendung von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 287 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Kopplungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 d) Verträge mit nur wirtschaftlichem Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Konkurrenten auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 cc) Wettbewerber auf dritten Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Sachliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 bb) Individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Inhalt des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 aa) Angebot, Werbung und Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 bb) Die Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Die Zusammenfassung der Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (2) Kostenlose Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (3) Gesamtpreisbildung oder sonstige Vorzugsbedingungen . . . . . . . . . 298 d) Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 e) Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 f) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 III. Zwangsweise Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Wettbewerber auf dem Drittmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 c) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 3. Sanktionen im Vergleich zur wirtschaftlichen Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Nichtigkeit von Kopplungen nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Interessen der Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 bb) Interessen der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Der Wegfall der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (2) Leistungskondiktionsanspruch des Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (3) Leistungskondiktionsanspruch des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . 308 (4) Zusammenfassung zur bereicherungsrechtlichen Rechtslage . . . . . 309
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Inhaltsverzeichnis (5) Schadenersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Teilnichtigkeit und § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 aa) Rechtsfolgen der Anwendung von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 bb) Ausschluss der Anwendbarkeit von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 d) Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 aa) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (1) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (2) Wettbewerber auf Drittmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (3) Unternehmen auf der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (4) Unternehmen auf nachgelagerten Marktstufen . . . . . . . . . . . . . . . . 314 bb) Sachliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (1) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (2) Individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 cc) Inhalt des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Wettbewerber des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (2) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 dd) Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 ee) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (1) Wettbewerber des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (2) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (a) Erzwungene Abnahme der gekoppelten Leistung . . . . . . . . . . . 319 (b) Der entgangene Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (c) Vorteilsausgleichung und anteiliger Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . 320 (d) Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Bezugsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Verwendungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Vertriebsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 III. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Das gebundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Unternehmen auf nachfolgenden Marktstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Verbotsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
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IV. Sanktionen nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Sanktionierung verbotener Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Anordnung der Nichtigkeit und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Lediglich übermäßige Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 aa) Nichtigkeit oder geltungserhaltende Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Rechtliche Rahmenbedingungen und Anpassung an das Europarecht 338 cc) Geltungserhaltende Reduktion im Rahmen von Art. 101 Abs. 2 AEUV 339 (1) Die Stellung des gebundenen Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (2) Präventive Wirkung der Nichtigkeitssanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (3) Auswirkungen auf die Geschäftspolitik des Bindenden . . . . . . . . . . 341 (4) Interesse des Gebundenen an der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 dd) Verhältnis von § 134 zu § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 c) Auswirkungen der Nichtigkeit einer Bindung auf den Vertrag im Übrigen 344 aa) Anwendbarkeit von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 bb) Angemessenheit der Anwendung von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (1) Zugrundelegung des hypothetischen Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . 346 (2) Schutzbedürftigkeit des abhängigen Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . 347 (3) Freiwillige Zustimmung des Abnehmers zur Bindung . . . . . . . . . . 347 (4) Mangelnde Praktikabilität einer Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . 347 (5) Teilnichtigkeit und Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (6) Teilnichtigkeit und ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . 349 (7) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 cc) Vertragliches Synallagma zwischen vertikaler Bindung und Investitionshilfe des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 d) Die Behandlung einzelner Austauschverträge bei Nichtigkeit einer Bezugsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 aa) Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 bb) Der rechtliche Zusammenhang zwischen Rahmen- und Einzelvertrag 353 cc) Unangemessenheit der Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Vertragspartner auf der Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 c) Wettbewerber auf Drittmärkten und andere Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . 358 d) Potentielle Vertragspartner des durch Vertriebsbindung gebundenen Unternehmens auf nachfolgenden Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 aa) Normzweck von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
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Inhaltsverzeichnis bb) Abgrenzung der Anspruchsberechtigten bei mittelbarer Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 cc) Konkurrenz des Rechtsschutzes von Abnehmer und Drittbetroffenem
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(1) Dazwischentreten des Wiederverkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 (2) Der Sonderfall bestehender Marktmacht des Wiederverkäufers . . . 362 (3) Vergleich der beeinträchtigenden Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 (4) Das Rechtsschutzinteresse des Gebundenen und des Dritten . . . . . 363 dd) Wirtschaftliche Abhängigkeit des Gebundenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 ff) Normzweck von Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und § 1 GWB . . . . . . . . 366 gg) Rechtsschutz nach § 21 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 hh) Beurteilung bei Bezugsbindungen und Verwendungsbeschränkungen 369 2. Sachliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Bezugsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 b) Verwendungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 c) Vertriebsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 4. Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 5. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 a) Behinderte Wettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 b) Gebundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 aa) Schadenersatz bei Bezugsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 bb) Schadenersatz bei sonstigen Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 cc) Mitverschulden des Gebundenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 dd) Kein Schadenersatzanspruch aus c.i.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 E. Geschäftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 1. Einordnung in das Verhältnis von §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB 380 2. Verhältnis des deutschen zum europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 a) Nichtbelieferung von Abnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 b) Leistungsverweigerung gegenüber Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 c) Verweigerung des Zugangs zu knappen Ressourcen oder zu geschäftsfördernden Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 d) Geschäftsverweigerung durch nachfragemächtige Unternehmen . . . . . . . . . 386 e) Drohung mit Geschäftsverweigerung zur Durchsetzung von behindernden oder ausbeuterischen Geschäftsbedingungen und Preisen . . . . . . . . . . . . . . 387 II. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 1. Abnehmer und Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
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2. Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 3. Weitere Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 III. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 1. Geschäftsverweigernde Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 2. Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 3. Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 4. Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 a) Kartellrechtlich unzulässige Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 bb) Wirksamkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 cc) Interessen des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 dd) Wettbewerbsfreiheit und Kündigung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . 398 ee) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 b) Kündigung als einzelnes Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 aa) Unangemessen kurze Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 bb) Unzulässige Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 IV. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 1. Betroffenheit aktueller oder potentieller Geschäftspartner . . . . . . . . . . . . . . . . 403 2. Angehörige nachfolgender Marktstufen oder abgeleiteter Märkte . . . . . . . . . . 404 3. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 a) Kontrahierungszwang als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 b) Ausgestaltung des Kontrahierungszwanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 aa) Anspruch auf verhandelten Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 bb) Anspruch auf Vertragsschluss zu konkreten Bedingungen . . . . . . . . . . 411 cc) Die prozessuale Durchsetzung des Kontrahierungszwanges . . . . . . . . . 413 dd) Fälle, in denen konkrete Vertragsbedingungen nicht feststehen . . . . . . 417 ee) Das Problem wiederkehrender Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (1) Dauerschuldverhältnisse und Rahmenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (2) Wiederkehrende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 c) Nachlieferungsanspruch als Störungsbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 4. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 a) Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 b) Der entgangene Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 c) Marktanteils- und Wertverlust eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 F. Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
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Inhaltsverzeichnis II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 1. Diskriminierende Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 2. Diskriminierende Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 3. Diskriminierende Geschäftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 III. Schutzzweck des Diskriminierungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 IV. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Verschiedenartige vertragliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 a) Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 b) Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 bb) Abwägung der vorgeschlagenen Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 (1) Gesamtnichtigkeit und Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 (2) Die Interessen des Diskriminierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 (3) Die Interessen der Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 (4) Aufrechterhaltung der vertraglichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . 437 (5) Beseitigungsanspruch zur Beendigung der Diskriminierung . . . . . . 437 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 2. Diskriminierung durch Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . 439 a) Rechtswidrige Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 b) Bevorzugung durch einseitige Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 c) Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte gegenüber Begünstigtem und Benachteiligtem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d) Abgrenzung zu Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 3. Abschluss von Verträgen über knappe Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 a) Rechtsgeschäft und Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . 445 aa) Die Diskussion in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 bb) Rechtswidrig begünstigender Vertrag als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 b) Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 bb) Keine Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . 449 cc) Das Interesse des diskriminierten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 dd) Die Stellung des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 (1) Vertrauensschutz und Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 (2) Vollzogener Vertrag und Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 ee) Die Stellung des diskriminierten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 ff) Nichtigkeit ex nunc als Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 1. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
Inhaltsverzeichnis
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2. Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 3. Inhalt des Beseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 4. Verhältnis von Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . 460 5. Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 a) Das Problem der Gleichbehandlung mit dem Begünstigten . . . . . . . . . . . . . 461 b) Der entgangene Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 G. Ausbeutungsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 II. Preishöhenmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 III. Unangemessene Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 IV. Wirkung der Ausbeutung und Schutzzweck ihres Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 1. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 2. Zweck des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 V. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 1. Preismissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 a) Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 bb) Nichtigkeit oder geltungserhaltende Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . 474 (1) Der Verweis auf Beseitigungs- oder Schadenersatzansprüche . . . . . 474 (2) Freiwilliger Vertragsschluss des Marktbeherrschers . . . . . . . . . . . . 475 (3) Rechtsschutzverkürzung bei Nichtigkeit des Austauschvertrages 475 (4) Vorteile einer geltungserhaltenden Vertragsanpassung . . . . . . . . . . 476 (5) Nachweis missbräuchlicher Geschäftsverweigerung unnötig . . . . . 478 (6) Bereicherungsrechtliche Schwierigkeiten bei Nichtigkeit . . . . . . . . 478 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 c) Umfang der geltungserhaltenden Reduktion bzw. Extension . . . . . . . . . . . . 481 aa) Bestimmung der Missbrauchsgrenze in der Rechtsprechung . . . . . . . . . 481 bb) Ablehnung weiterer Sicherheitszuschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 cc) Ablehnung der Absenkung der Missbrauchsgrenze zur Prävention . . . 483 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 2. Missbräuchliche Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 a) Rechtsgeschäft und Verbotsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 b) Normzweckvorbehalt und Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 aa) Vergleich mit dem Preishöhenmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 bb) Recht der AGB als Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (1) Folgen der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (2) Prüfung der Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
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Inhaltsverzeichnis cc) Vergleichsmarktkonzept als Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 c) Rechtsfolgen nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 aa) Nichtigkeit einzelner Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 bb) Geltungserhaltende Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 cc) Ersetzung einer missbräuchlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 VI. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 1. Abgrenzung der persönlichen Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 a) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 aa) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 bb) Abgrenzbarkeit der Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 cc) Kein Ausschluss der Ansprüche wegen der Vielzahl der Geschädigten 497 dd) Rechtsschutz trotz schwieriger Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . 499 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 b) Unternehmen auf nachgelagerten Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 2. Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 a) Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 b) Preismissbrauch und vertragliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 c) Preismissbrauch vor Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 d) Bestimmtheit des Klageantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 e) Missbräuchliche Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 f) Forderung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen vor Vertragsschluss . . 511 4. Abgrenzung von Unterlassung und Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 5. Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 a) Preisüberhöhung und unangemessene Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . 513 b) Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 c) Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 d) Nachfragemachtmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 e) Sonstige Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
H. Preis- und Konditionenspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 II. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 1. Parallelen zum Ausbeutungsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 2. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
Inhaltsverzeichnis
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IV. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 1. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 2. Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 4. Beseitigungsanspruch und Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen . . . . . . . . . . . . 525 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 1. Verhältnis zur sektorspezifischen Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 2. Marktbeherrschung und Infrastruktureinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 III. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 IV. Sanktion nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 1. Verbot und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 2. Der Abbruch der Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 3. Die Forderung unangemessener Entgelte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 a) Missbräuchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 b) Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen das Verbot der Zugangsverweigerung 534 c) Geltungserhaltende Reduktion zur Verwirklichung des Normzwecks . . . . . 535 d) Umfang der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 aa) Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 bb) Das übliche Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 cc) Anpassung auf das nicht missbräuchliche, angemessene Maß . . . . . . . 539 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 1. Dogmatische Struktur des Zugangsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 a) Der Streit um die Notwendigkeit einer vertraglichen Zugangsregelung . . . 540 b) Vertrag zur Regelung der Zugangsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 c) Parallele zur unbilligen Geschäftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 d) Infrastrukturzugang und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 2. Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 3. Abgrenzung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 544 4. Inhalt des Beseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 a) Geschäftsverweigerung und Vorlage eines Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 b) Das Problem der Festlegung des angemessenen Entgelts . . . . . . . . . . . . . . . 546 aa) Die Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 bb) Sicherung des Mitbenutzungsanspruchs durch einstweilige Verfügung 547 cc) Verhandlungen über die Höhe des angemessenen Entgelts . . . . . . . . . . 549 (1) Bestehender Geschäftsverkehr mit dritten Unternehmen . . . . . . . . . 550
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Inhaltsverzeichnis (2) Zugang eigener Tochterunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 (3) Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 554 (a) Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 (b) Lösung über § 315 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 (c) Gegenauffassung für Nichtanwendung des § 315 BGB . . . . . . . 556 (d) Zurückweisung der Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 5. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 a) Zugangsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 aa) Entgangener Gewinn und Geschäftsentwicklung auf Vergleichsmärkten 560 bb) Berechnung entgangenen Gewinnes nach getätigten Investitionen . . . . 560 b) Abbruch von Geschäftsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 c) Überhöhtes Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
Teil 4 Zusammenfassung
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
Teil 1
Grundlagen A. Einleitung Jahrzehntelang stand bei Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV1 (Art. 85 und 86 EGV a. F. bzw. Art. 81 und 82 EG a. F.) und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln durch Behörden mit Mitteln des Verwaltungsrechts im Vordergrund.2 Privater Rechtsschutz war zwar von Beginn an sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht vorgesehen. Gleichwohl entwickelte sich eine nennenswerte Kasuistik nur im Bereich des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB (§ 20 Abs. 1 GWB a. F.), während im Übrigen Privater Rechtsschutz nur eine geringe Rolle spielte.3 Erst Mitte der neunziger Jahre4 begann eine vertiefte Diskussion über die Möglichkeiten der wirksameren Durchsetzung des Kartellrechts mit den Mitteln des Privatrechts. Diese Diskussion hat ihren Hintergrund in der Befürchtung, dass die Behörden mit einer umfassenden Überwachung des Wettbewerbs überfordert werden könnten. Seit Beginn der neunziger Jahre wird eine zunehmende Zahl früher hoheitlich organisierter Märkte durch Deregulierung für den Wettbewerb geöffnet.5 Damit einher geht nicht nur eine quantitative Steigerung der Aufgaben der Behörden. Es stellen sich auch eine Vielzahl neuer Probleme bei der Schaffung von Wettbewerbsstrukturen, die eine qualitative Weiterentwicklung des Kartellrechts und der Verwaltungspraxis erfordern. Im europäischen Recht führte die Regulierung horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen aufgrund abgestimmten Verhaltens zu einer starken Arbeitsbelastung der Kommission. Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet derartige Beschränkungen. Sie können allerdings auf Grundlage von Art. 101 Abs. 3 AEUV im Wege der Einzel- oder Gruppenfreistellung erlaubt 1 Außer Betracht bleiben im Rahmen dieser Arbeit Fragen des Beihilfen- und Vergaberechts, der Fusionskontrolle, sowie Fragen eines Systemwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten. 2 Alexander, Schadenersatz, S. 307 ff.; Logemann, S. 93 ff.; siehe auch S. 30 ff. und 47 ff. 3 Endter, S. 31 ff.; Görner, S. 5 f.; Krüger, S. 32 f.; vgl. dazu, dass der private Rechtsschutz als ineffektiv bewertet wurde: Kommission, Weißbuch, S. 2 und Commission Staff Working Paper, S. 8 ff. 4 Zur Gesamtübersicht über die Entwicklung einer Diskussion zu privaten Schadenersatzklagen seit Inkrafttreten der Römischen Verträge, Endter, S. 31 ff. 5 Betroffen sind insbesondere – bei unterschiedlicher Weite der Deregulierung – die Märkte für Strom, Erdgas, Post- und Telekommunikation, Flughäfen und Eisenbahnen.
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Teil 1: Grundlagen
werden. Unter dem bis 2004 gültigen System der Administrativfreistellungen musste jede wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden, was insbesondere wegen der Zunahme freistellungsfähiger vertikaler Vereinbarungen zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führte.6 Schließlich ist die Kommission aufgrund der Erweiterung der EU zum 1. 5. 2004, zum 1. 1. 2007 und zum 01. 07. 20137 nunmehr oberste Wettbewerbsbehörde für 28 Mitgliedstaaten. Frühzeitig wurde daher die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Gerichten der Mitgliedstaaten einerseits und der Kommission andererseits durch die VO 1/2003 auf eine neue Grundlage gestellt.8 Die allseits für erforderlich gehaltene Entlastung der Behörden soll aber keinesfalls die effektive Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV und des GWB beeinträchtigen.9 Die Kommission hat nach mehrjähriger Vorarbeit am 11. 06. 2013 einen Vorschlag für eine Richtlinie „über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union“ vorgestellt.10 Hauptziele des Richtlinienvorschlags sind „die Optimierung der Interaktion zwischen behördlicher und privater Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts und Gewährleistung, dass Opfer von Zuwiderhandlungen gegen das EU-Wettbewerbsrecht Schadenersatz in voller Höhe erhalten können.“11 Die von Wettbewerbsverstößen betroffenen Wettbewerbsteilnehmer sollen in die Lage versetzt werden, ihre individuellen Interessen mit den Mitteln des Zivilrechts eigenständig durchsetzen zu können.12 Der Richtlinienvorschlag wurde begleitet von einem „Praktischen Leit6 Dazu, dass es sich hierbei um ein seit langem drängendes Problem handelte: Endter, S. 31 ff. 7 Beitritt der Republik Kroatien. 8 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffern 1 bis 3. 9 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 2; vgl. auch BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, A. 4. g); Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 f. und Artikel 3 des Vorschlags; Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 312 ff.; Endter, S. 53 ff.; Krüger, S. 33 ff. 10 Kommission, „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union“ vom 11. 06. 2013, COM (2013) 404. 11 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3. 12 Dazu gehören nicht nur Schadensersatzklagen, sondern auch Beseitigungs- und Unterlassungsklagen und die Geltendmachung der Nichtigkeit von Vertragsbestimmungen, sowie daran anschließende Rechtsverfolgung, z. B. durch Rückforderung ungerechtfertigter Bereicherungen: vgl. auch Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 7; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 f.; Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff. und kommentierend aus dem Schrifttum: De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1 ff.); De Smijter/ O’Sullivan, Competition Policy Newsletter 2006, S. 23 (23); Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2 ff.; des Weiteren zur Sichtweise des deutschen Gesetzgebers: BegrRegE zur 7. GWB
A. Einleitung
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faden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.“ Ziel dieser rechtlich nicht bindenden Arbeitsunterlage der Kommission ist es, Gerichten und Verfahrensbeteiligten auf der Basis wirtschaftswissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse Methoden und Techniken zur Feststellung von Schäden und zur Ermittlung des Schadensumfangs zur Verfügung zu stellen.13 Auf der Grundlage des Richtlinienvorschlages der Kommission hat das EU-Parlament am 17. 04. 2014 den Text für eine Richtlinie für Schadensersatzklagen in Kartellsachen verabschiedet, in den zwischen dem Parlament und der Kommission abgestimmte Änderungen und Ergänzungen eingearbeitet wurden.14 Nach einer juristischen Überarbeitung des Textes15 hat der Rat der Europäischen Union dem finalen Richtlinientext am 10. 11. 2014 zugestimmt. Die Richtlinie ist am 26. 11. 2014 in Kraft getreten.16 In Deutschland sind im Zuge der 6. und der 7. GWB Novelle die Möglichkeiten für die zivilrechtliche Durchsetzung privater Interessen bei Verstößen gegen das europäische und deutsche Kartellrecht deutlich verbessert worden.17 Zwischenzeitlich ist festzustellen, dass die verstärkte Hinwendung zu den Möglichkeiten des „Private Enforcement“ in Gesetzgebung, Praxis und Wissenschaft zu einer spürbaren Erhöhung zivilrechtlicher Klagen geführt hat.18 Die vorliegende Arbeit will die aktuelle Entwicklung des Kartellprivatrechts im deutschen und europäischen Recht anhand der Verbote des Missbrauchs von Marktmacht beleuchten. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Fallgruppen des Art. 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 bis 4, 20 Abs. 1 bis 3 GWB (§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 bis 4, 20 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 GWB a. F.)19, so wie sie in der bisherigen konkretisierenden Verwaltungspraxis und Rechtsprechung Novelle, BT-Drucks. 15/3640, A. 4. g); vgl. darüber hinaus aus dem deutschen Schrifttum: Alexander, Schadenersatz, S. 299 ff.; Endter, S. 53 ff.; Krüger, S. 22 f., 33 ff. 13 Kommission, „Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ vom 11. 06. 2013, SWD (2013) 205, S. 10, Rn. 6. 14 Europäisches Parlament (EP), „Directive of the European Parliament and of the Council on certain rules governing actions for damages under national law for infringements of the competition law provisions of the Member States and of the European Union“, COM (2013) 0404-C7-0170/2013-2013/0185 (COD). 15 Berichtigung vom 11. 09. 2014, verabschiedet am 21. 10. 2014, abrufbar unter: http://ec. europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/documents.html. 16 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 11. 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349/1 vom 05. 12. 2014. 17 Siehe dazu S. 36 f. und S. 42 f. 18 Alexander, Schadenersatz, S. 310 ff., 317 ff.; Görner, S. 1 ff.; Logemann, S. 50 ff.; Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848). 19 Alte Fassung bedeutet Fassung bis zum in Kraft treten der 8. GWB Novelle am 01. 07. 2013.
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Teil 1: Grundlagen
entwickelt wurden. Es wird untersucht, wie sich die Anwendung des § 134 BGB auf wettbewerbsbeschränkende Rechtsgeschäfte marktmächtiger Unternehmen auswirkt. Des Weiteren werden die im Zusammenhang mit Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüchen auftauchenden Rechtsfragen erörtert. Auf § 1 GWB und Art. 101 AEUV wird eingegangen, soweit Überschneidungen mit Fallgruppen der §§ 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GWB und des Art. 102 AEUV bestehen. Die Arbeit bezieht auch Fragen der zivilprozessualen Durchsetzung von Ansprüchen ein. Ein Hauptaugenmerk wird darauf gelegt, das Ineinandergreifen der verschiedenen zivilrechtlichen Sanktionen zu verdeutlichen und darzustellen wie ein möglichst effektiver Rechtsschutz gegen den Missbrauch von Marktmacht erreicht werden kann. Ausgeklammert bleiben Fragen des Verbraucherschutzes, von Kollektivklagen, der Vorteilsabschöpfung und prozessualer Fragen, die sich allgemein stellen und nicht spezifisch mit den Verboten des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verbunden sind.20 Auch sollen Fragen der Marktabgrenzung und der Feststellung marktbeherrschender und marktstarker Stellungen nicht erörtert werden.
20 Zum Beispiel Zugang zu behördlichen Dokumenten und Verfahrensbeteiligung von Behörden, Offenlegung von Unterlagen und Informationen, follow on Klagen, Kronzeugenregelungen, allgemeine Fragen der Darlegungs- und Beweislast.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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B. Zweck der Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen I. Gang der Untersuchung § 134 BGB besagt, dass ein Rechtsgeschäft, welches gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, im Zweifel nichtig ist. Vorrang vor dieser Auslegungsregel genießt jedoch der Normzweckvorbehalt des § 134 2. Halbsatz BGB. Zu untersuchen ist der mit dem Verbot verfolgte Sinn und Zweck. Es ist diejenige Rechtsfolge zu wählen, die den Erfordernissen des Verbotsgesetzes am besten gerecht wird. Insoweit bietet § 134 2. Halbsatz BGB eine Ermächtigungsgrundlage für Gestaltungen jenseits der Nichtigkeit.1 Das gilt sowohl für die Verbote der §§ 19, 20 GWB als auch des Art. 102 AEUV. Demgegenüber tritt nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Nichtigkeit ein, soweit ein Rechtsgeschäft gegen das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt.2 Bei der Bestimmung des Umfanges des Verbotsverstoßes ist wiederum der Normzweck des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu berücksichtigen. Eine Verletzung der §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB, sowie der Art. 101 und 102 AEUV kann nach § 33 Abs. 1 GWB Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche und in Verbindung mit § 33 Abs. 3 GWB Schadensersatzansprüche der durch wettbewerbswidriges Verhalten betroffenen Marktteilnehmer auslösen. Der Gesetzgeber hat mit der 7. GWB Novelle das Schutzgesetzprinzip formal aufgegeben.3 Nichtsdestotrotz ist anhand des Zweckes der im Einzelfall verletzten Verbotsnorm zu prüfen, ob der Anspruchsteller als Betroffener i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 3 GWB anzusehen ist und ob er derart in seinen wirtschaftlichen Interessen verletzt wurde, wie es die verletzte Vorschrift gerade verhindern wollte.4 Schließlich muss sich die Bestimmung einer konkreten Rechtsfolge an dem gesetzgeberischen Ziel orientieren, das in einer Vorschrift enthaltene Verbot so effektiv als möglich durchzusetzen. Hierbei geht es um eine zweckmäßige Bestimmung des Umfanges eines Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadensersatzanspruches im Einzelfall.5 Weil der Sinn und Zweck eines Verbotsgesetzes sowohl bei der Anwendung des § 134 BGB6 als auch des § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB entscheidende Bedeutung hat,7 werden den weiteren Ausführungen Überle1
Zur Dogmatik des § 134 BGB siehe ausführlich ab S. 98. Zum Verhältnis von Art. 101 Abs. 2 AEUV zu Art. 102 AEUV und zu §§ 1, 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB i. V. m. § 134 BGB siehe S. 86 ff. 3 Ob eine Bestimmung des GWB als Schutzgesetz einzuordnen war, hing in Anlehnung an § 823 Abs. 2 BGB davon ab, ob sie als Ge- oder Verbot formuliert war und entsprechend ihrem Sinn und Zweck zumindest auch dazu diente, individuelle Interessen zu schützen: BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; zu dieser Dogmatik bereits Bezzenberger, WRP 1956, S. 209 (210); siehe im Einzelnen S. 127 f. 4 Siehe im Einzelnen ab S. 128. 5 Zur Dogmatik von § 33 GWB siehe ab S. 127. 6 Siehe im Einzelnen ab S. 98. 7 Siehe im Einzelnen ab S. 127. 2
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Teil 1: Grundlagen
gungen zum Gesetzeszweck der §§ 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB und der Artikel 101 und 102 AEUV vorangestellt. Dabei geht es zunächst um die systematische Einordnung der Missbrauchsverbote im GWB und im Europäischen Kartellrecht und um die Darstellung der Normstruktur. Daran anschließend werden in einem zweiten Teil die Tatbestände des § 134 BGB und des § 33 Abs. 1 und 3 GWB, einschließlich ihrer dogmatischen Grundlagen und der Auswirkungen der 7. GWB Novelle erläutert. Davon ausgehend sind im dritten Teil der Arbeit die Rechtsfolgen bei Anwendung der §§ 134 BGB und 33 Abs. 1 und 3 GWB auf konkrete Fälle des Missbrauchs von Marktmacht darzustellen. Dabei können infolge der Weite der Generalklauseln des Art. 102 AEUV, des § 19 Abs. 1, Abs. 2 und des § 20 Abs. 1 bis 3 GWB nicht alle denkbaren Fälle erörtert werden. Es werden deshalb lediglich die in der Praxis wichtigsten Fallgruppen exemplarisch dargestellt. Von vornherein außer Betracht bleibt der Marktstrukturmissbrauch durch Unternehmenszusammenschlüsse,8 der ohnehin vorrangig durch die Regelungen der FKVO9 erfasst wird. Im deutschen Recht schließen die spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 35 ff. GWB die Anwendung von § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB auf Zusammenschlusstatbestände aus. Im abschließenden Teil 4 werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst.
II. Kartellverwaltungsrecht und Kartellprivatrecht 1. Gesetzeskonzeption und Entwicklung des GWB Die zur Zeit der Einführung des GWB verschiedentlich vertretene Auffassung, ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen habe dem Ziel der Wirtschaftslenkung zu dienen,10 konnte sich nicht durchsetzen. Insbesondere fand der Vorschlag der Einführung eines Monopolamtes, welches nicht juristisch, sondern wirtschaftspolitisch entscheidet, keinen Eingang in das Gesetz.11 Der Wortlaut des Gesetzes ließ es, abgesehen von einzelnen Normen, die Ministererlaubnis nach § 8 GWB a. F. be-
8 Grundlegend EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, S. 215 (246 f.) „Continental Can“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 125, 134, 383 ff. 9 Fusionskontrollverordnung (EG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. 12. 1989 (FKVO), in Kraft seit dem 21. 09. 1990, ABl. 1989 L 395/1 und ABl. 1990 L 257/13; zwischenzeitlich ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 vom 20. 01. 2004, in Kraft seit dem 01. 05. 2004, ABl. 2004 L 24/1. 10 Würdinger, WuW 1953, S. 721 (726 ff.); Bezzenberger, WRP 1956, S. 209 (210); Leo, WuW 1959, S. 485 (487). 11 Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT Drucks. 2/3644, S. 4, 5; zur wirtschaftspolitischen Diskussion bei Einführung des Gesetzes: Hoppmann, in: Mestmäcker, S. 61 (66 ff.); Rittner, AcP 188 (1988), S. 113 (113 ff.); Basedow, WuW 2008, S. 270 (272 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (6 ff., 18 f.).
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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treffend,12 von Anfang an nicht zu, das GWB als Mittel der Wirtschaftspolitik zu begreifen.13 Es umfasst juristische Tatbestände, welche Verwaltungsbehörden in ihrem Tätigwerden an das pflichtgemäße Ermessen binden und die Verwaltungspraxis einer gerichtlichen Kontrolle unterwerfen.14 Die Generalklauseln des Gesetzes und somit auch die Vorschriften über die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen sind ebenso wie andere auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe durch die Rechtsanwendungspraxis mit Hilfe der juristischen Methode zu konkretisieren.15 Als Ziele des GWB galten (und gelten) die Verwirklichung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft und der Schutz des freien Wettbewerbes.16 Die individuelle Betätigungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte wurde zunächst nur als Nebenprodukt einer auf Wettbewerb ausgerichteten Wirtschaftsverfassung beurteilt.17 Private Interessen spielten allenfalls eine untergeordnete Rolle.18 In Konsequenz dessen stellte das GWB von 1957 die verwaltungsbehördliche Durchsetzung des Kartellrechts klar in den Vordergrund.19 Die Behörden erhielten die Befugnis missbräuchliches Verhalten zu untersagen, Verträge für unwirksam zu erklären und Freistellungen vom Kartellverbot zu erlauben.20 Gleichwohl gab es von Beginn an für Wettbewerbsteilnehmer die Möglichkeit, privaten Rechtsschutz über
12 Als Ausnahmevorschrift prägte diese (inzwischen im Zuge der Angleichung an das europäische Recht aufgehobene) Norm aber nicht den Charakter des Gesetzes: Baur, Missbrauch, S. 74 ff. Ein Einfallstor für wirtschaftspolitische Entscheidungen bildet seit der 3. Novelle 1973 auch der § 42 GWB. 13 Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT Drucks. 2/3644, S. 12 f.; Baur, Missbrauch, S. 58 ff.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (248); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (176 ff.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (6 ff.). 14 Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT Drucks. 2/3644, S. 12, 13; Baur, Missbrauch, S. 66 ff.; Müller-Laube, S. 9 f.; Basedow, WuW 2008, S. 270 (272 f.). 15 Begründung RegE BT Drucks. 2/1158, S. 13; auch schon Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT Drucks. 2/3644, S. 13, 14; Baur, Missbrauch, S. 72; Hoppmann, in: Mestmäcker, S. 61 (68); Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (252); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.). 16 Begründung RegE BT Drucks. 2/1158, S. 1; Hoppmann, in: Mestmäcker, S. 61 (94); Würdinger, WuW 1953, S. 721 (726); Bezzenberger, WRP 1956, S. 209 (210); Benisch, WuW 1961, S. 764 (767 f.); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (854 ff.).; Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (9); siehe auch S. 50 ff. und S. 61 ff. 17 Begründung RegE BT Drucks. 2/1158, S. 9 ff.; auch schon Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT Drucks. 2/3644, S. 5, 6; Biedenkopf, in: Aktuelle Grundsatzfragen des Kartellrechts, S. 7 (33 f.); mit umfassender Kritik an der Einordnung von Wettbewerb als öffentlichem Ordnungsrecht Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 81 ff.; Koenigs, NJW 1961, S. 1041 (1041 f.) m. w. N. aus der Frühzeit des Gesetzes; siehe weiterführend S. 62 ff. 18 So vor allem Benisch, WuW 1961, S. 764 (772 f.), der von unsicheren wirtschaftlichen Chancen spricht, die eines Schutzes nicht wert wären; vgl. auch Würdinger, WuW 1953, S. 721 ff. 19 Das wird insbesondere sichtbar im Hinblick auf § 22 GWB a. F., auf die Freistellungen vom Kartellverbot oder die Missbrauchsaufsicht über vertikale Wettbewerbsbeschränkungen; dazu ausführlich Müller-Laube, S. 9 ff. 20 Hohn, S. 162 f.; Müller-Laube, S. 10.
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Teil 1: Grundlagen
den § 823 Abs. 2 BGB nachgebildeten § 35 GWB a. F. in Anspruch zu nehmen.21 Offengelassen wurde, welche Normen im einzelnen Schutzgesetzcharakter haben sollten.22 Auch konnten Rechtsgeschäfte entweder nach § 1 GWB oder über § 26 GWB a. F. i. V. m. § 134 BGB unmittelbar zivilrechtlich nichtig sein.23 Bis zur 6. GWB Novelle 1998 blieb diese Systematik unverändert. Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzklagen waren nur im Bereich des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes des § 20 Abs. 1 GWB a. F. (zuvor § 26 Abs. 2 GWB a. F.; jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) von nennenswerter Bedeutung.24 Nur hier entwickelte sich eine umfangreiche Kasuistik. Zum Kartellverbot des § 1 GWB ergingen kaum Entscheidungen aufgrund des § 33 GWB (35 GWB a. F.),25 weil die Rechtsprechung Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche nur zuerkannte, falls sich eine Vereinbarung gezielt gegen bestimmte andere Marktteilnehmer richtete.26 Diese – jetzt aufgegebene Voraussetzung27 – ist aber in der Praxis kaum gegeben. Vertikale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterlagen nur der Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden.28 Rechtsschutz war nur aufgrund einer Schutzverfügung möglich. In
21 BGH, 25. 02. 1959, WuW/E BGH 288 (290 f.) „Grosshändlerverband II“; Alexander, Schadenersatz, S. 41; Görner, S. 15 f.; Müller-Laube, S. 10 f.; Mäsch, EuR 2003, S. 825 (827); Hempel, WuW 2004, S. 362 (362). 22 Nach Einführung des GWB herrschte für eine Vielzahl von Normen Unklarheit darüber, ob sie Schutzgesetze seien: Müller-Laube, S. 16 f.; Bezzenberger, WRP 1956, S. 209 (209 ff.); Leo, WuW 1959, S. 485 (486 f.); Spengler, WuW 1960, S. 410 (417 ff.); Benisch, WuW 1961, S 764 (764). Für Einzelnormen, eben auch § 22 GWB a. F., blieb dies bis zur 6. GWB Novelle umstritten: siehe auch S. 66 f., ablehnend BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; zur Schutzgesetzeigenschaft des § 27 GWB a. F. BGH, 25. 02. 1959, WuW/E BGH 288 (290 f.) „Grosshändlerverband II“. 23 Begründung des RegE, BT Drucks. 2/1158, S. 7; Bezzenberger, WRP 1956, S. 209 (209 ff.); Leo, WuW 1959, S. 485 (486 ff.); Spengler, WuW 1960, S. 410 (410 ff.); Benisch, WuW 1961, S. 764 (764); van Venrooy, BB 1979, S. 555 (556); Möschel, WuW 2007, S. 483 (484). 24 § 26 Abs. 2 GWB a. F. (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) war seit Inkrafttreten des GWB als Schutzgesetz i. S. v. § 35 GWB a. F. (jetzt § 33 GWB) anerkannt: Hohn, S. 167; Leo, WuW 1959, S. 485 (495 f.); Benisch, WuW 1961, S. 764 (769); Ungern-Sternberg, in: FS Odersky, S. 987 (987); Hempel, WuW 2004, S. 362 (365); Möschel, WuW 2007, S. 483 (485); Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1181). 25 Fassung bis zur 7. GWB Novelle. 26 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364 f.) „Krankenhauszusatzversicherung“; BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 25. 01. 1983, WuW/E BGH 1985 (1988) „Familienzeitschrift“; LG Mannheim, 11. 07. 2003, GRUR 2004, S. 182 (183) „Vitaminkartell“; Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1182 f.); siehe im Einzelnen S. 127 ff. 27 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, A. 4. g) aa); siehe im Einzelnen S. 127 ff. 28 Eine Ausnahme galt nur für das Verbot der Preisbindung, die aber in der Praxis an Bedeutung verloren hat; siehe zur Änderung der Gesetzeslage durch die 7. GWB Novelle S. 42 ff.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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der Praxis spielte diese Möglichkeit indes keine Rolle.29 Zur Frage der Sanktionierung wettbewerbsbeschränkender Verträge über § 134 BGB ergingen nur vereinzelte Entscheidungen aufgrund der Anwendung des Preisbindungs- bzw. des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes des § 20 Abs. 1, 2 GWB a. F. (zuvor § 26 Abs. 2 GWB a. F.; jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB).30 Hintergrund war, dass vertikale Wettbewerbsbeschränkungen mit Ausnahme des Preisbindungsverbots nur der Missbrauchsaufsicht unterlagen und § 1 GWB eine eigenständige Anordnung der Nichtigkeit vorsah.31 2. Gesetzeskonzeption und Entwicklung im europäischen Recht Der EWG Vertrag von 1957 erhielt mit dem Verbot horizontaler und vertikaler wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in Art. 85 und dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Art. 86 seine zwei zentralen Bestimmungen zur Verwirklichung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs i. S. v. Art. 3 f EWGV a. F.32 Die Entscheidung für ein System unverfälschten Wettbewerbs (später in Art. 3 Abs. 1 lit. g EG; nunmehr im Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb33 verankert) ist dabei nicht bloß politisches Programm, sondern eine für die Auslegung der Wettbewerbsregeln rechtlich verbindliche Zielsetzung.34 Wie im deutschen Recht ging es auch im EWG Vertrag (nunmehr AEUV) um die Etablierung von Wettbewerb als Ordnungssystem der Marktwirtschaft und die Sicherung von Handlungsfreiheit der Marktbeteiligten.35 Von Beginn prägend war aber vor allem die integrationspolitische Zielsetzung des Vertrages. Es galt – im Zusammenspiel mit den Grundfreiheiten – die Abschottung nationaler Märkte zu 29 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 23; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 83 ff. 30 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 21. 02. 1984, WuW/E OLG 3271 (3272 ff.) „Schulbuchversandgeschäft“; OLG Hamburg, 19. 12. 1985, WuW/E OLG 3795 (3796) „Freundschaftsabonnement“; OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“. 31 Seit der 6. Novelle ist § 1 GWB Verbotsgesetz nach § 134 BGB: BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720, I. Allgemeines 3. a) aa) und II. zu den einzelnen Vorschriften, zu § 1 (Kartellverbot). 32 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480) „Courage Ltd/Crehan“; vgl. auch Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 1, 9; Mestmäcker/Schweitzer, § 1 Rn. 26 ff., 29 ff.; § 2 Rn. 14 ff. 33 ABl. EU 2010, C 83/309. 34 EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, S. 215 (245 f.) „Continental Can“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (463) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 1, 126 f.; Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1200 ff.). 35 EuGH, 13. 07. 1966, Slg. 1966, S. 321 (390 ff.) „Consten GmbH und Grundig-VerkaufsGmbH“; EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, S. 215 (246) „Continental Can“; EuGH, 18. 10. 1989, Slg. 1989, S. 3343 (3348) „Orkem SA“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (463) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 3 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 41 f., 76 ff.; Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1202 ff.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.).
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Teil 1: Grundlagen
überwinden.36 Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität („effet utile“), die die Mitgliedstaaten zu einer im Verhältnis zum nationalen Recht gleichwertigen Rechtsgestaltung und -anwendung und zu einer Auslegung von europäischen Rechtsnormen verpflichten, die zu größtmöglicher Wirksamkeit führt, gelten deshalb besonders für die Art. 101 und 102 AEUV (Art. 81, 82 EG a. F. bzw. 85, 86 EGV a. F.).37 Wettbewerb sollte zur Grundlage des gemeinsamen Binnenmarktes werden. Anwendungsvoraussetzung des europäischen Wettbewerbsrechts ist die Eignung unternehmerischen Verhaltens, eine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels herbeizuführen.38 Ebenso wenig wie im deutschen Recht ließen die Art. 85 und 86 EGV (jetzt Art. 101 und 102 AEUV) Spielraum für wirtschaftspolitische Entscheidungen.39 Es handelt sich um Rechtsbegriffe. Mit der VO Nr. 17/1962 wurde ein europäisches Kartellverfahrensrecht geschaffen, welches der Kommission die Anwendung der Art. 85 und 86 EGV überantwortete.40 Da aber Art. 85 und 86 EGV als in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht41 konzipiert wurden, waren zugleich die Kartellbehörden und Gerichte der Einzelstaaten zur Rechtsanwendung berufen. Beide Normen enthielten nicht nur verwaltungsrechtliche Eingriffsermächtigungen, sondern zugleich subjektive private
36 EuGH, 25. 10. 1977, WuW/EWG/MUV 400 (404) „Metro“; EuGH, 19. 03. 1991, Slg. 1991 I, S. 1259 (1267 ff.) „Telekommunikationsendgeräte“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 7; Mestmäcker/Schweitzer, § 2 Rn. 28 ff., § 3 Rn. 8 ff. und § 6 Rn. 4 ff.; Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1202 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (11 ff., 16). 37 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 1; Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 11 und Artikel 4; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 7, 10, 25; Görner, S. 54 ff., 70 ff., 85 ff.; Logemann, S. 99 ff.; Roth, WRP 2013, S. 257 (257 ff.). 38 Der EuGH fordert in ständiger Rechtsprechung, dass die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalles mit hinreichender Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten in einer die Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes gefährdenden Weise erwarten lassen; vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 2, 22 ff. m. w. N. 39 Andere Teile des Vertrages sehen dagegen durchaus wirtschaftspolitische Entscheidungen vor, z. B. die Industriepolitik; zum Spannungsfeld von Industrie- und Wettbewerbspolitik Mestmäcker/Schweitzer, § 4 Rn. 145 ff. Industriepolitik ist aber keine Ermächtigung zur Beschränkung des Wettbewerbs. Es gilt der Vorrang des Rechts, nicht politische Beliebigkeit; vgl. Mestmäcker/Schweitzer, § 26 Rn. 187 f. 40 Zur VO 17/1962 und den Befugnissen der Kommission im Einzelnen vgl. de Bronett, Artikel 1, Rn. 1 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, § 2 Rn. 18 ff.; Schöler, S. 9 ff.; Zinsmeister, WuW 1997, S. 5 (6 ff.). 41 Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 3 f.; EuGH, 30. 01. 1974, WuW/EWG/MUV 309 (310) „SABAM I“; EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (920) „Delimitis/Henninger Bräu“; EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1483) „CEPSA/Tobar“; EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263) „Aufzugskartell“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433) „ORWI“; Endter, S. 63 ff.; Görner, S. 47 ff.; Logemann, S. 96 f.; Paul, S. 39 f.; Roth, WRP 2013, S. 257 (258 f.).
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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Rechte.42 Art. 85 und 86 EGV (später dann Art. 81 und 82 EG, nunmehr Art. 101 und 102 AEUV) waren von Beginn an Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (nach der 7. GWB Novelle findet § 33 Abs. 1, 3 GWB Anwendung) und Art. 102 AEUV ist Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB.43 Obgleich der private Rechtsschutz im Europarecht konzeptionell stärker ausgeprägt war als im deutschen Recht, hatte er in der Praxis eine noch ungleich geringere, untergeordnete Bedeutung.44 Die Reformen des EWG Vertrages hatten – außer einer Änderung der Hausnummern45 – keine Auswirkungen auf die Art. 85 und 86 EGV (nunmehr Art. 101 und 102 AEUV). Zum 1. 5. 2004 trat die VO 1/2003 in Kraft, welche die VO Nr. 17/1962 ablöste und wesentliche Veränderungen des Kartellverfahrensrechts mit sich brachte.46 Mit ihrem Richtlinienvorschlag vom 11. 06. 2013 möchte die Kommission die privatrechtliche Durchsetzung des europäischen und nationalen Kartellrechts fördern und – insbesondere zivilrechtliche Schadenersatzklagen – neben der verwaltungsbehördlichen Rechtsverfolgung zu einem gleichberechtigten Instrument bei der Herstellung effektiver Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften machen.47 Das EU-Parlament 42 Vgl. soeben Fn. 41; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 7. 43 BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier-Uhren“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433) „ORWI“; Endter, S. 63 ff.; Görner, S. 15 f.; siehe im Einzelnen S. 83 f. 44 Es werden verschiedene plausible Ursachen diskutiert. Die Generalklauseln gestalten die Rechtsanwendung schwierig. Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind mit der Anwendung des eigenen Rechts mehr vertraut als mit der Anwendung des Europarechts. Auch schränkt die Zwischenstaatlichkeitsklausel den Anwendungsbereich erheblich ein. Und schließlich war der Weg der Beschwerde zur Kommission nach Art. 3 Abs. 1, 2 VO Nr. 17/62 ungleich leichter zu beschreiten, als selbst Prozessrisiken einzugehen; vgl. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 4 f. und 16 und zuvor im Weißbuch, S. 2, sowie Commission Staff Working Paper, S. 8 ff.; des Weiteren: De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1); Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2 und 4; Alexander, Schadenersatz, S. 312 ff.; Logemann, S. 93 ff.; Bechtold, ZHR 160 (1996), S. 660 (662 ff.); Emmerich, AG 2001, S. 520 (520 f.); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (407); Mäsch, EuR 2003, S. 825 (828 f.); Hempel, WuW 2004, S. 362 (365 ff.); Bulst, EWS 2004, S. 403 (403); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1061 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1209 f.); Möschel, WuW 2007, S. 483 (485 f.); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848). 45 Zuletzt durch den Vertrag von Lissabon, in Kraft getreten zum 01. 12. 2009, ABl. EU 2007/C 306/01. 46 Kernziele der Reform waren eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten, sowie eine Entlastung der Kommission durch Abschaffung des Anmeldesystems, dazu: de Bronett, Vorbemerkungen Rn. 1 ff. und Artikel 1, Rn. 1 ff.; Bulst, Schadenersatzansprüche, 185 ff.; Logemann, S. 137 ff.; Schöler, S. 59 ff. und 89 ff.; vgl. zum Reformprozess auch: Schaub/Dohms, WuW 1999, S. 1055 (1057 ff., 1065 ff.); siehe sogleich auch S. 38 ff. 47 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 f. und 15. Dem gleichen Ziel dient der zeitgleich veröffentlichte „Praktische Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, S. 9 ff., Rn. 3 ff.; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848).
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Teil 1: Grundlagen
und der Rat der Europäischen Union verfolgen mit der Verabschiedung der Richtlinie 2014/104/EU über Schadenersatzklagen in Kartellsachen die gleiche Zielsetzung.48 3. Die Auswirkungen von Kartellrechtsreformen auf den Privatrechtsschutz Im Folgenden soll kurz auf diejenigen Reformen eigegangen werden, die in jüngerer Zeit unmittelbare Auswirkungen auf den privaten Rechtsschutz, insbesondere im Zusammenhang mit den Verboten eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden (bzw. relativ marktstarken) Stellung hatten. In diesem Zusammenhang werden auch die Vorschläge der Kommission für eine Stärkung des „privat enforcement“ angesprochen. a) Die Sechste GWB Novelle Ziel der 6. GWB Novelle49 war die Schaffung eines modernen und effizienten Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Das Wettbewerbsprinzip sollte gestärkt und das deutsche an das europäische Recht angenähert werden.50 In § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB)51 wurde das Verbot der Geschäftsverweigerung beim Zugang zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen aufgenommen.52 § 19 Abs. 1 GWB wurde als Verbot formuliert und dadurch zum Schutzgesetz nach § 33 Abs. 1 GWB umgestaltet.53 Durch die damit verbundene (und auch nach Aufgabe des Schutzgesetzprinzips durch die 7. GWB Novelle fortbestehende) Ermöglichung von Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzklagen sollte dem Missbrauchsverbot zu verstärkter Durchsetzung verholfen werden.54 Bereits lange Zeit vor der 6. GWB Novelle wurde die Auffassung vertreten, § 22 Abs. 4 GWB a. F.
48
EP, directive, S. 4 Rn. 3; Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 2 bis 6. An dieser Stelle wird nur auf die Änderung des § 19 GWB eingegangen. § 35 GWB a. F. wurde wortgleich in § 33 GWB (zwischenzeitlich durch die 7. GWB Novelle geändert) übernommen. Die Änderungen im Bereich horizontaler und vertikaler vertraglicher Wettbewerbsbeschränkungen sind durch die 7. GWB Novelle bereits überholt. Auf Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle und auf die Einführung des Vergaberechts nach den §§ 97 ff. GWB ist im Rahmen dieser Arbeit nicht einzugehen. 50 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720 I. 2.; Baron, WuW 1998, S. 651 (651). 51 In der Fassung nach der 8. GWB Novelle. 52 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720 I. 3. c) ff); Baron, WuW 1998, S. 651 (652). 53 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720 I. 3. c) aa); Paul, S. 39; Baron, WuW 1998, S. 651 (651); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (409 f.). 54 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720 I. 3. c) aa) und II. zu § 19 GWB. 49
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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sei Schutzgesetz i. S. v. § 35 GWB a. F.55 Diese Ansicht wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt56 und konnte sich auch in der Rechtsprechung nicht durchsetzen.57 Das deutsche Recht stand hier im Widerspruch zu Art. 81 und 82 EG (zuvor Art. 85, 86 EGV a. F.; jetzt Art. 101 und 102 AEUV), die als Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB galten.58 Der einzelne Wettbewerber hat seit dem Inkrafttreten der 6. GWB Novelle die Möglichkeit, unabhängig von Kartellbehörden gegen seine nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB (§ 19 Abs. 1, 4 GWB a. F.) verbotene Behinderung oder Ausbeutung durch Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzklagen vorzugehen.59 Damit wird der Druck auf marktbeherrschende Unternehmen erhöht, sich wettbewerbskonform, d. h. entsprechend den Grundsätzen eines freien und fairen Leistungswettbewerbes, zu verhalten.60 Marktteilnehmer können auch gegen Verstöße i. S. v. § 19 Abs. 1, 2 GWB vorgehen, die von den Kartellbehörden wegen ihrer geringen Bedeutung für den Wettbewerb nicht aufgegriffen werden. Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz können ab dem Zeitpunkt der Zuwiderhandlung gegen § 19 Abs. 1, 2 GWB geltend gemacht werden, ohne dass es vorheriger Ermittlungen der Kartellbehörden bedarf.61 Insbesondere ist für die Berechnung von Schadensersatz der Zeitpunkt des Verstoßes gegen das Gesetz und nicht mehr der Zeitpunkt des Verstoßes gegen eine kartellbehördliche Verfügung62 maßgeblich. Dadurch entfällt für den Marktbeherrscher die Möglichkeit, im Zeitraum zwischen Normverstoß und kartellbehördlicher Verfügung vom eigenen rechtswidrigen Verhalten zu profitieren. § 19 Abs. 1, 4 GWB (jetzt § 19 Abs. 1, 2 GWB) ist in der
55 Jörißen, S. 1 ff. und 35 ff. m. w. N. auch zur Gegenmeinung und zur Rechtsprechung; Koch, Schadensersatz, S. 15 ff., 65 ff. 114 ff.; Müller-Laube, S. 49 ff.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (248 ff.); Ballerstedt, in: FS Hefermehl, S. 54 f. 56 Hohn, S. 164; Klein, S. 49 ff. (52) m. w. N.; Leo, WuW 1959, S. 485 (493 f.); Benisch, WuW 1961, S. 764 (764 ff.); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (409 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (491). 57 BGH, 26. 10. 1961, WuW/E BGH 442 (448) „Gummistrümpfe“; BGH, 22. 10. 1973, WuW/E BGH 1299 (1300) „Strombezugspreis“; Paul, S. 39. 58 BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier-Uhren“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/ DE-R 3431 (3433) „ORWI“; Paul, S. 39 f. 59 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) aa); die – mit dieser Änderung überwundene – Abhängigkeit der Marktteilnehmer wurde schon lange zuvor kritisiert, vgl. insbesondere Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 139 f. Ein Anspruch auf Tätigwerden der Kartellbehörden besteht dagegen nicht. Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. 60 In der Gesetzesbegründung wird in diesem Zusammenhang von einer verbesserten „Vorfeldwirkung“ gesprochen; BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) aa); vgl. auch Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (409 f.). 61 Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) aa) und II. zu § 33; Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (409 f.). 62 Sogenannte Schutzverfügung i. S. v. § 35 GWB a. F., nunmehr geregelt in § 33 Abs. 1 S. 1 GWB.
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Teil 1: Grundlagen
Fassung der 6. GWB Novelle als Verbotsnorm i. S. v. § 134 BGB anzusehen.63 Diese Auffassung wird vereinzelt bestritten. Gleichwohl wird zu zeigen sein, dass nur die Anwendung des § 134 BGB sachgerecht und mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang zu bringen ist.64 Insbesondere entspricht nur eine derartige Interpretation dem Ziel der Angleichung an das europäische Recht, welches in den Artikeln 101 und 102 AEUV wettbewerbsbeschränkende und/oder missbräuchliche Rechtsgeschäfte verbietet. Art. 101 Abs. 2 AEUV sieht die zivilrechtliche Nichtigkeit ausdrücklich als Rechtsfolge vor.65 Auch durch die Anwendung des § 134 BGB wird die Rechtsdurchsetzung verbessert. Bis zur 6. GWB Novelle waren vom marktbeherrschenden Unternehmen missbräuchlich auferlegte Vertragsbedingungen solange wirksam, bis die Kartellbehörde sie für unwirksam erklärte.66 Der gebundene Vertragspartner konnte sich deshalb nur über den Umweg einer Anzeige bei den Kartellbehörden aus dem Vertrag befreien. Durch die Reform sind solche Vertragsbedingungen von Beginn an nichtig bzw. können durch Vertragsanpassung nach § 134 2. Halbsatz BGB sachgerecht ausgestaltet werden. b) Die Verordnung Nr. 1/2003 Im Folgenden wird lediglich auf die materiell rechtlichen Regelungen der Artikel 1 bis 3 der VO 1/2003 eingegangen, da nur sie für Zivilrechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 101 und 102 AEUV von unmittelbarer Bedeutung sind.67 aa) Das Verhältnis vom deutschen zum europäischen Recht Art. 3 der VO 1/2003 regelt das Verhältnis der Artikel 101 AEUV und 102 AEUV zu dem nationalen Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten.68 Nach Art. 3 Abs. 1 der VO 1/2003 müssen die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten diese Vor-
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Die BegrRegE zur 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) aa) und II. zu § 19 spricht von der Umgestaltung zu einem echten Verbot, ohne allerdings § 134 BGB zu erwähnen. 64 Siehe S. 77 ff. 65 Siehe S. 86 ff. 66 Vgl. dazu die Regelungen in §§ 22, 19 GWB i. d. F. vor der 6. GWB Novelle. Vor der 6. GWB Novelle bestand lediglich für die Kartellbehörden die Möglichkeit, Verträge für unwirksam zu erklären, weil § 22 GWB a. F. kein Verbotsgesetz war: BGH, 16. 06. 1971, WuW/E BGH 1192 (1197 f.) „Stromversorgung für US-Streitkräfte“; Hohn, S. 162 f.; Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (406). 67 Ausgeklammert bleiben deshalb verfahrensrechtliche Regelungen über Zuständigkeiten und die Zusammenarbeit von Gerichten und Wettbewerbsbehörden, die Neuordnung der Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse der Kommission im Verwaltungsverfahren und die Regelung von Sanktionen. Auch die Problematik zivilrechtlicher Follow on Klagen (Art. 16 VO 1/2003) soll hier nicht erörtert werden. 68 Schöler, S. 62 und 154 ff.; Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, S. 118 (120 f.); Lutz, WuW 2005, S. 718 (718 f.).
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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schriften anwenden.69 Damit soll sichergestellt werden, dass das europäische Recht in jedem Mitgliedstaat einheitlich gilt.70 Die gleichzeitige Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts ist bei Einhaltung der Vorgaben des europäischen Rechts möglich.71 Für Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV ordnet Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 einen unbedingten Anwendungsvorrang an. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten für kooperative horizontale oder vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, die geeignet sind den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, keine abweichenden, d. h. insbesondere auch keine strengeren Regeln vorsehen dürfen.72 Dagegen gilt nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 Art. 102 AEUV lediglich als Mindeststandard, den nationale Behörden und Gerichte gewährleisten müssen. Strengere nationale Rechtsvorschriften sind dagegen nicht ausgeschlossen.73 Beispiele dafür bilden § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB74 und § 20 Abs. 1 bis 3 GWB.75 Der deutsche Gesetzgeber hat mit der 7. GWB Novelle in § 22 GWB diese Kollisionsnormen wiederholt. Fehlt es dagegen am Merkmal der Zwischenstaatlichkeit, bleibt das nationale Recht Entscheidungsgrundlage.76 In diesem Fall ist § 19 GWB europafreundlich auszulegen.77 Für § 20 GWB, der im Europarecht keine Entsprechung hat, gilt dieser Grundsatz dagegen nicht.78
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de Bronett, Artikel 3 Rn. 1. Der Grundsatz der zwingenden Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV (Art. 81, 82 EG; Art. 85, 86 EGV) hatte sich allerdings schon zuvor in der Rechtsprechung des EuGH durchgesetzt: De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1); Roth, WRP 2013, S. 257 (260). 70 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 1, 22; de Bronett, Vorbemerkungen Rn. 4 f.; zur Rechtslage vor Inkrafttreten der VO 1/2003 Weyer, ZEuP 2003, S. 318 (321 ff.). 71 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 8; de Bronett, Artikel 3 Rn. 6, Rn. 10 ff. 72 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 8; de Bronett, Artikel 3 Rn. 12. 73 de Bronett, Artikel 3 Rn. 13; Görner, S. 35 ff. 74 Das ergibt sich aufgrund der in der Vorschrift enthaltenen Beweislastumkehr, die eine Abweichung von Art. 2 VO 1/2003 enthält. 75 Dies gilt im Hinblick auf die Ausdehnung des Kreises der Normadressaten, die weitergehenden Verbote bestimmter Verhaltensweisen und die Regelungen von Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr. Der Rat nimmt in seinen Erwägungen sogar ausdrücklich Bezug auf die Möglichkeit, missbräuchliches Verhalten auch dann zu verbieten, wenn die behinderten Unternehmen lediglich abhängig sind; vgl. Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 8; Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, S. 118 (121); Lutz, WuW 2005, S. 718 (722 f.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1384 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1400). 76 Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, S. 118 (120 f.). 77 Vgl. dazu § 22 GWB. 78 BegrRegE 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, B. zu § 23 GWB (der dann allerdings nicht Gesetz geworden ist).
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Teil 1: Grundlagen
bb) Das System der Legalausnahme In Art. 1 Abs. 1 und 2 der VO 1/2003 ist das System der Legalausnahme festgeschrieben.79 Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV sind kooperative Verhaltensweisen unmittelbar verboten. Erfüllt eine Vereinbarung jedoch die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV, dann ist sie erlaubt, ohne dass es einer Entscheidung der Kommission bedarf. Das ist immer dann der Fall, wenn die Vereinbarung entsprechend einer Gruppenfreistellungsverordnung freistellungsfähig ist,80 kommt aber darüber hinaus auch im Wege der Einzelfreistellung in Betracht.81 Mit dieser Regelung entfiel das in Art. 4 VO 17/1962 vorgesehene Genehmigungsverfahren.82 Ob die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall vorliegen, kann von der Kommission oder den nationalen Wettbewerbsbehörden jederzeit ex post geprüft werden.83 In Zivilverfahren müssen die Gerichte prüfen, ob im Einzelfall die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen.84 Der Übergang zum System der Legalausnahme lässt der privaten Durchsetzung des Verbots nach Art. 101 Abs. 1 AEUV eine größere Bedeutung zukommen.85 Weil die vorherige Genehmigung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV entfällt, müssen privaten Marktteilnehmer selbst gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vorgehen, wollen sie sich nicht darauf verlassen, dass die europäischen oder nationalen Behörden von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde einschreiten. Die Kommission hat bereits zu erkennen gegeben, dass sie regelmäßig nicht mehr einschreiten will, falls betroffene Marktbeteiligte mit einer privaten Klage ebenso gut
79 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 4; Schöler, S. 105 ff. 80 BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1335 (1338 f.) „Citroen“; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 10; vgl. im Einzelnen zur Freistellung durch GVO im Legalausnahmesystem Schöler, S. 121 ff. 81 Schöler, S. 133 ff. 82 Danach oblag die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG (bzw. 85 Abs. 3 EGV) ausschließlich der Kommission. Solange eine solche Freistellung nicht erteilt war, galt die Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 1 EG als verboten. Den nationalen Gerichten war lediglich erlaubt, die Nichtigkeit nach Art. 81 Abs. 2 EG (bzw. 85 Abs. 2 EGV) festzustellen, wenn eine Genehmigung nach Art. 81 Abs. 3 EG sicher ausgeschlossen werden konnte: EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (919 ff.) „Delimitis/Henninger Bräu“; vgl. auch Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 182 f.; Schöler, S. 24 ff.; Bechtold, ZHR 160 (1996), S. 660 (661, 666 ff.). 83 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 4; vgl. dazu im Einzelnen Schöler, S. 114 ff. 84 BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1335 (1338 f.) „Citroen“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DER 1621 (1623 f.) „Qualitative Selektion“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „Classic-Line“; LG München I, 21. 03. 2006, WuW/DE-R 1708 (1710 f.) „TV Digital“; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 4; de Bronett, Artikel 6 Rn. 5. 85 Hempel, WuW 2004, S. 362 (366 f.); Schmidt, K., ZEuP 2004, S. 881 (882 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1384 f., 1391); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1399 f.); Lübbig/ le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1209 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1133 f.).
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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Rechtsschutz erreichen können.86 Sie ist vor dem Hintergrund eigener Entlastung bestrebt, das „private enforcement“ zu stärken.87 Für vertragschließende Parteien bedeutet das System der Legalausnahme, dass sie, ohne sich auf eine Genehmigung verlassen zu können, ex ante prüfen müssen, ob die Voraussetzungen einer Freistellung von Art. 101 Abs. 1 AEUV gegeben sind.88 Darüber hinaus muss sich derjenige, der sich nach Vertragsschluss auf die Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV berufen will, zuvor genau überlegen, ob nicht doch die Voraussetzungen einer Freistellung vorliegen. Ihm kommt dabei jedoch zugute, dass nach Art. 2 S. 2 VO 1/2003 derjenige, der sich auf die Gültigkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEUV beruft, beweisen muss, dass die Freistellungsvoraussetzungen vorliegen.89 cc) Verfahrensrecht und Sanktionen Für das Zivil- und Zivilverfahrensrecht gilt das nationale Recht der Mitgliedstaaten.90 Art. 2 der VO 1/2003 nimmt zur Beweislast Stellung.91 Grundsätzlich hat derjenige die Verletzung von Art. 101 oder 102 AEUV zu beweisen, der sich, gleich ob zur aktiven Verfolgung von Ansprüchen oder zur Abwehr gegen ihn erhobener Ansprüche darauf beruft, dass ein anderes Unternehmen gegen diese Vorschriften verstoßen hat. Beruft sich eine Partei allerdings auf eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, muss sie beweisen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sind.92 Insoweit entspricht die Vorschrift der allgemeinen Beweislastregel im
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Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 f.; zuvor Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff.; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 7; vgl. auch Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1209 f.); Möschel, WuW 2006, S. 115; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1134 ff.); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848); siehe auch S. 47 ff. 88 Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 63 ff. 89 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 5; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „Classic-Line“; Schöler, S. 109; Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1399 f.). 90 EuGH, 14. 06. 2011, WuW/EU-R 1975 (1978 ff.) „Pfleiderer“; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 35; Kommission, Weißbuch, S. 2 und Commission Staff Working Paper, S. 25 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 327; Görner, S. 53 ff. 91 Regelungen zur Effektivierung des privaten Rechtsschutzes fehlen indes, dazu kritisch: Hempel, WuW 2004, S. 362 (367); Hirsbrunner/Schädle, EuZW 2006, S. 583 (585 f.). Infolge dessen gelten für Beweislastregeln, soweit sie über den Grundsatz des Art. 2 der VO 1/2003 hinausgehen, die nationalen Rechtsordnungen: Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 25 f.; Görner, S. 34 f.; Logemann, S. 146 ff. 92 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 5; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 5; kritisch de Bronett, Artikel 2 Rn. 9, 11 ff.; Schöler, S. 109 ff. 87
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Teil 1: Grundlagen
deutschen Zivilrecht.93 Im Bereich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung kann sich eine Partei aber auch auf die Beweislastregeln des deutschen Rechts stützen, soweit sie den Nachweis eines Missbrauchs erleichtern.94 Art. 2 VO 1/2003 gilt nur für den Tatbestand, nicht aber für die zivilrechtlichen Folgen einer Verletzung von Art. 101 oder 102 AEUV. Die Zivilrechtsfolgen richten sich, abgesehen von Art. 101 Abs. 2 AEUV, nach nationalem Recht. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die §§ 134, 139 BGB und § 33 Abs. 1 und 3 GWB, sowie die Vorschriften zur Schadensberechnung nach §§ 249 ff. BGB und zivilprozessual § 287 ZPO. c) Die Siebente GWB Novelle Die 7. GWB Novelle brachte eine Vielzahl von, zum Teil grundlegenden Veränderungen im GWB.95 Die Reform sollte in Übereinstimmung mit der VO 1/2003 die Kompatibilität des deutschen mit dem europäischen Kartellrecht sicherstellen. aa) Wettbewerbsbeschränkende Vertikalvereinbarungen und die Abgrenzung zwischen abgestimmten und missbräuchlichen Verhaltensweisen Seit Inkrafttreten der 7. GWB Novelle erfasst das Verbot des § 1 GWB auch vertikale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen,96 die zuvor nach § 16 GWB a. F. lediglich einer Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden unterlagen. Die Regelungen der §§ 1, 2 und 22 Abs. 1, 2 GWB beinhalten eine vollständige Angleichung des deutschen Rechts an Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV97 und Art. 3 Abs. 1, 2 VO 1/2003.98 Der Gesetzgeber hat damit auf einen eigenständigen Anwendungsbereich für § 1 GWB verzichtet. Dieser Gestaltung liegt die Überlegung zugrunde, dass ein unterhalb der Schwelle der Zwischenstaatlichkeitsklausel bestehender § 1 93 Danach liegt die Beweislast grundsätzlich beim Anspruchsteller: OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915) „Fernsehwerbezeiten“. Derjenige, der sich auf eine Ausnahmevorschrift beruft, hat die Tatsachen, die zu ihrer Anwendung führen, zu beweisen. Art. 101 Abs. 3 AEUV erlaubt Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV: OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2835, 2837) „CRS-Betreiber/Lufthansa“; Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.). 94 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 5; de Bronett, Artikel 2 Rn. 4; Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 ff.). 95 Im Folgenden werden in die Darstellung nur solche Änderungen einbezogen, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. 96 Die Betrachtung kooperativer horizontaler wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen (Kartelle) und die Problematik des Verbots vertikaler Preisbindungen sollen hier ausgeklammert werden. 97 Die Anwendung von Gruppenfreistellungsverordnungen eingeschlossen. 98 BegrRegE BT-Drucks. 15/3640, A. 4. a) aa) bis ee); Bahr, WuW 2004, S. 259 (260 ff.); Lutz, WuW 2005, S. 718 (719 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1386 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1397 ff.); Kirchhain, WuW 2008, S. 167 (168 f.).
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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GWB ohnehin von untergeordneter Bedeutung wäre und von der europäischen Praxis abweichende Judikate deutscher Gerichte eher für Rechtsunsicherheit als für Rechtsfortbildung sorgen würden.99 Vertikale wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen können sowohl nach Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB als auch nach Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, sowie 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB verboten sein.100 Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung von einseitigen Verhaltensweisen, die nur verboten sind, wenn sie einen Missbrauch von Marktmacht darstellen, von kooperativem Verhalten, das wegen seines koordinativen Charakters verboten ist. Die Frage hat für die vorliegende Untersuchung zunächst deshalb Bedeutung, weil Art. 101 Abs. 2 AEUVeine unmittelbare europarechtliche Sanktion enthält. Die Rechtsfolgen des Missbrauchs von Marktmacht können deshalb in Fällen, in denen sich die Anwendungsbereiche von Art. 101 AEUV (bzw. § 1 GWB) und 102 AEUV (bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB, 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB) überschneiden, nicht allein nach Art. 102 AEUV (bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB, 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB) i. V. m. § 134 BGB bestimmt werden.101 In diesen Fällen sind der Regelungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 AEUV und die Freistellungsmöglichkeiten nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bei der Bestimmung des Umfangs deliktsrechtlicher Sanktionen mit zu bedenken.102 Es ist zu beachten, dass alle einschlägigen Normen hinsichtlich ihres Zweckes und ihrer Zielrichtung zu berücksichtigen sind und die gefundenen Ergebnisse miteinander vereinbar sein müssen. bb) Verhältnis des Art. 102 AEUV zu § 19 Abs. 1, 2 GWB Die Regelung des § 22 Abs. 3 GWB zielt darauf ab, dass die nationalen Behörden und Gerichte unabhängig davon, ob sie aufgrund Art. 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 GWB entscheiden, bei der Beurteilung von Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen zu den gleichen Ergebnissen kommen wie die Kommission und die europäischen Gerichte (EuG und EuGH) im Rahmen der Anwendung von Art. 102 AEUV.103 Da der Behinderungsbegriff in § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB und § 20 Abs. 1 GWB identisch ist,104 besteht weitergehend auch eine Übereinstimmung der Auslegungsgrundsätze zwischen § 20 Abs. 1 GWB und Art. 102 AEUV.105 Werden die 99 Bechtold, DB 2004, S. 235 (237 f.); Kahlenberg/Haellmigk, BB 2005, S. 1509 (1509 f.); Lutz, WuW 2005, S. 718 (722). 100 EuGH, 16. 03. 2000, WuW/EU-R 309 (310 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861 f.) „Stadtwerke Aachen“; BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1156) „E.ON Ruhrgas“. 101 Siehe im Einzelnen S. 86 ff. 102 Siehe im Einzelnen S. 127 ff. 103 OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (860) „Stadtwerke Aachen“; Alexander, Schadenersatz, S. 326 ff.; zur Rechtslage vor Inkrafttreten der VO 1/2003 Weyer, ZEuP 2003, S. 318 (321 ff.). 104 Einschließlich des als Unterfall der Behinderung zu behandelnden Diskriminierungsverbots. 105 BGH, 19. 01. 1993, WuW/E BGH 2875 (2880) „Herstellerleasing“; Taube, S. 143 ff.
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Teil 1: Grundlagen
Verbotstatbestände gleich behandelt, so muss das auch für die Rechtsfolgen gelten, weil schlussendlich deren Ausgestaltung für die gleichmäßige und effektive Rechtsdurchsetzung entscheidend ist.106 Privater Rechtsschutz nach § 134 BGB und § 33 Abs. 1 und 3 GWB ist also unabhängig davon gleich zu gestalten, ob § 19 Abs. 1, 2, § 20 Abs. 1 GWB oder Art. 102 AEUV bzw. beide Normen zur Anwendung kommen. Besonderheiten können sich für § 20 Abs. 3 GWB ergeben, der in dieser Form keine Entsprechung in Art. 102 AEUV hat. cc) Die Änderung des § 33 GWB Der Gesetzgeber hat mit der 7. GWB-Novelle Verbesserungen für private Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzklagen geschaffen.107 Das Schutzgesetzprinzip wurde aus § 33 Abs. 1 GWB gestrichen und durch das Prinzip der Betroffenheit ersetzt.108 Erstmals wurden in § 33 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wettbewerbswidrigen Verhaltens ausdrücklich erwähnt. Allerdings waren auch zuvor schon Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch in Analogie zu § 1004 BGB anerkannt.109 Erstmals wurden auch die Art. 81 und 82 EG (nunmehr Art. 101 und 102 AEUV) als Vorschriften benannt, die zivilrechtliche Ansprüche auslösen können. Zuvor musste auf § 823 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden.110 § 33 Abs. 3 S. 3 GWB ermöglicht es, bei der Schadensermittlung den durch den Verstoß erzielten Gewinn des deliktisch handelnden Unternehmens zu berücksichtigen.111 Nach § 33 Abs. 3 S. 4 GWB ist Schadensersatz in Geld ab dem Zeitpunkt der Zuwiderhandlung nach den §§ 288, 289 BGB zu verzinsen.112 Darüber hinaus betont § 33 Abs. 3 S. 2 GWB, dass der Einwand der „pass on defence“, d. h. die Reduzierung eines Schadens bei Weitergabe überhöhter Preise oder Kosten an nachfolgende Marktstufen, der Geltendmachung eines Schadens grundsätzlich nicht entgegensteht. Letztlich ist diese Frage nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zu beurteilen.113 Nach § 34 Abs. 2 GWB geht der Schadens106
Emmerich, AG 2001, S. 520 (521 f.); Weyer, ZEuP 2003, S. 318 (319 ff.). Die Schaffung eines effizienten zivilrechtlichen Sanktionensystems war eines der Hauptanliegen der 7. GWB Novelle: BegrRegE zur 7. GWB Novelle BT-Drucks. 15/3640, Teil A. 4. g) aa); Logemann, S. 219 ff.; Meessen, S. 64 f.; Bechtold, DB 2004, S. 235 (239); Hempel, WuW 2004, S. 362 (366 ff.); Schmidt, K., ZEuP 2004, S. 881 (882 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1391 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1403 ff.); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1061 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1210 ff.); Möschel, in: FS Bechtold, S. 329 (332); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1120); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1134). 108 Siehe ausführlich S. 127 ff. 109 Als quasinegatorischer Unterlassungsanspruch: BGH, 25. 02. 1959, WuW/E BGH 288 (291 f.) „Grosshändlerverband II“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (234) „Inkontinenzhilfen“; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (43 f.); Roth in: FS Huber, S. 1133 (1137). 110 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 52; siehe auch S. 127 f. 111 Siehe im Einzelnen S. 174 f. 112 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 54; Görner, S. 20. 113 Siehe im Einzelnen S. 168 ff. 107
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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ersatz in Geld der Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörden nach § 34 Abs. 1 GWB vor. Das gleiche gilt nach § 34 a Abs. 2 S. 2 GWB für die Vorteilsabschöpfung durch Verbände nach § 34 a Abs. 1 GWB.114 Die Erfolgswahrscheinlichkeit von Schadenersatzklagen soll dadurch gesteigert werden, dass nach § 33 Abs. 4 GWB die Gerichte an die Feststellungen eines Verstoßes gegen Vorschriften des GWB oder der Art. 101 oder 102 AEUV durch die Kommission, die nationalen Kartellbehörden oder aber der Kartellbehörden eines anderen Mitgliedsstaates der EU gebunden sind.115 An die Stelle einer ausländischen Kartellbehörde kann auch ein Gericht treten, wenn das Gericht nach dem Recht des betreffenden Staates anstelle einer Behörde zur Entscheidung berufen ist. Voraussetzung ist allerdings in allen Fällen, dass eine solche Entscheidung bestandskräftig ist.116 Das Zivilgericht kann dann die Verletzung des Verbotsgesetzes entsprechend der bestandskräftigen Entscheidung unterstellen. Es muss dann nur noch die Betroffenheit des Anspruchstellers und das Ausmaß seines Schadens feststellen.117 Während behördlicher Ermittlungen wegen des Verdachts eines Wettbewerbsverstoßes wird die Verjährung nach § 33 Abs. 5 GWB gehemmt. d) Das Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels und die 8. GWB Novelle Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels118 im Jahr 2007 die Vorschriften der § 20 Abs. 3 und 4 GWB (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 5 und 20 Abs. 2, sowie § 20 Abs. 3 GWB) novelliert und einen neuen § 29 GWB eingeführt. Mit diesen Änderungen119 strebte der Gesetzgeber insbesondere eine Ver114 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, Teil B. zu § 34 a zu Absatz 2; Lutz, WuW 2005, S. 718 (728 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1147 f.). 115 BegrRegE zur 7. GWB Novelle BT-Drucks. 15/3640, S. 54; Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (881 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1391 f., 1395); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1404 f.); Hempel, WuW 2005, S. 137 (140 ff.); Lutz WuW, 2005, S. 718 (728 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1212); Meyer, GRUR 2006, S. 27 (28); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1152 ff.); Zöttl/Schlepper, EuZW 2012, S. 573 (574). 116 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. Zu einer Aussetzung eines Zivilverfahrens wegen eines zugleich anhängigen Kartellverwaltungsverfahrens ist ein Gericht indes nicht verpflichtet: OLG Düsseldorf, 03. 05. 2006, WuW/DE-R 1755 (1756 f.) „Zementkartell“; Meyer, GRUR 2006, S. 27 (32 f.); Bechtold, NJW 2007, S. 3761 (3766); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1152 ff.). 117 Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1152 ff.); zum Schadenersatz siehe ab S. 153. 118 Gesetz vom 18. 12. 2007, in Kraft getreten am 22. 12. 2007, BGBl. Teil 1 2007, Nr. 66, S. 2966. 119 Verschärfung des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis in § 20 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Verbot von Preis/Kosten Scheren in § 20 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, Ausweitung des Verbots der Vorteilsgewährung durch § 20 Abs. 3 S. 2 auf marktstarke Unternehmen im Verhältnis zu von
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Teil 1: Grundlagen
besserung des Verbraucherschutzes im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels und eine verstärkte Kontrolle von Endkundenpreisen im Bereich der Strom- und Gasversorgung an.120 Im Ergebnis wurde für diese beiden Wirtschaftsbereiche ein Sonderkartellrecht geschaffen. Die Änderungen waren rechtspolitisch umstritten. Eine Auseinandersetzung mit der insoweit geführten Diskussion kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen.121 Die Vorschriften zur Verschärfung des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis im Lebensmitteleinzelhandel und von Preis/Kosten Scheren sind nunmehr im Rahmen einer 8. GWB Novelle122 in § 20 Abs. 3 GWB verlängert worden. Durch die 8. GWB Novelle ist zudem die Gesetzessystematik der §§ 19, 20 GWB a. F., nunmehr in §§ 18 bis 20 GWB n. F. neu geordnet worden.123 Inhaltliche Änderungen der Missbrauchstatbestände sind damit indes kaum verbunden.124 Von maßgeblicher Bedeutung ist vor allem, dass die bisherigen § 19 Abs. 4 Nr. 1 und § 20 Abs. 1 GWB in § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB zu einem Verbot der unbilligen Behinderung und sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zusammengefasst wurden.125 Die Formulierung soll klarstellen, dass auch Drittmarktbehinderungen erfasst werden. Das Merkmal „in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen zugänglich ist“ ist nunmehr entfallen, ohne dass dies für die Rechtsanwendung erheblich sein dürfte.126 Auch weiterhin ist zu prüfen, ob Unternehmen gleichartig sind, um darauf aufbauend feststellen zu können, ob sie ungleich behandelt werden. Im Rahmen dieser Arbeit ist auf die rechtspolitische Diskussion zur 8. GWB Novelle nicht näher einzugehen.127
ihnen abhängigen Unternehmen, spezielle Missbrauchsaufsicht für den Bereich der Energieversorgung in § 29. 120 BegrRegE BT-Drucks. 16/5847 Ziffer A. 1. a) und b). 121 Weiterführend die Zusammenfassung der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens und der Ausschussberatungen WuW 2008, S. 318 (319 ff.); Monopolkommission, Sondergutachten Nr. 47; Stellungnahme der Bundesregierung zum 16. Hauptgutachten der Monopolkommission, WuW/DE-V 1455 (1457 f.); Monopolkommission, Sondergutachten Nr. 63, S. 43 ff.; des weiteren Heitzer, WuW 2007, S. 854 (856 ff.); Ritter, WuW 2007, S. 698 (705 ff.); Kahlenberg/Haellmigk, BB 2008, S. 174 (175 f.). 122 Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. 06. 2013, in Kraft seit 30. 06. 2013 (Art. 2 tritt am 01. 01. 2018 in Kraft), BGBl. 2013 Teil 1 Nr. 32, S. 1738. 123 Vgl. zur Übersicht Alexander, WuW 2012, S. 1025; Keßler, WRP 2013, S. 1116. 124 Ritter/Käseberg, WuW 2012, S. 661 (662 f.); Keßler, WRP 2013, S. 1116 (1117). 125 Alexander, WuW 2012, S. 1025 (1030); Keßler, WRP 2013, S. 1116 (1117). 126 Alexander, WuW 2012, S. 1025 (1031 f.); Keßler, WRP 2013, S. 1116 (1117). 127 Vgl. weiterführend BMWi, Eckpunkte einer 8. GWB Novelle vom 1. August 2011 unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/eckpunkte-8-gwb-novelle,property=pdf,be reich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf; Referentenentwurf vom November 2011 unter: http:// www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/G/gwb-8-aenderung-referentenentwurf,property=pdf,be reich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf; Regierungsentwurf vom 31. 05. 2012, BT-Drucks. 17/ 9852; Bundeskartellamt, Stellungnahme, WuW 2012, S. 257; Monopolkommission, Sondergutachten Nr. 63; Ritter/Käseberg, WuW 2012, S. 661.
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4. Die Initiative der Kommission zur Stärkung des privaten Rechtsschutzes Die EU Wettbewerbskommission hat in den letzten Jahren Bemühungen unternommen, den privaten Rechtsschutz im europäischen Kartellrecht zu stärken. Hintergrund ist, dass die Kommission die zivilrechtliche Geltendmachung kartellrechtlicher Ansprüche, zumindest soweit es die Artikel 101 und 102 AEUV betrifft, als ein wesentliches Instrument zur effektiven Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts ansieht, zugleich aber als Ergebnis verschiedener Untersuchungen konzedieren musste, dass die kartellprivatrechtliche Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche auf europäischer Ebene und in vielen Mitgliedstaaten unterentwickelt ist.128 Die Ursachen dafür sind vielfältig. Zunächst einmal handelt es sich bei den Artikeln 101 und 102 AEUV und den dazu ergangenen Verordnungen in erster Linie um verwaltungsrechtliche Regelungen. Auf der Ebene des Primärrechts enthält lediglich Art. 101 Abs. 2 AEUV, indem er die Nichtigkeit bestimmter wettbewerbswidriger Rechtsgeschäfte anordnet, eine zivilrechtliche Regelung. Im Bereich des Sekundärrechts sind zivilrechtliche Bestimmungen nur in Artikel 2 der VO 1/2003 und Artikel 6 VO 48/2004 enthalten. Artikel 2 der VO 1/2003 regelt die Beweislastverteilung allerdings nur insoweit, als er bestimmt, dass der Kläger die Tatsachen, welche seine Klage stützen, beweisen muss. Die Vorschrift als solche ist also nicht geeignet, die zivilrechtliche Durchsetzung von Ansprüchen zu fördern. In Artikel 6 und 7 VO 48/2004 finden sich zivilprozessuale Bestimmungen, welche die Offenlegung bestimmter Dokumente durch den Prozessgegner oder Dritte betreffen. Als nicht unmittelbar geschrieben, aber aus dem Normzweck und der Systematik der Art. 101 und 102 AEUV ableitbar, hat der EuGH den Rechtsgrundsatz aufgestellt, jeder Marktteilnehmer, dem durch die Verletzung der Art. 101 oder 102 AEUV ein Schaden entstanden ist, habe einen Anspruch auf vollständigen Ersatz dieses Schadens gegenüber dem Schädiger.129 Weitere privatrechtliche Regelungen enthält das europäische Wettbewerbsrecht nicht. Die Ausgestaltung materiell rechtlicher und zivilprozessualer Normen zur Durchsetzung privater Ansprüche obliegt daher 128 Dazu, dass der private Rechtsschutz als ineffektiv bewertet wird und zu den Initiativen diesen Zustand zu verbessern: Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 ff., zuvor Weißbuch, S. 2 und Commission Staff Working Paper, S. 8 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 312 ff., 330 f.; Endter, S. 31 ff.; Krüger, S. 32 f.; Bechtold, ZHR 160 (1996), S. 660 (662 ff.); Emmerich, AG 2001, S. 520 (520 f.); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (407); Mäsch, EuR 2003, S. 825 (828 f.); Hempel, WuW 2004, S. 362 (365 ff.); Bulst, EWS 2004, S. 403 (403); De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1061 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1209 f.); Möschel, WuW 2006, S. 115; ders., WuW 2007, S. 483 (485 f.); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848). 129 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f., 1118 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; EuG, 15. 12. 2011, WuW/EU-R 2187 (2193) „CDC Hydrogene Peroxide“; EuGH, 06. 06. 2014, NZKart 2014, 263 (263 f.) „Aufzugkartell“; im Anschluss an diese Rechtsprechung nunmehr Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 3 und S. 3 Rn. 12, sowie Art. 3 Abs. 1 und 2; Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (435); siehe auch S. 128 ff.
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den Mitgliedstaaten. Deren wettbewerbsrechtliche Regelungen sind in deren jeweilige tradierte Rechtsordnung eingebunden. Ebenso vielfältig wie die Mitgliedstaaten, sind daher auch die Regelungen zur zivilrechtlichen Durchsetzung des europäischen Kartellrechts. Lediglich die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Effektivität schaffen einen gewissen Mindeststandard.130 Die EUKommission und der Gerichtshof verfügen als Konsequenz des Fehlens umfassender materiell rechtlicher und prozessualer Zivilrechtsnormen auch nicht über die Kompetenz zur Entscheidung zivilrechtlicher Sachverhalte. Insoweit fehlen auf europäischer Ebene also Institutionen, welche die verstärkte Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche fördern könnten. Darüber hinaus bestehen natürlich alle Probleme, die auf der Ebene des nationalen Kartellrechts die Erhebung zivilrechtlicher Klagen erschweren, auch auf der Ebene des europäischen Rechts. Hierzu gehören namentlich die Komplexität von Sachverhalten, das begrenzte Wissen des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers, sowohl im Hinblick auf Marktabgrenzung, Marktbeherrschung, Marktstruktur und Wettbewerbsintensität auf dem betreffenden Markt als auch in Bezug auf Interna des Beklagten und seinem Verhalten in Geschäftsbeziehungen mit Dritten, die Verfahrenskosten und die Befürchtung man werde im Falle der Klageerhebung mit geschäftlichen Sanktionen belegt.131 Letzteres ist insbesondere im Falle starker Abhängigkeiten misslich. Die Tragung der Darlegungs- und Beweislast durch den Kläger ist insbesondere in komplexen Fällen bei gleichzeitig nicht ausreichendem Wissensstand ein erhebliches Hindernis für eine erfolgreiche Klage. Im Kontext mit dem, zumindest für kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Verbraucher erheblichen Kostenrisiko bei begrenzten oder gar schlechten Erfolgsaussichten, wird eine hohe Hemmschwelle für zivilrechtliche Klagen offenbar. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass viele von missbräuchlichem Verhalten oder Kartellabsprachen betroffene Marktteilnehmer lieber eine Anzeige bei einer Wettbewerbshörde erstatten und deren Ermittlungen abwarten, bevor sie Ansprüche geltend machen oder gar Klage erheben.132 Die EU Kommission möchte allerdings angesichts eines immer größer werdenden Binnenmarktes bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen ihre Arbeitsbelastung reduzieren oder zumindest nicht ansteigen lassen.133 Sie beabsichtigt daher, sich auf besonders umfangreiche oder schwer aufzuklärende oder solche Fälle zu konzentrieren, die neuartige oder zumindest noch nicht abschließend geklärte rechtliche Fragestellungen aufwerfen.134 Die Begrenztheit der Ressourcen von Wettbewerbsbehörden, 130
Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 11 und Art. 4; zuvor bereits Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 25 f.; De Smijter/O’Sullivan, Competition Policy Newsletter 2006, S. 23 (26); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1061 f.); siehe S. 33 ff. 131 Krüger, S. 28 ff.; Logemann, S. 36 f.; Möschel, WuW 2007, S. 483 (489 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (139 f.); siehe auch S. 33 ff. 132 De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1); Möschel, WuW 2007, S. 483 (489). 133 Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff.; Endter, S. 45 ff.; De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1). 134 Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 11 f.
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und zwar sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene, ist der wesentliche Gesichtspunkt der Kommission bei dem Bestreben, sich für eine Stärkung der zivilrechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen einzusetzen. Der Umstand, dass Wettbewerbsbehörden nicht jeden Fall aufgreifen oder zumindest nicht umfassend aufklären und bearbeiten können, soll nicht zu einer Verringerung der Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln führen. Vielmehr soll die verstärkte Erhebung zivilrechtlicher Klagen eine Lücke bei der effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln erst gar nicht entstehen lassen.135 Ein weiterer bedeutender Aspekt tritt hinzu. Es liegt nicht in der Kompetenz der Wettbewerbsbehörden, Schadenswiedergutmachung zugunsten einzelner Marktteilnehmer zu leisten. Die Zuweisung von Schadenersatz obliegt als originär privatrechtliche Materie den Zivilgerichten.136 Zugleich enthält die Aussicht, bei wettbewerbswidrigem Verhalten zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet werden zu können, ein hohes Abschreckungspotential gegenüber potentiellen Schädigern. Einer Kalkulation, welche selbst im Falle der Aufdeckung eines Wettbewerbsverstoßes für sich Anspruch nehmen kann, trotz angeordneter Sanktionen habe sich der Verstoß wirtschaftlich gelohnt, muss im Interesse legalen Leistungswettbewerbes die Grundlage entzogen werden.137 Als weiteres Motiv für die Stärkung privaten Rechtsschutzes wird eine stärkere Mitwirkung von Marktteilnehmern an der Aufdeckung von Wettbewerbsverstößen und damit zusammengehend ein stärkeres Rechtsbewusstsein für wettbewerbskonformes Verhalten genannt.138 Vor diesem Hintergrund hat die Kommission zunächst in einem Grünbuch vom Dezember 2005139 und sodann in einem Weißbuch vom April 2008140 die Stärkung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen in den Blick genommen. In Weiterentwicklung des Weißbuches hat die Kommission nach umfangreichen Anhörungen141 am 11. 06. 2013 einen Richtlinienvorschlag unterbreitet, der zum Ziel hat, materiell rechtliche und verfahrensrechtliche Vorschriften des Zivil- und Zi135 Richtlinie 2014/104/EU, S. 2 Rn. 4 bis 6; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10; Endter, S. 53 ff.; Krüger, S. 31 ff., 249 ff.; Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (435 f.). 136 OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915 ff.) „Fernsehwerbezeiten“; Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 3; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 7 ff., 25 f.; Krüger, S. 250 f. 137 Krüger, S. 250 ff.; Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (436); zum Grundsatz vollständigen Schadenersatzes Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 3, S. 3 Rn. 12 und Art 3 Abs. 1 und 2, sowie Art. 17 Abs. 1. 138 Krüger, S. 250 ff. 139 Kommission, Grünbuch „Schadenersatzklagen bei Verletzung der EG-Wettbewerbsgesetze“ vom 19. 12. 2005, COM (2005) S. 672; vgl. auch Endter, S. 58 ff.; Basedow, EuZW 2006, S. 97; De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1). 140 Kommission, Weißbuch „Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ vom 02. 04. 2008, COM (2008), S. 165 mit „Commission Staff Working Paper accompanying the White paper“ vom 02. 04. 2008, SEC (2008), S. 404; vgl. auch Alexander, Schadenersatz, S. 330 ff.; Logemann, S. 159 ff.; Meessen, S. 581 ff.; Ritter, WuW 2008, S. 762 (762 ff.); Weidenbach/Saller, BB 2008, S. 1020 (1021 ff.). 141 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 5 und 8 f. m. w. N.
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vilprozessrechts der Mitgliedstaaten anzugleichen, um die rechtlichen Bedingungen für private Schadenersatzklagen im gesamten Binnenmarkt so zu verbessern, dass die europäischen und nationalen Verbote wettbewerbswidrigen Verhalten effizient und gleichmäßig mit dem Mittel der zivilrechtlichen Klage durchgesetzt werden können.142 Auf Grundlage dieses Vorschlages hat das EU Parlament am 17. 04. 2014 unter Vornahme einzelner Änderungen und Ergänzungen, die mit der Kommission abgestimmt wurden, einen Richtlinientext für Schadenersatzklagen in Kartellsachen verabschiedet.143 Nach Zustimmung des Rates der Europäischen Union ist die Richtlinie am 26. 11. 2014 in Kraft getreten.144 Auf Einzelheiten wird, soweit sie für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind, im Zusammenhang mit der Erörterung von allgemeinen Voraussetzungen für Schadenersatzklagen eingegangen.145
III. Die Zielsetzung der Verbote des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen 1. Wettbewerbsfreiheit Das Wettbewerbsprinzip fungiert als Steuerungssystem einer auf Privatautonomie der Normunterworfenen basierenden Rechtsordnung.146 Wettbewerb ist dabei als Prozess sich stets neu integrierender rechtlicher Beziehungen zwischen privaten Rechtssubjekten zu verstehen. Es entsteht ein dynamisches Ordnungssystem, welches dem Wert der Freiheit der Person Rechnung trägt und diejenigen Gestaltungen gelten lässt, welche die Beteiligten subjektiv als vorteilhaft empfinden.147 Er ist Such-
142 Kommission, „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union“ vom 11. 06. 2013, COM (2013), S 404; vgl. auch Mederer, EuZW 2013, S. 847 (848 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (436). 143 EP, „Directive of the European Parliament and of the Council on certain rules governing actions for damages under national law for infringements of the competition law provisions of the Member States and of the European Union“ vom 17. 04. 2014, COM (2013) 0404-C7-0170/ 2013-2013/0185(COD). 144 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349/1 vom 05. 12. 2014. 145 Siehe S. 127 ff. und S. 153 ff. 146 Bydlinski, S. 603 ff. zeigt die Notwendigkeit einer privatautonomen Ordnung als Vorfrage des freien Wettbewerbs. Wettbewerb vollzieht sich innerhalb der Institutionen des Privatrechts: Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rn. 8 ff.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (247); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (173). 147 Vgl. nur Emmerich, Kartellrecht, S. 3 f., Rn. 9 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rn. 70 ff.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (247); Rittner, AcP 188 (1988), S. 101 (126 f.).
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und Entdeckungsverfahren freier Marktteilnehmer.148 Der aus der Konkurrenz der Marktteilnehmer entstehende Wettbewerbsdruck zwingt die Beteiligten unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke, die berechtigten Interessen anderer Akteure jeweils wechselseitig zu berücksichtigen.149 Hierin liegt die entmachtende Funktion des Wettbewerbs, die auch dem wirtschaftlich Unterlegenen Selbstbestimmung im wirtschaftlichen Bereich ermöglicht.150 Im (theoretischen) Idealfall verwirklichen sich auf diese Weise privatautonome Freiheit und wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit,151 ohne dass es staatlicher Regulierung bedarf.152 Dazu muss aber jedem Rechtssubjekt die Teilnahme am Wettbewerb offen stehen.153 Voraussetzungen dafür sind formal rechtliche Gleichheit154 und materiell Abwesenheit von unzulässigem Zwang durch den Vertragspartner oder Dritte.155 Aufgrund der Gleichordnung der privaten Rechtssubjekte sind alle privaten Interessen prinzipiell gleichrangig.156 Als immanente Ordnungsprinzipien157 zur Konfliktlösung müssen daher gelten: das Konsensprinzip,158 die Gleichheit der Chancen im Hinblick auf wirtschaftliche Entwicklung und Teilhabe und das Vorhandensein eines Handlungsspielraumes im Sinne realer Entscheidungsfreiheit. Es handelt sich um rechtlich gebundene Freiheit.159 148
Vgl. nur Alexander, Schadenersatz, S. 131 f.; Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rn. 70 ff.; dazu, dass Wettbewerb ein evolutorisches Prinzip beinhaltet: Basedow, WuW 2007, S. 712 (715 f.); Hoppmann, in: FS Mestmäcker, S. 177 (179 ff.). 149 Bydlinski, S. 626 ff.; Rittner, AcP 188 (1988), S. 101 (132); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 f.). 150 Bydlinski, S. 627; insofern kommt dem Prinzip Wettbewerb auch eine gesellschaftspolitische Funktion im Sinne der Verhinderung endgültiger Machtpositionen zu: Mestmäcker/ Schweitzer § 3 Rn. 77. 151 Im Sinne der allgemein mit einer Wettbewerbswirtschaft angestrebten Ziele: optimale Faktorallokation, Anpassungsflexibilität, technischer Fortschritt, Konsumentensouveränität und Unternehmerfreiheit. 152 Zumindest unterstellt unsere Rechtsordnung diese Prämisse, dazu: Bydlinski, S. 624 ff.; Hoppmann, in: FS Mestmäcker, S. 61 (98); Pfeifer, S. 47 ff.; Rittner, AcP 188 (1988), S. 101 (123 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.). 153 Emmerich, Kartellrecht, S. 20 Rn. 3 f., S. 325 Rn. 63; Mestmäcker/Schweitzer § 3 Rn. 9; Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (173); Mestmäcker WuW 2008, S. 6 (13 f.). 154 Pfeifer, S. 47 ff. 155 Vgl. nur Säcker, in: MüKo BGB, Band 1 Buch 1, Einleitung Rn. 36 ff.; vgl. auch Pfeifer, S. 47 ff. 156 Busche, S. 104 f.; Pfeifer, S. 48 ff. 157 Äußere Schranken sind solche, die den privatautonomen Gestaltungsfreiraum absolut verengen, z. B. strafrechtliche Verbote: ein Hehlereivertrag ist nach §§ 134 (i. V. m. § 259 StGB), 138 BGB nichtig, auch wenn sich die Vertragsparteien einig sind. Hingegen geht es bei immanenten Schranken, um die Zuteilung von Handlungsfreiheiten, die zur Funktionsfähigkeit des Vertrages notwendig sind. 158 Busche, S. 103, 235 ff. 159 Vgl. nur Pfeifer, S. 47 ff.; Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (173); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.).
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Teil 1: Grundlagen
2. Das Problem der wirtschaftlichen Macht Wirtschaftliche Macht gefährdet den Wettbewerb, wenn sie solche Ausmaße erreicht, dass derjenige, der über sie verfügt, sich dem Wettbewerbsdruck entziehen kann.160 Ist der Mächtige in seinem Handeln nicht mehr durch die gleiche Freiheit anderer Marktteilnehmer begrenzt, ist er in der Lage den Markt durch Verdrängung oder Fernhaltung von Konkurrenten zu ordnen, das Risiko wirtschaftlicher Tätigkeit auf andere abzuwälzen und Gewinne zu erzielen, die in keinem Verhältnis zu seiner Leistung stehen. Unter Ausnutzung der privatrechtlichen Institutionen können marktmächtige Unternehmen durch Behinderungs- oder Ausbeutungsstrategien ihre Interessen verwirklichen und zugleich unterlegenen Marktteilnehmern die Basis für eine freie Selbstbestimmung entziehen. Anstelle umfassender Privatautonomie und relativ gleicher Freiheit für alle in einer herrschaftsfreien Ordnung, tritt die Herrschaft des Stärkeren über den Schwächeren. Wettbewerbsbeschränkungen als Folge des Einsatzes wirtschaftlicher Macht führen daher nicht nur zur Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs, sondern notwendig auch zur Gefährdung der privatautonomen Ordnung schlechthin. In der Folge wird das Ziel verfehlt eine Identität zwischen einzelwirtschaftlichem Vorteil und gesamtgesellschaftlichen Nutzen herzustellen.161 Vom Wettbewerb unkontrollierte Macht nutzt dem Mächtigen, kann aber der Volkswirtschaft große Schäden zufügen. Allerdings ist stets zu beachten, dass auch das marktmächtige Unternehmen frei ist, sich am freien Leistungswettbewerb zu beteiligen. Verboten ist lediglich die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden (bzw. relativ marktmächtigen) Stellung.162 3. Der Normzweck der Missbrauchsverbote Die Aufgabe der Missbrauchsverbote der §§ 19, 20 GWB und des Art. 102 AEUV besteht darin, die Realität der Existenz wirtschaftlicher Macht bei der Ausgestaltung von Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit zu berücksichtigen. Es gilt, über die formal gleichen Rechtspositionen des Privatrechts hinaus, eine substantielle reale Handlungsfreiheit für alle Rechtssubjekte zu gewährleisten, die Teilnahme am Wettbewerb ermöglicht und eine Chance zur Selbstverwirklichung und Bedürfnisbefrie160 Sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht wird zur Definition einer marktbeherrschenden Stellung die Formel von einem „durch den Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum“ verwendet, der den Marktmächtigen befähigt, sich unabhängig von anderen Wettbewerbern, Abnehmern und Verbrauchern zu verhalten: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 76; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, § 18 GWB Rn. 44 ff.; Bardong, in: Langen/Bunte, § 18 GWB Rn. 58. 161 Weiterführend beispielsweise Busche, S. 300; Pfeifer, S. 47 ff.; Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (178 ff., 181 ff.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (7 ff.); Basedow, WuW 2008, S. 270 (270 ff.). 162 Zum Bsp.: EuGH, 16. 03. 2000, WuW/EU-R 309 (310 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; EuGH, 06. 12. 2012, WuW/EU-R 2650 (2657) „AstraZeneca“; BGH, 21. 07. 2005, WuW/DE-R 1555 (1556 f.) „Friedhofsruhe“.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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digung im wirtschaftlichen Bereich beinhaltet. Dazu ist einerseits der Wettbewerb als Steuerungsmechanismus aufrechtzuerhalten.163 Andererseits muss für den einzelnen Marktteilnehmer die Chance zur interessengerechten Gestaltung seiner individuellen rechtlichen Beziehung zum marktmächtigen Unternehmen verwirklicht werden. Insoweit ermöglicht das Missbrauchsverbot den Zugang zum Markt und zum Vertrag, sowie die Inhaltskontrolle von Verträgen, die nicht unter Wettbewerbsbedingungen zustande gekommen sind.164 Die Freiheit des marktbeherrschenden Unternehmens wird zugunsten der in dessen Einflussbereich stehenden Vertragsinteressenten, Konkurrenten und Verbraucher begrenzt. Rechtliche Kontrolle ersetzt die fehlende Ordnungskraft des Wettbewerbs.165 Auf diese Weise verhindert das Missbrauchsverbot, dass einseitige Handlungen marktmächtiger Unternehmen dazu eingesetzt werden können, die Freiheit als solche abzuschaffen. Es werden die Bedingungen erhalten, unter denen die Privatautonomie ihre ordnende Kraft entfalten kann.166 Das Ziel ist, dass sich das private Interesse an individueller wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit und das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wettbewerbs als Bedingung individueller Freiheit und ökonomischer Vorteilhaftigkeit gleichermaßen verwirklichen.167 Die Frage, welches Maß an Handlungsfreiheit zur Entfaltung im Wettbewerb notwendig ist, kann dabei nur im Einzelfall aufgrund einer Abwägung der beteiligten Interessen beantwortet werden.168 Temporäre Machtstellungen im wirtschaftlichen Wettbewerb sind positiv zu beurteilen, solange sie Belohnung für innovative Wettbewerbshandlungen und Ansporn für Konkurrenten sind, imitatorischen Wettbewerb zu forcieren. Insoweit führen Erfolg und Misserfolg im Wettbewerb immer wieder zu Unterschieden zwischen den Konkurrenten. Dementsprechend kann kein Konkurrent Anspruch darauf erheben, 163 Ständige Rspr., vgl. nur: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (463) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; EuGH, 06. 12. 2012, WuW/EU-R 2650 (2657) „AstraZeneca/Kommission“; BGH, 19. 01. 1993, WuW/E BGH 2875 (2878) „Herstellerleasing“; Emmerich, Kartellrecht, S. 19 Rn. 1, S. 325 f. Rn. 63 f.; Mestmäcker/Schweitzer, § 16 Rn. 4 f.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (247); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (173); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (854 ff.); Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1198, 1202 f.). 164 Busche, S. 104 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, § 16 Rn. 4 ff.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (255); Kötz, in: FS Mestmäcker, S. 1037 (1038 ff.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (173); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.). 165 Zum Bsp.: BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2962) „Gasdurchleitung“; KG, 20. 11. 1973, WuW/E OLG 1429 (1434) „Deutscher Fussballbund“, zuvor BKartA, 28. 11. 1972, WuW/E BKartA 1433 (1435) „Deutscher Fussballbund“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (870) „Germania“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 126 f.; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 14; Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 f.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (307). 166 Allgemein für das Zivilrecht Pfeifer, S. 49; Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1202). 167 Zum Bsp.: EuGH, 19. 03. 1991, Slg. 1991 I, S. 1259 (1267 ff.) „Telekommunikationsendgeräte“; Mestmäcker/Schweitzer, § 16 Rn. 4 ff.; Ungern-Sternberg, in: FS Odersky, S. 987 (990 f.); Basedow, WuW 2007, S. 712 (714 ff.); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (854); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.). 168 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 130, 201; Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (315 f.).
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Teil 1: Grundlagen
demjenigen, der Vorsprung erarbeitet hat, gleichgestellt zu werden. Nicht die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch den Mächtigen ist negativ zu bewerten, sondern der Missbrauch zu Lasten Dritter.169 Entscheidend ist nicht die unbegrenzte Verwirklichung von Selbstbestimmung, sondern die Abwesenheit von Fremdbestimmung in der Gestaltung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zu anderen Marktteilnehmern zu jeder Zeit.170 Im Grunde geht es deshalb immer um eine Maß- und Gradfrage im Hinblick darauf, die Freiheiten der einzelnen Marktteilnehmer optimal gegeneinander abzugrenzen. Es kann lediglich im Einzelfall bestimmt werden, wann eine Ungleichgewichtslage zu solchen Verwerfungen führt, dass eine Korrektur durch das Recht notwendig wird.171 4. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine ökonomische Analyse des Missbrauches von Marktmacht nach Art. 102 AEUV Auf Basis der Überzeugung, dass wirtschaftlicher Wettbewerb als Steuerungsmechanismus einer auf privatautonomer Selbstbestimmung der beteiligten Rechtssubjekte beruhenden Rechts- und Wirtschaftsordnung gedacht werden muss, wurden soeben die Freiheit des Wettbewerbs und die Freiheit der Marktteilnehmer als die legitimen Schutzobjekte einer gegen den Missbrauch von Marktmacht gerichteten Wettbewerbsgesetzgebung dargestellt.172 Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung deutscher Kartellgerichte, welche seit Einführung des GWB dessen „auf den Schutz der Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung“ betont. Auch der GWB Gesetzgeber hat bereits bei Einführung des Gesetzes die Freiheit des Wettbewerbes als Zielsetzung des Gesetzes formuliert.173 Im Rahmen der GWB Reformgesetzgebung wurde diese Zielsetzung nicht nur beibehalten, sondern der Freiheitsbezug der Wettbewerbsgesetzgebung immer stärker betont. Greifbarer Ausdruck der Stärkung des Prinzips der Wettbewerbsfreiheit waren die Formulierung des Missbrauchsverbotes in § 19 Abs. 1 GWB als Verbotstatbestand im Rahmen der 6. GWB Novelle174 und die Stärkung des privaten Rechtsschutzes durch Neuformulierung des § 33 GWB im Rahmen der 7. GWB Novelle.175 Auch die euro169
Zum Bsp.: EuGH, 16. 03. 2000, WuW/EU-R 309 (310 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; EuGH, 16. 07. 2015, WuW/EU-R 3321 (3327) „Huawei Technologies“; BGH, 21. 07. 2005, WuW/DE-R 1555 (1556 f.) „Friedhofsruhe“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 128, 199. 170 Bydlinski, S. 626. 171 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 128, 203; Mestmäcker/ Schweitzer, § 16 Rn. 6 ff.; Kötz, in: FS Mestmäcker, S. 1037 (1039 ff.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 f.). 172 Siehe soeben S. 50 ff. 173 Siehe S. 30 ff. 174 Siehe S. 36 ff. 175 Siehe S. 44 f.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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päische Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur Auslegung des Art. 102 AEUV (bzw. Art. 82 EG, 86 EGV a. F.) haben wiederholt die Freiheit des Wettbewerbes und die Freiheit der Marktteilnehmer als Schutzobjekte des Missbrauchsverbotes hervorgehoben.176 Die EU-Kommission hat jedoch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine ökonomische Analyse des Wettbewerbs in den Mittelpunkt der Betrachtung von Marktmachtmissbräuchen nach Artikel 102 AEUV stellen möchte.177 Hintergrund der Überlegungen ist das Bestreben der Kommission, ihre Verwaltungspraxis auf ein stärker ökonomisches Fundament zu stellen. Damit ist gemeint, zukünftig sollen wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse über Wirkungen und Wirkungsbedingungen von Wettbewerb den Maßstab für die Anwendung der europäischen Wettbewerbsgesetze bilden. Das Bestreben nach einer stärker wirtschaftswissenschaftlichen Analyse hatte seinen Ursprung im Bereich der Fusionskontrolle, nachdem die Kommission im Jahr 2003 wiederholt mit der Untersagung von Zusammenschlussvorhaben gescheitert war.178 Es fand seine Fortsetzung in der Reform der europäischen Kartellverfahrensverordnung und dort insbesondere in der Einführung eines Systems der Legalausnahme zur Beurteilung von Ausnahmen vom Verbot horizontaler und vertikaler wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen.179 Bedeutsam ist dabei insbesondere, dass nunmehr Einzelgerichte dazu aufgerufen sind, eine Freistellung vom Verbot des Art. 101 AEUV anhand der in Art. 101 Abs. 3 AEUV formulierten wirtschaftlichen Kriterien zu prüfen. Zur Anwendung von Art. 82 EG (nunmehr Art. 102 AEUV hat die Kommission im Dezember 2005 ein Diskussionspapier veröffentlicht.180 Die Kommission selbst weist darauf hin, dass ihre Veröffentlichung lediglich eine Diskussion anstoßen solle und eine Berufung auf in dem Papier geäußerte Auffassungen zur Beurteilung aktueller Fälle oder der aktuellen Wettbewerbspolitik unzulässig sei.181 Anfang 2009 veröffentlichte die Kommission sodann eine förmliche Mitteilung darüber, wie sie zukünftig Fälle machtbedingter Behinderungsmissbräuche behandeln möchte.182 Diese 176
Siehe S. 33 ff.; Meessen, S. 179 ff. Kommission, „Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. 82 des EG-Vertrages auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“ (Prioritätenmitteilung) vom 24. 02. 2009, ABl. 2009, C 45/02, vorbereitet durch „DG Competition discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses“ vom Dezember 2005 und zuvor Report by the EAGCP, „A more economic approach to Article 82“ vom Juli 2005; vgl. zum Überblick Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 8 ff. m. w. N. 178 Dazu Röller, Vortrag auf der Tagung der Monopolkommission 2004, S. 3 ff.; vgl. nur Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 19 f., Rn. 34 m. w. N.; Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (515 f.). 179 Dazu Röller, Vortrag auf der Tagung der Monopolkommission 2004, S. 1 f.; siehe auch bereits S. 40 f. 180 Kommission, „DG Competition Discussion Paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses“ vom Dezember 2005. 181 Kommission, discussion paper, Ziffer 1., Rn. 1., Rn. 7. 182 „Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. 82 des EG-Vertrages auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“ vom 24. 02. 2009, ABl. 2009, C 45/02. 177
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Teil 1: Grundlagen
Veröffentlichungen werden von einer umfangreichen wissenschaftlichen Diskussion begleitet. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Reformvorschlägen der Kommission nicht erfolgen.183 Es sollen jedoch einige grundsätzliche Anmerkungen zu der Frage einer ökonomischen Betrachtung bei der Anwendung des Artikels 102 AEUV und der damit verbundenen Auswirkungen auf den privaten Rechtsschutz erfolgen. Die Überlegungen der Kommission zu einer wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungsweise bei der Identifizierung missbräuchlicher Verhaltensweisen beinhalten einen Paradigmenwechsel in der europäischen Wettbewerbspolitik. Als vorrangige Ziele einer Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen werden Konsumentenwohlfahrt und ökonomische Effizienz genannt.184 Unter Konsumentenwohlfahrt wird dabei die Erzielung für den Verbraucher vorteilhafter wirtschaftlicher Ergebnisse verstanden.185 Der Schutz des Wettbewerbs erfolge nicht um seiner selbst willen. Er sei lediglich Mittel zum Zweck bei der Erreichung von Konsumentenwohlfahrt und effizienter Ressourcenverteilung. Dagegen diene Artikel 102 AEUV nicht primär dem Schutz von Wettbewerbern. Der zu schützende Wettbewerb wird als ein solcher um niedrigere Preise, bessere Produkte, Produktinnovationen usw. beschrieben.186 Obgleich der Schutz von Wettbewerbern nicht Ziel des Artikels 102 AEUV sei, so wolle die Vorschrift doch das Streben der Wettbewerber marktbeherrschender Unternehmen nach wirtschaftlichem Erfolg schützen. Dazu gehöre der Zugewinn von Marktanteilen für aktuelle Wettbewerber ebenso, wie der Eintritt in einen Markt für potentielle Wettbewerber. Zu verhindern sei eine Schwächung des Wettbewerbsprozesses in Märkten, die durch das Vorhandensein marktbeherrschender Unternehmen bereits geschwächt sind. Dazu müsse die Schließung von Märkten, sei es durch Verdrängung von Wettbewerbern oder durch Aufstellung von Marktzutrittsschranken verhindert werden. Auch sei die bloße Disziplinierung von Wettbewerbern, die dann das marktbeherrschende Unternehmen weniger stark angreifen, zu verhindern. Es gelte also einer Verringerung der Wettbewerbsintensität entgegenzuwirken. Hierbei wird der Begriff der Verhinderung einer „Marktverschließung“ in den Mittelpunkt gestellt.187 Zukünftig sei zwischen solchen Behinderungsstrategien zu unterscheiden, die auf Preisverhalten beruhen und solchen, die nichtpreisliche Mittel einsetzen. Zu ersteren gehören insbesondere Kampfpreis- und Rabattstrategien. Zu letzteren
183
Weiterführend Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 8 ff. m. w. N. 184 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.1., Rn. 54 bis 56; Prioritätenmitteilung, Ziffer II., vor allem Nr. 5 bis 7; vgl. auch Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (311 f.). 185 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.1., Rn. 54, 55; Prioritätenmitteilung, Ziffer II., vor allem Nr. 5 und 7. 186 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.1., Rn. 54 bis 56; Prioritätenmitteilung, Ziffer II., vor allem Nr. 5 und 6., sowie Ziffer III. B. 187 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.1., Rn 58 bis 60; Prioritätenmitteilung Ziffer II., vor allem Nr. 5 und 6., sowie Ziffer III. B.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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zählen insbesondere Kopplungen und sonstige vertikale Bindungen.188 Kampfpreisstrategien seien grundsätzlich nur noch dann zu untersagen, wenn sie dem Schutz eines ebenso effizienten Wettbewerbers dienen. Der Schutz nicht effizienter Wettbewerber soll daneben im Regelfall nicht mehr statthaft sein, es sei denn sein Überleben sei aus Gründen des Konsumentenschutzes notwendig. Vergleichsmaßstab für die Effizienz des Wettbewerbers ist das marktbeherrschende Unternehmen selbst.189 Bei allen Behinderungstatbeständen soll anstelle der bisherigen Rechtfertigungsgründe der Einwand treten, das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens sei effizient und es sei geradezu unerlässlich, um Effizienzvorteile zu erzielen. Der Effizienzeinwand greift aber nur dann ein, wenn die Effizienzen an die Verbraucher weitergegeben werden und der Wettbewerb nicht insgesamt ausgeschlossen wird.190 Einer Formulierung von Konsumentenwohlfahrt und effizienter Ressourcenverteilung als Schutzzwecke des Artikels 102 AEUV, für deren Erreichung Wettbewerb nur Mittel zum Zweck und aufgrund deren Exklusivität der Schutz von Wettbewerbern sogar ausgeschlossen ist, muss widersprochen werden. Dabei spielen sowohl wettbewerbstheoretische Gründe als auch rechtstheoretische Erwägungen eine Rolle. Es bestehen drei grundlegende wettbewerbstheoretische Probleme. Erstens ist der Begriff der Konsumentenwohlfahrt nicht hinreichend definiert.191 Zweitens gibt es auch keine überzeugende Definition für wirtschaftliche Effizienz, welche sich auf einen gesamten Markt oder eine gesamte Volkswirtschaft anwenden ließe.192 Drittens kann wirtschaftlicher Wettbewerb nicht nur als Institution gedacht werden, für den der Auftritt individueller Marktteilnehmer unerheblich ist.193 Auch in rechtlicher Hinsicht bestehen drei wesentliche Gegenargumente. Erstens sind die bürgerlich rechtliche Privatautonomie und der freie Wettbewerb untrennbar miteinander verbunden. Das Zivilrecht ist, jedenfalls in einer freiheitlichen Marktordnung, aber nur vom subjektiven privaten Recht des Einzelnen her denkbar.194 Zweitens erfordert es das Prinzip der Rechtssicherheit zwingend, dass die 188 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.2. Rn. 61 bis 68., Prioritätenmitteilung Ziffer III. C. und IV. 189 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.2. Rn. 63; Prioritätenmitteilung Ziffer III. C. und IV. C. 190 Kommission, discussion paper, Ziffer 5.5.3, Rn. 84 bis 92. Darüber hinaus soll an den bereits bisher anerkannten objektiven Rechtfertigungsgründen (z. B. an der Rechtfertigung des Einstiegs in Wettbewerbspreise) festgehalten werden, vgl. Ziffer 5.5. Rn. 77 bis 83 und Prioritätenmitteilung, Ziffer IV. 191 Vgl. nur Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 17 f., Rn. 32 f.; Dreher, WuW 2008, S. 23 (23, 25); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (14 ff.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (312 f.); des Weiteren Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N. 192 Vertiefend Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N.; Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 22 ff. Rn. 40; Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1101 ff.); Basedow, WuW 2007, S. 712 (713 f.); vgl. demgegenüber a. A. Schmidtchen, WuW 2006, S. 6 (8 ff.). 193 Dreher, WuW 2008, S. 23 (24 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (14 ff.); siehe dazu S. 61 ff. 194 Siehe S. 50 ff.; Immenga, WuW 2006, S. 463; Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.).
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Teil 1: Grundlagen
von einer rechtlichen Regelung Betroffenen deren Regelungsgehalt erkennen und ihr Verhalten dementsprechend darauf einstellen können. Dazu gehört, insbesondere mit Blick auf Generalklauseln, auch, dass die mit der Rechtsanwendung betrauten Stellen, also insbesondere Behörden und Gerichte, tragende Auslegungsgrundsätze entwickeln, die trotz der mit Generalklauseln verbundenen Rechtsanwendungsflexibilität, für die Marktteilnehmer vorhersehbare Entscheidungen ermöglichen. Dazu gehören gerade bei Generalklauseln die Fallgruppenbildung und die klare Darstellung von Regel-Ausnahme Verhältnissen.195 Und schließlich ist drittens zu bedenken, dass der private Rechtsschutz der Marktteilnehmer die Zuweisung individueller Rechte an eben diese Marktteilnehmer voraussetzt. Mit anderen Worten erfordert der private Rechtsschutz geradezu, den Wettbewerb von den Marktteilnehmern her zu denken.196 Die Aussagen der Kommission zu Konsumentenwohlfahrt, effizientem Wettbewerb und die Darlegung, dass es um den Schutz des Wettbewerbes, nicht aber der Wettbewerber gehe, würden in letzter Konsequenz auf die Etablierung einer nicht justiziablen Wirtschaftsaufsicht hinauslaufen. Es fehlen, um nur zwei Beispiele zu nennen, klare Maßstäbe dafür, wann ein Wettbewerber ebenso effizient ist wie ein anderer und Grundsätze dafür, wann der Effizienzeinwand gerechtfertigt ist und wann nicht. Die Folge der Einführung solcher Begrifflichkeiten und Maßstäbe wäre, dass die Abwägungsentscheidungen von Behörden mangels klarer Auslegungskriterien durch Gerichte nicht mehr überprüfbar wären.197 Zuzugestehen ist allerdings, dass es der Kommission nicht um Wirtschaftslenkung geht, sondern um den Schutz des Wettbewerbs als Institution. Die Vorschläge der Kommission laufen aber, konsequent zu Ende gedacht auf eine Verringerung der gerichtlichen Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen hinaus. Sie stehen damit aber im Widerspruch zu der mit der Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts durch die VO 1/2003 beabsichtigten Stärkung der Rechtsanwendung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten.198 Darüber hinaus stehen die Kommissionsvorschläge im Wider195 Siehe S. 52 ff. und S. 61 ff.; vgl. auch Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 22 ff. Rn. 40; Schmidt, I., WuW 2005, S. 877; Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1098 f.); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (856); Dreher, WuW 2008, S. 23 (25 ff.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (146 ff.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (312 f.); des Weiteren Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N. 196 Siehe dazu im Einzelnen S. 68 f., 62 ff. und 71 ff., sowie S. 127 ff.; vgl. vertiefend Görner, S. 10 f.; Meessen, S. 179 ff.; Dreher, WuW 2008, S. 23 (24 f., 26 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.); a. A. Albers, Vortrag auf dem Hamburger Kartellrechtssymposium 2006, S. 5 f. 197 Dies verdeutlichen z. B. die Ausführungen von Schmidtchen, WuW 2006, S. 6 (8 ff., 14 f.), der diese Kriterien indes für praktikabel hält; vgl. in diesem Zusammenhang auch: Schmidt, I., WuW 2005, S. 877; Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1101 ff.); Basedow, WuW 2007, S. 712 (714 f.); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (855 f.); Dreher, WuW 2008, S. 23 (23, 24 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (14 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (146 ff.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (312 ff.); des Weiteren Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N. 198 Siehe S. 40 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schmidt, I., WuW 2005, S. 877; Dreher, WuW 2008, S. 23 (25 f.); Roth, WRP 2013, S. 257 (264 f.).
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spruch zu Bestrebungen, den privaten Rechtsschutz zu stärken. Die Kommission selbst hat zum Ausdruck gebracht, dass sie den privaten Rechtsschutz im Kartellrecht stärken wolle. Sie hat zu diesem Zweck bereits weitreichende Vorarbeiten geleistet.199 Indem die Kommission mit ihren Vorschlägen zum „more economic approach“ aber der Idee des Schutzes der Freiheit der Marktteilnehmer den Boden entzieht, untergräbt sie zugleich das Fundament für den Privatrechtsschutz im Kartellrecht.200 Darüber hinaus würde die Abkehr von der Fallgruppenbildung, der klaren Begrenzung von Rechtfertigungsgründen und des damit verbundenen Regel-Ausnahmeverhältnisses und die Zuwendung zu einer reinen „rule of reason doctrine“ zu einer Zunahme von Rechtsunsicherheit führen und damit einer konsequenten Verbotsdurchsetzung zuwiderlaufen.201 Schließlich ist auch daran festzuhalten, dass der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs nur über den Schutz der Marktteilnehmer gedacht werden kann. Im Ergebnis sollte an der, bisher sowohl in Deutschland als auch in Europa praktizierten pragmatischen Wettbewerbspolitik bei der Anwendung der kartellrechtlichen Generalklauseln festgehalten werden.202 Letztlich möchte die Kommission eine Weiterentwicklung des bisherigen Bestandes an gesicherten wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen unter besonderer Betonung ökonomischer Wirkungszusammenhänge erreichen. Dabei spielt sowohl eine Rolle, bewährte Grundsätze beizubehalten als auch neue Aspekte einzubringen. An dieser Stelle hat das Papier auch seine Stärke und Berechtigung. Die vermeintlich grundsätzliche Frage der Etablierung einer reinen Interessenabwägung im Rahmen derer sämtliche Verhaltensweisen vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb ergebnisoffen bewertet werden203 oder das Festhalten an einer Fallgruppenbildung, die nach den Kategorien grundsätzlich erlaubt und grundsätzlich verboten unterscheidet, dabei aber Rechtfertigungsgründe zulässt, ist für die prak199
Siehe S. 47 ff. Ähnlich Basedow, EuZW 2006, S. 97, ders., WuW 2007, S. 712 (715 f.); Hirsbrunner/ Schädle, EuZW 2006, S. 583 (585 f.); Dreher, WuW 2008, S. 23 (24 f., 26 f.); Ritter, WuW 2008, S. 762 (765); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (146 ff.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (314); zumindest entstehe ein Zielkonflikt, so Görner, S. 10 ff.; a. A. Albers, Vortrag auf dem Hamburger Kartellrechtssymposium 2006, S. 5 f.; vgl. vertiefend Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (13 ff.). 201 Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1098 ff., 1103 ff.) weisen (zu Recht) darauf hin, dass der Verzicht auf per se Regeln zum Zwecke der Stärkung der Interessenabwägung im Einzelfall zu einer Verstärkung der Rechtsunsicherheit führt, mit der eine Erhöhung von Transaktionskosten notwendig verbunden ist; vgl. auch Hirsbrunner/Schädle, EuZW 2006, S. 583 (584 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (146 ff.); Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (312 ff.); Roth, WRP 2013, S. 257 (264 f.). Insoweit ist das Argument einer Verbesserung der ökonomischen Effizienz kritisch zu hinterfragen. Indes strebt die Kommission nach eigener Bekundung eine höhere Rechtssicherheit und Verlässlichkeit an und keine radikale Auflösung bisher entwickelter Fallgruppen, vgl. Prioritätenmitteilung, Ziffer II. 2.; vgl. auch Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N. 202 Siehe S. 61 ff. Auch die Prioritätenmitteilung der Kommission knüpft hieran an, vgl. Prioritätenmitteilung, Ziffer II. 2. und IV. 203 Vgl. Stellungnahmen in dieser Richtung bei Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (517 f.); Wirtz/Möller, WuW 2006, S. 226 (233 f.). 200
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tische Rechtsanwendung bei weitem nicht so entscheidend, wie die Diskussion um den theoretisch richtigen Ansatz glauben machen will.204 Das Diskussionspapier der Kommission, welches einen „rule of reason“ basierten Ansatz vertritt, ordnet die Beschreibung der wichtigsten missbräuchlichen Verhaltensweisen gleichwohl nach den bisher in der Praxis anerkannten Fallgruppen.205 Das Gleiche gilt für die Prioritätenmitteilung.206 Darüber hinaus legt die Kommission sogar dar, dass es bestimmte Verhaltensweisen gibt, die eindeutig rechtswidrig bzw. eindeutig erlaubt sind. Eine solche Fallgruppenbildung sei aus Gründen der Rechtssicherheit auch zu lässig. Der bisherige Ansatz der Fallgruppenbildung verzichtet nicht auf eine Interessenabwägung. Vielmehr fand diese im Rahmen der Erörterung möglicherweise eingreifender sachlicher Rechtfertigungsgründe statt. Darüber hinaus gibt es angesichts eines sich stetig entwickelnden, dynamischen Wettbewerbs Verhaltensweisen, die einer Fallgruppenbildung (noch) nicht zugänglich sind. Abschließend bleibt festzuhalten, dass selbstverständlich wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse in die Auslegung wettbewerbsrechtlicher Generalklauseln einfließen müssen. Dies geschieht aber nicht dadurch, dass unter Verzicht auf Rechtsanwendung wirtschaftswissenschaftliche Lehrsätze und Modelle schlicht übernommen werden. Vielmehr geschieht es dadurch, dass wirtschaftswissenschaftliches Denken dabei hilft, Marktzusammenhänge, d. h. Verhaltensweisen von Marktteilnehmern und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb und andere Marktteilnehmer zu erkennen und vor dem Hintergrund der Normzwecke der Wettbewerbsgesetze dahingehend zu analysieren, ob die erkannten Zusammenhänge im Einklang mit den Gesetzeszwecken stehen. Vor diesem Hintergrund ist das Einfordern der Beachtung wirtschaftlicher Zusammenhänge berechtigt. Allerdings kann die Heranziehung wirtschaftswissenschaftlicher Denkkategorien Rechtsanwendung nicht ersetzen.207
204 EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 „British Airways“, zuvor EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 „Virgin/British Airways“ und Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 „Virgin/British Airways“: Das Gericht führt aus, dass zwischen den Fragen, ob ein bestimmtes Verhalten wettbewerbsbeschränkende Wirkung habe oder ob es zu Effizienzvorteilen oder Vorteilen für die Verbraucher komme, unterschieden werden muss. Maßgeblich ist in erster Linie, ob das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens wettbewerbsverfälschende oder sonst -beschränkende Wirkung hat. Ist das der Fall, dann ist dieses Verhalten grundsätzlich verboten. Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, dass die Wettbewerbsbeschränkung durch Effizienzvorteile oder einen sonstigen Nutzen für Verbraucher ausgeglichen oder gar überkompensiert wird; vgl. auch Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1205); weiterführend Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. 205 Kommission, discussion paper, Ziffer 6. bis 10. 206 Kommission, Prioritätenmitteilung, Ziffer IV. 207 Zum Diskussionsstand Fuchs/Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 12 f. m. w. N.
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IV. Die Anwendung der Missbrauchsverbote und individueller Rechtsschutz 1. Die Konkretisierung von Generalklauseln Individueller privater Rechtsschutz bedarf als Grundlage eines Verbotsgesetzes, welches die unerlaubten Handlungen definiert. Sowohl im Hinblick auf Art. 102 AEUVals auch in Bezug auf die §§ 19 Abs. 1 und 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB besteht die besondere Schwierigkeit darin, dass diese Normen weitgehend generalklauselartig ausgestaltet sind. Ihnen lässt sich nur beispielhaft, aber nicht abschließend entnehmen, welche Verhaltensweisen im Einzelnen verboten sind. Dies ist Ausdruck dessen, dass sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber eine pragmatische Wettbewerbspolitik bzw. -gesetzgebung verfolgen. Es wird sowohl auf eine Wettbewerbsdefinition, als auch auf den Entwurf eines bestimmten Wettbewerbskonzepts verzichtet.208 Normativ beschreibt lediglich das „Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und Wettbewerb“209 das Ziel, den Wettbewerb vor Verfälschungen zu schützen. Die wirtschaftliche Entwicklung wird dem freien bzw. funktionsfähigen Wettbewerb als Koordinationsprozess überlassen.210 Aufgabe der Wettbewerbspolitik und der Rechtsanwendung ist es, die wettbewerbliche Entwicklung zu beobachten und Fehlentwicklungen durch die Etablierung neuer Verbotsnormen zu korrigieren.211 Die Verwendung von Generalklauseln soll eine flexible Rechtsanwendung ermöglichen, die in der Lage ist, auf die Vielgestaltigkeit des Wettbewerbs und stetig neue Entwicklungen und Erkenntnisse zu reagieren. Zugleich sollen wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen effektiv bekämpft werden. Dies bedarf einer über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Konkretisierung.212 Schädlich sind Verhaltensweisen, die mit Wortlaut, Geist und Systematik des EUV und AEUV213 bzw. der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB214 unvereinbar sind, und die die wettbewerbsrelevante Handlungs- und Entschließungsfreiheit mit dem Ziel unangemessen einschränken, die Entstehung von Wettbewerb zu verhindern, den (Rest-)Wettbewerb zu beseitigen oder die zu nicht hin-
208
Emmerich, Kartellrecht, S. 3 ff. ABl. EU 2010, C 83/309. 210 Mestmäcker/Schweitzer, § 1 Rn. 23 ff.; Basedow, WuW 2007, S. 712 (715 f.); Zimmer, WuW 2007, S. 1198 (1200 ff.). 211 Mestmäcker/Schweitzer, § 2 Rn. 95 ff.; Jickeli, in: FS Möschel, S. 303 (315 f.). 212 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 2, 132 ff.; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker § 19 GWB Rn. 5 ff., 82; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 90, 94 f. 213 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 129. 214 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 18 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 90. 209
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nehmbaren Marktstrukturen oder Marktergebnissen führen.215 Bei der Auslegung der Generalklauseln können sowohl wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse als auch spezifisch juristische Kategorien, etwa in Form privatautonomer Vertrags- oder Eigentumsfreiheit herangezogen werden.216 Dabei kann man das, vom Reformgesetzgeber der 6. GWB Novelle in Angleichung an das europäische Recht in den Mittelpunkt gestellte Wettbewerbsprinzip folgendermaßen formulieren: „(Freier) Wettbewerb ist, wo er besteht aufrechtzuerhalten und funktionsgerecht auszugestalten, wo er nicht besteht herzustellen und wo er auch nicht hergestellt werden kann, doch wenigstens durch Missbrauchsbekämpfung tunlichst in seinen Auswirkungen nachzubilden.“217 Rechtsprechung und Verwaltungspraxis haben im Laufe der Jahrzehnte den Generalklauseln der Missbrauchstatbestände durch Fallgruppenbildung hinreichend feste Konturen verliehen.218 Die so konkretisierten Verbotstatbestände dienen sowohl dem öffentlichen Interesse an der Ausgestaltung von Wettbewerb, als auch den Individualinteressen der Marktteilnehmer, vor unangemessener Einschränkung wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit und vor Ausbeutung geschützt zu werden. 2. Individueller Rechtsschutz und Wettbewerb als Institution a) Das Verhältnis von Individual- und Institutionenschutz Für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Individual- und Institutionenschutz sind drei Interpretationsweisen denkbar. Erstens könnte man einen reinen Institutionenschutz isoliert neben den Schutz individueller wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten stellen.219 Die Kartellbehörden hätten dann für den Schutz der Wettbewerbsstruktur zu sorgen, während der betroffene Marktteilnehmer unabhängig von der Marktwirkung des missbräuchlichen Verhaltens privaten Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Zweitens wäre eine Interpretation denkbar, welche neben der individuellen Betroffenheit eine quantitative Marktwirkung fordert.220 Das würde bedeuten, die Behinderung oder Ausbeutung müsste sich auf ein oder mehrere 215 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 4 f., 130 f.; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 23 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 32 f. 216 Zum „more economic approach“ siehe bereits S. 54 ff. 217 Bydlinski, S. 604. 218 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 132 ff.; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rn. 5 ff., 82 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 90 ff. 219 So zu § 26 Abs. 2 GWB a. F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n. F.): BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2716) „Krankentransportunternehmen II“; zur Betonung des Schutzes der Marktstruktur durch Kartellbehörden: BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2096) „Metro-Eintrittsvergütung“; vgl. zur rechtshistorischen Einordnung: Glöckner, WRP 2007, S. 490 (496 f. m. w. N.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (187 f.). 220 Knöpfle/Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 1611.
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Unternehmen beziehen, welche eine gewisse Unerheblichkeitsschwelle im Hinblick auf ihren Marktanteil überschreiten. Diese Schwelle könnte in Anlehnung an die Praxis zu § 1 GWB bzw. die Praxis des EuGH zur Feststellung der zwischenstaatlichen Betroffenheit bei ca. 5 % angesiedelt sein.221 Schließlich wäre es drittens vorstellbar, kumulativ eine Behinderung von Marktteilnehmern und zugleich eine Beeinträchtigung der strukturellen Bedingungen wirksamen Wettbewerbs zu fordern.222 Es genügte also einerseits die individuelle Betroffenheit nicht, andererseits bedürfte es keiner Überschreitung einer bestimmten Marktanteilsschwelle. Entscheidend wäre, ob der Missbrauch die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt spürbar verschlechtert. Das wäre der Fall, wenn sich der vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte Verhaltensspielraum des Marktbeherrschers erweitert. Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn der letzte Wettbewerber verschwindet oder ein wettbewerbsbegründender Zugang nicht ermöglicht wird. Es kann genügen, dass nur ein Unternehmen betroffen wird. Der Marktanteil ist unerheblich. b) Die Feststellung des Missbrauchs in der Entwicklung des § 19 Abs. 1, 2 GWB Ursprünglich war die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im GWB auf wenige vertragliche Verhaltensweisen beschränkt, die genau umrissen waren. Aufgrund der Enge des Tatbestandes blieb die Vorschrift weitgehend wirkungslos. Deshalb wurde bereits durch die erste GWB Novelle von 1965 eine Generalklausel eingefügt, nach der jeder rechtsgeschäftliche und tatsächliche Missbrauch auf dem beherrschten Markt und Märkten, auf die sich die Marktmacht auswirkte, durch die Kartellbehörden untersagt werden konnte.223 Seit dieser Novelle fordert die ständige Rechtsprechung zur Ermittlung missbräuchlicher Verhaltensweisen eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der auf die
221
Esser-Wellie, WuW 1995, S. 457 (461) m. w. N. Zum Bsp.: EuGH, 12. 06. 2014, NZKart 2014, S. 267 (269 f.) „Intel“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (476, 479 f.) „Post Dänemark“; BGH, 19. 01. 1993, WuW/E BGH 2875 (2878) „Herstellerleasing“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2981) „Hitlistenplatten“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3077) „Kraft-Wärme Kopplung“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (870) „Germania“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (3451) „Grossistenkündigung“; Schmidt, K., in: FS Benisch, S. 293 (296 f.); Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (754) zu § 26 Abs. 2 GWB a. F.: Lange, WuW 2002, S. 220 (222); Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (480 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (187 f.). 223 Bericht der Bundesregierung über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (2. GWB Novelle) BT-Drucks. IV/617, S. 65 ff.; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999) „Handpreisauszeichner“; KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1771 f.) „Kombinationstarif“; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 5. 222
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Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes.224 Dabei wurden von Beginn an neben den Individualinteressen der Beteiligten die Auswirkungen auf die strukturellen Bedingungen wirksamen Wettbewerbs in die Betrachtung einbezogen.225 In der Literatur der siebziger Jahre wurde dieser Ausgangspunkt in Bezug auf den Behinderungsmissbrauch um das Nichtleistungskonzept226 erweitert. Dieses Konzept steht im Zusammenhang mit der 2. GWB Novelle von 1973, welche den funktionsfähigen wirksamen Wettbewerb als Schutzobjekt des GWB hervorhob.227 Trotz erheblicher, nach wie vor bestehender Kritik,228 wurde das Nichtleistungskonzept zur Grundlage der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte229 und der Praxis des Bundeskartellamtes230 Ohne auf eine Interessenabwägung zu verzichten, entwickelten Kammergericht und Bundeskartellamt auf der Grundlage des Nichtleistungskonzepts die Zweischrankentheorie. Danach hat die Feststellung des Missbrauchs in zwei Stufen zu geschehen. Zunächst gilt es eine bestimmte Verhaltensweise als leistungsfremd einzuordnen. Sie ist im Vorfeld des eigentlichen Leistungswettbewerbs angesiedelt, weil sie nicht die eigene bessere Leistung zum Ausdruck bringt, sondern den Wettbewerb verfälscht und anderen Marktteilnehmern die Chance nimmt, durch bessere Leistung am Markt bestehen zu können.231 Dabei handelt es sich typischerweise nicht um solche Verhaltensweisen, die bereits nach § 1 UWG a. F. (§§ 3, 4 Nr. 4 UWG n. F.) verboten sind, wenngleich Überschneidungen
224 Zum Bsp.: BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2962) „Gasdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (870) „Germania“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 33. 225 KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1771 f.) „Kombinationstarif“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (870) „Germania“; Nachweise zur Interessenabwägung bei: von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2493 f.); Schmitz, WuW 1992, S. 209 (213 f.). 226 Das Nichtleistungskonzept soll hier nicht vertieft werden: vgl. Ulmer GRUR, 1977, S. 565 (569 ff.); Schmitz, WuW 1992, S. 209 (215 f.). 227 von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2491); Mestmäcker/Schweitzer, § 3 Rn. 65 ff. 228 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 27 ff.; Schmitz, WuW 1992, S. 209 (215 f.); vgl. zu § 20 GWB Ungern-Sternberg, in: FS Odersky, S. 987 (989). 229 Zum Bsp.: KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1771 f.) „Kombinationstarif“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2405 ff.) „Fertigfutter“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3130 f.) „Milchaustauschfuttermittel“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057) „Ruhrnet“. 230 Zum Bsp.: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2036 ff.) „Coop Bremen“; BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2093 f.) „MetroEintrittsvergütung“. 231 KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1771 f.) „Kombinationstarif“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2405 ff.) „Fertigfutter“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3130 f.) „Milchaustauschfuttermittel“; Ulmer, GRUR 1977, S. 565 (569 ff.). Der Begriff des Leistungswettbewerbs wird auch bei Anwendung des Art. 102 AEUV verwendet, ohne dass allerdings die Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung seines Inhaltes geringer wären: Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 201 f.
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nicht ausgeschlossen sind.232 Steht auch nach einer Interessenabwägung fest, dass das Verhalten des Marktbeherrschers nicht zu rechtfertigen ist, wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem Markt in erheblicher Weise vorliegt. Rechtsprechung und Verwaltung verlangten eine erhebliche Verschlechterung der strukturellen Bedingungen für den freien Wettbewerb. Zunächst wurde sogar gefordert, dass der Restwettbewerb zu erliegen droht.233 Diese Anforderung wurde als überzogen kritisiert und auch korrigiert.234 Maßgeblich sollte sein, dass eine Mehrzahl von Unternehmen in erheblicher Weise betroffen wird. Rechtsprechung und Verwaltung machten also deutlich, dass die Missbrauchskontrolle vorrangig dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Institution Wettbewerb dient.235 Soweit zugleich ein Schutz einzelner Marktteilnehmer verwirklicht wurde, handelte es sich um eine nur reflexartige Nebenfolge. Der Schutz privater Interessen war vom Institutionenschutz abhängig. Im Rahmen der 4. GWB Novelle führte der Gesetzgeber Beispielstatbestände für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein. Seitdem werden Behinderungs- und Ausbeutungsmissbrauch ausdrücklich benannt.236 Zur Begründung wurde auf die Sicherung des Leistungswettbewerbs gegen machtbedingten Verdrängungswettbewerb verwiesen.237 Damit einhergehend sollten die Anforderungen an das zweite Element der Zweischrankentheorie, der Marktwirkung, herabgesetzt werden. Seitdem wurde nicht mehr das Vorliegen einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs gefordert, sondern nur noch die Geeignetheit einer Maßnahme, die Wettbewerbsstrukturen in erheblicher Weise zu beeinträchtigen.238 Dadurch sollte ein präventives Vorgehen gegen machtbedingte Verschlechterungen der Wettbewerbsstrukturen erreicht werden.
232
KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3130 f.) „Milchaustauschfuttermittel“; Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 143 ff.; Ulmer, GRUR 1977, S. 565 (567 ff.); von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2491 ff.); Köhler, WRP 2005, S. 645 (647). 233 KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1772 f.) „Kombinationstarif“; so aber auch später noch Knöpfle/Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 1613. 234 Im Ansatz bereits KG, 20. 11. 1973, WuW/E OLG 1429 (1434) „Deutscher Fussball Bund“, wonach eine erhebliche Wettbewerbsgefährdung genügen soll; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3129) „Milchaustauschfuttermittel“. 235 Allgemein zum GWB von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2488 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (497). 236 von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2494); Stahl, WuW 1980, S. 451 (455 ff.). 237 Vgl. dazu von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2493 f.). 238 KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2405 ff.) „Fertigfutter“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3129) „Milchaustauschfuttermittel“; Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 145 f.; von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2494); Stahl, WuW 1980, S. 451 (455).
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Teil 1: Grundlagen
c) Auslegung des § 19 Abs. 1, 2 GWB und 6. GWB Novelle Mit der 6. GWB Novelle erhielt der alte § 22 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 GWB lediglich eine neue Hausnummer in § 19 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 GWB (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 bis 3). Inhaltliche Änderungen der zuvor entwickelten Fallgruppen und Auslegungsgrundsätze waren damit nicht beabsichtigt.239 Nichtsdestotrotz hat die Formulierung als Verbot und die damit verbundene Änderung des Rechtsschutzes Rückwirkungen auf die Auslegung der Norm. § 22 Abs. 4 Nr. 1 GWB a. F. diente dem im öffentlichen Interesse stehenden Schutz eines freien Wettbewerbs als Institution, verstanden als staatliche Veranstaltung mit wirtschaftsordnender Zielsetzung.240 Der Schutz einzelner Marktteilnehmer stellte sich nur als Reflex kartellbehördlicher Verfügungen dar. In der Konsequenz dieser Auffassung war § 22 Abs. 4 GWB a. F. nicht als Schutzgesetz i. S. v. § 35 GWB a. F. angesehen worden.241 Demgegenüber verwirklicht privater Rechtsschutz die berechtigten Individualinteressen der von Missbrauch betroffenen Marktteilnehmer unmittelbar.242 Folglich ist nach der 6. GWB Novelle eine Interpretation des § 19 Abs. 1, 2 GWB, die den Schutz Einzelner nur als Reflex der Sicherung von Wettbewerb als Institution versteht, nicht mehr haltbar. Denn der Gesetzgeber ordnet seitdem § 19 Abs. 1, 2 GWB als Vorschrift ein, die nach § 33 Abs. 1 GWB individuellen Rechtsschutz betroffener Marktteilnehmer auslösen kann.243 Damit anerkennt er, dass der Schutz des Wettbewerbes auch über den Schutz der Wettbewerbsteilnehmer möglich ist.244 In der Folge war eine Neuinterpretation des § 19 Abs. 1, 2 GWB geboten. Der Schutz individueller wettbewerbsbezogener Interessen der von einem Missbrauch betroffenen Marktteilnehmer und die Verwirklichung des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der Institution Wettbewerb treten als gleichberechtigte Ziele des 239
BegrRegE 6. GWB-Novelle, BGBl. 1998 I, S. 2546, Ziffer I. 3. c) ee). Diese Auffassung geht zurück auf einen Aufsatz von Würdinger, Freiheit der persönlichen Entfaltung, Kartell- und Wettbewerbsrecht, in: WuW 1953, S. 721 (726 ff.); vgl. auch Müller-Laube, S. 49 f.; Klein, S. 49 ff. m. w. N.; Leo, WuW 1959, S. 485 (488); Benisch, WuW 1961, S. 764 (766 ff.); Ballerstedt, in: FS Hefermehl, S. 37 (54 ff.); von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2488 f.); Schmidt, K., FS Canaris, S. 1175 (1180 f.). 241 BGH, 16. 06. 1971, WuW/E BGH 1192 (1197 f.) „Stromversorgung für US-Streitkräfte“; BGH, 22. 10. 1973, WuW/E BGH 1299 (1300) „Strombezugspreis“; OLG Jena, 10. 12. 1997, WuW/DE-R 63 (66) „SEAG“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 17, 21; Hohn, S. 164; Klein, S. 49 ff. (52) m. w.N.; Logemann, S. 60 ff., 71; Leo, WuW 1959, S. 485 (493); Benisch, WuW 1961, S. 764 (767 ff.); von Gamm, NJW 1980, S. 2488 (2488 f., 2491); Stahl, WuW 1980, S. 451 (452 f.); a. A. mit ausführlicher Begründung: Müller-Laube, S. 49 ff.; Clodius, S. 87 ff.; Koch, Schadensersatz, S. 41 ff., 67 f., 114 f.; Mestmäcker, AcP 168 (1968), S. 235 (242 ff.); Ballerstedt, in: FS Hefermehl, S. 37 (54 f.); vgl. rückblickend Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (174); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (18). 242 Siehe S. 71 ff. 243 OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057) „Ruhrnet“; Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (174 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (17 f.); siehe auch S. 71 ff. 244 So bereits früher: Koch, Schadensersatz, S. 15; Müller-Laube, S. 9 f., 16 ff.; vgl. auch Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1062); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (497 f.). 240
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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Missbrauchsverbotes nebeneinander.245 Diese neue Interpretation steht im Einklang mit dem Normzweck des durch die 6. Novelle eingeführten § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB). Diese Vorschrift zielt auf die Schaffung und Aufrechterhaltung von Wettbewerb auf den nur über die Mitbenutzung einer Infrastruktureinrichtung zugänglichen Märkten. Zugleich gibt sie aber dem Zugangsinteressenten einen Anspruch auf Mitbenutzung der Einrichtung und Zugang zum abgeleiteten Markt. d) Die Rechtsprechung zum Privatrechtsschutz bei Behinderung und Diskriminierung In den Fällen der Diskriminierung und Behinderung konnten Unternehmen bereits seit Einführung des GWB auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz klagen (§§ 26 Abs. 2, 35 GWB a. F., nunmehr §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 33 GWB n. F.).246 § 26 Abs. 2 GWB a. F. bzw. § 20 Abs. 1 GWB a. F. waren und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n. F. ist Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB.247 Durch die Neufassung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB im Rahmen der 8. GWB Novelle ist nunmehr klargestellt, dass es nur einen einheitlichen Begriff der unbilligen Behinderung und sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gibt.248 Deshalb kann bei Betrachtung der einzelnen Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs auf die Rechtsprechung zu § 20 Abs. 1 bis 4 GWB a. F. bzw. § 26 Abs. 2 GWB a. F. zurückgegriffen werden. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB erfasst auch Drittmarktbehinderungen.249
245 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 f.) „Germania“ betont einerseits den Schutz der Wettbewerber und andererseits den Schutz der Marktstruktur; vgl. auch BGH, 07. 03. 1989, WuW/E BGH 2584 (2587) „Lotterievertrieb“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; dafür bereits früher Müller-Laube, S. 9 f., 16 ff.; zu § 26 Abs. 2 a. F. GWB; vgl. auch Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (187 f.); ders., in: FS Canaris, S. 1175 (1180 f.). 246 BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2198) „Abwehrblatt II“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2765) „Amtsanzeiger“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2978) „Hitlistenplatten“; Hohn, S. 167; Hempel, WuW 2004, S. 362 (365); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (194 f.); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (18). 247 BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4149) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4170) „Stromnetz Berkenthin“; OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; Paul, S. 108 f.; van Venrooy, BB 1979, S. 555 (556); Mestmäcker, WuW 2008, S. 6 (17 f.). 248 Zur 8. GWB Novelle siehe S. 45 f. 249 Hierbei treten die Auswirkungen des missbräuchlichen Verhaltens auf einem nicht beherrschten Drittmarkt ein; z. B.: BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2101) „MetroEintrittsvergütung“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2835 f.) „CRS-Betreiber/Lufthansa“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 190 f.; zu Art. 102 AEUV vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 138 ff.; Keßler, WRP 2013, S. 1116 (1117).
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Teil 1: Grundlagen
e) Individual- und Institutionenschutz im Europäischen Recht Die Kommission und der EuGH beschreiben missbräuchliche Verhaltensweisen als solche, die von einem normalen Leistungswettbewerb abweichen. Es handele sich um leistungsfremde Praktiken, die insbesondere in der Form der Behinderung und Ausbeutung auftreten.250 Die Beurteilung im Einzelfall bedarf dennoch einer umfassenden Interessenabwägung, bei der dem Ziel der Verwirklichung unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt entscheidende Bedeutung zukommt.251 Denn obwohl der Begriff des Leistungswettbewerbes im Kernbereich bestimmt ist, bleibt er doch in verschiedener Hinsicht unscharf.252 Art. 102 AEUV nennt Beispielstatbestände, die aber nicht abschließend sind.253 So wurde insbesondere die essential facility doctrine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt.254 Der EuGH verwendet zunächst eine quantitative Erheblichkeitsschwelle, um festzustellen, ob der zwischenstaatliche Handel spürbar betroffen ist. Diese ist erreicht, wenn die vom Missbrauch Betroffenen gemeinsam wenigstens 5 % Marktanteil auf dem räumlich relevanten Markt innehaben.255 Diese rein quantitative Betroffenheit ist allein noch nicht aussagekräftig.256 Vielmehr betonen EuGH und Kommission, dass als entscheidendes Kriterium die Verschlechterung der Marktstruktur maßgeblich sei.257 Die Bezugnahme auf die Spürbarkeit erfolgt vor dem Hintergrund, die Kommission 250 Zum Bsp.: EuGH, 19. 03. 1991, Slg. 1991 I, S. 1259 (1267 ff.) „Telekommunikationsendgeräte“; Kommission, 29. 07. 1987, WuW/EV 1265 (1270) „BBI/Bosey und Hawkes“; EuG, 17. 07. 1998, WuW/EU-R 154 (161) „ITT Promedia NV“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (767 f.) „Van den Bergh Foods“; EuGH, 06. 12. 2012, WuW/EU-R 2650 (2657) „AstraZeneca/ Kommission“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (477 f.) „Post Dänemark“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 5, 129 f., 134. 251 EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; EuGH, 19. 03. 1991, Slg. 1991 I, S. 1259 (1267 ff.) „Telekommunikationsendgeräte“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (477 f.); „Post Dänemark“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 126, 1 f., 129 f., 133 f. 252 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 132 ff., 199 ff. 253 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn 133. 254 Siehe im Einzelnen ab S. 525. 255 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 210; der räumliche Markt muss dabei regelmäßig mindestens zwei Staaten umfassen. Im Einzelfall kann das Staatsgebiet eines Mitgliedstaates genügen. Bei größeren Mitgliedstaaten genügen u. U. auch regionale Märkte. 256 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 23 ff., 145 ff. 257 EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (435 f.) „Chiquita“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (458) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/ EWG/MUV 642 (649) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuG, 17. 07. 1998, WuW/EU-R 154 (161) „ITT Promedia NV“; EuG, 23. 10. 2003, WuW EU-R 765 (767 f.) „Van den Bergh Foods“; EuG, 17. 12. 2003, WuW EU-R 777 (786 f.) „Virgin/British Airways“; EuGH, 06. 12. 2012, WuW/EU-R 2650 (2657) „AstraZeneca“; EuGH, 12. 06. 2014, NZKart 2014, S. 267 (269 f.) „Intel“; EuGH, 06. 10. 2015, S. 476 (479 f.) „Post Dänemark“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 5, 126, 134 f.; vgl. auch Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 12.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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von der Verfolgung kleiner, für den europäischen Markt unbedeutender Wettbewerbsverstöße zu entlasten.258 Eine Rechtsschutzlücke tritt damit nicht ein. Denn das nationale Kartellrecht bleibt hier anwendbar.259 Es muss dann von den nationalen Behörden oder auf Initiative privater Kläger von den nationalen Gerichten durchgesetzt werden. Für das deutsche Recht bedeutet das, dass anstelle von Art 102 AEUV die §§ 19 Abs. 1, 2 oder 20 Abs. 1 bis 3 GWB zur Anwendung kommen. Hier aber gilt keine quantitative Erheblichkeitsschwelle. Allerdings kommt es auch hier auf die Verschlechterung der Marktstruktur an.260 Artikel 101 und 102 AEUV dienen also zugleich dem Individual- und Institutionenschutz.261 Gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 GWB kann sich ein privater Kläger auch vor einem deutschen Gericht auf die Verletzung von Art. 101 oder 102 AEUV berufen. Dann aber müssen die Zwischenstaatlichkeitsklausel und das Kriterium der Spürbarkeit beachtet werden, weil beide Merkmale zum materiellen Tatbestand dieser Normen gehören.262 Der deutsche Gesetzgeber hat die Pflicht, die effektive Durchsetzung des europäischen Rechts sicherzustellen. Er darf dabei allerdings nicht die europäischen Normen verändern. Beides folgt aus den vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der wirksamen Durchsetzung und gleichmäßigen Anwendung des Europarechts.263 Nur unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine einheitliche Rechtsanwendung und damit fortschreitende Integration im Binnenmarkt möglich. 3. Stellungnahme zum Verhältnis von individuellem Rechtsschutz und der Anforderung an Marktstrukturwirkungen missbräuchlichen Verhaltens Eine quantitativ zu verstehende Erheblichkeitsschwelle der Marktbeeinflussung als Tatbestandsvoraussetzung missbräuchlichen Verhaltens würde die Sanktionsfähigkeit privaten Rechtsschutzes einschränken. Bei in diesem Sinne erheblichen Wettbewerbsverstößen müssten die Kartellbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen einschreiten. Unter diesen Bedingungen empfiehlt es sich für private Marktteilnehmer, Anzeige bei den Kartellbehörden zu machen, anstatt selbst ein Prozessrisiko einzugehen.264 Marktteilnehmer werden nur dann Klage vor einem Zivilgericht erheben, wenn die Kartellbehörden ein Eingreifen mangels quantitativer 258
Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 210. Mestmäcker/Schweitzer, § 6 Rn. 4 ff. 260 Siehe S. 63 ff., mit der Einschränkung, dass dies nicht für das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 GWB gilt. 261 EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, S. 215 (246) „Continental Can“; vgl. auch Fn. 257; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 4 f., 126, 129 f.; Endter, S. 63 ff.; Meessen, S. 179 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (480 f.). 262 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 2; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (475 ff.). 263 Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 11 und Artikel 4. 264 Siehe S. 71 ff. 259
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Teil 1: Grundlagen
Erheblichkeit ablehnen. Ist eine so verstandene Marktwirkung aber Tatbestandsvoraussetzung des Missbrauchsverbots, dann muss auch das Zivilgericht die Klage abweisen, weil die quantitativ erhebliche Marktwirkung nicht gegeben ist. Diese Überlegung zeigt, dass der individuelle Rechtsschutz dann am stärksten wäre, wenn auf die Anforderung einer Marktwirkung des missbräuchlichen Verhaltens verzichtet und nur auf die individuelle Behinderung, Diskriminierung oder Ausbeutung abgestellt würde. Eine solche Auslegung widerspräche aber sowohl den Verbotszielen des Art. 102 AEUV als auch des § 19 Abs. 1, 2 GWB.265 Bei Anwendung von § 20 Abs. 1 bis 3 GWB können zwar geringere Anforderungen an die Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt gestellt werden. Im Rahmen der aber auch dort anzustellenden Interessenabwägung sind die Auswirkungen auf die Freiheit des Wettbewerbs, d. h. die Wechselwirkungen zwischen individuellem Verhalten und dem Wettbewerb als Institution, stets zu berücksichtigen.266 Dementsprechend ist ein reiner Individualschutz weder mit dem deutschen noch mit dem europäischen Recht vereinbar. Vielmehr entspricht es der Zielsetzung der Missbrauchsverbote, von einer Gleichsetzung individueller Interessen und institutionellen Wettbewerbsschutzes auszugehen.267 Der Bedingungszusammenhang zwischen individueller Betroffenheit eines Marktteilnehmers in Bezug auf Behinderung, Diskriminierung oder Ausbeutung und einer Auswirkung auf den Wettbewerb auf dem Markt muss aber nicht quantitativer Natur sein. Art. 102 AEUV fordert eine gewisse quantitative Erheblichkeit, um lediglich solche Fälle zu erfassen, die eine spürbare Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten haben. Hierdurch wird die integrationspolitische Zielsetzung der Norm betont und zugleich die Kommission entlastet. Unterhalb dieser Schwelle kann und soll das nationale Recht, in Deutschland in Gestalt der §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB, eingreifen. Es ist dann aber bei Anwendung der §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB nicht geboten, eine quantitative Marktwirkung zu fordern. Eine Beeinflussung der Wettbewerbsstruktur kann nämlich schon dann vorliegen, wenn auch nur ein einzelner, kleiner, potentieller Wettbewerber Zugang zu einem Markt beansprucht, soweit damit Wettbewerb überhaupt erst begründet wird. Auch wenn nur ein einziges Unternehmen, welches einen geringen Marktanteil hat, aufgrund einer missbräuchlichen Verhaltensweise aus dem Markt ausscheiden muss, so kann doch dadurch die Marktstruktur negativ beeinflusst werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn ohnehin nur eine geringe Anzahl kleinerer Wettbewerber vorhanden ist, so dass das Verschwinden eines Einzelnen bereits den Verhaltensspielraum des Marktbeherr265
Siehe S. 30 ff. und 71 ff., sowie S. 52 ff., 61 ff. Siehe S. 30 ff., 50 ff. und 67. 267 Für das Kartellverbot des § 1 GWB z. B.: OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162 f.) „carpartner II“; zu § 20 Abs. 4 GWB a. F., z. B.: BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (293) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 f.) „Germania“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; in diese Richtung schon Koch, Schadenersatz, S. 15; vgl. allgemein zur „Institution“ Wettbewerb Alexander, Schadenersatz, S. 62 ff., 312 ff.; vgl. nunmehr auch Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 2 f. und 6. 266
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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schers vergrößert.268 In der Folge verschlechtern sich die Wettbewerbsbedingungen für die verbleibenden Unternehmen. Bereits im Bericht des Wirtschaftsausschusses zur 4. GWB Novelle heißt es, dass die Anforderungen an missbräuchliche Verhaltensweisen nicht überspannt werden dürfen, weil es bei § 19 Abs. 1, 4 GWB (a. F., zuvor § 22 Abs. 4 GWB a. F.) um Fälle absoluter Marktbeherrschung gehe.269 Die Aufsicht solle nicht erst dann eingreifen, wenn eine Verschlechterung der Wettbewerbssituation eingetreten sei. Es bedürfe einer Prävention zum Schutz des Restwettbewerbs vor Verhaltensweisen, welche die Wettbewerbsbedingungen verschlechtern. Daraus ist eine klare Bezugnahme auf das Erfordernis einer Marktstrukturverschlechterung zu entnehmen. Um dem Gedanken der Prävention zur Geltung zu verhelfen, muss die Strukturverschlechterung weder eingetreten sein, noch unmittelbar drohen. Vielmehr genügt es, wenn das Verhalten des Marktbeherrschers generell geeignet ist, Wettbewerbsstrukturen negativ zu beeinflussen. Diese Eignung muss zu der individuellen Betroffenheit hinzutreten. Im Sinne des Äquivalenzprinzips sind diese Grundsätze auch zu berücksichtigen, wenn deutsche Behörden oder Gerichte Art. 102 AEUV anwenden. Dieses Ergebnis wird von weiteren Überlegungen gestützt. Die rein zahlenmäßige Betroffenheit von Marktteilnehmern infolge eines bestimmten Verhaltens des Marktbeherrschers sagt noch nichts darüber aus, ob das Verhalten auch zu missbilligen ist. Leistungsgerechte Verdrängung von Wettbewerbern ist systemimmanent, unabhängig davon, ob dadurch der Wettbewerb zum Erliegen kommt. Sagt aber die quantitative Wirkung eines Verhaltens nichts über ihre Qualität aus, so ist es nicht gerechtfertigt sie zur Verbotsvoraussetzung zu machen.
V. Privater Rechtsschutz im Verhältnis zu verwaltungsrechtlicher Kontrolle Weil die Artikel 101 und 102 AEUV und die §§ 19, 20 GWB Machtstellungen zulassen, die zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit eingesetzt werden können, schaffen sie einen Ausgleich, indem sie öffentlichen und privaten Rechtsschutz zur Verfügung stellen. Die in einer Wettbewerbssituation vorhandene wirtschaftliche Freiheit, die zur individuellen Interessenwahrung genügt, wird in der Situation der Konfrontation mit wirtschaftlicher Macht durch den Schutz individueller rechtlicher Interessen flankiert. Die Kartellbehörden haben die Aufgabe, das öffentliche Interesse am Schutz freien Wettbewerbs wahrzunehmen270 und insbesondere dann einzuschreiten, wenn die strukturellen Voraussetzungen wirksamen Wettbewerbs beeinträchtigt, eine Vielzahl von Marktteilnehmern in ähnlicher Weise betroffen werden oder einzelne mit der rechtlichen Durchsetzung ihrer Interessen 268
OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 ff.) „Germania“. Bericht des Ausschusses für Wirtschaft BT-Drucks. 8/3690 (1980), S. 25. 270 Krüger, S. 22 f.; Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (408); Heitzer, WuW 2007, S. 854 (855 f., 863). 269
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Teil 1: Grundlagen
überfordert sind.271 Privater Rechtsschutz ermöglicht es den Betroffenen, ihre Interessen auch dann zu verteidigen, wenn die Behörden ihre knappen Ressourcen auf die Verfolgung bedeutender Wettbewerbsverstöße konzentrieren.272 Auf diese Weise können Wettbewerbsbehörden entlastet werden, ohne dass die Effektivität der Rechtsdurchsetzung leidet.273 Des Weiteren ist zu erwarten, dass aufgrund von Eigeninitiative der Betroffenen eine größere Zahl von Wettbewerbsverstößen aufgedeckt wird.274 Die Angst der Marktteilnehmer vor Repressionen sinkt, wenn es gelingt, privaten Rechtsschutz zu einem scharfen Schwert bei der Bekämpfung missbräuchlichen Verhaltens zu machen. Für marktmächtige Unternehmen verringert sich der Anreiz, sich wettbewerbswidrig zu verhalten. Die Prävention gegen Wettbewerbsverstöße wird gestärkt.275 Die unmittelbare Beteiligung der Betroffenen kann im Einzelfall zu einer Verfahrensbeschleunigung führen, weil sie ihr Wissen über das missbräuchliche Verhalten und seine Wirkungen direkt einbringen können.276 Be271 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 f.; zuvor Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f.; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L. 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 3; Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2 f.; Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (408). Ein Anspruch auf Einschreiten besteht indes nur dann, wenn das behördliche Ermessen auf null reduziert ist. Im Übrigen können die Behörden die Marktteilnehmer auf den Privatrechtsweg verweisen, vgl. bereits BGH, 14. 11. 1968, WuW/E BGH 995 (997 ff.) „Taxiflug“; vgl. auch Bechtold, NJW 2001, S. 3159 (3166). 272 Richtlinie 2014/104/EU, S. 1 f. Rn. 2 bis 6; zuvor Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 f. und EP, directive, S. 4 Rn. 3; Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f.; Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2; Alexander, Schadenersatz, S. 299 ff.; Görner, S. 6 ff.; Paul, S. 35 f.; De Smijter/Stropp/Woods Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1). 273 Richtlinie 2014/104/EU, S. 2 Rn. 6; zuvor Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 ff. und EP, directive, S. 5, Rn. 6; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f.; Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 7; Tagungsbericht BKartA, WuW 2006, S. 39 (39, 42 ff.); Logemann, S. 33 f.; Meessen, S. 60 ff.; Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1062); Roth, in: FS Huber 2006, S. 1133 (1135 f.); vgl. schon aus der Anfangszeit des GWB BGH, 25. 02. 1959, WuW/E BGH 288 (290) „Grosshändlerverband II“; kritisch dagegen Möschel, WuW 2006, S. 115; ders., WuW 2007, S. 483 (489 ff.). 274 Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 303 ff.; Paul, S. 35 f.; Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1062); kritisch Möschel, WuW 2006, S. 115; ders., WuW 2007, S. 483 (488 f.); De Smijter/Stropp/Woods, Competition Policy Newsletter 2006, S. 1 (1). 275 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 f., Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f.; Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2; Görner, S. 6 ff.; Krüger, S. 22 f.; Logemann, S. 33; kritisch dagegen Möschel, WuW 2006, S. 115; ders., WuW 2007, S. 483 (489 ff.); Basedow, EuZW 2006, S. 97; Reich, WuW 2008, S. 1046 (1048 ff.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (435 f.). 276 Die Konfliktlösungsmechanismen werden dezentralisiert: Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 11 f.; Müller-Laube, S. 20; Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1062); kritisch Möschel, WuW 2007, S. 483 (488 ff.), der insbesondere darauf hinweist, dass man dieses Wissen auch durch Beteiligung Privater am kartellbehördlichen Verfahren gewinnen kann.
B. Missbrauchskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen
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hördlicher und privater Rechtsschutz stehen nicht nur nebeneinander. Die Vorschrift des § 33 Abs. 4 GWB zur Regelung sogenannter „follow on“ Klagen ermöglicht insoweit eine Aufgabenteilung.277 Durch die Bindung der Zivilgerichte an vorhergehende, bestandskräftige Entscheidungen der deutschen Kartellbehörden, der Kommission, des EuG und EuGH, sowie der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden und Gerichte sind die Voraussetzungen geschaffen, dass sich behördliche und private Rechtsdurchsetzung im Interesse effektiver Sanktionierung von Kartellrechtsverstößen ergänzen. Gerade in aufwändigen Verfahren mit einer Vielzahl von Geschädigten können die Behörden die schwierige Arbeit der Ermittlung und des gerichtsfesten Nachweises eines Kartellverstoßes übernehmen,278 während die Geschädigten im Anschluss daran ihren individuellen Schadenersatz geltend machen. Der große Vorteil dieser Regelung für die Kläger ist eine Reduzierung des Prozessrisikos, weil dem Beklagten im Schadenersatzprozess der Einwand, er habe den Kartellverstoß nicht begangen, abgeschnitten ist. Damit sinkt die Scheu von Geschädigten, ihre Ansprüche in Zivilklagen geltend zu machen, die maßgeblich in der Beweislastverteilung, der schwierigen Nachweisbarkeit von Verstößen, sowie dem Zeit- und Kostenaufwand begründet liegen.279 Ohnehin haben die Verwaltungsbehörden nicht die Befugnis dafür zu sorgen, dass dem einzelnen Marktteilnehmer erlittene Nachteile ersetzt werden. Ein Schadensersatzanspruch kann nur durch den
277 BegrRegE 15/3640, Teil B zu § 33 zu Absatz 4; Richtlinie 2014/104/EU, S. 6 Rn. 34 f. und Art. 9; Kommission, Weißbuch, S. 6 f. und Commission Staff Working Paper, S. 41 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 424 f.; Endter, S. 127 f.; Görner, S. 11 f.; Jüntgen, S. 138 ff.; Logemann, S. 245 ff.; Paul, S. 35 f.; Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (141 f.); für einen Vorrang der behördlichen Rechtsdurchsetzung Heitzer, WuW 2007, S. 854 (863). 278 Ein großer Vorteil der Verwaltungsbehörden ist, dass sie über eine Vielzahl von Eingriffsbefugnissen (aufgrund ihrer Bedeutung sind Durchsuchung und Beschlagnahme hervorzuheben) verfügen, die dem privaten Marktteilnehmer nicht zur Verfügung stehen, vgl. Hempel, WuW 2005, S. 137 (143); kritisch Meyer, GRUR 2006, S. 27 (29 ff.); Möschel, WuW 2007, S. 483 (487 f.); vgl. zum Recht eines privaten Schadenersatzgläubigers auf Akteneinsicht in behördliche Ermittlungsakten AG Bonn, 24. 09. 2008, WuW/DE-R 2503 (2504 ff.) „Listenpreis“ und zum Anspruch auf Zugang zu Dokumenten zur Vorbereitung einer Schadenersatzklage: EuG, 15. 12. 2011, WuW/EU-R 2187 (2189 ff.) „CDC Hydrogene Peroxide/Kommission“; EuGH, 14. 06. 2011, WuW/EU-R 1975 (1978 ff.) „Pfleiderer“; AG Bonn, 18. 01. 2012, WuW/DE-R 3499 (3501 ff.) „Pfleiderer II“; OLG Frankfurt a.M., 04. 09. 2014, WuW/ DE-R 4505 (4508 ff.) „Akteneinsichtsrecht“; Meessen, S. 147 ff. 279 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 4 f. und 16; Weißbuch, S. 3 und Commission Staff Working Paper, S. 8 ff.; vgl. auch Endter, S. 127 f.; zu den Problemen privater Kartellrechtsdurchsetzung im europäischen Recht exemplarisch: Bechtold, ZHR 163 (1996), S. 660 (662 ff.); Mäsch, EuR 2003, S. 825 (833); Kirchhoff, WuW 2004, S. 745 (746 ff.); Lübbig/ le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213); Möschel, in: FS Bechtold, S. 329 (334); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (494 f.); Möschel, WuW 2007, S. 483 (487 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (139 f.); vgl. auch OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2765 f.) „PostKonsolidierer“ und OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4478 ff.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2835, 2837) „CRSBetreiber/Lufthansa“.
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Teil 1: Grundlagen
Geschädigten selbst durchgesetzt werden.280 Infolge der Ermöglichung von „follow on Klagen“ auf Grundlage des § 33 Abs. 4 GWB gehen verwaltungs- und privatrechtliche Durchsetzung des Missbrauchsverbotes also eine sinnvolle Symbiose ein. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist auf spezifische Probleme von „follow on Klagen“ nicht einzugehen, da es sich insoweit nicht um einen Problemkreis handelt, der in besonderem Zusammenhang mit den Verboten des Missbrauchs von Marktmacht steht.281 Schließlich ist auch zu beachten, dass marktwirtschaftliche Eigenverantwortung282 die selbstgesteuerte Verteidigung von Interessen einschließt. Sie entspricht der Idee der Wettbewerbsfreiheit weit mehr, als den vom Missbrauch Betroffenen darauf zu verweisen, dass eine Behörde seine Freiheit verwaltet.283 Privater Rechtsschutz ergänzt die primär mit der Marktteilnahme angestrebte Durchsetzung berechtigter individueller wirtschaftlicher Interessen dort, wo das der Wettbewerb nicht mehr zulässt. Das Prinzip der Eigeninitiative wird aus dem wirtschaftlichen in den rechtlichen Bereich der Wahrnehmung wettbewerblicher Interessen hinein erweitert. Als Folge dessen ist bei den Marktteilnehmern eine Stärkung des Bewusstseins für Inhalt und Bedeutung von Wettbewerbsregeln zu erwarten.284 Der private Kläger wird dadurch nicht zum Funktionär der Rechts- oder Wettbewerbsordnung.285 Die Inanspruchnahme privaten Rechtsschutzes ist Ausübung individueller Freiheit, die als Nebenfolge auch die Institution Wettbewerb schützt.286
280 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; Richtlinie 2014/ 104/EU, S. 1 f. Rn. 3 bis 6; Alexander, Schadenersatz, S. 303 ff.; Logemann, S. 33; Meessen, S. 58 ff.; Der Anspruchsteller (Kläger) trägt auch bei feststehendem Verbotsverstoß die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsbegründe und -ausfüllende Kausalität zwischen Verstoß und Schaden: OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915 f.) „Fernsehwerbezeiten“. 281 Weiterführend Richtlinie 2014/104/EU, S. 6 Rn. 34 f.; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 18 f.; Weißbuch, S. 6 f. und Commission Staff Working Paper, S. 41 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 424 ff.; Logemann, S. 245 ff.; Meessen, S. 131 ff.; Hempel, WuW 2005, S. 137 (140 ff.); Grünberger, in: Möschel/Bien, S. 135 (151 ff.). 282 Das Prinzip der Verantwortung für eigenes Tun ist notwendiges Korrelat der Privatautonomie: Pfeifer, S. 47 ff.; Koch, Schadensersatz, S. 23 f.; Logemann, S. 34 f.; Müller-Laube, S. 10 f., 17; Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1062). 283 Alexander, Schadenersatz, S. 299 ff., 314 ff.; Görner, S. 9 f.; Paul, S. 35 f.; Pfeifer, S. 48 f. 284 Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 10 ff.; Monti, IBA Conference, 17. 9. 04, S. 2; kritisch Möschel, WuW 2007, S. 483 (489 ff.). 285 Klein, S. 178; ähnlich Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 82; Schmidt, K., in: FS Benisch, S. 293 (296 f.); Möschel, WuW 2006, S. 115; ders., WuW 2007, S. 483 (489 ff.). 286 Für das Kartellverbot OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480 f.) „Courage Ltd/Crehan“; allgemein dazu, dass subjektive private Rechte immer zugleich dem Schutz der privaten Institution dienen, derer sie entlehnt sind: Pfeifer, S. 47 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 299 ff.; Endter, S. 63 ff.; Görner, S. 6 ff.
C. Zusammenfassung
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C. Zusammenfassung Mit der 6. GWB Novelle wurde der private Rechtsschutz im deutschen Kartellrecht deutlich gestärkt. Die umfangreichen und grundlegenden Änderungen des europäischen Kartellverwaltungsrechts durch die VO 1/2003 verbessern nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Kommission und nationalen Behörden, sondern binden auch nationale Gerichte in ein Netzwerk effektiven Rechtsschutzes ein. Die Zivilgerichte sind nunmehr zur umfassenden Anwendung auch des Art. 101 Abs. 3 AEUV berufen. Die 7. GWB Novelle hat den rechtlichen Rahmen für private Klagen nach § 33 GWB verbessert. Sowohl Art. 101 und 102 AEUV als auch die §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB eröffnen i. V. m. § 33 GWB private Rechtsschutzmöglichkeiten. Art. 101 Abs. 2 AEUV ordnet unmittelbar die Nichtigkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen an. Art. 102 AEUVund §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB sind Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB. Die Kommission hat durch die Veröffentlichung eines Grünbuchs im Dezember 2005, eines Weißbuchs im April 2008 und eines Richtlinienvorschlages im Juni 2013 die Initiative zu einer Verbesserung zivilrechtlicher Klagemöglichkeiten bei Verstößen gegen die Artikel 81 und 82 EG (nunmehr Art. 101 und 102 AEUV) ergriffen. Die im November 2014 in Kraft getretene Richtlinie 2014/104/EU sieht nunmehr Regelungen vor, die die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erleichtern sollen. Art. 101 und 102 AEUV sollen helfen, einen von Verfälschungen freien Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt zu erreichen. Die §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB sichern die Freiheit des Wettbewerbs, indem sie dem Missbrauch von Marktmacht rechtliche Grenzen setzen. Soweit Wettbewerbsbeschränkungen den gemeinsamen Markt betreffen, besteht ein Geltungsvorrang des Art. 101 AEUV. Art. 102 AEUV stimmt weitgehend mit § 19 Abs. 1, 2 GWB überein. Art. 102 AEUV beschreibt den rechtlichen Mindeststandard bei der Durchsetzung des Verbots missbräuchlichen Verhaltens, der nicht unterschritten werden darf. § 19 Abs. 2 Nr. 4 und § 20 GWB verwirklichen ein höheres Niveau des Schutzes vor dem Missbrauch von Marktmacht. Alle genannten Normen zielen darauf ab, freien Wettbewerb als Institution und Steuerungsprinzip einer auf Privatautonomie basierenden Rechtsordnung zu schützen. Zugleich bezwecken sie, Marktteilnehmern im Einflussbereich marktmächtiger Unternehmen einen Handlungsspielraum zu sichern, der chancengleiche Teilnahme am und Betätigungsfreiheit im Wettbewerb ermöglicht. Dort wo freier Wettbewerb nicht hergestellt werden kann, wird eine Marktergebniskontrolle verwirklicht. In Abkehr von diesen Zielsetzungen hat die EU-Kommission in jüngerer Zeit zum Ausdruck gebracht, dass sie eine ökonomische Analyse des Wettbewerbs in den Mittelpunkt der Betrachtung von Marktmachtmissbräuchen nach Art. 102 AEUV stellen möchte. Der Ansatz der Kommission für einen „more economic approach“ bei der Anwendung von Art. 102 AEUV kann nicht vollständig überzeugen. Die Vorschläge der Kommission beinhalten die Gefahr einer Verringerung der gerichtlichen Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen. Sie stehen zugleich in einem Zielkonflikt zu der beabsichtigten Stärkung des privaten Rechtsschutzes. Es
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Teil 1: Grundlagen
ist daran festzuhalten, dass der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs nur über den Schutz der Marktteilnehmer gedacht werden kann. Deshalb sollte an der, bisher sowohl in Deutschland als auch in Europa praktizierten, pragmatischen Wettbewerbspolitik bei der Anwendung der kartellrechtlichen Generalklauseln festgehalten werden. Die Vorschläge der Kommission haben ihre Berechtigung insoweit, als es darum geht, den bisherigen Bestand an gesicherten wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen weiter zu entwickeln. Alle Verbotsnormen, mit Ausnahme von § 20 Abs. 3 S. 2 GWB, sind als Generalklauseln ausgestaltet. Ob missbräuchliches Verhalten im Sinne einer der genannten Normen vorliegt, kann deshalb immer nur im Einzelfall aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Zieles der Wettbewerbsfreiheit ermittelt werden. Dennoch kann auf die gesetzlich genannten und die, in der Rechtsanwendungspraxis entwickelten Fallgruppen zurückgegriffen werden, um das verbotene Verhalten im Einzelfall zu bestimmen und zur Grundlage der Anwendung von § 33 GWB und § 134 BGB zu machen. Die Verwaltungsbehörden werden im öffentlichen Interesse zum Schutz funktionsfähigen Wettbewerbs tätig. Privater Rechtsschutz verwirklicht Individualinteressen, sorgt aber zugleich für eine umfassendere Durchsetzung der Missbrauchsverbote in Ergänzung zur behördlichen Tätigkeit.
Teil 2
Grundlagen des Zusammenhanges zwischen Verbotsgesetz und zivilrechtlichen Sanktionen A. § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV als Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB Ob § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB sind, ist umstritten. Diesem Problem ist im Folgenden nachzugehen.
I. § 19 Abs. 1, 2 GWB als Verbotsgesetz 1. Streitstand Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift bejaht die herrschende Meinung seit der 6. GWB Novelle die Anwendbarkeit von § 134 BGB.1 Allerdings wird auch eine Gegenmeinung zum Ausdruck gebracht, welche § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 19 Abs. 1, 4 GWB a. F.) nicht als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB ansehen will.2 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass § 19 Abs. 1, 2 GWB lediglich das marktbeherrschende Unternehmen als Normadressaten benenne. § 134 BGB sei aber nur dann anwendbar, wenn das Rechtsgeschäft für beide Beteiligte verboten ist. Bei nur einseitigem Verbotsverstoß stünden den nachteilig betroffenen Marktteilnehmern lediglich Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche i. V. m. § 33 GWB zu.3 Diese Argumentation würde dazu führen auch Art. 102 AEUV nicht als
1 OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861) „Stadtwerke Aachen“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; Fuchs, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 78; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 379; Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, § 19 GWB Rn. 210; Götting, in: L/M/R, § 19 GWB Rn. 101; Sack/Seibel, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 248; Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 19 GWB Rn. 1298; Paul, S. 103 ff.; Weyer, AG, 1999, S. 257 (258); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (406); Emmerich, AG 2001, S. 520 (522). Vor der 6. GWB Novelle bestand lediglich für die Kartellbehörden die Möglichkeit, Verträge für unwirksam zu erklären, weil § 22 GWB a. F. kein Verbotsgesetz war. 2 Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 171 ff. 3 Leo, in: GK, § 19 GWB, Rn. 171 ff. Rechtshistorisch findet dieser Ansatz seine Wurzeln in den Motiven zum BGB Entwurf, vgl. Mot. I S. 210 = Mugdan I, S. 468.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verbotsgesetz einzuordnen. Bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts4 hatte – natürlich im Zusammenhang mit anderen Verbotsgesetzen – auf die Unterscheidung von ein- und zweiseitigen Verboten Bezug genommen. Sie wird auch in den Motiven5 erwähnt. Zunächst ist festzustellen, dass die Ansicht, welche § 19 Abs. 1, 2 GWB nicht als Verbotsgesetz betrachtet, die, aufgrund der Normstruktur des § 134 BGB notwendige Trennung zwischen Feststellung des Verbotscharakters einer Norm und der Frage, ob die Nichtigkeit die angemessene zivilrechtliche Sanktion darstellt, vernachlässigt.6 Aufgrund des eindeutigen Wortlautes, sowohl des § 19 Abs. 1 GWB als auch des Art. 102 AEUV und der unstreitigen Erkenntnis, dass auch durch die Vornahme von Rechtsgeschäften ein Missbrauch von Marktmacht verwirklicht werden kann, ist davon auszugehen, dass beide Normen Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB sind. Damit ist allerdings die Frage noch nicht beantwortet, ob deswegen, weil sich § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV nur an das marktbeherrschende Unternehmen richten, die Nichtigkeit die angemessene Rechtsfolge ist.7 2. Ein- und zweiseitige Verbotsnormen und der Zweck des Verbotsgesetzes Die Einteilung in ein- und zweiseitige Verbotsnormen ist eine formalistische Herangehensweise.8 Sie versagt, wenn es um die Beurteilung von einseitigen Rechtsgeschäften geht. Insbesondere dann, wenn sich eine Kündigung als missbräuchlicher Abbruch von Geschäftsbeziehungen darstellt, liegt deren Nichtigkeit gemäß § 19 Abs. 1, 2 GWB bzw. Art. 102 Satz 2 lit. c) AEUV i. V. m. § 134 BGB zumindest nahe. Denn in der Folge bliebe die Lieferbeziehung aufrecht erhalten. Wird dagegen ein zweiseitiger Verbotsverstoß gefordert, kann man § 134 BGB gar nicht anwenden. Ohne die Nichtigkeit der Kündigung überhaupt prüfen zu können, müsste man immer von deren Wirksamkeit ausgehen. Selbst bei einer rechtswidrigen Kündigung käme man somit zwingend zu einer Beendigung der Geschäftsbeziehung, die aber § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 Satz 2 lit. c) AEUV gerade ver-
4 RG, 17. 03. 1905, RGZ 60, 273 (275 ff.); RG, 18. 06. 1920, RGZ 100, 39 (40 f.); Sack/ Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 71 ff. m. w. N. 5 Motive I, S. 210 = Mugdan I, S. 468 f. 6 Armbrüster, in: MüKo, § 134 BGB Rn. 41 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 34 f.; Paul, S. 104 f. 7 Die Mindermeinung (Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 171 ff.) plädiert im Ergebnis für eine Wirksamkeit auch solcher Rechtsgeschäfte, die gegen § 19 Abs. 1, 2 GWB verstoßen. Präzise müsste die Mindermeinung also argumentieren, dass obwohl die Norm als Verbot formuliert ist, sie wegen ihrer einseitigen Zielrichtung nicht zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften führen dürfe. 8 Es handelt sich um eine Form überholter begriffsjuristischer Argumentation: Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 47 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 35, 75; Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 22 ff., 25 f.; Hager, S. 85; Westphal, S. 54 ff.
A. § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV als Verbotsgesetze
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hindern wollen.9 Darüber hinaus ist § 134 BGB auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen anwendbar, die sich als Missbrauch i. S. v. § 19 Abs. 1, 2 GWB bzw. Art. 102 AEUV herausstellen. Aber auch bei zweiseitigen Rechtsgeschäften ist die Tauglichkeit der Lehre vom einseitigen Verbotsverstoß in Abrede zu stellen. Verpflichtet sich nur ein Vertragspartner dazu, eine verbotswidrige Leistung zu erbringen, so verstößt der Inhalt des Vertrages zumindest insoweit gegen das Verbotsgesetz.10 Verspricht ein marktbeherrschendes Unternehmen beispielsweise die Erbringung bestimmter Leistungen, etwa die Gewährung von Boni, Rabatten oder nicht der Hauptleistung zugehöriger Nebenleistungen, welche geeignet sind, den Wettbewerb auf dem Markt zu verfälschen, so verstößt der Inhalt des Vertrages, zumindest soweit diese Verpflichtungen reichen, gegen § 19 Abs. 1, 2 GWB bzw. Art. 102 AEUV. Deswegen ist erstens § 134 BGB unabhängig von der Mitwirkung des anderen Teils anzuwenden und zweitens auf Basis des § 134 2. Halbsatz BGB diejenige angemessene Sanktion zu finden, welche das Missbrauchsverbot effizient durchsetzt. Der BGH benutzt in seiner Rechtsprechung die Unterteilung in ein- und zweiseitige Verbote nur als Auslegungshilfe.11 Verbotsgesetze sollen grundsätzlich nur dann zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen, wenn beide Vertragspartner Adressaten der Verbotsnorm sind.12 Allerdings sei es ausnahmsweise möglich, dass Sinn und Zweck eines Verbotsgesetzes die Nichtigkeit auch dann erfordern, wenn nur eine der Vertragsparteien verbotswidrig handelt.13 Wann eine solche Ausnahme vorliegt, ist nicht allgemein vorhersehbar.14 Letztendlich gibt also immer der Zweck der Verbotsvorschrift den Ausschlag.15 Bestimmte Verbotsgesetze, wie etwa § 19 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GWB bzw. Art. 102 Satz 2 lit. a) AEUV zielen auf den Schutz des schwächeren Vertragspartners. Ist dieser Schutz aber nur dadurch zu erreichen, dass das Rechtsgeschäft entweder keine Wirkung entfaltet oder gemäß dem Normzweckvorbehalt des § 134 2. Halbsatz BGB angepasst wird, so führt das formale Argument der Einseitigkeit der Verbotsnorm zu einem Widerspruch zum Geset9 Siehe zur Frage des rechtswidrigen Abbruchs von Geschäftsbeziehungen bei Geschäftsverweigerungen, S. 392 ff. und S. 406 ff. 10 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 1; Amm, S. 190 ff.; Westphal, S. 54 ff. 11 BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, S. 3167 (3168 f.); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) Stromnetz Olching“ vgl. des Weiteren Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 71 ff. m. w. N. 12 BGH, 12. 07. 1962, BGHZ 37, 363 (365); BGH, 01. 06. 1966, BGHZ 46, 24 (25 f.); BGH, 19. 09. 1985, NJW 1986, S. 1104 (1104 f.); BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, S. 3167 (3168); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“. 13 BGH, 12. 07. 1962, BGHZ 37, 258 (261 f.); BGH, 01. 06. 1966, BGHZ 46, 24 (27 f.); BGH, 12. 01. 1970, BGHZ 53, 152 (156 f.); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 f.); BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, S. 3167 (3168 f.); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“. 14 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 48; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 75. 15 BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 41, 47 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 75, 88; Paul, S. 158 f.; Damm, JZ 1986, S. 913 (915); Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (437).
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zeszweck. Darüber hinaus hat der BGH anerkannt, dass auch der Schutz von Interessen am Rechtsgeschäft nicht beteiligter Dritter die Nichtigkeit rechtfertigen kann.16 3. Deliktischer Rechtsschutz Nun geht die Gegenansicht davon aus, dass auch Beseitigungs-, Unterlassungsund Schadenersatzsprüche ausreichend Schutz bieten.17 Da zunächst ein Vertrag mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt wirksam wäre, hätte das zur Konsequenz, dass das marktbeherrschende Unternehmen aus der Verpflichtung des Vertragspartners Rechte herleiten könnte. Um dem zu entgehen, kann das gebundene Unternehmen über §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, 2 GWB – gegebenenfalls auch i. V. m. Art. 102 AEUV – die Aufhebung rechtswidriger Forderungen verlangen. Erkennt der Marktbeherrscher diesen Anspruch nicht an, so kann der Verpflichtete über die Einrede des § 853 BGB die Erfüllung verweigern.18 Auf eine Klage wäre er also nicht einmal angewiesen. Demgegenüber nutzt diese Einrede sonstigen Marktbeteiligten, insbesondere Wettbewerbern nichts. Um gegen wettbewerbswidrige Verträge vorzugehen, die von Verpflichteten hingenommen werden, wäre die Beseitigungsklage über § 33 Abs. 1 S. 3 GWB erforderlich. Nun könnte man sagen, die Beseitigungs- und/oder Unterlassungsklage19 ist ohnehin notwendig, wenn sich der Marktbeherrscher rein faktisch rechtswidrig verhält. Allerdings ergäbe sich folgendes, am Beispiel einer ausschließlichen Bezugsbindung zu illustrierendes Problem. Ist eine solche Bindung missbräuchlich, so wäre sie trotz § 134 BGB – vorbehaltlich des zunächst außer Acht zu lassenden Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV – dennoch wirksam. Will der Wettbewerber nun, ohne zuvor gegen den Marktbeherrscher zu klagen, unter Berufung auf die Rechtswidrigkeit der Bindung mit dem Gebundenen in geschäftliche Beziehungen treten, so läuft er Gefahr sich wegen Verleitung zum Vertragsbruch und Störung des Vertriebssystems des Bindenden gemäß §§ 3, 4 UWG oder § 826 BGB schadensersatzpflichtig zu machen.20 Wollte man zugunsten des Wettbewerbers in einem solchen Fall die Unlauterkeit bzw. Sittenwidrigkeit verneinen, wäre diese Lösung wegen der wirksamen Bezugsverpflichtungen zumindest nicht widerspruchsfrei. Um dem sicher zu entgehen, müsste der Wettbewerber selbst dann zeit- und kostenaufwendig auf Beseitigung klagen, wenn der gebundene Abnehmer an sich bereit 16
BGH, 10. 07. 1991, BGHZ 115, 123 (129 f.); BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, 3167 (3168 f.); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/ DE-R 4499 (4502) „Stromnetz Olching“. 17 Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 173. 18 Vieweg, in: Staudinger BGB, § 853 Rn. 5. 19 Siehe S. 136 ff. und S. 144 ff. 20 Zum UWG Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 10.36 f. und 10.63 f.; zu § 826 BGB vgl. Wagner, in: MüKo BGB, § 826 Rn. 59 f.; Oechsler, in: Staudinger BGB, § 826 Rn. 224 ff.
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wäre, mit ihm in Geschäftsbeziehung zu treten. Demgegenüber bietet die Anwendung von § 134 BGB eine einfache und widerspruchsfreie Lösung. Durch Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen oder deren Anpassung an einen rechtmäßigen Inhalt würde unmittelbar ein wettbewerbsgemäßer Zustand hergestellt, ohne dass eine vorherige Beseitigungsklage notwendig wäre. Im Beispiel zur Bezugsbindung könnte der Wettbewerber mit dem Abnehmer in Geschäftsbeziehung treten, ohne befürchten zu müssen, selbst auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Darüber hinaus ermöglicht nur die Nichtigkeit rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung wettbewerbswidrigen Leistungsaustausches. Insgesamt verstärkt § 134 BGB den Wettbewerbsschutz in einer Weise, die über § 33 GWB allein nicht erreichbar wäre.21 Erst das Zusammenspiel zwischen § 33 GWB und § 134 BGB ermöglicht eine effektive Durchsetzung des Missbrauchsverbotes.22 Darüber hinaus wird eine kongruente Lösung im Verhältnis zu § 1 GWB erreicht. Wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die sowohl nach § 1 GWB als auch nach § 19 Abs. 1, 2 GWB verboten sind, sind in gleicher Weise nach § 134 BGB nichtig bzw. anzupassen. Das gleiche gilt für das Verhältnis von Art. 101 Abs. 1, 2 und Art. 102 AEUV i. V. m. § 134 BGB.23 4. Das Argument der Rechtsunsicherheit Es wird zur Begründung der Nichtanwendbarkeit von § 134 BGB auch vorgebracht, dass aufgrund der Unbestimmtheit der § 19 Abs. 1, 2 GWB und des Art. 102 AEUV und der damit verbundenen Anwendungsschwierigkeiten erhebliche Rechtsunsicherheit deswegen entstehe, weil nicht einzuschätzen wäre, welche Rechtsgeschäfte nichtig sind und welche nicht. Das stelle für die Beteiligten eine erhebliche Belastung dar.24 Dem ist entgegenzuhalten, dass dieses Argument insoweit nicht zutrifft, als es Verwaltungspraxis, Rechtsprechung und Literatur im Laufe der Jahrzehnte gelungen ist, Fallgruppen oder zumindest operationale Maßstäbe herauszuarbeiten, welche eine sichere Anwendung sowohl von § 19 Abs. 1, 2 GWB als auch von Art. 102 AEUVermöglichen.25 Bei genauer Betrachtung richtet sich das Argument der Rechtsunsicherheit gegen die Unbestimmtheit der Normen als solche. Das spräche für die Nichtanwendung der Norm überhaupt. Auch Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, sowie Untersagungsverfügungen der Kartellbehörden dürfte es demnach nicht geben. Diese, offensichtlich unhaltbare 21 BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; Paul, S. 152 ff.; Weyer, AG 1999, S. 257 (258); Emmerich, AG 2001, S. 520 (522); ebenso für § 26 Abs. 2 GWB a. F. van Venroy, BB 1979, S. 555 (556). 22 Paul, S. 152 ff.; vgl. auch Damm, JZ 1986, S. 912 (921) zur Regelung der §§ 26, 35 GWB a. F. 23 Paul, S. 143 ff.; siehe dazu S. 86 ff. 24 Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 173. 25 Siehe bereits S. 61 ff.
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Konsequenz wird auch nicht von denjenigen gezogen, die auf Rechtsunsicherheit hinweisen.26 Im Hinblick auf die Feststellung, welche Rechtsgeschäfte im Einzelfall verboten sind und ob Nichtigkeit oder eine alternative Rechtsfolge nach § 134 2. Halbsatz BGB in Betracht kommen, will die vorliegende Arbeit gerade eine Antwort geben. Aufbauend auf den klaren Konturen der einzelnen Fallgruppen kann das auch gelingen. Im Hinblick darauf, dass § 134 BGB die Nichtigkeit des gegen ein Verbot verstoßenden Rechtsgeschäfts als Regelfall anordnet, wurde bereits im Zusammenhang mit § 26 Abs. 2 GWB a. F. (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) behauptet, eine derartige Rechtsfolge führe zu volkswirtschaftlich untragbaren Ergebnissen.27 Hintergrund dieser Auffassung war die Annahme, dass die massenhafte Nichtigkeit von Austauschverträgen den Warenumsatz und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen in empfindlichem Maße beeinträchtigt. Dieser Einwand vermag deswegen nicht zu überzeugen, weil auf diese Weise die Interessen der marktbeherrschenden Unternehmen einseitig gegenüber den behinderten, ausgebeuteten oder diskriminierten Marktbeteiligten bevorzugt würden.28 Gerade ein solcherart verfälschter Wettbewerb verursacht erhebliche wirtschaftliche Schäden. Mit der Nichtanwendung von § 134 BGB gäbe man ein effektives Instrument zum Schutz des freien Leistungswettbewerbes aus der Hand.29 Außerdem enthält § 134 BGB – wie zu zeigen sein wird – die Möglichkeit zur Rechtsfolgendifferenzierung30 und weist dadurch einen Weg zu angemessenen Sanktionen unter Beachtung der wirtschaftlichen Folgen. 5. Der Wille des Reformgesetzgebers und die Angleichung an das Europarecht Darüber hinaus sprechen weitere Argumente für die Annahme, dass § 19 Abs. 1, 2 GWB Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB ist. Die Gesetzesbegründung zur 6. GWB Novelle lässt erkennen, dass der Wille des Gesetzgebers dahin ging, § 134 BGB zur Anwendung zu bringen. Zwar wird die Norm in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt.31 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Kartellbehörden bis 1998 auf Basis von §§ 22, 19 GWB a. F. die Befugnis hatten, missbräuchliche Rechtsgeschäfte für unwirksam zu erklären. Diese Befugnis ist durch die 6. GWB Novelle gestrichen
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Vgl. die Ausführungen bei Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 171 ff. Siehe die Nachweise bei van Venroy, BB 1979, S. 555 (556). 28 Eingehend van Venroy, BB 1979, S. 555 (556) zu Behinderung und Diskriminierung nach § 26 Abs. 2 GWB a. F.; Es gilt die Interessen aller Marktteilnehmer angemessen zu berücksichtigen, Paul, S. 159 f. 29 Siehe S. 80 f. 30 Siehe S. 104 ff. 31 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 unter I. 3. b) cc) zur Streichung des § 19 GWB a. F. 27
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worden.32 Damit war aber keine Schwächung des Wettbewerbsschutzes beabsichtigt. Im Gegenteil betonte der Gesetzgeber ausdrücklich, dass ihm an einer Stärkung des Wettbewerbsprinzips gelegen war.33 Die Ermächtigung zur Unwirksamkeitserklärung entfiel nur deshalb, weil sie angesichts der Ausgestaltung des § 19 Abs. 1 GWB als Verbot überflüssig ist. Die Unwirksamkeitserklärung durch die Kartellbehörden wirkte nur ex nunc34 und ist, weil die Rechtsfolgen des § 134 BGB ex tunc und schon von Gesetz wegen eintreten, nicht mehr erforderlich. Dieses Ergebnis wird durch einen Vergleich mit Artikel 102 AEUV (Art. 85 EGV, Art. 82 EG a. F.) bestätigt. Die überwiegende Meinung wendete seit Inkrafttreten der Norm § 134 BGB an.35 Die 6. GWB Novelle zielte, in Kenntnis des Gesetzgebers von dieser Rechtslage, auf eine Angleichung an das Europarecht.36
II. Art. 102 AEUV als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB Auch in Bezug auf Art. 102 AEUV spricht sich eine Mindermeinung gegen die Anwendung von § 134 BGB aus.37 Insbesondere wurde auf die Diskrepanz zwischen deutschem und europäischem Recht verwiesen, die zu überwinden sei.38 Während nach § 22 Abs. 4 GWB a. F. nur eine Unwirksamkeitserklärung durch die Kartellbehörden ex nunc in Betracht kam, ergab sich bei Anwendung des § 134 BGB i. V. m. Art. 102 AEUV regelmäßig eine ex tunc Nichtigkeit.39 Dieser Unterschied wurde mit der 6. GWB Novelle überwunden. § 19 Abs. 1, 2 GWB wurde in Anlehnung an Art. 102 AEUV als Verbot gefasst. In der Folge sind beide Normen Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB. Es wird des Weiteren darauf verwiesen, dass die Artikel 101 und 102 AEUV im Hinblick auf die zivilrechtlichen Rechtsfolgen bewusst unterschiedlich ausgestaltet worden seien. Während in Art. 101 AEUVexplizit die Nichtigkeit angeordnet werde, fehle es an einer derartigen Bestimmung bei Art. 102 AEUV. Daraus sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Nichtigkeit in 32
BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 unter I. 3. b) cc) zur Streichung des § 19 GWB a. F.; Paul, S. 104. 33 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 unter I. 2. Ziele und Gründe des Entwurfs. 34 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 22 GWB (a. F.) Rn. 195, 200. 35 Art. 86 EGV war bereits seit in Kraft treten mehrheitlich als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB angesehen worden, vgl.: OLG Dresden, 08. 04. 1998, WuW/DE-R 169 (172) „Elbauenwasser“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 416; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 389; Paul, S. 146 f.; Bechtold, ZHR 160 (1996), S. 660 (661); Emmerich, AG 2001, S. 520 (525); Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (406). 36 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle BT-Drucks. 13/9720 unter I. 2. Ziele und Gründe des Entwurfs. 37 Dirksen, in: Langen/Bunte (10. Aufl.), Art. 82 EG Rn. 208. 38 Diese Argumentation bezog sich auf die Rechtslage vor der 6. GWB Novelle als § 19 Abs. 1, 2 GWB noch nicht als Verbotsgesetz gefasst war. 39 Siehe soeben S. 82 f.
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den Fällen des Art. 102 AEUV nicht durchgängig gewollt habe.40 Diese Auffassung verkennt den wahren Hintergrund für den Verzicht auf die Rechtsfolgenanordnung in Art. 102 AEUV. Art. 101 AEUV erfasst im Kernbereich horizontale und vertikale vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen. In Art 102 AEUV steht tatsächliches Verhalten im Vordergrund, welches sich nur teilweise in rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen niederschlägt.41 Die anerkannten Fallgruppen sind vielfältig und verschiedenartig. Die Norm ist in ihrer generalklauselartigen, allein durch eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielsfällen konkretisierenden Gestaltung, offen für eine Fortentwicklung bei Auftreten neuer missbräuchlicher Verhaltensweisen. Deshalb hat sich der europäische Gesetzgeber mit einer Anordnung der Nichtigkeit zurückgehalten und die Regelung den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten überlassen.42 Der EuGH43 geht davon aus, dass die Nichtigkeit gegen Art. 102 AEUV verstoßender Rechtsgeschäfte ein wirksames Sanktionsinstrument sein kann. Jedoch sei die Nichtigkeit nicht in jedem Fall angebracht. Hintergrund der fehlenden Rechtsfolgenanordnung ist also nicht ein bewusster Verzicht auf die Nichtigkeit, sondern eine Öffnung für eine Diskussion über die im Einzelfall angemessene Rechtsfolge. Man bedient sich dazu bewusst des Grundsatzes der Subsidiarität zugunsten der Mitgliedsstaaten, welcher es ermöglicht die Rechtsfolge national zu regeln. Die Mitgliedstaaten sind dabei frei, die Nichtigkeit oder eine andere passenden Rechtsfolge anzuordnen. Eine Grenze wird lediglich durch die europarechtlichen Erfordernisse von Effektivität und Gleichwertigkeit44 gezogen. Es wird darüber hinaus vorgetragen, dass eine Anwendung des § 134 BGB unterschiedslos eine Nichtigkeit der betreffenden Vereinbarungen nach sich ziehe. Das führe angesichts der unterschiedlichen Fallgruppen zu unangemessenen Ergebnissen und Rechtsunsicherheit.45 Vorzuziehen sei daher der Rückgriff auf die flexibleren Regelungen der §§ 138 und 242 BGB.46 Diese Argumentation verkennt allerdings, dass § 134 BGB aufgrund des im 2. Halbsatz enthaltenen Normzweckvorbehaltes eine flexible Rechtsfolgenanordnung zulässt. Die Nichtigkeit ist lediglich in Form einer Auslegungsregel für Zweifelsfälle vorgesehen. Im Übrigen entscheidet der Zweck
40 Dirksen, in: Langen/Bunte (10. Aufl.), Art. 82 EG Rn. 208 unter Bezugnahme auf die Rechtslage vor der 6. GWB Novelle. 41 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 415; Paul, S. 103 f.; Wish, WuW 2001, S. 853. 42 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 415; Jung, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 387 f.; Wish, WuW 2001, S. 853. 43 EuGH, 27. 03. 1974, Slg. 1974 I, 313 (316 f.) „BRT-II“; EuGH, 11. 04. 1989, WuW/ EWG/MUV 841 (846 f.) „Flugtarife“; EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 489 (490) „Courage Ltd./Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“. 44 Siehe S. 33 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 416 f. 45 Dirksen, in: Langen/Bunte (10. Aufl.), Art. 82 EG Rn. 208. 46 Dirksen, in: Langen/Bunte (10. Aufl.), Art. 82 EG Rn. 208.
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des Verbotsgesetzes über die angemessene Rechtsfolge. Es steht eine Vielzahl von Alternativen zur Nichtigkeit zur Verfügung.47
III. Ergebnis § 19 Abs. 1, 2 GWB und Art. 102 AEUV sind Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB. Dafür sprechen Wortlaut, Gesetzessystematik, das Erfordernis einer effizienten Verbotsdurchsetzung und der Wille des Reformgesetzgebers der 6. GWB Novelle.48 Damit ist, angesichts des Normzweckvorbehaltes in § 134 2. Halbsatz BGB nicht gesagt, dass alle im Zusammenhang mit missbräuchlichem Verhalten stehenden Rechtsgeschäfte nichtig sind. Vielmehr ist jetzt erst der Weg für eine genauere Untersuchung eröffnet.
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Siehe dazu ausführlich S. 104 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 417 ff.; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 48 Der Wille des Reformgesetzgebers der 6. GWB Novelle ist auch in Bezug auf Art. 82 EG (Art. 102 AEUV) beachtlich, da sich die Rechtsfolgen eines Verstoßes nach nationalem Recht bestimmen, Weyer, AG 1999, S. 257 (258).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
B. Verbot und Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 1 GWB sowie Abgrenzung zu Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB I. Die Abgrenzung von Art. 101 zu 102 AEUV und die Bedeutung für die Rechtsfolgenbestimmung Die Anwendungsbereiche von Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 AEUV überschneiden sich teilweise im Bereich vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen.1 Liegt ein Verstoß, sowohl gegen Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV als auch gegen Art. 102 AEUV vor, so ist die zivilrechtliche Sanktion des Art. 101 Abs. 2 AEUV zu beachten. Danach sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Beschlüsse nichtig. Die Nichtigkeit tritt unmittelbar ex tunc ein. Art. 101 Abs. 2 AEUV lässt keinen Spielraum für alternative Rechtsfolgenanordnungen.2 Art. 102 AEUV bestimmt die Rechtsfolge nicht selbst. Gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 der VO 1/2003 können die Mitgliedstaaten im Bereich von Art. 102 AEUV strengere nationale Regelungen vorsehen. Damit ist aber lediglich der materielle Tatbestand gemeint und nicht dessen Rechtsfolgen. Die VO 1/2003 lässt die Anwendung von § 134 BGB auf Vereinbarungen nach Art. 102 AEUV unberührt.3 Während Art. 101 Abs. 2 AEUV die Nichtigkeit als exklusive Rechtsfolge vorsieht, ist sie in § 134 BGB nur vorgesehen, falls nicht der Zweck des Verbotsgesetzes eine andere Regelung erfordert.4 Das Verhältnis zwischen Art. 101 Abs. 2 AEUV und Art. 102 AEUV i. V. m. § 134 BGB ist also nicht spannungsfrei. Dieses Spannungsverhältnis ist unter Beachtung des Anwendungsvorranges der Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV zu lösen,5 welcher in Art. 3 Abs. 2 S. 1 der VO 1/2003 seinen Niederschlag gefunden hat. Art. 101 Abs. 2 AEUV wird zwar nicht erwähnt. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt aber allgemein für das europäische Primärrecht ein Anwendungsvorrang, soweit die betreffende Norm unmittelbar anwendbar ist. Das trifft auf Art. 101 Abs. 2 AEUV zu.6 Darüber hinaus ist der „effet utile“ Grundsatz der größtmöglichen Wirksamkeit europäischen Rechts zu beachten.7 Das bedeutet, dass bei gleichzeitiger Anwend1
Siehe S. 42 f. EuGH, 30. 06. 1966, Slg. 1966, S. 282 (283 f., 304) „Maschinenbau Ulm“; EuGH, 25. 11. 1971, Slg. 1971, S. 949 (950, 964) „Beguelin“; EuGH, 14. 12. 1983, WuW/EWG/MUV 629 (630) „Zementimport“; EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1482 f.) „CEPSA/Tobar“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/ DE-R 1449 (1451 f.) „Bezugsbindung“; OLG Düsseldorf, 23. 03. 2005, WuW/DE-R 1573 (1573, 1576) „Pflanzeneinstecketikett“; a. A. für Zulassung einer geltungserhaltenden Reduktion Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 224 ff. 3 Siehe bereits S. 83 f. 4 Siehe zu § 134 BGB S. 99 ff. und S. 104 ff. 5 Siehe bereits S. 38 f.; vgl. auch Görner, S. 35 f. 6 Siehe bereits S. 38 f. 7 Siehe bereits S. 33 ff. 2
B. Verbot und Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 1 GWB
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barkeit von Art. 101 Abs. 1 und 102 AEUV die Rechtsfolge für verbotene Vereinbarungen aus Art. 101 Abs. 2 AEUV zu entnehmen ist.8 § 134 BGB wird verdrängt.
II. Die Kriterien für die Abgrenzung von Art. 101 und Art. 102 AEUV Die Abgrenzungsproblematik soll, ohne dass sie im Rahmen dieser Arbeit erschöpfend behandelt werden kann, in Form eines kurzen Überblickes dargestellt werden. Ein koordinatives Zusammenwirken liegt vor, wenn mehrere Unternehmen bewusst und gewollt gemeinsam handeln.9 Das ist zunächst der Fall, wenn sich Vertragspartner zu einem bestimmten wettbewerbswidrigen Verhalten verpflichten. Eine solche Vereinbarung unterfällt auch dann Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn sich ein Vertragsbeteiligter lediglich dem Druck eines anderen beugt. Auf Freiwilligkeit kommt es nicht an.10 Rechtsgeschäfte, die in Durchführung derartiger Vereinbarungen vorgenommen werden, sind auch dann an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen, wenn sie sich vordergründig als einseitige Handlung darstellen.11 Denn indem der andere Teil der vorausgegangenen Vereinbarung, etwa einer selektiven Vertriebsbindung zugestimmt hat, erklärt er sich mit darauffolgenden Durchführungshandlungen stillschweigend einverstanden.12 Obgleich einfache Austauschverträge regelmäßig nicht nach Art. 101 AEUV zu beurteilen sind, kommen Ausnahmen dann in Betracht, wenn aufgrund der Langfristigkeit, der Ausschließlichkeit oder der Gewährung besonderer Vorteile eine über den immanenten Vertragszweck hinausgehende Wettbewerbsbeschränkung festzustellen ist.13 Über den Abschluss und die Durchführung von Vereinbarungen hinausgehend, kann jede Form abgestimmter 8 OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861 f.) „Stadtwerke Aachen“ zur Nichtigkeit eines langfristigen Gasbezugvertrages nach Art. 81 Abs. 2 EG (101 Abs. 2 AEUV) und Art. 82 EG (Art. 102 AEUV), sowie § 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 GWB (§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB) i. V. m. § 134 BGB; vgl. auch BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433) „ORWI“. 9 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 87 f. 10 Kommission, 28. 01. 1998, WuW/EU-V 50 (52 f.) „VW“; BKartA, 25. 09. 2009, WuW/ DE-V 1813 (1818 ff.) „Kontaktlinsen“. 11 EuGH, 17. 09. 1985, WuW/EWG/MUV 709 (710 f.) „Ford“; Kommission, 28. 01. 1998, WuW/EU-V 50 (52 f.) „VW“; BKartA, 25. 09. 2009, WuW/DE-V 1813 (1818 ff.) „Kontaktlinsen“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 70 f.; Taube, S. 65 ff. 12 EuGH, 17. 09. 1985, WuW/EWG/MUV 709 (710 f.) „Ford“; EuG, 26. 10. 2000, WuW/ EU-R 367 (368 ff.) „Bayer AG“ und nachfolgend EuGH, 06. 01. 2004, WuW/E EU-R 769 (772 f.) „BAI und Kommission/Bayer“; Kommission, 28. 01. 1998, WuW/EU-V 50 (52 f.) „VW“; BKartA, 25. 09. 2009, WuW/DE-V 1813 (1818 ff.) „Kontaktlinsen“. Das gilt nicht, wenn die Durchführung auf rechtswidrige Anweisungen zurückgeht, weil dann nicht unterstellt werden kann, dass das gebundene Unternehmen bei Vertragsschluss einer solchen Verfahrensweise zugestimmt hat: EuG, 03. 12. 2003, WuW/EU-R 761 (762 f.) „VW-Händlerverträge“; Taube, S. 79 f. 13 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 72.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verhaltensweisen den Verbotstatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV verwirklichen. Entscheidend ist, ob „eine bewusste praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs“ tritt.14 Es kann bereits genügen, dass sich die Marktgegenseite rein faktisch an vom Anbieter oder Nachfrager gestellte Vorgaben hält. Insoweit ist eine zumindest konkludente Zustimmung der Abnehmer oder Lieferanten erforderlich.15 Wird dagegen die Strategie vom Marktbeherrscher allein geplant und unabhängig vom Willen der Marktgegenseite umgesetzt, findet nur Art. 102 AEUV Anwendung. Die Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV findet unabhängig davon statt, ob eine Einzel- oder Gruppenfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV i. V. m. einer GVO vorliegt.16 Das heißt insbesondere, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen sich zur Rechtfertigung eines missbräuchlichen Verhaltens nicht auf eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, gegebenenfalls i. V. m. einer GVO berufen kann. Allerdings ist das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung mit einer Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV ohnehin nur schwer zu vereinbaren, da die in Art. 101 Abs. 3 AEUV vorausgesetzten positiven Wirkungen regelmäßig nicht eintreten werden.17 Abgrenzungsprobleme zwischen Art. 101 und Art. 102 AEUV entstehen vor allem bei Rabattsystemen, Kopplungen, Bezugs- und Vertriebsbindungen, sowie Verwendungsbeschränkungen.18 Soweit Art. 101 und 102 AEUV anwendbar sind, stehen die Vorschriften zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz, d. h. sie sind nebeneinander anwendbar.19 Für die Abgrenzung von ein- und zweiseitigen Verhaltensweisen müssen, auch soweit die §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB anzuwenden sind, die vom EuGH entwickelten Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der Anwendungsbereich kooperativer Verhaltensweisen zu eng gezogen und damit der Anwendungsvorrang von Art. 101 AEUV nicht effektiv umgesetzt wird.20
III. Das Verhältnis von Art. 101 AEUV zu § 1 GWB § 1 GWB ist in der Fassung der 7. GWB Novelle in seinem Wortlaut Art. 101 Abs. 1 AEUV angepasst worden. § 2 GWB wiederholt Art. 101 Abs. 3 AEUV und erklärt die Gruppenfreistellungsverordnungen des Europäischen Rechts für unein14
EuGH, 17. 09. 1985, WuW/EWG/MUV 709 (710 f.) „Ford“; EuG, 26. 10. 2000, WuW/ EU-R 367 (368 ff.) „Bayer AG“; BKartA, 25. 09. 2009, WuW/DE-V 1813 (1817) „Kontaktlinsen“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 89; Taube, S. 71 ff. 15 EuGH, 06. 01. 2004, WuW/E EU-R 769 (772 f.) „BAI und Kommission/Bayer“; BKartA, 25. 09. 2009, WuW/DE-V 1813 (1818 ff.) „Kontaktlinsen“. 16 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 26 ff. 17 Siehe auch S. 325 ff. 18 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 28. 19 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 26. 20 Siehe zum Grundsatz der Effektivität bereits S. 33 ff.
B. Verbot und Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 1 GWB
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geschränkt anwendbar. Der deutsche Gesetzgeber hat dadurch und in Verbindung mit der Neuregelung des § 22 GWB die Vorgaben der VO 1/2003 auch im nationalen Recht umgesetzt.21 Im Ergebnis steht in diesem Bereich eine, nur durch § 3 GWB geringfügig durchbrochene, fast umfassende Angleichung des deutschen an das europäische Recht. Damit ist der Gesetzgeber über den durch Art. 3 Abs. 1 und 2 VO 1/2003 angeordneten Vorrang des Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV hinausgegangen.22 Über den Bereich des zwischenstaatlichen Handels hinaus ist davon auszugehen, dass auf abgestimmtem Verhalten beruhende Wettbewerbsbeschränkungen nach dem Maßstab europäischen Rechts zu beurteilen sind.23 Das gilt auch für die Rechtsfolgen verbotswidrigen Verhaltens. Zwar sehen die, dem Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV nachempfundenen §§ 1, 2 GWB keine unmittelbare Nichtigkeit vor, sondern belassen es bei der Anwendbarkeit von § 134 BGB. Allerdings ordnet § 22 Abs. 1 GWB einen Anwendungsvorrang von Art. 101 Abs. 1 AEUVan. Das deutsche Recht kann daneben angewandt werden, darf aber nicht zu widersprechenden Ergebnissen führen.24 Im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 und dem „effet utile“ Grundsatz gilt dann auch Art. 101 Abs. 2 AEUV. Das bedeutet in Fällen, in denen § 1 GWB neben Art. 101 AEUV zur Anwendung kommt, muss auch im deutschen Recht die Nichtigkeit als Rechtsfolge eintreten. Das wird durch die Behandlung von § 1 GWB als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB erreicht. § 1 GWB ist als Verbot formuliert. Die Norm war bereits in der Fassung der 6. GWB Novelle als Verbotsgesetz anerkannt, nachdem in früheren Fassungen die Nichtigkeit unmittelbar in § 1 GWB a. F. als Sanktion ausgesprochen worden war.25 Um die vom Gesetzgeber beabsichtigte Übereinstimmung mit dem Europarecht zu erreichen, ist der nach § 134 2. Halbsatz BGB maßgebliche Normzweck des § 1 GWB als durchgängig auf Nichtigkeit gerichtet anzusehen. Das gilt nicht nur für die Fälle einer parallelen Anwendung von Art. 101 AEUV und § 1 GWB, sondern auch bei alleiniger Anwendbarkeit des § 1 GWB wegen ausschließlicher Betroffenheit des deutschen Rechts. Das ist einerseits notwendig, um eine Einheitlichkeit der Rechtsfolgenanordnung zu erreichen. Denn es wäre nicht einzusehen und mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren, je nachdem, ob der zwischenstaatliche Handel betroffen ist oder nicht, verschiedene Rechtsfolgen für das gleiche verbotswidrige Verhalten vorzusehen. Und andererseits gewährleistet die Nichtigkeitssanktion, dass das gesetzgeberische Ziel der Angleichung an das Europarecht umfassend erreicht wird. 21
BegrRegE 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, Teil B. zu Nummer 4 (§§ 2 bis 4) und zu Nummer 11 (Neufassung der §§ 22 und 23) zu § 22. 22 Siehe bereits S. 42 f. 23 BegrRegE zur 7. GWB Novelle BT-Drucks. 15/3640, A. 4. a) und B. Art. 1 zu § 2. 24 Erwägungen des Rates der EU zur VO 1/2003, ABl. L 001 vom 04. 01. 2003, Ziffer 8; BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, A. 4. a). 25 Zur Nichtigkeitssanktion des § 1 GWB in der Fassung vor der 6. GWB Novelle, vgl. Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, (2.Aufl.), § 1 GWB Rn. 393 ff.; zu § 1 GWB i. d. F. der 6. GWB Novelle BegrRegE BT-Drucks. 13/9720 II. zu § 1; Krauß, in: Langen/Bunte, § 1 GWB Rn. 26 f.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
IV. Abgrenzung zwischen § 1 und §§ 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB und Rechtsfolgenbestimmung Wird § 1 GWB ebenso ausgelegt wie Art. 101 Abs. 1 AEUV, so bedeutet das auch, dass für die Abgrenzung zwischen § 1 GWB und § 19 Abs. 1, 2 GWB die gleichen Maßstäbe zugrunde zu legen sind, wie für die Abgrenzung zwischen Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 AEUV. Soweit es zu Überschneidungen zwischen § 1 und § 19 Abs. 1, 2 GWB kommt, ist hinsichtlich der Beurteilung wettbewerbswidriger Vereinbarungen § 134 BGB anzuwenden. Der Normzweck des § 1 GWB erfordert die Nichtigkeit. Für § 19 Abs. 1, 2 GWB ist die Nichtigkeit nicht zwingend. Gleichwohl ist für die Fälle der Überschneidung mit § 1 GWB davon auszugehen, dass auch die Anwendung von § 19 Abs. 1, 2 GWB und § 134 BGB zur Nichtigkeit führt. Dieses Ergebnis ist gerechtfertigt, um eine einheitliche Anwendung des § 1 GWB in Übereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV zu gewährleisten. Wird § 1 GWB neben Art. 101 Abs. 1 AEUV angewandt, so setzt sich Art. 101 Abs. 2 AEUV als Rechtsfolge nicht nur gegen Art. 102 AEUV i. V. m. § 134 BGB, sondern auch gegen §§ 19 Abs. 1, 2 GWB i. V. m. § 134 BGB durch. Ist Art. 101 AEUV nicht anwendbar, so hat, wie oben ausgeführt zu gelten, dass über § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB Nichtigkeit eintritt.26 Das darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Ziel der Angleichung an das Europarecht27 darf nicht durch eine abweichende Anwendung von § 19 Abs. 1, 2 GWB i. V. m. § 134 BGB konterkariert werden. Wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die sowohl nach Art. 101 Abs. 1 AEUV als auch nach Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB verboten sind, sind nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. Ist § 1 GWB neben § 19 Abs. 1, 2 GWB (und § 20 Abs. 1 3 GWB) anwendbar, so sind die von den Verboten erfassten Vereinbarungen nach § 134 BGB nichtig.
V. Reichweite der Nichtigkeit und Teilnichtigkeit Bei Anwendung des Art. 101 Abs. 2 AEUV gilt, dass die Sanktion nicht weiter reichen darf als der Verbotsverstoß, weil anderenfalls die Wettbewerbsfreiheit verkürzt würde.28 Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten.29 Das bedeutet, dass die Wirkungen der Nichtigkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung für das Rechtsgeschäft im Übrigen nicht allein und unmittelbar aus 26
Siehe soeben S. 88 f. BegrRegE zur 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13/9720, I. 2. und zur 7. GWB Novelle, BTDrucks. 15/3640, A. 4. a); siehe bereits 36 ff. 28 BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1451 f.) „Bezugsbindung“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 221. 29 Siehe auch S. 107 f. 27
B. Verbot und Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 1 GWB
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Art. 101 AEUV hergeleitet werden können. Die Norm enthält keine abschließende Aussage dazu, welche Folgen bei Teilnichtigkeit eintreten.30 Das europäische Recht beschränkt sich dem Grundsatz der Subsidiarität gemäß auf das zum Schutz des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt notwendige Maß. Daraus folgt, dass das Problem der Teilnichtigkeit nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu lösen ist.31 Dementsprechend ist grundsätzlich § 139 BGB zur Anwendung zu bringen.32 Bevor aber der hypothetische Parteiwille entscheiden kann, ist zu prüfen, ob nicht aus dem Zweck des Verbotsgesetzes selbst eine Aussage über die Aufrechterhaltung oder die Nichtigkeit des nicht wettbewerbswidrigen Vertragsteils zu entnehmen ist. Dogmatisch folgt diese Entscheidung aus Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV selbst. Es handelt sich nämlich um die Frage, in welchem Umfang Nichtigkeit vom Zweck des Verbotsgesetzes gefordert ist. Hier besteht eine Parallele zur Anwendung von § 134 BGB auf das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV.33 Art. 101 Abs. 2 AEUV legt zunächst den Umfang der Nichtigkeit selbst fest.34 Aus Art. 101 Abs. 2 AEUV kann auch folgen, dass ein Rechtsgeschäft gesamtnichtig ist, obgleich nur einzelne Teile wettbewerbswidrige Bestimmungen enthalten.35 Denkbar ist auch, dass der nicht wettbewerbswidrige Teil in jedem Fall aufrechtzuerhalten, § 139 BGB also nicht anzuwenden ist. Entscheidend für den Umfang der Sanktion ist der Gesamtzusammenhang zwischen wettbewerbsbeschränkenden und an sich rechtmäßigen Bestandteilen im Einzelfall. Maßgeblich ist, dass einerseits die Wettbewerbsbeschränkung vollständig beseitigt wird und andererseits der verbleibende Teil eine in sich stimmige, sinnvolle Regelung bietet.36 Erst wenn nach diesen Überlegungen feststeht, dass eine teilweise Aufrechterhaltung möglich ist, ist der Weg frei für § 139 BGB und den hypothetischen Parteiwillen. Vorrangig zu berücksichtigen sind sal-
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Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 222 ff. 31 EuGH, 30. 06. 1966, Slg. 1966, S. 282 (283 f., 304) „Maschinenbau Ulm“; EuGH, 14. 12. 1983, WuW/EWG/MUV 629 (630) „Zementimport“; BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21. 32 BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „Classic-Line“; OLG Düsseldorf, 13. 08. 2014, WuW/DE-R 4431 (4436 f.) „Nachvertragliches Wettbewerbsverbot“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 23; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 222. 33 Siehe auch S. 114 f. 34 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 22. 35 BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG Düsseldorf, 13. 08. 2014, WuW/DE-R 4431 (4436 f.) „Nachvertragliches Wettbewerbsverbot“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 22; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 221. 36 BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21 f., 24; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 221.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
vatorische Klauseln, Abreden zur Ergänzung im Fall der Nichtigkeit und die ergänzende Vertragsauslegung.37
VI. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass in Fällen der Überschneidung von Art. 101 und 102 AEUV Nichtigkeit im Umfang der wettbewerbswidrigen Bestandteile auf Grundlage des Art. 101 Abs. 2 AEUV eintritt. Die gleichzeitige Anwendung von § 134 BGB i. V. m. Art. 102 AEUV darf dann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. In Fällen, in denen § 1 GWB neben Art. 101 AEUV zur Anwendung kommt, tritt nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Nichtigkeit ein. Die parallele Anwendung von § 134 BGB i. V. m. § 1 GWB führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für die Abgrenzung zwischen § 1 GWB und § 19 Abs. 1, 2 GWB sind die gleichen Maßstäbe zugrunde zu legen, wie für die Abgrenzung zwischen Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 AEUV. Der nach § 134 BGB maßgebliche Normzweck des § 1 GWB erfordert in Anlehnung an Art. 101 Abs. 2 AEUV stets die Nichtigkeit eines danach verbotenen Rechtsgeschäfts. Verstößt dieses Rechtsgeschäft dann zugleich gegen § 19 Abs. 1. 2 GWB (§ 20 Abs. 1, 3 GWB) tritt aufgrund des § 134 BGB in gleichem Umfang Nichtigkeit ein. Ob und in welchem Umfang ein Rechtsgeschäft ganz oder teilweise nichtig ist, richtet sich zunächst nach dem Normzweck des Art. 101 Abs. 2 AEUV, der in jedem Einzelfall eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV gesondert zu ermitteln ist. § 139 BGB findet nur subsidiär Anwendung. Ein gleichzeitiger Verstoß gegen eines der Missbrauchsverbote und die Anwendung von § 134 BGB führt dann nicht zu abweichenden Ergebnissen. Diese Ausführungen gelten entsprechend für das Verhältnis von § 1 GWB zu § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1, 3 GWB), weil für die Anwendung von § 1 GWB die gleichen Maßstäbe gelten wie für Art. 101 AEUV.38
37 OLG Düsseldorf, 13. 08. 2014, WuW/DE-R 4431 (4436 f.) „Nachvertragliches Wettbewerbsverbot“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 26, 31. 38 Siehe S. 88 f.
C. Rechtsgeschäft und Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot
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C. Rechtsgeschäft und Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot I. Die Funktion des § 134 BGB und des Art. 101 Abs. 2 AEUV Die Formulierungen „Die … verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig“ in Art. 101 Abs. 2 AEUV und „Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt“ in § 134 BGB beziehen sich jeweils auf das Zusammentreffen von verbotswidrigem Handeln und der Vornahme eines Rechtsgeschäfts.1 Geschieht dies im Rahmen des durch Art. 101 Abs. 1, 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 (bzw. §§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) beschriebenen rechtswidrigen Verhaltens, besteht die Gefahr, dass wirtschaftliche Macht in Rechtsmacht transferiert wird. Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB haben deshalb die Aufgabe solchen Rechtsgeschäften die Wirkung zu versagen, die aufgrund ihres Inhalts oder der Umstände ihres Zustandekommens nicht anerkannt werden sollen.2 Die Verbotsgesetze enthalten die diesbezüglichen materiell rechtlichen Wertungen. § 19 Abs. 1, 2 GWB (§§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) und Art. 102 AEUV stellen tatsächliche Verhaltensanforderungen auf, indem sie Verbote wettbewerbswidrigen Verhaltens formulieren.3 Anknüpfungspunkt ist also eine bestimmte natürliche Handlung, welche in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann.4 Im Vordergrund steht damit die deliktsrechtliche Bedeutung.5 Da diese Bestimmungen nicht an eine bestimmte rechtsgeschäftliche Form anknüpfen,6 bedarf es des § 134 BGB, der weitergehend die Konsequenzen für Rechtsgeschäfte formuliert. Im Zusammenspiel mit Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB (bzw. §§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) sanktioniert § 134 BGB also solche Rechtsgeschäfte, welche die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit anderer Marktteilnehmer beschränken. Missbrauch der Wettbewerbsfreiheit wird zum Nichtigkeitsgrund.7 Auch Art. 101 Abs. 1 AEUV knüpft an tatsächliches Verhalten an.8 Als Oberbegriff dient das Verbot abgestimmter 1
Amm, S. 39 ff., 235 ff. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 1 ff.; Busche, S. 128. 3 Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (405 f.); ders., AcP 206 (2006), S: 169 (184 ff.). 4 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 134, 415; Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (184 ff.); vgl. auch allgemein Westphal, S. 59 ff. 5 Allgemein für das Kartellrecht Bydlinski, S. 614; Schmidt, K., in: FS Schumann, S. 405 (406). 6 Im Gegensatz dazu stand noch § 1 GWB i. d. F. vor der 6. GWB Novelle, dessen Verbot an die Form des Vertrages gebunden war, vgl. dazu Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (184 ff.) und § 34 GWB a. F., der ein Schriftformerfordernis aufstellte und dagegen verstoßende Rechtsgeschäfte für nichtig erklärte; vgl. zu Art. 81, 82 EG (Art. 101, 102 AEUV n. F.) Wish, WuW 2001, S. 853. 7 Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (184 ff.). 8 § 1 GWB ist in der Folge der Angleichung des deutschen an das europäische Recht im Zuge der VO 1/2003 und der 7. GWB Novelle ebenso auszulegen wie Art. 101 AEUV; siehe S. 38 ff. und S. 42 ff. 2
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verhaltensweisen. Vereinbarungen und Beschlüsse sind nur Konkretisierungen.9 Dass sie als verboten bezeichnet werden, ist im Grunde ungenau. Denn ein Verbot kann sich nur auf menschliches Handeln beziehen. Art. 101 Abs. 1 AEUV verwendet die Begriffe Vereinbarungen und Beschlüsse dagegen als juristische Denkkategorien. Da es sich um Rechtsgeschäfte handelt, ist Art. 101 Abs. 2 AEUV notwendig. Koordinative Wettbewerbsbeschränkung wird zum Nichtigkeitsgrund. Im Kern geht es aber auch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV um Verhaltensweisen, die nicht wegen einer besonderen rechtgeschäftlichen Gestaltung, sondern wegen ihres faktisch koordinativen Charakters verboten sind. Somit ist auch Art. 101 AEUV eine deliktische Verbotsnorm.
II. Vornahme eines Rechtsgeschäfts und Verbotsverstoß Jedes Rechtsgeschäft setzt eine natürliche Handlung, nämlich die Äußerung eines Willens und, abgesehen von Ausnahmefällen wie §§ 151 S. 1 BGB bzw. 362 HGB, die Entgegennahme einer Erklärung voraus. Durch das mit dieser Handlung verbundene Bewusstsein eine Beziehung herzustellen, an die das Gesetz Rechtsfolgen knüpft, entsteht das Rechtsgeschäft.10 Dieses führt als solches nicht zu einem real wahrnehmbaren Erfolg. Es entsteht lediglich ein rechtliches Konstrukt, eine nur gedachte Sonderbeziehung. Indem aber die Rechtsordnung an Rechtsgeschäfte, je nach deren Natur divergierende Verhaltenspflichten anknüpft und für den Fall der Nichteinhaltung derartiger Pflichten Sanktionen bereithält, ist eine rechtsgeschäftliche Bindung Instrument sozialer Verhaltenssteuerung. Sind derartige rechtliche Beziehungen auf die Begründung von Pflichten zu wettbewerbsschädigendem Verhalten gerichtet, verbieten Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 AEUV, sowie § 19 Abs. 1, 2 GWB (bzw. § 20 Abs. 1 bis 3 GWB) die Abgabe der Willenserklärungen als natürlicher Handlung. Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB formulieren lediglich die Folgen für das Rechtsgeschäft. Die Normen eröffnen damit den Weg zur Nichtigkeit bzw. im Fall des § 134 BGB einer anderen angemessenen Sanktion.
III. Fallgruppen Viele Verstöße gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB stehen nicht im Zusammenhang mit der Vornahme von Rechts-
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Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 87 f. Der Geltungsgrund rechtsgeschäftlichen Handelns ist „auf ein sich ergänzendes Nebeneinander von privatem Willen einerseits und Anerkennung dieses Willens durch die Rechtsordnung andererseits zurückzuführen.“; Amm, S. 27 ff., 36. 10
C. Rechtsgeschäft und Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot
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geschäften.11 Wenn aber ein Rechtsgeschäft zu beurteilen ist, so kann es, muss aber nicht Teil der verbotenen Handlung sein. Möglicherweise stellt sich das Rechtsgeschäft als bloße Folge eines vorangegangen wettbewerbswidrigen Verhaltens dar. Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB sind dann nicht anwendbar. Einer Erörterung bedarf also, wann überhaupt die Vornahme eines Rechtsgeschäftes zugleich eine wegen des Verstoßes gegen Art. 102 AEUV oder Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB verbotene Handlung ist. Die Rechtsprechung zeigt, dass drei Fallgruppen gebildet werden können. Denkbar ist, dass Wettbewerbsverstoß und Abschluss eines Vertrages selbständig nebeneinander stehen. Bedient sich der Normadressat nur bei der Anbahnung eines Vertrages wettbewerbswidriger Mittel und ist der Vertrag selbst nicht rechtswidrig, dann verstößt das Rechtsgeschäft nicht gegen das gesetzliche Verbot. Es handelt sich dann um einen nicht wettbewerbswidrigen Folgevertrag.12 Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB greifen nicht ein. Das Rechtsgeschäft bleibt wirksam. Als Beispiel möge eine Bezugsbindung in einem Rahmenvertrag dienen. Ist diese Bindung missbräuchlich, so verstößt zwar der Rahmenvertrag insoweit gegen Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV und § 134 BGB i. V. m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB bzw. Art. 102 Satz 2 lit. b) AEUV.13 Aber ein Kaufvertrag, den der Abnehmer in der Annahme schließt, er sei aufgrund der Bindung dazu verpflichtet, unterscheidet sich nicht von beliebigen anderen Verträgen über den Austausch von Leistungen. Dieser Vertrag ist zwar Folge der missbräuchlichen Bindung, aber selbst nicht wettbewerbswidrig i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV, Art. 102 Satz 2 lit. b) AEUVoder § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB.14 Verstößt dagegen der Inhalt eines Rechtsgeschäfts gegen Art. 101, 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 GWB, dann unterfällt dieses Rechtsgeschäft dem gesetzlichen Verbot.15 Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB finden Anwendung. Als Beispiel seien Verträge genannt, welche eine unzulässige Kopplungsvereinbarung enthalten.16 Schließlich kann ein Rechtsgeschäft, obgleich sein Inhalt nicht wettbewerbswidrig ist, wegen eines Wettbewerbsverstoßes bei der Geschäftsanbahnung infolge eines engen Zusammenhanges mit der Vertragsdurchführung ein einheitliches missbräuchliches 11
Praktisch liegt jedoch der Schwerpunkt der Rechtsanwendung im Bereich des Art. 101 AEUV bei Verstößen, die im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften begangen werden: Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 26 ff. 12 Zum Kartellverbot und zur Differenzierung zwischen Ausführungs- und Folgeverträgen: Paul, S. 23 f., die – wie auch hier vertreten – diese Differenzierung für den Anwendungsbereich von Art. 82 EG (jetzt Art. 102 AEUV) und §§ 19, 20 GWB übernimmt; des Weiteren Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 34 ff. m. w. N.; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 228; Schmidt, K., in: FS Möschel, S. 559, (561 ff.). 13 Siehe S. 334 ff. 14 Siehe S. 352 ff. 15 Es handelt sich dann um einen Ausführungsvertrag, dessen Inhalt selbst rechtswidrig ist: BGH, 23. 09. 1955, BGHSt 8, 221, für Folgeverträge von Kartellabsprachen; vgl. des weiteren OLG Köln, 24. 01. 1975, WRP 1975, S. 170 (173); Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 22; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 227; Paul, S. 23 f.; Schmidt, K., in: FS Möschel, S. 559, (561 ff.). 16 Siehe im Einzelnen S. 289 f.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verhalten darstellen. Das ist der Fall, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten besonders schwerwiegend und das Rechtsgeschäft unmittelbar und untrennbar damit verbunden ist.17 Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB sind anzuwenden. Der Verstoß gegen das gesetzliche Verbot ergibt sich aus den Umständen des Vertragsschlusses. Als Beispiel sei der Fall angeführt, dass im Rahmen einer Zuteilung knapper Leistungen ein marktbeherrschendes (marktstarkes) Unternehmen einen Abnehmer rechtswidrig bevorzugt und einen anderen in diskriminierender Weise ausschließt. Hätte der Dritte den Zuschlag erhalten müssen, so verstößt der tatsächlich geschlossene Vertrag zwar nicht inhaltlich, aber aufgrund der Umstände seines Zustandekommens gegen Art. 102 Satz 2 lit. c) AEUV, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB.18 Um festzustellen, welche der vorgenannten Fallgruppen im Einzelfall vorliegt, ist zu fragen, ob sich ein Wettbewerbsverstoß in einer natürlichen, deliktischen Handlung erschöpft oder ob er sich zugleich auf eine im Sinne der Rechtsgeschäftslehre institutionelle Handlung erstreckt. Maßgeblich ist dabei der Sinn und Zweck des Verbots und insbesondere der vom Gesetzgeber geäußerte Wille zu einer effizienten Verbotsdurchsetzung. Aufgrund der generalklauselartigen Fassung sowohl des Art. 102 AEUV als auch des § 19 Abs. 1, 2 GWB und der unterschiedlichen Zielsetzung einzelner konkreter Verbotstatbestände sind die Rechtsfolgen der Anwendung von § 134 BGB für jeden Tatbestand gesondert zu prüfen.
IV. Das Verhältnis zum Deliktsrecht Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB in Verbindung mit Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) bestimmen die Grenzen rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Die Sanktionierung wettbewerbsschädigender Vereinbarungen oder einseitiger Verhaltensweisen ist ein wichtiger Baustein zur effizienten Verbotsdurchsetzung. Dadurch wird ein Wertungswiderspruch verhindert, der entstünde, bliebe trotz Wettbewerbsverstoßes ein Rechtsgeschäft bestehen, griffen aber zugleich Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche ein.19 Ein Rechtsgeschäft erst wirksam sein zu lassen, es aber dann durch deliktische Ansprüche zu beseitigen, führte zu zufälligen Ergebnissen und würde einem effizienten Wettbewerbsschutz nicht gerecht.20 Allerdings kann allein dadurch 17 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 22; zum deutschen Recht: BGH, 07. 10. 1993, NJW 1993, S. 3329 (3330) „Folgeverträge“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; dazu auch allgemein Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 161 f. 18 Siehe im Einzelnen zu den Rechtsfolgen S. 444 ff. 19 Ähnlich Bydlinski, S. 613; vgl. auch BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4150 f.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175) „Stromnetz Berkenthin“. 20 Siehe S. 80 f.
C. Rechtsgeschäft und Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot
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nicht ausgeschlossen werden, dass wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen außerhalb rechtsgeschäftlicher Kategorien rein faktisch praktiziert werden. § 33 Abs. 1, 3 GWB ermöglicht in Gestalt von Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen die Sanktionierung missbräuchlichen Verhaltens nicht nur dann, wenn ein Zusammenhang mit der Vornahme von Rechtsgeschäften nicht besteht, sondern auch, falls die Nichtigkeit oder Anpassung eines Rechtsgeschäfts vom Marktbeherrscher schlicht ignoriert werden. Denn schließlich kann die bloße Nichtanerkennung missbräuchlicher Rechtsgeschäfte den tatsächlichen wirtschaftlichen Druck, der vom marktbeherrschenden Unternehmen ausgeübt wird, nicht beseitigen.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
D. Die Normstruktur des § 134 BGB I. Verbotsverstoß und Sanktion Bei der Anwendung von § 134 BGB ist zuerst zu prüfen, ob Art. 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) dem Rechtsgeschäft tatsächlich entgegenstehen. Ist das der Fall, muss in einem zweiten Schritt die angemessene Sanktion auf Basis des, nach § 134 2. Halbsatz BGB maßgeblichen Normzwecks des Art. 102 AEUV bzw. des § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) ermittelt werden.1 Lässt der Normzweck eine eindeutige Bestimmung der Rechtsfolge nicht zu, tritt entsprechend der Auslegungsregel des § 134 1. Halbsatz BGB Nichtigkeit ein.2 Eine Gegenansicht spricht indes § 134 BGB jegliche eigenständige Bedeutung ab.3 Sie nimmt an, dass allein das Verbotsgesetz die Rechtsfolge bestimme. Folgerichtig lehnt sie eine Differenzierung in Feststellung der Verbotswidrigkeit und gesonderte Prüfung der Angemessenheit der Nichtigkeit ab.4 Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Auffassungen liegt darin, dass eine zweistufige Prüfung erlaubt, in § 134 BGB eine Auslegungsregel zu sehen. Danach tritt im Zweifel, nämlich dann, wenn das Verbotsgesetz eine eindeutige Feststellung der Rechtsfolge nicht zulässt, Nichtigkeit ein. Nach der Gegenauffassung gibt es eine derartige Auslegungsregel nicht.5 Sie verweist darauf, dass § 134 2. Halbsatz BGB keinen inhaltlichen Maßstab zur Rechtsfolgenbestimmung enthalte, sondern ausschließlich auf das Verbotsgesetz Bezug nähme. Folglich könne auch nur dieses maßgeblich sein.6 Indes ist diese Wortlautinterpretation ungenau. § 134 BGB sagt im ersten Teilsatz, dass verbotswidrige Rechtsgeschäfte nichtig sind. Die Einleitung des Nebensatzes mit den Worten „wenn sich nicht“ soll zum Ausdruck bringen, dass aufgrund des Verbotsgesetzes eine Ausnahme von der im ersten Teilsatz aufgestellten Regel notwendig werden kann.7 Insoweit kommt es auf den Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes an.8 Damit ergibt sich entgegen des theoretischen Regel Ausnahme 1
Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 417; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 41 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 34 f.; Paul, S. 107 f.; Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (511 f.); Emmerich, AG 2001, S. 520 (522). 2 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 57 ff.; Paul, S. 156 ff.; Westphal, S. 18 ff. 3 Amm, S. 241 ff., 250; Mailänder, Unerlaubte Kartellpraxis, S. 150; Köhler, JZ 2010, S. 767 (767 f.). 4 Amm, S. 241 ff., 250; Mailänder, Unerlaubte Kartellpraxis, S. 150; Köhler, JZ 2010, S. 767 (767 f.). 5 Die Rechtsprechung des BGH ist uneinheitlich; vgl. einerseits für Auslegungsregel BGH, 04. 04. 1966, BGHZ 45, 322 (326); andererseits ohne Differenzierung BGH, 23. 09. 1982, BGHZ 85, 39 (43); BGH, 30. 04. 1992, BGHZ 118, 142 (144 f.). 6 Amm, S. 241 ff., 250; Köhler, JZ 2010, S. 767 (767 f.). 7 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 58 m. w. N.; ebenso Kramer, S. 43 ff. 8 Siehe auch S. 102 ff.
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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Verhältnisses bei der praktischen Rechtsanwendung lediglich ein Vorrang des Gesetzeszweckes, nicht aber eine völlige Verdrängung der Regel des § 134 1. Halbsatz BGB. Gegen die Auffassung von der Inhaltslosigkeit des § 134 BGB spricht darüber hinaus, dass dem BGB Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, er habe nichtssagende Normen in das Gesetz aufnehmen wollen. Die Motive lassen erkennen, dass verbotene Rechtsgeschäfte im Zweifel nichtig sein sollten.9 Es ist daher davon auszugehen, dass § 134 BGB eine zweistufige Prüfung erfordert.
II. Dogmatik der Rechtsfolgenbestimmung nach § 134 2. Halbsatz BGB Die Auslegungsregel des § 134 1. Halbsatz BGB, die im Zweifel zur Nichtigkeit führt, ist im Verhältnis zum Normzweckvorbehalt des § 134 2. Halbsatz BGB nachrangig. Ordnet ein Verbotsgesetz selbst die Rechtsfolge an, so wird § 134 BGB verdrängt. Ein Beispiel für eine derartige Anordnung stellte § 1 GWB in der Fassung vor der 6. GWB Novelle dar.10 Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) enthalten keine Rechtsfolgenanordnungen. Deshalb muss durch Auslegung ermittelt werden, welche Rechtsfolge dem Verbotszweck am besten entspricht.11 Auf welche Kriterien es dabei ankommt, ist allerdings streitig. Es bedarf deshalb einer Erörterung, anhand welcher Kriterien die angemessene Rechtsfolge zu ermitteln ist, wenn feststeht, dass ein Rechtsgeschäft gegen Art. 102 AEUVoder § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) verstößt. Der Gesetzestext des § 134 BGB macht dazu keine Aussagen. Dementsprechend findet sich in Rechtsprechung und Literatur eine Mehrzahl von Ansätzen. 1. Die Unterteilung in ein- und zweiseitige Verbote Einen rein formalen Ansatz verfolgt die Lehre vom zweiseitigen Verbotsverstoß.12 Danach ist ein Rechtsgeschäft nur dann nichtig, wenn beide Beteiligte Normadressaten des Verbotsgesetzes sind. Verstößt nur eine Partei gegen das Gesetz bleibt das Rechtsgeschäft wirksam. Es wurde bereits gezeigt, dass dieser Ansatz nicht zu überzeugen vermag.13
9 Motive I, S. 210 = Mugdan I, S. 468; Bericht der Reichstagskommission (Ausgabe Guttentag), 1896, S. 42; vgl. auch Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 58. 10 Immenga, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 1 GWB Rn. 393. 11 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 417; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 78 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 34, 57 ff.; Paul, S. 156 ff.; Kramer, S. 11, 72 ff. 12 Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 171 ff.; Flume, WuW 1956, S. 457 (459 ff.). 13 Siehe bereits S. 78 f.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
2. Die Berufung auf den Charakter als Ordnungsnorm In der Reichsgerichtsrechtsprechung14 wurde die Unterscheidung zwischen bloßen Ordnungsvorschriften, vor allem gewerbepolizeilicher Art und solchen Gesetzen entwickelt, die sich gegen das Rechtsgeschäft als solches richten. Auch der BGH hat sich dieser Argumentation bedient.15 Diese Unterscheidung orientiert sich an der Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Jedoch kann die Zugehörigkeit des Verbotsgesetzes zu einem dieser Rechtsgebiete nicht ausschlaggebend sein.16 Zwar weist bereits die Gesetzesbegründung darauf hin, dass § 134 BGB vor allem die zivilrechtlichen Folgen öffentlich rechtlicher Verbote regeln sollte.17 Jedoch schließt das nicht aus, dass auch zivilrechtliche Normen Verbotsgesetze sein können. Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) zeigen beispielhaft, dass eine Vorschrift sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Recht zugehören kann.18 Die in Art. 102 AEUVund § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) enthaltenen Verbote regeln unmittelbar zivilrechtliche Beziehungen zwischen Marktteilnehmern und fungieren als deliktische Verhaltensnormen i. S. v. § 33 Abs. 1, 3 GWB. Zugleich schützen sie die Institution Wettbewerb im öffentlichen Interesse und sind i. V. m. §§ 32 ff. GWB bzw. Art. 7 VO 1/2003 Ermächtigungsgrundlage für hoheitliches Handeln der Kartellbehörden. Weitergehend bleibt unklar, nach welchen Kriterien bloße Ordnungsnormen charakterisiert und abgegrenzt werden sollen.19 Die Berufung auf den Ordnungsnormcharakter einer Vorschrift geschah im Hinblick auf die Vorstellung, man könne dadurch unterscheiden, ob die Vornahme des Rechtsgeschäftes oder nur das „Wie“ seiner Abwicklung verboten sei.20 Rechtsgeschäfte, die gegen Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) verstoßen, werden jedoch vorgenommen, weil ihre Durchführung wettbewerbsbeschränkende Wirkung hat. Eine derartige Einteilung ist also nicht praktikabel. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, warum nicht auch Normen, welche die Umstände der Durchführung eines Rechtsgeschäfts betreffen, zu einer angemessenen Sanktion führen können sollen.21 Auch die Rechtsprechung hat diesen Ansatz nicht konsequent aufrechterhalten. Zumeist findet sich der Hin-
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RG, 17. 03. 1905, RGZ 60, 273 (275 ff.); RG, 10. 10. 1919, RGZ 96, 343 (344 f.); RG, 09. 12. 1921, RGZ 103, 263 (264 f.); RG, 23. 02. 1923, RGZ 106, 316 (317 f.). 15 Zum Bsp.: BGH, 23. 04. 1968, NJW 1968, 2286 (2286 f.); BGH, 06. 02. 1992, NJW 1992, S. 1159 (1160); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 76 ff. m. w. N. 16 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 77; ebenso Kramer, S. 48 f.; Westphal, S. 47 ff. 17 Mugdan I. Band, 1899, S. 469; Westphal, S. 48. 18 Weitere Beispiele bei Westphal, S. 48 f. 19 Westphal, S. 49. 20 Amm, S. 219 ff. weist in Bezug auf Normen des Arzneimittelgesetzes nach, dass diese Einteilung nicht praktikabel ist. 21 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 2 ff., 77; Westphal, S. 48 ff.
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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weis auf den Ordnungscharakter eines Verbotsgesetzes als eine von mehreren Begründungen, um die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts zu verneinen.22
3. Unterscheidung zwischen verbotenen Umständen und verbotenem Inhalt Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes stellt es dar, will man zwischen verbotswidrigem Inhalt und verbotswidrigen Umständen von Rechtsgeschäften unterscheiden. Danach sollen nur solche Rechtsgeschäfte verboten sein, deren Inhalt gegen das Verbotsgesetz verstößt.23 Das sei insbesondere dann der Fall, wenn der mit dem Rechtsgeschäft erstrebte Erfolg von der Rechtsordnung missbilligt werde.24 Man müsse also zwischen solchen Verboten unterscheiden, die den Leistungserfolg oder aber die Leistungshandlung betreffen.25 Im ersten Fall trete stets Nichtigkeit ein, im zweiten käme Nichtigkeit lediglich bei Strafvorschriften in Betracht, während bei ordnungsrechtlichen Vorschriften lediglich die Erfüllungsansprüche zu versagen seien. Unabhängig davon, dass auch hier keine Antwort auf die Frage gegeben wird, welche Vorschriften Ordnungsvorschriften sind, ist festzustellen, dass eine Trennung zwischen Handlung und Erfolg gar nicht möglich ist.26 Zum Beispiel wird im Falle einer missbräuchlichen Vertriebsbindung der gebundene Vertragsteil dazu verpflichtet, die Belieferung bestimmter Händlern auf der nachfolgenden Marktstufe zu unterlassen. Das als Handlung einzuordnende Unterlassen ist der mit der Bindung angestrebte Erfolg. Auch die Rechtsprechung hat teilweise zwischen Inhalt eines Rechtsgeschäftes und dessen Umständen zu unterscheiden versucht.27 Allerdings gibt es eine Vielzahl von Beispielen, wo sich die Umstände unter denen das Rechtsgeschäft zustande gekommen ist von dessen Inhalt nicht trennen lassen. In solchen Fällen ist die Wertigkeit dieses Ansatzes zweifelhaft, denn eine eindeutige Entscheidung ist nicht möglich.28 Man kann dieses Problem am Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verdeutlichen. An einem Rechtsgeschäft, welches 22
BGH, 22. 05. 1978, BGHZ 71, 358 (360 ff.); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93 264 (267 ff.). Amm, S. 23 ff., 182 ff., 235 ff.; Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 34 f.; einschränkend auch OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“. 24 Amm, S. 23 ff., 182 ff.; Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 34 ff.; vgl. auch BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“. 25 OLG Köln, 25. 11. 1960, NJW 1961, S. 1023 (1024); Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 34 ff. 26 Die von Amm, S. 196 ff. besprochenen Beispiele verdeutlichen die Rechtsunsicherheit, die mit diesem Ansatz verbunden ist. 27 Gleichwohl wurde immer auch das Argument des Schutzzweckes der Norm herangezogen, z. B.: BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; vgl. auch Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 68 ff. 28 BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); Kramer, S. 36 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung, insbesondere aber S. 39. 23
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
gegen Art. 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 GWB verstößt, muss ein marktbeherrschendes Unternehmen beteiligt sein. Zählt die Eigenschaft marktbeherrschend zu sein nur zu den Umständen des Rechtsgeschäfts oder angesichts dessen, dass das Unternehmen Vertragspartei wird oder die Willenserklärung abgibt zu dessen Inhalt? Das Beispiel macht deutlich, dass eine Unterscheidung bezüglich der Umstände des Zustandekommens eines Rechtsgeschäfts und dessen Inhalt weder tragfähig, noch gerechtfertigt ist, um ermitteln zu können, ob Nichtigkeit im Sinne des § 134 BGB vorliegt. 4. Der Sinn und Zweck des Gesetzes als entscheidendes Kriterium Es wurde bereits angedeutet, dass die Rechtsprechung bezüglich der Rechtsfolgenbestimmung i. S. d. § 134 BGB verschiedentlich auf den Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes abgestellt hat. Häufig allerdings wurde dieser Ansatz mit weiteren Argumenten aus den zuvor genannten Ansätzen ergänzt. Sowohl die Unterscheidung nach Inhalt und Umständen als auch die Unterteilung in ein- und zweiseitige Verbotsverstöße tauchen ebenso immer wieder auf, wie das Argument, es liege eine rein ordnungsrechtliche Vorschrift vor.29 Auch haben die Gerichte diese Ansätze vielfach als alleinige Begründung genügen lassen. In anderen Fällen begründeten Gerichte eine Ausnahme von diesen Regeln mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes, welcher im Einzelfall eben eine Nichtigkeit oder den Fortbestand eines Rechtsgeschäfts erfordere.30 Teilweise hat sich die Rechtsprechung, und zwar bereits die des Reichsgerichts,31 später zunehmend auch des BGH32 jeglicher formeller Argumente 29 BGH, 22. 05. 1978, BGHZ 71, 358 (360 ff.); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (VillingenSchwenningen)“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2027 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, S. 3167 (3168 f.); BGH, 17. 12. 2013, WuW/ DE-R 4159 (4170) „Stromnetz Berkenthin“; vgl. Sack/Seibl, in: Staudinger, § 134 Rn. 68 ff. m. w. N. 30 BGH, 01. 06. 1966, BGHZ 46, 24 (25 ff.); BGH, 22. 05. 1978, BGHZ 71, 358 (360 ff.); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); BGH, 10. 07. 1991, BGHZ 115, 123 (125 ff.); BGH, 30. 04. 1992, BGHZ 118, 142 (144 ff.); OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2027 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; OLG Düsseldorf, 12. 03. 2008, WuW/DE-R 2518 (2519) „Nichtigkeit der Verlängerung eines Konzessionsvertrages“; BGH, 29. 06. 2010, WuW/DE-R 2973 (2976) „Teilnehmerdaten IV“; BGH, 01. 08. 2013, NJW 2013, S. 3167 (3169); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“. 31 RG, 19. 05. 1916, RGZ 88, 250 (251 ff.). Nach Einschätzung von Langen, in: FS Isay, S. 321 (329 ff.) war der Zweck des Verbotes bereits in der Reichsgerichtsrechtsprechung das wichtigste Kriterium. 32 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“, sowie OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2524 f.) „Schilderprägestelle“. Auch der EuGH hat bereits frühzeitig bei der Prüfung, ob eine Vereinbarung gegen Art. 85
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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enthalten und lediglich mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes argumentiert. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, welchen Wert Auslegungsregeln haben sollen, wenn nicht abzusehen ist, in welchen Fällen sie in welcher Weise anzuwenden oder aber Ausnahmen zu machen sind.33 Die Unzulänglichkeiten der formalen Ansätze liegen in der Unterschiedlichkeit der Verbotsgesetze begründet, die in der Regel nicht mit Blick auf die zivilrechtlichen Wirkungen erlassen werden. Deshalb ist es nicht möglich feste Prinzipien für alle Verbotsgesetze zu entwickeln.34 Um den Erfordernissen eines Verbotsgesetzes im Einzelfall gerecht zu werden, ist das Abstellen auf den Sinn und Zweck die einzig realistische Möglichkeit.35 Es gilt sich zu verdeutlichen, dass bei Erlass des BGB die Rechtsordnung im Vergleich zur Gegenwart relativ wenige Verbotsgesetze kannte. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass die moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wesentlich komplexer gestaltet ist als die sich erst auf dem Weg zur Industrialisierung befindliche Wirtschaftsordnung des 19. Jahrhunderts. Folglich hat die Zahl von Problemlagen und Interessenkonflikten stetig zugenommen. Mit der Zunahme an Komplexität verringerte sich die Möglichkeit durch formale Kriterien und einem Alles oder Nichts Prinzip noch angemessene Lösungen zu finden.36 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass mit einer am Zweck des Verbotsgesetzes orientierten Rechtsfolgendifferenzierung eine Zu- und nicht etwa Abnahme von Kontrollintensität verbunden ist. Denn eine Argumentation, welche eine Verhaltensweise nicht unter ein Verbotsgesetz fasst, weil die Rechtsfolge der Totalnichtigkeit unangemessen hart sei, ist dann nicht mehr stichhaltig.37 Auch in der Gesetzesbegründung finden sich Hinweise darauf, dass auf den Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes abzustellen ist.38 Dafür spricht auch der Wortlaut des Halbsatzes 2 des § 134 BGB.39 Gegen das Abstellen auf den Sinn und Zweck des Gesetzes spricht auch nicht eine damit etwa verbundene Rechtsunsicherheit wegen des weiten GestaltungsspielrauAbs. 1 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) verstößt, darauf abgestellt, ob diese eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt. Dabei sind auch die wirtschaftlichen Begleitumstände zu berücksichtigen: EuGH, 30. 06. 1966, Slg. 1966, S. 282 (283 f.) „Maschinenbau Ulm“. 33 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 75; Kramer, S. 36. 34 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 49; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 66; Beater, AcP 197, S. 505 (510 ff.); Langen, in: FS Isay, S. 321 (322 ff.) m. w. N. zur Reichsgerichtrechtsprechung. 35 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 49, 103; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 78; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 417; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 66; Hager, S. 63 ff.; Kramer, S. 72; Paul, S. 106 ff., 158 ff.; Westphal, S. 65 ff.; van Venrooy, BB 1979, S. 555 (556); Damm, JZ 1986, S. 913 (916 f.); Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (432, 434); Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (510 ff.); Köhler, JZ 2010, S. 767 (767 f.). 36 Damm, JZ 1986, S. 913 (914, 916). 37 Damm, JZ 1986, S. 913 (916 f.). 38 Mugdan I. Band, S. 969. 39 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 59, 63 f.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
mes des Rechtsanwenders.40 In Bezug auf Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB, die aufgrund ihrer Generalklauseln und der Komplexität des Wettbewerbes Musterbeispiele für komplizierte Verbotsgesetze darstellen, konnte, wenn auch erst im Laufe jahrzehntelanger Diskussion doch weitgehende Einigkeit über den Normzweck erzielt werden.41 Fortbestehende Unsicherheiten sind bei Generalklauseln prinzipiell nicht zu vermeiden. Sie sind aber wegen des, mit ihnen verbundenen Handlungsspielraumes des Rechtsanwenders hinnehmbar. Der Wortlaut des § 134 2. Halbsatz BGB macht deutlich, dass dieser Spielraum vom Gesetz gewollt ist.42
III. Der Normzweckvorbehalt des § 134 BGB 1. Nichtigkeitsanordnung und alternative Rechtsfolgenbestimmung Die Schwierigkeit des § 134 BGB erschöpft sich aber nicht darin festzustellen, wann ein Verbotsgesetz nichtig oder wirksam ist. Nach § 134 2. Halbsatz BGB ist von der regelmäßigen Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts dann Abstand zu nehmen, wenn das Verbotsgesetz ein anderes erfordert.43 Die Gestaltungsmöglichkeiten sind aus § 134 2. Halbsatz BGB zu entnehmen. Es handelt sich um eine Generalklausel, auf deren Grundlage Alternativen zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes zu entwickeln sind.44 Die Norm enthält insoweit eine Ermächtigung zur Bestimmung angemessener Rechtsfolgen. Die Aufgabe für den Rechtsanwender besteht darin, aus den nach § 134 2. Halbsatz BGB zulässigen Gestaltungen diejenige auszuwählen, die in jedem Einzelfall am besten mit dem, auf individuelle und öffentliche Interessen bezogenen Schutzzweck des Verbotsgesetzes vereinbar ist.45 Weitergehend als bei der Prüfung, ob ein Rechtsgeschäft dem Verbot unterfällt, spielen bei § 134 2. Halbsatz BGB zusätzliche Wertungen eine Rolle. Art. 102 AEUV, § 19 Abs. 1, 2 und § 20 Abs. 1 bis 3 GWB enthalten keine Vorgaben in Bezug auf die Rechtsfolgenanordnung nach § 134 2. Halbsatz BGB. Die Rechtsfolgen können daher nur 40 So aber Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 173; Westphal, S. 66 f.; letztlich muss dies aber hingenommen werden, Paul, S. 159 f. 41 Siehe S. 52 ff. 42 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 64; Beater, AcP 197, S. 505 (512). 43 Nicht zu folgen ist einer selten vertretenen Mindermeinung, wonach § 134 BGB nur die Alternativen Wirksamkeit und Nichtigkeit eröffne, so Zimmermann, S. 113 f. Diese Auffassung setzt sich über den Wortlaut des § 134 2. Halbsatz BGB hinweg. 44 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 64, 86 f.; Paul, S. 106 ff.; Roth, JZ 1989, S. 411 (416, 418); Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (511). 45 LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 64, 87; Hager, S. 79 f.; Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (434).
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durch eine verbotszweckorientierte Auslegung gewonnen werden.46 In erster Linie geht es bei § 134 BGB um die Frage, welche Rolle das Rechtsgeschäftsrecht bei der Durchsetzung des Verbotes spielen kann. Am Anfang steht die Prüfung, ob eine zivilrechtliche Nichtigkeit erforderlich ist.47 Es ist einerseits davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Interesse der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung das Verbot umfassend durchsetzen will.48 Andererseits ist die Frage zu stellen, ob die Nichtigkeit die Wettbewerbsfreiheit wirksam schützt oder aber auch negative wettbewerbliche Wirkungen mit ihr verbunden sind.49 Sodann sind die Rechtsfolgengestaltungen in den Blick zu nehmen, die geeignet sind, anstelle der Nichtigkeit zu treten. Bei der Abwägung sind die Einbindung in die, auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung der Art. 101 und 102 AEUV und des GWB, sowie grundsätzliche zivilrechtliche Wertungen zu berücksichtigen. Die Rechtsfolgen sind deshalb so zu gestalten, dass wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, die Offenhaltung von Märkten, Chancengleichheit, der Schutz vor Ausbeutung und Diskriminierung und die Schaffung und Sicherung von Marktstrukturen wirksamen Wettbewerbes bestmöglich verwirklicht werden.50 Dabei sind die Interessen aller betroffenen Marktteilnehmer zu würdigen und zu gewichten. Aus zivilrechtlicher Sicht sind die hohe Bedeutung der Vertragsfreiheit, der Vertrauensschutz, die Rechtssicherheit, die gegebenenfalls notwendige bereicherungsrechtliche Rückabwicklung,51 sowie das Zusammenspiel mit Unterlassungs- Beseitigungs- und Schadensersatzansprüchen52 zu beachten. Die Betrachtung muss auch in den Blick nehmen, dass in Fallgestaltungen, in denen sich die Anwendungsbereiche der Art. 101 und 102 AEUV überschneiden, Art. 101 Abs. 2 AEUV zu einer Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten führt.53 Das gilt, wie bereits dargelegt, ebenso für das Verhältnis von § 1 GWB und § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB).54 Nur dann, wenn die zivilrechtliche Sanktion notwendig ist, um den Schutzzweck des Verbotes zu erreichen, ist eine hinreichende Rechtfertigung für den
46 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 78; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 417; Paul, S. 107 f., 160 ff.; Köhler, JZ 2010, S. 767 (768). 47 BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (269); BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 ff.) „Stromnetz Olching“; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103, 105; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 86, 88; Kramer, S. 112 ff., 119; Westphal, S. 65 ff. 48 OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; Damm, JZ 1986, S. 912 (920); Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (507). Im Europarecht sind die vom EuGH entwickelten Grundsätze der Effektivität und der Gleichwertigkeit besonders zu beachten; siehe S. 33 ff. 49 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 ff.) „Stromnetz Olching“; Paul, S. 107 f.; Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (510). 50 Zum Normzweck der Missbrauchsverbote, siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 51 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 113 f. 52 Zu diesen Ansprüchen siehe ab S. 127. 53 Siehe S. 86 ff. 54 Siehe S. 86 ff.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verlust vertraglicher Ansprüche gegeben.55 Das ist vor allem dann der Fall, wenn Erfüllungsansprüche zu einer Fortsetzung der verbotswidrigen Tätigkeit führen würden,56 kommt aber auch in Betracht, wenn wegen der besonderen Umstände der Vornahme die Existenz des Rechtsgeschäfts missbilligt wird.57 Ist das dagegen nicht der Fall, d. h. kann das Verbot auch ohne die Nichtigkeit wirksam durchgesetzt werden oder verhält sich die Existenz des Rechtsgeschäfts neutral zu den Schutzzwecken des Verbotsgesetzes, so wäre eine Nichtigkeit eine unzulässige Verkürzung von Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit. Im Folgenden ist zunächst zu erörtern, welche Gestaltungsformen nach § 134 2. Halbsatz BGB allgemein zulässig sind. Im Anschluss ist aus dieser Zusammenstellung in einer für jede Fallgruppe des Marktmachtmissbrauchs vorzunehmenden, typisierenden Betrachtung die angemessene Rechtsfolge zu bestimmen.58 Dabei ist ein Vergleich der Rechtslage bei Wirksamkeit des verbotenen Rechtsgeschäfts, bei dessen Nichtigkeit und bei Anwendung einer zulässigen alternativen Rechtsfolgengestaltung zu Grunde zu legen.59 Es ist diejenige Gestaltung zu wählen, die den Sinn und Zweck des jeweiligen Verbotes bestmöglich verwirklicht.60 2. Das Festhalten am bestehenden Rechtsgeschäft trotz Verbotsverstoßes Es ist vorstellbar, dass ein Rechtsgeschäft, obgleich es gegen Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2, § 20 Abs. 1 bis 3 GWB verstößt und deshalb im Sinne von § 134 BGB verboten ist, wirksam bleibt. Das ist möglich, weil Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB nicht mit Blick auf die Rechtsfolgen nach § 134 2. Halbsatz BGB erlassen worden sind. Dementsprechend kann die Feststellung, dass eine Sanktion zweckmäßig wäre, von Überlegungen aufgrund der Einbindung des Verbotes in das Wettbewerbs- und Privatrechtssystem überlagert werden. Insoweit ist die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts mit dem Charakter des § 134 BGB als
55 BGH, 12. 07. 1962, BGHZ 37, 258 (261 f.); BGH, 01. 01. 1966, BGHZ 46, 24 (27 f.); BGH, 22. 05. 1978, BGHZ 71, 358 (361 ff.); BGH, 17. 01. 1985, BGHZ 93, 264 (267 ff.); BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 10. 07. 1991, BGHZ 115, 123 (125 ff.); BGH, 30. 04. 1992, BGHZ 118, 142 (144 ff.); BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 ff.) „Stromnetz Olching“; OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; Clodius, S. 81 ff.; Paul, S. 166 f.; siehe auch S. 107 f. 56 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103, 106; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 1, 68. 57 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 2 ff., 69 f. 58 Eine Einzelfallbetrachtung im Sinne einer Berücksichtigung je nach Sachverhalt unterschiedlicher subjektiver Interessen, die in eine – von abstrakt genereller Systematisierung losgelöste – Einzelfallabwägung führen würde, ist mit § 134 BGB nicht vereinbar. 59 In Anlehnung an Kramer, S. 73 f., 117; ebenso Westphal, S. 68 f. 60 Siehe S. 102 ff.
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Sanktionsnorm vereinbar.61 Dazu müssen allerdings die Rechtsfolgen der Nichtigkeit genau analysiert werden. 3. Alternative Gestaltungsformen Es wird im Folgenden ein Überblick über die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. a) Teilnichtigkeit Mit Teilnichtigkeit sind hier diejenigen Fälle gemeint, in denen einzelne Klauseln bzw. Vertragsbestimmungen, d. h. abtrennbare Bestandteile eines Rechtsgeschäfts i. S. v. § 139 BGB nichtig sind. Nicht erfasst werden die Fälle, welche wegen Übermaßes gegen ein Verbot verstoßen. Teilweise werden diese zwar als quantitative Teilnichtigkeit und sogar als Fälle des § 139 BGB behandelt.62 Dieser Ansicht wird nicht gefolgt.63 Vielmehr werden diese Fälle als geltungserhaltende Reduktion eigenständig behandelt.64 Es kommt häufig vor, dass nur einzelne Klauseln oder Vertragsteile umfangreicher Vertragswerke gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verstoßen.65 In einem solchen Fall bedarf es einer genauen Prüfung, wie weit der Verbotsverstoß reicht. Die Sanktion ist zunächst für den wettbewerbswidrigen Teil zu bestimmen. Im Anschluss ist nach den Wirkungen auf das Rechtsgeschäft im Übrigen zu fragen. Dabei gilt, dass die Sanktion auf das erforderliche Maß zu beschränken ist.66 Sie darf deshalb nur soweit reichen als der Verbotsverstoß. Das folgt aus dem Zweck des Art. 102 AEUV, der §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB und des Art. 101 Abs. 2 AEUV,67 sowie dem Grundsatz der 61 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 103, 105; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 419; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 79, 86 f. 62 OLG Stuttgart, 19. 07. 1996, WuW/E OLG 5780 (5783 ff.) „Geltungserhaltende Reduktion“; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 107 und Rn. 26 ff. zu § 139 BGB; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 89 ff.; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 68 ff.; Paul, S. 166 ff. 63 Zur Begründung siehe S. 115 ff. 64 Siehe S. 115 ff. 65 Zum Bsp.: BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“. 66 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65); BGH 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG Frankfurt a.M., 16. 09. 2014, WuW/DE-R 4749 (4752) „Bezirkshändlervertrag“; Paul, S. 166 ff. 67 Zu Art. 101 Abs. 2 AEUV (Art. 85 EGV, Art. 81 EG a. F.) EuGH, 11. 09. 2008, WuW/ EU-R 1475 (1483) „CEPSA/Tobar“; BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21 f.; des Weiteren Jung, in: Grabitz/
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Verhältnismäßigkeit.68 Das Missbrauchsverbot will lediglich Wettbewerbsverfälschungen verhindern. Die Wettbewerbsfreiheit im Übrigen, insbesondere der freie Austausch von Leistungen soll nicht beeinträchtigt werden. Entscheidend ist deshalb die Wiederherstellung eines wettbewerbsgemäßen Zustands. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Missbrauchsverbote keine subjektive Vorwerfbarkeit voraussetzen. Demzufolge dürfen sie auch nicht als Strafnorm gegen den Marktbeherrscher eingesetzt werden.69 Grundsätzlich wird es daher möglich sein, das Rechtsgeschäft, soweit es keine rechtswidrigen Bestimmungen enthält, aufrecht zu erhalten. Sein Schicksal wird sich dann regelmäßig nach § 139 BGB bestimmen.70 Dass das Ziel einer effektiven Verbotsdurchsetzung eine Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts unabhängig von § 139 BGB erforderlich macht, kommt nur ausnahmsweise in Betracht.71 Ebenso stellt die vom Verbotszweck geforderte, von § 139 BGB unabhängige Aufrechterhaltung eines Rechtsgeschäfts eine Ausnahme dar.72 aa) Die Auslegungsregel des § 139 BGB Der Gesetzgeber hat die Problematik der Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften in § 139 BGB geregelt. Darin wird von der Gesamtnichtigkeit als regelmäßiger Rechtsfolge ausgegangen. Die Aufrechterhaltung des Vertrages ist danach die Ausnahme. § 139 BGB setzt voraus, dass ein Rechtsgeschäft in einen wirksamen und einen nichtigen Teil unterschieden werden kann.73 Das ist der Fall, wenn nur Teile des Rechtsgeschäfts gegen Art. 101 Abs. 1, 102 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB i. V. m. 134 BGB verstoßen und die Auslegung eine Begrenzung der Nichtigkeit auf den verbotswidrigen Teil erlaubt. Dabei muss der wirksame Teil so ausgestaltet sein, dass er auch ohne die nichtigen Bestimmungen Bestand haben kann.74 Eine Aufrechterhaltung des Vertrages kommt des Weiteren nur dann in Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 392; Endter, S. 135 f.; Pfeiffer, in: FS Benisch, S. 313 (314 f.); Haslinger, WuW 1998, S. 456 (458 f.); Ritter, WuW 2002, S. 362 (365 f.). 68 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 105. 69 Zum Bsp.: EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, S. 215 (246 f.) „Continental Can“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1966) „Gemeinsamer Anzeigenteil“; siehe zum Normzweck S. 50 ff. und S. 61 ff. 70 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109; vgl. zur Teilnichtigkeit im Zusammenhang mit Art. 101 Abs. 2 AEUV: Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 23 f.; Endter, S. 135 f. 71 Siehe S. 107 f. 72 Siehe S. 110 ff. und S. 114 f. 73 BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG Düsseldorf, 20. 12. 2000, WuW/DE-R 661 (663) „Tennishallenpacht“; OLG Düsseldorf, 23. 03. 2005, WuW/DE-R 1573 (1573, 1576) „Pflanzeneinstecketikett“; Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 24; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 BGB Rn. 60 ff. 74 EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1483) „CEPSA/Tobar“; OLG Düsseldorf, 20. 12. 2000, WuW/DE-R 661 (663) „Tennishallenpacht“; OLG Frankfurt a.M., 17. 04. 2007, WuW/ DE-R 2018 (2020) „Harry Potter“; OLG Düsseldorf, 13. 08. 2014, WuW/DE-R 4431 (4436 f.)
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Betracht, falls die Parteien, hätten sie von der teilweisen Nichtigkeit gewusst, das Rechtsgeschäft im Übrigen dennoch vorgenommen hätten. Dabei ist objektivierend darauf abzustellen, dass es sich bei den Parteien um verständige Personen handelt, welche eine vernünftige Regelung anstreben.75 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es insoweit darauf ankommt, welche Bedeutung die Parteien der nichtigen Regelung für den Bestand des Vertrages beigemessen haben.76 Ein Fortbestand des wirksamen Teils ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn Nebenbestimmungen eines Vertrages nichtig sind, die für die Gesamtdurchführung von untergeordneter oder jedenfalls nicht entscheidender Bedeutung sind.77 Demgegenüber ist für eine Teilnichtigkeit kein Raum, wenn von der Nichtigkeit die wesentlichen Vertragsteile, d. h. diejenigen um deren Willen der Vertrag geschlossen wurde, betroffen sind. Denn dann bildet der verbleibende Teil keine sinnvolle Regelung. Mit anderen Worten ist eine Aufrechterhaltung nicht möglich, wenn das Rechtsgeschäft mit der Wettbewerbsbeschränkung steht und fällt.78 § 139 BGB baut auf § 134 BGB auf. Erst wenn die Vorfrage nach dem Verbotsverstoß und dessen Reichweite im Sinne einer teilweisen Nichtigkeit beantwortet wurde, greift § 139 BGB zur Beurteilung des Schicksals desjenigen Vertragsteils ein, der nicht gegen das Verbotsgesetz verstößt.79 Das bedeutet des Weiteren aber auch, dass § 139 BGB dann nicht anzuwenden ist, wenn sich aufgrund des § 134 2. Halbsatz BGB für den verbotswidrigen Teil des Rechtsgeschäfts etwas anderes als die Nichtigkeit ergibt.80 Aus dem Zusammenhang zwischen § 134 BGB und § 139 BGB wird aber deutlich, dass die Teilnichtigkeit eine mögliche Alternative zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages darstellt. „Nachvertragliches Wettbewerbsverbot“; OLG Frankfurt a.M., 16. 09. 2014, WuW/DE-R 4749 (4752 f.) „Bezirkshändlervertrag“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 22; Krauß, in: Langen/Bunte, § 1 GWB Rn. 321 f.; Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 24 f. 75 Busche, in: MüKo BGB, § 139 BGB Rn. 30 f.; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 75. 76 BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG Frankfurt a.M., 17. 04. 2007, WuW/DE-R 2018 (2020) „Harry Potter“. 77 EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1483) „CEPSA/Tobar“; OLG Frankfurt a.M., 17. 04. 2007, WuW/DE-R 2018 (2020) „Harry Potter“; OLG Düsseldorf, 13. 08. 2014, WuW/ DE-R 4431 (4436 f.) „Nachvertragliches Wettbewerbsverbot“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4501 f.) „Stromnetz Olching“; OLG Frankfurt a.M., 16. 09. 2014, WuW/DE-R 4749 (4753) „Bezirkshändlervertrag“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 22; Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 31; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 60, 75 f. 78 EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1483) „CEPSA/Tobar“; BGH, 10. 10. 1974, GRUR 1975, S. 206 (208) „Kunststoffschaum-Bahnen“; OLG Frankfurt a.M., 17. 04. 2007, WuW/DE-R 2018 (2020) „Harry Potter“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 24; Krauß, in: Langen/Bunte, § 1 GWB Rn. 322; Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 25, 30 f. 79 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65 f.); BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4501 f.) „Stromnetz Olching“; OLG Frankfurt a.M., 16. 09. 2014, WuW/DE-R 4749 (4752 f.) „Bezirkshändlervertrag“; Schmidt, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 22, 24; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109. 80 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 88; Damm, JZ 1986, S. 913 (914); Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (434, 440).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
bb) Die Unangemessenheit des § 139 BGB (1) Regelung der Teilnichtigkeit in § 19 GWB a. F. Die bis zur 6. GWB Reform geltenden §§ 22 Abs. 5, 19 GWB a. F. trafen eine Regelung für den Fall, dass eine Kartellbehörde missbräuchliche Verhaltensweisen untersagte und Teile eines Vertrages für unwirksam erklärte. Der GWB Gesetzgeber von 1958 war der Auffassung, dass die Frage, wie sich eine Teilnichtigkeit auf das Rechtsgeschäft im Übrigen auswirkt, nicht starr im Sinne einer steten Aufrechterhaltung oder Gesamtnichtigkeit zu entscheiden sei.81 Vielmehr biete die, dem Parteiwillen Vorrang einräumende Norm des § 139 BGB regelmäßig die passende Lösung.82 Deshalb sollten gem. § 19 Abs. 1 GWB a. F. die allgemeinen Vorschriften, womit konkret § 139 BGB gemeint war,83 über den Fortbestand des Vertrags im Übrigen entscheiden. Allerdings erkannte man, dass in den Fällen, in denen die Unwirksamkeitserklärung einer Behörde den Schutz des schwächeren Vertragspartners bezweckte, eine nach § 139 BGB möglicherweise eintretende Gesamtnichtigkeit unangemessen sein könnte.84 Der Wegfall aller Ansprüche könnte eine unbillige Härte bedeuten.85 § 19 GWB a. F. sollte diesen Erwägungen Rechnung tragen.86 Systematisch verwies § 19 Abs. 1 GWB a. F. als Grundregel auf die allgemeinen Vorschriften, mithin § 139 BGB. Dieser Grundsatz wurde durch die Absätze zwei und drei begrenzt. Danach konnte derjenige, der geltend machte, seine Interessen würden durch eine nach § 139 BGB eintretende Gesamtnichtigkeit be-
81 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 4 ff.; Kloster/ Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 2; Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 2; Schwartz, in: Müller-Henneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 3 f.; Spengler, WuW 1960, S. 410 (415); Schwartz, WuW 1961, S. 838 (839, 845 f.); Helm, GRUR 1976, S. 496 (496). 82 Für Sonderfälle war dann § 19 Abs. 2 GWB (a. F.) vorgesehen: Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker, (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 7; Kloster/Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 2 f., 17 ff.; Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 4; Schwartz, in: MüllerHenneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 4. 83 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 4 ff.; Kloster/ Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 16; Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 2; Schwartz, in: Müller-Henneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 3 f. 84 Der Regierungsentwurf hatte in § 14 sogar vorgesehen, dass die Anwendung von § 139 BGB ausgeschlossen sei: Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 2; Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 4 ff.; Schwartz, in: Müller-Henneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 3; vgl. zu den alliierten Dekartellierungsgesetzen BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (66). 85 Spengler, WuW 1960, S. 410 (414 f.); Schwartz, WuW 1961, S. 838 (839, 845 f.); Helm, GRUR 1976, S. 496 (496). 86 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 4 ff.; Kloster/ Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 3; Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 2; Schwartz, in: Müller-Henneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 3 f.; zur Gesetzesentstehung Helm, GRUR 1976, S. 496 (496) m. w. N.
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einträchtigt, bei der Behörde die Aufrechterhaltung des Vertrages beantragen.87 Es handelte sich insoweit um einen Ausnahmetatbestand zu § 139 BGB. Im Rahmen der sechsten Novelle wurde § 19 GWB a. F. ersatzlos gestrichen. Der Gesetzgeber begründete die Streichung des § 19 Abs. 1 GWB a. F. damit, dass die Norm überflüssig sei.88 Auch für §§ 19 Abs. 2 und 3 GWB a. F. gebe es keinen Bedarf.89 Man kann in der Tat angemessene Ergebnisse auch durch Anwendung von § 134 2. Halbsatz BGB erreichen.90 Die allgemeinen Vorschriften finden als Folge der Verbotsformulierung, sowohl des § 1 GWB91 als auch des § 19 Abs. 1, 2 GWB auch ohne ausdrückliche Verweisungsnorm in Gestalt des § 19 Abs. 1 GWB a. F. Anwendung.92 Mit allgemeinen Vorschriften sind wiederum die Normen des Rechts der Rechtsgeschäfte des Allgemeinen Teils des BGB gemeint. Als Folge dessen ist § 134 BGB auf das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 1, 2 GWB anwendbar.93 Für Art. 102 AEUV war das bereits zuvor anerkannt.94 Damit ist auch die Diskrepanz zwischen zivilrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Sanktion weggefallen. Anstelle der ex nunc Unwirksamkeitserklärung der Kartellbehörde tritt die Nichtigkeit von Anfang an gemäß Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB. Bezüglich der Frage teilweiser Nichtigkeit enthält die Gesetzesbegründung keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine Abweichung von den Grundsätzen der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis beabsichtigt hätte.95 Sie sind bei der Anwendung von §§ 134, 139 BGB auf verbotswidrige Verträge zu beachten. Es gibt auch keinen Grund, bei Nichtigkeit kraft Gesetzes anders zu entscheiden als bei Unwirksamkeitserklärung durch die Kartellbehörde.96 Denn entscheidend ist in beiden Fällen die Zielsetzung, dem Missbrauch von Marktmacht angemessen entgegenzutreten. Im Hinblick auf die Art. 101 und 102 AEUV (Art. 85, 86 EGV a. F.; Art. 81, 82 EG a. F.) war ohnehin seit langem anerkannt, dass die §§ 134, 139 BGB als nationale Vorschriften zur Bewältigung der zivilrechtlichen Folgen verbots-
87 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 38 ff.; Kloster/ Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 17 ff.; Müller/Gries, § 19 GWB (a. F.) Rn. 4; Schwartz, in: Müller-Henneberg/Schwartz (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 7 ff. 88 BegrRegE 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13./9720 unter Ziffer I. 3. b) cc). 89 BegrRegE 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13./9720 unter Ziffer I. 3. b) cc). 90 Siehe dazu S. 114 f. 91 § 1 GWB erfasst nach seiner Neufassung im Zuge der 7. GWB Novelle auch die zuvor von §§ 15 bis 18 GWB a. F. geregelten Fälle vertikaler Bindungen; siehe S. 42 f. 92 BegrRegE 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13./9720 unter Ziffer I. 3. b) cc). 93 Siehe S. 77 ff. 94 Siehe S. 83 f. 95 Der Gesetzgeber verweist lediglich auf die allgemeinen Vorschriften (womit in diesem Zusammenhang der BGB AT gemeint ist), vgl. BegrRegE 6. GWB Novelle, BT-Drucks. 13./ 9720 unter Ziffer I. 3. b) cc). 96 So auch schon zutreffend Helm, GRUR 1976, S. 496 (500 f.).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
widriger Rechtsgeschäfte Anwendung finden.97 Insoweit ist als Folge der 6. GWB Novelle eine normative Gleichbehandlung zwischen Art. 101 und 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2, sowie § 20 Abs. 1 bis 3 GWB eingetreten. (2) Rahmen- und Massenverträge im Rahmen vertikaler Bindungen In Rechtsprechung und Verwaltungspraxis hatte sich die Auffassung durchgesetzt, § 19 Abs. 1 GWB a. F. auf Verträge zur gleichmäßigen Regelung eines Vertriebssystems nicht anzuwenden.98 Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, § 139 BGB sei auf individuell gestaltete Verträge zugeschnitten. Dem ist zuzustimmen. Rahmenverträge99 schaffen eine Rahmenordnung für eine Vielzahl von Austauschbeziehungen. Eine einzelfallorientierte Beurteilung, wie sie von § 139 BGB gefordert wird, ist deshalb überhaupt nicht möglich.100 Darüber hinaus würde die Gesamtnichtigkeit dieser Verträge zu unangemessenen Ergebnissen führen. Denn in diesem Fall verlören die Einzelverträge mit den Vertragspartnern ihren Bezugspunkt im Rahmenvertrag. Dadurch stünde das betroffene Vertriebssystem insgesamt zur Disposition.101 Deshalb wäre das bindende Unternehmen regelmäßig an einer Teilnichtigkeit interessiert. Wöllte aber auch nur ein Teil seiner Vertragspartner die Aufrechterhaltung nicht, würde die Gleichbehandlung der Abnehmer oder Lieferanten gefährdet.102 Hätte andererseits der Anbieter die Verträge ohne Bezugsbindung nicht geschlossen, können sich erhebliche nachteilige Folgen für abhängige Unternehmen in Gestalt des Verlusts von Belieferungsansprüchen ergeben. Eine solche Behinderung des Austausches von Waren und Dienstleistungen ist mit dem 97 EuGH, 30. 06. 1966, Slg. 1966, S. 282 (304) „Maschinenbau Ulm“; BGH, 27. 02. 1969, GRUR 1969, S. 501 (504) „Fruchtsäfte“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 23; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 389, 392. 98 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 13 ff. m. w. N.; Kloster/Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 9 ff. m. w. N.; Fikentscher, in: Müller-Henneberg/Schwartz (4. Aufl.), § 19 GWB a. F. Rn. 30 ff. 99 Damit sind Vertragswerke gemeint, die die grundlegenden Bestimmungen für die Abwicklung einer langfristigen Geschäftsbeziehung zwischen zwei Vertragsparteien festschreiben und in der Folge für alle einzelnen, am kurzfristigen Bedarf orientierten Austauschverträge dieser Vertragspartner gelten und die von dem bindenden Unternehmen gegenüber einer Vielzahl von Abnehmern oder Lieferanten in gleicher Weise typisiert zugrunde gelegt werden, um ein einheitliches Vertriebssystem zu etablieren. 100 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 13 ff. m. w. N.; Kloster/Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 9 ff., 11 m. w. N.; Fikentscher, in: Müller-Henneberg/Schwartz (4. Aufl.), § 19 GWB a. F. Rn. 30, 33 f.; Schwartz, WuW 1961, S. 838 (842, 845). 101 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 16 ff.; Kloster/ Metzlaff, in: Langen/Bunte (8. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 11; Fikentscher, in: Müller-Henneberg/Schwartz (4. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 30, 33 f.; Schwartz, WuW 1961, S. 838 (839 f.). 102 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 15; Fikentscher, in: Müller-Henneberg/Schwartz (4. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 34; Schwartz, WuW 1961, S. 838 (843 f.).
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Sinn und Zweck des GWB nicht in Einklang zu bringen.103 Der BGH hat diesen Gedanken bereits frühzeitig im Zusammenhang mit dem Kartellverbot zum Ausdruck gebracht. Das Kartellverbot „will nicht nur verhindern, dass der Warenumsatz unter wettbewerbsbeschränkenden Abreden stattfindet, sondern das Ziel erreichen, dass sich der Warenumsatz und damit das Wirtschaftsleben auf der Grundlage des freien Leistungswettbewerbes entfalten.“104 Deshalb seien Folgeverträge kartellrechtswidriger Vereinbarungen, die den Kartellverstoß fortführen zwar verboten. Anzustreben sei jedoch eine Vermeidung der Gesamtnichtigkeit, wenn die Aufrechterhaltung der Verträge mit zulässigem Inhalt möglich ist.105 In einer Entscheidung zur Preisbindung für Verlagserzeugnisse begründete der BGH eine teilweise Aufrechterhaltung der Verträge mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.106 Wenn der Missbrauch bereits durch Aufhebung eines abtrennbaren rechtswidrigen Vertragsteiles abgestellt werden könne, sei die Nichtigkeit auch des übrigen Vertrages nicht gerechtfertigt.107 Auch bei der Beurteilung eines nach Art. 101 Abs. 2 AEUV teilnichtigen Vertrages ist die grundsätzlich gebotene Anwendung des § 139 BGB108 dann ausgeschlossen, wenn nicht individualisierte Rahmen- oder Massenverträge vorliegen.109 Zu beachten ist jedoch, dass die Rechtsprechung im Bereich des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes des § 26 Abs. 2 GWB a. F. und der missbräuchlichen Vertikalbindungen § 139 BGB fast durchgängig angewandt hat.110 Das Hauptargument lag darin, dass durch Wegfall einzelner Vereinbarungen das vertragliche Synallagma erheblich gestört sein könne. Den Parteien dürfe dann nicht ein wesentlich geänderter Vertrag aufgezwungen werden. Ob einzelne Bestimmungen für die Parteien so wesentlich seien, dass damit der Vertrag steht oder fällt, lasse sich von Außenstehenden schwer beurteilen. Es sei davon auszugehen, dass § 139 BGB die angemessene Regelung zur Bewältigung dieses Problems bereitstelle.111 Andererseits wurde die teilweise Aufrechterhaltung von Verträgen in Fällen 103 Das Hauptziel des Wettbewerbsschutzes ist, neben der Verwirklichung individueller Freiheit, gerade die Erzielung positiver ökonomischer Ergebnisse; siehe bereits S. 50 ff. 104 BGH, 23. 09. 1955, BGH St 8, 221 (224 f.), zum Zeitpunkt des Urteils auf Grundlage der MRegVO Nr. 78; vgl. auch Henn, NJW 1957, S. 205 (208 f.); Helm, GRUR 1976, S. 496 (498). 105 BGH, 23. 09. 1955, BGH St 8, 221 (225). 106 BGH, 13. 03. 1979, WuW/E BGH 1604 (1606 f.) „Sammelrevers 1974“. 107 Zu Art. 101 Abs. 2 AEUV (85 EGV a. F., Art. 81 EG a. F.): BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (1000 f.) „Handpreisauszeichner“; Helm, GRUR 1976, S. 496 (497 f.); Canaris, DB 2002, S. 930 (933 f.). 108 Siehe S. 108 f. 109 BGH, 15. 03. 1973, WuW/E BGH 1259 (1264) „Bremsrolle“; BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; Helm, GRUR 1976, S. 496 (498 ff.). 110 Zum Bsp.: OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4521) „Dürkheimer Wurstmarkt“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 1031 (1032 f.) „Tennishallenpacht“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226. 111 Vgl. die Nachweise in Fn. 110.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
des § 26 Abs. 2 GWB a. F. sowohl unter Berufung auf den hypothetischen Parteiwillen als auch mit der Begründung angenommen, der Gesetzeszweck erfordere die Aufrechterhaltung.112 Innerhalb von Rahmenverträgen zur gleichmäßigen Organisation von Vertriebssystemen ist also eine Begrenzung der Nichtigkeit durch Nichtanwendung von § 139 BGB geboten. Nichtig sind lediglich wettbewerbsbeschränkende Klauseln. Im Übrigen wird der Vertrag aufrechterhalten. Dabei handelt es sich aber um eine Ausnahme. Außerhalb dessen bleibt es bei der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 139 BGB. (3) Der Schutz schwächerer Vertragspartner Es ist zu beachten, dass § 139 BGB aufgrund des Abstellens auf den hypothetischen Parteiwillen zu Ergebnissen führen kann, die den Zielen des Verbotsgesetzes nicht gerecht werden. Ist die ursprüngliche Vereinbarung gerade deswegen teilnichtig, weil sie von einem marktbeherrschenden (bzw. relativ marktmächtigen) Unternehmen zu seinem Vorteil unter Verstoß gegen das Missbrauchsverbot durchgesetzt wurde, so wird häufig festzustellen sein, dass der Marktbeherrscher den Vertrag ohne den nichtigen Teil nicht geschlossen hätte. Deshalb führt § 139 BGB in Fällen, in denen es um den Schutz des schwächeren Vertragspartners geht, regelmäßig nicht zu angemessenen Ergebnissen.113 Das unterlegene Unternehmen nimmt belastende Klauseln hin, weil anderenfalls eine ihm drohende Geschäftsverweigerung noch größere Nachteile brächte. Hätte der Marktbeherrscher im Bewusstsein der Teilnichtigkeit den Vertrag aber nicht geschlossen, gibt es keinen übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen. Dann entfiele das gesamte Rechtsgeschäft. Der zu schützende Vertragspartner verlöre alle vertraglichen Ansprüche. Dem Schutzbedürftigen würden „Steine statt Brot“114 gegeben. Es besteht also ein Bedürfnis für eine Begrenzung der Nichtigkeit auf wettbewerbsbeschränkende Vertragsteile unter Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen, ohne dass das marktbeherrschende Unternehmen sich darauf berufen kann, dass es den Vertrag ohne den nichtigen Teil nicht geschlossen hätte. Nachdem § 19 Abs. 2 und 3 GWB a. F., die diese Fragen regelten, gestrichen worden sind, kommt für eine Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften § 134 2. Halbsatz BGB in Betracht. cc) Lösung auf Grundlage des § 134, 2. Halbsatz BGB Eine Ermächtigung zur Aufrechterhaltung von teilnichtigen Rechtsgeschäften ist aus § 134 2. Halbsatz BGB zu entnehmen. Im Verhältnis dazu ist § 139 BGB 112
Vgl. die Nachweise in Fn. 110. LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; bereits zu den alliierten Dekartellierungsgesetzen BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (66); Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 19 GWB (a. F.) Rn. 5 m. w. N.; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 107; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 89 ff.; allgemein Hager, S. 82. 114 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 107; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 89 ff. 113
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nachrangig.115 Zwar geht die Auslegungsregel des § 134 1. Halbsatz BGB von Gesamtnichtigkeit aus. Vor deren Anwendung verlangt § 134 2. Halbsatz BGB jedoch das Rechtsgeschäft als ganzheitliche Regelung zu betrachten. Dabei ist in zwei Schritten vorzugehen.116 Zuerst ist die Reichweite des Gesetzesverstoßes zu ermitteln. Bezieht sich dieser nicht von vornherein auf das gesamte Rechtsgeschäft, sondern auf einzelne Klauseln oder vertragliche Leistungen, muss gefragt werden, ob insoweit eine teilweise Aufrechterhaltung möglich ist. Kann das bejaht werden, ist auf Basis dessen nach dem Schicksal der übrigen Vertragsbestandteile zu fragen. Bevor nun § 139 BGB herangezogen wird, ist zu prüfen, ob dem Verbotsgesetz eine Aussage darüber zu entnehmen ist, das Rechtsgeschäft unabhängig vom hypothetischen Parteiwillen aufrecht zu erhalten oder für insgesamt nichtig zu erklären. Dazu bedarf es einer Auslegung der jeweiligen Fallgruppe des Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB als Verbotsgesetz.117 Daraus folgt, dass insbesondere zum Schutz eines Vertragspartners oder zur Aufrechterhaltung von typisierten Rahmenverträgen eine Teilnichtigkeit nach Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 GWB (§ 20 Abs. 1 bis 3 GWB) i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB geboten ist, ohne dass es auf § 139 BGB ankäme. Auf diese Weise können sowohl die Wertung der §§ 22 Abs. 5, 19 Abs. 2 GWB a. F.118 als auch die, Rahmenverträge betreffende Ausnahme von § 19 Abs. 1 GWB a. F.119 übernommen werden. Des Weiteren ist auch denkbar, dass es Fälle der Teilnichtigkeit geben kann, in denen das Verbotsgesetz dennoch die Gesamtnichtigkeit erfordert.120 Dagegen bleibt es bei der Anwendung von § 139 BGB, wenn mit dem Verbotsgesetz sowohl eine Aufrechterhaltung der übrigen Bestimmungen als auch eine Gesamtnichtigkeit vereinbar wäre. Es spricht dann nichts dagegen, das Schicksal des Rechtsgeschäfts dem hypothetischen Parteiwillen zu überlassen. b) Die geltungserhaltende Reduktion Die geltungserhaltende Reduktion findet vor allem dann Anwendung, wenn ein Vertrag im Interesse einer schutzbedürftigen Partei aufrechterhalten werden soll.
115 So bereits BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65 f.); LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/ DE-R 1664 (1670 ff.) „Trassenpreissystem“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 88; Hager, S. 107; Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (431, 439). 116 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 BGB Rn. 88; ausführliche Darlegung bei Hager, S. 63 ff. mit zahlreichen Beispielen; vgl. auch Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21. 117 Zur Methodik siehe S. 61 ff. 118 Siehe S. 110 ff. 119 Siehe S. 112 ff. 120 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 88; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 21 f.; siehe auch S. 108 f.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Beispiele bilden die Fälle des Miet- oder Kreditwuchers,121 Verstöße gegen Höchstpreisvorschriften,122 überlange Bezugsbindungen,123 Verstöße gegen das Kartellverbot124 und aus jüngerer Zeit Verstöße gegen Normen zur Entgeltregulierung in Netzindustrien.125 Dabei geht es darum, dass eine Vertragspartei aufgrund intellektueller, informationeller oder wirtschaftlicher Überlegenheit den anderen Teil übervorteilt. Diese Problematik stellt sich auch beim Behinderungs- und Ausbeutungsmissbrauch.126 Die Interessen des schwächeren Teils gehen dahin, die vertragliche Leistung zu angemessenen Bedingungen zu erhalten.127 Es handelt sich deshalb nicht um Fälle der Teilnichtigkeit i. S. v. § 139 BGB.128 Die verbotswidrige Bestimmung fällt ja nicht weg. Sie wird nur durch Reduzierung ihres Übermaßes inhaltlich angepasst. Das Rechtsgeschäft ist insoweit schlicht nicht teilbar.129 Im 121
Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 107; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 90, 92 ff. m. w. N.; Weyer, in: FS Baur, S. 681 (689 f.). 122 Vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Not RG, 19. 05. 1916, RGZ 88, 250 (251 ff.); RG, 05. 12. 1916, RGZ 89, 196 (198 f.); RG, 30. 03. 1920, RGZ 98, 293 (294 f.); vgl. auch Hager, S. 82 m. w. N.; Weyer, in: FS Baur, S. 681 (692 f.). 123 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861) „Stadtwerke Aachen“; siehe ausführlich S. 337 ff. 124 Zum Bsp.: OLG Stuttgart, 19. 07. 1996, WuW/E OLG 5780 (5783 ff.) „Geltungserhaltende Reduktion“; BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, 63 (65 f.); OLG Hamburg, 12. 12. 2013, WuW/DE-R 4443 (4452 f.) „FC St. Pauli II“; Weyer, in: FS Baur, S. 681 (692 f.). 125 Zum Bsp.: LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; LG Köln, 31. 08. 2005, WuW/DE-R 1634 (1635) „DARED“ und nachfolgend OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/ DE-R 2299 (2300) „ANDI“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“; siehe im Einzelnen S. 533 ff. 126 Siehe zum Schutzzweck S. 50 ff. und S. 61 ff. 127 LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (16670 f.) „Trassenpreissystem“; LG Köln, 31. 08. 2005, WuW/DE-R 1634 (1635) „DARED“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2299 (2300 ff.) „ANDI“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“; bereits zum Kartellverbot nach den alliierten Dekartellierungsgesetzen BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65 f.); Hager, S. 82; Paul, S. 171 f. Das kann z. B. im Fall des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. GWB der Vergleichsmarktpreis sein. 128 Andere Ansicht OLG Stuttgart, 19. 07. 1996, WuW/E OLG 5780 (5783 ff.) „Geltungserhaltende Reduktion“; BGH, 16. 09. 1974, WM 1974, 1042 (1043 f.); Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 25; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 68 f. 129 Wenn dagegen dieser Standpunkt als zu formalistisch eingeordnet wird; so z. B. Hager, S. 31 ff.; so mag zuzugeben sein, dass in einigen Fällen, z. B. übermäßig langen Laufzeiten eine Einteilung in Zeitabschnitte in Betracht kommt, welche dann als Teile des Rechtsgeschäfts anzusehen sind. Jedoch ist mit der Anwendung des § 139 BGB nichts gewonnen, denn es geht darum das Rechtsgeschäft im Zweifel auch gegen den Willen einer Partei anzupassen. Es gilt auch hier, dass der hypothetische Parteiwille in Fällen wirtschaftlicher Ausbeutung dem Ziel des Schutzes des schwächeren Vertragspartners nachgeordnet ist; siehe bereits S. 114. In diesen Fällen müsste man die Auslegungsregel des § 139 BGB, wonach im Zweifel Nichtigkeit anzunehmen ist, in ihr Gegenteil verkehren. Der dogmatische Streit darum, wo die geltungserhaltende Reduktion ihre Grundlage hat, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht tiefer diskutiert werden; vgl. dazu Hager, S. 31 ff.; Lammel, AcP 189 (1989), S. 244 (249 ff.); Roth, JZ 1989, S. 411 (412, 416 f.).
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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Übrigen lässt der Vorrang des Gesetzeszwecks als Folge der Subsidiarität des § 139 BGB gegenüber § 134 BGB keinen Spielraum für eine privatautonome Gestaltung entsprechend des hypothetischen Parteiwillens.130 Die geltungserhaltende Reduktion findet deshalb ihre Grundlage in § 134 2. Halbsatz BGB.131 Ist beispielsweise eine Preisvereinbarung wegen Verstoßes gegen Art. 102 Satz 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB nach § 134 1. Halbsatz BGB verboten, wäre die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts deswegen unangemessen, weil der vor Ausbeutung zu schützende Vertragsteil den Anspruch auf die vertragliche Leistung verlöre. Nach § 134 2. Halbsatz BGB muss eine Anpassung an den Vergleichsmarktpreis vorgenommen werden.132 Bemerkenswert ist, dass bereits das Reichsgericht seine Entscheidung für eine geltungserhaltende Reduktion damit begründet hat, es müsse vor allem der wirtschaftliche Zweck des Verbotsgesetzes berücksichtigt werden.133 So sei es nicht Sinn und Zweck von Höchstpreisvorschriften den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu verhindern, sondern zum zulässigen Preis zu fördern.134 Die geltungserhaltende Reduktion ist nicht nur auf Hauptleistungspflichten, sondern auf alle vertraglichen Bestimmungen anwendbar, die eine Vertragspartei durch Übermaß benachteiligen.135 Es besteht keine Notwendigkeit Nichtigkeit anzunehmen, wenn der Schutz eines Vertragspartners durch Anpassung der betreffenden Klausel hinreichend verwirklicht werden kann.136 In Bezug auf das in der Zwischenzeit aufgehobene Rabattgesetz gelangte der BGH zu einer geltungserhaltenden Reduktion, indem er dem Verbraucher, welcher das Unternehmen zu einem gesetzwidrigen Nachlass veranlasst hatte, die Berufung auf den 3 % übersteigenden Teil des Rabattes untersagte.137 Die geltungserhaltende Reduktion ist also eine Alternative zur Regelnichtigkeit des § 134 BGB.
130 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 109; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 88; im Ergebnis ebenso LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“. 131 BGH, 23. 09. 1955, WuW 1956, S. 63 (65 f.); LG Köln, 31. 08. 2005, WuW/DE-R 1634 (1635) „DARED“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2299 (2300) „ANDI“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/ DE-R 4499 (4500 f.) „Stromnetz Olching“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 420; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 105, 107; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 89; Roth, JZ 1989, S. 411 (416); Weyer, in: FS Baur, S. 681 (689 f.). 132 Siehe im Einzelnen S. 472 ff. 133 Vgl. die Nachweise in Fn. 122; zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Ziele Lammel, AcP 189 (1989), S. 244 (249 ff.). 134 Vgl. die Nachweise in Fn. 122. 135 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 89 ff. 136 Paul, S. 171 ff. 137 BGH, 11. 11. 1993, NJW 1994, S. 728 (729 f.). Die Entscheidung geht dogmatisch fragwürdig von der Unanwendbarkeit von § 134 BGB aus und wendet § 242 BGB an. Schlussendlich handelt es sich aber um nichts anderes als eine geltungserhaltende Reduktion, orientiert am Zweck des Rabattgesetzes.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
c) Geltungserhaltende Extension Spiegelbildlich zur Vertragsanpassung durch geltungserhaltende Reduktion kann es im Einzelfall angemessen sein, eine geltungserhaltende Extension138 vorzunehmen. Die Begründung ergibt sich auch hier aus dem Bedürfnis zum Schutz des schwächeren Vertragspartners. Paradebeispiel ist die Verlängerung von unangemessen kurzen Kündigungsfristen auf das gesetzlich geforderte Maß, wie es von der Rechtsprechung in verschiedenen Bereichen praktiziert wird.139 d) Die halbseitige Teilnichtigkeit Dieser von Canaris vorgeschlagene Ansatz140 zielt ebenfalls auf die Problematik des Schutzes des schwächeren Vertragspartners bei Verbotswidrigkeit oder Sittenwidrigkeit einer Hauptleistungspflicht. Es wird vorgeschlagen, nur die Ansprüche des rechtswidrig den anderen Teil übervorteilenden Vertragspartners als nichtig zu behandeln. Der zu schützende Partner soll alle vertraglichen Ansprüche behalten. Das führt dazu, dass derjenige, der gegen ein Verbotsgesetz verstößt, auf einen Ausgleich nach Bereicherungsrecht verwiesen wird. Der andere Teil steht so, als ob der Vertrag voll wirksam wäre. So bestechend diese Konstruktion auf den ersten Blick aussieht, so wenig vermag sie mit der bereicherungsrechtlichen Systematik im Einklang zu stehen.141 Soll der Übervorteilende Ansprüche aus Leistungskondiktion haben, so müsste der andere Teil etwas durch Leistung ohne rechtlichen Grund erlangt haben. Aber der Schutzbedürftige erhält die vertragsgemäße Leistung mit rechtlichem Grund. Denn bezüglich seiner Ansprüche soll der Vertrag Bestand haben. Infolgedessen lässt sich ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz BGB nicht begründen.142 Deswegen ist festzustellen, dass der Ansatz halbseitiger Teilnichtigkeit keine zulässige Gestaltung auf der Grundlage des § 134 2. Halbsatz BGB darstellt. Er ist deswegen nicht weiter zu verfolgen. Im Übrigen sind die hier ins Auge gefassten Fälle der Schutzbedürftigkeit des schwächeren Partners auf der Basis der geltungserhaltenden Reduktion lösbar.143
138 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 161; Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 141 (Die geltungserhaltende Extension kann bei § 138 BGB und § 134 angewandt werden). 139 Siehe S. 395 ff. 140 Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 28 ff. 141 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 112 f. m. w. N.; Paul, S. 172 f.; a. A. Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 108. 142 Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 113; kritisch auch Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (431) und ders., JZ 1989, S. 411 (418). 143 Siehe S. 115 ff.
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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e) Personale Nichtigkeit In der Literatur wird vorgeschlagen, in Fällen, in denen der Schutz eines Vertragspartners Ziel eines Verbotsgesetzes ist, den Fortbestand des Rechtsgeschäfts zur Disposition des zu Schützenden zu stellen.144 Das bedeutet, dass das Rechtsgeschäft solange als wirksam behandelt wird, als sich der schutzbedürftige Vertragsteil nicht auf die Nichtigkeit beruft. Dem verbotswidrig handelnden Vertragsteil ist die Berufung auf die Nichtigkeit versagt. Dieser Ansatz vermag aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen könnte ein wirksamer Schutz des übervorteilten Vertragspartners in den Fällen nicht realisiert werden, in denen das Interesse dahin geht, die vertragliche Leistung zu einem angemessenen Preis bzw. zu angemessenen Bedingungen zu erhalten. Nach der vorgeschlagenen Lösung hat er aber nur die Wahl zwischen Festhalten an einem ihm im Grunde unzumutbaren Vertrag oder dem Verzicht auf die Leistung. Was aber noch schwerer wiegt, ist die Unvereinbarkeit dieses Ansatzes mit der Gesetzessystematik. Das Recht der Rechtsgeschäfte stellt zwar an einigen Stellen den Fortbestand eines Rechtsgeschäfts in das Belieben der Parteien oder eines Vertragspartners. Als Beispiele für das erste seien die §§ 139 bis 141 BGB, sowie die §§ 154, 155 BGB genannt. Als Beispiel für die Dispositionsbefugnis eines Vertragspartners sei das Recht der Anfechtung der §§ 119 ff. GWB genannt. Zwischen dem Recht der Anfechtung und dem § 134 BGB bestehen aber wesentliche Unterschiede. Ein Rechtsgeschäft ist deswegen anfechtbar, weil der Rechtsfolgenwille145 des einen Teils sich nicht in dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft wiederfindet oder ein beachtlicher Motivirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB146 vorliegt. Die Vornahme des Rechtsgeschäfts als solches verstößt aber nicht gegen die Rechtsordnung. Ziel der Vorschriften über die Anfechtung ist dementsprechend nur der Schutz der Privatautonomie eines Vertragspartners. Im Gegensatz dazu schützen Verbotsgesetze nicht nur individuelle Interessen einzelner Betroffener, sondern wollen die Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte auch oder ausschließlich im öffentlichen Interesse verhindern. Das trifft auch auf die Verbote des Missbrauchs von Marktmacht nach Art. 102 AEUVund § 19 Abs. 1, 2 GWB, sowie des § 20 Abs. 1 bis 3 GWB zu. Sowohl der Schutz der Institution Wettbewerb im Interesse der Verwirklichung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die positive ökonomische Ergebnisse erzielt, als auch der Schutz der individuellen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit jedes einzelnen Marktteilnehmers sind gleichwertige Ziele des Gesetzes.147 Da beide Schutzzwecke untrennbar miteinander verbunden sind, ist immer auch das öffentliche Interesse betroffen, wenn die Handlungsfreiheit eines Markt144 Beckmann, S. 274 ff., speziell zu kartellrechtswidrigen Folgeverträgen S. 360 ff. und S. 387 zum Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB a. F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n. F.); Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 666; ablehnend Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 111. 145 Singer, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 116 ff. Rn. 14, 29; in selteneren Fällen auch das Erklärungsbewusstsein, Vorbemerkungen zu §§ 116 ff. BGB Rn. 33 ff. 146 Singer, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 116 ff. Rn. 32. 147 Siehe im Einzelnen S. 62 ff. und S. 69 ff.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
teilnehmers rechtswidrig beschränkt wird. Die Prüfung geht also dahin zu fragen, ob das individuelle und/oder das öffentliche Interesse an der wirksamen Durchsetzung des Verbotsgesetzes eine Sanktion erfordern und ob diese Sanktion angesichts der sich daraus ergebenden zivil- und wettbewerbsrechtlichen Folgen angemessen ist. Damit ist es nicht zu vereinbaren, dass der Fortbestand eines Rechtsgeschäfts zur Disposition einzelner Rechtssubjekte gestellt wird. Zudem würde die selektive Gewährung der Berufung auf eine personale Teilnichtigkeit, die von einem Machtmissbrauch betroffenen Vertragspartner gegenüber den in vielen Fällen gleichfalls betroffenen Wettbewerbern bevorzugen, weil letzteren diese Möglichkeit nicht offensteht. Während das Recht der Anfechtung nur subjektiven Interessen dient, will § 134 BGB i. V. m. dem jeweiligen Verbotsgesetz die objektive Rechtsordnung aufrechterhalten. Infolgedessen ist dieser Ansatz, jedenfalls mit Blick auf kartellrechtliche Verbote, nicht weiter zu verfolgen. f) Die Versagung von Erfüllungsansprüchen Der BGH hat angenommen, dass ein Verbot auch dazu führen kann, dass der Vertrag zwar wirksam ist, aber der gegen das Verbot verstoßende Teil keine Erfüllungsansprüche geltend machen kann.148 Hintergrund ist die Annahme, dass nicht das Rechtsgeschäft, sondern die Erbringung der Leistung gegen das Verbotsgesetz verstößt. Der rechtmäßig handelnde Vertragspartner soll seine Ansprüche behalten. Teilweise wird eine derartige Lösung auch in der Literatur vorgeschlagen.149 Diese Lösung scheint das Problem der halbseitigen Teilnichtigkeit150 zu umgehen. Sie wirft allerdings an anderer Stelle unüberwindliche dogmatische Probleme auf. Wenn ein wirksamer Vertrag besteht, muss er auch erfüllt werden.151 Ausnahmen sind, abgesehen von dauerhaften Einreden wie etwa aufgrund Verjährung, nur durch das Recht der Leistungsstörungen zugelassen, dass anderenfalls außer Kraft gesetzt würde. Führt ein Verbot dazu, dass die Erbringung einer Leistung unzumutbar wird, so ist § 275 Abs. 2 oder 3 BGB einschlägig. Das Schicksal der Gegenleistung richtet sich dann nach § 326 BGB. Äußerstenfalls kann sich der Verpflichtete noch auf § 313 BGB berufen. Mit § 134 BGB hat all das nichts zu tun. Denn die Frage nach Leistungsstörungen ist der Frage, ob überhaupt ein wirksames Rechtsgeschäft vorliegt, nachrangig. Die Überlegungen bezüglich der Konsequenzen im Bereich des Leistungsstörungsrechts sind aber mit zu bedenken, wenn es darum geht zu entscheiden, ob die Nichtigkeit für die Durchsetzung des Verbotes erforderlich und angemessen ist. Eine bloße Versagung von Erfüllungsansprüchen lässt jedenfalls das geltende Recht im Rahmen des § 134 BGB nicht zu.152 148
BGH, 01. 06. 1966, BGHZ 46, 24 (28 f.). Differenzierend Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 114 ff. m. w. N. 150 Siehe S. 118. 151 Dazu im Einzelnen Kramer, S. 53 ff. 152 Regelmäßig kommt deshalb auch der BGH zu dem Ergebnis, dass ein verbotener Leistungserfolg nicht nur zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes, sondern bereits des zu149
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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g) Nichtigkeit ex nunc Die, von der regelmäßigen ex tunc Nichtigkeit abweichende Beschränkung der Unwirksamkeit durch Aufrechterhaltung der rechtsgeschäftlichen Wirkungen für die Vergangenheit ist eine allgemein anerkannte zulässige Gestaltungsalternative i. S. v. § 134 2. Halbsatz BGB.153 Hintergrund der ex tunc Regel ist, dass das Gesetz, wenn es Rechtsgeschäfte als nichtig einstuft, zum Ausdruck bringt, dass deren Vornahme mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist.154 Durch die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wird allerdings nicht verhindert, dass faktisch ein Austausch von Leistungen stattfindet. Dann bedarf es einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Die Rechtsanwendungspraxis hat aber gezeigt, dass diese Rückabwicklung im Einzelfall sehr kompliziert oder bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen sogar unmöglich sein kann. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Rückabwicklung im Einzelfall größeren Schaden anrichtet als die Hinnahme des bereits vollzogenen Leistungsaustausches.155 Daneben kann die Aufrechterhaltung für die Vergangenheit aus Gründen des Vertrauensschutzes oder der wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit geboten sein.156 Die ex nunc Begrenzung der Nichtigkeit hat insbesondere im Bereich fehlerhafter Gesellschafts- oder Arbeitsverhältnis Anwendung gefunden.157 Darüber hinaus ist eine Anwendung auf alle Dauerschuldverhältnisse möglich, soweit entweder die Unangemessenheit des Bereicherungsrechts oder die Notwendigkeit eines besonderen Vertrauens- oder Sozialschutzes vorliegen.158 Das kann z. B. bei Dienst-, Miet-, Sukzessivlieferungsverträgen oder Vertriebsbindungen der Fall sein. Für den Bereich des Art. 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB ist die ex nunc Nichtigkeit insbesondere dann bedenkenswert, wenn der Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens den Verbotsverstoß nicht kannte und ihm durch eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung unangemessene Nachteile entstehen würden.159 Im Fall der ex nunc Nichtigkeit muss das
grundeliegenden Verpflichtungsgeschäfts führt; vgl. nur BGH, 27. 06. 1973, WM 1973, S. 1024 (1026); vgl. auch Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 115 ff. m. w. N.; Kramer, S. 58 f. 153 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104 f., Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 99, 102; Damm, JZ 1986, S. 912 (924). 154 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 1, 106; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 1 ff., Rn. 65; zu Art. 101 Abs. 2 AEUV siehe S. 86 ff. 155 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 BGB, Rn. 104; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 99 ff.; Damm, JZ 1986, S. 912 (924). 156 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 BGB Rn. 104; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 120 ff., 136 ff.; Damm, JZ 1986, S. 912 (924). 157 BGH, 12. 01. 1970, BGHZ 53, 152 (158 f.); BAG, 19. 06. 1959, BAGE 8, 47 (49 f.); Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 99 ff., 120 ff., 128 ff. 158 BGH, 24. 10. 1951, BGHZ 3, 285 (287 f.); OLG Düsseldorf, 19. 01. 2014, WuW/DE-R 4858 (4862) „Flughafenhotel“; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 136 ff. 159 Siehe z. B. S. 445 ff.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Vertragsverhältnis für die Vergangenheit nach Vertragsgrundsätzen abgewickelt werden. Eine Fortsetzung in der Zukunft ist jedoch ausgeschlossen.160 h) Schwebende Unwirksamkeit Rechtsgeschäfte sind regelmäßig schwebend unwirksam, wenn sie von einer Genehmigung abhängig sind, die noch nicht erteilt wurde, aber noch erteilt werden kann.161 Dabei geht es um den Schutz von Interessen oder Rechtspositionen einer schutzbedürftigen Partei oder von am Vertrag nicht beteiligter Dritter.162 Im Wettbewerbsrecht hängen Verträge allenfalls in besonderen Konstellationen von der Genehmigung der Kartellbehörde ab.163 Bis zur VO 1/2003 waren solche horizontalen oder vertikalen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, für die eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG (jetzt Art. 101 Abs. 3 AEUV) beantragt war, während der Dauer des Genehmigungsverfahrens schwebend unwirksam. Mit der endgültigen Entscheidung der Kommission wurden sie entweder wirksam oder aber endgültig nichtig.164 Bis zur 7. GWB Novelle galt eine ähnliche Systematik für Kartellvereinbarungen nach § 1 GWB. Die Unwirksamkeit nach § 1 GWB bzw. in der Folge der 6. GWB Novelle nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB trat zwar grundsätzlich umfassend ein. Stellten die Kartellbeteiligten jedoch einen Freistellungsantrag nach den §§ 2 ff. GWB, dann war dieser bis zur endgültigen Entscheidung der Kartellbehörde oder in den Fällen der §§ 2 bis 4 Abs. 1 GWB a. F. bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist des § 9 Abs. 3 S. 1 GWB a. F. nur schwebend unwirksam.165 Mit dem Übergang vom System der Administrativfreistellungen zum System der Legalausnahme durch die VO 1/2003166 und der 7. GWB Novelle167 ist das Instrument der schwebenden Unwirksamkeit überholt. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. des § 1 GWB sind entweder sofort nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig oder aber unter den Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. der §§ 2, 3 GWB sofort wirksam.168 Sowohl dem EuG bzw. EuGH als auch den nationalen Gerichten obliegt die umfassende normative Prüfung der Freistellungsfähigkeit und damit zugleich der Wirksamkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, gegebenenfalls i. V. m.
160 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104 f.; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 102. 161 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104. 162 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104. 163 Vgl. insbesondere zur Fusionskontrolle §§ 35 ff. GWB und Art. 4 ff. FKVO. 164 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 9. 165 Immenga, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 1 GWB Rn. 393 f. 166 Siehe S. 40 f. 167 Siehe S. 42 ff. 168 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rn. 7 f., 10; Krauß, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 313, 319.
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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einer GVO, und nach den §§ 2, 3 GWB.169 Insoweit hat die Frage der schwebenden Unwirksamkeit also keine Bedeutung mehr. Schwebende Unwirksamkeit wird auch für die Fälle vorgeschlagen, in denen ein Gesetz zwar die Leistungshandlung, nicht jedoch den Leistungserfolg verbietet.170 Dieser Fallgruppe kommt indes im Bereich des Kartellrechts keine Bedeutung zu.171 Insgesamt hat damit diese Gestaltungsalternative im Zusammenhang mit Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB i. V. m. 134 2. Halbsatz BGB und Art. 101 Abs. 2 AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB keine Bedeutung mehr. i) Dispositives Gesetzesrecht, Ergänzungsklauseln und ergänzende Vertragsauslegung Wenn sich die Nichtigkeit auf einen Teil eines Rechtsgeschäfts beschränken lässt, kann anstelle des nichtigen Teils dispositives Gesetzesrecht zur Anwendung kommen.172 Das dispositive Gesetzesrecht ist deshalb bereits mit zu bedenken, wenn es um die Frage geht, ob die Nichtigkeit mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes vereinbar ist. Im Fall der Nichtigkeit sind jedoch vertragliche Abreden, die für diesen Fall getroffen wurden und die ergänzende Vertragsauslegung173 vorrangig zu berücksichtigen. Abreden in diesem Sinne sind insbesondere salvatorische Klauseln und Vereinbarungen, in denen sich die Parteien zur Vertragsergänzung verpflichten. Da allerdings diese Fragestellungen nicht exklusiv mit der Sanktionierung missbräuchlicher Rechtsgeschäfte verknüpft sind, sollen sie im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden.174 4. Das Verhältnis von § 134 BGB zu § 138 BGB Verträge, welche gegen Art. 101, 102 AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB verstoßen, können zugleich gemäß § 138 BGB sittenwidrig sein.175 Als Beispiel seien Verträge genannt, in denen der Marktbeherrscher seine Leistungen 169
Siehe S. 41 f. Sack/Seibl, in: Staudinger, § 134 Rn. 104 m. w. N. 171 Siehe S. 101 f. 172 Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 33; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 78. 173 Die Nichtigkeit steht einer ergänzenden Vertragsauslegung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn keine der beteiligten Parteien mit einer Nichtigkeit rechnete, vgl. z. B. BGH, 29. 06. 2010, WuW/DE-R 2973 (2977) „Teilnehmerdaten IV“. 174 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 20. 12. 2000, WuW/DE-R 661 (663) „Tennishallenpacht“. Im Fall einer salvatorischen Klausel ist der Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten, es sei denn der Schutzzweck der die Nichtigkeit bedingenden Norm steht entgegen: Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 BGB Rn. 109; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 22; Weyer, in: FS Baur, S. 681 (681 ff.). 175 Indes ist das, weil die Normen unterschiedliche Zielrichtungen haben, nicht zwingend: OLG Dresden, 08. 04. 1998, WuW/DE-R 169 (170 f.) „Elbauenwasser“; Paul, S. 191 f. 170
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zu weit überhöhten Preisen anbietet176 und dadurch gegen das Verbot der Ausbeutung verstößt.177 Auf der Grundlage des § 134 2. Halbsatz BGB käme eine Anpassung des Preises durch geltungserhaltende Reduktion in Betracht.178 Der Vertrag könnte im Übrigen aufrechterhalten werden. § 138 BGB kennt eine teilweise Nichtigkeit nicht. Folglich müsste der Verstoß gegen § 138 BGB zu einer Totalnichtigkeit führen.179 Somit stellt sich das Problem, wie diese sich widersprechenden Lösungen in Einklang gebracht werden können. Es ist zu beobachten, dass sich in Literatur und Rechtsprechung ein Trend verstetigt, welcher starre Festlegungen ablehnt und stattdessen flexibleren Lösungen zuneigt.180 Im Rahmen von § 134 BGB ist die Möglichkeit zur Rechtsfolgendifferenzierung weitgehend anerkannt.181 Aber auch im Bereich des § 138 BGB mehren sich die Stimmen, welche im Einzelfall Gestaltungen der Teilnichtigkeit anstelle des Alles oder Nichts Prinzips zulassen wollen. In der Tat lassen sich die Argumente, die bei § 134 BGB für Teilnichtigkeit sprechen auch bei § 138 BGB hören.182 Einer Vertiefung bedarf diese Frage an dieser Stelle allerdings nicht. Die Normstruktur von § 134 BGB verdeutlicht, dass es dem Gesetzgeber darum ging, der Vertragsfreiheit dort Grenzen zu ziehen, wo ihre Schrankenlosigkeit die Durchsetzung von Verboten gefährden würde. Die Vertragsfreiheit darf aber auch nicht über die Erfordernisse des Verbotes hinaus begrenzt werden. § 134 BGB eröffnet also im Bereich der von Verboten betroffenen rechtsgeschäftlichen Regelungen eine ausgewogene Lösung. Es ist auch davon auszugehen, dass das Verbotsgesetz den zu beurteilenden Lebenssachverhalt spezieller und den betroffenen Interessen besser entsprechend regelt, als es die Generalklausel des § 138 BGB vermag.183 Der Rechtsfolgenermittlung nach § 134 BGB i. V. m. einem Verbotsgesetz ist deshalb Vorrang vor
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Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 139 ff. (Wucher). Zur Ausbeutung siehe ab S. 466; vgl. des Weiteren zur Frage eines zu weitgehenden Wettbewerbsverbotes: BGH, 13. 03. 1979, NJW 1979, S. 1605 (1606); BGH, 19. 10. 1993, NJW 1994, S. 384 (386); OLG Stuttgart, 19. 07. 1996, WuW/E OLG 5780 (5783 ff.) „Geltungserhaltende Reduktion“. 178 Siehe S. 115 ff. 179 Die Rechtsprechung geht grundsätzlich von Totalnichtigkeit aus, lässt aber Ausnahmen zu (zum Teil unter Hinweis auf § 139 BGB): allgemein Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 70 m. w. N.; umfassend Lammel, AcP 189 (1989), S. 244 (256 ff.); auch Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (431 ff.) und Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (515 ff.); Weyer, in: FS: Baur, S. 681 (688 f.). 180 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 161 f. Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 110 ff. 181 Siehe S. 104 ff. 182 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 157; Sack/Fischinger, in: Staudinger, § 138 Rn. 110 ff. m. w. N.; Weyer, in: FS Baur, S. 681 (689). 183 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 4; Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 113 f.; Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (518 ff.); Weyer, in: FS Baur, S. 681 (688 f.); a. A. Dirksen, in: Langen/Bunte (10. Aufl.), Art. 82 EG Rn. 208. 177
D. Die Normstruktur des § 134 BGB
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§ 138 BGB einzuräumen.184 Das gilt, soweit das Verbotsgesetz reicht. Im Übrigen bleibt § 138 BGB unberührt. Die Norm enthält damit eine Ergänzung des § 134 BGB als der spezielleren Vorschrift und vermag im Einzelfall eine Nichtigkeit auch dann zu begründen, wenn sich diese nicht bereits aus § 134 BGB ergibt.185 Das gilt allerdings dann nicht, wenn die Verbotsnorm bereits eine abschließende Wertung enthält. Diese darf dann nicht durch eine Sanktion nach § 138 BGB konterkariert werden.186 Die Verbotstatbestände der Art. 101 und 102 AEUV, sowie der §§ 1, 19 Abs. 1, 2 und 20 Abs. 1 bis 3 GWB lassen für ein ergänzendes Sittenwidrigkeitsurteil keinen Raum, da sie objektiv Wettbewerbs- und Wettbewerberschutz anstreben und kein darüber hinausgehendes Unwerturteil enthalten.187 Das bedeutet, dass im Bereich der von Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB aufgestellten Verbote eine Rechtsfolgenermittlung nur auf Basis des § 134 BGB stattfinden kann und § 138 BGB keine Anwendung findet.
IV. Zusammenfassung Als mögliche alternative Rechtsfolgen zur subsidiär anzunehmenden Nichtigkeit kommen eine Aufrechterhaltung trotz Verbotsverstoßes, eine geltungserhaltende Reduktion oder Extension oder eine Nichtigkeit ex nunc in Betracht. Im Hinblick auf eine Teilnichtigkeit ist zu prüfen, ob Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 (gegebenenfalls i. V. m. §§ 20 Abs. 1 GWB), 20 Abs. 3 GWB i. V. m. § 134 BGB die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts im Übrigen oder seine Gesamtnichtigkeit unabhängig vom übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen der Beteiligten erfordert. Die Aufrechterhaltung nicht verbotener Vertragsbestandteile ist bei Rahmenverträgen geboten, die zur gleichmäßigen Organisation von Vertriebssystemen eingesetzt werden. Die Nichtanwendung von § 139 BGB sichert hier den Fortbestand der Vertriebsorganisation. Weiter kann die Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen zum Schutz des schwächeren Vertragspartners geboten sein, der durch eine vollständige Nichtigkeit noch schlechter stehen würde als mit dem teilweise gegen ein Verbotsgesetz verstoßenden Vertrag. § 139 BGB findet nur ergänzend Anwendung. § 138 BGB ist neben den speziel-
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Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 4; Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 113 f.; Lammel, AcP 189 (1989), S. 244 (266); Roth, ZHR 153 (1989), S. 423 (435 f.); Weyer, in: FS Baur, S. 681 (688 f.); Köhler, JZ 2010, S. 767 (767); a. A. Paul, S. 191 f. 185 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 4; Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 114; Damm, JZ 1986, S. 912 (919); Roth, JZ 1989, S. 411 (416); Beater, AcP 197 (1997), S. 505 (518 ff.). 186 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 4; Sack/Fischinger, in: Staudinger BGB, § 138 Rn. 113 f. 187 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff.
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leren Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB i. V. m. § 134 BGB nicht anwendbar.188
188 Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 2 AEUV kommt eine Anwendung des § 138 BGB wegen des Vorranges des Europarechts nicht in Betracht. Sie erübrigt sich aber ohnehin, da die Nichtigkeitsfolge des Art. 101 Abs. 2 AEUV zwingend ist.
E. Rechtsschutz nach § 33 GWB
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E. Rechtsschutz nach § 33 GWB I. Die Normstruktur des § 33 Abs. 1 GWB 1. Die deliktsrechtliche Einordnung vor der 7. GWB Novelle Der GWB Gesetzgeber von 1958 hatte den § 35 GWB a. F. dem § 823 Abs. 2 BGB nachempfunden.1 Dementsprechend knüpfte die Norm an die Verletzung eines Schutzgesetzes an. An die Schutzgesetzeigenschaft waren, infolge der Gleichartigkeit der Normstrukturen, dieselben Anforderungen zu stellen wie bei § 823 Abs. 2 BGB.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist entscheidend, dass eine Vorschrift ein Geoder Verbot enthält und dadurch das individuelle Interesse eines Rechtssubjektes gegen eine bestimmte Art und Weise der Beeinträchtigung schützen will.3 Dabei ist unerheblich, ob die Vorschrift zugleich oder in erster Linie öffentliche Interessen schützt. Maßgeblich ist, ob der Individualschutz vom Gesetz zumindest auch angestrebt wird.4 Eine bloße Reflexwirkung genügt nicht. Darüber hinaus muss die Haftung insgesamt angemessen und vor dem Hintergrund des gesamten Haftungssystems als tragbar erscheinen.5 Art. 85 und 86 EGV a. F. (bzw. Art. 81 und 82 EG a. F.) waren als Schutzgesetze ebenso anerkannt,6 wie § 20 Abs. 1 bis 4
1 RegBegr zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. II/1158, S. 44 zu § 28; BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 18 GWB (a. F.) Rn. 7 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 294 ff.; Görner, S. 15 ff.; Müller-Laube, S. 12. 2 RegBegr zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. II/1158, S. 44 zu § 28; RegBegr 7. GWB Novelle, BT Drucksache 15/3640, S. 52. Vor Inkrafttreten des GWB wurde § 823 Abs. 2 BGB auf Einzelbestimmungen der alliierten Dekartellierungsgesetze angewandt, dazu: Fikentscher, BB 1956, S. 793 (795 ff.); Flume, WuW 1956, S. 457 (465 ff.); Henn, NJW 1957, S. 205 (208 m. w. N.); zur Einführung des GWB und der Parallele zu § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (2. Aufl.), § 35 GWB (a. F.) Rn. 18 ff. und Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB (a. F.) Rn. 9 ff.; Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1180 ff.). 3 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB (a. F.) Rn. 9 ff.; Wagner, in: MüKo BGB, § 823 BGB Rn. 398, 405; Görner, S. 17 ff. 4 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364 m. w. N.) „Krankenhauszusatzversicherung“; OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB (a. F.) Rn. 9; Wagner, in: MüKo BGB, § 823 Rn. 405; Görner, S. 17 ff. 5 BGH, 13. 04. 1994, BGHZ 125, 366 (374); Wagner, in: MüKo BGB, § 823Rn. 338 f.; Görner, S. 17 ff. 6 Zum Bsp.: BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier-Uhren“; OLG Frankfurt a.M., 09. 09. 1997, WuW/ DE-R 73 (78) „Guerlain“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 143 (146) „Global One“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998,
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GWB a. F. (zuvor § 26 Abs. 2 GWB a. F.).7 § 19 Abs. 1, 4 GWB a. F. (zuvor § 22 GWB a. F.) war erst nach Inkrafttreten der 6. GWB Novelle als Schutzgesetz formuliert worden.8 Ansprüche erwarben diejenigen Rechtssubjekte, deren Schutz Sinn und Zweck des Missbrauchsverbots war. Grundsätzlich war dieser Schutz auf alle Marktteilnehmer im Einflussbereich des marktbeherrschenden Unternehmens zu erstrecken, denen durch das Verhalten des Marktbeherrschers im Wettbewerb ein Schaden drohte.9 Die bisher zu Art. 85 und 86 EG a. F. (bzw. Art. 81 und 82 EG a. F., nunmehr Art. 101 und 102 AEUV) und §§ 19 Abs. 1, 4 und 20 Abs. 1 bis 4 GWB a. F. (nunmehr §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB) entwickelten Tatbestände missbräuchlichen Verhaltens stellten jeweils Konkretisierungen dieser Verbotsnormen dar.10 Die Verletzung eines dieser Verbote führte i.V.m § 823 Abs. 2 BGB bzw. § 35 GWB a. F. zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis und einem relativen subjektiven Recht in Form eines Anspruchs auf Schadensersatz.11 In Verbindung mit § 1004 BGB analog konnten betroffene Unternehmen auch Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung geltend machen.12 2. Die Aufgabe des Schutzgesetzprinzips in der 7. GWB Novelle Mit der 7. GWB Novelle hat der Gesetzgeber das Schutzgesetzprinzip zumindest formal aufgegeben.13 § 33 Abs. 1 S. 1 GWB spricht nun von Betroffenheit. § 33 WuW/DE-R 233 (234) „Inkontinenzhilfen“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433) „ORWI“; Görner, S. 15 f.; Paul, S. 39 f. 7 Ständige Rspr. seit BGH, 26. 10. 1961, WuW/E BGH 442 (448) „Gummistrümpfe“; z. B. aus jüngerer Zeit OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“. 8 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle BT-Drucksache 13/9720, Teil I. 3. c) aa); siehe auch S. 36. 9 Zum Schutzzweck siehe S. 50 ff. und S. 61 ff.; vgl. zum Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. 10 Siehe S. 61 ff. 11 Siehe auch S. 33 ff. und S. 36 f. 12 RegBegr 7. GWB Novelle, BT Drucksache 15/3640, S. 53; Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker (2. Aufl.), § 35 GWB (a. F.) Rn. 100 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB (a. F.) Rn. 53. 13 In der Regierungsbegründung war zunächst die Beibehaltung des Schutzgesetzerfordernisses angedacht und eine erweiterte Auslegung des Kreises der schutzbedürftigen Wettbewerbsteilnehmer angeregt worden, vgl. BegrRegE BT-Drucks. 15/3640, Teil A. 4. g) aa) und Teil B zu § 33 zu Absatz 1. Der Bundestagswirtschaftsausschuss hat in seiner Empfehlung allerdings die Ersetzung des Schutzgesetzerfordernisses durch das Merkmal der Betroffenheit angeregt, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht vom 09. 03. 2005, BT-Drucks. 15/5049 Teil B. zu Nummer 19 (§ 33 Abs. 1 GWB). Des Weiteren: Endter, S. 158 ff.; Görner, S. 21 ff.; Logemann, S. 222 f.; Meessen, S. 170 ff.; Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (881); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1391 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1403); Herrlinger, WRP 2005, S. 1136 (1136 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1138 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (491 f.).
E. Rechtsschutz nach § 33 GWB
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Abs. 1 S. 3 GWB definiert diese Betroffenheit als Beeinträchtigung eines Wettbewerbers oder sonst Marktbeteiligten. Nun kann ein Verstoß gegen eine der Vorschriften des 1. Teils, Abschnitt 1 bis 5 des GWB bzw. des Art. 101 oder 102 AEUV Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadenersatzansprüche auslösen. Den Anstoß zur Aufgabe des Schutzgesetzprinzips gab die frühere Rechtsprechung des BGH zur einengenden Auslegung des persönlichen Schutzbereichs des § 1 GWB14 und des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (bzw. später Art. 81 Abs. 1 EG).15 Danach sollten nur solche Marktteilnehmer in den Schutzbereich einbezogen sein, auf deren Behinderung oder Ausbeutung das Kartell unmittelbar ausgerichtet war. Diese Anforderungen sind aber in der Praxis selten erfüllt.16 Regelmäßig werden Kartelle zur Verringerung der Wettbewerbsintensität zwischen den Beteiligten gegründet. Ziel ist es, aus der selbstgeschaffenen Ordnung des Marktes und dem dadurch bedingten Wegfall der Unsicherheit über das Verhalten von Wettbewerbern erhöhte Gewinne zu realisieren. Damit wirkt sich die Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen allgemein nachteilig auf die Marktgegenseite aus. Die gezielte Schädigung einzelner ist die Ausnahme. Nennenswerte Bedeutung kommt ihr allenfalls dann zu, wenn das Kartell zusammenarbeitet, um gezielt Außenseiterwettbewerber aus dem Markt zu drängen. In jüngerer Zeit hatten Gerichte die Ansicht geäußert, das Erfordernis der unmittelbaren Schädigung schränke den privaten Rechtsschutz unangemessen weit ein.17 In der Folge könne nämlich das Kartellverbot nicht effektiv durchgesetzt werden. 14 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1364 f.) „Krankenhauszusatzversicherung“; BGH, 23. 10. 1979, WUW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 25. 01. 1983, WuW/E BGH 1985 (1988) „Familienzeitschrift“; LG Berlin, 23. 05. 2003, WuW/DE-R 1325 (1326 f.) „Berliner Transportbeton II“; LG Mainz, 15. 01. 2004, WuW/DE-R 1349 (1350 ff.) „Vitaminpreise Mainz“; Görner, S. 23, 25; Logemann, S. 223 ff.; Paul, S. 37 f.; Bechtold, DB 2004, S. 235 (239); Hempel, WuW 2004, S. 362 (363); Lübbig, WRP 2004, S. 1254 (1255); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1211 f.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (195 f.); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (166). 15 BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier-Uhren“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; LG Mainz, 15. 01. 2004, WuW/DE-R 1349 (1350 ff.) „Vitaminpreise Mainz“; abweichend nunmehr BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; Paul, S. 37 f.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (480 f.); Lübbig, WRP 2004, S. 1254 (1255 f.); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (166); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (948 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (959 f.). 16 Diese Einschränkung führte auch zu dem, in sich widersprüchlichen Ergebnis, dass je umfassender (im Sinne der Auswirkung auf eine unbestimmte Vielzahl von Angehörigen der Marktgegenseite) ein Kartell ausgestaltet war, desto geringer die Rechtsschutzmöglichkeiten der dadurch Betroffenen waren: Alexander, Schadenersatz, S. 370 ff.; Bechtold, DB 2004, S. 235 (239); Bulst, NJW 2004,S. 2201 (2202); Herrlinger, WRP 2005, S. 1136 (1136 f.); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1066 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (195); ders., in: FS Canaris, S. 1175 (1182 f.). 17 OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162 f.) „carpartner II“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 143 (146) „Global One“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (240 ff.) „Inkontinenzhilfen“; LG Dortmund, 01. 04. 2004, WuW/DE-R 1352 (1353) „Vitaminpreise Dortmund“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2775 f.) „Berliner Transportbeton“; so nunmehr auch der BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
Notwendig sei, dass jeder, der von einem Kartellverstoß nachteilig betroffen sei, seinen Schaden ersetzt verlangen könne. Die damit verbundene Stärkung des Rechtsschutzes erfuhr weitgehende Zustimmung.18 Diese Neuorientierung der Rechtsprechung fand im Rahmen des Schutzgesetzprinzips statt.19 Im Referentenentwurf zur 7. GWB Novelle20 war das Schutzgesetzprinzip im Anschluss an das Urteil des EuGH „Courage“21 dennoch aufgegeben worden. Denn der EuGH hatte judiziert, dass jedermann, der durch einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) rechtserheblich betroffen sei, Rechtsschutz verlangen könne.22 Der Regierungsentwurf hielt abweichend vom Referentenentwurf am Schutzgesetzprinzip fest.23 Darin wurde darauf hingewiesen, dass eine Einbeziehung mittelbar von einem Kartellverstoß betroffener Marktteilnehmer unter Geltung des Schutzgesetzprinzips durchaus möglich sei.24 In § 33 Abs. 1 S. 3 GWB war eine diesbezügliche Klarstellung vorgesehen. Schlussendlich wurde dann aber doch das Prinzip der Betroffenheit in das Gesetz aufgenommen. Ausschlaggebend war neben der Bezugnahme auf das bereits angesprochene EuGH Urteil „Courage“,25 dass auch Verbraucherschutzverbände nach § 33 Abs. 1, 2 GWB Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sollen geltend machen können. Der Gesetzgeber fürchtete für den Fall der Beibehaltung des Schutzgesetzprinzips um eine effektive Durchsetzung der Klagebefugnis.26 18
Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 18; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 38 f.; Roth, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 33 GWB Rn. 45, 49, 53; Alexander, Schadenersatz, S. 375 f.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (480 f.); Köhler, GRUR 2004, S. 99 (100); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1126 f.); Bulst, NJW 2004, S. 2201 (2202); ders., EWS 2004, S. 403 (408 f.); Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (881); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1213 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (495). 19 OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162 f.) „carpartner II“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R OLG 143 (146) „Global One“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/ DE-R 233 (240 ff.) „Inkontinenzhilfen“; LG Dortmund, 01. 04. 2004, WuW/DE-R 1352 (1353) „Vitaminpreise Dortmund“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2775 f.) „Berliner Transportbeton“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. 20 Begründung Referentenentwurf vom 17. 12. 2003, S. 51. 21 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“. 22 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“ zum Rechtsschutz des durch eine Alleinbezugsverpflichtung gebundenen Abnehmers; bestätigt durch EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“: Schadenersatz für jedermann, der ursächlich auf einem Kartellverstoß beruhend einen Schaden erlitten hat; ebenso nunmehr der BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433, 3436 f.) „ORWI“; zur Schadenersatzverpflichtung für Preisschirmeffekte nach verbotener Kartellierung: EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263 f.) „Aufzugkartell“. 23 RegBegr 7. GWB Novelle, BT Drucksache 15/3640, S. 53; Schütt WuW 2004, S. 1124 (1126). 24 RegBegr 7. GWB Novelle, BT Drucksache 15/3640, S. 53; Herrlinger WRP 2005, S. 1136 (1136 f.). 25 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“. 26 Beschlussempfehlung des Bundestagswirtschaftsausschusses vom 9. 3. 2005, BTDrucks. 15/5049 Teil B. zu Nummer 19 (§ 33 GWB); Görner, S. 25 ff.
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3. Kritik am Merkmal der Betroffenheit Die Aufgabe des Schutzgesetzprinzips zugunsten eines Tatbestandsmerkmals der bloßen „Betroffenheit“ schoss über das Ziel einer Stärkung des privaten Rechtsschutzes hinaus.27 Der Begriff ist weitgehend konturenlos. Das zeigt insbesondere die Definition in § 33 Abs. 1 S. 3 GWB. Die bloße Beeinträchtigung kann nicht in jedem Fall noch so entfernter oder minimaler Beschränkung wirtschaftlicher Interessen als Anspruchsberechtigung genügen.28 Insbesondere würde das Haftungsrisiko für wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen unüberschaubar und unverhältnismäßig groß.29 Auch ist aus der EuGH Entscheidung Courage/Crehan keine uferlose Ausdehnung des anspruchsberechtigten Personenkreises abzuleiten.30 In der Entscheidung ging es gerade um die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen eines gebundenen Vertragspartners.31 In der Entscheidung Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni hat der EuGH festgestellt, es könne „jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und dem nach Art. 81 Abs. 1 EG (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht.“32 Konkret betroffen waren Kunden von Versicherungsunternehmen, die durch Etablierung eines Marktinformationssystems 27 Einschränkend auch Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 34 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 8, 10; ähnlich Hempel, WuW 2004, S. 362 (368 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1138 f.); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (166). 28 Koch, WuW 2005, S. 1210 (1213 f., 1216 f.), der darauf hinweist, dass dann entgegen der Konzeption des deutschen Haftungsrechts ein umfassender deliktischer Vermögensschutz drohe; ähnlich Bechtold/Bosch, § 33 GWB Rn. 11 f.; Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101); weniger kritisch, aber gleichwohl einschränkend: Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 34 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 8 ff.; Meessen, S. 177 f.; Paul, S. 60 ff.; Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1126 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1138 f.); für eine weite Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 15 f.; Görner, S. 76 ff., 142 ff., 195 ff.; Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1185 f.); vgl. zur Kausalität im Hinblick auf Preisschirmeffekte bei Verstoß gegen das Kartellverbot: Generalanwältin Kokott – Schlussanträge vom 20. 01. 2014 – KONE AG, WuW/EUR 2952 (2957); EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (264 f.) „Aufzugkartell“; Pauer, WuW 2015, S. 14 (19 f., 22 f., 25). 29 Bechtold/Bosch, § 33 GWB Rn. 12; Koch, WuW 2005, S. 1210 (1217); Herrlinger, WRP 2005, S. 1136 (1136 f.). 30 Generalanwältin Kokott – Schlussanträge vom 20. 01. 2014 – KONE AG, WuW/EU-R 2952 (2957 ff.); ebenso Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 52 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 9 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 328 f.; Logemann, S. 107 f.; Mäsch, EuR 2003, S. 825 (837 f.); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1220 f.); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (75 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1138 f.); Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1184 f.). 31 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd./Crehan“; vgl. dazu auch Görner, S. 54 f.; Paul, S. 82 f.; Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (74 f.). 32 EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; vgl. auch Görner, S. 56 f.; Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (79 f.); De Smijter/ O’Sullivan, Competition Policy Newsletter 2006, S. 23 (23 f.); Seitz, EWS 2006, S. 416 (418 f.).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
ein Kartell gebildet hatten.33 Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Ursachenzusammenhang zwischen Kartellverstoß und Schaden anzunehmen ist und welche weiteren, über den Kreis der Vertragspartner kartellangehöriger Unternehmen hinausgehenden Marktteilnehmer in Abhängigkeit von der Beantwortung dieser Frage Schadenersatz beanspruchen können, nimmt das Gericht keine Stellung. Der EuGH hat mit diesen beiden Entscheidungen das Tor für eine weite Ausdehnung des Kreises privater Anspruchsteller geöffnet.34 Demgegenüber ist die Frage nach einer angemessenen Eingrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten nicht beantwortet.35 Nach wie vor kann eine angemessene Abgrenzung nur über den Sinn und Zweck der jeweilig verletzen Vorschrift gefunden werden.36 Der Begriff „Betroffenheit“ in § 33 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB zwingt zwar die Rechtsprechung zur Aufgabe des Unmittelbarkeitskriteriums im Sinne einer zielgerichteten Übervor33 EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1108 ff.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“. 34 Vgl. nunmehr BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; Alexander, Schadenersatz, S. 356 f.; Görner, S. 54 ff., 76 ff.; Meessen, S. 196 ff.; Paul, S. 52 ff.; Brinker/ Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (74 ff., 79 f.); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1364 ff.). 35 Zum Bsp. im Hinblick auf die Einbeziehung von Angehörigen nachfolgender Marktstufen, für deren Einbeziehung: Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 f. Rn. 41 bis 44 und Art. 12 Abs. 1 und 14 des Richtlinientextes (allerdings ohne Auseinandersetzung mit der Frage, ob dies in allen Fallgruppen geboten und zweckmäßig ist); für eine Einbeziehung bei Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; dazu auch: Bechtold/Bosch, § 33 GWB Rn. 11 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 328 f.; Logemann, S. 108 ff.; Meessen, S. 196 ff.; Mäsch, EuR 2003, S. 825 (837 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1394 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1403 f.); Herrlinger, WRP 2005, S. 1136 (1136 f.); Koch, WuW 2005, S. 2110 (2115 ff.); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (75 f.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45 f.); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1367 f.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (439 f.); ablehnend Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101). 36 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 18; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 34 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 10; Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 784 ff., 788; Alexander, Schadenersatz, S. 357 ff.; Meessen, S. 196 ff.; Paul, S. 47 f., 58, 64 ff.; Hempel, WuW 2004, S. 362 (369); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1215 ff.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (198 f.); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (166); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1368 f.); a. A. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 16; Bulst, Schadenersatzansprüche, 108 ff.; Endter, S. 160; Görner, S. 15 ff., 25 ff., 76 ff., 142 ff., 195 ff., der anhand des Begriffs Betroffenheit eine Neubewertung der Anspruchsberechtigung potentieller Deliktsgläubiger vornehmen möchte; Logemann, S. 225 ff. Zu weit geht es allerdings in dem „Courage“ Urteil die Etablierung eines originären europarechtlichen Schadensersatzanspruches sehen zu wollen, vgl. hierzu: Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 199 ff.; Meessen, S. 20 ff.; Mäsch, EuR 2003, S. 825 (837 ff.). Der Inhalt eines Schadensersatzanspruchs als Folge einer Verletzung der Art. 101 oder 102 AEUV richtet sich nach wie vor nur nach nationalem Recht. Die Vorgabe, es müsse jedem, von einem Kartellrechtsverstoß nach Art. 101 Abs. 1 AEUV Betroffenen Rechtsschutz zuteil werden, ist lediglich eine Konkretisierung des Grundsatzes effektiver Durchsetzung („effet utile“) des Europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten, hierzu: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433, 3436 f.) „ORWI“; Alexander, Schadenersatz, S. 91 ff.; Görner, S. 70 ff., 85 ff.; Logemann, S. 336 ff.; Weyer, GRUR 2000, S. 848 (849 f.); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (72 ff.); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (126 f.).
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teilung der Marktgegenseite.37 Er schafft aber auch Rechtsunsicherheit. Demgegenüber wird der Begriff des Schutzgesetzes, einschließlich der Dogmatik zu seiner Ausfüllung seit Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 bzw. im Rahmen des GWB seit 1958 verwandt. Das gilt umso mehr als die Frage von mittelbarer oder unmittelbarer Betroffenheit durch angemessene Abgrenzung der Reichweite des Schutzbereiches einer Verbotsvorschrift hätte bestimmt werden können.38 Die Rechtsprechung des EuGH zu Schadenersatzansprüchen nach Art. 81 und 82 EG a. F.39 (jetzt Art. 101 und 102 AEUV) steht der Heranziehung von Schutzzweckerwägungen nicht entgegen.40 Vielmehr betont der EuGH gerade, dass die konkrete Anwendung der Vorschriften Sache des nationalen Rechts ist, welches die Reichweite und das Verfahren bestimme. Das europäische Recht stellt hier Mindestanforderungen auf, die der EuGH in seiner Rechtsprechung konkretisiert und die auch bei Anwendung
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Alexander, Schadenersatz, S. 296 ff.; Bulst, Schadenersatzansprüche, 108 ff.; Görner, S. 25 ff.; Logemann, S. 108 ff.; Paul, S. 59; Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1183 ff.); Dück/Eufinger, WRP 2011, S. 1530 (1531 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (437 f.); a. A. Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101). 38 BGH, 16. 03. 1954, WuW 1954, S. 450 (454 f.), dazu, dass nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den alliierten Dekartellierungsgesetzen jeder durch eine Ausschließlichkeitsbindung betroffene und geschädigte Mitbewerber anspruchsberechtigt sein soll; in diese Richtung auch Koch, WuW 2005, S. 1210 (1215). Emmerich, AG 2001, S. 520 (522) sprach bereits im Rahmen des Schutzgesetzprinzips von Betroffenheit, des Weiteren Hempel, WuW 2004, S. 362 (368 f.); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1126); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1138 f.). Für die Beibehaltung der Dogmatik zur Schutzgesetzeigenschaft von Verbotsnormen im Rahmen der Anwendung des Betroffenheitskriteriums: Paul, S. 47 ff.; dafür Schutzzweckerwägungen zumindest nicht außer Betracht zu lassen: Meessen, S. 185 ff. Die Entscheidungen zur Überwindung des Unmittelbarkeitskriteriums in der BGH Rechtsprechung ergingen noch unter Geltung des § 33 GWB a. F. bzw. der Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB: OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/ DE-R 161 (162 f.) „carpartner II“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 143 (146) „Global One“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (240 ff.) „Inkontinenzhilfen“; LG Dortmund, 01. 04. 2004, WuW/DE-R 1352 (1353) „Vitaminpreise Dortmund“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2775 f.) „Berliner Transportbeton“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; a. A. Görner, S. 76 ff., der aus der Rechtsprechung des EuGH entnehmen möchte, dass kein Raum für Schutzzweckerwägungen sei. 39 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd./Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1108 ff.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263 f.) „Aufzugkartell“. 40 Sehr weitgehend nunmehr Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 und 15 und auch EP, directive, S. 4, Rn. 3; Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 7 f., Rn. 41 bis 44 und Art. 12 Abs. 1 des Richtlinientextes. Nähere Kriterien für die Bestimmung der Kausalität im Einzelfall werden nicht mitgeteilt. Sie sind indes für eine zweckentsprechende Anwendung in der Praxis notwendig, vgl. hierzu: Generalanwältin Kokott – Schlussanträge vom 20. 01. 2014 – KONE AG, WuW/EU-R 2952 (2957 ff.); EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (264 f.) „Aufzugkartell“; Pauer, WuW 2015, S. 14 (19 f., 22 f., 25). Die Kommission anerkennt, dass die Mitgliedstaaten (begrenzende) Kriterien zur Ausfüllung des Kausalitätskriteriums aufstellen dürfen, vgl. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 20; vgl. vertiefend Meessen, S. 185 ff.; a. A. Görner, S. 76 ff., 195 ff.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
nationalen Rechts einzuhalten sind.41 Schlussendlich besteht die Frage der Abgrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten nach § 33 Abs. 1 GWB unter neuem Namen fort. a) Persönliche Betroffenheit Für die vorliegende Arbeit bedeutet das, dass als Anspruchsinhaber nach § 33 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB prinzipiell alle betroffenen Marktteilnehmer in Betracht kommen.42 Deren Kreis muss je nach Sinn und Zweck des verletzten Verbotes ermittelt werden.43 Das schlichte Abstellen auf das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit der Marktgegenseite ist aber willkürlich44 und findet im deutschen 41 Alexander, Schadenersatz, S. 317 ff., 326 ff.; Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (439 f.); Lettl, WRP 2015, S. 537 (540, 544). 42 Der BGH deutete eine weite Auslegung zunächst an: BGH, 07. 02. 2006, WuW/DE-R 1779 (1780 f.) „Probeabonnement“; vgl. auch OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2112) „DARED“. Zwischenzeitlich hat er sie für eine Zuwiderhandlung gegen Art 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) bejaht: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. Vgl. des Weiteren: Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 7 Rn. 41 bis 44, sowie Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 des Richtlinientextes; Alexander, Schadenersatz, S. 340 f.; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 110 f.; Görner, S. 142 ff.; Logemann, S. 225 ff.; Paul, S. 50 ff.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1140 f., 1148 ff.); Bechtold, NJW 2007, S. 3761 (3766); Dück/Eufinger, WRP 2011, S. 1530 (1531 f.); Zöttl/Schlepper, EuZW 2012, S. 573 (574); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (437 f.). 43 Für einen Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; so auch Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 18; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 34 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 10; Alexander, Schadenersatz, S. 356 ff., 361 ff.; Hempel, WuW 2004, S. 362 (368 f.); Köhler, GRUR 2004, S. 99 (100); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1394 f.).; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (43); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1067 ff.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1140 f., 1154 f.); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1368 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (198 f.); ders., in: FS Canaris, S. 1175 (1188 f.). 44 Andere Ansicht OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162 f.) „carpartner II“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R OLG 143 (146) „Global One“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (240 ff.) „Inkontinenzhilfen“, deren Urteile aber als Abgrenzung zur BGH Rechtsprechung der unmittelbaren Betroffenheit zu verstehen sind. Für eine weite Auslegung im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB nunmehr: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. Für eine Beschränkung auf Angehörige der unmittelbaren Marktgegenseite: Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 15 f.; Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 785 ff.; Bechtold, DB 2004, S. 235 (239); Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (881); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1219 f.); Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101). Wie hier für eine Einbeziehung auch mittelbar betroffener Marktteilnehmer: Schmidt, in: Immenga/ Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 18; Bechtold/Bosch, § 33 GWB Rn. 12 f.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 18; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 33; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 250 ff.; Jüntgen, S. 25 ff.; Paul, S. 59 ff.; Hempel, WuW 2004, S. 362 (368 f.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1394 f.); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1068 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1140 f.); Seitz, EWS 2006, S. 416 (417 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (498 f.). Differenzierend unter Beachtung des Wechselspiels mit der passing
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Haftungsrecht keine Stütze.45 Auch der EuGH erwähnt eine solche Abgrenzung nicht.46 Denn nach wie vor erlaubt § 33 Abs. 1 GWB, abgesehen von der Verbandsklagebefugnis i. V. m. § 33 Abs. 2 GWB, keine Popularklagen. Nicht jeder, sondern nur derjenige, dessen individuelle Interessen beeinträchtigt sind, darf Anspruch auf Rechtsschutz erheben. Diese Anforderung ist durch das Kriterium der Betroffenheit nicht entfallen.47 Es stellt sich also die Frage, welche Rechtssubjekte wirtschaftliche Interessen haben können, die sich in diesem Rahmen bewegen. Darüber hinaus ist zu klären, ob jeder, der derartige Interessen hat zugleich auch deliktische Ansprüche soll geltend machen können oder ob individueller Rechtsschutz mit der verletzten Vorschrift unvereinbar ist. Gemäß § 33 Abs. 1 S. 3 GWB sind grundsätzlich alle Marktbeteiligten in Betracht zu ziehen.48 Die genaue on defense: Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (77 ff.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (948 f.). 45 Alexander, Schadenersatz, S. 377 ff.; Logemann, S. 340 ff.; Emmerich, AG 2001, S. 520 (522, 526); Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (481 f.); a. A. Koch, WuW 2005, S. 2110 (1219 f.); Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101). Allgemein gilt, dass auch derjenige haftbar gemacht werden kann, der nur mittelbar die Ursache für eine Verletzung von Rechten oder rechtlich geschützten Interessen setzt. Mit der Entfernung zwischen Handlung und Erfolg wächst allerdings der Begründungsaufwand für die Bejahung der Haftung. Entscheidungsgrundlage ist dabei aber keinesfalls die Trennung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verursachung, sondern die Aufstellung von, an der berechtigten Verkehrserwartung orientierten Sorgfaltspflichten bzw. in Bezug auf Schutzgesetze deren Normzweck, vgl. auch: Wagner, in: MüKo BGB, § 823 Rn. 21 f. 46 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd./Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; Generalanwältin Kokott – Schlussanträge vom 20. 01. 2014 – KONE AG, WuW/EU-R 2952 (2957 ff.); EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263 f.) „Aufzugskartell“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433, 3436 f.) „ORWI“. Für die Einbeziehung mittelbar betroffener Marktteilnehmer nunmehr auch: Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 7 Rn. 41 bis 44, sowie Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 des Richtlinientextes. Des Weiteren: Jüntgen, S. 26 f.; Logemann, S. 108 ff., S. 348; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (478 ff.); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1067); Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (73 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1149); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (437 f.). 47 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 18; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 34 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 9 f., 14 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 299, 352 f.; Logemann, S. 107 ff.; Meessen, S. 82 ff., 333 f.; Hempel, WuW 2004, S. 362 (368 f.); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1127); Koch, WuW 2005, S. 1210 (1215); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1141 f., 1154 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (198 f.); Seitz, EWS 2006, S. 416 (417 f.); Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1185 f., 1188 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (439 f.). Europarechtliche Vorgaben stehen hier nicht entgegen: Generalanwältin Kokott – Schlussanträge, 20. 01. 2014 KONE AG, WuW/EU-R 2952 (2957 ff.); EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263 f.) „Aufzugskartell“; Pauer, WuW 2015, S. 14 (19 f., 22 f., 25). 48 OLG Celle, 07. 04. 2005, WuW/DE-R 1592 (1592 f.) „Einkauf Aktuell“; OLG Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2861) „Entega“; für einen Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; Alexander, Schadenersatz, S. 356 ff.; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 111 ff.; Görner, S. 142 ff.; Paul, S. 50 ff., 60 ff.; Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1128 ff.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1394 f.); Hartog/Noack, WRP 2005,
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Grenzziehung kann nur im Rahmen der Erörterung der einzelnen Fallgruppen erfolgen.49 b) Sachliche Betroffenheit Der sachliche Schutzbereich beschreibt, welche individuellen Interessen gegen welche Art und Weise ihrer Verletzung geschützt werden sollen.50 Dabei ist an die bisherige Verwaltungspraxis und die dazu ergangene Rechtsprechung zu Artikel 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB anzuknüpfen.51 Im Einzelfall muss geprüft werden, inwieweit eine rechtserhebliche Betroffenheit der Marktteilnehmer festzustellen ist. Im Rahmen der einzelnen Fallgruppen werden eine Vielzahl individueller Interessen und durchgängig jeweils mehrere Gruppen von Marktteilnehmern geschützt. Dementsprechend ist eine Zuordnung dergestalt zu treffen, dass klar wird, wer gegen welche Beeinträchtigungen geschützt wird und inwieweit er Rechtsschutz beanspruchen kann. Es ist beispielsweise davon auszugehen, dass im Rahmen einer wirtschaftlichen Kopplung sowohl Konkurrenten auf dem Markt der Haupt- als auch der Nebenleistung behindert werden. Jedes betroffene Unternehmen kann aber nur gegen die Auswirkungen vorgehen, die auf dem Markt auftreten, auf dem es selbst tätig ist.52
II. Der Anspruch auf Unterlassung Der Unterlassungsanspruch dient entweder dazu, der Entstehung eines rechtswidrigen Zustandes vorzubeugen oder falls ein solcher eingetreten ist, zu verhindern, dass sich eine Rechtsverletzung in gleicher oder ähnlicher Form wiederholt.53 Der Unterlassungsanspruch zielt damit auf Sicherung der Interessen des Verletzten für die Zukunft. Verschulden des Störers ist nicht erforderlich.54 Davon zu unterscheiden sind der Beseitigungs- und Schadensersatzanspruch, welche nachfolgend dargestellt werden. S. 1396 (1403 f.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45 f.); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1069); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1140 f., 1147, 1150); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1368 f.); Schmidt, K., in: FS Canaris, S. 1175 (1188 f.). 49 Siehe zu den einzelnen Fallgruppen Teil 3 ab S. 177. 50 WuW/E BGH, 04. 04. 1975, 1361 (1364) „Krankenhauszusatzversicherung“; OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; zu Art. 85 EGV a. F. (jetzt Art. 101 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2, vgl. BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; Paul, S. 49 f. 51 Zur Systematik siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 52 Siehe im Einzelnen S. 269 ff., S. 292 ff. 53 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 25; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 36, 38. 54 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 37.
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1. Das Problem der Konkretisierung des Unterlassungsanspruches Ein marktbeherrschendes Unternehmen verletzt geschützte wettbewerbsbezogene Individualinteressen anderer Marktteilnehmer, indem es sich in einer in Art. 102 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 GWB bzw. § 20 Abs. 1 bis 3 GWB beschriebenen Weise missbräuchlich verhält. Der Unterlassungsgläubiger möchte erreichen, dass dem Normadressaten ein solches Verhalten untersagt wird. Dabei hat er zunächst ein Interesse daran, dass das Verbot frühzeitig, d. h. vor Begehung einer konkreten Verletzungshandlung verhängt wird. Er möchte des Weiteren, dass das Verbot weit gefasst wird, um möglichst viele Handlungsvarianten zu erfassen. Dadurch soll insbesondere einer Umgehung eines erstrittenen Urteils entgegengewirkt werden.55 Diese Interessen des Unterlassungsgläubigers finden ihre Grenzen im Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO und in dem durch das materielle Recht beschriebenen Anspruch.56 Der Klageantrag muss klar erkennen lassen, welches konkrete Verhalten verboten werden soll. Zwar darf der Klageantrag eine gewisse Weite haben, um naheliegende Umgehungen zu verhindern.57 Andererseits muss er so formuliert sein, dass er als späterer Tenor vollstreckbar wäre.58 Die Fragen der Bestimmtheit und der Vollstreckbarkeit stellen sich in gleicher Weise bei Untersagungsverfügungen der Kartellbehörden. Diese haben das verwaltungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, wie es in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt und auf nationaler Ebene in § 37 VwVfG bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen normiert ist, zu beachten.59 Zudem müssen diese Verwaltungsakte vollstreckungsfähig sein.60 Daher wird, soweit vorhanden, auf diese behördliche Praxis, die dazu ergangene Rechtsprechung und die Diskussion in der Literatur Bezug zu nehmen sein. Das geschieht allerdings nur insoweit als sich über das allgemeine 55
Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.52 ff. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5, Rn. 3 ff., Kapitel 51 Rn. 4 ff.; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.52 ff., 1.81 ff.; Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 253 Rn. 133, 135. 57 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5, Rn. 5 ff., Kapitel 51, Rn. 13 ff.; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.36 f., 1.54; Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 253 Rn. 133. 58 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 51, Rn. 8 f.; Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 253 Rn. 133, 135; Jüntgen, S. 79. 59 Zum Bsp.: BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2957 f.) „Gasdurchleitung“; BGH, 26. 09. 1995, WuW/E BGH 3009 (3012) „Stadtgaspreis Potsdam“; KG, 28. 11. 1979, WuW/E OLG 2247 (2248) „Parallellieferteile“; BGH, 29. 08. 1998, WuW/DE-R 195 (196) „Beanstandung durch Apothekenkammer“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473) „Puttgarden“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; OLG Koblenz, 17. 08. 2006, WuW/DER 1905 (1906 f.) „Gemeindewerke in Rheinland Pfalz“; OLG Düsseldorf, 04. 10. 2007, WUW/ DE-R 2197 (2198 f.) „E.ON Ruhrgas“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4730 (4734 ff.) „Laborchemikalien“; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 32 GWB Rn. 45 ff. 60 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 04. 10. 2007, WuW/DE-R 2197 (2199) „E.ON Ruhrgas“. 56
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Problem der Beachtung des Bestimmtheitsgebotes bei Unterlassungsklagen in Wettbewerbsprozessen61 im Zusammenhang mit Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3, 33 Abs. 1 GWB Besonderheiten ergeben. Dieser prozessualen Seite des Anspruchs ist die Frage nach dem materiellen Verbotsgehalt nachgeordnet. Denn selbstverständlich dürfen dem Unterlassungsschuldner nur solche Verhaltensweisen verboten werden, auf deren Unterlassung der Gläubiger einen durch Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3, 33 Abs. 1 GWB gedeckten Anspruch hat.62 Im Rahmen dieser Arbeit wird auf die durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung konkretisierten Verbotstatbestände Bezug genommen. Es werden die Probleme dargestellt, die sich bei der Formulierung des Klageantrages und des Urteilstenors stellen.63 Zum materiellen Tatbestand eines Anspruchs aus Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB gehört auch die Konkretisierung der Erstbegehungs- und der Wiederholungsgefahr. Einerseits ist der Begriff der Gefahr so weit auszulegen, dass der Verwirklichung einer Rechtsverletzung effektiv vorgebeugt werden kann. Andererseits darf der Gefahrenbegriff nicht derart ausufern, dass er jede, auch nur entfernt denkbare Rechtsverletzung einschließt. Er könnte dann dazu missbraucht werden, die Handlungsfreiheit des Unterlassungsschuldners unangemessen einzuschränken und ihm dadurch Nachteile im Wettbewerb zuzufügen.64 Auch dabei handelt es sich um ein allgemeines wettbewerbsprozessuales Problem, was im vorliegenden Zusammenhang nur insoweit aufgegriffen wird, als es um Fragen geht, die sich spezifisch im Hinblick auf den Machtmissbrauch stellen. 2. Grundfragen zur Bestimmung von Unterlassungsansprüchen Die Formulierung von Klageanträgen oder Unterlassungstenören zu, auf Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3, 33 Abs. 1 GWB gestützten Unterlassungsansprüchen bereitet vor allem deswegen Probleme, weil viele Tatbestandsmerkmale generalklauselartig formuliert sind oder unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Nichtsdestotrotz können aus dem Normzweck der Missbrauchsverbote Grundsätze für die Formulierung der sich aus den einzelnen Verboten ergebenden Ansprüche entwickelt werden.
61 Allgemein zur Bestimmtheit von Unterlassungsklagen: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 51 Rn. 4 ff.; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.52 ff.; zur Bestimmtheit kartellbehördlicher Verwaltungsakte: von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (656 ff.). 62 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 51 Rn. 4 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 36. 63 Siehe dazu die Ausführungen zu den einzelnen Fallgruppen in Teil 3 ab S. 177. 64 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 37 f.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 51 Rn. 13 ff.; allgemein Gursky, in: Staudinger, § 1004 Rn. 213 f.
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a) Keine Verhaltenssteuerung Art. 101 und 102 AEUV und §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB stellen keine Verhaltensgebote auf, sondern setzen nur bestimmte, durch Verbote konkretisierte Grenzen.65 Der Marktteilnehmer bewegt sich nicht innerhalb vom Gesetz vorwegdefinierter Freiräume, sondern ist frei alle Handlungen vorzunehmen, welche die Rechtsordnung nicht verbietet. Daraus folgt, dass einen staatlichen Eingriff legitimierende oder privaten Rechtsschutz stützende Normen es grundsätzlich nicht zulassen, einem Unternehmen ein bestimmtes Verhalten positiv vorzuschreiben. Eine solche Steuerung unternehmerischen Verhaltens wäre mit der Idee eines dynamischen Wettbewerbs unvereinbar.66 Folglich darf der Unterlassungstenor eines Urteils oder Verwaltungsaktes nicht als Gebot verfasst werden, sich in bestimmter Weise zu verhalten.67 Vielmehr ist er als Verbot eines konkret umschriebenen rechtswidrigen Verhaltens zu formulieren. Dabei bildet die erfolgte oder drohende konkrete Verletzungshandlung den Ausgangspunkt und wesentlichen Inhalt des Tenors.68 Eine gewisse Auflockerung erfährt dieser Grundsatz durch die Notwendigkeit, einer Umgehung des verbotenen Verhaltens entgegenzuwirken.69 Auch naheliegende Handlungsvarianten, auf die der Schuldner ausweichen kann, um einen rechtswidrigen Wettbewerbsvorteil zu realisieren, sind zu verbieten. Beispielhaft ist auf das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis zu verweisen. Im Ausgangspunkt ist das konkrete wettbewerbswidrige Angebot in den Blick zu nehmen. Allerdings genügt es nicht, nur dieses zu verbieten. Denn dann könnte der Marktbeherrscher durch eine nur geringfügige Erhöhung, die den Verkaufspreis aber unter dem Einstandspreis 65 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 f.) „Puttgarden II“; siehe bereits S. 50 ff. und S. 61 ff. 66 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; KG, 05. 01. 1976, WuW/E OLG 1645 (1646) „Valium-Librium“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 f.) „Puttgarden II“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1726) „Stadtwerke Dachau“; siehe auch S. 52 ff. 67 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; KG, 05. 01. 1976, WuW/E OLG 1645 (1646) „Valium-Librium“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3336) „Inter Mailand Spiel“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 f.) „Puttgarden II“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/ DE-R 1726 (1728) „Stadtwerke Dachau“; allgemein Gursky, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 147, 236 ff. 68 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; KG, 28. 11. 1979, WuW/E OLG 2247 (2248) „Parallellieferteile“; OLG München, 28. 07. 1983, WuW/E OLG 2942 (2945) „Kaufmarkt“; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.52, 1.54; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 38, 40; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5 Rn. 5 ff, Kapitel 51 Rn. 8 ff. 69 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; KG, 05. 01. 1976, WuW/E OLG 1645 (1646 f.) „Valium-Librium“; LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1487, 1494) „Wasserversorgung Wetzlar“ zu § 131 Abs. 6 GWB, 103 GWB a. F. (1990); Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 40; Schebstadt, WuW 2005, S. 1009 (1010).
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belässt, das Verbot leicht umgehen und sein Ziel der Verdrängung des Wettbewerbers weiterverfolgen.70 Andererseits darf nicht jeglicher Verkauf zu Verlustpreisen verboten oder gar vorgegeben werden, dass zu einem genau bestimmten Preis zu verkaufen ist. Dem Normadressaten ist es freigestellt, jeden oberhalb des Einstandspreises liegenden Preis zu verlangen. Es darf also lediglich untersagt werden, die durch den Einstandspreis bestimmte Missbrauchsgrenze zu unterschreiten. b) Wahlfreiheit der Mittel Das Erfordernis, die Einschränkung der Handlungsfreiheit des marktbeherrschenden Unternehmens auf das für die Aufrechterhaltung eines rechtmäßigen Zustandes notwendige Maß zu begrenzen, bedingt, dass ihm eine Wahlfreiheit bezüglich der dazu einzusetzenden Mittel verbleiben muss.71 Wenn also mehrere Möglichkeiten verbleiben, rechtswidrige Verhaltensweisen abzustellen, kann der Marktbeherrscher frei wählen, welche er ergreift. Das ist beispielsweise im Zusammenhang mit diskriminierendem Verhalten praktisch relevant.72 Besteht der Vorwurf lediglich darin, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegt, gibt es drei zulässige Handlungsvarianten. In Betracht kommt entweder eine bisher nur an Einzelne ausgereichte Vergünstigung allen zu gewähren oder die Vergünstigung der bisher besser Gestellten zu streichen. Und schließlich besteht die Möglichkeit einer völligen Neuausrichtung der Unternehmenspolitik unter Zugrundelegung anderer Bedingungen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Sicherstellung eines rechtmäßigen Zustandes nur auf eine Art möglich ist. Das eigentliche Verbot verdichtet sich dann zum Gebot.73 So kommt zum Beispiel bei der Preisspaltung nur eine Absenkung des höheren auf das niedrigere Preisniveau in Betracht, weil nur der niedrigere Preis im freien Leistungswettbewerb gebildet wurde.74 Der Gesetzgeber hat nunmehr in § 32 Abs. 2 GWB ausdrücklich bestätigt, dass den Kartellbehörden im Einzelfall die Möglichkeit positiver Tenorierung offensteht.75
70
Siehe im Einzelnen S. 207 ff. BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 f.) „Puttgarden II“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1728) „Stadtwerke Dachau“; BGH, 11. 12. 2012, WuW/DE-R 3821 (3826 f.) „Fährhafen Puttgarden II“. 72 Siehe im Einzelnen S. 458 ff. 73 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1728) „Stadtwerke Dachau“; OLG Stuttgart, 25. 08. 2011, WuW/DE-R 3389 (3394 f.) „TarifwasserKunden“; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 32 GWB Rn. 28 f., § 33 GWB Rn. 94. 74 Siehe S. 524. 75 BegrRegE, BT-Drucks. 15/3640, Teil B. zu Nummer 19, zu § 32 zu Absatz 2; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 32 GWB Rn. 29; Kahlenberg/Haellmigk, BB 2005, S. 1509 (1512); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1389). 71
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c) Unterlassung durch aktives Tun Gegenstand des Unterlassungsanspruches kann nicht nur ein Nichtstun im wahrsten Sinne des Wortes, also bloße Passivität sein. In vielen Fällen verbindet sich mit dem Unterlassungsanspruch die Verpflichtung zu einem aktiven Tun.76 Regelmäßig genügt es, um einer Rechtsverletzung vorzubeugen, dem Marktbeherrscher ein bestimmtes Verhalten zu verbieten. Besteht das rechtswidrige Verhalten aber gerade in der Weigerung dem Betroffenen Leistungen zu gewähren, ist aktives Tun unerlässlich. Das wohl anschaulichste Beispiel bietet das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung. Hier muss der Schuldner zum Abschluss des Vertrages und dessen Durchführung angehalten werden.77 3. Umgehungsgefahr Der Unterlassungstenor darf nur als Verbot formuliert werden, um die Handlungsfreiheit des marktbeherrschenden Unternehmens nicht unangemessen einzuschränken. Darüber hinaus gilt es sich zu verdeutlichen, dass die in der Rechtsprechung verbreitete Kerntheorie,78 weil sie bei der konkreten Verletzungshandlung ansetzt, Gefahr läuft, im Tenor immer nur einen Ausschnitt des materiellen Verbotsbereiches erfassen zu können. In der Folge stellt sich das Problem der Umgehungsgefahr. Weil sich die beteiligten Unternehmen zueinander in einer Konkurrenzsituation befinden, ist die Versuchung groß, das mit der Verletzungshandlung angestrebte wirtschaftliche Ziel auf eine ähnliche Art anzustreben.79 Eine übermäßige Zurückhaltung bei der Formulierung des Unterlassungstenors würde es dem marktbeherrschenden Unternehmen ermöglichen, durch eine lediglich geringfügige Änderung seines Verhaltens den, im Urteil beschriebenen Verbotsbereich zu verlassen, ohne sich rechtmäßig verhalten zu müssen. Dem Unterlassungsgläubiger wird effektiver Rechtsschutz nicht zuteil, wenn das Verbot einer konkreten Verletzungshandlung allzu leicht umgangen werden kann. Er müsste wiederum gegen die Umgehung klagen, und es wäre zu befürchten, dass bei einer erneut zu eng gefassten Untersagung das Verbot wieder umgangen wird.80 Es bestünde die Gefahr eines langwierigen prozessualen Katz und Maus Spieles, während dessen der Marktbe76
Das ist auch im Vollstreckungsrecht allgemein anerkannt: vgl. nur BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 f.) „Puttgarden II“; OLG Stuttgart, 25. 08. 2011, WuW/DE-R 3389 (3394 f.) „Tarifwasser-Kunden“; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 26; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 113. 77 BGH, 21. 02. 1995, WM 1995, 1636 (1640 m. w. N.); siehe S. 406 ff. 78 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1437) „Vitamin B 12“; KG, 28. 11. 1979, WuW/E OLG 2247 (2248) „Parallellieferteile“; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 1.52, 1.55a, sowie Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 12 UWG Rn. 2.43 f.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5, Rn. 5 ff., Kapitel 51 Rn. 13 ff. 79 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1437) „Vitamin B 12“. 80 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1437) „Vitamin B 12“; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5 Rn. 5 ff.
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herrscher sich weiterhin rechtswidriger Methoden bedienen kann. Allerdings sind solche Verhaltensweisen, die sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Begehung als auch ihrer Zielrichtung mit der verbotenen wesensgleich sind, als vom Tenor mit umfasst anzusehen.81 Dadurch wird das Problem zwar etwas entschärft. Dennoch wird eine solche Auslegung häufig nicht genügen, um missbräuchliches Verhalten sicher zu verhindern. Dann ist es notwendig, naheliegende Umgehungsvarianten durch entsprechende Formulierung in den Unterlassungstenor einzubeziehen.82 Dazu ist es erforderlich im Rahmen einer Prognose zu untersuchen, ob der Unterlassungsschuldner rechtswidrige Handlungsalternativen ergreifen wird. Das Problem ist hier nicht anders gelagert als bei der Abfassung kartellverwaltungsrechtlicher Untersagungsverfügungen.83 Dort tritt an Stelle des zivilprozessualen Bestimmtheitsgebotes das des § 37 Abs. 1 VwVfG. Aufgrund dessen ist festzuhalten, dass die Vorgabe nur genau bestimmte Verletzungshandlungen zu verbieten, zugunsten einer Begrenzung der Umgehungsgefahr eine Einschränkung erfahren kann. Ausgangspunkt ist die Kerntheorie. Deren abstrakte Vorgaben sind für einzelne Fallgruppen zu konkretisieren. Dabei ist den berechtigten Gläubigerinteressen Rechnung zu tragen, ohne den Bestimmtheitsgrundsatz aus den Augen zu verlieren. In Fällen, in denen die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes verhindern, dass eine Untersagung der Verletzungshandlung naheliegende Umgehungsmöglichkeiten mit erfasst, müssen diese Umgehungshandlungen in die Formulierung des Titels von vornherein mit aufgenommen werden. Dies setzt eine adäquate Formulierung des Klageantrages voraus.
4. Begehungsgefahr Will der Unterlassungsgläubiger einer möglichen Verletzung seiner Interessen vorbeugen, so muss er die konkrete Gefahr einer Rechtsverletzung belegen.84 § 33 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB nennen in der Fassung der 7. GWB Novelle erstmals ausdrücklich die Wiederholungsgefahr und die Gefahr einer drohenden Rechtsgutverletzung. Dass ein Verletzungserfolg noch nicht eingetreten sein muss, war für die Rechtsanwendung durchaus nicht immer selbstverständlich. Vor der 4. GWB No81 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1437) „Vitamin B 12“; Köhler, in: Köhler/ Bornkamm, § 12 UWG Rn. 2.43 f.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5, Rn. 13 ff. 82 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 5 Rn. 5 ff. 83 von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (662 f.). 84 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1363) „Krankenhauszusatzversicherung“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2965) „Gasdurchleitung“; KG, 29. 11. 2000, WuW/DE-R 699 (702) „Metro MGE Einkaufs GmbH“; OLG Düsseldorf, 22. 06. 2010, WuW/DE-R 2947 (2949, 2952 ff.) „TNT Post/First Mail“; zu kartellbehördlichen Verfügungen: OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1772) „E.ON Ruhrgas“ und OLG Düsseldorf vom 04. 10. 2007, WuW/ DE-R 2197 (2197 f.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1158 ff.) „E.ON Ruhrgas“; KG, 28. 11. 1979, WuW/E OLG 2247 (2248) „Parallellieferteile“; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 111.
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velle wurde verbreitet gefordert, dass eine konkrete Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen nachgewiesen werden muss.85 Nachdem die Rechtsprechung zunächst ebenfalls diese Forderung erhoben hatte,86 änderte sich die Judikatur infolge starker Kritik recht schnell. Es setzte sich die sogenannte modifizierte Zweischrankentheorie durch.87 Danach genügt es, wenn die gerügte Handlung geeignet ist, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt zu beeinträchtigen. Dieser Grundsatz gilt auch im Bereich der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV.88 Für den allgemeinen Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB, gilt, dass er bereits bei konkreter Gefährdung berechtigter Interessen geltend gemacht werden kann.89 Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn rechtswidriges Verhalten angekündigt wird oder kurz davor steht, in die Tat umgesetzt zu werden.90 Hat sich der Normadressat bereits zuvor rechtswidrig verhalten, wird regelmäßig die Gefahr der Wiederholung zu bejahen sein.91 Für den Unterlassungsanspruch nach Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB bedeutet das, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der abstrakten Geeignetheit missbräuchlichen Verhaltens, den Restwettbewerb auf einem Markt zu gefährden, im
85
Siehe S. 63 ff. Siehe S. 63 ff. 87 Siehe S. 63 ff. 88 EuGH, 21. 02. 1973, Slg. 1973, 215 (246 f.) „Continental Can“; EuGH, 06. 03. 1974, Slg. 1974, 223 (254) „Commercial Solvents“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (458) „Hoffman LaRoche/Vitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (649) „Michelin Niederlande“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (234, 241) „Inkontinenzhilfen“; OLG Düsseldorf, 26. 02. 2014, WuW/DE-R 4242 (4243) „Presse-Grosso II“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 143 ff.; siehe bereits S. 68 f. 89 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1363, 1366) „Krankenhauszusatzversicherung“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2965) „Gasdurchleitung“; zu kartellbehördlichen Verfügungen: KG, 28. 11. 1979, WuW/E OLG 2247 (2248) „Parallellieferteile“, OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (234, 241) „Inkontinenzhilfen“ zu Art. 81 EG (Art. 101 AEUV). 90 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1366) „Krankenhauszusatzversicherung“; LG Frankfurt a.M., 15. 11. 2002, WuW/DE-R 1200 (1202) „Autovermietungsagenturen“; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 10, Rn. 9 ff., 13. 91 BGH, 04. 04. 1975, WuW/E BGH 1361 (1363) „Krankenhauszusatzversicherung“; OLG Düsseldorf, 16. 06. 1998, WuW/DE-R 233 (241) „Inkontinenzhilfen“; vgl. zu kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen: OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1772) „E.ON Ruhrgas“ und OLG Düsseldorf, 04. 10. 2007, WuW/DE-R 2197 (2197 f.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1158 ff.) „E.ON Ruhrgas“; OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2294) „Stadtwerke Düsseldorf“; OLG Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2861, 2864) „Entega“; zwingend ist das jedoch nicht, vgl. nur: KG, 29. 11. 2000, WuW/DE-R 699 (702) „Metro MGE Einkaufs GmbH“; BGH, 07. 11. 2006, WuW/DE-R 1951 (1952 ff.) „Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt“; OLG Karlsruhe, 10. 12. 2008, WuW/DE-R 2606 (2608) „Hundezuchtverband“; OLG Düsseldorf, 26. 02. 2014, WuW/DE-R 4242 (4243) „Presse-Grosso II“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1241) „Praktiker Baumärkte“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1486) „Netto Marken-Discount“. 86
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Rahmen von § 33 Abs. 1 und 2 GWB dergestalt zu konkretisieren sind, dass der Nachweis einer drohenden oder sich wiederholenden Rechtsgutverletzung gelingt. 5. Prüfungsschema Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich folgende Prüfungsreihenfolge. Eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr vorausgesetzt, ist zunächst der Kernbereich des rechtswidrigen Schuldnerverhaltens zu ermitteln. Es ist zu fragen, ob ein zur Kennzeichnung der Verletzungshandlung verwendetes Merkmal hinweggedacht werden kann, ohne dass der Vorwurf der Rechtswidrigkeit entfiele. Auf Basis dessen ist ein Verbot zu formulieren. Im Anschluss muss geklärt werden, auf welche naheliegenden Varianten der Schuldner ausweichen kann, um das Verbot zu umgehen. Besteht eine derartige Gefahr, muss der Kernbereich der Verletzungshandlung, so wie er im Klageantrag oder im Titel beschrieben ist, derart erweitert werden, dass das Verbot effektiv durchgesetzt werden kann. Insbesondere ist entscheidend, auf welche ähnlichen Arten der Schuldner eine gleiche oder verwandte wirtschaftliche Wirkung erzielen kann. Durch eine präzise Analyse der negativen Wirkungen, die auf das Schuldnerverhalten zurückgehen, wird es möglich die Mittel und Methoden zu erkennen, welche rechtswidrig einsetzbar sind. Dabei muss aber stets zugrunde gelegt werden, dass die Freiheit des Normadressaten, d. h. des Unterlassungsschuldners so weit als möglich aufrecht zu erhalten ist, ihm also insbesondere nur im Ausnahmefall ein konkretes Verhalten aufgegeben werden darf.
III. Der Anspruch auf Beseitigung 1. Dogmatische Einordnung § 33 Abs. 1 S. 1 GWB erwähnt seit der 7. GWB Novelle den Beseitigungsanspruch.92 Dieser hatte bereits zuvor allgemeine Anerkennung im Wettbewerbsrecht gefunden.93 Streitig war lediglich, ob er bereits gewohnheitsrechtliche Geltung hatte oder es einer Analogie zu § 1004 BGB bedurfte.94 2. Abgrenzung zwischen Unterlassung und Beseitigung Als Tatbestandsvoraussetzung fordert § 33 Abs. 1 S. 1 GWB ebenso wie beim Unterlassungsanspruch den Verstoß gegen eine Vorschrift des GWB, des Art. 101 92 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640 Teil B. zu Nummer 19 (zu § 33 Abs. 1). 93 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 43; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (43 f.); Roth, in: FS Huber, S. 2006, 1133 (1137); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1356). 94 Vgl. dazu Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB Rn. 53; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (43 f.).
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oder 102 AEUV oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörden. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Ansprüchen besteht darin, dass der Beseitigungsanspruch eine bereits eingetretene Verletzung geschützter Interessen anderer Marktbeteiligter voraussetzt,95 während der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet einer drohenden Verletzung oder der Wiederholung einer Verletzung entgegenwirken will.96 Auf der Rechtsfolgenseite verlangt Beseitigung vom Normadressaten ein aktives Handeln zur Wiederherstellung eines wettbewerbsgemäßen Zustandes.97 Demgegenüber zielt Unterlassung darauf ab, dass sich der Schuldner einer bestimmten Handlung enthält. Nur ausnahmsweise wird aktives Tun erforderlich.98 Obwohl beide Ansprüche verwandt sind, haben sie dennoch eigenständigen Charakter. 3. Abgrenzung zwischen Beseitigung und Schadensersatz a) Anspruch auf Störungsbeseitigung nach § 1004 BGB Weit schwieriger als die Abgrenzung zwischen Beseitigung und Unterlassung ist die Grenzziehung zwischen Beseitigung und Schadensersatz. Hintergrund ist, dass beide Ansprüche vergangenheitsbezogen sind. Entscheidend ist, was genau unter Beseitigung einer Beeinträchtigung geschützter Interessen zu verstehen ist. Soweit diese reicht, besteht notwendigerweise eine Überschneidung mit der Naturalrestitution.99 Darüber hinaus hat der Schadensersatzanspruch eigenständige Bedeutung bei der Kompensation erlittener Nachteile. Die Frage lautet also, wo geht es noch um Wiederherstellung eines wettbewerbsgemäßen Zustandes oder schon um Kompensation für erlittene Nachteile. Bereits im Rahmen von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, aus dem heraus auch der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch ursprünglich entwickelt wurde,100 ist die Frage umstritten. Überwiegend wird vertreten, dass Beseitigung mit Versiegen der Störungsquelle gleichzusetzen sei.101 Nach anderer 95 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 26; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 109; Görner, S. 174 f.; Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1358 f.). 96 Siehe S. 141 ff. 97 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 26; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 44; allgemein Gursky, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 136. 98 Siehe S. 141. 99 Görner, S. 183 f.; Paul, S. 85 ff.; Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (902 ff.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (47 ff.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1143); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1357 f., 1370). 100 Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (922 ff.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (44); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1355 f.). 101 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 44; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 42, 44; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 109; Roth, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 33 GWB Rn. 179; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 24, Rn. 1 und 9 ff.; allgemein Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 222 ff.; Gursky, in: Staudinger
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Auffassung sollen auch die Einwirkungsfolgen, soweit sie das geschützte Rechtsgut oder Interesse unmittelbar betreffen, auszugleichen sein.102 Die Rechtsprechung entscheidet insoweit stark einzelfallorientiert.103 Es sprechen die besseren Argumente für die erste Auffassung. Wollte man die Einwirkungsfolgen beseitigen, so würde das zu einem verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch für Substanzverletzungen führen. Damit bewegte man sich bereits im originären Bereich des Schadensrechts, welches insoweit über § 249 Abs. 1 BGB zur Totalreparation führt. Systematisch findet ein derartig weiter Ausgleichsanspruch seine Rechtfertigung im schuldhaften Handeln oder der Anordnung einer Gefährdungshaftung wegen besonders risikobezogener Tätigkeit.104 Daran fehlt es beim Beseitigungsanspruch gerade. Ursprünglich fand § 1004 BGB, der insoweit die originäre Quelle des Beseitigungsgedankens darstellt, als Ergänzung des Eigentumsherausgabeanspruchs nach § 985 BGB Eingang in das Gesetz.105 Im Zusammenspiel dienen beide Normen dazu, dem Eigentümer die uneingeschränkte Verfügungsmacht zu sichern. § 985 BGB gewährt Rechtsschutz gegen Entziehung oder Vorenthaltung der Sachen des Eigentümers. § 1004 BGB erweitert diesen Schutz auf solche Einwirkungen, bei denen der Eigentümer zwar im Besitz der Sache bleibt, er aber durch äußerliche Störungen in seinen Nutzungsmöglichkeiten beeinträchtigt wird.106 Ausgleichsansprüche sieht § 1004 BGB nicht vor. Sie führten nicht nur zum Wertungswiderspruch mit dem Eigentumsschutz nach §§ 823 Abs. 1, 249 BGB, sondern auch mit dem Recht des Eigentümer-Besitzer Verhältnisses. Im Rahmen des EBV haftet der gutgläubige Besitzer gemäß § 993 BGB für Schäden am Eigentum gar nicht. Selbst der bösgläubige Besitzer haftet gemäß § 989 BGB nur bei Verschulden. Dabei zielt § 989 BGB nur auf Ersatz von Substanzverletzungen. Würde daneben ein Anspruch auf Beseitigung von Einwirkungsfolgen nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB treten, würde nicht nur § 993 BGB leer laufen, sondern auch ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch geschaffen, der § 989 BGB überflüssig machte. Wenn man den so entwickelten Beseitigungsanspruch auf andere Rechtsbereiche wie etwa das Wettbewerbsrecht überträgt, so sind seine Grenzen auch dort zu beachten.107 BGB, § 1004 Rn. 139 f.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1144 f.); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1357 f., 1370). 102 Weiterführend Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 222 ff. und Gursky, in: Staudinger BGB, § 1004 BGB Rn. 139 f. jeweils m. w. N.; Paul, S. 85 ff., 89; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (48 ff.). 103 Allgemein Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 220 ff.; Gursky, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 137 jeweils m. w. N.; Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (904 ff.); siehe auch S. 148 ff. 104 Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 8; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 249 Rn. 1, 3. 105 Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 1 ff. 106 Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 1, 281; Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1357). 107 Andere Ansicht Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (47 ff.), der als Ziel des Beseitigungsanspruches die Wiederherstellung des Rechtsguts oder rechtlich geschützten Interesses ansieht. Danach ergeben sich Zahlungsansprüche zum Ausgleich von Vermögensnachteilen, insoweit als das Vermögen durch die verletzte Norm geschützt ist; in diese Richtung ebenfalls Paul, S. 89.
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b) Beseitigungsanspruch bei Marktmachtmissbrauch aa) Übertragung der Grundsätze aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB Bezogen auf das Problem des Marktmachtmissbrauchs führt ein so verstandener Beseitigungsanspruch dazu, dass der Marktbeherrscher sein missbräuchliches Verhalten aufgeben und die rechtswidrige Einwirkung auf die durch Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB geschützten wirtschaftlichen Interessen beenden muss. Ziel ist es, zum freien Leistungswettbewerb zurückzukehren und dafür zu sorgen, dass der betroffene Marktteilnehmer wieder ungehindert agieren kann.108 Dagegen geht es nicht darum, in der Vergangenheit entstandene wirtschaftliche Nachteile, gleich welcher Art, auszugleichen.109 Zu unangemessen Ergebnissen führt das nicht.110 Denn aus missbräuchlichem Verhalten gezogene Vorteile können auch ohne Rückgriff auf den Beseitigungsanspruch ausgeglichen werden. Im Rahmen vertraglicher Beziehungen ist an Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen nach § 280 BGB zu denken. Zwar wird auch insoweit Verschulden vorausgesetzt. Allerdings kommt dem Gläubiger die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zugute. Art. 101 Abs. 2 AEUV und § 134 BGB eröffnen über die Sanktion der Nichtigkeit den Weg zu einem bereicherungsrechtlichen Vermögensausgleich. Schließlich darf auch die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 33 Abs. 1, 3 GWB nicht unterschätzt werden. Zwar führt die Verschuldensabhängigkeit zu einer Erhöhung der Anforderungen an die Tatbestandserfüllung im Vergleich zum Beseitigungsanspruch. Allerdings wird das Verschuldenskriterium streng angewandt. Im Grunde entlastet den Normadressaten, da das handelnde Unternehmen sich die Kenntnis aller Tatumstände zurechnen lassen muss, nur ein unvermeidbarer Rechtsirrtum. Dieser liegt, angesichts einer umfangreichen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zu den Art. 101 und 102 AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB nur selten vor.111 Ist dennoch im Einzelfall kein vollständiger Ausgleich von Nachteilen möglich, so entspricht das dem haftungsrechtlichen Grundsatz, dass – außerhalb der eng begrenzten Gefährdungshaftung – voller Ausgleich erlittener Nachteile nur verschuldensabhängig gewährt wird.
108 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 26; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 44 f.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 42, 44; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kapitel 24 Rn. 1, 9 ff.; Rehbinder, NJW 1997, S. 564 (565); Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (913 ff.); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1372 f.). 109 Görner, S. 188 ff.; Logemann, S. 48; Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (913 ff.); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1358 f., 1370). 110 Demgegenüber BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2811 f.) „Stromeinspeisung“, wo die Zuerkennung eines Nachzahlungsanspruches zum Ausgleich einer unbillig niedrigen Vergütung auf den Beseitigungsanspruch als Grundlage gestützt und als Gebot der Gerechtigkeit bezeichnet wurde; vgl. auch Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (48 ff.); siehe dazu sogleich S. 148 ff. 111 Siehe S. 154 ff.
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Dabei findet Berücksichtigung, dass die umfassende Inanspruchnahme des Schädigers einer überzeugenden Legitimation bedarf.112 bb) Rechtsprechung zum Beseitigungsanspruch (1) Die Problematik der Stromeinspeisungsfälle Der BGH hat den Beseitigungsanspruch, dem bis dahin im Kartellrecht nur geringe Bedeutung zukam,113 in den, Anfang bis Mitte der neunziger Jahre entschiedenen Stromeinspeisungsfällen zur Anwendung gebracht. In diesen, zu § 26 Abs. 2 GWB a. F. (später § 20 Abs. 1, 2 GWB, jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) ergangenen Entscheidungen ging es darum, dass marktmächtige Abnehmer und Verteiler elektrischer Energie den Lieferanten von Strom, welcher aus regenerativen Energiequellen gewonnen worden war, unangemessen niedrige Entgelte zahlten.114 Die Abnehmer waren der Auffassung, dass die von ihnen für die Stromeinspeisung gezahlten Entgelte dem tatsächlichen Marktwert des Stroms entsprachen. Sie berücksichtigten dabei insbesondere, dass dieser Strom nicht mit der Gleichmäßigkeit und Dauerhaftigkeit zur Verfügung stand, wie dies bei Strom aus konventioneller Erzeugung der Fall war. Demgegenüber bereitete den Stromerzeugern der Umstand Probleme, dass die Kosten für die Stromgewinnung aus regenerativen Energiequellen deutlich höher waren als die Kosten der konventionellen Erzeugung. Mit anderen Worten war die Stromerzeugung aus alternativen Energiequellen auf dem Energiemarkt nicht wettbewerbsfähig.115 Jedoch hatte der Gesetzgeber bereits frühzeitig zum Ausdruck gebracht, dass die Steigerung des Anteils der Nutzung regenerativer Energiequellen an der gesamten Stromerzeugung aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes wünschenswert ist.116 Aufgrund der höheren Kosten wurde bereits frühzeitig deutlich, dass eine Förderung notwendig ist, um die Wirtschaftlichkeit der alternativen Energieerzeugung zu ermöglichen und zu sichern. Dabei galt von Beginn an als Grundsatz, dass die Gewinnung von Strom aus regenerativen Energiequellen jedenfalls dann bevorzugt zu behandeln ist, wenn dadurch eine Verteuerung der bisherigen Herstellungskosten nicht eintritt.117 Der BGH leitete 112 Schiemann, in: Staudinger BGB, Vorbem zu § 249 Rn. 3 und § 249 Rn. 2; Caspers, in: Staudinger BGB, § 276 Rn. 3 ff. 113 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB (a. F.) Rn. 54 m. w. N. 114 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2808 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 f.) „Stromveredelung“. BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (248 f.) „Kraft-Wärme Kopplung II“. 115 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2811) „,Stromeinspeisung“. 116 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2808 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082) „Stromeinspeisung II“. 117 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2809 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH
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daraus ab, dass das, den Betreibern alternativer Energieanlagen für die Einspeisung ihres Stromes zu zahlende Entgelt, nach dem Grundsatz der vermiedenen Kosten zu berechnen sei.118 Für die Preisbildung waren also nicht der Wert des Stroms maßgeblich, sondern die Einsparungen, die der Abnehmer dadurch erzielte, dass er die eingespeiste Strommenge nicht selbst erzeugen oder von Dritten beziehen musste. Damit sprach der BGH aus, dass der eingespeiste „grüne“ Strom in der gleichen Höhe zu vergüten sei, wie der konventionell erzeugte Strom. Die betroffenen Unternehmen, welche ein zu niedriges Entgelt erhalten hatten, durften die Differenz bis zur Höhe, die sich aufgrund der Berechnung nach vermiedenen Kosten ergab, nachfordern.119 Grundsätzlich wurde zwar darauf hingewiesen, dass die Rücksichtnahmepflichten eines marktbeherrschenden oder doch zumindest marktstarken Unternehmens nicht so weit gehen können, Verantwortung für die wirtschaftliche Existenzfähigkeit aktueller oder potentieller Geschäftspartner zu übernehmen. Jedoch erfahre dieser Grundsatz infolge der politischen Zielsetzung, die regenerative Energieerzeugung zu fördern, eine gewisse Einschränkung. Die Interessenabwägung müsse berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Ziel verfolge, diesen Wirtschaftsbereich zumindest insoweit zu fördern, als sich dadurch die Energieerzeugung nicht verteuere. Die Zahlung eines zu niedrigen Entgelts stelle eine unbillige Behinderung dar, weil auf diese Weise die wirtschaftliche Existenz der alternativen Energieerzeuger nicht ausreichend gesichert und im Einzelfall gefährdet sei.120 Ziel des Behinderungsverbotes ist in diesem Fall also die Gewährleistung eines Entgeltes, welches den wirtschaftlichen Betrieb alternativer Energieerzeugungsanlagen ermöglicht. Allerdings hatte sich bereits recht schnell herausgestellt, dass die Förderung der regenerativen Energieerzeugung eines institutionellen gesetzgeberischen Rahmens bedarf. Dieser wurde mit dem Stromeinspeisungsgesetz geschaffen.121 Dieses Gesetz wurde mehrmals neugefasst und in das Erneuerbare Energien Gesetz 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 ff.) „Stromveredelung“. 118 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2809 f.) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 ff.) „Stromveredelung“; BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (248 f.) „Kraft-Wärme Kopplung II“. 119 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2811) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 ff.) „Stromveredelung“. 120 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2808 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3076 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 ff.) „Stromveredelung“; OLG Stuttgart, 22. 03. 1991, WuW/E OLG 4794 (4802 f.) „Stadtwerke Reutlingen“. 121 Stromeinspeisungsgesetz vom 07. 12. 1990, in Kraft getreten am 01. 01. 1991, BGBl. I 1990 Nr. 67, S. 2633 (ersetzt durch das Erneuerbare Energien Gesetz vom 29. 03. 2000); dazu BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“.
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umgewandelt, welches die systematische Förderung regenerativer Energiequellen sicherstellt und damit den fortschreitenden Klimaschutzverpflichtungen trotz Fortbestehens des Problems hoher, nicht voll wettbewerbsfähiger Kosten Rechnung trägt.122 (2) Zahlungsanspruch als Störungsbeseitigung Der BGH stützte den Anspruch auf Nachzahlung der Differenz zwischen gewährtem und nach den vermiedenen Kosten zu berechnendem Entgelt auf einen aus § 35 GWB a. F. i. V. m. § 26 Abs. 2 GWB a. F. abgeleiteten Beseitigungsanspruch.123 Nach dem BGH dient der Zahlungsanspruch dazu, eine gegenwärtig andauernde Störung zu beseitigen.124 Nun liegt allerdings die Vorenthaltung des Entgelts in der Vergangenheit. Soweit die Stromlieferungen, wenn auch zu niedrig, bezahlt worden sind, ist dieser Vorgang abgeschlossen. Eine gegenwärtige Störung besteht nur, wenn aktuelle, noch nicht bezahlte Lieferungen nach dem Willen des marktmächtigen oder marktbeherrschenden Abnehmers zu niedrig vergütet werden sollen.125 Jedoch geht der BGH davon aus, dass die Störung durch Vorenthalten des Differenzbetrages zwischen gezahltem und angemessenem Entgelt solange fortdauert, bis der Betrag ausgeglichen ist.126 Die Behinderung liege unmittelbar darin, dass dem Lieferanten finanzielle Mittel nicht zur Verfügung stehen. Ein angemessenes Entgelt sei Voraussetzung für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des alternativen Stromerzeugers. Auch könne ohne die Nachzahlung die vom Gesetz-
122 Erneuerbare Energien Gesetz vom 29. 03. 2000, BGBl. I 2000 Nr. 13, S. 305; neu gefasst durch das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien vom 25. 10. 2008, in Kraft getreten am 01. 01. 2009 (BGBl. 2008 I Nr. 49, S. 2074), zuletzt ersetzt durch das Erneuerbare Energien Gesetz vom 21. 07. 2014 (BGBl. I S. 1066) und Art. 4 des Gesetzes vom 22. 07. 2014 (BGBl I, S. 1218), in Kraft getreten am 01. 08. 2014. 123 In der Entscheidung BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2806 f., 2811) „Stromeinspeisung“ wurde ein Verschulden verneint. Deshalb wich der BGH auf den Beseitigungsanspruch aus. Bei Verschulden kommt ein Schadenersatzanspruch in Betracht: BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3075 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101) „Stromveredelung“; BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (248) „Kraft-Wärme Kopplung II“; OLG Stuttgart, 22. 03. 1991, WuW/E OLG 4794 (4803 f.) „Stadtwerke Reutlingen“. 124 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2806 f., 2811) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3076 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung II“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101) „Stromveredelung“; BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (249) „Kraft-Wärme Kopplung II“; zustimmend Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 109; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1144 ff.); ders., in: FS Westermann, S. 1355 (1374). 125 Ähnlich Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (914 ff.), die im Ergebnis gleichwohl mit dem BGH einen Zahlungsanspruch aus § 1004 BGB bejaht, Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (921 ff.). 126 Vgl. die Nachweise in Fn. 124.
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geber gewollte Förderung des Ausbaus der Stromgewinnung aus alternativen Energiequellen nicht gelingen. (3) Kritik an der BGH Rechtsprechung Dieser Beschreibung der negativen Wirkungen ist nicht zu widersprechen. Allerdings ändert das nichts daran, dass der Beseitigungsanspruch systemwidrig zu weit ausgedehnt wird. Das Vorenthalten des angemessenen Entgelts stellt lediglich den objektiven Tatbestand der unbilligen Behinderung des stromeinspeisenden Unternehmens dar. Der Beseitigungsanspruch kann nur dazu dienen, diese eingetretene Störung dadurch zu beenden, dass für gegenwärtige und zukünftige Lieferungen das angemessene Entgelt gezahlt wird. Die Nichtzahlung in der Vergangenheit führt dazu, dass der Erzeuger über geringere Liquidität verfügt als das bei rechtmäßigem Verhalten des marktmächtigen oder marktbeherrschenden Abnehmers der Fall wäre. Dadurch kann es zu einer Einschränkung, Stagnation oder einem geringeren als bei voller Zahlung möglichen Ausbau der regenerativen Stromerzeugung kommen. Jedoch betrifft all das Größe und Wert des Unternehmens. Insoweit einen Ausgleich zu schaffen, bedeutet Kompensation für wirtschaftlichen Substanzverlust zu leisten. Genau das ist aber dem Anspruch auf Schadensersatz vorbehalten.127 Sobald der Abnehmer dazu übergeht, das angemessene Entgelt zu zahlen, entfällt die Behinderung. Dann ist das Ziel des Beseitigungsanspruchs, die gegenwärtige Störung zu beenden, verwirklicht. Allerdings hat die Praxis gezeigt, dass teilweise überhaupt nur das höhere Entgelt die wirtschaftliche Existenz der alternativen Energieerzeuger sichern konnte. In den betreffenden Verfahren ging es zum Teil um Millionenbeträge. Es bestand, das ist der Rechtsprechung zuzugestehen, ein praktisches Bedürfnis, zu einem Ausgleich der unbilligen Vermögensverschiebungen zu kommen.128 Denn anderenfalls wäre das paradoxe Ergebnis entstanden, dass die erfolgreiche unbillige Behinderung belohnt würde. Ein Verschulden als Voraussetzung des Schadensersatzanspruches war nur deshalb nicht gegeben, weil der Maßstab der vermiedenen Kosten vor Erlass der BGH Urteile nicht anerkannt war.129 Die Abnehmer hätten also objektiv davon profitiert, dass das behinderte Unternehmen nie eine angemessene Gegenleistung erhielte. Deshalb hat das Gericht den Zahlungsausgleich als Beseitigungsanspruch auch als Gebot der Gerechtigkeit 127 Rehbinder, NJW 1997, S. 564 (565), der im Ergebnis der Rechtsprechung aber beitritt; kritisch auch Lohse, AcP 201 (2001), S. 902 (909 f., 913 ff., 918) [die gleichwohl einen Zahlungsanspruch aus § 1004 BGB bejaht, AcP, 201 (2001), S. 902 (921 ff.)] und Görner, S. 185 f., 188; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (53 f.); siehe auch S. 145 ff. 128 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2808 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3077) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung“; Rehbinder, NJW 1997, S. 564 (565); vgl. auch Paul, S. 95 f. 129 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2808 ff.) „Stromeinspeisung“. Nach diesem Urteil war dann von Verschulden auszugehen: BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3076 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101 f.) „Stromveredelung“; BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (248) „Kraft-Wärme Kopplung II“.
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bezeichnet. Aber die dogmatische Konstruktion, die Zahlungspflicht auf einen Beseitigungsanspruch zu stützen, ist weder notwendig, noch überzeugend. Der Geschäftsbeziehung liegt ein Stromlieferungsvertrag130 zugrunde. Dieser Kaufvertrag bildet den Rechtsgrund für den Austausch der gegenseitigen Leistungen, mithin Strom gegen Entgelt. Nimmt man an, der Vertrag sei so wie geschlossen wirksam, entsteht durch die nachträgliche Korrektur der Entgelthöhe infolge des Beseitigungsanspruchs ein Widerspruch. Nach dem Vertrag ist der Abnehmer lediglich verpflichtet, das vereinbarte Entgelt zu zahlen. Während diese vertragliche Verpflichtung fortbesteht, tritt der Beseitigungsanspruch daneben, setzt sich durch und korrigiert damit den Stromlieferungsvertrag. Das führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass einerseits der Vertrag ein unbillig niedriges Entgelt vorsieht, er aber andererseits durch die höhere Zahlungsverpflichtung aufgrund von §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB bzw. Art. 102 AEUV131 verdrängt wird. Diese Diskrepanz ließe sich nur auflösen, wenn man den Beseitigungsanspruch als Anspruch auf Anpassung des Vertrages versteht. Es würde dann die Entgelthöhe auf das nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB oder Art. 102 AEUV angemessene Maß angehoben. Da der Beseitigungsanspruch aber nur eine gegenwärtige Störung beenden kann, wirkt die Anpassung nur für Gegenwart und Zukunft. Für die Vergangenheit bleibt der soeben beschriebene Widerspruch zwischen Vertragsinhalt und Nachzahlung als Beseitigung erhalten. Die Vertragsanpassung über einen Beseitigungsanspruch vorzunehmen, ist zudem unnötig umständlich. Der Lieferant könnte nicht unmittelbar das ausstehende Entgelt einklagen, sondern müsste zunächst den Anspruch auf Beseitigung durch Vertragsanpassung gerichtlich geltend machen. Erst danach wäre der Weg für eine Zahlungsklage frei. (4) Geltungserhaltende Extension Demgegenüber lassen sich die aufgezeigten Widersprüche und die damit verbundenen Probleme ohne weiteres auflösen, wenn man eine Vertragsanpassung mit Hilfe der geltungserhaltenden Extension auf Grundlage des § 134 2. Halbsatz BGB vornimmt.132 Die Behinderung besteht in der Zahlung eines nicht ausreichenden Entgelts für die Einspeisung von Strom. Rechtsgrund der Entgeltzahlung ist der Liefervertrag mit der darin enthaltenen Preisvereinbarung. Sie stellt die Grundlage zur Berechnung der Gegenleistung für die Einspeisung von Strom durch den Erzeuger dar. Das bedeutet, der Lieferant ist aufgrund des Vertrages verpflichtet, seinen Alternativstrom zu einem gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB (§ 26 Abs. 2 GWB a. F. bzw. § 20 Abs. 1 GWB a. F.) oder Art. 102 AEUV verstoßenden Preis abzugeben. Da es 130 Bzw. Netzanschlussvertrag, der auf einem Kontrahierungszwang beruht; dabei handelt es sich um ein als Sukzessivlieferungsvertrag ausgestalteten Kaufvertrag. 131 Anzuwendende Normen der aktuellen Gesetzesfassung. 132 Nunmehr für den Fall, dass ein Anbieter für das zur Verfügung stellen von Daten ein überhöhtes Entgelt berechnet, die Anwendung von § 134 BGB auf den zugrunde liegenden Kaufvertrag durch das OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; zur geltungserhaltenden Extension siehe S. 118.
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sich um eine synallagmatische Hauptleistungspflicht handelt, verstößt mangels Teilbarkeit der gesamte Vertrag im Sinne von § 134 BGB gegen das gesetzliche Behinderungsverbot der § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB oder aber Art. 102 AEUV. Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit ist jedoch nicht interessengerecht. Dann stünde der schützenswerte Lieferant noch schlechter, weil er anstelle eines zu niedrigen, gar kein Entgelt erhalten würde. Das Entgelt ist deshalb von Vertragsbeginn an auf den i. S. v. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB oder Art. 102 AEUV angemessenen Betrag anzuheben. Es besteht deshalb im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses von Anfang an ein vertraglicher Anspruch auf das angemessene Entgelt.133 Es gibt daher einen vertraglichen Zahlungsanspruch. Für einen Beseitigungsanspruch verbleibt kein praktischer Anwendungsbereich mehr. c) Ergebnis Der Schadensersatzanspruch ist auf vollständige Kompensation gerichtet. Der Beseitigungsanspruch zielt darauf ab, eine gegenwärtige, d. h. zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (noch) bestehende, Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigung zu beenden und dadurch dem Marktteilnehmer zukunftsgerichtet freien Handlungsspielraum zurückzugeben. Er schafft aber keinen Ausgleich für entgangenen Gewinn oder erlittene Substanz- oder Wertverluste eines Unternehmens, seien sie auch nur in fehlender Liquidität begründet. Ein solcher Ausgleich ist nur über den Schadensersatzanspruch möglich. Um unbillige Vermögensverschiebungen, insbesondere im Hinblick auf das Profitieren aus objektiv rechtswidrigem Verhalten zu verhindern, besteht die Möglichkeit der Anpassung von Verträgen nach § 134 2. Halbsatz BGB im Wege der geltungserhaltenden Extension. Ein Nachzahlungsanspruch ist dann auf einen derart angepassten Vertrag zu stützen.
IV. Der Anspruch auf Schadensersatz Bei der Erörterung des Schadensersatzanspruchs ist über das Vorliegen eines Missbrauchstatbestandes hinaus die Frage nach Rechtswidrigkeit und Schuld zu stellen. Zudem sind Inhalt und Umfang des Schadensersatzes zu klären.
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Siehe im Einzelnen S. 115 f. und S. 118. Im umgekehrten Fall der Forderung eines überhöhten Entgelts durch einen marktbeherrschenden Anbieter kommt eine geltungserhaltende Reduktion und Rückgewähr der Überzahlung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB in Betracht: OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2299 (2300) „ANDI“.
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
1. Die Rechtswidrigkeit Die Verletzung eines Schutzgesetzes indiziert die Rechtswidrigkeit des Verhaltens.134 Dieser zu § 823 Abs. 2 BGB entwickelte Grundsatz galt auch bei Anwendung des § 33 GWB a. F.135 Die Beschlussempfehlung des Bundestagswirtschaftsausschusses zur Streichung des Schutzgesetzprinzips im Zuge der 7. GWB Novelle enthält keine Aussagen dazu, ob an dieser Systematik auch in Bezug auf das Merkmal der Betroffenheit festgehalten werden soll.136 Insgesamt lag der Neufassung des § 33 GWB im Rahmen der 7. GWB Novelle der Gedanke einer Stärkung des privaten Rechtsschutzes zugrunde.137 Damit wäre eine Abkehr davon, dass die Rechtswidrigkeit durch den Verbotsverstoß indiziert wird, nicht zu vereinbaren. Deshalb ist auch weiterhin davon auszugehen, dass die Verletzung einer Vorschrift des GWB oder der Art. 101 Abs. 1 oder 102 AEUV die Rechtswidrigkeit vermuten lässt. Als Rechtfertigungsgründe sind diejenigen in Betracht zu ziehen, die auch im allgemeinen Zivilrecht anerkannt sind. Praktische Bedeutung haben sie indes kaum.138 2. Verschulden a) Die Sichtweise der Kommission Die Regelung des Ob und bejahendenfalls der Art und des Umfanges eines Verschuldenserfordernisses für Schadenersatzklagen nach Art. 101 und 102 AEUV ist Gegenstand des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten.139 Im Hinblick auf das Verschuldenserfordernis stellt die Kommission zunächst fest, dass bei Verstößen gegen Artikel 101 und 102 AEUV in einigen Mitgliedsstaaten kein Verschuldenserfordernis vorgesehen ist, in anderen das Vorliegen von Schuld unwiderleglich vermutet wird und schließlich einige Staaten den Schadenersatz vom Vorliegen eines Verschuldens abhängig machen. Die Kommission macht deutlich, dass sie eine verschuldensunabhängige Haftung begrüßt.140 Für Staaten, die ein Verschuldenser134
Caspers, in: Staudinger BGB, § 276 Rn. 12. Vor Inkrafttreten der 7. GWB Novelle, vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 33 GWB Rn. 37 f.; Logemann, S. 73. 136 Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses vom 09. 03. 2005, BT-Drucks. 15/ 5049 Teil B zu Nummer 19 (§ 33 Abs. 1). 137 Siehe S. 42 ff. 138 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 48; Görner, S. 167 f.; Meessen, S. 338 f.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (483). 139 Siehe auch S. 41 f. In ihrem „Vorschlag für eine Richtlinie … über bestimmte Vorschriften für Schadenersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union“ behandelt die Kommission die Frage des Verschuldens nicht; vgl. auch Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440). 140 Kommission, Weißbuch, S. 7 und Commission Staff Working Paper, S. 50; ablehnend Ritter, WuW 2008, S. 762 (769 f.). 135
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fordernis vorsehen, leitet sie – durchaus in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH141 – aus dem Grundsatz der Effektivität ab, dass an eine etwaige Exkulpation strenge Anforderungen gestellt werden müssen. Mit anderen Worten soll eine Berufung auf mangelndes Verschulden nur ausnahmsweise zum Wegfall der Schadensersatzpflicht führen können. Eine solche Ausnahme will die Kommission nur für den Fall zulassen, dass sich das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden hat. Ein solcher könne nur vorliegen, wenn das Unternehmen trotz der Anwendung eines hohen Maßes an Sorgfalt, die Rechtswidrigkeit seines Handelns nicht habe erkennen können.142 b) Die Vorgaben im deutschen Recht Ein Schadensersatzanspruch setzt nach § 33 Abs. 3 S. 1 GWB voraus, dass derjenige, der gegen eine Vorschrift i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 1 GWB verstößt, vorsätzlich oder fahrlässig handelt. In diesem Sinne bedeutet Verschulden Kenntnis oder Kennen müssen aller objektiven Tatbestandsmerkmale der verletzten Vorschrift.143 Demnach kommt zunächst der Einwand eines marktbeherrschenden (relativ marktstarken) Unternehmens, es habe seine Wettbewerbsposition auf dem betroffenen Markt nicht gekannt bzw. falsch eingeschätzt, nicht zum Tragen. Denn in jedem Fall ist es über seine eigenen Wirtschaftsdaten informiert. Des Weiteren nimmt es alle Handlungen auf dem Markt bewusst vor. Insoweit handelt es also vorsätzlich. Praktische Bedeutung hat indes, dass ein marktmächtiges Unternehmen sich darauf beruft, es habe sein Handeln als rechtmäßig beurteilt. Dieses Argument scheint insbesondere dann nachvollziehbar, wenn eine umfangreiche und vielschichtige Interessenabwägung stattzufinden hat bzw. keine oder keine gefestigte Rechtsprechung besteht. Da es bei der rechtlichen Beurteilung um normative Merkmale der Verbotsvorschrift geht, vermag das marktbeherrschende Unternehmen geltend zu machen, dass es einem Rechtsirrtum unterlegen sei. Als Entschuldigungsgrund gilt dieser jedoch nur, wenn er unvermeidbar war.144 An die Voraussetzung der Unvermeidbarkeit sind strenge
141 EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f., Fn. 61, 63) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; De Smijter/O’Sullivan, Competition Policy Newsletter 2006, S. 23 (24, 25); Fleischer, EuZW 2013, S. 326 (327 f.). 142 Kommission, Weißbuch, S. 7 f. und Commission Staff Working Paper, S. 51, 52 f.; Kießling, GRUR 2009, S. 733 (738); Fleischer, EuZW 2013, S. 326 (328 ff.); Kersting, WuW 2013, S. 845 (849 f.). 143 EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (441) „Chiquita“ zum Verhängen von Bußgeldern durch die Kommission; OLG München, 30. 03. 2006, WuW/DE-R 1749 (1754) „Telefonrufsäulen“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479) „Intertemporales Verjährungsrecht“; vgl. zum Verschuldenserfordernis vertiefend Meessen, S. 341 ff.; 347 ff. 144 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 48; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 123 f.; Görner, S. 168 f.; Logemann, S. 74 f.; Meessen, S. 342 f.; Alexander, WRP 2010, S. 727 (729).
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Anforderungen zu stellen.145 Es genügt nicht, dass sich das handelnde Unternehmen Sachkenntnis durch Einholung von Rechtsrat verschafft oder einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen hat.146 Das gilt selbst dann, wenn dieser sorgfältig und fachkundig geprüft ist.147 Entscheidend ist vielmehr, dass der „Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.“148 Diese Voraussetzung wird nur außerordentlich selten vorliegen. Sie darf gleichwohl nicht überspannt werden. Nicht erforderlich ist deshalb, dass die richterliche Beurteilung „undenkbar“ gewesen wäre.149 Andererseits darf das marktbeherrschende Unternehmen das Risiko einer 145
BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG Düsseldorf, 04. 12. 1979, WuW/E OLG 2167 (2171) „Nordmende“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/ DE-R 2109 (2117) „DARED“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2767 f.) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124) „Badarmaturen“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; Görner, S. 168 f.; Meessen, S. 342 f.; zur europäischen Praxis: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (441) „Chiquita“ zur Verhängung von Bußgeld, wenn das Unternehmen bereits Adressat entsprechender Verfügungen war; demgegenüber großzügiger Kommission, 20. 07. 1999, WuW/EU-V 496 (501) „Fußball-Weltmeisterschaft 1998“; vgl. auch Fleischer, EuZW 2013, S. 326 (328 ff.); Kersting, WuW 2013, S. 845 (849 f.). 146 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG Düsseldorf, 04. 12. 1979, WuW/E OLG 2167 (2171) „Nordmende“; OLG München, 05. 03. 1992, WuW/E OLG 4977 (4981) „Parfum Discount“; OLG München, 30. 03. 2006, WuW/DE-R 1749 (1754) „Telefonrufsäulen“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2767 f.) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; Meessen, S. 342 f.; zur Frage fahrlässigen Handelns als Voraussetzung einer Bußgeldverhängung, vgl. EuGH, 18. 06. 2013, WuW/EU-R 2754 (2757 f.) „Schenker u.a.“. 147 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG Düsseldorf, 04. 12. 1979, WuW/E OLG 2167 (2171) „Nordmende“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/ DE-R 2763 (2767 ff.) „Post-Konsolidierer“; Meessen, S. 342 f.; einschränkend Logemann, S. 74; zur europäischen Praxis im Zusammenhang mit der Frage fahrlässigen Handelns als Voraussetzung einer Bußgeldverhängung EuGH, 18. 06. 2013, WuW/EU-R 2754 (2757 f.) „Schenker u.a.“; vgl. auch Fleischer, EuZW 2013, S. 326 (328 ff.); Kersting, WuW 2013, S. 845 (849 f.). 148 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG München, 05. 03. 1992, WuW/E OLG 4977 (4981) „Parfum Discount“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2117) „DARED“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2765) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124) „Badarmaturen“; insoweit noch weniger streng OLG Düsseldorf, 04. 12. 1979, WuW/E OLG 2167 (2171) „Nordmende“: Voraussetzung sei eine schwierige, zweifelhafte Rechtslage und das Fehlen einer einheitlichen Rechtsprechung bzw. das Fehlen einer Entscheidung eines obersten Gerichts. Dann genüge es, wenn der eingenommene Rechtsstandpunkt bei sorgfältiger und sachkundiger Prüfung ernsthaft vertreten werden konnte; vgl. ähnlich: Kommission, 20. 07. 1999, WuW/EU-V 496 (501) „Fußball-Weltmeisterschaft 1998“: spezifische Problemstellung, die noch nicht Gegenstand der Rechtspraxis war, zudem Kontakt zur EU-Kommission zur Klärung rechtlicher Problemlagen. 149 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2767 f.) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; OLG Düsseldorf, 13. 11.
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Falschbeurteilung nicht auf die vom Machtmissbrauch betroffenen Unternehmen abwälzen.150 Die deutsche Rechtsprechung legt also bei kartellrechtlichen Schadenersatzklagen einen sehr strengen Verschuldensmaßstab an. Das Verschulden kann praktisch nur im Falle eines entschuldbaren Rechtsirrtums entfallen, der, wegen der sehr hohen Sorgfaltsanforderungen an die Prüfung der Rechtslage, nur selten vorliegt. Insoweit steht die deutsche Rechtsanwendungspraxis im Einklang mit der Forderung der Kommission, strenge Anforderungen an das Verschuldenserfordernis zu stellen. Hat das betroffene Unternehmen an dem Verbotsverstoß mitgewirkt, dann ist sein Mitverschulden gemäß allgemeinen schadensersatzrechtlichen Grundsätzen nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.151 Art. 101 Abs. 1 und 102 AEUV stehen der Anwendung von Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht entgegen, welche als Folge der Mitwirkung eines betroffenen Unternehmens an einem Wettbewerbsverstoß die Reduzierung eines Schadensersatzanspruches zulassen.152 Weder regeln die Art. 101 Abs. 1 bzw. 102 AEUV diese Frage selbst, noch steht der Grundsatz der Effektivität entgegen. Unterlässt es ein betroffenes Unternehmen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren den Schaden zu begrenzen oder zu mindern, so kann sein Schadensersatzanspruch auf Grundlage des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB reduziert werden.153 3. Umfang des Schadensersatzanspruches a) Die Sichtweise der Kommission In Bezug auf Inhalt und Umfang eines Schadensersatzes formuliert die Kommission den Grundsatz, dass alle Opfer von Wettbewerbsverstößen erlittene Schäden in vollem Umfang ersetzt erhalten sollen.154 Dieser Grundsatz steht im Einklang mit 2013, WuW/DE-R 4117 (4124) „Badarmaturen“. In der Entscheidung BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2806 ff.) „Stromeinspeisung“ verneinte der BGH ein Verschulden, da das marktstarke Unternehmen mit einer Berechnung der Entgelthöhe nach dem Grundsatz der vermiedenen Kosten nicht habe rechnen müssen; vgl. auch Meessen, S. 342 f. 150 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2344) „Taxizentrale Essen“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2117) „DARED“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2767 ff.) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4479 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124) „Badarmaturen“; Meessen, S. 343. 151 Görner, S. 168; Meessen, S. 522 f.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (490); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1168 f.). 152 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (482) „Courage Ltd/Crehan“; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (475); Keßler, WRP 2006, S. 1061 (1065 f. m. w. N.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1168 f.). 153 Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 126; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 74; Meessen, S. 533 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (490); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1168 f.). 154 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2, 4, 15 f., 22 und Art. 2 des Richtlinientextes; EP, directive, S. 4, Rn. 3, S. 29, Rn. 41; Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f., S. 7 f. Rn. 41 bis 44
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der Rechtsprechung des EuGH.155 Die grundsätzliche Anspruchsberechtigung aller von einem Wettbewerbsverstoß Betroffenen hat der Gesetzgeber im Rahmen der 7. GWB Novelle in § 33 Abs. 1 GWB festgeschrieben.156 Das Prinzip der Totalreparation ist im deutschen Recht in § 249 Abs. 1 BGB festgehalten. Es umfasst den aktuellen Verlust ebenso, wie den entgangenen Gewinn.157 § 252 S. 1 BGB stellt letzteres ausdrücklich klar. Die Problematik liegt denn auch nicht so sehr darin, Schadenspositionen zu definieren und deren Ersatzfähigkeit zu proklamieren, sondern darin, die Schadenshöhe korrekt zu berechnen. Hierbei gilt es sicherzustellen, dass sich Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung nicht zu Lasten des Geschädigten auswirken. Bei der Wahl der Methode der Schadensberechnung muss daher deren Eignung, dem Geschädigten vollen Schadenersatz zu verschaffen, im Mittelpunkt stehen.158 Im Ausgangspunkt ist auf die Differenzhypothese zurückzugreifen. Die Kommission möchte aber insbesondere Lösungen für die Fälle finden, in denen die Anwendung der Differenzhypothese auf Schwierigkeiten stößt bzw., jedenfalls bei strenger Beachtung, mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist.159 Die Regelung des Umfanges von Schadenersatz bleibt aber, soweit die Grundsätze der Effektivität und Gleichbehandlung beachtet werden, Sache des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten.160 Allerdings darf es, um dem Grundsatz der Totalreparation in jedem Fall entsprechen zu können, keine Höchstgrenze für den
und Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 des Richtlinientextes; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 55 f.; Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440). 155 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f., 1118 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433) „ORWI“; Alexander, Schadenersatz, S. 317 ff.; Görner, S. 54 ff.; De Smijter/O’Sullivan, Competition Policy Newsletter 2006, S. 23 (25); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950). 156 Siehe im Einzelnen S. 127 ff. 157 Und entspricht damit den Vorgaben des Europäischen Rechts: Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 und Art. 3 des Richtlinientextes; Kommission, Leitfaden, S. 8, Rn. 1 und Commission Staff Working Paper, S. 56; EP, directive, S. 10, Rn. 12; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440). 158 Richtlinie 2014/104/EU, S. 8 f., Rn. 45 f. und Art. 3 Abs. 1 und 2, sowie Art. 17 Abs. 1 des Richtlinientextes; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3 ff., 16, 21 f. und Art. 3 und 16; EP, directive, S. 29, Rn. 41; Kommission, Leitfaden, S. 8 f., Rn. 1 f., S. 10, Rn. 8; Kommission, Weißbuch, S. 8; vgl. auch Tagungsbericht Bundeskartellamt „Private Kartellrechtsdurchsetzung – Stand, Probleme, Perspektiven“, WuW 2006, S. 39 (41); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440 f.); Kersting, WuW 2014, S. 564 (573 f.). 159 Richtlinie 2014/104/EU, S. 8 f. Rn. 45 f.; Kommission, Leitfaden, S. 9 ff., Rn. 3 ff.; Kommission, Weißbuch, S. 8 und Commission Staff Working Paper, S. 60 f.; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490); Lettl, WRP 2015, S. 537 (541, 544). 160 Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 11 und Art. 4 des Richtlinientextes; Kommission, Leitfaden, S. 9, Rn. 3, S. 10 Rn. 8; Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (441); zu einem Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 ff.) „ORWI“; weiterführend Alexander, Schadenersatz, S. 326 ff.
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Umfang des ersatzfähigen Schadens geben.161 Die Richtlinie 2014/104/EU schreibt nunmehr die Etablierung von Regeln zur Schätzung des entstandenen Schadens vor.162 Konkrete Hinweise zur Ermittlung des Schadensumfangs hat die Kommission in ihrem „Praktischen Leitfaden“ veröffentlicht.163 Die Einführung eines Strafschadensersatzes164 hat keinen Eingang in den Richtlinienvorschlag der Kommission zur Verbesserung privater Schadenersatzklagen gefunden.165 b) Grundlagen im deutschen Recht unter Beachtung europäischen Rechts Der Umfang des zu ersetzenden Schadens ist durch die Anwendung der §§ 249 ff. BGB zu ermitteln. Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung des tatsächlich eingetretenen Schadens aufgrund der allgemein anerkannten Differenzhypothese.166 Dabei ist der Zustand, der ohne schädigendes Ereignis bestehen würde mit demjenigen zu vergleichen, der infolge des Marktmachtmissbrauchs tatsächlich besteht. Als Berechnungsgrundlage ist in der Regel die Umsatz- und Gewinnentwicklung bzw., insbesondere im Bereich des Handels, die Preisentwicklung des betreffenden Produkts oder der betreffenden Leistung vor dem schädigenden Ereignis heranzuziehen.167 Dabei sollte, um eine genügend sichere Entscheidungsgrundlage herzu161
Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 59 f. Richtlinie 2014/104/EU, S. 8 f. Rn. 46 f. und Art. 17 Abs. 1 des Richtlinientextes; zuvor Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 60; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440 f.); Kersting, WuW 2014, S. 564 (573 f.); Lettl, WRP 2015, S. 537 (542). 163 Es handelt sich um eine nicht rechtsverbindliche Information für Gerichte und Parteien, vgl. Kommission, Leitfaden, S. 10, Rn. 7; vgl. auch Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490 ff.). Der Leitfaden stellt verschiedene Techniken und Methoden zur Schadensermittlung bei Verstößen gegen Art. 101 und 102 AEUV dar. 164 Hierzu Kommission, Commission Staff Working Paper, S. 55, 57 f. und 59. 165 Zu den Zielen, vgl. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 3; EP, directive, S. 10 f., Rn. 12; Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 13 und Art. 3 Abs. 3 des Richtlinientextes. 166 Zum Bsp.: BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1914 f.) „Meierei-Zentrale“; BGH, 08. 05. 1990, WuW/E BGH 2647 (2651 f.) „Nora-Kunden Rückvergütung“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; zu einem Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot nach §§ 1, 35 GWB a. F. (jetzt § 33 GWB) oder Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2776 f.) „Berliner Transportbeton“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 ff.) „ORWI“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124 f.) „Badarmaturen“; Alexander, Schadenersatz, S. 394 f.; Görner, S. 168, 171, 193 f.; Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Zöttl/ Schlepper, EuZW 2012, S. 573 (574 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489); Lettl, WRP 2015, S. 537 (541, 544); vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 11 ff., Rn. 11 ff. und zuvor Weißbuch, S. 8. 167 OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 ff.) „Badarmaturen“; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 4, 44 f.; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 19 f., 43 f.; Bulst, EWS 2004, S. 403 (410); von der Kommission als „zeitliche Vergleichsmethode“ bezeichnet: 162
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stellen, ein mehrjähriger, zumindest dreijähriger Zeitraum gewählt werden.168 Im Zusammenhang mit Fallgestaltungen des Ausbeutungsmissbrauchs und der Preisspaltung sind Vergleichsmarktkonzepte zur Ermittlung wettbewerbsanaloger Preise heranzuziehen.169 Auf dieser Grundlage ist eine hypothetische Umsatz- und Gewinnentwicklung bzw. Preisentwicklung ohne Machtmissbrauch zu prognostizieren. Dieses Ergebnis ist mit der tatsächlichen Entwicklung zu vergleichen. Die Differenz bildet, vorbehaltlich einer normativen Schadenskorrektur, den ersatzfähigen Schaden.170 Hierbei finden die in § 33 Abs. 3 S. 3 GWB erwähnten Möglichkeiten der Schadensschätzung nach § 287 ZPO und der durch die 7. GWB Novelle eingefügten Berechnung des Schadens nach dem aus einem Gesetzesverstoß erlangten Gewinn Berücksichtigung.171 Des Weiteren steht dem Geschädigten ein gewohnheitsrechtlich anerkannter Auskunftsanspruch zu, soweit dieser erforderlich ist, um die konkrete Höhe eines Schadens beziffern zu können. Das ist der Fall, wenn der Schadensersatzanspruch dem Grunde nach feststeht, der Schädiger ohne weiteres Auskunft geben kann und der Geschädigte ohne Verschulden daran gehindert ist, sich selbst die nötigen Informationen beschaffen zu können.172 Darüber hinaus muss eine Leitfaden, S. 19 ff., Rn. 38 ff., S. 61, Rn. 178, S. 64 ff., Rn. 188 ff.; zu weiteren Ansätzen: räumliche Vergleichsmethode S. 22 ff., Rn. 49 ff., sachliche Vergleichsmethode S. 23 f., Rn. 54 f., Kombination verschiedener Vergleichsmethoden S. 24 f., S. 56 f., S. 71, Rn. 199, Simulationsmodelle und finanzgestützte Analysen S. 38 ff., Rn. 96 ff.; vgl. auch Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (518 ff.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489 ff.). 168 Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 44; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 ff.) „Badarmaturen“; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 19, Rn. 38 ff., allerdings ohne Festlegung auf einen bestimmten Zeitraum. Entscheidend ist, ob eine hinreichend genaue Datengrundlage vorhanden ist, anderenfalls die zeitliche Vergleichsmethode mit weiteren (Vergleichs-)Methoden kombiniert werden sollte. 169 Kommission, Leitfaden, S. 60, Rn. 174, S. 61, Rn. 187 f.; zum Ausbeutungsmissbrauch und der Überschneidung mit dem zeitlichen Vergleichsmarktkonzept, vgl: OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; zum Schadenersatz bei verbotener Kartellierung: Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (202 ff.); Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489 ff.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.). 170 Zum Bsp.: BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1914 f.) „Meierei-Zentrale“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2776 ff.) „Berliner Transportbeton“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/ DE-R 3431 (3438 f.) „ORWI“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124 f.) „Badarmaturen“; Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Zöttl/Schlepper, EuZW 2012, S. 573 (574 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490 f.). 171 OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4124 f.) „Badarmaturen“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4480 f.) „Intertemporales Verjährungsrecht“; Alexander, Schadenersatz, S. 395 f.; Bulst, EWS 2004, S. 403 (410); Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (884); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1166 f.); Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (179 f., 182); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489); siehe auch S. 163 ff. und S. 174 f. 172 Zum Bsp.: BGH, 27. 04. 1999, WuW/DE-R 303 (307) „Taxi-Krankentransporte“; OLG München, 17. 06. 2010, WuW/DE-R 2977 (2987) „VISA-Bargeldabhebung“; OLG München,
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Kausalität zwischen Verletzung des durch das Missbrauchsverbot geschützten Interesses und dem eingetretenen Schaden feststellbar sein. Es kommt darauf an, ob die Art. 101 und 102 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 bis 3 GWB gerade darauf abzielen, den eingetretenen Schaden zu verhindern.173 Des Weiteren ist zu prüfen, inwieweit durch Vorteilsausgleichung oder hypothetischen Kausalverlauf eine normative Schadenskorrektur vorzunehmen ist. Als Frage der Vorteilsausgleichung ist insbesondere das, in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB angesprochene Problem der „Pass on defence“ zu behandeln.174 Schließlich gilt es zu bestimmen, in welcher Form Schadensersatz zu leisten ist. Dabei ist nach § 249 Abs. 1 BGB die Naturalrestitution der Grundsatz und nach §§ 250, 251 BGB der Ersatz in Geld die Ausnahme. Zu prüfen ist, ob ein Fall der Unmöglichkeit von Naturalrestitution nach § 251 Abs. 1 1. Alt. BGB besteht, selbige nicht genügend i. S. v. § 251 Abs. 1 2. Alt. BGB oder etwa dem Schädiger gem. § 251 Abs. 2 BGB nicht zumutbar ist. c) Mögliche Schadenspositionen aa) Beendigung missbräuchlichen Verhaltens Durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wird eine Störung des Wettbewerbs auf dem Markt und eine Beeinträchtigung geschützter Individualinteressen, sei es Behinderung, Ausbeutung oder Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung bewirkt.175 Herstellung des Zustandes der ohne schädigendes Ereignis bestehen würde, heißt zunächst Rückkehr zum Leistungswettbewerb. Damit kann eine Beendigung des missbräuchlichen Verhaltens erreicht werden. Praktische Bedeutung kommt der Naturalrestitution insoweit nicht zu, als die betroffenen Marktteilnehmer dieses Ziel einfacher durch den verschuldensunab21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915) „Fernsehwerbezeiten“; Teplitzky, Wettbewerbliche Ansprüche, Kapitel 38; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 35; Endter, S. 214 f.; Jüntgen, S. 40 ff.; Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (951). Daneben kommt ein Anspruch gegen Kartellbehörden auf Zugang zu Dokumenten zur Vorbereitung von Schadenersatzklagen in Betracht, hierzu: EuG, 15. 12. 2011, WuW/EU-R 2187 (2189 ff.) „CDC Hydrogene Peroxide/Kommission“; AG Bonn, 24. 09. 2008, WuW/DE-R 2503 (2505 f.) „Listenpreis“; AG Bonn, 18. 01. 2012, WuW/DE-R 3499 (3501 ff.) „Pfleiderer II“; Meessen, S. 147 ff. 173 Zum Bsp.: OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (164) „carpartner II“; zu einem Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 ff.) „ORWI“; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 20. 01. 2014 KONE AG, WuW/EU-R 2952 (2957 ff.); EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (263 f.) Aufzugskartell“; Pauer, WuW 2015, S. 14 (19 f., 22 f.); Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (488 ff.); ders., WRP 2015, S. 537 (540, 544) 174 Zum Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3440 f.) „ORWI“; Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (929 ff.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (953 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960); siehe auch S. 168 ff. 175 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff.
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hängigen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch erreichen können.176 Über die Beseitigung der Störungsquelle hinaus bedeutet Naturalrestitution Kompensation aller durch den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile des Betroffenen.177 bb) Der entgangene Gewinn Große praktische Bedeutung kommt der Frage des entgangenen Gewinns zu.178 Darunter sind alle Vermögensvorteile zu verstehen, die zum Zeitpunkt der Schädigung dem Betroffenen zwar noch nicht zugeflossen waren, die er aber ohne dieses Ereignis erhalten hätte.179 Der Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinnes ergibt sich bereits aus der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB. Die Erwähnung in § 252 S. 1 BGB hat nur klarstellende Funktion.180 Einschränkend ist eine hinreichend konkrete Erwerbsaussicht zu fordern.181 Nach § 252 S. 2 BGB besteht diese insbesondere aufgrund des gewöhnlichen Verlaufs oder besonderer Vorkehrungen. Zu beachten ist, dass auch der Eintritt eines Verlustes als Schaden ersatzfähig sein kann, wenn dargetan wird, dass der ohne schädigendes Ereignis entstandene Verlust geringer gewesen wäre als derjenige, der tatsächlich eingetreten ist. (1) Konkrete Berechnung des entgangenen Gewinnes Für eine konkrete Berechnung des entgangenen Gewinnes muss der Geschädigte darlegen und beweisen, welche Geschäfte er im Einzelnen abgeschlossen hätte, wäre er nicht durch das missbräuchliche Verhalten des Marktbeherrschers daran gehindert worden.182 Hat er beispielsweise im Vertrauen auf den Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung i. S. d. 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB (bzw. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV) bereits 176
Siehe S. 136 ff. und S. 144 ff. In diesem Sinne auch Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 und Art. 3 Abs. 1 und 2 des Richtlinientextes; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 und 15 f.; EP, directive, S. 4 Rn. 3, S. 10, Rn. 12 und Art. 2 des Richtlinientextes. 178 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 56, 60; Baur, EuR 1988, S. 257 (271 f.); Emmerich, AG 2001, S. 520 (523); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1167); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491); vgl. zum Grundsatz vollständigen Schadenersatzes Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 8 f. Rn. 45 f. und Art. 3 Abs. 1 und 2, sowie Art. 17 Abs. 1 des Richtlinientextes. 179 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125) „Badarmaturen“; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 4; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 60 Rn. 177, S. 61, Rn. 183. 180 Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 1. 181 Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 30 f.; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 4, 6. 182 Der Anspruchsteller trägt die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität: OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915 f.) „Fernsehwerbezeiten“; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 33, 37, 44 f.; Kiethe, WRP 2004, S. 1004 (1010 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491). 177
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Verträge mit Abnehmern geschlossen, die er infolge einer Nutzungsverweigerung nicht erfüllen konnte, so kann er insoweit den konkret entgangenen Gewinn berechnen. Regelmäßig geht es aber um eine Vielzahl von potentiellen Austauschbeziehungen, die bei Eintritt des schädigenden Ereignisses noch nicht einmal angebahnt waren. Als Beispiel kann die Kundenabwanderung infolge von Kampfpreisunterbietungen bei Massengeschäften mit Endverbrauchern dienen.183 Dann ist eine konkrete Schadensberechnung schlicht nicht möglich. In einem solchen Fall ist es bereits außerordentlich schwierig, die hypothetische Umsatzentwicklung ohne Kampfpreisunterbietung hinreichend genau zu berechnen. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, wie sich die Wettbewerbssituation und die davon abhängige Umsatz- und Gewinnentwicklung dargestellt hätten. Insbesondere ist es schwer nachzuweisen, dass ein Umsatzrückgang seine Ursache gerade in der schädigenden Handlung hatte. Häufig spielt dabei eine Vielzahl anderer Faktoren eine Rolle.184 (2) Abstrakte Berechnung des entgangenen Gewinnes (a) Beweiserleichterungen § 252 S. 2 BGB hilft dem Geschädigten insoweit, als die Norm ihm erlaubt, eine abstrakte Schadensberechnung anzustellen. Die Unterstellung des gewöhnlichen Verlaufs bzw. die Berücksichtigung besonderer Vorkehrungen kann dabei sowohl über die Schwierigkeit hinweghelfen, nachzuweisen, dass ein Schaden entstanden ist, als auch in welcher Höhe er vorliegt.185 Dabei handelt es sich um eine Beweiserleichterung, um bei feststehender Ersatzpflicht den Ausgleich nicht an der Unmöglichkeit einer konkreten Berechnung scheitern zu lassen.186 Dem Geschädigten steht es aber jederzeit frei, im Einzelnen nachzuweisen, dass ihm ein höherer Gewinn entgangen ist, als es nach dem gewöhnlichen Verlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.187 Eine Begrenzung dieser Möglichkeit stünde im Widerspruch zum Grundsatz der Totalreparation nach § 249 BGB.188 Andererseits bleibt es aber dem Schädiger unbenommen, gegenüber demjenigen Geschädigten, dem der Nachweis eines bestimmten abstrakten Schadens gelingt, den Gegenbeweis anzutreten, dass 183
Siehe S. 185 ff. Zum Bsp. Konjunkturkrisen, allgemeine Marktschrumpfung, nicht konkurrenzfähige Angebote, vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 68 ff., Rn. 196 f.; des Weiteren: Logemann, S. 432 f.; Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (203, 205); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491). 185 OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 f.) „Badarmaturen“; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 30; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 21 ff.; Lange, Schadensersatz, S. 343; Logemann, S. 444 f.; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491); Kommission, Leitfaden, S. 64 f., Rn. 192, S. 66 f., Rn. 194, S. 72, Rn. 202. 186 BGH, 24. 10. 1995, WuW/E BGH 3017 (3020) „Jutefilz“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 f.) „Badarmaturen“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 82; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 30 f.; Görner, S. 231 f.; Logemann, S. 457 ff. 187 Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 31; vgl. in diesem Zusammenhang zur Heranziehung von Marktsimulationsmodellen Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (519). 188 Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 1, 3, 31; Logemann, S. 435. 184
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der konkret entgangene Gewinn unterhalb der vom Geschädigten geltend gemachten Schadenersatzsumme liegt.189 In prozessualer Hinsicht stellt § 287 Abs. 1 ZPO die Parallelnorm zu § 252 S. 2 BGB dar.190 Falls der Kläger die Höhe des Schadens nicht genau nachweisen kann, darf das Gericht aufgrund der vorliegenden Tatsachen schätzen.191 Praktisch führt die Norm zu einer Reduzierung der Darlegungs- und Beweislast des klagenden Geschädigten. Er muss lediglich die Tatsachen beibringen und gegebenenfalls beweisen, aufgrund derer der hypothetische Verlauf von Umsatz und Gewinn ohne schädigendes Ereignis hinreichend genau geschätzt werden kann.192 (b) Die Gewinnberechnung bei gewöhnlichem Verlauf Die Ermittlung erfolgt durch einen rückblickend anzustellenden Vergleich des Betriebsergebnisses, welches ohne missbräuchliches Verhalten entstanden wäre, mit dem, wie es sich unter Berücksichtigung der Schädigung tatsächlich darstellt.193 Maßgeblich ist im Ausgangspunkt die Umsatzentwicklung.194 Hierbei ist das Betriebsergebnis heranzuziehen, welches in einem längeren Zeitraum vor Eintritt des schädigenden Ereignisses erzielt wurde.195 Der konkrete Zeitraum ist dabei einzelfallabhängig.196 Entscheidend ist, dass eine sichere Grundlage zur Verfügung steht.
189 Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 31, 45; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 68, Rn. 196; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491). 190 BGH, 24. 10. 1995, WuW/E BGH 3017 (3020) „Jutefilz“; Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 30 f. 191 Zum Bsp.: BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2470 f.) „Anzeigenpreis I“; BGH, 24. 10. 1995, WuW/E BGH 3017 (3020) „Jutefilz“; OLG Düsseldorf, 14. 05. 2008, WuW/DE-R 2311 (2312 f.) „Belgisches Kartellklageunternehmen“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3445 f.) „ORWI“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 ff.) „Badarmaturen“; OLG Düsseldorf, 29. 01. 2014, WuW/DE-R 4477 (4480 f.); Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 30 f.; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 136 f.; Görner, S. 228 ff.; Logemann, S. 441 ff.; Meessen, S. 414 ff.; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489, 491). 192 Vgl. die Nachweise in Fn. 191 und des Weiteren Prütting, in: MüKo ZPO, § 287 Rn. 14, 16; Logemann, S. 457 ff.; Kiethe, WRP 2004, S. 1004 (1010 f.). 193 Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 41; Kommission, Leitfaden, S. 62 Rn. 183, S. 64 Rn. 188; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491); zu möglichen Berechnungsmethoden Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (518 ff.). 194 Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 41; Baur, EuR 1988, S. 257 (271 f.). 195 Der Schluss vom bisherigen Gewinn aus einer Geschäftsbeziehung auf einen zukünftigen Gewinn ist zulässig, vgl. dazu: BGH, 24. 10. 1995, WuW/E BGH 3017 (3020) „Jutefilz“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 ff.) „Badarmaturen“; Logemann, S. 433; vgl. auch bereits Schmidt, I., WuW 1968, S. 635 (643 ff.); vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 64 ff. Rn. 188 ff. 196 Regelmäßig ist die Umsatz- und Gewinnentwicklung über einen längeren Zeitraum heranzuziehen. Allerdings dürfen insoweit gerade im Hinblick auf junge Unternehmen keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass berechtigte Schadenersatzansprüche vereitelt würden, vgl. Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 44.
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Ausreichend dürften im Normalfall drei Jahre sein.197 Diese Daten bilden die Basis für die gewöhnliche Umsatzentwicklung ohne schädigendes Ereignis. Davon ausgehend sind während der Dauer der Schädigung aufgetretene besondere Entwicklungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Einfluss auf den gewöhnlichen Verlauf gehabt hätten, einzurechnen. Dazu gehören zum Beispiel eine allgemeine Schrumpfung des Marktes, außergewöhnliche konjunkturelle Entwicklungen oder plötzliche Einbrüche der Nachfrage.198 Auch positive Entwicklungen wie etwa eine allgemeine Steigerung der Nachfrage sind zu berücksichtigen. Ein Schaden besteht bereits dann, wenn ein Unternehmen wegen des missbräuchlichen Verhaltens einen geringeren Gewinn erzielt oder weniger Marktanteile hinzugewonnen hat, als es bei unverfälschtem Wettbewerb der Fall gewesen wäre. Vom derart festgestellten Umsatz sind die tatsächlich entstandenen und diejenigen Kosten abzuziehen, die bei dem Geschädigten im Falle höheren Umsatzes199 angefallen wären. Im Ergebnis steht eine Schätzung des Gewinnes bei gewöhnlichem Verlauf der Entwicklung.200 Es bedarf dann lediglich noch eines Vergleiches mit der tatsächlichen Umsatz- und Gewinnentwicklung unter Einfluss des schädigenden Ereignisses. Die sich daraus ergebende Differenz ergibt den entgangenen Gewinn. (c) Die Gewinnberechnung bei besonderen Vorkehrungen § 252 S. 2 Alt. 2 BGB lässt es darüber hinaus zu, die Umsatzentwicklung ohne schädigendes Ereignis aufgrund besonders getroffener Anstalten und Vorkehrungen zu berechnen. Hierher gehören im wirtschaftlichen Bereich vor allem getätigte Investitionen, welche den Schluss einer Umsatz- und Gewinnsteigerung rechtfertigen. Diese Daten können alleinige Grundlage einer Schadensberechnung sein. Sie können auch in die eben dargestellte Schätzung als besondere Entwicklung eingestellt werden. Dabei gilt der Erfahrungssatz, dass bei seriösen Investitionen sich zumindest das eingesetzte Kapital amortisiert hätte.201 Insoweit handelt es sich um ersatzfähige frustrierte Aufwendungen.202 Das schließt einen höheren Schaden im Sinne einer echten Verzinsung eingesetzten Kapitals nicht aus.203 Ein Schaden liegt auch bereits 197
OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4117 (4125 f.) „Badarmaturen“; vgl. bereits Schmidt, I., WuW 1968, S. 635 (643 ff.). 198 Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 41; Logemann, S. 432 f.; Schmidt, I., WuW 1968, S. 635 (644); vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 68 Rn. 196. 199 Mit anderen Worten handelt es sich um ersparte Aufwendungen: BGH, 15. 07. 1997, NJW 1997, 2943 (2943 f.); Oetker, in: MüKo BGB, § 252 Rn. 12; Kommission, Leitfaden, S. 64 f., Rn. 189 f. 200 Vgl. hierzu bereits die Nachweise in Fn. 191; im Idealfall gelingt eine möglichst realistische Marktsimulation, dazu Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (519 f.). 201 Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 44; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 64 f. Rn. 192, S. 72 Rn. 203. 202 BGH, 15. 07. 1997, NJW 1997, S. 2943 (2943 f.); Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 60; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 44; Logemann, S. 439 f.; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 72, Rn. 202. 203 In Gestalt zukünftiger Gewinne, vgl. Logemann, S. 439 f.
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dann vor, wenn eine, bis zur Geltendmachung des Schadens geplante Teilamortisation nicht gelungen ist oder der eingerechnete Anfangsverlust höher ausfällt. Wiederum sind außergewöhnliche Entwicklungen zu berücksichtigen und ein Vergleich der hypothetischen mit der tatsächlichen Umsatzentwicklung vorzunehmen. Diese Berechnung eignet sich insbesondere für potentielle Konkurrenten oder Newcomer, die auf dem betreffenden Markt noch nicht hinreichend lange tätig sind, um über die, für eine Umsatzprognose notwenigen Daten zu verfügen. cc) Marktanteils- und Wertverlust des Unternehmens Wenn sich durch die schädigende Handlung die Stellung des betroffenen Unternehmens im Wettbewerb verschlechtert hat, so macht sich das nicht nur in einem Umsatzrückgang bemerkbar, sondern auch in der Schmälerung der zukünftigen Erwerbsaussichten.204 Der Ersatz entgangenen Gewinns schafft keinen Ausgleich für den Wertverlust eines Unternehmens. Er kann auch nicht kompensieren, dass der Wettbewerber infolge der Schädigung in eine schlechtere Position gegenüber dem Marktbeherrscher geraten ist und dadurch Erwerbsaussichten für die Zukunft beeinträchtigt sind. Der Grundsatz der Totalreparation erfordert, dass das betroffene Unternehmen in die Lage versetzt wird, die Position einzunehmen, welche es ohne Schädigung innehätte.205 Verlorene Marktanteile müssen zurückgewonnen, der Ausfall von Aufträgen kompensiert und ein möglicher Ansehens- bzw. Vertrauensverlust gegenüber den Kunden ausgeglichen werden. Dafür sind unter Umständen erhebliche Anstrengungen nötig, die dazu dienen, einen zwischenzeitlichen Rückgang der Markttätigkeit aufzuholen.206 Eine Naturalrestitution ist insoweit unmöglich. Man kann nicht künstlich eine bestimmte Wettbewerbssituation herstellen. Die Gegebenheiten der tatsächlichen Entwicklung sind zu akzeptieren. Ein Ausgleich kann nach § 251 Abs. 1 S. 1. Variante BGB nur durch Geldersatz erfolgen. Er besteht in der Finanzierung derjenigen Anstrengungen, die zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition bis hin zu der Stellung, die ohne schädigendes Ereignis bestünde, notwendig sind.207 Hierzu tritt gegebenenfalls ein Anspruch auf Ausgleich eines aus der Unmöglichkeit der Rückgewinnung der ursprünglichen Marktposition 204 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 60; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 6; Logemann, S. 434 f.; vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 73, Rn. 206; für das UWG Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 9 UWG Rn. 1.30 ff. 205 Logemann, S. 435; zum vollständigen Schadenersatz nunmehr auch Kommission, Leitfaden, S. 73 f., Rn. 206 ff. und zuvor Weißbuch, S. 8, sowie Commission Staff Working Paper, S. 15 ff. 206 Der EuGH, 04. 03. 1999, WuW/EU-R 169 (173) „Ufex u.a.“ hat entschieden, dass die Verantwortlichkeit der Kommission für den Schutz der Wettbewerbsstruktur zu sorgen, nicht bereits dann endet, wenn das missbräuchlich handelnde Unternehmen den Missbrauch abstellt. Die Kommission muss weiter prüfen, ob wettbewerbsbeschränkende Wirkungen aufgrund des vorherigen Machtmissbrauchs fortbestehen. Ist das der Fall, muss sie geeignete Maßnahmen ergreifen. 207 Für das UWG Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 9 UWG Rn. 1.32 ff.
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resultierenden und deshalb dem Gläubiger verbleibenden Schadens.208 Dazu kommen möglicherweise Schäden durch Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen oder gar des gesamten Unternehmens.209 Zu berücksichtigen ist, dass bei Geltendmachung von entgangenem Gewinn und Schadensersatz für den Wertverlust des Unternehmens derjenige Teil des Gewinnes, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als Investition in das Unternehmen geflossen wäre, bei der Berechnung des Wertverlustes abzuziehen ist. Anderenfalls würde der Geschädigte insoweit doppelt Schadensersatz erhalten. dd) Besonderheiten bei der Schadensberechnung der Marktgegenseite Im Rahmen von Austauschbeziehungen lässt sich als Mindestschaden die Differenz beziffern, die zwischen der Belastung bei Einhaltung der vom Marktbeherrscher geforderten missbräuchlichen Bedingungen und der hypothetischen wirtschaftlichen Stellung ohne missbräuchliche Behinderung oder Ausbeutung entsteht.210 Diese sehr abstrakte Beschreibung lässt sich nur im Rahmen der einzelnen, sehr unterschiedlichen Fallgruppen konkretisieren. Darüber hinaus kann aber ein weiterer Schaden entstehen. Durch die wirtschaftliche Belastung oder Beeinträchtigung der Tätigkeit kann es zu Stagnation einer sonst möglichen wirtschaftlichen Ausdehnung, einem Verlust an Marktanteilen oder einem geringeren Gewinn kommen.211 Insoweit geht es wie im Verhältnis zu horizontalen Wettbewerbern um entgangenen Gewinn und um Ausgleich für einen Wert- oder Marktanteilsverlust. Daneben können im Einzelfall vertragliche oder quasivertragliche Schadensersatzansprüche aus einer Geschäftsbeziehung mit dem Marktbeherrscher treten. Hierbei 208 Logemann, S. 436 f.; Kommission, Leitfaden, S. 73, Rn. 206; für das UWG Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 9 UWG Rn. 1.34. 209 Logemann, S. 438 f. 210 BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1914) „Meierei-Zentrale“; BGH, 08. 05. 1990, WuW/E BGH 2647 (2651 f.) „Nora-Kunden Rückvergütung“; OLG Stuttgart, 22. 05. 1998, WuW/DE-R 161 (162) „carpartner II“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2118) „DARED“. Diese abstrakte Formel gilt bei Verletzung jeder Verbotsnorm, also z. B. auch beim Kartellverbot und dort auch falls der Schadenersatzanspruch aus c.i.c. hergeleitet wird: OLG Frankfurt a.M., 07. 11. 2006, WuW/DE-R 2015 (2017) „Bieterhaftung“; OLG Düsseldorf, 14. 05. 2008, WuW/DE-R 2311 (2312 f.) „Belgisches Kartellklageunternehmen“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2776 ff.) „Berliner Transportbeton“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 ff.) „ORWI“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 57; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 117; Endter, S. 199 f.; Logemann, S. 420 f.; Meessen, S. 98 f.; Schiemann, in: FS Möschel, S. 547 (549 f.); Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (929); Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960); vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 47 f., Rn. 126 f., S. 60, Rn. 172 ff. und Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 Rn. 39 und Art. 14 Abs. 1 des Richtlinientextes. 211 Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 Rn. 40; Kommission, Leitfaden, S. 47 ff., Rn. 128 ff., S. 60 f., Rn. 175 ff.; EP, directive, S. 10 f., Rn. 12; Morell, WuW 2013, S. 959 (960).
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geht es insbesondere um die Verletzung von Aufklärungspflichten im Hinblick auf die Nichtigkeit von Verträgen oder Vertragsteilen.212 Das wird zur besseren Verständlichkeit im Zusammenhang mit den betreffenden Fallgruppen erläutert.213 ee) Die Vorteilsausgleichung und „pass on defence“ (1) Die Sichtweise der Kommission im Verhältnis zum deutschen Recht Marktteilnehmer, die von einem Wettbewerbsverstoß nicht unmittelbar betroffen sind, können einen Schaden dann erleiden, wenn es dem unmittelbar geschädigten Unternehmen gelingt, die im Zusammenhang mit der Schädigung entstandenen Mehrkosten ganz oder teilweise an eben diese Marktteilnehmer weiterzugeben.214 Der Europäische Gerichtshof hat bisher zu der Frage der Schadensüberwälzung noch nicht Stellung genommen. Er hat aber bereits wiederholt formuliert, dass der Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Europäischen Primärrechts in Bezug auf das Verbot des Artikel 101 Abs. 1 AEUV (Art. 81 EG, 85 EGV a. F.) verlange, jedem infolge eines Verstoßes gegen eben dieses Verbot betroffenen und dadurch geschädigten Marktteilnehmer, den Ersatz seines Schadens zu ermöglichen.215 Die Kommission und das EU Parlament begrüßen diese Entscheidungspraxis ausdrücklich.216 Die Kommission weist auch zu Recht darauf hin, dass der Grundsatz jeder Geschädigte könne vollumfänglich Schadenersatz beanspruchen, ebenso für Art. 102 AEUV (Art. 82 EG a. F.) Anwendung findet.217 Kommission und Parlament formulieren weitergehend, dass nach ihrer Auffassung dieser Grundsatz auch für indirekte Abnehmer gilt.218 Diese Abnehmer sollen danach ihren Schaden in jedem Fall vollständig ersetzt erhalten.219 Im Zusammenhang damit stellt sich die Frage, ob 212 Insoweit geht es um den Ersatz des negativen Interesses: Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 73; Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21, 25; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 252 Rn. 7; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 117 und § 311 a Rn. 74 ff. 213 Siehe Teil 3 ab S. 177. 214 Hierzu Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 f. Rn. 41 bis 44; Kommission, Leitfaden, S. 56, Rn. 161, S. 57 Rn. 164; EP, directive, S. 26, Rn. 36. 215 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f., 1118 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“. 216 Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 und Art. 3 Abs. 1 und 2 des Richtlinientextes, zuvor Weißbuch, S. 4, 9 und Commission Staff Working Paper, S. 63; EP, directive, S 4 Rn. 3. 217 Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 und zuvor bereits Commission Staff Working, S. 15. 218 Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 7 f. Rn. 41 bis 44, sowie Art 12 Abs. 1 des Richtlinientextes; zuvor bereits Kommission, Weißbuch, S. 4, 9 und Commission Staff Working Paper, S. 13, 15; zustimmend Reich, WuW 2008, S. 1046 (1051 f.). 219 Richtlinie 2014/104/EU, S. 3 Rn. 12 f. und S. 7 f. Rn. 41 bis 44, sowie Art. 3 Abs. 1 und Art 12 Abs. 1 des Richtlinientextes; zuvor bereits Weißbuch, S. 9; EP, directive, S. 26, Rn. 36; zustimmend Reich, WuW 2008, S. 1046 (1051 f.); Ritter, WuW 2008, S. 762 (770 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (441 f.); Lettl, WRP 2015, S. 537 (542, 544) a. A. Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101 f.).
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der Schädiger sich gegenüber einem Schadensersatz beanspruchenden unmittelbar Geschädigten darauf berufen darf, dieser habe den zunächst erlittenen Schaden ganz oder teilweise weitergegeben. Die Zulassung dieses Einwandes hätte zur Folge, dass sich der Schadensersatzanspruch des unmittelbar Betroffenen gegenüber dem Schädiger in dem Umfang verringert, in dem er den Schaden tatsächlich weitergegeben hat. Die Kommission und das Parlament möchten diesen Einwand umfassend, d. h. in jedem Fall, zulassen.220 Sie vertreten die Auffassung, dadurch werde der Schädiger nicht unbillig entlastet, weil ja der mittelbare Abnehmer den auf ihn abgewälzten Schaden von dem Schädiger ersetzt verlangen kann. Ließe man dagegen den Einwand der Schadensabwälzung nicht zu, führe das zu unangemessenen Ergebnissen. Der mittelbare Abnehmer könnte, obgleich er einen Schaden erlitten habe, diesen nicht ersetzt verlangen. Und der unmittelbar Geschädigte erhielte über seinen tatsächlich erlittenen Schaden hinausgehende Zahlungen, weshalb er insoweit ungerechtfertigt bereichert werde.221 Die Kommission und das Parlament sind sich bewusst, dass es für einen mittelbaren Abnehmer umso schwieriger wird, gegenüber dem Schädiger einen Schaden nachzuweisen, je weiter er von diesem wirtschaftlich entfernt ist. Sie schlagen vor, dieses Problem mit Hilfe einer Beweiserleichterung zu lösen. Kann der mittelbar Betroffene Tatsachen nachweisen,222 bei deren Vorliegen die Weiterwälzung eines Preisaufschlags typischerweise stattfindet, obliegt es dem Schädiger die Vermutung der Weitergabe dieses Preisaufschlags zu widerlegen.223 Der deutsche Gesetzgeber hat in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB klargestellt, dass ein Schadensersatzanspruch durch den Einwand der Schadensabwälzung nicht
220 Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 Rn. 39 und Art 13 des Richtlinientextes; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 9, sowie Commission Staff Working Paper, S. 64 f.; EP, directive, S. 25 Rn. 29 und Art. 13; vgl. bejahend nunmehr auch im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB nach vorangegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot der BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3440 ff.) „ORWI“; vgl. zu dieser Entscheidung: Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (929 ff.); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (851); Morell, WuW 2013, S. 959 (959 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (441 f.); Lettl, WRP 2015, S. 537 (542, 544). 221 Die Richtlinie 2014/104/EU fordert deshalb in Art. 3 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 2 Regeln vorzusehen, die im Falle von Schadensweiterwälzungen Überkompensationen, gleich auf welcher Ebene, verhindern; vgl. auch Kommission, Weißbuch, S. 9 und Commission Staff Working Paper, S. 64; vgl. dazu auch Reich, WuW 2008, S. 1046 (1050 ff.); so auch im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB nach vorangegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot BGH vom 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3441 f.) „ORWI“. 222 Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes mit der Folge eines Preisaufschlags gegenüber dem unmittelbaren Abnehmer, Erwerb der vom Preisaufschlag betroffenen Ware oder Dienstleistung. 223 Richtlinie 2014/104/EU, S. 7 f. Rn. 41 und Art. 14 Abs. 2 des Richtlinientextes; zuvor Kommission, Weißbuch, S. 9 und Commission Staff Working, S. 64 ff.; vgl. hierzu Gussone/ Schreiber, WuW 2013, S. 1040 (1056); Mederer, EuZW 2013, S. 847 (851); Kersting, WuW 2014, S. 564 (569 f.); ablehnend kritisch Ritter, WuW 2008, S. 762 (770 f.); Weidenbach/ Saller, BB 2008, S. 1020 (1024 f.).
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schlechthin ausgeschlossen wird.224 Er hat allerdings auch nicht formuliert, der Einwand der Schadensabwälzung sei durchweg ausgeschlossen. Die Intension des deutschen Gesetzgebers war es einerseits, den Einwand der Schadensabwälzung in seinem Anwendungsbereich zu beschränken, ihn aber gleichwohl nicht auszuschließen. Es soll der Rechtsprechung Raum für Entwicklung gegeben werden. Insoweit vertritt die Kommission, indem sie sich klar für die uneingeschränkte Zulassung des Einwandes der Schadensabwälzung ausspricht, einen dezidiert anderen Standpunkt. Für die von der Kommission und dem Parlament vorgeschlagene Beweiserleichterung zugunsten des Abnehmers zweiter Stufe gibt es im deutschen Recht keine direkte gesetzliche Grundlage.225 Im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 Abs. 1 EG; jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB (nunmehr § 33 Abs. 1, 3 GWB) differenziert der BGH wie folgt. Die Darlegungs- und Beweislast für den Kartellverstoß und für einen daraus kausal entstandenen Schaden trägt derjenige, der Schadenersatz beansprucht. Der Anspruchsteller muss darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe ihm ein Schaden entstanden ist.226 Dies gilt unabhängig davon, ob der Geschädigte von dem Kartellverstoß direkt oder nur indirekt betroffen ist. Gelingt der Nachweis eines kausal zu dem Gesetzesverstoß entstandenen Schadens, obliegt es dem Schädiger darzulegen und zu beweisen, dass der Geschädigte einen schadensmindernden Vorteil erlangt hat, indem er die kartellbedingt überhöhten Bezugskosten ganz oder teilweise an Abnehmer auf nachfolgenden Marktstufen weitergegeben hat.227 In der Terminologie des deutschen Schadensersatzrechts handelt es sich bei der Frage der Schadensabwälzung um ein Problem der Vorteilsausgleichung. Diese Frage lässt sich aber nicht für alle Fallgestaltungen einheitlich beantworten. Vielmehr muss für jede Fallgruppe eine Lösung gefunden werden. Daher ist es zu begrüßen, dass der deutsche Gesetzgeber der Rechtsprechung Raum für Entwicklung gegeben hat.
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Siehe sogleich S. 171 ff. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3440 ff.) „ORWI“, dazu auch Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (928 ff.); vgl. des Weiteren ablehnend zum Vorschlag der Kommission, Ritter, WuW 2008, S. 762 (770 f.). Andererseits ist generell anerkannt, dass die Entwicklung von Beweiserleichterungen in Gestalt eines Anscheinsbeweises bei Vorliegen eines praktischen Bedürfnisses für typische Fallgruppen möglich ist, vgl. Morell, WuW 2013, S. 959 (961 f.) 226 BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438) „ORWI“ und hierzu Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (928 f.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960); Kersting, WuW 2014, S. 564 (569 f.); vgl. auch OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915 f.) „Fernsehwerbezeiten“. 227 BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3443 ff.) „ORWI“; zu ergänzen ist insoweit, dass in Ausnahmefällen eine sekundäre Darlegungslast des Geschädigten in Betracht kommen kann: BGH, 28. 06. 2011, WUW/DE-R 3431 (3434 f.) „ORWI“; Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (929 ff.); Morell, WuW 2013, S. 959 (962 ff.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (441 f.). 225
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(2) Die Regelung in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB und der Grundsatz der Vorteilsausgleichung Bei der Vorteilsausgleichung geht es um Fälle, in denen dem Geschädigten von dritter Seite ein Vermögensvorteil zufließt. Zwischen Vorteil und Schadensereignis muss ein adäquater Zusammenhang bestehen, ohne dass die Anrechnung, welche den Schädiger entlastet, dem Zweck des Ersatzanspruchs zuwiderläuft. Zudem darf die Entlastung nicht unbillig sein.228 Die Vorteilsausgleichung wird im Rahmen von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB insbesondere im Zusammenhang mit der Ausbeutung der Marktgegenseite relevant. Es geht um die Frage, ob durch eine Weiterwälzung des Schadens an Dritte der beim ausgebeuteten Unternehmen entstandene natürliche Schaden normativ reduziert wird.229 Zum Beispiel kann es einem Wiederverkäufer gelingen, den überhöhten Preis voll an seinen Abnehmer weiterzugeben. Das würde bedeuten, aufgrund der höheren Zahlung des Dritten ist die Gewinnmarge des Zwischenhändlers genauso groß, wie sie ohne die Preisüberhöhung des Marktbeherrschers wäre. Man könnte deshalb annehmen in einem solchen Fall entstünde dem ersten Abnehmer überhaupt kein Schaden.230 Richtigerweise ist indes zu differenzieren. Zunächst kommt es für die Beurteilung der Entstehung eines natürlichen Schadens auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses an.231 Maßgeblich ist demnach der Zeitpunkt des vollständigen Leis-
228
OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2118) „DARED“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2794) „Berliner Transportbeton“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3441, 3443) „ORWI“; Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 235; Alexander, Schadenersatz, S. 404 ff.; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 117 ff.; Bulst, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung, S. 225 (233 ff.); Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (89); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (200); Dück/Eufinger, WRP 2011, S. 1530 (1532); Morell, WuW 2013, S. 959 (960). 229 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 61; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 128 ff.; Logemann, S. 281 ff., 336 ff.; 366 ff.; Meessen, S. 459 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (486); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1118 f., 1121 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1151 f., 1156 ff.); Reich, WuW 2008, S. 1046 (1048 ff., 1053 f.). 230 So LG Mannheim, 11. 07. 2003, GRUR 2004, S. 182 (184) „Vitaminkartell“; OLG Karlsruhe, 28. 01. 2004, WuW/DE-R 1229 (1230): Nach dieser Ansicht handelt es sich nicht um einen Fall der Vorteilsausgleichung. Vielmehr soll dann, wenn der Abnehmer den überhöhten Preis weiter gibt, bereits kein natürlicher Schaden vorliegen, vgl. dazu: Lübbig, WRP 2004, S. 1254 (1257 f.); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1128 ff.); Bulst, NJW 2004, S. 2201 (2202); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1212); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1127 ff.). 231 OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2118) „DARED“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2784 f.) „Berliner Transportbeton“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3440) „ORWI“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 61; Bornkamm, in: Langen/ Bunte, § 33 GWB Rn. 131 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 399; Bulst, Schadenersatzansprüche, 115 f.; Endter, S. 199 f.; Görner, S. 213; Logemann, S. 362 ff.; Meessen, S. 399; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (486 f.); Bulst, EWS 2004, S. 403 (409 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1156 f.); Weidenbach/Saller, BB 2008, S. 1020 (1024); Franck, WRP 2011, S. 843 (843); Dück/Eufinger, WRP 2011, S. 1530 (1532 f.).
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tungsaustausches.232 Zu diesem Zeitpunkt besteht der Schaden in der Differenz zwischen dem überhöhten, an den Marktbeherrscher gezahlten Preis und dem angemessenen Wettbewerbspreis.233 Die Frage ob und wie eine, zeitlich später folgende Zahlung eines Abnehmers zweiter Stufe zu berücksichtigen sein soll, ist dann eine solche der normativen Schadenskorrektur. Die Vorteilsausgleichung stellt einen konkreten Anwendungsfall der normativen Schadenskorrektur dar. § 33 Abs. 3 S. 2 GWB besagt in diesem Zusammenhang, dass die Zahlungen eines zweiten Abnehmers der Annahme eines Schadens nicht von vornherein entgegenstehen.234 Die Vorschrift befasst sich also lediglich mit der Frage der normativen Schadenskorrektur in Gestalt der Vorteilsausgleichung, nicht dagegen mit der Entstehung des natürlichen Schadens. Inhaltlich schließt § 33 Abs. 3 S. 2 GWB die Vorteilsausgleichung nicht aus. Die Frage muss also weiterhin nach § 249 Abs. 1 BGB beurteilt werden. § 33 Abs. 3 S. 2 GWB stellt jedoch klar, dass der Zufluss von Zahlungen für weiterveräußerte Ware durch Dritte nicht ohne weitere Begründung eine Vorteilsausgleichung zu begründen vermag.235 Vielmehr bedarf die Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung einer, am Normzweck der verletzten Verbotsvorschrift
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Nicht entscheidend ist demgegenüber der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Zwar ist auch die Belastung mit einer (im Beispiel unangemessen hohen) Forderung als Vermögensschaden anzusehen. Jedoch erfolgt im Beispielsfall unangemessener Preise oder Vertragsbedingungen eine auf § 134 2. Halbsatz BGB gestützte Vertragsanpassung, welche zur Folge hat, dass der Vertrag von vornherein mit dem rechtmäßigen, angemessenen Inhalt zu Stande kommt. Insoweit erleidet der Vertragspartner also keinen Schaden; siehe auch S. 472 ff. 233 Zur Rspr. Fn. 231; des Weiteren Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 125; Haucap/ Stühmeier, WuW 2008, S. 413 (414 ff.); Dittrich, GRUR 2009, S. 123 (124); Schiemann, in: FS Möschel, S. 547 (549 f.); Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (929); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960); vgl. auch Kommission, Leitfaden, S. 52 ff., Rn. 146 ff., S. 60, Rn. 172 f.; vgl. hierzu Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490 f.); vgl. zur Berechnung des Wettbewerbspreises aufgrund des Vergleichsmarkt- oder Gewinnspannenbegrenzungskonzeptes S. 466 ff. Im Falle des Nachfragemachtmissbrauches durch unangemessene niedrige Entgelte liegt der Schaden in der Differenz zwischen dem vom Marktbeherrscher gezahlten Entgelt und dem angemessenen Wettbewerbspreis. 234 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, S. 54; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/ DE-R 3431 (3442 f.) „ORWI“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 61; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 134 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 398 f.; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 116 f.; Görner, S. 203 ff.; Logemann, S. 368 f.; Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (88 f.); Dittrich, GRUR 2009, S. 123 (124); Bulst, in: Möschel/Bien, S. 225 (229 f.); Schiemann, in: FS Möschel, S. 547 (548 f.). 235 BegrRegE BT-Drucks. 15/3640 Teil B zu § 33 zu Abs. 3; Bericht BT-Wirtschaftsausschuss BT-Drucks. 15/5049 vom 9. 3. 2005 Teil B zu Nummer 19 (§ 33 Abs. 3); OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2118) „DARED“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3442 f.) „ORWI“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 61; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 134 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 396 ff.; Schiemann, in: FS Möschel, S. 547 (549 f.); Dück/Eufinger, WRP 2011, S. 1530 (1532 f.).
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orientierten Prüfung im Einzelfall.236 Grundsätzlich wird deshalb in Fällen der kartellrechtswidrigen Übervorteilung der Marktgegenseite für eine Vorteilsausgleichung kein Raum sein.237 Denn sie erschwert den Abnehmern erster Stufe den Nachweis eines Schadens und überträgt die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ganz oder teilweise an Abnehmer zweiter oder entfernterer Marktstufen, deren größere Entfernung zur Schadensverursachung eine Erhöhung des Prozessrisikos bedingt. Sie steht insoweit der Erleichterung der Voraussetzungen für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und damit einer, mit der 7. GWB Novelle angestrebten Verbesserung der privaten Rechtsschutzmöglichkeiten238 entgegen. Diese Konsequenz hat der Gesetzgeber mit der Formulierung des § 33 Abs. 3 S. 2 GWB auch erkannt und bewusst angestrebt.239 Ob und inwieweit im Einzelfall aber eine Vorteilsausgleichung ausgeschlossen ist oder doch zur Anwendung kommt, 236 BegrRegE BT-Drucks. 15/3640 Teil B zu § 33 zu Abs. 3; Bericht BT-Wirtschaftsausschuss BT-Drucks. 15/5049 vom 9. 3. 2005 Teil B zu Nummer 19 (§ 33 Abs. 3); Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 116 f., 126 ff., 345 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (487 f.); Berrisch/ Burianski, WuW 2005, S. 878 (886 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1157 ff.); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1130 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (492 f.); Reich, WuW 2008, S. 1046 (1047, 1053 f.); Franck, WRP 2011, S. 843 (846 ff.). 237 OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2118) „DARED“; KG, 01. 10. 2009, WuW/DE-R 2773 (2782 ff.) „Berliner Transportbeton“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; differenzierend der BGH, WuW/DE-R 3431 (3442 ff.) „ORWI“, wonach eine Vorteilsausgleichung grundsätzlich in Betracht kommt, dem Schädiger indes die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen ist; für die Zulassung des Einwandes der Schadensweiterwälzung (Vorteilsausgleichung) nun auch Kommission, Leitfaden, S. 58, Rn. 168; des Weiteren Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 64 ff.; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 140 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 404 ff.; Görner, S. 215 ff.; Logemann, S. 115 ff., 307 ff., 374 ff.; Meessen, S. 471 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (487 f.); Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (886 f.); Fuchs, WRP 2005, S. 1386 (1394 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1403 f.); Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (89 f.); Dittrich, GRUR 2009, S. 123 (126); Schiemann, in: FS Möschel, S. 547 (554 f.); Lübbig/Mallmann, WRP 2012, S. 166 (169 f.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (953 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960 ff.); a. A. (Vorteilsausgleichung als Regelfall, keine Vorteilsausgleichung als Ausnahme) Endter, S. 205 ff.; Bulst, NJW 2004, S. 2201 (2202); Lübbig, WRP 2004, S. 1254 (1257 f., 1259 f.); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1129 f.); Glöckner, WRP 2007, S. 490 (492 f., 495); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (167 f.); Reich, WuW 2008, S. 1046 (1050 ff.); Kießling, GRUR 2009, S. 733 (736); Bulst, in: Möschel/Bien, S. 225 (230 ff.); zumindest kritisch: Brinker/Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (78 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1212); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1130 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1157 ff.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (201 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (441 f.); grundsätzlich ablehnend Soyez, EuZW 2012, S. 100 (102). 238 Zu den Zielen der 7. GWB Novelle siehe S. 42 ff.; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/ DE-R 2109 (2118) „DARED“; Logemann, S. 307 ff., 333 ff., 379 ff.; Meessen, S. 471 ff.; Lettl, ZHR 167 (2003), S. 473 (487 f.); Berrisch/Burianski, WuW 2005, S. 878 (886 f.); Brinker/ Balssen, in: FS Bechtold, S. 69 (78 f.); Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (88 f.); Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1158 ff.); Dittrich, GRUR 2009, S. 123 (127 f.).; Soyez, EuZW 2012, S. 100 (102). 239 BegrRegE zur 7. GWB-Novelle Teil A. 4. g) aa) und Teil B. zu § 33 Abs. 3 GWB; Hempel, WuW 2004, S. 362 (369 f.); Hartog/Noack, WRP 2005, S. 1396 (1403 f.); Röhling, in: FS Huber, S. 1117 (1129 ff.).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
kann letztlich nur im Zusammenhang mit dem konkreten Verbotstatbestand beurteilt werden.240 Die EU Kommission und das Parlament schlagen in ihrem Richtlinienentwurf vor, dass der Einwand der Schadensweiterwälzung grundsätzlich zulässig241 und nur ausnahmsweise ausgeschlossen sein soll.242 Im endgültigen Richtlinientext ist vorgesehen, dass der Einwand der Schadensweiterwälzung ohne Einschränkungen geltend gemacht werden kann.243 ff) Der anteilige Gewinn § 33 Abs. 3 S. 3 GWB lässt eine Berechnung des Schadens aufgrund des anteiligen Gewinnes des verbotswidrig handelnden Unternehmens zu.244 Damit verbindet sich eine Beweiserleichterung zugunsten des geschädigten Unternehmens.245 Hintergrund der Regelung ist, dass es schwierig sein kann, einen hypothetischen Marktpreis als Vergleichswert für die Differenzhypothese zu berechnen.246 Im Rahmen von Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 GWB wird diese Frage im
240
Siehe zu den einzelnen Fallgruppen ab S. 177. Das ist Voraussetzung dafür, dass mittelbare Abnehmer überhaupt einen Schadenersatzanspruch geltend machen können. Hierbei steht erkennbar das Bestreben eines vollständigen Schadenersatzes für jedermann im Vordergrund, vgl. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 20 und Art. 12 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags; EP, directive, S. 26 Rn. 36 und Art. 12 Abs. 1 des Richtlinientextes. 242 In Fällen sogenannter rechtlicher Unmöglichkeit (Fälle, in denen die Zulassung der Schadensweiterwälzung mit Kausalitätsvorschriften im Recht eines Mitgliedstaates nicht vereinbar ist), vgl. Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 20 und Art. 12 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags; vgl. hierzu auch Gussone/Schreiber, WuW 2013, S. 1040 (1055 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (442). 243 Richtlinie 2014/104/EU, S. 6 Rn. 39 und Art. 13 des Richtlinientextes. 244 Allerdings handelt es sich bei dieser Berechnungsmethode nicht um Schadenersatz i. S. d. §§ 249 ff. BGB, sondern um einen Abschöpfungsanspruch, mit dem Ziel einem kartellrechtswidrig handelnden Unternehmen, die aus dem rechtswidrigen Verhalten erlangten Vorteile zu entziehen. Insoweit besteht eine Verwandtschaft mit der Gewinnabschöpfung wegen Schutzrechtsverletzungen nach § 687 Abs. 2 BGB analog; BegrRegE BT-Drucks. 15/3640 Teil A. 4. g) aa); Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 68; Bornkamm, in: Langen/ Bunte, § 33 GWB Rn. 155; Bulst, Schadenersatzansprüche, S. 140 f.; Logemann, S. 460 ff.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1166 f.); Seitz, EWS 2006, S. 416 (418); Scheffler, WRP 2007, S. 163 (167); a. A. Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (217 ff.); vgl. zur Berechnung des Verletzergewinnes bei Schutzrechtsverletzungen BGH, 02. 11. 2000, BGHZ 145, 366 (371 ff.) „Gemeinkostenanteil“; BGH, 07. 02. 2002, BGHZ 150, 32 (42 ff.) „Unikatrahmen“. 245 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, S. 54; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 70; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 155, 157; Logemann, S. 461 f.; Meessen, S. 424 f.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1166 f.). 246 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, S. 54; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 68; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 155; Logemann, S. 461 f.; Meessen, S. 424 f.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1167); Rauh/Zuchandke/ Reddemann, WRP 2012, S. 173 (179 f.). 241
E. Rechtsschutz nach § 33 GWB
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Zusammenhang mit dem Ausbeutungsverbot relevant.247 Soweit allerdings eine Feststellung des Missbrauchs über das Vergleichsmarktkonzept erfolgen kann, hat diese Regelung keine Bedeutung. Denn dann steht ein hypothetischer Vergleichsmarktpreis fest. Sollte allerdings der Missbrauch nur aufgrund von Gewinnbegrenzungskonzepten248 zu ermitteln sein, vermag § 33 Abs. 3 S. 3 GWB eine Hilfestellung zu leisten. Der Gewinn errechnet sich aus den Umsatzerlösen des kartellrechtswidrig handelnden Unternehmens abzüglich der Herstellungs- und Betriebskosten, jedoch ohne Berücksichtigung von herstellungsunabhängigen Gemeinkosten.249 Bei mehreren Geschädigten darf jeweils nur der anteilige Gewinn berücksichtigt werden.250 4. Zusammenfassung Ein Verstoß gegen wettbewerbsschützende Verbotsnormen indiziert die Rechtswidrigkeit des Verhaltens. Im deutschen Recht setzt ein Schadenersatzanspruch schuldhaftes Handeln voraus, wobei insoweit ein sehr strenger Sorgfaltsmaßstab angelegt wird. Im Falle des Mitverschuldens des Geschädigten kann der Schadenersatzanspruch verhältnismäßig reduziert werden. Es gilt der Grundsatz der vollständigen Kompensation des entstandenen Schadens. Ziel ist die Wiederherstellung des Zustandes, der ohne Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung bestehen würde. Hierbei kommt dem Ersatz des entgangenen Gewinns größte Bedeutung zu. Die abstrakte Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB spielt insoweit gegenüber der konkreten die weitaus größere Rolle. Der Gewinn kann einerseits auf Basis der gewöhnlichen Geschäftsentwicklung, andererseits auf Grundlage besonders getroffener Vorkehrungen oder Anstalten berechnet werden. Aus Sicht der Vertragspartner auf der Marktgegenseite kann durch Vergleich der Belastungen infolge missbräuchlicher Vertragsgestaltung mit der rechtmäßigen vertraglichen Situation ein Mindestschaden ermittelt werden. Das gilt unabhängig davon, ob eine Teilnichtigkeit oder Vertragsanpassung nach § 134 2. Halbsatz BGB zu einem abweichenden Vertragsinhalt geführt haben. Bei der Weiterwälzung eines Schadens, den ein Abnehmer infolge überhöhter Preise oder unangemessener Geschäftsbedingungen erlitten hat, bedingt allein der Zufluss von Zahlungen eines dritten Unter247 Zum Problem der Feststellung eines aussagefähigen Vergleichsmarktpreises siehe S. 466 ff.; vgl. zu einem Vergleichsmarktpreis als Vergleichsmaßstab zur Schadensberechnung Logemann, S. 450 f.; 464 f.; Hildebrand, WuW 2005, S. 513 (519). 248 Oder anderer ökonomischer Methoden wie Marktsimulationsmodelle, vgl. hierzu Ellger, in: FS Möschel; S. 191 (206 ff.). 249 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, S. 54; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 68; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 156 f.; Alexander, Schadenersatz, S. 401 f.; Logemann, S. 466 ff.; Roth, in: FS Huber, S. 1133 (1166 f.). 250 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucksache 15/3640, S. 54; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 71 ff.; Alexander, Schadenersatz, S. 401 f.; Logemann, S. 469; Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1130 f.); Fuchs, WRP 2005, S. 1384 (1394 f.).
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Teil 2: Verbotsgesetz und zivilrechtliche Sanktionen
nehmens für weiterveräußerte Leistungen die Anwendung der Vorteilsausgleichung nicht. Im Gegenteil wird die, nach dem Normzweck des konkret verletzten Verbotes zu beurteilende Anwendbarkeit der Vorteilsausgleichung die Ausnahme sein. Eine Beweiserleichterung bietet die Möglichkeit der Berechnung des Schadenersatzes aufgrund des anteiligen Gewinnes des marktbeherrschenden Unternehmens. Die Regelungen des deutschen Schadenersatzrechts stehen mit den Vorgaben des europäischen Rechts in Einklang.
Teil 3
Fallgruppen des Marktmachtmissbrauchs und zivilrechtliche Sanktionen A. Kampfpreisunterbietung I. Tatbestand 1. Rechtliche Grundlagen Wettbewerbswidrige Kampfpreise beschäftigen die juristische Praxis seit langem.1 Den rechtlichen Rahmen in Deutschland bilden die §§ 3, 4 Nr. 4 UWG,2 §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB, wobei die Beurteilung durch die Rechtsprechung weitgehend einheitliche Konturen gebracht hat.3 Verlustpreisunterbietungen sind auf europäischer Ebene nach Artikel 102 S. 1 AEUV zu beurteilen.4 Durch die 6. GWB Novelle wurde ein per se Verbot5 des Untereinstandspreisverkaufs in § 20 Abs. 4 S. 2 GWB (jetzt § 20 Abs. 3 S. 2 GWB) eingefügt, welches im Jahr 2007 im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels für den Bereich des Lebensmittelhandels durch die Regelung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB verschärft wurde.6 Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB bleiben daneben anwendbar,7 so dass der Verkauf unter
d
1 Der erste bedeutende Fall eines Behinderungswettbewerbes, der in der deutschen Rechtsentwicklung als Verstoß gegen § 1 UWG gewertet wurde, hatte Anfang der 30iger Jahre eine Kampfpreisunterbietung zum Gegenstand: RG, 18. 12. 1931, RGZ 134, 342 „Benrather Tankstelle“, vgl. dazu auch Müller-Laube, S 60. 2 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 10.188 ff. m. w. N.; Alexander, WRP 2010, S. 727 (731 f.). 3 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 247 f. 4 Grundlegend EuGH, 03. 07. 1991, Slg. 1991 I, S. 3359 (3361, 3453 ff.) „AKZO Chemie BV“, zuvor Entscheidung der Kommission, 14. 12. 1985, WuW/EV 1111 (1114 ff.) „ECS/ AKZO II“; Fuchs/Möschel, in: Im menga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 233; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 93 bis 99. 5 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 316 (317) „Wal Mart“, dazu BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045) „Wal-Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1482 ff.) „Netto Marken-Discount“. 6 Gesetz vom 18. 12. 2007, in Kraft getreten am 22. 12. 2007, BGBl. Teil 1 2007, Nr. 66, S. 2966; Geltung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB verlängert durch die 8. GWB-Novelle, siehe auch S. 45 f. 7 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 248, 380 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Einstandspreis auch auf Grundlage dieser Vorschriften verboten sein kann. Im Rahmen von Art. 102 AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB gibt es allerdings anders als bei § 20 Abs. 3 S. 2 GWB weder ein per se Verbot,8 noch eine Beweislastumkehr zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen.9 Praktisch ist im Verhältnis marktbeherrschender unter Einstandspreis anbietender Unternehmen zu kleineren und mittleren Unternehmen die Zulässigkeit des Verhaltens des Marktbeherrschers nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB zu beurteilen, weil diese Norm die strengeren Voraussetzungen aufstellt. Bietet ein nur marktstarkes Unternehmen unter Einstandspreis an, finden Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB als nur an marktbeherrschende Unternehmen adressierte Normen von vornherein keine Anwendung. Im Verhältnis marktbeherrschender Unternehmen zu relativ marktstarken Unternehmen finden nur Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB Anwendung. § 20 Abs. 3 S. 2 GWB ist wegen seines Charakters als spezieller Schutznorm zugunsten kleiner und mittlerer Wettbewerber nicht anwendbar.10 Im Rahmen von Art. 102 AEUV hat die europäische Praxis kein Verbot des Angebots unter Einstandspreis entwickelt. Art. 102 AEUV verbietet zwar auch wettbewerbswidrige Kampfpreise. Allerdings wird insoweit stets das Verhältnis der Selbstkosten des Marktbeherrschers zum geforderten Preis ins Verhältnis gesetzt und geprüft, ob ein mit den Mitteln des Leistungswettbewerbes unvereinbares Verlustpreisangebot vorliegt.11 Im Vergleich dazu stellt das Verbot des Angebots unter Einstandspreis im Rahmen von § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 GWB eine nach Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 zulässige Verschärfung des deutschen gegenüber dem europäischen Recht dar.12
8 Nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB wird unwiderleglich vermutet, dass ein Angebot unter Einstandspreis die Wettbewerbsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen verschlechtert. Eine Interessenabwägung findet insoweit nicht statt; vgl. Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 20 GWB Rn. 124, 129. 9 Die Beweislast trägt grundsätzlich der Kläger, siehe S. 41 f. Die Beweislastumkehr bei § 20 Abs. 3 S. 2 GWB betrifft die Frage der sachlichen Rechtfertigung. Dies folgt bereits aus der Formulierung „es sei denn“ und nicht erst aus § 20 Abs. 4 GWB. § 20 Abs. 4 GWB soll über die Schwierigkeit hinweghelfen, das systematische Unterschreiten des Einstandspreises nachweisen zu müssen, vgl. OLG Frankfurt a.M., 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1589 (1591) „Fernsehzeitschrift“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 121 ff.; a. A. Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 132. 10 BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (293) „Freie Tankstellen“, dazu OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (831) „Freie Tankstellen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314 f.) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319) „Wal Mart“, dazu BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1049) „Wal Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1481 f.) „Netto Marken-Discount“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 123; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1300 f.). 11 Siehe auch S. 182 ff. 12 Siehe bereits S. 38 f.
A. Kampfpreisunterbietung
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2. Unterscheidung zwischen Einstandspreis und Selbstkosten a) Zur Abgrenzung zwischen den Fallgruppen In der Fallgruppe der missbräuchlichen Kampfpreisunterbietung ist zwischen einer Behinderung durch Verkauf unter Einstandspreis und einem Angebot unter Selbstkosten zu unterscheiden.13 Hintergrund der Regelung des § 20 Abs. 3 S. 2 GWB war die ablehnende Haltung des Reformgesetzgebers der 6. GWB Novelle14 gegenüber dem BGH Urteil „Hitlistenplatten“, in welchem die Richter einen Verkauf unter Einstandspreis als rechtmäßigen Leistungswettbewerb beurteilt hatten, obgleich er systematisch über mehrere Monate praktiziert worden war.15 Im Unterschied zu § 20 Abs. 3 S. 2 GWB werden Verlustpreisangebote unterhalb der Selbstkosten aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt.16 Das führt zu praktischen Konsequenzen. Die Rechtsprechung hatte beide Fallgruppen vor 1998 insoweit gleich behandelt als sie ein systematisches Angebot zu Verlustpreisen erst dann als wettbewerbswidrig ansah, wenn entweder eine Verdrängungs- oder Vernichtungsabsicht hinzutrat oder die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Struktur wirksamen Wettbewerbs bestand.17 Für Angebote unter Selbstkosten hat sich daran nichts geändert.18 Der systematische Untereinstandspreisverkauf ist dagegen seit der 6. GWB Novelle im Verhältnis zu kleinen und mittleren Wettbewerbern verboten, ohne dass eine Verdrängungsabsicht oder eine Gefährdung der Wettbewerbsstruktur nachgewiesen zu werden brauchen.19 Der Gesetzgeber hat 13
KG, 12. 07. 2001, WuW/DE-R 727 (728) „Dienstagspreise“. BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, S. 37 f.; Bergmann, WuW 2001, S. 234 (235 f.); Köhler, WRP 2005, S. 645 (650 ff.); Alexander, WRP 2010, S. 727 (727). 15 BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2981 f.) „Hitlistenplatten“; ähnlich bereits BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, S. 136 (138) „Verkauf unter Einstandspreis II“. 16 Ständige Rspr., z. B. OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 ff.) „Germania“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 247 ff., § 20 GWB Rn. 128 ff. m. w. N. 17 Zum Bsp. zur Unterschreitung der Selbstkosten: RG, 18. 12. 1931, RGZ 134, 342 (346 ff.) „Benrather Tankstelle“; BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2199 f.) „Abwehrblatt II“ und Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2647 ff.) „Siegener Kurier“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2767) „Amtsanzeiger“, zuvor OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468) „Anzeigenpreis I“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2469 (2470) „Anzeigenpreis II; z. B. zum Verkauf unter Einstandspreis: BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550 ff.) „Preiskampf“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2981 f.) „Hitlistenplatten“; vgl. auch Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (754); Bergmann, WuW 2001, S. 234 (235 f.). 18 OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (832) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 ff.) „Germania“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 247. 19 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, S. 37 f.; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314 f.) „Aldi-Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (317) „WalMart“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045, 1049) „Wal-Mart“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (913 ff.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1482 ff.) „Netto Marken-Discount“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 124, 129. 14
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
damit auf das marktstrukturelle Element nicht verzichtet. Er hatte es nur nicht mehr als Tatbestandsmerkmal in die neue Formulierung aufgenommen, weil er davon ausging, dass jeder systematische Verkauf unter Einstandspreis geeignet sei, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt und kleine und mittlere Wettbewerber zu gefährden.20 Für die vorliegende Arbeit, welche die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen ein Missbrauchsverbot untersucht, sind im Zusammenhang mit dieser Differenzierung zwei Fragen von Bedeutung. Im Hinblick auf eine Unterlassungsklage21 muss der behinderte Wettbewerber formulieren, welches Verhalten dem marktbeherrschenden (relativ marktstarken) Unternehmen verboten ist. Das schließt die Darlegung ein, welchen Preis der Marktbeherrscher nicht unterschreiten darf. Für die Berechnung des Einstandspreises gelten andere Kriterien als für die Berechnung der Selbstkosten.22 Während der Einstandspreis nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB zwar ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, der aber durch die Praxis relativ feste Konturen gewonnen hat,23 sind die Selbstkosten lediglich ein Anhaltspunkt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, deren Prüfungsgegenstand die Frage ist, ob der Preisgestaltung eine kaufmännisch bzw. betriebswirtschaftlich vernünftige Kalkulation zugrunde liegt.24 Darüber hinaus führt die gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 GWB nur ausnahmsweise Zulassung von Rechtfertigungsgründen für den Verkauf unter Einstandspreis zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Wettbewerber.25 Im Rahmen von Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB genügt es grundsätzlich nicht, wenn lediglich nachgewiesen wird, dass ein typischer Behinderungstatbestand erfüllt ist. Vielmehr muss der behinderte Marktteilnehmer auch darlegen und beweisen, dass die umfassende Interessenabwägung eine Rechtfertigung des Verhaltens des Marktbeherrschers nicht zulässt.26
20
RegBegr. 6. GWB Novelle BT-Ducks. 13/9720, S. 37; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 314 (315) „Aldi-Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (317, 319) „Wal Mart“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1049) „WalMart“; Gassner/Dangelmaier, WuW 2003, S. 491 (492 f.); vgl. zum verwandten Problem des price squeezing als Verstoß gegen § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 GWB: BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (293) „Freie Tankstellen“, aufgehoben durch OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (831 ff.) „Freie Tankstellen“; BKartA, 06. 08. 2009, WuW/DE-V 1769 (1773 f.) „MABEZ-Dienste“. 21 Siehe im Einzelnen S. 204 ff. 22 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 136 f. 23 Siehe sogleich S. 181 f. 24 Siehe sogleich S. 182 ff. 25 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 316 (318 f.) „Wal Mart“. Zu beachten ist auch die Beweiserleichterung nach § 20 Abs. 4 GWB, die allerdings den Nachweis erleichtern soll, dass überhaupt ein Angebot unter Einstandspreis vorliegt. 26 OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2837) „CRS-Betreiber/Lufthansa“; Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.); siehe auch S. 41 f.
A. Kampfpreisunterbietung
181
b) Verkauf unter Einstandspreis Es geht hierbei um eine Form des Missbrauchs von Marktmacht, die speziell im Einzelhandel auftaucht. Der typische Fall ist, dass ein finanzkräftiges, relativ marktstarkes (marktbeherrschendes) Handelsunternehmen Teile seines Warensortiments über längere Zeit unter Einstandspreis anbietet. Es werden Artikel ausgesucht, welche geeignet sind als Lockvogelangebote mit extremen Niedrigpreisen beworben zu werden.27 Üblicherweise werden wechselnde Produkte unter Einstandspreis verkauft, weil das Unternehmen im Rahmen einer Mischkalkulation die Verluste in einzelnen Sparten durch insgesamt höhere Umsätze und Gewinne in anderen Bereichen auszugleichen bestrebt ist.28 Teilweise lieferten sich marktstarke Unternehmen regelrechte Preiskämpfe, in deren Verlauf der Wettbewerb durch kleine und mittlere Unternehmen nachhaltig beeinträchtigt wurde.29 Seit der 6. GWB Novelle ist eine Mischkalkulation nicht mehr zulässig.30 Es kommt nunmehr auf die Betrachtung einzelner Produkte an.31 Unter Einstandspreis ist – vereinfacht32 – die, vom Wiederverkäufer an den Lieferanten zu zahlende Nettovergütung33 abzüglich der üblichen Vergünstigungen, wie z. B. Rabatte oder Skonti zu verstehen.34 Sys-
27 Zum Bsp. die Sachverhalte in: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318) „Wal-Mart“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (912 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 f.) „Netto Marken-Discount“; BGH, 20. 03. 1984, WuW/E BGH 1579 (1580 f.) „Verkauf unter Einstandspreis“; BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, S. 136 (136) „Verkauf unter Einstandspreis II“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2547 f.) „Preiskampf“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2977 f.) „Hitlistenplatten“. 28 Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753. 29 Zum Bsp.: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2040) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi-Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318 f.) „Wal Mart“ und nachfolgend BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 „Wal Mart“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550) „Preiskampf“. 30 Zur früheren Rechtslage: BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2982) „Hitlistenplatten“; zuvor bereits zu § 1 UWG a. F. BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, S. 136 (138 f.) „Verkauf unter Einstandspreis II“. 31 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318 f.) „WalMart“ und nachfolgend BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1044 f., 1049 f.) „WalMart“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DEV 911 (912 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1482 f.) „Netto Marken-Discount“. 32 Siehe auch S. 207 ff. 33 Ohne Umsatzsteuer. 34 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318) „Wal Mart“ und dazu BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1048) „Wal Mart“; KG, 12. 07. 2001, WuW/DE-R 727 (728) „Dienstagspreise“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (913) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1482 f.) „Netto Marken-Discount“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 137 f.; Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1176 f.); Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1301 f.).
182
Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
tematisch bedeutet, dass nicht nur gelegentlich zu Niedrigpreisen angeboten wird.35 In Rechtsprechung und Verwaltung waren nur Fälle von Bedeutung, welche mindestens über mehrere Wochen, wenn nicht Monate andauerten.36 Man wird davon auszugehen haben, dass bereits drei Wochen genügen.37 Nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB kann das marktmächtige Unternehmen nachweisen, dass eine sachliche Rechtfertigung vorlag. Dabei handelt es sich jedoch um eng begrenzte Ausnahmefälle wie z. B. drohende Verderblichkeit von Waren, der Einstieg in Wettbewerberpreise, der Ausverkauf von Restposten oder die Steigerung der Auslastung zu Zeiten schwacher Nachfrage auf ein wirtschaftlich verkraftbares Niveau.38 c) Angebot unter Selbstkosten Die Selbstkosten sind im Vergleich zum Einstandspreis schwerer zu berechnen. Insbesondere dürfen wirtschaftlich begründete Geschäftsstrategien, welche die Inkaufnahme von Verlusten über bestimmte Zeiträume, gerade in der Phase des Markteintritts als vernünftig erscheinen lassen, nicht unmöglich gemacht werden.39 Die Selbstkosten sind deshalb lediglich wichtiger Anhaltspunkt bei einer Gesamtbetrachtung, welche danach fragt, ob eine betriebswirtschaftlich vernünftige Kalkulation der Preisgestaltung zugrunde liegt.40 Eine solche liegt nicht vor, wenn unter Zugrundelegung der kalkulierten Preise eine Kostendeckung auch langfristig nicht
35 BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2982) „Hitlistenplatten“; Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 20 GWB Rn. 134. 36 Zum Bsp.: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (913 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 ff.) „Netto Marken-Discount“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 314 (314 f.) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316, 318) „Wal Mart“, dazu BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 „Wal Mart“. 37 BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (913 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1485) „Netto Marken-Discount“; Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1177); Gassner/Dangelmaier, WuW 2003, S. 491 (494 f.). 38 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/ DE-V 911 (914 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1485) „Netto Marken-Discount“; KG, 12. 07. 2001, WuW/DE-R 727 (728) „Dienstagspreise“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 142 f.; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1302 ff.). 39 BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2200 f.) „Abwehrblatt II“ und Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2647 ff.) „Siegener Kurier“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 246 f.; Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1099 f.); vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 94, 95. 40 Ständige Rspr., z. B.: BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2201) „Abwehrblatt II“, Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2647 ff.) „Siegener Kurier“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468) „Anzeigenpreis I“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2469 (2470) „Anzeigenpreis II“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2765 ff.) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (870 ff.) „Germania“; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 93 bis 99.
A. Kampfpreisunterbietung
183
erreichbar ist.41 An einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation fehlt es auch, wenn durch unternehmensinterne Quersubventionierung Gewinne aus anderen Geschäftsbereichen dazu eingesetzt werden, Verlustpreisangebote zu finanzieren.42 Angebote unterhalb der Selbstkosten werden, so zeigt die bisherige Praxis,43 regelmäßig dazu eingesetzt, bestimmte Wettbewerber aus dem Markt zu drängen, die anderenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage wären, dem Marktbeherrscher Marktanteile abzunehmen. 3. Kampfpreisunterbietung nach europäischem Recht Die Praxis der Kommission44 und die Rechtsprechung des EuGH45 beurteilen die Verlustpreisunterbietung durch marktbeherrschende Unternehmen als missbräuchliches Verhalten i. S. v. Artikel 102 S. 1 AEUV. Als verboten sind solche Preisangebote zu bewerten, durch welche das marktbeherrschende Unternehmen die
41 BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2201) „Abwehrblatt II“, Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2647 ff.) „Siegener Kurier“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468) „Anzeigenpreis I“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (870 ff.) „Germania“; Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 96, 97. 42 BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2201) „Abwehrblatt II“; OLG Frankfurt a.M., 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1589 (1590 f.) „Fernsehzeitschrift“; OLG Celle, 04. 07. 2005, WuW/ DE-R 1592 (1593 f.) „Einkauf Aktuell“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 189; für das europäische Recht: Kommission, 20. 03. 2001, WuW/E EU-V 581 (585, 587 ff.) „Deutsche Post AG“; Kommission, 23. 07. 2004, WuW/EU-V 1097 (1103 f.) „Sundbusserne/Port of Helsingborg“; EuG, 20. 03. 2002, WuW/EU-R 543 (544 f.) „UPS Europe“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 248; Kommission, discussion paper, Ziffer 6.2., Rn. 101 und Ziffer 6.2.3. Rn. 124 bis 126; Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1099 ff.). 43 Zum Bsp.: BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2197 „Abwehrblatt II“, Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2643 f.) „Siegener Kurier“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2765) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“, wo es jedoch dem Wettbewerber nicht gelang das Vorliegen einer Verlustpreisunterbietung zu beweisen; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468) „Anzeigenpreis I“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 „Germania“. 44 Schlussantrag von Generalanwalt Fennelly, Slg. 2000 I, S. 1365 (1371, 1411 ff.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; Kommission, 14. 12. 1985, WuW/EV 1111 (1114 ff.) „ECS/AKZO II“; Kommission, 21. 05. 2003, WuW/EU-V 908 (911 ff.) „Deutsche Telekom“; Kommission, 16. 07. 2003, WuW/EU-V 1005 (1009 ff.) „Wanadoo Interactive“; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer III. C. und IV. C. 45 EuGH, 11. 04. 1989, WuW/EWG/MUV 841 (846 f.) „Flugtarife“; EuGH, 03. 07. 1991, Slg. 1991 I, S. 3359 (3361, 3453 ff.) „AKZO Chemie BV“; EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1442, 1476 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; EuG, 30. 01. 2007, WuW/EU-R 1224 (1227 ff.) „France Telekom“; EuG, 10. 04. 2008, WuW/EU-R 1429 (1433 ff.) „Deutsche Telekom“ und bestätigend EuGH, 14. 10. 2010, WuW/EU-R 1779 (1795 ff.) „Deutsche Telekom/Kommission“; EuGH, 27. 03. 2012, WuW/EU-R 2297 (2300 ff.) „Post Danmark/Konkurrenceradet“.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
durchschnittlichen variablen Kosten unterschreitet.46 In einem solchen Fall erleidet das Unternehmen Verluste in Höhe der gesamten Fixkosten zuzüglich eines Teils der variablen Kosten. In einem solchen Verhalten erkennen Verwaltung und Rechtsprechung ohne weiteres eine Vernichtungs- und Verdrängungsstrategie.47 Wenn demgegenüber der geforderte Preis zwar die durchschnittlichen variablen Kosten übersteigt, er aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten, d. h. der Summe aus variablen Kosten und Fixkosten bleibt, so fordern Kommission und EuGH den zusätzlichen Nachweis einer auf Verdrängung gerichteten Gesamtstrategie.48 Der Verkauf unter Einstandspreis wird als solcher nicht als verboten bewertet. Gezahlte Vergütungen sind aber als Teil der variablen Kosten zu berücksichtigen. Abgesehen vom Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis herrscht bei der Beurteilung von Kampfpreisen weitgehende Übereinstimmung zwischen deutschem und europäischem Recht. Sowohl die deutsche als auch die europäische Rechtsprechung bzw. Verwaltungspraxis prüfen das Kosten Preis Verhältnis und nehmen eine am Ziel des unverfälschten Leistungswettbewerbes orientierte Interessenabwägung vor.49 Dabei werden extreme Verlustpreise, d. h. solche unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten als grundsätzlich missbräuchlich und rechtfertigungsbedürftig bewertet.
46 EuGH, 03. 07. 1991, Slg. 1991 I, S. 3359 (3361, 3455) „AKZO Chemie BV“, zuvor Kommission, 14. 12. 1985, WuW/EV 1111 (1114 ff.) „ECS/AKZO II“; EuG, 30. 01. 2007, WuW/EU-R 1224 (1227 ff.) „France Telekom“, zuvor Kommission, 16. 07. 2003, WuW/EU-V 1005 (1009 ff.) „Wanadoo Interactive“; EuGH, 27. 03. 2012, WuW/EU-R 2297 (2300 ff.) „Post Danmark/Konkurrenceradet“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 234; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.2.1. Rn. 106 bis 6.2.4., Rn. 129 mit einer Übersicht über die Nutzbarmachung weiterer ökonomischer Konzepte zur Feststellung von Preismissbräuchen, insbesondere die Heranziehung der durchschnittlich vermeidbaren Kosten; des Weiteren Prioritätenmitteilung unter Ziffer III. C. und IV. C. zum „equally efficient competitor Test“ und zum „sacrifice Test“. 47 Vgl. Fn. 46 und des Weiteren EuGH, 14. 11. 1996, Slg. 1996 I, S. 5951 (5952 f., 6011 f.) „Tetra Pak International SA“; Kommission, 21. 05. 2003, WuW/EU-V 908 (910 ff.) „Deutsche Telekom“ und nachfolgend EuG, 10. 04. 2008, WuW/EU-R 1429 (1433 ff.) „Deutsche Telekom“ und bestätigend EuGH, 14. 10. 2010, WuW/EU-R 1779 (1795 ff.) „Deutsche Telekom“. 48 EuGH, 03. 07. 1991, Slg. 1991 I, S. 3359 (3361, 3455 f.) „AKZO Chemie BV“, Kommission, 14. 12. 1985, WuW/EV 1111 (1114 ff.) „ECS/AKZO II“; EuGH, 14. 11. 1996, Slg. 1996 I, S. 5951 (5952 f., 6011 f.) „Tetra Pak International SA“; EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1442, 1476 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; EuG, 30. 01. 2007, WuW/EU-R 1224 (1227 ff.) „France Telekom“, zuvor Kommission, 16. 07. 2003, WuW/ EU-V 1005 (1009 ff.) „Wanadoo Interactive“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 234, 237 f., 242. 49 Zur deutschen Rechtsanwendungspraxis siehe S. 182 f.
A. Kampfpreisunterbietung
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II. Wirkung der Behinderung und Zweck ihres Verbotes 1. Wirkung gegenüber der Konkurrenz Der Preis ist der bedeutendste Wettbewerbsparameter, da er in den allermeisten Fällen die synallagmatische Gegenleistung für den Bezug von Produkten oder Dienstleistungen darstellt.50 Abnehmer sind üblicherweise bestrebt, deren Umfang so gering als möglich zu halten, weshalb sich im Wettbewerb regelmäßig das preislich günstigste Angebot durchsetzen wird. Den potentiellen Vertragspartner, der sich bei seiner Entscheidung mit wem er abschließt, ganz erheblich von dem preislich günstigsten Angebot leiten lässt, interessiert die Preisentstehung regelmäßig kaum.51 Die Steigerung der Nachfrage durch Preissenkung ist zunächst erwünschter Effekt des Wettbewerbs auch dann, wenn das Angebot von einem Marktbeherrscher unterbreitet wird.52 Verlässt die Preisbildung allerdings den Boden betriebswirtschaftlich vernünftiger Kalkulation, wird eine Preisspirale nach unten in Gang gesetzt, welche den Leistungswettbewerb durch Verdrängungswettbewerb ersetzt. Die Folge ist eine wirtschaftliche Zwangslage für kleinere und mittlere Unternehmen. Wollen sie den Verlust von Marktanteilen verhindern, müssen sie versuchen, im Preiswettbewerb mitzuhalten. Regelmäßig sind sie dazu aber mangels ausreichender finanzieller Ressourcen und geringerer Sortimentsbreite53 nicht in der Lage. Steigen sie aber nicht in die Verlustpreise des Marktbeherrschers ein, werden sie aus dem Markt gedrängt.54 Allerdings beinhalten Kampfpreise kurzfristig auch für den Marktbeherrscher ein nicht unerhebliches Verlustrisiko. Denn es ist damit zu rechnen, dass in der Anfangsphase auch weniger finanzstarke Wettbewerber ihre Preise senken können.55 Langfristig jedoch kann der Marktbeherrscher damit rechnen der 50
Auch ist er das sichtbarste Produktmerkmal, wohingegen Qualität, Service usw. im Allgemeinen schwieriger zu beurteilen sind. 51 Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (755). 52 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 232; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 246; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 94. 53 Dadurch wird ein Ausgleich mit Hilfe einer Mischkalkulation erschwert. 54 Zu diesem Verdrängungseffekt: EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1442, 1476 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2036 ff., 2040 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314 f.) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318 f.) „Wal-Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 ff.) „Netto Marken-Discount“; BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2199 ff.) „Abwehrblatt II“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2551 f.) „Preiskampf“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 ff.) „Germania“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045) „Wal Mart“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 233; zur Verdrängung beim price squeezing (§ 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 GWB): BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (293 f.) „Freie Tankstellen“, dazu OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 „Freie Tankstellen“; Kommission, 21. 05. 2003, WuW/EU-V 908 (910 ff.) „Deutsche Telekom“ und EuG, 10. 04. 2008, WuW/EU-R 1429 (1433 ff.) „Deutsche Telekom“, sowie EuGH, 14. 10. 2010, WuW/EU-R 1779 (1795 ff.) „Deutsche Telekom“; BKartA, 06. 08. 2009, WuW/DE-V 1769 (1773 f.) „MABEZ-Dienste“. 55 Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 97.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Konkurrenz die Nachfrage zu entziehen, dauerhaft den eigenen Kundenkreis zu vergrößern, den Gesamtumsatz zu steigern und auf diese Weise Verluste auszugleichen.56 Der Verlustausgleich wird dadurch erleichtert, dass nach dem Ausscheiden von Konkurrenten der Marktbeherrscher seine Preise regelmäßig wieder erhöhen kann. Unternehmerischen Erfolg hat unter diesen Umständen nicht mehr derjenige, der aus Sicht der Marktgegenseite die beste wirtschaftliche Leistung erbringt, sondern derjenige, der über die größten finanziellen Ressourcen verfügt. Während bei Verkäufen unter Einstandspreis die Verschlechterung der strukturellen Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt im Vordergrund steht,57 kommt es bei Angeboten unter Selbstkosten häufiger vor, dass einzelne Unternehmen gezielt aus dem Markt gedrängt werden sollen.58 Im Massengeschäft mit Verbrauchern wird der Verdrängungswettbewerb dadurch verschärft, dass Verlustpreise als Werbemittel eingesetzt werden.59 Einzelne begehrte Produkte werden in der Werbung, z. B. in Postwurfsendungen, im Internet, im Radio oder Fernsehen zu extremen Niedrigpreisen angepriesen. Man spricht von Lockvogelangeboten, weil dadurch der Kunde veranlasst wird, das Geschäft oder eine Filiale aufzusuchen. Für die Wettbewerber stellt es sich als besonders problematisch dar, dass die Kunden häufig einen größeren Warenkorb erwerben, der erheblich über den Umfang der Lockvogelangebote hinausgehen kann.60 Der Verbraucher ist kaum in der Lage, die Preiswürdigkeit des gesamten Sortiments zu beurteilen.61 Konkurrenten, welche bei diesem Werbewettbewerb nicht mithalten können, verlieren Nachfrage in großem Umfang. Man
56 Vgl. soeben Fn. 54; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1., Rn. 96, 97 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. C. b). 57 Zum Bsp.: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318 f.) „Wal Mart“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2980 ff.) „Hitlistenplatten“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045) „Wal Mart“. 58 Zum Bsp.: BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2199 ff.) „Abwehrblatt II“, Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2643 f.) „Siegener Kurier“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2766 ff.) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“, wo jedoch der Nachweis einer Verlustpreisunterbietung nicht gelang; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468 f.) „Anzeigenpreis I“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 „Germania“; EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1442, 1476 f.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“. 59 Zum Bsp.: BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, S. 136 (136, 138) „Verkauf unter Einstandspreis“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2547 f.) „Preiskampf“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2977 f.) „Hitlistenplatten“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2036) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 „WalMart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1484 f.) „Netto Marken-Discount“. 60 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2037 ff.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (320) „Wal-Mart“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045) „WalMart“; Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (756); Fichter/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1180 f.). 61 Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (756 f.); Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1180).
A. Kampfpreisunterbietung
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spricht insoweit von einem Sogeffekt.62 Es kommt auch vor, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen nicht die Verdrängung, sondern lediglich die Disziplinierung von Wettbewerbern anstrebt.63 Dazu wird ein bestimmtes Unternehmen gezielt mit Verlustpreisen attackiert. Es wird gedroht, die Verlustpreisstrategie bis zur Vernichtung fortzuführen, falls der Wettbewerber nicht darauf verzichtet, das marktbeherrschende Unternehmen mit günstigeren Angeboten in seiner Wettbewerbsstellung anzugreifen. Für das marktbeherrschende Unternehmen geht es darum, den Markt nach seinen Vorstellungen zu ordnen und seine Position dauerhaft gegen Wettbewerbsdruck abzusichern.64 Diese Effekte kann ein marktbeherrschendes Unternehmen auch auf Drittmärkten erzielen, selbst wenn es dort nicht über eine beherrschende Stellung verfügt. Indem es Gewinne aus Märkten, auf denen es aufgrund seiner herausgehobenen Position eine sichere Stellung hat, abzieht und zur Preissenkung auf dritten Märkten einsetzt, vermag es dortige Wettbewerber zu verdrängen oder zu disziplinieren.65 Durch eine derart veranlasste Preissenkung können auch Newcomer vom Markteintritt abgehalten werden. Vor diesem Hintergrund soll das Verbot von Kampfpreisen Wettbewerber auf dem beherrschten Markt vor Verdrängung und Disziplinierung schützen und ihnen die Chance erhalten, ihre Wettbewerbsposition durch eigene Leistung verbessern zu können. Der Markt wird für den Zutritt potentieller Konkurrenten offen gehalten.66 Damit wird zugleich der horizontale Leistungswettbewerb gesichert.67 Diese Ziele will das Verbot auch auf Drittmärkten zugunsten dort tätiger Wettbewerber durchsetzen, die von einem 62 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 ff.) „Coop Bremen“; BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, S. 136 (138 f.) „Verkauf unter Einstandspreis“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550 ff.) „Preiskampf“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (320) „Wal-Mart“ und dazu BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1045 ff.) „Wal Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1486) „Netto Marken-Discount“; Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (756). 63 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 233; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 250; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 99 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer III. C. und IV. C. b) Rn. 69. 64 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 234; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 250; so bereits auch im berühmten Fall Benrather Tankstelle RG, 18. 12. 1931, RGZ 134, 342 (347 ff.). 65 Kommission, 20. 03. 2001, WuW/EU-V 581 (585 ff.) „Deutsche Post AG“; Kommission, 23. 07. 2004, WuW/EU-V 1097 (1103) „Sundbusserne/Port of Helsingborg“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2037) „Coop Bremen“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 248; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 189; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.2. Rn. 101 und Ziffer 6.2.3. Rn. 124 bis 126. 66 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2037 ff.) „Coop Bremen“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (870) „Germania“; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer III. C. und IV. C. b). 67 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 ff.) „Coop Bremen“; BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2197 (2199 f.) „Abwehrblatt II“; WuW/E BGH, 04. 04. 1995, BGH 2977 (2982) „Hitlistenplatten“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (870) „Germania“; BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (293 f.) „Freie Tankstellen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (317, 320) „Wal-Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1486) „Netto Marken-Discount“; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1301).
188
Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Marktmachttransfer durch unternehmensinterne Quersubventionierung von Verlustpreisen betroffen sind.68
2. Wirkung gegenüber der Marktgegenseite Solange das marktbeherrschende Unternehmen sich durch Niedrigpreise um Kundenbindung bemüht, können Abnehmer ihren Bedarf günstiger decken. Diese Bemühungen werden mit dem Ausscheiden von Wettbewerbern geringer, weil die Auswahlmöglichkeiten der Marktgegenseite und damit der Wettbewerbsdruck sinken. Das marktbeherrschende Unternehmen, welches durch eine Verlustpreisstrategie erhebliche finanzielle Einbußen erlitten hat, wird bestrebt sein, diese Einnahmeausfälle zu kompensieren. Langfristig kann es dadurch zu einer Verringerung der Angebotsvielfalt und einer Steigerung der Preise kommen.69 Erwirbt der Kunde einen Warenkorb, in dem als Folge einer Mischkalkulation des Anbieters nur einzelne Produkte zu Niedrigpreisen angeboten wurden, kann ihm verborgen bleiben, dass das Angebot insgesamt überhaupt nicht günstiger ist als bei der Konkurrenz. Es besteht die Gefahr einer Irreführung über die Preisgestaltung. Das Missbrauchsverbot garantiert indes keine Angebotsvielfalt. Dort, wo Verdrängungs- und Konzentrationsprozesse als Folge freien Leistungswettbewerbes auftreten, sind sie hinzunehmen. Das Gesetz kennt keine schützenswerte Rechtsposition dahingehend, Angebotswettbewerb als Voraussetzung für Konsumentenfreiheit verlangen zu können.70 Ausnahmen bilden der Schutz vor Ausbeutung nach Art. 102 S. 2 lit a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB, sowie die künstliche Beschränkung von Erzeugung, Absatz oder technischer Entwicklung nach Art. 102 S. 2 lit b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB. Es handelt sich dabei allerdings um selbständige Missbrauchstatbestände mit spezifischen Tatbestandsvoraussetzungen. Sie können einer Phase der Kampfpreisunterbietung zwar nachfolgen. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es aber nicht. Was die irreführende Preisgestaltung anbelangt, so kann ein solches Verhalten einen Verstoß gegen §§ 3 i. V. m. 5 oder 5a UWG,71 darstellen. Es handelt sich dabei um ein Problem des sittenwidrigen Wettbewerbs, nicht aber um eine kartellrechtliche Fragestellung. Es fehlt an einem spezifischen 68 Missbräuchlich ist nicht bereits die Quersubventionierung als solche. Anknüpfungspunkt bleibt vielmehr das Verlustpreisangebot. Die Verwendung von Gewinnen, die zuvor auf anderen Märkten erzielt wurden, zur Finanzierung eines solchen Verdrängungswettbewerbes einzusetzen, ist ein erschwerender Umstand, der die Rechtfertigung einer solchen Preisstrategie ausschließt; vgl. EuG, 20. 03. 2002, WuW/EU-R 543 (544 f.) „UPS Europe“; Kommission, 20. 03. 2001, WuW/EU-V 581 (585 ff.) „Deutsche Post AG“; Kommission, 23. 07. 2004, WuW/ EU-V 1097 (1103 f.) „Sundbusserne/Port of Helsingborg“; OLG Frankfurt a.M., 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1589 (1590) „Fernsehzeitschrift“; OLG Celle, 04. 07. 2005, WuW/DE-R 1592 (1593 f.) „Einkauf Aktuell“; Fuchs/Möschel, Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 248. 69 Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (756 f.); vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 6.1. Rn. 96, 97. 70 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 71 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG, Rn. 10.194 ff.
A. Kampfpreisunterbietung
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Zusammenhang zwischen Marktmacht und Irreführung, weil Marktmacht keine notwendige Voraussetzung der Irreführung ist.
III. Der Verstoß gegen § 134 BGB 1. Die Diskussion zu Artikel 102 AEUV Die zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das Verbot der Verlustpreisunterbietung nach Art. 102 AEUV sind den nationalen Rechtsordnungen zu entnehmen.72 Der EuGH hat die Möglichkeit einer Nichtigkeit von Vereinbarungen anerkannt, durch welche Wettbewerber eines marktbeherrschenden Unternehmens gezwungen wurden, ihre Leistungen zu besonders niedrigen Preisen anzubieten. Voraussetzung sei, dass die nationalen Gesetze eines Mitgliedsstaates eine derartige Rechtsfolge vorsehen.73 Zu der Frage, in welchen Einzelfällen und unter welchen Bedingungen die Nichtigkeit die angemessene Rechtsfolge darstellt, schweigt das Gericht naturgemäß. Denn der EuGH und das Europäische Gericht erster Instanz wachen über die Einhaltung des Europäischen Rechts. Sie dürfen deshalb § 134 BGB nicht zur Anwendung bringen.74 Entscheidungen nationaler Gerichte fehlen bislang. Allerdings gibt es insoweit eine Diskussion in der Literatur. Deren Ergebnisse und Argumente sind wegen der Parallelität von Art. 102 AEUV auch für die Anwendung von §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB zu berücksichtigen.75 Vertreten wird dabei sowohl, dass zu Kampfpreisen geschlossene Verträge wirksam76 oder aber nichtig77 sind. 2. Rechtsgeschäft und gesetzliches Verbot Zunächst ist aber zu klären, ob der Abschluss eines Vertrages überhaupt Teil der verbotenen Handlung oder nur Folge eines Wettbewerbsverstoßes ist. Im Hinblick 72
Siehe auch S. 41 f. EuGH, 27. 03. 1974, WuW/EWG/MUV 311 (312) „SABAM II“; EuGH, 11. 04. 1989, WuW/EWG/MUV 841 (847) „Flugtarife“; Weyer, ZEuP 1999, S. 424 (435 f.). 74 Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 387 f.; Weyer, ZEuP 1999, S. 424 (435 ff.). 75 Zur Parallelität aufgrund des Grundsatzes der Gleichwertigkeit der Sanktionen vgl. Hempel, Rechtsschutz, S. 102 f.; Emmerich, AG 2001, S. 520 (525). 76 Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 673; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 419; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 7; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 117; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1305). 77 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 19 GWB Rn. 1301; Jung, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Schröter/Bartl, in: S/K/J/M, Art. 102 AEUV Rn. 28 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 379; Weyer, AG 1999, S. 257 (258); Steindorff, S. 328 f. 73
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
auf Massengeschäfte mit Verbrauchern liegt der Schwerpunkt des Wettbewerbsverstoßes in der Werbung mit Niedrigpreisen. Nicht umsonst formulieren § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 GWB, das Angebot unter Einstandspreis sei verboten. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, das verbotene Verhalten erschöpfe sich in dieser Form unzulässiger Werbung.78 Andererseits ist nicht zu übersehen, dass der Niedrigpreis Teil des zu schließenden Vertrages wird. Erst durch den Vertragsschluss erreicht das marktbeherrschende (marktstarke) Unternehmen sein Ziel der Förderung eigenen Absatzes und der Entziehung der Kaufkraftnachfrage beim Konkurrenten. Darüber hinaus ist der gelegentliche Verkauf unter Einstandspreis oder Selbstkosten nicht missbräuchlich. Erst das systematische Vorgehen über einen längeren Zeitraum, welches zu einer Nachfragekonzentration führt, ist geeignet, Wettbewerber zu behindern.79 Dann gehört aber auch der Vertragsschluss zum missbräuchlichen Verhalten. Der Abschluss des Vertrages motiviert den Kunden, welcher das Gefühl hatte preisgünstig eingekauft zu haben dazu, auch in Zukunft seinen Bedarf bei diesem Unternehmen zu decken. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass in vielen Fällen des Angebots unterhalb der Selbstkosten eine aggressive Werbung mit Niedrigpreisen nicht Bestandteil der Niedrigpreisstrategie ist.80 Bereits die tatsächliche Praktizierung von Kampfpreisen erzeugt in diesen Fällen eine Wettbewerber behindernde Wirkung. Dabei ist unter Praktizierung schlicht der Abschluss von Verträgen mit der Marktgegenseite zu verstehen, in denen die Leistung zu einer besonders niedrigen Gegenleistung versprochen wird. Das Verbot von wettbewerbswidrigen Kampfpreisen zielt also nicht nur auf die Verhinderung von Lockvogelangeboten, sondern zugleich auf die Verhinderung des Abschlusses entsprechender Verträge.81 Missbräuchliche Handlungen sind also sowohl das Angebot unter Einstandspreis oder unter Selbstkosten im Rahmen der Werbung als auch der Abschluss von Verträgen, welche den Verlustpreis als Gegenleistung enthalten.
78 In BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2982) „Hitlistenplatten“ geht der BGH nur auf den Werbewettbewerb ein; vgl. auch BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550 f.) „Preiskampf“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2036) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316) „Wal Mart“. 79 Siehe S. 179 ff. und S. 185 ff. 80 BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2195) „Abwehrblatt II“, zuvor OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2643 f.) „Siegener Kurier“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2762 f.) „Amtsanzeiger“, zuvor OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (867 f.) „Germania“; für das europäische Recht: EuGH, 03. 07. 1991, Slg. 1991, S. 3359 (3361, 3456 ff.) „AKZO Chemie BV/Kommission“; EuGH, 14. 11. 1996, Slg. 1996 I, S. 5951 (5952 f., 6011 ff.) „Tetra Pak International SA“; EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1442, 1475 ff.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“. 81 Das BKartA untersagte in den Entscheidungen BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi Nord“ und BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 „WalMart“ den „Verkauf unter Einstandspreis“; vgl. auch OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (868, 870 f.) „Germania“.
A. Kampfpreisunterbietung
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3. Die Auslegungsregel und der Normzweckvorbehalt a) Problemaufriss Nach der Auslegungsregel des § 134 BGB sind entsprechende Verträge als nichtig zu behandeln. Vorrangig sind jedoch die Erfordernisse des Verbotsgesetzes, also des Art. 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 2 GWB zu beachten. Sie können einer Nichtigkeit entgegenstehen.82 Fraglich ist also, welche Rechtsfolge dem Schutz des freien Leistungswettbewerbes und der Handlungsfreiheit der beteiligten Unternehmen am besten entspricht. Zu beachten sind das Interesse der Wettbewerber an einer effektiven Sanktionierung von Kampfpreisstrategien und das Interesse der Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens an der Durchführung der geschlossenen Verträge. Keine Berücksichtigung findet dagegen das Interesse des Marktbeherrschers an Abschluss und Durchführung von Verträgen, die einen kartellrechtswidrigen Kampfpreis zum Inhalt haben. Denn das unternehmerische Verhalten wird insoweit als nach Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 2 GWB missbräuchlich beurteilt und also von der Rechtsordnung missbilligt. b) Lösungsansätze Prinzipiell sind drei verschiedene Gestaltungen denkbar. Man könnte die Verträge für nichtig erklären. Die Vertreter dieser Ansicht verweisen darauf, dass die zivilrechtliche Nichtigkeit eine wirksame Sanktion darstelle.83 Des Weiteren sei nach dem Zweck des Missbrauchsverbots das Interesse an der Aufrechterhaltung des Leistungswettbewerbes dem Interesse der Vertragspartner vorrangig.84 Vertretbar ist auch die entgegengesetzte Position, nach der die Verträge wirksam bleiben. Sie wird mit dem Schutz gutgläubiger Vertragspartner begründet.85 Den Wettbewerbern stehe die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen offen.86 Zudem würde eine Überprüfung und Rückabwicklung dieser Austauschverträge praktisch nicht lösbare Probleme aufwerfen.87 Schließlich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, der vereinbarte Preis sei auf das rechtmäßige Niveau anzuheben. Somit hätte der Vertrag von Beginn an einen rechtmäßigen Inhalt. Gegen eine Vertragsanpassung 82
Siehe S. 104 ff. Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 19 GWB Rn. 1301; Jung, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393. 84 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 19 GWB Rn. 1301; Jung, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Steindorff, S 328 f.; Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 85 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 419; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1305). 86 Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1305). 87 Das ist für Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 419 das Ausschlag gebende Argument; vgl. auch Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 673. 83
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
spricht allerdings zwingend der Grundsatz der Vertragsfreiheit.88 Man würde den beteiligten Vertragspartnern einen Vertrag mit von beiden Seiten nicht gewolltem Inhalt aufzwingen.89 Im Übrigen würde auch ein Schutz der Wettbewerber nicht erreicht. Wenn der Marktbeherrscher seine Kunden durch Lockvogelangebote ködern würde, könnte er dennoch den Vertrag durchführen und sein eigenes Geschäft fördern. Den Wettbewerbern würden, wie vom Normadressaten beabsichtigt Marktanteile entzogen. Schließlich würde das marktbeherrschende Unternehmen noch damit „belohnt“, dass es einen angemessenen Preis fordern darf. Als Alternativen verbleiben also die Nichtigkeit oder die volle Wirksamkeit der zu Niedrigpreisen geschlossenen Verträge. Die Entscheidung für die eine oder andere Lösung hängt zunächst davon ab, ob die Nichtigkeit tatsächlich eine wirksame Sanktion darstellt. Sodann ist zu berücksichtigen wie stark die jeweils schützenswerten Interessen von Wettbewerbern und Vertragspartnern durch die unterschiedlichen Lösungen beeinträchtigt werden und wie diese Interessen gewichtet werden sollen. Schließlich ist das Argument zu beachten, dass die Nichtigkeit bei Massengeschäften praktisch undurchführbar sei. c) Wirksamkeit der Sanktion Die Nichtigkeit rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen bewirkt eine zweifache Sanktion. Zum einen wird die Entstehung vertraglicher, einklagbarer Ansprüche verhindert. Geschäftspartner des Marktbeherrschers können dann gegebenenfalls Schadensersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2 i. V. m. 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über die Nichtigkeit des Vertrages geltend machen.90 Zum anderen entstehen nach einem dennoch vorgenommenen Leistungsaustausch Rückgewähransprüche aufgrund Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB. Fraglich ist, ob diese Sanktionen geeignet sind, Niedrigpreisangebote in der Praxis effektiv zu verhindern. aa) Massengeschäfte mit niedrigpreisigen Produkten Niedrigpreisangebote finden am häufigsten bei Massengeschäften mit Verbrauchern statt.91 Nicht zuletzt war das ausdrückliche Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis eine Reaktion darauf, dass diese Fallgruppe bei der Behinderung durch wettbewerbswidrige Kampfpreise die praktisch bedeutsamste Rolle spielt.92 Diese 88 So auch Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 47. 89 Hierin unterscheidet sich dieser Fall von solchen, in denen eine Vertragsanpassung mit dem Schutz eines beteiligten Vertragspartners begründet wird, vgl. S. 115 ff. 90 Allgemein Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74. ff. 91 Siehe S. 179 ff. und S. 185 ff. 92 RegBegr. 6. GWB Novelle BT-Ducks. 13/9720, S. 37.
A. Kampfpreisunterbietung
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Fälle zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass die Lockvogelangebote auf Alltagsprodukte bezogen sind, die einen recht geringen Wert haben. Das betrifft vor allem Lebensmittel, gegebenenfalls auch Unterhaltungsmedien wie CDs.93 Diese Produkte werden beim Besuch des Geschäfts bezahlt und an den Kunden übereignet. Dass einer der Vertragspartner seine Ansprüche einklagen muss, kommt praktisch nicht vor. Bedeutung kann in diesen Fällen der Umstand erlangen, dass der Kunde im Fall der Nichtigkeit des Kaufvertrages bei mangelhafter Leistung keine Gewährleistungsansprüche erhält. Jedoch ist das marktbeherrschende bzw. marktstarke Unternehmen nicht gehindert, das fehlerhafte Produkt dennoch auszutauschen. Regelmäßig wird das auch so geschehen, weil das Unternehmen ein Interesse daran hat, durch seinen Service die Kunden an sich zu binden. Das bedeutet, dass in diesen Fällen die Versagung vertraglicher Ansprüche nicht geeignet ist, die Verbraucher vom faktischen Erwerb der Lockvogelangebote abzuhalten. Für das marktbeherrschende Unternehmen stellt die Nichtigkeit der Verträge, soweit sie Niedrigpreise enthalten, ebenfalls keine Abschreckung dar. Man darf dabei nicht vergessen, dass Niedrigpreisangebote häufig ein Werbemittel sind, welches dazu dient, Kunden in die Geschäfte zu locken und sie zum Kauf ganz verschiedenartiger Waren zu motivieren.94 Dieser Effekt wird bereits erreicht, bevor irgendwelche Verträge geschlossen werden. Das bedeutet, die Verfälschung des Leistungswettbewerbes in Form der Anlockung und Bindung von Kunden durch wettbewerbswidrige Niedrigpreisangebote tritt unabhängig davon ein, ob die Austauschverträge zwischen Marktbeherrscher und Verbraucher wirksam sind oder nicht. bb) Höherwertige Produkte und Dienstleistungen Jedoch ist zu überlegen, ob nicht jedenfalls bei höherwertigen Produkten bzw. Dienst- oder Werkleistungen die Nichtigkeit eine echte Sanktion bewirken kann. Als Beispiele aus der Praxis können sowohl das Angebot von Flugreisen95 als auch das Angebot des Abdrucks von Werbeanzeigen96 unter Selbstkosten dienen. Zunächst fallen hier die Zahlung und die Erbringung der geschuldeten Leistung zeitlich auseinander. Zudem muss der Kunde einen im Vergleich zu Alltagsgeschäften erheblich höheren Preis zahlen. Im Übrigen ist in diesen Fällen das wirtschaftliche Interesse daran, die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich zu erhalten, weitaus größer als bei Alltagsgeschäften. Der Vertragspartner hat deshalb ein un93
Siehe S. 181 f. BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (912, 914 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1484 f.) „Netto Marken-Discount“; siehe auch S. 185 ff. 95 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (867 f.) „Germania“; EuGH, 11. 04. 1989, WuW/EWG/MUV 841 (846 f.) „Flugtarife“. 96 Vgl. den Sachverhalt in BGH, 10. 12. 1985, WuW/E BGH 2195 (2195) „Abwehrblatt II“ und Vorinstanz OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2643 f.) „Siegener Kurier“; zum Abdruck eines Anzeigenblattes BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2767 f.) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“. 94
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bedingtes Interesse daran einen vertraglichen Anspruch zu erwerben, der auch einklagbar ist. Darüber hinaus besteht für den Fall der Verletzung einer Vertragspflicht ein erhebliches Bedürfnis für die Geltendmachung von Sekundäransprüchen. In diesen Fällen kann die Nichtigkeit von zu Niedrigpreisen geschlossenen Verträgen eine abschreckende Wirkung auf potentielle Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens haben. Das günstige Angebot ist weit weniger attraktiv, wenn eine vertragliche Verpflichtung des Marktbeherrschers nicht möglich ist. cc) Zwischenergebnis Bei genauer Betrachtung ist also festzustellen, dass die Nichtigkeit von Austauschverträgen bei Massengeschäften mit relativ geringwertigen Alltagsprodukten keine Sanktion darstellt, die dem Verbot von Kampfpreisen zu einer effektiven Durchsetzung verhilft. Allerdings kann die Nichtigkeit eine wirksame Abschreckung ausüben, wenn es um hochwertige Produkte oder Leistungen geht, an deren Erbringung der Kunde eine hohes wirtschaftliches oder sonstiges Interesse hat. Man könnte deshalb die Nichtigkeit auf die Fälle beschränken, in denen die Verweigerung von Rechtsschutz tatsächlich eine präventive Wirkung entfaltet und somit der Durchsetzung des Verbotes förderlich ist. Allerdings dürfte eine Abgrenzung dieser Fälle praktisch unmöglich sein. Es würde die Gefahr einer großen Rechtsunsicherheit heraufbeschworen, die der Effektivität des Verbotes notwendig entgegensteht. d) Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung aa) Rückabwicklung nach der Zweikondiktionentheorie Möglicherweise stellt aber der Umstand, dass im Falle der Nichtigkeit von Austauschverträgen die Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens nach dem Austausch der Leistungen einen bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB haben, eine erhebliche Belastung für dieses Unternehmen dar. Allerdings könnte der Marktbeherrscher sogar von der Nichtigkeit profitieren, wenn bezüglich der Rückabwicklung die Saldotheorie97 Anwendung fände. Da der Wert der erbrachten Leistung über dem gezahlten Preis liegt, entstünde ein Saldo zugunsten des zum Niedrigpreis anbietenden Unternehmens. Es wirkte sich dann nicht nur seine Kampfpreisstrategie negativ auf seine Wettbewerber aus. Es stünde auch in seinem Belieben, nach erfolgtem Leistungsaustausch die Differenz zwischen gezahltem Preis und Marktwert98 der Leistung zurückzufordern und sich auf diese Weise das zur Verdrängungsstrategie eingesetzte Kapital zurückzuholen. 97
41 ff.
Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 210 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 2,
98 Maßgeblich wären in diesem Fall weder der Einstandspreis noch die Selbstkosten. Entscheidend wäre der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages erzielbare Marktpreis.
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Um dieses, dem Normzweck der Missbrauchsverbote des Art. 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB widersprechende Ergebnis zu vermeiden, wird man im Fall des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot, wie er hier vorliegt, die Zweikondiktionentheorie99 als vorzugswürdig anzusehen haben.100 Demnach hätte also jeder der Beteiligten die jeweils erhaltene Leistung zurück zu gewähren. Eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Normadressaten des Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB könnte aber auch dann nur erzielt werden, wenn in der Folge einer Nichtigkeit von Verträgen die Geschäftspartner eine Rückabwicklung tatsächlich anstrebten. Regelmäßig werden daran weder der Kunde und schon gar nicht das marktbeherrschende Unternehmen ein Interesse haben. Der Kunde hat ein besonders gutes Geschäft gemacht und das Unternehmen hat den Verlust bewusst in Kauf genommen.101 Da die Vertragsparteien nicht gezwungen werden können ihre bereicherungsrechtlichen Ansprüche geltend zu machen, bliebe der Leistungsaustausch ohne vertragliche Grundlage faktisch erhalten. Das marktbeherrschende Unternehmen geht insoweit kein Risiko ein. Etwas anderes würde nur für den atypischen Fall gelten, dass eine Kaufsache beim Käufer unverschuldet zerstört wird und er dann eine Rückabwicklung anstrebt. Dann, vorausgesetzt der Abnehmer kennt die Rechtslage, entstünde dem Verkäufer als Folge der Anwendung der Zweikondiktionentheorie tatsächlich ein Verlust.102 Da der Marktbeherrscher aber ohnehin zum Verlustpreis anbietet, ist äußerst fraglich, ob ein solcher weiterer Verlust in der Praxis wirtschaftlich ins Gewicht fällt. bb) Die Rechtsfolgen bei Anwendung von § 817 BGB Ein Risiko könnte für das marktbeherrschende Unternehmen aufgrund der analogen Anwendung von § 817 S. 2 BGB entstehen, wenn in der Folge die Rückforderung der Leistung durch den Verbotsadressaten überhaupt ausgeschlossen wäre.103 § 19 Abs. 1, 2 GWB, § 20 Abs. 3 GWB und Art. 102 AEUV sind gesetzliche Verbote im Sinn des § 817 S. 2 BGB. Bleibt demgegenüber der Anspruch des Leistungs99
Allgemein Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 209; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41. 100 Zur Einschränkung der Saldotheorie auch Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 216; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 42. 101 Siehe S. 188 f. 102 Obgleich es sich hier um die Fallkonstellation handelt, die Grundlage für die Entwicklung der Saldotheorie war, (um eine entsprechende Anwendung der Gefahrtragungsregeln beim Kauf auch bei nichtigem Kaufvertrag zu ermöglichen [vgl. dazu Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41 f.]) sollte diese im vorliegenden Zusammenhang wegen des, aus dem soeben beschriebenen Normzweck der Missbrauchsverbote abzuleitenden Vorranges der Zweikondiktionentheorie gerade keine Anwendung finden. 103 Es ist in Rspr. und h L anerkannt, dass die Leistungskondiktion gemäß § 817 S. 2 BGB analog regelmäßig auch dann ausgeschlossen ist, wenn nur der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstößt; Schwab, in: MüKo BGB, § 817 BGB Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10.
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empfängers nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB erhalten, könnte im Falle der Rückforderung ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust entstehen.104 Voraussetzung ist allerdings, dass der Normadressat bewusst gegen das Verbot verstößt.105 Das verlangt, dass das marktbeherrschende Unternehmen subjektiv vorwerfbar unter Einstandspreis oder unter Selbstkosten anbietet, ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung besteht. Es genügt insoweit jedenfalls vorsätzliches und leichtfertiges Handeln.106 Mit Blick auf eine effektive Durchsetzung der Missbrauchsverbote107 muss auch der fahrlässige Gesetzesverstoß zu einer analogen Anwendung des § 817 S. 2 BGB mit der Folge des Kondiktionsausschlusses des marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens führen, wobei der von der Rechtsprechung zum Schadenersatzanspruch entwickelte strenge Verschuldensmaßstab108 zugrunde zu legen ist. Mit dem Nachweis, dass der Normadressat schuldhaft gehandelt hat, verbindet sich indes ein gewisses Prozessrisiko. Zum einen können die Berechnung der Selbstkosten und der Nachweis des Fehlens einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation schwierig sein.109 Zum anderen bestehen in den Fällen des Verkaufs unter Einstandspreis noch Auslegungsschwierigkeiten, welche sich nicht nur auf die konkrete Berechnung des Einstandspreises, sondern auch auf das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen beziehen.110 Infolgedessen ist selbst dann, wenn § 817 S. 2 BGB die Kondiktion des Marktbeherrschers ausschließen sollte, nicht damit zu rechnen, dass die Kunden ihrerseits einen Anspruch aufgrund § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB geltend machen. Aufgrund des günstigen Angebots dürfte das Gefühl vorherrschen, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Insofern besteht kein wirtschaftliches Interesse an der Führung derartiger Prozesse, zumal letztlich in kaum einem Fall das Eingreifen des Kondiktionsausschlusses nach § 817 S. 2 BGB analog sicher vorherzusehen wäre. Das gilt sowohl für Massengeschäfte mit niedrigpreisigen Produkten als auch dann, wenn höherwertige Waren oder Dienstleitungen angeboten werden. Dazu tritt ein weiterer Umstand. Der Anbieter kalkuliert, zumindest kurzfristig, ohnehin einen wirtschaftlichen Verlust ein. Insofern würde dieser Verlust lediglich etwas größer ausfallen. Insgesamt dürfte die bereicherungsrechtliche Situation solange keine Abschreckung darstellen, als das Unternehmen mittel- und langfristig dennoch mit der Gewinnung von Marktanteilen 104 Durch die bloße Entgegennahme der Leistung verstößt ein Abnehmer nicht seinerseits gegen das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis bzw. Selbstkosten, weshalb die unmittelbare Anwendung von § 817 S. 1 oder 2 BGB von vornherein ausscheidet. 105 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 68 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 21 f. 106 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 BGB Rn. 68, 70; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 21 f. 107 Zum Gesetzeszweck siehe S. 50 ff. und 61 ff. 108 Siehe dazu S. 154 ff. 109 Siehe dazu S. 191 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 236 ff. 110 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 316 (318 ff.) „Wal Mart“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1046 f., 1048 f.) „Wal Mart“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 137 ff., 142 f.
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rechnen kann. Ergänzend ist anzufügen, dass auch ein Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB111 an dieser Einschätzung nichts ändern würde. Für die Abnehmer stellte es schließlich keinen Unterschied dar, nach welcher Vorschrift die Kondiktion des marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens ausgeschlossen wäre. Allerdings wäre das Prozessrisiko insoweit höher als dem missbräuchlich handelnden Unternehmen nachgewiesen werden müsste, dass es gewusst hat, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein. Das setzte nicht nur einen vorsätzlichen Verstoß gegen Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB voraus, sondern auch das Erkennen einer daraus folgenden Nichtigkeit des Austauschvertrages und die Ableitung deshalb nicht zur Leistung verpflichtet zu sein. Festzuhalten bleibt, dass das Risiko einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Leistungsaustauschs gering ist. Die Rechtslage ist selbst bei Anwendung von § 817 S. 2 BGB nicht geeignet, eine wirksame Abschreckung der Anbieter zu bewirken. e) Die Interessen der Vertragspartner Eine Nichtigkeit der Austauschverträge brächte für den Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens eine Vielzahl von Nachteilen. Sein Vertrauen auf die Wirksamkeit würde nicht geschützt, obwohl er selbst nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Er würde weder vertragliche Erfüllungsansprüche erwerben, noch entstünden auf Sekundärebene Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüche. Allerdings dürfte aufgrund der durch das Interesse des Marktbeherrschers an der Kundenbindung motivierten, tatsächlichen, also auch ohne vertragliche Grundlage erfolgenden Leistungserbringung die wirtschaftliche Belastung regelmäßig gering oder nicht vorhanden sein. Weitere Belastungen können entstehen, wenn ein Wettbewerber nach Abschluss, aber vor Durchführung der Verträge auf Unterlassung klagt und damit den Marktbeherrscher an der faktischen Leistungserbringung hindert.112 Eine Berufung auf den Vertrag wäre dann mangels Wirksamkeit nicht möglich. Allerdings tritt dieses Problem nur bei höherwertigen Produkten oder der Eingehung von Dauerschuldverhältnissen, also bei der Minderzahl der Fälle auf.113 Außerdem hätte der vermeintliche Vertragspartner dann die Möglichkeit Schadensersatz zu beanspruchen. Bereits durch die Vertragsanbahnung kommt zwischen dem Marktbeherrscher und dem Vertragsinteressenten ein vorvertragliches Schuldverhältnis i. S. v. § 311 Abs. 2 BGB zustande. Scheitert die Wirksamkeit des Vertrages an § 134 BGB und liegt die Ursache dafür in der Verantwortung eines Teils, so ist dieser verpflichtet, den anderen Teil über die mögliche oder sichere Nichtigkeit aufzuklären.114 Unterlässt er dies, verletzt er eine Aufklä111
Das gilt für den Fall, dass das marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen vorsätzlich handelt und deshalb die Nichtigkeit erkennt. 112 Zu Unterlassungsansprüchen siehe S. 204 ff. 113 Siehe S. 179 ff. und S. 185 ff. 114 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74. ff.
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rungspflicht, die sich daraus herleitet, dass er die Ursache für die Nichtigkeit gesetzt hat und das Vertrauen des anderen Teils nicht ausnutzen darf. Handelt er dabei schuldhaft, muss er den entstandenen Schaden gemäß § 280 Abs. 1 BGB ersetzen. Da eine Verantwortlichkeit auch bei bloßer Fahrlässigkeit besteht, liegt Verschulden auch dann vor, wenn der Aufklärungspflichtige damit rechnen musste, dass sein Verhalten als Verstoß gegen das gesetzliche Verbot mit der Folge der Nichtigkeit beurteilt wird.115 Da allerdings das Verbotsziel des Art. 102 S. 1 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB darauf gerichtet ist, dass das Zustandekommen des Vertrages verhindert wird, könnte der andere Teil im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs nicht verlangen so gestellt zu werden, als ob erfüllt worden wäre. Vielmehr wäre er lediglich berechtigt, Ersatz des negativen Interesses zu fordern.116 Er würde also so gestellt, als ob er von dem Vertrag nie Kenntnis erlangt hätte. Dieses Interesse würde, nicht zwingend, aber im Regelfall deutlich niedriger liegen als das positive Interesse. Das Erfüllungsinteresse nach § 311 a) i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB könnte nicht verlangt werden, weil es sich nicht um einen Fall der anfänglichen rechtlichen Unmöglichkeit handelt. Vielmehr wäre der Vertrag bereits von Anbeginn nichtig.117 Im Hinblick auf die Berechnung des negativen Interesses wäre zugrunde zu legen, dass dem vermeintlichen Vertragspartner wirtschaftliche Vorteile aus entgangenen anderen günstigen Geschäften versagt blieben. Da aber aufgrund der Verlustpreisunterbietung das Angebot des Marktbeherrschers das günstigste sein dürfte, würde wohl kaum einmal ein solcher Schaden entstehen. Damit bliebe der Anspruch für den Regelfall auf Ersatz der, mit der Vertragsanbahnung verbundenen Kosten begrenzt. Festzuhalten bleibt, dass der Verlust vertraglicher Ansprüche für den Kunden des Marktbeherrschers regelmäßig keine spürbare wirtschaftliche Belastung darstellen würde. Nur dann, wenn es infolge einer Unterlassungsklage von Wettbewerbern nicht zum Austausch der vereinbarten Leistungen käme, entstünde ein spürbarer wirtschaftlicher Nachteil für den potentiellen Kunden. Denn er könnte die Vorteile des ihm entgangenen günstigen Geschäfts auch nicht über einen Schadensersatzanspruch erhalten. f) Der Schutz der Wettbewerber Das Verbot der Wettbewerberbehinderung nach Art. 102 S. 1 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB dient dem Schutz der wirtschaftlichen Betäti-
115 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21, 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff.; zu den strengen Kriterien eines Rechtsirrtums bei Verstoß gegen die Missbrauchsverbote, siehe S. 154 ff. Des Weiteren wird das Vertreten müssen des Schuldners nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. 116 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21, 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74. ff. 117 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74.
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gungsfreiheit der Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens.118 Fraglich ist, ob die Sanktion der Nichtigkeit der Austauschverträge der Verwirklichung dieses Ziels dienen kann. Zunächst soll der praktisch häufigste Fall eines Geschäfts des täglichen Lebens erörtert werden, in dem der Vertrag sofort abgewickelt wird. Der Kunde erhält die zum Niedrigpreis angebotene Leistung sofort. In dem Augenblick, in dem er die Leistung vom Marktbeherrscher bezieht, tritt für den Wettbewerber die behindernde Wirkung ein. Dieser hat, zumindest in diesem Einzelfall, der sich aber massenhaft wiederholt,119 den Wettbewerb um die Kaufkraft des Kunden verloren. Diese Verzerrung des Leistungswettbewerbes lässt sich durch eine Nichtigkeit der Verträge zwischen dem Marktbeherrscher und den Angehörigen der Marktgegenseite nicht beseitigen. Wollte man das erreichen, müsste zunächst der Leistungsaustausch rückgängig gemacht werden. Dem wird aber regelmäßig die bereits geschilderte Rechtslage nach Bereicherungsrecht entgegenstehen.120 Abgesehen davon wäre erforderlich, dass der Kunde eine erneute Auswahl, unbeeinflusst von Kampfpreisen vornimmt. Das aber ist nicht nur lebensfremd, weil daran weder das marktbeherrschende Unternehmen noch der Vertragspartner ein Interesse haben.121 Es ist bei einer Vielzahl von Geschäften auch nicht praktikabel.122 Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Kampfpreise, vor allem Untereinstandspreise im Handel massiv in der Werbung zur Anlockung von Verbrauchern eingesetzt werden.123 Der Wettbewerbsverstoß beschränkt sich ja nicht nur auf den konkreten Vertragsschluss, sondern setzt bereits beim Werbewettbewerb ein. Ein erster und womöglich wichtigster Erfolg ist bereits erreicht, wenn der Kunde überhaupt das Geschäft betritt. Im Normalfall tätigt er dort Einkäufe, die über das zum Niedrigpreis angebotene Produkt hinausgehen. Zudem kann bereits über diese Werbung ein Image als besonders günstiger Anbieter gepflegt werden. Das kann zugleich dazu führen, dass Wettbewerber als teurer und weniger attraktiv erscheinen. Diese Behinderungen nehmen ihren Anfang bereits vor Vertragsschluss und können daher auch nicht durch eine mögliche Nichtigkeit beseitigt werden. Etwas anders stellt sich die Situation im Falle des Erwerbs teurerer Produkte oder Dienstleistungen oder dem Abschluss von Dauerschuldverhältnissen dar, an denen unter Umständen kein Verbraucher beteiligt ist. Soweit allerdings auch diese Verträge vollzogen wurden, ermöglicht das Bereicherungsrecht nach den bereits geschilderten Grundsätzen124 regelmäßig, dass der Vertragspartner die Leistung behalten kann. Darüber hinaus wäre eine Rückabwicklung und Neuauswahl auch hier lebensfremd. Allenfalls dann, wenn zwischen 118
Siehe S. 185 ff. Zum einen dadurch, dass eine Mehrzahl von Verbrauchern gleichfalls das Niedrigpreisangebot annimmt, zum anderen dadurch, dass der gleiche Kunde seinen wiederholten Bedarf durch weitere Geschäfte deckt. 120 Siehe S. 194 ff. 121 Zur Wirksamkeit der Sanktion siehe S. 192 ff.; Schmidt/Wuttke, BB 1998, S. 753 (755). 122 Siehe bereits S. 192 ff. 123 Siehe bereits S. 185 ff. 124 Siehe S. 194 ff. 119
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Vertragsschluss und Vollzug ein gewisser Zeitraum liegt oder es sich um eine dauerhafte Geschäfts- bzw. Kundenbeziehung zwischen Anbieter und Abnehmer handelt,125 ließe sich eine Wettbewerbsverzerrung zumindest insoweit noch vermeiden, als ein Leistungsaustausch noch nicht stattgefunden hat. Ein Wettbewerber könnte durch eine zwischenzeitlich erhobene Unterlassungsklage126 den faktischen Vollzug des Leistungsaustausches verhindern. Somit wäre der Kunde, welcher eine bestimmte Leistung benötigt, gezwungen eine erneute Auswahl zu treffen, die unbeeinflusst vom Niedrigpreisangebot auch zugunsten eines Konkurrenten des Marktbeherrschers ausgehen könnte. Allerdings treten diese Fälle praktisch viel seltener auf, als solche der Massengeschäfte des täglichen Lebens. Es ist schließlich zu bedenken, dass von derartigen Austauschverträgen regelmäßig keine dauerhafte wettbewerbsbeschränkende Wirkung ausgeht.127 Der Kunde ist nur bezüglich des konkreten Geschäfts gebunden, im Hinblick auf sein künftiges Verhalten bleibt er frei. Das bedeutet die Nichtigkeit ist nicht erforderlich, um die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite für die Zukunft zu erhalten. Wird der Marktbeherrscher gezwungen die Kampfpreisstrategie zu beenden, dann wird eine Situation des freien Leistungswettbewerbs wiederhergestellt, in welcher der Kunde sich frei und unbeeinflusst entscheiden kann, mit wem er Verträge schließt. Anders stellt sich die Situation nur dar, wenn über Kampfpreise Dauerschuldverhältnisse herbeigeführt werden. Allerdings dürften solche Geschäftspraktiken auch für einen Marktbeherrscher kaum langfristig finanzierbar sein. In der Praxis sind solche Fälle die Ausnahme.128 g) Mangelnde Praktikabilität der Nichtigkeit Als Argument gegen die Nichtigkeit der Austauchverträge wird vorgebracht, dass die massenhafte Rückabwicklung von Verträgen außerordentlich große Probleme aufwerfe.129 Jedoch trifft dieses Argument nicht den Kern. Bereicherungsrechtlich könnte jeder Teil, soweit die Bereicherung noch vorhanden ist, aufgrund der Zweikondiktionentheorie seine Leistung zurück verlangen.130 Eine zu befürchtende Vielzahl solcher Rückabwicklungen ist als solches kein Argument, da das marktbeherrschende Unternehmen durch sein verbotswidriges Handeln die Ursache insoweit selbst gesetzt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kunde durch eine zumindest mögliche Rückforderung wirtschaftlich benachteiligt würde, weil ihm ein günstiges Geschäft entginge, welches er bei Wirksamkeit des Vertrages gemacht 125
Siehe zu diesen Fällen bereits S. 182 f. und S. 193 f. Zur Unterlassungsklage siehe S. 204 ff. 127 Einen Ausnahmefall bildet insoweit die Entscheidung Amtsanzeiger BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2767 f.) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“. 128 BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2762 f.) „Amtsanzeiger“; siehe S. 182 f. und S. 193 f. 129 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 419. 130 Zur Rechtslage nach Bereicherungsrecht siehe S. 194 ff. 126
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hätte. Große Probleme ergeben sich allerdings dann, wenn ein Kunde einen Warenkorb erwirbt, in dem nur einzelne Produkte zu wettbewerbswidrigen Preisen, andere hingegen zum angemessenen Preis verkauft werden.131 Eine Gesamtnichtigkeit würde bereits deswegen ausscheiden, weil der Vertrag nur in Teilen gegen das gesetzliche Verbot verstößt und daher Gesamtnichtigkeit den Kunden unangemessen benachteiligt.132 Eine nur teilweise Rückabwicklung bezüglich einzelner Produkte wäre zwar möglich, würde aber tatsächlich wohl keinesfalls praktiziert. h) Schlussfolgerung Die Nichtigkeit der Austauschverträge als Folge des Verbots bewirkt eine Verweigerung des Rechtsschutzes. Eine präventive Wirkung in dem Sinne, dass die Praktizierung von Kampfpreisstrategien effektiv eingeschränkt wird, verbindet sich mit dieser Sanktion nicht durchgehend. Bei Massengeschäften mit Verbrauchern, die in der Praxis den überwiegenden Teil der Fälle darstellen, hat die drohende Nichtigkeit keine abschreckende Wirkung. In diesen Fällen entfalten Niedrigpreisangebote bereits als Werbemittel eine wettbewerbsverzerrende Wirkung. Außerdem haben beide vertragschließenden Parteien ein Interesse am faktischen Vollzug des Leistungsaustausches. Allerdings kann bei Verträgen, die einen wirtschaftlich bedeutenden Umfang haben und die nicht sofort vollzogen werden, die Nichtigkeit eine erhebliche Belastung darstellen. Im Hinblick auf die Möglichkeiten einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ist nicht ausgeschlossen, dass sich mit der Vertragsnichtigkeit für das marktbeherrschende Unternehmen ein nennenswertes wirtschaftliches Risiko verbindet. Im Regelfall ist dieses Risiko aber insbesondere deswegen überschaubar, weil kaum einer derjenigen, der ein gutes Geschäft gemacht hat, seinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB geltend machen wird, um im Ergebnis vielleicht noch ein wenig besser dazustehen. Außerdem kalkuliert das marktbeherrschende Unternehmen von vornherein einen wirtschaftlichen Verlust ein. Es ist daher anzunehmen, dass in der Mehrzahl der Fälle die Nichtigkeit keine wirksame Sanktion darstellt. Des Weiteren sind die Interessen der Wettbewerber und der Vertragspartner abzuwägen. Dabei gilt im Ausgangspunkt, dass sich aus dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung keine Bevorzugung einer der beiden Gruppen herleiten lässt.133 Einerseits zielt das Verbot auf die Sicherung der durch wirtschaftliche Macht bedrohten Betätigungsfreiheit von Unternehmen im Einflussbereich eines Marktbeherrschers. Andererseits wollen Art. 102 AEUV und die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB den Leistungsaustausch nicht beschränken. Zwar eignet sich dieses Argument allein nicht um die Wirksamkeit dieser Verträge zu bejahen. Denn schließlich verstößt das marktbeherrschende 131
Zum Problem der Mischkalkulation siehe S. 185 ff. Dazu, dass die Nichtigkeit nur soweit reicht wie der Verstoß gegen das Verbot, siehe S. 107 f. 133 Etwa in dem Sinne, dass die effektive Durchsetzung der Missbrauchsverbote den zivilrechtlichen Vertrauensschutz überwiegen müsse. 132
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Unternehmen durch den Vertragsschluss gerade gegen den freien Leistungswettbewerb. Andererseits sollen durch Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB Vertragsfreiheit und Vertrauensschutz, die sich hier zugunsten des Vertragspartners auswirken, nicht in Frage gestellt werden. Zwar wäre eine Einschränkung im Interesse des Schutzes der Wettbewerber nicht ausgeschlossen. Die Untersuchung hat allerdings gezeigt, dass die Konkurrenten von der Nichtigkeit der Austauschverträge nicht profitieren, nachdem diese tatsächlich vollzogen worden sind. Dass Vertragsschluss und Vollzug, wie beispielsweise bei Dauerschuldverhältnissen zeitlich auseinanderfallen, kommt praktisch weit weniger vor. Aber auch dann lässt sich ein wirklicher Schutz der Wettbewerber nur durch die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs erreichen, der insbesondere das marktbeherrschende Unternehmen auch dann von Kampfpreisstrategien abhält, wenn es sich angesichts der Nichtigkeit von Austauschverträgen an einer faktischen Gewährung der Leistung nicht gehindert sähe. Die Vertragspartner erhielten keinen Schadensersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses für das enttäuschte Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages. Regelmäßig werden nur die im Rahmen der Vertragsanbahnung entstandenen Kosten ersatzfähig sein. Demgegenüber bietet sich den Wettbewerbern nach der Rechtslage in jedem Fall die Möglichkeit, voll umfänglich Schadensersatz zu erhalten.134 Im Übrigen spielt auch eine Rolle, dass der Vertragspartner im Allgemeinen nicht in der Lage und gemessen an seinem Recht, seine geschäftlichen Interessen wahrzunehmen, nicht gehalten ist einzuschätzen, ob der Preis ohne sachliche gerechtfertigt zu sein, unter den Selbstkosten oder unter dem Einstandspreis liegt. Demgegenüber bietet sich dem Wettbewerber die Möglichkeit bereits frühzeitig, im besten Fall bei bloßer Gefahr eines wettbewerbswidrigen Angebots, im Wege einer Unterlassungsklage gegen die Verletzung seiner wirtschaftlichen Interessen vorzugehen.135 Dadurch hat der Konkurrent die Möglichkeit den Umfang eines möglichen Schadens gering zu halten. Der Schutzzweck sowohl des Art. 102 AEUVals auch der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB erfordern trotz des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot die Aufrechterhaltung der Austauschverträge, weil anderenfalls die Kunden in einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Weise benachteiligt würden, ohne dass die Wettbewerber wirklich effektiv geschützt wären. Einen wirksamen Schutz können Konkurrenten im Wege einer Unterlassungsklage erreichen. 4. Ergebnis Verträge, in denen sich ein marktbeherrschendes Unternehmen verpflichtet, einem Kunden Leistungen zu wettbewerbswidrigen Kampfpreisen zu gewähren, verstoßen gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 S. 1 AEUV bzw. des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB sowie des § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GWB. Sie sind jedoch nicht 134 135
Zum Schadensersatz siehe S. 219 ff. Zur Unterlassungsklage siehe S. 180 ff.
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nach § 134 BGB nichtig. Die Nichtigkeit läge zwar im Interesse der behinderten Wettbewerber. Sie garantiert jedoch bei weitem keine umfassende, der Verbotsdurchsetzung dienende Effizienz. Angesichts dessen überwiegt der Schutz der Vertragspartner, die darauf vertrauen ein günstiges Geschäft getätigt zu haben. Diese Verträge bleiben voll umfänglich wirksam.
IV. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz 1. Persönliche Betroffenheit Das Verbot von Kampfpreisen dient dem Ziel Wettbewerber, die in Konkurrenz zum Marktbeherrscher tätig sind, vor Verdrängung zu schützen.136 Das betrifft Konkurrenten auf dem beherrschten Markt, aber auch Wettbewerber auf dritten Märkten, auf denen der Marktbeherrscher Kampfpreise durch Transfer von Gewinnen finanziert, die er auf einem beherrschten Markt erzielt hat. Zum Schutzziel gehört auch die Offenhaltung des Marktes für Newcomer.137 Folglich erstreckt sich der persönliche Schutzbereich auf alle aktuellen und potentiellen Wettbewerber des Marktbeherrschers. Zu beachten ist, dass nach § 20 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB nur kleine und mittlere Wettbewerber geschützt werden, die nicht selbst marktstark sind. Eine Rechtsschutzlücke für marktstarke Unternehmen entsteht insoweit nicht, denn sie können nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und Art. 102 S. 1 AEUV Rechtsschutz beanspruchen. Ihnen kommt das mit dem Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis verbundene höhere Schutzniveau nicht zugute.138 Dies entspricht aber dem Gesetzeszweck. Die Aufrechterhaltung des Leistungswettbewerbes dient zwar auch der Marktgegenseite, deren Wahlfreiheit geschützt wird. Jedoch bezwecken weder Art. 102 S. 1 AEUV noch § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder § 20 Abs. 1, 3 GWB insoweit einen individuellen Anspruch auf Rechtsschutz.139 2. Sachliche Reichweite der Betroffenheit Ein missbräuchliches Verhalten nach § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB und § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GWB liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes oder relativ marktstarkes Unternehmen Waren systematisch unter Einstandspreis verkauft, es sei denn, dass dafür eine sachliche Rechtfertigung vorliegt. Einen Missbrauch nach §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB stellt es auch dar, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen systematisch Waren zu Preisen anbietet, die nicht nach den Regeln einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation gebildet wurden und daher 136 137 138 139
Siehe S. 185 ff. Siehe S. 185 ff. Andere Ansicht Alexander, WRP 2010, S. 727 (729 f., 733). Siehe S. 188; vgl. auch Meessen, S. 331; Alexander, WRP 2010, S. 727 (730).
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
geeignet sind, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt erheblich zu beeinträchtigen oder einen Wettbewerber gezielt vom Markt zu verdrängen, es sei denn dafür liegt eine sachliche Rechtfertigung vor. Nach Art. 102 S. 1 AEUV sind Verlustpreisangebote, mit denen der Marktbeherrscher noch nicht einmal seine durchschnittlichen variablen Kosten decken kann, verboten. Angebote, mit denen zwar die variablen Kosten nicht aber die durchschnittlichen Gesamtkosten gedeckt werden können, sind verboten, falls nicht als Ergebnis einer umfassenden Abwägung die Interessen des Marktbeherrschers überwiegen.140 3. Inhalt und Bestimmtheit des Unterlassungsanspruchs Die Wettbewerber des Marktbeherrschers können gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 GWB Unterlassung der Behinderung durch wettbewerbswidrige Kampfpreise verlangen. Nachfolgend werden die Fallgruppen des Verkaufs unter Einstandspreis und des Angebotes unter Selbstkosten getrennt dargestellt, um eine Übersichtlichkeit der Darstellung zu gewährleisten. a) Verkauf unter Einstandspreis Negative Wirkungen für die Wettbewerbsposition der zu schützenden Konkurrenten sind unmittelbar auf die, durch ein über eine gewisse Dauer aufrecht erhaltenes Niedrigpreisangebot verursachte Anlockung von Kunden zurückzuführen.141 Das missbräuchliche Verhalten besteht darin, Waren systematisch unter Einstandspreis anzubieten und zu bewerben. Davon ausgehend bedarf es einer Konkretisierung des Begriffes Angebot, einer genauen Bezeichnung der betroffenen Produkte sowie einer Festlegung, was als systematisch zu gelten hat und welcher Preis nicht unterschritten werden darf. Im Anschluss ist das so konkretisierte Angebot auch als Gegenstand der Werbung des Normadressaten zu untersagen. aa) Der Begriff des Angebots Der Begriff Angebot ist nicht nur als Abgabe einer Willenserklärung mit dem Ziel eines Vertragsschlusses zu verstehen.142 Der Anlockeffekt, dem das Verbot entgegentreten will, wird maßgeblich durch Werbung erreicht, deren Aussagen regelmäßig keinen rechtsgeschäftlich verbindlichen Charakter tragen.143 Deshalb, und weil die entgegen den Verboten des Art. 102 S. 1 AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. des § 20 Abs. 1, 3 S. 2 GWB geschlossenen Verträge wirksam sind,144 140 141 142 143 144
Siehe bereits S. 179 ff. und S. 183 f. Siehe S. 185 ff. Vielmehr wird auch schon die werbende Preisdarstellung erfasst, siehe S. 181. Siehe ausführlich S. 185 ff. Siehe S. 202 ff.
A. Kampfpreisunterbietung
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muss der Unterlassungsanspruch darauf gerichtet sein, bereits das Zustandekommen von Verträgen zum Untereinstandspreis zu verhindern. Da ein Verhalten nicht gleichzeitig rechtmäßig und verboten sein kann, ist die Durchführung nach Vertragsschluss als vom Unterlassungsanspruch nicht umfasst anzusehen. Um also einen effektiven Rechtsschutz zu erzielen, muss der Begriff Angebot so verstanden werden, dass er sowohl eine werbende Preisdarstellung als auch den Vertragsschluss als solchen erfasst, letzteres unabhängig davon, ob der Normadressat den Vertrag anbietet oder annimmt. bb) Die Bezeichnung der Produkte Zunächst bezieht sich die konkrete Verletzungshandlung darauf, dass ein bestimmtes oder mehrere bestimmte Produkte unter Einstandspreis angeboten werden.145 Dementsprechend liegt ein Verbotsverstoß auch nur in Bezug auf diese Waren vor. Der Unterlassungsanspruch betrifft also zunächst den Verkauf einer bestimmten CD, einer bestimmten Sorte Mehl, Zucker, Kaffee oder sonstiger genau nach Marke oder Hersteller benannter Produkte, auf die sich das Angebot bezogen hat.146 Ein Klageantrag, der dementsprechend das betroffene Produkt genau bezeichnet, genügt in jedem Fall dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO.147 Er berücksichtigt aber möglicherweise den Gesichtspunkt der Umgehungsgefahr nicht hinreichend. Das Problem besteht darin, dass durch das Ausweichen auf ein ähnliches, ebenso als Lockvogelangebot geeignetes Produkt die Umgehung eines Urteils leicht möglich ist.148 Der Normadressat könnte wechselnd Produkte unter Einstandspreis anbieten, ohne gegen den Unterlassungstitel zu verstoßen. Ein effizienter Rechtsschutz wäre nicht gewährleistet. Das kann verhindert werden, indem das Verbot auf eine Gruppe 145 Zum Bsp. die Sachverhalte BGH vom 06. 10. 1983, WRP 1984, 136 (138) „Verkauf unter Einstandspreis II“; BGH vom 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2547 f.) „Preiskampf“; BGH vom 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2977 f.) „Hitlistenplatten“; BGH vom 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1043) „Wal Mart“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2030, 2035 f.) „Coop Bremen“; BKartA vom 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314) „Aldi Nord“; BKartA vom 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316) „WalMart“; BKartA vom 17. 12. 2003, WuW/ DE-V 911 (912) „Fotoarbeitstasche“; BKartA vom 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 f.) „Netto Marken-Discount“. 146 BGH vom 06. 10. 1983, WRP 1984, 136 (138) „Verkauf unter Einstandspreis II“; BGH vom 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2551 f.) „Preiskampf“; BGH vom 12. 11. 2002, WuW/ DE-R 1042 (1044) „Wal Mart“; BKartA vom 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (912 f.) „Fotoarbeitstasche“; vgl. zur Bestimmtheit von Untersagungsverfügungen der Kartellbehörden: BKartA vom 01. 09. 2000, WUW/DE-V 314 (314) „Aldi Nord“; BKartA vom 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316) „Wal Mart“; BKartA vom 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 f.) „Netto Marken-Discount“; Möschel, BB 1986, S. 1785 (1791). 147 Siehe S. 137 ff. 148 BGH vom 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2547 f.) „Preiskampf“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2045) „Coop Bremen“; BKartA vom 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 ff.) „Netto Marken-Discount“; Möschel BB 1986, S. 1785 (1786, 1791 f.) jeweils zu Untersagungsverfügungen des BKartA; zur Umgehungsgefahr siehe S. 141 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
von Produkten erstreckt wird, die als Lockvogelangebot gleich geeignet sind. Bereits in der Coop Entscheidung hatte das BKartA,149 damals noch gestützt auf § 37a GWB i. d. F. der 4. Novelle ganze Warenbereiche, etwa Waschmittel, Milch, Kaffee usw. benannt, aus denen einzelne Lockvogelangebote entnommen worden waren. In der Untersagungsverfügung des BKartA gegen „Wal-Mart“ wurden Waren nicht nach einer bestimmten Marke oder einem bestimmten Hersteller individualisiert. Das Verbot erstreckte sich auf alle Produkte der bezeichneten Gattung.150 Allerdings ist zu beachten, dass nach materiellem Recht das Vorliegen einer konkreten, auf die Beurteilung vorhandener Tatsachen gestützten Umgehungsgefahr erforderlich ist.151 Es ist nicht zulässig, wenn auch aus Sicht des Wettbewerbers verständlich, den Kreis der Produkte möglichst weit zu fassen, um bereits die bloße Möglichkeit eines Ausweichens auszuschließen. Es bedarf vielmehr des Nachweises, dass der Unterlassungsschuldner tatsächlich bereit und in der Lage ist, mit seinem Niedrigpreisangebot auf die bezeichneten Waren auszuweichen. Ob die Umgehungsgefahr groß genug ist, um eine solche Erweiterung zu rechtfertigen, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Sie ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Unterlassungsschuldner bereits in der Vergangenheit wechselnd Produkte unter Einstandspreis angeboten hat.152 Die Unterlassung kann für solche Warengattungen verlangt werden, aus denen in der Vergangenheit Einzelangebote entnommen worden waren. Das BKartA hat eine derartige Ausdehnung bereits mehrfach praktiziert.153 Die Zulässigkeit dieses Vorgehens wurde durch den BGH in mehreren Entscheidungen bestätigt.154 Diese Maßstäbe stehen mit dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG in Einklang und genügen deshalb auch der von § 253 Abs. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit. Das Verbot kann sich also je nach Umgehungsgefahr auf einzelne Produkte oder Produktgruppen beziehen. Eine Erstreckung des Unterlassungstitels auf Warenbereiche, die bisher nicht für ein Angebot unter Einstandspreis verwandt wurden, kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht. Aus der Tatsache, dass einzelne Produkte zu wettbewerbswidrigen Preisen angeboten wurden, kann nicht generell der Schluss gezogen werden, dass das marktmächtige Unternehmen im Fall der Untersagung auf irgendwelche anderen Produkte ausweichen wird.155 Anders ist das nur, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die ein solches Verhalten wahrscheinlich machen. Das ist im Einzelfall vom Unterlassungsgläubiger darzulegen 149
BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2029 f.) „Coop Bremen“. BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1044, 1048 f.) „Wal Mart“, zuvor BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319 f.) „Wal-Mart“; WuW/DE-V BKartA 314 „Aldi Nord“. 151 Siehe S. 141 ff. 152 Siehe S. 142 f. 153 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2029 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319 f.) „WalMart“; Möschel, BB 1986, S. 1785 (1786 ff.). 154 BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2551) „Preiskampf“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/ DE-R 1042 (1044, 1048 f.) „Wal Mart“. 155 Siehe S. 141 ff. 150
A. Kampfpreisunterbietung
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und zu beweisen.156 Insoweit kommen insbesondere Ankündigungen oder gar Drohungen oder aber Reaktionen auf frühere Untersagungsverfügungen oder Unterlassungsurteile in Betracht.157 In jedem Fall ist aber zu beachten, dass der Klageantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 ZPO genügen muss. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn es dem Schuldner möglich ist, eindeutig und unzweifelhaft zu erkennen, auf welche Produkte oder Produktgruppen sich die Unterlassungsverpflichtung erstreckt. Dazu bedarf es einer hinreichend individualisierenden Beschreibung anhand spezifischer Produkt- bzw. Gattungsmerkmale.158 Keinesfalls kann verlangt werden den Verkauf von Produkten unter Einstandspreis generell zu unterlassen. cc) Die Festlegung des Einstandspreises (1) Berufung auf Einhaltung der Missbrauchsgrenze Die konkrete Verletzungshandlung besteht darin, dass der Normadressat Waren zu einem bestimmten, unter Einstandspreis liegenden Verkaufspreis anbietet. Der Wettbewerber kann nun Unterlassung des Verkaufs zu diesem Preis verlangen. Zwischen diesem Preis und dem Einstandspreis besteht ein gewisser Spielraum. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass der Unterlassungsschuldner seinen Preis nur ganz geringfügig anhebt und auf diese Weise weiterhin in der Lage ist, unter Einstandspreis anzubieten.159 Er könnte auf diese Weise den Verdrängungswettbewerb gegen seine Konkurrenten aufrechterhalten. Die Folge wäre ein „Hase und Igel Spiel“.160 Auf ein untersagendes Urteil könnte der Unterlassungsschuldner mit einer so geringfügigen Preiserhöhung reagieren, dass der neue Preis noch immer unter Einstandspreis liegt. Der Wettbewerber müsste solange klagen bis irgendwann der Einstandspreis erreicht würde. Der Gefahr einer derartigen Umgehung kann nur dadurch entgegengewirkt werden, dass dem Marktbeherrscher aufgegeben wird, es zu unterlassen, die näher zu bezeichnenden Produkte unter Einstandspreis zu verkaufen.161 Obgleich dem Schuldner dadurch die Pflicht zur Einhaltung eines Min156
Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.). BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1486) „Netto Marken-Discount“; siehe auch S. 142 f. 158 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2029 f., 2045) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WUW/DE-V 316 (319 f.) „Wal Mart“; BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2548, 2551 f.) „Preiskampf“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1044, 1048 f.) „Wal Mart“; allgemein zu den an den Bestimmtheitsgrundsatz zu stellenden Anforderungen, vgl.: OLG München, 28. 07. 1983, WuW/E OLG 2942 (2943 ff.) „Kaufmarkt“; BGH, 20. 03. 1984, WuW/E BGH 2073 (2074 ff.) „Kaufmarkt“. 159 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 113; Möschel, BB 1986, S. 1785 (1786, 1792). 160 So die Bezeichnung von Möschel, BB 1986, S. 1785 (1791 f.); siehe auch S. 141 ff. 161 BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2548, 2550 ff.) „Preiskampf“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1044, 1049) „WalMart“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2030, 2045 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314) „AldiNord“; 157
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
destpreises aufgegeben wird, verbindet sich ein unzulässiges Verhaltensgebot damit nicht. Denn einerseits ist jede nicht gerechtfertigte Unterschreitung des Einstandspreises rechtswidrig. Andererseits bleibt das marktbeherrschende Unternehmen in seiner Preisgestaltung oberhalb der Missbrauchsgrenze frei. Im Übrigen ist die Festlegung eines Mindestpreises erforderlich, weil im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes alternativlos. Die Festlegung des Einstandspreises als Mindestpreis, welcher nicht unterschritten werden darf, entspricht der zivil- und verwaltungsgerichtlichen Praxis.162 (2) Die Berechnung des Einstandspreises Ein weiteres Problem besteht allerdings darin, den Einstandspreis im Einzelfall genau zu berechnen. Notwendig ist das ohnehin, um die Reichweite des materiellen Verbots im Einzelfall bestimmen und einen Verstoß erkennen zu können. Darüber hinaus erfordert aber auch das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO eine genaue Festlegung, damit für den Normadressaten erkennbar wird, welche Preise er im Wettbewerb anbieten darf und welche nicht. Die pauschale Forderung der Verkauf unter Einstandspreis sei verboten, genügt dafür offensichtlich nicht.163 Der Ursprung des Problems liegt darin, dass der Begriff des Einstandspreises im Gesetz nicht definiert ist und die Einzelheiten zumindest teilweise umstritten sind.164 Zum Gegenstand dieser Arbeit gehört die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Einstandspreises nicht. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die Formulierung eines Unterlassungstenors, der den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen muss. Dabei sind die Grundsätze, die in Bezug auf die Bestimmtheit verwaltungsbehördlicher Verfügungen erarbeitet worden sind, heranzuziehen und zu übertragen.165
BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319 f.) „Wal Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1481, 1486) „Netto Marken-Discount“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 113 f. 162 Vgl. soeben Fn. 161. 163 Für verwaltungsbehördliche Verfügungen, vgl.: BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2030, 2045 f.) „Coop Bremen“; zur Aufhebung einer Untersagungsverfügung der Bayerischen LKartBehörde, die lediglich auf die Unterschreitung des Einstandspreises abgestellt hatte: WuW/E LKartB 223 „Kaufmarkt“, wegen Unbestimmtheit aufgehoben durch OLG München, 28. 07. 1983, WuW/E OLG 2942 (2943 ff.) „Kaufmarkt“ und bestätigt durch BGH, 20. 03. 1984, WuW/E BGH 2073 (2074 ff.) „Kaufmarkt“; des Weiteren BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318) „Wal Mart“; Möschel BB 1986, S. 1785 (1787 f.); vgl. allgemein zu behördlichen Verfügungen von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (660 ff.). 164 Siehe S. 181 f. 165 Siehe bereits S. 205 ff. und S. 137 ff.; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 114; von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (660 ff.).
A. Kampfpreisunterbietung
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(a) Statische Preisgrenze im Unterlassungstitel Prinzipiell bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder man benennt einen ganz bestimmten Preis166 oder man legt Kalkulationsrichtlinien zugrunde, welche eine genaue Berechnung ermöglichen.167 Der erste Weg erscheint einfacher und hat den Vorteil, dass es keine Probleme bezüglich der Bestimmtheit des Klageantrages gibt. Der wesentliche Nachteil besteht jedoch darin, dass sich sowohl der Einkaufspreis als auch weitere Preisbestandteile, wie etwa Skonti, Rabatte, Rückvergütungen usw. ändern können und unter den Bedingungen von Wettbewerb regelmäßig auch ändern werden. Die Folge ist, dass ein Unterlassungstitel gegebenenfalls bereits nach kurzer Zeit wirkungslos wird, weil sich der Einstandspreis für den Marktbeherrscher erniedrigt hat. Er darf dann rechtmäßig die festgelegte Preisgrenze unterschreiten, solange er oberhalb des neuen Einstandspreises bleibt.168 Die wettbewerbsbedingte Absenkung des Einstandspreises stellt eine wesentliche Änderung der Tatsachen nach Erlass des auf Unterlassung gerichteten Leistungsurteils dar. Dementsprechend kann einer Zwangsvollstreckung mit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO entgegengetreten werden.169 Solange der Marktbeherrscher oberhalb des neuen Einstandspreises anbietet, wäre das insofern wettbewerbsrechtlich unproblematisch als er sich dennoch rechtmäßig verhält. Aber auch wenn er nun den veränderten Einstandspreis unterschreitet, steht das Unterlassungsurteil nicht entgegen. Denn die dort festgelegte statische Preisgrenze ist angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen zu hoch und kann daher wegen der Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO nicht zu einer erfolgreichen Zwangsvollstreckung führen. Die erfolgreiche Vollstreckungsgegenklage beseitigt infolge ihrer gestaltenden Wirkung die Vollstreckbarkeit des Urteils.170 Rechtsschutz kann der Wettbewerber dann also nur erlangen, wenn er ein neues Urteil unter Zugrundelegung der veränderten Bedingungen erstreitet. Bis dahin droht ein Vakuum effektiven Rechtsschutzes, welches sich aber immerhin durch eine einstweilige Verfügung verhindern ließe. Im Übrigen stellt sich das Problem auch in der anderen Richtung. Steigt der Einkaufspreis oder fallen günstige Konditionen für den Marktbeherrscher weg, hat das einen Anstieg des Einstandspreises zur Folge. Das bedeutet, der Marktbeherrscher unterschreitet den neuen Einstandspreis einfach dadurch, dass er an dem im Urteilstenor festgelegten Preis festhält. Damit verhält er sich rechtswidrig, verstößt jedoch nicht gegen das Urteil. Es bedarf einer neuen Klage der Wettbewerber, ge166
BGH, 06. 10. 1983, WRP 1984, 136 (136) „Verkauf unter Einstandspreis II“. BGH, 20. 03. 1984, WuW/E BGH 2073 (2074 ff.) Kaufmarkt; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2029 f., 2045 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316, 318) „Wal-Mart“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 114; Möschel, BB 1986, S. 1786 (1786 ff.) zu Verfügungen der Kartellbehörden. 168 In diesem Fall wird die kartellverwaltungsbehördliche Verfügung gegenstandslos, Möschel, BB 1986, S. 1785 (1792). 169 Gottwald, in: MüKo ZPO, § 323 ZPO Rn. 34 und Schmidt/Brinkmann, in: MüKo ZPO, § 767 Rn. 58 f. 170 Schmidt/Brinkmann, in: MüKo ZPO, § 767 Rn. 95. 167
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
richtet auf Unterlassung des Angebots unterhalb des neu zu beziffernden Einstandspreises. Es besteht bei der Festlegung statischer Preisgrenzen die reale Gefahr eines Katz und Maus Spieles, welches dem Rechtsschutz der Wettbewerber die Effektivität zu nehmen geeignet ist. Das Problem ist geringer, wenn sich die preisbeeinflussenden Wettbewerbsbedingungen selten und wenn, dann nur geringfügig ändern. Allerdings dürfte in vielen Bereichen des Handels eine ständige Preisänderung an der Tagesordnung sein.171 (b) Berechnungsschema im Unterlassungstitel Der Ausweg besteht darin eine Kalkulationsrichtlinie in Form einer konkreten Berechnungsgrundlage in den Klageantrag aufzunehmen, nach der der jeweilige Einstandspreis zu bestimmen ist.172 In der Folge ändert sich der Preis automatisch mit den veränderten Wettbewerbsbedingungen, die als Faktoren in der Rechnung enthalten sind.173 In der Folge verbietet das Urteil jeweils die Unterschreitung des aktuellen Einstandspreises. Allerdings müssen alle maßgeblichen Faktoren in die Rechnung einfließen und angemessen gewichtet sein.174 Streitfragen resultieren daraus, dass der Begriff des Einstandspreises im Gesetz nicht definiert ist.175 Beispielsweise dürfen Preisvorteile, die auf rechtswidrige Weise erlangt wurden, nicht preismindernd berücksichtigt werden. Es stellt sich dann zum Beispiel die Frage, wie man umsatzbezogene Rabatte oder Boni zu bewerten und einzuberechnen hat. Die Schwierigkeiten sind lösbar, orientiert man sich an der Praxis nach Erlass der 6. GWB Novelle.176 Es ist davon auszugehen, dass sich eine Berechnungsmethode durchsetzen wird, die zwar nicht unumstritten ist, jedenfalls aber zu einer gefestigten Praxis wird und sowohl dem verwaltungsrechtlichen als auch dem zivilprozessualen Bestimmtheitsgebot entspricht. Auf Einzelheiten streitiger Preisbestandteile ist im Rahmen dieser Arbeit nicht einzugehen.
171
Möschel, BB 1986, S. 1785 (1792); siehe zur Fallpraxis S. 179 ff. BGH, 20. 03. 1984, WuW/E BGH 2073 (2074 ff.) „Kaufmarkt“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2029 f., 2045 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (316, 318) „Wal-Mart“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 114, 119; Möschel, BB 1986, S. 1786 (1786 ff.) zu Verfügungen der Kartellbehörden. 173 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2045 f.) „Coop Bremen“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 114; Möschel, BB 1986, S. 1785 (1792 f.). 174 Schmitz, WuW 1992, S. 209 (210 f.); Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1176). 175 BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2045 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (913 f.) „Fotoarbeitstasche“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 92 ff. m. w. N. 176 BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1048) „Wal Mart“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/ DE-V 911 (913) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1482 f.) „Netto Marken-Discount“; vgl. auch Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1176). 172
A. Kampfpreisunterbietung
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dd) Systematisches Angebot § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 GWB fordert, dass das Angebot „nicht nur gelegentlich“ besteht. Nur wenn über einen gewissen erheblichen Zeitraum unter Einstandspreis verkauft wird, sind spürbare Wirkungen auf Wettbewerb und Konkurrenten zu befürchten.177 Deshalb muss diese Voraussetzung auch bei Anwendung des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB erfüllt sein. Es ist davon auszugehen, dass ab einer Dauer von drei Wochen ein missbräuchliches Verhalten vorliegt.178 Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Angebot ständig besteht. Es genügt bereits eine regelmäßige Wiederholung und auch eine Durchführung mit wechselnden Produkten.179 Ein Unterlassungsanspruch ist also bei nur kurzfristigen Angeboten unter Einstandspreis nicht gegeben. Ein Urteilstenor muss darauf Rücksicht nehmen. Hier ist zu unterscheiden, ob der Marktbeherrscher bereits über einen längeren Zeitraum als drei Wochen unter Einstandspreis anbietet oder ob er bisher noch kein derartiges Angebot gemacht bzw. ein solches nur kurzfristig aufrechterhalten hat. In letzterem Fall ist ein Unterlassungsanspruch nur gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass das Angebot über mehr als drei Wochen aufrechterhalten werden soll. Das Verbot ist aber derart einzuschränken, dass die Ausnutzung dieser Frist möglich bleibt. Man muss formulieren, dass nur die Aufrechterhaltung über ein bestimmtes Datum hinaus oder über einen Gesamtzeitraum von mehr als drei Wochen verboten ist. Besteht das Angebot bereits mehr als drei Wochen, ist seine Fortsetzung sofort zu untersagen. Andererseits lässt es das Gesetz nicht zu, dem Marktbeherrscher für die Zukunft jedes Angebot unter Einstandspreis zu untersagen. Liegt zwischen einzelnen kurzfristigen Aktionen ein gewisser Zeitraum, bevor ein derartiges Angebot wiederholt wird, ist das als gelegentlich im Sinne von § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 GWB aufzufassen. Entscheidend ist, dass die einzelnen Angebote nicht länger als drei Wochen bestehen und dass der Zeitraum zwischen diesen Aktionen so lang ist, dass kein im Wettbewerb spürbarer Zusammenhang der nachfolgenden mit der vorhergehenden Aktion besteht. Ein solcher Zeitraum ist sicher einzelfallabhängig.180 Er sollte aber mehrere Monate umfassen, um der Gefahr der Nachfragekonzentration entgegenzuwirken. Dann kann formuliert werden, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Niedrigpreisangebote nur an einer bestimmten Höchstzahl von Tagen aufgestellt werden dürfen. Zusätzlich kann verlangt werden, dass zwischen den einzelnen Aktionen ein gewisser Zeitraum liegen muss. Für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels gelten diese 177
RegBegr. 6. GWB Novelle BT-Ducks. 13/9720, S. 37. RegBegr. 6. GWB Novelle BT-Ducks. 13/9720, S. 37. 179 BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550 ff.) „Preiskampf“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2977 (2981 f.) „Hitlistenplatten“; BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1042 f., 1045) „Wal Mart“; BKartA, 05. 05. 1983, WuW/E BKartA 2029 (2035 f.) „Coop Bremen“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319 f.) „Wal-Mart“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 ff.) „Netto MarkenDiscount“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 134 f. 180 BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1483 ff.) „Netto Marken-Discount“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB, Rn. 134 f. 178
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Aussagen nicht. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zum Ausdruck gebracht, dass im Lebensmitteleinzelhandel ein Verkauf unter Einstandspreis ohne weiteres verboten ist.181 Es bedarf also keiner systematischen Verlustpreisunterbietung. Auch der nur gelegentliche Untereinstandspreisverkauf ist verboten. Bei der Formulierung eines Unterlassungsklageantrages ist insoweit auf jegliche Befristung oder sonst zeitliche Beschränkung des Klagebegehrens zu verzichten. ee) Rechtfertigungsgründe Der Verkauf unter Einstandspreis kann durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Insbesondere sind der Einstieg in Wettbewerberpreise,182 der Verkauf verderblicher oder saisonbedingter Waren und Sonderaktionen als Rechtfertigung183 mit der Folge anerkannt, dass dann trotz Unterschreitung des Einstandspreises ein Verstoß gegen §§ 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GWB nicht vorliegt. Liegen solche Rechtfertigungsgründe zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor, ist die Klage unbegründet. Das ist selbstverständlich. Das eigentliche Problem für den Rechtsschutz suchenden Wettbewerber besteht darin, dass rechtfertigende Umstände nach Erlass eines Urteils auftreten können. Es stellt sich daher die Frage, ob der Anspruchsteller, um den materiellen Verbotsbereich und damit das verbotene Verhalten zutreffend zu beschreiben, bereits in der Klage die Rechtfertigungsgründe benennen muss, welche nach Erlass eines Urteils auftreten könnten. Dafür spricht die Überlegung, dass anderenfalls die Untersagungsverfügung weiter reichen würde als das gesetzliche Verbot. Weil sie ihre Wirksamkeit auch dann beibehielte, wenn ein Rechtfertigungsgrund später entstünde, könnte das dazu führen, dass dem Normadressaten ein Verhalten untersagt bliebe, welches von Gesetzes wegen erlaubt wäre. Das Problem einer solchen Herangehensweise wäre aber, dass es kaum gelingen dürfte alle in der Zukunft möglicherweise auftretenden Rechtfertigungsgründe vorhersehen zu können. Ohnehin ist es teilweise umstritten, welche Gründe als rechtfertigend anzuerkennen sind.184 Es darf keine unzulässige, mit dem Grundsatz 181
Siehe S. 45 f. Eine wettbewerbswidrige Preisunterbietung kann aber dennoch gegeben sein, wenn trotz gleichen Preises die Produktqualität im Vergleich zum Wettbewerber höher ist: KG, 03. 05. 1982, WuW/E OLG 2620 (2623) „Vergaserkraftstoff-Abgabepreise“; OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (869 ff.) „Germania“; keine Rechtfertigung, wenn ein Preiskampf droht, der auch unbeteiligte Dritte erfasst: BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2551 f.) „Preiskampf“; BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2468 (2468 f.) „Anzeigenpreis I“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (319 f.) „Wal-Mart“ und nachfolgend BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1046 f.) „Wal Mart“; BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (914 f.) „Fotoarbeitstasche“; BKartA, 25. 10. 2007, WuW/DE-V 1481 (1485) „Netto Marken-Discount“; vgl. zum europäischen Recht: EuG, 30. 01. 2007, WuW/EU-R 1224 (1231 ff.) „France Telekom“, zuvor Kommission, 16. 07. 2003, WuW/EU-V 1005 (1009 ff.) „Wanadoo Interactive“. 183 Siehe S. 181 ff. 184 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 142 f. 182
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effektiver Verbotsdurchsetzung unvereinbare Privilegierung des verbotswidrig handelnden Unternehmens entstehen. Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage ist, dass die Kartellbehörden im Verwaltungsverfahren dem Normadressaten einen Verbotsverstoß vollumfänglich nachzuweisen haben.185 Das folgt aus dem Amtsermittlungsgrundsatz, der seine Grundlage in dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtfertigungsbedürftigkeit eines hoheitlichen Eingriffs in den Freiheitsbereich des Einzelnen hat. Infolgedessen gelten die Beweiserleichterungen des § 20 Abs. 3 S. 2 GWB und des § 20 Abs. 4 GWB nicht für das Verwaltungsverfahren. Gleichwohl ist der in diesen Regelungen zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, dass bestimmte Verhaltensweisen typischerweise kartellrechtswidrig sind, dergestalt zu berücksichtigen, dass je deutlicher und umfassender der Nachweis eines derartigen Verhaltens gelingt, desto geringer die Anforderungen an die Erforschung, Prüfung und Ausschließbarkeit von Rechtfertigungsgründen auszugestalten sind.186 Damit korrespondiert eine Mitwirkungsobliegenheit des Normadressaten, die umso größer ist, je deutlicher ein systematischer Untereinstandspreis als gesetzlicher Regelfall verbotenen Verhaltens zu Tage tritt. Mit Blick auf Rechtfertigungsgründe, die nach Erlass einer behördlichen Untersagungsverfügung auftreten können, ist daher folgendermaßen zu differenzieren. Sind konkrete Anhaltspunkte ersichtlich, die das Eintreten von Rechtfertigungsgründen wahrscheinlich machen, dann muss sich die verwaltungsbehördliche Untersagungsverfügung damit auseinandersetzen und für den Fall, dass bei Eintreten bestimmter Umstände ein Rechtfertigungsgrund besteht, die Untersagungsverfügung durch entsprechende Tenorierung begrenzen. Besteht hingegen eine nur abstrakte, nicht auf Umstände des Einzelfalls gegründete Möglichkeit einer späteren Rechtfertigung oder lassen die vorliegenden Tatsachen keine verlässliche Aussage über das Eintreten oder Nichteintreten bestimmter Rechtfertigungsgründe zu, so bedarf es keiner Einschränkung der Reichweite des Untersagungstenors. Anderenfalls wäre eine effektive Sanktionierung von Verbotsverstößen gefährdet. Im Zivilrecht gilt zwar auch der Grundsatz, dass derjenige, der einen Anspruch gegen einen anderen erhebt, diesen zu beweisen hat. Da sich aber gleichrangige private Rechtssubjekte gegenübertreten, ist die Beweislastverteilung einer, den Besonderheiten der jeweilig streitigen Rechtsbeziehung Rechnung tragenden Modifizierung zugänglich. § 20 Abs. 3 S. 2 GWB bietet dafür ein Beispiel. Indem das Gesetz dem Normadressaten die Beweislast für die Darlegung von Rechtfertigungsgründen auferlegt, soll der Anspruchsteller entlastet und ihm die Durchsetzung seiner Forderung erleichtert werden.187 Hintergrund dieser Regelung ist der Befund, dass dem Schuldner der Zugang zu den, für den Nachweis der Rechtfertigung erforderlichen Informationen wesentlich leichter möglich ist als dem Gläubiger. Das bedeutet, dass der Unterlassungskläger in seinem Klageantrag zunächst nur diejenigen Rechtfertigungsgründe berücksichtigen muss, deren zukünftiges Eintreten den Vorwurf verbotswidrigen Verhaltens entfallen ließe und die zum 185 186 187
Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 115. In diese Richtung auch Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 115. Siehe bereits S. 181 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen den Parteien unstreitig sind. Macht der Beklagte im Prozess weitere Rechtfertigungsgründe geltend, so muss er diese beweisen. Das gilt unabhängig davon, ob er sich auf seiner Meinung nach gegenwärtig vorliegender Rechtfertigungsgründe beruft, um eine Klageabweisung zu erreichen oder ob er sich auf das zukünftige Eintreten von Rechtfertigungsgründen beruft, um eine die Aufnahme einer entsprechenden Einschränkung des Unterlassungstenors zu erreichen. Im Tenor des Unterlassungsurteils sind zukünftige Rechtfertigungsgründe – unter der Voraussetzung, dass sie zur Überzeugung des Gerichts im Falle ihres Eintretens die Rechtswidrigkeit entfallen ließen – durch eine einschränkende Formulierung des Unterlassungstenors zu berücksichtigen. Im Übrigen ist die Berücksichtigung zukünftiger Rechtfertigungsgründe nicht geboten. Marktbeherrschende oder jedenfalls marktstarke Unternehmen werden durch dieses Ergebnis nicht unverhältnismäßig benachteiligt. Sie können im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO gegen den Unterlassungstitel vorgehen, sollten nach Urteilserlass entstehende Rechtfertigungsgründe die materielle Rechtslage verändern.188 Praktisch relevant ist der Sonderfall, dass nach Urteilserlass Wettbewerberpreise unterhalb des Einstandspreises des Normadressaten sinken und es deshalb gerechtfertigt wäre, wenn er in diese einsteigen würde.189 Belässt es das marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen jedoch nicht bei einem solchen Eintritt in die Wettbewerberpreise, sondern greift es seinerseits den oder die Wettbewerber durch weitere Unterbietung an, dann ist dieses Verhalten nicht mehr gerechtfertigt.190 ff) Werbung Der Anspruch auf Unterlassung erstreckt sich auf sämtliche werbenden, öffentlichen Bekanntmachungen von Angeboten des marktmächtigen Unternehmens unter Einstandspreis.191 Diese erhebliche Weite ist erforderlich, um dem Unterlassungsschuldner lückenlosen Rechtsschutz zu ermöglichen. gg) Ergebnis Der Begriff des Angebots unter Einstandspreis erfasst sowohl eine werbende Preisdarstellung als auch den Vertragsschluss als solchen. Die Unterlassung der Durchführung eines abgeschlossenen Vertrages zwischen marktmächtigem oder 188
OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2194) „Reisestellenkarte“; Gottwald, in: MüKo ZPO, § 323 Rn. 34 und Schmidt/Brinkmann, in: MüKo ZPO, § 767 Rn. 58 f. 189 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 316 (319 f.) „Wal-Mart“ und nachfolgend BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1046 f.) „Wal-Mart“. 190 BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (315) „Aldi Nord“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/ DE-V 316 (319 f.) „Wal-Mart“ und BGH, 12. 11. 2002, WuW/DE-R 1042 (1046 f.) „Wal Mart“; kritisch dazu Fichert/Kessler, WuW 2002, S. 1173 (1177 f.). 191 Siehe auch S. 181 ff.
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marktbeherrschendem Anbieter und Kunden kann der Wettbewerber nicht verlangen. Im Klageantrag müssen die Produkte, auf die sich die Unterlassungsverpflichtung erstreckt, konkret und eindeutig benannt werden. Besteht eine Umgehungsgefahr kann der Unterlassungsanspruch auf eine Warengattung erstreckt werden. Der Einstandspreis sollte nicht als konkrete Zahl, sondern in Form einer Berechnungsgrundlage bestimmt werden. Damit wird eine hohe Flexibilität für den Fall der Änderung der Marktbedingungen gewährleistet. Um alle Berechnungsfaktoren zu berücksichtigen, empfiehlt sich eine Orientierung an der Praxis des Bundeskartellamtes. Auf Rechtfertigungsgründe muss der Kläger in seinem Antrag nicht eingehen. Demgegenüber muss im Antrag berücksichtigt werden, dass der materielle Verbotsbereich nur Angebote erfasst, die zusammenhängend über mehr als drei Wochen bestehen oder regelmäßig wiederholt werden. Eine Ausnahme davon gilt nur für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. b) Angebot unter Selbstkosten Sowohl der Verkauf unter Einstandspreis als auch Angebote unterhalb der Selbstkosten, die einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation nicht entsprechen, sind Fälle wettbewerbswidriger Kampfpreisunterbietung.192 Aufgrund dieser Parallelität gelten die im Zusammenhang mit Untereinstandspreisverkäufen dargestellten Ausführungen zum Inhalt des Begriffs Angebot, zur Umgehungsgefahr durch geringfügige Angebotsänderungen, zur Bestimmtheit der zeitlichen Dauer, zur Bezugnahme auf Rechtfertigungsgründe und im Hinblick auf Werbung auch in Bezug auf Kampfpreise unterhalb der Selbstkosten.193 Lediglich in Bezug auf die Bestimmung der Missbrauchsgrenze, die nicht unterschritten werden darf, ergeben sich Besonderheiten. aa) Bestimmung der Preisgrenze in Abhängigkeit zur Leistung Beim Verkauf unter Einstandspreis bestimmt sich die Rechtswidrigkeit der Preisgestaltung in Abhängigkeit von den Bezugskosten einer bestimmten Ware. In anderen Fällen der Kampfpreisunterbietung steht ein solcher Berechnungsmaßstab nicht zur Verfügung. Die Ermittlung der Selbstkosten setzt voraus, dass die angebotene Leistung nach Art und Umfang genau beschrieben und in Beziehung zu den Fixkosten und durchschnittlichen variablen Kosten gesetzt wird.194 Ergänzend ist zu prüfen, ob eine Kostenunterschreitung im Einklang mit einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation steht.195 Der Unterlassungstenor – das gilt sowohl für 192 193 194 195
Siehe S. 179 ff. Siehe S. 204 ff. und S. 211 ff. Siehe S. 182 ff. Siehe S. 182 ff.
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Verwaltungsakte als auch für Urteile – muss hinreichend bestimmt erkennen lassen, für welche Leistung welcher Preis mindestens zu fordern ist. Verhältnismäßig einfach ist diese Festlegung, wenn nur einzelne Leistungen angeboten werden. Gegenstand von Entscheidungen war beispielsweise der Abdruck von Werbeanzeigen in Anzeigenblättern.196 Hier kann man formulieren, dass der Herausgeber einer Zeitschrift einen bestimmten Mindestpreis für den Druck einer näher zu definierenden Zeile nicht unterschreiten darf. Im Gegensatz dazu stehen Fälle, in denen ein ganzes Leistungsbündel offeriert wird. Im Fall „Germania“197 hatte die marktbeherrschende Lufthansa nicht einfach nur Flüge auf der Strecke Frankfurt/M. – Berlin angeboten. Sie erreichte im Verhältnis zur einzigen Wettbewerberin „Germania“ eine höhere Frequenzdichte der Flüge, bot einen besseren Service inklusive Bordverpflegung und offerierte ein Bonusmeilenprogramm, welches zumindest für Vielflieger einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Vorteil bedeutete.198 Germania hatte als sogenannter Billiganbieter Service- und sonstige Nebenleistungen so weit als möglich eingeschränkt, um den Preis zu drücken. Der Angebotspreis der Lufthansa lag nicht niedriger, sondern sogar etwas höher als der Preis der Germania. Wettbewerbswidrigkeit lag dennoch vor, weil bei Herausrechnung der Zusatzleistungen offensichtlich wurde, dass der zur Deckung der reinen Flugkosten verbleibende Ertrag bei weitem nicht ausreichte, um ohne Defizit zu wirtschaften.199 Maßgeblich für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ist also nicht der Preis, sondern das Preis/Leistungsverhältnis.200 Dementsprechend schrieb die, vom OLG Düsseldorf bestätigte, Untersagungsverfügung des BKartA der Lufthansa vor, für das konkrete Leistungsbündel einen bestimmten Mindestpreis zu verlangen.201 Diese Herangehensweise gilt ebenso für einen Tenor im Zivilprozess. Im Fall derartiger Leistungsbündelung bleibt der Anbieter frei zu wählen, ob er sein Angebot zu dem im Tenor genannten Mindestpreis aufrechterhalten will oder ob er seine Leistungen einschränkt und den Preis im Verhältnis dazu absenkt. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der Preis in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis zu An196 BGH, 26. 04. 1990, NJW 1990, 2468 „Anzeigenpreis I“; BGH vom 26. 04. 1990, NJW 1990, S. 2469 „Anzeigenpreis II“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2762 f.) „Amtsanzeiger“, Vorinstanz OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“. 197 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 „Germania“; vgl. auch Ewald, WuW 2003, S. 1165 (1166 ff.). 198 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (867 f., 871 ff.) „Germania“. 199 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (871 f.) „Germania“; zur Feststellung einer missbräuchlichen Preisgestaltung sind eine Aufschlüsselung der variablen Kosten und der Vollkosten, sowie eine anschließende Prüfung der Kostendeckung erforderlich: EuG, 30. 01. 2007, WuW/EU-R 1224 (1227 ff.) „France Telekom“, zuvor Kommission, 16. 07. 2003, WuW/ EU-V 1005 (1009 ff.) „Wanadoo Interactive“. 200 OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (871 f.) „Germania“; Ewald, WuW 2003, S. 1165 (1166 ff.). 201 Im Urteilstenor wurde jedoch nur die Flugstrecke beschrieben, was damit zu erklären ist, dass die Lufthansa ihr Angebot nicht inhaltlich ändern wollte: OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (867, 873 ff.) „Germania“.
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gebot und Kosten steht.202 Bei einer nachträglichen Preisreduzierung kann überprüft werden, ob sie der Änderung des Angebotsumfangs entspricht. Der Unterlassungsanspruch muss dahingehend formuliert werden, dass dem marktbeherrschenden Unternehmen untersagt wird, einen Mindestpreis für eine genau bestimmte Leistung oder ein Leistungsbündel, welche nach den Grundsätzen einer vernünftigen kaufmännischen Kalkulation zu ermitteln sind und im Regelfall den Selbstkosten entsprechen, zu unterschreiten. bb) Änderung der Marktbedingungen nach Urteilserlass Es stellt sich hier, in gleicher Weise wie beim Verkauf unter Einstandspreis das Problem einer nach Erlass einer Untersagungsverfügung oder eines Urteils eintretenden Änderung der Kostenstruktur.203 Die Zugrundelegung einer Kalkulationsrichtlinie kommt deswegen nicht in Betracht, weil jeder Einzelfall branchen-, dienstleistungs- oder produktspezifische Besonderheiten aufweist. Es ist im Gegensatz zum Einstandspreis keine allgemeingültige Annäherung möglich. Es muss daher eine bestimmte statische Preisgrenze festgelegt werden, welche auf den Tatsachen beruht, die der Kartellbehörde vor Erlass des Verwaltungsaktes oder dem Gericht zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bekannt sind.204 Um sowohl dem Interesse des Gläubigers nach einem wirksamen Titel als auch dem Interesse des Schuldners, nicht unbegrenzt lange an einem Preis festgehalten zu werden, der eine Reaktion auf Änderungen der Bedingungen am Markt verhindert, gerecht zu werden, bietet die Befristung der Untersagungsanordnung den praktisch einzig gangbaren Weg. Während dieser Frist darf der Unterlassungsschuldner die Preisgrenze nicht unterschreiten. Nach Fristablauf ist das marktmächtige oder marktbeherrschende Unternehmen frei, einen geringeren Preis zu fordern. Die angemessene Frist ist aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zu ermitteln, welche die Besonderheiten des jeweils betroffenen Marktes berücksichtigt. Im Fall Germania wurden zwei Jahre als angemessen gewertet.205 Diese Praxis der Kartellbehörden ist auf zivilgerichtliche Urteile zu übertragen. Das bedeutet, der Kläger muss bereits im Klageantrag nicht nur die Leistung bzw. das Leistungsbündel hinreichend konkret beschreiben und im Verhältnis dazu die Preisgrenze beziffern, sondern darüber hinaus eine seiner Meinung nach angemessene Frist benennen, während deren Lauf die Preisgrenze nicht unterschritten werden darf. Nach Ablauf der Frist muss er gegebenenfalls erneut klagen. Während dieser Frist ist dem Unterlassungsgläubiger eine Vollstreckungsabwehrklage mit der Begründung der Änderung der Marktbedingungen versagt. Eine Ausnahme könnte allenfalls für den Fall zugelassen werden, dass sich die Marktbedingungen und die Kostenstruktur aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände in besonders schwerwiegender Weise ändern. 202 203 204 205
OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/E DE-R 867 (868, 872, 875) „Germania“. Zum Verkauf unter Einstandspreis siehe S. 208 ff. OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (868, 875) „Germania“. OLG Düsseldorf, 27. 03. 2002, WuW/DE-R 867 (868, 875) „Germania“.
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cc) Ergebnis Der wesentliche Unterschied zwischen Verkauf unter Einstandspreis und anderen Fällen der Kampfpreisunterbietung ist, dass es im Hinblick auf die Selbstkosten ein Berechnungsschema, wie es für den Begriff des Einstandspreises entwickelt wurde, nicht gibt. Maßgeblich ist das konkrete Preis/Leistungsverhältnis. Es gibt deshalb keine Alternative dazu, die nicht zu unterschreitenden Selbstkosten konkret zu berechnen und zu benennen. Um aber eine dauerhaft statische Preisgrenze, die eine Reaktion auf Marktveränderungen zu Lasten des Unterlassungsschuldners nicht zulässt, zu vermeiden, muss in den Tenor eine Befristung der Anordnung einen bestimmten Mindestpreis nicht zu unterschreiten, aufgenommen werden. 4. Anspruch auf Beseitigung Der auf einem Angebot unter Einstandspreis oder unter Selbstkosten basierende Verdrängungswettbewerb stellt eine Störung der wirtschaftlichen Betätigung der schutzbedürftigen Wettbewerber dar.206 Ein behindertes Unternehmen kann nach § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. Art. 102 S. 1 AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder § 20 Abs. 1, 3 S. 2 GWB Beseitigung dieser Störung verlangen.207 Ein Urteil, welches die Beseitigung in Form der Rücknahme von Angeboten wettbewerbswidriger Kampfpreise anordnet, könnte aber nicht verhindern, dass der Normadressat, nachdem er sein wettbewerbswidriges Verhalten vorübergehend eingestellt hat, den Missbrauch seiner marktbeherrschenden oder marktmächtigen Stellung fortsetzt. Um missbräuchliches Verhalten in der Zukunft zu verhindern, bedarf es eines Unterlassungstitels. Vor diesem Hintergrund könnte ein Beseitigungsanspruch lediglich darauf gerichtet sein, die zu Verlustpreisen abgeschlossenen Verträge zwischen Marktbeherrscher und Kunden wegen der von diesen Verträgen ausgehenden Wettbewerbsstörung zu beseitigen. Eine solche Störung besteht zumindest dann fort, wenn diese Verträge zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs noch nicht oder nicht vollständig vollzogen sind. Allerdings sind diese Verträge aufgrund der Wertung des § 134 2. Halbsatz BGB i. V. m. dem Normzweck des Art. 102 S. 1 AEUV, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und auch § 20 Abs. 1, 3 S. 2 GWB wirksam.208 Der Beseitigungsanspruch darf sich dazu nicht in Widerspruch setzen. Dogmatisch ist das auch dadurch begründbar, dass infolge der Wirksamkeit dieser Verträge ein rechtswidriger Zustand gar nicht vorliegt. Soweit eine Kompensation für in der Vergangenheit eingetretene Nachteile aufgrund von Beschränkungen der wettbewerblichen Betätigungsfreiheit begehrt wird, kommt lediglich das Verlangen von Schadensersatz in Betracht. Für einen Beseitigungsanspruch verbleibt daneben kein praktischer Anwendungsbereich. 206 207 208
Zu den nachteiligen Wirkungen siehe S. 185 ff. Zum Beseitigungsanspruch S. 144 ff. Siehe S. 189 ff.
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5. Anspruch auf Schadensersatz Die Herstellung des Zustandes, der ohne Kampfpreisunterbietung bestehen würde, erfordert erstens eine Beendigung des missbräuchlichen Verhaltens, zweitens einen Ersatz entgangenen Gewinnes und drittens die Verschaffung derjenigen Wettbewerbsposition, die das Unternehmen als Folge freien Leistungswettbewerbes innehätte.209 a) Naturalrestitution Für die behinderten Wettbewerber ist es nicht zweckmäßig, die Beendigung des Missbrauchs über einen Schadenersatzanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB zu erzwingen. Zwar muss der Marktbeherrscher als Folge dieses Anspruchs zu wettbewerbsgemäßen Preisen zurückkehren. Er ist allerdings zukünftig nicht daran gehindert erneut zu Kampfpreisen anzubieten. Einer zukünftigen Wiederholungsgefahr kann der Konkurrent nur durch den – im Übrigen auch verschuldensunabhängigen – Unterlassungsanspruch gem. § 33 Abs. 1 S. 1 GWB entgegenwirken.210 Deshalb kommt dem Schadensersatzanspruch insoweit keine Bedeutung zu. b) Der Ersatz entgangenen Gewinnes Der Anspruch auf entgangenen Gewinn kann von Wettbewerbern geltend gemacht werden, die tatsächlich auf dem Markt aktiv sind oder waren, auf den sich die missbräuchliche Preisgestaltung negativ auswirkt.211 Dazu gehören neben entgangenen Gewinnmöglichkeiten auch frustrierte Aufwendungen, die entstehen können, wenn ein Unternehmen nach Markteintritt aufgrund von Kampfpreisstrategien eines marktbeherrschenden (marktstarken) Wettbewerbers zum Marktaustritt gezwungen wird, bevor sich die getätigten Investitionen amortisieren können.212 Für potentielle Wettbewerber kommt der Ersatz frustrierter Aufwendungen, welche in Vorbereitung des Markteintritts entstanden sind, prinzipiell in Betracht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass potentielle Wettbewerber die Möglichkeit haben, den Marktbeherrscher durch Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches an der Niedrigpreisstrategie zu hindern. Sie können bereits vor Markteintritt klagen.213 In drin209 Einen Schadenersatzanspruch der Marktgegenseite gibt es dagegen nicht, da Angehörige der Marktgegenseite nicht Betroffene im Sinne des § 33 Abs. 1 GWB sind, vgl. S. 188; a. A. womöglich Kommission, Leitfaden, S. 75 f., Rn. 210 ff., die davon auszugehen scheint, dass Preiserhöhungen des Marktbeherrschers nach Verdrängung eines Konkurrenten Schadenersatzansprüche von Kunden/Abnehmern begründen können. 210 Zum Unterlassungsanspruch S. 204 ff. 211 OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2650) „Siegener Kurier“; zur persönlichen Betroffenheit S. 203. 212 OLG Düsseldorf, 12. 01. 1982, WuW/E OLG 2642 (2650) „Siegener Kurier“; siehe S. 164 ff. 213 Siehe S. 204 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
genden Fällen ist eine Leistungsverfügung analog §§ 935, 940 ZPO möglich.214 Macht der betroffene Konkurrent davon keinen Gebrauch, ist zu prüfen, ob eine Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 S. 1, 2 Alt. BGB in Betracht kommt.215 Zur Ermittlung des entgangenen Gewinns wird regelmäßig nur die abstrakte Schadensberechnung zielführend sein.216 Ein Einzelnachweis entgangener Geschäfte ist regelmäßig unmöglich. Denn Niedrigpreisstrategien finden vor allem auf Märkten statt, auf denen die Anbieter Massengeschäfte mit einer Vielzahl von Abnehmern, vor allem Verbrauchern tätigen.217 In diesen Fäll muss die hypothetische Umsatzentwicklung gemäß § 252 S. 2 BGB und § 287 Abs. 1 ZPO geschätzt werden.218 Die Möglichkeit zur Berücksichtigung des anteiligen Gewinns nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bringt hierbei keine Erleichterung. Denn im Rahmen der Kampfpreisstrategie nimmt das marktmächtige bzw. marktbeherrschende Unternehmen bewusst Verluste in Kauf.219 Im Übrigen gelten keine Besonderheiten zu den allgemeinen Ausführungen.220 c) Geldersatz für Substanzverlust des Unternehmens Der Ausgleich des Marktanteils- oder Wertverlusts des Unternehmens durch Naturalrestitution ist nicht möglich.221 Zum einen kann der Wettbewerb nicht wiederholt werden. Zum anderen steht die Konsumentensouveränität einer nicht wettbewerblich gesteuerten Verschiebung von Marktanteilen entgegen. Soweit ein Ausscheiden aus dem Markt stattgefunden hat, ist eine Wiederaufnahme oder Weiterführung der Tätigkeit unter Umständen ganz ausgeschlossen. Der Ausgleich für den Marktanteils- oder Wertverlust eines Unternehmens erfolgt gemäß § 251 Abs. 1 1. Alt BGB in Geld.222 Es ist, unter Einbeziehung der allgemeinen Marktentwicklung zu schätzen, welchen Marktanteil das Unternehmen ohne die Kampfpreisunterbietung hätte. Sodann ist ein Vergleich mit dem tatsächlichen Marktanteil anzustellen und zu fragen, welche finanziellen Anstrengungen mit hoher Wahrscheinlichkeit notwendig sind, um den ohne Schädigung prognostizierten Marktanteil zu erreichen. Insoweit ist das Gericht frei, nach Maßgabe des § 287 ZPO zu schätzen.223 Soweit anstelle dessen der Wertverlust des Unterneh214
Drescher, in: MüKo ZPO, § 938 Rn. 9 ff. Siehe S. 155 f. 216 Siehe S. 163 ff. 217 Siehe S. 179 ff. 218 Siehe S. 163 ff. 219 Dazu, dass deshalb eine Mehrerlösabschöpfung (im Rahmen eines OWi-Verfahrens) nicht in Betracht kommt, BKartA, 17. 12. 2003, WuW/DE-V 911 (916 f.) „Fotoarbeitstasche“. 220 Siehe S. 161 ff. 221 Siehe S. 166 f. 222 Siehe S. 166 f. 223 Siehe S. 166 f. 215
A. Kampfpreisunterbietung
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mens berechnet werden soll, ist der tatsächliche Wert mit demjenigen zu vergleichen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Kampfpreisunterbietung bestünde. Auch hierbei ist nach § 287 ZPO zu schätzen. Zu beachten ist allerdings, dass der Marktanteil den Unternehmenswert maßgeblich beeinflusst. Insoweit kann nur Ausgleich für den verlorenen Marktanteil oder den geringeren Unternehmenswert verlangt werden. Darüber hinaus muss eine Anrechnung entgangenen Gewinnes insoweit erfolgen, als der Gewinn in das Unternehmen investiert worden wäre.
V. Zusammenfassung Wettbewerbswidrige Kampfpreisunterbietungen tauchen in der Praxis einerseits als Angebot unter Einstandspreis und andererseits als Angebot unter Selbstkosten auf. Als Folge derartiger Angebote geschlossene Austauschverträge zwischen einem Marktbeherrscher (oder im Rahmen von § 20 Abs. 3 GWB auch eines relativ marktstarken Unternehmens) und der Marktgegenseite sind i. S. v. § 134 BGB verboten, aber nicht nichtig. Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche können nur die Wettbewerber des Marktbeherrschers, nicht aber Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite geltend machen. Hierbei ist zu beachten, dass § 20 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB nur kleine und mittlere Wettbewerber schützt, so dass sich marktstarke Unternehmen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen nicht auf diese Vorschrift, sondern nur auf eine Verletzung von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und/oder Art. 102 S. 1 AEUV berufen können. Angesichts der Wirksamkeit von Austauschverträgen nach § 134 2. Halbsatz BGB muss die insoweit fehlende Sanktion durch eine den Bedürfnissen der Wettbewerber gerecht werdende Ausgestaltung des Unterlassungsanspruches kompensiert werden. Es besteht eine Notwendigkeit dafür, es gar nicht erst zum Abschluss solcher Verträge kommen zu lassen. Das wird erreicht, indem die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO für die Formulierung von Unterlassungsklageanträgen großzügig ausgelegt werden. Diese Herangehensweise lässt sich damit rechtfertigen, dass insbesondere die Umgehung erstrittener Urteile, aber auch die Gefahr erstmaliger Verstöße effektiv verhindert werden müssen. Für einen Beseitigungsanspruch besteht ein praktischer Bedarf nicht. Er ist insbesondere nicht geeignet, vertraglich vereinbarte, aber noch nicht vollzogene Austauschgeschäfte zu beseitigen. Diese bleiben aufgrund § 134 2. Halbsatz BGB wirksam. Aufgrund der Verschuldensunabhängigkeit und der Wirkung in die Zukunft ist der Unterlassungsanspruch gegenüber dem Schadensersatzverlangen im Hinblick auf die Wiederherstellung eines wettbewerblich rechtmäßigen Zustandes vorrangig. Im Wege der Naturalrestitution können geschädigte aktuelle Wettbewerber Ersatz des entgangenen Gewinnes verlangen. Dabei kommen dem behinderten Unternehmen die Beweiserleichterungen des § 252 S. 2 1. Alt. BGB und die richterliche Befugnis nach § 287 ZPO den Schaden zu schätzen zugute. Potentielle Konkurrenten
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
sind dagegen auf die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs zu verweisen, bevor sie in den Markt eintreten. Darüber hinaus können aktuelle Wettbewerber einen Ausgleich für den Verlust von Marktanteilen und/oder den Wertverlust des Unternehmens verlangen, der gegebenenfalls auch nach § 287 ZPO zu schätzen ist.
B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni
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B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni I. Überblick Rabatte sind ein besonderes Mittel der Preispolitik.1 Sie kommen in sehr unterschiedlichen Gestaltungen vor. Dementsprechend variiert der mit ihnen verfolgte Zweck. Rabatte werden für bestimmte einzelne Geschäfte, für die Erzielung bestimmter Umsatzmengen in einem begrenzten Zeitraum bezogen auf ein oder mehrere Produkte, für besondere Treue oder als Bonus für den Bezug eines bestimmten Produktes gewährt. Beurteilungsgrundlage sind Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, sowie 20 Abs. 1, 3 GWB.2 Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass die Gewährung von Rabatten als Werbemittel, zur Pflege von Kundenbeziehungen und zur Erzielung von Einsparungen von der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung gedeckt ist.3 Eine Grenze wird dort gezogen, wo die Ra1 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 249 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 252 f. 2 Im Rahmen der Interessenabwägung ist sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht vor allem maßgeblich, inwieweit sich ein Rabattsystem einer faktischen Ausschließlichkeitsbindung annähert und inwieweit es zu einer Ungleichbehandlung der Abnehmer führt. Je umfassender die Bindung und je stärker die Ungleichbehandlung sind, desto höher sind die Anforderungen an eine wirtschaftliche Rechtfertigung; vgl. dazu: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 233, 255 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 252 f. und § 20 GWB Rn. 154; Kommission, discussion paper, Ziffer 7.1., Rn. 134 bis 176. 3 Zur Zulässigkeit von Mengen- und Funktionsrabatten (sowie verwandten Rabattformen bei denen eine Äquivalenz zwischen Leistung bzw. Einsparung und dem Preisnachlass besteht, so dass der Kunde in Form eines Preisvorteils an der Leistungssteigerung des rabattgewährenden Unternehmens beteiligt wird) und zur Abgrenzung zu missbräuchlichen Rabattformen, vgl.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (457 f.) „Hoffmann-La Roche/Vitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (649) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuGH, 29. 03. 2001, WuW/EU-R 426 (429 f.) „Portugiesische Flughäfen“, zuvor Kommission, 10. 02. 1999, WuW/EU-V 267 (268 ff.) „Portugiesische Flughäfen; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (737 ff.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (786 ff.) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; Kommission, 26. 07. 2000, WuW/EU-V 519 (520 f.) „Spanische Flughäfen“; Kommission, 20. 03. 2001, WuW/EU-V 581 (586) „Deutsche Post AG“; EuGH, 12. 06. 2014, NZKart 2014, S. 267, 268 ff.) „Intel“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart, S. 476 (476 ff.) „Post Dänemark“; BGH, 05. 07. 1973, WuW/E BGH 1269 (1273 ff.) „FernostSchiffahrtskonferenz“; BGH, 24. 02. 1976, WuW/E BGH 1429 (1433 f.) „Asbach-Fachgroßhändlervertrag“; KG, 26. 06. 1985, WuW/E OLG 3656 (3657 f.) „TUI Partnerschaftsbonus“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4609 f.) „Interlining“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 984 (990 f.) „Konditionenanpassung“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 f.) „Trassenpreissystem“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807) „International Harvester“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1822) Fertigfutter“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 252; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 252 f.; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.1., Rn. 134, 137 bis 140 und Ziffer 7.2.3., Rn. 170, sowie Ziffer 7.2.5., Rn. 172 bis 176.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
battgewährung eines marktbeherrschenden Unternehmens weder durch eine Gegenleistung des Abnehmers gerechtfertigt, noch mit einer echten Kosteneinsparung verbunden ist. In derartigen Fällen stellen Umsatz-, Gesamtumsatz- und Treuerabatte lediglich eine Belohnung für den Verzicht des Bezugs von Konkurrenzprodukten dar und führen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Abnehmer.
II. Fallgruppen 1. Rabatte auf einzelne Geschäftsabschlüsse a) Irreführung und Kampfpreise Ausgehend von einem gewöhnlichen Preis stellt das anbietende Unternehmen entweder in der Werbung oder während der Vertragsverhandlungen heraus, dass es bereit ist, einen Preisnachlass zu gewähren. Der Vertrag kommt dann von vornherein zu dem niedrigeren Preis zustande. Für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung spielen die irreführende Werbung4 und die Frage eine Rolle, ob es sich bei dem vereinbarten Preis um einen Kampfpreis5 handelt. In Bezug auf die Irreführung von Kunden liegt insoweit keine Kausalbeziehung zur Marktmacht vor als diese Voraussetzung derartiger Praktiken wäre oder deren Wirkung verstärkte. Daher beurteilt sich die Rechtswidrigkeit nach den §§ 3, 5 und 5a UWG. Bietet der Marktbeherrscher in Folge des Rabattes zum Verlustpreis an, kommt ein Rechtsschutz der Wettbewerber nach Art. 102 S. 1 AEUV, §§ 3, 4 Nr. 4 UWG, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 3 GWB in Betracht.6 b) Diskriminierung Eine besondere kartellrechtliche Relevanz erhalten Fälle von individuell gewährten Rabatten dann, wenn sie unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 102 S. 2 li. c) AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB vorgenommen werden.7 Das ist der Fall, wenn das marktbeherrschende Unternehmen Rabatte nur einzelnen Abnehmern gewährt und die, mit einer Verringerung des Preisgestaltungsspielraumes für benachteiligte gegenüber bevorzugten Konkurrenten verbundene Verweigerung des gleichen Preisnachlasses nicht sachlich gerecht-
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Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 1.127 f. Zu Kampfpreisen siehe S. 177 ff. und S. 185 ff.; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.4., Rn. 171; Wirtz/Möller, WuW 2006, S. 226 (231 f.); Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1101 f.). 6 Siehe S. 177 ff. und S. 185 ff. 7 Lange, WuW 2002, S. 220 (224); zur Diskriminierung siehe ab S. 427. 5
B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni
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fertigt ist.8 Insoweit wird auf die Ausführungen zum Diskriminierungsverbot verwiesen.9 2. Missbräuchliche Rabattsysteme a) Gesamtumsatzrabatte Ein marktbeherrschendes (oder marktstarkes) Unternehmen gewährt einen Rabatt bzw. Bonus dafür, dass der Abnehmer innerhalb einer zuvor definierten Referenzperiode eine gewisse Menge eines oder mehrerer Produkte abnimmt oder eine oder mehrere Dienstleistungen in bestimmtem Umfang in Anspruch nimmt. Der Preisnachlass wird in der Regel erst nach Beendigung des Bezugszeitraumes berechnet und gewährt.10 Möglich ist auch, dass das marktbeherrschende Unternehmen den Erwerb eines Leistungspakets für eine gewisse Zeitperiode im Voraus ermöglicht und dafür einen Rabatt einräumt.11 Ist der Rabattsatz konstant, tritt eine Bindungswirkung nicht ein, weil der Preis pro Wareneinheit bzw. für jede Dienstleistung gleich bleibt. Ein missbräuchliches Verhalten liegt aber vor, wenn eine Rabattstaffelung dergestalt 8
Kommission, 14. 05. 1997, ABl. EG 1997, Nr. L 258, S. 1 ff. und dazu EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999 II, S. 2969 (2972 f., 3023 ff.) „Irish Sugar plc“. Dies betrifft auch Fallkonstellationen, in denen ein Anbieter seinen Nachfragern die Wahl zwischen verschiedenen, zum Teil erhebliche Rabattgewährungen einschließenden Vergütungssystemen (Tarifen) einräumt, faktisch aber nur ein verbundenes Unternehmen aufgrund seines Größenvorteils den günstigsten Tarif in Anspruch nehmen kann, vgl. dazu LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.1., Rn. 140, 141; Wirtz/Möller, WuW 2006, S. 226 (231 f.); Schmidt/Voigt, WuW 2006, S. 1097 (1101 f.). 9 Siehe ab S. 427. 10 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (648 f.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999 II, S. 2969 (2972 f., 3052 ff.) „Irish Sugar plc“; EuGH, 29. 03. 2001, WuW/EU-R 426 (429 f.) „Portugiesische Flughäfen“, zuvor Kommission, 10. 02. 1999, WuW/EU-V 267 (268 ff.) „Portugiesische Flughäfen“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (732 f., 737 ff.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (786 f.) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; Kommission, 26. 07. 2000, WuW/EU-V 519 (520 f.) „Spanische Flughäfen“; EuGH, 19. 04. 2012, WuW/EU-R 2323 (2332 ff.) „Tomra Systems u.a.“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (476 ff.) „Post Dänemark“; BGH, 24. 02. 1976, WuW/E BGH 1429 (1429 f.) „Asbach-Fachgroßhändlervertrag“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1986) „Ramamädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2407 ff.) „Fertigfutter“, zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1820 ff.) „Fertigfutter“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3129 ff.) „Milchaustauschfuttermittel“; KG, 26. 06. 1985, WuW/E OLG 3656 (3656) „TUI-Partnerschaftsbonus“. 11 EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (648 f.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (733) „Michelin“; OLG Hamm, 11. 02. 1989, WuW/E OLG 4425 (4427) „Theaterrabatte“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4609 ff.) „Interlining“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; BKartA, 17. 11. 1997, WuW/DE-V 24 (26) „Milchlieferverträge“.
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durchgeführt wird, dass mit wachsender Bezugsmenge eine prozentuale Steigerung des Preisnachlasses verbunden ist.12 Denn dann sinkt der Preis pro Wareneinheit oder Dienstleistung umso stärker, je größer die Mengen sind, die ein Abnehmer bezieht. Es werden keine, durch Kostenersparnisse oder andere Gegenleistungen entstandenen Einsparungen weitergegeben. Vielmehr wird ein Anreizsystem geschaffen, die Bedarfsdeckung beim rabattgewährenden Unternehmen zu Lasten Dritter unabhängig von deren Leistung zu konzentrieren. Je höher dabei die abgenommenen Mengen steigen, desto stärker wächst, um die Preisvorteile möglichst umfassend nutzen zu können, der Druck zur Bezugskonzentration. Im Ergebnis stellt der Preisnachlass eine Prämie für den Nichtbezug von Konkurrenzprodukten dar. Kleine oder mittlere Abnehmer, die von vornherein in ihrer Abnahmevolumen beschränkt sind, werden gegenüber größeren Abnehmern benachteiligt. Wirtschaftlich gleich zu beurteilen ist die Gewährung eines Bonus. In diesem Fall erhält der Abnehmer eine Rückvergütung, eine künftig zu verrechnende Gutschrift oder eine sonstige Zusatzleistung.13 b) Treuerabatte Ein marktbeherrschendes Unternehmen gewährt Preisnachlässe als Belohnung dafür, dass ein Abnehmer ausschließlich oder weit überwiegend bei ihm bezieht. Die Rabatthöhe hängt wie beim einfachen Umsatzrabatt von der abgenommenen Menge innerhalb eines Bezugszeitraumes ab. Allerdings verliert der Abnehmer den Rabatt, sobald er auch nur von einem anderen Unternehmen bezieht. Dem steht es gleich, die abzunehmende Menge so hoch anzusetzen, dass der Preisnachlass praktisch nur durch ausschließlichen oder überwiegenden Bezug erreicht werden kann. Im Vergleich zu Gesamtumsatzrabatten wird die wirtschaftliche Bindung an das rabattgewährende Unternehmen erheblich verstärkt. Treuerabatte marktbeherrschender Unternehmen werden deshalb allgemein als missbräuchlich beurteilt.14 12 Vgl. die Nachweise in Fn. 10 und 11; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 255, 259; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 252 f.; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.2.1. Rn. 152 bis 154 und Ziffer 7.2.2.2. Rn 166; Prioritätenmitteilung, Ziffer IV. A. b) Rn. 37, 39 f. 13 Dazu EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (732 f.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/ EU-R 777 (786 ff.) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3124 f.) „Milchaustauschfuttermittel“; BKartA, 17. 11. 1997, WuW/DE-V 24 (26) „Milchlieferverträge“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 255. 14 EuGH, 17. 12. 1975, WuW/EWG/MUV 347 (370 f.) „Europäische Zuckerindustrie“, zuvor Kommission, 02. 01. 1973, WuW/EV 441 (454 f.) „Europäische Zuckerindustrie“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (649 ff.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999 II, S. 2969 (2972 f., 3049 ff.) „Irish Sugar plc“, zuvor Kommission, 14. 05. 1997, ABl. EG 1997, Nr. L 258, S. 1 „Irish Sugar“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (733 f., 737 ff.) „Michelin“;
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c) Gesamtsortimentsrabatte Diese Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass der für die Rabatthöhe maßgebliche Umsatz nicht nur aufgrund der, auf dem beherrschten Markt erzielten Abnahmemenge, sondern bezogen auf den zusammengefassten Umsatz mit Produkten oder Dienstleistungen des Marktbeherrschers auf verschiedenen Märkten berechnet wird.15 Im Vergleich zu, nur auf ein Produkt bezogenen Umsatzrabatten wird der Anreiz zur Nachfragekonzentration beim marktbeherrschenden Unternehmen nochmals verstärkt. Darüber hinaus werden solche Unternehmen, die nur einzelne Waren oder Dienstleistungen beziehen, gegenüber solchen Abnehmern benachteiligt, die eine Mehrzahl oder die Gesamtheit der Produkte des Marktbeherrschers abnehmen. Die Beurteilung als missbräuchlich stützt sich bei dieser Fallgruppe auch auf die Kombination mit einer wirtschaftlichen Kopplung und dem daraus resultierenden Marktmachttransfer in Drittmärkte.16
III. Schutzzweck des Verbots von Umsatzrabattsystemen 1. Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem beherrschten Markt Obgleich umsatzbezogene Rabatte eine Preisreduzierung bewirken, dienen sie weniger zur Gewinnung neuer Kunden als zur Bindung bisheriger Geschäftspartner. Rabattsysteme setzen aus Sicht der Abnehmer einen Anreiz, die Nachfrage beim Rabatt gewährenden Unternehmen zu konzentrieren. Sie verringern die Bereitschaft zum Wechsel des Anbieters.17 Am deutlichsten sichtbar ist das bei einem Treuerabatt, EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (786 ff.) „Virgin/ British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/ EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; Kommission, 20. 03. 2001, WuW/EU-V 581 (588 ff.) „Deutsche Post AG“; EuGH, 19. 04. 2012, WuW/EU-R 2323 (2332 ff.) „Tomra Systems u.a.“; EuGH, 12. 06. 2014, NZKart 2014, S. 267 (268 ff.) „Intel“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (476) „Post Dänemark“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807 ff.) „International Harvester“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1820 ff.) „Fertigfutter“ und dazu KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2407 ff.) „Fertigfutter“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 253 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.2.1. Rn. 158, 162, und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. A. b) Rn. 40. 15 EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (460 f.) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (73) „De Post/La Post“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2407 ff.) „Fertigfutter“ und zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1826 ff.) „Fertigfutter“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 260, 285, 294; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253; Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. c). 16 Zur Kopplung siehe S. 267 ff. 17 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 255 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253, 255 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
der zu einer faktischen Ausschließlichkeitsbindung führt.18 Werden Mindestbestellmengen bzw. Zielrabatte vereinbart, so wird der Vertragspartner dazu angehalten, seinen Bezug solange auf das marktbeherrschende Unternehmen zu konzentrieren, bis er die Vorgaben erreicht.19 Tritt eine progressive Rabattstaffelung hinzu, wird der Anreiz zur Bezugskonzentration insoweit verstärkt als die Aussicht besteht, in eine höhere Rabattstufe zu gelangen. Abnehmer, welche zunächst nur einen Teil ihres Bedarfs bei dem Marktbeherrscher gedeckt haben, werden dazu angehalten den Fremdbezug einzustellen oder zu reduzieren. Es entsteht eine Sogwirkung zu Lasten anderer Anbieter.20 Aktuellen Wettbewerbern wird es erschwert Marktanteile hinzuzugewinnen. Potentielle Wettbewerber werden vom Markteintritt abgehalten. Das marktbeherrschende Unternehmen schottet seine Absatzwege ab und ordnet den Markt nach seinen Vorstellungen.21 Wollen Wettbewerber dem entgegentreten, dann sind sie gezwungen, nicht nur mit dem üblichen Preis des marktbeherrschenden Unternehmens, sondern mit dessen Preis nach Abzug des Rabattes bzw. der Rückvergütung zu konkurrieren. Das ist aber aus zwei Gründen außerordentlich schwierig. Da erstens die Rabatte des Marktbeherrschers nur eine Belohnung für die Bezugskonzentration, aber keine reale Gegenleistung im Sinne der Ersparnis von Kosten sind, wird es dem, regelmäßig finanzschwächeren Konkurrenten bei Einstieg in den Preis des Marktbeherrschers schwer möglich sein, überhaupt zu kostendeckenden Preisen, geschweige denn mit Gewinn anbieten zu können.22 Dazu kommt zweitens, dass Rabatte geeignet sind, die tatsächlich gezahlten Preise zu verschleiern.23 Dem Konkurrenten dürfte es in der Regel unmöglich 18
Siehe S. 226. Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (737 ff.) „Michelin“; EuGH, 19. 04. 2012, WuW/EU-R 2323 (2332 ff.) „Tomra Systems u.a.“; EuGH, 06. 10. 2015, NZKart 2015, S. 476 (477) „Post Dänemark“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2408 ff.) „Fertigfutter“, zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1825 ff.) „Fertigfutter“. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn der Kunde durch einen Rabatt motiviert wird, ein Leistungspaket im Voraus zu erwerben, welches seinen Bedarf längerfristig deckt: OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4609 f.) „Interlining“. 20 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 255 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253, 255 ff. und § 20 GWB Rn. 154; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.2.1., Rn. 153, 154, 162 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. A. b) Rn. 37, 39 f. 21 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 249, 253 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.2.1. Rn. 153, 154 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. A. b) Rn. 37. 22 Zum Bsp.: EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (789) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; EuGH, 12. 06. 2014, NZKart 2014, S. 267 (269 f.) „Intel“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1825 ff.) „Fertigfutter“ und KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2408 ff.) „Fertigfutter“. 23 Zum Bsp.: EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (740) „Michelin“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3127, 3133) „Milchaustauschfuttermittel“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ 19
B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni
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sein, die notwendigen Informationen (Rabattstaffeln, Gesamtbedarf des Abnehmers, Bezug beim Marktbeherrscher) zu erhalten, um den Rabatt und den zu unterbietenden Preis berechnen zu können. Auch für den Abnehmer wird ein exakter Preisvergleich deswegen schwierig, weil die Abhängigkeit des tatsächlichen Nachlasses von der Bezugsgröße, welche zu Beginn einer Referenzperiode nur geschätzt werden kann, dazu führt, dass auch die Höhe des Bonus im Voraus nur ungefähr ermittelbar ist. Die Unsicherheit der Abnehmer bezüglich des preislich günstigeren Angebotes wirkt sich dahingehend aus, dass diese im Zweifel ihren Bedarf bei dem Rabatt oder Bonus gewährenden Marktbeherrscher decken.24 Die Abschottung der Absatzwege und die Sogwirkung durch Bezugskonzentration, unterstützt durch die Verschleierung der Preisgestaltung führt dazu, dass der horizontale Leistungswettbewerb auf dem beherrschten Markt zum Erliegen kommt. Das Verbot soll das verhindern, indem es die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Wettbewerber schützt, ihnen damit die Gewinnung von Marktanteilen ermöglicht und sie vor machtbedingter Verdrängung bewahrt. 2. Verfälschung des Leistungswettbewerbs auf Drittmärkten Gesamtsortimentsrabatte eignen sich dazu, die auf dem beherrschten Markt bestehende wirtschaftliche Macht zur Eroberung von Drittmärkten einzusetzen. Voraussetzung ist, dass Abnehmer, die auf dem beherrschten Markt angebotene Produkte beziehen, darüber hinaus einen Bedarf nach Leistungen haben, welche der Marktbeherrscher auf sachlich anderen Märkten anbietet. Da der Rabatt bezogen auf den Gesamtumsatz mehrerer, vom Marktbeherrscher angebotener, sachlich verschiedener Leistungen berechnet wird, entsteht ein starker Anreiz, die Geschäftsverbindung auf Drittmärkte auszudehnen oder auf Drittmärkten bestehende Lieferbeziehungen zu intensivieren. Zugleich werden Abnehmer dazu angehalten, ihren Fremdbezug von anderen Lieferanten zu reduzieren oder vollständig einzustellen und zwar selbst dann, wenn diese einzelne Leistungen auf dem Drittmarkt günstiger anbieten. Durch einen derart gestalteten Gesamtsortimentsrabatt wird der Umfang der wirtschaftlichen Bindung unter Einschluss der einbezogenen Drittmärkte intensiviert und der Sogeffekt auf weitere Märkte ausgedehnt. Das Verbot missbräuchlicher Gesamt-
Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 258; Kleinmann, EWS 2002, S. 466 (469 f.); vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.2.2.1. Rn. 160. 24 Zum Bsp.: EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (739 f.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (787 ff.) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3127, 3133) „Milchaustauschfuttermittel“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 258; Kleinmann, EWS 2002, S. 466 (469 f.).
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
sortimentsrabatte zielt darauf ab, einen derartigen Transfer von Marktmacht zu verhindern.25 3. Behinderung der Marktgegenseite a) Diskriminierende Rabattgestaltung Rabattsysteme können eine Diskriminierung von Abnehmern bewirken. Das ist zwar nicht der Fall, wenn ein starrer, d. h. bei jeder Bezugsmenge prozentual gleicher Rabatt gewährt wird. Jedoch hat eine, in der Praxis häufigere, weil die Bezugskonzentration fördernde Rabattstaffelung, bei welcher der Rabattsatz prozentual mit der bezogenen Menge steigt, zwangsläufig eine Ungleichbehandlung zur Folge.26 Diejenigen Abnehmer, welche aufgrund großer Bezugsmengen in eine hohe Rabattstufe gelangen, zahlen für die gleiche Leistung einen geringeren Preis als kleinere Abnehmer, welche aufgrund geringerer Bezugsmengen in eine niedrigere Stufe eingeordnet werden. Große Unternehmen erhalten dadurch gegenüber kleineren einen erhöhten Preisgestaltungsspielraum, den sie durch Weitergabe der Preisvorteile an die nachfolgende Marktstufe nutzen können. Kleinere Unternehmen laufen deshalb Gefahr, im Preiswettbewerb nicht mehr mithalten zu können und Marktanteile zu verlieren.27 Der gleiche diskriminierende Effekt entsteht bei Zielrabatten zu Lasten derjenigen Unternehmen, welche die im Voraus bestimmten Bezugsmengen nicht erreichen. Sie erhalten im Gegensatz zu ihren Wettbewerbern, die das Umsatzziel erreichen, keinen Rabatt und müssen daher im Ergebnis für die gleiche Leistung einen höheren Preis zahlen.28 Eine Preisdiskriminierung hat auch die Ge25 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW EWG/MUV 447 (460 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (737 f.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/ EU-R 777 (782) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2409.) „Fertigfutter“, zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1820, 1824 f., 1827) „Fertigfutter“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3129 f.) „Milchaustauschfuttermittel“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807 ff.) „International Harvester“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 249, 285, 294; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253. 26 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (457 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuGH, 29. 03. 2001, WuW/EU-R 426 (429) „Portugiesische Flughäfen“, zuvor Kommission, 10. 02. 1999, WuW/EU-V 267 (268 ff.) „Portugiesische Flughäfen“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (737 ff.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (787 ff.) Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4607 ff.) „Interlining“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 250, 256 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 254; Kleinmann, EWS 2002, S. 466 (467 f.); Lange, WuW 2002, S. 220 (224). 27 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (457 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (737 ff.) „Michelin“. 28 Zum Bsp.: EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999, S. 2969 (2972 f., 3052 ff.) „Irish Sugar plc“, zuvor Kommission, 14. 05. 1997, ABl. EG 1997, Nr. L 258, S. 1 „Irish Sugar“; EuG, 30. 09.
B. Marktmachtmissbrauch durch wettbewerbswidrige Rabatte und Boni
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währung von Treurabatten zur Folge, weil sie zu einer Ungleichbehandlung von solchen Abnehmern führt, die tatsächlich „treu“ gewesen sind, und solchen, die auch Fremdbezug hatten. Da der Erstgenannte den Rabatt erhält, der Zweitgenannte hingegen nicht, ergeben sich für die Abnehmer unterschiedliche Nettopreise.29 Schließlich sind auch Gesamtsortimentsrabatte diskriminierend, wenn ein Anbieter seinen Abnehmern bei gleichem Umsatz auf einem bestimmten Markt in Abhängigkeit davon verschieden hohe Rabatte gewährt, dass sie zugleich auch Leistungen auf dritten Märkten abnehmen und dadurch einen höheren Gesamtumsatz erreichen.30 b) Keine Einschränkung der Betätigungsfreiheit Es wird diskutiert, inwieweit im Einzelfall wegen des von Rabattsystemen ausgehenden Anreizes zur Bezugskonzentration eine wettbewerbswidrige Einschränkung der Entscheidungsfreiheit von Abnehmern bezüglich der Wahl ihrer Lieferanten vorliegt. Das scheint für Treurabatte wegen der Gefahr, den gesamten Rabatt durch Fremdbezug zu verlieren und für Umsatzrabatte wegen des Strebens nach einem Hineingelangen in eine höhere Rabattstufe plausibel.31 Konzentrieren die Abnehmer ihren Bezug auf den Marktbeherrscher, um einer Benachteiligung infolge der beschriebenen Preisdiskriminierung entgegenzuwirken, obwohl sie es grundsätzlich bevorzugen würden auch von anderen Lieferanten zu beziehen, so handelt es sich aus Sicht der Abnehmer um eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit. Es wird ihnen zumindest erschwert, das für sie günstigste Angebot anzunehmen.32 Dennoch handelt es sich nicht um eine rechtswidrige Behinderung. Es besteht ein lediglich wirtschaftlicher Anreiz. Die Wahlfreiheit, ob und in welcher Menge der 2003, WuW/EU-R 731 (737 ff.) „Michelin“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1825 ff.) „Fertigfutter“ und dazu KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2408 ff.) „Fertigfutter“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 256. 29 Zum Bsp.: EuGH, 17. 12. 1975, WuW/EWG/MUV 347 (371) „Europäische Zuckerindustrie“, zuvor Kommission, 02. 01. 1973, WuW/EV 441 (454 f.) „Europäische Zuckerindustrie“; EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999 II, S. 2969 (2972 f., 3049 ff.) „Irish Sugar plc“, zuvor Kommission, 14. 05. 1997, ABl. EG 1997, Nr. L 258, S. 1 „Irish Sugar“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 254. 30 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann La RocheVitamine“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2408 ff.) „Fertigfutter“, zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1822 f., 1825 ff.) „Fertigfutter“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807) „International Harvester“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 285, 294; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253; Lange, WuW 2002, S. 220 (224). 31 Zu Treuerabatten siehe S. 226. 32 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (649 f.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (738, 741) „Michelin“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1824 ff.) „Fertigfutter“ und dazu KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2408 f.) „Fertigfutter“.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Abnehmer beim Marktbeherrscher bezieht, bleibt erhalten. Soweit es um faktische Zwänge als Folge einer Diskriminierung geht, ist zu berücksichtigen, dass, solange der Abnehmer einen Rabatt erhält, für ihn die Vorteile regelmäßig überwiegen. Darüber hinaus können betroffene Abnehmer gegen die Diskriminierung als solcher Rechtsschutz, sowohl in Form der Unterlassung als auch Schadensersatz nach § 33 Abs. 1 und 3 GWB beanspruchen. Praktisch besteht auch nur dafür ein Bedürfnis, weil sich wohl kaum ein Abnehmer gegen einen ihm günstigen Rabatt zur Wehr setzen wird.
IV. Sanktion nach § 134 BGB 1. Überblick Umsatz-, Treue- und Gesamtsortimentsrabatte setzen eine langfristige Geschäftsbeziehung voraus. Zu deren Regelung wird üblicherweise ein Rahmenvertrag geschlossen, welcher allgemeine Bedingungen für die Durchführung einzelner Lieferungen enthält. In diesen wird eine Rabattvereinbarung inklusive Berechnungsgrundlage aufgenommen. Die einzelnen Lieferverträge sind grundsätzlich unabhängige Einzelverträge, welche aber jeweils auf die Rahmenverträge Bezug nehmen. Die wettbewerbswidrige Regelung findet sich also nur im Rahmenvertrag, schafft dadurch aber einen Anreiz zum Abschluss immer neuer Lieferverträge.33 Es ist auch denkbar, dass ein Sukzessivlieferungsvertrag abgeschlossen wird, der ohne Festlegung einer bestimmten Höchstmenge dem Käufer das Recht einräumt, Lieferungen nach seinem Bedarf abzurufen. In einen solchen Vertrag kann eine Vereinbarung über einen Rabatt oder eine Rückvergütung bei Erreichen bestimmter Umsatzziele aufgenommen werden.34 Die Rabattzusage kann auch vollkommen selbständig gegeben werden. Es handelt sich dann um eine Auslobung (i. S. v. § 657 BGB).35 Das marktbeherrschende Unternehmen verspricht den Rabatt oder Bonus als
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Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 f., 458 f.) „Hoffmann La Roche-Vitamine“; EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 731 (732 f.) „Michelin“; EuG, 17. 12. 2003, WuW/EU-R 777 (786 ff.) „Virgin/British Airways“ und EuGH, 15. 03. 2007, WuW/EU-R 1259 (1260 ff.) „British Airways“, zuvor Kommission, 14. 07. 1999, WuW/EU-V 391 (392 ff.) „Virgin/British Airways“; WuW/EU-R 323 (2325 ff.; 2332 ff.) „Tomra Systems u.a.“; BGH, 24. 02. 1976, WuW/E BGH 1429 (1429 f.) „Asbach-Fachgroßhändlervertrag“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807 ff.) „International Harvester“. 34 Zum Bsp.: EuGH, 17. 12. 1975, WuW/EWG/MUV 347 (370 f.) „Europäische Zuckerindustrie“, zuvor Kommission, 02. 01. 1973, WuW/EV 441 (454) „Europäische Zuckerindustrie“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3129 ff.) „Milchaustauschfuttermittel“; OLG Hamm, 11. 02. 1989, WuW/E OLG 4425 (4426 f.) „Theaterrabatte“. 35 Zum Bsp.: EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 643 (648 f.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (876 f.) „Michelin Niederlande“; EuGH, 19. 04. 2012, WuW/EU-R 2323 (2325 ff.; 2332 ff.) „Tomra Systems u.a.“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 f.) „Rama Mädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403
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Belohnung dafür, dass der Abnehmer einen bestimmten Umsatz tätigt. Eine im Vergleich dazu besondere Gestaltung liegt vor, wenn der Kunde gegen Gewährung eines erheblichen Preisnachlasses ein Leistungspaket, welches einen längerfristigen Bedarf im Voraus deckt, erwirbt.36 In diesem Fall spielt die Rabattzusage lediglich bei den Vertragsverhandlungen eine Rolle, indem das marktbeherrschende Unternehmen herausstellt, dass sein Angebot im Vergleich zum üblichen Preis erheblich reduziert ist. Der Vertrag selbst kommt von Beginn an zum ermäßigten Preis zustande. 2. Rechtsgeschäft und gesetzliches Verbot Das marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet sich zur Gewährung eines wettbewerbswidrigen Rabattes.37 Der Vertrag gibt dem Abnehmer unter der Bedingung, dass er sein Verhalten nach den vom Marktbeherrscher aufgestellten Vorgaben ausrichtet, einen Anspruch auf einen Preisnachlass bzw. eine Rückvergütung. Somit geht bereits von der Existenz dieser Vereinbarung eine Behinderung der Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens aus. Zudem bildet sie die Grundlage für eine wirtschaftliche Bindung und gegebenenfalls Diskriminierung einzelner Abnehmer. Der Zweck, sowohl des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV als auch der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB die Bedingungen für freien Wettbewerb zu erhalten,38 machen es daher erforderlich eine Rabattvereinbarung als verboten i. S. v. § 134 BGB anzusehen. 3. Auslegungsregel und Normzweckvorbehalt Vor einer möglichen Nichtigkeit infolge der Auslegungsregel des § 134 1. Halbsatz BGB ist zu prüfen, ob sich nicht aus dem Normzweck des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit b) und c) AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB eine anderweitige Rechtsfolgenanordnung herleiten lässt.39 Zu beachten ist, dass die Sanktion der Nichtigkeit oder einer anderen angemessenen Rechtsfolge nur soweit reichen kann, als ein Verbotsverstoß vorliegt.40 Verboten ist die missbräuchliche Gestaltung eines Rabatts. Deshalb ist zunächst die Rabattvereinbarung als solche zu untersuchen. Im Anschluss ist zu prüfen, welche Auswirkungen sich für das Rechtsgeschäft im Übrigen ergeben. (2407 ff.) „Fertigfutter“, zuvor BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1820 ff.) „Fertigfutter“. 36 Zum Bsp.: KG, 26. 06. 1985, WuW/E OLG 3656 (3657 ff.) „TUI-Partnerschaftsbonus“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4607 ff.) „Interlining“. 37 Siehe soeben S. 232 f. 38 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff., sowie S. 227 ff. 39 Zur Dogmatik des § 134 BGB siehe S. 104 ff. 40 Siehe S. 107 f.
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a) Interessenlage Ausgangspunkt ist das Ziel des Missbrauchsverbots, den horizontalen Leistungswettbewerb gegen Beschränkungen zu schützen und Verfälschungen des Preiswettbewerbs auf dem nachgelagerten Markt zu verhindern.41 Folglich bleiben die dahingehenden Interessen des Marktbeherrschers außer Betracht. Vielmehr gilt es, das Interesse der Wettbewerber an der Erhaltung wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit zu verwirklichen und das Vertrauen der Vertragspartner des Marktbeherrschers an der Durchführung geschlossener Verträge zu beachten. Zur Durchführung gehören sowohl die vertragsgemäße Erbringung der Hauptleistung als auch die Gewährung des Preisnachlasses entsprechend der vereinbarten Bedingungen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Diskriminierungen innerhalb der Gruppe der Abnehmer verboten sind.42 Da diese Ziele und Interessen teilweise konträr sind, ist zur Bestimmung der angemessenen Gestaltung der Rechtsfolge eine Bewertung und Abwägung durchzuführen. b) Gestaltungsmöglichkeiten In Betracht kommt die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung. Sie wäre damit zu rechtfertigen, dass auf diese Weise langfristige wirtschaftliche Bindungen der Abnehmer wirksam verhindert werden könnten. Der Schutz der Konkurrenten vor Verdrängungswettbewerb würde in diesem Fall höher gewichtet als das Interesse der Marktgegenseite an der Vertragsdurchführung.43 Als Gegenthese käme in Betracht, dem Vertrauensschutz der Vertragspartner des Marktbeherrschers Vorrang vor den Interessen von Wettbewerbern einzuräumen. Demnach blieben Rabattzusagen wirksam.44 Die Wettbewerber wären darauf zu verweisen, dass ihnen in Form von Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzklagen ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stünden.45 Darüber hinaus ist zu überlegen, ob ein Ausgleich der beteiligten Interessen durch eine ex nunc Nichtigkeit der Rabattklauseln gelingen könnte.46 Dadurch würde eine andauernde Verfälschung des Wettbewerbs beendet und zugleich das Vertrauen der Beteiligten auf den Bestand des bis dahin vollzogenen Vertrages geschützt werden. Insbesondere könnte der Abnehmer Ansprüche auf einen Rabatt oder Bonus realisieren, die er zum Zeitpunkt der Feststellung der Nichtigkeit bereits erworben hatte. Demgegenüber ist das Verfahren einer geltungserhaltenden Reduktion von vornherein nicht geeignet, eine angemessene Lösung herbeizuführen. Zwar könnte man überlange Bezugsperioden oder 41
Siehe S. 227 ff. Siehe S. 230 f. 43 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, § 19 GWB Rn. 1301; Jung, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 379. 44 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418 f. 45 Siehe S. 253 ff. 46 Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 672 f. 42
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überhöhte Rabattsätze auf ein wettbewerbsrechtlich unbedenkliches Maß reduzieren. Jedoch vermag eine derartige Gestaltung ihre Rechtfertigung allein in dem Bedürfnis nach Schutz des schwächeren Vertragsteils zu finden.47 Mit einem Rabatt verschafft der Marktbeherrscher dem anderen Teil aber lediglich einen Vorteil. Durch eine nachfolgende Ermäßigung des Rabattsatzes würde der Vertragspartner schlechter gestellt. Eine Schutzbedürftigkeit besteht daher nicht. Sie lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass infolge eines solchen Verfahrens der Anspruch auf die vertragliche Hauptleistung erhalten bliebe. Denn für die Beurteilung des Vertrages im Übrigen bietet § 139 BGB eine angemessene Lösung.48 Regelmäßig wird der hypothetische Wille des Marktbeherrschers auf Aufrechterhaltung des Vertrages auch ohne Rabattklausel gerichtet sein. Stimmt das mit dem hypothetischen Willen des Vertragspartners überein, bleibt der Vertrag betreffend die Hauptleistung wirksam. Ansonsten ist er nichtig. Mit einer geltungserhaltenden Reduktion würde man also lediglich ohne hinreichende Rechtfertigung in die Vertragsfreiheit eingreifen.49 Außerdem könnte es zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich der zulässigen Höhe des Rabattsatzes kommen. Diese Unsicherheit würde prinzipiell dem Marktbeherrscher nutzen. Er könnte dann praktisch risikolos die Missbrauchsgrenze ausloten, weil der Rabatt zumindest teilweise erhalten bliebe und in der Folge auch der Anreiz für die Abnehmer auf einen solchen zu spekulieren, nicht völlig wegfiele. Zu prüfen ist im Folgenden, ob eine Nichtigkeit der Rabattvereinbarung ex tunc oder ex nunc oder aber eine Aufrechterhaltung der Abrede die dem Normzweck des Verbots von Umsatz-, Treue- und Gesamtsortimentsrabatten angemessene Rechtsfolge darstellt. c) Wirksamkeit der Sanktion aa) Die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung (1) Wirkungen vor Gewährung des Rabatts Die Nichtigkeit einer Rabattzusage schließt nicht aus, dass das marktbeherrschende Unternehmen den Preisnachlass oder die Rückvergütung nicht auch ohne rechtliche Grundlage gewährt. Immerhin würde die Nichtigkeit aber dazu führen, dass der Abnehmer keinen vertraglichen Anspruch auf einen Rabatt erwürbe. Vorbehaltlich einer Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB bliebe er verpflichtet, den vollen Preis zu zahlen. Für den Vertragspartner wären damit eine erhebliche Unsicherheit und ein hohes Risiko verbunden. Er müsste gewissermaßen in „Vorleistung“ gehen, indem er einen hohen Umsatz mit dem Marktbeherrscher tätigt oder sich treu verhält. Ob er dafür die Belohnung bekäme, bliebe ungewiss. Er wäre, weil er den Rabatt nicht einklagen könnte, auf die freiwillige Gewährung des Preisnachlasses durch den Marktbeherrscher angewiesen. Nun ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der 47 48 49
Siehe S. 115 ff. Siehe im Einzelnen S. 246 ff. Siehe S. 115 ff.
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Marktbeherrscher an seine Zusage hält, selbst wenn sie nicht rechtlich verbindlich ist, sehr hoch. Es besteht ja ein geschäftliches Interesse daran, die Abnehmer durch Einsatz finanzieller Anreize zu binden.50 Jedoch besteht ein weiteres Risiko. Wenn im Laufe einer Referenzperiode eine Untersagungsverfügung einer Kartellbehörde ergeht oder ein Wettbewerber erfolgreich auf Unterlassung klagt, muss der Marktbeherrscher seine Rabattpolitik beenden, anderenfalls er durch Bußgeld oder Zwangsvollstreckung dazu gezwungen werden kann. Dem Marktbeherrscher wäre es als Folge der Nichtigkeit der Rabattvereinbarung verwehrt, sich auf eine vertragliche Verpflichtung zur Gewährung des Preisnachlasses und einer daraus folgenden Unmöglichkeit der Unterlassung zu berufen. Eine Kollision zwischen Unterlassungsanspruch von Wettbewerbern einerseits und Wirksamkeit von Verträgen mit der Marktgegenseite andererseits könnte nicht entstehen.51 Wären Rabattvereinbarungen dagegen wirksam, würde eine Unterlassungsklage keinen Erfolg haben können. Vom Normadressaten kann unmöglich verlangt werden, die Verträge zu erfüllen und sie zugleich nicht zu erfüllen.52 Die Nichtigkeit verhindert die faktische Gewährung von Rabatten, an denen die Vertragsbeteiligten ein Interesse haben, nicht. Der Abnehmer kann aber jedenfalls nicht im Sinne einer rechtlichen Bindung darauf vertrauen, dass der Marktbeherrscher sich an seine Zusage hält. Die Nichtigkeit von Rabattvereinbarungen ist Voraussetzung dafür, dass Wettbewerber mit Unterlassungsklagen überhaupt Erfolg haben können. Die Nichtigkeit missbräuchlicher Rabattvereinbarungen nach § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB vermag also einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung derartiger Wettbewerbsverfälschungen zu leisten. (2) Auswirkungen der Nichtigkeit auf ausgezahlte Rabatte Die Situation ändert sich, nachdem der Abnehmer den Rabatt erhalten hat. Der Preisnachlass wird entweder in Form einer Rückvergütung oder als Erlass i. S. v. § 397 BGB gewährt. Derartige Verfügungsgeschäfte sind als solche nicht verboten und daher wirksam. Ist aber die Rabattklausel nichtig, dann hat der Abnehmer die damit verbundene vermögenswerte Leistung ohne rechtlichen Grund erlangt. Es besteht ein Kondiktionsanspruch des Marktbeherrschers nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.53 Jedoch ist die Rückforderung des Marktbeherrschers als Leistendem aufgrund von § 817 S. 2 BGB analog54 ausgeschlossen, wenn er bewusst gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV oder der §§ 19 50
Siehe S. 225 f. Für den Fall der Kampfpreisunterbietung siehe S. 218. 52 Für den Fall der Kampfpreisunterbietung siehe S. 218. 53 Zur Befreiung von einer Verbindlichkeit als Kondiktionsgegenstand vgl. Schwab, in: MüKo BGB, § 812 Rn. 14; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 812 BGB Rn. 67. Im Fall der Rückvergütung wäre der gezahlte Betrag zu erstatten bzw. für den Fall, dass die Rückvergütung in der Eingehung einer neuen Verbindlichkeit besteht, Befreiung von dieser Verbindlichkeit zu gewähren. 54 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10. 51
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Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB verstoßen hat.55 In einem solchen Fall kommt auch ein Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB in Betracht, der allerdings mit der Voraussetzung sicherer Kenntnis von der fehlenden Leistungspflicht höhere Anforderungen stellt.56 Ein Verstoß der Abnehmer als Empfänger liegt dagegen keinesfalls vor, weil sich die Missbrauchsverbote nicht an sie richten. Da die Tatbestandsmerkmale eines Rabattmissbrauchs durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung57 weitgehend konkretisiert sind, ist für den Regelfall davon auszugehen, dass das marktbeherrschende Unternehmen die Rechtswidrigkeit seines Handelns kennt. Gleichwohl besteht in Grenzfällen eine Sicherheit dafür nicht.58 Jedoch ist zu beachten, dass § 817 S. 2 BGB – unabhängig von direkter oder analoger Anwendung – die Leistungskondiktion dann nicht ausschließt, wenn der Zweck des Verbotsgesetzes die Rückabwicklung gerade verlangt.59 Indes liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Das Verbot missbräuchlicher Rabattsysteme dient dazu, eine übermäßige wirtschaftliche Bindung der Abnehmer zu verhindern. Der Rabatt wird aber erst am Ende einer Bezugsperiode als Belohnung für vorausgegangenes Verhalten gewährt. Zur Zeit der Rückvergütung oder des Erlasses ist die Wettbewerbsverzerrung als Folge der Bezugskonzentration der Abnehmer bereits eingetreten.60 Daran kann auch die Rückzahlung des Rabatts nichts mehr ändern. Einem Anreiz in Erwartung zukünftiger Rabatte beim Marktbeherrscher zu beziehen, wirkt nicht etwa die Rückabwicklung zuverlässig entgegen, sondern nur eine den Marktbeherrscher verpflichtende Untersagungsverfügung oder ein entsprechendes Unterlassungsurteil.61 Auch zur Beseitigung einer Diskriminierung wäre die Rückforderung jedenfalls nicht durchgehend geeignet. Denn im Fall der Weitergabe des Preisvorteils an die nachfolgende Marktstufe könnten sich die Abnehmer gemäß § 818 Abs. 3 BGB – vorbehaltlich der verschärften Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB, die aber aufgrund der hohen Anforderungen62 kaum einmal eintreten dürfte – auf Entreicherung berufen.63 Das ist indes der typische Fall, ohne den eine Wettbewerbsverzerrung auf 55
Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 68 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 21 f. Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 BGB Rn. 4. 57 Siehe S. 225 f. 58 KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1985 ff.) „Rama Mädchen“; KG, 26. 06. 1985, WuW/E OLG 3656 (3657 ff.) „TUI-Partnerschaftsbonus“. Die Gerichte bejahten zwar leistungsfremdes Verhalten, verneinten aber eine i. S. d. Verbotstatbestandes ausreichende Marktwirkung. Diese Beispiele illustrieren, dass selbst in Fällen, in denen eine entsprechende wettbewerbsbeschränkende Wirkung feststellbar ist, dem marktbeherrschenden Unternehmen nachgewiesen werden muss, dass es die damit verbundene Marktwirkung erkannte oder hätte erkennen können und deshalb auf die Nichtigkeit seiner Verpflichtung zur Rabattgewährung hätte schließen können. 59 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 20 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10. 60 Zu den Wirkungen von Rabattsystemen siehe S. 225 und S. 227 ff. 61 Siehe dazu S. 255 ff. 62 Schwab, in: MüKo BGB, § 819 Rn. 2 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 6. 63 Insoweit handelt es sich nicht um ersparte Aufwendungen, weil der Großabnehmer ohne die vom Marktbeherrscher eingeräumten Rabatte seinerseits keine Preisvorteile weitergeben 56
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dem nachgelagerten Markt gar nicht vorläge. Eine Rückforderung ist also aufgrund §§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., 817 S. 2 analog BGB für den Fall eines bereits ausgezahlten Bonus oder einer Rückvergütung regelmäßig ausgeschlossen. Eine Rückforderung des Marktbeherrschers kommt nur in dem, wegen der hohen Anforderungen an einen Rechtsirrtum,64 eher seltenen Fall in Betracht, dass § 817 S. 2 BGB nicht analog anwendbar ist, weil der Normadressat nicht bewusst gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB verstoßen hat. Da aber der Marktbeherrscher den Preisnachlass freiwillig aus eigenem wirtschaftlichem Interesse gewährt hat, wird er ihn, unabhängig vom rechtlichen Anspruch, kaum einmal tatsächlich zurückfordern. (3) Zwischenergebnis Die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung leistet einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung des Verbots missbräuchlicher Rabattsysteme jedenfalls insoweit, als die Abnehmer während der Bezugsperiode nicht darauf vertrauen können, den zugesagten Preisnachlass tatsächlich zu erhalten. Nach Auszahlung der Rückvergütung oder Abschluss des Erlassvertrages steht einem Rückforderungsanspruch des Marktbeherrschers aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB regelmäßig § 817 S. 2 BGB analog, gegebenenfalls auch § 814 BGB, entgegen. Selbst wenn im Ausnahmefall diese Normen einmal nicht eingreifen, wird der Marktbeherrscher regelmäßig auf die Rückforderung verzichten. Aber auch dann ist die Nichtigkeit notwendig, damit eine Unterlassungsklage behinderter Wettbewerber nicht an der Unmöglichkeit der Unterlassungsverpflichtung scheitert. bb) Nichtigkeit ex nunc Eine Nichtigkeit ex nunc entspräche weitgehend der Rechtslage bis 1998. Vor der 6. GWB Novelle war es den Kartellbehörden gemäß § 19 GWB a. F. möglich, missbräuchliche rechtsgeschäftliche Vereinbarungen für unwirksam zu erklären. Die Unwirksamkeit trat aber nicht ex tunc, sondern nur ex nunc ein.65 Ein Unterschied ergäbe sich aufgrund der Reform von 1998 nur dahingehend, dass nun die Unwirksamkeit auch infolge einer Klage eines Wettbewerbers oder Abnehmers festgestellt werden könnte. Der wichtigste Unterschied zu einer Nichtigkeit von Beginn an ergibt sich daraus, dass sich ein, vor Feststellung der Unwirksamkeit erworbener Rabattanspruch vom Abnehmer auch dann durchsetzen ließe, wenn er den Preisnachlass noch nicht erhalten hat. Weil insoweit die Forderung vertraglich begründet ist, kann der Abnehmer auf Erfüllung klagen und auch geltend machen, dass ein könnte. Ein möglicherweise erhöhter Umsatz des Großabnehmers wäre jedenfalls nicht mehr als Bereicherung anrechenbar, da es sich um eine Leistung von Dritten handeln würde; vgl. zum Begriff der ersparten Aufwendungen Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 164 ff. 64 Siehe S. 154 ff. 65 Siehe S. 36 ff. und S. 110 ff.
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Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch eines Wettbewerbers insoweit unmöglich ist, als der vertragliche Anspruch besteht. Die Rabattvereinbarung würde einen Rechtsgrund für tatsächlich gewährte Rabatte oder Boni bilden. Dadurch wäre auch eine Rückforderung ausgeschlossen. Das entspräche in der praktischen Konsequenz weitgehend dem Ergebnis, welches sich bei anfänglicher Nichtigkeit aufgrund der Anwendbarkeit von § 817 S. 2 BGB analog ergibt.66 Soweit zum Zeitpunkt der Feststellung der Unwirksamkeit der Abnehmer die Voraussetzungen für den Erhalt des Preisnachlasses noch nicht erfüllt hat, erwirbt er auch in der Zukunft keine Ansprüche. Es ist festzustellen, dass der Abnehmer etwas besser gestellt wird als bei einer Nichtigkeit ex tunc, weil er erworbene Rabattansprüche realisieren kann. Das hätte z. B. Bedeutung in Fällen, in denen ein Jahresumsatzrabatt erst am Ende der Bezugsperiode gewährt werden soll, der Abnehmer aber bereits nach einigen Monaten die erste Rabattstufe erreicht und die Unwirksamkeit erst nach Erreichen dieser Schwelle festgestellt wird. Der Abnehmer könnte also realistisch damit rechnen, einen Preisnachlass, wenn auch nicht in vollem Umfang, zu erhalten. Zu rechtfertigen wäre diese Lösung mit dem vertraglichen Vertrauensschutz des Abnehmers,67 der sich bis zur Feststellung der Unwirksamkeit einer Rabattvereinbarung auf die zugesagten Vorteile verlassen und sein Verhalten danach ausgerichtet hat. Eine Nichtigkeit ex nunc beseitigt den wirtschaftlichen Anreiz für den Abnehmer, sich auf die Bindung einzulassen, nicht vollständig. Eintritt und Umfang der Nichtigkeit wären von dem mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt der Entdeckung des Verstoßes gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB abhängig. Die Sanktion ist also weniger wirksam als bei Nichtigkeit ex tunc. d) Die Interessen der Vertragspartner aa) Das Vertrauen auf den Erhalt des Rabattes Bedenken gegen eine Nichtigkeit der Rabattvereinbarung erwachsen daraus, dass die Vertragspartner einen vertraglichen Anspruch verlieren würden, obwohl sie sich selbst nicht rechtswidrig verhalten haben. Der Schutz ihres Vertrauens auf die Gültigkeit der Vertragsklausel wird enttäuscht. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass der Marktbeherrscher durch Erlass oder Rückvergütung den Abnehmern eine besondere Leistung zukommen lässt, für welche die Begünstigten keine Gegenleistung erbringen müssen. Der Vorwurf des Missbrauchs ergibt sich ja gerade daraus, dass der Rabatt nicht durch Kosten- oder sonst wirtschaftliche Vorteile ge66 Siehe soeben S. 236 f. Abweichungen ergeben sich nur dann, wenn § 817 S. 2 BGB analog aufgrund fehlender subjektiver Voraussetzungen beim Normadressaten ausnahmsweise einmal nicht eingreift oder der dem Abnehmer gewährte Vorteil in der Eingehung einer Verbindlichkeit besteht, die ihrerseits noch nicht erfüllt ist, so dass § 817 S. 2, 2. Halbsatz BGB eingreift. 67 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 104; Sack/Seibl, in: Staudinger BGB, § 134 Rn. 99, 102.
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rechtfertigt ist.68 Die Abnehmer haben sich diesen Vorteil also nicht durch eigene Leistung verdient, sondern erhalten ihn als Belohnung für Wohlverhalten gegenüber dem Marktbeherrscher. Allerdings kann daraus auch eine Belastung entstehen. Durch die Bezugskonzentration engen die Vertragspartner mehr oder weniger freiwillig ihren Verhaltensspielraum ein.69 Im Vertrauen auf den Rabatt verringern sie den Bezug bei Fremdanbietern, deren Preise im Vergleich zu denen des Marktbeherrschers ohne nachträglichen Erlass oder Rückvergütung möglicherweise günstiger wären. Erhalten diese Abnehmer den Preisnachlass dann nicht, erleiden sie als Folge der höheren Bezugskosten einen wirtschaftlichen Schaden. Soweit allerdings Abnehmer infolge der Nichtigkeit der Rabattabrede einen derartigen Schaden erleiden, können sie ihn gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 und 280 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen.70 Die vorvertragliche Pflichtverletzung des Marktbeherrschers besteht in der Nichtaufklärung über das Risiko der Nichtigkeit der Rabattvereinbarung.71 Eine solche Verletzung der Aufklärungspflicht liegt auch dann vor, wenn der Gesamtvertrag nur teilweise nichtig ist.72 Zu ersetzen ist das negative Interesse. Die Abnehmer sind so zu stellen, wie sie ohne die nichtige Rabattvereinbarung stehen würden.73 Hätten sie also ihre Nachfrage kostengünstiger decken können, erhielten sie dafür vollen Schadensausgleich. Voraussetzung ist, dass das marktbeherrschende Unternehmen die Pflichtverletzung gemäß § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten hat. Da der Marktbeherrscher die Umstände des Gesetzesverstoßes kennt, könnte ihn nur ein Rechtsirrtum entlasten.74 Aufgrund der gefestigten Rechtsprechung und Verwaltungspraxis dürfte ihm dieses Argument kaum einmal einen Ausweg bieten.75 Darüber hinaus trägt das marktmächtige Unternehmen aufgrund der Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB insoweit die Darlegungs- und Beweislast.76 Kannte der Abnehmer die Nichtigkeit oder musste er sie erkennen, dann ist der Schadensersatzanspruch regelmäßig wegen Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen oder zu versagen. In einem solchen Fall ist er jedoch auch nicht schutzbedürftig. Soweit der Vertragspartner Rabatte oder Boni bereits erhalten hat, wird er sie in aller Regel behalten können, weil die Leistungskondiktion des
68
Siehe S. 223 ff. Eine Behinderung liegt darin allerdings nicht, da die Abnehmer die Bindungen freiwillig aktzeptieren, siehe S. 231 f. 70 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21, 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74. ff. 71 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 75. 72 Für Verstösse gegen das Kartellverbot bereits Fikentscher, BB 1956, S. 793 (797). 73 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 80. 74 An einen solchen sind aber strenge Anforderungen zu stellen, siehe S. 154 ff. 75 Siehe S. 154 ff. 76 Ernst, in: MüKo BGB, § 280 Rn. 153. 69
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Marktbeherrschers regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB analog77 oder in Ausnahmefällen bereits nach § 814 BGB78 ausgeschlossen ist. Ihm entsteht insoweit also kein Schaden. bb) Das Vertrauen auf den Erhalt der Hauptleistung Im Hinblick auf das Vertrauen der Abnehmer auf Erhalt der Hauptleistung ist davon auszugehen, dass die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung den Bestand des Vertrages im Übrigen unberührt lässt. Es liegt insofern Teilnichtigkeit vor.79 Das Schicksal des restlichen Vertrages richtet sich nach § 139 BGB.80 Der Marktbeherrscher hat ein Interesse seine Leistungen abzusetzen. Deshalb wird sein Wille dahin gehen, den Vertrag auch ohne Rabattklausel aufrechtzuerhalten. Der Abnehmer behält, und das unterscheidet diese Fallgruppe von der Problematik der Nichtigkeit bei Verträgen im Rahmen von Niedrigpreisstrategien,81 seinen Anspruch auf die Leistung und in der Folge alle Sekundärrechte auch dann, wenn er den Vertrag ohne die Rabattzusage geschlossen hätte. Hätte er diesen Vertrag dagegen nicht geschlossen, träte nach § 139 BGB Gesamtnichtigkeit ein.82 Die Interessen der Abnehmer bleiben dadurch in jedem Fall gewahrt. Es gilt zu berücksichtigen, dass Rabatte nicht zwangsläufig nur positive Wirkungen für die Marktgegenseite mit sich bringen. In den Fällen, welche die Rechtspraxis beschäftigt haben, spielte häufig die Diskriminierung bestimmter, zumeist kleiner und mittlerer Abnehmer und damit einhergehend ein Zwang zur wirtschaftlichen Bindung eine maßgebliche Rolle.83 Eine Nichtigkeit von Rabattklauseln kann also für diejenigen Abnehmer Vorteile bringen, die durch eine Ungleichbehandlung schlechter gestellt sind als ihre Konkurrenten. Zum Beispiel hat im Falle eines Treuerabatts ein nicht treuer Abnehmer ebenso wie ein Wettbewerber des Marktbeherrschers ein Interesse daran, dass die treuen Abnehmer keinen Rabatt erhalten. Ob allerdings die Benachteiligung infolge der Diskriminierung den Vorteil der Verbilligung des Bezuges überwiegt und dazu führt, dass der betroffene Abnehmer lieber ganz auf Rabatt und Boni verzichten würde, ist eine Frage des Einzelfalles.
77 78 79 80 81 82 83
Siehe bereits S. 236 f. Siehe bereits S. 236 f. Zur Begründung im Einzelnen siehe S. 246 ff. Siehe allgemein S. 108 ff. und im Speziellen S. 246 ff. Zu Kampfpreisunterbietungen siehe S. 197 ff. Siehe S. 108 ff. Siehe im Einzelnen bereits S. 225 f. und S. 230 f.
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e) Der Schutz der Wettbewerber Von Gesamtumsatz-, Gesamtsortiments- und Treuerabatten geht eine erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkung aus.84 Gerade die Rabattvereinbarung ist ursächlich für die wirtschaftliche Bindung von Abnehmern und die Sogwirkung, die geeignet sind, Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Es ist also gerade ihre Existenz, welche die Wettbewerber in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt. Solange eine solche Vertragsklausel wirksam ist, dauert ein wettbewerbswidriger Zustand an. Je nach Länge der Bezugsperioden erstreckt sich die Wettbewerbsverfälschung über Monate oder Jahre. Wettbewerber könnten durch den Beseitigungsanspruch den Vollzug abgeschlossener Verträge nicht verhindern, da die Beendigung der Störung insoweit unmöglich wäre. Ein Unterlassungsanspruch hätte nur insoweit Aussicht auf Erfolg, als es darum ginge, die Vereinbarung neuer Rabattabreden zu verhindern.85 Den betroffenen Konkurrenten blieben nur die Duldung des Wettbewerbsverstoßes und die Geltendmachung von Schadenersatz. Sie wären also zur Passivität verurteilt und ihrer Rolle als aktive Marktteilnehmer beraubt. Dagegen würde die Nichtigkeit der Rabattvereinbarungen die Chancengleichheit in Bezug auf den Zugang zu allen Abnehmern erhalten. Zwar wäre das Problem der faktischen Gewährung von Rabatten außerhalb einer vertraglichen Grundlage damit noch nicht gelöst. Allerdings entfiele das Kollisionsproblem zwischen Wirksamkeit der Rabattvereinbarung und Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Wettbewerber könnten also durch Geltendmachung dieser Ansprüche den wettbewerbswidrigen Zustand tatsächlich beenden. Im Interesse der Wettbewerber ist eine Nichtigkeit ex tunc, weil diese Sanktion im Gegensatz zu einer Nichtigkeit ex nunc die Aussicht des Abnehmers darauf, den Rabatt tatsächlich zu erhalten, stärker verringert.86 Damit ist auch der wirtschaftliche Anreiz, eine faktische Bezugsbindung zu akzeptieren geringer. Falls der Rabatt, die Rückvergütung oder der Bonus gewährt wurden, erfordert der Schutz der Wettbewerber eine Rückabwicklung nicht. Das Ziel des Verbots ist die Verhinderung der Bindung. Soweit das gelingt, nutzt das dem Wettbewerber. Wenn allerdings der Abnehmer während der Referenzperiode seinen Bezug beim Marktbeherrscher konzentriert hatte, so kann dieses Wettbewerbsergebnis, auch wenn es verfälscht ist, nicht mehr mit Wirkung für die Vergangenheit revidiert werden.87 Der Nachteil für den Wettbewerber ist durch dieses Wettbewerbsergebnis, nicht aber durch die Gewährung des Preisnachlasses eingetreten. Ein Interesse an einer Rückabwicklung besteht nur aus präventiven Erwägungen. Die Abschreckung der Abnehmer wäre noch stärker, müssten sie den Rabatt zurückzahlen. Dem stehen aber bereicherungsrechtliche Erwägungen entgegen.88 Jedoch 84
Siehe S. 225 ff. Zu dem Zusammenhang zwischen Austauschverträgen und Unterlassungs- bzw. Beseitigungsklagen von Wettbewerbern siehe bereits S. 235 f. 86 Siehe S. 235 ff. 87 Siehe S. 235 ff. 88 Siehe S. 236 f. 85
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bewirkt andererseits die Versagung eines Rückforderungsanspruchs des Marktbeherrschers hinsichtlich gezahlter Rabatte eine Sanktionierung dessen missbräuchlichen Verhaltens. Er hat den Rabatt oder Bonus gezahlt und muss dann zusätzlich Schadensersatz an behinderte Wettbewerber zahlen.89 f) Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Rabattvereinbarungen können gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) und d) AEUV verstoßen. Durch in Aussicht stellen von Preisnachlässen versucht das rabattgewährende Unternehmen das Verhalten der Marktgegenseite im Sinne einer Konzentration des Bezugs zu beeinflussen. Lassen sich die Abnehmer darauf ein, kann kooperatives Verhalten vorliegen. Zwar fallen Austauschverträge gewöhnlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Entsteht aber aufgrund von Zusatzvereinbarungen eine langfristige, mindestens bindungsähnliche Geschäftsbeziehung von erheblichem Umfang, dann vermag eine solche Vereinbarung regelmäßig nach Art. 101 Abs. 2 AEUV verboten zu sein.90 Von Marktbeherrschern praktizierte Rabattsysteme verursachen eine Wettbewerbsverfälschung, die nicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freistellungsfähig ist. Im Falle von Jahresumsatz-, Treue- und Gesamtumsatzrabatten, die von einem Marktbeherrscher praktiziert werden, wird, wegen der langfristigen Bindung und dem bewussten Wohlverhalten der Abnehmer vielfach ein Verstoß sowohl gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) und d) AEUV als auch Art. 102 S. 2 lit. b) und c) AEUV vorliegen. Ist die Rabattvereinbarung aber nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten, so ist sie nach Art. 101 Abs. 2 AEUV zwingend ex tunc nichtig.91 Eine Beurteilung nach Art. 102 AEUV i. V. m. § 134 BGB darf insoweit nicht zu einem anderen Ergebnis führen.92 Es entspricht der Rechtssicherheit, auf eine Unterscheidung zwischen Fällen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUVund zugleich Art. 102 AEUVeinerseits oder nur gegen Art. 102 AEUV andererseits zu verzichten und stets Nichtigkeit missbräuchlicher Rabattvereinbarungen anzunehmen. Ohnehin dürften die Fälle, in denen sich die Anwendungsbereiche von Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 AEUV überschneiden, überwiegen. Für das Verhältnis von § 1 GWB zu den §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1, 3 GWB gilt dann nichts anderes.93 Rabattvereinbarungen wären nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB immer nichtig.94 Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten wäre dann auch bei Verstoß gegen §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1, 3 GWB Nichtigkeit nach § 134 BGB angemessen.
89 90 91 92 93 94
Zum Schadensersatz siehe S. 260 ff. Zu den Abgrenzungskriterien siehe S. 86 ff. Siehe S. 86 ff. Siehe S. 86 ff. Zur Parallelität der Beurteilungen siehe S. 86 ff. Siehe bereits S. 86 ff.
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g) Schlussfolgerung Die Nichtigkeit von Rabattvereinbarungen stellt eine Sanktion dar, die geeignet ist, der Praktizierung missbräuchlicher Rabattsysteme entgegenzuwirken. Der Anreiz des Abnehmers zum ausschließlichen oder überwiegenden Bezug beim Marktbeherrscher wird erheblich verringert, wenn er nicht sicher sein kann, den Rabatt tatsächlich zu erhalten. Andererseits ist zu beachten, dass eine tatsächliche oder mögliche Benachteiligung von Abnehmern nicht Ziel eines Gesetzes sein kann, dass den Wettbewerb wegen seiner positiven ökonomischen Ergebnisse schützen will.95 Ihr Vertrauen auf Einhaltung von Verträgen verdient Schutz, da sie sich selbst nicht rechtswidrig verhalten haben. Für die Wettbewerber indes stellen vertragliche Rabattsysteme wegen ihrer Verdrängungswirkung eine erhebliche Belastung dar. Bereits vor der 6. GWB Novelle konnten die Kartellbehörden missbräuchliche Rabattvereinbarungen gemäß §§ 22 Abs. 4, 19 Abs. 1 GWB a. F. für unwirksam erklären. Da im Rahmen der 6. GWB Novelle diese Befugnis der Kartellbehörden aufgehoben worden ist, würde ein Verzicht auf eine Nichtigkeit nach § 134 BGB, sei sie nun ex nunc oder ex tunc einen Rückfall hinter die Gesetzeslage vor der Reform bedeuten. Dabei hat sich der Prüfungsmaßstab als solcher, nämlich der Tatbestand des Missbrauchs durch Rabattsysteme nicht geändert. Es ergäbe sich also ein Widerspruch zum Reformziel, den Wettbewerb effektiver zu schützen. Eine Beurteilung missbräuchlicher Rabattvereinbarungen als wirksam scheidet bereits deshalb aus. Fraglich ist aber, ob eine Verschärfung in Form der generellen Nichtigkeit von Beginn an gerechtfertigt ist. Dafür spricht zunächst, dass der Gesetzgeber das Wettbewerbsprinzip stärken und den Schutz der Wettbewerbsfreiheit verbessern wollte.96 Das würde eine generelle Nichtigkeit der Vereinbarung von Umsatz-, Treueund Gesamtumsatzrabatten stützen. Die Konsequenzen einer Nichtigkeit von Rabattvereinbarungen sind für die Vertragspartner tragbar. Zunächst bezieht sich die Nichtigkeit nur auf die Rabattklausel. Eine Gesamtnichtigkeit des Vertrages wird aufgrund des § 139 BGB regelmäßig nicht eintreten. Der Abnehmer verliert, im Gegensatz zu den Fällen der Kampfpreisunterbietung über den Rabattanspruch hinaus keine weiteren vertraglichen Rechte. Darüber hinaus erlangt der Abnehmer den Vorteil des Rabattes, ohne dafür eine echte Gegenleistung erbringen zu müssen. Würde er nämlich eine Gegenleistung erbringen, dann handelte es sich um einen leistungsgerechten Rabatt, der von vornherein nicht wettbewerbswidrig wäre.97 Das Risiko des Eintritts wirtschaftlicher Nachteile wird aufgrund von § 817 S. 2 BGB analog und dem Anspruch auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB beinah vollständig ausgeschlossen. Darüber hinaus profitieren in Fällen diskriminierender Rabattsysteme zumindest die benachteiligten Abnehmer von der Nichtigkeit durch Wegfall ihrer Schlechterstellung im Vergleich zu ihren Konkurrenten. 95 96 97
Zum Normzweck der Missbrauchsverbote S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe zur 6. GWB Novelle S. 36 f und zur 7. GWB Novelle S. 42 ff. Zur Rechtmäßigkeit leistungsgerechter Rabatte S. 223 f.
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Im Gegensatz dazu droht den Wettbewerbern im Falle der Wirksamkeit missbräuchlicher, vertraglich abgesicherter Rabattsysteme eine Verdrängung vom Markt, ohne dass sie dagegen wirksam Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Eine Unterlassungs- oder Beseitigungsklage brächte nur einen bedingten Erfolg, weil zuvor vereinbarte Rabattzusagen im Rahmen wirksamer Verträge vollzogen werden dürften. Der Marktbeherrscher könnte also auf geschlossene Verträge verweisen und angesichts der Bindung mit Erfolg geltend machen, die sofortige Beendigung der Rabattpraxis sei unmöglich. Damit könnte das Rabattsystem für den zugesagten Berechnungszeitraum durchgeführt werden. Lediglich der Abschluss neuer Rabattvereinbarungen könnte untersagt werden. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Fällen der Kampfpreisunterbietung, wo es sich in der Mehrzahl der Fälle um einfache Austauschverträge handelt, die innerhalb kurzer Zeiträume, wenn nicht sogar sofort abgewickelt werden und typischerweise nur den kurzfristigen Bedarf eines Kunden decken.98 Lediglich die Aussicht auf Schadensersatz könnte den Wettbewerbern noch Rechtsschutz garantieren. Dabei stellen sich die Probleme der Verschuldensabhängigkeit und des Schadensnachweises.99 Daraus ergibt sich aber noch nicht zwingend die Antwort auf die Frage, ob die Nichtigkeit von Beginn an eintreten oder für den Fall einer Invollzugsetzung des Vertragsverhältnisses nur noch ex nunc feststellbar sein sollte. Gegen eine Beschränkung der Nichtigkeit ex nunc spricht zunächst, dass nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUVoder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB das Verhalten des Marktbeherrschers als von Beginn an verboten beurteilt wird. Soweit nach alter Rechtslage eine nur für die Zukunft wirkende Unwirksamkeitserklärung möglich war, hatte dies seine Ursache darin, dass der § 22 Abs. 4 GWB a. F. kein Verbot enthielt, sondern nur eine Missbrauchsaufsicht vorsah. Man ging davon aus, dass ein Missbrauch erst durch kartellverwaltungsrechtliches Verfahren festgestellt werden könne.100 Bis zu dieser Feststellung wurde das Verhalten des Marktbeherrschers aber als rechtmäßig beurteilt. Durch die 6. GWB Novelle, welche den privaten Rechtsschutz, der naturgemäß kein Verwaltungsverfahren voraussetzt, als gleichwertig einordnet,101 ist diese Sichtweise überholt. Unabhängig davon war bei Verstoß gegen § 26 Abs. 2 GWB a. F. (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) auch schon vor der 6. GWB Novelle die unmittelbare Anwendung des § 134 BGB und in der Folge eine Nichtigkeit ex tunc möglich. Die Begrenzung auf eine ex nunc Nichtigkeit für Dauerschuldverhältnisse wird allgemein nur bei besonderen Schwierigkeiten der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung oder zum Schutz eines der Vertragspartner, anerkannt.102 Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung ist aber ohnehin regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen. Die Vertragspartner werden dadurch und durch 98
Siehe S. 181 ff. Siehe S. 154 ff., sowie speziell zum Rabattmissbrauch S. 260 ff. 100 RegBegr zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. II/1158, S. 43 zu § 25. 101 Siehe S. 36 f. 102 Siehe S. 121 f. 99
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Schadensersatzansprüche sowie die Teilnichtigkeit hinreichend geschützt.103 Die für die Vertragspartner entstehenden Nachteile sind nicht so erheblich, dass eine Einschränkung der Effizienz der Sanktion geboten wäre. Vielmehr machen das Ziel des 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 und 3 GWB, die Wettbewerbsfreiheit in möglichst weitem Umfang zu erhalten und die Konkurrenten marktbeherrschender Unternehmen vor Verdrängung zu schützen, eine Durchsetzung des Verbots missbräuchlicher Rabatte mit Hilfe einer umfassenden Nichtigkeit von Vertragsklauseln, welche wettbewerbswidrige Umsatz-, Treue- oder Gesamtsortimentsrabatte festschreiben, erforderlich. Auf diese Weise wird auch eine Übereinstimmung mit einer, nach Art. 101 Abs. 2 AEUV zwingend eintretenden Nichtigkeit bei gleichzeitigem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 S. 2 lit. b) und c) AEUV erreicht.104 Vertragsklauseln, welche Gesamtumsatz-, Gesamtsortimentsoder Treuerabattvereinbarungen enthalten, sind gemäß Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, 134 BGB, sowie gegebenenfalls nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten und nach § 134 BGB bzw. Art. 101 Abs. 2 AEUV ex tunc nichtig. 4. Rechtsgeschäft als Ganzes und weitere Einzelverträge a) Begrenzte Nichtigkeit Ist die Rabattvereinbarung nichtig, so bleibt zu prüfen, wie sich diese Nichtigkeit auf den Vertrag im Übrigen auswirkt. Die Sanktion ist auf das Ziel der wirksamen Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen zu begrenzen.105 Darüber hinaus darf die Freiheit des Austauschs von Leistungen zwischen marktbeherrschendem Unternehmen und dessen Abnehmern nicht beeinträchtigt werden. Das Vertrauen der Abnehmer ist zu schützen. Der Marktbeherrscher darf, soweit er sich nicht rechtswidrig verhält, gleichberechtigt am Leistungswettbewerb teilnehmen. Der Austausch von Leistungen innerhalb eines Systems funktionsfähigen Wettbewerbs soll gefördert werden.106 Als Ausgangspunkt steht deshalb der Grundsatz, die Nichtigkeit auf die Rabattvereinbarung zu beschränken.107 Diejenigen Vertragsteile, von denen keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung ausgeht, sind dann grundsätzlich einer Aufrechterhaltung zugänglich.
103 Zum Bereicherungsrecht siehe S. 236 f. und zum Schutzbedürfnis der Vertragspartner S. 239 f.; zur Teilnichtigkeit siehe S. 246 ff. 104 Siehe S. 86 ff. 105 Siehe S. 104 ff. 106 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 107 Siehe S. 107 f.
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b) Rahmenverträge und einzelne Folgeverträge aa) Aufrechterhaltung von Rahmenverträgen Ist eine Rabattvereinbarung in Rahmenverträgen enthalten, die ein marktbeherrschendes Unternehmen inhaltsgleich zur Organisation des Vertriebes seiner Produkte gegenüber einer Vielzahl von Abnehmern einsetzt, so bleiben diese Rahmenverträge ohne die nichtige Rabattvereinbarung wirksam. Das folgt aus der bereits erörterten allgemeinen Erwägung, dass eine Anwendung von § 139 BGB in diesen Fällen nicht zu angemessenen Ergebnissen führen würde.108 Eine individuelle Beurteilung dieser Verträge ist aufgrund ihrer gleichförmigen, von der Einzelbeziehung zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer abstrahierenden Regelung nicht möglich. Die Sicherung des Vertriebssystems, sowie der Schutz und die Gleichbehandlung der Abnehmer stehen hier im Vordergrund.109 Das gilt sowohl bei Anwendung des Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB i. V. m. § 134 BGB als auch bei Anwendung des Art. 101 Abs. 2 AEUV. In beiden Fällen erfordert der Normzweck der Verbotsgesetze eine Begrenzung der Nichtigkeit, ohne dass § 139 BGB zur Anwendung kommt. bb) Folgeverträge Mit Folgeverträgen sind hier solche Rechtsgeschäfte gemeint, die auf Basis eines Rahmenvertrages zur Abwicklung von Einzellieferungen zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer geschlossen werden.110 Fraglich ist, ob die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung gemäß Art. 102 S. 2 lit. b) und c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB auf diese Verträge auszudehnen ist, um wirksamen Wettbewerbsschutz zu gewährleisten. Die Frage stellt sich ebenso bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV im Hinblick auf die Reichweite der Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV und auch im Hinblick auf eine Sanktionierung nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. Sieht man in diesen Verträgen Rechtsgeschäfte zur Durchführung der wettbewerbsbeschränkenden Rabattvereinbarung, muss man folgerichtig von deren Nichtigkeit ausgehen. Dafür spricht auch das Argument, dass sich der Abnehmer zum Abschluss dieser Verträge nur wegen der Aussicht auf den Rabatt eingelassen hat. Dann wäre die missbräuchliche Rabattzusage ursächlich dafür, dass er überhaupt mit dem Marktbeherrscher in Geschäftsverbindung tritt. Dass der Abnehmer in der Folge seinen Bedarf beim Marktbeherrscher gedeckt hat, stellt eine Behinderung anderer Wettbewerber insoweit dar, als dessen Kaufkraft gebunden wird. Die Kausalität zur Rabattvereinbarung ist indes nicht zwingend. Im Nachhinein wird selten mit Sicherheit festzustellen sein, ob der Abnehmer nicht einzelne oder alle Lieferverträge 108 109 110
Siehe S. 112 ff. Siehe S. 112 ff. Zum Begriff des Folgevertrages siehe S. 94 ff.
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auch ohne Rabattzusage abgeschlossen hätte. Des Weiteren sind diese Verträge bloße Austauschgeschäfte, die zwar Kaufkraft binden, sich aber isoliert betrachtet, nicht von jedem anderen Austauschgeschäft unterscheiden. Ein solcher reiner Leistungsaustausch ist weder nach Art. 102 AEUV, noch nach Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. §§ 1 oder 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB verboten.111 Anderenfalls würde es dem Marktbeherrscher unmöglich gemacht, seine Produkte überhaupt noch abzusetzen. Eine derartig weitgehende Sanktion ist nicht mehr verhältnismäßig. Denn nachdem der Austauschvertrag zustande gekommen und abgewickelt ist, ist die Wettbewerbsverfälschung abgeschlossen. Von einer Nichtigkeit dieser Verträge profitieren die Konkurrenten dann nicht mehr. Für sie steht im Vordergrund, dass der Anreiz zum Abschluss neuer Verträge durch Wegfall der Rabattvereinbarung verringert wird.112 Außerdem verdient das Vertrauen der Abnehmer auf die Durchführung geschlossener Folgeverträge Schutz.113 Selbst wenn man ihnen im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV oder auch § 1 GWB eine Mitwirkung an der Durchführung der wettbewerbsbeschränkenden Rabattvereinbarung zuschreibt, so darf doch nicht übersehen werden, dass die Initiative zur Etablierung und Realisierung des Rabattsystems vom Marktbeherrscher ausgeht. Daraus folgt, dass Einzellieferungsverträge, die in Durchführung von Rahmenverträgen zur Regelung eines Vertriebssystems abgeschlossen werden, weder selbst nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUVoder Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten sind, noch in untrennbarem Zusammenhang mit der wettbewerbsbeschränkenden Rabattklausel stehen.114 Sie sind deshalb weder nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. §§ 1 GWB i. V. m. 134 BGB, noch nach Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig. (1) Anwendbarkeit von § 139 BGB Die Einzellieferungsverträge bilden aufgrund der Bezugnahme auf den Rahmenvertrag mit diesem ein einheitliches Rechtsgeschäft.115 Ist dieses Rechtsgeschäft in Bezug auf eine Rabattvereinbarung teilnichtig, muss in der Folge die Anwendbarkeit von § 139 BGB geprüft werden.116 Der Normzweck des Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB oder aber des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. des § 1 GWB könnte erfordern, die Verträge zwischen Abnehmer und 111
Allgemein S. 50 ff und S. 61 ff. und S. 86 ff. Siehe S. 242 f. 113 Zum Vertrauensschutz siehe S. 239 ff. 114 Siehe S. 94 ff. 115 Im Verhältnis eines Rahmenvertrages zu einzelnen Folgeverträgen bedarf diese Frage einer Prüfung im Einzelfall. Voraussetzung ist eine rechtliche, nicht nur wirtschaftliche Einheit. Maßgebend ist insoweit der übereinstimmende Parteiwille: BGH, 23. 07. 1997, WuW/E BGH 3147 (3149) „Benetton-Schockwerbung“; allgemein zu den Kriterien der Feststellung eines einheitlichen Rechtsgeschäfts Busche, in: MüKo BGB, § 139 BGB Rn. 16 ff.; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 36 ff. 116 Siehe S. 108 ff. 112
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Marktbeherrscher immer als teilnichtig zu behandeln, ohne dass es nach § 139 BGB auf den hypothetischen Parteiwillen ankäme. Diese Annahme wäre gerechtfertigt, falls eine zwingende Schutzbedürftigkeit der Abnehmer vorläge.117 Die Anwendung von § 139 BGB könnte Gesamtnichtigkeit zur Folge haben. Der Abnehmer würde alle vertraglichen Ansprüche gegen seinen Willen verlieren, hätte er zwar den Liefervertrag auch ohne Aussicht auf Rabatt geschlossen, der Marktbeherrscher aber nicht. Diese Situation wird aber regelmäßig nicht eintreten. Der Marktbeherrscher will den Abnehmer an sich binden. Er setzt dazu den Rabatt ein. Hätte der Abnehmer die Verträge auch ohne Aussicht auf Rabatt geschlossen, entspräche ein solcher Vertragsschluss dem wohlverstandenen Interesse des Marktbeherrschers.118 Sollte er einmal aus geschäftlich nicht nachvollziehbaren Gründen, etwa um Druck auf die Abnehmer auszuüben, geltend machen, er hätte den Vertrag nicht geschlossen, so kann er sich mit dieser Argumentation nicht von dem Rechtsgeschäft lösen. § 139 BGB fragt zwar nach dem subjektiven Willen. Jedoch wird dessen Anerkennung insoweit eingeschränkt, als dass seine Ausübung aus Sicht eines objektiven Betrachters vernünftig sein muss.119 Der hypothetische Wille darf also vor allem nicht willkürlich, schikanierend oder aus der Verfolgung rechtswidriger Zwecke motiviert sein.120 Folglich führt die Anwendung des § 139 BGB regelmäßig zur Aufrechterhaltung der Verträge ohne missbräuchliche Rabattklausel. Ein Scheitern dessen aufgrund des hypothetischen Willens des Marktbeherrschers käme nur in seltenen, atypischen Ausnahmefällen in Betracht. Eher noch steht der hypothetische Wille des Abnehmers entgegen, der in seinem Vertrauen auf den Erhalt des Rabatts enttäuscht wird. Dann aber entspricht die Anwendung von § 139 BGB gerade seinen Interessen. (2) Auswirkung der Anwendung von § 139 BGB Im Falle der Teilnichtigkeit kommt es gemäß § 139 BGB darauf an, ob nach dem übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen der Vertrag auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre.121 Wenn danach nur ein Beteiligter den Vertrag nicht geschlossen hätte, träte Gesamtnichtigkeit ein. Hätte der Abnehmer einen Liefervertrag ohne Aussicht auf den Rabatt überhaupt nicht geschlossen, würde nach § 139 BGB Gesamtnichtigkeit eintreten. Falls der Vertrag noch nicht durchgeführt wurde, entfällt die Verfälschung des Wettbewerbs. Ist der Leistungsaustausch bereits erfolgt, müsste eine Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht stattfinden. Die Saldotheorie käme nicht zur Anwendung, weil dann der Marktbeherrscher wirtschaftlich besser stehen würde als bei Gültigkeit der Rabattvereinbarung.122 Denn in 117
Siehe S. 114. Siehe S. 231. 119 Siehe S. 108 f. 120 Siehe S. 108 f. 121 Siehe S. 108 f. 122 Zur Einschränkung der Saldotheorie auch Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 216; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 42; zu den Rechtsfolgen nach Bereicherungsrecht siehe 118
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die Berechnung des Saldos müsste der wahre Wert der Leistung ohne Preisnachlass eingestellt werden. Die Rückabwicklung muss deshalb entsprechend der Zweikondiktionentheorie erfolgen. Jeder Teil hat dann die empfangene Leistung zurück zu gewähren. Damit verbundene Schäden, etwa wegen entstandener Kosten, könnte der Abnehmer über einen Schadensersatzanspruch nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über die Nichtigkeit der Rabattvereinbarung ersetzt verlangen.123 Denn die Gesamtnichtigkeit tritt als unmittelbare Folge dessen ein. Hätte der Abnehmer den Folgevertrag auch ohne Aussicht auf den Rabatt geschlossen, bleibt dieser Vertrag gemäß § 139 BGB wirksam. Schließlich hat auch der Marktbeherrscher ein Interesse am Bestand des Vertrages.124 Dass der Abnehmer seinen Bedarf insoweit beim marktbeherrschenden Unternehmen deckt, geht zwar auch zu Lasten der Konkurrenten. In diesem Fall ist aber die Rabattklausel überhaupt nicht ursächlich für die Eingehung der Geschäftsbeziehung. Da aber die Rabattvereinbarung in jedem Fall nichtig ist, muss der Abnehmer den vertraglich vereinbarten Preis ohne Nachlass zahlen. Eine Wettbewerbsverfälschung liegt dann nicht vor. Die Anwendung von § 139 BGB zur Beurteilung der Folgeverträge führt also zu angemessenen Ergebnissen. c) Sukzessivlieferungsverträge Die soeben entwickelte Lösung ist auf andere vertragliche Gestaltungen, die Rabattvereinbarungen enthalten, entsprechend anzuwenden. Denn es gilt die Verbote des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB bzw. auch der Art. 101 Abs. I AEUV und § 1 GWB wirksam durchzusetzen. Umgehungsmöglichkeiten darf es nicht geben. Im Rahmen eines Sukzessivlieferungsvertrages erhält der Abnehmer die Option, entsprechend seinem Bedarf Einzellieferungen beim Marktbeherrscher abzurufen, ohne dass die Gesamtabnahmemenge bei Vertragsschluss bereits feststeht.125 Es liegt also nur ein Vertrag vor. Die Zusage eines Erlasses oder einer Rückvergütung bei Erreichen bestimmter Umsatzmengen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ist nichtig.126 Das schließt Treuerabatt- und Gesamtumsatzrabattvereinbarungen mit ein. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Marktbeherrscher diese vertragliche Gestaltung gleichförmig zur Organisation seines Vertriebssystems verwendet. Ist das der Fall, bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam.127 Einzellieferungen aufgrund Ausübung des Optionsrechts S. 236 f.; zur parallelen Problemstellung im Zusammenhang mit der Kampfpreisunterbietung siehe S. 194 ff. 123 Zum Schadensersatzanspruch wegen Nichtaufklärung über die (Teil-)Nichtigkeit von Verträgen siehe bereits S. 239 ff. 124 Zu den mit Rabattsystemen verfolgten Zielen siehe S. 225 ff. 125 Siehe bereits S. 232 f.; unter Umständen tritt eine Überschneidung mit ausschließlichen Bezugsbindungen ein, siehe dazu S. 327 f. 126 Siehe im Einzelnen S. 244 ff. 127 Siehe S. 247.
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von Seiten des Abnehmers sind, einschließlich der möglichen bereicherungs- und schadensrechtlichen Folgen, wie Folgeverträge nach § 139 BGB zu beurteilen.128 Werden die Sukzessivlieferungsverträge individuell ausgehandelt, sind sie über die Frage der nichtigen Rabattklausel hinaus nach § 139 BGB zu beurteilen. d) Auslobung Verspricht der Marktbeherrscher außerhalb der vertraglichen Lieferbeziehungen dem Abnehmer einen Rabatt für das Erreichen eines bestimmten Umsatzzieles, so ist ein solcher in Form einer Auslobung geschlossener Vertrag insgesamt nichtig. Denn einziger Inhalt des Vertrages ist eine nach Art. 102 S. 2 lit. b) und c) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB oder auch nach Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB verbotene Rabattvereinbarung. Die Lieferverträge werden, ebenso wenig wie Folgeverträge von der Nichtigkeit erfasst.129 Fraglich ist jedoch, ob nicht wegen des engen Zusammenhanges die Auslobung und die Lieferverträge ein einheitliches Geschäft mit der Folge der Anwendbarkeit des § 139 BGB darstellen. Voraussetzung dafür ist eine über eine wirtschaftliche Nähebeziehung hinausgehende, dem Willen der Beteiligten entsprechende rechtliche Verbindung.130 Wirtschaftlich betrachtet, setzt die Rabattzusage den Anreiz für nachfolgende Bestellungen des Abnehmers. Ein rechtlicher Zusammenhang besteht, weil Bestand und Höhe der in der Auslobung zugesagten Rückvergütung unmittelbar von den bestellten und durchgeführten Lieferungen abhängig sind. Dieser Zusammenhang ist sowohl vom Marktbeherrscher als auch vom Abnehmer gewollt. Im Ergebnis ist also das Schicksal der Lieferverträge, einschließlich der bereicherungs- und schadensrechtlichen Folgen nach § 139 BGB zu beurteilen. Damit wird das gleiche Ergebnis wie bei Folgeverträgen erreicht, die zur Durchführung einer Rahmenvereinbarung geschlossen worden sind.131 e) Vorherige Rabattgewährung Eine Sonderkonstellation besteht, wenn bereits bei Vertragsschluss ein Leistungsumfang festgelegt wird, der einen längerfristigen Bedarf des Abnehmers deckt.132 Wegen der großen Bezugsmenge erhält der Abnehmer einen Preisnachlass. Solche Verträge sind weniger geeignet, den Wettbewerb zu verfälschen als Umsatzrabattsysteme, weil der Abnehmer sich nur insoweit verpflichten wird, als er konkret vorauszuplanen bereit ist. Bei diesen Verträgen ist eine Trennung zwischen Rabattvereinbarung und dem Austausch der Hauptleistungen nicht möglich. Denn 128 129 130
50 ff. 131 132
Siehe S. 247 ff. Siehe S. 247 ff. Busche, in: MüKo BGB, § 139 Rn. 18 ff.; Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 39, 45, Siehe S. 247 ff. Siehe S. 225 f.
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der Vertrag wird unmittelbar zum ermäßigten Preis geschlossen.133 Es handelt sich wegen des Umfanges und der längerfristig Bedarfsdeckung auch nicht um bloße, nicht wettbewerbsverfälschende Austauschverträge. Zur wirksamen Durchsetzung des Art. 102 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB tritt wie in den anderen Fällen missbräuchlicher Rabatte Nichtigkeit ein. Wegen der Unteilbarkeit des Vertrages tritt unmittelbar Gesamtnichtigkeit ein.134 Damit wirkt die Sanktion umfassender als bei anderen Fällen missbräuchlicher Umsatzrabatte. Das ist allerdings keine Folge einer strengeren Anwendung der Art. 102 AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1, 3 GWB, sondern ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass Verträge nur soweit aufrechterhalten werden können als die verbleibenden Bestimmungen eine sinnvolle Regelung ergeben.135 Für die Nichtigkeit dieser Verträge sprechen zunächst die bereits zu den Rabattvereinbarungen erörterten Gesichtspunkte.136 Des Weiteren wird auf diese Weise eine Umgehung der Nichtigkeit derartiger Rabattvereinbarungen durch vorherige Festlegung von (Mindest-)Bezugsmengen vermieden. Demgegenüber könnte der Schutz der Abnehmer einer Nichtigkeit entgegenstehen.137 Da allerdings häufig zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegen wird, ist die Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV zwingend.138 Aus diesem Grund scheidet auch eine Einschränkung auf eine ex nunc Nichtigkeit aus. Allerdings bietet insoweit das Bereicherungsrecht hinreichenden Schutz. Der Marktbeherrscher kann gewährte Leistungen wegen § 817 S. 2 BGB analog, gegebenenfalls auch § 814 BGB, regelmäßig nicht zurückfordern.139 Außerdem dürfte auf Seiten der Abnehmer häufig der Einwand der Entreicherung durchgreifen. Da die Saldotheorie keine Anwendung findet,140 kann der Abnehmer seine Gegenleistung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern. Er wird dadurch hinreichend geschützt. Nur soweit ein i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV bewusster Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vertikalvereinbarungen vorliegt, kann die Rückforderung nach § 817 S. 2 BGB auch für den Abnehmer ausgeschlossen sein. Soweit Leistungen zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer noch nicht ausgetauscht wurden, steht es den Parteien frei, einen neuen Vertrag zu wettbewerbsgemäßen Bedingungen zu schließen. Entstehen dem Abnehmer durch die Nichtigkeit Schäden, insbesondere in Form besonderer Kosten oder entgangener günstiger Geschäfte, so kann er sie nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB ersetzt verlangen.141 133 Vgl. z. B. den Sachverhalt in OLG Düsseldorf, 13. 02. 1990, WuW/E OLG 4601 (4601 ff.) „Interlining“; Lange, WuW 2002, S. 220 (224); siehe auch S. 225 f. 134 Siehe S. 108 f. 135 Siehe S. 108 f. 136 Siehe S. 234 ff. 137 Siehe S. 239 ff. 138 Siehe S. 86 ff. 139 Siehe auch S. 236 ff. 140 Siehe S. 249 f. 141 Siehe auch S. 239 ff.
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5. Ergebnis § 134 BGB erfordert nur die Nichtigkeit der wettbewerbswidrigen Rabattklausel. Rahmenverträge zur Regelung von Vertriebssystemen bleiben im Übrigen wirksam. Einzelne Lieferverträge, die als Folgeverträge derartiger Rahmenverträge geschlossen werden, sind nach § 139 BGB zu beurteilen. Sukzessivlieferungsverträge werden gemäß § 139 BGB danach beurteilt, ob und inwieweit sie auch ohne die Aussicht auf einen Rabatt geschlossen worden wären. Rabattvereinbarungen in Form separater Auslobungsverträge sind nichtig. Die Wirksamkeit damit im Zusammenhang stehender Einzellieferungsverträge beurteilt sich nach § 139 BGB. Austauschverträge, in denen sich ein Abnehmer zum Bezug längerfristig bedarfsdeckender, bei Vertragsschluss mengenmäßig festgelegter Leistungen gegen Preisnachlass verpflichtet, sind bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV oder Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder jeweils in Verbindung mit § 134 BGB nichtig.
V. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz 1. Persönliche Betroffenheit a) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt Jedes der genannten Rabattsysteme ist geeignet, zu einer Verdrängung von Wettbewerbern und zur Errichtung von Marktzutrittsschranken zu führen. Das Verbot missbräuchlicher Rabattsysteme hat die Aufrechterhaltung des horizontalen Leistungswettbewerbes zum Ziel.142 Dieses Ziel schließt den Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit von Konkurrenten ein.143 Es ist deshalb erforderlich solchen Unternehmen individuellen Rechtsschutzes nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3, sowie Abs. 3 GWB zu gewähren, die auf dem beherrschten Markt als aktuelle Konkurrenten auftreten oder als potentielle Konkurrenten auftreten wollen. b) Wettbewerber auf Drittmärkten Des Weiteren wendet sich das Verbot von Gesamtumsatzrabatten gegen den Transfer von Marktmacht auf Drittmärkte. Dort tätige Unternehmen werden von der Sogwirkung, die aus der Zusammenrechnung der Rabatte für verschiedene Leistungen ausgeht, auch dann nachteilig in ihrer wirtschaftlichen Betätigung betroffen, wenn sie nicht auf dem beherrschten Markt aktiv sind.144 Diese Wettbewerber- und Wettbewerbsbeeinträchtigungen sind direkte Folge des Einsatzes von Marktmacht. 142 143 144
Siehe S. 227 ff. Siehe S. 227 ff.; vgl, auch Meessen, S. 330. Siehe S. 229 f.
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Sowohl Verwaltungspraxis als auch Rechtsprechung haben anerkannt, dass Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB dem umfassenden Schutz des freien Leistungswettbewerbes nicht nur auf dem beherrschten, sondern auch solchen Märkten dienen, auf die sich die Beherrschung auswirkt.145 Deshalb ist solchen Konkurrenten Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB zu gewähren, die auf einem Drittmarkt Wettbewerber des Marktbeherrschers sind und dort durch ein missbräuchliches Gesamtumsatzrabattsystem behindert werden. Das gleiche gilt dann natürlich auch für Unternehmen, die sowohl auf dem beherrschten als auch auf dem dritten Markt als Wettbewerber auftreten. Die Marktbeherrschung muss nicht auf dem Drittmarkt bestehen. Es genügt, wenn sich deren Einsatz dort nachteilig auswirkt.146 Eine Sonderkonstellation ergibt sich, wenn ein Wettbewerber seinerseits auf dem Drittmarkt marktbeherrschend ist. In diesem Fall treten zwei Unternehmen in Konkurrenz zueinander, die auf jeweils unterschiedlichen Märkten marktbeherrschend sind. Verhält sich eines der Unternehmen durch Praktizierung eines missbräuchlichen Gesamtumsatzrabattsystems wettbewerbswidrig, so wird die wirtschaftliche Betätigung des den Drittmarkt beherrschenden Unternehmens nachteilig betroffen. Auch dieses Unternehmen kann dann Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB in Anspruch nehmen. Dieses Problem wird im Zusammenhang mit Kopplungsgeschäften näher dargestellt.147 c) Abnehmer des Marktbeherrschers Grundsätzlich profitieren Abnehmer von Rabattsystemen. Soweit sie in ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht beeinträchtigt werden, bedürfen sie keines Rechtsschutzes. Wirtschaftliche Nachteile erleiden aber solche, zumeist kleine und mittlere Abnehmer, die durch geringere Rabattsätze gegenüber Großabnehmern in sachlich nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt werden.148 Gleiches gilt für untreue im Verhältnis zu treuen Abnehmern.149 Der Zweck des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB zielt auf eine umfassende Sicherung des durch Marktmacht gefährdeten Leistungswettbewerbes. Dazu zählt auch das Ziel, Wettbewerbsverfälschungen auf nachgelagerten Märkten entgegenzuwirken.150 Diskriminierte Abnehmer zählen deshalb zu den i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB beeinträchtigten Marktbeteiligten.151 Die Wahrnehmung individuellen Rechtsschutzes dient hier zugleich der Wahrung berechtigter Eigeninteressen und der Aufrechterhaltung des freien Wettbewerbs. Die Frage, ob individueller Rechtsschutz 145 146 147 148 149 150 151
Siehe S. 227 ff. und allgemein zu Drittmarktbehinderungen siehe S. 52 ff. Siehe S. 229 f. Siehe S. 293 ff. Siehe S. 230 f. Siehe S. 230 f. Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Ebenso Meessen, S. 330.
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auf Angehörige weiterer nachgelagerter Marktstufen zu erstrecken ist, stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Potentielle Abnehmer eines durch hohe Rabatte begünstigten Wiederverkäufers werden nicht rechtserheblich nachteilig betroffen. Kommt es zu einer unter Umständen nur teilweisen Weitergabe des Preisnachlasses profitieren sie zunächst davon. Ist langfristig eine Abschwächung des Angebotswettbewerbes festzustellen, kann daraus kein Rechtsschutz abgeleitet werden. Denn es gibt keinen Anspruch auf Wettbewerb.152 2. Sachliche Betroffenheit Wettbewerber und Abnehmer werden aber in verschiedener Weise nachteilig betroffen. Für die Erstgenannten steht die Verdrängung vom Markt im Vordergrund,153 für die zweitgenannten der Aspekt der Diskriminierung.154 Folglich unterscheiden sich die Anspruchsinhalte im Ausgangspunkt. Wettbewerber können gegen die Praktizierung von missbräuchlichen Rabattsystemen vorgehen und Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz verlangen. Abnehmer können dagegen grundsätzlich nicht verlangen, dass die Praktizierung eines Rabattes eingestellt wird. Durch den Preisnachlass als solchen haben sie nur Vorteile.155 Ihnen können Nachteile lediglich aus einer Ungleichbehandlung156 entstehen. Ihr Begehren kann sich daher lediglich auf die Beseitigung oder Unterlassung einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung bzw. auf den Ausgleich eines infolge dessen erlittenen Schadens richten. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Normadressat das Recht hat zu wählen, auf welche Weise er die Diskriminierung beendet.157 Nur wenn es für ihn lediglich eine Möglichkeit gibt, sich rechtmäßig zu verhalten, entfällt das Wahlrecht. Das bedeutet auch, dass, wenn der Marktbeherrscher ein nicht diskriminierendes Rabattsystem praktiziert, lediglich die Wettbewerber, nicht aber die Abnehmer Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB in Anspruch nehmen können. 3. Inhalt des Unterlassungsanspruchs a) Tatbestand Es ist zwischen Gesamtumsatz-, Treue- und Gesamtsortimentsrabatt zu differenzieren. Ein missbräuchlicher Gesamtumsatzrabatt liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen über einen erheblichen Zeitraum hinweg eine bestimmte 152 153 154 155 156 157
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 225 ff. Siehe S. 230 f. Zu dem Umstand, dass eine Behinderung nicht vorliegt, siehe S. 231. Siehe S. 230 f. Zum Diskriminierungsverbot siehe S. 458 ff.; siehe auch S. 140 f.
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Leistung an Abnehmer abgibt und bei Erreichen von festgelegten Absatzmengen einen Preisnachlass gewährt, der mit zunehmender Menge progressiv ansteigt.158 Diese drei Elemente, Umfang der Leistung, Zeitraum und darauf bezogener Preisnachlass bilden den Tatbestand des verbotenen Verhaltens. Bei einem Treuerabatt kommt die Treuevereinbarung als weiteres Element hinzu.159 Beim Gesamtsortimentsrabatt ändert sich die Berechnungsgrundlage des Preisnachlasses dahingehend, dass mehrere, verschiedenen Märkten zugehörige Leistungen des Marktbeherrschers bei der Berechnung der Absatzmenge auf Seiten des Abnehmers zusammen gezählt werden dürfen.160 Diese Besonderheiten sind, da sie den materiellen Verbotstatbestand verändern, bei der Formulierung von Unterlassungsklageanträgen entsprechend zu berücksichtigen. b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt aa) Umsatzrabatt (1) Die Bestimmung der Leistung Da sich der Rabatt nur auf den Preis desjenigen Produktes oder derjenigen Leistung bezieht, für die der Normadressat marktbeherrschend ist, stellen sich keine besonderen Probleme. Diese Leistung ist konkret zu bezeichnen. Dadurch wird das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO gewahrt. Die Gefahr einer Umgehung ist praktisch ausgeschlossen. Der Marktbeherrscher strebt eine langfristige Bindung der Abnehmer gerade im Hinblick auf seine, auf dem beherrschten Markt angebotenen Leistungen oder Produkte an. Er kann sie also, will er dieses Ziel erreichen, nicht substituieren. (2) Die Referenzperiode Praktiziert ein Marktbeherrscher ein Jahresbonussystem,161 dann kann ein dadurch behinderter Wettbewerber verlangen, dass der Normadressat verurteilt wird, es zu unterlassen, den Preisnachlass auf Basis des Jahresumsatzes zu berechnen. Dann allerdings wäre es möglich, dass der Marktbeherrscher auf einen Berechnungszeitraum von einem halben oder dreiviertel Jahr oder gar 11 Monaten ausweicht. Ein solches Urteil ist also kaum geeignet effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Die Praxis zeigt, dass bereits über mehr als drei Monate praktizierte Umsatzrabatte erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkungen haben können.162 Demgegenüber 158
Siehe S. 225 f. Siehe S. 226. 160 Siehe S. 227 f. 161 Der Zeitraum von einem Jahr ist ein Beispiel. Die Ausführungen gelten für andere Zeiträume entsprechend. 162 Kurze Zeiträume führen dagegen nicht zu einer hinreichenden Verschlechterung der Marktstruktur, die Grenze dürfte bei drei Monaten liegen, vgl.: EuG, 30. 09. 2003, WuW/EU-R 159
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gibt es kein rechtlich anerkanntes Interesse des Marktbeherrschers, wettbewerbswidrige Rabatte und Boni gewähren zu dürfen. Allerdings darf er kurzfristige, nicht wettbewerbsschädliche Rabattaktionen durchführen.163 Folglich kann nach § 33 Abs. 1 S. 1 GWB i. V. m. Art. 102 AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB die Unterlassung jeglicher Überschreitung der höchstzulässigen Dauer der Bezugsperiode, von im Regelfall drei Monaten, verlangt werden. Das führt nicht zu einer unangemessenen Einschränkung der Handlungsfreiheit des Marktbeherrschers. Denn erstens bleibt es ihm unbenommen weiterhin Rabatte zu gewähren, die aufgrund Kosteneinsparung oder besonderer Gegenleistung sachlich gerechtfertigt sind. Zweitens können kurzfristige Umsatzrabatte nicht untersagt werden, soweit sie keine spürbare Wirkung auf den Wettbewerb haben. (3) Das Gewähren des Rabattes Die konkrete Verletzungshandlung beinhaltet das in Aussicht stellen einer Vergünstigung, welche auf einem bestimmten Berechnungsschema beruht, das Mindestbestellmengen, Rabattsätze und deren Staffelung beinhaltet.164 Würde man nur die konkrete Art der Berechnung untersagen, bestünde die Möglichkeit der Verbotsumgehung durch geringfügige Änderung einzelner Berechnungsfaktoren. Andererseits kann auch nicht jeder Rabatt untersagt werden, weil leistungsgerechte oder geringfügige Rabatte zulässig sind.165 Preisnachlässe, die aber an eine Mindestabnahmemenge anknüpfen und eine prozentuale Rabattstaffelung vorsehen, sind in jedem Fall rechtswidrig, weil sie sich als Belohnung für den Verzicht des Bezugs von Konkurrenzprodukten darstellen.166 Daher kann allgemein Unterlassung jeglicher Form solcher Rabattsysteme verlangt werden, die unter Zugrundelegung einer steigenden Rabattstaffelung als entscheidendem Kriterium an die Abnahme bestimmter Mengen in bestimmten Zeiträumen anknüpfen. Der Unterlassungsklageantrag muss sich also nicht darauf beschränken, das konkret angewandte oder ähnliche Berechnungsschemen zu untersagen.167 Vielmehr kann eine im Einzelfall angemessene Bagatellgrenze für die Unerheblichkeit von Bestellmengen konkret bezeichnet und das Verbot deren Überschreitung verlangt werden.168
731 (738) „Michelin“; KG, 14. 04. 1978, WuW/E OLG 1983 (1986) „Rama Mädchen“; KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2410) „Fertigfutter“. 163 Vgl. soeben die Nachweise in Fn. 162; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 176; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 253, 257; Lange, WuW 2002, S. 220 (223); zweifelnd Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 255. 164 Siehe S. 225 ff. 165 Siehe S. 223 f. 166 Siehe S. 225 ff. 167 Siehe auch S. 141. 168 Hier besteht eine Parallelität zur Bestimmung des zulässigen Einstandspreises, siehe S. 207 ff.
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bb) Treuerabatt Der Treuerabatt unterscheidet sich vom Umsatzrabatt lediglich durch die vom Marktbeherrscher getroffene Ankündigung im Falle von Fremdbezug Rabatte, die nach dessen eigenem Berechnungsschema entstanden sind, nicht anzuerkennen.169 Wird in einem Urteilstenor formuliert, dass ein Wettbewerber die Gewährung von Umsatzrabatten zu unterlassen hat, dann entfällt auch die Grundlage für die Treuevereinbarung. Sie muss dann nicht eigens erwähnt werden. Lediglich dann, wenn sich die Missbräuchlichkeit nicht bereits aus dem zugesagten Umsatzrabatt, sondern erst aus der in Verbindung mit der Treueklausel entstehenden, verstärkten Bezugsbindung ergibt, muss bei der Formulierung des Tenors auf diesen besonderen Umstand Rücksicht genommen werden. Der Normadressat ist also zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger dadurch zu behindern, dass er bei der Gewährung von Rabatten gegenüber seinen Abnehmer deren Bezug vom Kläger als Grund für eine Minderung oder einen Verlust des Rabattanspruchs heranzieht. cc) Gesamtsortimentsrabatt Im Hinblick auf Gesamtsortimentsrabatte ist zu unterscheiden, ob bereits die Gewährung eines Umsatzrabattes allein auf dem beherrschten Markt missbräuchlich ist oder ob sich die Missbräuchlichkeit erst daraus ergibt, dass der Rabatt durch Zusammenfassung des Umsatzes der koppelnden und der gekoppelten Leistungen berechnet wird. Im ersten Fall genügt es, im Tenor die Gewährung des Umsatzrabattes zu untersagen. Im zweiten Fall bedarf es zumindest einer Benennung sämtlicher Leistungen, die in die Rabattberechnung eingestellt werden, nicht. Dadurch entstünde die Gefahr der Umgehung eines entsprechenden Urteils, indem der Marktbeherrscher einzelne Nebenleistungen herausnimmt oder ersetzt. Er könnte im Anschluss geltend machen, das Urteil erfasse diesen Sachverhalt gar nicht. Ausreichend wäre zu formulieren, dass ein Umsatzrabatt nicht derart berechnet werden darf, dass die auf dem beherrschten Markt bezogenen Leistungen mit weiteren, anderen Märkten zugehörigen Leistungen gekoppelt werden.170 Ein solcher Tenor ist auch nicht unangemessen weit, da das erfasste Verhalten in jedem Fall rechtswidrig ist. Eine Eingrenzung ist nur dort geboten, wo nur ganz bestimmte Kopplungen von Leistungen missbräuchlich sind. c) Wettbewerber auf Drittmärkten Eine Beeinträchtigung der individuellen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit dieser Wettbewerber kann von vornherein nur im Rahmen von Gesamtsortimentsrabatten entstehen, wenn diejenige Leistung, bezüglich derer sie im Wettbewerb zum 169 170
Siehe S. 226. Zum Unterlassungsanspruch bei wirtschaftlichen Kopplungen, siehe ab S. 296.
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Marktbeherrscher stehen, in die Berechnung des Preisnachlasses einfließt.171 Unterlassung kann gemäß § 33 Abs. 1 S. 3 GWB nur insoweit verlangt werden, als infolge eines Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot eine Beeinträchtigung tatsächlich vorliegt. Ein Wettbewerber, der auf einem Drittmarkt tätig ist, kann deshalb nicht gegen die Gewährung von Rabatten auf dem beherrschten oder solchen Drittmärkten vorgehen, auf denen er selbst nicht in Erscheinung tritt.172 Er hat einen Anspruch auf Rechtsschutz lediglich insoweit, als die von einem Rabattsystem ausgehende Sogwirkung seine Stellung im Wettbewerb zum Marktbeherrscher verschlechtert. Deshalb kann ein solcher Wettbewerber nur verlangen, dass die vom Marktbeherrscher angebotene Leistung, mit der er konkurriert, nicht mehr in die Berechnung des Gesamtsortimentsrabattes eingestellt wird. Ein auf die Klage dieser Wettbewerber ergehendes Urteil kann also nicht die Praktizierung des Rabattsystems insgesamt untersagen, sondern nur die Berechnung des Preisnachlasses unter Einbeziehung dieser bestimmten gekoppelten Leistung. d) Abnehmer auf der Marktgegenseite Auch die Abnehmer können Rechtsschutz nur insoweit begehren als eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB vorliegt.173 Dementsprechend können Abnehmer die Unterlassung von Rabattsystem im Ganzen nicht verlangen. Der Preisnachlass kommt ihnen ja zugute. Es können lediglich die, durch eine Diskriminierung benachteiligten Abnehmer gegen diejenigen Elemente der Berechnung vorgehen, die zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen.174 Dabei wird es vor allem um die Progression der Rabattstaffelung gehen, die dazu führt, dass große gegenüber kleinen Abnehmern übervorteilt werden, sowie um Treueklauseln, die eine Vergünstigung der treuen gegenüber den untreuen Kunden nach sich ziehen oder um eine Zusammenrechnung von Sortimentsrabatten, die Abnehmer mehrerer Produkte gegenüber den Abnehmern nur eines oder einzelner Produkte bevorzugt.175 Im Tenor des Urteils kann der Marktbeherrscher lediglich zur Unterlassung der Ungleichbehandlung verurteiltet werden. Stehen ihm dafür verschiedene Handlungsvarianten zur Verfügung, muss ihm die Auswahl überlassen bleiben. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass es nur eine Möglichkeit zur Abstellung der Ungleichbehandlung gibt. Es handelt sich hier also um einen speziellen Fall des Diskriminierungsverbotes.176
171
Siehe S. 227 ff. Siehe S. 253 f. und zur Überschneidung mit der Problematik der wirtschaftlichen Kopplung, siehe S. 293 ff. 173 Siehe S. 230 f. 174 Siehe S. 254 f. 175 Siehe S. 230 f. 176 Zum Diskriminierungsverbot siehe ab S. 427. 172
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4. Anspruch auf Beseitigung Eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Betätigungsfreiheit von Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens geht von den zwischen diesem Unternehmen und seinen Abnehmern geschlossenen Rabattvereinbarungen wegen der bereits einleitend beschriebenen Wirkungen aus.177 Nun sind diese vertraglichen Vereinbarungen aufgrund von § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, gegebenenfalls auch Art. 101 Abs. 2 AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig.178 Aufgrund dessen konnten die Abnehmer keine Ansprüche auf Gewährung von Rabatten oder Boni erwerben, selbst wenn sie sich entsprechend der Vorgaben des Marktbeherrschers wohlverhalten haben und sie können das auch künftig nicht. Insoweit bestehen kein Bedarf und mithin auch kein Rechtsschutzinteresse für einen Beseitigungsanspruch. Jedoch hindert die Nichtigkeit missbräuchlicher Klauseln die Beteiligten nicht, die Rabatte oder Boni rein faktisch zu versprechen und auszuzahlen bzw. zu empfangen. Mit dem Beseitigungsanspruch kann aber nur der gegenwärtigen Störung wirtschaftlicher Interessen entgegengetreten werden.179 Rechtsschutz gegen die Praktizierung missbräuchlicher Rabattsystem in der Zukunft ist damit nicht verbunden. Das Interesse der Wettbewerber oder benachteiligten Abnehmer ist aber gerade darauf gerichtet. Dafür ist aber allein der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch der richtige Ansatz.180 Soweit in der Vergangenheit Rabatte oder Boni tatsächlich gewährt wurden, ist die damit verbundene Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen abgeschlossen.181 Ob und inwieweit eine Rückabwicklung stattfinden kann, ist nach den bereicherungsrechtlichen Vorschriften zu entscheiden.182 Zum Ausgleich für in der Vergangenheit erlittene Nachteile steht allein der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch zur Verfügung.183 Für einen Beseitigungsanspruch von Wettbewerbern oder benachteiligten Abnehmern des marktbeherrschenden Unternehmens besteht also kein praktisches Bedürfnis. 5. Anspruch auf Schadensersatz a) Wettbewerber auf dem beherrschten und dritten Markt Die Beendigung der Praktizierung missbräuchlicher Rabattsysteme über den Anspruch auf Schadensersatz zu erzwingen, ist nicht sinnvoll. Zum einen sind die
177 178 179 180 181 182 183
Siehe S. 224 ff. unf S. 227 ff. Siehe S. 244 ff. Siehe S. 144 f. Zur Abgrenzung zwischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch siehe S. 144 f. Siehe auch S. 242 f. Siehe S. 236 f. Allgemein S. 145 ff. und zu missbräuchlichen Rabatten sogleich S. 260 ff.
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missbräuchlichen, vertraglichen Rabattbestimmungen ohnehin nichtig.184 Zum anderen kann über § 249 Abs. 1 BGB nur die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes verlangt werden, ohne dass sich daraus ein Schutz vor Wiederholung ergibt.185 Deshalb ist insoweit einzig der Unterlassungsanspruch zielführend. Im Hinblick auf den Ersatz des entgangenen Gewinns und den Geldersatz für Marktanteils- oder Wertverlust des konkurrierenden Unternehmens gelten gegenüber den allgemeinen Ausführungen zum Schadensersatz bei Wettbewerberhinderung keine Besonderheiten.186 Eine Erleichterung der Schadensberechnung durch Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB i. V. m. § 287 ZPO kommt nicht in Betracht. Denn im Rahmen der Rabattstrategie muss der Marktbeherrscher finanzielle, seine Einnahmen schmälernde Zugeständnisse machen. b) Abnehmer auf der Marktgegenseite Eine Behinderung der Marktgegenseite ergibt sich nur als Folge diskriminierend unterschiedlicher Rabattsätze.187 Ein benachteiligter Abnehmer kann im Wege der Naturalrestitution die Beendigung der schädigenden Ungleichbehandlung erwirken. Er erreicht aber insoweit nicht mehr als er auch durch einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch erhält. Der Unterlassungsanspruch hat zudem den Vorteil, dass er zukünftigen Wiederholungen der Diskriminierung entgegenwirkt. Ein diskriminiertes Unternehmen kann grundsätzlich nicht verlangen, so gestellt zu werden wie diejenigen Abnehmer, die einen höheren Rabatt erhalten haben.188 Denn wenn der Marktbeherrscher allen Abnehmern den gleichen Rabatt gewähren würde, beseitigte dies zwar die Benachteiligung. Eine Ungleichbehandlung hätte aber auch dann nicht vorgelegen, wenn von vornherein keiner der Abnehmer einen Rabatt erhalten hätte. Nur bei dieser zweiten Alternative entfiele aber zugleich auch die Wettbewerberbehinderung.189 Regelmäßig entspräche also nur die Nichtdurchführung eines Rabattsystems rechtmäßigem Verhalten. Könnten demgegenüber ungleich behandelte Abnehmer über einen Schadensersatzanspruch eine Nachzahlung eines Rabattes verlangen, würde dadurch der Anreiz zur Beteiligung an Rabattsystemen gestärkt und die Behinderung von Wettbewerbern des Marktbeherrschers intensiviert. Darüber hinaus ist dem benachteiligten Unternehmen allein durch die Nichtzahlung eines höheren Rabattes kein entsprechender Schaden entstanden. Das gesamte Rabattsystem ist bereits aus Gründen der Wettbewerberbehinderung
184
Siehe S. 244 ff. Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 8 f. 186 Siehe S. 162 ff. 187 Siehe S. 230 f. 188 Es gibt keinen Meistbegünstigungsanspruch, siehe dazu S. 140 und speziell zum Diskriminierungsverbot siehe S. 435 ff., sowie S. 458 ff. 189 Siehe S. 242 f. 185
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missbräuchlich.190 Somit ist das Rabattversprechen rechtswidrig. Vertragliche Zusagen sind nach Art. 102 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB bzw. Art. 101 Abs. 2 AEUV oder §§ 1 GWB i. V. m. 134 BGB nichtig.191 Ohne schädigendes Ereignis, das heißt ohne das missbräuchliche Rabattsystem, hätten die benachteiligten Abnehmer überhaupt keinen Preisnachlass erhalten. Die Gewährung des Rabattes und die Ungleichbehandlung stellen ein einheitliches missbräuchliches Verhalten dar. Ohne dieses Verhalten des Marktbeherrschers stünde der ungleich behandelte Abnehmer finanziell schlechter. War nun aber die Gewährung des Rabattes in der bisherigen Höhe bereits rechtswidrig, so wäre es paradox, mit der Begründung ein anderer habe einen noch höheren unrechtmäßigen Preisnachlass erhalten, einen Nachzahlungsanspruch zuzugestehen. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Das gilt auch dann, wenn die Leistungsempfänger selbst nicht rechtswidrig gehandelt haben. Denjenigen Unternehmen, welche einen geringeren Rabatt erhalten haben, erwächst nicht bereits daraus ein Schaden, dass ein anderer einen höheren Preisnachlass bekommen hat. Solange der Begünstigte lediglich zu einem günstigeren Preis bezieht, ohne diesen weiterzugeben, verschlechtert sich die Wettbewerbsposition des Konkurrenten nicht. Eine solche Verschlechterung entsteht erst dann, wenn das bevorzugte Unternehmen den Preisvorteil zur Unterbietung der Konkurrentenpreise einsetzt. Kommt es dadurch zu einer Abwanderung von Kunden und erleidet der benachteiligte Konkurrent Umsatzeinbußen, besteht die Ursächlichkeit dafür in der Diskriminierung. Zwar trifft der Wettbewerber die Entscheidung, ob und inwieweit er Preisnachlässe weitergibt, autonom. Doch dieser Handlungsspielraum entsteht ausschließlich aufgrund des diskriminierenden Rabattsystems.192 Deshalb ist der Marktbeherrscher zum Ausgleich von entgangenem Gewinn und Ersatz für den Marktanteils- oder Wertverlust des benachteiligten Unternehmens verpflichtet.193 Diese Schäden müssen die benachteiligten Abnehmer aber im Einzelnen und unabhängig von den Rabattzahlungen des Marktbeherrschers nachweisen. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB hilft hier nicht weiter, weil der Marktbeherrscher insoweit keinen Gewinn erzielt. Neben den Anspruch auf Schadensersatz nach § 33 Abs. 1, 3 GWB i. V. m. Art. 102 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB tritt ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über die Nichtigkeit vertraglicher Abreden, die auf Betreiben des Marktbeherrschers hätten Vertragsbestandteil werden sollen.194 Insoweit ist jedoch nur der Vertrauensschaden ersatzfähig, der entsteht, wenn sich der Abnehmer auf die Rabattzusage verlässt, er einen Rabatt dann aber nicht erhält.195 Schadensersatz 190 Siehe S. 225 ff.; dagegen zu schlicht diskriminierenden Einzelrabatten ohne Behinderung der Konkurrenz siehe S. 224 f. und des Weiteren S. 428 ff. 191 Siehe S. 244 ff. 192 Siehe S. 230 f. 193 Siehe S. 162 ff. 194 Siehe S. 239 ff. 195 Siehe S. 239 ff.
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wegen Diskriminierung kann er nach dieser Anspruchsgrundlage dagegen nicht verlangen, weil sie nicht Folge einer vertraglichen, sondern einer deliktischen Pflichtverletzung ist und sie ihre Ursache deshalb auch nicht in der Nichtigkeit der Rabattvereinbarung hat. Ein Anspruch gegen den Konkurrenten besteht regelmäßig nicht. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn ein begünstigtes Unternehmen mindestens marktstark i. S. d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ist und sich selbst missbräuchlich verhält. Der Schadensersatzanspruch richtet sich dann allgemein nach §§ 33 Abs. 1 und 3 i. V. m. 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB.196
VI. Zusammenfassung Missbräuchlich sind Umsatzrabattsysteme, Treuerabatte und Gesamtsortimentsrabatte. Rabattvereinbarungen sind unabhängig von der konkreten vertraglichen Gestaltung197 nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB, gegebenenfalls auch nach Art. 101 Absätze 1 und 2 AEUVoder auch nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig. Der Marktbeherrscher kann gewährte Rabatte im Regelfall wegen Verstoßes gegen § 817 S. 2 BGB analog nicht zurückfordern. Soweit Abnehmer im Vertrauen auf die Wirksamkeit von Rabattzusagen Schäden erleiden, können sie diese nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB ersetzt verlangen. Rahmenverträge und auch Sukzessivlieferungsverträge bleiben, soweit sie vom Marktbeherrscher zur Organisation seines Vertriebssystems gleichförmig angewandt werden, ohne Rabattvereinbarung wirksam. Im Übrigen richtet sich die Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, die im Hinblick auf die Rabattklausel teilnichtig sind, nach § 139 BGB. Einzelne Lieferverträge, die zur Durchführung der Geschäftsbeziehung zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer auf einen Rahmenvertrag Bezug nehmen, werden ebenfalls gemäß § 139 BGB danach beurteilt, ob sie auch ohne die Aussicht auf einen Rabatt geschlossen worden wären. Das gleiche gilt für den Abruf einzelner Leistungen durch den Abnehmer im Rahmen von Sukzessivlieferverträgen. Wird eine Rabattzusage in Form einer Auslobung gemacht, sind damit im Zusammenhang stehende Einzelverträge ebenfalls nach § 139 BGB zu beurteilen. Gewährt der Marktbeherrscher für die Abnahme einer bei Vertragsschluss genau festgelegten Menge einem Rabatt und verstößt dieses Rechtsgeschäft gegen Art. 102 AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB oder auch Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB, dann ist es nach § 134 BGB oder Art. 101 Abs. 2 AEUV insgesamt nichtig. Erhaltene Leistungen wird der Abnehmer aber regelmäßig wegen des Ausschlusses der Rückforderung nach § 817 S. 2 BGB direkt oder analog198 behalten können. Ergänzend bieten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche Rechtsschutz gegen 196
Siehe auch S. 219 ff. Siehe dazu S. 232 ff. 198 Das ist abhängig von der Mitwirkung des Abnehmers am Verstoß gegen ein Verbotsgesetz, siehe S. 236 f. 197
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die faktische Durchführung von Rabattsystemen. Der Beseitigungsanspruch bietet weniger Rechtsschutz, weil er einer Wiederholungsgefahr nicht entgegenwirkt. Zudem sind die Rabattklauseln ohnehin nichtig. Eine mögliche Rückabwicklung infolge der Nichtigkeit ist nach Bereicherungsrecht zu beurteilen. Vom Wettbewerbsverstoß i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 1 GWB betroffen, sind Wettbewerber auf den beherrschten und dritten Märkten, sowie ohne sachlichen Grund ungleich behandelte Abnehmer. Rechtsschutz besteht jeweils nur insoweit als die persönliche Betroffenheit reicht. Nur auf dem beherrschten Markt tätige Wettbewerber können Unterlassung des missbräuchlichen Rabattsystems verlangen. Dagegen können Drittmarktwettbewerber nur die Unterlassung der Einbeziehung ihres Marktes in einen Gesamtsortimentsrabatt, nicht jedoch die Unterlassung der gesamten Rabattpraxis verlangen. Ebenso können Abnehmer nur die Unterlassung der Ungleichbehandlung fordern. Wettbewerber können unabhängig davon, ob sie auf dem beherrschten oder dem dritten Markt tätig sind, Ersatz für entgangenen Gewinn und/oder Ersatz für einen Marktanteils- oder Wertverlust des Unternehmens als Geldausgleich fordern. Das gleiche gilt für diskriminierte Abnehmer. Diese können ihren Schaden aber nicht derart berechnen, dass sie schlicht Ausgleich der Differenz zum Rabattsatz bevorzugter Abnehmer fordern. Die Möglichkeit zur Berechnung des Schadens unter Einbeziehung des anteiligen Gewinns nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB verschafft insbesondere deshalb keine Erleichterung, weil der Marktbeherrscher durch Preisnachlässe finanzielle Zugeständnisse macht.
C. Kopplung
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C. Kopplung I. Überblick Kopplungen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Hauptleistung mit einer selbständigen Nebenleistung verbunden wird, ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung vorliegt. Diese Leistungen gehören verschiedenen Märkten an.1 Anderenfalls handelt es sich um ein missbräuchliches Rabattsystem2 oder eine ausschließliche Bezugsbindung.3 Dementsprechend stellen sich Kopplungen als geradezu klassischer Fall des Transfers von Marktmacht in Drittmärkte dar.4 Es ist zwischen wirtschaftlichen und zwangsweisen Kopplungen zu unterscheiden. Eine wirtschaftliche Kopplung wird erreicht, indem das marktbeherrschende Unternehmen eine Nebenleistung als Zugabe gewährt, oder bei gleichzeitigem Bezug beider Leistungen günstigere Konditionen bietet als bei einem Einzelbezug einer jeden Leistung. So entsteht, unter Beibehaltung der Entscheidungsfreiheit, für die Marktgegenseite ein wirtschaftlicher Anreiz, sowohl die Haupt- als auch die Nebenleistung abzunehmen.5 Demgegenüber liegt eine zwangsweise Kopplung vor, wenn das marktbeherrschende Unternehmen sich weigert, die Hauptleistung ohne die nicht zugehörige Nebenleistung abzugeben.6 Abnehmer, die infolge bestehender Marktbeherrschung nicht auf andere Anbieter ausweichen können, sind gezwungen beide Leistungen abzunehmen, selbst wenn sie an der Nebenleistung überhaupt kein Interesse haben. Diese Bindung wird also auch gegen den Willen des Abnehmers durchgesetzt. Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV nennen Kopplungsgeschäfte als Beispielstatbestände wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens. Diese Vorschriften beziehen sich jedoch nur auf zwangsweise Kopplungen, bei denen das bindende Unternehmen die Abgabe der Hauptleistung von der gleichzeitigen Abnahme der Nebenleistung abhängig macht. Diese Beispielstatbestände sind nicht abschließend. Auch Kopplungsgeschäfte, die lediglich einen wirtschaftlichen Anreiz zur Bezugskonzentration bieten, können, insbesondere, wenn sie von 1
Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 274, 279; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 259 f.; Kommission, discussion paper, Ziffer 8.1. Rn. 177 bis 181 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. b) Rn. 47 ff. 2 Es handelt sich in einem solchen Fall nur um einen Preisnachlass für die Erzielung eines größeren Umsatzes hinsichtlich der gleichen Leistung, siehe S. 223 f. Gegebenenfalls ist auch ein Ausbeutungsmissbrauch oder eine Diskriminierung zu prüfen, z. B. OLG München, 10. 03. 2005, WuW/DE-R 1464 (1466 f.) „Nürnberger Hafengelände“. 3 Das ist der Fall, wenn auf den Abnehmer wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird, um ihn zum Bezug größerer Mengen zu bewegen, ohne dass der spezifische Unwertgehalt einer Kopplung im Sinne der Ausdehnung von Marktmacht auf weitere Märkte eine Rolle spielt, siehe S. 327 f. 4 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 274; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 262; Kommission, discussion paper, Ziffer 8.1., Rn. 177 bis 183 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. b) Rn. 52 ff. 5 Siehe im Einzelnen S. 267 ff. 6 Siehe im Einzelnen ab S. 301.
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marktbeherrschenden Unternehmen durchgeführt werden, als wettbewerbsverfälschende Verhaltensweisen aufgrund der Generalklauseln des Art. 101 Abs. 1 AEUV oder Art. 102 S. 1 AEUV verboten sein.7 Die dabei zugrunde gelegten Beurteilungskriterien finden auch im deutschen Recht im Rahmen von §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB Anwendung.8 Es gilt zu beachten, dass eine Kopplung sachlich gerechtfertigt sein kann. Das ist durch Verwaltung und Rechtsprechung für sogenannte integrierte Systeme, insbesondere infolge von Lizenzen und darüber hinaus aufgrund zwingender technischer Erfordernisse oder der Durchführung von Qualitätskontrollen, sowie allgemein üblicher Handelsgebräuche anerkannt. Deshalb können Kopplungspraktiken nicht als per se Verbote behandelt werden.9 Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die GVO 330/2010 zur Regelung vertikaler Vereinbarungen,10 die GVO für Technologietransfervereinbarungen11 und die GVO zur Regelung bestimmter Freistellungen im Bereich des KFZ Vertriebs.12 Die Anwendung dieser Gruppenfreistellungsverordnungen oder eine Einzelfreistellung können nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu einer Ausnahme vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV führen. Für marktbeherrschende Unternehmen ist das aufgrund der in den GVO enthaltenen Marktanteilsschwellen indes grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV wird kaum in Betracht kommen, weil Kopplungsbindungen auf vermachteten Märkten regelmäßig nicht geeignet sind, die nach Art. 101 Abs. 3 AEUV vorausgesetzten positiven Wirkungen herbeizuführen.13 Im deutschen Recht unterlagen Kopplungsbindungen bis zur 7. GWB Novelle der Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden nach § 16 Nr. 4 GWB a. F. Seit Inkrafttreten der 7. GWB Novelle sind sie bereits nach § 1 GWB verboten, es sei denn sie sind nach § 2 GWB freigestellt.14 Die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB bleiben, ebenso wie das bereits nach alter Rechtslage im Verhältnis zu § 16 Nr. 4 GWB a. F. anerkannt war, daneben anwendbar.15 Im Folgenden werden die 7 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (460 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; EuG, 23. 10. 2003, WuW EU-R 765 (768) „Van den Bergh Foods“; Kommission, discussion paper, Ziffer 8.2., Rn. 182, 183. 8 Allgemein zum inhaltlichen Gleichlauf von Art. 101 AEUV und § 1 GWB und zum Anwendungsvorrang des Europarechts, siehe S. 38 f. und S. 42 f., sowie S. 86 ff. 9 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 289 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 263; Kommission, discussion paper, Ziffer 8.2.4. Rn. 204 bis 206 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. d) Rn. 62. 10 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 vom 20. 04. 2010, in Kraft seit dem 1. 6. 2010, ABl. EU 2010, Nr. L 102 S. 1. 11 Verordnung (EG) Nr. 772/2004 vom 07. 04. 2004, in Kraft seit dem 01. 05. 2004, ABl. EG 2004, Nr. L 123/11; nunmehr ersetzt durch Verordnung (EU) Nr. 316/2014, ABl. EU 2014, L 93/17, in Kraft seit dem 01. 05. 2014. 12 Verordnung (EU) Nr. 461/2010 vom 27. 05. 2010, in Kraft seit dem 01. 06. 2010, ABl. EU 2010, Nr. L 192/52. 13 Siehe auch S. 325 ff. 14 Siehe auch S. 42 f.; BGH, 22. 09. 2005, WuW/DE-R 1604 (1606 f.) „Zeitschrift mit Sonnenbrille“. 15 Siehe S. 42 f.
C. Kopplung
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wirtschaftlichen und die zwangsweisen Kopplungen getrennt dargestellt. Der Grund liegt nicht so sehr darin, dass sich das Ausmaß der Behinderung von Wettbewerbern in beiden Fällen unterscheiden kann.16 In erster Linie geht es darum, dass sich die Behinderungswirkung nur im Fall des Zwanges auch auf die wirtschaftliche Betätigung der Marktgegenseite erstreckt. Darüber hinaus kann bei einer zwangsweisen Durchsetzung der Bindung zugleich ein Ausbeutungsmissbrauch infolge unangemessener Geschäftsbedingungen vorliegen.17
II. Wirtschaftliche Kopplung 1. Tatbestand a) Kostenlose Zugabe Das marktbeherrschende Unternehmen kann den Absatz der Hauptleistung fördern, indem es eine für den Abnehmer wirtschaftlich attraktive Zugabe kostenlos gewährt. Insbesondere dann, wenn der Kunde Aufwendungen erspart, die er hätte tätigen müssen, um die gekoppelte Leistung anderweitig zu erhalten, entsteht ein starker Anreiz für den Bezug beim Marktbeherrscher.18 Kostenlose Zugaben eignen sich nicht nur zur Förderung des Absatzes der Hauptleistung. Sie können auch als Mittel des Verdrängungswettbewerbes auf einem Drittmarkt eingesetzt werden.19 b) Gewährung von Vorzugsbedingungen Eine Förderung des Absatzes kann durch verschieden Arten von Vergünstigungen erreicht werden. Beispielsweise können Reziprozitätsgeschäfte in Aussicht gestellt
16 Der Verdrängungsdruck gegenüber Wettbewerbern auf Drittmärkten ist regelmäßig größer, wenn der Marktbeherrscher durch wirtschaftlichen Druck die Abnahme seiner Produkte zu erzwingen versucht, als wenn er lediglich wirtschaftliche Anreize schafft. Zudem stellt nur letzteres eine Bedrohung für Wettbewerber auf dem beherrschten Markt dar, wohingegen zwangsweise Kopplungen deren Wettbewerbsposition eher verbessern, siehe dazu S. 269 ff. und S. 302 ff. 17 Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1332 f.) „Eurofix-Bauco/Hilti“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1965 f.) „Gemeinsamer Anzeigenteil“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3340) „Inter Mailand Spiel“; siehe auch S. 466 ff. 18 Zum Bsp.: EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (768) „Van den Bergh Foods“; KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1773 f.) „Kombinationstarif“; KG, 30. 05. 1979, WuW/E OLG 2148 (2150 f.) „Sonntag Aktuell I“; BGH, 22. 09. 2005, WuW/DE-R 1604 (1605 f.) „Zeitschrift mit Sonnenbrille“. 19 Zum Bsp. Fall Microsoft: Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (932, 940 ff.) „Microsoft“, Entscheidung bestätigt durch das Gericht erster Instanz EuG, 22. 12. 2004, WuW/ EU-R 863 (864, 871 ff.) „Microsoft“; vgl. dazu Körber, WuW 2007, S. 1209 (1214 ff.); des Weiteren Kommission, 16. 12. 2009, WuW/EU-V 1499 (1503 ff.) „Microsoft (Kopplung)“.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
und durch einen Bonus versüßt werden.20 Wirtschaftliche Kopplungen tauchen auch als Bestandteil von Gesamtsortimentsrabatten auf.21 Häufig findet sich auch die Konstellation, dass ein marktbeherrschender Hersteller oder Händler bei Abnahme eines langlebigen Gebrauchsgutes komplementäre Dienstleistungen, insbesondere für Lagerung, Transport, Wartung und Reparatur besonders günstig mit anbietet.22 Gleich gelagert ist der Fall, dass ein Marktbeherrscher seinen Abnehmern von Wirtschafts- oder Gebrauchsgütern die Belieferung mit Materialien, die für den Betrieb dieser Güter benötigt werden, zu besonders günstigen Konditionen anbietet.23 Derartige Kopplungen können gleichermaßen dazu dienen, die Hauptleistung attraktiver zu machen und/oder Marktanteile auf einem Drittmarkt zu gewinnen. c) Gesamtpreisbildung für verschiedene Leistungen Eine wirtschaftliche Kopplung lässt sich auch dadurch erreichen, dass zwei unterschiedliche Leistungen zu einem Gesamtpreis angeboten werden, welcher günstiger ist als die Summe der Einzelangebote.24 Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Einzelpreise der Leistungen ausgewiesen und einem günstigeren Gesamtpreis gegenübergestellt werden oder von vornherein beide Angebote in einem Gesamtpreis zusammengefasst sind. In diesen Fällen steigert eine Kopplung die Attraktivität der Angebote auf dem beherrschten Markt und auf Drittmärkten. 20 Zum Bsp.: BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1913 f.) „Meierei-Zentrale“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3125 ff.) „Milchaustauschfuttermittel“. 21 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (460 ff.) „Hoffmann La RocheVitamine“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (44 ff.) „De Post/La Post“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807 ff.) „International Harvester“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1822 ff.) „Fertigfutter“ und nachfolgend KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2407 ff.) „Fertigfutter“. 22 Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff.) „ALSATEL/SA Novasam“; Kommission, 18. 07. 1988, WuW/EV 1349 (1355) „Napier Brown/British Sugar“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (768) „Van den Bergh Foods“; BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2484 f.) „Sonderungsverfahren“ (in dem Bsp. lag allerdings eine Zwangskopplung vor). 23 Zum Bsp.: EuGH, 14. 11. 1996, Slg. 1996 I, S. 5951 (5952, 6010 f.) „Tetra Pak International SA“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1331 ff.) „Eurofix-Bauco/Hilti“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1830, 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“ und zuvor BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“; KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1773) „Kombinationstarif“; KG, 30. 05. 1979, WuW/E OLG 2148 (2149) „Sonntag Aktuell I“ (Die Beispiele stehen teils im Zusammenhang mit einer zwangsweisen Kopplung, die hier praktisch größere Bedeutung hat, siehe ab S. 301. 24 Zum Bsp.: Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (53 ff.) „De Post/La Post“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1967 ff.) „gemeinsamer Anzeigenteil“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1055 f., 1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1210 f., 1212 f.) „Strom und Telefon II“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1285 ff.) „Der Oberhammer“; OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2288 f., 2292 ff.) „Stadtwerke Düsseldorf“.
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2. Schutzzweck a) Die Marktgegenseite Der Marktgegenseite entsteht bei Inanspruchnahme der gekoppelten Leistung zu günstigen Konditionen kurzfristig ein wirtschaftlicher Vorteil. Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit wird nicht eingeschränkt, weil die Abnehmer frei entscheiden können, ob sie beide oder nur eine Leistung abnehmen. Möglicherweise auftretende Irreführungen über Preise oder Aspekte des Kundenfanges sind unter dem Gesichtspunkt der §§ 3, 5 und 5a UWG zu prüfen.25 Nachteilige Wirkungen können langfristig durch die Verringerung der Angebotsvielfalt oder infolge diskriminierender Handhabung einer Kopplung eintreten. Das erste ist für das Behinderungsverbot irrelevant, weil es keinen Anspruch auf Wettbewerb gibt.26 Eine Diskriminierung entsteht bei Kopplungen, im Gegensatz zu Rabattsystemen, wo der Diskriminierungseffekt häufig integraler Bestandteil der Behinderungsmaßnahme ist,27 nur dann, wenn nur einem Teil der Abnehmer Vorzugsbedingungen gewährt werden oder wenn die gekoppelte Leistung auf dem Drittmarkt ungekoppelt nur zu ungünstigeren Bedingungen erhältlich ist. Dieser Fall unterscheidet sich nicht von dem typischen Diskriminierungsfall, der sich dadurch auszeichnet, dass gleichartigen Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung ungleiche Bedingungen geboten werden und soll deshalb im Zusammenhang mit diesem Thema erörtert werden.28 b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt Eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit droht den, auf dem Markt der koppelnden Leistung tätigen Wettbewerbern des marktbeherrschenden Unternehmens. Auf dem bereits beherrschten Markt tritt ein, einem Rabattsystem sehr ähnlicher Effekt ein. Die vom Marktbeherrscher kostenlos oder zu einem Vorzugspreis abgegebene gekoppelte Leistung wirkt als Vorspannangebot, durch das der Abnehmer für den Bezug der Hauptleistung belohnt wird.29 Daraus 25
Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (881 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1056 f.) „Ruhrnet“. In beiden Verfahren wurde ein Verstoß gegen § 1 UWG (a. F.) deshalb verneint, weil für die Verbraucher die Einzelpreise der gekoppelten Leistungen ersichtlich waren; des Weiteren BGH, 22. 09. 2005, WuW/DE-R 1604 (1605 f.) „Zeitschrift mit Sonnenbrille“; vgl. auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 1.104 ff. 26 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 27 Siehe S. 225 f. und S. 230 f. 28 Siehe S. 428 ff. 29 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (460 f.) „Hoffmann La RocheVitamine“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (44 ff.) „De Post/La Post“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (768) „Van den Bergh Foods“; KG, 26. 01. 1977, WuW/E OLG 1767 (1773) „Kombinationstarif“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1284 ff.) „Der Oberhammer“.
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entsteht ein einem Preisnachlass vergleichbarer wirtschaftlicher Anreiz zum Bezug beim Marktbeherrscher.30 Konkurrenten werden benachteiligt, weil sie eine derartige Kombination von Leistungen entweder gar nicht oder jedenfalls nicht zu einem entsprechend günstigen Preis bieten können. Selbst wenn der Wettbewerber bei isolierter Betrachtung die Hauptleistung zu besseren Bedingungen anbietet, kann er sich auf dem beherrschten Markt nicht durchsetzen. Der Wettbewerb verlagert sich weg vom Vergleich der Angebote auf diesem Markt hin zu einem Wettbewerb um das beste Vorspannangebot. Ein derartiger Wettbewerb ist, sofern nicht besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen,31 leistungsfremd und verringert die Chancengleichheit kleiner und mittlerer Wettbewerber.32 Es entsteht auf dem beherrschten Markt eine Sogwirkung als Folge der durch die Aussicht auf die Nebenleistung hervorgerufenen Hinwendung der Abnehmer zum Marktbeherrscher.33 Dessen solcherart vermehrter Absatz hat eine Verdrängung von Wettbewerbern bis hin zum Ausscheiden aus dem Markt zur Folge. Wird die Kopplung herbeigeführt, indem für zwei Leistungen ein niedriger Gesamtpreis ohne Ausweis der Einzelpreise gebildet wird, tritt eine Verschleierung des Preises für die Hauptleistung hinzu.34 Dem Wettbewerber, der, weil er eine Nebenleistung nicht anbieten kann, durch eine Preissenkung reagieren will, wird diese, im Interesse eines freien Leistungswettbewerbes erwünschte Strategie erheblich erschwert. Er kann nämlich den Wert der Einzelleistungen und den Anteil der Hauptleistung am Gesamtwert, welcher die Basis für den zu unterbietenden Preis darstellt, nicht ersehen. Außerdem wird der Preisvergleich für die Marktgegenseite schwieriger und dadurch das Angebot des Marktbeherrschers attraktiver. Vorspannangebote lassen sich zudem in der Werbung gut darstellen und sind daher geeignet, das Verbraucherinteresse zu wecken.35 Dadurch kann der Anreiz zum Bezug beim Marktbeherrscher zusätzlich gesteigert und die zu Lasten von Konkurrenten entstehende Sogwirkung verstärkt werden. Schließlich können Gesamtsortimentsrabatte und Reziprozitätsgeschäfte i. V. m. Kopplungen, deren Attraktivität durch einen Bonus gesteigert wird, auch dazu eingesetzt werden, eine wirtschaftliche Bindung, sowohl für Haupt- als auch Nebenleistung herbeizuführen. Nicht selten werden solche Geschäftsbeziehungen durch langfristige Bezugsbindungen abgesichert.36 All diese Maßnahmen sind zur Verdrängung von Konkurrenten, zur Abschottung von Marktanteilen und zur Er30
Zur Kampfpreisunterbietung siehe S. 185 ff. Siehe dazu S. 265 ff. 32 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 285 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 262 f. 33 Siehe die Nachweise auf S. 267 f. 34 Siehe S. 268 und S. 271 f. 35 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (881 f., 883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1055 f., 1056) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1206, 1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1210 f., 1212 f.) „Strom und Telefon II“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1283 f., 1285 ff.) „Der Oberhammer“. 36 Siehe S. 325 ff. 31
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höhung von Marktzutrittsschranken geeignet. Ziel des Verbotes ist es, auf dem beherrschten Markt Bedingungen zu erhalten, welche einen Restwettbewerb oder gar die Zunahme von Wettbewerbsintensität ermöglichen.37 Dazu ist es notwendig, die Stellung des Marktbeherrschers angreifbar zu halten, indem eine mit der Kopplung verbundene Verdrängung verhindert und der Marktzutritt offen gehalten wird. Das Verbot schützt die Chancengleichheit der Wettbewerber und sichert dadurch zugleich deren wirtschaftliche Betätigungsfreiheit im Rahmen eines freien Leistungswettbewerbes. c) Wettbewerber auf dem Markt der gekoppelten Leistung Kopplungen werden als Mittel zur Übertragung von Marktmacht in Drittmärkte eingesetzt.38 Kostenlose Zugaben führen im Normalfall dazu, dass der Wettbewerb auf dem Markt dieser Produkte zum Erliegen kommt. Dort tätigen Wettbewerbern, die nicht in der Lage sind, ein vergleichbares Kopplungsangebot zu unterbreiten, wird jede Chance genommen, ein Alternativangebot in Konkurrenz zur gekoppelten Leistung aufrechterhalten zu können.39 Auch in den Fällen, in denen die Nebenleistung zwar nicht kostenlos, aber zu besonders günstigen Konditionen angeboten wird, entsteht ein erheblicher Druck auf die, auf dem Drittmarkt tätigen Wettbewerber.40 Zwar mag es Kunden geben, welche kein Interesse an der Hauptleistung des marktbeherrschenden Unternehmens und deshalb auch keine Möglichkeit haben, kostenlos an die Nebenleistung zu gelangen. Doch zeigt sich in der Praxis, dass solche Maßnahmen gewöhnlich dann ergriffen werden, wenn die Nebenleistung eine solche ist, die üblicherweise im Zusammenhang mit dem Hauptprodukt benötigt wird oder zumindest von Vorteil ist.41 Aber natürlich wird auch in den Fällen der Wettbewerb auf dem Drittmarkt verfälscht, in denen die Nebenleistung nicht in einem derartigen Zusammenhang mit der Hauptleistung steht und völlig selbständig verwandt werden kann.42 Der Marktbeherrscher ist zu einem günstigen Kopplungsangebot jeweils nur in der Lage, weil er auf dem beherrschten Markt über sicheren Absatz und Gewinn verfügt. Selbst wenn er nur die Absicht hat, den Absatz 37
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 265 ff. 39 Siehe S. 267 f. 40 Siehe S. 267 f. 41 Siehe S. 267 ff. 42 Zum Bsp.: EuGH, 03. 10. 1985, WuW/EWG/MUV 713 (714 f.) „Telemarketing“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1383, 1386 f.) „London European/SABENA“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (44 ff.) „De Post/La Post“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3340) „Inter Mailand Spiel“; OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4520 f.) „Dürkheimer Wurstmarkt“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1212) „Strom und Telefon II“; OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2288 f., 2292 ff.) „Stadtwerke Düsseldorf“. 38
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der koppelnden Leistung zu fördern, erreicht er eine leistungsfremde Sogwirkung auch auf dem Drittmarkt.43 Eine derartige Verdrängung von Wettbewerbern wird gesteigert, falls das Kopplungsangebot bewusst zur Ausdehnung von Marktmacht auf dem noch nicht beherrschten Markt eingesetzt werden soll und dementsprechend Konkurrenzangebote jeweils deutlich unterboten werden. In Ermangelung einer vergleichbaren Marktmacht können Wettbewerber nur zu Verlustpreisen anbieten, um eine Abwanderung von Kunden zu verhindern oder neue Marktanteile zu gewinnen. Regelmäßig werden sie mangels ausreichender finanzieller Ressourcen eine solche Strategie nicht lange durchhalten können. Es kann allerdings vorkommen, dass mit der Kopplung eine spürbare Behinderung auf dem Drittmarkt deshalb nicht verbunden ist, weil ein dort tätiges Unternehmen eine außerordentlich starke Marktstellung hat.44 Dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmen. Das Kopplungsverbot will eine mit leistungsfremdem Verhalten verbundene Ausdehnung von Marktmacht auf Drittmärkte, auf denen noch freier Wettbewerb herrscht, verhindern. Es zielt auf einen Schutz der Chancengleichheit der dort tätigen Wettbewerber und verhindert auf diese Weise ihre machtbedingte Verdrängung. 3. Sanktion nach § 134 BGB a) Vertragliche Gestaltung Eine Kopplung liegt bereits dann vor, wenn sich Marktbeherrscher und Abnehmer in einem Austauschvertrag zugleich über die Gewährung der koppelnden Hauptleistung und einer gekoppelten Nebenleistung verständigen.45 Dabei kann es sich sowohl um einen einmaligen Austausch von Leistungen als auch um ein Dauerschuldverhältnis handeln.46 Einer besonderen Kopplungsvereinbarung bedarf es, da es sich um ein einheitliches Geschäft handelt, nicht. Welche Art von gegenseitigen Verträgen jeweils vorliegt, ob Kauf-, Werk- oder sonstiger bzw. typengemischter Vertrag, ist unerheblich.47 Werden über den Bezug der koppelnden Leistung und der gekoppelten Leistung separate Verträge geschlossen, bedarf es, um eine Verbindung zwischen diesen einzelnen Verträgen herzustellen, einer zusätzlichen Abrede. Eine 43 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 274, 286; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 262 f.; siehe auch S. 267 f. 44 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1212 f.) „Strom und Telefon II“; siehe auch S. 293 ff. 45 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 276; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 259. 46 Siehe S. 267 f. 47 Die Verbotsnormen knüpfen als primär deliktische Sanktion an das natürliche Verhalten des Normadressaten im Wettbewerb an. Maßgeblich ist danach eine wirtschaftliche Betrachtung, die in Beurteilungsmaßstab und Ergebnis nicht an bestimmte rechtsgeschäftliche Formen gebunden ist; siehe S. 93 ff.
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solche Kopplungsvereinbarung,48 in der der Abnehmer für den Fall des Bezuges der Hauptleistung das Recht erhält, die Nebenleistung zu Vorzugsbedingungen in Anspruch nehmen zu können oder in der er sich sogleich zum Bezug der Nebenleistung verpflichtet, kann in einen Rahmenvertrag aufgenommen werden.49 Das ist zweckmäßig bei längerfristigen Geschäftsbeziehungen, bei denen der Marktbeherrscher gleichförmige Rahmenverträge zur Organisation seines Vertriebssystems einsetzt.50 Kopplungsvereinbarungen können aber auch einfach nur in eine Klausel des Vertrages über die Hauptleistung aufgenommen werden.51 Verträge über die gekoppelte Leistung werden dann einmalig oder wiederholt unter Bezugnahme auf diese Klausel abgeschlossen. Eine Kopplung zwischen zwei oder mehreren Verträgen kann sich, auch ohne dass eine Kopplungsvereinbarung vorliegt, allein durch die Schaffung eines wirtschaftlichen Anreizes für den Bezug der Nebenleistung ergeben.52 Zunächst sollen solche Verträge betrachtet werden, in denen die Kopplung 48
Die Möglichkeiten für eine konkrete Ausgestaltung sind angesichts von Vertragsfreiheit vielfältig. Entscheidend ist, dass eine rechtlich verbindliche Beziehung zwischen dem Vertrag über die koppelnde Leistung und dem Vertrag über die gekoppelte Leistung hergestellt wird; z. B. durch Verpflichtung die gekoppelte Leistung in bestimmtem Umfang abzunehmen oder sie nach Bedarf ausschließlich beim koppelnden Unternehmen zu beziehen, durch Gewährung eines Anspruchs auf Belieferung nach Anforderung, durch verbindliche Zusage von Vorzugsbedingungen für den Fall der Abnahme der gekoppelten Leistung, durch Auslobung von Zusatzleistungen oder die Zusage von Reziprozitätsgeschäften bei Abnahme der koppelnden Leistung, usw. 49 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann LaRoche/ Vitamine“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1326 f., 1332 f.) „Eurofix-Bauco/ Hilti“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1913 f.) „Meierei-Zentrale“; BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“ und dazu KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1807 ff.) „International Harvester“. 50 Zur parallelen Problematik bei der Gestaltung von Rabattvereinbarungen als Mittel der langfristigen Abnehmerbindung, siehe S. 227 ff. und im Hinblick auf Ausschließlichkeitsbindungen, siehe S. 327 f. 51 Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff.) „ALSATEL/SA Novasam“; EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (863 ff., 871 ff.) „Microsoft“, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (931 ff., 940 ff.) „Microsoft“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1967 ff.) „gemeinsamer Anzeigenteil“; BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2484 f., 2489 f.) „Sonderungsverfahren“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (880 f., 883 f.) „Strom&Fon“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/DE-R 1006 (1006 f., 1010 f.) „Fernwärme Börnsen“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1055 f., 1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1210 f., 1212 f.) „Strom und Telefon II“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1284 ff.) „Der Oberhammer“. 52 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffman LaRocheVitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (643, 648 ff.) „Michelin Niederlande“, zuvor Kommission, 07. 10. 1981, WuW/EV 875 (877 ff.) „Michelin Niederlande“; KG, 09. 11. 1983, WuW/E OLG 3124 (3132 ff.) „Milchaustauschfuttermittel“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 284 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 259.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
durch Zusammenfassung von Haupt- und Nebenleistung in einem Vertrag verwirklicht ist. Sodann sind solche Vertragsgestaltungen zu untersuchen, die auf Kopplungsvereinbarungen beruhen. Im Anschluss werden Gestaltungen erörtert, in denen die Kopplung zweier oder mehrerer Verträge ohne spezielle Abrede nur durch wirtschaftliche Anreize hergestellt wurde. b) Kopplung von Leistungen in einem Vertrag aa) Verbot und Rechtsgeschäft Der Vertragsschluss ist Folge eines vorangegangenen Wettbewerbsverstoßes, nämlich der Werbung mit dem besonders günstigen Kopplungsangebot. Das missbräuchliche Verhalten schließt die mit der Vertragsdurchführung verbundene Gewährung der gekoppelten Leistung ein. Da sich das marktbeherrschende Unternehmen bei dem, zeitlich dazwischenliegenden Vertragsschluss rechtlich verpflichtet, beide Leistungen zu Bedingungen zu gewähren, die als rechtswidrige Kopplung zu werten sind, verstößt das Rechtsgeschäft gegen das Behinderungsverbot nach Art. 102 S. 1 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB.53 Allerdings ist zu beachten, dass der Vertrag, soweit er die Hauptleistung betrifft, rechtmäßig ist. Rechtswidrig ist dagegen die Abgabe der Nebenleistung zu Vorzugsbedingungen. Der Vertrag ist deshalb i. S. v. § 134 BGB nur insoweit verboten, als er Abreden über diese Nebenleistung enthält. Unter Umständen liegt insoweit auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB vor.54 bb) Normzweckvorbehalt Zu prüfen ist, ob und inwieweit nach § 134 BGB Nichtigkeit eintritt oder ob dem Normzweck des Art. 102 S. 1 AEUVoder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB eine andere angemessene Rechtsfolge zu entnehmen ist. Diesbezüglich ist zunächst die vertragliche Gestaltung insoweit zu untersuchen als sie Vereinbarungen über diese Nebenleistung enthält. Sodann ist die Auswirkung auf das Rechtsgeschäft im Übrigen, d. h. hier konkret das Schicksal der Hauptleistung zu betrachten. (1) Problemaufriss Die Gestaltung der Sanktion muss an dem Ziel des Kopplungsverbotes ausgerichtet sein, den Restwettbewerb auf dem beherrschten Markt zu schützen und einen Transfer von Marktmacht in Drittmärkte zu verhindern. Es gilt die Chancengleichheit der Wettbewerber sowohl auf dem Markt der koppelnden als auch der gekoppelten Leistung aufrechtzuerhalten und sie vor machtbedingter Verdrängung 53 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226. 54 Siehe auch S. 265 ff.
C. Kopplung
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zu bewahren.55 Demgegenüber steht das Interesse der Marktgegenseite, wirtschaftlich vorteilhafte Kopplungsangebote in Anspruch nehmen und insbesondere geschlossene Verträge ohne Einschränkung durchführen zu können. Unbeachtlich sind demgegenüber die Ziele, welche das marktbeherrschende Unternehmen mit der Kopplung verfolgt. Sein Verhalten verstößt gegen Art. 102 S. 1 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, unter Umständen auch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB und dient deshalb nicht der Verfolgung schützenswerter Interessen. (2) Gestaltungsmöglichkeiten In Betracht zu ziehen ist in erster Linie die Nichtigkeit vertraglicher Abreden, soweit sie die gekoppelte Leistung betreffen.56 Der Vertragspartner würde dann keinen Anspruch auf diese Leistung erwerben. Er liefe Gefahr, entgegen der Zusage des Marktbeherrschers das gekoppelte Produkt entweder gar nicht oder zumindest ohne Rechtsgrund zu erhalten. Aufgrund dessen würde die Attraktivität des Kopplungsangebotes sinken. Die Nichtigkeit wäre also ein Beitrag zum Schutz der Wettbewerber, sowohl auf dem beherrschten Markt als auch auf einem Drittmarkt. Andererseits ist zu überlegen, ob nicht die Schutzbedürftigkeit der Marktgegenseite höher zu gewichten ist als der Schutz des horizontalen Leistungswettbewerbes. Das käme insbesondere dann in Betracht, wenn anzunehmen wäre, dass die Nichtigkeit die Durchführung von Kopplungsgeschäften nicht effektiv verhindern könnte und/ oder erhebliche Nachteile für die Vertragspartner einträten. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die Abnehmer selbst – zumindest im Regelfall und vorbehaltlich einer bewussten Mitwirkung am Wettbewerbsverstoß i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV – nicht rechtswidrig verhalten. Mit diesen Argumenten erschiene eine Aufrechterhaltung des gesamten Vertrages als vertretbar. Als Mittelweg böte sich eine Nichtigkeit ex nunc an. Sie schützte das Vertrauen der Abnehmer, soweit Verträge vollzogen sind und könnte zugleich verhindern, dass Kopplungsgeschäfte über den Zeitpunkt der Feststellung des Missbrauchs hinaus fortgesetzt werden. Vor der 6. GWB Novelle hatten die Kartellbehörden nach § 22 Abs. 4 i. V. m. § 19 GWB a. F. nur die Möglichkeit Verträge mit Wirkung für die Zukunft für unwirksam zu erklären.57 § 16 Nr. 4 GWB a. F. beinhaltete bis zur 7. GWB Novelle für nicht marktmachtbezogene Kopplungen nur die kartellbehördliche Befugnis, derartige Verträge für unwirksam zu erklären. Allerdings hat der Reformgesetzgeber mit der 7. GWB Novelle diese Fälle in bewusster Anlehnung an Art. 101 Abs. 1 AEUV dem
55
Siehe S. 269 ff. Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 54; Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 668; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Schröter/Bartl, in: S/K/J/M, Art. 102 AEUV Rn. 28 ff.; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226. 57 Siehe S. 110 ff. 56
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Verbot des § 1 GWB unterstellt.58 Zu berücksichtigen ist deshalb auch, dass Art. 101 Abs. 2 AEUV eine Nichtigkeit ex tunc vorsieht. Als Rechtsfolgen des Verstoßes eines Rechtsgeschäfts gegen das Kopplungsverbot sind also entweder die Nichtigkeit der Vereinbarung betreffend die gekoppelte Leistung ex tunc oder ex nunc oder die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts und der Verweis der Wettbewerber auf Unterlassungs- Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche in Betracht zu ziehen. (3) Wirksamkeit der Sanktion (a) Entgeltliche Nebenleistung Wenn der Vertragspartner für die Nebenleistung einen bestimmten Preis bezahlt hat, besteht ein Bedürfnis nach Rechtsschutz zur Sicherung der Amortisation getätigter Aufwendungen. Dieses Bedürfnis konkretisiert sich für den Fall der Nichterfüllung dahingehend, die Leistung einklagen bzw. Vertragsverletzungen durch Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüche ausgleichen zu können. Eine Nichtigkeit lässt eine Leistungspflicht des Marktbeherrschers gar nicht erst entstehen. Die Zusage, die gekoppelte Leistung zu gewähren, hat dann lediglich den Charakter eines unverbindlichen Versprechens. Der Abnehmer muss damit rechnen, die Leistung gar nicht zu erhalten. Zwar erhielte er dann sein Geld gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurück59 bzw. bräuchte gar nicht erst zu zahlen. Jedoch bleibt davon die Bindung an den Vertrag, soweit er die Hauptleistung betrifft, grundsätzlich unberührt.60 In Fällen, in denen isoliert betrachtet, die koppelnde Leistung weniger günstig ist als die Konkurrenzangebote, verliert der Abnehmer nicht nur den wirtschaftlichen Vorteil der Kopplung, sondern läuft sogar Gefahr einen finanziellen Nachteil zu erleiden. Das Kopplungsangebot wird dadurch wirtschaftlich deutlich weniger attraktiv. Das wirkt sich vor allem bei wirtschaftlich umfangreichen Geschäften und gerade auch bei längerfristigen Bindungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses aus. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass das marktbeherrschende Unternehmen, unabhängig von der rechtlichen Verbindlichkeit, die gekoppelte Leistung rein faktisch abgeben wird. Das Unternehmen hat ja ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, die Abnehmer wirtschaftlich an sich zu binden.61 Immerhin bleibt für den Abnehmer das Risiko im Falle einer Pflichtverletzung keine Kompensation durch Sekundäransprüche zu erhalten. Darüber hinaus ist es möglich, dass der Marktbeherrscher durch eine Unterlassungsklage von Wettbewerbern62 oder einer behördlichen Verfügung an der Durchführung der Kopplung gehindert wird. Eine Berufung darauf, dass ein verbindlicher Vertrag vorliegt, wäre nicht möglich. 58 59 60 61 62
Siehe S. 42 f. Zu bereicherungsrechtlichen Konsequenzen siehe S. 277 ff. Zur Teilnichtigkeit siehe S. 286 ff. Siehe S. 267 ff. Siehe S. 296 ff.
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(b) Kostenlose Zugaben Die Nachteile für den Kunden sind weniger umfangreich, wenn die Nebenleistung als kostenlose Zugabe gewährt wird. Erhält er die Leistung nicht, muss er insoweit auch keine Aufwendungen kompensieren. Nichtsdestotrotz kann ein Interesse an Gewährleistungsansprüchen bestehen. Außerdem entfällt auch hier der wirtschaftliche Vorteil der Kopplung. Eine fortbestehende Bindung an die Hauptleistung kann sich auch insoweit als finanzieller Nachteil herausstellen. (4) Bereicherungsrechtliche Konsequenzen (a) Die Rechtslage für den Marktbeherrscher Im Falle der Nichtigkeit haben das marktbeherrschende Unternehmen einen Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB auf Rückgewähr der gekoppelten Leistung und der Abnehmer auf Rückzahlung des anteilig dafür gezahlten Preises. Allerdings wird ein Leistungskondiktionsanspruch des marktbeherrschenden Unternehmens wegen bewussten Verstoßes gegen Art. 102 S. 1 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB entweder nach § 814 BGB63 oder jedenfalls nach § 817 S. 2 BGB analog64 ausgeschlossen sein. Verstößt der Marktbeherrscher vorsätzlich gegen Art. 102 AEUVoder auch Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, dann weiß er um die Nichtigkeit der Vereinbarung über die Nebenleistung nach § 134 BGB, gegebenenfalls Art. 101 Abs. 2 AEUV. In der Folge weiß er auch, dass er die Nebenleistung nicht schuldet. Erbringt er sie trotzdem, dann kann der Abnehmer als Empfänger der Leistung die Einrede des § 814 BGB erheben. Im Hinblick auf den Kondiktionsausschluss nach § 817 S. 2 BGB analog dürfte eine Berufung darauf, dass der von § 817 S. 2 BGB analog vorausgesetzte subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei, regelmäßig fehl gehen. Denn es genügt die Kenntnis der Umstände aus denen sich der Verbotsverstoß ergibt.65 Die Berufung auf einen Rechtsirrtum kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden.66 Kopplungen waren bereits in der ersten Fassung des GWB als Missbrauchstatbestand aufgeführt und sind in Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV jeweils als Beispielstatbestand verbotenen Verhaltens bezeichnet.67 Sie sind zudem Gegenstand einer gefestigten Verwaltungspraxis und Rechtsprechung.68 Vor diesem Hintergrund ist regelmäßig von der Kenntnis bzw. 63
Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 Rn. 4. Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10. 65 Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 21 f.; einschränkend Schwab, in: MüKo BGB, Rn. 70 zu § 817 BGB. 66 Zu den hohen Anforderungen an den Ausschluss der Vorwerfbarkeit, siehe S. 154 ff. 67 Auch wenn dort nur Kopplungen genannt sind, die auch gegen den Willen des Abnehmers durchgesetzt werden, besteht doch eine sehr große Nähe zu den hier genannten Fällen der wirtschaftlichen Kopplung, wobei letztere auch über die Generalklauseln der Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 Satz 1 AEUV erfassbar sind, siehe S. 265 ff. 68 Siehe S. 267 ff. 64
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dem Kennenmüssen des Vorliegens einer missbräuchlichen Kopplung auszugehen, die Ausnahmen eigentlich nur hinsichtlich der Grenzen sachlicher Rechtfertigung zulässt.69 Eine Ausnahme, nach der trotz Eingreifens des § 817 S. 2 BGB, direkt oder analog, das Verbotsgesetz eine Rückabwicklung fordert,70 liegt nicht vor. Mit der Abgabe der gekoppelten Leistung ist der Wettbewerbsverstoß beendet. Er kann dann, ebenso wenig wie beim Rabattmissbrauch,71 auch nicht durch Rückabwicklung ungeschehen gemacht werden. (b) Die Rechtslage für den Vertragspartner Da nur dem Leistenden, nicht aber dem Leistungsempfänger ein Verbotsverstoß zur Last fällt, stellt sich die Rechtslage für den Vertragspartner günstig dar. Er behält in jedem Fall die gekoppelte Leistung. Hat er eine Gegenleistung erbracht, dann kann er diese nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern. Es findet, wegen des zumindest objektiven Verstoßes gegen Art. 102 S. 1 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB insoweit die Zweikondiktionentheorie72 Anwendung. Die Saldotheorie73 bleibt außer Ansatz, weil sie, wegen der dem Vertragspartner gewährten Vorzugsbedingungen zu einem Saldo zugunsten des Marktbeherrschers führen und ihn deshalb für sein rechtswidriges Verhalten belohnen würde.74 Der Ausschlusstatbestand des § 814 BGB wird aufgrund der hohen Anforderung der sicheren Kenntnis75 von der fehlenden Leistungspflicht in den typischen Fällen nicht erfüllt sein. Der Vertragspartner müsste nämlich genau wissen, dass eine missbräuchliche Kopplung vorliegt, die zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gem. § 134 BGB führt und er deshalb nicht leisten muss. Eine Einschränkung kann sich nur in solchen Fällen ergeben, in denen der Abnehmer bewusst an der wettbewerbsbeschränkenden Kopplungsvereinbarung mitwirkt, so dass beide Teile gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen und deshalb eine Rückabwicklung nach § 817 S. 2 BGB unterbleiben muss. Das ist jedoch nicht der typische Fall.76 Die Tatsache, dass der Abnehmer die gekoppelte Leistung behalten darf und die Gegenleistung zurückfordern kann, dürfte für den Marktbeherrscher in den Fällen eine Abschreckung darstellen, in denen er die Nebenleistung nicht ohnehin kostenlos abgeben wollte. Freilich darf bezweifelt werden, ob diejenigen Kunden, die bereits durch Erhalt der gekoppelten Leistung ein gutes Geschäft gemacht haben den Rückforderungsanspruch geltend machen werden, um noch ein wenig besser dazustehen. Immerhin 69
Zur sachlichen Rechtfertigung siehe S. 265 ff. Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 20 ff. 71 Siehe S. 236 f. 72 Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 209; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 BGB Rn. 41. 73 Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 210 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41 f. 74 Vgl. zur Einschränkung der Saldotheorie auch Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 216; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 42. 75 Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 Rn. 4. 76 Siehe im Einzelnen S. 280 ff. 70
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bleibt ein gewisses Prozessrisiko dahingehend, dass § 817 S. 2 BGB ausnahmsweise tatbestandlich einmal nicht erfüllt ist. (5) Interessen der Vertragspartner Für die Vertragspartner stellt das Kopplungsangebot ein wirtschaftlich vorteilhaftes Geschäft dar. Dementsprechend haben sie ein Interesse an der Wirksamkeit und uneingeschränkten Durchführbarkeit der, die Kopplung enthaltenden Austauschverträge. Sie wollen einen durchsetzbaren Anspruch auf die gekoppelte Leistung und Rechtssicherheit durch Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche bei Pflichtverletzungen. (a) Anwendbarkeit von § 139 BGB und Gesamtnichtigkeit Im Fall der Nichtigkeit der Vereinbarungen über die gekoppelte Leistung kann der Anspruch auf die Hauptleistung unberührt bleiben. Insoweit wird das Vertrauen der Abnehmer geschützt. Hier bietet § 139 BGB die angemessene Lösung.77 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Fällen der Kampfpreisunterbietung, wo die Nichtigkeit dazu führen würde, dass der Kunde gar keine Leistung erhält.78 Allerdings würde sich ein wirtschaftlicher Nachteil ergeben, wenn bei Wegfall des Vorteils der Kopplung die Hauptleistung weniger attraktiv wäre als vergleichbare Konkurrenzangebote. Er entstünde, wenn ein anderes günstigeres Angebot im Vertrauen auf die Kopplung nicht angenommen wurde. In einem solchen Fall vermag aber die Anwendung von § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit zu führen, wenn der Vertragspartner sich darauf beruft, dass er den Vertrag ohne Kopplung nicht abgeschlossen hätte. Er kann dann eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der vertraglichen Leistungen anstreben und seinen Bedarf bei einem günstigeren Anbieter decken. Ist das nicht möglich oder nicht ausreichend so stehen dem Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens auch noch Schadensersatzansprüche zur Kompensation des enttäuschten Vertrauens auf den Erhalt der gekoppelten Leistung gemäß § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB zu.79 Die Pflichtverletzung besteht in der Nichtaufklärung über die Missbräuchlichkeit der Kopplung und der damit verbundenen (Teil-)Nichtigkeit.80 Ersatzfähig ist dann das negative Interesse. Der Vertragspartner ist so zu stellen, wie er ohne den wirtschaftlichen Anreiz des Kopplungsgeschäfts, d. h. auch einschließlich einer erfolgten Annahme eines günstigeren Konkurrenzangebotes, stehen würde. Das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutete Verschulden zu widerlegen, dürfte dem Marktbeherrscher im Normalfall nicht möglich sein, setzt es doch voraus sich auf Unkenntnis des 77
Siehe im Einzelnen S. 286 ff. Siehe 192 ff. 79 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff. 80 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff. 78
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Missbrauchs berufen zu können, ohne dass der Vorwurf des vermeidbaren Rechtsirrtums griffe.81 (b) Teilnichtigkeit und Fortbestand des Hauptgeschäfts Im Rahmen des Schadensersatzanspruches nach den §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB kommt ein Ersatz des Erfüllungsinteresses wegen Undurchführbarkeit des günstigen Geschäfts und Nichterhalts der gekoppelten Leistung nicht in Betracht. In Bezug auf das ersatzfähige negative Interesse liegt ein Schaden nicht vor. Denn um einen wirtschaftlichen Anreiz darzustellen, ist denknotwendige Voraussetzung, dass die gekoppelte Leistung günstiger angeboten wurde als etwaige Konkurrenzprodukte.82 Folglich hätte der Kunde im Fall der Bedarfsdeckung bei einem anderen Anbieter einen höheren Preis zahlen müssen. Schadenersatzansprüche können sich gleichwohl im Zusammenhang mit einem, trotz (Teil-)Nichtigkeit des Vertrages, entstehenden Schutzpflichtverhältnis gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ergeben.83 Im Rahmen dessen verursachte Schäden können nach §§ 280 Abs. 1, 249 ff. BGB ersetzt verlangt werden. Insoweit tritt für den Vertragspartner keine Verkürzung von Rechtsschutz ein. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Abnehmer die gekoppelte Leistung nach Erhalt regelmäßig aufgrund des Ausschlusses der Rückforderung nach § 817 S. 2 BGB analog behalten kann.84 Allerdings droht ihm ein Nachteil, wenn er durch Pflichtverletzungen des Marktbeherrschers verursachte Mängel der Nebenleistung nicht durch Gewährleistungsoder Schadensersatzansprüche kompensieren kann. In einem solchen Fall kann er aber immerhin die gekoppelte Leistung, da die Kondiktion des Marktbeherrschers nach § 817 S. 2 analog BGB ausgeschlossen ist, behalten und seine Gegenleistung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB zurückfordern. Damit wäre zumindest der finanzielle Nachteil ausgeglichen. (6) Schutz der Wettbewerber auf beherrschtem und drittem Markt Werden Nebenleistungen im Rahmen schlichter Austauschverträge gewährt, welche sofort vollständig durchgeführt werden, können die Konkurrenten, egal, ob sie auf dem Markt der Hauptleistung oder dem Drittmarkt tätig sind, von der Nichtigkeit der Vereinbarungen nicht profitieren. Der Abnehmer erhält beide Leistungen sofort im Paket und hat damit seinen Bedarf gedeckt.85 Eine (Teil-) Nichtigkeit des Vertrages ändert daran nichts, da es kaum einmal zu einer Rück-
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Zu den insoweit strengen Anforderungen an eine Entlastung, siehe S. 154 ff. Siehe S. 267 ff. 83 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff. 84 Siehe S. 278 f. 85 Zum Bsp. BGH, 22. 09. 2005, WuW/DE-R 1604 „Zeitschrift mit Sonnenbrille“. 82
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abwicklung kommen wird.86 Die Konkurrenten haben insoweit den Wettbewerb um den Kunden verloren. Allenfalls dann, wenn bei diesem Unternehmen erneuter Bedarf entsteht, hat der Wettbewerber wieder eine Chance ins Geschäft zu kommen. Hilfreich ist dann nur noch die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen,87 um die Wettbewerbschancen für die Zukunft aufrecht erhalten und erlittene Nachteile ausgleichen zu können. Anders würde sich die Situation darstellen, wenn die Erfüllung erst mit gewissem zeitlichem Abstand zum Vertragsschluss erfolgte.88 Da die Abnehmer bei Nichtigkeit der Vereinbarung keinen Anspruch auf die Nebenleistung hätten, könnten die Wettbewerber den faktischen Leistungsaustausch mit Hilfe einer Unterlassungsklage verhindern. Der Marktbeherrscher könnte nicht geltend machen, dass ihm die Erfüllung der Forderung nach Unterlassung wegen der vertraglichen Verpflichtung unmöglich wäre. Das hat insbesondere bei Fallgestaltungen Bedeutung, bei denen die Kopplung im Hinblick auf die Nebenleistung zum Abschluss einer langfristigen und deshalb die Wettbewerbsverhältnisse besonders stark beeinträchtigenden Bindung führt.89 Würde eine solche Bindung als wirksam behandelt, wären die auf dem dritten Markt tätigen Konkurrenten, für die Zeit ihrer vereinbarten Dauer vom Wettbewerb völlig ausgeschlossen. Hier kann nur eine Nichtigkeit solcher Vereinbarungen zu effektivem Rechtsschutz führen. Für Wettbewerber, die auf dem beherrschten Markt tätig sind, ergäbe sich eine andere Situation. Nach Vertragsschluss nutzt ihnen die Teilnichtigkeit bezüglich der Nebenleistung nichts, wenn die Vereinbarung bezüglich der Hauptleistung aufrecht erhalten bliebe. Mit der Unterlassungsklage könnten sie allenfalls den Abschluss neuer Kopplungsgeschäfte, nicht aber die Durchführung geschlossener Verträge verhindern. Denn der Marktbeherrscher könnte sich insoweit auf deren Verbindlichkeit berufen. Hier bietet allerdings § 139 BGB eine Lösung. Im Fall der Teilnichtigkeit der Abreden über die gekoppelte Leistung wäre der Vertrag 86 Dies vor dem Hintergrund, dass der Abnehmer der miteinander verbundenen Leistungen in jedem Fall ein für ihn günstiges Geschäft getätigt hat, siehe S. 267 ff. 87 Beseitigungsansprüche sind insoweit nicht zielführend, siehe S. 299 f. 88 Das schließt auch den Fall einer, über einen längeren Zeitraum andauernden sukzessiven Erfüllung durch Teilleistung im Rahmen eines Sukzessivlieferungs- oder Dauerschuldverhältnisses ein. 89 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff., 460 f.) „Hoffmann LaRoche-Vitamine“; EuGH, 09. 11. 1983, WuW/EWG/MUV 642 (643, 648 ff.) „Michelin Niederlande“; EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff., 1608) „ALSATEL/SA Novasam“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1326 f., 1331 ff.) „Eurofix-Bauco/Hilti“; Kommission, 18. 07. 1988, WuW/EV 1349 (1355) „Napier Brown/British Sugar“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (73) „De Post/La Post“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/ EU-R 765 (768) „Van den Bergh Foods“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1830, 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1913 f.) „Meierei-Zentrale“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (880 f., 883 f.) „Strom&Fon“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/DE-R 1006 (1006 f., 1009 ff.) „Fernwärme Börnsen“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1055 f., 1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) „Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DER 1210 (1212 f.) „Strom und Telefon II“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1285 ff.) „Der Oberhammer“.
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mangels übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillens dann gesamtnichtig, wenn ihn der Abnehmer ohne Kopplungsangebot nicht geschlossen hätte.90 Das wäre gewöhnlich dann der Fall, wenn sich, isoliert betrachtet ein Konkurrenzangebot im Vergleich zur Hauptleistung des Marktbeherrschers als günstiger erwiesen hätte. Dann bestünde für den besseren Wettbewerber wieder die Chance, den Abnehmer als Kunden gewinnen zu können. Hätte der Abnehmer den Vertrag über die Hauptleistung mit dem Marktbeherrscher auch ohne Kopplung geschlossen, dann bliebe dieser Vertrag nach übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen nach § 139 BGB wirksam.91 Das marktbeherrschende Unternehmen hat im Normalfall auch ohne Kopplung ein Interesse an diesem Leistungsaustausch. Dieses Ergebnis wäre insoweit wettbewerbskonform als das Kopplungsangebot dann gar nicht zu einer Wettbewerbsbeschränkung geführt hätte. In Kombination zwischen Nichtigkeit der Vereinbarung über die Nebenleistung und Anwendung von § 139 BGB ergäbe sich ein dem Wettbewerbs- und Wettbewerberschutz dienendes angemessenes Ergebnis. Man könnte vor diesem Hintergrund daran denken, zwischen Verträgen mit einmaligem Leistungsaustausch, Dauerschuldverhältnissen, Verträgen mit oder ohne synallagmatische Gegenleistung, einem geringen oder starken Einfluss auf Drittmärkte zu differenzieren. Jedoch ist eine derartige Systematisierung ohne die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit nicht durchführbar. Die Fälle lassen sich nicht klar abgrenzen. Zum Teil überschneiden sie sich.92 Ein solches Vorgehen wäre mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar. Es ist also eine Gleichbehandlung aller Fälle wirtschaftlicher Kopplung geboten. Dabei kommt es vor allem darauf an die Fälle schwerwiegender Wettbewerbsbeeinträchtigung angemessen zu erfassen. Das spricht aus Sicht der Konkurrenten klar für eine Nichtigkeit von vertraglichen Vereinbarungen, die Abreden über die Gewährung von gekoppelten Leistungen zu Vorzugsbedingungen enthalten. (7) Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Verträge, die ein Kopplungsgeschäft enthalten, können auch gegen Artikel 101 Abs. 1 AEUV verstoßen. In Fällen, in denen sich die Anwendungsbereiche von Art. 102 S. 1 AEUV und Art. 101 Abs. 1 AEUV überschneiden, muss dann auch Art. 101 Abs. 2 AEUV beachtet werden.93 Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 AEUV ist, ob die Wettbewerbsbeschränkung auf einem bewussten Zusammenwirken von Anbieter und Abnehmer oder einer einseitigen Strategie des Marktbeherrschers beruht.94 Die Unterscheidung ist deswegen schwierig, weil ein Vertragsschluss immer die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen voraussetzt. Deshalb erfasst Art. 101 Abs. 1 AEUV 90 91 92 93 94
Zur Begründung im Einzelnen siehe S. 287 f. Zu § 139 BGB siehe S. 108 f. Zur Übersicht siehe S. 265 ff. Siehe S. 86 ff. Siehe S. 86 ff.
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grundsätzlich bloße Austauschgeschäfte nicht.95 Die für die Abgrenzung entscheidende Frage lautet deshalb, ob die Parteien eines Vertrages sich über den zur Verwirklichung des auf den Leistungsaustausch bezogenen, immanenten Vertragszweckes hinaus im Hinblick auf ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb binden.96 In einer solchen Bindung ist eine Koordinierung des Verhaltens von Marktbeteiligten verschiedener Marktstufen zu sehen, die Art. 101 Abs. 1 AEUV gerade verhindern will. Handelt es sich um Vereinbarungen, die im Zweifel auch gegen den Willen des Abnehmers durchgesetzt werden, ist sogar der Beispielstatbestand des Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV verwirklicht. Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfallen deshalb solche Vereinbarungen, in denen sich der Abnehmer als Folge des Bezuges der Hauptleistung verpflichtet, seinen Bedarf hinsichtlich der gekoppelten Nebenleistung beim bindenden Unternehmen zu beziehen. Diese Vereinbarungen können dann allenfalls nach Art. 101 Abs. 3 AEUV einzeln oder in Verbindung mit einer GVO freigestellt sein.97 Werden sie unter Beteiligung eines marktbeherrschenden Unternehmens praktiziert, scheidet eine solche Freistellung in Ermangelung der in Art. 101 Abs. 3 AEUV vorausgesetzten positiven Wirkungen aus. Derartige Vereinbarungen sind deshalb sowohl nach Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 S. 1 AEUV verboten.98 Erkennbar ist, dass eine Überschneidung der Anwendungsbereiche von Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV in Bezug auf Kopplungsgeschäfte zwar nicht durchgängig, aber doch sehr häufig vorliegt.99 Die Abgrenzung ist regelmäßig schwierig. Findet über Art. 101 Abs. 1 AEUV auch Art. 101 Abs. 2 AEUV Anwendung, dann ist eine Vereinbarung über die gekoppelte Leistung zwingend nichtig. Diese Rechtsfolge geht wegen des Anwendungsvorranges des Europarechts einer Beurteilung nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV i. V. m. § 134 BGB vor.100 Außerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV wäre auf Basis von Art. 102 AEUV i. V. m. § 134 BGB zwar eine andere Rechtsfolgenbeurteilung möglich.101 Allerdings wäre sie kaum überzeugend. Erstens entstünde aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten Rechtsunsicherheit. Zweitens bringt Art. 101 Abs. 2 AEUV eine Präferenz für eine Nichtigkeit zum Ausdruck, die wegen der in Bezug auf Kopplungsgeschäfte bestehenden Nähe zwischen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 102 AEUV nicht unberücksichtigt bleiben kann. Und schließlich wurde drittens bereits eine Vielzahl von Argumenten gefunden, die eine Nichtigkeit von Vereinbarungen über gekoppelte Geschäfte nahe legen.102 95
Siehe S. 86 ff. Siehe S. 86 ff. 97 Siehe S. 40 f. 98 Siehe S. 86 f. 99 Siehe S. 267 ff. 100 Siehe S. 86 ff. 101 Weil der Vorrang des Europarechts nur für Art. 101 Abs. 2 AEUV gilt und die Rechtsfolgenbestimmung nach Art. 102 AEUV gerade dem nationalen Recht überlassen bleibt, vgl. S. 38, S. 83 und S. 86 ff. 102 Siehe soeben S. 274 ff. 96
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(8) Praktikabilität der Teilnichtigkeit Sind Vereinbarungen, welche die gekoppelte Leistung betreffen, nichtig, stellt sich die Frage nach der Konsequenz für die die Hauptleistung betreffenden Abreden. Träte auch diesbezüglich immer Nichtigkeit ein, wäre diese Sanktion möglicherweise unverhältnismäßig, weil sie in vielen Fällen weiter ginge, als zur Herstellung eines wettbewerbsgemäßen Zustandes notwendig.103 Wäre andererseits eine Teilnichtigkeit nach § 139 BGB praktikabel, könnte insoweit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen werden. Voraussetzung dafür ist die Teilbarkeit des Gesamtvertrages. Insbesondere bei Kopplungsangeboten, bei denen die Leistungen eng zusammenhängen,104 gleichzeitig erbracht werden und ein Klärungsbedarf betreffend der technischen und sonstigen Durchführung besteht, müssen eine Reihe von Nebenleistungs- und sonstigen Nebenpflichten geregelt werden.105 Diese werden sich häufig teils auf die koppelnde, teils auf die gekoppelte Leistung oder aber beide beziehen. Um die genaue Reichweite der Nichtigkeit ermitteln zu können, muss dann eine Zuordnung einzelner vertraglicher Abreden zu Fragen, die Hauptleistung und Fragen, die Nebenleistung betreffend, vorgenommen werden. Das kann bei komplexen Vertragswerken schwierig sein und die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Allerdings zeichnen sich wirtschaftliche Kopplungen gerade dadurch aus, dass beide Leistungen auch einzeln angeboten werden können und tatsächlich, wenngleich in der Summe zu schlechteren Bedingungen, auch einzeln angeboten werden.106 Um also die Reichweite der Nichtigkeit derartiger Kopplungsverträge ermitteln zu können, bedarf es lediglich eines Vergleichs mit einem isolierten Angebot der Hauptleistung. Auf diese Weise kann der zur Aufrechterhaltung des Vertrages notwendige, weil die Hauptleistung betreffende Teil, herausgearbeitet werden. Damit sollte sich eine teilweise Nichtigkeit für den Normalfall praktikabel und angemessen handhaben lassen. (9) Schlussfolgerung Die Nichtigkeit vertraglicher Vereinbarungen über rechtswidrig gekoppelte Leistungen reduziert den wirtschaftlichen Anreiz von Kopplungsangeboten. Ab103
Zu diesem Grundsatz siehe S. 107 f. Ohne dass allerdings eine sachliche Rechtfertigung vorliegt, siehe S. 265 ff. 105 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (460 ff.) „Hoffmann LaRocheVitamine“; EuGH, 03. 10. 1985, WuW/EWG/MUV 713 (714 f.) „Telemarketing“; EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff.) „ALSATEL/SA Novasam“; EuGH, 14. 11. 1996, Slg. 1996 I, S. 5951 (5952, 6010 f.) „Tetra Pak International SA“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1383, 1386 f.) „London European/SABENA“; Kommission, 05. 12. 2001, ABl. EG 2002, Nr. L 61, S. 32 (73) „De Post/La Post“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1829 f., 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1967 ff.) „gemeinsamer Anzeigenteil“; OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (881 f., 883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1055 f., 1057) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 und 1210 f. „Strom und Telefon I und II“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 1284, 1285 ff.) „Der Oberhammer“. 106 Siehe S. 265 ff. 104
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nehmer erwerben keine vertragliche Forderung und müssen deshalb damit rechnen, ihren Anspruch auf Erhalt der Nebenleistung nicht durchsetzen zu können. Sie erhalten keine Schadensersatz- und Gewährleistungsansprüche zur Sicherung des Äquivalenzinteresses. Darüber hinaus ist die Nichtigkeit Voraussetzung dafür, dass Konkurrenten wirksam auf Unterlassung klagen können. Soweit allerdings der Vertrag, die gekoppelte Leistung betreffend, vollzogen wurde, scheidet eine Rückabwicklung aufgrund der bereicherungsrechtlichen Gesetzes- und der wirtschaftlichen Interessenlage regelmäßig aus. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Abnehmer auf Vertragsdurchführung und Erhalt des wirtschaftlichen Vorteils aus dem Kopplungsgeschäft ist mit dem Interesse der Wettbewerber am Schutz ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit abzuwägen. Ein wirklicher Nachteil entsteht für die Abnehmer nur dann, wenn sie die gekoppelte Leistung nicht erhalten oder nicht behalten dürfen. Die Rückforderung der gekoppelten Leistung durch den Marktbeherrscher ist regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB analog, gegebenenfalls auch bereits nach § 814 BGB ausgeschlossen. Demgegenüber können die Abnehmer ihre für das gekoppelte Produkt gewährte Gegenleistung regelmäßig nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern. Soweit die Abnehmer die gekoppelte Leistung nicht erhalten, behalten sie zumindest den Anspruch auf die Hauptleistung. Ist diese isoliert betrachtet so ungünstig, dass der Abnehmer den Vertrag gar nicht geschlossen hätte, ermöglicht § 139 BGB eine völlige Lösung vom Vertrag. Ein verbleibender Schaden wegen Nichterhaltens der Hauptleistung kann im Umfang des negativen Interesses nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB ausgeglichen werden.107 Hätten die Abnehmer den Vertrag über die Hauptleistung auch ohne Kopplung geschlossen, kann er nach § 139 BGB teilweise aufrechterhalten werden.108 Im Vergleich dazu sind die Nachteile, die den Wettbewerbern bei Durchführung von Kopplungsverträgen entstehen können weitaus gravierender. Kopplungspraktiken können zur Verdrängung vom Markt bis hin zur Existenzvernichtung führen. In vielen Fällen gibt es keine Chance für die Wettbewerber, sich mit Mitteln des Leistungswettbewerbes behaupten zu können. Zwar kann ihnen die Nichtigkeit nicht helfen, wenn das Kopplungsgeschäft durchgeführt und die Wettbewerbsverfälschung vollendet ist. Bei anhaltendem Wettbewerbsverstoß ist die Nichtigkeit allerdings Voraussetzung für den Erfolg von Unterlassungsklagen.109 Darüber hinaus verbinden sich mit der Nichtigkeit immerhin eine Verringerung der Attraktivität von Kopplungsangeboten und damit eine gewisse Abschreckungswirkung. Der mit der Nichtigkeit von Verträgen über gekoppelte Leistungen verbundene Schutz der Wettbewerber ist höher zu gewichten als das Interesse der Abnehmer an der Wirksamkeit des Kopplungsvertrages. Zu überlegen bleibt, ob die Nichtigkeit ex tunc oder ex nunc eintreten soll. Die Nichtigkeit ex nunc würde die Abnehmer vor einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung schützen, weil sie die gekoppelte Leistung mit Rechtsgrund bezogen hätten. Allerdings ist auch bei Nichtigkeit ex tunc 107 108 109
Siehe dazu genauer S. 287 f. Siehe S. 108 f. Zum Unterlassungsanspruch siehe ab S. 296.
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eine Rückgewährpflicht der gekoppelten Leistung nach Bereicherungsrecht regelmäßig ausgeschlossen.110 Die Nichtigkeit ex nunc würde den Abnehmern Gewährleistungsansprüche verschaffen, soweit Leistungen ausgetauscht wurden. Soweit der Vertrag nicht vollzogen wurde, verlieren sie ihre Ansprüche mit Feststellung des Missbrauchs. Die Abnehmer würden mit einer ex nunc Nichtigkeit also nur geringfügig besser gestellt. Demgegenüber würde sich die abschreckende Wirkung des Kopplungsverbotes insoweit verringern als der Marktbeherrscher nicht mit einer Rückforderung der erhaltenen Gegenleistung rechnen muss, nachdem der Vertrag vollzogen wurde.111 Eine Begrenzung der Nichtigkeit auf einen ex nunc Tatbestand findet seine Rechtfertigung im Vorliegen einer komplizierten Rechtslage oder einem notwendigen Schutz eines Vertragsteiles.112 Von beidem kann hier keine Rede sein. Eine Begrenzung der Nichtigkeit würde lediglich zu einer Abschwächung des Verbots führen und damit dem Gesetzesziel weniger entsprechen. Für eine umfassende Nichtigkeit vertraglicher Verpflichtungen, die gekoppelte Leistungen betreffen, spricht darüber hinaus, dass Art. 101 Abs. 2 AEUV diese Sanktion vorsieht. Es wird damit eine Gleichbehandlung aller Fälle missbräuchlicher Kopplungsgeschäfte unabhängig davon erreicht, ob sie nur gegen Art. 102 AEUV bzw. § 1 GWB oder zugleich auch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB verstoßen. cc) Teilnichtigkeit und Vertrag im Übrigen Es wurde bereits angesprochen, dass im Fall der Nichtigkeit eines Vertrages, soweit er die gekoppelte Leistung betrifft, der Fortbestand der Abreden die Hauptleistung betreffend, nach § 139 BGB beurteilt werden kann.113 Das ist im Einzelnen darzustellen. (1) Anwendbarkeit von § 139 BGB Aus Sicht von Wettbewerbern, die auf dem Markt der gekoppelten Leistung tätig sind, entfällt die Behinderung – abgesehen natürlich von rein faktischem Leistungsaustausch – bereits mit der Nichtigkeit der vertraglichen Abreden über die Nebenleistung.114 Für eine weitergehende Nichtigkeit besteht aus wettbewerbsrechtlicher Sicht kein Bedürfnis. Es kann schlicht § 139 BGB angewandt werden. Etwas anders stellt sich die Situation aus Sicht von Wettbewerbern dar, die auf dem beherrschten Markt aktiv sind.115 Die Nebenleistung fungiert als Vorspannangebot zur Förderung des Absatzes der Hauptleistung.116 Durch eine attraktive Verknüpfung 110 111 112 113 114 115 116
Siehe soeben S. 277 ff. Siehe soeben S. 276 f. Zur Begrenzung der Nichtigkeit auf eine ex nunc Wirkung, siehe S. 121 f. Siehe soeben S. 279 f. und S. 284. Siehe soeben S. 280 ff. Siehe soeben S. 280 ff. Siehe soeben S. 267 ff.
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der Leistungen wird aus Sicht der Abnehmer der Anreiz zum Bezug der Hauptleistung erhöht.117 Die vertragliche Verpflichtung, für die Inanspruchnahme der Hauptleistung einen Preis zu zahlen, bindet die Kaufkraft des Abnehmers. Soweit der Kunde auf diese Weise seinen konkreten Bedarf gedeckt hat, kann der Wettbewerber nicht mehr ins Geschäft kommen. Für ihn bedeutet in einem solchen Fall auch der Vertrag zwischen Marktbeherrscher und Abnehmer über den Bezug der Hauptleistung eine konkrete Behinderung. Allerdings trifft das auf diejenigen Abnehmer nicht zu, welche die Hauptleistung auch ohne Kopplung abgenommen hätten. Insoweit fehlt es im zweiten Fall an der Kausalität zwischen Kopplung und Vertragsschluss. Mit anderen Worten hätte sich der Wettbewerber mit seinem Angebot auch dann nicht durchgesetzt, wenn der Marktbeherrscher auf sein Kopplungsangebot verzichtet hätte. Festzustellen auf welche Anbieter/Abnehmer Beziehung welcher Fall zutrifft, ist angesichts einer unüberschaubaren Zahl von Verträgen unmöglich. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind beide Konstellationen gleich zu behandeln. (2) Rechtsfolgen der Anwendung von § 139 BGB Die Anwendung von § 139 BGB führt hier zu einem sachgerechten Ergebnis. Die Abreden über die gekoppelte Leistung sind nichtig. Das Rechtsgeschäft ist regelmäßig teilbar in Vereinbarungen, betreffend die Haupt- und die Nebenleistung.118 Bildet ausnahmsweise die Vereinbarung über den Austausch der Hauptleistung keine sinnvolle Regelung, tritt, dem Wettbewerberschutz entsprechend, Gesamtnichtigkeit ein. Im Übrigen hängt die Aufrechterhaltung vom übereinstimmenden, hypothetischen Parteiwillen ab.119 Der Marktbeherrscher will den Absatz der Hauptleistung fördern. Er hat deshalb typischerweise ein Interesse daran, am Vertrag festzuhalten. Für den Vertragspartner kommt es darauf an, ob er den Vertrag auch ohne das Kopplungsangebot geschlossen hätte. Stellt sich der ohne gekoppelte Leistung verbleibende Vertrag als derart wirtschaftlich ungünstig dar, dass ein alleiniger Bezug der Hauptleistung von Beginn nicht in Betracht gekommen wäre, entspricht die Gesamtnichtigkeit seinem hypothetischen Willen. Da in diesen Fällen kein übereinstimmender Parteiwille festgestellt werden kann, tritt gemäß der Auslegungsregel des § 139 BGB Gesamtnichtigkeit ein. In diesem Fall kann der potentielle Vertragspartner Schadenersatz nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB wegen des enttäuschten Vertrauens auf Erhalt der Hauptleistung unter der Voraussetzung erhalten, dass trotz bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung ein ersatzfähiger Schaden verbleibt. Die Pflichtverletzung des Marktbeherrschers besteht in der Nichtaufklärung über diejenigen Umstände des Kopplungsgeschäfts, welche die 117
Siehe S. 267 ff. Der Missbrauchsvorwurf speist sich aus der sachlich nicht gerechtfertigten Verknüpfung zweier oder mehrerer Leistungen. Im Umkehrschluss bedeutet das, der Normadressat verhielte sich rechtmäßig, verzichtete er auf diese Verknüpfung und offerierte die Leistung separat. Dieses von ihm zu fordern, setzt voraus, dass der Einzelvertrieb als solcher möglich ist, siehe S. 265 ff. 119 Zu § 139 BGB siehe S. 108 f. 118
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Nichtigkeit der Vereinbarung über die gekoppelte Leistung und in der Konsequenz der Anwendung des § 139 BGB auch die Nichtigkeit der Abrede über die koppelnde Leistung bedingen.120 Hätte der Abnehmer dagegen den Vertrag auch ohne gekoppelte Leistung geschlossen, liegt ein gemeinsamer hypothetischer Parteiwille zur Aufrechterhaltung der Abreden über die Hauptleistung vor. Im Ergebnis wird in den Fällen, in denen das Kopplungsangebot ursächlich für die Vertragsbeziehung war, Gesamtnichtigkeit eintreten und in denen, wo es an der Kausalität fehlt, nicht. Dieses Ergebnis entspricht sowohl den Interessen der Wettbewerber als auch der Vertragspartner. Es steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass das GWB den freien Leistungsaustausch nicht beeinträchtigen will.121 Schließlich besteht auch kein Konflikt mit denjenigen Fällen, in denen die Nichtigkeit der Abrede über die gekoppelte Leistung auch aus Art. 101 Abs. 2 AEUV folgt, weil die Kopplungsvereinbarung samt Vertrag über die Nebenabrede gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, ohne dass eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV möglich ist. Denn auch bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV ist die Nichtigkeit auf den verbotswidrigen Teil eines wettbewerbsverfälschenden Vertrages zu beschränken. Die Rechtsfolgen einer solchen Teilnichtigkeit ergeben sich dann aus dem nationalen Recht, in Deutschland aus der Anwendung von § 139 BGB.122 dd) Ergebnis Ein Vertrag, welcher zwei nicht zusammengehörige Leistungen auf missbräuchliche Weise koppelt, verstößt gegen das gesetzliche Verbot der Art. 102 S. 1 AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB. Nicht selten verstößt er zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB. Es erweist sich jedoch als notwendig zwischen den Abreden, welche die koppelnde Leistung betreffen und denen, welche die gekoppelte Leistung regeln, zu differenzieren. Das Kopplungsverbot will verhindern, dass der Marktbeherrscher die gekoppelte Leistung wegen des gleichzeitigen Bezuges der Hauptleistung zu Vorzugsbedingungen abgibt. Folglich sind nur die Abreden über die gekoppelte Leistung verboten. Insoweit, d. h. soweit die gekoppelte Leistung betroffen ist, tritt von Beginn an Nichtigkeit ein. Die Vereinbarung über die Hauptleistung bleibt davon zunächst unberührt. Deren Schicksal richtet sich nach § 139 BGB. Entspricht der isolierte Austauschvertrag, in dem der Marktbeherrscher nur noch die koppelnde Leistung gewährt, dem übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen, bleibt das Rechtsgeschäft insoweit wirksam. Ist ein solcher Wille nicht festzustellen, tritt Gesamtnichtigkeit ein.
120 121 122
Siehe S. 279 ff. Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 107 ff.
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c) Kopplungsvereinbarungen Eine Kopplungsvereinbarung dient zur Herstellung einer wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindung zwischen Haupt- und Nebenleistung, falls deren Bezug in verschiedenen Verträgen geregelt wird.123 Sie kann in einem Rahmenvertrag vereinbart oder aber auch als Nebenabrede im Vertrag über die Hauptleistung aufgenommen werden. Der Abnehmer verpflichtet sich darin, die Nebenleistungen zukünftig vom Marktbeherrscher zu beziehen. Als Kopplungsvereinbarung kann auch bereits eine Option zu beurteilen sein, Leistungen zu Vorzugsbedingungen beziehen zu können. In Durchführung dieser Kopplungsabrede werden dann weitere Verträge geschlossen.124 Solche Klauseln verstoßen gegen das Verbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB und auch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB. Sie sind nichtig.125 Denn die durch eine solche Kopplungsvereinbarung verursachte Bindung der Abnehmer will das Kopplungsverbot gerade verhindern.126 Sind, wie soeben dargestellt, bereits bloße Vereinbarungen über die Abgabe gekoppelter Leistungen innerhalb eines, primär die Gewährung der Hauptleistung regelnden Vertrages, nichtig,127 muss das erst recht für Abreden gelten, die den Bezug gekoppelter Leistungen durch Abschluss weiterer separater Verträge regeln. Die Nichtigkeit ergibt sich entweder aus Art. 101 Abs. 2 AEUV oder aus Art. 102 AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB.128 Ob die Verträge, die eine Kopplungsvereinbarung enthalten teil- oder gesamtnichtig sind, richtet sich grundsätzlich nach § 139 BGB.129 Eine Ausnahme gilt bei Rahmenverträgen, die ein Marktbeherrscher zur gleichförmigen Organisation seines Vertriebssystems einsetzt. Diese Verträge bleiben ohne die nichtige Kopplungsvereinbarung wirksam.130 Folgeverträge, die in Durchführung einer Kopplungsvereinbarung über den Bezug von Nebenleistungen geschlossen werden, sind ebenfalls nichtig. Die Begründung für die Nichtigkeit von Abreden über gekoppelte Nebenleistungen, die mit der koppelnden Hauptleistung in einem Vertrag zusammengefasst werden, trägt hier ebenfalls.131 Denn die formal andere Gestaltung über eine Kopplungsvereinbarung, die zum Abschluss zweier oder mehrerer Verträge führt, ändert an der kartellrechtlich maßgeblichen, wirtschaftli123
Siehe S. 272 ff. Siehe S. 272 ff. 125 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 54; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 668; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226; Schröter/ Bartl, in: S/K/J/M, Art. 102 AEUV Rn. 28 ff.; Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 126 Zum Schutzzweck des Kopplungsverbotes siehe S. 269 ff. 127 Siehe soeben S. 274 ff. 128 Siehe S. 282 f. 129 Siehe S. 286 ff. 130 Zur Begründung siehe S. 112 ff. 131 Zu dieser Begründung siehe S. 274 ff. 124
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chen Wirkung auf den Wettbewerb nichts. Im Hinblick auf die durch die Kopplungsabrede geschaffene, von den Parteien gewollte Verbindung und im Hinblick auf die identischen wettbewerbsverfälschenden Wirkungen, liegt ein einheitlicher Wettbewerbsverstoß vor. d) Verträge mit nur wirtschaftlichem Zusammenhang Eine Kopplung kann auch dann vorliegen, wenn über die Abgabe von Haupt- und Nebenleistung separate Verträge geschlossen werden und diese nicht durch eine ausdrückliche Kopplungsvereinbarung rechtlich verbunden sind. Maßgeblich sind die wirtschaftlichen Umstände beider Geschäfte. Der Tatbestand einer Kopplung ist bereits dann erfüllt, wenn der Marktbeherrscher denjenigen Abnehmern, welche die Hauptleistung beziehen, die Nebenleistung zu Vorzugsbedingungen anbietet.132 Die Verträge müssen weder zeitgleich geschlossen werden, noch muss der Marktbeherrscher eine diesbezügliche Verpflichtung eingehen. Ausreichend ist, dass ein faktischer Vertrauenstatbestand geschaffen wird, infolge dessen sich die Abnehmer darauf verlassen, wegen des Bezugs der koppelnden Leistung auch die gekoppelte Leistung erhalten zu können.133 Die Verträge sind in diesem Sinne wirtschaftlich voneinander abhängig. Aus den Umständen seines Zustandekommens und entsprechend seinem Inhalt stellt sich ein derartiger Vertrag über die gekoppelte Leistung als Teil einer missbräuchlichen Kopplung dar. Der Vertrag kommt mit seinen wirtschaftlich vorteilhaften Bedingungen nur wegen des vorherigen Bezugs der Hauptleistung zustande.134 In der Folge tritt eine Behinderung der Wettbewerber ein.135 Aus ihrer Sicht ist maßgeblich, dass die wettbewerbsverfälschende Wirkung die gleiche ist wie im Fall einer Kopplungsvereinbarung oder der Zusammenfassung beider Geschäfte in einem Vertrag.136 Da die Auswirkungen auf den Wettbewerb, nicht aber die spezifische vertragliche Gestaltung entscheidend sind, sind diese Fälle im Hinblick auf die Sanktionierung dieser Rechtsgeschäfte gleich zu behandeln. Ein Vertrag über den Bezug einer derart gekoppelten Leistung verstößt deshalb gegen das Verbot der Art. 102 S. 1 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB, gegebenenfalls auch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB. Er ist ebenfalls nichtig. Durch eine konsequente Anwendung der Nichtigkeitssanktion wird eine Umgehung des Kopplungsverbotes durch Veränderung der vertraglichen Gestaltung vermieden. Der Vertrag über die koppelnde Hauptleistung verstößt als solcher weder gegen Art. 101 Abs. 1 noch gegen Art. 102 S. 1 AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB. Er ist deshalb wirksam. § 139 132
Siehe S. 267 f. Siehe S. 272 ff. 134 Hier besteht ein maßgeblicher Unterschied zur zwangsweisen Kopplung, wo der Zwang zur Abnahme der Nebenleistung den Leistungsaustausch aus Sicht des Vertragspartners unattraktiver macht; zur zwangsweisen Kopplung siehe S. 304 f. 135 Siehe S. 269 ff. 136 Zu den wettbewerbsverfälschenden Wirkungen siehe S. 269 ff. 133
C. Kopplung
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BGB findet keine Anwendung, da die Verträge über die koppelnde und die gekoppelte Leistung kein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne der Vorschrift darstellen. Eine bloß wirtschaftliche Verbindung genügt insoweit nicht.137 Dass die Geschäfte als einheitliche gewollt sind, lässt sich durchgängig allenfalls für den Marktbeherrscher, nicht aber für die Abnehmer sagen. Insoweit kann aber der Schadensersatzanspruch nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB eine adäquate Lösung bieten. Stellt der Marktbeherrscher bereits bei Abschluss des Vertrages über die koppelnde Leistung die Abgabe der gekoppelten Leistung zu vorteilhaften Bedingungen in Aussicht, verletzt er bereits zu diesem Zeitpunkt seine vorvertragliche Aufklärungspflicht über die Verbotswidrigkeit und Nichtigkeit derartiger Verträge.138 Hätte der Abnehmer in Kenntnis dessen den Vertrag über die koppelnde Leistung nicht geschlossen, richtet sich der Anspruch auf Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Aufhebung dieses Vertrages.139 Weitergehend kann er vollständigen Schadensersatz in Höhe des negativen Interesses verlangen.140 4. Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz a) Persönliche Betroffenheit aa) Marktgegenseite Die Marktteilnehmer, welche dem marktbeherrschenden Unternehmen auf der Marktgegenseite gegenübertreten, profitieren von lediglich wirtschaftliche Anreize setzenden Kopplungsangeboten.141 Sie bleiben in ihrer Entscheidung über die Annahme der gekoppelten Leistung frei. Nehmen Sie diese in Anspruch werden sie besser gestellt als bei Einzelbezug der koppelnden Leistung. Eine langfristig möglicherweise eintretende Verringerung der Wettbewerbsintensität, die sich auch zu Lasten der Marktgegenseite auswirkt, bietet keine Grundlage für individuellen Rechtsschutz. Der mit dem Kopplungsverbot verbundene Schutz des Leistungswettbewerbes dient so gesehen zwar auch den Interessen der Marktgegenseite. Jedoch handelt es sich dabei nur um eine Reflexwirkung. Ein Recht auf Wettbewerb gibt es nicht.142 Unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt missbräuchlicher wirtschaftlicher Kopplungen können auf der nachgelagerten Marktstufe tätige Unternehmen keinen Rechtsschutz nach Art. 102 AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB beanspruchen.
137
Zu § 139 BGB siehe S. 108 f. Siehe S. 279 f. 139 Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 161. 140 Siehe S. 279 f.; zum Schadenersatz durch Vertragsaufhebung und Ersatz des Vertrauensschadens Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 161 ff. 141 Siehe S. 269. 142 Siehe S. 50 ff., S. 61 ff. und S. 269 ff. 138
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
bb) Konkurrenten auf dem beherrschten Markt Sachlich nicht gerechtfertigte Kopplungsangebote beeinträchtigen die Chancengleichheit derjenigen Wettbewerber auf dem beherrschten Markt, die nicht in der Lage sind, eine entsprechende Nebenleistung erbringen zu können.143 In der Folge werden diese Unternehmen in ihren Möglichkeiten, die beherrschende Stellung angreifen zu können, behindert. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Verdrängung bis hin zum erzwungenen Ausscheiden aus dem Markt. Gegenüber Newcomern werden Marktzutrittsschranken errichtet.144 Das Verbot wirtschaftlicher Kopplung zielt gleichermaßen auf den Schutz des horizontalen Leistungswettbewerbes und der auf dem beherrschten Markt tätigen aktuellen und potentiellen Wettbewerber.145 Diese Unternehmen genießen deshalb Rechtsschutz nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUVund §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB. cc) Wettbewerber auf dritten Märkten Unternehmen, welche auf dem Drittmarkt tätig sind, dem die vom Marktbeherrscher angebotene gekoppelte Leistung zuzuordnen ist, werden durch die Anbindung dieser Nebenleistung an eine Hauptleistung, die zu erbringen sie nicht in der Lage sind, einem starken Verdrängungsdruck ausgesetzt.146 Diesem können sie gewöhnlich mit Mitteln des freien Leistungswettbewerbes nicht entgegentreten. Selbst für leistungsfähige Unternehmen besteht die Gefahr, in erheblichem Umfang Marktanteile zu verlieren.147 Potentielle Konkurrenten werden vom Markteintritt abgehalten. Diese Wettbewerber sind einer machtbedingten Behinderung in gleicher Weise ausgesetzt wie die Konkurrenten auf dem beherrschten Markt.148 Das Kopplungsverbot will einen derartigen Transfer von Marktmacht verhindern. Deshalb können aktuelle und potentielle, auf dem Markt der gekoppelten Leistung tätige Wettbewerber Rechtsschutz nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB in Anspruch nehmen. b) Sachliche Betroffenheit aa) Tatbestand Ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB ist gegeben, wenn ein marktbeherrschendes (relativ marktstarkes) Unter143 144 145 146 147 148
Siehe S. 269 ff. Siehe S. 269 ff. Siehe S. 269 ff. Siehe S. 271 f. Siehe S. 271 f. Siehe S. 271 f.
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nehmen seinen Abnehmern nicht zusammengehörige Leistungen unter der Voraussetzung des gleichzeitigen Bezuges zu Vorzugsbedingungen im Vergleich zum Einzelbezug gewährt, ohne dass dafür sachliche Gründe, wie z. B. Kosteneinsparungen, technische Erfordernisse oder Handelsüblichkeit149 vorliegen. bb) Individuelle Betroffenheit Missbräuchliche Kopplungen entfalten wettbewerbsbeschränkende Wirkungen auf zwei oder mehreren sachlich verschiedenen Märkten.150 Wirtschaftliche Nachteile drohen sowohl Wettbewerbern auf dem beherrschten als auch auf dritten Märkten. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB gewährt Individualschutz, lässt aber eine Popularklage nicht zu. Das Merkmal der Betroffenheit wirkt also nicht nur anspruchsbegründend, sondern auch anspruchsbeschränkend.151 Ein Wettbewerber genießt deshalb Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 S. 3 GWB nur, wenn und soweit er gerade in der Ausübung seiner wirtschaftlichen Betätigung beeinträchtigt ist. Er kann sich daher nur auf diejenigen mit der Kopplung verbundenen, Konkurrenten behindernden Wirkungen berufen, die auf dem Markt eintreten, auf dem er tätig ist.152 Es genügt nicht darauf hinzuweisen, dass überhaupt wettbewerbsverfälschende Wirkungen auf einem der betroffenen Märkte auftreten. Dementsprechend können Wettbewerber auf dem beherrschten Markt nur geltend machen, dass der Marktbeherrscher durch das Kopplungsangebot Kunden in einer dem Leistungswettbewerb 149
Siehe S. 265 ff. Siehe S. 269 ff. 151 Siehe S. 128 ff. 152 Der BGH hatte demgegenüber in seinen Entscheidungen zu § 20 Abs. 1 GWB a. F. (bzw. § 26 Abs. 2 GWB a. F.) ausgeführt, Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung und Schadenersatz könnten nur solche Unternehmen geltend machen, die auch auf dem beherrschten Markt tätig sind, da die Vorschrift nur vor Behinderungen und Diskriminierungen auf dem beherrschten Markt schütze. Eine bloße Tätigkeit auf dem Markt der gekoppelten Leistung genüge, selbst wenn sich über die Kopplung die Marktbeherrschung dort negativ auswirke, nicht: BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2489 f.) „Sonderungsverfahren“; BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2101) „Metro-Eintrittsvergütung“; KG, 10. 04. 1995, WuW/E OLG 5439 (5446 f.) „Kraftwerkkomponenten“; OLG Frankfurt a.M., 22. 02. 2005, WuW/ DE-R 1589 (1590) „Fernsehzeitschrift“; OLG Düsseldorf, 28. 03. 2012, WuW/DE-R 3788 (3791 f.) „Schilderprägerunternehmen“. Die Annahme, § 20 Abs. 1 GWB a. F. sei auf Drittmarktbehinderungen nicht anwendbar, war nicht überzeugend, vgl.: Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 19 GWB Rn. 190 f.; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2112) „DARED“. Bei einem Verstoß gegen §§ 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 GWB a. F. hatte die Rechtsprechung dagegen anerkannt, dass es, um einen Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadensersatzanspruch zu begründen, genügt, wenn die Behinderungswirkung nur auf dem Drittmarkt eintritt: OLG Düsseldorf, 21. 02.2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom&Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2190 ff.) „Reisestellenkarte“; OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2292) „Stadtwerke Düsseldorf“; OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2835 f.) „CRSBetreiber/Lufthansa“. Durch die Neufassung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB im Rahmen der 8. GWB Novelle hat sich diese Problematik erledigt. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n. F. erfasst Drittmarktbehinderungen; vgl. auch Keßler, WRP 2013, S. 1116 (1117); siehe auch S. 45 f. 150
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nicht entsprechenden Weise anlockt und an sich bindet. Sie müssen darlegen, dass sie dadurch in ihrer wirtschaftlichen Betätigung rechtserheblich betroffen sind, indem sie etwa Kunden verlieren oder der Chance beraubt werden, die Stellung des Marktbeherrschers angreifen zu können. Aus der Betroffenheit von Wettbewerbern auf Drittmärkten können sie keine Ansprüche ableiten. Diese Unternehmen wiederum müssen nachweisen, dass die Kopplung ihre Stellung als Wettbewerber auf dem Markt der gekoppelten Leistung beeinträchtigt.153 Hierbei ergibt sich ein Problem dann, wenn der Konkurrent des koppelnden Marktbeherrschers auf dem Drittmarkt selbst marktbeherrschend ist. Zur Illustration ist auf den Fall zu verweisen, dass marktbeherrschende Energieversorgungsunternehmen durch Kopplung von Stromversorgung und Sprachdienstleistungen in den Markt für Telefondienstleistungen eintraten, in dem die Deutsche Telekom eine marktbeherrschende Stellung hatte.154 Zunächst verneinte das OLG Düsseldorf eine wettbewerbswidrige Beeinträchtigung der Betätigungsmöglichkeiten der Telekom.155 Auf dem Markt für Telefondienstleistungen bestehe angesichts eines Marktanteils der Telekom von über 90 % kein funktionsfähiger Wettbewerb. Der Markteintritt neuer Unternehmen und die Initiierung von Wettbewerb seien deshalb positiv zu bewerten. Das gelte auch angesichts der vom Newcomer praktizierten Kopplung. Das Gericht bewertete das Gesetzesziel Märkte zu öffnen und Wettbewerbern Zugang zu bisher monopolisierten Märkten zu ermöglichen als vorrangig. In der Tat geht der Normzweck von Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB dahin Wettbewerber gegen missbräuchliches Verhalten von Marktbeherrschern, nicht aber Marktbeherrscher selbst zu schützen.156 Gleichwohl ist der BGH – wenn es im Ergebnis darauf auch nicht ankam, weil aus anderen Gründen ein Missbrauch verneint wurde – dieser Rechtsauffassung entgegengetreten.157 Der BGH vertritt die Auffassung, die individuelle Wettbewerbsposition eines auf dem Drittmarkt tätigen Unternehmens sei für die Frage der Anspruchsberechtigung unerheblich. Maßgeblich sei, ob durch ein missbräuchliches Kopplungsangebot die Wettbewerbsverhältnisse auf diesem Markt in sachlich nicht gerechtfertigter Weise beeinflusst werden. In diesem Fall werde über diese allgemeine Marktbeeinflussung auch die Wettbewerbsposition eines auf dem Drittmarkt tätigen Marktbeherrschers berührt. Deshalb sei auch ein solches Unternehmen zur Geltendmachung von Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüchen berechtigt.158 Dieser Auffassung ist 153
Vgl. soeben die Nachweise in Fn. 152. OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom & Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1209 f.) Strom und Telefon I“; BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1212 f.) „Strom und Telefon II“. 155 OLG Düsseldorf, 21. 02. 2001, WuW/DE-R 880 (883 f.) „Strom & Fon“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2002, WuW/DE-R 1055 (1057 f.) „Ruhrnet“. 156 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 157 BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1211 f.) „Strom und Telefon II“. 158 BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1210 (1211 f.) „Strom und Telefon II“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2112) „DARED“. 154
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beizutreten. Könnte der auf dem Drittmarkt tätige Marktbeherrscher privaten Rechtsschutz nicht in Anspruch nehmen, entstünde ein erheblicher wirtschaftlicher Druck, Abwehrmaßnahmen gegen das wettbewerbswidrige Vordringen des koppelnden Unternehmens zu ergreifen. Um seine Wettbewerbsposition zu schützen, greift das unter Druck gesetzte Unternehmen möglicherweise ebenfalls zu wettbewerbswidrigen Praktiken.159 In der Folge würde einem Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb zwischen zwei Marktbeherrschern Tür und Tor geöffnet. Kleinere und mittlere Unternehmen hätten im Wettbewerb auf dem Drittmarkt keine Chance mehr. Andererseits ist den auf dem Drittmarkt tätigen kleinen und mittleren, gegebenenfalls auch relativ marktstarken Wettbewerbern eine Anspruchsberechtigung nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB aufgrund individueller Betroffenheit zuzugestehen.160 Wollte man nun mit Blick auf die Anspruchsberechtigung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und marktbeherrschenden Unternehmen andererseits differenzieren, so führte das nicht zu angemessenen Ergebnissen. Man würde unnötig Abgrenzungsprobleme zwischen beiden Gruppen schaffen. Klagte ein kleines Unternehmen erfolgreich, so würde es die Interessen eines Marktbeherrschers jedenfalls im Rahmen eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruches mitverteidigen. Weil sich die Kopplungsstrategie auf den gesamten Drittmarkt auswirkt, muss sie dann auch insgesamt unterlassen werden.161 Demgegenüber bestünde umgekehrt nicht die Möglichkeit, dass ein auf dem Drittmarkt marktbeherrschendes Unternehmen die Interessen der kleinen und mittleren Wettbewerber mitverteidigt. Dabei wäre ein solcher Effekt wünschenswert, weil ein marktbeherrschendes Unternehmen weit eher bereit wäre das Risiko eines langwierigen, umfangreichen und kostenintensiven Prozesses auf sich zu nehmen. Das Argument Zweck der Missbrauchsverbote sei es nicht, marktbeherrschenden Unternehmen die juristische Verteidigung ihrer Position zu ermöglichen, ist zwar zutreffend. Bei genauer Betrachtung wird es aber, soweit es zur Verneinung einer Anspruchsberechtigung von marktbeherrschenden Unternehmen herangezogen wird, in einen falschen Zusammenhang gestellt. Denn zunächst ist zu berücksichtigen, dass eine Unterlassungs- oder Beseitigungsklage eine wettbewerbswidrige Kopplungsstrategie eines anderen marktbeherrschenden Unternehmens unterbinden soll. Des Weiteren entstünde bei Versagung der Klagebefugnis die Gefahr ruinöser Konkurrenz zu Lasten des (Rest-)Wettbewerbs auf dem Drittmarkt. Und schließlich wenden sich weder Art. 102 AEUV noch die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB gegen das bloße Innehaben einer marktbeherrschenden (marktstarken) Stellung. Eine marktbeherrschende Stellung ist hinzunehmen, solange sich das betref159 Zum Beispiel von Preiskämpfen: BGH, 27. 10. 1988, WuW/E BGH 2547 (2550 ff.) „Preiskampf“; WuW/DE-R 781 (788 f.) „Wal Mart“, zuvor BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 316 (318 ff.) „Wal Mart“; BKartA, 01. 09. 2000, WuW/DE-V 314 (314 f.) „Aldi Nord“. 160 Siehe S. 271 f. und S. 292 f. 161 Fehlt es dagegen an einer hinreichenden Marktwirkung ist bereits der Tatbestand des Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB nicht erfüllt, zum Verhältnis von Individual- und Institutionenschutz siehe S. 62 ff. und S. 69 ff.
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fende Unternehmen am Leistungswettbewerb beteiligt. Lediglich der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung ist verboten.162 Verhält sich der auf dem Drittmarkt marktbeherrschende Wettbewerber missbräuchlich, so können andere auf diesem Markt tätige Wettbewerber gegen eben dieses Unternehmen auf Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz klagen. Im Fall des Eindringens von Marktbeherrschern in monopolisierte Märkte mit Hilfe von Kopplungsangeboten können dort tätige marktbeherrschende (und auch relativ marktstarke) Unternehmen Rechtsschutz nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB in Anspruch nehmen.163 Sie sind ebenso wie jedes andere auf dem Drittmarkt tätige Unternehmen infolge der Beeinträchtigung ihrer wettbewerblichen Betätigungsfreiheit i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB rechtserheblich betroffen. c) Inhalt des Unterlassungsanspruches Die Nichtigkeit von Kopplungsvereinbarungen nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB oder Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB schließt die tatsächliche Durchführung von Kopplungsgeschäften nicht aus.164 In einem solchen Fall können behinderte Konkurrenten verlangen, dass der Marktbeherrscher Kopplungsangebote im Wettbewerb unterlässt,165 keine Verträge zur Durchführung von Kopplungen abschließt bzw. entsprechende, ohnehin nichtige Abreden166 nicht vollzieht. aa) Angebot, Werbung und Leistungsbeschreibung Wirtschaftlichen Kopplungen lassen sich in der Werbung als besonders günstiges Angebot darstellen. Sie sind ebenso wie Angebote unter Einstandspreis als Lockvogelangebote geeignet. Hinsichtlich der Konkretisierung der Begriffe des Angebots und der Werbung für den Zweck der Formulierung des Unterlassungsanspruchs ist auf die entsprechenden Ausführungen zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis
162
Siehe S. 50 ff. Rechtsschutz für marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen nach § 20 Abs. 3 S. 1 GWB kommt dagegen nicht in Betracht, weil die Norm Schutzgesetz speziell für kleine und mittlere Unternehmen ist. 164 Die Konstellationen einer vertraglich abgesicherten Kopplung einerseits als auch einer nur faktischen wirtschaftlichen Abhängigkeit zwischen zwei Geschäften andererseits wurden bereits dargelegt, siehe S. 272 ff. Das Kopplungsverbot und damit der Unterlassungsanspruch erfasst beide. 165 Verboten ist bereits das Angebot der Kopplung im Wettbewerb und im weiteren dann natürlich auch die Durchführung des Kopplungsgeschäfts, siehe S. 267 f. 166 Zur Nichtigkeit siehe S. 274 ff. 163
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zu verweisen.167 Im Tenor eines Unterlassungsurteils müssen sowohl die koppelnde als auch die gekoppelte Leistungen dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechend genau beschrieben werden.168 Bezüglich der koppelnden Leistung ergeben sich keine besonderen Probleme, weil es dem Marktbeherrscher insoweit nicht möglich ist, das Urteil durch Ausweichen auf eine andere Leistung zu umgehen. Der Erfolg der Kopplungsstrategie beruht ja gerade auf dem Einsatz der insoweit bestehenden Marktbeherrschung.169 In Bezug auf die hinreichend genaue Bestimmung der Nebenleistung kann eine mögliche Umgehungsgefahr Schwierigkeiten bereiten. Dem Normadressaten ist es unter Umständen möglich im Fall eines stattgebenden Urteils auf eine andere, ähnlich attraktive Nebenleistung auszuweichen. In diesem Fall ist es angebracht, die Umgehungsgefahr durch eine entsprechende Formulierung des Klageantrags zu berücksichtigen. Auch dieses Problem ist bereits im Zusammenhang mit dem Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis erörtert worden, worauf deshalb verwiesen wird.170 Diese Schwierigkeit ergibt sich aber nur für Wettbewerber auf dem beherrschten Markt, für die jegliche, aus Sicht der Abnehmer attraktive Nebenleistung als wettbewerbswidriges Vorspannangebot einsetzbar ist. Aus Sicht der Drittmarktwettbewerber stellt sich das Umgehungsproblem deshalb nicht, weil sie lediglich ein Interesse daran haben, dass die Kopplung mit einer ganz bestimmten Leistung unterbleibt, nämlich mit derjenigen, die der Marktbeherrscher auf eben diesem Drittmarkt anbietet. bb) Die Kopplung (1) Die Zusammenfassung der Leistungen Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen die spezifische Zusammenfassung der Leistungen durch Kopplung. Dabei geht es um die Vorteile, die dem Abnehmer bei gleichzeitigem Bezug im Vergleich zum Einzelbezug entstehen. Nur diese Kopplung, nicht die Abgabe der Leistungen als solche ist dem Marktbeherrscher verboten.171 Mit dem Unterlassungsanspruch soll der Marktbeherrscher gezwungen werden Haupt- und Nebenleistung, sowohl bei gleichzeitigem als auch bei Einzelbezug zu den jeweils gleichen Bedingungen abzugeben. Bei der Formulierung des Unterlassungstenors, darf, um das missbräuchliche Verhalten zu beschreiben, der Begriff „koppeln“ im Zusammenhang mit den verbundenen Leistungen verwendet werden. Ein solcher Tenor wird dem Bestimmtheitsgebot gerecht.172 167
Siehe S. 204 und S. 214. Für kartellverwaltungsbehördliche Verfügungen vgl. von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (657 ff.). 169 Siehe S. 265 ff. 170 Es handelt sich insoweit um ein Parallelproblem, siehe S. 205 ff. 171 Siehe S. 265 ff. 172 OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3335) „Inter Mailand Spiel“; allgemein zur Verwendung konkretisierungsbedürftiger wettbewerbsrechtlicher Begriffe von Ungern-Sternberg, in: FS Geiss, S. 655 (660 ff.). 168
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(2) Kostenlose Nebenleistungen Dem Marktbeherrscher ist es verboten, die Nebenleistung kostenlos abzugeben, um die Attraktivität der Hauptleistung zu steigern. Der Anspruch auf Unterlassung geht dann schlicht dahin, dem Marktbeherrscher zu untersagen, den Abnehmern für den Fall des Bezuges der Hauptleistung die kostenlose Nebenleistung in Aussicht zu stellen oder gemeinsam mit der Hauptleistung tatsächlich abzugeben. Zur Vermeidung einer Umgehungsgefahr173 kann der auf dem beherrschten Markt tätige Konkurrent verlangen, dass jegliche kostenlose Abgabe einer Nebenleistung untersagt wird. Wettbewerber, die lediglich auf dem Markt der gekoppelten Leistung mit dem Marktbeherrscher in Wettbewerb stehen, können hingegen nur verlangen, dass die kostenlose Gewährung gerade dieser Leistung untersagt wird.174 (3) Gesamtpreisbildung oder sonstige Vorzugsbedingungen Eine missbräuchliche Kopplung kann auch durch Bildung eines, im Vergleich zu den Einzelpreisen niedrigeren Gesamtpreises oder der Einräumung sonstiger Vergünstigungen für den Fall des gleichzeitigen Bezuges nicht zusammengehöriger Leistungen erreicht werden.175 Der Unterlassungsanspruch zielt darauf ab, die wirtschaftliche Verbindung zwischen koppelnder und gekoppelter Leistung zu lösen.176 Das wird erreicht, indem der Marktbeherrscher gezwungen wird, bei Einzelbezug der Haupt- und Nebenleistung jeweils die gleichen Bedingungen zu bieten wie beim gemeinsamen Bezug beider Leistungen. Im Fall der Verbindung zu einem Gesamtpreis muss er die Einzelpreise ausweisen. Diese Einzelpreise müssen denjenigen entsprechen, welche die Abnehmer erhalten, die entweder nur die koppelnde oder nur die gekoppelte Leistung beziehen. Infolgedessen entfällt für den Abnehmer der wirtschaftliche Anreiz für den gemeinsamen Bezug. Er wird die Einzelleistungen nur noch dann beziehen, wenn sie im Verhältnis zu den Angeboten der Wettbewerber auf dem jeweiligen Markt für ihn günstiger sind. Allgemein muss ein Unterlassungstenor in einem Urteil oder einer kartellbehördlichen Verfügung ein Verbot formulieren, die betreffenden Leistungen in einer Weise gemeinsam abzugeben, welche dem Abnehmer wirtschaftliche Vorteile verschafft, die er bei getrenntem Bezug nicht erhalten könnte. Demgegenüber würde es eine über den Verbotszweck hinausgehende und daher unzulässige Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Marktbeherrschers darstellen, würde man ihm die Abgabe der gekoppelten Leistung oder auch die gemeinsame Abgabe beider Leistungen untersagen.177 173 174 175 176
dorf“.
Siehe S. 296 f. Nur insoweit besteht eine persönliche individuelle Betroffenheit, siehe S. 292 ff. Siehe S. 267 f. OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2287 f., 2294) „Stadtwerke Düssel-
177 Das gilt unabhängig davon, ob ein Vertrag vorliegt oder nur eine rein wirtschaftliche Verbindung besteht.
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d) Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV Verstößt die Kopplung des Marktbeherrschers zugleich auch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB,178 so verletzt auch der Abnehmer das Verbot, an vertikalen kooperativen Wettbewerbsbeschränkungen mitzuwirken. Betroffene Wettbewerber des Marktbeherrschers können, unabhängig davon, ob sie auf dem beherrschten oder einem Drittmarkt tätig sind, auch diese Abnehmer gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB auf Unterlassung in Anspruch nehmen.179 Beide Unterlassungsschuldner können in einem Prozess als Streitgenossen i. S. v. § 59 ZPO verklagt werden. e) Beseitigungsanspruch Wirtschaftliche Kopplungen stören die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Wettbewerbern auf dem beherrschten Markt und Drittmärkten.180 Rechtsgeschäfte über den Austausch gekoppelter Leistungen und Kopplungsvereinbarungen sind nach § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. d) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, gegebenenfalls auch Art. 101 Abs. 2 AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig.181 Abnehmer haben deshalb keine Ansprüche auf die gekoppelte Leistung. Insoweit würde ein Beseitigungsanspruch leer laufen. Soweit es den Abschluss von Verträgen über die Hauptleistung betrifft, ergibt sich aufgrund der Anwendung von § 139 BGB regelmäßig eine angemessene Lösung.182 Ist danach der Vertrag nichtig, bedarf es eines Beseitigungsanspruches nicht mehr. Ist er danach wirksam, dann besteht keine Kausalität zum Kopplungsangebot und der Beseitigungsanspruch ist unbegründet. Nur dann, wenn § 139 BGB nicht anwendbar ist und der Abnehmer den Vertrag über die Hauptleistung nicht geschlossen hätte, ergibt sich infolge des dennoch wirksamen Vertrages eine gegenwärtige Beeinträchtigung der geschützten wirtschaftlichen Interessen der Konkurrenten.183 Allerdings handelt es sich bei einem solchen Vertrag nur um einen Folgevertrag vorangegangenen wettbewerbswidrigen Verhaltens.184 Der Vertrag über die koppelnde Leistung hat selbst keinen wettbewerbsbeschränkenden Inhalt. Er ist auch nicht untrennbar mit der Kopplung verbunden, da der Marktbeherrscher ihn prinzipiell auch ohne Kopplung so abschließen würde und es Abnehmer gäbe, die diesen Vertrag auch ohne Erhalt der gekoppelten Leistung geschlossen hätten. Hätten sie ihn nicht geschlossen, haben sie einen Anspruch auf Aufhebung dieses Vertrages nach §§ 311 178
Allgemein zur Abgrenzung von Art. 101 und 102 AEUV siehe S. 86 ff. Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 68. Beide Normen können Grundlage für eine Betroffenheit i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB sein, siehe S. 127 ff. 180 Siehe S. 269 ff. 181 Siehe S. 274 ff. 182 Siehe S. 286 ff. 183 Das ist bei einem nur wirtschaftlichen Zusammenhang der Fall, siehe S. 290 f. 184 Siehe S. 290 f. 179
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Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 und 249 ff. BGB.185 Ob sie ihn geltend machen, obliegt aber ihrer freien Entscheidung. Entscheiden sie sich dagegen, ergibt sich praktisch kein Unterschied zur Situation, in der sie den Vertrag über die koppelnde Leistung von Anfang an gewollt hätten. Den Wettbewerbern würde es ja nur nutzen, wenn die Abnehmer ihre Entscheidung, von wem sie die Hauptleistung beziehen wollen, zugunsten der Wettbewerber neu treffen. Dazu wären sie in dem Fall aber gerade nicht bereit. Der Wettbewerber ist auf den Anspruch auf Schadensersatz zu verweisen.186 Soweit die gekoppelte Leistung tatsächlich vom Marktbeherrscher abgegeben wurde, ist die damit verbundene Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen abgeschlossen.187 Insoweit ist die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung oder deren Ausschluss vorrangig zu berücksichtigen.188 Zum Ausgleich für damit verbundene Nachteile sind die Wettbewerber auf den verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch angewiesen. Rechtsschutz gegen zukünftige Kopplungsgeschäfte bietet nur ein vollsteckbarer Unterlassungstitel.189 Regelmäßig wird das Interesse der Wettbewerber genau darauf gerichtet sein. f) Schadensersatz Wettbewerber können die Beendigung der Praktizierung missbräuchlicher Kopplungen im Wege einer Schadenersatzforderung als Teil der Naturalrestitution durchsetzen. In der praktischen Bedeutung wird dieser Anspruch durch den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch verdrängt.190 Des Weiteren haben sie einen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinnes nach §§ 249 Abs. 1, 252 BGB. Praktische Bedeutung hat insoweit nur die Berechnung des abstrakten Schadens entsprechend dem gewöhnlichen Verlauf, d. h. der normalen Umsatzentwicklung ohne schädigendes Ereignis,191 i. S. v. § 252 S. 2, 1. Alt. BGB oder soweit es potentielle Wettbewerber betrifft nach dem, entsprechend den getroffenen Vorkehrungen zu erwartenden Gewinn.192 Eine konkrete Berechnung des entgangenen Gewinnes dürfte deshalb kaum in Betracht kommen, weil das für jeden Einzelfall den Nachweis voraussetzt, dass ein bestimmter Abnehmer ohne das Kopplungsangebot die Haupt- oder Nebenleistung gerade bei dem Schadensersatz fordernden Wettbewerber bezogen hätte.193 Die Möglichkeit der erleichterten Schadensberechnung 185
Siehe Teil 290 f. Siehe sogleich S. 300 f. 187 Siehe S. 280 f. 188 Siehe S. 277 ff. 189 Zum Unterlassungsanspruch siehe S. 296 ff. und allgemein zur Abgrenzung zwischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, siehe S. 144. 190 Zum Unterlassungsanspruch siehe S. 296 ff. 191 Siehe S. 164 f. 192 Siehe S. 165 f. 193 Siehe S. 162; vgl. aber OLG Düsseldorf, 16. 04. 2008, WuW/DE-R 2287 (2294) „Stadtwerke Düsseldorf“, wo der Kläger diesen Nachweis führen konnte. 186
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nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB hat bei wirtschaftlichen Kopplungen keine Bedeutung, weil der Marktbeherrscher zur Finanzierung des Kopplungsangebotes Kapital einsetzen muss, also gerade keinen Gewinn erzielt. Dieses Geld kann er sich allenfalls wieder zurückholen, nachdem er Konkurrenten erfolgreich verdrängt hat. Der Rechtsanwender bleibt also für den Regelfall auf eine Schadensschätzung nach §§ 252 S. 2 BGB und 287 ZPO angewiesen. Im Hinblick auf den Geldersatz für Marktanteils- oder Wertverlust des konkurrierenden Unternehmens gelten die allgemeinen Ausführungen zum Schadensersatz bei Wettbewerberhinderung und die beispielhaften Ausführungen zum Schadensersatz durch Kampfpreise entsprechend.194
III. Zwangsweise Kopplung 1. Tatbestand Zwangsweise erfolgt eine Kopplung, wenn das marktbeherrschende Unternehmen die Abgabe der nachgefragten Hauptleistung von der Inanspruchnahme einer nicht zugehörigen Nebenleistung abhängig macht.195 Durch Ausübung von wirtschaftlichem Druck, welcher aus der machtbedingten Abhängigkeit resultiert, wird den Abnehmern eine Leistung aufgezwungen, die sie entweder gar nicht oder von einem anderen Anbieter beziehen wollen.196 Die Abnehmer müssen sich entweder in dem Vertrag über die begehrte Hauptleistung zur Abnahme der Nebenleistung verpflichten197 oder zumindest zeitgleich einen Vertrag über die Nebenleistung 194
Siehe S. 166 f und zum Beispiel der Kampfpreisunterbietung siehe S. 220. Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff., 6008) „ALSATEL/ SA Novasam“; EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (871 ff.) „Microsoft“, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (940 ff.) „Microsoft“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1331 ff.) „Eurofix-Bauco/Hilti“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1386 f.) „London European/SABENA; Kommission, 16. 12. 2009, WuW/EU-V 1499 (1503 ff.) „Microsoft (Kopplung)“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 23. 03. 1982, WuW/E BGH 1911 (1914) „Meierei-Zentrale“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1967 ff.) „Gemeinsamer Anzeigenteil“; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“, zuvor BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3340 ff.) „Inter Mailand Spiel“; OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4520) „Dürkheimer Wurstmarkt“; LG München I, 21. 03. 2006, WuW/DE-R 1708 (1713 f.) „TV Digital“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1240 ff.) „Praktiker Baumärkte“; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 8.2. Rn. 182, 181; Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. Rn. 47 ff. 196 An der Beurteilung dieses Verhaltens als zwangsweiser Kopplung ändert sich im Übrigen auch dann nichts, wenn ein Teil der Abnehmer die Nebenleistung ohnehin beim Marktbeherrscher beziehen würde. Es würde die individuelle Behinderung dieser Abnehmer, nicht aber die Wettbewerbsverfälschung auf dem Drittmarkt entfallen. 197 Zum Bsp.: EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 864, 871 ff.) „Microsoft“, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (940 ff.) „Microsoft“; Kommission, 16. 12. 2009, WuW/ EU-V 1499 (1503 ff.) „Microsoft (Kopplung)“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 195
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
schließen.198 Typische Konstellationen bilden Fälle, in denen Nebenprodukte, die für den Betrieb eines Gerätes benötig werden, mit dessen Kauf gekoppelt werden. Verbreitet ist auch die Kopplung mit Service- und Reparaturarbeiten, welche einen eigenen Markt bilden und auch von anderen Unternehmen übernommen werden könnten. In diesen Fällen wird die Abnahme einer Hauptleistung typischerweise mit einer längerfristigen Ausschließlichkeitsbindung bezüglich der Nebenleistung verbunden.199 Im Rahmen einer Interessenabwägung ist festzustellen, ob und inwieweit ein schützenswertes Interesse des Marktbeherrschers an der gekoppelten Bezugsbindung anzuerkennen ist.200 Auf das Problem der angemessenen Dauer einer ausschließlichen Bezugsbindung wird im Zusammenhang mit vertikalen Bindungen eingegangen.201 Zwangsweise Kopplungen sind sowohl nach Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV202 als auch nach Art. 102 S 2 lit. d) AEUV und im deutschen Recht aufgrund der §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB verboten. 2. Schutzzweck a) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt Im Unterschied zur wirtschaftlichen Kopplung, die auch der Förderung des Absatzes auf dem beherrschten Markt dienen kann, ist eine zwangsweise Kopplung nur dazu geeignet, den Absatz auf dem Drittmarkt zu steigern.203 Die koppelnde Leistung wird wegen des Zwanges zur gleichzeitigen Abnahme der gekoppelten Leistung für die Marktgegenseite selbst dann weniger attraktiv, wenn die Haupt(1829 ff., 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1967 ff.) „gemeinsamer Anzeigenteil“; BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2484 f., 2489 f.) „Sonderungsverfahren“; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“, zuvor BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1189 f., 1192 ff.) Handpreisauszeichnungsgerät“; OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4520 f.) „Dürkheimer Wurstmarkt“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/DE-R 1006 (1006 f., 1009 ff.) „Fernwärme Börnsen“; LG München I, 21. 03. 2006, WuW/DE-R 1708 (1713 f.) „TV Digital“. 198 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG Düsseldorf 3335 (3340 ff.) „Inter Mailand Spiel“. 199 Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff., 6008) „ALSATEL/ SA Novasam“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW EV 1326 (1332) „Eurofix-Bauco/Hilti“; KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“, zuvor BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1189 f., 1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“ BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1829 f., 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/ DE-R 1006 (1006 f., 1009 ff.) „Fernwärme Börnsen“. 200 Siehe S. 265 ff. 201 Siehe S. 327 ff. 202 Vorbehaltlich einer Einzel- oder Gruppenfreistellung auf Basis des Art. 101 Abs. 3 AEUV, gegebenenfalls i. V. m. einer GVO, siehe S. 325 ff. 203 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 284, 286 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 261 f.; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 8.2.3., Rn. 188 bis 203 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. B. b) Rn. 52 ff.
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leistung, isoliert betrachtet, eine im Vergleich zu Konkurrenzangeboten vorzugswürdige Offerte darstellt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn auch die gekoppelte Leistung von der Marktgegenseite benötigt wird und wiederum das beste Angebot darstellt. In einem solchen Fall bestünde aber kein Bedürfnis zur Durchführung einer zwangsweisen Kopplung. Ziel des Marktbeherrschers ist es gerade, auf einem Drittmarkt Marktmacht in einer Weise aufzubauen, wie sie durch ein Einzelangebot der Nebenleistung nicht erreicht werden könnte.204 Eine zwangsweise Kopplung behindert deshalb die Wettbewerber, die ebenfalls auf dem beherrschten Markt tätig sind, nicht. Im Gegenteil führt sie sogar dazu, dass ihre Angebote ohne eigenes Zutun attraktiver werden. Zwangskopplungen eignen sich daher nur für Marktbeherrscher, die auf besonders stark vermachteten Märkten tätig sind. Es muss eine derart große Abhängigkeit der Abnehmer bestehen, dass sie bezüglich der Hauptleistung keine ausreichende Möglichkeit haben, auf Alternativangebote auszuweichen und deshalb eher die Kopplung in Kauf nehmen als auf die Leistung überhaupt zu verzichten. b) Wettbewerber auf dem Drittmarkt Die Wirkung gegenüber Wettbewerbern auf Drittmärkten entspricht derjenigen, die bereits bei der wirtschaftlichen Kopplung dargestellt wurde.205 Ein Unterschied ergibt sich nur insoweit, als bei der Durchsetzung von Nebenleistungen mittels Zwanges die Verdrängungswirkung im Vergleich zum Setzen eines nur wirtschaftlichen Anreizes verstärkt wird. Während nämlich im zweiten Fall der Abnehmer insoweit in seiner Entscheidung frei ist, als er keine Nachteile im Hinblick auf den Erhalt der Hauptleistung befürchten muss, hat er bei der Zwangskopplung infolge der Abhängigkeit und der drohenden Nichtbelieferung regelmäßig gar keine andere Wahl als die Nebenleistung abzunehmen. Drittmarktwettbewerbern wird die Chance diese Marktteilnehmer als Kunden halten oder gar gewinnen zu können, dauerhaft entzogen. Sie werden von einem Teil des Wettbewerbs auf dem Markt ausgeschlossen, ohne dass sie durch bessere Leistung gegensteuern könnten.206 Lediglich Unternehmen, welche die koppelnde Leistung des Marktbeherrschers nicht beziehen, verbleiben als potentielle Kunden. In der Praxis überwiegen aber die Fälle, in denen derartige Kopplungen gerade dann eingesetzt werden, wenn die Nebenleistung in einem nützlichen Zusammenhang mit der koppelnden Hauptleistung steht.207 Dann aber fragen diese Nebenleistung zu einem großen, wenn nicht gar überwiegendem Teil solche Kunden nach, die bereits das koppelnde Produkt oder die
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Siehe S. 265 ff und S. 301 f. Siehe S. 271 f. 206 EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (871 ff.) „Microsoft, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (932 f., 940 ff.) „Microsoft“; Kommission, 16. 12. 2009, WuW/EU-V 1499 (1503 ff.) „Microsoft (Kopplung)“; BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2489 f.) Sonderungsverfahren“; siehe auch S. 301 f. 207 Siehe S. 301 f. und zur wirtschaftlichen Kopplung siehe S. 267 f. 205
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koppelnde Leistung bzw. ein Konkurrenzprodukt gleicher Gattung bezogen haben.208 Aufgrund der Marktbeherrschung, die, worauf bereits hingewiesen wurde, in diesen Fällen zumeist besonders stark ist, werden aber diejenigen, die auf dem beherrschten Markt ein Konkurrenzprodukt bezogen haben in der Minderzahl sein. In einem solchen Fall hat der überwiegende Teil der Drittmarktwettbewerber langfristig keine Überlebenschance. Das Verbot zwangsweiser Kopplungen dient dazu, einen leistungsfremden Transfer von Marktmacht auf Wettbewerbsmärkte zu verhindern. Es will den auf diesen Märkten stattfindenden freien Leistungswettbewerb schützen, indem es die Chancengleichheit dort tätiger Wettbewerber sichert und sie damit vor machtbedingter Verdrängung bewahrt. c) Marktgegenseite Die Marktgegenseite wird sowohl in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit als auch in der Ausübung ihrer Vertragsfreiheit eingeschränkt.209 Zunächst sind die Abnehmer formal frei eine Kopplungsbindung einzugehen oder eben nicht. Jedoch haben sie aufgrund des wirtschaftlichen Zwanges, der aus der Abhängigkeit von der Hauptleistung entsteht, keine realistische Möglichkeit, den Abschluss zu verweigern.210 Sie sind aufgrund der wirtschaftlich schwächeren Position zudem nicht in der Lage, auf den Vertragsinhalt Einfluss zu nehmen. Aus der Mischung von fehlender Ausweichmöglichkeit und wirtschaftlicher Unterlegenheit resultiert ein Umschlagen der Vertragsfreiheit in ein Vertragsdiktat. Ein unter diesen Bedingungen geschlossener Vertrag über einen gekoppelten Bezug sichert den Ausschluss der Wahlfreiheit vertraglich ab. Der Bezug von Konkurrenzangeboten ist dann vielfach ohne Vertragsverletzung, die insbesondere Kündigung und Schadensersatzforderungen nach sich ziehen kann, nicht mehr möglich. Die originäre Freiheit der Marktgegenseite zur freien Wahl des Anbieters wird ausgeschaltet. Es verbinden sich Elemente der Behinderung mit solchen der Ausbeutung.211 Das Kopplungsverbot soll die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite im Hinblick auf den freien Bezug der Nebenleistung erhalten. Darüber hinaus will das Verbot eine mit der Zwangskopplung gegebenenfalls einhergehende Ausbeutung durch i. S. v. Art. 102 S 2 lit. a) AEUVoder § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB unangemessene Geschäftsbedingungen verhindern.212 208
Siehe S. 301 f. und zur wirtschaftlichen Kopplung siehe S. 267 f. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 274, 301 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 261. 210 Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff., 6008) „ALSATEL/ SA Novasam“; EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (871 ff.) „Microsoft“, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (932 f., 940 ff.) „Microsoft“; Kommission, 16. 12. 2009, WuW/ EU-V 1499 (1503 ff.) „Microsoft (Kopplung)“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1386 f.) „London European/SABENA; siehe des Weiteren S. 301 f. 211 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 274; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 259. 212 Zur Ausbeutung siehe ab S. 466. 209
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3. Sanktionen im Vergleich zur wirtschaftlichen Kopplung Die folgenden Ausführungen beschränken sich darauf, die Unterschiede im Vergleich zur wirtschaftlichen Kopplung herauszuarbeiten. Soweit sich aufgrund der Überschneidung der Tatbestände die gleiche rechtliche Beurteilung ergibt, wird auf die vorausgegangenen Ausführungen verwiesen.213 a) Nichtigkeit von Kopplungen nach § 134 BGB aa) Interessen der Wettbewerber Eine Behinderung der Wettbewerber, die auf dem beherrschten Markt tätig sind, findet nicht statt.214 Für sie wäre im Gegenteil die Wirksamkeit der Zwangskopplung von Vorteil, weil dann ihr eigenes Angebot im Vergleich günstiger erscheint. Ein schutzwürdiges Interesse dahingehend anzuerkennen, dass ein bestimmtes ungünstiges Angebot des Marktbeherrschers aufrecht erhalten werden muss, um die Chancen der Wettbewerber zu erhöhen, wäre aber unvereinbar mit den Grundsätzen eines dynamischen Leistungswettbewerbes. Wettbewerber auf dem Markt der gekoppelten Leistung werden in gleicher Weise in ihrer Betätigungsfreiheit eingeschränkt, die auch bei einer bloß wirtschaftlichen Kopplung hervortritt.215 Aufgrund des auf die Abnehmer ausgeübten wirtschaftlichen Drucks wird die Verdrängungswirkung im Regelfall erheblich verstärkt. Deshalb ist die Nichtigkeit der Vereinbarungen über die gekoppelte Leistung nicht nur in ihrem Interesse, sondern vom Gesetzeszweck gefordert.216 bb) Interessen der Vertragspartner (1) Der Wegfall der Bindung Bei zwangsweisen Kopplungen fällt das beachtliche Argument des Vertragspartnerschutzes,217 welches Bedenken gegen die Nichtigkeit entsprechender vertraglicher Vereinbarungen rechtfertigen könnte, weg. Es ist in diesen Fällen gerade der Vertragspartner, welcher unmittelbar in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit beeinträchtigt und im Hinblick auf sein Vermögen ausgebeutet wird.218 Ist die 213
Zur wirtschaftlichen Kopplung siehe S. 267 ff. Siehe S. 302 f. 215 Siehe S. 271 f. 216 Zur wirtschaftlichen Kopplung siehe S. 274 ff. 217 Zur wirtschaftlichen Kopplung siehe S. 278 ff. 218 Siehe S. 304 f.; für Nichtigkeit: Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 54; Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 668; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 200; Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 214
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Verpflichtung zur Abnahme der gekoppelten Leistung nichtig, wird er so gestellt, als ob er den Vertrag nie geschlossen hätte. Seine Auswahlfreiheit bleibt erhalten. Allerdings darf der vom Marktbeherrscher ausgeübte wirtschaftliche Druck nicht übersehen werden. Er wird gewöhnlich – insoweit besteht auch die Möglichkeit zur Unterlassungsklage219 – dazu führen, dass die Abnehmer aus Angst die Hauptleistung nicht zu erhalten, die Nebenleistung auch ohne vertragliche Grundlage faktisch abnehmen. Allerdings gestaltet sich die in der Folge eintretende Rechtslage nach Bereicherungsrecht für ihn günstig. (2) Leistungskondiktionsanspruch des Abnehmers Der Abnehmer kann über den Leistungskondiktionsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB das für die gekoppelte Leistung gezahlte Geld zurückfordern. Es besteht kein Rechtsgrund, weil die vertraglichen Abreden über die gekoppelte Leistung gemäß Art. 101 Abs. 1 lit. e), 101 Abs. 2 AEUV und Art. 102 S. 2 lit d) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB nichtig sind.220 Zu beachten ist allerdings die Einrede des Kondiktionsausschlusses nach § 814 BGB. Die Norm setzt indes eine freiwillige und endgültige Leistung, sowie die sichere Kenntnis nichts zu schulden, voraus.221 An der Freiwilligkeit fehlt es bereits immer dann, wenn der Abnehmer die Nebenleistung ohne Kopplung gar nicht abgenommen und folglich auch nicht bezahlt hätte. Der Abnehmer müsste also sicher wissen, dass die Vereinbarung über die gekoppelte Leistung oder die Kopplungsvereinbarung nichtig ist. Bloßes Wissen Müssen genügt nicht.222 Eine derart hundertprozentige Sicherheit dürfte in der Praxis aus Sicht der Abnehmer, die im Hinblick auf die für die Interessenabwägung relevanten Daten223 über weniger Wissen verfügen als das koppelnde Unternehmen, die absolute Ausnahme sein. Regelmäßig wird eine solche Kenntnis allenfalls bei dem, die Kopplungsstrategie planenden und durchführenden Marktbeherrscher vorhanden sein. Ist sich der Abnehmer insoweit allerdings sicher, hat er die Möglichkeit die Zahlung unter Berufung auf den fehlenden Rechtsgrund zu verweigern.224 Greift der Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB ein, so ist zu berücksichtigen, dass dennoch ein Rückforderungsanspruch nach § 817 S. 1 BGB bestehen kann.225 Die Durchführung der Kopplung, einschließlich der Annahme der Gegenleistung für die Abgabe der gekoppelten Leistung, gehört zu dem dem Marktbeherrscher nach Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV, §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB 219
Siehe S. 317 f. Siehe S. 278 f. 221 Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 Rn. 4. 222 Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 Rn. 4. 223 Siehe S. 265 ff. und S. 301 f. 224 Zahlt der Abnehmer in Kenntnis der fehlenden Verpflichtung aufgrund des vom marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen ausgeübten wirtschaftlichen Druckes, so fehlt es wiederum an der Freiwilligkeit. 225 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 8; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 9. 220
C. Kopplung
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verbotenen Verhalten. Der Ausschluss der Kondiktion nach § 817 S 2 BGB kommt nur in Betracht, wenn der Abnehmer im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV bzw. § 1 GWB an der Wettbewerbsbeschränkung mitgewirkt hat. Ist eine solche Mitwirkung nicht festzustellen und finden nur Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB Anwendung, dann ist kein Raum für die Anwendung des § 817 S. 2 BGB. Nun ist bei Zwangskopplungen eine koordinative Mitwirkung des gebundenen Unternehmens häufig festzustellen.226 Jedoch ist bei der Gestaltung der Rechtsfolgen ein vom Bindenden ausgeübter wirtschaftlicher Druck, der dem Abnehmer selbst wirtschaftliche Nachteile zufügt, angemessen zu berücksichtigen.227 Das kann über das, im Rahmen des § 817 S. 2 BGB vorausgesetzte Bewusstsein eines Verbotsverstoßes228 geschehen. Die an dieses Bewusstsein zu stellenden Anforderungen sind mit Blick auf den jeweiligen Zeck des in Rede stehenden Verbotsgesetzes zu konkretisieren.229 Das Verbot von Zwangskopplungen zielt auf die Erhaltung der Entscheidungsfreiheit von, sich im Einflussbereich koppelnder Unternehmen befindlicher Angehöriger der Marktgegenseite.230 Um dieses Ziel effektiv erreichen zu können, ist die Anwendung von § 817 S. 2 BGB auf vorsätzlich handelnde Marktteilnehmer zu beschränken. Vorsatz in diesem Sinne muss dann bedeuten, dass der Leistende um den Verstoß gegen das Verbotsgesetz weiß und diesen Verstoß freiwillig mitträgt.231 Die sichere Kenntnis wird wegen der Initiative des Bindenden beim Gebundenen nicht selten fehlen. Das von Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB geforderte Bewusstsein des Zusammenwirkens232 stellt im Vergleich zu einem im Sinne von § 817 S. 2 BGB vorsätzlichen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB weit geringere Anforderungen. Bewusst koordinativ handelt der Abnehmer bereits, wenn er sich entsprechenden Vorgaben des Marktbeherrschers beugt.233 Im Gegensatz dazu handelt er vorsätzlich i. S. v. § 817 S. 2 BGB nur dann, wenn er die Kopplungsbindung in Kenntnis eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV oder § 1 GWB freiwillig akzeptiert oder deren Umsetzung gar, in Erwartung von Vorteilen, durch Wohlverhalten gegenüber dem Bindenden, begünstigt. Lediglich in diesem Fall ist die Rückforderung der für die Nebenleistung geleisteten Zahlung ausgeschlossen.
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Zur Abgrenzung von Art. 101 Abs. 1 und 102 AEUV siehe S. 86 ff. EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd./Crehan“ (dort im Zusammenhang mit einer ausschließlichen Bezugsbindung); Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 62. 228 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 68 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 21 f. 229 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 20 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 22. 230 Siehe S. 304. 231 Denn nur in diesem Fall bedarf es der Schutzfunktion des Verbots von Zwangskopplungen nicht. Der Schutz vor sich selbst ist nicht Aufgabe dieses Verbots. 232 Siehe S. 282 f. 233 Siehe S. 86 f. und S. 282 f. 227
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
(3) Leistungskondiktionsanspruch des Marktbeherrschers Im Hinblick auf die gekoppelte Leistung hat der Marktbeherrscher einen Anspruch auf Rückforderung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB. Weiß er allerdings sicher, dass die Kopplungsvereinbarung und der Vertrag über die gekoppelte Leistung nichtig sind, kann der Abnehmer die Einrede nach § 814 BGB erheben und die Leistung behalten.234 Verstößt der Gebundene vorsätzlich gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV oder § 1 GWB, ergäbe sich zwar nach § 817 S. 1 BGB ein Rückforderungsanspruch des Bindenden. Da dann aber auch der bindende Marktbeherrscher bewusst235 gegen das Kopplungsverbot verstößt, ist die Rückforderung nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Fällt nicht dem gebundenen Abnehmer, sondern nur dem Marktbeherrscher ein vorwerfbarer Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e), 102 S. 2 lit. d) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB zur Last, dann ist sein Kondiktionsanspruch nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen.236 Wegen der umfangreichen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung, sowie der ausdrücklichen Erwähnung von Kopplungsbindungen in Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV dürfte ein die subjektive Vorwerfbarkeit i. S. v. § 817 BGB ausschließender Rechtsirrtum gewöhnlich zu verneinen sein.237 Greift § 817 S. 2 BGB analog ausnahmsweise einmal nicht ein, weil der Marktbeherrscher sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befand, dann muss der Abnehmer die empfangene Leistung zurückgewähren. Wegen der objektiven Rechtswidrigkeit des Leistungsaustausches kommt nicht die Saldotheorie, sondern die Zweikondiktionenlehre zur Anwendung.238 Zwar ergäbe sich, wird die Nebenleistung überteuert oder zu sonst ungünstigen Bedingungen angeboten, ein Saldo zugunsten des Abnehmers. Jedoch verbliebe dennoch ein Nachteil, hätte der Abnehmer auch zu günstigeren Bedingungen, beispielsweise mangels Bedarf, die Nebenleistung nicht abgenommen. Wurde die gekoppelte Leistung bereits verbraucht, ist nach § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Allerdings ist hier ein möglicher Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB zu beachten. Insbesondere Dienstleistungen, die dem Abnehmer aufgedrängt wurden, sind in seinem Vermögen nicht mehr vorhanden. An einer verbleibenden Bereicherung wegen ersparter Aufwendungen239 fehlt es, wenn der Abnehmer die Leistung anderweitig überhaupt nicht bezogen hätte. Hätte er sie anderweitig bezogen, ist die Bereicherung nur mit dem Wert dieses anderen Bezuges anzusetzen, da ihm nur insoweit Aufwendungen erspart geblieben wären.
234
Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 12 f.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 814 Rn. 4. Im Sinne subjektiver Vorwerfbarkeit. 236 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10. 237 Zu den Anforderungen siehe S. 154 ff. 238 Vgl. zur Einschränkung der Saldotheorie auch Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 216; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 42; zu dieser Problematik im Zusammenhang mit der Kampreisunterbietung siehe S. 195 f. 239 Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 164 ff. 235
C. Kopplung
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(4) Zusammenfassung zur bereicherungsrechtlichen Rechtslage Im Normalfall führt das Bereicherungsrecht dazu, dass der Abnehmer die für die Gegenleistung gezahlte Vergütung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern kann, während die Rückforderung der gekoppelten Leistung durch den Marktbeherrscher nach § 814 BGB oder § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen ist. Verstößt auch der Abnehmer vorsätzlich gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUVoder § 1 GWB ist die Rückforderung seiner Zahlung nach §§ 814, 817 Sätz1 1 und 2 BGB und die Rückforderung der gekoppelten Leistung durch den Marktbeherrscher nach § 817 Sätze 1 und 2 BGB ausgeschlossen. Dann aber stünde der Abnehmer ebenso, als ob der Vertrag wirksam wäre. Die Nichtigkeit schadet ihm also in keinem Fall. Im Normalfall schützt sie ihn. Der Abnehmer kann sich also, ohne Nachteile befürchten zu müssen auf den Vertragsschluss betreffend die gekoppelte Leistung einlassen, wenn er anderenfalls die Hauptleitung nicht erhalten kann. Ein Problem taucht allenfalls, in dem wohl eher seltenen Fall auf,240 dass der Abnehmer die Nebenleistung zu den Bedingungen des Marktbeherrschers beziehen will, der Vertrag insoweit allerdings nichtig ist. Dann ist es allerdings so, dass die Konsequenz der Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV und/oder Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV, sowie gegebenenfalls §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB, als Folge einer Interessenabwägung hinzunehmen ist, welche dem Schutz des freien Wettbewerbes und den überwiegenden Interessen der Wettbewerber ein höheres Gewicht beimisst als dem Vertrauensschutz der an dem Kopplungsgeschäft beteiligten Parteien.241 Den Interessen der Abnehmer kann allerdings durch Abschluss neuer wettbewerbskonformer Verträge Rechnung getragen werden. Das Problem der Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens an einer wettbewerbskonformen Lösung mitzuwirken, lässt sich aus Sicht der betroffenen Abnehmer über die Geltendmachung eines Kontrahierungszwanges lösen, der aus dem Anspruch auf Unterlassung einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung abgeleitet wird.242 (5) Schadenersatzansprüche Im Gegensatz zur nur wirtschaftlichen Kopplung, bei der der Abnehmer wegen enttäuschten Vertrauens auf die Wirksamkeit des Vertrages über die gekoppelte Leistung einen Schaden erleiden kann, der über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB ersatzfähig ist,243 steht den gebundenen Abnehmern im Fall der Zwangskopplung ein solcher Anspruch nicht zu. Zwar verletzt der Marktbeherrscher 240 Eine seltene Konstellation deshalb, weil dann, wenn die Kopplung auch berechtigte wirtschaftliche Interessen der Abnehmer berücksichtigt, eine sachliche Rechtfertigung nahe liegt, die den Vorwurf des Missbrauchs entfallen ließe; zur Charakteristik der Zwangskopplung siehe S. 301 ff. 241 Das Ergebnis einer solchen Interessenabwägung ist gleichwohl jeweils einzelfallbezogen, siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 242 Siehe im Einzelnen S. 406 ff. 243 Siehe S. 279 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
auch hier eine Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Nichtigkeit.244 Der Abnehmer mag auch davon ausgehen, dass der Vertrag über die Nebenleistung wirksam und er zur Abnahme verpflichtet ist. Der insoweit eintretende Schaden ist aber nicht kausal zur Verletzung der Aufklärungspflicht.245 Die Nichtigkeit schützt die Interessen des Abnehmers. Der Schaden des Abnehmers entsteht, weil er infolge der Kopplung zur Abnahme der Nebenleistung gezwungen wird. Ohne die Kopplung hätte er den Vertrag über die Nebenleistung entweder nicht oder jedenfalls nicht zu den Bedingungen geschlossen. Die Durchführung der Kopplungsgeschäfte stellt eine nur deliktische Pflichtverletzung dar. Deshalb können die Abnehmer ihren Schaden über Art. 101 Abs. 1 lit. e) und 102 S. 2 lit. d) AEUV, sowie §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB ersetzt verlangen.246 Eine Schutzlücke entsteht also nicht. cc) Schlussfolgerung Es treten daher hinsichtlich des Vertrages über die gekoppelte Leistung und die Kopplungsvereinbarung die gleichen Rechtsfolgen ein, wie bei der wirtschaftlichen Kopplung.247 Das bedeutet ein einheitlicher Vertrag, welcher eine Kopplung zum Gegenstand hat, ist gemäß Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. 134 BGB nichtig, soweit er die Verpflichtung zur Abnahme der gekoppelten Leistung regelt.248 Ebenso ist eine Kopplungsklausel nichtig, welche den Abnehmer zum Bezug von Nebenleistungen verpflichtet.249 Besteht zwischen dem Abschluss zweier Verträge eine wirtschaftliche Abhängigkeit dergestalt, dass der Abnehmer den Vertrag über die Nebenleistung schließen muss, um die Hauptleistung erhalten zu können, so ist der Vertrag über die gekoppelte Leistung nichtig.250 Die Nichtigkeit in diesem Umfang ist auch von Art. 101 Abs. 2 AEUV, wegen des vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV gefordert. Im deutschen Recht führt auch § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB zur Nichtigkeit.
244
Siehe S. 279 f. Ersatzfähig ist nur der Schaden, der durch enttäuschtes Vertrauen auf Durchführung des Vertrages entstanden ist; vgl. Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 80. Daran fehlt es, wenn der Abnehmer den Vertrag ohnehin nicht durchführen wollte. 246 Zum Schadenersatz siehe S. 319 ff. 247 Siehe S. 274 ff. 248 Siehe S. 284 ff. 249 Siehe S. 289 f. 250 Siehe S. 290 f. 245
C. Kopplung
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b) Teilnichtigkeit und § 139 BGB aa) Rechtsfolgen der Anwendung von § 139 BGB Der Vertrag über die koppelnde Leistung verstößt nicht gegen Art. 102 S. 2 lit. d) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUVoder § 1 GWB. Er kann deshalb grundsätzlich wirksam bleiben. Zu prüfen ist, ob insoweit § 139 BGB Anwendung finden kann. Für die Abnehmer könnte das ein Problem darstellen, weil die Anwendung von § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit führt, falls kein übereinstimmender hypothetischer Parteiwille für die Aufrechterhaltung des Restgeschäfts festgestellt werden kann.251 Damit wäre der Verlust des Anspruchs auf die Hauptleistung verbunden. Aufgrund der Abhängigkeit vom Marktbeherrscher sind die Vertragspartner regelmäßig darauf angewiesen, dass der Vertrag insoweit wirksam bleibt.252 Die Abnehmer hätten den Vertrag also auch ohne Kopplung geschlossen. Sie stünden in diesem Fall besser als ohne aufgezwungene Nebenleistung. Demgegenüber hat das marktbeherrschende Unternehmen den Abschluss des Vertrages über die Hauptleistung gerade davon abhängig gemacht, dass der Abnehmer auch die gekoppelte Leistung bezieht. Nur auf diese Weise konnte der Marktbeherrscher sein Ziel, Marktmacht auf einen Drittmarkt auszudehnen, verfolgen.253 Aus seiner Sicht war das Akzeptieren der Kopplung durch den Abnehmer für den Vertragsschluss bestimmend. Sonst hätte er den Vertrag über die Hauptleistung nicht geschlossen. Bei der Feststellung des hypothetischen Parteiwillens darf eine rechtswidrige Handlungsalternative allerdings nicht einbezogen werden.254 Die Frage lautet daher nicht, hätte der Marktbeherrscher die Leistung nur gekoppelt oder gar nicht abgegeben. Vielmehr ist zu fragen, ob der Marktbeherrscher in Kenntnis dessen, dass er kein Kopplungsgeschäft durchführen darf, ihm also diese Handlungsmöglichkeit nicht zur Verfügung steht, einen Vertrag über die Abgabe der Hauptleistung geschlossen hätte. Oder hätte er es unter diesen Umständen bevorzugt, auf den Absatz der Hauptleistung zu verzichten. Diese Feststellung kann nur im Einzelfall getroffen werden. Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Marktbeherrscher die Hauptleistung nicht separat abgeben hätte. Infolge dessen besteht also die Gefahr, dass die Vertragspartner im Fall der Durchsetzung des Kopplungsverbotes mit Hilfe der Nichtigkeitssanktion schlechter stehen würden als bei Wirksamkeit der Verträge.255 Das marktbeherrschende Unternehmen bliebe in der Lage, durch Verweigerung der Hauptleistung wirtschaftlichen Druck aufzubauen und die Marktgegenseite zu zwingen, die Nebenleistung auch ohne vertragliche Grundlage abzunehmen. Damit würde eine vertragliche Kopplung durch eine fak251
Zu § 139 BGB siehe S. 108 f. Typischerweise liegen diesen Fällen Sachverhalte zugrunde, in denen der Grad der Marktbeherrschung besonders hoch ist, siehe S. 301 ff. 253 Siehe S. 303 f. 254 Zu § 139 BGB siehe S. 108 f. 255 Zu diesem Problem siehe S. 114. 252
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tische wirtschaftliche Kopplung ersetzt. Zwar wäre denkbar, dass der Vertragspartner sich dagegen mit einer Unterlassungsklage wehrt und einen Anspruch auf Belieferung mit der Begründung erhebt, die Geschäftsverweigerung sei rechtswidrig.256 Jedoch wäre dieser Weg unnötig kompliziert, zeitintensiv und daher für den Anspruchsteller belastend. Wirklich notwendig wäre er nur, falls ein Vertrag über die Gewährung der Hauptleistung noch gar nicht geschlossen wurde. bb) Ausschluss der Anwendbarkeit von § 139 BGB Der Schutz des Vertragspartners kann weitaus besser erreicht werden, indem der Marktbeherrscher an dem einmal geschlossenen Vertrag, soweit er die Hauptleistung betrifft, festgehalten wird. Die Möglichkeit der teilweisen Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften im Interesse schutzbedürftiger Vertragspartner ist allgemein anerkannt.257 Sie lässt sich, soweit das Kopplungsverbot auf Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV oder die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB gestützt wird, auf Basis von § 134 2. Halbsatz BGB dogmatisch begründen.258 Soweit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV vorliegt, ist die Rechtsfolge der teilweisen Nichtigkeit bei Wirksam bleiben des Hauptgeschäfts aus dem Normzweck von Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV abzuleiten. Demgegenüber ist § 139 BGB subsidiär.259 Die Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens erleiden dadurch keine Nachteile. Soweit sie auf dem beherrschten Markt tätig sind, sind sie ohnehin nicht in ihrer Betätigungsfreiheit beeinträchtigt.260 Wettbewerber auf einem Drittmarkt sind von der Vertragsdurchführung, soweit es die Hauptleistung angeht, nicht betroffen.261 Diese Lösung, welche eine Teilnichtigkeit unabhängig vom Willen des Marktbeherrschers zulässt, steht im Einklang mit der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis vor der 6. GWB Novelle. Kopplungsvereinbarungen wurden insoweit für unwirksam erklärt, als sie gegen das Missbrauchsverbot des § 22 Abs. 4 GWB a. F. verstießen. Soweit der Vertrag zulässige Vereinbarungen über den Austausch koppelnder Leistungen enthielt, blieben diese wirksam, ohne dass über § 19 Abs. 1 GWB a. F. § 139 BGB angewandt worden wäre.262 Hinzuzufügen ist, dass sich keine Probleme ergeben, 256 Widersetzt sich der Abnehmer dem Begehren des Marktbeherrschers, die gekoppelte Leistung abzunehmen und verweigert dieser daraufhin den Vertragsschluss insgesamt, liegt ein Fall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung vor, z. B.: EuGH, 03. 10. 1985, WuW/EWG/MUV 713 (714 f.) „Telemarketing“; siehe auch S. 382 ff. 257 Siehe S. 108 f. und S. 114. 258 Siehe S. 114. 259 Siehe S. 86 ff. 260 Siehe S. 302 f. 261 Siehe S. 303 f. 262 BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1189, 1196) „Handpreisauszeichnungsgerät“, bestätigt durch KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (1000 f.) „Handpreisauszeichner“; für Teilnichtigkeit im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 26 Abs. 2 S. 2 GWB a. F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n. F.) OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4521) „Dürkheimer Wurstmarkt“.
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wenn zwei Verträge geschlossen wurden, die zwar aufgrund der Kopplung wirtschaftlich zusammenhängen, aber rechtlich unabhängig sind. Dann ist der Vertrag über die gekoppelte Leistung vollständig nichtig. Der Vertrag über die koppelnde Leistung bleibt davon unberührt.263 c) Zusammenfassung Von der Nichtigkeit erzwungener Kopplungsvereinbarungen und Verträgen über den Austausch gekoppelter Leistungen profitiert die Marktgegenseite ebenso wie die Wettbewerber marktbeherrschender Unternehmen auf Drittmärkten. Die Sanktion dient dem Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit dieser Marktbeteiligten. Dementsprechend macht der Gesetzeszweck eine Nichtigkeit unbedingt erforderlich. Die Abnehmer müssen davor geschützt werden, infolge der Anwendung von § 139 BGB den Anspruch auf Erhalt der koppelnden Leistung zu verlieren. Deshalb bleiben entsprechende Austauschverträge in Anwendung von § 134 2. Halbsatz BGB oder Art. 101 Abs. 1 AEUV unabhängig vom Willen des Marktbeherrschers wirksam. Diese Rechtslage ist geeignet, den Marktbeherrscher davon abzuhalten, Zwangskopplungen zu praktizieren. Nach Vertragsschluss bleibt er an die Pflicht zur Erbringung der Hauptleistung gebunden. Er kann die Abnehmer aber nicht unter Berufung auf einen Vertrag zwingen, die gekoppelte Leistung abzunehmen. Soweit ein Leistungsaustausch dennoch stattgefunden hat, muss er im Regelfall die, für die gekoppelte Leistung erhaltenen Zahlungen nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurück gewähren. Die erfolgreiche Rückforderung der gekoppelten Leistung ist aber wegen § 814 BGB oder § 817 S. 2 BGB direkt oder analog regelmäßig ausgeschlossen. d) Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz aa) Persönliche Betroffenheit (1) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt Wettbewerber, die auf dem beherrschten Markt tätig sind, werden durch zwangsweise Kopplungen nicht nachteilig betroffen.264 Ihre Stellung im Wettbewerb verbessert sich sogar, weil ihre Abnehmer nicht gezwungen sind, eine unerwünschte Nebenleistung zu bezahlen. Ohne eigenes Zutun wird die von ihnen angebotene Leistung verhältnismäßig attraktiver. Eine Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit ist damit jedenfalls nicht verbunden. Diese Unternehmen können deshalb keine Ansprüche nach Art. 102 AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUVoder § 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB erheben. 263 264
Siehe auch zu wirtschaftlicher Kopplung S. 290 f. Siehe S. 302 f.
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(2) Wettbewerber auf Drittmärkten In den Fällen zwangsweiser Kopplungen bedürfen vor allem diejenigen Unternehmen des Schutzes, welche auf dem Markt der gekoppelten Leistung als Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens auftreten.265 Die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen entsprechen im Prinzip denjenigen, die auch bei wirtschaftlichen Kopplungen auftreten.266 Sie werden hier allenfalls durch den Umstand verstärkt, dass der Marktbeherrscher der Marktgegenseite nicht nur einen wirtschaftlichen Anreiz zum Bezug setzt, sondern ihr gegenüber wirtschaftlichen Druck ausübt. Es steigt also die Wahrscheinlichkeit, dass Vertragspartner auch die gekoppelte Leistung abnehmen. Für den Drittmarktwettbewerber bedeutet das, dass die Verdrängungswirkung größer wird. Dann aber bedarf er erst recht des Rechtsschutzes nach Art. 102 S. 2 lit. d) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV oder § 1 GWB, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB. (3) Unternehmen auf der Marktgegenseite Den Vertragspartnern des marktbeherrschenden Unternehmens wird durch die Kopplung eine Leistung aufgezwungen, die sie entweder gar nicht oder nicht von diesem Unternehmen beziehen wollen.267 Ihre Freiheit zur Wahl der Bezugsquelle bleibt allenfalls formal erhalten. Eine realistische Verhaltensalternative verbleibt nicht. Das ist zugleich ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit, die sich hier praktisch zum Vertragsdiktat wandelt. Zugleich droht eine Verschlechterung ihrer Stellung als Anbieter auf der nachgelagerten Marktstufe als Folge der Verschwendung von, für den Erwerb der gekoppelten Leistung eingesetzten Ressourcen.268 Vor diesen Nachteilen will das Kopplungsverbot die Abnehmer schützen.269 Ihre wirtschaftliche Betätigungsfreiheit soll erhalten bleiben, eingetretene Schäden zumindest kompensiert werden können. Dadurch werden zugleich die Bedingungen für den Leistungswettbewerb auf dem nachgelagerten Markt geschützt. Diejenigen Unternehmen, denen gegenüber ein Marktbeherrscher die Abgabe einer nachgefragten Hauptleistung von der Inanspruchnahme einer nicht zugehörigen Nebenleistung abhängig macht, können als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, sowie Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV und § 1 GWB Rechtschutz in Anspruch nehmen. (4) Unternehmen auf nachgelagerten Marktstufen Der Zwang zur Abnahme der Nebenleistung führt zu einer Erhöhung der Kosten der Abnehmer des Marktbeherrschers. Handelt es sich bei diesen Unternehmen um 265 266 267 268 269
Siehe S. 303 f.; vgl. auch Meessen, S. 326. Siehe S. 271 f. Siehe S. 304. Siehe S 304; siehe auch im Zusammenhang mit der Ausbeutung S. 470. Siehe S. 304; Meessen, S. 327.
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Wiederverkäufer, werden sie versucht sein, diese Mehrkosten an ihre Abnehmer auf der nachgelagerten Marktstufe weiterzugeben.270 Gelingt dies ganz oder teilweise, obgleich diese Wiederverkäufer ihrerseits nicht marktbeherrschend sind und keine ausbeuterische Preisgestaltung i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB vorliegt, dann werden die Abnehmer auf dem nachgelagerten Markt mangels Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber den Wiederverkäufern bestrebt sein, ihre höheren Bezugskosten als Schaden vom Marktbeherrscher ersetzt zu verlangen. Diese Fallgestaltung entspricht der Problematik der Weiterwälzung eines Schadens durch vom Ausbeutungsmissbrauch i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB betroffene Unternehmen. Auf die entsprechenden Ausführungen wird daher verwiesen.271 An dieser Stelle sei nur gesagt, dass einer Einbeziehung derart betroffener Unternehmen auf nachgelagerten Marktstufen zwingend entgegensteht, dass weder eine Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, noch ihrer Vertragsfreiheit zu beobachten ist.272 Ein ersatzfähiger Schaden entsteht nicht, da es keinen allgemeinen Anspruch gibt, Leistungen zu einem bestimmten Preis beziehen zu können.273 bb) Sachliche Betroffenheit (1) Tatbestand Ein Verstoß gegen Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB oder Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen die Abgabe einer nachgefragten Hauptleistung von der gleichzeitigen Abnahme einer nicht zugehörigen Nebenleistung abhängig macht, ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung besteht.274 (2) Individuelle Betroffenheit In Bezug auf die, auf einem Drittmarkt tätigen Wettbewerber des Marktbeherrschers ist auf die Ausführungen im Zusammenhang mit einer nur wirtschaftlichen Kopplung zu verweisen.275 Für die Wettbewerber macht es, abgesehen von einer möglichen Intensivierung der Verdrängungswirkung,276 im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Abnehmer aufgrund wirtschaftlichen Anreizes oder Zwanges zum Normadressaten abwandern bzw. an diesen gebunden werden. Die besondere 270
Zum Problem der Weiterwälzung eines Schadens siehe S. 168 ff. Zum Problem der Weiterwälzung eines Schadens im Zusammenhang mit Ausbeutung, siehe S. 500 ff. und S. 515 ff. 272 Ausnahmen sind nur dann vorstellbar, wenn der Abnehmer des Marktbeherrschers selbst zumindest marktstark ist, siehe S. 500 ff. und S. 515 ff. 273 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 274 Siehe S. 265 ff. und S. 301 ff. 275 Siehe S. 292. 276 Siehe S. 303 f. 271
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Konstellation, dass auch ein auf dem Drittmarkt selbst marktbeherrschender Wettbewerber Rechtsschutz über § 33 Abs. 1, 3 GWB in Anspruch nehmen kann, ist auch hier zu beachten.277 Die Betroffenheit der Abnehmer i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB ist offensichtlich.278 Sie müssen nur darlegen, dass sie die gekoppelte Leistung ohne Ausübung des wirtschaftlichen Druckes nicht vom Marktbeherrscher bezogen hätten. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit. Ob sie anstelle dessen Leistungen von Dritten bezogen hätten oder nicht, ist unerheblich. Die Abnehmer können unter Umständen auch unter dem Gesichtspunkt der Ausbeutung schutzbedürftig sein.279 cc) Inhalt des Unterlassungsanspruchs (1) Wettbewerber des Marktbeherrschers Der Anspruch richtet sich, ebenso wie bereits im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Kopplung dargestellt, gegen die Verbindung nicht zusammengehöriger Leistungen.280 Die Darstellung dieser Verbindung im Urteilstenor ist bei zwangsweisen Kopplungen einfacher als bei nur wirtschaftlichen. Während bei letzteren das Verhältnis zwischen Einzelbezug einerseits und den Vorteilen bei Gesamtbezug andererseits entscheidend ist,281 genügt es bei Zwangskopplungen dem Marktbeherrscher aufzugeben, den Einzelbezug von Haupt- und Nebenleistung zuzulassen. Im Urteilstenor ist nur auszusprechen, dass der Marktbeherrscher die Abgabe der koppelnden Leistung nicht von der Inanspruchnahme der bestimmten Nebenleistung abhängig machen darf.282 Da es dem Marktbeherrscher um den Absatz einer ganz bestimmten Nebenleistung geht, besteht aus Sicht der Drittmarktwettbewerber auch keine Umgehungsgefahr.283 Auf diese bestimmte Formulierung ist vor allem dann zu achten, wenn mehrere Leistungen gekoppelt werden.
277
Siehe S. 293 ff. Siehe S. 304. 279 Siehe S. 496 ff. 280 Siehe S. 297 ff. 281 Siehe S. 297 ff. 282 Zum Bsp. (auch im Zusammenhang mit kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen): Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EV 931 (945 ff.) „Microsoft“, bestätigt durch EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (871 ff.) „Microsoft“; BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1196) „Handpreisauszeichnungsgerät“, bestätigt durch KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 (3342 f.) „Inter Mailand Spiel“; OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4520 f.) „Dürkheimer Wurstmarkt“; BKartA, 08. 10. 1979, WuW/E BKartA 1805 (1808 f.) „International Harvester“; BKartA, 22. 10. 1979, WuW/E BKartA 1817 (1830) „Fertigfutter“, bestätigt durch KG, 12. 11. 1980, WuW/E OLG 2403 (2407 ff.) „Fertigfutter“. 283 Siehe S. 141 f. 278
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(2) Marktgegenseite Die Abnehmer sind gezwungen, vom Marktbeherrscher ungewollt Nebenleistungen abzunehmen, wenn sie die begehrte Hauptleistung erhalten möchten. Dabei liegt der Missbrauch, soweit es den Vorwurf der Behinderung angeht, nicht darin, dass die Nebenleistung im Verhältnis zu Konkurrenzangeboten von Drittmarktwettbewerbern wesentlich teurer oder sonst ungünstiger ist,284 sondern darin, dass dem Abnehmer die Freiheit einer eigenen Entscheidung genommen wird.285 Kern des Missbrauchs ist also auch gegenüber Abnehmern das Abhängig machen des Bezugs der Haupt- vom Bezug der Nebenleistung. Es bedarf daher im Unterlassungstenor einer Konkretisierung der Hauptleistung, deren Bezug gewünscht und der Nebenleistung, deren Abnahme gefordert wird. Sodann ist die spezifische Verbindung dieser Leistungen zu untersagen. Dazu muss im Urteilstenor gegenüber dem Marktbeherrscher das Verbot ausgesprochen werden, die Abgabe der nachgefragten Hauptleistung vom Bezug der bestimmten, nicht zugehörigen Nebenleistung abhängig zu machen. Der Unterlassungstenor richtet sich im Ausgangspunkt also gegen die vom Marktbeherrscher konkret geforderte Abnahme der Nebenleistung. Eine Umgehungsgefahr durch Ausweichen auf eine Kopplung mit anderen Nebenleistungen dürfte regelmäßig nicht bestehen, da derartige Kopplungsstrategien auf den Transfer von Marktmacht auf einen bestimmten Drittmarkt abzielen.286 Dieses Ziel ist durch eine Kopplung mit anderen Leistungen nicht erreichbar. Dennoch kann eine solche Ausweichreaktion nicht für jeden Einzelfall ausgeschlossen werden. Der Marktbeherrscher mag beispielsweise einen anderen, eher nahen Drittmarkt ins Visier nehmen. Besteht eine solche reale Gefahr der Umgehung, dann ist ein Verbot der Kopplung mit diesen entsprechenden Nebenleistungen in den Urteilstenor aufzunehmen. Eine Untersagung jeglicher Kopplung, d. h. das Verlangen die Hauptleistung stets nur separat abzugeben, wird hingegen im Normalfall zu weit gehen.287 Insoweit dürfte es an einer hinreichend konkreten Umgehungsgefahr fehlen. Darüber hinaus kann für bestimmte Kopplungen eine sachliche Rechtfertigung bestehen.288 Ein Anspruch auf Erhalt der Hauptleistung verbindet sich mit dem Kopplungsverbot nicht. Nur soweit bereits ein Vertrag über die Hauptleitung geschlossen wurde, besteht ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Lieferanspruch. Der Abschluss eines Vertrages kann dagegen nur mit der Begründung einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung durchgesetzt werden.289 Besteht allerdings die Gefahr, dass der Marktbeherrscher für den Fall der Verurteilung zur Unterlassung der Kopplung 284 Denn insoweit handelt es sich um ein Problem der Ausbeutung durch unangemessene Geschäftsbedingungen, siehe S. 469 f. 285 Siehe S. 304. 286 Siehe S. 265 ff. und S. 301 ff. 287 Siehe auch S. 141 f. 288 Siehe S. 265 ff. und S. 301 f. 289 Siehe S. 406 ff. Zwischen zwangsweiser Kopplung und Geschäftsverweigerung besteht insoweit ein enger Zusammenhang als die Drohung mit einer Geschäftsverweigerung eingesetzt werden kann, um eine Zwangskopplung durchzusetzen.
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die Belieferung mit der Hauptleistung ganz einstellen wird, dann kann im Wege der Klagehäufung gem. § 260 ZPO ein Antrag auf Zustimmung zum Abschluss eines Liefervertrages gestellt werden.290 dd) Beseitigungsanspruch Für den Beseitigungsanspruch der Wettbewerber gilt das zur wirtschaftlichen Kopplung Gesagte entsprechend.291 Auch aus Sicht der Abnehmer ist der Beseitigungsanspruch nicht zielführend. Die Abnahmeverpflichtungen für die gekoppelte Leistung sind ohnehin nach Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB oder aber Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. §§ 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig.292 Ein Beseitigungsanspruch kommt auch nicht in Betracht, soweit der Abnehmer durch Bezug der gekoppelten Leistung in der Vergangenheit einen wirtschaftlichen Nachteil erlitten hat. Bezüglich der Frage der Rückabwicklung ist das Bereicherungsrecht vorrangig.293 Im Übrigen handelt es sich insoweit nicht um eine andauernde Störung. Mit Vollzug des Austauschs der gekoppelten Leistung gegen die Vergütung des Abnehmers ist der Wettbewerbsverstoß insoweit abgeschlossen. Denn aus der Tatsache, dass die Nebenleistung abgenommen wurde, ergibt sich nicht, dass die Entscheidungsfreiheit des Abnehmers gegenwärtig oder in der Zukunft beeinträchtig ist. Für den Ausgleich der in der Vergangenheit erlittenen Nachteile kommt allein ein Anspruch auf Schadensersatz in Betracht.294 Einzig der in unzulässiger Weise auf einen Abnehmer ausgeübte wirtschaftliche Druck kann also zu einer gegenwärtigen Störung führen. Mit dem Beseitigungsanspruch kann der Abnehmer aber allenfalls die Beendigung missbräuchlichen Verhaltens erreichen, nicht aber der Wiederholung in der Zukunft entgegenwirken.295 Insoweit ist nur ein Unterlassungsurteil zielführend, das als Grundlage einer zukünftigen Zwangsvollstreckung dienen kann. ee) Schadensersatz (1) Wettbewerber des Marktbeherrschers Zwangsweise Kopplungen sind nicht geeignet Wettbewerber auf dem beherrschten Markt zu behindern. In Bezug auf die Behinderung von Wettbewerbern
290 Siehe S. 413 ff.; die Verurteilung zur Unterlassung der Geschäftsverweigerung beinhaltet spiegelbildlich einen Anspruch auf Vertragsschluss, den der Anspruchsteller durchsetzen kann, indem er auf Annahme eines von ihm unterbreiteten Angebotes klagt. 291 Siehe S. 299 f. 292 Siehe S. 305 ff. 293 Siehe S. 306 ff. 294 Siehe S. 145 ff. 295 Siehe S. 144 f.
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auf dem Markt der gekoppelten Leistung ergeben sich keine Unterschiede zur wirtschaftlichen Kopplung.296 (2) Marktgegenseite (a) Erzwungene Abnahme der gekoppelten Leistung Abnehmer erleiden einen finanziellen Verlust infolge erhöhter Bezugskosten, wenn sie entweder eine Nebenleistung bezahlen müssen, die sie überhaupt nicht benötigen oder wenn diese Nebenleistung im Vergleich zu Konkurrenzangeboten überteuert oder sonst mit erhöhten Kosten297 verbunden ist. Diese Art von Schäden können sie nach § 249 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen. Soweit sie die Nebenleistung ohne Kopplung überhaupt nicht abgenommen hätten, entspricht die Schadenssumme der Zahlung für die gekoppelte Leistung zuzüglich etwaiger mit der Lieferung verbundener besonderer Kosten, z. B. für Transport, Lagerung usw. Die erhaltene Gegenleistung ist im Wege einer Vorteilsausgleichung nur insoweit anrechnungsfähig, als sie für den Abnehmer überhaupt einen Wert hat. Dabei kommt es nicht auf den objektiven, sondern wegen der Aufdrängung der Leistung auf den, gerade für den Abnehmer messbaren Vorteil an. Dieser kann auch null sein. Soweit ein wirtschaftlicher Wert verbleibt, kann der Abnehmer das erhaltene Produkt auch zurückgeben und dadurch volle Rückzahlung der geleisteten Vergütung erreichen. Insoweit mag aber die Rechtslage nach Bereicherungsrecht für ihn günstiger sein.298 Hätte der Abnehmer die Nebenleistung ohne Kopplung von einem anderen Anbieter bezogen, so kann er nur die Differenz zwischen den Bezugskosten, die insoweit entstanden wären, und den durch Bezug beim Marktbeherrscher entstandenen Kosten geltend machen. Zu den Bezugskosten zählen jeweils der Preis und die mit der Leistungserbringung verbundenen Nebenkosten. Zu beachten ist, dass der Abnehmer seinen mit dem Leistungsaustausch verbundenen Vermögensverlust unter Umständen bereits über bereicherungsrechtliche Ansprüche ausgleichen kann.299 Er kann über einen Leistungskondiktionsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB das für die gekoppelte Leistung gezahlte Geld, sowie nach § 818 Abs. 1 BGB eine beim Marktbeherrscher entstandene Verzinsung zurückzufordern. In den Fällen, wo ein solcher Anspruch nach §§ 814 oder 817 S. 2 BGB ausscheidet, ist wegen der Mitwirkung am Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV bzw. § 1 GWB nach § 254 Abs. 1 BGB auch ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen.300 Von diesen Fällen abgesehen, findet die Zweikondiktionentheorie Anwendung. Die Rückforderung der Nebenleistung durch den Marktbeherrscher wird regelmäßig nach § 814 BGB oder nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen sein.301 In der Folge kann der 296 297 298 299 300 301
Siehe S. 300 f. Zum Bsp.: Nebenkosten für Lagerung, Transport, Versicherung usw. Siehe S. 306 ff. Siehe S. 306 ff. Siehe S. 155 ff. Siehe S. 308 f.
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Abnehmer bei einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung besser stehen als bei der Geltendmachung von Schadensersatz. Nach Bereicherungsrecht kann er regelmäßig die Zahlung für die Nebenleistung zurückfordern, ohne die erhaltene Nebenleistung zurückgeben zu müssen. Nach schadensrechtlichen Grundsätzen kann dagegen, wie soeben ausgeführt, eine, zumindest teilweise Anrechnung des Wertes der Gegenleistung in Betracht kommen. Andererseits sind die Bezugskosten nur über den Schadensersatzanspruch voll ersatzfähig, nicht aber über § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB. Deshalb muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der Abnehmer seine wirtschaftlichen Nachteile besser über das Bereicherungsrecht oder das Schadensrecht ausgleichen kann. (b) Der entgangene Gewinn Weitergehend kommt auch der Ersatz entgangenen Gewinnes nach §§ 249 Abs. 1, 252 BGB in Betracht. Insoweit kann ein Schaden erstens daraus entstehen, dass die überhöhten Bezugskosten zu einer Preissteigerung bei der Weitergabe der bezogenen Leistungen geführt haben und das einen Verlust von Marktanteilen nach sich gezogen hat. Zweitens können die erhöhten Bezugskosten dazu führen, dass geplante Investitionen unterblieben sind und eine erwartete Steigerung des Gewinnes nicht eintreten konnte. Allerdings ist darauf zu achten, dass zum Nachweis einer solchen Kausalität auch soweit eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO Erleichterung bieten soll, es einer sicheren Tatsachengrundlage bedarf.302 Es ist insoweit der Gefahr einer Spekulation entgegenzuwirken. Ein weiterer Schaden kann entstehen, wenn infolge erhöhter Bezugskosten der Abnehmer seinerseits zu Preiserhöhungen gezwungen ist und er deshalb auf dem nachgelagerten Markt Marktanteile verliert und es besonderer Aufwendungen bedarf, um diese Position zurückzugewinnen. Insgesamt ist zu beachten, dass eine Kopplung Schäden in Form entgangenen Gewinnes und Ersatz für Marktanteils- und Wertverlust regelmäßig nicht in erheblichem Ausmaß nach sich ziehen wird, weil insoweit eine große Zahl, wenn nicht gar alle Abnehmer von der Kopplung betroffen sind.303 (c) Vorteilsausgleichung und anteiliger Gewinn Bei der Schadensberechnung ist zu beachten, dass die Weitergabe überhöhter Bezugskosten an die nachfolgende Marktstufe den Umfang des Schadensersatzanspruchs des Abnehmers nicht verringert. Das folgt aus der Anwendung von § 33 Abs. 3 S. 2 GWB.304 Die Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes des Marktbeherrschers nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bei der Schadensschätzung305 spielt eine 302
Siehe S. 163 f. Siehe S. 301 f. Die Praktizierung zwangsweiser Kopplungen wird regelmäßig nur auf stark vermachteten Märkten erfolgreich sein können, weil sie im Grunde auf fehlenden oder jedenfalls unzureichenden Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite beruht. 304 Siehe S. 168 ff. und im Zusammenhang mit Ausbeutung, siehe S. 515 ff. 305 Siehe S. 174 f. 303
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Rolle, soweit es um die infolge des Absatzes der gekoppelten Leistung erzielten Mehreinnahmen des Marktbeherrschers geht. Diese sind in Bezug auf jeden einzelnen Abnehmer ohne Schwierigkeiten feststellbar. Hätten die Abnehmer die gekoppelte Leistung auch nicht von einem Dritten bezogen, dann ist der anteilige Gewinn mit der für die gekoppelte Leistung erhaltenen Gegenleistung identisch. Hätte der Abnehmer ein Substitut der Nebenleistung von einem Wettbewerber des Marktbeherrschers bezogen, dann beschreibt der anteilige Gewinn des Marktbeherrschers den Höchstbetrag des, wegen erhöhter Bezugskosten entstandenen, ersatzfähigen Schadens. Allerdings wird die insoweit ersatzfähige Schadensposition in der Summe deutlich unter den Mehreinnahmen des Marktbeherrschers liegen. Hinsichtlich anderer Schadenspositionen, also des entgangenen Gewinnes und des Ersatzes für Marktanteils- oder Wertverlust eines Unternehmens kommt die Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes des Marktbeherrschers mangels Kausalzusammenhanges nicht in Betracht.306 (d) Mitverschulden Eine Minderung des Schadensumfanges kann durch ein nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden des Abnehmers eintreten. Bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV ist ein Schadensersatzanspruch zwischen den an einer wettbewerbsbeschränkenden horizontalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen grundsätzlich ausgeschlossen.307 Dagegen kommt ein Schadenersatzanspruch für vertikal gebundene Unternehmen grundsätzlich in Betracht.308 Bei Kopplungen i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV werden die Abnehmer regelmäßig zur Mitwirkung an der Wettbewerbsbeschränkung gezwungen und erleiden selbst einen Schaden. Zwingend ist das indes nicht. Beteiligen sie sich selbst aktiv und freiwillig am Wettbewerbsverstoß und nehmen sie die Bindung nicht nur als unausweichlich hin, dann kann ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sein.309 Um allerdings die notwendige Differenzierung im Hinblick auf den Grad des Mitverschuldens leisten zu können, darf nicht bereits die Betroffenheit i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 1 GWB i. V. m. Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV verneint werden.310 Vielmehr ist eine Berücksichtigung des Mitverschuldens durch Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB 306
Siehe S. 174 f. Für horizontale Wettbewerbsabsprachen ist das der Regelfall, wobei Ausnahmen möglich sind: Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 20; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 19. 308 Grundlegend EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; vgl. auch Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 19 f.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 20; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 20; Görner, S. 54 f. 309 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 19; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 126. 310 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 20; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 59, 62. 307
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vorzunehmen. Die Quote kann dann je nach den Umständen des Einzelfalles zwischen 0 und 100 % Schadensersatz liegen.311 Dieses, im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV gefundene Ergebnis muss auch bei Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB beachtet werden. Die Tatsache, dass nur der Marktbeherrscher bzw. ein marktstarkes Unternehmen Normadressat von Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB ist, steht einer Berücksichtigung von Mitverschulden nicht entgegen.
IV. Zusammenfassung Es ist zwischen nur wirtschaftlichen und zwangsweisen Kopplungen zu unterscheiden, weil die Schutzrichtungen insoweit bestehender Verbote nur teilweise übereinstimmen, in wesentlichen Punkten aber unterschiedlich sind. Beide Behinderungspraktiken beeinträchtigen die Chancengleichheit von Wettbewerbern auf dem Drittmarkt der gekoppelten Leistung. Wirtschaftliche Kopplungen behindern zudem Wettbewerber auf dem beherrschten Markt der koppelnden Leistung. Sie bringen jedoch der Marktgegenseite – jedenfalls kurzfristig – Vorteile. Zwangskopplungen bewirken eine starke Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit von Abnehmern. Sie verbessern jedoch tendenziell die Stellung von Wettbewerbern auf dem beherrschten Markt. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kopplungsverbot. Verträge sind, soweit sie Abreden über eine gekoppelte Leistung oder Kopplungsvereinbarungen beinhalten, wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB nach § 134 BGB nichtig. Liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 lit. e) AEUV oder § 1 GWB vor, ergibt sich die Nichtigkeit auch aus Art. 101 Abs. 2 AEUV oder §§ 1 GWB i. V. m. 134 BGB. Soweit Verträge die Abgabe der Hauptleistung regeln, verstoßen sie nicht gegen die genannten Verbotsgesetze. Ob die Vereinbarung in Fällen wirtschaftlicher Kopplung insoweit teilweise wirksam bleibt, ergibt sich aus der Anwendung von § 139 BGB. Soweit die Vorschrift nicht anwendbar ist, weil die Abgabe der Hauptleistung in einem eigenständigen Vertrag geregelt ist, hat der Abnehmer, soweit er den Vertrag ohne das vorteilhafte Kopplungsangebot nicht geschlossen hätte, einen Anspruch auf Vertragsaufhebung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB. Über diesen Anspruch können Abnehmer insoweit Schadensersatz verlangen als sie wegen des Vertrauens auf die Wirksamkeit des Vertrages über die gekoppelte Leistung einen Schaden erlitten haben. Dieser Anspruch besteht allerdings nur bei wirtschaftlichen, nicht aber zwangsweisen Kopplungen, da bei letzteren ein Schaden seine Ursache nicht in enttäuschtem Vertrauen auf Erhalt einer Leistung hat, sondern allein wegen der wettbewerbswidrigen Kopplung eintritt. Insoweit besteht ein Schadensersatzan311
EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; siehe auch S. 154 ff.
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spruch nach Art. 101 Abs. 1 lit. e), 102 S. 2 lit. d) AEUV oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB. Bei zwangsweisen Kopplungen bleibt § 139 BGB zum Schutz der behinderten Abnehmer, welche bezüglich des Erhalts der Hauptleistung vom Marktbeherrscher abhängig sind, unangewendet. Der Vertrag über die Abgabe der Hauptleistung bleibt nach Art. 101 Abs. 1 lit. e), Abs. 2 AEUV bzw. Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB in jedem Fall wirksam. Das gilt auch bei Anwendung von §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB. Soweit das Kopplungsgeschäft durchgeführt wurde, können die Abnehmer die für die Nebenleistung erbrachte Gegenleistung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern. Der Anspruch ist allenfalls im Fall der zwangsweisen Kopplung bei vorsätzlicher Mitwirkung des Abnehmers am Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB aufgrund von § 814 BGB oder § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Der Rückforderungsanspruch des Marktbeherrschers bezüglich einer erbrachten gekoppelten Leistung ist regelmäßig nach § 814 BGB oder § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen. Hinzu treten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, unter Umständen auch Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV oder § 1 GWB, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB. Bei wirtschaftlichen Kopplungen genießen sowohl die Wettbewerber auf dem beherrschten als auch auf dem Drittmarkt als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB Rechtsschutz. Bei Zwangskopplungen erstreckt sich die Betroffenheit dagegen auf Wettbewerber auf dem Drittmarkt und die gebundenen Abnehmer. In Bezug auf den Schutz von Drittmarktwettbewerbern ist zu beachten, dass die rechtserhebliche individuelle Betroffenheit auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn der klagende Wettbewerber auf dem Markt der gekoppelten Leistung seinerseits marktbeherrschend ist. Bei der Formulierung eines Unterlassungstenors ist zu beachten, dass sich der Unterlassungsanspruch nicht gegen das Angebot der Haupt- und Nebenleistung als solches richtet. Er ist nur gegen die spezifische wirtschaftliche oder erzwungene Verbindung der Leistungen gerichtet. Insoweit ist eine Trennung der Angebote dergestalt zu fordern, dass entweder der wirtschaftliche Vorteil entfällt oder ein getrennter Einzelbezug möglich wird. Aufgrund der Nichtigkeit von Kopplungsgeschäften und der Vorrangigkeit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung kann der Beseitigungsanspruch keinen im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch weitergehenden Rechtsschutz leisten. Wettbewerber können Schadensersatz für entgangenen Gewinn oder Marktanteils- oder Wertverlust ihres Unternehmens nach allgemeinen Grundsätzen geltend machen. Bei Zwangskopplungen können auch die Abnehmer des marktbeherrschenden Unternehmens Schadensersatz beanspruchen. Ihnen entsteht ein Schaden durch überhöhte Bezugskosten. Die dem marktbeherrschenden Unternehmen dabei entstehenden Einnahmen sind als anteiliger Gewinn i. S. v. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen. Allerdings ist zu beachten, dass bereits die Geltendmachung von Bereicherungsansprüchen zu einer für den Abnehmer günstigeren Rechtslage führen kann. Weitergehend kommt auch für die Abnehmer die Geltendmachung entgangenen
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Gewinnes oder Ersatz für einen Marktanteils- oder Wertverlust des Unternehmens in Betracht. Da aber viele Abnehmer durch das wettbewerbswidrige Verhalten des Marktbeherrschers gleich betroffen sind, spielen diese Schadenspositionen praktisch keine große Rolle.
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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D. Missbräuchliche vertikale Bindungen I. Überblick Wettbewerbsbeschränkungen im Vertikalverhältnis beruhen vielfach auf einer vertraglich geregelten oder durch wirtschaftlichen Anreiz oder Zwang herbeigeführten systematischen Bindung von Abnehmern. Bisher wurden Rabattsysteme und Kopplungen dargestellt.1 Darüber hinaus treten vertikale Bindungen typischerweise in Form von ausschließlichen Bezugsbindungen, Vertriebsbindungen und Verwendungsbeschränkungen auf. Derartige Bindungen sind – soweit mit ihnen eine spürbare Wettbewerbsverfälschung auf einem wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes und eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels verbunden sind – nach Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV grundsätzlich verboten.2 Gruppenfreistellungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV kommen insbesondere i. V. m. der GVO 330/2010 zur Regelung vertikaler Vereinbarungen,3 der GVO für Technologietransfervereinbarungen4 und der GVO zur Regelung bestimmter Freistellungen im Bereich des KFZ Vertriebs5 in Betracht. Darüber hinaus ist auch an eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu denken. Dazu bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung, welche die mit vertikalen Bindungen verbundene Verringerung der Wettbewerbsintensität zu den, mit derartigen Geschäftsmodellen einhergehenden Vorteilen ins Verhältnis setzt.6 In der europäischen, und in Anlehnung daran in der deutschen Rechtsprechung werden insbesondere die praktisch bedeutsamen qualitativen selektiven Vertriebssysteme als zulässig beurteilt, wenn sie zum Vorteil des bindenden und der gebundenen Unternehmen sowie der Verbraucher die Versorgung 1
Siehe S. 223 ff. und S. 265 ff. Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 1, 4 f. 3 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 vom 20. 04. 2010, in Kraft seit dem 1. 6. 2010, ABl. EU 2010, Nr. L 102 S. 1. 4 Verordnung (EG) Nr. 772/2004 vom 07. 04. 2004, in Kraft seit dem 1. 5. 2004, ABl. EG 2004, Nr. L 123/11; nunmehr ersetzt durch Verordnung (EU) Nr. 316/2014, ABl. EU 2014 L 93/17, in Kraft seit dem 1. 5. 2014. 5 Verordnung (EU) Nr. 461/2010 vom 27. 05. 2010, in Kraft seit dem 01. 06. 2010, ABl. EU 2010, Nr. L 192/52. 6 Hierbei ist zu untersuchen, ob die in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten positiven Wirkungen eintreten. Der dort aufgeführte Katalog ist abschließend in dem Sinne, dass für weitere – vermeintliche – Vorteile kein Raum ist; vgl. beispielhaft für eine solche Interessenabwägung: EuG, 18. 09. 2001, WuW/EU-R 469 (477 ff.) „TPS“ (allerdings im Zusammenhang mit einer horizontalen Wettbewerbsbeschränkung, vgl. auch 472 ff. zum Verhältnis zu Art. 101 Abs. 3 AEUV); EuGH, 23. 11. 2006, WuW/EU-R 1235 (1240) „Asnef-Equifax/Ausbanc“ (für das Beispiel eines Kreditinformationssystems); OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1769 f.) „E.ON Ruhrgas“ und OLG Düsseldorf, 04. 10. 2007, WuW/DE-R 2197 (2206 ff.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1149 ff.) „E.ON Ruhrgas“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1242) „Praktiker Baumärkte“; zum Verhältnis von Art. 101 Abs. 1 zu Abs. 3 AEUV: Schmitt, WuW 2007, S. 1096 (1097 f.); vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 7.1., Rn. 135 und Ziffer 7.2.1., Rn. 148 bis 150 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer III. B. Rn. 20, IV. A. a) Rn. 34 ff. 2
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
effizient und zuverlässig sicherstellen, die Auswahl der Zwischenhändler nach qualitativen, sachlich gerechtfertigten Kriterien erfolgt und sie diskriminierungsfrei praktiziert werden.7 Soweit Bindungen von marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert werden, ist eine Freistellung gewöhnlich ausgeschlossen.8 Eine GVO greift regelmäßig nicht ein9 und eine Einzelfreistellung wird zumeist mangels der von Art. 101 Abs. 3 AEUV vorausgesetzten positiven Wirkungen nicht in Frage kommen.10 In Fällen, in denen gleichwohl eine Freistellung erfolgt ist, wird Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV nicht verdrängt. Art. 102 AEUV steht selbständig neben Art. 101 AEUV. Das bedeutet, ein marktbeherrschendes Unternehmen kann sich gegen den Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens nicht unter Hinweis auf eine zuvor nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfolgte Freistellung verteidigen.11 Im deutschen Recht unterlagen derartige Bindungen bis zur 7. GWB Novelle der Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden nach § 16 Nr. 1 bis 3 GWB a. F.12 Die Verweigerung des Zuganges zu selektiven Vertriebssystemen war (und ist) darüber hinaus am Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB a. F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 n. F.) zu messen. 7 KG, 19. 09. 2013, WuW/DE-R 4019 (4023) „Schulranzen u. -rucksäcke“; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 299 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 225; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 291, 304 ff.; Rheinländer, WRP 2007, S. 501 (502); Dieselhorst/Luhn, WRP 2008, S. 1306 (1307 ff.); Franck, WuW 2010, S. 772 (773 ff.). 8 Ausschließlichkeitsbindungen marktbeherrschender Unternehmen werden wegen der mit ihnen verbundenen Abschottungswirkung regelmäßig als missbräuchlich bewertet, wohingegen Vertriebs- und Verwendungsbindungen weniger streng beurteilt werden: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 217, 225; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 240 ff., 265 f. und Rn. 156 f. 9 Allen, vertikale Vereinbarungen betreffenden GVO ist gemeinsam, dass der Marktanteil von bindenden Anbietern oder Nachfragern 30 % nicht überschreiten darf (im Fall von Technologietransfervereinbarungen betrifft dies den gemeinsamen Marktanteil aller beteiligten Unternehmen, sowohl auf dem Technologie- als auch dem Produktmarkt); vgl. Art. 3, 7 der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 vom 20. 04. 2010; Art. 3, 8 Verordnung (EU) Nr. 316/2014, ABl. EU 2014 L 93/17 (gem. Art. 3 Abs. 1 gilt bei konkurrierenden Unternehmen eine Schwelle von 20 %); Art. 4 (Verweis auf VO 330/2010) Verordnung (EU) Nr. 461/2010 vom 27. 05. 2010; Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 437 ff. 10 Zum Bsp.: EuGH, 25. 10. 1977, WuW/EWG/MUV 400 (402 f., 405 ff.) „Metro“; EuGH, 22. 10. 1986, WuW/EWG/MUV 777 (788) „Metro-Saba“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (767 f.) „Van den Bergh Foods“, zuvor Kommission, 11. 03. 1998, WuW/EU-V 142 (144 ff.) „Van den Bergh Foods Limited“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861 ff.) „Stadtwerke Aachen“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „ClassicLine“; Schmitt, WuW 2007, S. 1096 (1102 f.). 11 Zum Bsp.: EuGH, 25. 10. 1977, WuW/EWG/MUV 400 (402 f.) „Metro“; EuGH, 16. 03. 2000, Slg. 2000 I, S. 1365 (1369, 1457 ff.) „Compagnie Maritime Belge Transports SA“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (765 ff.) „Van den Bergh Foods“, zuvor Kommission, 11. 03. 1998, WuW/EU-V 142 (144 ff.) „Van den Bergh Foods Limited“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (860 ff.) „Stadtwerke Aachen“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/ DE-R 1757 (1771 ff.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1149 ff.) „E.ON Ruhrgas“. 12 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 16 GWB (a. F.) Rn. 38 ff., 51 ff., 69 ff.; Bahr, WuW 2004, S. 259 (260 ff.).
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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Danach war, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Missbrauchsaufsicht auch nur marktstarke Unternehmen erfasste, anerkannt, dass derartige Vereinbarungen auf Basis einer umfassenden Interessenabwägung gerechtfertigt sein können. Maßgeblich waren insbesondere die Gestaltungsfreiheit beim Aufbau einer bestimmten Vertriebsgestaltung, die Qualitätssicherung, die Produktpflege oder die Funktionsfähigkeit von Einkaufsgenossenschaften.13 Nach der 7. GWB Novelle sind diese Vertikalvereinbarungen unmittelbar an § 1 GWB zu messen, welcher ein unmittelbar wirksames Verbot enthält.14 Aufgrund von Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 und § 2 Abs. 2 GWB gilt der Anwendungsvorrang des Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV.15 Damit brachte die Anpassung an das europäische Recht durch die VO 1/200316 und die 7. GWB Novelle17 für das deutsche Recht strengere Maßstäbe bei der Beurteilung von vertikalen Bindungen. Von der h. M. und der Rechtsprechung war zur Rechtslage vor der 7. GWB Novelle anerkannt, dass die §§ 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 und 20 Abs. 1, 4 S. 1 GWB a. F. neben § 16 GWB a. F. anzuwenden waren.18 Das ist auf das Verhältnis von § 1 GWB n. F. zu §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB n. F. zu übertragen und führt zu einer Übereinstimmung mit der Regelung des Verhältnisses von Art. 101 Abs. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUV.19
II. Tatbestand 1. Bezugsbindungen Ausschließliche Bezugsbindungen spielen eine große Rolle bei der Gestaltung von Vertriebssystemen industrieller Hersteller oder großer Dienstleistungsunternehmen. Nicht untypisch ist eine Überschneidung mit den Fällen der zwangsweisen Kopplung. Dabei wird die Abnahme der gekoppelten Leistung durch eine Bezugs13
Zum Bsp.: BGH, 16. 10. 1962, WuW/E BGH 509 (514) „Original Ersatzteile“; BGH, 08. 05. 1979, WuW/E BGH 1587 (1590 f.) „Modellbauartikel“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2351 (2356 ff.) „Belieferungsunwürdige Verkaufsstätten II“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3125 ff.) „Bedside-Testkarten“; OLG Frankfurt a.M., 09. 09. 1997, WuW/DE-R 73 (76 ff.) „Guerlain“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1621 (1623 ff.) „Qualitative Selektion“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2235 (2239 ff.) „Baumarkt“; LG Mannheim, 14. 03. 2008, WuW/DE-R 2322 (2323 ff.) „Schulranzen“; siehe auch S. 382 f. 14 Siehe S. 42 f. 15 Siehe S. 38 f. 16 Siehe S. 38 ff. 17 Siehe S. 42 ff. 18 Zum Bsp.: BGH, 16. 10. 1962, WuW/E BGH 509 (513 f.) „Original Ersatzteile“; OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4518) „Dürkheimer Wurstmarkt“. 19 LG München I, 21. 03. 2006, WuW/DE-R 1708 (1710 ff.) „TV Digital“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4730 (4746 ff.) „Laborchemikalien“; zwischen Art. 101 und 102 AEUV besteht Idealkonkurrenz, siehe S. 87 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
bindung langfristig abgesichert.20 Entweder dienen Bezugsbindungen dazu, einen Abnehmer zu verpflichten, seinen Bedarf zu 100 % oder weit überwiegend bei dem bindenden Anbieter zu decken und Bezug von Konkurrenzprodukten zu unterlassen.21 Oder sie haben den Zweck selbständige Handelsvertreter, Vertragshändler oder Franchisenehmer im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsversorgungsvertrages zur ausschließlichen Förderung des Absatzes der Produkte und Dienstleistungen des bindenden Unternehmens anzuhalten, indem sie eine Tätigkeit für andere Unternehmen untersagen oder zumindest erschweren.22 Über die Gestaltung von Vertriebssystemen industrieller Hersteller oder großer Dienstleistungsunternehmen hinaus eignen sich Bezugsbindungen ganz allgemein dazu, verschiedenartige geschäftliche Interessen zu verfolgen. Im Vordergrund stehen die Absatzsicherung, die Organisation einer dauerhaften, verlässlichen Geschäftsbeziehung, die Durchsetzung von Exklusivität oder die Sicherung der Amortisation von Investitionen.23 20
Zum Bsp.: EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 5987 (5989 ff., 6008) „ALSATEL/ SA Novasam“; EuGH, 24. 10. 1995, WuW/EWG/MUV 1023 (1025 ff.) „VW-Herstellerleasing“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1332) „Eurofix-Bauco/Hilti“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1383, 1386 f.) „London European/Sabena; BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“, bestätigt durch KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“; OLG Hamburg, 26. 01. 1984, WuW/E OLG 3249 (3252 ff.) „Castrol“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/DE-R 1006 (1006 f., 1009 f.) „Fernwärme Börnsen“; OLG Düsseldorf, 20. 09. 2006, WuW/DE-R 1865 (1866 ff.) „5 Sterne Premium Paket“; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer A. a) Rn. 33; siehe auch S. 301 ff. 21 Zum Bsp.: EuGH, 13. 02. 1979, WuW/EWG/MUV 447 (456 ff.) „Hoffmann LaRoche/ Vitamine“; EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (912 f., 914 ff.) „Delimitis/Henninger Bräu“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (767 f.) „Van den Bergh Foods“, zuvor Kommission, 11. 03. 1998, WuW/EU-V 142 (144 ff.) „Van den Bergh Foods Limited“; EuG, 22. 11. 2001, WuW/EU-R 527 (530) „AAMS“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3124 ff.) „Bedside-Testkarten“; OLG München, 18. 11. 1993, WuW/E OLG 5294 (5294 f., 5296 ff.) „Getränkebezugsverpflichtung 15 Jahre“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (859 ff.) „Stadtwerke Aachen“; BGH, 10. 02. 2004, WuW/DE-R 1305 (1305 f.) „Restkaufpreis“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1762 ff., 1771 f.) „E.ON Ruhrgas“ und OLG Düsseldorf, 04. 10. 2007, WuW/DE-R 2197 (2200 ff.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1149 ff.) „E.ON Ruhrgas“; OLG Düsseldorf, 22. 06. 2010, WuW/DE-R 2947 (2951 f.) „TNT Post/First Mail“. 22 Zum Bsp.: EuGH, 16. 06. 1981, WuW/EWG/MUV 524 (525 ff.) „Pressevertrieb“; EuGH, 21. 02. 1984, WuW/EWG/MUV 663 (665 ff.) „Hasselblad“; EuGH, 28. 01. 1986, WuW/ EWG/MUV 693 (695 ff.) „Pronuptia“; EuGH, 24. 10. 1995, WuW/EWG/MUV 1023 (1025 ff.) „VW-Herstellerleasing“; EuG, 30. 09. 2003, WUW/EU-R 731 (742 ff.) „Michelin“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1478 ff.) „CEPSA/Tobar“; BGH, 15. 04. 1986, WuW/E BGH 2238 (2239 ff., 2241 ff.) „EH-Partner Vertrag“; BGH, 19. 01. 1993, WuW/E BGH 2875 (2875 f., 2880 ff.) „Herstellerleasing“; LG Frankfurt a.M., 15. 11. 2002, WuW/DE-R 1200 (1200 ff.) „Autovermietungsagenturen“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1449 f.) „Bezugsbindung“; OLG Düsseldorf, 23. 03. 2005, WuW/DE-R 1573 (1574 ff.) „Pflanzeneinstecketikett“; LG München I, 21. 03. 2006, WuW/DE-R 1708 (1710 ff.) „TV Digital“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2235 (2236 f.) „Baumarkt“; OLG Düsseldorf, 13. 11. 2013, WuW/DE-R 4730 (4736 f., 4746 ff.) „Laborchemikalien“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/ DE-V 1235 (1240 ff.) „Praktiker Baumärkte“. 23 Vgl. soeben Fn. 21 und 22; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265 f.
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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2. Verwendungsbeschränkungen Verwendungsbeschränkungen dienen dazu, eine Reglementierung der Nutzungsmöglichkeiten von Sachen oder Rechten herbeizuführen. Der Begriff Verwendungsbeschränkungen ist inhaltlich weit zu verstehen. Er betrifft umfassend jegliche Art und Weise der Behandlung von Sachen oder Rechten. Verwendungsbeschränkungen beziehen sich insbesondere auf Vorgaben hinsichtlich der Nutzung, auf die Art und Weise der Beratung beim Weiterverkauf oder auch darauf welche Pflege- oder sonstigen Hilfsmittel verwendet werden dürfen.24 Das bindende Unternehmen will damit auch nach Übereignung oder Abtretung Einfluss auf die Verwendung seiner Leistungen nehmen. Dabei kann es zwar einerseits um legitime Produktpflege, andererseits aber auch um unzulässige Knebelung von Abnehmern und Verdrängung von Konkurrenten gehen. Verwendungsbeschränkungen können auch auftreten, wenn das bindende Unternehmen bestimmte Maschinen, Werkzeuge, Fahrzeuge, Verkaufsstätten usw. oder auch Immaterialgüterrechte im Rahmen von Miet-, Pacht-, Leasing- oder Lizenzverträgen zur Verfügung stellt. Hier rechtfertigen sich Beschränkungen zwar grundsätzlich aus der Natur des Vertrages. Eine darüber hinausgehende, zur Erreichung des Vertragszweckes nicht erforderliche Auferlegung von Pflichten ist jedoch im Rahmen einer Beurteilung nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB bzw. auch § 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB rechtfertigungsbedürftig, bei Fehlen von Rechtfertigungsgründen mit diesen Vorschriften unvereinbar.25 Mit Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB sind sie, über das Ziel der Erreichung des immanenten Vertragszweckes hinaus, nur vereinbar, wenn eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. nach § 2 GWB, gegebenenfalls jeweils i. V. m. einer GVO eingreift.26 3. Vertriebsbindungen Zur Durchsetzung eines Vertriebskonzeptes kann es ein Hersteller für erforderlich halten, Zwischenhändlern aufzuerlegen, die Produkte nur an bestimmte, ausgewählte Unternehmen weiter zu veräußern, die Belieferung bestimmter Dritter zu verbieten 24 Zum Bsp.: EuGH, 27. 03. 1974, WuW/EWG/MUV 311 (312) „SABAM II“; EuGH, 25. 10. 1977, WuW/EWG/MUV 400 (409) „Metro“; EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434) „Chiquita“; BGH, 16. 10. 1962, WuW/E BGH 509 (510, 512 ff.) „Original Ersatzteile“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1829 ff., 1834 ff.) „Original VW-Ersatzteile II“, BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2351 (2357 ff.) „Belieferungsunwürdige Verkaufsstätten II“; OLG Düsseldorf, 29. 10. 2003, WuW/DE-R 1480 (1485 f.) „R-Uhren“; OLG Düsseldorf, 25. 05. 2005, WuW/DE-R 1577 (1578 ff.) „SIM-Karten“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2268 (2269, 275 ff.) „Soda Club II“, zuvor OLG Düsseldorf, 14. 03. 2007, WuW/DE-R 1935 (1939 ff.) „Soda-Club“ und BKartA, 09. 02. 2006, WuW/DE-V 1177 (1177 ff.) „Soda-Club“; LG Mannheim, 14. 03. 2008, WuW/DE-R 2322 (2323 f.) „Schulranzen“. 25 Vgl. Fn. 24; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 225; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265 f. 26 Siehe S. 325 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
oder nur bestimmte Vertriebswege zu wählen bzw. bestimmte Vertriebswege zu verbieten.27 Weit verbreitet und von größter praktischer Bedeutung ist die Verpflichtung Markenprodukte nur an Unternehmen des Fachhandels weiterzugeben, in jüngerer Zeit auch das Verbot oder zumindest die Einschränkung des Internetversandhandels. Dieses Vorgehen dient der Imagepflege des Produktes. In der Praxis stehen die Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und die Möglichkeiten von Freistellungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV im Vordergrund, ohne dass dadurch allerdings in Fällen der Initiierung solcher Vertriebssysteme durch marktbeherrschende Unternehmen Art. 102 AEUV verdrängt würde.28 Im deutschen Recht führt die Anwendung der §§ 1, 2 GWB und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB zu im Wesentlichen gleichen Ergebnissen.29 In der Praxis spielen immer wieder Fälle von Verboten der Ausfuhr in andere Mitgliedstaaten oder sogenannte Reimportverbote eine Rolle. Sie zielen gewöhnlich darauf ab, Preisunterschiede zwischen den nationalen Märkten der Mitgliedstaaten nutzen bzw. Preise künstlich hochhalten zu können. Sie sind deshalb regelmäßig mit dem Ziel eines gemeinsamen Marktes unvereinbar und rechtswidrig.30 Bei fehlender Rechtfertigung wird das gebundene Unternehmen in der Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigt, weil ihm untersagt wird, dritte Unternehmen, mit denen es in Geschäftsverbindung treten will zu beliefern. Darüber hinaus besteht die Gefahr einer 27 Zum Bsp.: EuGH, 16. 06. 1981, WuW/EWG/MUV 524 (525 ff.) „Pressevertrieb“; EuGH, 25. 10. 1983, WuW/EWG/MUV 600 (603) „AEG-Telefunken“; EuGH, 28. 04. 1998, WuW/EU-R 57 (58 ff.) „Javico International u. a./Yves Saint Larent Parfums“; EuGH, 13. 10. 2011, WuW/EU-R 2163 (2164 ff.) „Pierre Fabre Dermo-Cosmetique SAS“; BGH, 24. 03. 1981, WuW/E BGH 1793 (1797 f.) „SB-Verbrauchermarkt“; BGH, 25. 05. 1988, WuW/E BGH 2515 (2520) „Peugeot/Talbot-Vertragshändler“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3126) „Bedside-Testkarten“; OLG Düsseldorf, 29. 10. 2003, WuW/DE-R 1480 (1480) „R-Uhren“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1621 (1623 ff.) „Qualitative Selektion“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1678 ff.) „Classic-Line“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2268 (2269, 2275 ff.) „Soda Club II“, zuvor OLG Düsseldorf, 14. 03. 2007, WuW/DE-R 1935 (1939 ff.) „Soda-Club“, zuvor BKartA, 09. 02. 2006, WuW/DE-V 1177 (1177 ff.) „Soda-Club“; LG Mannheim, 14. 03. 2008, WuW/DE-R 2322 (2323 ff.) „Schulranzen“; OLG München, 02. 07. 2009, WuW/DE-R 2698 (2698 ff.) „Internet-Aktionsplattform“; KG, 19. 09. 2013, WuW/DE-R 4019 (4019 ff.) „Schulranzen und -rucksäcke“. 28 Zu prüfen ist regelmäßig ein Verstoß, sowohl gegen Art. 101 als auch Art. 102 AEUV: Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 434 f.; Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 19 GWB Rn. 236 ff.; siehe S. 325 ff. und soeben Fn. 27. 29 Zum Anwendungsvorrang nach Art. 3 VO 1/2003 und dem Verhältnis der Vorschriften zueinander, siehe S. 38 f. 30 Zum Bsp.: EuGH, 21. 02. 1984, WuW/EWG/MUV 663 (665 ff.) „Hasselblad“ EuGH, 28. 04. 1998, WuW/EU-R 57 (58 ff.) „Javio International u.a./Yves Saint Laurant Parfums“; EuG, 26. 10. 2000, WuW/EU-R 367 (369 ff.) „Bayer AG“; EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1466 ff.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; EuGH, 06. 12. 2012, WuW/EU-R 2650 (2663 ff.) AstraZeneca/Kommission“; BGH, 25. 05. 1988, WuW/E BGH 2515 (2518) „Peugeot/Talbot Vertragshändler“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3126) „Bedside-Testkarten“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1679) „Classic-Line“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 229 m. w. N.; Kirchhain, WuW 2008, S. 167 (169 ff.).
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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Behinderung derjenigen dritten Unternehmen, welche auf dem nachgelagerten Markt von der Belieferung ausgeschlossen werden.
III. Schutzzweck 1. Das gebundene Unternehmen Vertragliche Vertikalbindungen beeinträchtigen im Falle missbräuchlicher Anwendung in erster Linie die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des gebundenen Unternehmens.31 Wenn die Bindung mittels wirtschaftlichen Druckes gegen die Interessen des Vertragspartners durchgesetzt wird, verwandelt sich Vertragsfreiheit in ein Vertragsdiktat.32 Ist die Bindung einmal im Vertrag durchgesetzt, drohen dem gebundenen Unternehmen zivilrechtliche Sanktionen für den Fall der Nichtbeachtung. In Betracht kommen vor allem Schadensersatzforderungen, Vertragsstrafen oder Kündigungen.33 Eine Bezugsbindung beraubt den Gebundenen der Möglichkeit, ein besseres Angebot annehmen zu können. Sie schließt die Auswahlfreiheit aus.34 Eine Vertriebsbindung begrenzt die Möglichkeit von Zwischenhändlern, ihren Abnehmer frei zu wählen.35 Verwendungsbeschränkungen beeinträchtigen die Freiheit des Abnehmers, erworbene Produkte nach eigenen Vorstellungen nutzen und damit den eigenen Kunden ein selbstgestaltetes Angebot machen zu können.36 Es ist zu beachten, dass der Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB nicht deshalb entfällt, weil sich der Gebundene überhaupt nicht beeinträchtigt fühlt. Möglicherweise meint er, dass die Bindung seine wirtschaftlichen Interessen entweder fördert oder jedenfalls nicht stört. Die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ist nicht nach subjektivem Empfinden, sondern objektiv danach zu beurteilen, ob die freie Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen ausgeschlossen wird, ohne dass das sachlich gerechtfertigt ist.37 Zu beachten sind insoweit natürlich auch die Auswirkungen auf 31
Siehe S. 325 ff. Siehe S. 52 f. 33 Zum Bsp.: EuGH, 21. 02. 1984, WuW/EWG/MUV 663 (665 ff.) „Hasselblad“; OLG Frankfurt a.M., 13. 07. 1989, WuW/E OLG 4420 (4421 ff.) „Vorlage eines Bierlieferungsvertrages“ und EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (914 ff.) „Delimitis/Henninger Bräu“; EuGH, 28. 04. 1998, WuW/EU-R 57 (57 f., 58 ff.) „Javico International u.a./Yves Saint Laurent Parfums“; BGH, 25. 05. 1988, WuW/E BGH 2515 (2518 ff.) „Peugeot/Talbot-Vertragshändler“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3122 f., 3126 f.) „Bedside Testkarten“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207 ff.) „Depotkosmetik“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1449 f., 1452) „Bezugsbindung“. 34 Siehe S. 327 f. m. w. N.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 214, 217; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265. 35 Siehe S. 329 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 225. 36 Siehe S. 329; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 225. 37 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 219. 32
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
den Wettbewerb und die Wettbewerber. Allerdings mag eine Rechtfertigung im Einzelfall eher anzuerkennen sein, wenn die Abnehmer die Bindung positiv oder neutral beurteilen. 2. Wettbewerber Ein durch Bezugsbindung verpflichtetes Unternehmen ist für Konkurrenten des Marktbeherrschers nur sehr schwer als Abnehmer zu gewinnen. Der Abnehmer wird, um vorgegebene Bezugsmengen zu erreichen, kaum Fremdbezug zulassen bzw. zulassen können. Handelt es sich gar um eine Alleinbezugsbindung scheidet er als Vertragspartner für Konkurrenten des Marktbeherrschers vollständig aus. Bezugsbindungen eignen sich daher besonders zur Abschottung bereits gewonnener Marktanteile. Wettbewerber werden praktisch ausgeschlossen, das Marktsegment dem Wettbewerb entzogen. Das marktbeherrschende Unternehmen macht sich langfristig unangreifbar. Darüber hinaus kann es zu einer Verdrängung von Wettbewerbern kommen, wenn ein Abnehmer, der mit mehreren Anbietern in Geschäftsbeziehung stand, aufgrund einer Bindung zu einem Alleinbezug übergeht. Schließlich errichten Ausschließlichkeitsbindungen Marktzutrittsschranken, die den Eintritt neuer Wettbewerber erschweren oder gar verhindern. Darüber hinaus sind solche Bindungen im Zusammenhang mit einer Kopplung zwischen einer, auf dem beherrschten Markt angebotenen Hauptleistung und einer nicht zugehörigen Nebenleistung geeignet, neue Marktanteile auf einem Drittmarkt zu erschließen.38 Die Chancengleichheit der Drittmarktwettbewerber wird dadurch noch stärker als bei einer einfachen Kopplung eingeschränkt.39 Bezugsbindungen stellen sich in der Hand marktbeherrschender Unternehmen als eine starke Waffe zum Ausschluss und zur Verdrängung von Wettbewerbern dar. Für Vertriebs- und Verwendungsbeschränkungen gilt das in weit geringerem Maße, weil es dabei nur um die Weiterverwendung von Produkten des Marktbeherrschers geht.40 3. Unternehmen auf nachfolgenden Marktstufen Aufgrund von Vertriebsbindungen treten wettbewerbsbeschränkende Wirkungen auch auf dem, dem beherrschten Markt nachgelagerten Markt auf. Das ist der Fall, wenn diejenigen Unternehmen, welche mit dem Zwischenhändler in Geschäftsbeziehung treten wollen, von diesem nicht beliefert werden können, ohne dass er gegen
38 Siehe S. 327 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 218, 221 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 256. 39 Zur Kopplung siehe S. 301 ff. 40 Zu einer Behinderung kann es gleichwohl kommen, siehe S. 329 ff.; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2268 (2275 ff.) „Soda Club II“;OLG Düsseldorf, 14. 03. 2007, WuW/DE-R 1935 (1939 ff.) „Soda-Club“, zuvor BKartA, 09. 02. 2006, WuW/DE-V 1177 (1177 ff.) „Soda-Club“.
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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mit dem Marktbeherrscher getroffene Vereinbarungen verstößt.41 Das wirkt sich insbesondere dann nachteilig aus, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen auf die Produkte des Herstellers angewiesen sind. Häufig treten derartige Fälle im Hinblick auf sortimentsbedingte Abhängigkeit auf. Finden sich im Sortiment von Fachhändlern bestimmte Markenprodukte nicht, so wirkt sich das negativ auf dessen Reputation und infolgedessen auch auf seine Wettbewerbsposition aus.42 Rechtliche Grenzen setzt hier auch § 21 Abs. 1 GWB, der aber hohe Anforderungen stellt.43 Zu unterscheiden sind zwei verschiedene Konstellationen, die allerdings eine inhaltliche Verbindung aufweisen. Einmal geht es um die Aufstellung genereller Kriterien für die Belieferung Dritter. Mit einem solchen Vertriebssystem ist ein Verbot der Abgabe an solche Unternehmen verbunden, die diese Anforderungen nicht erfüllen. Es ist also die Frage, ob die Auswahlkriterien sachlich gerechtfertigt sind.44 Zum anderen kann das marktbeherrschende Unternehmen die Belieferung verbieten, obgleich der Dritte die rechtmäßigen Anforderungen, die das Vertriebssystem aufstellt, tatsächlich erfüllt. Darin ist missbräuchliches Verhalten zu sehen.45 4. Verbotsziele Vertikale Bezugs-, Vertriebs- und Verwendungsbindungen sind geeignet, den Wettbewerb auf einem beherrschten, nachgelagerten oder nebengelagerten Drittmarkt einzuschränken oder gar auszuschließen. In dieser besonderen Gefährlichkeit liegt der Grund dafür, dass sie über das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB hinaus, den Verboten des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und des § 1 GWB unterworfen sind, welche nur durch eine Einzelfreistellung oder i. V. m. einer GVO nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB i. V. m. Art. 101 Abs. 3 AEUV überwunden werden können.46 Die Verbote dienen zunächst dem Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit von Abnehmern des marktbeherrschenden Unternehmens.47 Das Verbot der missbräuchlichen Verwendung von Bezugsbindungen zielt auch auf den Schutz der Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens.48 Ihre Chance, Abnehmer des beherrschenden Unternehmens als Geschäftspartner gewinnen zu können, muss als elementare Voraussetzung freien Wettbewerbs geschützt werden. Sie bedürfen darüber hinaus des Schutzes gegen Verdrängung durch Bezugskonzentration auf einem bereits beherrschten 41
Siehe S. 329 ff. Siehe S. 329 ff.; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 29 f.; siehe auch S. 358 f. 43 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265 und § 21 GWB Rn. 10 ff., 32 ff. 44 Siehe im Einzelnen S. 430 ff. 45 Siehe S. 429. 46 Siehe S. 325 ff. 47 Siehe S. 331 f. 48 Siehe S. 332 f. 42
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Markt oder durch Kopplung auf Drittmärkten. Darüber hinaus müssen potentielle Wettbewerber durch Erhaltung der Möglichkeit des Markteintritts geschützt werden.49 Das Verbot missbräuchlicher Vertriebsbindungen schützt darüber hinaus Unternehmen auf nachgelagerten Märkten, die über den gebundenen Zwischenhändler Zugang zu den Leistungen des Marktbeherrschers erhalten möchten.50
IV. Sanktionen nach § 134 BGB 1. Verbot und Rechtsgeschäft Bezugs- und Vertriebsbindungen, sowie Verwendungsbeschränkungen werden zumeist vertraglich abgesichert, da sie der Organisation einer längerfristigen Geschäftsbeziehung dienen.51 Sie finden sich dementsprechend in Rahmenverträgen, die bindende Unternehmen zur Organisation ihres Vertriebssystems einsetzen.52 Darüber hinaus können derartige Klauseln in Sukzessivlieferungsverträgen oder sonstigen Dauerschuldverhältnissen enthalten sein.53 Nicht zweifelhaft ist, dass Vertragsklauseln, welche eine Bezugs- oder Vertriebsbindung bzw. Verwendungsbeschränkung auferlegen, wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten. Gerade 49 Wesentliches Ziel der Bekämpfung derartiger Bindungen, egal ob nach Art. 101, 102 AEUVoder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, ist immer auch die umfassende Offenhaltung von Märkten: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 217; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265 f.; siehe auch S. 332 f. 50 Siehe S. 332 f. 51 Ausreichend wären aber auch bloß tatsächliche Abreden oder schlicht wirtschaftlicher Druck: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 217 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 265. 52 Zum Bsp.: EuGH, 25. 10. 1977, WuW/EWG/MUV 400 (400 ff.) „Metro“; EuGH, 25. 10. 1983, WuW/EWG/MUV 600 (600) „AEG-Telefunken“; EuGH, 14. 12. 1983, WuW/EWG/ MUV 629 (629) „Zementimport“; EuGH, 21. 02. 1984, WuW/EWG/MUV 663 (665 ff.) „Hasselblad“, EuGH, 22. 10. 1986, WuW/EWG/MUV 777 (778 f.) „Metro-Saba“; EuGH, 24. 10. 1995, WuW/EWG/MUV 1023 (1023 ff.) „VW-Herstellerleasing“; EuGH, 28. 04. 1998, WuW/EU-R 57 (57 f.) „Javico International u.a./Yves Saint Laurent Parfums“; EuG, 22. 11. 2001, WuW/EU-R 527 (530) „AAMS“; EuGH, 13. 10. 2011, WuW/EU-R 2163 (2165) „Pierre Fabre Dermo-Cosmetique SAS“; BGH, 22. 09. 1981, WuW/E BGH 1829 (1829 f.) „Original VW-Ersatzteile II“; BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2351 (2352 f.) „Belieferungsunwürdige Verkaufsstätten II“; BGH, 25. 05. 1988, WuW/E BGH 2515 (2515 ff.) „Peugeot/Talbot-Vertragshändler“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3121 (3121) „Bedside-Testkarten“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1449 f.) „Bezugsbindung“. 53 Zum Bsp.: EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (912 f.) „Delimitis/Henninger Bräu“ nach Vorlage des OLG Frankfurt a.M., 13. 07. 1989, WuW/E OLG 4420 (4421 f.) „Vorlage eines Bierlieferungsvertrages“; EuG, 23. 10. 2003, WuW/EU-R 765 (767 f.) „Van den Bergh Foods“, zuvor Kommission, 11. 03. 1998, WuW/EU-V 142 (143, 144 ff.) „Van den Bergh Foods Limited“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1469 ff.) „CEPSA/Tobar“; OLG Hamburg, 26. 01. 1984, WuW/E OLG 3249 (3249 f.) „Castrol“; BGH, 09. 07. 2002, WuW/ DE-R 1006 (1006 f.) „Fernwärme Börnsen“; BGH, 10. 02. 2004, WuW/DE-R 1305 (1305) „Restkaufpreis“.
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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weil bei Verstoß gegen die vertragliche Verpflichtung zivilrechtliche Sanktionen, vor allem in Form der Kündigung oder der Forderung nach Schadensersatz, drohen, wird das gebundene Unternehmen zum Wohlverhalten gezwungen. Missbräuchliche vertikale Bindungen führen zu einer rechtlichen Absicherung wirtschaftlicher Macht. Dieses auf Basis des Vertrages erzwungene Verhalten ist auch die Ursache für die Behinderung von Wettbewerbern des Marktbeherrschers und gegebenenfalls weiteren Unternehmen auf nachgelagerten Märkten.54 Vertragliche Vereinbarungen vertikaler Bindungen, die gemäß Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB als missbräuchlich zu beurteilen sind, stellen demnach einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i. S. v. § 134 BGB dar.55 Sie verstoßen darüber hinaus gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV.56 Vertikale Bindungen können aber auch schlicht durch abgestimmtes Verhalten realisiert werden, ohne dass eine vertragliche Vereinbarung zugrunde liegt.57 In diesem Fall sind die betroffenen Marktbeteiligten allein auf die Geltendmachung von Beseitigungs-, Unterlassungsund Schadensersatzansprüchen verwiesen.58 Die Frage der Sanktion nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB stellt sich dann nur noch im Hinblick auf einzelne Austauschgeschäfte, insbesondere Einzellieferverträge, die in Durchführung einer Bezugsbindung abgeschlossen werden. Ob diese Einzelverträge als Folge einer vertraglichen oder nur wirtschaftlichen erzwungenen Bezugsbindung abgeschlossen werden, ist letztlich unerheblich.59 2. Sanktionierung verbotener Rechtsgeschäfte a) Anordnung der Nichtigkeit und Normzweck Für wettbewerbsbeschränkende vertikale Bindungen, die gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV verstoßen, ordnet Art. 101 Abs. 1 AEUV Nichtigkeit an.60 Wegen der inhaltlichen Gleichheit des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu § 1 GWB ergibt sich die 54
Siehe S. 332 f. OLG Koblenz, 13. 07. 1987, WuW/E OLG 4517 (4521) „Dürkheimer Wurstmarkt“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861) „Stadtwerke Aachen“; Jung, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 379; Köhler, WuW 1999, S. 445 (447, 450 f., 452). 56 Siehe S. 325 ff. 57 Siehe S. 327 ff. 58 Siehe dazu ab S. 356. 59 Siehe S. 352 ff. 60 EuGH, 25. 11. 1971, Slg. 1971, S. 949 (950, 964) „Beguelin“; EuGH, 14. 12. 1983, WuW/ EWG/MUV 629 (630) „Zementimport“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1482 f.) „CEPSA/Tobar“; BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1451 f.) „Bezugsbindung“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „Classic-Line“; siehe auch S. 86 f. 55
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
gleiche Sanktion bei Anwendung von § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB.61 Dieses Ergebnis darf wegen des Anwendungsvorranges des Art. 101 Abs. 2 AEUV nicht durch Anwendung von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB konterkariert werden.62 Vertragliche Vereinbarungen über vertikale Bindungen sind daher nichtig.63 Der Normzweck der Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB einerseits und des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB andererseits bestätigen diesen Befund. Sachlich nicht gerechtfertigte vertikale Bindungen behindern den freien Leistungswettbewerb auf dem beherrschten Markt, auf den nachgelagerten Marktstufen und häufig auch auf nebengelagerten Drittmärkten. Das Interesse der Wettbewerber zielt auf eine Beseitigung dieser Beschränkungen. Sie wollen ungehinderten Zugang zu potentiellen Kunden auf den von ihnen belieferten Absatzmärkten.64 Die Vertragspartner des Marktbeherrschers haben ein Interesse daran, dass ihre Freiheit bei der Auswahl von Bezugsquellen und Abnehmern, sowie bei der Verwendung gelieferter Waren uneingeschränkt erhalten bleibt.65 Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sie von den Vorteilen eines Vertriebssystems profitieren, sich also gar nicht behindert fühlen. Insoweit ist auf eine objektive Sichtweise abzustellen.66 Indem die Interessen, sowohl der Vertragspartner als auch der Wettbewerber auf eine Beseitigung der Bindungen gerichtet sind, zeigt sich eine Parallele zu der bereits besprochenen Fallgruppe der zwangsweisen Kopplungen.67 Darüber hinaus ist der Wegfall derartiger Bindungen für Angehörige nachfolgender Marktstufen ausschließlich von Vorteil. Sie müssen nicht befürchten, aufgrund von Vertriebsbindungen oder Verwendungsbeschränkungen vom Erhalt bestimmter Leistungen ausgeschlossen zu werden68 Die Nichtigkeit von Vereinbarungen, die vertikale Bindungen enthalten, nimmt dem Marktbeherrscher die Möglichkeit, Behinderungsstrategien mit Hilfe des Vertragsrechts durchzusetzen. Der Vertragspartner 61
Siehe S. 86 ff. OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (860 f.) „Stadtwerke Aachen“; zum Verhältnis dieser Normen siehe S. 86 ff. 63 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 54; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 670; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 418; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 216 f.; Schröter/Bartl, in: S/K/J/M, Art. 102 AEUV Rn. 28 ff.; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 379; Loewenheim, in: L/M/R, § 20 GWB Rn. 110; Köhler, WuW 1999, S. 445 (447, 450 f., 452); Weyer, GRUR 2000, S. 848 (852 f., 855 f.); Scholz, in: FS Baur, S. 549 (564 f.); für Nichtigkeit nach § 134 BGB bei Verstoß gegen das Boykottverbot des § 21 GWB vgl. OLG Celle, 16. 10. 2003, WuW/DE-R 1197 (1197) „Vermietungsverbot“; zu Kopplungsabreden bei zwangsweisen Kopplungen, siehe S. 310. 64 Siehe S. 332. 65 Siehe S. 331 f. 66 Siehe S. 331 f. 67 Siehe S. 305 ff. 68 Siehe S. 332 f. 62
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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kann die Bindung einfach ignorieren ohne rechtliche Sanktionen befürchten zu müssen.69 Zwar wird damit noch nicht das Problem faktischen wirtschaftlichen Drucks beseitigt. Das ist aber erstens nicht Aufgabe von § 134 BGB und zweitens kann eine dagegen gerichtete Unterlassungsklage nur dann Erfolg haben, wenn sich der Marktbeherrscher nicht zur Rechtfertigung auf einen zugrunde liegenden Vertrag berufen kann. Im Ergebnis profitieren alle von einer wettbewerbsbeschränkenden Bindung betroffenen Marktbeteiligten mit Ausnahme des bindenden marktbeherrschenden (relativ marktstarken) Unternehmens von der Nichtigkeit dieser Vereinbarungen. b) Lediglich übermäßige Bindungen aa) Nichtigkeit oder geltungserhaltende Reduktion Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass die Nichtigkeit, die einzige mit dem Schutzzweck des Behinderungsverbotes vereinbare Lösung darstellt.70 Es sind jedoch einige weitergehende Überlegungen erforderlich. Häufig richtet sich der Vorwurf der Verbotswidrigkeit nicht gegen jede Form der Bindung, sondern nur dagegen, dass sie inhaltlich zu umfassend oder zeitlich zu lang andauernd ausgestaltet ist.71 Insoweit wäre an eine geltungserhaltende Reduktion auf das zulässige Maß zu denken. Als Rechtfertigung kommt in Betracht, dass der Bindende ein schützenswertes Interesse an der Organisation seines Vertriebssystems hat, welches durch die Nichtigkeit insgesamt in Frage gestellt werden könnte. Eine stets eintretende, vollständige Nichtigkeit wäre dann, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Verbotsverstoß ein Verschulden nicht voraussetzt, möglicherweise unverhältnismäßig. Zu denken ist beispielsweise an Fälle, in denen der Abnehmer die Bindung als Teil der Gegenleistung für Investitionshilfen, wie etwa Darlehen, die Übernahme einer Ausstattung, die Gewährung von Know How usw. eingeht, aber auch an das berechtigte, wechselseitige Interesse von Lieferanten und Abnehmern an der Etablierung eines selektiven Vertriebssystems oder an den Wunsch des Abnehmers nach Versorgungssicherheit. Dann besteht nicht nur ein berechtigtes Interesse des Bindenden an der Amortisation seiner Aufwendungen, an der freien Vertriebsgestaltung und an Absatzsicherheit,72 sondern regelmäßig auch ein Inter-
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BGH, 22. 02. 2005, WuW/DE-R 1449 (1452) „Bezugsbindung“. Zum Schutzzweck S. 331 ff. 71 Zum Bsp.: EuGH, 28. 02. 1991, WuW/EWG/MUV 911 (914 ff.) „Delimitis/Henninger Bräu“; BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1192 ff.) „Handpreisauszeichnungsgerät“, bestätigt durch KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (999 f.) „Handpreisauszeichner“; OLG Hamburg, 26. 01. 1984, WuW/E OLG 3249 (3250 ff.) „Castrol“; KG, 27. 01. 1984, WuW/E OLG 3254 (3255 ff.) „Gasbeton“; OLG München, 18. 11. 1993, WuW/E OLG 5294 (5296 ff.) „Getränkebezugsverpflichtung 15 Jahre“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/ DE-R 854 (859 ff.) „Stadtwerke Aachen“. 72 Siehe S. 325 ff. und S. 331 f. 70
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
esse des Gebundenen am Erhalt dieser Unterstützung.73 Angesichts dessen darf das Risiko einer Fehlbeurteilung der zulässigen Grenzen einer Bindung i. V. m. einer weitgehenden Sanktion nicht dazu führen, solche Geschäftsmodelle unmöglich zu machen. Das wäre vom Normzweck der Art. 101, 102 S. 2 lit. b) AEUV und §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB nicht gedeckt, die den Leistungsaustausch im Rahmen des freien Leistungswettbewerbes gerade fördern wollen.74 In den Fällen überlanger oder inhaltlich zu weit gehender vertraglicher Bindungen kommt also einerseits Nichtigkeit, andererseits eine geltungserhaltende Reduktion in Betracht. Die Nichtigkeit würde die Bindung völlig aufheben und damit weiter gehen als es zur Aufrechterhaltung eines rechtmäßigen Zustandes nötig wäre. Eine derart strenge Sanktion kollidiert mit dem Grundsatz, dass die Art. 101 Abs. 1 und 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 GWB keine weitergehende Einschränkung der Freiheit des bindenden Unternehmens fordern, als es zur Aufrechterhaltung des freien Wettbewerbes erforderlich ist.75 Andererseits hat sich das bindende, unter Umständen gar marktbeherrschende Unternehmen selbst rechtswidrig verhalten. Soll nun die Sanktion zu seinen Gunsten begrenzt werden, bedarf es dafür weiterer Argumente. bb) Rechtliche Rahmenbedingungen und Anpassung an das Europarecht Verwaltung und Rechtsprechung haben aufgrund der §§ 16, 22 Abs. 4 und 26 Abs. 2 GWB a. F. vor der 6. GWB Novelle eine geltungserhaltende Reduktion praktiziert.76 Zur Rechtfertigung wurde entweder auf eine quantitative Teilnichtigkeit nach § 19 Abs. 1 GWB a. F. i. V. m. § 139 BGB verwiesen.77 Oder es wurde angenommen, § 139 BGB sei nicht anwendbar, weil der kartellrechtliche Gedanke Vorrang haben müsse, dass die Nichtigkeit nur soweit gehen dürfe, als sie zur Beseitigung der Wettbewerbsbeschränkung unbedingt erforderlich sei.78 Diese An73
Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 520, 524, 527; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 216, 219; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. A. a) Rn. 34; Ehricke/Pellmann, WuW 2005, S. 1104 (1113 ff.). 74 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 75 Siehe S. 107 f. 76 Bei zeitlich überlangen Bindungen wurde eine geltungserhaltende Reduktion praktiziert. Bei sachlich oder räumlich zu weitgehenden Bindungen war vollständigen Nichtigkeit die Folge: BGH, 10. 02. 2004, WuW/DE-R 1305 (1306) „Restkaufpreis“; Canaris, DB 2002, S. 930 (932); Scholz, in: FS Baur, S. 549 (554 f.); Kirchhain, WuW 2008, S. 167 (176 ff.). 77 WuW/E BGH 1305 (1306) „Restkaufpreis“; OLG München, 18. 11. 1993, WuW/E OLG 5294 (5296) „Getränkebezugsverpflichtung 15 Jahre“; Canaris, DB 2002, S. 930 (932); Scholz, in: FS Baur, S. 549 (564 f.); Weyer, in: FS Baur, S. 681 (685 f.). 78 KG, 18. 02. 1969, WuW/E OLG 995 (1000 f.) „Handpreisauszeichner“, zuvor BKartA, 02. 10. 1967, WuW/E BKartA 1189 (1196) „Handpreisauszeichnungsgerät“; KG, 27. 01. 1984, WuW/E OLG 3254 (3254 f., 3259) „Gasbeton“; für eine geltungserhaltende Reduktion bei § 19 Abs. 1 GWB: Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, § 19 GWB Rn. 212, 214.
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nahme gilt zwar auch heute noch. Jedoch hatte der Reformgesetzgeber der 6. GWB Novelle mit der Neuformulierung des § 19 Abs. 1 GWB als Verbotstatbestand deutlich gemacht, dass er eine wirksamere Durchsetzung der Sanktion von Wettbewerbsverstößen wünscht.79 Mit der 7. GWB Novelle wurde § 16 GWB a. F. aufgehoben und vertikale Bindungen wurden dem Verbot des § 1 GWB unterstellt. Mit der Aufhebung der Missbrauchsaufsicht und der Formulierung eines per se Verbotes sollte in Anlehnung an Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Verschärfung der Rechtsfolgen verbunden sein.80 Sowohl die 6. als auch die 7. GWB Novelle zielen auf eine Anpassung an das Europarecht.81 Dort ist die Anordnung der Nichtigkeit vertikaler Bindungen nach Art. 101 Abs. 2 AEUV zu beachten.82 Das Reformziel der Anpassung des GWB an das Europarecht stünde vor diesem Hintergrund im Widerspruch zu einer Zulassung einer geltungserhaltenden Reduktion. cc) Geltungserhaltende Reduktion im Rahmen von Art. 101 Abs. 2 AEUV Allerdings ist zu überlegen, ob nicht die Anordnung der Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV durch eine teleologische Reduktion auf eine geltungserhaltende Reduktion begrenzt werden kann.83 Der Wortlaut scheint entgegenzustehen. Jedoch träte immerhin Nichtigkeit im Hinblick auf das mit der Bindungsvereinbarung verbundene Übermaß ein. Der Wille des europäischen Gesetzgebers ist nicht ermittelbar.84 Entscheidende Bedeutung kommt also dem Normzweck des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV zu. Die dabei anzustellenden Überlegungen gelten auch für Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, weil das verbotswidrige Verhalten das gleiche ist. Die Gruppenfreistellungsverordnung 330/2010 zur Regelung von Vertikalvereinbarungen erlaubt zeitlich begrenzte Wettbewerbsverbote.85 Dieser Gedanke ist also der Regelung des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht fremd. Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV ist vielmehr offen für inhaltlich begrenzte vertikale Bindungen, soweit die mit ihnen 79
Siehe S. 36 f. Siehe S. 42 f. 81 Siehe S. 36 f. und S. 42 ff.; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (860 f.) „Stadtwerke Aachen“. 82 OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (860 ff.) „Stadtwerke Aachen“; siehe auch 86 ff. 83 Ablehnend, wenngleich ohne nähere Begründung die Rechtsprechung: EuGH, 25. 11. 1971, Slg. 1971, S. 949 (950, 964) „Beguelin“; EuGH, 14. 12. 1983, WuW/EWG/MUV 629 (630) „Zementimport“; EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480 f.) „Courage Ltd/Crehan“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1482 f.) „CEPSA/Tobar“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861 f.) „Stadtwerke Aachen“. 84 Die Begründung für die Vertragsregelung wurde bewusst nicht veröffentlicht. 85 Im Vertikalverhältnis führen diese zu einer Aussschliesslichkeitsbindung; vgl. Art. 5 GVO 330/2010, Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 231. 80
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verbundenen Vorteile für den freien Leistungswettbewerb die Nachteile überwiegen.86 Eine entsprechende Einschränkung auch des Art. 101 Abs. 2 AEUV scheint deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen.87 Im Folgenden sollen die Auswirkungen einer möglichen geltungserhaltenden Reduktion im Hinblick auf vertikale Bindungen untersucht werden. (1) Die Stellung des gebundenen Abnehmers Eine geltungserhaltende Reduktion vermag ihre Rechtfertigung gewöhnlich im Schutz des schwächeren Vertragspartners zu finden.88 Der Abnehmer wird allerdings durch eine Nichtigkeit weit besser gestellt, weil er dann in seinem Verhalten frei bleibt. Eine Vertragsanpassung nutzt lediglich dem Marktbeherrscher und benachteiligt sowohl das gebundene Unternehmen als auch Wettbewerber und Dritte auf nachfolgenden Marktstufen. Sie schafft Rechtsunsicherheit in Fällen, in denen die genauen Grenzen der zulässigen Bindung schwierig festzulegen sind. Solange Unsicherheit besteht, ist zu befürchten, dass sich die Mehrzahl der Abnehmer aus Angst vor Sanktionen, etwa Kündigung und Schadensersatzforderungen voll umfänglich, zumindest aber deutlich über das zulässige Maß hinaus an die Bindung halten wird. Der Bindende könnte dadurch auch in Fällen von einer Bindung profitieren, in denen die Abnehmer erkannt haben, dass sie inhaltlich oder zeitlich zu weitgehend ist. Die Ungewissheit über die genauen Grenzen und damit letztlich über den Vertragsinhalt nutzt also dem Bindenden.89 Das Risiko, die Grenzen des rechtmäßigen Verhaltens falsch zu bestimmen, tragen damit die Abnehmer und mittelbar die Wettbewerber. Des Weiteren wird ein Anreiz geschaffen, Bindungen weitgehend auszugestalten. Wenn damit zu rechnen ist, dass sie in jedem Fall wenigstens im wettbewerbsrechtlich zulässigen Umfang aufrechterhalten werden, geht das bindende Unternehmen kein Risiko ein. Wird der Verbotsverstoß später festgestellt, ergibt sich die gleiche Rechtslage, als ob die wettbewerbsrechtlich zulässigen Grenzen von vornherein eingehalten worden wären. Durch eine solche Risikominimierung bzw. Risikoüberwälzung auf die Gebundenen würde eine Chance zur Prävention gegen wettbewerbswidriges Verhaltens vertan. Der Rechtsschutz wäre deutlich weniger effektiv ausgestaltet als im Fall der Nichtigkeit. 86 Über Art. 101 Abs. 3 AEUV, gegebenenfalls i. V. m. einer GVO, ist der Weg für eine umfassende Interessenabwägung im Rahmen der von Art. 101 Abs. 3, 2. Halbsatz AEUV gesetzten Grenzen eröffnet, vgl. insoweit Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 517 ff. 87 Für die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion: Martinek/Habermeier, ZHR 158 (1994), S. 107 (128 ff.); Canaris, DB 2002, S. 930 (931 ff., 935); Ritter, WuW 2002, S. 362 (366); Scholz, in: FS Baur, S. 549 (564 f.); vgl. auch im Zusammenhang mit der Überschreitung von Vorgaben einer GVO und einer daher entfallenden Freistellung, Bayreuther, WuW 1998, S. 820 (823 f.) und für den Fall der Änderung einer GVO, welche eine zuvor erlaubte Klausel für die Zukunft als verboten behandelt, Kirchhain, WuW 2008, S. 167 (177 ff.). 88 Siehe S. 114. 89 Zum Parallelproblem im Zusammenhang mit Kopplungen, siehe S. 275 ff. und im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 481 ff.
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(2) Präventive Wirkung der Nichtigkeitssanktion Demgegenüber hat das bindende Unternehmen für den Fall der Nichtigkeit etwas zu verlieren. Der Vertragspartner kann die vermeintliche Bindung vollständig ignorieren, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Das bindende Unternehmen steht in der Folge schlechter, als wenn die Bindung von Beginn einen rechtmäßigen Umfang gehabt hätte. Es trägt das Risiko, die zulässigen Grenzen der Bindung von vornherein richtig zu bestimmen. Dadurch wird der Anreiz, vertragliche Bindungen weit auszugestalten, beseitigt.90 Nun ist allerdings ein Strafcharakter dem Normzweck der Art. 101 Abs. 1 AEUV und 102 AEUV nicht immanent.91 Insbesondere in Fällen, in denen das marktbeherrschende Unternehmen nicht vorwerfbar die Grenzen der Bindung verkannt hat, erscheint eine totale Nichtigkeit nicht unproblematisch. Allerdings stellen die Verbotsnormen den Wettbewerbsschutz in den Vordergrund. Deshalb ist die Nichtigkeitssanktionen des Art. 101 Abs. 2 AEUV verschuldensunabhängig ausgestaltet. (3) Auswirkungen auf die Geschäftspolitik des Bindenden Es sind des Weiteren die, unter Umständen erheblichen Nachteile für die Vertriebsorganisation zu berücksichtigen. Problematisch erscheinen insbesondere die Fälle, in denen der Bindende eine erhebliche Gegenleistung dafür erbringt, dass der andere Teil die Bindung einhält.92 Diese Geschäftsmodelle dürfen nicht unmöglich gemacht werden. Dazu führt die Nichtigkeit indes nicht. Die Zulässigkeit wettbewerbsfördernder Bindung steht ja außer Frage.93 Es geht lediglich darum, von vornherein die wettbewerbsrechtlich gebotenen Grenzen einer Bindung einzuhalten. Dieses Risiko dem Bindenden aufzuerlegen, ist wegen der mit Bindungen verbundenen Gefahren für den Wettbewerb folgerichtig. Vor Inkrafttreten der VO 1/2003 bestand das Risiko einer Fehlbeurteilung insoweit nicht, als das bindende Unternehmen vor Praktizierung einer Bindung die Freistellungsgenehmigung der EUKommission nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, gegebenenfalls i. V. m. einer GVO einholen musste.94 Mit dem Übergang zum System der Legalausnahme hat der Europäische Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Risiko der Fehlbeurteilung der Grenzen einer zulässigen Bindung, dem eine Bindung praktizierenden Unternehmen auferlegt werden soll.95 Der deutsche Gesetzgeber hat den Übergang zum System der Legalausnahme durch Neugestaltung des § 1 GWB im Wege der 90 Im Zusammenhang mit der Überschreitung von Vorgaben einer GVO und einer daher entfallenden Freistellung: OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (856) „Stadtwerke Aachen“; Bayreuther, WuW 1998, S. 820 (824); Kirchhain, WuW 2008, S. 167 (177 f.); siehe auch S. 335 ff. 91 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 92 Siehe S. 327 f. und S. 337 ff. 93 Art. 101 Abs. 3 AEUV und die Gruppenfreistellungsverordnungen dienen dazu, wettbewerbsfördernde Bindungssysteme zuzulassen, siehe S. 325 ff. 94 Siehe S. 40 f. 95 Siehe S. 40 f.
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7. GWB Novelle nachvollzogen.96 In problematischen und bedeutenden Fällen können die bindenden Unternehmen eine Entscheidung über die Feststellung der (Nicht-)Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 oder 102 AEUV gem. Art. 10 VO 1/2003 von der Kommission einholen, bevor sie eine vertikale Bindung einführen. Abgesehen davon ist festzustellen, dass die Fälle zulässiger Bindungen die Kartellamtspraxis und Rechtsprechung bereits über Jahrzehnte beschäftigen.97 Praktisch bedeutsame Klauselgestaltungen haben, sowohl was zulässige als auch was unzulässige Regelungen angeht, eine Normierung im Rahmen von Gruppenfreistellungsverordnungen gefunden.98 Von den Normadressaten ist die Kenntnis dieser Regeln und der Praxis zu verlangen. Damit reduzieren sich die problematischen Fälle, in denen die Vorwerfbarkeit einer Fehlbeurteilung zweifelhaft ist,99 auf wenige Ausnahmen. Größere praktische Relevanz kommt dann bewussten, mindestens fahrlässigen Verbotsverstößen zu. In einem solchen Fall sind die Interessen des Marktbeherrschers aber nicht schutzwürdig. (4) Interesse des Gebundenen an der Bindung Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade in Fällen der Investitionshilfen, aber auch um z. B. Gebietsschutz zu erlangen, Abnehmer nicht selten selbst ein Interesse an der Durchführung von vertikalen Bindungen haben.100 Das ändert zunächst an der Rechtswidrigkeit der Bindungen nichts. Es entfällt allerdings das Argument, dass die Nichtigkeit im Interesse der Abnehmer liege. Da sie aber selbst und bewusst am Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV mitwirken, tragen sie insoweit auch die (Mit-) Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Vereinbarungen. Im Interesse des Wettbewerbsschutzes101 und insbesondere um schwierige Abgrenzungen zwischen Fällen zu vermeiden, in denen die Bindung sich mehr oder weniger auch zugunsten des Gebundenen auswirkt, muss es bei der Nichtigkeit bleiben. Eine aus Abgrenzungsschwierigkeiten resultierende Rechtsunsicherheit würde nur den Beteiligten einer rechtswidrigen Bindung nutzen. Sie wirkte sich aber zu Lasten von Konkurrenten oder Abnehmern auf nachgelagerten Märkten aus. Haben beide Parteien ein Interesse an der Bindung können sie jederzeit die nichtige durch eine rechtmäßige Vereinbarung ersetzen. Sie können einen neuen Vertrag schließen oder auch den Weg einer Bestätigung im Rahmen des zulässigen Umfanges nach § 141 BGB gehen. Schlussendlich ist zu bedenken, dass eine vollständige Nichtigkeit der Bindung, begrenzt auf den verbotswidrigen Teil des Rechtsgeschäfts mit der Folge der
96
Siehe S. 42 f. Siehe S. 327 ff. 98 Siehe S. 325 ff. 99 Zu den insoweit strengen Anforderungen, siehe S. 154 ff. 100 Siehe S. 327 ff. 101 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480 f.) „Courage Ltd/Crehan“; OLG Düsseldorf, 07. 11. 2001, WuW/DE-R 854 (861 f.) „Stadtwerke Aachen“. 97
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Wirksamkeit im Übrigen,102 dem Abnehmer in Fällen von Investitionshilfen103 keinen ungerechtfertigten Vorteil verschafft. Der Abnehmer kann nämlich nicht einfach die gewährte Hilfe behalten, ohne eine adäquate Gegenleistung unter Einschluss einer angemessenen Bindung erbringen zu müssen. Vielmehr würde infolge der Nichtigkeit der Bindung ein Fall der Teilnichtigkeit vorliegen. Sodann stellt sich die, nach § 139 BGB zu beantwortende Frage, ob Gesamtnichtigkeit des Vertrages eintritt. Im Rahmen dessen ist auch der hypothetische Parteiwille des Marktbeherrschers zu beachten.104 Dadurch können dessen berechtigte Interessen berücksichtigt und eine angemessene Lösung gefunden werden.105 (5) Ergebnis Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Normzweck der Art. 101 Abs. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB für eine vollständige Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vertikalbindungen auch dann spricht, wenn der Verbotsverstoß lediglich in einer inhaltlich oder zeitlich zu weitgehenden Ausgestaltung liegt.106 Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht. Zwar würden Behinderung der Marktgegenseite und Beschränkung des Wettbewerbes ebenso vermieden, falls die Bindung nur im Bereich des Übermaßes nichtig wäre. Jedoch entfiele die Möglichkeit zur Prävention insoweit, als der Marktbeherrscher nicht den Wegfall der Bindung insgesamt befürchten müsste, sondern damit rechnen könnte, dass die Bindung mit dem zulässigen Inhalt aufrechterhalten bliebe. Eine solche Rechtslage würde dazu verleiten, vertragliche Bindungen weit auszudehnen und zu versuchen rechtswidrige Vorteile herauszuholen. Die Interessen der an einer Bindung Beteiligten müssen demgegenüber zurücktreten, zumal die mit einer Nichtigkeit verbundenen Rechtsfolgen handhabbar sind. Die Nichtigkeit tritt aufgrund der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB ein. Wird die Bindung von einem marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert, ergibt sich die Nichtigkeit auch aus der Anwendung von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB. dd) Verhältnis von § 134 zu § 138 BGB Die Fälle vertraglicher Vertikalbindungen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass eine Nichtigkeit nicht nur nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder § 134 BGB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB in
102 103 104 105 106
Zu Fragen der Teilnichtigkeit sogleich S. 344 ff. Siehe S. 350 ff. Siehe S. 108 f. Siehe S. 344 ff. So auch die Rechtsprechung des EuGH, vgl. dazu bereits die Nachweise in Fn. 83.
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Betracht kommt, sondern ebenso § 138 BGB einschlägig sein kann.107 Im Rahmen einer Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB ist streitig, ob eine geltungserhaltende Reduktion zulässig oder lediglich eine Totalnichtigkeit mit dem Gesetz vereinbar ist.108 Nicht auszuschließen ist, dass eine Kontrolle zulässiger Laufzeiten oder sonst vertraglicher Bindungen unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit großzügiger ausfällt als bei Zugrundelegung der Art. 101 Abs. 1 oder 102 AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB. Es ist also zu befürchten, dass die Anwendung dieser verschiedenen Paragraphen zu unterschiedlichen Ergebnissen im Einzelfall führt. Die Frage, welche Norm anzuwenden ist, ist dahingehend zu beantworten, dass Art. 101 Abs. 2 AEUV und/oder § 134 BGB i. V. m. einem gesetzlichen Verbot hier der Vorrang gebührt. Die Begründung ist darin zu finden, dass der Gesetzgeber durch das speziellere Verbotsgesetz einen bestimmten Konflikt regeln wollte und § 138 BGB im Verhältnis dazu lediglich allgemeine Auffangnorm, mithin subsidiär, ist.109 § 138 BGB findet deswegen im Falle der Einschlägigkeit der Verbote des Art. 101 Abs. 1, 102 AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB keine Anwendung. Die zivilrechtlichen Folgen des Verbotsverstoßes sind daher aus Art. 101 Abs. 2 AEUV oder dem Verbotsgesetz i. V. m. § 134 BGB zu entnehmen. Im Hinblick auf die Anwendung des Art. 101 Abs. 2 AEUV ist auch der Anwendungsvorrang der europarechtlichen Norm vor der nationalen Regelung des § 138 BGB zu beachten. Einerseits kann eine Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nicht mit dem Argument überwunden werden, nach § 138 BGB liege keine Sittenwidrigkeit vor. Andererseits darf wegen des Grundsatzes der gleichmäßigen Anwendung, der in Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 normiert ist, eine nach Art. 101 Abs. 1 oder 3 AEUV, gegebenenfalls auch i. V. m. einer GVO erlaubte Vereinbarung nicht als nach § 138 BGB sittenwidrig und nichtig beurteilt werden. c) Auswirkungen der Nichtigkeit einer Bindung auf den Vertrag im Übrigen Die unmittelbare Nichtigkeit, sowohl nach Art. 101 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 AEUVals auch nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB erstreckt sich nur auf diejenigen Teile eines Rechtsgeschäfts, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Das betrifft also zunächst nur die unmittelbare wettbewerbsbeschränkende Bindung. Insoweit ist auch der Anwendungsvorrang des Art. 101 Abs. 2 AEUV begrenzt. Im Übrigen ergeben
107 Zum Bsp.: OLG Hamburg, 26. 01. 1984, WuW/E OLG 3249 (3251 ff.) „Castrol“; OLG München, 18. 11. 1993, WuW/E OLG 5294 (5296 ff.) „Getränkebezugsverpflichtung 15 Jahre“; LG Düsseldorf, 31. 07. 2002, WuW/DE-R 999 (999 ff.) „Lüneburger Quick Service“. 108 Siehe S. 123 f. 109 Siehe S. 123 f.
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sich die Rechtsfolgen aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.110 Deshalb ist zu prüfen, ob § 139 BGB eine passende Lösung für den Vertrag im Übrigen bereithält. Dabei sind verschiedene Konstellationen zu betrachten. Erstens gibt es Fälle, in denen eine Bindung einseitig diktiert wird, weil der Abnehmer vom Anbieter wirtschaftlich abhängig ist.111 Eine nach § 139 BGB möglicherweise eintretende Gesamtnichtigkeit stellt das zu schützende Unternehmen auf der Marktgegenseite schlechter als es mit Bindung, aber eben auch mit Lieferanspruch stehen würde. Zweitens gibt es Fälle, in denen Bindender und Gebundener freiwillig zusammenwirken, weil der Gebundene für das Akzeptieren der Bindung Zugeständnisse des Bindenden an anderer Stelle erreicht oder er sich Liefersicherheit verspricht.112 In dieser Konstellation gibt es keinen zu schützenden Vertragspartner, so dass die Anwendung von § 139 BGB angemessen erscheint. Drittens gibt es Fälle, in denen zwar eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, die dazu führt, dass Vertragsbedingungen einseitig vorgegeben werden. Der Gebundene erhält aber für das Eingehen der Bindung bestimmte angemessene Gegenleistungen.113 Einerseits scheint § 139 BGB wegen der Schutzbedürftigkeit des Gebundenen nicht zu passen. Andererseits erhielte er bei bloßer Nichtigkeit ein Zufallsgeschenk, weil er den Anspruch auf die Leistung erhält, die Gegenleistung in Form der Einhaltung der Bindung aber nicht erbringen muss. Als Beispiel sollen die Fälle dienen, in denen Investitionshilfen gegen Eingehung einer langfristigen Bezugsbindung gewährt werden.114 Schließlich ist zu bedenken, dass § 139 BGB für Rahmenverträge, die zur gleichförmigen Organisation eines Vertriebssystems abgeschlossen werden, nicht passt. Rechtsfolge ist dann die Teilnichtigkeit unabhängig vom hypothetischen Parteiwillen.115 aa) Anwendbarkeit von § 139 BGB Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift ist zunächst, dass der Vertrag in einen nach Art. 101 Abs. 2 AEUVoder § 134 BGB nichtigen und einen weiteren Teil, der selbständig Bestand haben kann, trennbar ist.116 In der Mehrzahl der Fälle ist das ohne weiteres denkbar. Eine Klausel, die eine Bezugs- oder Vertriebsbindung oder Verwendungsbeschränkung festlegt, regelt gewöhnlich Nebenpflichten oder Nebenleistungspflichten, welche den Austausch der Hauptleistungen flankieren sollen.117 Sie steht dann außerhalb des vertraglichen Synallagmas. In der Folge können derartige Einzelbestimmungen aus dem Vertrag gelöst werden, ohne dass der Ver110 111 112 113 114 115 116 117
Siehe S. 41 f.; Görner, S. 54 ff. Zur Übersicht siehe S. 325 ff. Siehe S. 327 ff. Siehe S. 327 ff. Siehe S. 350 ff. Siehe S. 112 ff. Siehe S. 108 f. Siehe S. 334 f.
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tragszweck, nämlich der Austausch von Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt gefährdet wäre. Der Vertrag bliebe auch ohne die nichtige Nebenbestimmung sinnvoll und durchführbar. Schwierigkeiten bereiten nur die Fälle, in denen die Bindung für die gesamte Vertragsgestaltung derart erheblich ist, dass sie Teil des vertraglichen Synallagmas wird. Der Vertragszweck kann dann regelmäßig nur unter Durchführung der Bindung erreicht werden. Das betrifft die Fälle der Investitionshilfen, in denen dem Darlehensgeber die Amortisation eines zinslosen oder zinsgünstigen Kredites nur dadurch gelingen kann, dass der Darlehensnehmer sich verpflichtet, Waren über mehrere Jahre ausschließlich bei ihm zu beziehen. Gewöhnlich steht und fällt der Vertrag mit der Bindung. Eine Teilbarkeit ist dann häufig nicht möglich. Diese Konstellation ist im Anschluss gesondert zu erörtern.118 bb) Angemessenheit der Anwendung von § 139 BGB (1) Zugrundelegung des hypothetischen Parteiwillens Ob ein Vertrag ohne vertikale Bindung aufrechterhalten werden kann, entscheidet sich bei Anwendung von § 139 BGB danach, ob ein entsprechend übereinstimmender hypothetischer Parteiwille festzustellen ist.119 Sind Bezugs-, Verwendungsoder Vertriebsbindungen das Resultat wirtschaftlicher Abhängigkeit, hat sie der Abnehmer also nur aufgrund fehlender Ausweichmöglichkeiten akzeptiert, dann wird er daran interessiert sein, die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Wer einen Vertrag geschlossen hat, der ihm in Form der Bindung erhebliche Belastungen auferlegt, hätte diesen Vertrag ohne diesen Nachteil erst recht geschlossen. Aus Sicht des Bindenden erscheint es naheliegend, dass er den Vertrag ohne die Bindung nicht geschlossen hätte. Eine genaue Beurteilung ist zwar nur im Einzelfall möglich. Jedoch stellt sich die Lage regelmäßig so dar, dass das bindende Unternehmen eine Absicherung seiner Stellung auf dem beherrschten Markt, eine Expansion in Drittmärkte oder die Kontrolle seines Vertriebssystems anstrebt.120 Zum Teil geht es auch um die Sicherung von Investitionen oder die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftspolitik des gebundenen Unternehmens.121 Somit haben die Bindungen wesentliche Bedeutung für den Vertragsschluss. Zudem handelt der Bindende gewöhnlich aus einer Position der Stärke heraus. Mit der Drohung der Geschäftsverweigerung kann er Verhandlungsdruck aufbauen. Darüber hinaus lautet die Frage zur 118
Siehe S. 350 ff. Siehe S. 108 f.; die Rechtsprechung hat regelmäßig § 139 BGB angewandt, z. B.: BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2569) „Schaumstoffplatten“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2909 (2913) „Pronuptia II“; OLG München, 18. 11. 1993, WuW/E OLG 5294 (5296) „Getränkebezugsverpflichtung 15 Jahre“; LG Düsseldorf, 31. 07. 2002, WuW/DE-R 999 (1002 f.) „Lüneburger Quick Service“; OLG Düsseldorf, 23. 03. 2005, WuW/DE-R 1573 (1573, 1576) „Pflanzeneinstecketikett“; LG Frankfurt a.M., 06. 01. 2006, WuW/DE-R 1678 (1680) „Classic-Line“. 120 Siehe S. 327 ff. 121 Siehe S. 327 ff. 119
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Feststellung des hypothetischen Willens nicht, ob er sich auf eine Bindung im rechtmäßigen Umfang eingelassen hätte, sondern ob er den Vertrag auch ohne Bindung geschlossen hätte. Das dürfte gewöhnlich zu verneinen sein. (2) Schutzbedürftigkeit des abhängigen Abnehmers Daraus erwächst für den Abnehmer ein Dilemma. Wenn ein gemeinsamer hypothetischer Parteiwille, gerichtet auf die Aufrechterhaltung des Vertrages nicht vorliegt, ist der Vertrag bei Anwendung der, seinen Schutz bezweckenden Art. 101 Abs. 1 S. 1 lit. b) i. V. m. Abs. 2 AEUV und Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, sowie §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, 134 BGB i. V. m. 139 BGB insgesamt nichtig. Er verlöre den vertraglichen Anspruch auf die benötigte Leistung und stünde in der Folge schlechter, als wenn er einen Vertrag zu Bedingungen geschlossen hätte, die seine Betätigungsfreiheit begrenzen. Es liegt hier also eine Konstellation vor, in welcher der zu schützende Teil „Steine statt Brot“ bekommen würde. In einem solchen Fall führt die Anwendung von § 139 BGB zu unangemessenen Ergebnissen.122 Zum Schutz des schwächeren Vertragspartners ist dann ohne Rückgriff auf den hypothetischen Parteiwillen von einer Nichtigkeit der verbotswidrigen Bindungen unter Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen auszugehen. (3) Freiwillige Zustimmung des Abnehmers zur Bindung Allerdings erscheint der Ausschluss des § 139 BGB in den Fällen nicht erforderlich, in denen auch der Abnehmer aktiv an der Gestaltung der Bindung mitwirkt, und er bei der Vertragsgestaltung insgesamt seine Interessen angemessen durchsetzen kann. Es geht also um Fälle, in denen die Bindung nicht das Resultat wirtschaftlichen Druckes ist. Auch hier greift das Verbot des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV ein, soweit nicht ausnahmsweise eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht zu ziehen ist.123 Haben beide Beteiligten den Vertrag frei ausgehandelt, so führt auch die Anwendung von § 139 BGB zu angemessenen Ergebnissen. Der Gebundene bedarf keines Schutzes. Möglicherweise hat er selbst ein Interesse an, z. B. einer Bezugsbindung, weil er sich davon etwa Liefersicherheit verspricht. Regelmäßig haben beide Parteien ein Interesse am Gelingen des Vertrages. Selbst wenn der vollständige Wegfall der Bindung für einen Teil nicht akzeptabel ist, so besteht doch die Möglichkeit durch Neuverhandlungen zu angemessenen Lösungen zu kommen. (4) Mangelnde Praktikabilität einer Fallgruppenbildung Es ist zu überlegen, ob zwischen diesen beiden Fallgruppen differenziert werden kann. Das Problem besteht praktisch darin, dass eine einfache Abgrenzung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Bindung, zwischen inhaltlicher Mitgestaltung und 122 123
Siehe S. 114. Siehe S. 325 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Zwang sowie zwischen Überwiegen der Vorteile oder der Nachteile aus Sicht der Abnehmer nicht möglich ist. Beispielsweise wird auch der Abnehmer, dem von einem Marktbeherrscher weitgehende Bindungen auferlegt wurden, die Einbindung in ein Vertriebssystem oder die Liefersicherheit schätzen. Die Übergänge sind fließend. Auch eine Unterscheidung zwischen den Anwendungsbereichen des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB einerseits und des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB andererseits bietet keine Lösung. Zwar könnte man, da im Rahmen der Verbote wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und § 1 GWB der entscheidende Anknüpfungspunkt nicht Marktmacht, sondern das bewusste Zusammenwirken zur Beschränkung des Wettbewerbes ist, § 139 BGB anwenden und den hypothetischen Parteiwillen über den Fortbestand des Vertrages entscheiden lassen. Auch könnte man, da der Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB (auch) auf den Schutz der Marktgegenseite zielt, stets Teilnichtigkeit durch Anwendung von § 134 2. Halbsatz BGB annehmen und die Anwendbarkeit von § 139 BGB ausschließen.124 Jedoch überschneiden sich die Anwendungsbereiche der Art. 101 Abs. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB. Praktiziert ein marktbeherrschendes Unternehmen eine wettbewerbsbeschränkende Bindung, sind immer zugleich Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB verletzt.125 In der Folge sind jeweils alle einschlägigen Verbotsnormen anzuwenden. Deshalb würde die Lösung, bei Anwendung von Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB den Vertrag im Übrigen nach § 139 BGB zu beurteilen, bei Anwendung von Art. 102 S. 2 lit. b) oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. 20 Abs. 1 GWB den Vertrag im Übrigen nach § 134 2. Halbsatz BGB aufrechtzuerhalten, zu einem Widerspruch führen. Es besteht die Notwendigkeit, eine einheitliche Lösung zu finden. (5) Teilnichtigkeit und Kontrahierungszwang Es ist in Rechnung zu stellen, dass im Fall der Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB, die gerade als Folge von wirtschaftlichem Druck eintritt, ein Kontrahierungszwang in Folge der missbräuchlichen oder unbilligen Geschäftsverweigerung bestehen kann.126 Er lässt sich als Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB herleiten. Allerdings ist dieser Weg, gerade dann, wenn der schutzwürdige Vertragspartner bereits einen vertraglichen Anspruch erworben hatte, unnötig umständlich.127 Außerdem steht er im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB nicht zur 124
Zum Vorrang von § 134 2. Halbsatz BGB gegenüber § 139 BGB, siehe S. 114 f. Siehe S. 327 ff. 126 Siehe S. 382 ff. 127 Zur zwangsweisen Kopplung, siehe S. 311 f., sowie im Zusammenhang mit der Geschäftsverweigerung, siehe S. 413 ff. 125
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Verfügung. Auch ist zu bedenken, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen missbräuchlicher Bindung und Geschäftsverweigerung gibt. Selbst wenn der Marktbeherrscher mit der Bindung gegen Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV) oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB verstößt, bedeutet das nicht, dass auch eine Geschäftsverweigerung notwendigerweise missbräuchlich wäre. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit dafür hoch. In jedem Fall ist aber eine Teilnichtigkeit, die den Anspruch auf die Hauptleistung erhält, vorzuziehen. (6) Teilnichtigkeit und ergänzende Vertragsauslegung Tritt Teilnichtigkeit ein, obgleich der Bindende den anderen Teil nicht unter wirtschaftlichen Druck gesetzt hat und er den Vertrag ohne Bindung nicht geschlossen hätte, muss das nicht zu einem Zufallsgeschenk für den Gebundenen und einer Übervorteilung des Bindenden führen. Die durch die Nichtigkeit entstehende Lücke kann durch Anwendung dispositiven Gesetzesrechts gefüllt werden.128 Dazu gehört eine nach § 157 BGB zulässige ergänzende Vertragsauslegung. Die umfassende Nichtigkeit der Bindung führt dazu, dass eine Bindung von Anfang an nicht bestand. Zu prüfen ist dann, was die Parteien vereinbart hätten, wäre ihnen die Nichtigkeit und die damit verbundene Lückenhaftigkeit von Anfang an bewusst gewesen.129 Regelmäßig wird man zu dem Ergebnis kommen, dass eine Bindung im wettbewerbsrechtlich zulässigen Umfang gewollt gewesen wäre. Allerdings ist eine solche ergänzende Vertragsauslegung zurückhaltend zu handhaben. Denn sie darf nicht dazu führen, dass über diesen Umweg im Ergebnis doch eine geltungserhaltende Reduktion durchgeführt wird. Sie ist deshalb nur dort anzuwenden, wo eine wirkliche Lücke im Vertrag entsteht. Das ist der Fall, wenn die Nichtigkeit zu einer erheblichen Lastenverschiebung zum Nachteil eines Beteiligten führt und das anfangs ausgewogene Vertragsverhältnis gestört wird. Die ergänzende Vertragsauslegung darf also nicht dazu führen, dass die präventive Wirkung der Nichtigkeitssanktion,130 insbesondere in Fällen, in denen Bindungen durch wirtschaftlichen Druck einseitig durchgesetzt werden, ausgeschaltet wird. Die Vertragsparteien haben auch von vornherein die Möglichkeit eine Vereinbarung in den Vertrag aufzunehmen, die im Fall der Nichtigkeit zu Nachverhandlungen verpflichtet. (7) Schlussfolgerung Insgesamt ist eine Nichtanwendung von § 139 BGB und eine Aufrechterhaltung des Vertrages ohne Bindung vorzugswürdig.131 Das gilt sowohl bei Anwendung von Art. 101 Abs. 1 lit. b) als auch bei Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, sowie §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB. Die Interessen schutzbedürftiger Abnehmer werden auf diese Weise gewahrt. Die Teilnichtigkeit wirkt sich vor allem zu Lasten 128 129 130 131
Siehe S. 123. Siehe S. 123. Siehe S. 343. Dies ist eine Frage des deutschen Rechts, siehe S. 86 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
marktbeherrschender (marktmächtiger) Unternehmen aus, die Bindungen mittels wirtschaftlichen Druckes durchsetzen wollen. In Fällen, in denen die Abnehmer Bindungen freiwillig akzeptiert haben, kann über den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung oder der beiderseitigen Vertragsergänzung eine angemessene Lösung gefunden werden. Außerdem wird berücksichtigt, dass vertikale Bindungen häufig in Rahmenverträgen vereinbart werden, die ein bindendes Unternehmen zur gleichförmigen Organisation seines Vertriebssystems einsetzt, ohne dass die Vertragsbindungen im Einzelfall ausgehandelt werden. Für derartige Rahmenverträge bietet der auf individuell ausgehandelte Verträge zugeschnittene § 139 BGB keine angemessene Lösung.132 Die Rahmenverträge sind immer nur hinsichtlich der wettbewerbswidrigen Regelungen nichtig, bleiben im Übrigen aber wirksam. Diese Lösung hat den weiteren Vorteil, dass sich die Nichtigkeit einzelner Klauseln in Rahmenverträgen nicht zu einer Nichtigkeit des Gesamtvertrages und nachfolgender einzelner Austauschverträge ausweiten kann.133 Somit ist die Gefahr eines Zusammenbrechens des gesamten Vertriebssystems gebannt. Dieses bleibt ohne die nichtigen Bestimmungen durchführbar. Wird diese Rechtsfolge einheitlich praktiziert, entfallen Abgrenzungsprobleme zwischen verschiedenen Vertragsgestaltungen. Die dogmatische Grundlage für diese Lösung bietet einmal Art. 101 Abs. 2 AEUV. Die Norm regelt die Rechtsfolge insoweit als sie vom Normzweck des Art. 101 Abs. 1 AEUV unmittelbar gefordert ist. Das schließt die Aufrechterhaltung des Vertrages durch Anordnung der Teilnichtigkeit ein. Soweit es § 1 GWB und Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, sowie §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB angeht, erklärt § 134 2. Halbsatz BGB den Normzweck für maßgeblich. cc) Vertragliches Synallagma zwischen vertikaler Bindung und Investitionshilfe des Marktbeherrschers Bei Verträgen, in denen Investitionshilfen mit dem Ziel des Aufbaus einer dauerhaften Geschäftsbeziehung gewährt werden, ist die Bezugsbindung von grundlegender Bedeutung.134 Sie ist Teil der Gegenleistung für die Aufbauhilfe des Marktbeherrschers. Entfällt die Bindung, dann ist fraglich, ob der Vertrag im Übrigen unverändert bleiben kann. Der nur vermeintlich Gebundene könnte die Hilfen nutzen, ohne dafür eine angemessene Gegenleistung erbringen zu müssen. Er würde dann mit einem Zufallsgeschenk belohnt. Das unterscheidet diese Fälle von den zuvor besprochenen Konstellationen. Nun muss diese Situation nicht in jedem Fall als unbillig erscheinen. Wenn der Bindende bewusst versucht, den Wettbewerb zu beschränken und den Abnehmer zu übervorteilen, sind seine Interessen nicht schutzwürdig. Es gilt die Verbote der Art. 101 und 102 AEUV, sowie §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB effektiv durchzusetzen. Allerdings ist zu befürchten, dass derartige Geschäftsmodelle für die Praxis weit weniger attraktiv 132 133 134
Siehe S. 112 ff. Siehe S. 112 ff.; zu den Folgen für Einzellieferverträge siehe S. 352 ff. Zur Übersicht siehe S. 327 ff.
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würden. Für den Austausch von Investitionshilfen gegen längerfristige Bindungen gibt es jedoch ein anzuerkennendes praktisches Bedürfnis.135 Eine geltungserhaltende Reduktion der vertraglichen Bindung scheidet aus, weil dann die Sanktion der Nichtigkeit keine präventive Wirkung mehr entfalten könnte136. Anderenfalls kann durch eine völlige Nichtigkeit der Bindung die vertragliche Gegenseitigkeitsbeziehung derart gestört sein, dass der gesamte Vertrag undurchführbar wird. Entscheidend ist dabei nicht nur, ob die verbleibenden Regelungen überhaupt noch Sinn ergeben, sondern auch, ob der mit dem Vertrag ursprünglich angestrebte wirtschaftliche Zweck wenigstens annähernd erreicht werden kann.137 Bei einer erheblichen Störung des vertraglichen Synallagmas dürfte das gewöhnlich zu verneinen sein. Allerdings ist die Ausgestaltung der konkreten Vertragsbedingungen in der Praxis sehr variantenreich. Deshalb kann die Frage der Teilbarkeit hier nicht allgemein beantwortet werden. Denkbar ist sowohl, dass auch ohne Bindung der Vertrag noch durchgeführt werden kann, als auch, dass das nicht der Fall ist. Im Einzelfall bedarf das einer genauen Prüfung. Kann der Vertrag ohne Bindung noch durchgeführt werden, dann tritt entsprechend der obigen Darstellung Teilnichtigkeit ein.138 Zu prüfen bleibt die Rechtslage bei Gesamtnichtigkeit. Die Geltendmachung einer Gesamtnichtigkeit stellt, entgegen früherer Rechtsprechung, keine unzulässige Rechtsausübung139 dar. Anderenfalls bliebe nämlich das Problem der Unausgewogenheit des ohne Bindung verbleibenden Vertrages ungelöst. Besteht nun ein Interesse an der Fortführung der Geschäftsbeziehung, so muss diese auf eine andere vertragliche Grundlage gestellt werden. Dies kann im Wege einer Neuverhandlung geschehen. Das Problem, dass der Bindende sich dem verweigert, weil er eine Bindung lediglich im rechtlich zulässigen Umfang nicht zu akzeptieren bereit ist und der Abnehmer dadurch benachteiligt wird, ist lösbar. Das bindende Unternehmen sähe sich dann nämlich dem Vorwurf einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung ausgesetzt, die mit einem Kontrahierungszwang sanktioniert werden kann. Dieser wird durch Neuverhandlungen realisiert und kann dadurch zum Abschluss gebracht werde, dass der Abnehmer ein annahmefähiges Angebot vorlegt, auf dessen Annahme er klagen kann.140 Soweit ein solcher Anspruch nicht realisiert werden kann, weil der Bindende nicht marktbeherrschend i. S. v. Art. 102 AEUV oder § 18 GWB oder marktstark nach § 20 Abs. 1 GWB ist, bleiben die für beide Parteien bestehenden Neben- und Treuepflichten aus §§ 241 Abs. 2 und 242 BGB 135 Siehe S. 337 f.; z. B. für Strom- und Gaslieferungsverträge, Ehricke/Pellmann, WuW 2005, S. 1104 (1113 ff.) m. w. N.; vgl. auch Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. A. a) Rn. 34. 136 Siehe S. 339 ff. 137 Siehe S. 108 f. 138 Siehe S. 345 ff. 139 EuGH, 11. 09. 2008, WuW/EU-R 1475 (1482) „CEPSA/Tobar“; BGH, 21. 02. 1989, WuW/E BGH 2565 (2568 ff.) „Schaumstoffplatten“; Pfeiffer, in: FS Benisch, S. 313 (315 f., 319 f.). 140 Zur Geschäftsverweigerung siehe S. 409 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
wegen des Bestehens von geschäftlichem Kontakt zu beachten. Damit verbindet sich das Verbot widersprüchlichen Verhaltens.141 Das bedeutet für beide Vertragspartner, sie dürfen nicht von vornherein jegliche Neuverhandlungen zur Findung einer rechtlich zulässigen vertraglichen Gestaltung ausschließen. Denn sie haben bereits durch Mitwirkung am nichtigen Vertrag ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Durchführung eines solchen Geschäftsmodells erkennen lassen. Außerdem ergibt sich aus § 242 BGB ein Verbot des grundlosen Abbruchs von Vertragsverhandlungen.142 Ein Rückzug bedarf deshalb einer Rechtfertigung. Allerdings ergibt sich keinesfalls ein Anspruch auf Abschluss eines neuen Vertrages. Immerhin erlauben §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB die Geltendmachung eventueller Schäden aufgrund Verschuldens bei Vertragsverhandlungen.143 Insoweit ist ein mögliches Mitverschulden zu beachten. Denn beide Parteien haben i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV am Abschluss des wettbewerbsbeschränkenden Vertrages mitgewirkt. Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung folgt allgemeinen Grundsätzen der Leistungskondiktion unter Beachtung der Saldotheorie. Denn wettbewerbswidrig ist lediglich die verbotswidrige Bindung wegen der mit ihr verbundenen Verhaltenssteuerung. Der Austausch von Leistungen selbst ist wettbewerbsrechtlich neutral. Er ist auch im Rahmen einer Bezugsbindung nicht verboten. d) Die Behandlung einzelner Austauschverträge bei Nichtigkeit einer Bezugsbindung aa) Problemdarstellung Weitere rechtliche Probleme können entstehen, wenn eine Bindung trotz Nichtigkeit eine geraume Zeit praktiziert wurde. Soweit sich der Vollzug darin erschöpft, dass sich der Gebundene in einer bestimmten Weise verhalten hat, kann er, soweit ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile entstanden sind, Schadensersatz verlangen.144 Das gilt für die Fallgruppen der Verwendungsbeschränkungen und der Vertriebsbindungen. Im Rahmen von Bezugsbindungen werden ständig Leistungen ausgetauscht. Der Abnehmer beachtet im Glauben an die Verbindlichkeit einer Vertragsklausel im Rahmenvertrag oder Sukzessivlieferungsvertrag eine Bezugsbindung.145 Er kann nun argumentieren, er hätte ohne eine Bezugsbindung Leistungen in geringerem Umfang vom bindenden Unternehmen bezogen. Zu diesem Zweck als Folge eines Rahmenvertrages abgeschlossene, einzelne Austauschverträge wären, 141
Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 309 ff. Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 162; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 134. 143 Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 162; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 134 ff.; Endter, S. 145 ff., 149 f. 144 Zum Schadenersatz siehe ab S. 374. 145 Zum Bsp.: EuGH vom 14. 12. 1983, WuW/EWG/MUV 629 (630) „Zementimport“; BGH vom 23. 07. 1997, WuW/E BGH 3147 (3148) „Benetton-Schockwerbung“. 142
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zumindest teilweise, gar nicht zustande gekommen. Das gleiche gilt, bei entsprechend anderer vertraglicher Gestaltung, für im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen, als Folge einer Option oder Abnahmeverpflichtung vereinbarte Einzellieferungen oder einzelne Dienstleistungen. Es stellt sich die Frage, wie diese Verträge zu behandeln sind. bb) Der rechtliche Zusammenhang zwischen Rahmenund Einzelvertrag Es wurde bereits gezeigt, dass Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV und Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB eine Nichtigkeit unmittelbar nur für die verbotswidrige Bindung fordern.146 Im Übrigen tritt, soweit der Rest des Vertrages sinnvoll durchführbar ist, Teilnichtigkeit ein.147 Zu prüfen ist, ob auch die Folgegeschäfte wirksam bleiben oder insoweit § 139 BGB anzuwenden ist. Da der Austauschvertrag infolge einer Bindung im Rahmenvertrag geschlossen wird, besteht zwischen diesen Verträgen eine von beiden Seiten gewollte rechtliche Beziehung, die es erlaubt, beide Rechtsgeschäfte als einheitliches Geschäft i. S. v. § 139 BGB anzusehen.148 Soweit im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen Einzelleistungen abgerufen werden, liegt ohnehin nur ein Rechtsgeschäft vor. Die Anwendung von § 139 BGB würde dann zur Nichtigkeit führen, falls der Abnehmer das Rechtsgeschäft ohne Bezugsbindung nicht abgeschlossen hätte. Es fehlte insoweit an einem gemeinsamen hypothetischen Parteiwillen.149 Diese Lösung realisiert den Vertragspartnerschutz dadurch, dass eine Aufrechterhaltung von Verträgen gegen den Willen des Abnehmers nicht möglich wäre. Sie stößt aber auf mehrere Probleme. cc) Unangemessenheit der Nichtigkeit Der Vertragspartner hätte unter Umständen einzelne Austauschverträge lediglich mit einem geringeren Umfang abgeschlossen. Dann allerdings müsste eine nachträgliche Vertragsanpassung vorgenommen werden, die über § 139 BGB nicht zu leisten ist.150 Des Weiteren vermag diese Herangehensweise allenfalls einen kleinen 146
Siehe S. 335 ff. Siehe S. 346 ff. 148 Anders BGH, 23. 07. 1997, WuW/E BGH 3147 (3148) „Benetton-Schockwerbung“, der die Folgeverträge einer Ausschließlichkeitsbindung als selbständige Rechtsgeschäfte einordnet. Mangels Einheitlichkeit mit dem Rahmenvertrag soll § 139 BGB keine Anwendung finden. Mit dieser, von der hier im Folgenden vorgeschlagenen Lösung, abweichenden Auffassung kommt der BGH im Ergebnis auch zu einer Aufrechterhaltung der Folgeverträge; vgl. auch Roth, in: Staudinger BGB, § 139 Rn. 53 m. w. N.; wie hier Haslinger, WuW 1998, S. 456 (458 f.); Traugott, WuW 1997, S. 486 (492); siehe auch S. 112 ff. 149 Siehe S. 108 f. 150 Dazu, dass eine geltungserhaltende Reduktion nicht über die Anwendung von § 139 BGB zu begründen ist, siehe S. 115 ff. 147
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Beitrag zum Schutz des Wettbewerbes oder der Wettbewerber zu leisten. Eine Nachholung des Wettbewerbsprozesses ist nicht möglich. Es ist bloße Spekulation wie sich der Abnehmer ohne Bindung verhalten hätte. Dass das gebundene Unternehmen mit Sicherheit einen bestimmten anderen Vertragspartner gewählt hätte, dürfte die absolute Ausnahme sein. Solange Abnehmer die Bezugsbindung als verbindlich erachten, werden sie kaum in Verhandlungen mit anderen Anbietern treten. Eine Nichtigkeit leistet allenfalls einen Beitrag zum Wettbewerbsschutz, wenn ein Austauschvertrag, der ohne Bindung nicht zustande gekommen wäre, noch nicht vollzogen ist. Dann bliebe der Abnehmer frei, seine Entscheidung für den Vertragsschluss mit dem bindenden Unternehmen zu revidieren. Selbst dann könnte der Abnehmer, etwa wenn er feststellt, dass die Konkurrenzangebote nicht besser sind, seine Entscheidung überdenken und den Vertrag dennoch mit dem Bindenden schließen. Deshalb sind insoweit auftretende positive Wirkungen praktisch zu vernachlässigen. Unter Umständen liegt der Vollzug des Leistungsaustausches weit, d. h. unter Umständen viele Monate oder Jahre zurück. Dann aber entfällt auch für den Vertragspartner das Interesse an der Nichtigkeit dieser Austauschverträge, die dann auch noch eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach sich zöge. Zu diesem Zeitpunkt hat er die erhaltenen Leistungen regelmäßig bereits weiter verarbeitet, verbraucht oder vertrieben. Allenfalls besteht noch ein Interesse an Schadensersatz.151 Weiter gilt es zu berücksichtigen, dass der Inhalt der Austauschverträge als solcher nicht wettbewerbswidrig ist. Er regelt lediglich einen normalen Leistungsaustausch.152 Hierin liegt ein maßgeblicher Unterschied zu den Kopplungsfällen.153 Bei einer Zwangskopplung soll die Abgabe der Nebenleistung überhaupt, bei einer wirtschaftlichen Kopplung zumindest die Abgabe der Nebenleistung zu Vorzugsbedingungen verhindert werden. Deshalb sind in jenen Fällen die Durchführung der Kopplungsvereinbarung und der Austausch der Nebenleistung Teil der verbotenen Handlung. Demgegenüber ist in den Fällen einer Bezugsbindung ein Verstoß gegen den freien Leistungswettbewerb allenfalls in der Art und Weise des Zustandebringens der einzelnen Austauschgeschäfte zu sehen. Zwar könnte auch dann eine Nichtigkeit mit dem Ziel einer effektiven Verbotsdurchsetzung gerechtfertigt werden. Andererseits würde in der Folge das gesamte Vertriebssystem zur Disposition stehen. Es wäre im Nachhinein schwierig festzustellen, welche Verträge im Einzelnen von der Nichtigkeit betroffen sein könnten. Damit würde erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen. Die Anwendung von § 139 BGB wirkte sich stark einseitig zu Lasten des Bindenden aus, der ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Austauschverträge hat. Es ist zu befürchten, dass Vertriebssysteme unter Einbeziehung von Bezugsbindungen angesichts eines solchen Risikos insgesamt an Attraktivität verlieren und, obgleich sie auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen 151
Zum Schadenersatz siehe ab S. 374. BGH, 23. 07. 1997, WuW/E BGH 3147 (3148 f.) „Benetton-Schockwerbung“; Schockenhoff, NJW 1995, S. 500 (501 f.); Traugott, WuW 1997, S. 486 (492); Haslinger, WuW 1998, S. 456 (458 f.); siehe S. 94 ff. 153 Siehe S. 272 ff. und S. 305 ff. 152
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können, in Frage gestellt werden.154 Für die Wettbewerber steht im Vordergrund, dass die Bindung zukünftig nicht mehr praktiziert wird. Insoweit kommt es auf die Nichtigkeit der Bindung an. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Gebundenen im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV an der Bindung mitgewirkt haben und insoweit ihren Teil der Verantwortung tragen. Ist aber eine über den Vertragsschluss hinausgehende, in besonderem Maße wettbewerbsbeschränkende Wirkung nicht ersichtlich, so kann unter wettbewerblichen Gesichtspunkten an den Folgerechtsgeschäften zur Durchführung einer Bezugsbindung festgehalten werden.155 Eine mit der Anwendung von § 139 BGB möglicherweise verbundene Nichtigkeit geht über das zur Durchsetzung der Art. 101 Abs. 1 lit. b), 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB erforderlich Maß hinaus. Sie ist unverhältnismäßig. Das hat zur Folge, dass Rechtsgeschäfte, die in Durchführung einer Bezugsbindung abgeschlossen worden sind, wirksam bleiben. § 139 BGB findet keine Anwendung.156 Ein durch eine Bezugsbindung geschädigter Abnehmer hat die Möglichkeit, über § 33 Abs. 1, 3 GWB Schadensersatz zu verlangen. 3. Zusammenfassung Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die als vertikale Bezugs- oder Vertriebsbindungen oder Verwendungsbeschränkungen gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV verstoßen, sind nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. Liegt ein Verstoß gegen § 1 GWB vor, dann ergibt sich die Nichtigkeit i. V. m. § 134 BGB. Sind derartige vertikale Bindungen als missbräuchliches Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens zu werten, dann sind derartige Vereinbarungen zugleich nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB nichtig. Die Nichtigkeit ist umfassend. Sie wird, damit nicht der präventive Zweck dieser Sanktion verloren geht, auch bei lediglich überlangen oder sonst inhaltlich zu weitgehenden Bindungen nicht durch eine geltungserhaltende Reduktion auf das zulässige Maß begrenzt. Der Vertrag im Übrigen bleibt, um den Vertragspartner vor einem Verlust des Anspruchs auf die begehrte Leistung zu schützen und den Fortbestand der Vertriebsorganisation des Bindenden zu sichern, nach dem Normzweck des Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV bzw. der Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB wirksam. § 139 BGB findet keine Anwendung. Sollte aufgrund des Wegfalls der Bindung die Vertragsäquivalenz derart gestört sein, dass eine weitere Vertragsdurchführung einem unbilligen Zufallsgeschenk des gebundenen Unternehmens gleichkäme, sind die Geschäftspartner aufgefordert ihre vertraglichen 154
Zu § 139 BGB bei Massenverträgen, siehe S. 112 ff. Allgemein zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Nichtigkeitssanktion, siehe S. 104 ff. 156 Im Ergebnis, wenngleich mit anderer Begründung, besteht also Übereinstimmung mit der BGH Rechtsprechung, vgl. BGH, 23. 07. 1997, WuW/E BGH 3147 (3148 f.) „BenettonSchockwerbung“; ähnlich Haslinger, WuW 1998, S. 456 (458 f.); a. A. wohl Traugott, WuW 1997, S. 486 (492). 155
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Beziehungen auf eine neue, die Grenzen der Verbotsgesetze beachtende Grundlage zu stellen. Aufgrund des vor- bzw. infolge der Nichtigkeit außervertraglichen geschäftlichen Kontakts dürfen diese Vertragsverhandlungen nicht ohne rechtfertigenden Grund abgebrochen werden. Einzelne, infolge der Durchführung von Rahmenverträgen geschlossene Austauschverträge oder Vereinbarungen über Einzellieferungen im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen, die in Vollzug einer vermeintlich wirksamen Bezugsbindung vorgenommen wurden, bleiben wirksam. § 139 BGB findet, wegen des vorrangig zu berücksichtigenden Normzweckes der Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB keine Anwendung. Soweit das gebundene Unternehmen deshalb wirtschaftliche Nachteile erleidet, ist es auf die Geltendmachung von Schadensersatz nach § 33 Abs. 1, 3 GWB zu verweisen.
V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Persönliche Betroffenheit a) Vertragspartner auf der Marktgegenseite Es muss denjenigen Unternehmen Rechtsschutz zugänglich sein, welche unter unmittelbarem wirtschaftlichen Druck gezwungen sind, Beschränkungen ihrer Vertrags- bzw. wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit hinzunehmen.157 Dementsprechend ist jeder unmittelbare Abnehmer eines Marktbeherrschers, welcher sich missbräuchlichen Bindungen ausgesetzt sieht, als Betroffener i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anzusehen.158 Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Bezugs-, Verwendungs- oder Vertriebsbindungen handelt. Diese Einbeziehung ist auch im Interesse der Aufrechterhaltung wirksamen Leistungswettbewerbes auf dem, dem beherrschten Markt nachgelagerten Markt notwendig, da vertikale Bindungen mindestens zu einer Dämpfung, schlimmstenfalls zu einem Ausschluss des Wettbewerbs zwischen gebundenen Unternehmen führen. Unternehmen, welche Bindungen 157 Siehe S. 331 ff.; zu Art. 81 EG a. F. (Art. 101 AEUV) EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; zu Art. 85 EGV a. F. (Art. 101 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2: BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier Uhren“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; vgl. auch Kommission, Weißbuch, S. 3 und Commission Staff Working Paper, S. 13 ff.; Görner, S. 54 ff., 240 f. 158 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 24 ff.; Eilmannsberge/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 681; Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 1/VO 2003 Anhang 2 Rn. 20, 22; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 20, 22; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 62, 69; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 19 f.; Meessen, S. 328 ff.; zu Art. 81 EG a. F. (Art. 101 AEUV): EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/ DE-R 1757 (1763, 1766 ff.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1149 ff.) „E.ON Ruhrgas“.
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freiwillig, etwa wegen der Aussicht eines Rabattes akzeptieren, sind ebenso als Betroffene berechtigt, Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 GWB in Anspruch zu nehmen.159 Der Missbrauchstatbestand ist auch in diesen Fällen objektiv erfüllt. Freiwilligkeit ist dabei so zu verstehen, dass sie die Entscheidung für die Bindung als für sie selbst wirtschaftlich vorteilhaft eingeschätzt haben und sie deshalb genauso getroffen hätten, wäre der Bindende nicht marktbeherrschend gewesen. In einem solchen Fall wird es aber aus Sicht des Abnehmers an der Kausalität zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch fehlen. Der Rechtsschutz ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die gebundenen Unternehmen bewusst an der wettbewerbsbeschränkenden Abstimmung ihres Verhaltens mit dem bindenden Unternehmen teilnehmen.160 Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB dienen im Vertikalverhältnis auch dem Schutz der Betätigungsfreiheit von Abnehmern, denen Bindungen durch Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeit aufgezwungen werden. Hierbei findet der Umstand Berücksichtigung, dass der Verbotstatbestand des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV auch dann erfüllt ist, wenn der Gebundene nicht freiwillig mitwirkt. Eine Mitverantwortung bzw. ein Mitverschulden ist im Rahmen der Festlegung des Umfanges des Schadensersatzes nach § 254 BGB zu berücksichtigen.161 Das gilt ebenso, wenn der Anspruch auf Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB i. V. m. 33 Abs. 1, 3 GWB gestützt wird.162 Zu beachten ist, dass ein gebundenes Unternehmen nicht gegen die Praktizierung eines gesamten Vertriebssystems vorgehen kann. Durch eine, wenn auch inhaltlich gleiche Bindung eines anderen Abnehmers wird die eigene Betätigungsfreiheit nicht beeinträchtigt. Deshalb liegt eine Betroffenheit i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB nur in Bezug auf die mit dem Bindenden konkret vereinbarte oder zumindest faktisch praktizierte Bindung vor. b) Wettbewerber auf dem beherrschten Markt Unternehmen, welche als Konkurrenten auf dem beherrschten Markt auftreten, bedürfen des Schutzes dagegen, dass das marktbeherrschende Unternehmen seine Marktanteile gegen den Wettbewerb abschottet und sie als Wettbewerber verdrängt. Die Gefahr der Abschottung oder Verdrängung ist aber nur bei Bezugsbindungen eindeutig gegeben,163 im Hinblick auf Verwendungsbeschränkungen164 immerhin vorstellbar. Als Verwendungsbeschränkung ist es auch anzusehen, wenn das bin159
EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; siehe S. 128 ff. EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; zum Schutzzweck auch OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1762, 1766 ff.) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1149 ff.) „E.ON Ruhrgas“; siehe auch S. 128 ff. und S. 331 f. 161 EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (482) „Courage Ltd/Crehan“; siehe auch S. 154 ff. 162 Siehe S. 353 f. 163 Siehe S. 327 ff. und S. 332; Meessen, S. 327 f. 164 Siehe S. 329 und S. 332; Meessen, S. 329. 160
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
dende Unternehmen verbietet, bestimmte Konkurrenzprodukte gemeinsam mit den eigenen Produkten anzubieten. In der Folge kann die Nachfrage nach derartigen Konkurrenzprodukten zurückgehen. Vertriebsbindungen beeinträchtigen dagegen die Betätigungsfreiheit von Wettbewerbern nicht.165 Neben einem Anspruch aufgrund von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. § 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB können beeinträchtigte Wettbewerber Rechtsschutz auch wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB geltend machen.166 Insoweit herrscht Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. Ein Anspruch der Wettbewerber auf Unterlassung und Beseitigung, bei Vorliegen von Verschulden i. S. v. § 33 Abs. 3 GWB auch auf Schadensersatz, besteht nach § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVoder § 1 GWB auch gegen die gebundenen Unternehmen.167 Denn sie wirken bewusst am wettbewerbsbeschränkenden Verhalten mit. Der Anspruch bezieht sich insoweit allerdings nur auf die konkrete einzelne Bindung, an der sie beteiligt sind. Demgegenüber kann ein Wettbewerber, wenn er den Anspruch gegenüber dem Bindenden geltend macht, gegen dessen komplettes Vertriebssystem vertikaler Bindungen vorgehen. Das schließt jegliche gleichgelagerte wettbewerbswidrige Bindung ein. Auch erhält er nur vom Bindenden umfassenden Schadensersatz, weil die Haftung des Gebundenen auf den, durch die einzelne konkrete Bindung verursachten Schaden begrenzt ist. Ein solcher Schaden ist praktisch kaum feststellbar, weil vertikale Bindungen ihre wettbewerbsbeschränkende Wirkung erst dadurch entfalten, dass eine Vielzahl solcher Bindungen gleichförmig praktiziert wird. Praktisch macht es deshalb gewöhnlich nur Sinn, gegen den Bindenden vorzugehen. Die Gebundenen einzubeziehen ist nur erwägenswert, wenn sie selbst maßgebliche Initiative in Bezug auf das Zustandekommen der Bindung gezeigt haben oder aufgrund einer besonderen Marktstruktur nur wenige Unternehmen auf der Marktgegenseite tätig sind. c) Wettbewerber auf Drittmärkten und andere Lieferanten Um den Transfer von Marktmacht in Drittmärkte zu verhindern, müssen dort tätige Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich dagegen zu wehren, dass die Abnahme einer gekoppelten Leistung in Form einer ausschließlich Bezugsbindung festgeschrieben wird. Dabei handelt es sich um einen Fall der Kopplung. Daher wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.168 Soweit ein bindendes Unternehmen mit Hilfe von Verwendungsbeschränkungen verbietet, seine Produkte, etwa bei der Weiterverarbeitung oder Umgestaltung gemeinsam mit bestimmten Konkurrenzprodukten zu einem neuen Produkt zu verbinden, kann die Nachfrage nach diesen Produkten zurückgehen. Insoweit kommt auch für derart betroffene Lieferanten 165
Siehe S. 329 ff. BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier Uhren“; Görner, S. 239 f. 167 Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 68. 168 Siehe S. 292 sowie S. 314. 166
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Rechtsschutz in Betracht. Der Anspruch ergibt sich dabei aus Art. 101 Abs. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB. d) Potentielle Vertragspartner des durch Vertriebsbindung gebundenen Unternehmens auf nachfolgenden Märkten Alle besprochenen Formen der vertraglichen Bindungen können negative Folgen für die Vertragspartner gebundener Unternehmen auf nachfolgenden Märkten haben. Verwendungsbeschränkungen und Bezugsbindungen können den Zugang dieser Unternehmen zu Produkten von Konkurrenten des Marktbeherrschers behindern oder ausschließen.169 Bezugsbindungen führen zu einer Schließung des Marktes.170 Weil das gebundene Unternehmen als Wiederverkäufer Konkurrenzprodukte entweder wegen hoher Bezugsquoten des Bindenden nicht führen kann oder wegen vereinbarter Ausschließlichkeit nicht führen darf, wird auch für den Abnehmer zweiter Stufe der Zugang zu diesen Leistungen erschwert. Bei Vertriebsbindungen werden bestimmte Unternehmen von der Belieferung mit Produkten des Marktbeherrschers ausgeschlossen.171 Da hier die Behinderung des Dritten am offensichtlichsten und einschneidensten ist, soll diese Fallgruppe zunächst besprochen werden. Das Ergebnis ist auf die beiden anderen Fallgruppen zu übertragen. Zu prüfen ist also, ob potentielle Vertragspartner des durch eine Vertriebsbindung gebundenen Unternehmens als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB Rechtsschutz genießen. Als Verbotsvorschriften, die einen derartigen Anspruch auslösen können, sind sowohl Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV als auch Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV, sowie §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB zu betrachten. Denn bei einem aus der Praktizierung wettbewerbswidriger Vertriebsbindungen resultierenden Verstoß gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung liegt immer auch zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV vor. Das gleiche gilt im Verhältnis von § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. § 20 Abs. 1 GWB zu § 1 GWB. aa) Normzweck von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB Für eine Einbeziehung von Angehörigen nachgelagerter Marktstufen spricht der Zweck des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, den freien Wettbewerb gegen ungerechtfertigte Beschränkungen umfassend, d. h. auch gegen negative Auswirkungen der Marktmacht auf Drittmärkten zu schützen.172 Der ungehinderte Zugang aller Marktteilnehmer zu allen 169 170 171 172
Siehe S. 327 ff. Siehe S. 327 ff. und S. 332 f. Siehe S. 329 ff. und S. 332 f. Siehe S. 50 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
angebotenen Produkten und Dienstleistungen ist für den freien Wettbewerb grundlegend.173 Die Einflussnahme des Marktbeherrschers kann erheblich negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die Abnehmer zweiter Stufe haben. Denn unabhängig davon, ob der Marktbeherrscher direkt gegen eine Belieferung einschreitet oder ob die von ihm im Rahmen eines Vertriebssystems geforderten Qualitätskriterien die Belieferung des Dritten nicht zulassen, kommt es zu einer mit dem freien Leistungswettbewerb nicht zu vereinbarenden Geschäftsverweigerung gegenüber diesen Drittunternehmen.174 Wenn zugleich Konkurrenten beliefert werden, tritt eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung hinzu, welche die Wettbewerbsposition des Ausgeschlossenen erheblich schwächen kann.175 Die Folgen können, ebenso wie bei der unmittelbaren Geschäftsverweigerung,176 von einer Einschränkung der Betätigungsmöglichkeiten bis hin zur erzwungenen Geschäftsaufgabe reichen.177 Über die Behinderung einzelner mittelbarer Abnehmer hinaus droht eine Verringerung der Wettbewerbsintensität auf dem Drittmarkt. Die Geltendmachung von individuellem Rechtsschutz würde also zugleich dem Schutz des Wettbewerbs auf dem Drittmarkt dienen. bb) Abgrenzung der Anspruchsberechtigten bei mittelbarer Beeinträchtigung Die Einbeziehung auf einem Drittmarkt tätiger Unternehmen in den Kreis der Betroffenen i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB wurde bisher in den Fällen der Kopplung bejaht. Es gibt in der vorliegenden Konstellation allerdings einen erheblichen Unterschied zur Drittmarktbehinderung im Rahmen einer sachlich nicht gerechtfertigten Kopplung. Es wurde dort festgestellt, dass auch Unternehmen als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anzusehen sind, die selbst nicht auf dem beherrschten Markt tätig werden.178 Jedoch verhält es sich in jenen Fällen so, dass der Marktbeherrscher bzw. das bindende Unternehmen selbst auf diesem Drittmarkt auftritt und seine Marktmacht dort unmittelbar einsetzt. Insoweit ist Rechtsschutz
173
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 329 f. und S. 332 f. und zum Zusammenhang mit der Geschäftsverweigerung, siehe S. 382 f.; daher für eine Einbeziehung der Drittunternehmen Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 787 f. Dass die negativen wirtschaftlichen Wirkungen einer verbotenen Verhaltensweise gerade die mittelbaren (indirekten) Abnehmer erheblich treffen, ist wesentliches Argument für deren Einbeziehung in den Kreis anspruchsberechtigter Betroffener: Bornkamm, in: Langen/ Bunte, § 33 GWB Rn. 64; für einen Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB der durch einen Verstoß gegen das Kartellverbot geschädigten indirekten Abnehmer, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3435 f.) „ORWI“. 175 Siehe S. 329 f. und S. 332 f. und zum Diskriminierungsverbot, siehe S. 430 ff. 176 Zur Geschäftsverweigerung siehe S. 382 f., S. 389 ff. 177 Siehe S. 329 f. und S. 332 f. 178 Siehe S. 292 ff. und S. 314 f. 174
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gegen den unmittelbaren Schädiger geboten.179 Im Fall von Vertriebsbindungen liegt eine nur mittelbare Beeinträchtigung vor, weil das ausgeschlossene Unternehmen mit dem bindenden Unternehmen nicht unmittelbar in geschäftlichen Kontakt tritt. Die Frage lautet daher, ob eine derartige, nur mittelbare negative Wirkung der Marktmacht für den Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 GWB genügt.180 Hierzu sind weitere Überlegungen erforderlich. Im Deliktsrecht gilt der Grundsatz, dass ein Haftungssystem hinsichtlich seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen insgesamt tragbar sein muss. Dazu ist erforderlich, dass anhand allgemeiner Kriterien vorhersehbar ist, wer als von einer deliktischen Handlung Betroffener Rechtsschutz genießen soll.181 Deshalb bedarf es, orientiert am Grundsatz der Rechtssicherheit, einer hinreichend genauen Abgrenzung der Gruppe der Anspruchsteller. Diese Abgrenzung kann gut und sicher gelingen, wenn man als Kriterium annimmt, dass das gemeinsame Merkmal der betroffenen Abnehmer der angestrebte Geschäftsabschluss mit dem gebundenen Unternehmen ist.182 Damit scheiden hier bereits vierte und weitere Unternehmen aus, die wiederum auf nachfolgenden Märkten als potentielle Abnehmer auftreten. Solche Marktbeteiligten sind so weit von der rechtswidrigen Bindung entfernt und es treten mehrere Wiederverkäufer dazwischen, dass die verbleibende Betroffenheit gering ist und der Nachweis der Kausalität Gefahr läuft, zur bloßen Spekulation zu werden. cc) Konkurrenz des Rechtsschutzes von Abnehmer und Drittbetroffenem (1) Dazwischentreten des Wiederverkäufers Es ergeben sich Probleme daraus, dass mit dem gebundenen Unternehmen ein eigenständiger Marktteilnehmer zwischen Marktbeherrscher und Drittbetroffenem steht. Es ist möglich, dass die Bindung nicht die einzige oder ausschlaggebende Ursache für die Nichtbelieferung des Dritten ist. Möglicherweise verweigert das gebundene Unternehmen die Belieferung aus Gründen, die im Bereich eigener Unternehmenspolitik liegen. Bei dieser Frage handelt es sich allerdings um ein Problem der Kausalität. Das gebundene Unternehmen unterbricht durch eigenverantwortliches Handeln den Ursachenzusammenhang zwischen verbotswidriger Bindung und Nichtbelieferung des Dritten. Die Möglichkeit einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges ist aber kein Grund potentielle Abnehmer auf der nachgelagerten Marktstufe generell, d. h. insbesondere dann, wenn das gebundene Un179
Siehe S. 292 ff. und S. 314 f. Zur Frage der Einbeziehung in den Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 33 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB im Fall nur mittelbaren Betroffenheit, siehe S. 127 ff. Im Fall zwangsweiser Kopplungen ist das zu verneinen, siehe S. 314 f. 181 EuGH, 05. 06. 2014, NZKart 2014, S. 263 (264 f.) „Aufzugskartell“; siehe auch S. 127 ff. 182 Siehe S. 329 ff. und S. 332 f. 180
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ternehmen prinzipiell lieferbereit ist, von der Betroffenheit i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB auszuschließen.183 (2) Der Sonderfall bestehender Marktmacht des Wiederverkäufers Eine besondere Situation liegt vor, wenn das gebundene Unternehmen auf dem nachgelagerten Markt selbst marktstark oder marktbeherrschend ist. Die sachlich nicht gerechtfertigte Nichtbelieferung von Abnehmern stellt sich dann als missbräuchliches Verhalten des gebundenen Unternehmens dar. Eine rechtswidrige, weil gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b), 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB verstoßende Bindung liefert keinen Rechtfertigungsgrund. Es handelt sich dann um einen Fall der unmittelbaren und missbräuchlichen Geschäftsverweigerung.184 Dafür trägt der marktstarke oder marktbeherrschende Zwischenhändler selbst die Verantwortung. Auch das ist ein Fall der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges zwischen Bindung und Nichtbelieferung. Das dritte Unternehmen kann dann Rechtsschutz gegen das gebundene Unternehmen nach § 33 Abs. 1, 3 GWB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB in Anspruch nehmen.185 Aber auch dieser Sonderfall liefert kein Argument, den Rechtsschutz des potentiellen Abnehmers auf dem nachgelagerten Markt in den Fällen auszuschließen, in denen der Zwischenhändler gerade nicht über Marktmacht verfügt. (3) Vergleich der beeinträchtigenden Wirkungen Ist das gebundene Unternehmen weder marktmächtig, noch lieferunwillig, so sind es in erster Linie die nichtbelieferten dritten Unternehmen, welche mit den unmittelbaren Folgen einer Vertriebsbindung konfrontiert sind.186 Ihre Beeinträchtigung wird regelmäßig sogar intensiver sein als die des gebundenen Unternehmens. Letzteres erzielt einen geringeren Umsatz, während der Dritte die Leistung überhaupt nicht erhält. Das gebundene Unternehmen genießt immerhin die Vorteile aus der Eingliederung in ein bestehendes Vertriebssystem.187 Dem Dritten werden diese vorenthalten. Der Unterschied zu Fällen der unrechtmäßigen Geschäftsverweigerung besteht lediglich darin, dass der Marktbeherrscher dem Behinderten nicht selbst gegenübertritt, sondern ein anderes Unternehmen zur Durchsetzung seiner Marktmachtstrategie benutzt. Der Gebundene trifft, abgesehen von den anfangs erwähnten Sonderfällen,188 keine eigenständigen Entscheidungen, sondern setzt faktisch den 183 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anhang 2 Rn. 21; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 64; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 22 f. 184 Zu Geschäftsverweigerungen siehe ab S. 380. 185 Siehe S. 403 ff. 186 Siehe S. 329 ff. und S. 332 f. 187 Siehe S. 331 f. und S. 347. 188 Siehe S. 361 f.
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Willen des Marktbeherrschers um. Insoweit steht die nur mittelbare Beeinträchtigung der unmittelbaren bezüglich der Wirkungen gleich. Ohnehin ist diese Unterscheidung nach anerkannten Grundsätzen des Deliktsrechts für sich genommen nicht geeignet, die Haftung zu begrenzen.189 Allenfalls erhöht sich der Begründungsaufwand mit zunehmender Schadensferne. (4) Das Rechtsschutzinteresse des Gebundenen und des Dritten Das Problem liegt denn auch vielmehr darin, dass es eine Konkurrenz zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Gebundenen und des nichtbelieferten Dritten geben kann. Weil der Gebundene selbst durch einen Verstoß des Marktbeherrschers gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV, Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB bzw. eines marktstarken Unternehmens gegen § 20 Abs. 1 GWB in seiner Betätigungsfreiheit beeinträchtigt ist, erscheint der Rechtsschutz des Dritten, gerichtet auf Beseitigung oder Unterlassung der Bindung als Einmischung in dessen Angelegenheiten. Der potentielle Abnehmer auf dem nachgelagerten Markt kann durch ein Vorgehen gegen die Vertriebsbindung einen Geschäftsabschluss nicht unmittelbar erreichen. Er hat keinen Anspruch auf Belieferung gegen den Marktbeherrscher, weil dieser ihm gegenüber nicht als Anbieter auftritt und deshalb ein Fall der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung nicht vorliegt. Gegen das gebundene Unternehmen besteht ein Anspruch nicht, weil dieses, abgesehen vom anfangs erwähnten Sonderfall, dass es selbst über Marktmacht verfügt,190 frei ist zu entscheiden, mit wem es in Geschäftsbeziehung tritt. Der Dritte kann also lediglich die Unterlassung der Bindung erreichen. Diesen Anspruch könnte er aufgrund von Art. 101 Abs. 1 lit. b) und/oder § 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB sowohl gegen das bindende als auch das gebundene Unternehmen geltend machen.191 Gestützt auf Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB bestünde der Anspruch auf Unterlassung nur gegen das marktbeherrschende oder relativ marktstarke bindende Unternehmen. Die Motivation des potentiellen Abnehmers geht dahin, dem Gebundenen die Entscheidungsfreiheit in der Hoffnung wieder zu verschaffen, dass dieser dann mit ihm in Geschäftsverbindung tritt. Eine Verpflichtung des Gebundenen zur Leistung kann er nicht erreichen, da dieser insoweit nicht Normadressat des Missbrauchsverbots ist. Das käme einem Anspruch dahingehend gleich, einem Unternehmen vorzuschreiben, welche Leistungen es beziehen oder anbieten solle. Das ist außerhalb des Missbrauchs von Marktmacht mit dem Gesetz nicht vereinbar. Ziel der Wettbewerbsgesetze ist die Sicherstellung der eigenverantwortlichen Gestaltung der unternehmerischen Tätigkeit, frei von unzulässigem Einfluss Dritter.192 Dazu gehört allerdings auch, dass derjenige, welcher in 189
Siehe S. 128 ff.; für einen Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. 190 Siehe S. 362. 191 Zu Art. 101 Abs. 1 und § 1 GWB, siehe S. 366 f. 192 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff.
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seiner Tätigkeit ohne sachliche Rechtfertigung behindert wird, seine Interessen mit den Mitteln des Rechts selbständig verteidigt.193 Es obliegt also in erster Linie dem Gebundenen als unmittelbar Betroffenem, sich gegen die Bindung zur Wehr zu setzen. Das Klagerecht des Dritten würde dazu führen, die Freiheit des Gebundenen zu verteidigen und das möglicherweise sogar gegen dessen Willen. Allerdings tritt ein solcher Effekt auch bei anderen Fällen ein, in denen die Interessen mehrerer Betroffener in die gleiche Richtung zielen. Beispielsweise kann die erfolgreiche Unterlassungsklage eines Wettbewerbers gegen eine wettbewerbswidrige Bezugsbindung auch den gebundenen Abnehmern nutzen. Schlussendlich profitiert aber der Wettbewerber vom Erfolg seiner Klage nur, wenn die Abnehmer von ihrer neu gewonnenen Freiheit auch tatsächlich Gebrauch machen.194 dd) Wirtschaftliche Abhängigkeit des Gebundenen Es ist davon auszugehen, dass im Regelfall das gebundene Unternehmen ein Interesse an der Belieferung des Dritten hat, weil damit eine Umsatz- und Gewinnsteigerung verbunden ist. Eine Unterlassungsklage des potentiellen Abnehmers könnte in diesem Fall sinnvoll sein, weil der Anspruchsteller damit rechnen darf, dass der von der Bindung befreite Unternehmer seinem Wunsch nach Geschäftsabschluss nachkommt. Jedoch bleibt angesichts eines Eigeninteresses des Gebundenen an der Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit zu prüfen, warum nicht ausschließlich er gegen die Beschränkung seiner Freiheit vorgehen können soll. Ohnehin ist der Dritte auf eine aktive Mitwirkung des Gebundenen im Hinblick auf dessen Lieferbereitschaft angewiesen. Außerdem gilt auch hier der Grundsatz der Eigenverantwortung.195 Weiter ist zu berücksichtigen, dass die missbräuchliche Vertriebsbindung ohnehin nichtig ist.196 In der Folge ist das vermeintlich gebundene Unternehmen frei, eine Geschäftstätigkeit mit Dritten aufzunehmen. Probleme werden dadurch aufgeworfen, dass die Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Bindung durchaus schwierig zu beantworten sein kann. Das Risiko einer Fehleinschätzung trägt der Gebundene. Sollte er die Rechtslage falsch beurteilen und die Bindung ignorieren, stellt das eine Vertragsverletzung dar, deren Folge Schadensersatzverlangen oder eine Kündigung durch den Marktbeherrscher sein können.197 Angesichts dessen mag die Motivation des Gebundenen, sich über die Vorgaben des Marktbeherrschers hinwegzusetzen, gering sein. Es ist nachvollziehbar, wenn das Unternehmen lieber eine möglicherweise rechtswidrige Beschränkung seiner Geschäftstätigkeit hinnimmt, als es zu riskieren, das Missfallen des Marktbeherrschers zu wecken, der dann unter Umständen die Geschäftsbeziehung abbricht. Nun könnte das vermeintlich 193
Siehe auch S. 71 ff. Indem die Abnehmer von ihrer Auswahlfreiheit Gebrauch machen und Geschäftsbeziehungen zu diesem Wettbewerber aufnehmen. 195 Siehe S. 71 ff. 196 Siehe S. 335 ff. 197 Siehe S. 331 ff. 194
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gebundene Unternehmen im Wege einer negativen Feststellungsklage die Unsicherheit über die Wirksamkeit der Bindung beseitigen. Insoweit darf allerdings der wirtschaftliche Druck nicht unterschätzt werden, der von marktbeherrschenden Unternehmen ausgeübt wird. Dieser kann so groß sein, dass sich der Abnehmer vollständig nach den Wünschen des marktbeherrschenden Unternehmens richtet und ein faktischer Verlust der Eigenständigkeit zu beobachten ist.198 Dabei ist auch zu bedenken, dass ein in die Vertriebsorganisation eingebundenes Unternehmen durch einen Ausschluss durchaus etwas zu verlieren hat. In gravierenden Fällen kann damit der Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden sein. Selbst wenn ein solcher Ausschluss rechtswidrig wäre, dürfte die Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Marktbeherrscher regelmäßig abschreckend wirken. Bei starker wirtschaftlicher Abhängigkeit steht der gebundene Zwischenhändler vollständig auf der Seite des marktbeherrschenden Unternehmens. Es kann also eine Situation entstehen, in welcher der Abnehmer des Marktbeherrschers nicht abgeneigt wäre, mit dem Interessenten zu kontrahieren, aber nicht bereit ist, sich gegen das marktbeherrschende Unternehmen zu stellen, geschweige denn zu klagen. Für den Vertragsinteressenten stellt sich die Situation so dar, als ob der Marktbeherrscher ihm selbst gegenüber die Geschäftsbeziehung verweigerte. Eine solche Ordnung und Strukturierung nachfolgender Märkte wird, wie die Fälle selektiver Vertriebsbindungen zeigen, durch das marktbeherrschende Unternehmen auch tatsächlich angestrebt.199 Andererseits gibt es Fälle, in denen das gebundene Unternehmen freiwillig an der Bindung mitwirkt, weil es sich wirtschaftliche Vorteile verspricht.200 In einem solchen Fall scheint ein Unterlassungsanspruch des Dritten nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB gegen das marktbeherrschende (relativ marktmächtige) Unternehmen nicht zielführend, weil der Zwischenhändler ohnehin nicht lieferbereit ist. Allerdings wird Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit selten eindeutig festzustellen sein. Vielmehr sind die Übergänge fließend. Deshalb ist schwer zu prognostizieren, wie sich die Zwischenhändler im Falle einer erfolgreichen Klage des Dritten tatsächlich verhalten werden, zumal sie ihre Meinung auch ändern können. Hinzu kommt, dass eine Vertriebsbindung gewöhnlich gleichförmig vom Bindenden gegenüber allen Zwischenhändlern praktiziert wird.201 Folglich profitiert der Abnehmer zweiter Stufe bereits dann von einer erfolgreichen Unterlassungsklage, wenn auch nur einzelne Zwischenhändler lieferbereit sind. Darüber hinaus kann die Freiwilligkeit oder gar nur die bewusste Mitwirkung des Gebundenen nicht als Grund für den Ausschluss des Rechtsschutzes des Dritten dienen. Dadurch würden marktbeherrschende (relativ marktmächtige) 198 Siehe S. 329 ff. Dazu, dass die Motivation gegen den Schädiger vorzugehen, gering sein kann, im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch von Kartellgeschädigten nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. 199 Siehe S. 329 ff., S. 332 f. und S. 430 ff. 200 Siehe S. 329 ff. und S. 347. 201 Siehe S. 329 ff. und S. 406 ff.
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Unternehmen privilegiert. Denn, selbst wenn der Dritte das Ziel einer Belieferung schlussendlich nicht erreichte, hätte der Ausschluss aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB zur Folge, dass der Marktbeherrscher auch von einer Haftung auf Schadensersatz befreit würde. Des Weiteren müsste mit dem Argument der Mitwirkung des Abnehmers auch der Rechtsschutz wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV oder § 1 GWB ausgeschlossen sein. Dort aber setzt der Verbotstatbestand das bewusste Zusammenwirken von Bindendem und Gebundenem gerade voraus. ee) Zwischenergebnis Potentielle Abnehmer, die infolge einer Vertriebsbindung eines marktbeherrschenden/marktmächtigen Unternehmens von einem gebundenen Zwischenhändler nicht beliefert werden, sind als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB wegen eines Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. 20 Abs. 1 GWB berechtigt Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz zu fordern.202 Obgleich sie nur mittelbar beeinträchtigt sind, ist die Behinderung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit doch so stark, dass Rechtsschutz geboten ist. Die Konkurrenz zu möglichen eigenen Ansprüchen der gebundenen Unternehmen steht dem ebenso wenig entgegen wie deren bewusste oder gar freiwillige Mitwirkung an der Vertriebsbindung. Selbst wenn die Abnehmer zweiter Stufe mangels Bereitschaft der Zwischenhändler keinen Zugang zu den Leistungen des Marktbeherrschers erhalten, so können sie immerhin Schadensersatz geltend machen. ff) Normzweck von Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und § 1 GWB Der infolge einer Vertriebsbindung nicht belieferte Dritte kann Rechtsschutz auch wegen einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV oder § 1 GWB jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB in Anspruch nehmen.203 Die für eine Bejahung der Betroffenheit bei Verstoß gegen Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB gefundenen Argumente tragen auch hier, da es sich, von der im Tatbestand nicht vorausgesetzten Marktmacht des Bindenden abgesehen, um das gleiche wettbewerbsbeschränkende Verhalten handelt. Bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV oder § 1 GWB entfällt das Problem nur mittelbarer Betroffenheit. Da auch der Gebundene als Normadressat erfasst wird, richtet sich ein Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung, im Fall des Verschuldens auf Schadensersatz 202
Im Ergebnis ohne nähere Begründung ebenso: Meessen, S. 329 f. Zu Art. 81 Abs. 1 EG a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (481) „Courage Ltd/Crehan“; zu Art. 85 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB vgl. BGH, 23. 10. 1979, WuW/E BGH 1643 (1645) „BMW-Importe“; BGH, 10. 11. 1987, WuW/E BGH 2451 (2457) „Cartier Uhren“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“. 203
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auch gegen ihn.204 Dem gebundenen Unternehmen tritt der potentielle Abnehmer unmittelbar gegenüber. Der Dritte kann sowohl das bindende als auch das gebundene Unternehmen als einfache Streitgenossen i. S. v. § 59 ZPO gemeinsam verklagen. Ein Belieferungsanspruch verbindet sich damit allerdings nicht.205 Gegenüber einem marktbeherrschenden bindenden Unternehmen stehen die Ansprüche des infolge einer vertikalen Vertriebsbindung nichtbelieferten Abnehmers zweiter Stufe nach Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1 und 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB in Form der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz nebeneinander. Der Anspruch auf Beseitigung nach Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB lässt sich auch über das Verbot der Diskriminierung nach Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV begründen. Beliefert das gebundene Unternehmen auf Weisung des Bindenden dritte Unternehmen nicht und behandelt es sie dadurch ohne sachliche Rechtfertigung im Verhältnis zu anderen Abnehmern gleicher Stufe ungleich, so liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV vor. Die vermeintlich einseitige Anweisung erfolgt in Durchführung der zweiseitigen Vertriebsbindung und ist deshalb als abgestimmtes Verhalten i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beurteilen.206 Aber auch dieser Anspruch führt nicht ohne weiteres zu einem Kontrahierungszwang. Denn die Normadressaten, also bindendes und gebundenes Unternehmen sind lediglich verpflichtet die Diskriminierung zu beenden. Darin erschöpft sich der Normzweck des Art. 101 Abs. 1 AEUV und in der Folge auch des § 1 GWB. Einen Anspruch auf Vertragsschluss bzw. Belieferung gewährt die Norm nicht.207 gg) Rechtsschutz nach § 21 Abs. 1 GWB Nichtbelieferte Dritte haben gegebenenfalls die Möglichkeit, Rechtsschutz über § 21 Abs. 1 GWB in Anspruch zu nehmen und dabei sowohl Unterlassungs- und Beseitigungs- als auch Schadensersatzansprüche geltend zu machen.208 Über das Verbot der Liefer- und Bezugssperre wird die Freiheit des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten geschützt.209 Ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Auf204 Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 68; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 22 f., 25. 205 Art. 101 AEUV (und auch § 1 GWB) richtet sich gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und zwingt zu deren Beendigung. Der Normzweck gebietet aber keinen Kontrahierungszwang und führt daher auch nicht zu einer Belieferungspflicht: BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207) „Depotkosmetik“; Görner, S. 199 ff.; Meessen, S. 408 ff.; Taube, S. 97 ff.; Traugott, WuW 1997, S. 486 (490 ff.); Weyer, GRUR 2000, S. 848 (852 ff.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (192); Rheinländer, WRP 2007, S. 501 (503); a. A. Emde, NZKart 2013, S. 355 (359 f.); Liesegang, NZKart 2013, S. 233 (235 ff.). 206 Siehe S. 86 ff. 207 Vgl. soeben Fn. 205; zum Diskriminierungsverbot im Einzelnen, siehe S. 458 ff. 208 OLG Celle, 16. 10. 2003, WuW/DE-R 1197 (1198 f.) „Vermietungsverbot“. 209 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 145 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 4.
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fordernden und dem Verrufenen muss, ebenso wenig wie beim Verbot vertikaler Bindungen, nicht bestehen. § 21 Abs. 1 GWB ist auch auf vertikale Ausschließlichkeitsbindungen anwendbar, wenn diese aufgrund Verstoßes gegen Wettbewerbsvorschriften unwirksam sind.210 Das bedeutet, dass im Fall einer aufgrund von Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV oder Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV i. V. m. § 134 BGB oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB nichtigen Vertriebsbindung, die Aufforderung des Marktbeherrschers an seinen Abnehmer einen Dritten nicht zu beliefern, als Boykott i. S. v. § 21 Abs. 1 GWB zu behandeln ist.211 Somit kann der Verrufene umfassenden, mit Art. 101 Abs. 1, 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB vergleichbaren Rechtsschutz, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB in Anspruch nehmen.212 Die beiden entscheidenden Punkte, aufgrund derer der Rechtsschutz über § 21 Abs. 1 GWB als vergleichsweise weniger umfassend einzuordnen ist, sind, dass der Auffordernde absichtlich handeln und dass die betroffenen Unternehmen hinreichend bestimmt individualisierbar sein müssen.213 Allerdings liegt Absicht i. S. v. § 21 Abs. 1 GWB bereits vor, wenn der Auffordernde allgemein den Zweck verfolgt Dritte auszuschließen.214 Die Handlung muss sich also nicht gezielt gegen ein bestimmtes Unternehmen richten. Auch ist ausreichend, wenn der Ausschluss bloßes Nebenziel ist. Im Hinblick auf die Abgrenzung der Anspruchsberechtigten kann bereits die Aufstellung abstrakter Kriterien, z. B. im Rahmen selektiver Vertriebssysteme genügen, um eine Einbeziehung zu rechtfertigen. Entscheidend ist, dass faktisch nur eine bestimmte und abgrenzbare Gruppe von Unternehmen betroffen sein kann.215 In jedem Fall besteht Rechtsschutz nach §§ 21 Abs. 1 i. V. m. 33 Abs. 1, 3 GWB, wenn der Vertragsinteressent an den potentiellen Vertragspartner herantritt und der Marktbeherrscher gegen die Belieferung interveniert. Dazu genügt es, wenn er auf der Einhaltung unwirksamer Vertragsbedingungen besteht. Somit wird den betroffenen Dritten über § 21 Abs. 1 GWB ein weitgehender Rechtsschutz zur Verfügung gestellt. 210 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 32, 43; Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 21 GWB Rn. 29 f. 211 BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3067 (3071) „Fremdleasingboykott II“; OLG Celle, 16. 10. 2003, WuW/DE-R 1197 (1198) „Vermietungsverbot“. Allerdings müssen zugleich die strengen Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes vorliegen (Beeinträchtigungsabsicht): Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 34 f., 43; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 33 ff. 212 BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3067 (3071) „Fremdleasingboykott“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 47; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 51 f. 213 BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3067 (3072) „Fremdleasingboykott“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 16 ff., 34 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 10 ff., 33 ff. 214 BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3067 (3072) „Fremdleasingboykott“; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 34 m. w. N.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 33. 215 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 21 GWB Rn. 16 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 21 GWB Rn. 14.
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hh) Beurteilung bei Bezugsbindungen und Verwendungsbeschränkungen Die eingangs dargestellten Verwendungsbeschränkungen und Bezugsbindungen führen zu einer Verringerung der Wettbewerbsintensität auf dem nachgelagerten Markt.216 Insbesondere kann die Angebotsvielfalt verringert werden. Es gibt allerdings kein individuelles Recht auf Wettbewerb.217 Es gibt auch keinen Anspruch darauf, dass bisher nicht angebotene Leistungen neu eingeführt werden. Auch hat der Abnehmer zweiter Stufe keine Möglichkeit durchzusetzen, dass Abnehmer erster Stufe Konkurrenzprodukte des Marktbeherrschers führen. Schließlich entfällt, da alle Abnehmer der zweiten Stufe gleich betroffen sind, die Diskriminierung einzelner. Andererseits verbieten Art. 101 Abs. 1 lit. b) und 102 S. 2 lit. b) AEUV ausdrücklich „die Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes und der Entwicklung“. § 1 GWB ist inhaltsgleich auszulegen. Im Rahmen von § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und § 20 Abs. 1 GWB handelt es sich insoweit um den Mindestumfang des Verbotstatbestandes.218 Wollen nun Abnehmer erster Stufe neue Produkte und Dienstleistungen, gegebenenfalls sogar im Auftrag der Abnehmer zweiter Stufe entwickeln und anbieten, sehen sie sich aber durch eine nicht gerechtfertigte Verwendungsbeschränkung darin gehindert, liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB und bei Marktbeherrschung/Marktmacht des Bindenden auch gegen Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB vor.219 In der Folge können potentielle Interessenten auf dem nachgelagerten Markt daran gehindert sein, bezüglich des Austausches bestimmter Leistungen mit dem gebundenen Unternehmen in Geschäftsbeziehung zu treten.220 Hier besteht eine Parallele zum Fall der Vertriebsbindung, wenn der Zwischenhändler lieferbereit ist, sich aber durch die Bindung an der Leistungserbringung gehindert sieht. Im Fall der Bezugsbindung kann es zu einer ähnlichen Situation kommen, wenn der gebundene Zwischenhändler Produkte eines Konkurrenten des Bindenden beziehen und an seine Abnehmer weitergeben will. Wird er durch die Bezugsbindung an der Erbringung dieser Handelsleistung gehindert und wird es deshalb einem Abnehmer zweiter Stufe erschwert oder unmöglich gemacht, Zugang zu diesen Konkurrenzprodukten zu erhalten, wird er in seinen wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten beeinträchtigt. In beiden Fallkonstellationen kann deshalb ein potentieller Abnehmer auf dem nachgelagerten Markt Rechtsschutz als Betroffener i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB i. V. m. Art. 101 Abs. 1 lit. b), 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB in Anspruch nehmen. Ein solch weites Verständnis ist erforderlich, um nach dem Übergang zum System der Legalausnahme bei wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen effektiven Rechtsschutz zu sichern.221 Al216 217 218 219 220 221
Siehe S. 327 ff. und S. 331 ff. Siehe S. 52 ff. Zum Verhältnis von Art. 102 AEUV zu § 19 Abs. 1, 2 GWB siehe S. 87 ff. Siehe S. 329. Siehe S. 329 und S. 332 f. Siehe S. 40 f.
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lerdings bleibt der Rechtsschutz wie bei Vertriebsbindungen auf die potentiellen Vertragspartner des gebundenen Unternehmens beschränkt.222 2. Sachliche Betroffenheit Eine wettbewerbswidrige Bezugsbindung liegt vor, wenn ein Abnehmer eines bindenden Unternehmens ohne sachliche Rechtfertigung, in der Freiheit Waren oder Dienstleistungen von Dritten zu beziehen, eingeschränkt wird. Eine verbotene Verwendungsbeschränkung zeichnet sich dadurch aus, dass das bindende Unternehmen das gebundene Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung in der Freiheit der Nutzung von Waren oder anderen gewerblichen Leistungen beschränkt. Eine wettbewerbsbeschränkende Vertriebsbindung liegt vor, wenn das bindende Unternehmen das gebundene Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung in der Freiheit beschränkt, Waren oder sonstige Leistungen an Dritte abzugeben.223 Diese Definitionen gelten sowohl im Bereich des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV und des § 1 GWB als auch im Rahmen von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB, wobei zur Anwendung der Missbrauchsverbote eine marktbeherrschende oder relativ marktstarke Stellung des bindenden Unternehmens hinzutreten muss. 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches Soweit Bezugs-, Verwendungs- und Vertriebsbindungen wegen ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung verboten sind, sind die ihnen zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarungen entweder nach Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV oder Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 2, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB nichtig.224 Daneben bedarf es eines Rechtsschutzes gegen die faktische Durchführung einer Bindung mittels abgestimmten Verhaltens, einschließlich der Durchsetzung einer Bindung gegen den Willen des Gebundenen mit Hilfe von wirtschaftlichem Druck von Seiten des Bindenden. Nur dann kann das gesetzgeberische Ziel der effektiven Durchsetzung der Verbote wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens umfassend verwirklicht werden. Der Unterlassungsanspruch der in ihrer Betätigungsfreiheit beeinträchtigten Marktbeteiligten richtet sich gegen die Praktizierung der vertikalen Bindung. Im Tenor eines Unterlassungsurteils muss, ebenso wie im Tenor einer Untersagungsverfügung der Kartellbehörden, diejenige Leistung konkret bezeichnet werden, auf die sich die Bindung bezieht.225 222
Siehe S. 359 ff. Einen Anhaltspunkt für diese Definitionen lieferte § 16 GWB in der Fassung vor der 7. GWB Novelle; vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (3. Aufl.), § 16 GWB (a. F.) Rn. 69. 224 Siehe S. 335 ff. 225 Siehe S. 137 ff. 223
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Des Weiteren sind Art und Umfang der verbotenen Bindung konkret herauszuarbeiten. Eine Umgehungsgefahr in Bezug auf die von der Bindung erfassten Waren oder Dienstleistungen in Gestalt eines Ausweichens auf andere gewerbliche Leistungen besteht nicht, weil vertikale Bindungen sinnvoll gerade zur Absatzförderung einzelner bestimmter Leistungen eingesetzt werden.226 a) Bezugsbindungen Wettbewerber können verlangen, dass das bindende Unternehmen es unterlässt, seine Abnehmer zu verpflichten, ausschließlich bei ihm zu beziehen. Erschöpft sich die Bindung darin, dass lediglich der Bezug von bestimmten anderen Anbietern verboten wird, dann können diese Anbieter konkret die Unterlassung der Praktizierung dieses Verbotes fordern. Erschöpft sich die Bindung darin, dass bestimmte, hohe Bezugsquoten vorgegeben werden, dann richtet sich der Unterlassungsanspruch gegen diese Quote. Dabei ist erstens zu beachten, dass die Untersagung nur der bestimmten Quote durch eine nur geringfügige Absenkung leicht umgangen werden kann. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass eine Abnahmeverpflichtung bis zu einer bestimmten Höhe durchaus sachlich gerechtfertigt sein kann. Der Unterlassungsgläubiger sollte im Einzelfall diese zulässige Grenze ermitteln und fordern, dass sie durch den oder die Unterlassungsschuldner – hierbei können sowohl der Bindende als auch der Gebundene einbezogen werden – nicht überschritten werden dürfen.227 Diese Quote setzt sich aus einer bestimmten Abnahmemenge innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zusammen. Des Weiteren ist in Rechnung zu stellen, dass eine Bezugsbindung über einen gewissen Zeitraum gerechtfertigt sein kann.228 Auch soweit es um die zeitliche Ausdehnung einer Bindung geht, sollte der Unterlassungsgläubiger den höchstzulässigen Zeitraum für eine Bindung ermitteln und verlangen, dass Bindungen längerer Dauer nicht vereinbart oder durchgeführt werden. Im Unterlassungstenor ist dann auszusprechen, dass eine Bezugsbindung mit einem Abnehmer immer nur für eine bestimmte Zahl von Monaten oder Jahren vereinbart und praktiziert werden darf. Der Ausspruch im Urteilstenor, der die Überschreitung bestimmter höchstzulässiger Grenzen untersagt, geht zwar über das Verbot der konkreten Verletzungshandlung hinaus, ist aber durch das Bestehen einer Umgehungsgefahr gerechtfertigt.229 Darüber hinaus können Wettbewerber geltend machen, dass das bindende Unternehmen seinen Abnehmern keine Nachteile für den 226
Zur Umgehungsgefahr siehe S. 141 f. und zu vertikalen Bindungen siehe S. 327 ff. Darin liegt kein unzulässiges Verhaltensgebot, siehe S. 141 f. Zum Parallelproblem im Zusammenhang mit Verkäufen unter Einstandspreis, siehe S. 205 ff.; zu kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen: OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1759) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1158 ff.) „E.ON Ruhrgas“. 228 Siehe S. 327 f. und S. 331 ff. 229 Siehe S. 141 f. und zum Parallelproblem im Zusammenhang mit Verkäufen unter Einstandspreis siehe S. 205 ff.; zu kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen: OLG Düsseldorf, 20. 06. 2006, WuW/DE-R 1757 (1759) „E.ON Ruhrgas“, zuvor BKartA, 13. 01. 2006, WuW/DE-V 1147 (1158 ff.) „E.ON Ruhrgas“. 227
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Bezug von Konkurrenzprodukten auferlegen darf. Für den Unterlassungsanspruch von Abnehmern, insbesondere der ersten, aber auch der zweiten Stufe,230 gelten die gleichen Grundsätze. b) Verwendungsbeschränkungen Die gebundenen Unternehmen und, soweit die konkrete Beeinträchtigung reicht, auch Wettbewerber des bindenden Unternehmens und Abnehmer zweiter Stufe, können verlangen, dass das bindende Unternehmen darauf verzichtet, die Belieferung oder sonstige Gewährung gewerblicher Leistungen von der Einhaltung bestimmter Vorgaben bei der Verwendung dieser Leistung oder der Leistungen dritter Unternehmen abhängig zu machen. Sie müssen diejenigen Bestimmungen, die sie angreifen möchten, konkret bezeichnen.231 Dass jegliche Nutzungsvorgabe verboten ist, dürfte, wenn überhaupt, nur im absoluten Ausnahmefall in Betracht kommen. Angesichts der Vielfalt möglicher Beschränkungen kann eine Darstellung von Einzelfällen nicht erfolgen. Insoweit ist, da es sich generell um das Problem der Konkretisierung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche handelt, auf die allgemeinen Ausführungen zu verweisen.232 c) Vertriebsbindungen Aus Sicht des ausgeschlossenen potentiellen Abnehmers auf dem nachgelagerten Markt ist zu differenzieren, ob bestimmte generelle für das Vertriebssystem gestellte Anforderungen rechtswidrig sind oder ob der Marktbeherrscher im Einzelfall einwirkt, um die Belieferung einzelner Dritter zu verhindern.233 Ist das Vertriebssystem so ausgestaltet, dass bestimmte an Abnehmer des gebundenen Zwischenhändlers gestellte Anforderungen als wettbewerbsbeschränkende Behinderung und Diskriminierung anzusehen sind, weil sie nicht durch berechtigte Interessen des Bindenden gerechtfertigt sind, geht der Anspruch dahin dem bindenden, gegebenenfalls marktmächtigen Unternehmen ein Festhalten an diesen Bedingungen zu verbieten. Diejenigen Unternehmen, die wegen der Nichterfüllung der Anforderungen vom Vertriebssystem ausgeschlossen sind, können gegen diejenigen Kriterien vorgehen, deren Einhaltung es dem Gebundenen unmöglich macht, diese Dritten zu beliefern. Es ist zu beachten, dass das bindende Unternehmen nicht vollständig auf jegliche Vorgaben, sondern nur auf die wettbewerbswidrigen verzichten muss. Der Unterlassungsgläubiger muss also diejenigen Regelungen, die ihn konkret beeinträchtigen, bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs genau herausarbeiten. Im 230
Zu deren Einbeziehung siehe S. 359 ff. Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 14. 03. 2007, WuW/DE-R 1935 (1936, 1943 f.) „SodaClub“, zuvor BKartA, 09. 02. 2006, WuW/DE-V 1177 (1177 ff.) „Soda-Club“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2268 (2269, 2275 ff.) „Soda Club II“. 232 Siehe S. 137 ff. 233 Siehe S. 329 ff. und S. 332 f. 231
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Tenor des Unterlassungsurteils müssen diese Bestimmungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung einer Umgehungsgefahr, genau bezeichnet werden. Insoweit ist auf die allgemeinen Ausführungen zu wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen zu verweisen.234 Der Anspruch kann über Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVoder § 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB auch gegen gebundene Unternehmen, jedoch nur gegen diejenige Bindung gerichtet werden, an der diese selbst beteiligt sind.235 Um also ein gesamtes System gleichförmiger Bindungen zu beenden, muss in jedem Fall der Bindende einbezogen werden. Wenn der Marktbeherrscher dergestalt Einfluss nimmt, dass er die Belieferung bestimmter Dritter mit dem Argument verbietet, das betreffende Unternehmen erfülle nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem, dann kann das ausgeschlossene dritte Unternehmen eine Unterlassung dieser Einflussnahme verlangen. Der Tenor des Unterlassungsurteils muss dann dem bindenden Unternehmen konkret die Anweisung oder Aufforderung gegenüber dem Gebundenen, den Dritten nicht zu beliefern, verbieten. Auch in diesen Unterlassungsanspruch kann der Gebundene über Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVoder § 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB einbezogen werden. In beiden Fällen ist aber auch zu beachten, dass der potentielle Abnehmer zweiter Stufe einen Anspruch auf Belieferung nicht geltend machen kann. Insoweit bedarf es eines eigenständigen Anspruchs wegen missbräuchlicher Geschäftsverweigerung, der nur gegen den unmittelbaren potentiellen Lieferanten, hier also das gebundene Unternehmen, und nur dann geltend gemacht werden kann, wenn dieser Lieferant selbst marktbeherrschend oder zumindest marktmächtig ist.236 4. Beseitigungsanspruch Die behindernde Wirkung geht für Wettbewerber, für die Marktgegenseite und auch für Angehörige der nachgelagerten Marktstufe von vertraglich fixierten Bindungsklauseln aus. Deshalb sind diese Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV oder Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig.237 Insoweit besteht also auch keine zu beseitigende Störung der Interessen der behinderten Marktteilnehmer. Die betroffenen Marktteilnehmer bedürfen des Rechtsschutzes gegenüber der faktischen Praktizierung von Bindungen. Soweit das Verhalten des bindenden und des gebundenen Unternehmens in der Vergangenheit liegt, ist es abgeschlossen und die benachteiligten Unternehmen sind zum Ausgleich erlittener Nachteile auf die Geltendmachung von Schadensersatz zu verweisen.238 Gegenüber der faktischen Durchführung von Bindungen und gegebenenfalls der Ausübung von wirtschaftli234 235 236 237 238
Siehe S. 137 ff. Siehe S. 366 f. Siehe S. 406 ff. Siehe S. 335 ff. Zur Abgrenzung siehe S. 145 ff.; zum Schadenersatz siehe S. 374 ff.
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chem Druck, die gegenwärtig andauern, kann ein Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB erhoben werden. Allerdings kann damit nur das gegenwärtige rechtswidrige Verhalten beendet, eine Wiederholung in der Zukunft nicht verhindert werden. Die betroffenen Marktbeteiligten benötigen Rechtsschutz aber gerade dahingehend, dass der Wettbewerb zukünftig frei von wettbewerbsbeschränkenden vertikalen Vereinbarungen und Verhaltensweisen bleibt. Insoweit ist nur die Unterlassungsklage, die über ein Unterlassungsurteil zu einem künftig vollstreckbaren Titel führt, hilfreich.239 Eine gegenwärtige Störung geht auch nicht von, im Rahmen der Durchführung von Bezugsbindungen abgeschlossenen Liefervereinbarungen aus, bei denen der Leistungsaustausch gegenwärtig noch nicht, oder jedenfalls nicht vollständig vollzogen ist. Diese Verträge sind selbst nicht wettbewerbswidrig und daher wirksam.240 Ein Beseitigungsanspruch besteht hier nicht. Insoweit ist auch der Abschluss neuer Verträge über den Austausch von Leistungen zwischen Bindenden und Gebundenem nicht verboten. Verboten ist nur, dass der Abnehmer von vornherein auf Wunsch oder Druck des Bindenden seinen Bezug von anderen Anbietern einschränkt oder ausschließt. 5. Schadensersatz a) Behinderte Wettbewerber Naturalrestitution bedeutet erstens eine Beendigung des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens, zweitens einen Ersatz entgangenen Gewinnes und drittens die Verschaffung derjenigen Wettbewerbsposition, die das Unternehmen als Folge freien Leistungswettbewerbes innehätte. In Bezug auf die Beendigung der Praktizierung wettbewerbsbeschränkender vertikaler Bindungen und dem Schutz vor Wiederholung ist allein der verschuldensunabhängige Unterlassungsanspruch zielführend.241 Im Hinblick auf den Ersatz des entgangenen Gewinns und den Geldersatz für Marktanteils- oder Wertverlust des konkurrierenden Unternehmens gelten die allgemeinen Ausführungen zum Schadensersatz bei Wettbewerberhinderung, sowie die beispielhafte Darstellung zur Fallgruppe der Kampfpreise entsprechend.242 Die Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes des bindenden Unternehmens gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kommt bei der Schadensberechnung im Rahmen von Bezugsbindungen in Betracht.243 Dabei ist der tatsächliche, also unter Einschluss der Bezugsbindung erzielte Umsatz des bindenden Unternehmens zu ermitteln und der nach Abzug der Kosten verbleibende Gewinn festzustellen. Sodann ist, unter Beachtung allgemeiner Marktveränderungen,244 zu schätzen, um wie viel geringer der 239 240 241 242 243 244
Siehe S. 144. Siehe S. 352 ff. Siehe S. 370 ff. Siehe S. 219 ff. und auch S. 162 ff. Siehe S. 174 f. Siehe S. 166 f. und S. 174 f.
D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
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Umsatz ohne die Bezugsbindung gewesen wäre. Von diesen fiktiven Einnahmen sind die mengenunabhängigen Fixkosten und die angepassten mengenabhängigen variablen Kosten abzuziehen. Die Differenz zwischen diesem fiktiven Gewinn und dem tatsächlichen Gewinn ergibt den Betrag, den der Bindende infolge der Bezugsbindung mehr eingenommen hat. Diese Einnahmen bilden die Verteilungsmenge, die bei Hinwegdenken der Bezugsbindung als maximale Mehreinnahmen den Wettbewerbern des Bindenden zur Verfügung gestanden hätte. Dabei sind allerdings zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Erstens muss weitergehend ermittelt werden, in welchem Umfang einzelne Konkurrenten von der Bindung betroffen waren und welcher Anteil des beim Bindenden entstandenen Gewinnes auf sie entfallen wäre.245 Zweitens ist zu beachten, dass jeder Wettbewerber mit verschiedenen Preisen und Kostenstrukturen auf dem Markt aufgetreten ist. Lagen beispielsweise die Preise eines Wettbewerbers unter denen des Bindenden, hätte er bei gleicher Absatzmenge einen geringeren Gewinn erzielt. Deshalb ist eine individuelle Schadensberechnung für jeden Anspruch stellenden Wettbewerber entsprechend der Differenzhypothese nicht obsolet. Da sie wegen der Unsicherheit über die hypothetische Wettbewerbsentwicklung ohne schädigendes Ereignis zwangsläufig ungenau ist, mag der anteilige Gewinn des Bindenden zu einer genaueren Schätzung im Rahmen der Anwendung von § 287 ZPO führen.246 Zu beachten ist, dass die Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes des Bindenden nur in Bezug auf die Schadensposition entgangener Gewinn i. S. v. §§ 249 Abs. 1, 252 BGB zielführend ist. In Bezug auf einen Marktanteils- und Wertverlust des Konkurrenzunternehmens besteht kein Zusammenhang. Dieser Schaden ist separat zu berechnen. Ergänzend ist zu beachten, dass bei schuldhaftem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVoder § 1 GWB auch das gebundene Unternehmen gegenüber Drittunternehmen auf Schadensersatz haftet. Bindendes und gebundenes Unternehmen sind insoweit nach §§ 840 Abs. 1, 422 ff. BGB Gesamtschuldner. Allerdings ist die Haftung des Gebundenen auf den durch eine einzelne Bindung, nämlich derjenigen, an der der Gebundene beteiligt war, begrenzt. Nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 i. V. m. 33 Abs. 1, 3 GWB haftet dagegen nur das marktbeherrschende bzw. marktmächtige Unternehmen als Normadressat. b) Gebundene Unternehmen aa) Schadenersatz bei Bezugsbindung Der Anspruch auf Naturalrestitution zur Beendigung einer faktischen wirtschaftlichen Bindung wird vom Unterlassungsanspruch praktisch verdrängt.247 Im 245
BegrRegE BT-Drucks. 15/3640, Teil B. zu Nummer 19 zu § 33 zu Absatz 3; siehe auch S. 174 f. 246 Hierin liegt die eigentliche Aufgabe der Beweiserleichterung des § 33 Abs. 3 S. 3 GWB, siehe S. 174 f. 247 Siehe S. 374 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Rahmen von Bezugsbindungen kommt als Schadensposition zuerst in Betracht, dass ein Abnehmer seinen Bedarf, zumindest teilweise, günstiger bei Konkurrenten hätte decken können. Soweit das der Fall ist, kann er die Differenz zwischen diesen Preisen als Schaden geltend machen.248 Insoweit kann der anteilige Gewinn des Bindenden i. S. v. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden.249 Allerdings darf nicht der volle Gewinn, den der Bindende nur aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden Bindung erzielt, berücksichtigt werden. Zu beachten ist nämlich, dass der Abnehmer bei Fremdbezug auch dem dritten Anbieter eine Vergütung hätte zahlen müssen. Es ist also nur der Anteil einzubeziehen, den der Bindende einnimmt, weil sein Preis denjenigen der Konkurrenten übersteigt. Der übrige Gewinnanteil des Marktbeherrschers ist derjenige, der entstanden ist, weil er den Wettbewerbern durch die Bezugsbindung Marktanteile entzogen hat. Auf die Herausgabe dieses Gewinnanteils werden sich die Konkurrenten im Rahmen ihrer Schadensberechnung berufen.250 Des Weiteren kann ein Schaden daraus entstehen, dass wegen einer Bezugsbindung Konkurrenzprodukte nicht bezogen wurden und deshalb Gewinne, die durch Bezug und Weiterverarbeitung und/oder -verkauf hätten erzielt werden können, tatsächlich nicht erzielt wurden. Weil dadurch aber das bindende Unternehmen keinen Gewinn erzielt, kommt der Berechnung nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB keine Bedeutung zu. Insoweit muss das gebundene Unternehmen seinen Schaden nach dem gewöhnlichen Verlauf oder besonderen Vorkehrungen gemäß §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO berechnen.251 bb) Schadenersatz bei sonstigen Bindungen In Bezug auf Verwendungsbeschränkungen ist ein Schaden denkbar, wenn das gebundene Unternehmen in der Folge bestimmte Geschäfte mit Dritten nicht tätigen kann und dadurch weniger Umsatz erzielt als es ihm sonst möglich wäre. Insoweit kann es entgangenen Gewinn geltend machen. Die Schwierigkeit dürfte im Einzelfall darin liegen konkret bestehende Geschäftsmöglichkeiten nachzuweisen. Insoweit bestehen aber auch hier die Möglichkeiten der Beweiserleichterung nach §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO.252 Im Hinblick auf Vertriebsbindungen kommt Schadensersatz in Form entgangenen Gewinnes in Betracht, wenn der Wiederverkäufer an Dritte liefern will, aber aufgrund der Bindung daran gehindert ist. Insoweit ist aber notwendig, dass bereits eine Anbahnung einer Geschäftsbeziehung mit dem Dritten, beispielsweise in Form einer Lieferanfrage stattgefunden hat. Anderenfalls kann nicht von einem Gewinn gesprochen werden, der bei gewöhnlichem Verlauf oder infolge besonderer Vorkehrung i. S. v. § 252 S. 2 BGB mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstanden 248 249 250 251 252
Siehe S. 167 f. Siehe S. 174 f. Siehe S. 374 f. Siehe S. 163 ff. Siehe S. 163 ff.
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wäre.253 Des Weiteren kann das gebundene Unternehmen geltend machen, dass infolge der mit einer Bindung erfahrenen Einschränkungen seiner Betätigungsfreiheit seine Wettbewerbsposition verschlechtert worden sei und Ausgleich für den damit verbundenen Marktanteils- und Wertverlust des Unternehmens verlangen. cc) Mitverschulden des Gebundenen Wirkt der Gebundene i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB bewusst am Zustandekommen und der Durchführung einer Bindung mit, dann kann sein Schadensersatzanspruch wegen Mitverursachung und Mitverschuldens i. S. v. § 254 Abs. 1 BGB eingeschränkt sein.254 Ist er in hohem Maß vom Bindenden abhängig, was insbesondere bei marktbeherrschenden Unternehmen der Fall ist und steht er deshalb unter starkem wirtschaftlichen Druck kann ein Mitverschulden vollständig zu verneinen sein. Demgegenüber ist auch vorstellbar, dass ein Abnehmer völlig freiwillig an einer Bindung mitwirkt. Dann kann sein Mitverschulden einen Schadensersatzanspruch auch vollständig ausschließen.255 Insbesondere ist zu bedenken, dass rechtswidrige Bindungen nichtig sind und der vermeintlich Gebundene deshalb jedenfalls nicht vertraglich gebunden, sondern insoweit frei ist. Allerdings gilt es eine möglicherweise bestehende faktische wirtschaftliche Abhängigkeit und Zwangsund Drucksituationen angemessen zu berücksichtigen. Diesbezüglich muss aber auch in Rechnung gestellt werden, dass der rechtswidrig Gebundene selbst Rechtsschutz in Form einer Beseitigungs- oder Unterlassungsklage in Anspruch nehmen kann.256 Da er unmittelbar mit der Bindung konfrontiert ist, wird er die Entstehung von Schäden regelmäßig absehen können. Insoweit besteht eine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 2 BGB. Das heißt der Gebundene darf nicht den Schadenseintritt abwarten, wenn er diesen durch eine Beseitigungs- oder Unterlassungsklage abwenden kann. In jedem Fall ist zu prüfen, ob ein Mitverschulden nicht wegen unvermeidbaren Rechtsirrtums ausgeschlossen ist.257 dd) Kein Schadenersatzanspruch aus c.i.c. Zu beachten ist, dass der Gebundene keinen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. gem. §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB hat. Selbst wenn eine vermeintliche vertragliche Bindung auf Initiative des bindenden, unter Umständen marktbeherrschenden Unternehmens herbeigeführt wurde, die der Gebundene als Vertragspartner als verbindlich erachtet und deshalb beachtet hat und über deren
253 254 255 256 257
Siehe S. 164 ff. EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (482) „Courage Ltd/Crehan“; siehe auch S. 154 ff. EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (482) „Courage Ltd/Crehan“; siehe auch S. 154 ff. Zur Einbeziehung in den Kreis der Betroffenen, siehe S. 356 f. Zu den Anforderungen insoweit, siehe S. 154 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Nichtigkeit258 das bindende Unternehmen nicht aufgeklärt hat, obgleich es den Verbotsverstoß kannte,259 entsteht ein möglicher Schaden wegen des Vertrauens auf die Wirksamkeit der Bindung nicht. Die Bindung selbst ist Ursache für den Schaden. Dann aber nutzt ihre Nichtigkeit dem Gebundenen und schadet ihm nicht.260 Die Bindung, in welcher Form auch immer, ist aber nicht Folge einer quasivertraglichen Aufklärungs- oder Schutzpflicht aus vorvertraglichem gesetzlichem Schuldverhältnis, sondern Folge einer wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVund gegebenenfalls Art. 102 S. 2 lit. b) AEUVoder § 1 GWB und unter Umständen §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB vorliegenden unerlaubten Handlung. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich deshalb nur i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB und §§ 249 ff. BGB.
VI. Zusammenfassung Wettbewerbsbeschränkende Bezugs-, Verwendungs- oder Vertriebsbindungen sind bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV oder § 1 GWB nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig. Werden sie von marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert, tritt die Nichtigkeit auch nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB ein. Handelt es sich um relativ marktstarke Unternehmen, ergibt sich die Nichtigkeit aus § 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. Es findet keine geltungserhaltende Reduktion statt, selbst wenn sich der Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit nicht aus der Vereinbarung der Bindung als solcher, sondern aus deren inhaltlich zu weitgehenden Ausgestaltung ergibt. Die Verträge bleiben im Übrigen, entsprechend dem Normzweck von Art. 101 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV bzw. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 2. Halbsatz BGB, ohne die nichtige Bindung teilwirksam. § 139 BGB findet keine Anwendung. Bildet der verbleibende Vertragsrest keine sinnvolle Regelung mehr, dann tritt Gesamtnichtigkeit ein. Die Parteien sind dann aufgerufen, einen neuen Vertrag zu verhandeln. Hat ein Abnehmer aufgrund einer Bezugsbindung Einzelleistungen abgenommen und hätte er das ohne die vermeintliche Verpflichtung nicht getan, so bleiben die zugrundeliegenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen dennoch wirksam. Als von vertikalen Bindungen Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB können Vertragspartner, Wettbewerber und potentielle Abnehmer des gebundenen Unternehmens auf dem nachgelagerten Markt Unterlassung, Beseitigung und, bei Vorliegen von Verschulden i. S. v. § 33 Abs. 3 GWB, Schadensersatz vom bindenden Unternehmen verlangen. Der Anspruch ergibt sich wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) 258
Zur Nichtigkeit siehe S. 335 ff. Zur Haftung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über die mögliche Nichtigkeit eines Vertrages, vgl. Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger, § 311 a Rn. 74 ff. 260 Siehe S. 335 ff. 259
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AEUV bzw. § 1 GWB und bei Vorliegen von Marktmacht auch aufgrund von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB jeweils in Verbindung mit § 33 Abs. 1, 3 GWB. Als anspruchsberechtigte Wettbewerber kommen Konkurrenten auf dem beherrschten Markt und im Falle einer koppelnden Bezugsbindung auch die Konkurrenten auf dem Drittmarkt der gekoppelten Leistung in Betracht. Das Rechtsschutzinteresse von Abnehmern zweiter Stufe überlagert sich vielfach mit den Interessen gebundener Abnehmer. Eine insoweit gegebene Konkurrenz von Ansprüchen ist nicht hinderlich, sondern förderlich zur effektiven Durchsetzung des Verbots vertikaler Bindungen. Das gilt insbesondere dann, wenn das gebundene Unternehmen davon absieht gegen das bindende marktbeherrschende oder sonst marktstarke Unternehmen vorzugehen. Ein Abnehmer zweiter Stufe kann im Fall einer wettbewerbsbeschränkenden Vertriebsbindung, falls diese den Ausschluss dritter Unternehmen bezweckte auch unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 i. V. m. § 33 GWB Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Bei der Formulierung von Unterlassungsansprüchen ergeben sich über die Notwendigkeit der konkreten Bezeichnung der Leistungen des bindenden Unternehmens und der darauf bezogenen Bindungen keine besonderen Schwierigkeiten. Im Falle einer lediglich übermäßigen Bindung ist es notwendig, die höchstzulässige Grenze zu ermitteln und deren Überschreitung zu untersagen. Der Beseitigungsanspruch tritt gegenüber dem Unterlassungsanspruch in seiner Bedeutung praktisch zurück, weil die Bindungen ohnehin nichtig sind und er keinen Vollstreckungstitel bei Wiederholung der Bindung in der Zukunft bildet. Die anspruchsberechtigten Marktbeteiligten können Schadensersatz für entgangenen Gewinn, sowie für einen Marktanteils- oder Wertverlust ihrer Unternehmungen nach allgemeinen Grundsätzen verlangen. Vertragspartner haben auch einen Anspruch auf Ersatz erhöhter Bezugskosten, die ohne praktizierte Bezugsbindung nicht entstanden wären. Die insoweit vom Bindenden erzielten Einnahmen sind als anteiliger Gewinn i. S. v. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes des bindenden, gegebenenfalls marktmächtigen Unternehmens i. S. v. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kommt auch insoweit in Betracht als der Schadensersatzschuldner infolge der wettbewerbsbeschränkenden Bindung Mehreinnahmen erzielt hat, die sich zugleich in geringeren Einnahmen anderer Anbieter wiederspiegeln. In Bezug auf Verwendungsbeschränkungen kann Anknüpfungspunkt für Schadenersatzansprüche insbesondere das erzwungene Nichterschließen können neuer Geschäftsbereiche sein. Im Hinblick auf Vertriebsbindungen ist der Schaden in der Regel danach zu bemessen, inwieweit Geschäfte mit ausgeschlossenen potentiellen Abnehmern entgangen sind. Zu beachten ist, dass sich der Anspruch des gebundenen Unternehmens wegen Mitverursachung der Bindung gemäß § 254 Abs. 1 BGB reduzieren kann.
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E. Geschäftsverweigerung I. Tatbestand 1. Einordnung in das Verhältnis von §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB Die Fälle der unter Wettbewerbsgesichtspunkten nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung wurden im deutschen Recht hauptsächlich unter dem Aspekt einer unbilligen Behinderung i. S. v. §§ 20 Abs. 1, 2 GWB a. F. (zuvor § 26 Abs. 2 GWB a. F.) diskutiert.1 Der Grund lag darin, dass die Rechtsprechung eine über die nachteilige individuelle Betroffenheit hinausgehende Marktwirkung für die Anwendung des § 20 Abs. 1, 2 GWB a. F. auf die Verweigerung von Geschäften nicht forderte.2 Im Gegensatz dazu setzte der Tatbestand des § 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 GWB a. F. eine Verhaltensweise voraus, die geeignet war, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt erheblich zu beeinträchtigen.3 Die Fälle der Verweigerung von Geschäftsbeziehungen zeichnen sich häufig jedoch dadurch aus, dass nur einzelne Unternehmen betroffen sind. Deren Fortbestand oder Verschwinden hat für den Wettbewerb auf dem Markt in vielen Fällen keine spürbare Bedeutung. Hinzu kam, dass die Eingriffsschwelle bei § 20 Abs. 1, 2 GWB a. F. deutlich niedriger war als bei § 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 GWB a. F., weil nicht unbedingt Marktbeherrschung vorausgesetzt wurde, sondern auch relative Marktmacht, die Eigenschaft als Preisbinder oder die Zugehörigkeit zu einem freigestellten Kartell genügte. Schließlich spielte eine entscheidende Rolle, dass die Betroffenen selbst auf Unterlassung und Schadensersatz klagen konnten und nicht auf das Einschreiten der Kartellbehörden angewiesen waren.4 Die Kartellbehörden haben, soweit sie trotz Verstoßes gegen § 26 Abs. 2 GWB a. F. nicht einschritten, zur Begründung angeführt, dass dem Behinderten selbst die Möglichkeit offen stünde, unmittelbar Rechtsschutz vor Gericht zu suchen.5 Mit der Neufassung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB im Zuge der 8. GWB Novelle hat sich die Unterscheidung zwischen § 19 und § 20 GWB erledigt. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist nunmehr der Grundtatbestand und § 20 Abs. 1 GWB weitet lediglich den Anwendungsbereich über marktbeherrschende Unternehmen hinaus auf relativ marktstarke Unternehmen aus. Das Tatbestandsmerkmal des § 20 Abs. 1 GWB a. F., dass der Geschäftsverkehr, zu dem das behinderte Unternehmen den 1
Siehe S. 67 f. Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 92. 3 Zum Begriff wesentliche Beeinträchtigung im Sinne der Interpretation als spürbare Verschlechterung der Marktstruktur im Einzelnen, siehe S. 61 ff. 4 § 26 Abs. 2 GWB a. F. (und später § 20 Abs. 1, 2 GWB a. F.) war seit jeher als Schutzgesetz i. S. v. § 35 GWB a. F. anerkannt; siehe S. 30 ff. und S. 127 f. 5 BGH, 14. 11. 1968, WuW/E BGH 995 (997 ff.) „Taxiflug“. Es gibt keinen Anspruch auf Einschreiten der Kartellbehörden, es sei denn deren Ermessen ist auf null reduziert. Die Behörden sind zur fehlerfreien Ermessensausübung verpflichtet, vgl. Bechtold, NJW 2001, S. 3159 (3166). 2
E. Geschäftsverweigerung
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Zugang erstrebt, gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich sein muss, ist mit der Neufassung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB entfallen.6 Infolge dessen steht fest, dass § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB unabhängig davon anwendbar ist, ob der Marktbeherrscher bereits Geschäftsverkehr mit anderen Marktteilnehmern unterhält oder er bisher die begehrte Leistung gar nicht angeboten hat.7 Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die bisherigen Anwendungsgrundsätze zu § 20 Abs. 1 GWB a. F. bei § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB fortbestehen.8 Man wird insoweit davon auszugehen haben, dass über die rein individuelle Betroffenheit hinaus eine qualitativ zu bemessende negative Wirkung auf die Marktstruktur festzustellen sein muss.9 2. Verhältnis des deutschen zum europäischen Recht Die Geschäftsverweigerung wird teils als Unterfall des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV,10 teils als nur über die Generalklausel des Satzes 1 erfassbar, eingeordnet.11 Diese unterschiedlichen Einordnungen sind aber letztendlich ohne Bedeutung.12 Der Begriff Leistung ist umfassend zu verstehen. Er kann von der Belieferung mit Waren, über das Angebot von Dienstleistungen bis hin zum Zugang zu Infrastruktureinrichtungen oder auch nur zu Informationen technischer oder sonstiger Art, insbesondere im Wege der Lizenzerteilung zur Nutzung von Schutzrechten alle im Zusammenhang mit unternehmerischer Tätigkeit relevanten Handlungen erfassen.13 6
Siehe S. 45 f. Mit anderen Worten, ob das behinderte Unternehmen erstmalige Marktöffnung anstrebt; vgl. zu § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB a. F.: BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (151 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473 ff.) „Puttgarden“, OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (571 ff.) „Puttgarden II“, BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1525 ff.) „Arealnetz“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1728 f.) „Stadtwerke Dachau“. 8 Siehe S. 45 f.; zur Parallelität von § 19 Abs. 4 GWB a. F. und § 20 Abs. 1 GWB a. F., vgl. OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/DE-R 4097 (4098 f.) „Frankiermaschinen II“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 290 ff. 9 Ohne die Anforderungen zu überspannen, zum Verhältnis Individual- zu Institutionenschutz, siehe S. 62 ff. 10 EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1468 f.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“. 11 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 310 m. w. N. 12 Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV stellt nur einen Beispielstatbestand dar. Aber auch dort wird die Geschäftsverweigerung nicht ausdrücklich genannt. Die deshalb, unabhängig von der Einordnung in Satz 1 oder Satz 2 lit. b) notwendige Konkretisierung zur Feststellung eines Verbotstatbestandes führt zu einheitlichen Grundsätzen für die Bestimmung der Konturen der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung. In EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/ MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“ hat der EuGH auf eine Einordnung verzichtet; ebenso Kommission, discussion paper, Ziffer 9.1., Rn. 207 bis 214. 13 Zum Bsp.: EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1467 f.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; vgl. auch Kommission, discussion paper, Ziffer 9.2. bis 9.2.1.1., Rn. 215 bis 220 und 9.2.2.1. Rn. 225, sowie Ziffer 9.2.2.6. bis 9.2.3., Rn. 237 bis 242 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 78. 7
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Der Tatbestand des Art. 102 Sätze 1 bzw. 2 lit. b) AEUV erfasst auch die Fälle, die unter dem Stichwort essential facility doctrine diskutiert werden.14 Obgleich das europäische Recht nicht zwischen körperlichen und nicht körperlichen wesentlichen Einrichtungen differenziert, sollen in Anlehnung an das deutsche Recht die Fälle der Zugangsverweigerung zu Infrastruktureinrichtungen im Zusammenhang mit § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB angesprochen werden.15 Fälle, die im deutschen Recht nach wie vor nur über den allgemeinen Behinderungstatbestand der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB gelöst werden können, betreffen den Zugang zu nicht körperlichen Leistungen, insbesondere Patenten, Urheberrechten, nicht absolut geschützten Produktinformationen, aber auch Dienstleistungen.16 Die Kriterien der Interessenabwägung im europäischen und deutschen Recht stimmen im Wesentlichen überein.17 Nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 enthält Art. 102 AEUV den Mindeststandard für den Rechtsschutz gegen missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Unternehmen, der auch bei Anwendung von § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB auf Fälle von grenzüberschreitender Bedeutung zu beachten ist. § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB, der später erörtert wird und § 20 Abs. 1 GWB enthalten, nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 zulässige18 weitergehende Anforderungen an das rechtmäßige Verhalten marktmächtiger Unternehmen. Einzelheiten sind aber nicht Gegenstand dieser Arbeit. 3. Fallgruppen a) Nichtbelieferung von Abnehmern Eine große Rolle spielt die durch besondere Vertriebsinteressen motivierte Nichtbelieferung oder Nichtbeauftragung von Unternehmen.19 Hierbei sind insbe14 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 331, 337; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1066 f.); Paal, GRUR 2013, S. 873 (873 f.). 15 Siehe ab S. 525. 16 BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1329 (1330 ff.) „Standard-Spundfass II“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2614 f.) „Orange-Book-Standard“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 336 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 362; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1065 f.). 17 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 307; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 290 ff.; siehe auch S. 382 ff. und S. 389 ff. 18 Siehe S. 38 f. 19 Zum Bsp.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; EuGH, 25. 10. 1983, WuW/EWG/MUV 600 (606 f.) „AEG-Telefunken“; EuGH, 16. 09. 2008, WuW/ EU-R 1463 (1466 ff.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; Kommission, 29. 07. 1987, WuW/EV 1265 (1270 f.) „BBI/Boosey & Hawkes“; BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2351 (2355 ff.) „Belieferungsunwürdige Verkaufsstätten II“; KG, 22. 01. 1997, WuW/E OLG 5875 (5877 ff.) „U-Bahn-Buchhandlungen“, dazu auch BGH, 17. 03. 1998, WuW/DE-R 134 (134 ff.) „Bahnhofsbuchhandel“ und BGH, 10. 11. 1998, WuW/DE-R 220 (220 ff.) „U-Bahn-Buchhandlungen“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (207 ff.) „Depotkosmetik“; OLG Frankfurt a.M., 02. 10. 2001, WuW/DE-R 801 (803 ff.) „Brüsseler Buchhandlung“; OLG Celle, 29. 11. 2001,
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sondere selektive Vertriebssysteme von Bedeutung.20 Allerdings geht es im Zusammenhang mit der Frage der Geschäftsverweigerung nicht um die Rechtmäßigkeit des Vertriebssystems, sondern um den Zugang von Zwischenhändlern zu einem solchen Vertriebssystem.21 Die zivilrechtlichen Folgen gegen Art. 101 Abs. 1 S. 1 lit. b), 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 1, 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 3 S. 1 GWB verstoßender Vertriebsbindungen wurden bereits im Zusammenhang mit vertikalen Bindungen erläutert.22 Im Folgenden geht es also nur um die Fälle, in denen ein Vertragsinteressent unmittelbar mit dem marktbeherrschenden oder jedenfalls marktstarken Unternehmen in Geschäftsbeziehung treten will. Die Rechtspraxis beschäftigt in diesem Zusammenhang nicht nur die Ablehnung einer Geschäftsbeziehung, sondern ebenso der Abbruch einer bestehenden Vertragsbeziehung.23 Hier geht es zunächst um die Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Kündigungen, die angesichts der Betätigungsfreiheit des Marktbeherrschers grundsätzlich zu bejahen ist.24 Darüber hinaus stellt sich die Frage einer angemessen Kündigungsfrist, welche dem Vertragspartner ausreichend Zeit zur Umstellung seiner Geschäftspolitik gibt. Die Antwort darauf kann nur im Einzelfall im Rahmen einer Interessenabwägung gefunden werden, die insbesondere die Situation des Gekündigten angemessen berücksichtigt.25 b) Leistungsverweigerung gegenüber Konkurrenten Eine zweite Fallgruppe betrifft die Weigerung eines Marktbeherrschers bzw. eines relativ marktmächtigen Unternehmens einem anderen Unternehmen solche Leis-
WuW/DE-R 824 (825 f.) „Schülertransport“ und dazu auch BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 ff.) „Schülertransport“; OLG Düsseldorf, 29. 10. 2003, WuW/DE-R 1480 (1485 f.) „R-Uhren“; OLG Düsseldorf, 25. 05. 2005, WuW/DE-R 1577 (1578 ff.) „SIM-Wandler“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1621 (1623 ff.) „Qualitative Selektion“; OLG Karlsruhe, 14. 11. 2007, WuW/DE-R 2213 (2214 ff.) „BGB-Kommentar“; LG Mannheim, 14. 03. 2008, WuW/ DE-R 2322 (2324 ff.) „Schulranzen“; OLG Karlsruhe, 25. 11. 2009, WuW/DE-R 2789 (2790 f.) „Schulranzen“; OLG München, 17. 09. 2015, WuW/DE-R 4910 (4911 ff., 4916) „Markenkoffer“. 20 Zu unterscheiden sind sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht qualitative und quantitative selektive Vertriebssysteme: Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 299 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 225, 315 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 291, 304 ff.; siehe auch S. 329 f. 21 Vgl. soeben Fn. 19. 22 Siehe S. 334 ff. und S. 356 ff. 23 Zum Bsp.: EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1466 ff.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; OLG Celle, 29. 11. 2001, WuW/DE-R 824 (825 f.) Schülertransport“ und BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 ff.) „Schülertransport“; OLG Düsseldorf, 25. 05. 2005, WuW/ DE-R 1577 (1578 ff.) „SIM-Wandler“; BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (3449 ff.) „Grossistenkündigung“; BGH, 29. 07. 2014, WuW/DE-R 4807 (4813) „Vertragswerkstattnetz“. 24 Siehe auch S. 395 f. 25 Siehe S. 395 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
tungen26 zu gewähren, die es benötigt, um mit ihm auf dem beherrschten oder einem dritten Markt in Wettbewerb treten oder in Wettbewerb bleiben zu können. Die Weigerung hat also den Sinn unliebsame Konkurrenz entweder auszuschalten oder gar nicht erst zuzulassen. Diese Strategie kommt insbesondere für vertikal integrierte marktbeherrschende Unternehmen in Betracht, die Marktmacht von einem vorgelagerten Markt auf einen nachfolgenden Markt transferieren bzw. bestehende Marktmacht erhalten wollen.27 Zwar ist auch ein marktbeherrschendes Unternehmen nicht verpflichtet, zum eigenen Schaden Wettbewerber zu fördern.28 Jedoch sind in einer umfassenden Interessenabwägung die schädlichen Auswirkungen für den Wettbewerb und die Betätigungsmöglichkeiten von Konkurrenten gleichgewichtig zu berücksichtigen.29 Eine Leistungs- oder Unterstützungspflicht des Marktbeherrschers ist vor allem dann naheliegend, wenn anderenfalls Wettbewerb nicht entstehen kann.30 c) Verweigerung des Zugangs zu knappen Ressourcen oder zu geschäftsfördernden Leistungen Sehr ähnlich stellt sich die dritte Fallgruppe dar. Die marktbeherrschende Stellung resultiert aus der ausschließlichen Verfügbarkeit über besondere Einrichtungen oder knappe Ressourcen. Es besteht allerdings kein Wettbewerbsverhältnis zwischen Marktbeherrscher und Vertragsinteressent, noch wird ein solches angestrebt. Es gibt eine Vielzahl von Fällen, in denen der Zugang zu bestimmten Einrichtungen entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg einer Tätigkeit auf einem Drittmarkt ist. Es 26 Hierbei geht es insbesondere um Warenlieferungen, Dienstleistungen und Service- und Unterstützungsleistungen, sowie Lizensierungen zur Nutzung gewerblicher Schutzrechte. 27 Zum Bsp.: EuGH, 06. 03. 1974, WuW/EWG/MUV 315 (318 f.) „Zoja“; EuGH, 03. 10. 1985, WuW/EWG/MUV 713 (714 f.) „Telemarketing“; EuGH, 11. 11. 1986, WuW/EWG/ MUV 765 (766 ff.) „British Leylands“; Kommission, 18. 07. 1988, WuW/EV 1349 (1353 ff.) „Napier Brown/British Sugar“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1386 f.) „London European/Sabena“; Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (934 ff.) „Microsoft“ und EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (866 ff.) „Microsoft“, BGH, 27. 04. 1999, WuW/DE-R 357 (359 f.) „Feuerwehrgeräte“, BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1728 f.) „Stadtwerke Dachau“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2186 ff.) „Reisestellenkarte“, OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/DE-R 4097 (4098 f.) „Frankiermaschinen II“; zur Verweigerung staatlicher Postmonopolisten Postsendungen zuzustellen, die von privaten Dienstleistern in Form des sogenannten „Remailing“ in Auftrag gegeben werden: EuG, 16. 09. 1998, WuW/EU-R 99 (99 ff.) „IECC/Kommission I“, OLG Düsseldorf, 13. 04. 2005, WuW/DE-R 1473 (1478 f.) „Konsolidierer“ und OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2764 f.) „Post-Konsolidierer“; des Weiteren Kommission, discussion paper, Ziffer 9.1. Rn. 209 bis 213 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 76. 28 OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/DE-R 4097 (4098) „Frankiermaschinen II“ m. w. N. 29 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 305, 316, 322, 324; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 269 ff.; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 81 ff. 30 Siehe S. 390 f.
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können hier nur einige Beispiele genannt werden, welche die Praxis häufiger beschäftigt haben.31 Dazu gehören der Ausschluss privater Anbieter von Heil- und Hilfsmitteln von der Beschaffung durch öffentlich rechtliche Krankenkassen,32 die Nichtzulassung zur Präsentation auf Messen und Ausstellungen,33 die Verweigerung der Registrierung von Domainnamen,34 der Anschluss an eine Funktaxizentrale,35 die Vermietung von Räumen in Gebäuden von Landratsämtern an KFZ Schilderpräger,36 die Nichtzulassung unentgeltlicher Sportberichterstattung vom Veranstaltungsort durch Hörfunkunternehmen,37 die Nichterteilung von Lizenzen zur Nutzung gewerblicher Schutzrechte,38 die Weigerung einer Urheberrechtsverwertungsgesell31 Aufgrund der Vielfalt des Wirtschaftslebens und ständiger Weiterentwicklung ist die Anzahl möglicher Fallkonstellationen praktisch unbegrenzt, vgl. Kommission, discussion paper, Ziffer 9.1. Rn. 209 bis 213. 32 BGH, 26. 10. 1961, WuW/E BGH 442 (445 ff.) „Gummistrümpfe“; BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; BGH, 22. 03. 1994, WuW/E BGH 2919 (2921 ff.) „Orthopädisches Schuhwerk“; OLG Stuttgart, 30. 04. 1999, WuW/DE-R 307 (308 ff.) „Medizinische Hilfsmittel“. 33 BGH, 03. 03. 1969, WuW/E BGH 1027 (1030 ff.) „Sportartikelmesse II“, OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 ff.) „Dentalmesse“; OLG Düsseldorf, 15. 11. 2000, WuW/DE-R 619 (622 f.) „Fetting“; OLG Düsseldorf, 05. 07. 2002, WuW/DE-R 994 (995 ff.) „Stefanelli“; OLG Düsseldorf, 10. 03. 2010, WuW/DE-R 2897 (2899 ff.) „Infodental Düsseldorf“. 34 OLG Frankfurt a.M., 29. 04. 2008, WuW/DE-R 2353 (2354 ff.) „vw.de“, dazu Breuer/ Steger, WRP 2008, S. 1487 (1490 ff.); vgl. auch BKartA, 25. 09. 2000, WuW/DE-V 321 „Covisint“. 35 BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2342 ff.) „Taxizentrale Essen“; BGH, 08. 02. 1994, WuW/E BGH 2906 (2907 f.) „Lüdenscheider Taxen“; OLG Koblenz, 07. 10. 2004, WuW/ DE-R 1460 (1461 f.) „Taxizentrale“; OLG München, 30. 03. 2006, WuW/DE-R 1749 (1751 ff.) „Telefonrufsäulen“ und BGH, 08. 05. 2007, WuW/DE-R 1983 (1984 ff.) „Autoruf-Genossenschaft II“. 36 OLG Stuttgart, 24. 10. 1997, WuW/DE-R 48 (51 ff.) „KFZ-Schilderpräger (Nagold)“; OLG Frankfurt a.M., 09. 09. 1997, WuW/DE-R 55 (58) „KFZ-Schilderpräger (Kassel)“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (60 ff.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“; BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1727 f.) „Stadtwerke Dachau“; OLG Düsseldorf, 07. 02. 2007, WuW/DE-R 1991 (1992 f.) „Schilderpräger-Cafe“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2026 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; BGH, 13. 11. 2007, WuW/ DE-R 2163 (2164 ff.) „Freihändige Vermietung an Behindertenwerkstatt“. 37 BGH, 08. 11. 2005, WuW/DE-R 1597 (1597 ff.) „Hörfunkrechte“; vgl. auch Zagouras, WuW 2006, S. 376 (379 ff.). 38 Eine Ausübung des Schutzrechts ist dem Inhaber grundsätzlich gestattet. Zwangslizensierungen kommen nur ausnahmsweise in Betracht, vgl. z. B.: EuGH, 06. 04. 1995, Slg. 1995 I, S. 743 (744 f., 822 ff.) „RTE und ITP“, zuvor Kommission, 21. 12. 1988, WuW/EV 1447 (1449 f.) „Magill TV-Guide“; EuGH, 29. 04. 2004, WuW/EU-R 804 (806 ff.) „IMS Health/NDC Health“; EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (866 ff.) „Microsoft“, zuvor Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (934 ff.) „Microsoft“; OLG München, 17. 09. 1998, WuW/DE-R 251 (252 ff.) „Fahrzeugdaten“; BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1329 (1331 ff.) „Standard-Spundfass II“; LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/DE-R 2120 (2122) „MPEG 2 – Standard“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2614 f.) „Orange Book Standard“; Paal, GRUR 2013, S. 873 (873 f., 877 f.).
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
schaft die Wahrnehmung von Schutzrechten überhaupt oder zu angemessenen Bedingungen zu übernehmen,39 die Verweigerung der Mitbenutzung von Geldautomaten für Kunden anderer Kreditinstitute40 sowie die Weigerung von Herausgebern von Printmedien, bestimmte gewerbliche Anzeigen zu drucken41 und von Rundfunkund Fernsehunternehmen, Sendezeit für Werbung zur Verfügung zu stellen.42 Führen knappe Ressourcen dazu, dass ein Vertragsschluss nur mit einem Teil der nachfragenden Unternehmen oder gar nur mit einem möglich ist, geht es darum, eine Auswahl in einer diskriminierungsfreien Weise zu treffen oder eine angemessene Repartierung vorzunehmen.43 Auf diese besondere Konstellation soll deshalb im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot eingegangen werden.44 d) Geschäftsverweigerung durch nachfragemächtige Unternehmen Die missbräuchliche Geschäftsverweigerung kann auch auf der Nachfrageseite auftreten.45 Im Unterschied zum Anbieter, der versucht seinen Umsatz so weit als möglich zu steigern, geht es dem Nachfrager lediglich um Bedarfsdeckung. Deshalb ist der Eingriff in die Betätigungsfreiheit des Nachfragers, der ja in einem Zwang zur Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mündet größer als beim Eingriff in die Betätigungsfreiheit eines Anbieters. Der marktbeherrschende Nachfrager muss Leistungen abnehmen, die er entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht von dem betreffenden Anbieter beziehen will.46 Demgegenüber kann ein Anbieter, selbst wenn er zur Abgabe von Leistungen rechtlich verpflichtet ist, immerhin Umsatz und Gewinn steigern. Weil mit Erhöhung der Eingriffsintensität aber auch die Anfor39 EuGH, 27. 03. 1974, WuW/EWG/MUV 311 (312 f.) „SABAM II“; EuGH, 02. 03. 1982, WuW/EWG/MUV 593 (595 ff.) „GVL“; EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (904 ff.) „Ministere Public/Tournier“. 40 OLG München, 17. 06. 2010, WuW/DE-R 2977 (2979 ff.) „VISA-Bargeldabhebung“. 41 BGH, 07. 10. 1980, WuW/E BGH 1783 (1784 ff.) „Neue Osnabrücker Zeitung“; OLG Stuttgart, 16. 06. 2003, WuW/DE-R 1191 (1193 ff.) „Telefonbuch-Inserate“ und BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1377(1378 ff.) „Sparberaterin“; OLG Düsseldorf, 20. 07. 2005, WuW/DE-R 1615 (1615 f.) „Das Telefonbuch“; BGH, 31. 01. 2012, WuW/DE-R 3549 (3551 ff.) „Werbeanzeigen“. 42 EuGH, 03. 10. 1985, WuW/EWG/MUV 713 (714 f.) „Telemarketing“; OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314 ff.) „Hörfunkwerbung“; OLG Düsseldorf, 04. 12. 2002, WuW/DE-R 1058 (1060 ff.) „100, eins Radio Aachen“. 43 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 317; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 301. 44 Siehe S. 430 ff. und S. 458 ff. 45 Zum Bsp.: BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2990 (2992 ff.) „Importarzneimittel“, dazu auch BVerfG, 09. 10. 2000, WuW/DE-R 557 (558 ff.) „Importarzneimittelboykott“; BGH, 19. 03. 1996, WuW/E BGH 3058 (3062 ff.) „Pay-TV-Durchleitung“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3104 (3106 ff.) „Zuckerrübenanlieferungsrecht II“; OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741 ff.) „Biomüll“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 1011 (1012 f.) „Wertgutscheine für Asylbewerber“. 46 Vgl. soeben Fn. 45; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 314 f.
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derungen an deren Rechtfertigung steigen, sind Fälle der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung durch Nachfrager vergleichsweise selten. Demgegenüber hat die praktische Relevanz von Vergabeentscheidungen nachfragemächtiger Unternehmen seit Mitte der 90iger Jahre stets zugenommen. Hintergrund ist die Bestrebung, das Vergaberecht der Mitgliedstaaten durch europäische Richtlinien zu vereinheitlichen, um grenzüberschreitenden, diskriminierungsfreien Wettbewerb, jedenfalls mit Blick auf größere Auftragsvergaben zu ermöglichen. In Deutschland hat das im Zuge der 6. GWB Novelle zu einer Normierung von Vergabevorschriften in den §§ 97 ff. GWB und in verschiedenen Spezialgesetzen geführt.47 Diese Regelungen betreffen allerdings nur Auftragsvergaben durch die öffentliche Hand, weil deren, durch die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben veranlasste Bedarfsdeckung die praktisch wichtigste Fallgruppe des Nachfragewettbewerbes darstellt. Diese Regelungsmaterie stellt ein eigenständiges Rechtsgebiet dar und soll deshalb im Folgenden unberücksichtigt bleiben. Im Rahmen der Auftragsvergabe privater Unternehmen besteht das Problem in der diskriminierungsfreien Auswahl des Vertragspartners unter mehreren Interessenten.48 Diese Fälle sollen deswegen im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot angesprochen werden.49 e) Drohung mit Geschäftsverweigerung zur Durchsetzung von behindernden oder ausbeuterischen Geschäftsbedingungen und Preisen Schließlich ist eine fünfte Fallgruppe anzusprechen. Die Drohung mit der Verweigerung von Geschäftsbeziehungen ist häufig Mittel, um einen auf die Leistung angewiesenen Abnehmer unter Druck zu setzen und auf diese Art zu wirtschaftlichem Wohlverhalten zu zwingen.50 Das kann insbesondere sinnvoll sein, um andere missbräuchliche Verhaltensweisen durchzusetzen. So können auf diese Weise gegen den Willen des Abnehmers Kopplungs-, Bezugs-, Vertriebs- und Verwendungsbindungen oder sonst behindernde oder diskriminierende Geschäftsbedingungen sowie ausbeuterisch überhöhte Preise oder missbräuchliche Vertragsbedingungen, die bei 47 BegrRegE zur 6. GWB Novelle vom 3. 12. 1997, BT-Drucks. 13/9340 „Zum vergaberechtlichen Teil“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 321. 48 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 317 ff. 49 Siehe S. 430 ff. 50 Zum Bsp.: EuGH, 17. 12. 1975, WuW/EWG/MUV 347 (364 ff.) „Europäische Zuckerindustrie“; EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1466 ff.) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; Kommission, 22. 12. 1987, WuW/EV 1326 (1332 f.) „Eurofix-Bauco/Hilti“; Kommission, 04. 11. 1988, WuW/EV 1383 (1386 f.) „London European/SABENA“; OLG Stuttgart, 16. 06. 2003, WuW/DE-R 1191 (1193 ff.) „Telefonbuchinserate“ und BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1377 (1378 ff.) „Sparberaterin“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2112 ff.) „DARED“; LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/DE-R 2120 (2123) „MPEG 2 – Standard“; vgl. Kommission, discussion paper, Ziffer 9.1., Rn. 208 und Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 77.
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wirksamem Wettbewerb nicht durchsetzbar wären, erzwungen werden.51 Das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung muss in diesen Fällen bei der Drohung ansetzen. Denn bereits die Tatsache, dass wirtschaftliche Nachteile eintreten können, zwingt das Unternehmen in eine Notlage. Es sieht sich vor die Wahl gestellt, die missbräuchlichen Bedingungen als geringeres Übel zu akzeptieren oder noch schwerwiegendere wirtschaftliche Nachteile zu erleiden. Es ist dann unzumutbar zu verlangen, dass sich das Unternehmen für einen dieser Wege entscheidet.52 Umfassender Schutz gegen den Missbrauch von Marktmacht bedeutet, dass bereits gegen Verhaltensweisen einzuschreiten ist, die nur geeignet sind die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt zu verschlechtern.53 Abzuwarten bis die Behinderung tatsächlich eingetreten ist, würde den Schutz der betroffenen Unternehmen verkürzen.54 Eine Besonderheit des Machtmissbrauchs bei Nachfragewettbewerb stellt es dar, dass marktbeherrschende (relativ marktmächtige) Nachfrager versuchen, durch die Drohung mit einer Geschäftsverweigerung Sondervergünstigungen herauszuschlagen. Dabei handelt es sich vor allem um Eintrittsgelder bzw. im Bereich des Handels Regalmieten, Sonderrabatte usw.55 § 19 Abs. 2 Nr. 5, 20 Abs. 2 GWB ist als Verbot speziell auf diese Fälle zugeschnitten. Gegen die Androhung von wirtschaftlichen Nachteilen, wie etwa einer Geschäftsverweigerung, zur Erzwingung von wettbewerbswidrigen Vorteilen, die nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung gemacht werden dürfen, bietet auch § 21 Abs. 2 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB Schutz.
II. Schutzzweck Die Darstellung der verschiedenen Fallgruppen lässt erkennen, dass von einer Geschäftsverweigerung Anbieter und Nachfrager in ihrer wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit beeinträchtigt sein können, die mit einem marktbeherrschenden Unternehmen Leistungen austauschen wollen. Als Betroffene kommen auch aktuelle oder potentielle Konkurrenten eines vertikal integrierten Marktbeherrschers in Betracht.
51 Zu Zwangskopplungen siehe S. 301 ff.; zu Bindungen siehe S. 325 ff.; zur Ausbeutung siehe S. 466 ff.; zur Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen siehe S. 525 ff. 52 Vgl. soeben Fn. 50. 53 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 54 Vgl. soeben Fn. 50. 55 BGH, 17. 12. 1976, WuW/E BGH 1466 (1466 ff.) „Eintrittsgeld“ (zu § 1 UWG a. F.); BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2094 ff.) „Metro-Eintrittsvergütung“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 984 (990 f.) „Konditionenanpassung“.
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1. Abnehmer und Lieferanten Für marktbeherrschende (relativ marktmächtige) Anbieter ist der Ausschluss von Händlern oder Dienstleistern aus der eigenen Vertriebsorganisation ein Mittel, den nachgelagerten Markt nach eigenen Vorstellungen zu ordnen. Das Ziel ist eine Verbesserung der Absatzchancen der eigenen Produkte. Gewöhnlich stehen die Imagepflege von Markenprodukten, die Verringerung des Wettbewerbs durch Gebietsschutz oder die Umstrukturierung einer Vertriebsorganisation aus Kostengründen im Vordergrund56 Für marktbeherrschende bzw. markstarke Nachfrager geht es zumeist um die Durchsetzung vorteilhafter Geschäftsbedingungen, insbesondere günstiger Preise beim Bezug von Waren oder (Dienst-)Leistungen. Der Ausschluss einzelner Lieferanten dient der Disziplinierung der anderen.57 Für den ausgeschlossenen (potentiellen) Abnehmer bedeutet die Geschäftsverweigerung im günstigsten Fall, dass er sein Sortiment weniger vielfältig gestalten kann. Im ungünstigsten Fall muss er sein Geschäft aufgeben. Nun gehört es aber zu den Grundsätzen des freien Wettbewerbs, dass jeder Marktteilnehmer eine eigenverantwortliche und selbstbestimmte Entscheidung darüber treffen kann, ob und mit wem er in Geschäftsbeziehung tritt.58 Darüber hinaus ist die Möglichkeit, jederzeit einen Vertragsschluss ablehnen zu können, wesentliches Element der Vertragsfreiheit und Voraussetzung dafür, dass Verträge zur Regelung privater Rechtsbeziehungen geeignet bleiben.59 Dementsprechend mag eine Nichtbelieferung oder Nichtabnahme von Leistungen Nachteile für die geschäftliche Betätigung eines Unternehmers mit sich bringen. Sie findet ihre Rechtfertigung indes in der gleichen Freiheit des anderen Teils, sich seine Vertragspartner aussuchen zu können. Das Risiko mit dem Wunsch nach einer Vertragsbeziehung nicht durchzudringen, ist dem Wettbewerb immanent.60 Anderenfalls würde er nicht mehr als Such- und Entdeckungsverfahren funktionieren können und zum Erliegen kommen. Das alles gilt aber nur im Fall der Abwesenheit von Marktmacht. Solange der potentielle Abnehmer oder Lieferant die Möglichkeit hat, in zumutbarer Weise auf andere Anbieter oder Nachfrager auszuweichen, beeinträchtigt ihn eine Geschäftsverweigerung Einzelner kaum. Die Probleme beginnen mit den Fällen der Abhängigkeit i. S. v. § 20 Abs. 1 GWB. Sie steigen mit zunehmender Marktmacht des potentiellen Vertragspartners und nehmen ein gravierendes Ausmaß an, wenn das Ausweichen auf einen anderen Anbieter oder Nachfrager wegen bestehender Marktbeherrschung kaum noch möglich ist. Schließlich finden sie ihren Höhepunkt darin, dass die Leistungen nur von einem einzigen Anbieter bezogen oder über einen einzigen Abnehmer 56
Siehe S. 382 f. Siehe S. 387 f. 58 Siehe S. 382 ff. 59 Siehe S. 50 ff. 60 Deshalb rechtfertigt nicht etwa jeder beliebige Nachteil oder irgendeine Erschwernis bereits eine Lieferpflicht. Vielmehr bedarf es erheblicher Nachteile, welche die Stellung im Wettbewerb auf dem Markt nachhaltig verschlechtern oder gar den Marktzutritt ausschließen, ständige Rspr., siehe S. 382 ff. 57
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vertrieben werden können. Ist die Auswahlmöglichkeit der Marktgegenseite derart eingeschränkt, wird die Interessenabwägung regelmäßig zu einer Lieferpflicht oder Abnahmepflicht des Marktbeherrschers führen.61 Anderenfalls würde nicht nur die wirtschaftliche Existenz des Abnehmers gefährdet, sondern zugleich der Wettbewerb auf dem vor- oder nachgelagerten oder einem dritten Markt eingeschränkt oder ausgeschaltet. Bezugs- und Absatzwege werden versperrt, die Erbringung von Handels- oder Dienstleistungen werden erschwert. Indem das marktbeherrschende Unternehmen zur Abgabe oder Abnahme der Leistung gezwungen wird, ändert sich am fehlenden Wettbewerb auf dem beherrschten Markt zwar nichts. Durch den Zugang zur Leistung oder ihrer Abnahme vermag der Abnehmer oder Lieferant aber auf dem vor- oder nachgelagerten oder einem dritten Markt wirtschaftlich tätig zu werden. Damit wird zumindest die Chance gewahrt, dass es auf diesen Märkten zu unverfälschtem Wettbewerb kommt.62 Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Beherrschung eines Marktes dazu führt, dass der Wettbewerb auf vor- oder nachgelagerten oder dritten Märkten ebenfalls begrenzt oder gar ausgeschaltet wird.63 2. Konkurrenten Die Kontrolle über Ressourcen, deren Verfügbarkeit notwendig ist, um auf einem bestimmten Markt tätig werden zu können, erlaubt es demjenigen, welcher diese Kontrolle ausübt, den Marktzutritt Dritter einzuschränken oder zu verhindern. Ein Interesse an einer derartigen Zugangsbeschränkung ist insbesondere dann vorhanden, wenn das betreffende marktbeherrschende Unternehmen selbst auf diesem abgeleiteten Markt tätig ist. Gewährt es anderen Unternehmen die für den Marktzugang notwendigen Leistungen, dann fördert es den Wettbewerb auf dem Markt und damit die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sein eigener Marktanteil zurückgeht.64 Aus Sicht des Zugangsinteressenten bedeutet die Weigerung des Marktbeherrschers, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem abgeleiteten Markt unmöglich wird.65 Solange bezüglich der für einen Marktzugang notwendigen Ressourcen Wettbewerb herrscht und diese bei Weigerung eines Anbieters durch das Angebot eines anderen substituiert werden können, gewährleistet der freie Wettbewerb auf diesem vor- oder nachgelagerten Markt, dass auch auf dem abgeleiteten Markt freier Wettbewerb möglich ist. Demgegenüber führt bestehende Marktmacht auf dem vor- oder nachgelagerten Markt bei missbräuchlicher Geschäftsverweigerung zum Ausschluss des Wettbewerbes auch auf dem abgeleiteten Markt. Die Kontrolle über Ressourcen wird zum 61
Siehe S. 382 ff. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 311, 326, 328, 329; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 293 ff.; siehe auch S. 382 f. und S. 386 f. 63 Man kann insoweit von einer Gefahr des vertikalen Transfers von Marktmacht im Gegensatz zum horizontalen Marktmachttransfer, etwa bei Kopplungen sprechen. 64 Siehe S. 383 f. 65 Siehe S. 384 f. 62
E. Geschäftsverweigerung
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Schlüssel für den Transfer von Marktmacht. Dort tätige aktuelle Konkurrenten werden verdrängt. Potentielle Konkurrenten werden am Markteintritt gehindert. Zwar geht die Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, dass niemand verpflichtet ist, einen Konkurrenten zum eigenen Schaden zu fördern. Würde dieser Grundsatz allerdings auch in den Fällen der Marktbeherrschung über zugangsnotwendige Leistungen uneingeschränkt aufrechterhalten, würden freie wirtschaftliche Betätigung und freier Wettbewerb auf abgeleiteten Märkten unmöglich gemacht.66 Demgegenüber muss, wenn schon das Gesetz bestehende Marktmacht in Bezug auf die Kontrolle marktzugangsbegründender Leistungen hinnimmt,67 zumindest gesichert sein, dass diese Leistungen für interessierte Konkurrenten verfügbar sind, um zumindest den freien Wettbewerb auf abgeleiteten Märkten zu schützen.68 3. Weitere Unternehmen In Fällen, in denen weder eine Eingliederung in ein Vertriebssystem angestrebt wird, noch zu befürchten ist, dass der Vertragspartner als Wettbewerber in Erscheinung treten wird, ist die Geschäftsverweigerung gewöhnlich dadurch motiviert, dass entweder die Nachfrage das Angebot übersteigt oder von mehreren Anbietern nur einzelne oder ein einziger zum Zuge kommen können. Sowohl in Fällen auftretender Knappheit als auch bei Überangebot, muss eine sachgerechte Auswahl getroffen, gegebenenfalls eine Repartierung vorgenommen werden.69 Selbst wenn ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, bedarf der Nichtabschluss durch einen Marktbeherrscher einer Rechtfertigung. Häufig finden sich die Argumente der Interessent passe nicht in die geschäftliche Konzeption, bei Abschluss mit bestimmten Geschäftspartnern seien Nachteile in anderen Geschäftsbereichen zu befürchten oder, soweit es den Nachfrager betrifft, andere Anbieter seien preiswerter bzw. es bestehe aus Sicht nachfragemächtiger Unternehmen kein Bedarf.70 Für den Vertragsinteressenten bedeutet der Ausschluss eine Behinderung bei dem Bestreben, sich auf dem Markt seiner hauptsächlichen Tätigkeit möglichst gut positionieren zu können. Beispielsweise kann die Verweigerung sich auf einer Fachmesse präsentieren zu können oder in Medien oder Rundfunk Werbung betreiben zu können, zu einem signifikanten Wettbewerbsnachteil gegenüber solchen Unternehmen führen, denen diese Möglichkeiten offen stehen. Die Folge ist eine Wettbewerbsverzerrung, welche die Chancengleichheit zwischen Anbietern oder Nachfragern auf dem Drittmarkt gefährdet, auf dem sie zueinander in Konkurrenz treten. Hierbei geht es 66
Ständige Rspr., siehe S. 384 ff. Siehe S. 50 ff. 68 Deshalb vermag im Einzelfall auch die Ausübung geistiger Eigentumsrechte missbräuchlich sein, wenn sie dazu führt, dass Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt überhaupt nicht stattfinden kann; vgl. bereits die Nachweise in Fn. 38. 69 Siehe auch S. 384 ff., sowie S. 430 ff. und S. 458 ff. 70 Siehe S. 384 ff. 67
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also auch um die Problematik eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot.71 Das Verbot der Geschäftsverweigerung dient in diesen Fällen vor allem zwei Zielen. Zum einen soll der Zugang zu Leistungen, deren Inanspruchnahme der Förderung der eigenen gewerblichen Tätigkeit dient, jedem Interessenten offen stehen. In der Folge soll es ihm ermöglicht werden, die Erbringung seiner eigenen wirtschaftlichen Leistungen entsprechend seinen Vorstellungen bestmöglich zu fördern. Und zum zweiten muss gewährleistet werden, dass jeder Interessent die gleiche Chance des Zugangs zu derartigen Ressourcen hat. Damit werden Wettbewerbsverzerrungen auf Drittmärkten vermieden, die anderenfalls durch Behinderung der benachteiligten Unternehmen entstehen würden.72 Durch das Verbot missbräuchlicher Geschäftsverweigerung werden also der freie Wettbewerb um den Zugang zu geschäftsfördernden Leistungen oder Ressourcen und zu Auftragsvergaben ebenso gesichert, wie der Leistungswettbewerb auf dem Markt, auf dem der Interessent seine hauptsächliche Tätigkeit entfaltet.
III. Sanktion nach § 134 BGB 1. Geschäftsverweigernde Verhaltensweisen Die Geschäftsverweigerung kann in der Ablehnung der Aufnahme oder im Abbruch von Geschäftsbeziehungen bestehen.73 In Bezug auf den Abbruch der Geschäftsbeziehung ist zwischen der Zulässigkeit der Beendigung als solcher und der Frage der Einhaltung einer Übergangsfrist zwischen Ankündigung und tatsächlichem Ende des Geschäftsverhältnisses zu differenzieren. Es geht hierbei gewöhnlich um die Wahrung einer angemessenen Kündigungsfrist. Diese Unterscheidung gilt für alle angesprochenen Fallgruppen. In den Fällen der Weigerung erstmalig vertragliche Beziehungen einzugehen, spielt § 134 BGB naturgemäß keine Rolle. Es handelt um eine natürliche Handlung, die lediglich unter den Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung betrachtet werden kann. 2. Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen Es sind drei Fallgestaltungen zu betrachten. Erstens besteht die Möglichkeit, dass ein auslaufender Vertrag nicht verlängert bzw. kein neuer abgeschlossen wird.74 Da 71
Siehe S. 430 ff. Siehe S. 384 ff. 73 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 310, 320; Schultz, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 290, 296. 74 Zum Bsp.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; OLG Frankfurt a.M., 02. 10. 2001, WuW/DE-R 801 (803 ff.) „Brüsseler Buchhandlung“; LG Mannheim, 14. 03. 2008, WuW/DE-R 2322 (2324 ff.) „Schulranzen“. 72
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aber die missbräuchliche Verweigerung der Vornahme eines neuen Rechtsgeschäfts selbst keine rechtsgeschäftliche Handlung darstellt, hat § 134 BGB hier keine Bedeutung. Zweitens ist die Gestaltung von Beendigungstatbeständen in Dauerschuldverhältnissen zu betrachten. Ein Dauerschuldverhältnis wird gewöhnlich entweder befristet oder die Vertragsparteien nehmen eine Regelung zu einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung75 auf, falls sie sich nicht auf die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten beschränken wollen.76 Weder aus schuldrechtlicher noch aus kartellrechtlicher Sicht sind derartige Abreden grundsätzlich problematisch. Insbesondere ist auch ein marktbeherrschendes Unternehmen in der Gestaltung seiner Geschäftsbeziehungen frei. Das beinhaltet notwendigerweise auch das Recht Verträge zu beenden.77 Unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs von Marktmacht ist aber die Frage relevant, ob in Vertragsklauseln vorgesehene Fristen dem Vertragspartner ausreichend Zeit einräumen, sich wirtschaftlich auf die neue Situation einzustellen.78 Anfängliche Befristungen sind insoweit regelmäßig weniger problematisch als Kündigungsfristen, weil sich der Vertragspartner darauf einstellen und rechtzeitig die Initiative zur Verlängerung der Geschäftsbeziehung, gegebenenfalls durch Abschluss eines neuen Vertrages ergreifen kann. Praktisch große Bedeutung haben dagegen vertragliche Vereinbarungen, die für den Fall der Kündigung unzulässig kurze Kündigungsfristen vorsehen.79 Drittens sind Rechtsgeschäfte zu betrachten, durch deren Vornahme auf Initiative des Marktbeherrschers eine Vertragsbeendigung herbeigeführt wird. Hierzu zählen vor allem einseitige Rechtsgeschäfte wie Kündigungen, aber auch der Rücktritt oder die Anfechtung, sowie Aufhebungsverträge. Dabei ist zwischen der schuldrechtlichen und der kar-
75
Zum Bsp.: BGH, 07. 03. 1989, WuW/E BGH 2584 (2587 f.) „Lotterievertrieb“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; LG Hannover, 13. 05. 2009, WuW/DE-R 2735 (2737 f.) „Pressegrossovertrieb Stade“; BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (3447) „Grossistenkündigung“. 76 Zum Bsp.: §§ 314, 488 Abs. 3, 489, 490, 542, 543, 594a, 605, 620 ff., 649, 671, 675 BGB. 77 Siehe S. 382 f. und S. 389 f., sowie S. 400 ff. 78 Die schuldrechtliche (insbesondere auch die AGB Inhaltskontrolle) und die kartellrechtliche Prüfung überlagern sich insoweit. Die Grenzen im Rahmen der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle sind dabei – als Folge der auf Verwenderseite hinzutretenden Marktmacht – enger zu ziehen, vgl.: BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; BGH, 31. 01. 2012, WuW/DE-R 3549 (3554 ff.) „Werbeanzeigen“; OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/ DE-R 4097 (4098 f.) „Frankiermaschinen II“; BGH, 29. 07. 2014, WuW/DE-R 4807 (4813) „Vertragswerkstattnetz“. 79 Zum Bsp.: BGH, 10. 02. 1987, WuW/E BGH 2360 (2366 ff.) „Freundschaftswerbung“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; BGH, 17. 03. 1998, WuW/DE-R 134 (137) „Bahnhofsbuchhandel“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; OLG Celle, 29. 03. 2001, WuW/DE-R 864 (865 f.) „KFZ-Vertragshändler“; OLG Frankfurt a.M., 13. 05. 2008, WuW/DE-R 2444 (2446) „Sekundärhändler“.
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tellrechtlichen Zulässigkeit zu unterscheiden. Erstere vorausgesetzt,80 vermag das Kartellrecht die schuldrechtliche Wertung zu überlagern.81 Da wettbewerbsrechtlich unzulässige Kündigungen die größte praktische Bedeutung beim Abbruch von Vertragsbeziehungen haben, werden sie der folgenden Darstellung beispielhaft zugrunde gelegt. Die Ergebnisse der Untersuchung gelten für andere Beendigungstatbestände entsprechend. Die Rechtswidrigkeit einer Kündigung kann ihre Ursache darin haben, dass die ihrer Ausübung zugrundeliegende vertragliche Kündigungsklausel bereits wettbewerbswidrig ausgestaltet ist. Es ist aber auch der Fall zu betrachten, dass eine vertragliche Regelung über eine Kündigung zwar wirksam,82 die Kündigung als solche aber dennoch rechtswidrig ist. Bereits der Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu einem bestimmten Zeitpunkt kann wegen der überwiegenden Interessen des betroffenen Unternehmens einen Verstoß gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB darstellen. Er erfolgt wettbewerbsrechtlich gewissermaßen zur Unzeit.83 Des Weiteren ist vorstellbar, dass die Kündigung nach dem Willen des Marktbeherrschers sofort wirksam werden soll, aber nur unter Einhaltung einer angemessenen Frist wettbewerbsrechtlich zulässig ist.84 Schließlich ist denkbar, dass die vom Marktbeherrscher vorgesehene Kündigungsfrist nicht ausreicht, um einen Ausgleich zwischen den Interessen des Marktbeherrschers auf der einen und des Vertragspartners auf der anderen Seite herzustellen. Die Ursache dafür kann darin liegen, dass die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist zu kurz bemessen war oder sie sich wegen der Veränderung von Umständen nachträglich als zu kurz erweist. Zu prüfen ist dann, ob eine Anpassung der Kündigungsfrist auf einen kartellrechtlich angemessenen Zeitraum möglich ist. Mit diesen Fällen gleich zu behandeln sind solche, in denen die Zustimmung zur Vertragsauflösung erzwungen werden soll. Es stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit derartiger Aufhebungsverträge. 3. Verbot und Rechtsgeschäft Eine Vertragsklausel, welche das Recht zur ordentlichen Kündigung mit einer missbräuchlich kurzen Kündigungsfrist verbindet, würde dem Marktbeherrscher die Möglichkeit eröffnen, eine Geschäftsbeziehung zu einem Zeitpunkt zu beenden, der mit dem Verbot der sachlich ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung nicht vereinbar wäre. Die Vornahme der Kündigung hätte also eine legale schuldrechtliche 80 Die vertragsrechtliche Zulässigkeit ist notwendige Voraussetzung, ohne die sich kartellrechtliche Probleme gar nicht erst stellen: BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“. 81 Vgl. soeben Fn. 78 und 79; vgl. zur Frage der unzulässigen, weil nach Art. 86 EGV a. F. (Art. 102 AEUV) missbräuchlichen Berufung auf vertragliche Rechte durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, EuG, 17. 07. 1998, WuW/EU-R 154 (161 ff.) „ITT Promedia NV“. 82 Hier ist wiederum die kartellrechtliche Zulässigkeit gemeint. 83 Vgl. soeben Fn. 79. 84 OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/DE-R 4097 (4098 f.) „Frankiermaschinen II“.
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Basis in der vertraglichen Vereinbarung. Deshalb stellt diese Klausel ein im Sinne von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB verbotenes Rechtsgeschäft dar. Eine Kündigung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft, welches innerhalb des Privatrechts zur Auflösung vertraglicher Beziehungen dient. Stellt die Beendigung der Geschäftsbeziehung zu den vom marktbeherrschenden Unternehmen vorgesehenen Bedingungen missbräuchliches Verhalten dar und ist die Kündigung lediglich das rechtstechnische Instrument, um nicht nur die faktische, sondern auch die rechtliche Bindung zu lösen, so ist diese Kündigung im Sinne von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB verboten. Ebenso verboten sind Aufhebungsverträge, die durch wirtschaftlichen Druck des Marktbeherrschers durchgesetzt werden sollen. 4. Normzweckvorbehalt Gemäß der Auslegungsregel des § 134 2. Halbsatz BGB wären sowohl missbräuchliche Kündigungsklauseln als auch eine ausgesprochene, gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB verstoßende Kündigung nichtig. Es ist nun zu prüfen, ob dies dem Normzweck des Verbots der Geschäftsverweigerung entspricht. a) Kartellrechtlich unzulässige Kündigungsklauseln aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten Zu berücksichtigen ist das Interesse des Vertragspartners, welcher die Leistungen des Marktbeherrschers benötigt, um seinerseits wirtschaftlich erfolgreich tätig sein zu können. Dieses Interesse kann je nach Marktmacht und Abhängigkeit im Einzelfall, von dem Bestreben ein vollständiges Sortiments zu bieten, über die optimale Positionierung und Vermarktung bis hin zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz reichen.85 Zu beachten ist auch das öffentliche Interesse am Schutz der Freiheit des Wettbewerbs, nicht nur auf dem beherrschten, sondern auch auf nachgelagerten, abgeleiteten und sonstigen Drittmärkten, auf die sich die Wettbewerbsbeschränkung mittelbar auswirkt.86 Die Interessen von Wettbewerbern des Marktbeherrschers werden durch die Kündigung nicht negativ betroffen. Im Gegenteil erhalten sie die Chance selbst mit dem Gekündigten ins Geschäft zu kommen bzw. bestehende geschäftliche Aktivitäten zu verstärken. Ebenso profitieren die Konkurrenten des gekündigten Unternehmens von der Verschlechterung seiner Wettbewerbsposition. Grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind die Ziele des Marktbeherrschers, soweit sie durch missbräuchliches Verhalten durchgesetzt werden sollen. Jedoch kann nicht 85 86
Siehe S. 382 ff. Siehe S. 389 ff.
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außer Betracht bleiben, dass die grundsätzliche Möglichkeit zur Beendigung einer Geschäftsbeziehung erhalten bleiben muss. Anderenfalls würden Unternehmen im Einflussbereich des Marktbeherrschers einen dauerhaften Anspruch auf die Gewährung von Leistungen erwerben, der allenfalls durch Verlust der Marktmacht des Normadressaten erschüttert werden könnte. Auf die Leistungsfähigkeit und geschäftliche Attraktivität der Abnehmer, Lieferanten oder sonstigen Vertragspartner käme es allenfalls noch am Rande an. Die Wahlfreiheit des Marktbeherrschers würde nicht mehr nur durch das Recht begrenzt, sondern aufgehoben. Dadurch müsste es unweigerlich zu einer Erstarrung des Wettbewerbes kommen. Demgegenüber muss es im Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit, die auch dem Marktbeherrscher zusteht und dem Bestreben von Unternehmen im Einflussbereich des Marktbeherrschers andererseits zu einem angemessenen Interessenausgleich kommen.87 Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob eine Nichtigkeit einer vertraglichen Kündigungsklausel dieser Vorgabe gerecht werden kann. Alternativ bietet sich, da der Verstoß gegen Art. 102 S. 1 lit. b), S. 2 AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB aus einer zu kurzen Kündigungsfrist folgt, eine geltungserhaltende Extension, also eine Verlängerung der Kündigungsfrist an. bb) Wirksamkeit der Sanktion Die Nichtigkeit der Kündigungsklausel würde bewirken, dass dem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit genommen wäre, auf rechtsgeschäftlicher Grundlage den Vertrag zu kündigen. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehung könnte, gestützt auf diese Klausel nicht erfolgen. Diese Lösung würde also scheinbar dem Verbot der Geschäftsverweigerung Rechnung tragen. Allerdings ginge die Sanktion dann weiter als es zur (Wieder-)Herstellung eines wettbewerbsgemäßen Zustandes notwendig wäre. Danach ist nur die Vereinbarung einer angemessenen Kündigungsfrist gefordert.88 Eine geltungserhaltende Extension könnte an dieser Stelle weiterhelfen. Das vertragliche Recht zur Kündigung bliebe unberührt und die Frist würde dahingehend verlängert, dass sie mit den im Einzelfall zu konkretisierenden kartellrechtlichen Wertungen in Einklang stünde.89 Der Nachteil dieser Lösung besteht darin, dass dem Gedanken der Prävention kein Raum gegeben wird. Durch die Anpassung der Kündigungsfrist entfällt für den Marktbeherrscher die Motivation, diese von Anfang an richtig zu berechnen und das zulässige Maß zu beachten.90 Demgegenüber entfiele bei Nichtigkeit der Kündigungsklausel das vereinbarte Kündigungsrecht gänzlich. Allerdings wäre dann das dispositive Gesetzesrecht zu beachten. Eine Kündigung bliebe dennoch möglich, wenn das Gesetz 87
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 392 ff. 89 Zur geltungserhaltenden Extension siehe S. 118. 90 Zum Präventionsgedanken auch im Zusammenhang mit überlangen vertikalen Bindungen, siehe S. 337 ff. 88
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für den zugrundeliegenden Vertragstyp ein Kündigungsrecht vorsähe.91 Die Anwendung dispositiven Rechts steht unter dem Vorbehalt, dass nicht eine ergänzende Vertragsauslegung zu einem anderen Ergebnis führt.92 Dabei ist von folgendem auszugehen. Beide Parteien haben bei Vertragsschluss zum Ausdruck gebracht, dass sie ein Recht zur Vertragsauflösung vereinbaren wollten. Das Kartellrecht steht dem nicht entgegen.93 Fällt die Kündigungsmöglichkeit weg, ist der Vertrag insoweit unvollständig. Es entsteht eine Lücke. Sie mit dem, im dispositiven Gesetzesrecht vorgesehenen Kündigungsrecht zu füllen, entspricht dem beiderseitigen vernünftigen Willen, den die Parteien gebildet hätten, hätten sie von der Nichtigkeit und der damit verbundenen Lücke gewusst. Selbst wenn das dispositive Recht keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit vorsieht, ist doch davon auszugehen, dass die Parteien ein solche vereinbart hätten. Dabei bliebe das Problem der angemessenen Kündigungsfrist ungelöst. Vielfach steht eine gesetzliche Frist nicht zur Verfügung.94 Falls doch wird sie möglicherweise, da sie nicht mit Blick auf kartellrechtliche Wertungen erlassen wurde, nicht passen.95 Auch diese Lücke müsste dann durch eine ergänzende Vertragsauslegung gefüllt werden. Danach würde, um den Interessen beider Parteien gerecht zu werden, die Kündigungsfrist das von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB geforderte Maß annehmen. Aus diesen Überlegungen wird ersichtlich, dass die infolge einer Nichtigkeit vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung, der präventiven Wirkung der Sanktion keinen Raum lässt. Mit einer geltungserhaltenden Verlängerung der Kündigungsfrist auf die wettbewerbsrechtlich geforderte Dauer, würde das gleiche Ergebnis auf einfacherem Wege erreicht. cc) Interessen des Vertragspartners Aus Sicht des Vertragspartners entspricht die Nichtigkeit der Kündigungsklausel seinen Interessen scheinbar am besten. Unabhängig davon, dass bereits bei einer Anpassung der Kündigungsfrist die ungerechtfertigte Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Interessen entfiele, würde ihn die vollständige Nichtigkeit noch besser stellen. Könnte dann der Marktbeherrscher nicht mehr ordentlich kündigen, befände sich der Vertragspartner in einer komfortablen Position. Er hätte quasi ein ewiges Belieferungsrecht und könnte, weil sein Recht zur Kündigung unberührt bliebe, frei entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er den Vertrag beenden wollte. Allerdings haben die Darlegungen zur ergänzenden Vertragsauslegung und zur Anwendung des dispositiven Gesetzesrechts gezeigt, dass ein vollständiger Wegfall des ordentlichen Kündigungsrechts nicht in Betracht kommen kann.96 Bei der Ermittlung 91 92 93 94 95 96
Zum Bsp.: §§ 314, 488 Abs. 3, 489, 490, 542, 543, 594a, 605, 620 ff., 649, 671, 675 BGB. Busche, in: MüKo BGB, § 157 Rn. 45 f.; Roth, in: Staudinger BGB, § 157 Rn. 22. Siehe S. 389 f. und S. 392 ff. Zum Bsp.: §§ 314, 490, 543, 605, 625, 626, 649, 671, 675 BGB. Siehe S. 392 ff. Siehe S. 396 f.
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des Parteiwillens, den die Vertragspartner gebildet hätten, wäre ihnen die, hier infolge unterstelltem Wegfalls der Kündigungsklausel entstandene Lücke bewusst gewesen, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen.97 Da die Vereinbarung eines Kündigungsrechts üblich und kartellrechtlich zulässig ist, ist davon auszugehen, dass der Vertragspartner des Marktbeherrschers zumindest einer mit Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB zu vereinbarenden Kündigungsklausel zugestimmt hätte. Ein nachträglicher Sinneswandel ist insoweit bedeutungslos.98 Abgesehen davon würde ein nicht kündbarer Vertrag gewissermaßen ein Zufallsgeschenk darstellen, mit dem der Vertragspartner besser gestellt würde als es das dispositive Gesetzesrecht allgemein vorsieht.99 dd) Wettbewerbsfreiheit und Kündigung von Verträgen Die Unwirksamkeit der gesamten Kündigungsklausel könnte dazu führen, dass eine Vertragsbeendigung überhaupt ausgeschlossen würde. Dieses Ergebnis stünde insofern nicht im Einklang mit dem Zweck des Behinderungsverbotes als dieses lediglich einen angemessenen Freiraum für die wirtschaftliche Betätigung des schwächeren Vertragspartners sicherstellen soll. Es darf aber nicht dazu führen, dem marktbeherrschenden Unternehmen Sonderopfer aufzuerlegen, die dessen wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten strangulieren.100 Nun wurde bereits im Zusammenhang mit vertikalen Vertragsbindungen ausgeführt, dass eine Einschränkung der scharfen Sanktion der Nichtigkeit nicht in Betracht kommt, wenn dies lediglich den Interessen des Marktbeherrschers dient.101 Schließlich verstößt dieser gegen ein gesetzliches Verbot und ist deshalb nicht schutzwürdig. Deshalb ist beispielsweise bei vertikalen Vertragsbindungen keine geltungserhaltende Reduktion vorzunehmen.102 Im vorliegenden Fall stellt sich die Situation aber anders dar. Das Fehlen der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung würde ein Recht der Abnehmer zur Dauerversorgung oder der Lieferanten zur ständigen Lieferung begründen. Der Wettbewerb auf dem Markt würde erheblich eingeschränkt oder käme gar zum Erliegen.103 Wenn es nicht mehr möglich ist Geschäftsbeziehungen zu beenden, 97
Busche, in: MüKo BGB, § 157 Rn. 50; Roth, in: Staudinger BGB, § 157 BGB Rn. 37. Busche, in: MüKo BGB, § 157 Rn. 50; Roth, in: Staudinger BGB, § 157 Rn. 37. 99 Zum Bsp. Kündigungsrechte, die auch eingreifen, falls die Parteien hierzu nichts vereinbaren: §§ 314, 488 Abs. 3, 489, 490, 542, 543, 594a, 605, 620 ff., 649, 671, 675 BGB. 100 Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 75; siehe auch S. 50 ff., 389 f. und S. 392 ff. 101 Siehe S. 337 ff. 102 Siehe S. 337 ff. 103 Zum Bsp.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; EuGH, 16. 09. 2008, WuW/EU-R 1463 (1470) „Sot. Lelos/Glaxo Smith Kline“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; BGH, 10. 11. 1998, WuW/DE-R 220 (221) „U-Bahn Buchhandlungen“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; OLG Celle, 29. 11. 2001, WuW/DE-R 824 (825 f.) „Schülertransport“ und BGH, 98
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erhalten diejenigen Marktteilnehmer, die bereits Verträge mit dem Marktbeherrscher geschlossen haben, quasi Bestandsschutz. Dementsprechend wird auch eine Umstellung der Geschäftspolitik des Marktbeherrschers unmöglich, was zur Folge hätte, dass die Eingehung neuer Geschäftsbeziehungen nicht mehr in Betracht kommt. Der Markteintritt für Newcomer, die als Konkurrenten der bisher vom Marktbeherrscher versorgten Unternehmen auftreten wollen, wäre kaum mehr möglich. Es geht also nicht nur um die Interessen des Marktbeherrschers, sondern auch darum, die Freiheit des Wettbewerbs zu schützen. In diesem speziellen Fall ist sie nicht nur durch eine zu wenig effektive Durchsetzung des Verbots gefährdet, sondern auch durch eine unangemessen scharfe Sanktion. Diese Situation hat auch die Rechtsprechung dazu bewogen, lediglich eine Anpassung der Kündigungsfrist vorzunehmen.104 Insbesondere sollte eine einseitige und übermäßige Bevorzugung des Vertragspartners vermieden werden. Dieses Argument überzeugt insoweit als das Behinderungsverbot nur dazu dient, missbräuchliche Wettbewerbsbeschränkungen zu beseitigen. Der Rechtsschutz darf aber nicht in die Verschaffung nicht leistungsgerechter Vorteile umschlagen, die ihrerseits die Wettbewerbsfreiheit gefährden. Im Übrigen vermag, wie gezeigt,105 auch die Nichtigkeit von Kündigungsklauseln keine umfassend präventive Wirkung zu entfalten. ee) Schlussfolgerung Die Sanktion der Nichtigkeit von vertraglichen Kündigungsklauseln trägt nicht effektiv zur Durchsetzung des Verbots des sachlich nicht gerechtfertigten Abbruchs von Geschäftsbeziehungen seitens marktbeherrschender Unternehmen bei. Die Möglichkeit, den Vertrag durch ordentliche Kündigung zu beenden, bleibt infolge ergänzender Vertragsauslegung und der Anwendung dispositiven Gesetzesrechts regelmäßig erhalten. Ein völliger Ausschluss der ordentlichen Kündigung ist auch aus Sicht des Wettbewerbsschutzes nicht wünschenswert. Zum Schutz der Vertragspartner ist er nicht nötig. Eine geltungserhaltende Extension, d. h. eine Anpassung einer zu kurzen Kündigungsfrist an wettbewerbsrechtliche Erfordernisse, vermag das Problem befriedigend zu lösen. Das bedeutet, die Kündigungsklausel kommt von vornherein mit der Mindestfrist zustande, die notwendig ist, damit der Vorwurf eines Marktmachtmissbrauches entfällt. Die dadurch erreichte Verlängerung der Kündigungsfrist gibt dem schwächeren Vertragspartner ausreichend Gelegenheit, seine wirtschaftlichen Verhältnisse an die neue Situation anzupassen. 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 ff.) „Schülertransport“; BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (3451 f.) „Grossistenkündigung“. 104 Zum Bsp.: BGH, 10. 02. 1987, WuW/E BGH 2360 (2366 ff.) „Freundschaftswerbung“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; KG, 22. 01. 1997, WuW/E OLG 5875 (5878) „U-Bahn-Buchhandlungen“ und BGH, 17. 03. 1998, WuW/DE-R 134 (137) „Bahnhofsbuchhandel“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; OLG Celle, 29. 03. 2001, WuW/DE-R 864 (865 f.) „KFZ-Vertragshändler“; OLG Düsseldorf, 23. 10. 2013, WuW/DE-R 4097 (4098 f.) „Frankiermaschinen II“. 105 Siehe S. 396 f.
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Diese Lösung entspricht vollständig dem Gesetzeszweck. Einerseits ist die Beendigung der Vertragsbeziehung möglich und andererseits wird der schwächere Vertragspartner ausreichend geschützt. Dogmatisch findet diese Lösung ihre Rechtfertigung darin, dass die Vertragsklausel in das Recht zur Kündigung als solches und in die Festlegung einer Kündigungsfrist geteilt werden kann. Das Kündigungsrecht als solches stellt niemals einen Verstoß gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB dar.106 Lediglich die Kündigungsfrist verstößt gegen das Verbot und ist deshalb auf Grundlage von § 134 2. Halbsatz BGB anzupassen.107 § 139 BGB findet keine Anwendung. b) Kündigung als einzelnes Rechtsgeschäft Die Interessenlage bei Ausspruch der Kündigung ist identisch mit derjenigen, die gerade eben im Zusammenhang mit missbräuchlichen Kündigungsklauseln geschildert wurde. Im Ausgangspunkt ist danach zu differenzieren, ob die Kündigungsfrist zu kurz bemessen ist oder ob schon die Kündigung als solche unzulässig ist. aa) Unangemessen kurze Kündigungsfrist Auch hier stellt sich die Frage, ob das Rechtsgeschäft nichtig oder im Wege einer geltungserhaltenden Extension108 aufrecht zu erhalten ist. Es besteht im Vergleich zur Beurteilung von Kündigungsklauseln in Verträgen der gewichtige Unterschied, dass eine Nichtigkeit die Lösung vom Vertrag keinesfalls unmöglich machen würde. Schließlich kann eine Kündigung jederzeit erneut vorgenommen werden. Der Gedanke der Prävention spräche dafür, von einer völligen Nichtigkeit auszugehen. Dadurch würde das marktbeherrschende Unternehmen angehalten, von vornherein die rechtmäßige Frist zu beachten.109 Andererseits wird dadurch das Problem nicht gelöst, dass einzelne Vertragspartner Zufallsgeschenke von erheblichem Ausmaß erhalten würden. Beispielsweise kann eine angemessene Frist im Einzelfall zwei Jahre betragen.110 Wollte der Kündigende nur ein Jahr gewähren und wartete der Gekündigte dieses Jahr ab, um sich anschließend auf die Nichtigkeit zu berufen, müsste der Marktbeherrscher die Kündigung erneut aussprechen. Im Ergebnis betrüge die Frist drei Jahre. Nun könnte man argumentieren, dies gehe zu Lasten des Unternehmens, welches sich rechtswidrig verhalten habe. Allerdings würde dabei zu wenig beachtet, dass eine unangemessen kurze Kündigungsfrist ihre Ursache re-
106 107 108 109 110
Siehe S. 395 f. Zur geltungserhaltenden Extension siehe S. 118. Siehe S. 118; für Nichtigkeit Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226. Siehe S. 396 f. Siehe S. 392 ff.
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gelmäßig in einer vermeintlich wirksamen Vertragsbestimmung hat.111 In jedem Fall wird der Kündigende bestrebt sein, sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung zu halten, anderenfalls die Kündigung ohnehin rechtswidrig und unbeachtlich wäre.112 Entsprechend den vorherigen Ausführungen zu Vertragsklauseln, die Kündigungsrechte regeln, kommt es bei einer zu kurzen vertraglichen oder gesetzlichen Frist zu einer Anpassung im Wege der geltungserhaltenden Extension. Der Vertrag hat dann bereits mit Abschluss einen kartellrechtlich zulässigen Inhalt.113 Wird also eine unangemessen kurze Kündigungsfrist zugrunde gelegt, besteht beim Kündigenden regelmäßig nur eine Fehlvorstellung vom tatsächlichen Inhalt des Vertrages. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich eine Partei nicht bewusst vertragswidrig verhält. Dementsprechend ist es nicht unzulässig, die Kündigung als zum vertraglich nächstmöglichen Zeitpunkt gewollt zu verstehen. Durch eine Anpassung der Frist wird ein Gleichlauf zwischen Vertrag und Kündigung erreicht. Und selbst in Fällen, in denen der Marktbeherrscher im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit eine zu kurze vertragliche Kündigungsfrist durchsetzt, wird der Vertragspartner bereits durch die Fristverlängerung hinreichend geschützt. Es kommt hinzu, dass das Recht zur Kündigung als solches auch aus kartellrechtlicher Sicht nicht zu bestreiten ist.114 bb) Unzulässige Kündigung Die Rechtswidrigkeit einer Kündigung als solcher resultiert entweder aus einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot oder daraus, dass zum Zeitpunkt des Ausspruchs eine Anpassung der Übergangsfrist nicht möglich ist.115 Im ersten Fall ist die Kündigung nichtig.116 Sie kann aber jederzeit wiederholt werden. Sie muss dann 111
Siehe S. 394 f. Denn grundsätzlich bedarf eine Änderung der vertraglichen Beziehungen, wozu auch deren Beendigung gehört, des Konsenses der beteiligten Parteien. Einseitige vertragsgestaltende Willenserklärungen sind nur möglich, soweit es eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage gibt. Fehlt es daran, geht eine dennoch ausgesprochene Erklärung ins Leere. Ein solches Verhalten vermag als Verletzung der Leistungstreuepflicht gegebenenfalls Schadenersatzansprüche nach §§ 280, 241 Abs. 2 BGB auszulösen; vgl. zur Bindungswirkung von Verträgen, Bork, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 145 – 156 Rn. 36, 43. 113 Siehe S. 395 ff. 114 Siehe S. 396 f. 115 Das sind Fälle, in denen, wenn nicht bereits eine Vertragsbeziehung bestünde, die Voraussetzungen eines Kontrahierungszwanges erfüllt wären; zum Kontrahierungszwang siehe S. 406 ff. 116 Siehe im Einzelnen die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot, S. 439 ff.; vgl. zur Rspr.: OLG Hamburg, 19. 12. 1985, WuW/E OLG 3795 (3796) „Freundschaftsabonnement“; OLG Celle, 29. 11. 2001, WuW/DE-R 824 (825) „Schülertransport“ und WuW/E BGH 1144 (1145 f.) „Schülertransporte“; LG Hannover, 13. 05. 2009, WuW/ DE-R 2735 (2737 f.) „Pressegrossovertrieb Stade“; a. A. Berufung auf Kündigung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig, weil infolge des Kontrahierungszwanges die Leistung sofort wieder gewährt werden muss, vgl. Emde, NZKart 2013, S. 355 (360). 112
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selbstverständlich diskriminierungsfrei sein. Es muss aber gelten, dass die Art und Weise der Herstellung einer Gleichbehandlung oder sachlich notwendigen Ungleichbehandlung dem Marktbeherrscher obliegt.117 Das Gericht darf sich nicht an dessen Stelle setzen, weil anderenfalls die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ohne sachliche Notwendigkeit beschnitten würde. Die zweite Konstellation ist auf Ausnahmefälle zu beschränken. Vorrang muss im Interesse der Wettbewerbsfreiheit die Anpassung der Kündigungsfrist haben.118 Es mag jedoch vorkommen, dass eine Veränderung der Wettbewerbssituation auf einem Markt über längere Zeiträume nicht zu erwarten und deshalb dem Vertragspartner eine Anpassung seiner wirtschaftlichen Betätigung an eine für ihn veränderte Situation nicht zumutbar möglich ist. Hierbei ist von einem Prognosespielraum von zwei Jahren auszugehen.119 Ist innerhalb dieser Zeit eine wesentliche Änderung der Interessenlage nicht prognostizierbar, muss eine Kündigung unterbleiben. Kündigungsfristen von über zwei Jahren wären auch für den Marktbeherrscher sinnlos, weil er dadurch keine substantielle wirtschaftliche Handlungsfreiheit zurückgewänne. Sobald sich eine veränderte Interessenlage ergibt, kann eine Kündigung erneut vorgenommen werden. Insoweit ist zu beachten, dass die vertragliche Zulässigkeit einer Kündigung und die Zulässigkeit einer Kündigung als Rechtsgeschäft zu einem bestimmten Zeitpunkt kartellrechtlich unterschiedlich beurteilt werden können.120 Eine eventuelle Nichtigkeit der Kündigung ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der vertraglichen Regelung, die gegebenenfalls durch geltungserhaltende Extension herzustellen ist.121 Der Vertrag kann also als Grundlage einer neuen Kündigung dienen. Eine Kündigung jedoch, die nicht durch Anpassung der Kündigungsfrist kartellrechtlich zulässig aufrechterhalten werden kann, ist nichtig. c) Ergebnis Die Vereinbarung des Rechts zur ordentlichen Kündigung von Verträgen kann als solches nicht gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung verstoßen, da die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit marktbeherrschender Unternehmen zwar im Interesse des Wettbewerbsschutzes eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen werden darf. Ist dagegen die Kündigungsfrist unangemessen kurz, weil sie dem abhängigen Vertragspartner für den Fall der Kündigung 117
Siehe auch S. 439 ff. und S. 458 ff. Siehe S. 399 ff. 119 Zur Angemessenheit von Kündigungsfristen, vgl.: BGH, 10. 02. 1987, WuW/E BGH 2360 (2366 ff.) „Freundschaftswerbung“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; KG, 22. 01. 1997, WuW/E OLG 5875 (5878) „U-Bahn-Buchhandlungen“ und BGH, 17. 03. 1998, WuW/DE-R 134 (137) „Bahnhofsbuchhandel“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; OLG Celle, 29. 03. 2001, WuW/DE-R 864 (865 f.) „KFZ-Vertragshändler“; BGH, 29. 07. 2014, WuW/DE-R 4807 (4813) „Vertragswerkstattnetz“. 120 BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 f.) „Schülertransporte“. 121 BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 f.) „Schülertransporte“; siehe auch S. 399 f. 118
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keine angemessene Zeit zur Anpassung an die veränderte wirtschaftliche Situation und zur Umstellung seiner geschäftlichen Tätigkeit gewährt, so ist diese Abrede i. S. v. § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB verboten. Die Nichtigkeit der Kündigungsklausel würde jedoch dem Normzweck des Missbrauchsverbotes nicht gerecht. Vielmehr ist im Wege der geltungserhaltenden Extension die Kündigungsfrist auf einen, den Erfordernissen des Verbots der ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung entsprechenden Zeitraum zu verlängern. Eine ausgesprochene Kündigung wird, auch wenn die Kündigungsfrist zu kurz bemessen ist, sofort wirksam. Die Kündigungsfrist verlängert sich aber durch eine geltungserhaltende Anpassung auf den Zeitraum, der erforderlich ist, um einen Verstoß gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB auszuschließen. Der Vertrag endet erst nach Ablauf einer angemessenen Umstellungsfrist. Ist im Ausnahmefall eine Anpassung der Kündigungsfrist nicht möglich, tritt ausnahmsweise von Beginn an die Nichtigkeit der Kündigung ein.
IV. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Betroffenheit aktueller oder potentieller Geschäftspartner Die Sachverhalte, bei denen es um missbräuchliche Geschäftsverweigerungen i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB geht, weisen eine große Vielfalt auf.122 Dementsprechend bilden die für eine Einbeziehung in den Kreis der Betroffenen nach § 33 Abs. 1 GWB in Betracht kommenden Unternehmen keine homogene Gruppe. Eine Beeinträchtigung i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB kann sich auf Abnehmer oder Lieferanten innerhalb von Vertriebssystemen, Konkurrenten und weitere Unternehmen erstrecken, die ohne in einer dauerhaften Lieferbeziehung oder einem Wettbewerbsverhältnis zum marktmächtigen Unternehmen zu stehen, dessen Leistungen nachfragen. Unter Konkurrenten sind solche Unternehmen zu verstehen, die als Abnehmer eines vertikal integrierten Marktbeherrschers Leistungen beziehen bzw. beziehen wollen, um mit Hilfe dieser Leistungen als Wettbewerber auf einem abgeleiteten Markt auftreten zu können.123 Weitere Unternehmen sind solche, welche die Leistungen eines Marktbeherrschers in der Absicht der Förderung ihrer eigenen Unternehmung in Anspruch nehmen wollen.124 Maßgeblich für die Abgrenzung der Gruppe der Betroffenen ist im Fall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung die Eigenschaft als aktueller oder potentieller Geschäftspartner. Das sind solche Unternehmen, die von einem Abbruch einer Vertragsbeziehung bedroht sind oder einen Vertragsschluss erstmalig oder wiederholt anstreben.125 Entscheidend ist dabei, dass diese Unter122 123 124 125
Zur Übersicht siehe S. 382 ff. Siehe S. 383 f. Siehe S. 384 ff. Zur Übersicht siehe S. 382 ff.
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nehmen dem Marktbeherrscher unmittelbar gegenübertreten.126 Denn so unterschiedlich die Umstände und Motivationen der Beteiligten in den einzelnen Fällen sein mögen, besteht doch der Missbrauch immer darin, dass ein Unternehmen im Einflussbereich des Marktmächtigen eine benötigte wirtschaftliche Leistung deshalb nicht erhält oder absetzt, weil der Marktmächtige genau diesem Unternehmen gegenüber den Vertragsschluss verweigert. 2. Angehörige nachfolgender Marktstufen oder abgeleiteter Märkte Unternehmen, welche als aktuelle oder potentielle Geschäftspartner eines von einer Geschäftsverweigerung unmittelbar betroffenen Unternehmens auf einem nachgelagerten, abgeleiteten oder sonstigen Drittmarkt auftreten oder auftreten wollen, werden ihrerseits in ihren wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Entweder erhalten sie wegen der Nichtbelieferung eines Wiederverkäufers keinen oder nur einen erschwerten Zugang zu den Produkten des Marktbeherrschers. Oder das von der Geschäftsverweigerung betroffene Unternehmen kann seinerseits keine Leistungen auf einem Drittmarkt anbieten, wodurch entweder ein Angebot insgesamt unterbleibt oder nur unter erschwerten Bedingungen substituiert werden kann. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn ein vertikal integriertes Unternehmen auf einem vom beherrschten Markt abgeleiteten Markt seine Produkte oder Dienstleitungen zu ungünstigeren Bedingungen abgibt, als es ein Wettbewerber tun könnte, der aber wegen der Geschäftsverweigerung am Markteintritt gehindert wird. Indem der Gesetzeszweck der Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB auf den umfassenden Schutz der Wettbewerbsfreiheit auf allen von der Marktbeherrschung beeinflussten Märkten abzielt, dient das Verbot der sachlich ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung auch den Interessen dieser Unternehmen.127 Fraglich ist jedoch, ob sie insoweit als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 S. 1 GWB anzusehen sind oder sich der Schutz ihrer Interessen nur als Reflex des Schutzes der Wettbewerbsfreiheit im Allgemeinen darstellt. Dieses Problem weist insoweit eine Ähnlichkeit zum bereits diskutierten Problem der Reichweite des Schutzbereichs bei Vertriebsbindungen auf, als in beiden Fällen eine mittelbare Behinderung vorliegt.128 § 33 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB schließt, indem er lediglich die Beeinträchtigung eines sonstigen Marktbeteiligten durch einen Gesetzesverstoß fordert, von seinem Wortlaut her diese dritten Unternehmen in den Kreis der Anspruchsberechtigten ein.129 Insbesondere ist auch die nur mittelbare Betroffenheit keine Rechtfertigung für eine Versagung des Rechts126
Zum Begriff Unmittelbarkeit, siehe S. 127 ff.; vgl. dazu auch Meessen, S. 332; Baur, EuR 1988, S. 257 (262, 264) zur Rechtslage nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art 101 Abs. 1 AEUV). 127 Vgl. auch Hübschle, WuW 1998, S. 146 (150 f.). 128 Siehe S. 359 ff. 129 Siehe S. 127 ff.
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schutzes.130 Allerdings wirft eine derartig weite Fassung der Gruppe der Betroffenen Probleme auf.131 Würden Unternehmen auf nachgelagerten, abgeleiteten oder sonstigen Drittmärkten einen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch geltend machen, dann würde dieser nicht auf einen Vertragsschluss mit dem marktbeherrschenden Unternehmen abzielen. Vielmehr wären sie bestrebt eine Leistungsgewährung an das unmittelbar ausgeschlossene Unternehmen zu erreichen, um in der Folge mit diesem in Geschäftsbeziehung treten zu können. Da aber die Beendigung der Leistungsverweigerung nur durch Leistungsgewährung geschehen kann, würde das dritte Unternehmen dem zwischengeschalteten Handelspartner einen Vertragsschluss aufdrängen. Das ist mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit unvereinbar. Die Entscheidung, sich gegen die Verweigerung zu wehren und einen Vertragsschluss zu erzwingen, muss das unmittelbar von der Leistungsverweigerung betroffene Unternehmen selbst treffen. Hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zum Fall der Vertriebsbindung, bei dem das dritte, auf dem nachgelagerten Markt tätige Unternehmen als Betroffener i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB einzuordnen ist. In jenen Fällen wird der Zwischenhändler beliefert und wirkt durch Leistungsverweigerung gegenüber dem Dritten am Wettbewerbsverstoß mit.132 Immerhin können dritte Unternehmen an einem Schadensersatzanspruch interessiert sein. Allerdings schließt auch dieser im Wege der Naturalrestitution eine Beendigung des missbräuchlichen Verhaltens und damit eine Lieferpflicht ein. Im Übrigen wird dem dritten Unternehmen lediglich die Möglichkeit genommen, bei einem bestimmten Anbieter zu beziehen. Damit möglicherweise verbundene Mehrbelastungen resultieren aus der verringerten Angebotsvielfalt. Jedoch besteht kein allgemeiner Anspruch auf Wettbewerb und Auswahlfreiheit.133 Selbst wenn das marktmächtige Unternehmen eine generelle Marktsperre errichtet und damit die Erbringung bestimmter Leistungen auf einem Drittmarkt überhaupt verhindert, so gilt auch insoweit, dass es keinen individuellen Anspruch auf Entstehung von Wettbewerb und auch keinen Anspruch auf die Erbringung bestimmter Leistungen gibt. Insoweit besteht lediglich ein öffentliches Interesse, Wettbewerb und die mit ihm verbundenen positiven ökonomischen Wirkungen zu fördern.134 Es ist zu beachten, dass der Wiederverkäufer oder das sonst zwischengeschaltete Unternehmen frei ist, mit dem Dritten in Geschäftsbeziehung zu treten. Aus der Leistungsverweigerung gegenüber dem Zwischenhändler folgt noch nicht, dass dieser Zwischenhändler im Fall der Belieferung an bestimmte Dritte leisten würde. Allenfalls wird er allgemein eine Tätigkeit auf dem Drittmarkt anstreben. Deshalb dürfte gewöhnlich auch der Nachweis einer Kausalität scheitern. Soweit ein Zwischenhändler eine Leistung an einen Dritten versprochen hat, noch bevor er sie selbst vom Marktmächtigen erhalten hat und er sodann wegen einer Leistungsverweigerung nicht liefern kann, haftet er 130 131 132 133 134
Siehe S. 128 ff. Siehe S. 128 ff. Siehe dazu S. 361 ff. Siehe S. 50 ff. Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff.
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aus Vertrag für die Nichterfüllung. Er trägt nach § 276 Abs. 1 BGB das Beschaffungsrisiko.135 Wird er insoweit auf Schadensersatz nach §§ 281 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen, kann er diesen Schaden beim Marktbeherrscher nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB liquidieren.136 Das zeigt auch, dass für eine Inanspruchnahme des Marktbeherrschers auf Schadensersatz durch ein drittes Unternehmen kein Bedürfnis besteht. In den Schaden, den er dem von der Verweigerung unmittelbar betroffenen Unternehmen zu ersetzen hat, ist der Schadensersatz eingeschlossen, den dieses Unternehmen Dritten aus vertraglicher Haftung schuldet. Es ist daher festzustellen, dass Marktteilnehmer, die auf nachgelagerten oder sonst abgeleiteten Märkten tätig sind und von der unmittelbaren Geschäftsverweigerung gegenüber einem dritten Unternehmens nur nachrangig betroffen werden, keinen Rechtsschutz aufgrund von § 33 Abs. 1 und 3 GWB gegenüber dem missbräuchlich handelnden Normadressaten eines der Verbote nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB erlangen können.137 3. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch Bei Geschäftsverweigerungen stellen sich drei wesentliche Fragen im Hinblick auf den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Zunächst ist zu prüfen, ob der Gläubiger den Schuldner zum Vertragsschluss verpflichten kann. Sodann ist zu klären, zu welchen Bedingungen die Leistung zu erfolgen hat. Dabei geht es um die Frage, ob das marktbeherrschende Unternehmen die vom Anspruchsteller genannten Bedingungen akzeptieren muss oder ob sie im Wege von Verhandlungen zu bestimmen sind. Und drittens geht es um das Problem der Durchsetzung des Anspruchs. a) Kontrahierungszwang als Grundlage Das marktbeherrschende Unternehmen verhält sich missbräuchlich, indem es dem interessierten Unternehmen den Zugang zu benötigten Leistungen verwehrt. Die Beendigung des missbräuchlichen Verhaltens kann daher nur durch Aufgabe dieser Verweigerungshaltung erreicht werden. Das bedeutet, dass das marktbeherrschende Unternehmen, um sich rechtmäßig zu verhalten, dem interessierten Unternehmen die nachgefragte Leistung zugänglich machen muss. Die Umsetzung dieses Erfordernisses kann nur durch Abschluss eines Vertrages erfolgen, welcher die gegenseitigen Leistungs- und Nebenpflichten regelt.138 Im Ergebnis sieht sich das marktbeherr135
Grundmann, in: MüKo BGB, § 276 Rn. 177 ff.; Caspers, in: Staudinger BGB, § 276 Rn. 151 ff. 136 Zum Schadenersatz siehe S. 422 ff. 137 Vgl. auch Görner, S. 198 f. 138 Siehe im Einzelnen S. 413 ff. und im Zusammenhang mit dem Zugang zu Infrastruktureinrichtungen, siehe S. 540 ff.
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schende Unternehmen einem Kontrahierungszwang ausgesetzt.139 Der BGH hatte einen auf §§ 26 Abs. 2, 35 GWB a. F. (nunmehr §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 33 Abs. 1, 3 GWB) bzw. Art. 82 Sätze 1 und 2 lit. b) EG a. F. (bzw. Art. 86 EGV a. F.; nunmehr Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB140 gestützten und mit einer Privatklage geltend gemachten Anspruch auf Vertragsschluss längere Zeit als Naturalrestitution im Rahmen eines Schadensersatzanspruches nach § 249 BGB eingeordnet.141 Demgegenüber haben verschiedene Oberlandesgerichte seit längerem den Kontrahierungszwang aus einem verschuldensunabhängigen Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Geschäftsverweigerung hergeleitet.142 Schließlich hatte der BGH in anderen Entscheidungen einen, dem Unterlassungsanspruch wesensverwandten, verschuldensabhängigen Beseitigungsanspruch zugrunde gelegt.143 Zwischenzeitlich geht auch der BGH davon aus, dass ein Kontrahierungszwang über einen Unterlassungsanspruch begründet werden kann.144 Insoweit ist die am Gericht gelegentlich geübte Kritik an der Begründung als Naturalrestitution
139 Meessen, S. 406 f.; Baur, EuR 1988, S. 257 (268); Traugott, WuW 1997, S. 486 (487); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (189 ff.); zum Kontrahierungszwang als Rechtsinstitut Busche, S. 301 f. 140 Vor der 7. GWB Novelle war bei Verstoß gegen Art. 85 EGV a. F. (später Art. 82 EG) § 823 Abs. 2 BGB anzuwenden, siehe S. 127 f. 141 Zum Bsp.: BGH, 26. 10. 1961, WuW/E BGH 442 (448 ff.) „Gummistrümpfe“; BGH, 20. 11. 1975, WuW/E BGH 1391 (1394 f.) „Rossignol“; BGH, 07. 10. 1980, WuW/E BGH 1783 (1784 ff.) „Neue Osnabrücker Zeitung“; BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2342) „Taxizentrale Essen“; BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; BGH, 12. 05. 1998, WuW DE-R 206 (209) „Depotkosmetik“; OLG Düsseldorf, 29. 10. 2003, WuW/DE-R 1480 (1481) „R-Uhren“. 142 Zum Bsp.: OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 f.) „Dentalmesse“; OLG München, 17. 09. 1998, WuW/DE-R 251 (252 ff.) „Fahrzeugdaten“; OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314 ff.) „Hörfunkwerbung“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/ DE-R 847 (851 ff.) „Linzer Gaslieferant“; OLG Stuttgart, 16. 06. 2003, WuW/DE-R 1191 (1192) „Telefonbuch-Inserate“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2194) „Reisestellenkarte“; OLG Karlsruhe, 14. 11. 2007, WuW/DE-R 2213 (2214) „BGB-Kommentar“; OLG Frankfurt a.M., 29. 04. 2008, WuW/DE-R 2353 (2353, 2356) „vw.de“; OLG Düsseldorf, 10. 03. 2010, WuW/DE-R 2897 (2901) „Infodental Düsseldorf“; OLG München, 17. 06. 2010, WuW/DE-R 2977 (2986 ff.) „VISA-Bargeldabhebung“; OLG München, 17. 09. 2015, WuW/DE-R 4910 (4916 f.) „Markenkoffer“. 143 BGH, 06. 10. 1992, WuW/E BGH 2805 (2806 f., 2811) „Stromeinspeisung“; BGH, 04. 04. 1995, WuW/E BGH 2999 (2300) „Einspeisungsvergütung“; BGH, 02. 07. 1996, WuW/E BGH 3074 (3076 f.) „Kraft-Wärme Kopplung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3079 (3082 ff.) „Stromeinspeisung“; BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3101) „Stromveredelung“; BGH, 08. 12. 1998, WuW/DE-R 248 (248 f.) „Kraft-Wärme Kopplung II“; BGH, 13. 07. 2004, WuW/DE-R 1377 (1378) „Sparberaterin“. 144 BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2614 f.) „Orange-Book-Standard“. Die Pflicht zur Aufnahme in einen Wirtschaftsverband hatte der BGH bereits frühzeitig auf einen verschuldensunabhängigen, quasinegatorischen Unterlassungsanspruch gestützt: BGH, 25. 02. 1959, WuW/E BGH 288 (291 f.) „Grosshändlerverband II“; vgl. aus jüngerer Zeit OLG Karlsruhe, 10. 12. 2008, WuW/DE-R 2606 (2608) „Hundezuchtverband“.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
überholt.145 Richtigerweise kommt zur Begründung eines Kontrahierungszwanges sowohl ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch als auch ein Schadensersatzanspruch in Betracht.146 Ließe man lediglich Schadensersatz über § 249 BGB zu, so würde das zu einer durchgehenden Verschuldensabhängigkeit des Anspruchs auf Zugang zu benötigten Leistungen führen. Der Rechtsschutz wäre dadurch im Vergleich zu Beseitigung und Unterlassung erhöhten Anforderungen unterworfen. Die effektive Durchsetzung des Missbrauchsverbotes würde unnötig erschwert. Das Ziel, sowohl von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUVals auch §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 GWB ist der objektive Schutz des freien Leistungswettbewerbes und der Handlungsfreiheit von Marktteilnehmern im Einflussbereich marktbeherrschender Unternehmen. Missbräuchliche Verhaltensweisen sollen unabhängig von schuldhaftem Handeln unterbunden werden können.147 Das Schulderfordernis besteht nur für die weitergehenden Sanktionen Schadensersatz nach § 33 Abs. 3 S. 1 GWB148 und Verhängung eines Bußgeldes nach Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 bzw. § 81 Abs. 1, 2 GWB. Die Kartellbehörden verfügen gemäß Art. 7 Abs. 1 VO 1/2003 bzw. § 32 Abs. 1 und 2 GWB über die Möglichkeit mit einer Untersagungsverfügung gegen missbräuchliche Geschäftsverweigerungen vorzugehen. Voraussetzung dafür ist lediglich die Verwirklichung des Tatbestandes des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV oder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, wozu eine subjektive Vorwerfbarkeit nicht gehört. Die Folge ist ein Kontrahierungszwang durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt.149 Durch einen verschuldensunabhängigen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch kann der direkt Betroffene unter gleichen Voraussetzungen gegen eine sachlich nicht gerechtfertigte Geschäftsverweigerung vorgehen. Dadurch werden Lücken im Rechtsschutz vermieden, die entstehen könnten, wenn die Kartellbehörden ein Einschreiten im öffentlichen Interesse als nicht geboten erachten und zugleich ein schuldhaftes Handeln des Normadressaten 145 Busche, S. 396 ff.; Mailänder, in: FS Schmidt, S. 271 (272); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1373 f.). 146 Görner, S. 192; Meessen, S. 406 f.; Taube, S. 57; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (52 f.); Schmidt, K., AcP 206 (2006), S. 169 (191 f.); Emde, NZKart 2013, S. 355 (356). 147 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 148 Siehe S. 154 ff. 149 Auf europäischer Ebene ist die Abschlusspflicht Teil einer privatrechtsgestaltenden Anordnung der Kommission, die Verschulden nicht voraussetzt; z. B.: Kommission, 21. 12. 1988, WuW/EV 1447 (1451) „Magill TV Guide“ und EuGH, 06. 04. 1995, Slg. 1995 I, S. 743 (744 f., 822 ff.) „RTE und ITP“; Kommission, 24. 03. 2004, WuW/EU-V 931 (944 f.) „Microsoft“ und EuG, 22. 12. 2004, WuW/EU-R 863 (864 ff.) „Microsoft“; EuGH, 29. 04. 2004, WuW/EU-R 804 (806 ff.) „IMS Health/NDC Health“; zum deutschen Recht: BKartA, 14. 08. 1992, WuW/E BKartA 2543 (2551) „Importarzneimittelboykott“, bestätigt durch BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2990 (2995 ff.) „Importarzneimittel“, vgl. dazu auch BVerfG, 09. 10. 2000, WuW/DE-R 557 (558 ff.) „Importarzneimittel-Boykott“; BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (572 ff.) „Puttgarden II“, zuvor BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (255 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 10. 06. 2010, WuW/DE-R 2941 (2942) „Fährhafen Puttgarden II“, BKartA, 27. 01. 2010, zuvor WuW/DE-V 1879 (1891) „Scandlines“.
E. Geschäftsverweigerung
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nicht nachweisbar ist.150 Solange das marktbeherrschende Unternehmen eine Leistung ohne sachlichen Grund verweigert, dauert die Störung der wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Unternehmens an. Die Störung ist also bis zu dem Zeitpunkt, indem sie durch Leistungsgewährung beendet wird, gegenwärtig. Deshalb ist insoweit der Beseitigungsanspruch der richtige Rechtsbehelf.151 Er führt dann zum Vertragsschluss.152 Demgegenüber ist der Unterlassungsanspruch zukunftsgerichtet. Er soll einer Wiederholung des missbräuchlichen Verhaltens entgegenwirken. Er dient aber nicht dazu, gegenwärtige Störungen zu beenden und kann insoweit nicht zu einem Vertragsschluss führen.153 Ist über einen Beseitigungsanspruch der Kontrahierungszwang durchgesetzt und ein Vertrag geschlossen worden, verfügt der Betroffene über einen rechtlich durchsetzbaren Erfüllungsanspruch. Eines Unterlassungsanspruchs bedarf es insoweit nicht mehr. In Fällen allerdings, in denen der Betroffene darauf angewiesen ist, dass wiederholt Einzelverträge zur Sicherstellung einer dauerhaften Belieferung oder sonstigen Leistungsgewährung geschlossen werden, kann es, soweit die Gefahr besteht, dass der Normadressat künftig erneut einen Vertragsschluss ablehnt, sinnvoll sein, einen künftig fortdauernden Kontrahierungszwang feststellen zu lassen. Das ist nur über den Unterlassungsanspruch möglich, dessen Bestehen im Rahmen einer Feststellungsklage geltend gemacht wird.154 b) Ausgestaltung des Kontrahierungszwanges aa) Anspruch auf verhandelten Vertrag Wenn feststeht, dass der Anspruchsteller den Abschluss eines Vertrages verlangen kann, so stellt sich die Frage, ob er auch konkrete Vertragsbedingungen erzwingen kann oder lediglich einen Anspruch auf Verhandlungen über die konkreten Modalitäten hat. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass die Handlungsfreiheit des Normadressaten nicht weiter eingeschränkt werden darf, als es zur Verhinderung missbräuchlichen Verhaltens notwendig ist.155 Ziel des Gesetzes ist es, die gegenseitigen Handlungsspielräume so gegeneinander abzugrenzen, dass jedem Teil eine substantielle Handlungsfreiheit zur Verfolgung seiner berechtigten Interessen zur 150
Zum Verhältnis von Verwaltungs- und Privatrechtsschutzes, siehe S. 71 ff. Meessen, S. 406 f.; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (52 f.); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1373 f.); zum Beseitigungsanspruch siehe S. 144 ff. 152 Andere Ansicht OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (853 f.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (908) „Nordbayerische Stromdurchleitung“, wobei es um die Durchsetzung eines Gas- bzw. Stromdurchleitungsanspruchs im Wege einer einstweiligen Verfügung ging. 153 Zur Abgrenzung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, siehe S. 144 f. 154 Siehe sogleich S. 417 ff. 155 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 10. 03. 2010, WuW/DE-R 2897 (2901) „Infodental Düsseldorf“; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 75, 81 ff. 151
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Verfügung steht.156 Demnach besteht die Aufgabe der kartellrechtlichen Sanktion darin, die Voraussetzungen der materiellen Vertragsfreiheit dort rechtlich abzusichern, wo sie sich nicht als Ergebnis des freien Leistungswettbewerbs im wirtschaftlichen Prozess ergeben.157 Innerhalb der durch das Kartellrecht gezogenen Grenzen ist das marktbeherrschende (relativ marktmächtige) Unternehmen frei, eigenverantwortlich über seine Preise und Geschäftsbedingungen zu entscheiden.158 Es kann also nicht darum gehen, dem Vertragsinteressenten möglichst günstige vertragliche Bedingungen zu gewähren. Demnach hat das behinderte Unternehmen Anspruch auf Vertragsverhandlungen, im Rahmen derer das marktbeherrschende Unternehmen entweder ein zumutbares Angebot vorlegen oder ein Angebot des Verhandlungsgegners annehmen muss.159 Zumutbarkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die vom Marktbeherrscher verlangten Vertragsbedingungen nicht rechtswidrig sein dürfen. Insbesondere das Fordern missbräuchlicher Preise oder Geschäftsbedingungen, unabhängig davon, ob sie ausbeuterischen, behindernden oder diskriminierenden Charakter haben, ist unzulässig. Der Anspruch auf Beseitigung einer behindernden Geschäftsverweigerung schließt deswegen ein, dass das marktbeherrschende Unternehmen keine missbräuchlichen Forderungen stellen darf.160 Im Ergebnis führt der Beseitigungsanspruch dazu, dass der Rahmen einer möglichen vertraglichen Regelung im Hinblick auf kartellrechtliche Erfordernisse vorgegeben wird. Gelingt dann innerhalb dieser Vorgabe eine Einigung nicht, kommt es nicht zum Vertragsschluss. Das ist dann aber auch wettbewerbsrechtlich unproblematisch. Denn wenn der Marktbeherrscher angesichts des Beseitigungsanspruchs sein rechtswidriges Verhalten aufgibt, ist eine Nichteinigung lediglich Folge der Ausübung der allgemeinen Vertragsfreiheit. Schwierigkeiten entstehen aber dann, wenn der Marktbeherrscher den Anspruch des anderen Teiles auf Abschluss eines Vertrages anerkennt, gleichzeitig aber die Verhandlungen immer wieder verzögert. Beispielsweise stellt er immer wieder neue Bedingungen oder verschleppt eine Einigung über einzelne Punkte oder den Vertrag insgesamt.161 Dieses Problem ist mit der Zulassung einer Klage, gerichtet auf Feststellung der Lieferpflicht nicht befriedigend lösbar, weil ein obsiegendes Urteil nicht vollstreckbar ist. Weigert sich das marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen weiterhin zu liefern, so bleibt dem Behinderten nichts anderes übrig, als gleichwohl auf Lieferung zu klagen. Außerdem bleibt das Problem der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung und in der 156
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 158 Siehe S. 382 ff. und S. 389 ff. 159 Zum Bsp.: BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; OLG Karlsruhe, 10. 02. 1993, WuW/E OLG 5066 (5071) „Direktabrechnungsausschluss“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2615 ff.) „Orange-Book-Standard“; siehe dazu weitergehend auch S. 540 ff. 160 BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2614 f.) „Orange-Book-Standard“; Kommission, Prioritätenmitteilung unter Ziffer IV. D. Rn. 79; siehe auch S. 387 f. 161 Zum Bsp.: Kommission, 02. 06. 2004, WuW/EU-V 1053 (1058 ff.) „Clearstream“. 157
E. Geschäftsverweigerung
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Folge die Frage der Verzögerungstaktik des Marktbeherrschers ungelöst. Feststellungsklagen sind allenfalls sinnvoll, wenn im Rahmen einer angestrebten längerfristigen Geschäftsbeziehung, wiederkehrend eine Vielzahl gleichartiger Verträge abgeschlossen werden soll.162 Denn dann werden anschließende Prozesse zur Durchsetzung des Abschlusses konkreter Einzelverträge vereinfacht und beschleunigt, weil die Vorfrage des Bestehens des gesetzlichen Schuldverhältnisses nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB bereits i. S. v. § 322 Abs. 1 ZPO rechtskräftig geklärt ist. Darüber hinaus kann eine Feststellungsklage dann zielführend sein, wenn gegen den Abbruch von Geschäftsbeziehungen vorgegangen werden soll. Die Feststellung geht dahin, dass der Vertrag durch eine bestimmte Kündigung nicht oder zumindest nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt aufgelöst ist.163 bb) Anspruch auf Vertragsschluss zu konkreten Bedingungen Der Grundsatz des verhandelten Vertrages und die wirksame Durchsetzung des Anspruchs auf Beseitigung einer ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung stehen in einem Zielkonflikt. Bei dessen Lösung ist zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen der Marktbeherrscher bereits einen Geschäftsverkehr mit, im Verhältnis zum Anspruchsteller gleichartigen Unternehmen unterhält und solchen Fällen, in denen es um die erstmalige Öffnung eines Marktes geht. Denn die Verpflichtung des marktbeherrschenden Unternehmens, sich bei der Vertragsanbahnung nicht missbräuchlich zu verhalten, beinhaltet die Beachtung des Diskriminierungsverbotes.164 Hat der Marktbeherrscher bereits eine Vielzahl gleichartiger Verträge geschlossen, so muss er dem Interessenten die gleichen Bedingungen bieten wie allen anderen auch. Daraus ergibt sich grundsätzlich der Anspruch auf Abschluss eines Vertrages mit diesem bestimmten Inhalt, der allen anderen gewährt wird.165 Allerdings sind 162
Siehe S. 418 ff. Zum Bsp.: BGH, 07. 03. 1989, WuW/E BGH 2584 (2587) „Lotterievertrieb“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2984 ff.) „KFZ-Vertragshändler“; BGH, 17. 03. 1998, WuW/ DE-R 134 (137 f.) „Bahnhofsbuchhandel“; OLG Hamburg, 27. 08. 1998, WuW/DE-R 211 (212) „Honda“; BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 ff.) „Schülertransporte“; OLG Celle, 29. 03. 2001, WuW/DE-R 864 (865 f.) „KFZ-Vertragshändler“; zur Anpassung von Kündigungsfristen, siehe S. 400 ff. 164 Siehe S. 387 f. und zum Diskriminierungsverbot siehe ab S. 427. 165 BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1885 (1888) „adidas“; BGH, 22. 01. 1985, WuW/E BGH 2125 (2126) „Technics“; BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; OLG Karlsruhe, 10. 02. 1993, WuW/E OLG 5066 (5071) „Direktabrechnungsausschluss“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 f.) „Dentalmesse“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (908) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2185 f., 2192, 2194) „Reisestellenkarte“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2615 f.) „Orange Book Standard“; OLG Düsseldorf, 10. 03. 2010, WuW/DE-R 2897 (2901) „Infodental Düsseldorf“; OLG München, 17. 09. 2015, WuW/DE-R 4910 (4916 f.) „Markenkoffer“; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1072 f.); siehe auch S. 458 ff. 163
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
zwei Einschränkungen zu beachten. Erstens verpflichtet das Diskriminierungsverbot nur zur Gleichbehandlung. Das bedeutet prinzipiell steht es dem marktbeherrschenden Unternehmen frei, den Vertragsinteressenten darauf zu verweisen, dass günstigere Bedingungen für andere Vertragspartner gestrichen werden.166 Er kann also auch bisherige Verträge ändern. Diese Ausnahme dürfte nur selten relevant werden. Denn eine Anpassung in dieser Form steht unter dem Vorbehalt einer rechtlich zulässigen Durchsetzung. Wegen der Verbindlichkeit der Verträge mit Drittunternehmen ist eine nachvertragliche Änderung, von Ausnahmen abgesehen,167 nur mit Zustimmung des anderen Teils möglich. Eher schon käme eine Kündigung in Betracht. Gegebenenfalls kann im Zusammenhang damit auch eine Fortsetzung zu veränderten Bedingungen angeboten werden. Je größer die Zahl der bereits abgeschlossenen Verträge ist, desto aufwändiger sind solche Änderungen durchzusetzen. Unter Umständen könnte die Veränderung der gesamten Vertriebsorganisation oder der geschäftlichen Strategie notwendig werden.168 Eher wahrscheinlich ist eine solche Anpassung in Fällen, in denen insgesamt nur wenige Verträge geschlossen werden. Aber selbst wenn der Marktbeherrscher die Vertragsbedingungen mit Drittunternehmen ändern will und kann, so vermag das von der Geschäftsverweigerung betroffene Unternehmen seiner Forderung nach Vertragsschluss einfach die neuen Bedingungen zugrunde zu legen. Praktisch wichtiger dürfte die zweite Einschränkung sein. Das Diskriminierungsverbot verpflichtet nur dazu eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu unterlassen. Mit anderen Worten ist eine durch vernünftige wirtschaftliche Erwägungen gerechtfertigte verschiedene Behandlung zulässig.169 Liegen also besondere individuelle Umstände beim Anspruchsteller vor, so kann er nicht verlangen, die gleichen Vertragsbedingungen zu erhalten, wie diejenigen Unternehmen, mit denen bereits Verträge geschlossen wurden. Insoweit stellt sich die Frage, ob dann überhaupt noch ein Kontrahierungszwang besteht. Ist das der Fall, dann gilt es im Einzelfall zu klären, inwieweit infolge der Verschiedenheit der Vertragspartner unterschiedliche Vertragsbedingungen zulässig sind.170 Der Anspruchsteller muss sein Vertragsangebot entsprechend anpassen.171 Hat also das marktbeherrschende Unternehmen eine Vielzahl gleichartiger Verträge geschlossen, dann muss es dem neuen Interessenten, soweit dieser mit den bisherigen Vertragspartnern vergleichbar ist und Rechtferti166
Siehe auch S. 458 ff.; des Weiteren Traugott, WuW 1997, S. 486 (489). Zum Bsp. Leistungsbestimmungsrechte oder Vertragsanpassungsklauseln. Diese geben aber zumeist nur einen vergleichsweise geringen Spielraum. Denn ein wirksamer Vertragsschluss setzt voraus, dass Einigung über die wesentlichen vertraglichen Grundlagen erzielt wurde. 168 Zum Bsp.: OLG Karlsruhe, 10. 02. 1993, WuW/E OLG 5066 (5071) „Direktabrechnungsausschluss“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 f.) „Dentalmesse“; Traugott, WuW 1997, S. 486 (489 f.). 169 Zum Diskriminierungsverbot siehe ab S. 427. 170 Siehe S. 428 ff. und S. 458 ff. 171 BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616) „Orange Book Standard“; zur zivilprozessualen Durchsetzung des Anspruchs, siehe S. 413 ff. 167
E. Geschäftsverweigerung
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gungsgründe für eine Ungleichbehandlung nicht vorliegen, die gleichen Bedingungen gewähren. In einem solchen Fall verdichtet sich der Beseitigungsanspruch zu einem Anspruch auf Abschluss eines ganz bestimmten Vertrages.172 Damit lässt sich die Mehrzahl der Fälle der Geschäftsverweigerung, insbesondere solche der selektiven Vertriebssysteme, lösen. Die Fallgestaltung der erstmaligen Marktöffnung lässt sich am besten am Beispiel des wettbewerbsbegründenden Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen darstellen und wird deshalb im Zusammenhang mit dieser Fallgruppe besprochen.173 cc) Die prozessuale Durchsetzung des Kontrahierungszwanges Es soll im Folgenden am Beispiel der eben besprochenen Konstellation des Anspruchs auf Vertragsschluss zu konkreten Bedingungen174 das Problem der praktischen Durchsetzung des Kontrahierungszwanges erörtert werden. Auf die Fallgestaltung, dass der Abschluss zu ganz bestimmten Bedingungen nicht verlangt werden kann, wird im Anschluss eingegangen.175 Ein Klageantrag auf Beseitigung der Nichtleistung wäre sinnlos. Erstens käme der Kläger dadurch nicht unmittelbar zum begehrten Vertragsschluss. Zweitens hätte ein entsprechender Titel keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Der Antrag würde nur klarstellen, dass der Normadressat die Leistung nicht verweigern darf. Demgegenüber ist von vornherein offensichtlich, dass der Verstoß gegen das Verbot einer ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung nur durch Abschluss eines Austauschvertrages abgestellt werden kann. Da der Kläger in Fällen eines bereits eröffneten Geschäftsverkehrs einen Anspruch auf einen Vertrag zu den üblichen Bedingungen hat,176 sollte er auch auf Abschluss eines solchen Vertrages klagen. Notwendig ist dann aber auch eine genaue Bezeichnung, der vom Marktbeherrscher zu erbringenden Hauptleistung, der Gegenleistung, sowie der sonstigen wesentlichen Nebenbestimmungen. Das folgt einerseits aus dem Vertragsrecht. Ein Vertrag kann nur entstehen, wenn die Hauptleistungen und, wie § 154 BGB verdeutlicht, auch die von nur einer Partei als wesentlich erachteten Punkte geregelt werden. Andererseits muss dem Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 ZPO entsprochen werden. Nun mag es für den Kläger, obgleich er einen Vertragsschluss zu den üblichen Bedingungen verlangen kann, schwierig sein, an die vertragsrelevanten Informationen zu gelangen. Daher könnte er auch beantragen, dass der Marktbeherrscher ein Angebot vorlegen soll, welches er in der Folge annehmen könnte.177 Dabei entstünde das Problem, dass die 172
(487). 173
Das gleiche gilt für einen Schadensersatzanspruch, dazu Traugott, WuW 1997, S. 486
Siehe ab S. 545. Siehe S. 411 ff. 175 Siehe S. 417. 176 Siehe S. 411 ff. 177 So geschehen im Fall OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (313 f.) „Hörfunkwerbung“, wobei der gestellte Antrag allerdings nicht dem Bestimmtheitsgebot entsprach. 174
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Vornahme einer – weil in der Regel nur durch den potentiellen Vertragspartner zu leistenden – unvertretbaren Handlung verlangt würde. Unterlässt der Marktbeherrscher diese Handlung trotz Verurteilung, muss sie zunächst nach § 888 ZPO durch Zwangsgeld oder Zwangshaft vollstreckt werden. Eine Ersetzung der Angebotserklärung durch das Prozessgericht nach § 894 ZPO kommt nur ausnahmsweise in Betracht.178 Legt der Marktbeherrscher ein Angebot vor, kommt es aber zum Streit darüber, ob dieses üblichen Bedingungen entspricht, verzögert sich die Vollstreckung. Nicht auszuschließen ist darüber hinaus, dass der verurteilte Gläubiger es bevorzugt, die Verhängung eines Zwangsgeldes zu dulden, anstatt die geschuldete Handlung vorzunehmen. Das Effizienzproblem bleibt ungelöst. Diese Probleme lassen sich vermeiden, indem der Kläger ein annahmefähiges Angebot formuliert und verlangt, den Beklagten zur Annahme zu verurteilen.179 Die Vorteile liegen darin, dass im Erkenntnisverfahren das Ob und das Wie des Vertragsschlusses geklärt werden kann und das Urteil durch das Prozessgericht nach § 894 ZPO sofort vollstreckbar ist. Das Gericht ersetzt also die Willenserklärung des Marktbeherrschers. Es erklärt für ihn die Annahme des Angebots des Klägers. Wie eben angedeutet, hat aber die Aufgabe der Formulierung des Angebots ihre Tücken. Zunächst ist es regelmäßig wenig problematisch, die geforderte Hauptleistung hinreichend bestimmt zu beschreiben. Der Vertragsinteressent weiß ja selbst am besten, was er will. Er muss lediglich Art und Umfang der Leistung so benennen, dass sie ohne Änderung Vertragsbestandteil werden können. Damit ist bereits die Vollstreckungsfähigkeit gesichert. Probleme tauchen hier nur auf, wenn wiederkehrend Verträge über, möglicherweise dem Umfang nach differierende Leistungen geschlossen werden sollen.180 Etwas aufwändiger ist die Bestimmung der Gegenleistung. Wegen des Anspruchs auf Vertragsschluss zu den üblichen, also konkret feststehenden Bedingungen kann dieses Problem aber gelöst werden. In einfacheren Fällen muss der Vertragsinteressent den üblichen Preis benennen und entsprechend der begehrten Leistung konDas Gericht äußerte zudem Zweifel daran, dass § 20 Abs. 1 GWB a. F. die materiell-rechtliche Ermächtigung für eine Verurteilung zur Abgabe eines Angebots bilden kann. 178 Die Frage, welche der beiden Normen zur Anwendung kommt, ist danach zu entscheiden, ob ein Vertragsangebot ersatzweise durch das Gericht so bestimmt formuliert werden kann, dass es durch Urteil die Abgabe einer Willenserklärung ersetzen kann (§ 894 ZPO) oder ob es, weil die Vorgabe eines konkreten Erklärungsinhaltes nicht möglich oder gesetzlich nicht zulässig ist, dem Verpflichteten lediglich aufgeben darf, ein solches Angebot abzugeben (§ 888 ZPO). Da die Handlungsfreiheit des Schuldners zu beachten ist und selten nur ein bestimmter Erklärungsinhalt gesetzeskonform ist, kommt regelmäßig nur die zweite Variante in Betracht; vgl. Gruber, in: MüKo ZPO, § 888 Rn. 6 ff. und § 894 Rn. 1 f. 179 BGH, 26. 10. 1961, WuW/E BGH 442 (448) „Gummistrümpfe“; BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1885 (1886) „adidas“; BGH, 22. 01. 1985, WuW/E BGH 2125 (2125 f.) „Technics“; OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314) „Hörfunkwerbung“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 f.) „Linzer Gaslieferant“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2185 f., 2194) „Reisestellenkarte“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/ DE-R 2613 (2615 f.) „Orange Book Standard“; OLG München, 17. 09. 2015, WuW/DE-R 4910 (4916 f.) „Markenkoffer“. 180 Siehe S. 417 ff.
E. Geschäftsverweigerung
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kret berechnen. In schwierigeren Fällen, etwa dann wenn Kostenberechnungen nötig oder Preisnachlässe, Skonti und ähnliches zu berücksichtigen sind, ist ein Klageantrag, gerichtet auf Lieferung oder Zulassung zum üblichen Preis ohne nähere Bezifferung ausreichend.181 Demgegenüber geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine Leistungsklage gerichtet auf Belieferung zum üblichen Preis nicht ausreichend bestimmt sei.182 Es sei dann eine Vollstreckung durch Ersetzung der Annahmeerklärung nicht möglich, weil der in der Folge zustande kommende Vertrag inhaltlich nicht hinreichend bestimmt sei. Hinreichend bestimmt sei indes eine Klage auf Feststellung einer aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis nach §§ 33 Abs. 1 i. V. m. 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB bzw. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV resultierenden Lieferpflicht zum üblichen Preis.183 Diese Differenzierung vermag indes nicht zu überzeugen. Denn sie erschwert dem behinderten Unternehmen unnötig die Rechtsdurchsetzung. Zwar mag der aufgrund einer Feststellungsklage verurteilte Schuldner angesichts der gerichtlich festgestellten Leistungspflicht zur Leistungserbringung bereit sein. In diesem Fall hätte der Gläubiger sein Ziel erreicht. Wenn aber der Schuldner weiterhin die Leistung verweigert und sich dabei zu Unrecht auf den nicht feststehenden Umfang der Gegenleistung beruft, dann bleibt dem behinderten Unternehmen nichts anderes übrig, als eine der Vollstreckung zugängliche Leistungsklage zu erheben. Dann stellt sich das Problem der Bestimmung der Gegenleistung erneut. Nun könnte der Anspruchsteller eine weitere Klage gegen das marktbeherrschende bzw. marktstarke Unternehmen mit dem Ziel erheben, Auskunft über seine Preise bzw. seine Preiskalkulation zu erlangen. Ein solcher Auskunftsanspruch besteht als Nebenpflicht im Rahmen des auf Beseitigung bzw. Unterlassung oder Schadenersatz gerichteten gesetzlichen Schuldverhältnisses aus Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1, 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB.184 Demnach müsste der Kläger, der einen Vertragsschluss an181 Zur Bestimmtheit kartellbehördlicher Verfügungen, vgl.: BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2990 (2992 f.) „Importarzneimittel“, zuvor KG, 26. 11. 1993, WuW/E OLG 5241 (5247 ff.) „Importarzneimittelboykott“ und BKartA, 14. 08. 1992, WuW/E BKartA 2543 (2551 ff.) „Importarzneimittel-Boykott“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (978 ff.) „Fährhafen Puttgarden“, zuvor OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (572 ff.) „Puttgarden II“ und BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (264 ff.) „Puttgarden“. 182 Zum Bsp.: BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1885 (1885 f., 1888) „adidas“; BGH, 22. 01. 1985, WuW/E BGH 2125 (2126) „Technics“; BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; OLG Karlsruhe, 10. 02. 1993, WuW/E OLG 5066 (5071) „Direktabrechnungsausschluss“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 f.) „Dentalmesse“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (908) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2617) „Orange Book Standard“. 183 Vgl. soeben Fn. 182. 184 Vgl. die Rechtsprechung des BGH zur Frage der angemessenen Vergütung bei der Stromeinspeisung aus regenerativen Energiequellen, falls eine Auskunftspflicht zur Erfüllung von Pflichten aus vertraglichem oder gesetzlichem Schuldverhältnis notwendig ist: BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3103) „Stromveredelung“; allgemein zum Auskunftsanspruch: BGH, 27. 04. 1999, WuW/DE-R 303 (307) „Taxi-Krankentransporte“; OLG München, 17. 06. 2010, WuW/DE-R 2977 (2987) „VISA-Bargeldabhebung“; OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915) „Fernsehwerbezeiten“; LG Hamburg, 22. 04. 2013, WuW/
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
strebt, insgesamt drei Klagen erheben, um sein Ziel zu erreichen. Demgegenüber ist eine Leistungsklage auf Vertragsschluss zum üblichen Preis der bei weitem einfachere Weg. Die Problematik der nicht hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrages kann dadurch gelöst werden, dass der Kläger die Möglichkeit erhält, seinen Antrag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung zu konkretisieren. Dazu wird er wegen der dem Marktbeherrscher obliegenden Substantiierungspflicht nach § 138 Abs. 1, 2 und 4 ZPO regelmäßig in der Lage sein. Bei der Preisberechnung handelt es sich um Umstände, welche in der Sphäre des Marktbeherrschers liegen.185 Diese muss er, wenn der Kläger Tatsachen für ein gleichförmiges Verhalten des Beklagten beibringen kann, darlegen. Es handelt sich um einen Fall erhöhter Darlegungslast.186 Eine Beweislastumkehr ist daraus zwar nicht abzuleiten. Jedoch können durch Beweiserhebungen auf Antrag des Klägers, etwa in Form der Zeugenbefragung anderer Geschäftspartner die notwendigen Tatsachen ermittelt werden. In Bezug auf sonstige wesentliche Vertragsbestimmungen kann in gleicher Weise vorgegangen werden. Auch insoweit steht der Vertragsinhalt infolge des Gleichbehandlungsgrundsatzes bereits fest. Sollten sich beim Beschreiten der vorgeschlagenen Lösung im Einzelfall Probleme ergeben, dann vermag der Kläger und Vertragsinteressent in seinem Vertragsangebot dem marktbeherrschenden bzw. marktstarken Unternehmen ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB einräumen.187 Weigert sich der Beklagte dieses Leistungsbestimmungsrecht auszuüben, dann kann das Prozessgericht nach Verurteilung zur Annahme des Angebots und dessen Vollstreckung nach § 894 ZPO auf Antrag des Klägers durch Gestaltungsurteil nach § 315 Abs. 3 BGB die Leistungsbestimmung des Beklagten ersetzen. Ist auf diese Weise ein Vertrag zustande gekommen, dann kann das behinderte Unternehmen den anderen Teil auf Erfüllung dieses Vertrages in Anspruch nehmen. Der Antrag auf Verurteilung zur Leistung kann zugleich mit den Anträgen auf Annahme des Vertragsangebotes und auf Vollstreckung nach § 894 ZPO gestellt werden.188 Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu unnötigen Verzögerungen bei der Durchsetzung des Lieferanspruchs kommt.
DE-R 3930 (3933 f.) „Nachträglicher Auskunftsanspruch“; Endter, S. 214 f.; Jüntgen, S. 40 ff.; Kiethe, WRP 2004, S. 1004 (1005 f.); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1215). 185 BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3103) „Stromveredelung“. 186 BGH, 22. 10. 1996, WuW/E BGH 3099 (3103) „Stromveredelung“; allgemein Wagner, in: MüKo ZPO, § 138 Rn. 27; Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1214). 187 OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2185 f., 2194) „Reisestellenkarte“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2618) „Orange Book Standard“; OLG Karlsruhe, 27. 02. 2012, WuW/DE-R 3556 (3561 ff.) „Lizenzvertragsangebot“; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1073); zum Parallelproblem der Bestimmung des angemessenen Entgelts für die Mitbenutzung von Netzen und Infrastruktureinrichtungen, siehe S. 546 ff. 188 Gruber, in: MüKo ZPO, § 894 Rn. 22.
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dd) Fälle, in denen konkrete Vertragsbedingungen nicht feststehen Diese Überlegungen helfen dann nicht weiter, wenn es einen Marktzugang zu üblichen Bedingungen nicht gibt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die begehrte Leistung anderen Unternehmen bisher überhaupt nicht zugänglich war. Der Markt entsteht erst dadurch, dass ein erster Interessent eine Geschäftsbeziehung anstrebt. Über Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUVund § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB kann auch ein marktöffnender Zugang erstritten werden. Das Problem stellt sich vor allem im Bereich des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB.189 Diese Norm regelt einen Spezialfall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung.190 Das hauptsächlich verfolgte gesetzgeberische Ziel bei Schaffung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB im Rahmen der 6. GWB Novelle war es, Wettbewerb auf Märkten zu initiieren, die nur über eine Infrastruktureinrichtung zugänglich sind.191 Weil der Zugang in der Vergangenheit exklusiv dem Inhaber dieser Einrichtung zur Verfügung stand, konnte sich Wettbewerb nicht entfalten. Potentielle Konkurrenten, die selbst nicht über eine solche marktzugangsbegründende Einrichtung verfügten, waren nicht in der Lage eine solche zu schaffen und durften die Bestehende nicht mitbenutzen.192 § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB bzw. im europäischen Recht Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB führen über die bereits dargestellte Konstruktion des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs als Verpflichtung des Marktbeherrschers zur Leistungsgewährung zu einem Kontrahierungszwang.193 Die Problematik soll deshalb beispielhaft anhand des Anspruchs aus §§ 19 Abs. 2 Nr. 4, 33 Abs. 1 GWB dargestellt werden.194 Das Ergebnis lässt sich dann auf die weiteren Fälle der Geschäftsverweigerung nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB übertragen. ee) Das Problem wiederkehrender Leistung (1) Dauerschuldverhältnisse und Rahmenverträge Weitere Fragen tauchen auf, wenn ein Abnehmer nicht nur einen einmaligen Vertragsschluss anstrebt, sondern eine ständige Leistungsgewährung im Rahmen einer dauerhaften Geschäftsbeziehung begehrt. Im Ausgangspunkt ist danach zu unterscheiden, ob ein Dauerschuldverhältnis angestrebt wird oder ob entsprechend 189
Siehe ab S. 525. Siehe S. 540 ff. 191 Büdenbender, ZIP 1999, S. 1469 (1470 f.); siehe auch ab S. 525. 192 Die Unmöglichkeit der Duplizierbarkeit der Infrastruktur ist definitionsgemäß Voraussetzung für den Anspruch. Anderenfalls ist das Tatbestandsmerkmal „wesentlich“ nicht erfüllt, siehe im Einzelnen S. 525 ff. 193 Zum Kontrahierungszwang infolge eines Unterlassungsanspruchs, siehe S. 406 ff. und zum Zugang zu wesentlichen Einrichtungen, siehe S. 540 ff. 194 Siehe ab S. 540. 190
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
dem jeweiligen Bedarf Einzellieferverträge abzuschließen sein werden. Im ersten Fall genügt eine einmalige Leistungsklage, die im Erfolgsfall zu einem Vertrag führt, der den dauerhaften Zugang zur begehrten Leistung sichert. Als Beispiele seien der Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung, zu geistigen Leistungen oder zu einem Vertriebssystem, etwa durch Miet-, Pacht-, Leasing-, Lizenz-, Handelsvertreter- oder Vertragshändlerverträge genannt.195 Im Fall des Vertragshändlers werden zwar auch Einzelverträge über Warenlieferungen notwendig. Jedoch wird die Geschäftsbeziehung über einen Vertragshändlervertrag als Rahmenvertrag geregelt, der dann das Recht auf Belieferung festschreibt.196 Über Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 bzw. 20 Abs. 1 jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB muss also nur der Rahmenvertrag erstritten werden. Der Anspruch auf Einzellieferverträge ist dann in erster Linie ein Anspruch aus dem Rahmenvertrag. (2) Wiederkehrende Leistungen Werden jedoch wiederkehrend Leistungen benötigt, ohne dass ein Sukzessivlieferungs- oder Rahmenvertrag abgeschlossen wird, dann entsteht bei fortgesetzter Verweigerungshaltung des Marktbeherrschers für den Betroffenen die Schwierigkeit, im Zweifel jeden einzelnen Austauschvertrag einklagen zu müssen. Insbesondere bei Leistungen an potentielle Konkurrenten wird sich der Marktbeherrscher damit schwer tun, stets bereitwillig zu liefern.197 Zu einer bestimmten Vertragsgestaltung kann der Marktbeherrscher außerhalb des bereits angesprochenen Vertragsschlusses zu konkreten Bedingungen nicht gezwungen werden.198 Das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verpflichtet den Kläger dazu, den Umfang der begehrten Leistung genau zu beschreiben.199 Das kann er regelmäßig nur im Hinblick auf eine erste Lieferung, nicht aber in Bezug auf die Geschäftsbeziehung insgesamt. Deren Umfang ist naturgemäß von der zukünftigen Marktentwicklung abhängig. Könnte der Vertragsinteressent nur auf Abschluss eines ersten Vertrages klagen, obgleich bereits zu diesem Zeitpunkt abzusehen wäre, dass sich das marktbeherrschende Unternehmen weiteren Vertragsschlüssen verweigern würde, wäre der Rechtsschutz unvollständig. Es entstünde durch die Notwendigkeit einer Vielzahl von Klagen die Gefahr eines „Katz und Maus“ Spiels, bei dem der Marktbeherrscher versuchen könnte, das behinderte Unternehmen zu zermürben. Eine Klage auf künftige Leistung nach § 258 ZPO scheitert daran, dass es sich nicht
195
Siehe S. 382 ff. Siehe S. 382 f. und auch S. 327 f. im Zusammenhang mit Bezugsbindungen. 197 Siehe S. 383 f. 198 Siehe S. 411 ff. 199 BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1885 (1886) „adidas“; BGH, 22. 01. 1985, WuW/E BGH 2125 (2126) „Technics“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (208 ff.) „Depotkosmetik“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (849) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (908) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; Jüntgen, S. 78 f.; siehe auch S. 411 ff. 196
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um regelmäßig wiederkehrende Leistungen im Sinne der Vorschrift handelt.200 Vielmehr wird der Anspruchsteller in unregelmäßigen Abständen, eine von der Erbringung einer Gegenleistung abhängige Lieferung in unterschiedlicher Menge, gemessen am jeweiligen wirtschaftlichen Bedarf verlangen.201 Auch eine Klage nach § 259 ZPO entlastet nicht von der Notwendigkeit jeden Vertrag einzeln einklagen zu müssen. Sie ist nur insoweit hilfreich als das bei feststehendem Kontrahierungszwang infolge eines gesetzlichen Schuldverhältnisses nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB und bei bereits feststehendem Umfang der Leistungspflicht, der Beklagte an einer absehbaren Verzögerung der Leistung gehindert wird. Als Leistung ist auch die Zustimmung zum Vertragsschluss zu verstehen. Bei fortbestehendem Streit über Bestand und Umfang der Leistungspflicht hilft § 259 ZPO aber nicht.202 Deshalb wird vorgeschlagen in Fällen künftiger Lieferung einen unbestimmten Klageantrag insoweit zuzulassen, als zwar die Forderung nach Vertragsschluss konkretisiert, aber der genaue Umfang der Hauptleistung offen gelassen wird.203 Damit wäre der Betroffene in der Lage, ein einmal erstrittenes Unterlassungsurteil wiederholt als Vollstreckungstitel zum Abschluss immer neuer Verträge verwenden zu können. Die Notwendigkeit, mehrfach klagen zu müssen, entfiele. Demgegenüber sieht der BGH in diesen Fällen die konkrete Bestimmung der Hauptleistungen als durch § 252 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gefordert an.204 Dem ist zuzustimmen. Der Beklagte muss den Umfang der Verpflichtung erkennen können. Außerdem wäre bei einem infolge eines unbestimmten Antrages unbestimmten Tenors eine Zwangsvollstreckung nach § 894 ZPO nicht möglich. Im Weigerungsfall muss das Prozessgericht die Willenserklärung des Beklagten durch Urteil ersetzen. Nur muss zu diesem Zeitpunkt der Inhalt des Vertrages, der angenommen werden soll bereits feststehen. Es ist unzulässig den Umfang der konkreten Verpflichtung erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung festzulegen. Insbesondere würde dadurch dem Unterlassungsschuldner die Möglichkeit genommen vorher freiwillig zu erfüllen. Dem behinderten Unternehmen bleibt deshalb nur die Feststellungsklage. Es kann beantragen feststellen zu lassen, dass der Marktbeherrscher zur Leistung verpflichtet ist.205 Das konkrete Rechtsverhältnis besteht in Form des gesetzlichen Schuldverhältnisses gemäß Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, bzw. 20 Abs. 1, jeweils i. V. m. 200
Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 258 Rn. 5 ff. Siehe S. 382 ff. 202 Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 259 Rn. 4. 203 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 230 ff. 204 Vgl. soeben Fn. 199. 205 BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1814 (1816 f.) „Allkauf-Saba“; BGH, 30. 06. 1981, WuW/E BGH 1885 (1886) „adidas“; BGH, 22. 01. 1985, WuW/E BGH 2125 (2125 f.) „Technics“; OLG Karlsruhe, 10. 02. 1993, WuW/E OLG 5066 (5068, 5071) „Direktabrechnungsausschluss“; BGH, 12. 05. 1998, WuW/DE-R 206 (209) „Depotkosmetik“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (216) „Dentalmesse“; BGH, 27. 04. 1999, WuW/DE-R 357 (359) „Feuerwehrgeräte“ OLG Karlsruhe, 14. 11. 2007, WuW/DE-R 2213 (2214) „BGBKommentar“; a. A. Jüntgen, S. 78 ff. 201
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§ 33 Abs. 1 und 3 GWB. Infolge der Lieferverweigerung des Marktbeherrschers besteht Streit über das Bestehen dieses Rechtsverhältnisses. Das Feststellungsinteresse erwächst daraus, dass ohne die Feststellung des Rechtsverhältnisses Unsicherheit und Streit über die Lieferpflicht des Marktbeherrschers fortbestehen würden.206 Das Feststellungsinteresse wird durch ein verpflichtendes Leistungsurteil nicht beseitigt, da nicht klar ist, ob der Marktbeherrscher in der Zukunft weiterhin leisten wird. Ein Bedürfnis nach Klärung ergibt sich zudem aus der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Vertragsinteressenten, dessen Existenz auf dem Markt von einer schnellen und ausreichenden Leistung abhängt. Diese Feststellungsklage kann mit einer ersten Leistungsklage gemäß § 260 ZPO verbunden werden. Das behinderte Unternehmen kann auch zunächst Leistungsklage erheben und im Laufe des Prozesses im Wege der Zwischenfeststellungsklage die Vorfrage über das Bestehen des gesetzlichen Schuldverhältnisses aus Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB klären lassen. Damit bleiben, falls der antragsgemäß verurteilte Marktbeherrscher sich zukünftig weigert zu leisten, dem behinderten Unternehmen weitere Prozesse zwar nicht erspart. Jedoch kann aufgrund der Rechtskraft des Feststellungsurteils und der daraus folgenden Bindung207 der zweite Prozess wesentlich vereinfacht und verkürzt werden. Sobald der Vertragsinteressent den Umfang einer künftigen Einzellieferung entsprechend seinem Bedarf planen kann, vermag er bei fortgesetzter Weigerung des Marktbeherrschers auf Vertragsschluss zu klagen. Dazu muss er noch nicht einmal den Weg über § 259 ZPO gehen. Denn den Anspruch auf Vertragsschluss kann er, sobald die Hauptleistungen konkret bestimmbar sind, sofort durchsetzen. Eine Klage nach § 259 ZPO ist dann nur noch notwendig, wenn zu befürchten ist, dass der Marktbeherrscher trotz Vertrages nicht rechtzeitig leistet. Im Ergebnis befreit ein erstrittenes Feststellungsurteil zwar nicht von der Notwendigkeit weiterer Klagen. Da aber der Kontrahierungszwang aus gesetzlichem Schuldverhältnis rechtskräftig festgestellt ist, reduziert sich das Prozessrisiko für den Unterlassungsgläubiger erheblich. Die Klage ist auf Feststellung der Pflicht zur Unterlassung der Geschäftsverweigerung durch Abschluss von Verträgen über die vom Kläger begehrten Leistungen zu richten.208 c) Nachlieferungsanspruch als Störungsbeseitigung Die Verweigerung eines Geschäftsabschlusses stellt eine gegenwärtige Störung der Geschäftstätigkeit des Interessenten dar. Es wird vertreten, dass der Beseitigungsanspruch zu einem Anspruch auf Nachlieferung führen könne.209 Das würde 206
Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 256 ZPO Rn. 37 ff.; vgl. soeben Fn. 205. Gottwald, in: MüKo ZPO, § 322 ZPO Rn. 51 f. 208 Vgl. soeben Fn. 205. 209 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 45; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 109; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 44; Roth, in: Jaeger/Pohlmann/ Schroeder, § 33 GWB Rn. 165 f.; Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1373 f.). 207
E. Geschäftsverweigerung
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praktisch bedeuten, dass der Abnehmer für die Zeit ab erstmaliger Artikulierung des Lieferbegehrens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Vertragsschluss tatsächlich durchsetzt, einen Anspruch darauf hätte, dass der Marktbeherrscher seine Leistung nachholt. Zur Begründung wird auf die Entscheidungen des BGH zur Nachzahlung eines angemessenen Entgelts in den Stromeinspeisungsfällen verwiesen.210 Die Begründung der Nachzahlung über einen Störungsbeseitigungsanspruch ist aber weder dogmatisch nötig, noch überzeugend.211 Auch für die Fälle der Geschäftsverweigerung ist daran festzuhalten, dass für Störungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben und abgeschlossen sind, nur noch ein Schadensersatzanspruch zur Kompensation etwaiger Nachteile in Betracht kommt. In den Stromeinspeisungsfällen führt eine Vertragsanpassung über eine geltungserhaltende Extension zu einem angemessenen Ergebnis.212 Diese Möglichkeit steht in den Fällen der Geschäftsverweigerung mangels vertraglicher Beziehung naturgemäß nicht zur Verfügung. Es besteht dafür auch kein Bedürfnis. Indem der Vertragsinteressent mit dem Wunsch der Aufnahme einer Geschäftsbeziehung an den Marktbeherrscher herantritt und dieser den Vertragsschluss ablehnt, ist der Tatbestand der ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung vollständig erfüllt.213 Solange nun der potentielle Vertragspartner sein Ziel des Vertragsschlusses aufrechterhält und der Marktbeherrscher seine Verweigerungshaltung beibehält, dauert die Störung an. Gibt der Interessent zwischenzeitlich sein Streben nach einer Geschäftsbeziehung auf, so endet damit die gegenwärtige Störung. Tritt er dann erneut an den Marktbeherrscher heran und verweigert dieser erneut, handelt es sich um eine neue Störung. Eine Nachlieferung wegen der ersten Ablehnung kommt dann nicht mehr in Betracht. Die Geschäftsverweigerung ist kein Dauerdelikt.214 Eine einmalig erklärte Ablehnung eines Vertragsangebotes führt deshalb auch nicht ohne weiteres zu einer dauerhaften Störung. Verfolgt der potentielle Vertragspartner sein Ziel des Vertragsschlusses ohne Unterbrechung, so darf er infolge einer ernsthaften Ablehnung nicht zuwarten. Er hat die Möglichkeit sofort mit der Geltendmachung eines Anspruchs auf Vertragsschluss, abgeleitet aus einen Beseitigungsanspruch zu reagieren.215 Ihm ist zwar eine angemessene Überlegungsfrist zur Prüfung einer Klage zuzugestehen. Überschreitet er aber einen angemessenen Zeitraum, ist von einem Wegfall des ernsthaften Interesses und damit von einem Ende einer gegenwärtigen Störung auszugehen. Während der Zeit, in der der Marktbeherrscher Verhandlungen, etwa durch unangemessene Forderungen verschleppt, ist von einer gegenwärtigen Störung auszugehen. Hat der Betroffene innerhalb angemessener Zeit Rechtsschutz in Anspruch genommen, dann dauert die gegenwärtige Störung bis zur Urteilsverkündung, einschließlich der 210 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 45 f.; Roth, in: Jaeger/Pohlmann/ Schroeder, § 33 GWB Rn. 166, 169. m. w. N.; zu dieser Rspr. siehe S. 148 ff. 211 Siehe S. 151 ff. 212 Siehe S. 152 f. 213 Das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung wird hierbei unterstellt. 214 Siehe S. 382 ff. und auch S. 148 ff. 215 Siehe S. 406 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Zwangsvollstreckung durch Ersetzung der Annahmeerklärung nach § 894 ZPO an. Während des Zeitraumes, in dem eine nach den dargelegten Grundsätzen zu bestimmende gegenwärtige Störung andauert, besteht ein Nachlieferungsanspruch in Form eines Störungsbeseitigungsanspruchs nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB. Das gilt spiegelbildlich auch für die Nachlieferung eines Anbieters gegenüber einem Marktbeherrscher, der seine Nachfragemacht missbraucht. Ein stattgebendes Urteil hat also den Beginn der Lieferpflicht bzw. der Abschlusspflicht insoweit zurückzuverlegen. Der genaue Zeitraum ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen. Insoweit ergibt sich eine parallele Lösung zu den Stromeinspeisungsfällen. Dort endet die Gegenwärtigkeit der Störung, sobald der Leistungsaustausch vollständig durchgeführt wurde, d. h. soweit Teillieferungen bezahlt worden sind. Soweit die Bezahlung noch offen ist, dauert auch die Störung an. Im Übrigen hat der Kläger die Möglichkeit die sofortige Belieferung im Wege einer einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO durchzusetzen. Eine solche Leistungsverfügung darf indes nur erlassen werden, wenn eine besondere Dringlichkeit vorliegt.216 4. Schadensersatz a) Naturalrestitution Als Schadensersatz kommt als Folge der Naturalrestitution ein Kontrahierungszwang217 in Betracht. Das behinderte Unternehmen kann dieses Ziel jedoch einfacher durch einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch erreichen. Der Schadensersatzanspruch schließt die Nachlieferung rechtswidrig verweigerter Leistungen ein. Da im Rahmen der Naturalrestitution sämtliche Nachteile auszugleichen sind, kann der Anspruch auf Nachlieferung insoweit umfangreicher sein als ein gleichgerichteter Beseitigungsanspruch. Allerdings ist ein eventuelles Mitverschulden des Betroffenen nach § 254 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, wenn er anstelle zumutbaren gerichtlichen Rechtsschutzes zur Durchsetzung einer Belieferung in Anspruch zu nehmen, nichts getan hat, um den Schaden abzuwenden.218
216 Vgl. auch Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 232 und Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 45; Sosnitza, WRP 2004, S. 62 (64 f.); vgl. allgemein zu Leistungsverfügungen auch OLG Düsseldorf, 22. 06. 2010, WuW/DE-R 2947 (2954) „TNT Post/First Mail“. 217 Zum Kontrahierungszwang siehe S. 406 ff. 218 Siehe S. 420 f.; sowie allgemein Oetker, in: MüKo BGB, § 254 Rn. 96; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 254 Rn. 93.
E. Geschäftsverweigerung
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b) Der entgangene Gewinn Bei der Berechnung des entgangenen Gewinnes ist zwischen dem Missbrauch von Nachfragemacht219 und von Angebotsmacht220 zu unterscheiden. Ein Leistungsanbieter kann einfach den Umfang der rechtswidrig verweigerten Geschäfte zugrunde legen und berechnen, welchen Gewinn er erzielt hätte, wären diese Geschäfte getätigt worden. Bei der Berechnung tritt eine Minderung des entgangenen Gewinnes in dem Umfang ein, in dem der Marktbeherrscher zur Nachlieferung verpflichtet wird. Im Fall des Missbrauchs von Angebotsmacht kommt, soweit der Leistungsempfänger seinerseits als Leistungserbringer gegenüber Dritten auftritt, zur Berechnung des entgangenen Gewinnes regelmäßig nur eine abstrakte Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB in Betracht.221 Gewöhnlich will der Betroffene, der Zugang zu einem nachgelagerten, abgeleiteten oder sonst dritten Markt erstrebt, dort tätig werden, ohne dass er bereits mit dritten Unternehmen konkrete Verträge abgeschlossen hat, die er dann infolge der Geschäftsverweigerung nicht erfüllen konnte. Soweit das allerdings der Fall ist, kann er seinen Schaden auch konkret berechnen.222 Ist der Betroffene auf dem dritten Markt bereits tätig und wird die Geschäftsbeziehung ohne Rechtfertigung abgebrochen, dann kann er zur abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S. 2, 1. Alt BGB den gewöhnlichen Umsatz und Gewinn über einen längeren Zeitraum in der Vergangenheit als Vergleichswert zugrunde legen.223 Beim erstmaligen Zugang muss die Berechnung nach § 252 S. 2, 2. Alt BGB aufgrund der getätigten Aufwendungen erfolgen, wobei insoweit eine realistische Prognose, mindestens gestützt auf die Erwartung, dass sich die Investitionen amortisieren, zugrunde zu legen ist. Darüber hinaus ist vor allem für die Fälle der Nichtbelieferung potentieller Konkurrenten224 eine konkrete Schadensberechnung in Betracht zu ziehen, wenn z. B. Kunden bereits vor Markteintritt geworben worden sind, denen gegenüber die versprochenen Leistungen dann nicht erbracht werden können. In den sonstigen Fällen der Inanspruchnahme von Leistungen zur Förderung von wettbewerblicher Betätigung auf Drittmärkten, etwa der Zulassung zu Messen, der Gewährung von Werbeflächen oder von Sendezeit zur Werbung,225 gelten zwar auch die allgemeinen Grundsätze der Berechnung entgangenen Gewinnes. Der Nachweis, dass im Falle der Inanspruchnahme dieser Leistungen eine positive Umsatz- und Gewinnentwicklung stattgefunden hätte oder eine tatsächlich negative Entwicklung hätte verhindert werden können, ist praktisch kaum möglich, selbst wenn es auch nur darum geht eine sichere Tatsachengrundlage für eine Schätzung nach § 287 ZPO zu schaffen. In Betracht kommt aber, als Schaden einen abstrakten Werbewert, ab219 220 221 222 223 224 225
Siehe S. 386 f. Siehe S. 382 ff. Siehe S. 163 ff. Siehe S. 162 f. Kommission, Leitfaden, S. 67 ff., Rn. 195 ff.; Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (491). Siehe S. 383 f. Siehe S. 384 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
züglich ersparter Aufwendungen (z. B. Eintrittsgelder, Vorbereitungskosten usw.) zu berechnen, der mit der vorenthaltenen Leistung verbunden ist. Es ist darüber hinaus zu beachten, dass auch die Möglichkeit besteht, den Ersatz vergeblicher Aufwendungen zu nach § 284 BGB zu verlangen. c) Marktanteils- und Wertverlust eines Unternehmens Der Ersatz eines Marktanteils- oder Wertverlustes eines Unternehmens kommt nach allgemeinen Grundsätzen für solche beeinträchtigten Marktteilnehmer in Betracht, die bereits durch bisherige wirtschaftliche Tätigkeit auf den Märkten, auf denen sich der Missbrauch negativ auswirkt, einen Unternehmenswert geschaffen und Marktanteile erworben haben.226 Allerdings dürfte es sich dabei regelmäßig um eine theoretische Möglichkeit handeln, weil der Betroffene durch gerichtliche Geltendmachung eines Kontrahierungszwanges bereits einen Vertragsabschluss erreichen kann, bevor ein spürbarer Verlust eintritt. Unterlässt er das, wird er sich Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 BGB anrechnen lassen müssen.227 Für Newcomer kann eine solche Schadensposition naturgemäß nicht entstehen. Frustrierter Aufwendungen werden im Rahmen des Ersatzes entgangenen Gewinnes ausgeglichen.
V. Zusammenfassung Naturgemäß spielt die Sanktionierung von Rechtsgeschäften, die nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB verboten sind, nur beim Abbruch von Geschäftsbeziehungen eine Rolle. Vertragliche Vereinbarungen über ein ordentliches Kündigungsrecht des marktbeherrschenden Unternehmens sind nicht nichtig, weil auch die Vertragsfreiheit eines Marktbeherrschers nicht soweit eingeschränkt werden darf, dass sie im Ergebnis faktisch ausgeschlossen würde. Deshalb ist auch ein marktbeherrschendes Unternehmen nicht dazu verpflichtet, dauerhaft und unter allen Umständen seine eigenen geschäftlichen Interessen zu Gunsten von Vertragspartnern zurückzustellen. Außerdem würde ein uneingeschränkter vertraglicher Leistungsanspruch seinerseits wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hervorrufen. Die Missbräuchlichkeit vertraglicher Kündigungsklauseln kann deshalb allenfalls in einer zu kurz bemessenen Kündigungsfristen liegen. Auf der Grundlage des § 134 2. Halbsatz BGB ist eine geltungserhaltende Verlängerung einer solchen Frist vorzunehmen. Verstößt eine Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft gegen das Verbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, so ist zu differenzieren, ob der Missbrauch lediglich in einer zu kurzen Kündigungsfrist liegt oder ob die Beendigung zu dem vom Marktbeherrscher bestimmten Zeitpunkt unzulässig ist, weil sich eine angemessene 226 227
Siehe S. 166 f. Oetker, in: MüKo BGB, § 254 Rn. 96; Schiemann, in: Staudinger BGB, § 254 Rn. 93.
E. Geschäftsverweigerung
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Frist bei Ausspruch der Kündigung nicht prognostizieren lässt. Im ersten Fall ist eine Verlängerung der Kündigungsfrist auf das wettbewerbsrechtlich geforderte Mindestmaß vorzunehmen. Im zweiten Fall ist die Kündigung nichtig. Der Marktbeherrscher kann sie aber, sobald der kartellrechtlich zulässige Zeitpunkt der Beendigung berechenbar ist, erneut vornehmen. Rechtsschutz in Form eines Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruches nach § 33 Abs. 1, 3 GWB können diejenigen Marktteilnehmer in Anspruch nehmen, die als aktuelle Vertragspartner von einem Abbruch oder als potentielle Vertragspartner von einer Verweigerung eines Vertragsschlusses unmittelbar betroffen sind. Nur für diese Unternehmen bezweckt das Verbot einer ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung individuellen Rechtsschutz. Dagegen können mittelbar, d. h. als aktuelle oder potentielle Geschäftspartner eines von der Verweigerung unmittelbar betroffenen Unternehmens, keinen individuellen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, selbst wenn eine Beeinträchtigung auch ihrer wettbewerblichen Tätigkeit festzustellen ist. Ein marktbeherrschendes/marktmächtiges Unternehmen unterliegt zum Zweck der Beendigung einer Geschäftsverweigerung ohne sachlichen Grund einem Kontrahierungszwang, den betroffene Unternehmen mit einem verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB durchsetzen können. Sie verfügen in der Folge über einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, mit Hilfe dessen sie den Erhalt der begehrten Leistung sichern können. Soweit ein betroffenes Unternehmen ein Interesse an wiederholter Belieferung hat, kann es im Wege der Feststellungsklage feststellen lassen, dass der Marktbeherrscher aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB verpflichtet ist, die Geschäftsverweigerung zu unterlassen und es zukünftig zu beliefern. In der Folge wird die Erzwingung künftiger Einzellieferverträge vereinfacht. Es gilt der Grundsatz des verhandelten Vertrages. Um dem Marktbeherrscher die Möglichkeit zu nehmen, die Vertragsverhandlungen zu verzögern, kann ein betroffenes Unternehmen, soweit der Normadressat bereits einen Geschäftsverkehr eröffnet hat, einen Vertragsschluss zu den üblichen, d. h. also zu den gleichen Bedingungen, die anderen Unternehmen gewährt werden, verlangen. Um den Anspruch auf Vertragsschluss schnell durchzusetzen, sollte der Kläger ein Vertragsangebot aufstellen, dessen Annahme er im Wege der Leistungsklage verlangt. Dazu muss er die begehrte Leistung beschreiben, die benötigte Menge konkretisieren und weitere für ihn wesentliche vertragliche Regelungen benennen. Im Übrigen, insbesondere im Hinblick auf die Gegenleistung und die Vertragsbedingungen des Marktbeherrschers kann er zunächst einen unbestimmten Klageantrag, gerichtet auf Leistungsgewährung zu den üblichen Bedingungen richten. Diesen Antrag kann er im Laufe des Prozesses entsprechend des Vortrages der Gegenseite konkretisieren. Die Problematik der Durchsetzung des Kontrahierungszwanges in Fällen, in denen es mangels vorheriger Eröffnung eines Geschäftsverkehres keine üblichen Bedingungen gibt, wird am Beispiel des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
erörtert werden.228 Soweit ein Marktbeherrscher einen Vertragsschluss dauerhaft verweigert und der Interessent seinen Anspruch auf Beseitigung der dadurch verursachten Störung ohne Unterbrechung und vermeidbare Verzögerung verfolgt, hat er einen Nachlieferungsanspruch in Form eines Störungsbeseitigungsanspruchs nach § 33 Abs. 1 S. 1 GWB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB. Als Schadensersatz steht der entgangene Gewinn im Vordergrund, der bei Geschäftsabbruch nach gewöhnlichem Umsatz und Gewinn in der Vergangenheit berechnet werden kann. Bei Newcomern steht die Berechnung des abstrakten Gewinnes auf Grundlage der getätigten Aufwendung im Vordergrund, wobei die Vermutung der Amortisation der Aufwendung regelmäßig Hilfe leistet. Soweit ein Ausfall konkret entgangener Geschäfte nachgewiesen werden kann, was insbesondere bei Anbietern möglich sein dürfte, die von nachfragemächtigen Unternehmen abgewiesen werden, kommt auch eine konkrete Schadensberechnung in Betracht. Schadenersatz wegen eines Marktanteils- oder Wertverlustes ist nur beim Abbruch von Geschäftsbeziehungen denkbar.
228
Siehe ab S. 540.
F. Diskriminierung
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F. Diskriminierung I. Überblick Diskriminierungen wurden im deutschen Recht überwiegend unter dem Gesichtspunkt des speziellen Diskriminierungsverbotes des § 20 Abs. 1 und 2 GWB a. F. betrachtet.1 Nunmehr sind sie nach § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB n. F. verboten, wobei durch § 20 Abs. 1 GWB n. F. der Anwendungsbereich auf relativ marktstarke Unternehmen erweitert wird.2 Soweit sich der Verbotsverstoß bereits aus der Verwirklichung anderer Behinderungstatbestände ergibt, bei denen eine mögliche Ungleichbehandlung nur als weiterer Gesichtspunkt dazu tritt, hat das Diskriminierungsverbot keine eigenständige Bedeutung. In einem solchen Fall stellt es lediglich eine zusätzliche Legitimation für die Notwendigkeit zivil- und verwaltungsrechtlicher Sanktionen dar.3 Es gibt demgegenüber aber auch Fälle, in denen sich der Vorwurf des Missbrauchs ausschließlich daraus ableitet, dass eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gleichartiger Marktteilnehmer erfolgt. Die Abgrenzung dieser Fälle erfolgt, indem man das Verhalten des marktmächtigen Unternehmens gegenüber nur einem einzelnen Marktteilnehmer betrachtet. Liegt bei isolierter Betrachtung ein missbräuchliches Verhalten nicht vor, kann sich der Missbrauchsvorwurf nur noch aus einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ergeben. Mit anderen Worten wird die Rechtswidrigkeit erst aufgrund der Betrachtung der gesamten Vergleichsgruppe und unter Berücksichtigung einer umfassenden Abwägung der beteiligten Individualinteressen deutlich.4 Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV und Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV verbieten Diskriminierungen ausdrücklich. Es besteht allerdings kein allgemeines Diskriminierungsverbot.5 Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV greift nur dann ein, wenn der Diskriminierung abgestimmtes Verhalten zugrunde liegt. Dazu ist erforderlich, dass zwei oder mehrere Unternehmen die Ungleichbehandlung eines Dritten verabreden und wenigstens einer der an der Absprache Beteiligten sie durchführt.6 Vordergründig einseitige Maßnahmen unterfallen nur dann Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV, wenn sie dazu dienen, eine zuvor geschlossene Vereinbarung durchzuführen. Das ist beispielsweise bei Anweisungen innerhalb selektiver Vertriebssysteme der Fall, mit denen der 1 Fassung bis zum Inkrafttreten der 8. GWB Novelle; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 92; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 182 f. 2 Zur 8. GWB Novelle siehe S. 45 f. 3 Zum Bsp. zu missbräuchlichen Rabattsystemen, siehe S. 225 und S. 230 f. 4 Vgl. zur Interessenabwägung: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 375, 380; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 106 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 214 ff. 5 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 379 f.; vgl. für das deutsche Recht BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3104 (3107) „Zuckerrübenanlieferungsrecht II“. 6 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 246; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 249 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Bindende die Belieferung Dritter verhindern will, wenn der Gebundene mit seiner vorherigen Zustimmung zur (Rahmen-)Vereinbarung abstrakt sein Einverständnis mit derartigen Maßnahmen bekundet hat.7
II. Tatbestand Betrachtet man diejenigen Fälle, die ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung gegen das Verbot der Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB verstoßen, so sind drei zu unterscheidende Grundkonstellationen denkbar. 1. Diskriminierende Vertragsgestaltung Eine erste Fallgruppe bilden Sachverhalte, in denen ein marktmächtiges Unternehmen unterschiedliche vertragliche Bedingungen gegenüber gleichartigen Vertragspartnern anwendet, ohne dass eine sachliche Rechtfertigung vorliegt.8 Von praktischer Bedeutung ist insbesondere die Preisdifferenzierung. Dabei geht es um Fälle, in denen der Marktbeherrscher von gleichartigen Vertragspartnern verschieden hohe Gegenleistungen für seine, allen Abnehmern gegenüber gleiche Leistung fordert9 bzw. als Nachfrager für den Bezug gleichwertiger Leistungen verschieden hohe Entgelte zahlt.10 In diesen Zusammenhang sind auch die Fälle des Price squeezing des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 GWB einzuordnen, die dem Ziel der Ausschaltung von Konkurrenten dienen.11 Hierher gehören aber auch alle sonstigen 7
Siehe auch S. 86 ff. Im Folgenden werden nur einseitige Maßnahmen erörtert; nicht diejenigen Fälle, in denen mit dem Vertragspartner die Ungleichbehandlung von Dritten verabredet wird (Art. 101 Abs. 1 lit. d AEUV). 9 Bzw. überhaupt nur von einem Teil der Vertragspartner ein Entgelt erheben will, z. B.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (436 ff.) „Chiquita“; EuGH, 24. 10. 2002, WuW/ EU-R 597 (599 ff.) „Aeroports de Paris“; Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; OLG Hamburg, 15. 07. 1999, WuW/DE-R 403 (406 ff.) „Pay TV Durchleitung“; BGH, 10. 02. 2004, WuW/DE-R 1251 (1253 f.) „Galopprennübertragung“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2115 f.) „DARED“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2235 (2240 ff.) „Baumarkt“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2807 f.) „Trassennutzungsänderung“; OLG Hamburg, 04. 06. 2009, WuW/DE-R 2831 (2831 f., 2836 ff.) „CRS-Betreiber/Lufthansa“. 10 Zum Bsp.: BGH, 08. 05. 1990, WuW/E BGH 2665 (2666 ff.) „Physikalisch-therapeutische Behandlung“; BKartA, 17. 10. 1983, WuW/E BKartA 2092 (2093 ff.) „Metro-Eintrittsvergütung“; OLG Celle, 05. 01. 2000, WuW/DE-R 433 (434 ff.) „Private Krankenpflege“; BGH, 11. 12. 2001, WuW/DE-R 839 (841 ff.) „Privater Pflegedienst“; KG, 29. 11. 2000, WuW/ DE-R 699 (702 f.) „Metro MGE Einkaufs GmbH“. 11 Das abhängige Unternehmen gerät in eine sogenannte Preiszange, z. B.: Kommission, 18. 07. 1988, WuW/EV 1349 (1354) „Napier Brown/British Sugar“; Kommission, 21. 05. 2003, 8
F. Diskriminierung
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preiswirksamen Maßnahmen des Marktbeherrschers, wie etwa verschieden hohe Rabatte, Boni, Rückvergütungen, Skonti usw.12 Des Weiteren lässt sich eine Ungleichbehandlung auch in Bezug auf alle anderen Vertragsbedingungen praktizieren.13 2. Diskriminierende Vertragsdurchführung Zweitens beschäftigen die Praxis Fälle, in denen gleichartigen Vertragspartnern gleiche vertragliche Bedingungen gewährt werden, die im Laufe der Vertragsdurchführung aber seitens des Marktbeherrschers unterschiedlich praktiziert werden.14 Zum Beispiel gewährt ein PKW Hersteller einem Vertragshändler, im Rahmen einer für alle Händler der Vertriebsorganisation vertraglich vorgesehenen Zweitvertretungserlaubnis, die Ausübung der Vertretertätigkeit auch für einen anderen Hersteller. Zugleich verweigert er diese Erlaubnis einem anderen Händler, der aber in gleicher Weise die Voraussetzungen für die Erteilung der Zweitvertretungserlaubnis erfüllt.15 Hierher gehören insbesondere auch die Fälle, in denen ein Kündigungsrecht diskriminierend gehandhabt wird.16 WuW/EU-V 908 (910 ff.) „Deutsche Telekom“ und bestätigend EuG, 10. 04. 2008, WuW/EU-R 1429 (1433 ff.) „Deutsche Telekom“, sowie EuGH, 14. 10. 2010, WuW/EU-R 1779 (1795 ff.) „Deutsche Telekom“; BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (289 f., 291 ff.) „Freie Tankstellen“, nachfolgend OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/DE-R 589 (591 f.) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (832 ff.) „Freie Tankstellen“; BKartA, 06. 08. 2009, WuW/DE-V 1769 (1773 f.) „MABEZ-Dienste“; Lettl, WRP 2008, S. 1299 (1304 f.). 12 Zum Bsp.: EuG, 07. 10. 1999, Slg. 1999 II, S. 2969 (2972 f., 3023 ff.) „Irish Sugar plc“, zuvor Kommission, 14. 05. 1997, ABl. EG 1997, Nr. L 258/S. 1 „Irish Sugar“; BGH, 24. 02. 1976, WuW/E BGH 1429 (1433 f.) „Asbach-Fachgroßhändlervertrag“; BGH, 08. 05. 1990, WuW/E BGH 2647 (2651 f.) „Nora-Kunden-Rückvergütung“; BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2755 (2758 f.) „Aktionsbeträge“; OLG Celle, 29. 03. 2001, WuW/DE-R 864 (866) „KFZVertragshändler“; OLG Düsseldorf, 13. 04. 2005, WuW/DE-R 1473 (1478 f.) „Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2765) „Post-Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 27. 02. 2008, WuW/DE-R 2585 (2586 f.) „DVR-Galopprennen“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1240 ff.) „Praktiker Baumärkte“. 13 Zum Bsp. Genehmigungsvorbehalte, Vorgaben für die Einrichtungen des Geschäfts oder der Warenpräsentation: BGH, 12. 03. 1991, WuW/E BGH 2707 (2713 ff.) „Krankentransportunternehmen II“; BGH, 21. 02. 1995, WuW/E BGH 2983 (2986 f.) „KFZ-Vertragshändler“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 1051 (1053 ff.) „Vorleistungspflicht“; BGH, 08. 04. 2003, WuW/DE-R 1099 (1100 f.) „Konkurrenzschutz für Schilderpräger“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2186 ff.) „Reisestellenkarte“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/ DE-R 2025 (2026 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“. 14 Im Folgenden bleiben die Fälle der Vertragsdurchführung in Gestalt einer Anweisung an den Vertragspartner, dritte Unternehmen zu diskriminieren als besondere Fallgruppe nach Art. 101 Abs. 1 lit. d AEUV außer Betracht. 15 Zum Bsp.: BGH, 01. 07. 1976, WuW/E BGH 1455 (1456 ff.) „BMW-Direkthändler“; BGH, 25. 05. 1988, WuW/E BGH 2515 (2519 ff.) „Peugeot/Talbot-Vertragshändler“. 16 Zum Bsp.: BGH, 07. 03. 1989, WuW/E BGH 2584 (2587 f.) „Lotterievertrieb“; BGH, 10. 02. 1987, WuW/E BGH 2360 (2365 ff.) „Freundschaftswerbung“; BGH, 24. 06. 2003,
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3. Diskriminierende Geschäftsverweigerung Dazu treten drittens Fälle diskriminierender Geschäftsverweigerung.17 Dabei ist in zweierlei Hinsicht zu differenzieren. Maßgeblich ist zunächst die Frage, ob die nachgefragte Leistung für alle Interessenten in genügend großen Umfang zur Verfügung steht. Ist das nicht der Fall, muss der Marktbeherrscher eine willkürfreie Auswahl nach objektiven Kriterien treffen.18 Der Marktbeherrscher muss gegebenenfalls ein Ausschreibungsverfahren durchführen.19 In solchen Konstellation liegt ein klassischer Anwendungsfall des Diskriminierungsverbotes. Eine Diskriminierung kann sowohl dann vorliegen, wenn ein Nachfrager vollständig ausgeschlossen wird als auch dann, wenn er weniger erhält als ihm bei diskriminierungsfreier Auswahl zustünde. Ist dagegen die vollständige Befriedigung der Nachfrage möglich, rückt ein zweiter Gesichtspunkt der Unterscheidung ins Blickfeld. Der Ausschluss des Interessenten kann seine Ursache entweder in der Fehlerhaftigkeit der vom Marktbeherrscher zugrunde gelegten Entscheidungskriterien haben. Oder aber der Entscheidungsfindung liegt ein in sich rechtmäßiges System zugrunde. Der Streit geht nun aber darum, ob der Anspruchsteller alle vom Marktbeherrscher zulässigerweise aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Es handelt sich dann schlicht um einen Unterfall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung.20 Die gleichen Probleme können sich auch beim Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung stellen.21 Eine Verweigerung liegt auch dann vor, wenn der Marktbeherrscher den WuW/DE-R 1144 (1145 ff.) „Schülertransporte“, zuvor OLG Celle, 29. 11. 2001, WuW/DE-R 824 (825 f.) „Schülertransport“; LG Hannover, 13. 05. 2009, WuW/DE-R 2735 (2737 f.) „Pressegrossovertrieb Stade“. Es kommen auch die Ausübung von Weisungsrechten, die Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 1 BGB, Mahnungen, Fristsetzungen usw. in Betracht – die Variationsbreite ist aufgrund der Unerschöpflichkeit von Gestaltungsmöglichkeiten praktisch unbegrenzt. 17 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 321. 18 Zum Bsp.: EuGH, 29. 06. 1978, WuW/EWG/MUV 445 (446) „ABG gegen in den Niederlanden tätige Mineralölgesellschaften“; Kommission, 20. 07. 1999, WuW/EU-V 496 (499 ff.) „Fußball-Weltmeisterschaft 1998“; BGH, 03. 03. 1969, WuW/E BGH 1027 (1030 ff.) „Sportartikelmesse II“; BGH, 14. 01. 1997, WuW/E BGH 3104 (3106 ff.) „Zuckerrübenanlieferungsrecht II“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214 ff.) „Dentalmesse“; OLG Düsseldorf, 15. 11. 2000, WuW/DE-R 619 (622 f.) „Fetting“; OLG Düsseldorf, 05. 07. 2002, WuW/DE-R 994 (995 ff.) „Stefanelli“; BGH, 07. 11. 2006, WuW/DE-R 1951 (1952 ff.) „Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4141, 4145 f.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4162 ff.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 f.) „Stromnetz Olching“. 19 Zum Bsp.: OLG Stuttgart, 24. 10. 1997, WuW/DE-R 48 (51 ff.) „KFZ-Schilderpräger (Nagold)“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 1003 (1005 f.) „Kommunaler Schilderprägerbetrieb“; BGH, 08. 04. 2003, WuW/DE-R 1099 (1100 f.) „Konkurrenzschutz für Schilderpräger“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2026 ff.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; BGH, 13. 11. 2007, WuW/DE-R 2163 (2164 ff.) „Freihändige Vermietung an Behindertenwerkstatt“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4145 f.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4163 f.) „Stromnetz Berkenthin“. 20 Siehe S. 382 ff. 21 Siehe S. 527 ff.
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Vertragsschluss zwar nicht völlig ablehnt, ihn aber nur zu diskriminierend schlechteren Bedingungen im Vergleich zu anderen Vertragspartnern anbietet. Dann ist die Annahme dem Interessenten nicht zuzumuten.22 Wird ein an sich rechtmäßiges Entscheidungssystem im Einzelfall diskriminierend angewandt, dann hat das behinderte bzw. diskriminierte Unternehmen einen Anspruch auf Vertragsschluss als Folge des Anspruchs auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Behinderung. Diese Problematik wurde bereits erörtert23 bzw. wird zu § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB noch dargestellt werden.24 Demgegenüber besteht im Fall der Rechtswidrigkeit des Entscheidungssystems, insbesondere dann, wenn unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, kein Kontrahierungszwang. Es ist hier von der Wahlfreiheit des Marktbeherrschers auszugehen. Ihm allein obliegt die Entscheidung auf welche Weise er eine Ungleichbehandlung beseitigt. Das behinderte Unternehmen hat lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Ob dieser aber durch Gewährung der Leistung oder durch Ausschluss bisheriger Vertragspartner realisiert wird, liegt im Ermessen des Marktbeherrschers.25 Das Problem der diskriminierungsfreien Auswahl stellt sich vor allem bei Vergabeentscheidungen nachfragemächtiger Unternehmen, wenn von vornherein nur ein Bewerber zum Zuge kommen kann. Das ist ein Sonderfall knapper Leistungen. Ein auf sachfremde Kriterien gestützter Ausschluss von der Leistungsvergabe, mit der Folge eines Vertragsschlusses mit einem weniger qualifizierten Anbieter ist in erster Linie als Ungleichbehandlung zu qualifizieren.26 Die Frage der Geschäftsverweigerung steht hier nicht im Vordergrund. Dem Bewerber um einen Auftrag ist klar, dass er scheitern kann. Dieses Risiko ist einer auf Ausschreibung gestützten Vergabe systemimmanent. Es geht also wiederum nur um einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Seit der 6. GWB Novelle finden sich für den Bereich öffentlicher Auftragsvergabe Sonderregelungen in den §§ 97 ff. GWB,27 worauf im Rahmen dieser Arbeit aber nicht näher eingegangen
22 Zum Bsp.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (434 ff.) „Chiquita“; BGH, 24. 02. 1976, WuW/E BGH 1429 (1433 f.) „Asbach-Fachgroßhändlervertrag“; BGH, 16. 12. 1986, WuW/E BGH 2341 (2342 f.) „Taxizentrale Essen“; OLG München, 12. 03. 1998, WuW/ DE-R 178 (179 f.) „Taxizentrale Würzburg“. Die Forderung eines angemessenen Entgeltes ist indes zulässig, vgl.: BGH, 08. 11. 2005, WuW/DE-R 1597 (1599 ff.) „Hörfunkrechte“; OLG München, 30. 03. 2006, WuW/DE-R 1749 (1751 ff.) Telefonrufsäulen“, aufgehoben durch BGH, 08. 05. 2007, WuW/DE-R 1983 (1984 ff.) „Autoruf-Genossenschaft II“. 23 Siehe S. 406 ff. 24 Siehe ab S. 540. 25 Siehe im Einzelnen S. 458 ff. 26 Zum Bsp.: BGH, 12. 11. 1991, WuW/E BGH 2762 (2765) „Amtsanzeiger“, zuvor OLG Karlsruhe, 13. 06. 1990, WuW/E OLG 4611 (4614 ff.) „Stadtkurier“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/ DE-R 4139 (4145 ff.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4162 f., 4168, 4174) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 f.) „Stromnetz Olching“. 27 Vgl. BegrRegE zur 6. GWB Novelle vom 03. 12. 1997, BT-Drucks. 13/9340 und BGBl. I (1998), S. 2521.
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werden kann. Art. 102 Sätze 1 und 2 c) AEUV und die §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB bleiben daneben anwendbar.28
III. Schutzzweck des Diskriminierungsverbotes Diskriminierungen beeinträchtigen die Entfaltungsmöglichkeiten ungleich behandelter Unternehmen. Für das anbietende oder nachfragende Unternehmen besteht der Nachteil vor allem in der Verschlechterung der Wettbewerbsposition gegenüber gleichartigen Abnehmern oder Lieferanten des Normadressaten. Das vom Marktbeherrscher begünstigte, in den Fällen vertikaler Integration gegebenenfalls sogar verbundene Unternehmen, kann den gewährten Vorteil im Wettbewerb mit nicht begünstigten Konkurrenten zur Verbesserung seiner Marktposition einsetzen. Die Folge ist eine Verfälschung des Leistungswettbewerbes auf dem nachgelagerten, abgeleiteten oder sonst dritten Markt.29 Es liegt also die Besonderheit vor, dass die Behinderung zwar auf dem beherrschten Markt eintritt, sich aber maßgeblich auf einem dritten Markt auswirkt.30 Das Diskriminierungsverbot zielt auf den Schutz von Unternehmen, welche dem Normadressaten auf dem beherrschten Markt entgegentreten und zugleich mit anderen Lieferanten oder Abnehmern der gleichen Leistung auf einem Drittmarkt konkurrieren. Es schützt vor wettbewerbsrelevanter, sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung. Dadurch soll die Möglichkeit der Einflussnahme des Marktbeherrschers auf den Wettbewerbsmarkt reduziert und Chancengleichheit hergestellt werden. Es wird damit die Voraussetzung geschaffen, dass die bessere Leistung und nicht die vom Marktbeherrscher betriebene Geschäftspolitik über den Erfolg des Auftritts auf diesen Wettbewerbsmärkten entscheidet. Es geht also gleichermaßen um „die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der auf diesen Marktstufen tätigen Unternehmen“ und die Aufrechterhaltung der Chancengleichheit als institutioneller Voraussetzung des freien Leistungswettbewerbes.31
28
Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 321. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 377; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 202 ff., 214 ff. 30 Das wird besonders deutlich beim price squeezing, z. B.: BKartA, 20. 09. 2000, WuW/ DE-V 289 (291 ff.) „Freie Tankstellen“, nachfolgend OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/ DE-R 589 (591 ff.) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (832 ff.) „Freie Tankstellen“; BKartA, 06. 08. 2009, WuW/DE-V 1769 (1773 f.) „MABEZDienste“; vgl. auch Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 353 ff. m. w. N. 31 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 377; Taube, S. 181 ff.; Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (321). 29
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IV. Sanktion nach § 134 BGB Die nachfolgende Untersuchung unterscheidet zwischen den eingangs genannten Fallgruppen, um eine übersichtliche Darstellung zu ermöglichen. Ausgeklammert bleiben lediglich die Fälle, in denen der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot keine eigenständige Bedeutung hat, sowie die Fälle koordinativer Wettbewerbsbeschränkungen nach i. S. v. Art 101 Abs. 1 lit. d) AEUV. 1. Verschiedenartige vertragliche Gestaltung a) Verbot und Rechtsgeschäft Die Situation stellt sich so dar, dass zwei zu vergleichende vertragliche Vereinbarungen bei isolierter Betrachtung rechtmäßig wären. Die Beurteilung als rechtswidrig ergibt sich lediglich aufgrund unterschiedlicher Gestaltung gegenüber vergleichbaren Vertragspartnern.32 Durch diese Definition wird erkennbar, dass sich der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nicht unmittelbar aus dem Inhalt der jeweiligen Verträge ableiten lässt. Die Gesetzesverletzung wird erst bei Betrachtung der Begleitumstände erkennbar. Es kommt in Betracht beide Verträge, soweit die Ungleichbehandlung reicht, als verboten zu behandeln. Spiegelbildlich könnten die Verträge von vornherein als nicht vom Verbot erfasst anzusehen sein. Schließlich ist in Erwägung zu ziehen, nur eine der Klauseln, vorzugsweise die Benachteiligende als gegen das Missbrauchsverbot verstoßend zu beurteilen. Die bewusste Ungleichbehandlung dient dem Marktbeherrscher dazu, seine wirtschaftlichen Interessen gegenüber einzelnen Vertragspartnern jeweils optimal durchzusetzen.33 Eine bestimmte Vertragsgestaltung hilft dabei, weil auf diese Weise wirtschaftliche Interessen in eine rechtlich verbindliche Vereinbarung überführt werden können. Der Vertragspartner sieht sich in der Folge rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen ausgesetzt, deren Verletzung Sanktionen in Form von Erfüllungsklage, Schadensersatz, Rücktritt oder Kündigung nach sich ziehen kann. Daraus ergibt sich, dass die Ungleichbehandlung ihre Ursache zunächst in der tatsächlichen, mit der Kategorie des Rechtsgeschäfts nicht fassbaren Geschäftspolitik des Marktbeherrschers hat. Ihre praktische Umsetzung erfährt die Diskriminierung jedoch durch Abschluss der begünstigenden bzw. benachteiligenden Verträge. Diejenigen Vertragsbestandteile, aus denen bei einem Vergleich die unterschiedliche Behandlung erkennbar wird, sind infolgedessen mitursächlich für den rechtswidrigen Zustand. Deshalb sind sie gemäß Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Nun stellt sich aber die weitere Frage, ob beide zu vergleichenden Vereinbarungen verboten sind oder nur diejenige, die einen Beteiligten schlechter stellt. Nähme man letzteres an, stellte sich ein unauflösliches Problem. Einerseits kann nämlich die benachteiligende Klausel als rechtswidrige Schlechterstellung angese32 33
Siehe S. 428 f. Siehe S. 428 f.
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hen werden. Anderseits ist es genauso gut möglich, die Vorteil gewährende Klausel als rechtswidrige Bevorzugung zu beurteilen. Beide Gestaltungen hängen eng zusammen. Isoliert betrachtet wären sie beide zulässig. Die negative Beurteilung folgt jedoch gerade aus der nur im Zusammenhang erkennbaren Ungleichbehandlung. Würde man also nur eine Klausel als verboten betrachten, nähme man inzident an, nur die andere Gestaltung wäre zulässig. Diese Schlussfolgerung lässt das Diskriminierungsverbot aber nicht zu. Dessen Charakteristik besteht ja gerade darin, dass die Rechtswidrigkeit nicht aus einer bestimmten Gestaltung, sondern ausschließlich aus der willkürlichen Ungleichbehandlung folgt. Dem Marktbeherrscher muss bei der Beendigung der Ungleichbehandlung die Wahlfreiheit der Mittel verbleiben. Folglich ist davon auszugehen, dass beide Verträge, soweit die Ungleichbehandlung reicht, i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. b) Normzweckvorbehalt Nach der Auslegungsregel des § 134 2. Halbsatz BGB wären sowohl die begünstigende als auch die benachteiligende Vertragsklausel nichtig. Zu prüfen ist, ob das mit dem Normzweck des Diskriminierungsverbotes vereinbar ist. aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten Das benachteiligte Unternehmen hat ein wirtschaftliches Interesse daran, in den Genuss des Vorteils zu gelangen, welcher dem begünstigten Unternehmen bis dahin ausschließlich zukam. Der besser gestellte Konkurrent will die für ihn positive Vertragsgestaltung beibehalten. Immerhin hat er sich nicht rechtswidrig verhalten. Im Hinblick auf den Normadressaten ist der Grundsatz zu beachten, dass seine Freiheit nur soweit eingeschränkt werden darf, als es für die Durchsetzung des Missbrauchsverbots nötig ist.34 Ihm muss deshalb die Entscheidung überlassen bleiben, auf welche Weise er die Ungleichbehandlung abstellt.35 Um das Ziel der Beseitigung der Ungleichbehandlung zu erreichen, stehen vier Varianten zur Verfügung. Erstens könnten alle Vereinbarungen, die eine Ungleichbehandlung begründen nichtig sein und vollständig entfallen.36 Das beträfe sowohl Regelungen, die in allen zu vergleichenden Verträgen enthalten sind und eine bestimmte Frage unterschiedlich behandeln als auch jeweils nur in einzelnen Verträgen enthaltene Begünstigungen oder Benachteiligungen. Übrig bleiben nur diejenigen Vertragsbe-
34
Siehe S. 107 f. Siehe S. 140. 36 OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2026 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“ für eine Vereinbarung, nach der einem gewerblichen Mieter das Recht eingeräumt wird, durch einseitige Erklärung die Fortsetzung des Vertrages über fünf Jahre hinaus zu bewirken. 35
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dingungen, die identisch sind.37 Zweitens käme eine Anpassung der nachteiligen Vertragsbedingungen an die vorteilhafteren Regelungen in Betracht, die sodann auf beide Vertragspartner anzuwenden wären.38 Spiegelbildlich wäre es drittens möglich, die Besserstellung als nichtig anzusehen und dadurch diesen Vertrag an die Bedingungen des bisher Benachteiligten anzupassen. Schließlich erschiene es denkbar, trotz Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot beide Verträge mit dem Inhalt, zu dem sie geschlossen wurden als wirksam zu behandeln und den Benachteiligten darauf zu verweisen, durch Geltendmachung von Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen eine Gleichbehandlung durchzusetzen.39 All diese Möglichkeiten würden dazu führen, einen rechtmäßigen Zustand herzustellen. bb) Abwägung der vorgeschlagenen Varianten (1) Gesamtnichtigkeit und Vertragsanpassung Die Behandlung der Verträge als nichtig führt zu einer Festlegung der Sanktion, die eine freie Entscheidung des Marktbeherrschers über die Art und Weise der Beendigung der Ungleichbehandlung nicht mehr zulässt. Diese Freiheit zu wahren, fordert aber der Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB. Denn jede Gestaltung des Marktbeherrschers ist, solange alle Betroffenen gleich behandelt werden, zulässig.40 Deshalb kommt, entsprechend der freien Entscheidung des Normadressaten im Einzelfall, zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes sowohl eine Streichung der Begünstigung als auch eine Besserstellung der bisher Benachteiligten oder aber eine Neugestaltung beider betroffener Verträge in Betracht.41 Daher wäre nur in den Fällen, in denen eine Nichtigkeit beider Verträge die einzige Möglichkeit darstellen würde, eine Gleichbehandlung herzustellen, eine Überdehnung des Diskriminierungsverbotes ausgeschlossen.42 Des Weiteren würde eine Nichtigkeit die Interessen des Diskriminierten nicht durchgängig schützen. Zwar entfiele die Ungleichbehandlung. Es entstünden 37
van Venrooy, BB 1979, S. 555 (558); vgl. für einseitige Rechtsgeschäfte (im Bsp. Kündigung) OLG Hamburg, 19. 12. 1985, WuW/E OLG 3795 (3796) „Freundschaftsabonnement“. 38 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 420; Jung, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; van Venrooy, BB 1979, S. 555 (558); Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 39 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2027 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 226; Loewenheim, in: L/M/R, § 20 GWB Rn. 110; Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (321). 40 Siehe S. 427 f.; Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (321); a. A. van Venrooy, BB 1979, S. 555 (558). 41 Zur Einordnung des Diskriminierungsverbotes siehe S. 427 f. 42 Zur Nichtigkeit als einziger Möglichkeit der Beendigung der Behinderung/Diskriminierung, OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2816) „Trassennutzungsänderung“.
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aber auch mehrere Nachteile. Erstens wäre den Benachteiligten von vornherein die Möglichkeit genommen, in den Genuss der Besserstellung zu kommen. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass der Marktbeherrscher zukünftig freiwillig oder weil er an die vergleichsweise günstigeren Verträge gebunden ist, allen Betroffenen die günstigeren Bedingungen gewährt. Zweitens wird, wie das Beispiel der Preisdiskriminierung zeigt, ein entscheidender Nachteil offenbar, wenn die unterschiedliche Gestaltung unmittelbar die Hauptleistungspflichten betrifft. Wäre die Preisgestaltung in beiden Verträgen nichtig, träte, weil eine teilweise Aufrechterhaltung ohne Regelung der Hauptleistungspflicht nicht möglich ist, Gesamtnichtigkeit ein.43 Im Ergebnis verlöre der Schutzbedürftige alle vertraglichen Ansprüche und stünde schlechter als bei bloßer Ungleichbehandlung. Auch eine Vertragsanpassung durch geltungserhaltende Extension oder Reduktion ist nicht möglich. Denn das Diskriminierungsverbot lässt es, abgesehen davon, dass es keine normativen Entscheidungskriterien für das angemessene Maß gibt,44 nicht zu, dem Marktbeherrscher vorzuschreiben, ob der niedrigere Preis an den höheren anzupassen ist oder umgekehrt. Es wäre sogar die Festlegung eines dritten, dann aber für beide gleichen Preisniveaus zulässig. Ein ähnliches Problem stellt sich drittens bei der diskriminierenden Gestaltung von Geschäftsbedingungen dann, wenn die Existenz der betreffenden Bestimmungen auch aus Sicht des Diskriminierten als wichtig oder vorteilhaft angesehen wird. Besteht die Diskriminierung beispielsweise darin, dass begünstigte Vertragspartner einen höheren Rabatt erhalten als nicht Begünstigte, so haben auch die Benachteiligten kein Interesse am vollständigen Wegfall der Rabattgewährung. Der völlige Wegfall der Regelung kann für sie dann ungünstiger sein als die vorhergehende Ungleichbehandlung. (2) Die Interessen des Diskriminierten Den Interessen des Diskriminierten entspräche es dagegen vollständig, wenn sein Vertrag an die besseren Bedingungen angepasst würde. Aber ebenso wie bei der Festlegung einer beidseitigen Nichtigkeit, steht die zu wahrende Wahlfreiheit des Normadressaten entgegen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Diskriminierungsverbot keinen Meistbegünstigungsanspruch beinhaltet.45 Ziel ist lediglich die Beseitigung einer Benachteiligung. Eine Anpassung an die günstigeren Bedingungen kann allenfalls im Ausnahmefall, nämlich dann verlangt werden, wenn das die einzige Möglichkeit ist, eine Gleichbehandlung herzustellen. (3) Die Interessen der Begünstigten Diejenigen Marktteilnehmer, die besser gestellt sind, haben ein Interesse an der Beibehaltung ihrer Begünstigung. Sie haben einen vertraglichen Anspruch erworben, 43
Zur Frage der Teilnichtigkeit siehe S. 108 ff. Anders als beispielsweise der Vergleichsmarktpreis im Zusammenhang mit dem Verbot der Ausbeutung. 45 Siehe S. 427 ff. 44
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der aus Gründen entfallen würde, die nicht in ihrem Einflussbereich liegen. Schließlich hat sich nur der Marktbeherrscher, nicht aber haben sich die Empfänger der Begünstigung, rechtswidrig verhalten. Im Falle der Nichtigkeit würde die Erwartung, dass der Vertrag mitsamt seinen Vergünstigungen Bestand habe, enttäuscht. Ein Schaden könnte in Form höherer Kosten oder Preise, aber auch dann entstehen, wenn Investitionen sich infolge des Wegfalls von Betätigungsmöglichkeiten nicht amortisieren können.46 Immerhin bestünde dann aber gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des negativen Interesses wegen Verletzung einer Pflicht zur Aufklärung über die Diskriminierung und die damit verbundene Unwirksamkeit vertraglicher Bestimmungen.47 Da der begünstigte Vertragspartner aber nur verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er ohne die nichtige Bestimmung stehen würde, wird ihm im Vergleich zur vollständigen Erfüllung des Vertrages dennoch ein Schaden verbleiben.48 Es besteht damit die Gefahr, den Vertrauensschutz der begünstigten Vertragspartner ohne ausreichende Kompensation zu enttäuschen. (4) Aufrechterhaltung der vertraglichen Bestimmungen Im Ergebnis zeigt sich, dass weder die Nichtigkeit der diskriminierenden Bestimmungen, noch die durchgängige Anpassung an das bessere, schlechtere oder ein drittes dazwischenliegendes Niveau zu einer überzeugenden und rechtlich haltbaren Lösung des Diskriminierungsproblems führen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Anordnung der Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 1 lit. d), 101 Abs. 2 AEUV nichts anderes ergibt. Bei der Regelung des Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV geht es um Absprachen, die zwei oder mehrere Unternehmen zu dem Zweck treffen, dritte Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung ungleich zu behandeln oder um einseitige diskriminierende Maßnahmen im Rahmen der Durchführung zuvor, von zwei oder mehreren Beteiligten, vereinbarter Dauerschuldverhältnisse. Die Nichtigkeitsanordnung des Art. 101 Abs. 2 AEUV bezieht sich dagegen nicht auf eine vertragliche Gestaltung von Rechtsgeschäften zwischen zwei oder mehreren Parteien, deren diskriminierende Wirkung von vornherein auf der einseitigen Ausübung von Marktmacht beruht und die nur die rechtsgeschäftliche Beziehung zwischen den Vertragsbeteiligten betrifft.49 (5) Beseitigungsanspruch zur Beendigung der Diskriminierung In der Folge kommt nur in Betracht, die vom Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2, 20 Abs. 1 GWB 46
Siehe S. 162 ff. Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff. 48 Mit anderen Worten entfällt die Vorzugsbehandlung; zum Ersatz negativen Interesses: Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 80. 49 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 377. 47
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i. V. m. § 134 BGB erfassten Rechtsgeschäfte als wirksam fortbestehen zu lassen. Der Diskriminierte hat gemäß §§ 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB einen Anspruch auf Beseitigung der gegenwärtigen Störung und Unterlassung der Benachteiligung in der Zukunft. Unter Störung sind diejenigen Nachteile zu verstehen, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Ungleichbehandlung in der Vergangenheit eingetreten sind und in die Gegenwart fortwirken.50 Dazu zählen in erster Linie die vertraglichen Bestimmungen derjenigen Verträge, welche die Ungleichbehandlung begründen. Dazu treten Schadensersatzansprüche, die aber Verschulden voraussetzen.51 Das schutzbedürftige Unternehmen kann also die Beseitigung der, durch Ungleichbehandlung entstandenen verschiedenartigen Vertragsgestaltungen erzwingen. Positiv gewendet, beinhaltet das einen Anspruch auf Angleichung der Vertragsbedingungen. Auf welche Weise dieser realisiert wird, obliegt dem Marktbeherrscher, welcher innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung die freie Wahl der Mittel hat.52 Hierbei ist insbesondere die bestehende vertragliche Verpflichtung gegenüber den Begünstigten zu berücksichtigen. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten. Der Marktbeherrscher kann die mit den Begünstigten bestehenden Verträge nicht durch Änderung der Vorzugsbedingungen anpassen, weil ein einseitig ausübbares Recht auf Vertragsänderung oder Leistungsbestimmung nicht vorgesehen ist und der Vertragspartner nicht zustimmt. Ist auch nur einer dieser begünstigenden Verträge weder vollständig erfüllt noch künd- oder anderweitig aufhebbar, bleibt der Marktbeherrscher gebunden. Um die Ungleichbehandlung zu beseitigen, bleibt ihm nur die Möglichkeit, die Vergünstigung auch denjenigen zu gewähren, die bisher benachteiligt waren. Das ist kein Verstoß gegen das Meistbegünstigungsverbot. Denn die Anpassung an die günstigeren Bedingungen ist der einzig rechtlich mögliche Weg, die Ungleichbehandlung zu beseitigen. Ist es dem Marktbeherrscher dagegen möglich, eine Anpassung der günstigeren Verträge zu erreichen oder sich von diesen Verträgen zu lösen, so hat er verschiedene Optionen. Er kann die Vergünstigung streichen und den bisher ungünstigeren Vertrag unangetastet lassen. Eine Gleichbehandlung tritt auch ein, falls er sich von den günstigeren Verträgen löst und neue Verträge nur noch ohne die bisherigen Vergünstigungen schließt. Schließlich kann er die Verträge mit den bisher Benachteiligten um die Vergünstigung erweitern. Zwar ist für eine solche Vertragsänderung die Zustimmung des Betroffenen notwendig. Jedoch wird dieser im wohlverstandenen eigenen Interesse sein Einverständnis gern erklären. Unterlässt er das, um später Schadensersatz verlangen zu können, dann handelt er in sich widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich.53 Eine zusätzliche Variante eröffnet sich 50
Siehe S. 458 ff. Siehe ab S. 460. 52 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 58; Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (322 f.); siehe auch S. 458 ff. Demgegenüber hat das LG Köln ohne nähere Begründung dem Kläger die einem anderen Unternehmen gewährte Vergünstigung eingeräumt, vgl. LG Köln, 19. 05. 2006, WuW/DE-R 1793 (1795) „Loge Card“. 53 Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 250 ff. 51
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dem Marktbeherrscher, für den Fall, dass sowohl eine Anpassung beider Verträge als auch die Beendigung und der Neuabschluss der Verträge rechtlich möglich sind. Dann können entweder beide Verträge mit einem neuen, aber für beide gleichen Inhalt versehen oder nach Beendigung der alten, neue Verträge geschlossen werden. Auf diese Weise kann durch einen Beseitigungsanspruch eine angemessene Lösung gefunden werden. Dadurch, dass in einem solchen Fall die Vertragsgestaltungen einerseits nach § 134 BGB als wirksam behandelt, sie andererseits aber durch einen Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB angegriffen werden, entsteht kein Widerspruch. Die vertraglichen Regelungen sind rechtswidrig, weil sie wegen der Umstände ihres Zustandekommens gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Sie bleiben aber wirksam, weil dies der einzige Weg ist, um die Wahlfreiheit des Marktbeherrschers bei der Beendigung des diskriminierenden Zustandes sicherzustellen. Das Diskriminierungsverbot will keine bestimmte vertragliche Regelung inhaltlich vorschreiben. Das bedeutet im Ergebnis, dass nicht bereits der begründete Beseitigungsanspruch eine inhaltliche Änderung der verschiedenen Verträge herbeiführt. Vielmehr geht der Anspruch dahin, den Marktbeherrscher zu verpflichten, eine Gleichbehandlung herzustellen. Welche vertraglichen Regelungen er insoweit beibehält oder ändert, bleibt im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten seiner freien Entscheidung überlassen. cc) Ergebnis Die vertraglichen Regelungen bleiben entsprechend dem Normzweck des Diskriminierungsverbotes wirksam. Weder die Regelnichtigkeit nach § 134 1. Halbsatz BGB, noch eine auf § 134 2. Halbsatz BGB gestützte Vertragsanpassung bieten bessere Alternativen. Die Wirksamkeit führt nicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes oder zu unüberwindlichen dogmatischen Schwierigkeiten. Der Beseitigungsanspruch weist den besseren Weg zur Beendigung der Diskriminierung. 2. Diskriminierung durch Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte a) Rechtswidrige Benachteiligung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen trotz inhaltsgleicher Verträge ein einseitiges Rechtsgeschäft oder eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung vornimmt54 und dadurch den Empfänger schlechter stellt als vergleichbare andere Unternehmen. Obwohl die Verträge inhaltlich gleich gestaltet sind, ergibt sich die Ungleichbehandlung durch die verschiedenartige Praktizierung. Den praktisch wichtigsten Fall bilden sachlich nicht gerechtfertigte 54 Die Vorschriften über Rechtsgeschäfte sind auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen analog anzuwenden. Sie können dementsprechend nach § 134 BGB analog nichtig sein; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 23 f.
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Kündigungen.55 In einem solchen Fall findet die Ungleichbehandlung gerade in der Vornahme des Rechtsgeschäfts ihren Ausdruck. Deswegen ist es nach § 134 BGB verboten.56 Fraglich ist wiederum, ob die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts dem Normzweck entspricht. Zunächst ist davon auszugehen, dass im Falle der Nichtigkeit des benachteiligenden Rechtsgeschäfts die Behinderung entfällt. Im Gegensatz zu regelungsbedürftigen Fragen innerhalb von Vertragsverhältnissen ist auch kein Interesse des Diskriminierten an einer anders gearteten Aufrechterhaltung erkennbar.57 Besser gestellte Unternehmen, d. h. also solche denen gegenüber keine vergleichbare Maßnahme ergriffen wird, erleiden keine Nachteile. Zu bedenken ist lediglich, dass kein Anspruch auf eine bestimmte begünstigende Behandlung, d. h. den Wegfall des einseitigen, benachteiligenden Rechtsgeschäfts besteht.58 Die Konsequenz einer Gleichbehandlung wäre jedoch, dass die Kündigung oder andere Maßnahme gegenüber allen gleichen Unternehmen ebenso vorzunehmen wäre. Die Frage lautet also: Soll das einseitig belastende Rechtsgeschäft wirksam bleiben, so dass der Marktbeherrscher durch Nachholung entsprechender Rechtsgeschäfte gegenüber vergleichbaren Unternehmen eine Gleichbehandlung herstellen kann oder sollen einseitig belastende Rechtsgeschäfte nichtig sein? Für die zweite Lösung spricht, dass infolge der Nichtigkeit eine gleichmäßige Begünstigung beibehalten wird. Außerdem entfaltet die Nichtigkeitssanktion präventive Wirkung. In der ersten Alternative verbliebe für den Marktbeherrscher kein Risiko, weil zum Beispiel ausgesprochene Kündigungen in jedem Fall wirksam blieben. Das Risiko wird vielmehr auf die Betroffenen verlagert, weil vertragsgestaltende Erklärungen, wie etwa Kündigungen, sofort eine Änderung des rechtlichen Zustandes nach sich ziehen.59 Die Wiederherstellung der Begünstigung wäre dann von einem Tätigwerden des Marktbeherrschers abhängig. Die Nichtigkeit der, unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ausgesprochenen Kündigungen würde demgegenüber für den Marktbeherrscher auch dann keine unangemessene Härte bedeuten, wenn die Kündigungen im Übrigen rechtmäßig wären. Denn in diesem Fall ist es dem Marktbeherrscher unbenommen, die Rechtsgeschäfte einseitig diskriminierungsfrei nachzuholen. Die Nachteile einer in diesem Zusammenhang eintretenden Zeitverzögerung muss der Marktbeherrscher als selbstverursacht tragen. Als Beispiel soll die Neustrukturierung einer gesamten Vertriebsorganisation dienen, bei der einzelnen Unternehmen aus dem Kreis der bisherigen Vertriebspartner gekündigt wird. Die Auswahl muss sachlich begründet werden. Geschehen dabei Fehler und werden 55
Siehe S. 429 und zur Geschäftsverweigerung siehe S. 392 ff. Siehe auch zu Geschäftsverweigerungen S. 394 f. 57 Zur gleichgelagerten Problematik bei Geschäftsverweigerungen, siehe S. 400 ff. 58 Siehe S. 427 f. und S. 435 f. 59 Ebenroth/Abt, EWS 1993, S. 81 (89) will insoweit auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verweisen; allerdings wäre dies, da der Betroffene einen rechtswidrigen (wettbewerbswidrigen) Zustand hinnehmen müsste und lediglich (unter Eingehung eines Prozessrisikos) einen Ausgleich erlittener Nachteile verlangen kann, nur die zweitbeste Lösung. 56
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Unternehmen ausgeschlossen, mit denen nach den vom Marktbeherrscher selbst gewählten Kriterien eine Fortsetzung geboten ist, dann kann die Abstellung der Diskriminierung nur durch Weiterführung der Geschäftsbeziehung erreicht werden. Als Konsequenz dessen ergibt sich, dass in dieser Konstellation die Nichtigkeit die einzige Möglichkeit bietet, Gleichbehandlung herzustellen. Rechtsfolge ist dann nämlich die Fortführung der Geschäftsbeziehung zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen. Der Schutzzweck des Diskriminierungsverbotes wird vollumfänglich verwirklicht.60 Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn die Diskriminierung durch Verlängerung der Kündigungsfrist beendet werden kann.61 Diese Anpassung ist als milderes Mittel zu wählen.62 Diese Grundsätze sind auf andere, weniger einschneidenden Maßnahmen als Kündigungen entsprechend anzuwenden.63 Als Ergebnis ist also festzuhalten, dass in diskriminierender Weise vorgenommene, einseitig belastende Rechtsgeschäfte nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig sind.64 b) Bevorzugung durch einseitige Rechtsgeschäfte Spiegelbildlich zu dem vorherigen Fall kann eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung daraus entstehen, dass der Marktbeherrscher einzelne Vertragspartner durch Gewährung bestimmter Vorteile besser stellt als andere. Beispielsweise mögen Verträge eine strikte vertikale Bindung vorsehen, die aber durch Zustimmung des Bindenden gelockert werden kann. Wird die Zustimmung einem Vertragspartner erteilt und einem anderen verweigert, ohne dass das sachlich gerechtfertigt ist, liegt eine Diskriminierung desjenigen vor, der die Zustimmung nicht erhält. Eine solche Einwilligung65 ist ein Rechtsgeschäft.66 Da es gerade seine 60
Zum Schutzzweck siehe S. 432. Hierbei geht es um Fälle, in denen die Diskriminierung in unterschiedlich langen Kündigungsfristen besteht, z. B.: KG, 22. 01. 1997, WuW/E OLG 5875 (5878) „U-Bahn Buchhandlungen“ und BGH, 10. 11. 1998, WuW/DE-R 220 (221) „U-Bahn Buchhandlungen“; zur Frage angemessener Kündigungsfristen, siehe S. 395 ff. 62 Siehe dazu im Zusammenhang mit Fällen der Geschäftsverweigerung S. 400 ff. 63 Siehe S. 429. 64 Zum Bsp.: OLG Hamburg, 19. 12. 1985, WuW/E OLG 3795 (3796) „Freundschaftsabonnement“; BGH, 24. 06. 2003, WuW/DE-R 1144 (1145 f.) „Schülertransporte“; LG Hannover, 13. 05. 2009, WuW/DE-R 2735 (2737 f.) „Pressegrossovertrieb Stade“; für Kündigungen Ebenroth/Abt EWS 1993, S. 81 (89 f.); a. A. Berufung auf Kündigung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig, weil die Leistung sofort wieder zu gewähren ist, Emde, NZKart 2013, S. 355 (360). 65 Es handelt sich nicht um eine Zustimmung (Einwilligung/Genehmigung) i. S. v. §§ 182 ff. BGB, von der die rechtliche Wirksamkeit eines ohne Zustimmung abgeschlossenen Vertrages abhinge. Ein vertraglich vereinbartes Zustimmungserfordernis bindet den Betroffenen nur im Innenverhältnis. Ein gleichwohl mit einem Dritten vorgenommenes Rechtsgeschäft bleibt wirksam; Bayreuther, in: MüKo BGB, Vorbemerkung vor § 182 Rn. 21 ff. Allerdings stellt der Abschluss eines nach der vertraglichen Abrede zustimmungspflichtigen 61
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Vornahme ist, welche zur Ungleichbehandlung führt, ist es, obwohl inhaltlich neutral, dennoch nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Jedoch wäre eine Nichtigkeit des einseitig begünstigenden Rechtsgeschäfts mit dem Normzweck des Diskriminierungsverbotes nicht vereinbar. Es wurde bereits im Zusammenhang mit unterschiedlichen vertraglichen Gestaltungen ausgeführt, dass der Bevorzugte im Vertrauen auf den Bestand einer für ihn günstigen rechtsgeschäftlichen Regelung schutzwürdig ist, weil er sich selbst rechtmäßig verhalten hat.67 Nichts anderes gilt hier. Hinzu kommt die Überlegung, dass diskriminierte Unternehmen regelmäßig anstreben werden, ebenfalls in den Genuss des begünstigenden Rechtsgeschäfts zu kommen. Eine Nichtigkeit der begünstigenden Regelung nähme ihnen von vornherein diese Möglichkeit. Folglich ist von einer Nichtigkeit Abstand zu nehmen. Vielmehr kann der Diskriminierte mit Hilfe des Beseitigungs- und im Fall der Wiederholungsgefahr des Unterlassungsanspruches eine Gleichbehandlung erzwingen. Dem Marktbeherrscher bleibt innerhalb der rechtlichen Grenzen die Freiheit zu entscheiden, auf welche Weise er die Gleichbehandlung verwirklicht. Ist es ihm nicht möglich die gewährte Begünstigung zurückzunehmen,68 dann muss er sie auch denjenigen einräumen, denen er sie bis dahin verweigert hatte.69 Anderenfalls kann er Gleichbehandlung auch durch Streichung des Vorteils herstellen. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Bevorzugung eines Vertragspartners gegenüber gleichartigen anderen, die aus der Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder einer rechtsgeschäftsähnlichen Handlung resultiert, wegen Diskriminierung verboten ist. Jedoch tritt keine Nichtigkeit nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB ein. Vielmehr ist der Diskriminierte darauf zu verweisen, mit Hilfe eines Beseitigungsanspruchs nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder 20 Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB eine Gleichbehandlung zu erzwingen.
Rechtsgeschäfts ohne eben diese Zustimmung eine Vertragsverletzung dar. Deshalb droht insoweit eine Sanktionierung in Form von Schadensersatzansprüchen oder Kündigung. 66 Diese Einwilligung führt nicht zur Änderung des Vertrages. Sie stellt vielmehr eine Konkretisierung innerhalb des bisherigen Rahmens dar. Sollte es im Zusammenhang mit einseitigen Rechtsgeschäften zu einer Veränderung des Vertrages kommen, folgt die Ungleichbehandlung von da an unmittelbar aus den Verträgen. Es bleibt auch dann bei der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Auf die erste Fallgruppe ist zu verweisen, siehe S. 433 ff. 67 Siehe S. 436 f. 68 Das ist insbesondere der Fall, wenn der Vertrag mit dem Begünstigten eine einseitige Änderung nicht zulässt und der Begünstigte nicht einverstanden ist; es verbleibt bei der vertraglichen Bindung. 69 van Venrooy, BB 1979, S. 555 (557).
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c) Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte gegenüber Begünstigtem und Benachteiligtem Schließlich kann es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung kommen, indem der Marktbeherrscher einseitige Rechtsgeschäfte gegenüber zwei oder mehreren vergleichbaren Unternehmen ohne sachlichen Grund in unterschiedlicher Weise vornimmt. Dadurch wird ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen gegenüber vergleichbaren Unternehmen entweder besser gestellt oder zumindest weniger schlecht behandelt. Als Beispiel für den ersten Fall möge die Ausübung eines Leistungsbestimmungsrechts im Rahmen einer Preisfestsetzung dienen, wenn sie trotz vergleichbaren Sachverhalts in unterschiedlicher Höhe erfolgt.70 Als Beispiel für den zweiten Fall seien, bei vorausgesetzt rechtmäßiger Kündigung, verschieden lange Kündigungsfristen genannt.71 In beiden Konstellationen soll von der Rechtmäßigkeit der vertraglichen Grundlage der Geschäftsbeziehung, also etwa der Rahmenverträge, ausgegangen werden. Die sich unter diesen Bedingungen ergebenden Sachverhaltskonstellationen sind im Wesentlichen mit den bereits behandelten Fällen unterschiedlicher vertraglicher Gestaltungen identisch.72 Der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass zwei gleich zu behandelnde Betroffene unter Zuhilfenahme rechtsgeschäftlicher Gestaltungen ungleich behandelt werden. Dass das einmal durch zweiseitige vertragliche Regelungen geschieht und das andere Mal durch einseitige Rechtsgeschäfte ist nebensächlich. Die entscheidenden Argumente Wahlfreiheit des Marktbeherrschers, kein normativer Maßstab für die Anpassung der begünstigenden oder belastenden Regelung, der im Fall der Begünstigung zu beachtende Vertrauensschutz und das Interesse des Benachteiligten, zumindest die Chance zu haben, an einer Besserstellung partizipieren zu können, sprechen in beiden Fallgruppen gegen eine Nichtigkeit.73 Das bedeutet, dass einseitige Rechtsgeschäfte, die in unterschiedlich bevorzugender oder unterschiedlich benachteiligender Weise gegenüber zwei oder mehreren Unternehmen von Seiten eines Marktbeherrschers vorgenommen werden, trotz Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB nach § 134 BGB wirksam bleiben. Das benachteiligte Unternehmen ist dann auf die Geltendmachung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen zu verweisen. 70 Zum Bsp.: EuGH, 24. 10. 2002, WuW/EU-R 597 (599 ff.) „Aeroports de Paris“; Kommission, 21. 05. 2003, WuW/EU-V 908 (910 ff.) „Deutsche Telekom“ und EuG, 10. 04. 2008, WuW/EU-R 1429 (1433 ff.) „Deutsche Telekom“, sowie EuGH, 14. 10. 2010, WuW/EU-R 1779 (1795 ff.) „Deutsche Telekom“; BGH, 19. 03. 1996, WuW/E BGH 3058 (3058 f.) „Pay TV Durchleitung“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/E DE-R 984 (990 f.) „Konditionenanpassung“; BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (289 f., 291 ff.) „Freie Tankstellen“, dazu OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/DE-R 589 (591 f.) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (832 ff.) „Freie Tankstellen“; BKartA, 06. 08. 2009, WuW/DE-V 1769 (1773 f.) „MABEZ-Dienste“. 71 Zur Angemessenheit von Kündigungsfristen, siehe S. S. 395 ff. 72 Siehe S. 428 f. und S. 433 ff. 73 Siehe auch S. 434 ff.
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d) Abgrenzung zu Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV Unter das Diskriminierungsverbot des Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV bzw. § 1 GWB können auch vordergründig einseitige Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen fallen, die dann nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. §§ 1 GWB i. V. m. 134 BGB nichtig sind.74 Voraussetzung ist allerdings, dass sie vom Normadressaten auf der Grundlage einer vorherigen vertraglichen Vereinbarung mit dritten Unternehmen vorgenommen werden.75 Die Diskriminierung ergibt sich unmittelbar aus dieser Abstimmung mit dem Dritten, richtet sich dann aber gegen den Vertragspartner des Marktbeherrschers. Des Weiteren verbietet Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV Abreden, nach denen der Vertragspartner des Marktbeherrschers sich verpflichtet, einseitige Handlungsanweisungen des Marktbeherrschers, die eine Diskriminierung Dritter bezwecken oder auslösen, zu beachten, sowie in Durchführung einer solchen Abrede ausgegebene Anweisungen. Dabei richtet sich die Diskriminierung nicht gegen den Vertragspartner und Empfänger der einseitigen Willenserklärung bzw. des einseitigen Rechtsgeschäfts, sondern gegen dritte Unternehmen, die im Ergebnis diskriminiert werden sollen.76 Typisch ist beispielsweise die Anweisung an den Wiederverkäufer bestimmte Unternehmen nicht zu beliefern. Die Verschiedenheit der Sanktionsanordnungen, also Nichtigkeit nach Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. §§ 1 GWB i. V. m. 134 BGB77 einerseits und Aufrechterhaltung als Regelfall andererseits78 erklärt sich daraus, dass es in den Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV und § 1 GWB unterfallenden Fällen trotz vordergründig einseitigem Verhalten des Bindenden tatsächlich um abgestimmtes Verhalten, regelmäßig auch gegenüber Dritten, geht. In den Fällen wirklich einseitigen Verhaltens tritt die diskriminierende Wirkung dagegen unmittelbar im Verhältnis Marktbeherrscher zu Vertragspartner und Empfänger der Willenserklärung ein.
3. Abschluss von Verträgen über knappe Leistungen In Fällen, in denen nur ein begrenztes Leistungsangebot vorliegt, welches nicht ausreicht, um die Nachfrage vollständig zu befriedigen, sind im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen zwei Konstellationen denkbar. Es ist erstens möglich, dass ein Unternehmen im Rahmen einer Repartierung einen Teil der nachgefragten Leistungen erhält. Es wird aber dadurch diskriminiert, dass es entweder weniger bekommt als andere vergleichbare Unternehmen oder das gleiche erhält, obgleich es aufgrund bestehender Unterschiede mehr erhalten müsste. In diesen Fällen handelt es 74
Weyer, GRUR 2000, S. 848 (852 f.), siehe auch S. 86 ff. Weyer, GRUR 2000, S. 848 (852 f.), siehe auch S. 86 ff. und S. 427 f. 76 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 246; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 377. 77 Zum Verhältnis von Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV zu §§ 1 GWB, 134 BGB, siehe S. 86 ff. 78 Siehe S. 441 ff. Etwas anderes gilt nur für den Sonderfall einseitig belastender Regelungen, siehe S. 439 ff. 75
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sich um eine Diskriminierung aufgrund rechtswidrig verschieden gestalteter Verträge.79 Ein entscheidender Unterschied besteht allerdings darin, dass wegen der Knappheit der Ressourcen eine Gleichbehandlung nur hergestellt werden kann, indem rechtswidrig bevorzugten Unternehmen Leistungen gekürzt und an die rechtswidrig benachteiligten Unternehmen verteilt werden. Mit anderen Worten wäre bei Fortbestand der Verträge, eine Beseitigung der Ungleichbehandlung unmöglich. Zweitens kann es vorkommen, dass ein Interessent auf diskriminierende Weise vollständig ausgeschlossen wird.80 Da es sich um knappe Leistungen handelt, werden einzelne Interessenten dadurch bevorzugt, dass sie Leistungen erhalten, die eigentlich einem anderen zustehen. Die Begünstigung manifestiert sich im Abschluss von Verträgen. Das parallele Problem besteht bei der Leistungs- oder Auftragsvergabe durch nachfragemächtige private Unternehmen.81 Von vornherein kommt nur ein Anbieter für einen Vertragsschluss in Frage. Unternehmen werden diskriminiert, wenn sie, obgleich sie das beste Angebot vorlegen, von der Vergabe ausgeschlossen werden und ein anderes Unternehmen als Vertragspartner gewählt wird. Zunächst soll erörtert werden, wie Verträge, die mit begünstigten Unternehmen unter völligem Ausschluss der Diskriminierten geschlossen werden, im Zusammenhang mit § 134 BGB zu behandeln sind. Im Anschluss werden dann die erstgenannten Fälle diskriminierender Zuteilung knapper Leistungen an alle Interessenten erörtert. a) Rechtsgeschäft und Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aa) Die Diskussion in der Rechtsprechung Die Frage ist zunächst, ob Verträge, die mit einem bevorzugten Unternehmen geschlossen werden, überhaupt dem gesetzlichen Verbot des § 134 BGB unterfallen. Die Rechtsprechung ist insoweit nicht einheitlich. Teilweise wurde auf Grundlage von § 20 Abs. 1, 2 GWB a. F. (zuvor § 26 Abs. 2 GWB a. F.) entschieden, dass diese Verträge lediglich die Folge eines vorangegangenen Wettbewerbsverstoßes seien.82 79
Siehe dazu S. 433 ff. OLG Stuttgart, 24. 10. 1997, WuW/DE-R 48 (51 ff.) „KFZ-Schilderpräger (Nagold)“; OLG Frankfurt a.M., 09. 09. 1997, WuW/DE-R 55 (58) „KFZ-Schilderpräger (Kassel)“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (60 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“; BGH, 08. 04. 2003, WuW/DE-R 1099 (1100 f.) „Konkurrenzschutz für Schilderpräger“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4146 ff.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4168) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 81 Die Auftragsvergaben durch die öffentliche Hand bleibt außer Betracht, siehe S. 430 ff. 82 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R (OLG) 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“. Letztlich bleibt die Beurteilung eine Frage des Einzelfalles: OLG München, 30. 03. 2006, WuW/DE-R 1749 (1754) „Telefonrufsäulen“ (aufgehoben, ohne dass es dann noch auf die Anwendung von § 134 BGB ankam), BGH, 08. 05. 2007, WuW/DE-R 1983 (1984 ff.) „Au80
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Das angreifbare rechtswidrige Verhalten bestehe nur in der fehlerhaften Auswahl, d. h. der Entscheidung mit wem der Vertrag geschlossen werde. Der Inhalt des abgeschlossenen Vertrages sei nicht rechtswidrig.83 Demgegenüber hielt das OLG Rostock den Abschluss eines solchen Vertrages für einen kartellrechtlich relevanten Wettbewerbsverstoß.84 Der BGH hat nunmehr den Abschluss eines Wegenutzungsvertrages zum Zwecke des Betriebes eines Energieversorgungsnetzes innerhalb einer Gemeinde als Wettbewerbsverstoß gewertet, nachdem das vorausgegangene Auswahlverfahren nicht diskriminierungsfrei durchgeführt worden war und deshalb die nicht erfolgreichen Wettbewerber unbillig behindert wurden.85 Aufgrund des nur begrenzten Angebots führe der Vertragsschluss als solcher unmittelbar zur Behinderung der Ausgeschlossenen.86 Solange der Vertrag mit dem begünstigten Dritten bestehe und vollzogen werde, sei es unmöglich, die Ungleichbehandlung zu beseitigen.87 Die Gegenmeinung nimmt den Standpunkt ein, dass der Wettbewerbsschutz in diesen Fällen in erster Linie institutionell zu verstehen sei.88 Es komme, insbesondere bei Ausschreibungen nicht entscheidend darauf an, welcher der Interessenten den Zuschlag erhalte. Maßgeblich sei die Einhaltung der Spielregeln. Das Ergebnis spiele keine Rolle. Für den zukünftigen Wettbewerb auf dem Drittmarkt sei es unerheblich, wer bei der Verteilung oder Zuteilung Berücksichtigung finde. Stehen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung, liege es in der Natur der Sache, dass einige Marktteilnehmer ausgeschlossen blieben. Die Rechtsverletzung durch eine unsachliche, unfaire oder gar willkürliche Auswahl könne über den Schadensersatzanspruch nach §§ 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 GWB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB ausgeglichen werden.89
toruf-Genossenschaft II“); OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2027 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“. 83 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2026 ff.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“. 84 OLG Rostock, WRP 1996, S. 465 467) „KFZ-Zulassungsstelle“; des Weiteren OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2525) „Schilderprägestelle“. 85 BGH vom 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4146 f.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/ DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 86 BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4174) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 87 BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 88 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R (OLG) 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“. 89 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R (OLG) 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“.
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bb) Rechtswidrig begünstigender Vertrag als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, dass die Annahme, der Institutionenschutz sei vorrangig, zumindest nach der 6. und 7. GWB Novelle nicht mehr aufrechterhalten werden kann.90 Vielmehr ist der Individualschutz behinderter Marktteilnehmer neben dem institutionellen Wettbewerbsschutz das gleichrangige Gesetzesziel der Verbote des Missbrauchs von Marktmacht.91 Das individuelle Interesse der Konkurrenten des oder der Bevorzugten an Gleichbehandlung im Wettbewerb ist deshalb umfassend zu schützen. Einerseits mag zwar die einmalige Nichtberücksichtigung bei einfachen Austauschverträgen oder auch kurzzeitigen Dauerschuldverhältnissen nicht gravierend ins Gewicht fallen.92 Andererseits kann eine einzelne Vergabeentscheidung zur Folge haben, dass das diskriminierte Unternehmen über einen mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Zeitraum als Nachfrager vom Erhalt oder als Anbieter von der Erbringung gewerblicher Leistungen ausgeschlossen wird.93 Die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen wird, gegebenenfalls bis hin zur Aufgabe der unternehmerischen Tätigkeit, beeinträchtigt. Die Gegenauffassung, welche diskriminierte Unternehmen auf den Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 1, 3 GWB verweisen möchte,94 vermag nicht zu überzeugen. Der Verweis auf das Schadensersatzrecht ist immer nur die zweitbeste Lösung. Vorrang muss stets die Wiederherstellung des Leistungswettbewerbs haben.95 Darüber hinaus ist der Annahme, dass eine diskriminierende Auswahl für den Wettbewerb nicht schädlich sei, zu widersprechen. Denn schlussendlich wird die Leistungsgerechtigkeit als Verteilungsprinzip sowohl auf dem beherrschten als auch dem Drittmarkt in Frage gestellt, wenn nicht sogar ausgeschlossen. Auch für die Vertragspartner des Begünstigten wird es sich regelmäßig als nachteilig erweisen, dass ein weniger leistungsfähiges Unternehmen die Zuteilung erhalten hat. Zwar ist der Abschluss eines Vertrages ein wettbewerbsneutrales Verhalten. Jedoch kann sich der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i. S. v. § 134 BGB auch aus den Umständen des Vertragsschlusses ergeben.96 Durch den Vertragsschluss mit dem rechtswidrig 90
Siehe S. 61 ff. Siehe S. 61 ff. 92 Siehe S. 430 ff. 93 Zum Bsp.: OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5736 f., 5741) „Biomüll“; BGH, 08. 04. 2003, WuW/DE-R 1099 (1100 f.) „Konkurrenzschutz für Schilderpräger”; OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2027 f.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2524 f.) „Schilderprägestelle“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 94 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“. 95 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 96 Siehe S. 94 ff. 91
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begünstigten Unternehmen wird die fehlerhafte Auswahl in einen Vertrag überführt. Dieser sichert als verbindliche Vereinbarung den Bevorzugten rechtlich ab. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen fehlerhafter Auswahl und Vertragsdurchführung. Solange dieser Vertrag praktiziert wird, bleibt die Diskriminierung bestehen. Folglich unterfällt der Vertrag mit einem, in diskriminierender Weise bevorzugten Unternehmen dem Verbot des § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB. b) Normzweckvorbehalt Ist festgestellt, dass ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, bleibt zu prüfen, ob die von der Auslegungsregel des § 134 2. Halbsatz BGB vorgesehene Nichtigkeit dem Normzweck tatsächlich Rechnung trägt. aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten Aus Sicht des benachteiligten Unternehmens ist die Nichtigkeit des Vertrages zwischen Marktbeherrscher und Dritten Voraussetzung dafür, um überhaupt Geschäftsbeziehungen mit dem marktbeherrschenden Unternehmen eingehen zu können. Die Beseitigung der Ungleichbehandlung kann angesichts der Knappheit bzw. der nur einmaligen Möglichkeit der Vergabe, lediglich dadurch erfolgen, dass entweder der Diskriminierte an Stelle des rechtswidrig Bevorzugten die begehrte Leistung erhält oder zumindest in Fällen, in denen im Nachhinein nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer den Zuschlag erhalten hätte, eine neue diskriminierungsfreie Auswahl stattfindet. Beides aber ist unmöglich, solange der Marktbeherrscher dem Begünstigten gegenüber vertraglich verpflichtet bleibt.97 Auf der anderen Seite ist die Schutzbedürftigkeit desjenigen Unternehmens, mit dem der Vertrag geschlossen wurde, zu berücksichtigen.98 Dieses Unternehmen will die vertraglichen Ansprüche behalten. Im Normalfall hat es sich selbst nicht rechtswidrig verhalten.99 Allerdings darf auch das Ziel, unverfälschten Wettbewerb durch effektive Sanktionen zu gewährleisten, nicht außer Acht gelassen werden. Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs gestaltet sich in der vorliegenden Konstellation schwieriger, als er sich ohnehin in vielen wettbewerbsrechtlichen Fallgestaltungen darstellt, in denen der Umfang des Schadens schwer nachzuweisen und 97
OLG Düsseldorf, 12. 03. 2008, WuW/DE-R 2518 (2520 f.) „Nichtigkeit der Verlängerung eines Konzessionsvertrages“; OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2524 f.) „Schilderprägestelle“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“. 98 Insoweit besteht im Ausgangspunkt Übereinstimmung mit der Gegenauffassung: OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (60 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“. 99 Fälle von Absprachen, Bestechung oder sonst verbotener Zusammenarbeit sollen hier außer Betracht bleiben.
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deshalb vielfach nur nach § 287 ZPO zu schätzen ist.100 Das besondere Problem liegt darin, dass das diskriminierte Unternehmen nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Marktbeherrschers nachweisen muss, sondern auch darzulegen und zu beweisen hat, dass es bei rechtmäßiger Entscheidung des Marktbeherrschers hätte Vertragspartner werden müssen.101 Das kann sich im Einzelfall deshalb als schwierig erweisen, weil die Beurteilung einzelner Angebote102 nur bis zu einem gewissen Grad die Bewertung als objektiv besser oder schlechter zulässt. Vielfach verbleibt ein gewisser Spielraum innerhalb dessen, je nach subjektiver Präferenz eine Auswahl des einen oder anderen Anbieters oder Nachfragers zu rechtfertigen ist. Im Rahmen dessen ist dem Marktbeherrscher zur Wahrung seiner berechtigten geschäftlichen Interessen ein Ermessensspielraum zuzugestehen. Das bedeutet, dass selbst dann, wenn es dem ausgeschlossenen Unternehmen gelingt, nachzuweisen, dass die Auswahl des aktuellen Vertragspartners rechtswidrig war, es möglich wäre, dass anstelle dessen nicht der Anspruchsteller, sondern ein drittes Unternehmen den Zuschlag hätte erhalten müssen. Oder aber es ist nicht mehr mit Sicherheit feststellbar, wer unter rechtmäßigen Bedingungen Vertragspartner geworden wäre. bb) Keine Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts Im Bereich des öffentlichen Vergaberechts hat der Gesetzgeber zur Lösung dieses Problems die Vorschrift des § 126 S. 1 GWB geschaffen.103 Danach hat derjenige, der eine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, Anspruch auf Ersatz seiner mit der Angebotserstellung und -unterbreitung verbundenen Kosten. Hierbei handelt es sich zunächst einmal um eine Beweisregel. Der Anspruch leitet sich aus dem Gedanken des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen ab. Infolge der Ausschreibung entsteht ein gesetzliches Vertrauensschuldverhältnis. In der ursprünglichen Herleitung bestand eine Verwandtschaft mit der Rechtsfigur der c.i.c., der aber die Vergaberegelungen aufgrund ihrer spezifischen und detaillierten Ausgestaltung mittlerweile entwachsen sind und ein Rechtsinstitut eigener Art bilden.104 § 126 S. 2 BGB lässt weitergehenden Schadensersatz zu. Damit soll dem Anspruchsteller die Möglichkeit gegeben werden, das Erfüllungsinteresse zu liquidieren, falls ihm der Nachweis gelingt, dass er bei ordnungsgemäßer Vergabeentscheidung Vertragspartner geworden wäre.105 Diese Fallgestaltung ist aber auf die Fälle von Entscheidungen über einen Vertragsschluss privater Unternehmen nicht ohne weiteres übertragbar. Das 100
Zum Schadensersatz siehe ab S. 460. Siehe S. 460 ff.; vgl. allgemein zur Beweislast Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.). 102 Das umfasst sowohl Angebote auf Erbringung einer Leistung gegenüber einem nachfragemächtigen Unternehmen als auch das Angebot, bestimmte Leistungen als Nachfrager zu mehr oder weniger günstigen Bedingungen abzunehmen. 103 BegrRegE BT-Drucks. 13/9340 und BGBl. I (1998), S. 2521. 104 Schweda, in: Langen/Bunte, § 126 GWB Rn. 3 ff. 105 Schweda, in: Langen/Bunte, § 126 GWB Rn. 20 f. 101
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Vergaberecht für öffentliche Rechtsträger schreibt, unter der Voraussetzung des Überschreitens von bestimmten Schwellenwerten, ein detailliertes Ausschreibungsverfahren vor, welches in § 97 Abs. 2 GWB das Verbot der Diskriminierung ausdrücklich als einen der wesentlichen Grundsätze nennt. Aufgrund dessen besteht auch eine hinreichende Grundlage für ein gesetzliches Vertrauensschuldverhältnis. Allenfalls dann, wenn private Unternehmen eine Ausschreibung durchführen, besteht eine Parallelität. In vielen Fällen aber, insbesondere, wenn Leistungen ohne Ausschreibung vergeben werden oder es nur um die Zuteilung knapper Ressourcen geht, besteht keine Parallele. Zwar entsteht aufgrund des geschäftlichen Kontakts ein vorvertragliches Vertrauensschuldverhältnis. Dabei sind aber der Grundsatz der Vertragsfreiheit und das Verbot der Diskriminierung gleich zu gewichten.106 Eine Vorschrift, entsprechend § 97 Abs. 2 GWB fehlt. Das Diskriminierungsverbot besteht nur als deliktische Verhaltensregel aufgrund des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB.107 Daraus ergibt sich in der Folge, dass ein Schadensersatzanspruch wegen diskriminierender Ablehnung eines Vertragsschlusses durch einen privaten Marktbeherrscher nur über § 33 Abs. 1, 3 GWB zu begründen ist. Das Problem des Schadensnachweises lässt sich also nicht durch einen Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 126 GWB lösen. cc) Das Interesse des diskriminierten Unternehmens Die Nichtanwendbarkeit von § 126 GWB bedeutet, dass aufgrund des schwierigen Schadensnachweises ein besonders starkes Interesse des Diskriminierten daran besteht, selbst Vertragspartner werden zu können und einen Schaden gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu wiederum ist notwendig, dass ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch108 zu einem Vertragsschluss mit dem Benachteiligten oder zumindest zu einer Neuauswahl führen kann und nicht an dem, mit dem Begünstigten bestehenden Vertrag scheitert. Als Alternative zur Totalnichtigkeit oder vollen Wirksamkeit ist eine ex nunc Nichtigkeit ab dem Zeitpunkt denkbar, ab dem ein diskriminiertes Unternehmen nach Vertragsschluss Rechtsschutz gegen die rechtswidrige Ablehnung des Vertragsschlusses begehrt. Dadurch könnte einerseits ein rechtmäßiger Zustand wieder hergestellt und zugleich dem Vertrauensschutz des bisherigen Vertragspartners, zumindest insoweit als der Vertrag durchgeführt wurde, Rechnung getragen werden.
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Siehe S. 427 ff. Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV und auch § 1 GWB sind bei Vergabeentscheidungen marktstarker/ marktbeherrschender Unternehmen von vornherein nicht anwendbar, da es um schlicht einseitige Entscheidungen geht. 108 Siehe dazu ab S. 458. 107
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dd) Die Stellung des Vertragspartners (1) Vertrauensschutz und Schadenersatz Dieses Unternehmen vertraut auf den Erhalt der Leistung und stellt sein wirtschaftliches Verhalten darauf ein. Einerseits ist ihm rechtswidriges Verhalten nicht vorzuwerfen. Andererseits hätte es die vertraglichen Leistungen, wäre alles rechtmäßig verlaufen, gar nicht erhalten dürfen. Im Fall der Nichtigkeit hätte der dann nur vermeintliche Vertragspartner die Möglichkeit, Schadensersatz nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB zu beanspruchen. Die Grundlage dafür bietet die vom Marktbeherrscher verletzte Aufklärungspflicht über eine sichere oder zumindest mögliche Nichtigkeit infolge eigenen Fehlverhaltens.109 Allerdings erhält der Schadensgläubiger nur das negative Interesse, kann also insbesondere nicht verlangen so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stehen würde.110 Das bedeutet ein etwaiger entgangener Gewinn wäre nicht ersatzfähig. Für nutzlose Aufwendungen und Kosten kann er aber Ersatz verlangen. Im Fall von Vergabeentscheidungen nachfragemächtiger Unternehmen sind insbesondere Investitionen erfasst, die sich nicht mehr amortisieren können. Hinzu tritt möglicherweise entgangener Gewinn aus anderen Aufträgen, die wegen der Vergabe nicht angenommen werden konnten. In Fällen der Zuteilung knapper Leistungen spielt Schadensersatz in Form des negativen Interesses allenfalls in Form von nutzlosen Aufwendungen eine Rolle, die in Erwartung des Erhaltens der Leistungen entstanden sind. Im Übrigen aber hätte das rechtswidrig begünstigte Unternehmen bei rechtmäßiger Entscheidung nichts erhalten. (2) Vollzogener Vertrag und Bereicherungsrecht Es ist zu beachten, dass nach einer Invollzugsetzung des Vertrages die Schutzbedürftigkeit des begünstigten Vertragspartners erheblich zunimmt. Aufgrund der durch die Nichtigkeit erforderlich werdenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung entstünde eine zusätzliche Belastung. Die analoge Anwendung von § 817 S. 2 BGB vermag den Bereicherungsschuldner nicht schützen.111 Denn die Vorschrift greift nur ein, wenn der Leistende gerade durch die Erbringung der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Anders als etwa bei missbräuchlichen Kopplungen oder Rabatten ist das hier nicht der Fall. Der Leistungsaustausch selbst hat kartellrechtliche Bedeutung nur insoweit, als er unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zustande gekommen ist. Der Austausch selbst verstößt nicht gegen das
109 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 25; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 74 ff. 110 Ernst, in: MüKo BGB, § 311 a Rn. 21; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger BGB, § 311 a Rn. 80. 111 Es ist allgemein anerkannt, dass die Leistungskondiktion gemäß § 817 S. 2 BGB analog auch dann ausgeschlossen ist, wenn nur der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstößt; Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10.
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Diskriminierungsverbot.112 Es handelt sich um eine schlichte Vertragsdurchführung. Zwischen Leistung und Gegenleistung besteht eine Äquivalenz, die auch im Rahmen des Bereicherungsrechts nicht in Frage zu stellen ist. Die Rückgewähr der gegenseitigen Leistungen bereitet Schwierigkeiten. An sich wäre die Saldotheorie zugrunde zu legen, die, je nachdem, ob der vermeintliche Vertragspartner ein gutes Geschäft gemacht hat im Einzelfall Vor- oder Nachteile für diesen bedeuten kann.113 In den Fällen der Verteilung knapper Leistungen bedarf es aber einer Rückabwicklung, weil nur durch Neuverteilung die Ungleichbehandlung zu beseitigen ist. In Fällen der Auftragsvergabe wäre, nachdem der rechtswidrig Begünstigte bereits Leistungen erbracht hat, eine Rückabwicklung sinnlos, weil die gleichen Leistungen nach Neuvergabe durch das diskriminierte Unternehmen erneut erbracht werden müssten. Dieses Ergebnis wäre wirtschaftlich unsinnig, so dass es hier bei der Saldotheorie bleiben müsste. Eine im Ergebnis überzeugende bereicherungsrechtliche Lösung ist angesichts dessen dogmatisch nicht begründbar, weil es sich nur um eine ergebnisorientierte Differenzierung dieser Fälle handeln würde. Zu bedenken ist des Weiteren, dass der Begünstigte nicht nur den Erfüllungsanspruch verlöre. Ihm stünden auch keine Gewährleistungs- oder sonstigen Ansprüche wegen Vertragsverletzung zu, die im Falle der Wirksamkeit des Vertrages gegeben wären. Diese Schwierigkeiten könnten allerdings durch eine Nichtigkeit ex nunc vermieden werden. Soweit der Vertrag vollzogen ist, bleibt er bestehen inklusive aller Sekundärleitungsansprüche bestehen. Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung wäre nicht nötig. Aus Sicht des begünstigten Unternehmens besteht allerdings das Problem, dass eine neue Zuteilung knapper Leistungen, soweit sie dem Begünstigten vom Marktbeherrscher tatsächlich gewährt wurden nicht mehr möglich ist. ee) Die Stellung des diskriminierten Unternehmens Es ist nicht zu übersehen, dass der ausgeschlossene Interessent bei Wirksamkeit des Vertrages mit dem begünstigten Unternehmen erhebliche Nachteile hinnehmen muss. Er bleibt als Nachfrager von der Leistung völlig ausgeschlossen und kann als Anbieter während der Laufzeit des Vertrages seine Leistung nicht erbringen. Es tritt eine erhebliche Beeinträchtigung wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten ein, die im Einzelfall existenzbedrohenden Charakter haben kann.114 Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich mit der Versagung von Leistungen, die andere erhalten bzw. erbringen dürfen, eine Verschlechterung der Chancen im Wettbewerb zwischen begünstigtem und benachteiligtem Unternehmen verbindet. Aus Sicht des Diskriminierten sind durch eine Nichtigkeit nicht alle Probleme erledigt. Soweit im Bereich des Angebotswettbewerbes, d. h. bei Leistungsvergabe Verträge mit Dritten in 112
Die Rechtswidrigkeit folgt aus den Umständen des Zustandekommens des Rechtsgeschäfts, siehe S. 447 f. 113 Vgl. Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 210 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41 f. 114 Siehe S. 430 ff.
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Vollzug gesetzt wurden, profitiert er, soweit es die Vergangenheit betrifft, von der Nichtigkeit nicht. Die verstrichene Zeit, in der er in seiner wirtschaftlichen Betätigung beeinträchtigt war, ist für ihn verloren und kann nicht nachgeholt werden. Ein Interesse an der Nichtigkeit besteht nur mit Blick auf die Zukunft, nämlich insoweit als der in Vollzug gesetzte Vertrag dem Begehren selbst Vertragspartner zu werden, entgegensteht. Zwar erhält der Benachteiligte infolge der Nichtigkeit noch keine vertraglichen Ansprüche. Jedoch ist die Nichtigkeit Voraussetzung dafür, dass er mit einer Beseitigungsklage, gerichtet auf Beendigung der Diskriminierung Erfolg haben kann. Eine solche Klage läuft auf einen Kontrahierungszwang hinaus.115 Ohne die Nichtigkeit könnte der Marktbeherrscher sich auf den gültigen Vertrag berufen und geltend machen, dass ein weiterer Vertragsschluss unmöglich ist.116 Treten die von der Diskriminierung betroffenen Unternehmen in Fällen knapper Leistungen als Nachfrager auf, so kann die bloße Nichtigkeit von Verträgen das Problem fehlerhafter Zuteilung nicht lösen. Die Nichtigkeit nutzt nichts mehr, wenn der Vertrag mit dem Begünstigten vollzogen ist und er die Leistungen weiterverkauft oder weiterverarbeitet hat. Dann ist die Beseitigung der Ungleichbehandlung unmöglich. Ist der Begünstigte dagegen noch im Besitz der erhaltenen Produkte könnte eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung erfolgen. Sie stößt aber, wie gezeigt, auf große Schwierigkeiten.117 Allerdings nutzt die Nichtigkeit, falls ein Vertrag nur teilweise vollzogen wurde, insoweit, als ein vollständiger Leistungsaustausch verhindert werden kann und zumindest bezüglich der beim Marktbeherrscher noch vorhandenen Leistungen eine neue Zuteilung möglich wird. Dadurch könnte das Ausmaß der Ungleichbehandlung zumindest reduziert und der Schaden minimiert werden. Das diskriminierte Unternehmen hat also ein Interesse an der Nichtigkeit der Verträge, die mit bevorzugten Unternehmen geschlossen wurden. Eine vollständige Nichtigkeit ex tunc bringt gegenüber einer Einschränkung der Nichtigkeit insoweit als tatsächlich vollzogene Verträge Bestand haben sollen, dem Diskriminierten keine Vorteile. Bleibt ein in Vollzug gesetzter Vertrag bis zur der Geltendmachung des Anspruchs auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Diskriminierung mit Wirkung für die Vergangenheit bestehen, dann stellt er kein Hindernis für die Verwirklichung des Anspruchs auf Gleichbehandlung in Gegenwart und Zukunft dar. ff) Nichtigkeit ex nunc als Lösung Eine Lösung des Problems sollte also einerseits zugunsten des bevorzugten Unternehmens das Vertrauen auf den Bestand des Vertrages mit dem Marktbeherr115
Siehe S. 458 ff. OLG Düsseldorf, 12. 03. 2008, WuW/DE-R 2518 (2520 f.) „Nichtigkeit der Verlängerung eines Konzessionsvertrages“; OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2524 f.) „Schilderprägestelle“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4150 f.) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; BGH, 07. 10. 2014, WuW/DE-R 4499 (4502 ff.) „Stromnetz Olching“; siehe auch S. 458 ff. 117 Siehe S. 451 f. 116
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scher schützen. Insbesondere wäre es wünschenswert eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung zu vermeiden. Andererseits muss die Diskriminierung im Interesse des Benachteiligten möglichst schnell und umfassend beendet werden. Beide Aspekte finden angemessene Beachtung, wenn der Vertrag ex nunc ab Geltendmachung der Ungleichbehandlung durch betroffene Unternehmen nichtig ist.118 Das bedeutet, soweit in Vollzug des Vertrages Leistungen ausgetauscht wurden, hat der Vertrag als Rechtsgrund des Leistungsaustausches Bestand. Im Hinblick auf die Zukunft ist er nichtig und steht einer Beseitigung der Ungleichbehandlung nicht entgegen.119 Allerdings kann es dann vorkommen, dass die Aussicht auf Amortisation von Investitionen, die der Begünstigte im Vertrauen auf den Bestand des Vertrages getätigt hat, oder Gewinnerwartungen enttäuscht werden.120 Insoweit hat er aber die Möglichkeit, den Vertrauensschaden nach § 311 Abs. 1 BGB ersetzt zu verlangen.121 Dennoch kann ein Schaden verbleiben, weil das Erfüllungsinteresse nicht ersetzt wird. Und natürlich ist es ungünstiger, auf Schadensersatz verwiesen zu werden als den Vertrag durchführen zu können. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass das rechtswidrig begünstigte Unternehmen an sich niemals hätte einen vertraglichen Anspruch erwerben dürfen. Diese Lösung könnte Probleme aufwerfen, wenn es aufgrund diskriminierender Auswahl mehrere ausgeschlossene Unternehmen gibt, von denen aber nur eines Vertragspartner hätte werden können. Wird die Nichtigkeit festgestellt, ist es unter Umständen schwierig zu ermitteln, welches Unternehmen zu berücksichtigen gewesen wäre. Gelingt diese Feststellung, hat nur das Unternehmen Anspruch auf Vertragsschluss, welches von vornherein den Zuschlag hätte erhalten müssen. Möglicherweise bleibt unklar, wie die Entscheidung unter rechtmäßigen Bedingungen ausgefallen wäre. Das mag vorkommen, wenn der Marktbeherrscher einen Entscheidungsspielraum gehabt hätte, innerhalb dessen er sich frei hätte entscheiden können.122 Dann aber kann der Anspruch auf Beseitigung der Diskriminierung nur dahin gehen, eine erneute Auswahl vorzunehmen.123 Auch dafür ist zunächst die Nichtigkeit des bestehenden Vertrages notwendig. Infolge der Annahme einer ex nunc Nichtigkeit kommt es nicht in Betracht, dass die Beseitigung oder 118 OLG Düsseldorf, 17. 12. 2008, WuW/DE-R 2522 (2524 f.) „Schilderprägestelle“; a. A., d. h. für vollumfängliche Wirksamkeit des Vertrages: OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZSchilderpräger (Villingen-Schwenningen); OLG Düsseldorf, 12. 03. 2008, WuW/DE-R 2518 (2520 f.) „Nichtigkeit der Verlängerung eines Konzessionsvertrages“; insoweit in sich widersprüchlich für Teilwirksamkeit und Teilnichtigkeit ex tunc OLG Saarbrücken, 03. 05. 2007, WuW/DE-R 2025 (2026 ff.) „Mietvertrag mit Schilderpräger“; für uneingeschränkte Nichtigkeit: BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4139 (4151) „Stromnetz Heiligenhafen“; BGH, 17. 12. 2013, WuW/DE-R 4159 (4175 f.) „Stromnetz Berkenthin“; LG Düsseldorf, 26. 02. 2014, WuW/DE-R 4207 (4211) „Strom- und Gaskonzessionsverträge“. 119 Zur Nichtigkeit ex nunc siehe S. 121 f. 120 Dies ergibt sich daraus, dass der Vertrag nicht über die volle Laufzeit praktiziert wird. 121 Für den Fall des Wegfalls einer rechtswidrigen Begünstigung, siehe S. 447 f. 122 Zur Wahlfreiheit auch des Marktbeherrschers, siehe S. 435 ff. 123 Siehe S. 458 ff.
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Unterlassung als unmöglich betrachtet wird. Diese Annahme liegt der Rechtsprechung zugrunde, welche den Vertrag mit dem Begünstigten als wirksam ansieht und als Folge den Diskriminierten auf Schadensersatzansprüche verweist.124 Mit dieser Rechtsprechung wird indes die Möglichkeit, das Diskriminierungsverbot so effektiv als möglich durchzusetzen und Chancengleichheit als Teil eines fairen Leistungswettbewerbs wenigstens teilweise wiederherzustellen, vergeben. Anstelle dessen wird ein rechtswidriger Zustand hingenommen. Lediglich seine wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen können im Wege eines Schadensersatzanspruches ausgeglichen werden. Mit dem Grundsatz einer effektiven Verbotsdurchsetzung verträgt es sich nicht, den Eintritt eines Schadens abzuwarten und lediglich die Folgen zu kompensieren. Ziel der Wettbewerbsnormen des AEUV und des GWB ist es, die Aufrechterhaltung des freien Leistungswettbewerbs soweit als möglich zu schützen.125 Darüber hinaus ist ein Schadensersatzverlangen oder zumindest die vollständige Kompensation der wirtschaftlichen Nachteile, regelmäßig nur schwer durchsetzbar, weil sowohl das Verschulden als auch die Schadenshöhe nachgewiesen werden müssen. Letzteres ist auch unter Zugrundelegung der Beweiserleichterungen der §§ 252 S. 2 BGB und 287 ZPO in der Mehrzahl der Fälle nicht als einfach anzusehen. Möglicherweise gelingt dem Betroffenen noch nicht einmal der Nachweis, dass er selbst hätte Vertragspartner werden müssen. Unter der Voraussetzung der Nichtigkeit ex nunc kann er dann aber immerhin eine neue Entscheidung über die Verteilung der Leistungen verlangen.126 c) Ergebnis Austauschverträge, die als Folge einer diskriminierenden Auswahlentscheidung zwischen Marktbeherrscher und Drittem geschlossen werden, stellen einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB dar. Die Nichtigkeit dieser Verträge wird durch den Normzweck des Diskriminierungsverbotes gefordert, weil sie Voraussetzung dafür ist, dass die Benachteiligung rechtswidrig ausgeschlossener Unternehmen beendet werden kann. Deren Diskriminierung kann regelmäßig nur dadurch beseitigt werden, dass sie selbst Vertragspartner werden und auf diese Weise die Leistungen erhalten, die ihnen bis dato rechtswidrig vorenthalten wurden. Im Ausnahmefall kommt auch ein Anspruch auf erneute diskriminierungsfreie Entscheidung in Betracht. Der Schutz des sich rechtmäßig verhaltenden begünstigten Unternehmens erfordert es jedoch, dass Verträge, soweit sie bereits vollzogen wurden, nur ex nunc nichtig sind. Aus Sicht des Behinderten ist das auch ausreichend. Er erhält zukünftig die begehrte Leistung. Diese Lösung ist auf die eingangs angesprochenen Fälle zu übertragen, bei denen der Marktbeherrscher sowohl mit 124 OLG München, 28. 03. 1996, WuW/E OLG 5735 (5741) „Biomüll“; OLG Karlsruhe, 25. 06. 1997, WuW/DE-R 59 (59 f.) „KFZ-Schilderpräger (Villingen-Schwenningen)“. 125 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 126 Siehe S. 458 ff.
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dem begünstigten als auch dem benachteiligten Unternehmen Verträge schließt, aber knappe Leistungen in diskriminierender Weise fehlerhaft zuteilt. Da das benachteiligte Unternehmen weniger erhält als es bei rechtmäßiger Vergabe erhalten müsste, ist der Vertragsschluss aus Sicht des marktbeherrschenden Unternehmens zwar Teil des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot. Es besteht aber keine Notwendigkeit für eine Nichtigkeit, da dem Betroffenen die im Vertrag zugesagten Leistungen zustehen. Der Vertrag mit dem begünstigten Unternehmen ist dagegen ex nunc nichtig. Soweit er noch nicht vollzogen ist, sind die freigewordenen Ressourcen durch eine neue Zuteilung zu verteilen. In der Folge kann auch hier die Ungleichbehandlung so weit als möglich beseitigt werden.
V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Persönliche Betroffenheit Der Kreis, der wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot Anspruchsberechtigten ist nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 i. V. m. 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB abzugrenzen. Die Betroffenheit im Sinne einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten besteht bei allen genannten Vorschriften in der Ungleichbehandlung von wesentlich gleichen Marktteilnehmern und dem Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung dafür. Voraussetzung einer Ungleichbehandlung ist zunächst, dass überhaupt eine Behandlung vorliegt. Dazu genügt es nicht, dass sich das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens in irgendeiner Weise auf die geschäftliche Tätigkeit eines anderen auswirkt. Vielmehr geht es darum, dass der Marktbeherrscher Maßnahmen im geschäftlichen Verkehr gezielt gegenüber einem anderen Unternehmen vornimmt oder unterlässt. Dazu ist eine unmittelbare geschäftliche Beziehung erforderlich, aber auch ausreichend.127 Mittelbar als Geschäftspartner eines diskriminierten Unternehmens betroffene Marktteilnehmer auf nachgelagerten oder sonst dritten Märkten sind nicht anspruchsberechtigt.128 Zur Begründung ist auf 127
Der BGH hatte zunächst gefordert, dass das diskriminierte Unternehmen ebenfalls auf dem beherrschten Markt tätig sein muss, vgl.: BGH, 23. 02. 1988, WuW/E BGH 2483 (2489 f.) „Sonderungsverfahren“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 1011 (1013) „Wertgutscheine für Asylbewerber“. Später hat der BGH angedeutet, daran womöglich nicht mehr festhalten zu wollen, vgl.: BGH, 04. 11. 2003, WuW/DE-R 1206 (1207) „Strom und Telefon“; BGH, 30. 03. 2004, WuW/DE-R 1283 (1285) „Der Oberhammer“; im Anschluss daran auch OLG München, 10. 03. 2005, WuW/DE-R 1464 (1466) „Nürnberger Hafengelände“; siehe auch S. 293 ff. Zumindest muss sich aber die Marktmacht auf den Markt auswirken, auf dem das diskriminierte Unternehmen tätig ist, vgl.: BGH, 13. 11. 2007, WuW/DE-R 2163 (2164) „Freihändige Vermietung an Behindertenwerkstatt“; OLG Karlsruhe, 24. 09. 2014, WuW/DE-R 4658 (4661) „Schilderpräger“; siehe auch S. 127 ff. 128 Vgl. soeben Fn. 127; zweifelnd im Ergebnis aber gleiche Auffassung Hübschle, WuW 1998, S. 146 (150 f.); a. A. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 22; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 73, 49 ff.; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 25.
F. Diskriminierung
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die parallele Problematik in den Fällen der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung zu verweisen.129 Soweit unter dem Gesichtspunkt, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Geschäftspartner zwingt, Dritte zu diskriminieren, Art. 102 S. 1 AEUV anwendbar ist,130 folgt daraus noch keine individuelle Betroffenheit i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB. Denn die Beendigung der Ungleichbehandlung kann nur unter Mitwirkung der Geschäftspartner des Marktbeherrschers geschehen, die aber nicht Normadressaten von Art. 102 AEUV sind. Diese dürfen, da es kein allgemeines Diskriminierungsverbot gibt, Dritte ungleich behandeln, es sei denn die Ungleichbehandlung beruht auf abgestimmtem Verhalten. In diesem Fall ist sie nach Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV verboten. Das Verbot greift unabhängig davon ein, ob der Geschäftspartner des Marktbeherrschers freiwillig oder unter Zwang handelt. Eine Rechtsschutzlücke entsteht nicht. Denn das betroffene Unternehmen kann nach Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB die am abgestimmten Verhalten mitwirkenden Unternehmen auf Beseitigung, Unterlassung und i. V. m. § 33 Abs. 3 GWB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.131 Soweit die Diskriminierung zugleich auf einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV beruht, wie es etwa bei vertikalen Vertriebsbindungen der Fall sein kann, ist der Kreis der Anspruchsberechtigten auch auf solche Marktteilnehmer auszuweiten, die dem gebundenen Unternehmen unmittelbar gegenübertreten und von diesem in Ausführung des abgestimmten Verhaltens ohne sachlichen Grund ungleichbehandelt werden. Der Grund hierfür liegt in der Mitwirkung des gebundenen Unternehmens, welches sich einerseits selbst rechtswidrig verhält und andererseits die Geschäftspolitik des bindenden Unternehmens an dessen Stelle und in dessen Auftrag umsetzt. In diesem Fall können beide Unternehmen, die am wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhalten mitwirken, vom diskriminierten Marktteilnehmer als Normadressaten des Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV oder § 1 GWB über § 33 Abs. 1, 3 GWB auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Ist in einem solchen Fall das bindende Unternehmen zugleich marktbeherrschend, können die Betroffenen ihre Ansprüche auch auf Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB stützen, ohne dass diese allerdings inhaltlich weiter reichen würden. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB sind also alle aktuellen und potentiellen Geschäftspartner geschützt, die Leistungen des Marktbeherrschers in Anspruch nehmen oder ihm gegenüber Leistungen erbringen. Darüber hinaus sind auf nachgelagerten Märkten tätige Unternehmen anspruchsberechtigt, wenn sie durch ein Unternehmen diskriminiert werden, welches
129
Siehe S. 404 ff. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 376. 131 Zu den Fällen der Vertriebsbindung, siehe S. 366 f.; gegebenenfalls liegt auch ein Verstoß gegen das Boykottverbot vor, siehe S. 367 f. 130
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
diese Ungleichbehandlung mit dem Marktbeherrscher abstimmt und dadurch an dessen Stelle handelt.132 2. Sachlicher Schutzbereich Das Verbot der Diskriminierung wendet sich gegen eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gleichartiger aktueller oder potentieller Marktteilnehmer durch einen der Normadressaten des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUVoder der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB.133 3. Inhalt des Beseitigungsanspruchs Ein Klageantrag bzw. ein Urteilstenor sind nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GWB auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung der Ungleichbehandlung zu richten. Nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn ersichtlich nur eine einzige Handlungsmöglichkeit besteht, um die Diskriminierung zu beenden, kann der Unterlassungsschuldner zur Vornahme eben dieser Handlung verurteilt werden.134 Das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfordert es, die Ungleichbehandlung im Klageantrag genau zu beschreiben. Soweit sie im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen oder der Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte stehen, sind die entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen oder die einseitigen Rechtsgeschäft, aus denen die Ungleichbehandlung ersichtlich wird, zu benennen.135 Der Klageantrag bzw. der spätere Urteilstenor müssen das Unter132 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 20, 22; Bornkamm, in: Langen/ Bunte, § 33 GWB Rn. 68; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 22. 133 Zur Übersicht siehe S. 427 ff. 134 BGH, 13. 12. 2005, WuW/DE-R 1726 (1728) „Stadtwerke Dachau“; für kartellbehördliche Verfügungen beispielhaft: BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2951 (2952) „Weigerungsverbot“; BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (264 f.) „Puttgarden“ und OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (578) „Puttgarden“, sowie BGH, 08. 05. 2001, WuW/ DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“ und BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (978 ff.) „Fährhafen Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 13. 04. 2005, WuW/DE-R 1473 (1478 f.) „Konsolidierer“ und OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2765) „Post-Konsolidierer“, zuvor BKartA, 11. 02. 2005, WuW/DE-V 1025 (1025, 1031 ff.) „Konsolidierer“; OLG Frankfurt a.M., 29. 04. 2008, WuW/DE-R 2353 (2353 f., 2356) „vw.de“; LG Düsseldorf, 26. 02. 2014, WuW/DE-R 4207 (4211) „Strom- und Gaskonzessionsverträge“; Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45); Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (322 f.). 135 LG Köln, 19. 05. 2006, WuW/DE-R 1793 (1794, 1796) „Lodge Card“ und OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2185 f.) „Reisestellenkarte“; vgl. zu kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen: BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (289, 295) „Freie Tankstellen“ und OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/DE-R 589 (590) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (831 ff.) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 04. 2005, WuW/DE-R 1473 (1473, 1478 f.) „Konsolidierer“, zuvor BKartA, 11. 02. 2005, WuW/DE-V 1025 (1025, 1031 ff.) „Konsolidierer“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1235, 1246) „Praktiker Baumärkte“.
F. Diskriminierung
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nehmen oder die Gruppe von Unternehmen bezeichnen, im Vergleich zu denen eine Ungleichbehandlung des Betroffenen stattfindet.136 Das ist erforderlich, weil aus dem Inhalt der Rechtsgeschäfte selbst oder der Behandlung nur des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit nicht erkennbar ist. Die Diskriminierung wird erst aus den Umständen, speziell dem Vergleich mit Rechtsgeschäften des Marktbeherrschers mit anderen gleichartigen Unternehmen, sichtbar.137 Die Begründung für die Verwirklichung des Diskriminierungstatbestandes muss sich dagegen im Einzelnen aus den Klagegründen ergeben. Eine Besonderheit gilt hinsichtlich diskriminierender Auswahl bei Geschäftsabschlüssen über knappe Leistungen oder Vergabeentscheidungen.138 Hier lauten der Klageantrag bzw. der Urteilstenor regelmäßig auf Neuentscheidung bezüglich der Auswahl der Vertragspartner. Zwar lässt es das Diskriminierungsverbot grundsätzlich nur zu, negativ die Beseitigung der Ungleichbehandlung zu fordern. Daraus aber ergibt sich für den Beseitigungsgläubiger ein Handlungsgebot. Er muss Maßnahmen ergreifen, um die Ungleichbehandlung zu beenden. Dabei genießt er Wahlfreiheit bezüglich der Mittel. Nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn nur eine Handlungsvariante zur Verfügung steht, verdichtet sich der Anspruch auf ein konkretes Handlungsgebot.139 Da andererseits dem Marktbeherrscher regelmäßig ein Ermessensspielraum verbleibt bzw. das diskriminierte Unternehmen nicht mit Sicherheit nachweisen kann, dass es bei rechtmäßiger Auswahl Vertragspartner geworden wäre,140 ist die Neuauswahl der einzige Weg zur Beseitigung der Ungleichbehandlung.141 Nur dann, wenn das betroffene Unternehmen nachzuweisen in der Lage ist, dass es bei rechtmäßiger Auswahl Vertragspartner geworden wäre, kann es, entsprechend den Fällen der sachlich nicht gerechtfertigten
136 BGH, 07. 11. 2006, WuW/DE-R 1951 (1952 ff.) „Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt“; vgl. zu kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen: BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (289, 295) „Freie Tankstellen“ und OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/ DE-R 589 (590) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (831 ff.) „Freie Tankstellen“; OLG Düsseldorf, 13. 04. 2005, WuW/DE-R 1473 (1473, 1478 f.) „Konsolidierer“; OLG Düsseldorf, 30. 09. 2009, WuW/DE-R 2763 (2765) „Post-Konsolidierer“, zuvor BKartA, 11. 02. 2005, WuW/DE-V 1025 (1025, 1031 ff.) „Konsolidierer“; BKartA, 08. 05. 2006, WuW/DE-V 1235 (1235, 1246) „Praktiker Baumärkte“. 137 Siehe S. 427 f. 138 Siehe S. 430 ff. 139 Vgl. Fn. 134. 140 Ist die Auswahl hingegen fehlerhaft gewesen, weil sie gegen Verfahrens-, Form-, Bewertungs- oder sonstige Vorschriften verstoßen hat und bleibt unklar, wie die rechtmäßige Entscheidung ausgefallen wäre, dann richtet sich der Anspruch auf erneute Durchführung des Verfahrens. 141 BGH, 07. 11. 2006, WuW/DE-R 1951 (1951, 1953 f.) „Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt“; BGH, 13. 11. 2007, WuW/DE-R 2163 (2166) „Freihändige Vermietung an Behindertenwerkstatt“; LG Düsseldorf, 26. 02. 2014, WuW/DE-R 4207 (4211 f.) „Strom- und Gaskonzessionsverträge“; Weyer, GRUR 2000, S. 848 (852 f.); Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (45, 52 f.).
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Geschäftsverweigerung, unmittelbar auf Vertragsschluss klagen.142 Ein Vertrag mit einem rechtswidrig begünstigten Unternehmen kann nicht entgegenstehen, weil dieser Vertrag ex nunc nichtig ist. Das betroffene Unternehmen kann diese Frage im Wege der negativen Feststellungsklage klären lassen. Das Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 ZPO besteht dann, wenn die Nichtigkeit des Vertrages mit dem begünstigten Unternehmen Voraussetzung dafür ist, dass die Beseitigungsklage, gerichtet auf Neuvergabe oder Neuabschluss Erfolg haben kann. 4. Verhältnis von Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch Eine Ungleichbehandlung bewirkt, solange sie andauert, eine gegenwärtige Störung der wirtschaftlichen Betätigung der von der Diskriminierung betroffenen Unternehmen.143 Das lässt sich insbesondere daran veranschaulichen, dass unterschiedliche Vertragsbedingungen gegenüber begünstigtem und benachteiligtem Unternehmen aufgrund von § 134 2. Halbsatz BGB wirksam bleiben,144 zeigt sich aber auch bei verweigerten Geschäftsabschlüssen daran, dass der Betroffene nachgefragte Leistungen nicht erhält. In diesen Fällen ist der Beseitigungsanspruch geltend zu machen. Der Unterlassungsanspruch ist dagegen bei Wiederholungsgefahr oder dann geltend zu machen, wenn die Diskriminierung lediglich ernsthaft droht.145 Im Übrigen sind die Ansprüche inhaltsgleich und können gegebenenfalls im Wege der Klagehäufung nach § 260 ZPO verfolgt werden. 5. Schadenersatz Soweit es um Naturalrestitution durch Herstellung diskriminierungsfreier Wettbewerbsbedingungen geht, führen bereits die verschuldensunabhängigen Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung zum Ziel.146 Als Schadensersatz können nach allgemeinen Grundsätzen entgangener Gewinn und der Ausgleich für einen Substanz- oder Wertverlust des von der Diskriminierung betroffenen Unternehmens gefordert werden.147
142 Siehe S. 409 ff.; zur kartellbehördlichen Anordnung eines Vertragsabschlusses vgl.: BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“, sowie BGH, 24. 09. 2002, WuW/ DE-R 977 (978 ff.) „Fährhafen Puttgarden“; OLG Hamburg, 06. 08. 1998, WuW/DE-R 213 (214) „Dentalmesse“; OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314 ff.) „Hörfunkwerbung“; OLG Düsseldorf, 15. 11. 2000, WuW/DE-R 619 (621 f.) „Fetting“. 143 Zur Abgrenzung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, siehe S. 144 f. 144 Siehe S. 434 ff. 145 Siehe S. 144 f. 146 Gleichwohl wird dieser Anspruch gelegentlich als Schadenersatzanspruch begründet, z. B. OLG Düsseldorf, 17. 11. 1992, WuW/E OLG 5105 (5112) „Garantierückabwicklung“; zur Begründung des Kontrahierungszwanges bei der Geschäftsverweigerung, siehe S. 406 ff. 147 Siehe S. 162 ff.
F. Diskriminierung
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a) Das Problem der Gleichbehandlung mit dem Begünstigten Es ist zu beachten, dass eine Schadensberechnung, mit der das benachteiligte Unternehmen verlangt, so gestellt zu werden, als ob es von Beginn an die Begünstigung erhalten hätte, nicht ohne weiteres zulässig ist. Denn es besteht kein Meistbegünstigungsanspruch.148 Hätte sich der Marktbeherrscher dadurch rechtmäßig verhalten können, dass er keinem der vergleichbaren Unternehmen den Vorteil gewährt, den er dem Begünstigten zuteilwerden ließ, dann darf als hypothetische Vergleichssituation nicht die für den Betroffenen günstigere der rechtmäßigen Handlungsvarianten unterstellt werden, ohne dass zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen wird, dass der Marktbeherrscher eben diese Variante freiwillig gewählt hätte. Der Betroffene muss diesen Nachweis führen. An dieser Stelle kann ihm allerdings die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO zugutekommen, falls das hypothetische Verhalten des Marktbeherrschers nicht mehr mit Sicherheit rekonstruiert werden kann. Aufgrund des tatsächlichen objektiven Verhaltens, insbesondere dem Ausmaß der Vergünstigung, der Auswahl der Begünstigten, dem angestrebten Zweck und der Reaktion auf das Begehren der Beseitigung der Diskriminierung können im Einzelfall genügend Indizien gewonnen werden, welche die für eine Schätzung hinreichende Tatsachengrundlage bieten.149 Bestand für den Marktbeherrscher die einzig zulässige Handlungsvariante darin, auch dem Diskriminierten die Begünstigung in Form eines vermögenswerten Vorteils zu gewähren, dann kann der Betroffene vollen Ausgleich für die gesamte Zeit der Schlechterstellung verlangen. Gelingt allerdings der Nachweis, dass der Marktbeherrscher, um sich rechtmäßig zu verhalten, eher allen vergleichbaren Unternehmen die Vergünstigung gewährt hätte als sie den Begünstigten zu entziehen, nicht, dann kann ein diskriminiertes Unternehmen eine nachträgliche Gewährung der Vergünstigung als Schadensausgleich nicht aus der finanziellen Besserstellung begünstigter Konkurrenten ableiten. Denn der Vorteil bevorzugter Unternehmen spiegelt sich nicht in einem Nachteil für diskriminierte Unternehmen wieder. Nur wenn das begünstigte Unternehmen die Vorzugsbehandlung zur Erlangung einer verbesserten Stellung im Wettbewerb mit dem benachteiligten Unternehmen einsetzt und in der Folge tatsächlich ein Wettbewerbsvorsprung entsteht, ergibt sich insoweit ein ausgleichfähiger Schaden. Der Schaden besteht dann in einem Verlust von Marktanteilen bzw. entgangenem Gewinn und ist nicht identisch mit dem Vorteil des bevorzugten Unternehmens. Daraus lässt sich ergänzend auch ersehen, dass selbst dann, wenn das benachteiligte Unternehmen im Wege des Schadensausgleiches nachträglich dem Begünstigten gleichstellt wird, indem es ebenfalls die Begünstigung erhält, damit noch nicht notwendig ein vollständiger Schadensausgleich verbunden ist. Haben 148
Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (323); siehe auch S. 435 ff., sowie S. 140 f. Zur Schadensschätzung siehe S. 163 ff.; a. A. grundsätzlich gegen einen Schadenersatzanspruch, Ostendorf, NZKart 2013, S. 320 (323 f.), dessen Lösung anstelle dessen einen Beseitigungsanspruch auf Nachzahlung zuzugestehen, nicht überzeugen kann, siehe dazu S. 147 ff. 149
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
begünstigte Unternehmen zwischenzeitlich aufgrund der Begünstigung einen Vorsprung im Wettbewerb erreichen können, ist auch insoweit Schadensersatz zu leisten. b) Der entgangene Gewinn Im Fall der diskriminierenden Geschäftsverweigerung kommt ein Schadensersatzanspruch in Bezug auf den entgangenen Gewinn in Betracht, wenn der Nachweis gelingt, dass das rechtswidrig ausgeschlossene Unternehmen Vertragspartner hätte werden müssen. Gelingt dagegen nur der Nachweis der Diskriminierung, nicht aber der Nachweis, dass der Betroffene hätte Vertragspartner werden müssen, dann kann mangels Kausalität kein Schadensersatz beansprucht werden. Eine entsprechende Anwendung des § 126 S. 1 GWB oder auch nur der Rückgriff auf den Rechtsgedanken der Vorschrift scheidet wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Rechtslage aus.150 In der Literatur wird vorgeschlagen, dass bereits die echte Chance auf Auswahl als Vertragspartner einen Vermögenswert zugeteilt bekommen solle, der einen Bruchteil des für den Interessenten im Fall des Zuschlages zu erwartenden Gewinnes umfassen könne.151 Gegen diese Lösung sprechen vor allem zwei Argumente. Erstens hat die Chance als solche keinen Vermögenswert. Sie ist nur Ausdruck einer Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf das Zustandekommen eines Vertragsschlusses. Da sie spezifisch an das Angebot oder die Nachfrage eines bestimmten Unternehmens gebunden ist, ist sie nicht handelbar und kann deshalb auch nicht über die Bildung eines Marktes einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Die Zuteilung eines Wertes ist also bloße Fiktion. Das führt zum zweiten Gegenargument. Es gibt keine reale Berechnungsgrundlage für den Wert einer solchen Chance, zumal sie je nach Gewinnerwartung des betreffenden Unternehmens schwanken würde. Der Gesetzgeber hat deshalb im Bereich des öffentlichen Vergaberechts eine solche Regelung nicht eingeführt. § 126 S. 1 GWB enthält lediglich eine Klarstellung über das Bestehen eines vorvertraglichen gesetzlichen Vertrauensschuldverhältnisses und eine Beweiserleichterung für den Ersatz nutzloser Aufwendungen.152 Umso wichtiger sind die Sanktionen der ex nunc Nichtigkeit, sowie der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch mit Hilfe derer diskriminierte Unternehmen verhindern können, dass ein Schaden überhaupt entsteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dann, wenn ein benachteiligtes Unternehmen schuldhaft zögert, mittels eines Beseitigungsanspruchs gegen die Ungleichbehandlung vorzugehen, eine Minderung des Umfanges des ersatzfähigen Schadens wegen Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 BGB eintreten kann. Die erleichterte Berechnung des Schadensersatzes durch Berücksichtigung des anteiligen Gewinnes nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB hat bei Diskriminierungen keine Bedeutung, weil durch eine Benachteiligung eines Marktteilnehmers der Marktbeherrscher keinen Gewinn erzielt. 150 151 152
Siehe S. 449 f. Fleischer, JZ 1999, 766 (768 ff., 770 f.). Siehe S. 449 f.; ablehnend auch Meessen, S. 405.
F. Diskriminierung
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VI. Zusammenfassung Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung kann sich infolge diskriminierender Vertragsgestaltung, diskriminierender Vertragsdurchführung oder diskriminierender Geschäftsverweigerung ergeben. Dabei schützt das Diskriminierungsverbot umfassend solche Unternehmen, die dem Marktbeherrscher unmittelbar gegenübertreten. Diskriminierende Vertragsgestaltungen sind nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. den §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Da aber jede der zu vergleichenden vertraglichen Bestimmungen für sich genommen nicht rechtswidrig ist und der Normadressat Wahlfreiheit genießt, zu entscheiden, auf welche Weise er die Ungleichbehandlung beseitigt, entspricht es dem Normzweck des Art. 102 AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB die Vertragsbestimmungen aufrecht zu erhalten und eine Beendigung der Ungleichbehandlung durch einen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch zu erzwingen. Einseitig begünstigende Rechtsgeschäfte sind i. S. v. § 134 BGB verboten, bleiben aber zum Schutz des Begünstigten wirksam. Nimmt der Marktbeherrscher gegenüber zwei vergleichbaren Unternehmen einseitige Rechtsgeschäfte in diskriminierend unterschiedlicher Weise vor, dann bleiben beide Rechtsgeschäfte wirksam. Hintergrund ist in beiden Fällen die Sicherung der Wahlfreiheit des Marktbeherrschers. Das diskriminierte Unternehmen ist auf den Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch zu verweisen. Einseitig belastende Rechtsgeschäfte sind verboten und grundsätzlich nach § 134 2. Halbsatz BGB nichtig, weil der Schutz des Diskriminierten in diesem Fall die Interessen des Marktbeherrschers überwiegt. In Fällen, in denen der Marktbeherrscher knappe Leistungen zuteilen muss, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt und in Fällen der Auftragsvergabe durch nachfragemächtige private Unternehmen sind Verträge, die mit einem in rechtswidriger Weise bevorzugten Unternehmen geschlossen wurden mit dem Zeitpunkt der Aufdeckung der Ungleichbehandlung ex nunc nichtig. Dadurch erhalten benachteiligte Unternehmen die Chance, durch eine neue diskriminierungsfreie Zuteilung oder Vergabe selbst Vertragspartner zu werden. Diese Lösung ist auf die Fälle zu übertragen, in denen das marktbeherrschende/ marktstarke Unternehmen sowohl mit dem begünstigten als auch dem benachteiligten Unternehmen Verträge schließt, aber knappe Leistungen in diskriminierender Weise fehlerhaft zuteilt. Der Vertrag mit dem diskriminierten Unternehmen bleibt wirksam, der Vertrag mit dem begünstigten Unternehmen ist ex nunc nichtig. Soweit er noch nicht vollzogen ist, sind die freigewordenen Ressourcen durch eine neue diskriminierungsfreie Zuteilung zu verteilen. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB sind all diejenigen Unternehmen anzusehen, die mit dem marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen unmittelbar in Geschäftsbeziehung stehen bzw. treten wollen und von diesem im Vergleich zu anderen Unternehmen ungleich behandelt werden. Mittelbar als Geschäftspartner eines diskriminierten Unternehmens betroffene Marktteilnehmer auf nachgelagerten oder sonst dritten Märkten sind dagegen grundsätzlich nicht anspruchsberechtigt. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass die Diskriminierung des betroffenen Unternehmens auf
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einem zwischen dem marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen und dem Drittunternehmen abgestimmten Verhalten beruht und insoweit zugleich auf eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV und/ oder § 1 GWB zurückgeht. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist dann auch auf solche Marktteilnehmer auszuweiten, die dem gebundenen Unternehmen unmittelbar gegenübertreten und von diesem in Ausführung des abgestimmten Verhaltens ohne sachlichen Grund ungleichbehandelt werden. In diesem Fall können beide Unternehmen, die am wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhalten mitwirken, vom diskriminierten Marktteilnehmer als Normadressaten des Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV oder § 1 GWB über § 33 Abs. 1, 3 GWB auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Ist in einem solchen Fall das bindende Unternehmen zugleich marktbeherrschend/marktstark, dann können die Betroffenen ihre Ansprüche gegen dieses Unternehmen auch auf Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB stützen, ohne dass diese allerdings inhaltlich weiter reichen würden. Der Beseitigungsanspruch ist in Diskriminierungsfällen von besonderer Bedeutung, da diskriminierende Rechtsgeschäfte häufig nicht nichtig sind. Er ist auf Beendigung der Ungleichbehandlung gerichtet. Das marktbeherrschende Unternehmen genießt die Wahlfreiheit zu entscheiden, auf welche Weise es eine Gleichbehandlung der Geschäftspartner erreichen möchte. Deshalb ist, um erkennbar zu machen, was im Einzelnen vom Marktbeherrscher verlangt wird, darauf zu achten, dass im Urteilstenor sowohl die vergleichbaren Unternehmen als auch die Umstände, aus denen die Ungleichbehandlung ersichtlich ist, genau bezeichnet werden. Lediglich dann, wenn der Ausnahmefall vorliegt, dass der Marktbeherrscher nur über eine Handlungsmöglichkeit verfügt, um eine Gleichbehandlung herzustellen, kann er unmittelbar auf Vornahme dieser Handlung in Anspruch genommen werden. Das schließt beispielsweise einen Kontrahierungszwang ein, wie er auch bei sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerungen auftreten kann.153 Deshalb besteht dann, wenn ein Unternehmen nachzuweisen vermag, dass es von einer Ausschreibung in diskriminierender Weise ausgeschlossen worden ist und dass es bei rechtmäßiger Auswahl selbst Vertragspartner geworden wäre, ein Anspruch auf Vertragsschluss. Kann der Betroffene diesen Nachweis aber nicht führen, dann geht der Beseitigungsanspruch dahin, dass der Marktbeherrscher seine Vergabeentscheidung erneut und unter Beachtung des Diskriminierungsverbotes vorzunehmen hat. Diskriminierte Unternehmen können Schadensersatz für entgangenen Gewinn und Wert- oder Marktanteilsverlust nach allgemeinen Grundsätzen geltend machen. Die nachträgliche Gewährung einer vermögenswerten Begünstigung im Wege des Schadensausgleiches setzt den Nachweis voraus, dass der Marktbeherrscher bei hypothetisch rechtmäßigem Verhalten, tatsächlich auch dem Anspruchsteller die Vergünstigung gewährt und es nicht etwa vorgezogen hätte, dem oder den Begünstigten den Vorteil zu entziehen. Im Hinblick auf diesen Kausalitätsnachweis kann dem Anspruchsteller die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO zu Hilfe 153
Siehe S. 406 ff.
F. Diskriminierung
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kommen. Im Falle einer diskriminierenden Vergabeentscheidung oder der Zuteilung knapper Leistungen setzt die Geltendmachung von Schadensersatz in Gestalt entgangenen Gewinnes den Nachweis voraus, dass der Anspruchsteller tatsächlich den Zuschlag erhalten hätte. Anderenfalls fehlt es an der Kausalität zwischen deliktischer Handlung und Schaden. Der Betroffene ist angesichts dieses, vielfach schwierigen Kausalitätsnachweises darauf angewiesen mit Hilfe des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs zu versuchen, die Entstehung eines Schadens von vornherein zu verhindern.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
G. Ausbeutungsmissbrauch I. Überblick Das Verbot der Ausbeutung ist in Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV als erster und in § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB als zweiter Beispielstatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung genannt. Es soll verhindern, dass marktbeherrschende Unternehmen ihre vom Wettbewerb nicht kontrollierten Handlungsspielräume ausnutzen, um der Marktgegenseite Preise oder Geschäftsbedingungen abzuverlangen, die durchzusetzen bei wirksamem Wettbewerb nicht möglich wäre.1 Das Ziel ist eine „Als-Ob Wettbewerbskontrolle“, mit Hilfe derer der Marktgegenseite die unter den Bedingungen wirksamen Wettbewerbs erzielbaren Wettbewerbsergebnisse verschafft werden sollen.2 Dabei geht es sowohl um die Verhinderung des Missbrauchs von Nachfrage- als auch von Angebotsmacht.3 § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB will dieses Ziel dadurch erreichen, dass er diejenigen Ergebnisse, die bei funktionsfähigem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht würden als Vergleichsmaßstab definiert und danach fragt, ob die vom marktbeherrschenden Unternehmen tatsächlich geforderten Preise höher oder die Geschäftsbedingungen ungünstiger sind. Ist eine derartig negative Abweichung festzustellen, dann liegt ein Missbrauch vor. Dieses sogenannte Vergleichsmarktkonzept wird auch bei der Missbrauchsprüfung nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV angewandt. Allerdings führt das Vergleichsmarktkonzept in Ermangelung hinreichend verlässlicher Vergleichsgrundlagen nicht durchgängig zu sicheren Ergebnissen.4 Ergänzend wurde deshalb auf europäischer Ebene das Konzept der Gewinnspannenbegrenzung entwickelt. Dabei werden die Kosten ins Verhältnis zu den tatsächlich verlangten Preisen gesetzt und geprüft, ob erzielte Gewinne angemessen sind. Angemessenheit bedeutet, dass unter Berücksichtigung von Investitions- und Forschungsvorhaben und außergewöhnlichen Belastungen eine vernünftige und nicht etwa eine übertriebene, unter Wettbewerbs-
1
Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 168, 174 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 102. 2 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 169, 171; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 102. 3 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 103. 4 Hierzu ausführlich Kommission, Leitfaden, S. 22 ff., Rn. 32 – 95; des Weiteren BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3634 f.) „Wasserpreise Calw“. Große Probleme bereitet die Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises bzw. der wettbewerbsanalogen Geschäftsbedingungen. Es ist regelmäßig äußerst schwierig, einen in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht hinreichend ähnlichen Vergleichsmarkt zu finden. Gleichwohl bestehende Unterschiede zwischen Kontroll- und Vergleichsmarkt müssen durch Einrechnung in Preise und Geschäftsbedingungen berücksichtigt werden. Verbleibende Unsicherheiten sind durch Sicherheitszuschläge auszugleichen: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 180 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 105; Frenz, WuW 2006, S. 737 (740 f.); Kuhn, WuW 2006, S. 578 (580 ff.); Daiber, WuW 2010, S. 1141 (1143 ff.), ders., NJW 2013, S. 1990 (1991 ff.).
G. Ausbeutungsmissbrauch
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bedingungen nicht erzielbare Verzinsung des eingesetzten Kapitals erreicht wird.5 Da Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV kein bestimmtes Prüfkonzept und damit auch keine Prüfungsreihenfolge vorsieht, werden in der Praxis sowohl das Vergleichsmarktkonzept als auch das Gewinnspannenbegrenzungskonzept zur Missbrauchsprüfung herangezogen. Auch bei Anwendung des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB kann die angemessene Verzinsung eingesetzten Kapitals als Prüfungskriterium zugrunde gelegt werden.6 Um die Angemessenheit von Geschäftsbedingungen festzustellen, kann ergänzend eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, die unter Heranziehung des dispositiven Gesetzesrechts die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung prüft.7 Es ist allgemein anerkannt, dass bei Überschreitung des wettbewerbsanalogen Preises eine Rechtfertigung aus wirtschaftlichen Gründen möglich ist.8 Das gilt insbesondere für den Einwand, dass der geforderte Preis nicht zur Kostendeckung führt.9 Mit Blick auf die Rechtsfolgenseite ist die Feststellung 5
Zu Gewinnspannenbegrenzungskonzept und weiteren alternativen Konzepten (Simulationsmodellen): Kommission, Leitfaden, S. 43 ff., Rn. 96 – 118; hierzu auch Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490 f.); des Weiteren EuGH, 11. 11. 1986, WuW/EWG/MUV 765 (769) „British Leylands“, EuGH, 11. 04. 1989, WuW/EWG/MUV 841 (846 f.) „Flugtarife“; EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (908 f.) „Ministere Public/Tournier“; Kommission, 23. 07. 2004, WuW/EU-V 1097 (1099 ff.) „Sundbusserne/Port of Helsingborg“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 176 ff. Problematisch sind hierbei neben der Bewertung der Angemessenheit eines Gewinnes, insbesondere die Ermittlung der Kostenstruktur und die Beurteilung einzelner Kostenbestandteile; z. B. zu dem, nach Einführung des Emissionshandels mit CO2 Zertifikaten aufgetretenen Problem der Einpreisung von Opportunitätskosten für eben diese Zertifikate (die, soweit sie kostenlos zugeteilt werden, zu einer künstlichen Preiserhöhung führen können) BKartA, 26. 09. 2007, WuW/DE-V 1495 (1495 ff.) „RWE-CO 2-Emmissionshandel“; kritisch Daiber, NJW S. 2013, 1990 (1993). 6 § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB benennt die Vergleichsmarktprüfung als vorrangiges Prüfungskriterium, schließt aber die ergänzende oder auch alternative Heranziehung anderer geeigneter Prüfungskonzepte nicht aus. Demnach ist insbesondere das Gewinnspannenbegrenzungskonzept heranzuziehen: BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3635 f.) „Wasserpreise Calw“, sowie BGH, 14. 07. 2015, WuW/DE-R 4871 (4875 f.) „Wasserpreise Calw II“; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 105; Daiber, NJW 2013, S. 1990 (1993 f.). Letztlich sind die Prüfungsmaßstäbe mittlerweile im deutschen (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB) und europäischen Recht (Art. 102 S. 2 lit. a AEUV) identisch, dazu Frenz, WuW 2006, S. 737 (738 f.); vgl. für den Bereich der Energiewirtschaft auch § 29 Abs. 1 Nr. 2 GWB – auf diese Sondervorschrift soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. 7 Siehe S. 469 f. 8 Zum Bsp.: EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (909) „Ministere Public/Tournier“; BGH, 26. 09. 1995, WuW/E BGH 3009 (3013 f.) „Stadtgaspreis Potsdam“; BGH, 22. 07. 1999, WuW/DE-R 375 (377) „Flugpreisspaltung“; BGH, 13. 02. 2003, WuW/DE-R 750 (755 ff.) „RWE net“; LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1491 ff.) „Wasserversorgung Wetzlar“ zu § 131 Abs. 6 GWB, 103 GWB a. F. (1990), nachfolgend BGH, 02. 02. 2010, WuW/DE-R 2841 (2850 ff.) „Wasserpreise Wetzlar“; OLG Frankfurt a.M., 03. 03. 2011, WuW/DE-R 3238 (3245 f.) „Wasserversorgung O1“; OLG Frankfurt a.M., 09. 12. 2014, WuW/ DE-R 4640 (4646) „Breitbandkabelnetz“. 9 Allerdings sind nicht sämtliche Kosten berücksichtigungsfähig, sondern nur diejenigen, die unter zumutbaren Anstrengungen nicht reduziert werden können. Eine schwerfällig organisierte Verwaltung, die deshalb hohe Kosten verursacht, taugt nicht zur Rechtfertigung, vgl.:
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
maßgeblich, dass alle Prüfungsmethoden im Ergebnis zu einer bestimmten Missbrauchsgrenze führen. Das wesensprägende Merkmal des Ausbeutungsmissbrauchs, sowohl im deutschen als auch europäischen Recht besteht also in der Überschreitung bestimmter Preisobergrenzen oder Zumutbarkeitsgrenzen bei der Gestaltung von Geschäftsbedingungen. Auf Einzelheiten der Ermittlung dieser Grenzen ist im Rahmen dieser Arbeit nur insoweit einzugehen, als sie sich unmittelbar auf die Rechtsfolgengestaltung auswirken.10
II. Preishöhenmissbrauch Angesichts der in der Rechtsprechung entwickelten hohen Anforderungen erweist es sich bis heute als außerordentlich schwierig Preishöhenmissbräuche nachzuweisen.11 Die von der Rechtsprechung entwickelten strengen Prüfkriterien stellen auch für die Normdurchsetzung mit Hilfe des Privatrechts eine hohe Hürde dar.12 Eine Belebung der Rechtspraxis ist seit der 6. GWB Novelle und den Reformen des Energiewirtschaftsgesetzes 1998 und 2005 im Zusammenhang mit der Prüfung der Angemessenheit von Netznutzungsentgelten festzustellen.13 In jüngerer Zeit bildete die Kontrolle der Angemessenheit von Wasserpreisen durch Kartellbehörden und Gerichte einen weiteren Schwerpunkt.14 Im europäischen Recht findet Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV Anwendung.15 EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (909) „Ministere Public/Tournier“; BGH, 22. 07. 1999, WuW/DE-R 375 (377 ff.) „Flugpreisspaltung“; Daiber, WuW 2010, S. 1141 (1148 f.); Daiber, NJW 2013, S. 1990 (1991 ff.). 10 Siehe S. 481 ff., S. 492 ff., S. 506 ff. und S. 513 ff. 11 Zum Bsp.: KG, 19. 03. 1975, WuW/E OLG 1599 „Vitamin B 12“ und BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 „Vitamin B 12“; KG, 24. 08. 1978, WuW/E OLG 2053 „Valium-Librium“ und BGH, 12. 02. 1980, WuW/E BGH 1678 „Valium II“; KG, 12. 03. 1982, WuW/E OLG 2617 „regional unterschiedliche Tankstellenpreise“; KG, 03. 05. 1982, WuW/E OLG 2620 „Vergaserkraftstoff-Abgabepreise“; KG, 22. 12. 1982, WuW/E OLG 2935 „BAT Am Biggenkopf Süd“; OLG Hamburg, 02. 05. 1985, WuW/E OLG 3650 (3653 f.) „Glockenheide“; KG, 10. 12. 1990, WuW/E OLG 4640 „Hamburger Benzinpreise“; BGH, 26. 09. 1995,WuW/E BGH 3009 „Stadtgaspreis Potsdam“; OLG Düsseldorf, 11. 02. 2004, WuW/DE-R 1239 (1243 ff.) „TEAG“; OLG Koblenz, 17. 08. 2006, WuW/DE-R 1905 (1908) „Gemeindewerke in Rheinland Pfalz“; OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2112 ff.) „DARED“; BKartA, 26. 09. 2007, WuW/DE-V 1495 (1495 ff.) „RWE-CO2-Emmissionshandel“. 12 Vgl. OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; OLG Frankfurt a.M., 09. 12. 2014 WuW/DE-R 4640 (4646 ff.) „Breitbandkabelnetze“. 13 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 22. 04. 2002, WuW/DE-R 914 (916 f.) „Netznutzungsentgelt“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 2003, WuW/DE-R 1067 (1068 ff.) „Stromnetz Darmstadt“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1516 ff.) „Stadtwerke Mainz“; OLG Koblenz, 17. 08. 2006, WuW/DE-R 1905 (1908) „Gemeindewerke in Rheinland Pfalz“; BKartA, 13. 02. 2003, WuW/DE-V 750 (75 ff.) „RWE net“; Büdenbender, NJW 2007, S. 2945 (2949); siehe auch S. 546 ff. 14 LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1487, 1493 f.) „Wasserversorgung Wetzlar“ zu §§ 131 Abs. 6 GWB, 103 GWB a. F. (1990) und BGH, 02. 02. 2010, WuW/DE-R
G. Ausbeutungsmissbrauch
469
III. Unangemessene Geschäftsbedingungen Die Feststellung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen ist deshalb schwierig, weil das auch hier vorrangig anzuwendende Vergleichsmarktkonzept noch schwieriger zu handhaben ist als beim Preismissbrauch. Regelmäßig ist daher über das Vergleichsmarktkonzept hinaus, eine umfassende Interessenabwägung durchzuführen, im Rahmen derer zu prüfen ist, ob eine Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten beider Seiten besteht. Dabei sind nicht einzelne Vertragsbestimmungen, sondern die jeweiligen Vertragsgestaltungen in ihrer Gesamtheit heranzuziehen und zu vergleichen. Hierbei kommt der Frage, welche Bedingungen der Marktbeherrscher im Falle wirksamen Wettbewerbs mit hoher Wahrscheinlichkeit durchsetzen könnte, maßgebliche Bedeutung zu. Ergänzend sind allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen heranzuziehen, wie sie beispielsweise im dispositiven Gesetzesrecht ihren Ausdruck gefunden haben. Ein Missbrauch liegt nur vor, wenn sicher festgestellt werden kann, dass angesichts des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung eine erhebliche Benachteiligung des Vertragspartners des marktbeherrschenden Unternehmens gegeben ist.16 Bei Prüfung eines Verstoßes gegen das Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV kommt im Rahmen des räumlichen Vergleichsmarktkonzeptes der Vergleich zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten der EU in Betracht.17 Aber auch in der europäischen Praxis stand bisher eine umfassende In-
2841 (2843 ff.) „Wasserpreise Wetzlar“; OLG Frankfurt a.M., 03. 03. 2011, WuW/DE-R 3228 (3243 ff.) „Wasserversorgung O1“; OLG Stuttgart, 25. 08. 2011, WuW/DE-R 3389 (3396 ff.) „Tarifwasser-Kunden“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3634 ff.) „Wasserpreise Calw“, sowie BGH, 14. 07. 2015, WuW/DE-R 4871 (4875 f.) „Wasserpreise Calw II“; Daiber, WuW 2010, S. 1141 (1142 ff.); ders., NJW 2013, S. 1990 (1990 f.). 15 Zum Bsp.: EuGH, 13. 11. 1975, Slg. 1975, S. 1367 (1373 ff.) „General Motors Continental NV“; EuGH, 11. 11. 1986, WuW/EWG/MUV 765 (766 ff.) „British Leylands“; EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (438 ff.) „Chiquita“; EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/ MUV 901 (908 f.) „Ministere Public/Tournier“; EuGH, 11. 04. 1989, WuW/EWG/MUV 841 (846 f.) „Flugtarife“; EuG, 24. 05. 2007, WuW/EU-R 1273 (1274 ff.) „Duales System Deutschland“; Kommission, 23. 07. 2004, WuW/EU-V 1097 (1100 ff.) „Sundbusserne/Port of Helsingborg“. 16 BKartA, 20. 11. 1981, WuW/E BKartA 1983 „Favorit“, aufgehoben durch KG, 13. 07. 1983, WuW/E OLG 3091 (3096 ff.) „Favorit“ und Aufhebung bestätigt durch BGH, 06. 11. 1984, WuW/E BGH 2103 (2104 f.) „Favorit“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1966 f.) „Gemeinsamer Anzeigenteil“; OLG Düsseldorf, 22. 01. 1985, WuW/E OLG 3335 „Inter Mailand Spiel“; OLG München, 10. 03. 2005, WuW/DE-R 1464 (1466 f.) „Nürnberger Hafengelände“; LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/DE-R 2120 (2123 ff.) „MPEG 2 – Standard“; zum Europarecht: EuGH, 27. 03. 1974, WuW/EWG/MUV 311 (312) „SABAM II“; EuGH, 02. 03. 1982, WuW/EWG/MUV 593 (595 ff.) „GVL“; EuGH, 13. 07. 1989, Slg. 1989, S. 2811 (2813, 2830 ff.) „Lucazeau/SACEM“; Kommission, 20. 10. 2004, WuW EU-V 1035 (1039 ff.) „Postgesetz“. 17 Zum Bsp.: EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (908 f.) „Ministere Public/ Tournier“; EuG, 24. 05. 2007, WuW/EU-R 1273 (1274 ff.) „Duales System Deutschland/ Kommission“.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
teressenabwägung im Vordergrund, bei der unter Betonung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geprüft wurde, ob eine Vertragsgestaltung unbillig war.18
IV. Wirkung der Ausbeutung und Schutzzweck ihres Verbots 1. Auswirkungen Ausbeuterische Verhaltensweisen schädigen die Marktgegenseite und gegebenenfalls Unternehmen auf nachfolgenden Marktstufen. Für Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens stellen sich überhöhte Preise oder zu niedrige Entgelte im Grunde als Glücksfall dar. Denn im Normalfall freien Wettbewerbs wechselt der Interessent zum preisgünstigeren Anbieter bzw. zu dem, der ihm ein höheres Entgelt oder bessere Geschäftsbedingungen bietet. Dieser positive Effekt tritt jedoch dann nicht ein, wenn der freie Wettbewerb soweit degeneriert ist, dass eine Rückkehr zum Leistungswettbewerb durch Auftreten von Konkurrenz nahezu ausgeschlossen werden kann.19 Der Marktbeherrscher realisiert eine Monopolrendite, wie sie mit dem freien Leistungswettbewerb nicht vereinbar ist. Das ist bei Preisüberhöhungen offensichtlich, gilt aber auch bei Nachfragemachtmissbrauch durch Zahlung zu niedriger Entgelte.20 Der Lieferant wird dadurch ausgebeutet, dass er für seine Leistung nicht diejenige Gegenleistung erhält, welche bei wirksamem Wettbewerb durchsetzbar wäre. Er wird, legt man zugrunde, dass der Wettbewerbsmechanismus zum Ausgleich gegensätzlicher Interessen und zur Findung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung führt, gezwungen seine Leistung unter Wert abzugeben. Ein unangemessener Gewinn kann auch als Folge ausbeuterischer Geschäftsbedingungen entstehen. Beispielsweise werden Nebenkosten auf den Vertragspartner abgewälzt oder zumindest in einer für den Vertragspartner besonders ungünstigen Weise berechnet. Es kann zu Belastungen durch unfaire Risikoverteilung, Aufdrängung von Leistungen oder unausgewogene Gestaltung von Zahlungs-, Lieferungs- oder sonstigen Bedingungen kommen.21 Im Ergebnis entlastet sich der Marktbeherrscher von unangenehmen Verpflichtungen auf Kosten der Marktgegenseite. Die Folge der finanziellen Schädigung ist eine Verringerung der Leistungsfähigkeit, die mit der Einengung wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten einhergeht. Im Einzelfall kann es einem Abnehmer gelingen, den überhöhten Preis bzw. durch ungünstige Geschäftsbedingungen entstehende Kosten an die nachfolgende Marktstufe, insoweit gegebenenfalls auch an Verbraucher weiterzugeben.22 Dadurch verringert sich zwar seine ei18 19 20 21 22
Vgl. soeben Fn. 16 und 17. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 171. Siehe S. 468 f. Siehe S. 469 f. Zum Problem der Schadensweiterwälzung, siehe S. 515 ff.
G. Ausbeutungsmissbrauch
471
gene Belastung, allerdings auf Kosten seiner Abnehmer. Das Versagen des Wettbewerbsmechanismus findet seinen Ausdruck auch darin, dass das marktbeherrschende Unternehmen den Inhalt von Verträgen ohne Rücksicht auf die Interessen des Vertragspartners diktiert. Ausbeutungsmissbrauch führt also zu einer Vermögensschädigung der Vertragspartner und/oder deren Geschäftspartnern, zur Verringerung individueller und gesamtwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, zu Beschränkungen wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, zur Verschlechterung der Verbraucherversorgung und zur Reduzierung materieller Vertragsgerechtigkeit. 2. Zweck des Verbots Weil die Art. 101 und 102 AEUV und das GWB die Entstehung von Marktmacht durch internes Unternehmenswachstum erlauben und insoweit die Gefahr einer Degenerierung des Wettbewerbs hinnehmen, sehen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB zum Ausgleich eine Marktergebniskontrolle vor. Das Gesetz setzt anstelle der fehlenden Kontrolle durch Wettbewerb eine rechtliche Kontrolle durch Verwaltungsbehörden und andere Marktteilnehmer, mit Hilfe derer die Marktgegenseite so gestellt werden soll, als ob Wettbewerb bestünde. Auf diese Weise sollen zugleich die von den Wettbewerbsgesetzen angestrebten positiven ökonomischen Ergebnisse erreicht23 und der individuelle Schutz vor Ausbeutung verwirklicht werden.24 Der Schutz zielt sowohl auf Unternehmen als auch auf Verbraucher.25 Speziell mit Blick auf Verbraucher gilt, dass deren preisgünstige und umfassende Versorgung zu den Hauptzielen und damit zu einer wesentlichen Legitimationsgrundlage für den Schutz eines Systems freien Wettbewerbs zählt.26 Betroffene Marktteilnehmer erhalten einen Anspruch, so gestellt zu werden, als ob Wettbewerb bestünde. Diesen Anspruch können sie über eine vertragliche Inhaltskontrolle nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB27 oder über die Geltendmachung von Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzforderungen nach § 33 Abs. 1, 3 GWB durchsetzen.28 Eine gesamtwirtschaftliche Zielsetzung verbindet sich mit den Verbotsnormen des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht.29
23
Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. OLG Frankfurt a.M., 09. 12. 2013, WuW/DE-R 4640 (4648) „Breitbandkabelnetze“; zum Verhältnis von Individual- und Institutionenschutz, siehe S. 62 ff. 25 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 168. 26 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 27 Siehe sogleich ab S. 472. 28 Siehe ab S. 496. 29 Siehe auch S. 50 ff. und S. 61 ff. 24
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
V. Sanktion nach § 134 BGB Bereits das vorvertragliche Fordern unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen stellt missbräuchliches Verhalten dar. Insoweit hat § 134 BGB keine Bedeutung.30 Die Norm kann jedoch zur Sanktionierung von Verträgen herangezogen werden, in denen ein marktbeherrschendes Unternehmen zum eigenen Vorteil missbräuchlich überhöhte Preise oder unangemessene Geschäftsbedingungen durchgesetzt hat. Wegen Unterschieden bei der Rechtsfolgengestaltung werden diese beiden Fallgruppen getrennt dargestellt. 1. Preismissbrauch a) Verbot und Rechtsgeschäft Nach dem Wortlaut von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV stellt das „Erzwingen“, nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB stellt das „Fordern“ von unangemessenen Preisen missbräuchliches Verhalten dar. Daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, „erzwingen“ oder „fordern“ bedeute lediglich, einen Vertragsschluss zu einem bestimmten unangemessenen Preis zu verlangen oder durchzusetzen. Sowohl der Begriff des Forderns als auch der Begriff des Erzwingens beziehen die Phase der Vertragsanbahnung ein, erschöpfen sich aber nicht darin. Sie schließen zwanglos das Bestehen auf Erfüllung eines geschlossenen Vertrages ein. Das marktbeherrschende Unternehmen erzwingt oder fordert die Erbringung der vertragsgemäßen Leistung. Diese Forderung ist aber wegen Preishöhenmissbrauchs rechtswidrig. Bei Vertragsanbahnung vermag der Marktbeherrscher lediglich wirtschaftlichen Druck auszuüben. Das Erzwingen oder das Fordern unangemessener Preise stellen sich als deliktische Handlungen dar. Nach Vertragsschluss haben Erzwingen oder Fordern des Preises, ohne dass dadurch die deliktsrechtliche Bedeutung der Handlungen verloren ginge, eine vermeintliche31 zusätzliche Rechtsgrundlage in der vertraglichen Vereinbarung. Sie können als Anspruch auf Erfüllung geltend gemacht werden. Bildet somit der Vertrag die Grundlage für die missbräuchliche Forderung, verstößt er gegen das Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB.32 Das wird durch den Zweck der Norm bestätigt. Wenn das Gesetz die Ausbeutung der Marktgegenseite effektiv verhindern will, darf es nicht vertragliche Vereinbarungen entstehen lassen mit deren Hilfe ausbeuterische Preise durchgesetzt oder unangemessen niedrige Entgelte legitimiert werden können. Anderenfalls entstünde ein Widerspruch zwischen einem gültigen Vertrag einerseits und einem Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Ausbeutung andererseits.33 30
Zum insoweit möglichen Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 und 3 GWB, siehe ab S. 496. Zur Frage der Wirksamkeit des Austauschvertrages, siehe sogleich ab S. 473. 32 Vgl. im Ergebnis so auch LG Hannover, 11. 09. 2002, WuW/DE-R 975 (975) „Unterkunftsverzeichnis“. 33 Zum Anspruch auf Unterlassung/Beseitigung, siehe S. 506 ff. und S. 512 f. 31
G. Ausbeutungsmissbrauch
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b) Normzweckvorbehalt Bei genauer Betrachtung verstößt nicht das gesamte Rechtsgeschäft gegen das Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Nach dem Wortlaut der Vorschriften stellt lediglich die Erzwingung bzw. die Forderung eines nicht wettbewerbsgerechten Entgeltes missbräuchliches Verhalten dar. Wendet man die Auslegungsregel des § 134 BGB an, so ist die vertragliche Preisvereinbarung nichtig. Eine Teilnichtigkeit nach § 139 BGB kommt mangels Teilbarkeit der Entgeltforderung nicht in Betracht.34 Ohne diese synallagmatische Hauptpflicht kann der Vertrag keinen Bestand haben. Man käme dann also zwingend zu einer Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäftes.35 Nachfolgend ist zu prüfen, ob dieses Ergebnis mit dem Zweck des Ausbeutungsverbotes vereinbar ist aa) Interessenlage und Lösungsmöglichkeiten Die Praktizierung ausbeuterischen Verhaltens trifft Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens nicht negativ. Hohe Preise des Marktbeherrschers oder zu niedrige Entgelt bei Nachfragemachtmissbrauch sind eher geeignet, ihre Stellung zu verbessern. Allerdings gibt es kein rechtlich schützenswertes Interesse daran, von Preiswettbewerb verschont zu bleiben.36 Ein unmittelbarer Nachteil entsteht denjenigen Unternehmen, welche sich mit der Forderung nach überhöhten Preisen konfrontiert sehen oder ein zu niedriges Entgelt erhalten. Mittelbare Wirkungen kann die Ausbeutung gegenüber Angehörigen nachfolgender Marktstufen entfalten, soweit überhöhte Preise an diese weitergegeben werden. Das Interesse dieser Unternehmen geht dahin zu erreichen, dass der Marktbeherrscher seine Leistungen zu wettbewerbsanalogen Preisen abgibt. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Wettbewerbsfreiheit, sondern vor allem um die Gewährleistung wettbewerbskonformer Ergebnisse dort, wo das Gesetz das Bestehen von Marktmacht ausdrücklich toleriert. Die Nichtigkeit von Verträgen, die unangemessene Entgelte vorsehen, könnte diese Ziele nicht unmittelbar erreichen.37 Ergänzend wäre ein Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 1, 3 GWB notwendig. Dieser wirft jedoch die Schwierigkeit auf, dass die Ausbeutungsverbote des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht zu einem Kontrahierungszwang führen. Deshalb müssten, um zu einem Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen zu kommen, zugleich die Voraussetzungen einer nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung vorliegen.38 Eine Aufrechterhaltung der 34
Zur Ablehnung der quantitativen Teilnichtigkeit, siehe S. 107 f. Siehe S. 108 f. 36 Siehe S. 50 ff. und S. 61 ff. 37 Für Nichtigkeit: Götting, in: L/M/R, § 19 GWB Rn. 101; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79; für Anfechtbarkeit durch den Ausgebeuteten: Eilmannsberger/ Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 666. 38 Siehe dazu S. 507 ff. 35
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Austauschverträge trotz Verbotsverstoßes und eine Verweisung der Betroffenen auf Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1 und 3 GWB scheiden aus,39 weil eine solche Lösung allein den Interessen des marktbeherrschenden Unternehmens nutzen würde. Zwar behielten abhängige Unternehmen ihren Anspruch auf die Leistung, wären allerdings vertraglich auch verpflichtet, den vereinbarten überhöhten Preis zu zahlen. Sie müssten dann unter Berufung auf einen Beseitigungsanspruch die Anpassung der rechtswidrigen Preisforderung nach § 33 Abs. 1 GWB unter Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen geltend machen. Dieses Ergebnis lässt sich, da der Vertrag i. S. v. § 134 BGB verboten ist, einfacher und unmittelbar40 durch eine auf § 134 2. Halbsatz BGB gestützte geltungserhaltende Reduktion oder Extension erreichen. Die Anpassung des Vertrages auf den i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB angemessenen Preis41 unter Aufrechterhaltung im Übrigen vermag eine den Interessen der schutzbedürftigen Vertragspartner gerecht werdende Lösung darzustellen.42 Im Folgenden ist diese Lösung als Alternative im Vergleich zur Nichtigkeit zu betrachten. bb) Nichtigkeit oder geltungserhaltende Vertragsanpassung (1) Der Verweis auf Beseitigungs- oder Schadenersatzansprüche Einer Vertragsanpassung auf Grundlage von § 134 2. Halbsatz BGB wird mit dem Argument widersprochen, eine wettbewerbskonformere Lösung sei über die Nichtigkeit des Austauschvertrages und die Verweisung der betroffenen Unternehmen auf einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB zu erreichen. Für eine geltungserhaltende Reduktion oder Extension gäbe es deshalb kein Bedürfnis.43 Die Nichtigkeit des Vertrages werfe keine Probleme auf. Denn das ausgebeutete Unternehmen könne unmittelbar einen Anspruch auf Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen auf der Grundlage des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV 39
Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79. Mit der Beseitigungsklage könnte der Marktbeherrscher nur zur Zustimmung zur Vertragsanpassung verurteilt werden. Dieser Anspruch bedürfte bei fortgesetzter Verweigerung der Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO, weil sie sich als unvertretbare Handlung darstellt. Allerdings könnte die Zwangsvollstreckung dadurch vereinfacht werden, dass der Anspruchsteller ein Angebot zur Vertragsänderung vorlegt, das einen angemessenen Preis enthält und nach § 894 ZPO dessen Annahme verlangt. Dennoch wird ersichtlich, dass dieser Weg im Vergleich zur Vertragsanpassung unnötig kompliziert ist und dadurch den Rechtsschutz der Betroffenen erschwert. 41 Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Vergleichsmarktpreis. In diesen sind zwar die Unterschiede schon eingerechnet und ausgeglichen. Es kommt jedoch ein Sicherheitszuschlag hinzu, siehe S. 466 ff. 42 Weyer, in: Jaeger/Pohlmann/Schroeder, Zivilrechtsfolgen des Art. 102 AEUV Rn. 62 ff.; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 420; Schröter/van der Hout, in: S/K/J/M, Art. 101 AEUV Rn. 224; Weyer, AG 1999, S. 257 (258); Kühne, RdE 2005, S. 241 (248). 43 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79. 40
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bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB durchsetzen.44 Diese Argumentation vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. (2) Freiwilliger Vertragsschluss des Marktbeherrschers Das marktbeherrschende Unternehmen hat bereitwillig den Vertrag geschlossen. Es hat dadurch die Abgabe oder Abnahme der vertraglichen Leistungen rechtsverbindlich zugesagt. Die Vertragsnichtigkeit zöge den Wegfall der vertraglichen Leistungs- bzw. Abnahmepflicht nach sich und ermöglichte eine Geschäftsverweigerung. Es entstünde zum einen die Gefahr, dass der Marktbeherrscher davon Gebrauch macht, falls der ausbeuterisch überhöhte Gewinn nicht mehr zu realisieren ist. Er könnte dann diejenigen Geschäftspartner gezielt durch Nichtleistung oder Nichtabnahme bestrafen, die unter Berufung auf Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB einen angemessenen Preis fordern. Da zum anderen die wirtschaftliche Abhängigkeit fortbestünde, würde es dem Marktbeherrscher mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Vielzahl von Fällen auch ohne vertragliche Grundlage möglich sein, rechtswidrige Preise durchzusetzen. In beiden Alternativen stünden die Betroffenen schlechter als sie mit Vertrag stehen würden. Im ersten Fall erhielten sie benötigte Leistungen nicht oder könnten eigene Produkte nicht absetzen. Im zweiten Fall käme es zu einer faktischen Austauschbeziehung, die aber vertragliche Sekundärrechte und Nebenleistungspflichten nicht entstehen ließe. Im Fall der Vertragsanpassung blieben dagegen die vertraglichen Erfüllungsansprüche, sowie Sekundärrechte und sonstige Nebenbestimmungen wirksam. Der Forderung eines überhöhten oder zu niedrigen Preises könnten sie unter Berufung auf den angepassten Vertrag entgegentreten. (3) Rechtsschutzverkürzung bei Nichtigkeit des Austauschvertrages Im Fall der Nichtigkeit des Austauschvertrages müssten diejenigen, denen der Marktbeherrscher die Leistung verweigert, auf Abschluss eines neuen Vertrages klagen.45 Das brächte für die Betroffenen mehrere Schwierigkeiten mit sich. Wegen der Bestimmtheitsanforderungen an den Klageantrag ist es prozessual schwieriger, auf Abschluss eines Vertrages zu klagen, als Leistungen aus einem bestehenden Vertrag einzuklagen.46 Der Vertragsinteressent des Marktbeherrschers müsste ein Vertragsangebot vorlegen und auf Annahme klagen. Dabei müsste er auch die Höhe der Gegenleistung, also den angemessenen Preis benennen. Kommt es darüber im Prozess zum Streit und in der Folge zur Verzögerung des Urteilserlasses und der Zwangsvollstreckung besteht in der Zwischenzeit kein Leistungsanspruch bzw. keine Abnahmepflicht des Marktbeherrschers. Die einzige Möglichkeit zur Erlangung schnellen Rechtsschutzes wäre Antrag und Erlass einer Leistungsverfügung 44
Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79. Siehe S. 406 ff.; aus dem Ausbeutungsverbot selbst kann kein unmittelbarer Kontrahierungszwang abgeleitet werden, siehe S. 483 ff. 46 Zur prozessualen Durchsetzung des Kontrahierungszwanges, siehe S. 413 ff. 45
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analog § 940 ZPO. Damit könnte zwar ein Leistungsaustausch ohne vertragliche Grundlage stattfinden.47 Aber es müssten im summarischen Verfahren sowohl die Voraussetzungen einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung als auch einer Ausbeutung glaubhaft gemacht werden. Denn nur dann kommt eine sofortige Leistungsgewährung oder Abnahmepflicht Zug um Zug gegen das vom Antragsteller behauptete angemessene Entgelt in Betracht. Außerdem darf der Verfügungsgrund nur unter strengen Voraussetzungen bejaht werden.48 (4) Vorteile einer geltungserhaltenden Vertragsanpassung Bliebe demgegenüber der Vertrag in angepasster Form wirksam, könnte das von Ausbeutung betroffene Unternehmen jederzeit aufgrund des Vertrages die Leistung zum bzw. die Zahlung des angemessenen Entgelts fordern. Im Fall des Missbrauchs von Angebotsmacht bräuchte der Vertragspartner dem Marktbeherrscher nur den angemessenen Preis zu zahlen. Hat er den Vertrag bereits durch Zahlung eines überhöhten Entgeltes erfüllt, so kann er den überzahlten Betrag nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB rückfordern. Denn infolge der geltungserhaltenden Reduktion hatte der Marktbeherrscher von vornherein keinen Anspruch auf den, das angemessene Maß übersteigenden Teil des Entgeltes.49 Zahlt der Vertragspartner dem Marktbeherrscher dann aber ein niedrigeres Entgelt als es im Vertrag vorgesehen war und kommt es zum Streit darüber, ob der vertraglich vorgesehene Preis missbräuchlich überhöht war, würde sich das marktbeherrschende Unternehmen womöglich auf sein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB berufen. Nun wäre die Berufung darauf zwar nicht zuzulassen, wenn sich der Marktbeherrscher durch Erzwingung eines überhöhten Preises selbst rechtswidrig verhalten hätte.50 Andererseits steht das im Fall des Streits vor einer gerichtlichen Klärung nicht fest. Dem Vertragspartner bliebe also nur die Möglichkeit der Erfüllungsklage. Will er schnell in den Genuss der Leistung kommen, muss er auch in diesem Fall einen Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung stellen. Allerdings muss er die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung nicht nachweisen, da er einen vertraglichen Anspruch hat. Bietet er zudem die Zahlung eines angemessenen Entgelts an, kann das Gericht in Bezug auf dessen zulässige Höhe eine summarische Prüfung vornehmen. Alle anderen Bedingungen einer vorläufigen Leistungsgewährung stehen infolge des 47
Drescher, in: MüKo ZPO, § 940 Rn. 6 ff. Drescher, in: MüKo ZPO, § 940 Rn. 9. 49 Vgl. den Fall der Forderung überhöhter Entgelte bei Datenüberlassung (dort als Behinderungsmissbrauch behandelt): OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“ und OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2299 (2300, 2303) „ANDI“ – Rückforderung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB sowohl bei geltungserhaltender Reduktion als auch bei vollständiger Nichtigkeit; anderer Ansatz indes LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DER 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“ für den Fall überhöhter Netznutzungsentgelte – Nichtigkeit und Bildung eines bereicherungsrechtlich rückforderbaren Saldos zugunsten des ausgebeuteten Unternehmens. 50 Emmerich, in: MüKo BGB, § 320 Rn. 28. 48
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Vertragsschlusses bereits fest. Wegen der vertraglichen Grundlage kann das Gericht im Gegensatz zum Fall der Nichtigkeit des Austauschvertrages auch sicher sein, dass der Leistungsaustausch auch nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens Bestand behalten wird. Weil dadurch das Prognoserisiko in Bezug auf den Ausgang der Hauptsache sinkt, steigen die Erfolgsaussichten für den Antragsteller auf Erlass der einstweiligen Verfügung. Einziger Streitpunkt in der Hauptsache bliebe, nachdem sich der Leistungsaustausch durch Vollzug erledigen würde, die Angemessenheit des Preises. Hier ist denkbar, dass entweder der Preis in der Höhe, in der er in der einstweiligen Verfügung festgesetzt wurde, als angemessen angesehen wird oder dass entweder der Vertragspartner nachzahlen oder der Marktbeherrscher zurückzahlen muss. Wäre der Austauschvertrag zunächst nichtig, könnte sich in der Hauptsache herausstellen, dass entweder kein Anspruch auf Vertragsschluss oder zumindest nicht zu diesen Bedingungen bestand. Das bedeutet, das Prognoserisiko hinsichtlich des Erfolges des Antragstellers in der Hauptsache wäre deutlich größer und damit die Chance auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend kleiner. Diese Fragen mögen zwar im Hinblick auf einzelne, kurzfristige Austauschverträge nicht besonders ins Gewicht fallen, wenn ohnehin eine wiederholte Belieferung notwendig und diesbezüglich noch kein weiterer Vertrag geschlossen ist. Bei längerfristigen Dauerschuldverhältnissen spielen sie dagegen, insbesondere wenn eine kontinuierliche Belieferung notwendig ist, eine ungleich größere Rolle.51 Im Fall des Missbrauchs von Nachfragemacht kann das betroffene Unternehmen den Vertrag zumindest zu den vereinbarten Bedingungen vollziehen, eine Möglichkeit, die es im Fall der Nichtigkeit nicht hätte. Hat das ausgebeutete Unternehmen aufgrund der Vertragsanpassung einen höheren Entgeltanspruch, so kann es ihn mit einer Klage auf Entgeltnachzahlung durchsetzen. Demgegenüber müsste der Ausgebeutete bei Nichtigkeit eines bereits geschlossenen Vertrages zwei Klagen erheben. Zunächst bedürfte es der Herbeiführung eines Vertrages durch Verurteilung des Unterlassungsschuldners zur Annahme eines vom Gläubiger vorzulegenden Angebotes, sowie der Vollstreckung nach § 894 ZPO. Weigerte sich der Marktbeherrscher dennoch zu leisten, müsste der Gläubiger ihn zusätzlich aus dem Vertrag auf Leistung verklagen. Im Gegensatz dazu bliebe im Fall einer Vertragsanpassung der Leistungsanspruch erhalten und es könnte sofort auf Leistung aus dem Vertrag geklagt werden. Gerade weil schlussendlich beide Alternativen zum gleichen Ergebnis gelangen, macht es keinen Sinn, das ausgebeutete Unternehmen auf einen prozessual schwierigeren Weg zu schicken. Der Umweg über die Erzwingung eines Vertragsschlusses beinhaltet sogar noch das Risiko mit diesem Anspruch zu scheitern.
51 Zum Bsp.: EuG, 24. 05. 2007, WuW/EU-R 1273 (1274 ff.) „Duales System Deutschland“; BGH, 26. 09. 1995, WuW/E BGH 3009 „Stadtgaspreis Potsdam“; LG Dortmund, 08. 08. 2002, WuW/DE-R 1175 „Stadtwerke Lippstadt“; OLG Düsseldorf, 11. 02. 2004, WuW/DE-R 1239 „TEAG“.
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(5) Nachweis missbräuchlicher Geschäftsverweigerung unnötig Das führt zu einem weiteren, im Zusammenhang mit einstweiligem Rechtsschutz bereits kurz angesprochenen Einwand gegen die Totalnichtigkeit. Aufgrund von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 2, 33 Abs. 1 GWB besteht kein Anspruch auf Vertragsschluss. Der Wortlaut der Normen bietet keinen Anhaltspunkt für einen Kontrahierungszwang. Das Ziel der Ausbeutung ist der Schutz vor überhöhten Preisen. Es geht nicht darum, Leistungen des Marktbeherrschers überhaupt zugänglich zu machen. Insofern müssten die Voraussetzungen einer behindernden Geschäftsverweigerung nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB gleichermaßen vorliegen.52 Das wird von der Gegenmeinung ebenso gesehen.53 Genau genommen gibt es also den behaupteten Anspruch auf Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen allein aus Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB nicht.54 Er ergibt sich nur in der Kombination der Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung und der Beseitigung oder Unterlassung einer missbräuchlichen Forderung oder Erzwingung unangemessener Preise. Wenn nun aber die Voraussetzungen der Geschäftsverweigerung zusätzlich erfüllt sein müssen, dann bedeutet das eine Erschwernis der Durchsetzung interessengerechten Rechtsschutzes. Allerdings dürften bei dieser Fallgestaltung die Voraussetzungen einer rechtswidrigen Geschäftsverweigerung fast durchgängig vorliegen. Denn aufgrund der in Ausbeutungsfällen üblicherweise besonders gravierenden Marktbeherrschung und der daraus resultierenden Abhängigkeit der Marktgegenseite wird die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten des Vertragsinteressenten ausfallen.55 Zwingend ist das indes nicht. Demgegenüber wird der Marktbeherrscher bei einer Vertragsanpassung nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB an seiner Zustimmung zum Vertrag festgehalten. (6) Bereicherungsrechtliche Schwierigkeiten bei Nichtigkeit Schließlich ist noch eine ergänzende Überlegung als Argument gegen eine vollständige Nichtigkeit ins Feld zu führen. Ist der Vertrag bereits ganz oder teilweise vollzogen worden, würde die Nichtigkeit bedeuten, dass eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung vorgenommen werden müsste. Demnach könnte jede der Vertragsparteien ihre Leistung jeweils nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückfordern.56 Beim Missbrauch von Angebotsmacht verstößt die Leistung des
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Behinderungsverbot und Ausbeutungsverbot stellen zwei voneinander zu trennende Missbrauchstatbestände dar; vgl. nur OLG Jena, 10. 12. 1997, WuW/DE-R 63 (65) „SEAG“. 53 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79. 54 Insoweit nicht widerspruchsfrei Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79. 55 Zur Interessenabwägung bei Geschäftsverweigerung und der Bedeutung des Grades der Marktmacht für das Ergebnis dieser Abwägung, siehe S. 389 ff. 56 OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“.
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Marktbeherrschers nicht i. S. v. § 817 S. 2 BGB analog57 gegen das Verbot der Ausbeutung. Denn der Verbotsverstoß erwächst erst aus der Forderung der überhöhten Gegenleistung. Erbringt der Marktbeherrscher also die geschuldete Leistung, erfüllt er zunächst den Vertrag. Dem Vertragspartner und Leistungsempfänger entsteht insoweit lediglich ein Vorteil. Demgegenüber verstößt die Entgegennahme der überhöhten Gegenleistung gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB.58 Bereicherungsrechtlich hat dies aber lediglich zur Folge, dass zugunsten des ausgebeuteten Vertragspartners eine weitere Anspruchsgrundlage zur Rückforderung seiner Leistung nach § 817 S. 1 BGB erwächst, die neben den Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB tritt.59 Wendet man nun die Saldotheorie an,60 so ergibt sich ein Anspruch des ausgebeuteten Vertragspartners auf Rückzahlung desjenigen Teils seiner Leistung, die das angemessene Entgelt übersteigt. Dieses Ergebnis stellt sich für den Ausgebeuteten regelmäßig günstiger dar als das Ergebnis der Heranziehung der, sonst bei Gesetzesverstoß einer Vertragspartei grundsätzlich anzuwendenden Zweikondiktionentheorie.61 Bei deren Anwendung müssten die beiderseitigen Leistungen vollständig zurückgewährt werden. In der Folge könnte der Abnehmer die Leistung des Marktbeherrschers, auf die er allerdings aufgrund der machtbedingten Abhängigkeit regelmäßig angewiesen ist, nicht behalten. Bleibt es demnach bei der Anwendung der Saldotheorie, um dem schutzbedürftigen Teil nicht „Steine statt Brot“ zu geben, so wird ersichtlich, dass das gleiche Ergebnis einfacher durch eine Vertragsanpassung im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf den Als Ob – Wettbewerbspreis62 erreicht werden kann. Die Vertragsanpassung stellt sich für den schutzbedürftigen Vertragspartner sogar günstiger dar, weil er darüber hinaus sämtliche vertraglichen Rechte behält und im Fall einer Vertragspflichtverletzung des Marktbeherrschers Sekundärleistungsansprüche geltend machen kann. Beim Nachfragemachtmissbrauch verstößt die Zahlung eines zu niedrigen Entgelts durch den Marktbeherrscher gegen das Ausbeutungsverbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Eine Rückforderung ist deshalb, wenn nicht bereits nach § 814 BGB,63 so jedenfalls nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen. Dadurch allein wird aber der Normzweck der Ausbeutungsverbote, dem schutzbedürftigen Anbieter eine angemessene Gegenleistung zu verschaffen, nicht ver57 Allgemein zur analogen Anwendung von § 817 S. 2 auf einseitige Gesetzes- oder Sittenverstöße nur des Leistenden Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 34; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 817 Rn. 10. 58 Siehe S. 472. 59 Schwab, in: MüKo BGB, § 817 Rn. 4. 60 So z. B. LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; vgl. allgemein Schwab, in: MüKo BGB, § 818 BGB Rn. 210 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41 f. 61 Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 209; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41. 62 Zum Umfang der Anpassung, siehe S. 481 ff. 63 Schwab, in: MüKo BGB, § 814 Rn. 3.
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wirklicht.64 Die empfangene Leistung muss der Marktbeherrscher nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückgewähren. Eine Rückgewährungspflicht nach § 817 S. 1 BGB besteht nicht, weil der Marktbeherrscher durch den Empfang der Leistung nicht gegen das Ausbeutungsverbot verstößt.65 Wendet man nun die Saldotheorie66 an, so ergibt sich ein Bereicherungssaldo zugunsten des ausgebeuteten Vertragspartners, weil der Wert seiner Leistung den Wert der vom Marktbeherrscher empfangenen Gegenleistung übersteigt. Die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Entgelt und dem, entsprechend dem Als Ob Wettbewerbspreis angemessenen Entgelt, müsste der Marktbeherrscher nachzahlen. Dies führt zu einem sachgerechteren Ergebnis als die Zweikondiktionentheorie. Zwar könnte bei deren Anwendung der schutzbedürftige Vertragsteil das vom Marktbeherrscher gezahlte Entgelt behalten und zugleich die empfangene Leistung zurückfordern. Im Ergebnis führte das aber zu einem, vom Normzweck der Ausbeutungsverbote nicht intendierten, Zufallsgeschenk für den Vertragspartner des Marktbeherrschers. Dem Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB, dem Anbieter ein angemessenes Entgelt für seine Leistung zu verschaffen, wird eine Nachzahlung durch den Marktbeherrscher besser gerecht. Dieses Ergebnis lässt sich einfacher durch eine Vertragsanpassung im Wege der geltungserhaltenden Extension erzielen, durch welche das vom Marktbeherrscher zu zahlende Entgelt auf den Als Ob Wettbewerbspreis67 angehoben wird. Das hat zudem den Vorteil, dass die sonstigen vertraglichen Rechte und Pflichten wechselseitig erhalten bleiben. Es zeigt sich, dass die Lösung über eine Vertragsanpassung einer bereicherungsrechtlichen Lösung vorzuziehen ist. Sie ist nicht nur einfacher umzusetzen, sondern hat den Vorteil, dass der schutzbedürftige Vertragspartner seine vertraglichen Rechte vollumfänglich behält. Demgegenüber stünden für den Fall der Nichtigkeit nur die Ansprüche auf Schadensersatz, entweder auf das negative Interesse nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB oder auf das nach § 33 Abs. 1, 3, Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB ersatzfähige Interesse zur Verfügung. Bei letzterem geht es aber nicht um das vertragliche Erfüllungsinteresse, sondern nur um das durch Ausbeutung beeinträchtigte wirtschaftliche Interesse.68 cc) Schlussfolgerung Die geltungserhaltende Reduktion oder Extension vermag den, durch den Zweck des Ausbeutungsverbotes geforderten Schutz der Marktgegenseite besser zu erreichen als die Nichtigkeit eines zu unangemessenen Bedingungen geschlossenen 64
Zum Normzweck siehe S. 470 f. Der Normverstoß besteht Zahlung in der Zahlung eines unangemessen niedrigen Entgelts, nicht im Empfang der Gegenleistung, siehe S. 466 ff. und S. 472. 66 Schwab, in: MüKo BGB, § 818 Rn. 210 ff.; Lorenz, in: Staudinger BGB, § 818 Rn. 41. 67 Zum Umfang der Anpassung, siehe S. 481 ff. 68 Siehe S. 513 ff. 65
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Vertrages.69 Letztgenannte Lösung würde dazu führen, die prozessuale Durchsetzung von Ansprüchen der schutzbedürftigen Marktgegenseite zu verkomplizieren. Insbesondere die Notwendigkeit, die Voraussetzungen eines aus einer sachlich nicht gerechtfertigter Geschäftsverweigerung abzuleitenden Kontrahierungszwanges nachzuweisen, würde eine unnötige Erschwernis für die Betroffenen darstellen. In der Folge wäre zu befürchten, dass die Effektivität des Rechtsschutzes leidet. Ausgebeutete Unternehmen könnten aus Angst vor einer Geschäftsverweigerung davon abgehalten werden, ihre rechtlichen Ansprüche gegenüber dem Marktbeherrscher zu verfolgen. Ohnehin stellen die Schwierigkeiten bei der Berechnung des Als Ob Wettbewerbspreises eine hohe Hürde für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz dar. Deshalb muss die Ausgestaltung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Ausbeutungsverbot auf die Interessen der Betroffenen umso mehr Rücksicht nehmen. Dieser Anforderung wird die Anwendung der geltungserhaltenden Reduktion oder Extension in vollständig wettbewerbskonformer Weise gerecht. Das abhängige Unternehmen ist entweder nur zur Zahlung des angemessenen Preises verpflichtet oder es darf als Anbieter das wettbewerbsgemäße Entgelt fordern. Der von Ausbeutung betroffene Vertragspartner kann unmittelbar auf Leistung aus dem Vertrag klagen. Darüber hinaus ist es einem Unternehmen möglich, auf einen Vertragsschluss auch dann einzugehen, wenn es die Forderung des Marktbeherrschers als überhöht oder zu niedrig erkennt. Der Vertrag kommt von vornherein nur mit dem zulässigen Inhalt zustande. Es wird vermieden, dass der Interessent auf Abschluss eines Vertrages klagen muss. Ein treuwidriges Verhalten, etwa wegen Rechtsmissbrauchs oder widersprüchlichem Verhalten liegt darin nicht, weil sich das marktbeherrschende Unternehmen missbräuchlich verhält. Der Vertragspartner verhält sich rechtmäßig, weil er lediglich einen Vertrag zu angemessenen Bedingungen und damit ein legitimes Ziel anstrebt. Des Weiteren würde eine Totalnichtigkeit zu unangemessenen Ergebnissen führen, wenn der Vertrag bereits in Vollzug gesetzt und Leistungen ausgetauscht wurden. Es würde eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung notwendig und es gingen alle Sekundärleistungsansprüche verloren. Im Gegensatz dazu kann der Betroffene nach einer Vertragsanpassung zu viel gezahltes Entgelt zurückfordern bzw. vorenthaltene Gelder nachfordern. c) Umfang der geltungserhaltenden Reduktion bzw. Extension aa) Bestimmung der Missbrauchsgrenze in der Rechtsprechung Genauerer Betrachtung bedarf nun die Frage, auf welchen Preis der Vertragsinhalt ermäßigt oder angehoben werden soll. Dieses Problem wird anhand des Vergleichsmarktkonzeptes erörtert, da dieses in der Praxis am häufigsten angewandt wird. Das Ergebnis lässt sich aber ebenso auf das Gewinnspannenbegrenzungs69 So auch Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 393; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 420; Paul, S. 172; Weyer, AG 1999, S. 257 (258); Emmerich, AG 2001, S. 520 (525); Kühne, RdE 2005, S. 241 (248).
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konzept übertragen.70 Die Heranziehung des Vergleichsmarktpreises ist nicht ohne weiteres möglich, weil dieser Preis lediglich der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Missbrauchsgrenze ist.71 Das Problem besteht darin, dass Märkte nicht identisch, sondern allenfalls ähnlich sind.72 Zum Teil fehlen vergleichbare Wettbewerbsmärkte.73 Unterschiede müssen durch Zu- und Abschläge auf den Preis derart ausgeglichen werden, dass im Ergebnis eine hinreichend sichere Prognose über den wettbewerbsanalogen Preis auf dem beherrschten Markt getroffen werden kann.74 Aber auch dann kann nur eine Annäherung an das hypothetische Wettbewerbsergebnis gelingen. Verbleibende Unsicherheiten sind zugunsten des marktbeherrschenden Unternehmens zu berücksichtigen.75 Der BGH fordert deshalb, dass der zunächst als wettbewerbsanalog ermittelte Preis wesentlich überschritten werden muss.76 Deswegen wird ein Sicherheitszuschlag gewährt und erst danach steht die höchstzulässige Preisgrenze fest.77 Das gilt beim Nachfragemachtmissbrauch entsprechend für Abschläge auf das auf Vergleichsmärkten gezahlte Entgelt. Dieser Preis könnte als Ergebnis der geltungserhaltenden Reduktion den zulässigen Vertragsinhalt bilden. bb) Ablehnung weiterer Sicherheitszuschläge Demgegenüber wird vorgeschlagen, die Anwendung von § 134 BGB auf besonders evidente, d. h. klar überhöhte bzw. klar zu niedrige Entgelte zu beschrän70
Siehe S. 483 ff. Zur Berechnung der Missbrauchsgrenze, siehe S. 466 ff.; zum Gedanken der Prävention als Sanktionszweck siehe aber auch S. 482 f. 72 Das gilt unabhängig davon, ob man das sachliche, räumliche oder zeitliche Vergleichsmarktkonzept heranzieht, siehe S. 466 ff. 73 Siehe S. 466 ff. 74 Siehe S. 466 ff. 75 Siehe S. 466 ff. 76 Zum Bsp.: BGH, 16. 12. 1976, WuW/E BGH 1445 (1454) „Valium“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1443) „Stadtwerke Mainz“, nachfolgend BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/ DE-R 3163 (3168) „Arzneimittelpreise“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3637 f.) „Wasserpreise Calw“. 77 Zum Bsp.: BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DE-R 3145 (3152 ff.) „Entega II“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; OLG Frankfurt a.M., 03. 03. 2011, WuW/ DE-R 3228 (3244 f.) „Wasserversorgung O1“; OLG Stuttgart, 25. 08. 2011, WuW/DE-R 3389 (3397 f.) „Tarifwasser-Kunden“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3637) „Wasserpreise Calw“. Die LKartB Hessen hat dieses Problem für den Fall eines Monopolpreisvergleiches im Bereich der Preismissbrauchsaufsicht über Wasserversorgungsunternehmen (§ 131 Abs. 6 GWB, § 103 GWB a. F. [1990]) dadurch gelöst, dass sie eine Absenkung der Preise auf das Niveau des teuersten von mehreren vergleichbaren Anbietern vorgenommen hat, LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1493 f.) „Wasserversorgung Wetzlar“ und BGH, 02. 02. 2010, WuW/DE-R 2841 (2843 ff.) „Wasserpreise Wetzlar“. 71
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ken.78 Das läuft auf eine über die Anrechnung von Sicherheitszu- oder -abschlägen hinausgehende weitere Erhöhung oder Erniedrigung des angemessenen Entgelts hinaus. Der vom BGH eingeführte Sicherheitszuschlag wurde von den Kartellbehörden übernommen und in der Literatur allgemein akzeptiert.79 Ziel der Forderung, nur klar überhöhte Preise der Sanktion nach § 134 BGB zu unterwerfen, kann also nur sein, den Anwendungsbereich auf solche Sachverhalte zu reduzieren, in denen die Überschreitung des Zulässigen derart offensichtlich ist, dass sie von niemandem ernsthaft bestritten werden kann.80 Eine solche Handhabung widerspricht aber dem Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber hatte bei Einführung des Beispieltatbestandes 1980 erwogen, das Kriterium der Spürbarkeit in den Gesetzestext aufzunehmen und dadurch die BGH Rechtsprechung festzuschreiben.81 Zuvor hatte der BGH nämlich bereits Zuschläge zum Ausgleich von Unterschieden zwischen den Vergleichsmärkten und einen Sicherheitszuschlag als notwendig erachtet.82 Diese Praxis wurde zwar vom Gesetzgeber gebilligt. Jedoch sah er die Gefahr, dass eine Betonung von Sicherheitszuschlägen im Gesetzestext die Rechtsprechung animieren könnte, zu einer weiteren und damit übermäßigen Ausdehnung der Sicherheitszuschläge zu gelangen.83 Man befürchtete, dass die ohnehin wenig erfolgreiche Preismissbrauchsaufsicht zum Erliegen kommen könnte.84 Wäre man nun der Auffassung eine Sanktion solle erst bei erheblicher Überschreitung, des mit Ausgleichs- und Sicherheitszuschlägen ermittelten missbräuchlichen Preises eingreifen, käme man zu einer Privilegierung des marktbeherrschenden Unternehmens. Einer solchen hatte sich der Gesetzgeber gerade entgegengestellt. Zudem ist auch unklar, wie das Merkmal Erheblichkeit konkretisiert werden soll. Die Anwendungsschwierigkeiten würden eher noch zunehmen, keinesfalls jedoch würden sie geringer. Es kommt also nicht in Betracht, das im Einzelfall zu ermittelnde Anpassungsniveau höher als den, nach dem Als Ob Wettbewerbskonzept des BGH zu bestimmenden Preis, festzulegen. cc) Ablehnung der Absenkung der Missbrauchsgrenze zur Prävention Andererseits ist zu prüfen – im Folgenden wird zur besseren Übersichtlichkeit zunächst der Missbrauch von Angebotsmacht dargestellt und sodann zum Nachfragemachtmissbrauch Stellung genommen – ob nicht der Weg in die andere Richtung beschritten und eine niedrigere Grenze im Vergleich zur Berechnung des 78
Weyer, AG 1999, S. 257 (258). Vgl. soeben Fn. 77 und siehe auch S. 466 ff. 80 In diese Richtung Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 81 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft BT-Drucks. 8/3690 (1980), S. 25. 82 Vgl. nur BGH vom 16. 12. 1976, WuW/E BGH 1445 (1451 f., 1454) „Valium“. 83 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft BT-Drucks. 8/3690 (1980), S. 25; Stahl, WuW 1980, S. 451 (456). 84 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft BT-Drucks. 8/3690 (1980), S. 25. 79
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
BGH festgesetzt werden sollte. Dafür käme der Vergleichsmarktpreis ohne Zuschläge in Betracht. Damit könnte der Durchsetzung des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB zu größerer Wirksamkeit verholfen werden. In ähnlich gelagerten Fällen, vor allem beim Mietwucher,85 wird damit argumentiert, dass der höchstzulässige Preis den Interessen des Ausbeutenden zu weit entgegenkomme. Er könne dann immer ohne Risiko das rechtlich zulässige Gewinnmaximum ausschöpfen.86 Maßstab müsse in den (Wohnraum-)Mietfällen die ortsübliche Vergleichsmiete,87 nicht aber die rechtlich zulässige Höchstmiete sein.88 Legte man also einen niedrigeren als den höchstzulässigen Preis zugrunde, wäre das zugleich eine wirksame Sanktion gegen rechtswidriges Verhalten. Dagegen lässt sich nicht anführen, dass das Gesetz die Ausnutzung des Preisgestaltungsspielraumes bis zu der Obergrenze erlaubt, von der ab mit Sicherheit kein wettbewerbsanaloges Verhalten mehr vorliegt.89 Auch in den Mietfällen ist es rechtlich möglich, den ortsüblichen Mietpreis um bis zu 20 % zu überschreiten.90 Zwischen diesen Fällen gibt es aber entscheidende Unterschiede. Während man in den Mietfällen aufgrund des örtlichen Mietspiegels vergleichsweise genau und zuverlässig sagen kann, wie hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist,91 gibt es eine derartige Vergleichsbasis bei der Preismissbrauchsprüfung nicht. Es existieren schlicht keine vergleichbaren standardisierten Untersuchungen dafür, welches Preisniveau im Einzelfall wettbewerbskonform wäre.92 Das wäre bei dynamischem Wettbewerbsverständnis auch weder zulässig, noch sinnvoll oder überhaupt nur praktikabel.93 Des Weiteren ist die Erstellung des Mietspiegels viel einfacher, weil dabei nicht verschiedene Märkte zu vergleichen, sondern nur die Ist-Situation auf einem bestimmten Markt zu analysieren ist. Darüber hinaus kann der Ausgleich zur Überwindung von Unterschieden der jeweiligen Märkte im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes in einem Zu- aber auch Abschlag bestehen. Er führt also nicht notwendig zu einem Vorteil für den 85
Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 161, § 134 Rn. 107; siehe auch S. 115 ff. Zur Betonung des Präventionsgedankens bei der Forderung von behindernd wirkenden überhöhten Entgelten OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“. 87 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 161, § 134 Rn. 107. 88 Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 161, § 134 Rn. 107. 89 So zumindest andeutungsweise Weyer, AG 1999, S. 257 (258). 90 Die Obergrenze wird definiert durch § 5 WiStG; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134 Rn. 107. 91 Vgl. § 558c BGB und zur Erläuterung Artz, in: MüKo BGB, § 558c Rn. 1 ff. 92 Kuhn, WuW 2006, S. 578 (580 ff.). 93 Bei der Festlegung von Missbrauchsgrenzen sind die Entwicklungstendenzen auf den betroffenen Märkten zu beachten. Das kann entweder durch großzügige Ausgestaltung eines Sicherheitszuschlages oder durch Befristung einer Maßnahme geschehen, vgl. OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1441) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515 f., 1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; OLG Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2864 f.) „Entega“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DE-R 3145 (3152 ff.) „Entega II“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“. 86
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Marktbeherrscher. Schließlich ist zu beachten, dass die Norm keinen Sanktionscharakter hat. Weder Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV, noch § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB stellen die Voraussetzung der subjektiven Vorwerfbarkeit auf. Zwar wurde an anderer Stelle der Sanktionscharakter der Nichtigkeit vertikaler Vertragsbindungen hervorgehoben.94 Es bestehen allerdings zwei maßgebliche Unterschiede zwischen jenen und den vorliegenden Fällen. Während erstens bei der Nichtigkeit von Bindungen dem Marktbeherrscher lediglich ein Instrument zur Marktordnung aus der Hand genommen wird, würde er in den Ausbeutungsfällen durch die Sanktion gezwungen, Leistungen möglicherweise unterhalb des für sie zulässigerweise erzielbaren Preises abzugeben. Ziel der Wettbewerbsvorschriften ist aber nicht die Bestrafung des marktbeherrschenden Unternehmens, sondern lediglich die Gewährung wettbewerbsgerechter Marktergebnisse. Zweitens dient die Vertragsanpassung gerade dem schutzbedürftigen Vertragspartner, der im Fall der Nichtigkeit des Vertrages schlechter stünde.95 Da der Marktbeherrscher im Fall der Nichtigkeit nicht zur Leistung verpflichtet wäre, verbindet sich bereits mit der Vertragsanpassung als solcher und der Verpflichtung zur Abgabe der Leistung zu wettbewerbsgemäßen Preisen eine Sanktionswirkung. Schließlich darf auch die Nichtigkeitssanktion in Fällen vertikaler Bindungen nur verhängt werden, wenn der Verbotsverstoß mit Sicherheit nachgewiesen ist. Unsicherheiten bei der Bestimmung des Verbotsverstoßes auf Tatbestandsebene dürfen nicht zu Lasten des Normadressaten gehen.96 Sollte darüber hinaus im Einzelfall ein Bedürfnis für eine Bestrafung bestehen, dann darf eine solche nur im Rahmen des dafür vorgesehenen Bußgeldverfahrens erfolgen.97 Der Sicherheitszuschlag stellt auch keine unzumutbare Benachteiligung des Vertragspartners dar. Es gibt nicht den einzig und klar ermittelbaren Wettbewerbspreis, sondern, bedingt durch die Schwierigkeiten bei der Berechnung einen Spielraum innerhalb dessen der wettbewerbsanaloge Preis liegt. Während der Marktbeherrscher diesen Preis so hoch als möglich festsetzen will, strebt die Marktgegenseite einen möglichst niedrigen Preis an. Dabei ist diese Zielsetzung des Marktbeherrschers nicht ohne weiteres rechtswidrig.98 Der Sicherheitszuschlag ist 94
Siehe S. 339 ff. Siehe S. 473 ff. 96 Das ist im Zivilprozess eine Frage der Beweisfälligkeit. Der Kläger trägt die Beweislast dafür, dass der Beklagte sich missbräuchlich verhalten hat. Kann mit den beigebrachten Beweismitteln ein solcher Nachweis zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) nicht geführt werden, ist die Klage abzuweisen. Im verwaltungsbehördlichen Untersagungsverfahren folgt dies aus der Gesetzesbindung der Verwaltung; im Bußgeldverfahren zudem aus der Unschuldsvermutung; vgl.: OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1442 ff.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3637 f.) „Wasserpreise Calw“. 97 Vgl. §§ 81 ff. GWB und Art. 23 f. VO 1/2003. 98 Es gehört zum Wesen des Wettbewerbs nach dem bestmöglichen wirtschaftlichen Ergebnis zu streben. Zu verhindern ist vor allem rücksichtsloses Gewinnstreben auf Kosten anderer: OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1442 ff.) „Stadtwerke Mainz“; OLG 95
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ein Mittel zum Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen. Im Einzelfall muss dessen Höhe nach den Schwierigkeiten bei der Berechnung, d. h. dem Maß der Unsicherheit und unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Beteiligten festgelegt werden. Die Verträge sind also durch geltungserhaltende Reduktion auf das Niveau der Preismissbrauchsgrenze zu ermäßigen. Die Berechnung erfolgt im Einklang mit der bisherigen gerichtlichen und kartellbehördlich bestätigten Praxis.99 Spiegelbildlich ist der Preis beim Missbrauch von Nachfragemacht auf das zulässige Maß zu erhöhen, ohne dass ein höherer Preis als Sanktion festgesetzt würde. Ein unzulässiges Handlungsgebot liegt darin nicht. Es wird lediglich der höchstzulässige Preis bzw. das mindestens zu fordernde Entgelt als Vertragsinhalt festgesetzt. Damit wird die Grenze definiert, die der Marktbeherrscher entsprechend Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB ohnehin nicht über- oder unterschreiten darf.100 Im Übrigen bleibt der Marktbeherrscher frei, bis zur Missbrauchsgrenze jeden zulässigen Preis zu fordern. Wird das Gewinnspannenbegrenzungskonzept zur Ermittlung der Preismissbrauchsgrenze angewandt, so ist entsprechend der zum Vergleichsmarktkonzept herausgearbeiteten Lösung der zu einem ausbeuterisch überhöhten Preis geschlossene Vertrag auf das danach höchstzulässige Maß zu begrenzen bzw. im Fall des Nachfragemachtmissbrauchs auf das rechtmäßige Mindestniveau anzuheben. d) Ergebnis Mit der Anpassung des Preises im Wege der geltungserhaltenden Reduktion oder Extension auf das zulässige Maß findet der allgemeine Grundsatz, dass das Kartellrecht den wirtschaftlichen Leistungsaustausch nicht behindern darf, im speziellen seine Bestätigung.101 Das Bestreben des Wettbewerbsrechts muss dahin gehen, dass Verträge unter den Bedingungen eines freien Leistungswettbewerbes geschlossen werden. Im besonderen Fall der Ausbeutung werden diese Bedingungen durch Anwendung des Vergleichsmarkt- oder Gewinnspannenbegrenzungskonzeptes substituiert. Neben dieser durch den Gedanken des Institutionenschutzes motivierten Zielsetzung tritt die individuelle Schutzrichtung des Verbotes. Durch Verhinderung von Ausbeutung soll die Marktgegenseite geschützt werden, indem sie Leistungen zu wettbewerbsgerechten Bedingungen erhält bzw. für ihre Leistungen ein angemessenes Entgelt erzielt. Der Vertrag gilt als von Beginn an zu einem wettbewerbsanalogen Preis zustande gekommen. Im Übrigen bleibt der Vertrag unverändert bestehen. Das ergibt sich direkt aus dem nach § 134 S. 2 BGB maßgeblichen Sinn
Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2864 f.) „Entega“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/ DE-R 3145 (3150 ff.) „Entega II“; siehe auch S. 50 ff. und S. 61 ff. 99 Siehe S. 466 ff. 100 BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515) „Stadtwerke Mainz“; Paul, S. 173 f.; siehe auch S. 466 ff. 101 Siehe S. 50 ff.
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und Zweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. § 139 BGB findet keine Anwendung.102 2. Missbräuchliche Geschäftsbedingungen a) Rechtsgeschäft und Verbotsverstoß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB benennt das „Fordern“ von Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die im Wettbewerb erzielbar wären als Beispielstatbestand für verbotenes Verhalten. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV verbietet marktbeherrschenden Unternehmen, unangemessene Vertragsbedingungen zu erzwingen.103 Ebenso wie beim Preishöhenmissbrauch stellt eine auf einen abgeschlossenen Vertrag gestützte Forderung nach Einhaltung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen verbotenes Verhalten dar.104 Dementsprechend sind auch hier Rechtsgeschäfte, die missbräuchliche Geschäftsbedingungen enthalten, im Sinne von § 134 BGB verboten. b) Normzweckvorbehalt und Vertragsanpassung aa) Vergleich mit dem Preishöhenmissbrauch Der Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB erfordert es, entsprechend den Ausführungen zum Preismissbrauch,105 das Rechtsgeschäft auch im Fall missbräuchlicher Geschäftsbedingungen mit dem rechtmäßigen Umfang aufrechtzuerhalten.106 Im Grunde ist auch der Preis lediglich eine Geschäftsbedingung.107 Seine Hervorhebung in Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB erklärt sich daraus, dass der Preis eine der synallagmatischen Hauptleistungspflichten darstellt und sich deshalb als instruktives Beispiel für die Illustrierung des Schutzzweckes der Vorschrift besonders gut eignet. Bei der Durchführung der Vertragsanpassung ergeben sich jedoch Unterschiede zwischen Preishöhenmissbrauch und Fordern bzw. Erzwingen unangemessener Geschäftsbedingungen. Während beim Preismissbrauch die geltungserhaltende Reduktion oder Extension eine praktikable Lösung darstellt, ist dieses Verfahren bei sonstigen 102
§ 134 2. Halbsatz BGB ist vorrangig, siehe S. 114. Siehe S. 469 f. 104 Zum Preishöhenmissbrauch siehe S. 472 f. 105 Siehe dazu S. 472 ff. 106 Weyer, AG 1999, S. 257 (258); Emmerich, AG 2001, S. 520 (525). 107 Dazu beispielhaft EuGH, 13. 07. 1989, WuW/EWG/MUV 901 (908 f.) „Ministere Public/Tournier“, wo es um die Berechnungsgrundlagen für die Erhebung einer Lizenzgebühr durch eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft ging. Im Rahmen der Missbrauchskontrolle erfasst der Begriff Geschäftsbedingungen sämtliche vertragliche Regeln, insbesondere also auch Hauptleistungspflichten und Vereinbarungen, die individuell ausgehandelt wurden. Er hat also einen anderen Inhalt als im Rahmen der §§ 305 ff. BGB. 103
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Geschäftsbedingungen nur ausnahmsweise anwendbar. Es funktioniert nur bei einzelnen Vertragsbestandteilen, die quantitativ reduziert oder erweitert werden können. Als Beispiele seien Kündigungs- oder sonstige vertragliche Bindungsfristen oder die Festsetzung von (Neben-)Kosten genannt.108 Unterscheiden sich Verträge aber dergestalt, dass auf dem beherrschten Markt belastende Klauseln praktiziert werden, welche auf dem Vergleichsmarkt gar nicht durchsetzbar wären, bedarf es einer anderen Lösung. Als Beispiel kann die Praktizierung einer zwangsweisen Kopplung dienen. Hier liegt eine Teilnichtigkeit durch Wegfall der Kopplungsklausel nahe.109 Im Vergleich zu dieser einfachen Konstellation ergeben sich Schwierigkeiten dann, wenn die zu vergleichenden Verträge in mehreren Punkten voneinander abweichen. Die Rechtsprechung fordert, dass im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes nicht einzelne Bestimmungen verglichen werden, sondern ein Vergleich des gesamten Bündels von Rechten und Pflichten vorgenommen wird.110 Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Vertragspartner den Rechtsschutz dazu ausnutzt, durch eine Art Rosinenpickerei die jeweils vorteilhaften Bestimmungen beider Verträge zu kombinieren. Es wird nämlich häufig vorkommen, dass einzelne nachteilige Bestimmungen durch Vorteile an anderer Stelle ausgeglichen werden. Erst eine Abwägung aller Vor- und Nachteile kann zeigen, ob die Vertragsgestaltung unangemessen ist. Liegt danach ein Missbrauch vor, ist fraglich wie der beanstandete Vertrag angepasst werden soll. Möglicherweise müssten eine Vielzahl von Bestimmungen geändert werden. Das lässt befürchten, dass das Gericht im Ergebnis einen ganz neuen, von der ursprünglichen Vereinbarung stark abweichenden Vertrag kreiert.111 Zunächst ist fraglich, ob das Vergleichsmarktkonzept insoweit überhaupt praktikabel ist. Es wird anstelle dessen vorgeschlagen als Maßstab die allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen, so wie sie im dispositiven Gesetzesrecht und im Rahmen der AGB Kontrolle zum Ausdruck kämen, heranzuziehen.112 bb) Recht der AGB als Beurteilungsmaßstab (1) Folgen der Anwendung Zunächst ist das hier aufgeworfene Problem ein solches des materiellen Verbotstatbestandes. Es geht darum festzustellen, welcher Maßstab bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs zugrunde zu legen ist. Die Beantwortung dieser Frage wirkt sich jedoch unmittelbar auf die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUVoder § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB aus. Legt man als Prüfungsmaßstab die §§ 305 ff. BGB bzw. bei der Unternehmenseigenschaft des 108
Siehe S. 469 f. Siehe auch S. 305 ff. 110 Siehe S. 469 f. 111 Siehe dazu S. 494 f. 112 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 256 m. w. N.; Knöpfle/Leo, in: GK, § 19 GWB Rn. 2177 f. m. w. N.; siehe auch S. 469 f. 109
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Empfängers nur § 307 BGB zugrunde, läge es nahe auch § 306 BGB zur Bestimmung der Rechtsfolgen heranzuziehen. Die regelmäßige Folge wäre die Nichtigkeit der rechtswidrigen Vertragsbestandteile, die allerdings durch das dispositive Gesetzesrecht ersetzt werden können.113 Eine geltungserhaltende Reduktion oder Extension käme nicht in Betracht.114 Eine Gesamtnichtigkeit des Vertrages bildete entsprechend § 306 Abs. 3 BGB die Ausnahme. Demgegenüber würde sich bei Zugrundelegung des Vergleichsmarktkonzeptes die Notwendigkeit ergeben, den Vertrag, soweit es dessen rechtswidrige Bestandteile betrifft, an die Vergleichsmarktbedingungen anzupassen und im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt aufrecht zu erhalten. Es kann sich dann das Problem stellen, dass eine Anpassung nicht möglich ist, ohne den Parteien einen anderen als den ursprünglich gewollten Vertrag aufzuzwingen.115 Da ein Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht ausscheidet, kommt dann nur Gesamtnichtigkeit in Betracht. (2) Prüfung der Anwendbarkeit Die Bezugnahme auf das Recht der AGB und das dispositive Gesetzesrecht hat den Vorteil, dass ein recht sicherer Vergleichsmaßstab zur Verfügung steht. Zum einen kann man auf ein gesetzliches Leitbild zurückgreifen. Zum anderen existiert zum Recht der AGB jahrzehntelange Rechtsprechung und Diskussion in der Literatur.116 Entgegenzuhalten ist allerdings, dass das Kartellrecht das Ziel verfolgt, die „Ordnungsprinzipien einer Wettbewerbswirtschaft“ durchzusetzen.117 Speziell im Rahmen von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB will das Gesetz wettbewerbskonforme Marktergebnisse zugunsten der Marktgegenseite dort sicherstellen, wo die Marktbedingungen ein solches Resultat nicht erwarten lassen.118 Mit der AGB Kontrolle und dem dispositiven Gesetzesrecht hat das nichts zu tun. Zu bedenken sind vor allem folgende Punkte. Die AGB Kontrolle dient dem Ausgleich eines Informationsvorsprunges, der dadurch entsteht, dass der Verwender seine Geschäftsbedingungen sehr sorgfältig vorbereiten konnte und der andere Teil zumeist kaum ausreichend Zeit zur Prüfung hat. Dazu tritt möglicherweise ein intellektueller Vorsprung durch größere Sachkunde auf Verwenderseite.119 Im Rahmen des GWB geht es demgegenüber um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht insoweit, als ihr Missbrauch zu Lasten anderer Marktteilnehmer verhindert werden soll. Treten sich zwei Unternehmen gegenüber, die beide AGB verwenden, dann werden unabhängig von der Marktmacht eines der Beteiligten nur diejenigen Bestimmungen 113
Basedow, in: MüKo BGB, § 306 Rn. 21. Basedow, in: MüKo BGB, § 306 Rn. 13 f. 115 Siehe S. 487 f. 116 Schlosser, in: Staudinger BGB, Vorbem zu §§ 305 ff. Rn. 24 ff. und Vorbem zu §§ 307 – 309 Rn. 2 ff.; BGH, 06. 11. 2013, WuW/DE-R 4037 (4046 f.) „VBL Gegenwert“. 117 Siehe S. 30 ff. und S. 50 ff. 118 Siehe S. 466 ff. 119 Schlosser, in: Staudinger BGB, § 307 Rn. 2 ff. 114
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Vertragsbestandteil, die sich entweder decken oder doch insoweit miteinander im Einklang stehen, als die Bedingungen des anderen Teils nicht entgegenstehen. Soweit sich AGB widersprechen, werden sie, weil ein Dissens vorliegt, nicht Vertragsbestandteil.120 Praktisch bedeutet das, dass eine AGB Kontrolle nur stattfindet, wenn ein Teil keine oder lückenhafte AGB verwendet, der Einbeziehung missliebiger Bestimmungen nicht widerspricht oder auf der Gegenseite Verbraucher stehen. Eine Überschneidung mit den Fällen des Missbrauchs von Marktmacht findet nur dort statt, wo der Marktbeherrscher Druck ausübt, um den anderen Teil dazu zu bringen, seine AGB zu akzeptieren. In diesen Fällen ist die AGB Inhaltskontrolle unmittelbar einschlägig.121 Würde man nun die Maßstäbe der §§ 305 ff. BGB auch im Rahmen des Ausbeutungsverbots anwenden, wären die speziellen Bestimmungen der Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB schlicht überflüssig. Das ist mit dem Ziel des Ausbeutungsverbots, wettbewerbskonforme Marktergebnisse zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Orientiert an dieser Zielsetzung vermag die Missbrauchskontrolle im Einzelfall durchaus zu strengeren Maßstäben zu gelangen als das Recht der AGB. Des Weiteren findet das Recht der AGB keine Anwendung auf individualvertraglich ausgehandelte Vertragsbedingungen. Auch eine analoge Anwendung, auf die die Einführung eines solchen Prüfungsmaßstabes im Rahmen der Missbrauchskontrolle im Ergebnis hinausliefe, ist mangels Gesetzeslücke nicht zulässig. Ohnehin kennt das Recht der AGB dafür keine Maßstäbe.122 Schließlich ist der Anwendungsvorrang des Europarechts zu berücksichtigen, der in Bezug auf Art. 102 AEUV in Art. 3 Abs. 1 S. 2 VO 1/2003 seinen Niederschlag gefunden hat.123 Danach darf zur Konkretisierung des Prüfungsmaßstabes nach Art. 102 AEUV nationales Recht, also auch das Recht der AGB keine Anwendung finden.124 Lediglich die Rechtsfolgenbestimmung, nicht aber die Tatbestandsauslegung sind dem nationalen Recht zu entnehmen. Die Zulässigkeit strengerer nationaler Regeln gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 ändert daran nichts. Denn erstens erlaubt sie lediglich die Anwendung nationaler Vorschriften, nicht aber die Mischung zwischen deutschem Recht und Art. 102 AEUV. Und zweitens muss, da die Anwendung der AGBInhaltskontrolle nicht durchgängig zu strikteren Grenzen führen würde, zur Vermeidung von Widersprüchen, die entstehen würden, könnten im gleichen Fall zwei unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe Anwendung finden, eine einheitliche Methode für die Festlegung der Missbrauchsgrenze bei Einschlägigkeit des europäischen
120
Schlosser, in: Staudinger BGB, § 305 Rn. 205 ff. Schlosser, in: Staudinger BGB, § 307 Rn. 51 f.; BGH, 06. 11. 2013, WuW/DE-R 4037 (4046 f.) „VBL Gegenwert“. 122 Eine Kontrolle der Angemessenheit von synallagmatischen Leistungs- und Gegenleistungspflichten ist im Rahmen der §§ 305 ff. BGB überhaupt nicht vorgesehen, weil dies einen systemwidrigen Eingriff in die Vertragsfreiheit zur Folge hätte; vgl. Schlosser, in: Staudinger BGB, § 305 Rn. 35 ff. 123 Siehe S. 38 f. 124 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 188. 121
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Rechts gefunden werden. Diese kann wegen des Anwendungsvorranges von Art. 102 AEUV nur dem europäischen Recht entnommen werden. cc) Vergleichsmarktkonzept als Prüfungsmaßstab Obgleich nach dem Gesagten das Recht der AGB Inhaltskontrolle als Prüfungsmaßstab im Rahmen des Verbots ausbeuterischer Geschäftsbedingungen ausscheiden muss, sind doch die Bedenken im Hinblick auf die Eignung des Vergleichsmarktkonzeptes ernst zu nehmen. In der Praxis hat die Kontrolle missbräuchlicher Geschäftsbedingungen nur eine geringe Bedeutung erlangt.125 Der entscheidende Punkt dürfte sein, dass es häufig nicht gelingt, einen geeigneten Vergleichsmarkt zu finden.126 Auch ist die Beachtung von Unterschieden zwischen den Märkten schwieriger, weil sie nicht einfach durch Zu- und Abschläge ausgeglichen werden können. Notwendig ist vielmehr eine wertende Betrachtung. Der BGH selbst hat zu bedenken gegeben, ob nicht in einem Fall, in dem ein Vergleichsmarkt nicht zu ermitteln ist, das dispositive Gesetzesrecht einschließlich allgemeiner Gerechtigkeitsvorstellungen und die AGB Kontrolle eingreifen könnten.127 Auf die mangelnde Geeignetheit der §§ 305 ff. BGB als Prüfungsmaßstab bei Anwendung der Missbrauchsverbote wurde indes bereits hingewiesen.128 Demgegenüber hat die Praxis zu Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV in Ergänzung zum Vergleichsmarktkonzept eine umfassende Interessenabwägung durchgeführt, die sich lediglich daran orientierte, ob die Geschäftsbedingungen offensichtlich unbillig waren.129 Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV enthält keine Vorgaben für ein bestimmtes Prüfungskonzept. Andererseits hebt der Wortlaut des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB das Als Ob Wettbewerbskonzept hervor, schließt aber die Entwicklung alternativer Prüfungskonzepte nicht aus.130 Deshalb ist von folgendem auszugehen. Bei der Prüfung vermeintlich ausbeuterischer Geschäftsbedingungen, die von Seiten eines marktbeherrschenden Unternehmens gestellt werden, ist vorrangig das Vergleichsmarktkonzept anzuwenden. Vergleichsgrundlage sind die auf einem näherungsweise ähnlichen Wettbewerbsmarkt üblichen Verträge. In einer Gesamtschau der vertraglichen Bestimmungen sind die jeweiligen Vor- und Nachteile für die Vertragspartner des Marktbeherrschers herauszuarbeiten und in wertender Betrachtung zu vergleichen. Verbleibende Belastungen für die Betroffenen auf dem beherrschten Markt sind als missbräuchlich zu beurteilen. Führt das Vergleichsmarktkonzept nicht
125
Siehe S. 469 f. Siehe S. 466 ff. 127 BGH, 06. 11. 1984, WuW/E BGH 2103 (2107) „Favorit“; BGH, 06. 11. 2013, WuW/DER 4037 (4046 f.) „VBL Gegenwert“; zur Interessenabwägung auch LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/DE-R 2120 (2123 ff.) „MPEG 2 – Standard“. 128 Siehe S. 488 ff. 129 Siehe S. 469 f. 130 Siehe S. 466 ff. 126
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zu einem Ergebnis,131 sind, orientiert am Gesetzeszweck, wettbewerbskonforme Marktergebnisse zu schaffen, die Interessen des Marktbeherrschers und der betroffenen Vertragspartner umfassend gegeneinander abzuwägen.132 Dabei können, entsprechend der Hinweise des BGH, die wesentlichen Gerechtigkeitsvorstellungen, wie sie im dispositiven Gesetzesrecht zum Ausdruck kommen, Berücksichtigung finden.133 Zu beachten ist, dass die Generalklauseln, insbesondere die §§ 138, 242 BGB äußerste Grenzen setzen, die unabhängig vom Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gelten und deshalb keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. c) Rechtsfolgen nach § 134 BGB Die Beantwortung der Frage nach den Rechtsfolgen muss eine Differenzierung nach dem Anpassungsbedarf im Einzelfall Rechnung tragen. Als Grundsatz gilt dabei, dass im Interesse der Marktgegenseite eine Aufrechterhaltung der vertraglichen Austauschbeziehung im rechtmäßigen Umfang geboten ist.134 aa) Nichtigkeit einzelner Klauseln Einfach stellt sich der Fall dar, dass durch Nichtigkeit einer missbräuchlichen Vertragsbestimmung das Rechtsgeschäft auf einen rechtmäßigen Inhalt zurückgeführt werden kann. Notwendige Voraussetzung ist jeweils, dass die Bestimmung dem marktbeherrschenden Unternehmen einseitig Vorteile verschafft, sowie abgrenzbar und ohne erhebliche Auswirkungen auf den Vertrag im Übrigen aufhebbar ist. Darüber hinaus muss ihr vollständiger Wegfall zur Herstellung eines wettbewerbsanalogen Vertragsverhältnisses erforderlich sein.135 Beispielsweise verstößt die vom Marktbeherrscher einseitig auferlegte Verpflichtung zur Abnahme einer gekoppelten Leistung gegen das Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB, wenn der Vergleich mit einem Wettbewerbsmarkt erkennen lässt, dass eine solche Verpflichtung unter Wettbewerbsbedingungen nicht durchsetzbar ist.136 Eine solche Klausel bzw. die Regelung der Abnahme der gekoppelten Leistung ist daher nach § 134 BGB nichtig. Im Übrigen, also hinsichtlich der Hauptleistung und damit im Zusammenhang stehender Neben- und Schutzpflichten bleibt der Vertrag wirksam. Es ist dann von einer Teilnichtigkeit unabhängig vom Willen des Marktbeherrschers auszugehen. Sie stützt sich auf § 134 2. Halbsatz BGB. § 139 BGB ist unanwendbar. Somit wird der Gesetzeszweck verwirklicht, wirtschaftlichen Aus131
Zum Vergleichsmarktkonzept siehe S. 466 ff. Siehe S. 469 f. 133 Emmerich, AG 2001, S. 520 (523); siehe auch S. 469. 134 Zum Preismissbrauch siehe S. 472 ff. 135 Damit sind die Fälle ausgeschlossen, die sich durch bloßes Übermaß auszeichnen, siehe S. 487 f. 136 Zu zwangsweisen Kopplungen siehe S. 305 ff. 132
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tausch nicht zu behindern, zugleich aber Ausbeutung zu verhindern. Diese Rechtsfolge entspricht derjenigen, welche bereits für zwangsweise Kopplungen unter dem Aspekt des Behinderungsmissbrauches gefunden wurde.137 Auf diese Weise wird erreicht, dass bei zwangsweisen Kopplungen, die sowohl gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 als auch gegen Nr. 2 verstoßen, eine einheitliche Rechtsfolge eintritt. Das gleiche gilt für Bezugs-, Verwendungs- oder Vertriebsbindungen, die bei wirksamem Wettbewerb nicht durchsetzbar wären. Sie schaffen lediglich dem Bindenden einen Vorteil, der, wenn er nicht durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird, den Gebundenen einseitig belastet. Sie können deshalb, abhängig von den Umständen des Einzelfalles sowohl als Behinderungs- oder Ausbeutungsmissbrauch eingeordnet werden. Unabhängig von dieser Einordnung tritt nur Teilnichtigkeit ein und der Vertrag im Übrigen bleibt wirksam.138 Weitere gleich gelagerte Beispiele sind die Durchsetzung besonderer vertraglicher Kündigungs- oder Rücktrittsrechte, Leistungsverweigerungsrechte, Vertragsstrafen usw., die bei wirksamem Wettbewerb nicht durchsetzbar wären, solange es nicht lediglich um deren bloß übermäßige Dauer oder Höhe geht.139 bb) Geltungserhaltende Reduktion Eine Vertragsbestimmung kann bereits dann missbräuchlich sein, wenn sie zwar dem Grunde nach zulässig ist, in ihrer konkreten Ausgestaltung aber eine übermäßige Belastung des Vertragspartners des marktbeherrschenden Unternehmens darstellt. Das betrifft vor allem Fälle langfristiger Bezugsbindungen, sehr ausgedehnter Kündigungsfristen oder Berechnungsgrundlagen für Nebenleistungen, die zu unangemessen hohen Kosten führen.140 In diesen Fällen ist die einzelne missbräuchliche Vertragsbestimmung durch eine geltungserhaltende Reduktion nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB, 134 2. Halbsatz BGB auf ihren zulässigen, d. h. dem Ergebnis wirksamen Wettbewerbs entsprechenden Inhalt zurückzuführen. Zur Begründung ist auf die Ausführungen zum Preishöhenmissbrauch zu verweisen.141 Gegebenenfalls kommt auch eine geltungserhaltende Extension in Betracht. Beispielsweise ist das bei unangemessen kurzen Kündigungsfristen der Fall.142 Bei der Anpassung ist von der Gestaltung der Verträge auf dem Vergleichsmarkt auszugehen. Bestehende Unterschiede sind, ebenso wie beim Preishöhenmissbrauch dargestellt, zwischen beherrschtem Markt und Vergleichsmarkt durch Zu- und Abschläge auszugleichen. Es ist ein Sicherheitszuschlag zu berück137
Siehe dazu S. 305 ff. Zum Behinderungsmissbrauch durch zwangsweise Kopplungen, siehe S. 311 ff.; für Bindungen siehe S. 344 ff. 139 Siehe sogleich S. 493 f. 140 Zu Bezugsbindungen siehe S. 327 f.; siehe auch S. 469 f. 141 Siehe S. 473 ff. 142 Insoweit kann eine Überschneidung mit Fällen der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung bestehen, siehe S. 395 ff. 138
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sichtigen.143 In Fällen, in denen das Vergleichsmarktkonzept nicht anwendbar ist, ist die Anpassung anhand einer Interessenabwägung und unter Berücksichtigung dispositiven Gesetzesrechts vorzunehmen. Anwendbar ist dieses Verfahren jedoch nur, falls sich das Übermaß auf einzelne Vertragsklauseln beschränkt und durch quantitative Anpassung beseitigt werden kann. Der Vertrag wird mit der angepassten Bestimmung aufrechterhalten und bleibt im Übrigen unberührt. Die Begründung findet sich ebenso wie beim Preismissbrauch im Schutz der Marktgegenseite.144 cc) Ersetzung einer missbräuchlichen Regelung Die Rechtsfragen können sich im Einzelfall komplexer darstellen als in den beiden bisher dargestellten Fallgruppen, wenn ein ganzes Geflecht von Vertragsbestimmungen mit dem Missbrauchsvorwurf in Zusammenhang steht. So ging es beispielsweise im Fall „Favorit“ um die Berechnungsgrundlagen des Versorgungspreises für die Fernwärmeversorgung in einem Wohngebiet, um die einzelnen Bestandteile dieser Rechnung und um langfristige Bezugsbindungen des versorgenden Anbieters.145 Eine einfache Teilnichtigkeit kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht, weil der Vertrag im Übrigen keinen sinnvollen Inhalt hätte.146 Ebenso wenig wäre mit einer geltungserhaltenden Reduktion gewonnen. Allenfalls könnte man daran denken, den Vertrag umfassend an die auf dem Vergleichsmarkt üblichen Bedingungen anzupassen. Das Problem ist dann allerdings, dass ein ganz neues Rechtsgeschäft entsteht, welches mit dem ursprünglichen Vertrag nur wenig gemeinsam hat. Die Parteien sähen sich mit einem neuen Vertrag konfrontiert, der in dieser Form nicht vorhersehbar war. Ein solch weitgehendes Gestaltungsrecht kann nicht auf § 134 2. Halbsatz BGB gestützt werden, denn es wäre mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit unvereinbar. Auch wenn, gestützt auf § 134 BGB der Inhalt eines Rechtsgeschäfts geändert wird, müssen doch die von den Parteien gewollten wesentlichen Inhalte erkennbar bleiben. Eine Anpassung an Vergleichsmarktbedingungen ist unter Berücksichtigung dieser Maßgabe nur möglich, wenn einzelne abgrenzbare Regelungskomplexe betroffen sind. Deren Änderung dürfte dann aber keine Auswirkungen auf die Gegenseitigkeitsbeziehungen im Vertrag im Übrigen haben. Anderenfalls würde die Notwendigkeit,147 die Vertragsäquivalenz zu beachten, nicht gewahrt. Diese Schwierigkeit lässt sich auch nicht durch einen Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht lösen, weil das Problem der umfassenden, die Vertragsfreiheit negierenden Vertragsanpassung bliebe. Träte in der 143
Siehe S. 466 ff. und S. 481 ff. Zum Preismissbrauch siehe S. 473 ff. 145 Vgl. den Sachverhalt in BKartA, 20. 11. 1981, WuW/E BKartA 1983 (1983 f., und 1985 ff.) „Favorit“; KG, 13. 07. 1983, WuW/E OLG 3091 (3096 ff.) „Favorit“; BGH, 06. 11. 1984, WuW/E BGH 2103 (2103 f.) „Favorit“. 146 Vgl. BKartA, 20. 11. 1981, WuW/E BKartA 1983 (1989) „Favorit“, das eine Teilnichtigkeit annahm; zur Aufhebung KG, 13. 07. 1983, WuW/E OLG 3091 (3096 ff.) „Favorit“. 147 BGH, 06. 11. 1984, WuW/E BGH 2103 (2105 ff.) „Favorit“. 144
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Folge Nichtigkeit ein, würde der Schutz des Vertragspartners nicht verwirklicht.148 Als Ausweg bietet sich an, den Vertrag als wirksam zu behandeln und dem von der Ausbeutung Betroffenen über den Beseitigungsanspruch des § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB einen Anspruch auf Vertragsanpassung zuzugestehen. Die Vertragsanpassung muss zur Wahrung der Vertragsfreiheit als Anspruch auf Vertragsverhandlungen über einen Änderungsvertrag ausgestaltet werden. Hier besteht eine Parallele zu den Fällen einer diskriminierend ungleichen Behandlung, die sich nicht lediglich in einer einfachen Benachteiligung oder Bevorzugung erschöpft.149 Zur Beschleunigung der Verhandlungen kann der Ausgebeutete selbst ein Änderungsangebot vorlegen und vom Marktbeherrscher die Annahme verlangen. Der Marktbeherrscher darf in den Verhandlungen nicht an ausbeuterischen Bedingungen festhalten. Während der Vertragsverhandlungen ist dem Betroffenen ein Leistungsverweigerungsrecht insoweit zuzugestehen, als es notwendig ist, um eine fortschreitende übermäßige Belastung zu vermeiden. Dieses Recht ist nach § 242 BGB daraus abzuleiten, dass niemand etwas fordern darf, was er alsbald zurückgewähren muss.150 Die Grenzen können im Streitfall analog § 315 Abs. 3 BGB durch das Gericht bestimmt werden.151 Das Gericht vermag insoweit im Wege einer Regelungsverfügung nach § 940 ZPO für die Dauer der Vertragsverhandlungen das Rechtsverhältnis einstweilen zu regeln. Soweit die Bedingungen einer sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung vorliegen und der Ausgebeutete ein Änderungsangebot vorlegt, dem der Marktbeherrscher nicht mit zulässigen, also die Grenzen des Ausbeutungsverbots beachtenden Einwendungen entgegentritt, kann er nach den Grundsätzen des Kontrahierungszwanges auch zur Annahme des Vertragsänderungsangebots verurteilt werden. Auf diesem Weg kann eine Anpassung des Vertrages an die nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB zulässigen Bedingungen erreicht und zugleich die Vertragsfreiheit gewahrt werden. Für die Vergangenheit bleibt der Vertrag zwar wirksam. Der Betroffene kann aber Schadensersatz über § 33 Abs. 1, 3 GWB verlangen. d) Ergebnis Verträge, welche missbräuchliche Geschäftsbedingungen enthalten, sind gem. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Die Gesamtnichtigkeit entspricht nicht dem Normzweck des Ausbeutungsverbotes. Um die Marktgegenseite angemessen zu schützen, ist eine Anpassung der Verträge nach dem Maßstab des Vergleichsmarktkonzeptes durchzuführen. Führt dieses nicht zu einem befriedigenden Ergebnis, ist an Stelle dessen eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen des dispositiven Rechts vorzunehmen. Die Vertragsanpassung ist nicht 148 149 150 151
Siehe auch S. 475 f. Siehe S. 433 ff. und S. 443. Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 440 ff. Würdinger, in: MüKo BGB, § 315 Rn. 42.
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ohne weiteres durch geltungserhaltende Reduktion oder Extension wie in Fällen des Preishöhenmissbrauchs durchführbar. Es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden. Soweit die Nichtigkeit einzelner Klauseln ausreichend ist, tritt Teilnichtigkeit ein. Kann eine Anpassung durch geltungserhaltende Reduktion oder Extension einzelner Bestimmungen durchgeführt werden, so ist diese im gebotenen Umfang vorzunehmen und der Vertrag im Übrigen unverändert zu lassen. Können unangemessene Belastungen auf diesen beiden Wegen nicht beseitigt werden, weil zusammenhängende Regelungskomplexe eines Vertragswerkes betroffen sind, bleibt der Vertrag zunächst wirksam. Zum Schutz seiner Interessen erhält der Betroffene die Möglichkeit im Wege der Beseitigungsklage eine Vertragsänderung mit dem Ziel der Anpassung an wettbewerbskonforme Marktergebnisse durchzusetzen. Für die Zeit eines Rechtsstreits ist ihm ein Leistungsverweigerungsrecht insoweit zuzugestehen als es darum geht unangemessene Belastungen zu vermeiden.
VI. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Abgrenzung der persönlichen Betroffenheit a) Marktgegenseite aa) Lösungsansätze Nach den bisherigen Ausführungen scheint es naheliegend, denjenigen Marktteilnehmern, die dem marktbeherrschenden Unternehmen auf der Marktgegenseite als aktuelle oder potentielle Vertragspartner gegenübertreten, privaten Rechtsschutz deshalb zu gewähren, weil sie von der Ausbeutung unmittelbar betroffen sind.152 Indes haben sich Autoren, die § 22 GWB a. F. als Schutzgesetz i. S. v. § 35 GWB a. F. bzw. § 86 EGV a. F. als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB ansahen, ablehnend gegenüber Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüchen ausgebeuteter Marktteilnehmer geäußert.153 Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Kreis der Klageberechtigten unüberschaubar groß werden könne. Eine Abgrenzung der Anspruchsberechtigten sei dann nicht mehr möglich.154 In erster Linie gehe es auch nicht um Individualschutz, sondern um eine Preiskontrolle, mit der das öf152
Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 422; Jung, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV Rn. 395; Eilmannsberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/ Säcker, Art. 102 AEUV Rn. 681; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 79; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 22, 57; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 69; Rehbinder, in: L/M/R, § 33 GWB Rn. 24; Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 788; Meessen, S. 324 f.; Emmerich, AG 2001, S. 520 (523); Weyer, AG 1999, S. 258 f. 153 Müller-Laube, S. 55 ff.; Baur, EuR 1988, S. 257 (265 ff.). 154 Müller-Laube, S. 55 ff.; Baur, EuR 1988, S. 257 (266); dieses Argument wurde auch schon bei Preisüberhöhungen infolge von Preiskartellen verwendet, LG Mannheim, 11. 07. 2003, GRUR 2004, 182 (183) „Vitaminkartell“.
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fentliche Interesse am sozialen Schutz der Verbraucher gesichert werden solle.155 Auch stoße eine Schadensberechnung, die auf dem Vergleichsmarktkonzept aufbaut, auf unüberwindliche Schwierigkeiten.156 bb) Abgrenzbarkeit der Anspruchsberechtigten Das Argument fehlender Abgrenzbarkeit kann insoweit nicht überzeugen als unmittelbare Abnehmer des Marktbeherrschers betroffen sind. Man kann ohne große Schwierigkeiten feststellen, wer als Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite auftritt. Das sind all diejenigen, welche als Vertragsinteressenten dem Marktbeherrscher gegenübertreten und die von ihm mit der Forderung überhöhter Preise oder unangemessener Geschäftsbedingungen konfrontiert werden.157 Insoweit sind die Probleme nicht größer als in den Fällen des Behinderungsmissbrauches, zumal sich die Anwendungsbereiche der Art. 102 S. 2 lit. a) und Art. 102 S. 2 lit. b) und d) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GWB überschneiden können.158 Das Problem der Übervorteilung der Marktgegenseite stellt sich auch bei horizontalen oder vertikalen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen. Der Gesetzgeber hat mit der 7. GWB Novelle den Kreis der Anspruchsberechtigten auf der Marktgegenseite bei Verstößen gegen die Art. 101 Abs. 1 AEUV oder § 1 GWB gerade ausgedehnt.159 Auch dort ergeben sich ähnliche Abgrenzungsprobleme, deren Lösung man sich nicht mit dem Hinweis auf Abgrenzungsschwierigkeiten entziehen kann. Schwierige Abgrenzungsprobleme tauchen im Hinblick auf die Einbeziehung nachfolgender Marktstufen auf, wenn das ausgebeutete Unternehmen als Zwischenhändler oder Wiederverkäufer auftritt.160 Darauf wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.161 cc) Kein Ausschluss der Ansprüche wegen der Vielzahl der Geschädigten Im Zusammenhang mit dieser Abgrenzungsproblematik wird geäußert, dass es in vielen Fällen eine große Zahl von Geschädigten geben könne und in der Folge eine
155
Müller-Laube, S. 56. Müller-Laube, S. 56 ff.; Baur, EuR 1988, S. 257 (266 f.). 157 Zum Verstoß gegen das Kartellverbot, vgl. Köhler, GRUR 2004, S. 99 (100); Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1126 f.). 158 Zum Bsp.: Kommission, 20. 04. 2001, WuW/EU-V 609 (615 ff.) „Duales System Deutschland“, nachfolgend EuG, 15. 11. 2001, WuW/EU-R 516 (517 ff.) „Duales System Deutschland“, sowie EuG, 24. 05. 2007, WuW/EU-R 1273 (1274 ff.) „Duales System Deutschland“; BGH, 09. 11. 1982, WuW/E BGH 1965 (1966 f.) „Gemeinsamer Anzeigenteil“. 159 Siehe S. 44 f. und S. 127 ff. 160 Siehe S. 134 ff. und S. 168 ff. 161 Siehe S. 500 ff. 156
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nicht beherrschbare Klagewelle drohe.162 Dem ist entgegen zu halten, dass die Existenz einer Vielzahl von Geschädigten als solches kein Argument gegen privaten Rechtsschutz ist.163 Im Recht der unerlaubten Handlungen stellt der BGH lediglich darauf ab, dass die Anerkennung einer Haftung im Hinblick auf das Gesamtsystem tragbar erscheinen muss.164 Dabei geht es aber nicht um die Zahl der potentiell Betroffenen. Vielmehr ist zu untersuchen, ob der Anspruch in das deliktische System passt, ob es für ihn ein Bedürfnis und eine hinreichende gesellschaftliche Anerkennung gibt und ob die wirtschaftlichen Folgen im Verhältnis zum erreichbaren Interessenschutz angemessen sind.165 Diese Fragen müssen in Bezug auf die jeweilige Fallkonstellation konkretisiert werden. Der Schutz vor Ausbeutung entspricht einem berechtigten wirtschaftlichen Interesse. Dass bei Kartellrechtsverstößen eine sehr große Zahl von Marktteilnehmern nachteilig betroffen sein kann, kommt häufig vor und ist keine Besonderheit des Ausbeutungsmissbrauchs. Man denke nur an Vertragshändler, die durch, in standardisierten Verträgen im Rahmen eines Vertriebssystems enthaltenen missbräuchlichen Bezugs-, Verwendungs- oder Vertriebsbindungen behindert werden.166 Auch bei Verdrängungsstrategien gegenüber Wettbewerbern kann die Zahl möglicher Kläger schnell recht hoch werden.167 Das gilt ebenso bei horizontalen Kartellvereinbarungen, die nach Art. 101 Abs. 1 lit. a) und c) AEUVund § 1 GWB verboten sind.168 Die 7. GWB Novelle wollte deren Möglichkeiten für die Inanspruchnahme privaten Rechtsschutzes verbessern.169 Auf europäischer Ebene setzen sich die EU-Kommission und das EU-Parlament für eine Verbesserung des privaten Rechtsschutzes ein.170 Es wäre also widersprüchlich in den genannten Fällen privaten Rechtsschutz gewähren zu wollen, ihn beim Ausbeutungsmissbrauch aber mit dem Argument einer zu hohen Zahl möglicher Kläger 162 Baur, EuR 1988, S. 257 (266); zu diesem Argument bei Verstoß gegen das Kartellverbot vgl. LG Mannheim, 11. 07. 2003, GRUR 2004, S. 182 (183) „Vitaminkartell“. 163 Dass eine große Zahl von Unternehmen betroffen ist und dass Rechtsschutz (angeblich) nicht effizient durchgesetzt werden kann, steht der Gewährung von Schadenersatzansprüchen nicht entgegen, BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3435 f.) „ORWI“; Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1127). 164 Siehe S. 127 f. 165 Siehe S. 127 f. 166 Anspruchsberechtigung für gebundene Vertragspartner bejaht in EuGH, 20. 09. 2001, WuW/EU-R 479 (480) „Courage Ltd/Crehan“; vgl. auch Kommission, Weißbuch, S. 3 f. und Commission Staff Working Paper, S. 55 f.; siehe auch S. 325 ff. 167 Zu Kampfpreisen siehe S. 203; zum Rabattmissbrauch siehe S. 253 ff.; zu missbräuchlichen Kopplungen, siehe S. 291 f. und S. 313 ff. 168 Anspruchsberechtigung für jedermann bejaht, der kausal durch ein Kartell einen Schaden erlitten hat: EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“; BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3435 f.) „ORWI“; vgl. auch Köhler, GRUR 2004, S. 99 (100 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (959 f.); siehe auch S. 127 ff. 169 Siehe S. 44 f. 170 Richtlinie 2014/104/EU, S. 2 f. Rn. 3 bis 6; Kommission, Richtlinienvorschlag, S. 2 ff., Ziffern 1.1. und 1.2. und Leitfaden, S. 13 ff. Rn. 1 – 10; EP, directive, S. 4 f. Rn. 3 ff.; siehe S. 47 ff.
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abzulehnen. Auch bei Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB kann privater Rechtsschutz den Verboten zur besseren Durchsetzung verhelfen.171 Nach alldem kann daran, dass der Individualrechtsschutz über § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB tragbar ist, kein Zweifel bestehen. dd) Rechtsschutz trotz schwieriger Schadensberechnung Schließlich ist der Einwand, es bestünden Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung, zu betrachten.172 Auch dabei handelt es sich aber nicht um eine Besonderheit im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsmissbrauch. Vielmehr geht es um ein, sogar über kartellrechtliche Fragen hinausgehendes Problem des allgemeinen Deliktsrechts. Nach ständiger Rechtsprechung kann mit dem Argument, dass der Schadensumfang schwer zu berechnen sei, ein Ausschluss deliktischer Ansprüche nicht gerechtfertigt werden.173 Das ist vor dem Hintergrund der Existenz der §§ 252 S. 2 BGB und 287 ZPO, auf deren Basis eine Lösung im Einzelfall zu suchen ist, auch einzig überzeugend.174 Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass gerade im Kartellrecht die Schadensberechnung schwierig sein kann. Das gilt aber nicht nur im Hinblick auf den Ausbeutungsmissbrauch, sondern auch beim Behinderungsmissbrauch oder Verstößen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB. Insoweit müssten also private Schadensersatzansprüche im Kartellrecht generell ausgeschlossen werden, was das geltende Recht aber nicht tut.175 Soweit darauf verwiesen wird, dass besondere Probleme bei Verstoß gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUVund § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB aus den Unsicherheiten bei der Ermittlung der Missbrauchs171 Zur Bedeutung des Grundsatz der effizienten Verbotsdurchsetzung im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433, 3436 f.) „ORWI“; siehe auch S. 38 f. 172 Baur, EuR 1988, S. 257 (266 f.). 173 Dass Rechtsschutz (angeblich) nicht effizient durchgesetzt werden kann, weil der konkrete Schadensnachweis schwierig oder der individuelle Schaden verhältnismäßig gering ist, steht der Gewährung von Schadenersatzansprüchen nicht entgegen: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3435 f.) „ORWI“. Dazu, dass der individuelle Schaden auch sehr groß sein kann: OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; vgl. auch Emmerich, AG 2001, S. 520 (525); siehe auch S. 127 ff. 174 Es ist Aufgabe der Rechtsprechung, für die Praxis taugliche Verfahren zur Schadensermittlung zu entwickeln, vgl. Kommission, Leitfaden, S. 13 f. Rn. 5 ff. Mit ihrem Leitfaden möchte die Kommission eine praktische Hilfestellung zur Lösung der Probleme bei der Schadensermittlung geben, S. 15, Rn. 6. Eine Schadensschätzung wird ausdrücklich zugelassen, vgl. auch Richtlinie 2014/104/EU, S. 8 f. Rn. 45 f. und Art. 17 Abs. 1 des Richtlinientextes; vgl. auch Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489); Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (197 f., 182 f.); Vollrath, NZKart 2013, S. 434 (440 f.); siehe auch S. 162 ff. 175 Zu einem Schadenersatzanspruch nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB nach Verstoß gegen das Kartellverbot: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3435 f.) „ORWI“; siehe auch S. 69 ff.
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grenze resultieren,176 ist das kein Argument gegen die privatrechtliche Rechtsfolgenbestimmung. Es richtet sich gegen den Missbrauchstatbestand als solchen. Man müsste sich dann konsequent gegen eine Missbrauchsaufsicht bei Ausbeutung aussprechen. Aufgrund der eindeutigen Gesetzesfassung wären das allenfalls rechtspolitische Erwägungen. Sie können aber ohnehin nicht überzeugen.177 Ebenso wenig durchgreifend ist der Hinweis, dass sich die besonderen Schwierigkeiten im Verhältnis zum Behinderungsmissbrauch daraus ergeben, dass Abnehmer im Einzelfall den überhöhten Preis oder besondere Kosten an die nachfolgende Marktstufe ganz oder teilweise weitergeben. Sie hätten dann insoweit keinen Schadensersatzanspruch.178 Bei dieser Frage geht es nur darum wie der Umfang des Schadens zu berechnen ist. Dazu ist ganz allgemein eine Berechnung nach der Differenzhypothese vorzunehmen.179 Die Weitergabe des überhöhten Preises führt, wie zu zeigen sein wird, nicht zu einer normativen Schadenskorrektur mit der Folge einer Verringerung des Schadens.180 Der Gesetzgeber hat diese Rechtslage durch die Neufassung des § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ausdrücklich bestätigt. ee) Ergebnis Im Ergebnis wird privater Individualrechtsschutz gegen Ausbeutung nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 2, 33 Abs. 1, 3 GWB gewährleistet. Nur diese Annahme wird dem Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB gerecht und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, deliktische Ansprüche im Interesse effizienten Rechtsschutzes zu ermöglichen.181 In den Kreis der Betroffenen i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB sind alle Unternehmen auf der Marktgegenseite einbezogen, die sich in ihrem Bestreben nach Vertragsschluss mit dem marktbeherrschenden Unternehmen der Forderung missbräuchlicher Preise oder Geschäftsbedingungen ausgesetzt sehen. b) Unternehmen auf nachgelagerten Märkten Ausgehend von diesem Ergebnis ist die Frage zu beantworten, ob auch Unternehmen auf nachgelagerten Märkten als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1, 3 GWB anspruchsberechtigt sind, wenn sie nachweisen, dass ihre vom Marktbeherrscher ausgebeuteten Vertragspartner den überhöhten Preis ganz oder teilweise auf sie abzuwälzen drohen oder bereits abgewälzt haben. Durchläuft ein Produkt auf seinem Weg zum Endverbraucher mehrere Marktstufen, könnte der Kreis der Anspruchs176
Müller-Laube, Rechtsschutz, S. 57 f.; Baur, EuR 1988, S. 257 (261 ff.). Siehe auch S. 466 ff. 178 Baur, EuR 1988, S. 257 (267). 179 Siehe S. 159 ff. 180 Siehe S. 515 ff. 181 BegrRegE zur 7. GWB Novelle, BT-Drucks. 15/3640, S. 53; siehe auch S. 44 f., S. 47 ff. und S. 157 ff. 177
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berechtigten unüberschaubar groß werden.182 Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob ein mit dem ausgebeuteten Unternehmen kontrahierender Abnehmer i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB betroffen ist. Dagegen spricht, dass er dem marktbeherrschenden Unternehmen weder auf dem beherrschten, noch auf einem Drittmarkt unmittelbar gegenübertritt. Die Neufassung des § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB im Zuge der 7. GWB Novelle sollte eine Abgrenzung nach unmittelbarer oder mittelbarer Betroffenheit indes gerade überwinden.183 Die Gesetzesänderung hatte ihren Anlass allerdings in der BGH Rechtsprechung zur Abgrenzung von Klagebefugten, die sich einem Kartell gegenübersahen.184 Diejenigen Unternehmen, die der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang im Blick hatte, sind solche, die den Kartellangehörigen als aktuelle oder potentielle Vertragspartner gegenübertreten, von der Rechtsprechung aber deshalb nicht als unmittelbar Betroffene bezeichnet wurden, weil das Kartell sich nicht gezielt gegen sie richtete. Zur Frage der Einbeziehung von Unternehmen nachgelagerter Marktstufen äußert sich die Gesetzesbegründung nicht.185 Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB dehnt den Kreis der Anspruchsberechtigten auf solche Marktbeteiligten aus, die im Sinne der in § 33 Abs. 1 S. 1 GWB genannten Verbotsvorschriften beeinträchtigt werden. Das ist bei denjenigen Unternehmen der Fall, die nachweisen können, dass ein ausgebeuteter Wiederverkäufer einen überhöhten Preis oder überhöhte Kosten an sie weitergegeben hat. Da also der Wortlaut des § 33 I Sätze 1 und 3 GWB keine Einschränkungen enthält, ist zu prüfen, ob sich Begrenzungen aufgrund des Normzwecks des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB ergeben. Im Fall vertikaler Bindungen, insbesondere Vertriebsbindungen, wurde eine Einbeziehung dritter, auf einem nachgelagerten Markt tätiger Unternehmen damit begründet, dass sich die Maßnahme direkt gegen das dritte Unternehmen richtet und der Marktbeherrscher dadurch versucht, den nachgelagerten Markt zu ordnen.186 Hierzu gehören auch Fälle, in denen der Marktbeherrscher und der Wiederverkäufer durch abgestimmtes Verhalten i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV bzw. § 1 GWB zusammenwirken.187 Diese Ansatzpunkte tragen im Rahmen des Ausbeutungsmissbrauchs eine Einbeziehung von Unternehmen auf nachgelagerten Märkten nicht. Der Ausbeutende versucht, sich auf Kosten der Marktgegenseite rechtswidrig zu bereichern, nicht aber nachgelagerte Märkte nach seinen Interessen zu ordnen. Abgestimmtes Verhalten findet nicht statt. Eine Beeinflussung des Verhaltens des Vertragspartners gegenüber Dritten ist allenfalls eine mittelbare, nicht bewusst angestrebte Folge der Ausbeutung. Für den 182 Die gleiche Problematik stellt sich bei Preisüberhöhungen infolge von Preiskartellen, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. 183 Regierungsbegründung Entwurf 7. GWB Novelle, S. 53; siehe auch S. 127 ff. 184 Diese Rechtsprechung ist zwischenzeitlich überholt durch BGH, 28. 06. 2011, WuW/ DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; siehe auch S. 128 ff. 185 Vgl. Regierungsbegründung Entwurf 7. GWB Novelle, S. 53 f.; Schütt, WuW 2004, S. 1124 (1128). 186 Siehe S. 359 ff. 187 Siehe S. 361 ff.
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Marktbeherrscher ist es unerheblich, ob sein Vertragspartner überhöhte Preise an Dritte weitergibt oder nicht. Allerdings könnte die Überlegung, dass das ausgebeutete Unternehmen dann, wenn es überhöhte Preise und Kosten an dritte Unternehmen weitergeben kann, selbst kein Interesse daran hat, gegen die Ausbeutung vorzugehen, Anlass für eine Einbeziehung Dritter in den Kreis der Betroffenen geben. Dadurch würde die Wahrscheinlichkeit steigen, auch in diesen Fällen für eine privatrechtliche Sanktionierung von Verbotsverstößen zu sorgen. Dementsprechend würde die Chance des marktbeherrschenden Unternehmens verringert, dauerhaft missbräuchliche Gewinne erzielen zu können. Andererseits bietet die Regelung des § 33 Abs. 3 S. 2 GWB einem von Ausbeutung betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, auch dann vollen Schadensersatz verlangen zu können, wenn es überhöhte Preise oder Kosten ganz oder teilweise weitergegeben hat.188 Bereits dadurch wird also für das unmittelbar von Ausbeutung betroffene Unternehmen ein Anreiz gesetzt, selbst Rechtsschutz zu suchen. Des Weiteren darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Feststellung eines Preishöhenmissbrauchs und die Feststellung einer Missbrauchsgrenze außerordentlich schwierig sind.189 Die Anforderungen der Rechtsprechung sind derart streng, dass Prozesse von vornherein, d. h. auch für unmittelbar betroffene Unternehmen mit einem hohen Risiko behaftet sind.190 Diese Probleme würden für Angehörige nachfolgender Marktstufen verschärft auftreten. Zunächst dürfte es für sie schwieriger sein, an die notwendigen Informationen über den beherrschten Markt zu gelangen, da sie dort nicht tätig sind. Des Weiteren wäre für sie, im Gegensatz zu Angehörigen der unmittelbaren Marktgegenseite, der Nachweis missbräuchlicher Preisüberhöhung zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um erfolgreich auf Beseitigung, Unterlassung oder Schadensersatz klagen zu können.191 Sie müssten, um die Tatbestandsvoraussetzungen darzulegen, nachweisen, dass der überhöhte Preis – zumindest teilweise – weitergegeben wurde. Und um Schadensersatz verlangen zu können, müssten sie den Umfang der Weitergabe nachweisen. Dazu wäre es notwendig zu untersuchen, wie sich die Preisentwicklung auf dem nachgelagerten Markt vollzogen hätte, falls auf dem beherrschten Markt der Preis nicht durch Ausbeutung überhöht worden wäre. Man kann also sehen, dass einer Ausweitung des Prozessaufwandes eine Verringerung der Erfolgschancen einer Klage gegenübersteht.192 Dennoch ist der Zweck, sowohl des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV als auch des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB, darauf gerichtet, individuelle Vermögensschädigungen zu vermeiden.193 Wenn man annimmt, dass der überhöhte Preis oder die überhöhten Kosten ganz oder teilweise auf den Dritten 188
Siehe im Einzelnen S. 515 ff. und auch S. 168 ff. Siehe S. 466 ff. 190 Siehe S. 466 ff. 191 Die Weitergabe überhöhter Preise ist hier nicht erst bei der Schadensberechnung, sondern bereits auf Tatbestandsseite für den Nachweis maßgeblich, dass der Anspruchsteller überhaupt von Ausbeutung betroffen ist. 192 Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (90 f.). 193 Siehe S. 470 f. 189
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abgewälzt werden, ist dieser genauso oder sogar noch mehr geschädigt als derjenige, der dem Marktbeherrscher unmittelbar gegenübertritt. Es erscheint naheliegend, einem derart Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich mit Hilfe deliktischer Ansprüche zu wehren.194 Der Veranlasser der Schädigung ist das marktbeherrschende Unternehmen. Das Dazwischentreten des Wiederverkäufers sorgt lediglich dafür, dass eine Streuung des Vermögensschadens je nachdem erfolgt, inwieweit es dem Wiederverkäufer gelingt, den überhöhten Preis weiterzugeben. Das Gesetz knüpft an dieses Verhalten des Zwischenhändlers keinen Vorwurf, solange der Wiederverkäufer nicht selbst marktbeherrschend ist und seinen vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum missbräuchlich ausnutzt. Erscheint es aber dergestalt zufällig, an wem der Schaden hängen bleibt, scheint es auf den ersten Blick wenig einsichtig dem direkten Abnehmer des marktbeherrschenden Unternehmens eine Klagebefugnis deshalb zuzugestehen, weil er unmittelbar betroffen ist und sie anderen zu versagen, weil sie nicht direkt auf dem beherrschten Markt tätig sind.195 Allerdings ist der Schutz vor Vermögensschäden in den Kontext der Gewährung wettbewerbsgerechter Marktergebnisse zu stellen.196 Der Vorwurf missbräuchlicher Preisüberhöhung resultiert ja nicht aus der Überschreitung bestimmter objektiver Preisgrenzen, sondern lediglich daraus, dass ein im Wettbewerb gebildeter Preis niedriger wäre. Das Gesetz will nicht ein bestimmtes Preisniveau garantieren, sondern lediglich die missbräuchliche Ausnutzung vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierter Verhaltensspielräume verhindern.197 Wenn aber der ausgebeutete Wiederverkäufer selbst nicht marktbeherrschend ist, kann der von ihm verlangte Preis keinesfalls missbräuchlich sein. Wie dieser Preis sich im Einzelnen zusammensetzt und ob er insbesondere durch Zahlung hoher Entgelte an den Lieferanten beeinflusst wird, ist nicht Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Kontrolle. Entscheidend ist, dass dieser Abnehmer im Wettbewerb steht und deshalb gar nicht missbräuchlich handeln kann. Der von ihm gebildete Preis ist also ein Wettbe-
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Zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot und anschließender Schadenersatzklage auf Basis des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, vgl.: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“; EuGH, 13. 07. 2006, WuW/EU-R 1107 (1115 f.) „Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni“. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/ 104/EU sieht nunmehr ausdrücklich vor, dass mittelbaren Abnehmern ein Anspruch auf Schadenersatz zustehen soll; siehe auch S. 128 ff. und S. 168 ff. 195 Die EU Kommission bejaht die Einbeziehung mittelbar Betroffener in Fällen des Ausbeutungsmissbrauchs, vgl. Kommission, Leitfaden, S. 13 Rn. 1, S. 52 Rn. 127 f., S. 61 ff. Rn. 161 ff., S. 65 Rn. 172. Ohnehin kann eine Abgrenzung nach mittelbarer und unmittelbarer Betroffenheit nicht überzeugen; siehe S. 127 ff. Zu einem Verstoß gegen das Kartellverbot und anschließender Schadenersatzklage auf Basis des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“, vgl. hierzu Lübbig/Mallmann, WRP 2012, S. 166 (169 f.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 ff.). 196 Siehe S. 466 ff. 197 Siehe S. 466 ff., sowie S. 50 ff. und S. 61 ff.
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werbspreis.198 Zwar sprechen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB allgemein davon, dass das Erzwingen bzw. die Forderung nicht wettbewerbsgerechter Preise missbräuchlich sind. Sie sagen also nicht, dass nur derjenige zu schützen ist, gegen den sich der Zwang oder die Forderung richtet. Daher schließt der Wortlaut eine Einbeziehung nachfolgender Marktstufen nicht aus. Jedoch tritt durch das eigenverantwortliche Handeln des ausgebeuteten Unternehmens eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges mit der Folge ein, dass dessen Forderung gegenüber seinen Abnehmern nicht mehr als Forderung des Marktbeherrschers angesehen werden kann. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Weitergabe überhöhter Preise durch ausgebeutete Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen regelmäßig jedenfalls sehr schwierig ist.199 Verfügt das Unternehmen aber über den Spielraum den Preis weiterzugeben, ist die Entscheidung, inwieweit es davon Gebrauch macht entweder eine, die es im Wettbewerb trifft. In diesem Fall gebietet der Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB kein Einschreiten. Oder aber das Unternehmen ist selbst marktbeherrschend. Nutzt dieses Unternehmen seinen vom Wettbewerb nicht kontrollierten Verhaltensspielraum aus, um den missbräuchlichen Preis an seine Abnehmer weiterzugeben und kann festgestellt werden, dass eine derartige Weitergabe bei Vorherrschen freien Wettbewerbs nicht möglich wäre, stellt dieses Verhalten selbst einen Missbrauch von Marktmacht dar. In diesem Fall könnte der Abnehmer direkt gegen dieses Unternehmen gemäß Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 33 Abs. 1, 3 GWB vorgehen. Für eine Klagebefugnis gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen auf vorgelagerten Märkten besteht dann auch kein Anlass mehr. Schlussendlich ist noch ein Problem im Zusammenhang mit der Schadensberechnung zu bedenken. Nach § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ist ein ausgebeutetes Unternehmen nicht allein deshalb gehindert, Schadenersatz zu verlangen, weil es den überhöhten Preis oder überhöhte Kosten an seine Abnehmer weitergegeben hat. Gemäß Artikel 13 der Richtlinie 2014/104/EU haben die Mitgliedstaaten zwar zu gewährleisten, dass nach ihrem jeweiligen nationalen Recht der Einwand der Abwälzung eines Preisaufschlages erhoben werden kann.200 Gleichwohl sollte die Möglichkeit erhalten werden, Ausnahmen für Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens anzuerkennen, bei denen die Zulassung des Einwandes der Schadensweiterwälzung zu Ergebnissen führen würde, die mit Inhalt und Zweck des verbotenen Verhaltens nicht in Einklang zu bringen sind. Inwieweit der Einwand des Marktbeherrschers anzuerkennen ist, sein Abnehmer habe die Preis- oder Kostenüberhöhung an Marktteilnehmer auf der nachfolgenden Marktstufe weitergegeben und dadurch seinen Schaden reduziert, kann deshalb nicht 198 Allgemein Görner, S. 215 ff.; vgl. zu § 1 GWB (Art. 101 Abs. 1 AEUV) und der Frage, inwieweit Auswahlfreiheit und Preisgestaltung zugunsten mittelbarer Abnehmer zum Schutzziel gehören können: Loewenheim, in: FS Riesenkampff, S. 87 (90 f.); Dittrich, GRUR 2009, S. 123 (127 f.); Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101 f.); a. A. Kießling, GRUR 2009, S. 733 (735 f.); Bulst, in: Möschel/Bien, S. 225 (247 f.); Franck, WRP 2011, S. 843 (843). 199 Siehe S. 466 ff.; vgl. auch Görner, S. 213 ff. 200 Vgl. auch Richtlinie 2014/104/EU, Erwägungen Rn. 39 bis 41.
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allgemein, sondern nur unter Beachtung der Besonderheiten der jeweiligen Fallgruppe missbräuchlichen Verhaltens beantwortet werden.201 Im Fall des Ausbeutungsmissbrauchs ist der Einwand der Schadensweiterwälzung ausnahmsweise nicht zuzulassen.202 Deshalb steht dem Abnehmer erster Stufe der volle Schadenersatz zu. Könnte nun auch noch der Abnehmer zweiter Stufe Schadensersatz beanspruchen, würde der Marktbeherrscher doppelt in Anspruch genommen. Das liefe auf einen im deutschen Recht nicht anerkannten Strafschadenersatz hinaus.203 Die Nichteinbeziehung von Angehörigen nachgelagerter Marktstufen ist mit dem Ziel des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB, Ausbeutung zu verhindern, vereinbar.204 Denn soweit es im öffentlichen Interesse erforderlich ist, können auch die Kartellbehörden eingreifen. Insbesondere dann, wenn eine Vielzahl unmittelbarer Abnehmer durch im Einzelfall geringfügige Preisüberhöhungen betroffen sind, sie diese teilweise weitergeben können und teilweise einfach hinnehmen, weil sie den Aufwand eines Rechtsstreits angesichts eines geringen individuellen Schadens als nicht lohnend beurteilen, andererseits aber der Gesamtschaden erheblich ist, vermag ein Tätigwerden der Kartellbehörden das Ausbeutungsverbot durchzusetzen.205 c) Ergebnis Als i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB Betroffene eines Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB können alle Unternehmen, die einem Marktbeherrscher als Abnehmer oder Lieferanten unmittelbar auf der Marktgegenseite gegenübertreten, Beseitigung, Unterlassung und unter der Voraussetzung des § 33 Abs. 3 GWB Schadensersatz verlangen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten bleibt auf diese aktuellen oder potentiellen Vertragspartner beschränkt. Eine Einbeziehung von Unternehmen, die auf nachgelagerten Markt201
Zur Schadensabwälzung siehe S. 168 ff. Zum Ausschluss des Einwandes der Schadensabwälzung beim Ausbeutungsmissbrauch, siehe S. 515 ff.; vgl. auch (indes ohne nähere Begründung) OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“. Bei einem Verstoß gegen das Kartellverbot und anschließender Schadenersatzklage auf Basis des Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB lässt der BGH den Einwand der Schadensabwälzung zu, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3433 ff.) „ORWI“. Allerdings ist die Situation bei einem Verstoß gegen das Verbot horizontaler Kartellierung anders als beim Ausbeutungsmissbrauch. Infolge des Kartells ist die Preisfindung durch Wettbewerb gestört und diese Störung wirkt sich im Fall der Schadensweiterwälzung auch auf die nachfolgende Marktstufe aus. Im Fall des Ausbeutungsmissbrauchs ist der vom direkten Abnehmer gegenüber dem indirekten Abnehmer geforderte Preis ein im Wettbewerb gebildeter und deshalb nicht missbräuchlicher Preis. 203 Dazu, dass der Anspruch auf Strafschadenersatz nach US- amerikanischem Recht gegen den deutschen ordre public verstößt: OLG Koblenz, 27. 06. 2005, WuW/DE-R 1557 (1559 ff.) „Boehringer Ingelheim“; OLG Naumburg, 09. 02. 2006, WuW/DE-R 1774 (1775 ff.) „Electrical Carbon“. Artikel 3 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104/EU schließt nunmehr einen Strafschadenersatz ausdrücklich aus. 204 Im Ergebnis ebenso Meessen, S. 324 f.; 471 ff. 205 Zum Verhältnis des Privatrechtsschutzes zur behördlichen Aufsicht, siehe S. 71 ff. 202
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stufen tätig sind, ist vom Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht gedeckt. 2. Sachlicher Schutzbereich Gemäß Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV ist das Erzwingen unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen, gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB ist das Fordern nicht wettbewerbskonformer Preise oder Geschäftsbedingungen durch marktbeherrschende Unternehmen verboten. 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches a) Vorüberlegung Bei der Frage wie übervorteilte Unternehmen ihre rechtlichen Interessen gerichtlich durchsetzen können, ist in zweierlei Hinsicht zu differenzieren. Zunächst ist wiederum die Unterscheidung zwischen Preis- oder Konditionenmissbrauch zu beachten. Sodann ist danach zu trennen, ob bereits ein wirksamer Vertrag geschlossen wurde oder nicht. Daraus ergeben sich vier Fallgruppen. b) Preismissbrauch und vertragliche Vereinbarung Ist bereits ein Vertrag zu einem nicht wettbewerbskonformen Entgelt geschlossen, so führt bereits die nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB vorzunehmende geltungserhaltende Reduktion oder Extension zu wirksamem Rechtsschutz für das ausgebeutete Unternehmen. Denn es besteht ein Anspruch auf Leistung Zug um Zug gegen Zahlung des durch das Als Ob Wettbewerbskonzept ermittelten zulässigen Preises bzw. bei Nachfragemachtmissbrauch ein Anspruch auf Zahlung des angemessenen Entgelts. Im ersten Fall kann der Vertragspartner des Marktbeherrschers die Leistung gemäß den vertraglichen Bedingungen verlangen und ist lediglich zur Zahlung des angemessenen Entgelts verpflichtet. Fordert der Marktbeherrscher dennoch den überhöhten Preis, so muss der andere Teil diesem Verlangen nicht nachgeben. Verweigert das marktbeherrschende Unternehmen die geschuldete Leistung, dann kann das ausgebeutete Unternehmen auf Leistung Zug um Zug gegen Zahlung des angemessenen Preises klagen.206 Insoweit besteht auch die Möglichkeit der Durchsetzung einer einstweiligen Leistungsverfügung.207 Im zweiten Fall kann das ausgebeutete Unternehmen die Differenz zwischen dem angepassten, vertraglich geschuldeten Entgelt und dem vom Marktbeherrscher tatsächlich gezahlten Entgelt einklagen. In beiden Fällen besteht deshalb kein Anlass zu einer Beseitigungs- oder Unterlassungsklage. 206 207
Zur klageweisen Durchsetzung siehe S. 476 f. Siehe S. 476 f.
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c) Preismissbrauch vor Vertragsschluss Die Situation stellt sich anders dar, wenn der Marktbeherrscher im Vorfeld eines Vertragsschlusses einen überhöhten Preis durchzusetzen versucht. Verboten ist bereits das Fordern eines unangemessen hohen oder das Verlangen der Abgabe von Leistungen zu unangemessen niedrigen Preisen.208 In diesem Fall vermag der Vertragsinteressent einen Anspruch auf Beseitigung bzw. zukunftsgerichtet auf Unterlassung dieses missbräuchlichen Verhaltens zu erheben. Für den Kläger bedeutet ein entsprechendes Urteil unter Umständen jedoch nur einen Teilsieg. Zwar kann der Marktbeherrscher von nun an gegebenenfalls im Wege der Zwangsvollstreckung gezwungen werden, keine unangemessenen Forderungen zu stellen. Allerdings kann er mit diesem Titel nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden. Der Marktbeherrscher darf sich also weigern, den Vertrag zu angemessenen Bedingungen zu schließen, es sei denn das von Ausbeutung betroffene Unternehmen hat zugleich einen Anspruch auf Vertragsschluss. Ein solcher kann sich aber nicht aus Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB, sondern nur aus einem Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ergeben.209 Die anzustellende Interessenabwägung wird aufgrund der marktbeherrschenden Stellung des Normadressaten im Regelfall, d. h. wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles vorliegen, zugunsten des wirtschaftlich schwächeren Vertragspartners zu einem Anspruch auf Leistung führen.210 In einem solchen Fall sollte der potentielle Abnehmer oder Lieferant die Ansprüche auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Geschäftsverweigerung und der Ausbeutung in einer Klage geltend machen. Ein Kontrahierungszwang schließt zwar bereits ein, dass der Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen geschehen muss. Hat der Marktbeherrscher aber bereits missbräuchliche Forderungen erhoben, dann lässt das die Gefahr erkennen, dass er im Rahmen weiterer Verhandlungen durch ähnliche Forderungen den Vertragsschluss verzögern könnte. Insoweit ist also neben dem Antrag auf Unterlassung der Geschäftsverweigerung ein zusätzlicher Klageantrag auf Unterlassung der Ausbeutung sinnvoll. Zur praktischen Durchsetzung empfiehlt es sich für den klagenden Vertragsinteressenten, ein konkret annahmefähiges Vertragsangebot zu formulieren. Da die Bezifferung der Gegenleistung, also des Preises, dem Marktbeherrscher obliegt, kann der Kläger in seinem Vertragsangebot ein Leistungsbestimmungsrecht für den Marktbeherrscher nach § 315 BGB aufnehmen.211 Ist der Anspruch begründet, verurteilt das Gericht zur Annahme und vollstreckt durch Ersetzung der
208
Siehe S. 472. Siehe S. 478. 210 Zum Kontrahierungszwang siehe S. 406 ff. 211 Siehe dazu im Einzelnen S. 554 ff. Bei nicht gerechtfertigter Geschäftsverweigerung besteht gegebenenfalls ein unmittelbarer Anspruch auf einen bestimmten Vertrag, siehe S. 411 f. 209
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Willenserklärung nach § 894 ZPO.212 Mit einem zusätzlichen Antrag auf Unterlassung der Ausbeutung vermag er ein Urteil zu erlangen, mit dem er den Marktbeherrscher zwingen kann, das Leistungsbestimmungsrecht entsprechend der Billigkeit, also insbesondere innerhalb der Grenzen des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUVoder des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB auszuüben. Besteht das besondere Interesse an der fortgesetzten Belieferung, welche durch Einzelverträge geregelt werden soll, dann gibt es auch hier die Möglichkeit der Feststellungsklage. Das Gericht stellt im Urteil fest, dass ein gesetzliches Schuldverhältnis gemäß Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. a) und b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2 i. V. m. 33 Abs. 1 GWB vorliegt, in dessen Rahmen der Marktbeherrscher verpflichtet ist, den anderen Teil zu beliefern, ohne den Als Ob Wettbewerbspreis zu über- bzw. bei Nachfragemachtmissbrauch zu unterschreiten.213 Es kommt in Betracht, dass der Vertragsinteressent sich zunächst auf die überhöhte Forderung einlässt und sich nach erfolgreichem Vertragsschluss auf eine Vertragsanpassung nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB beruft.214 Dann kann er zunächst die Unterlassungsklage umgehen und hat unmittelbar einen Belieferungsanspruch. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen Treu und Glauben und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, weil sich der Marktbeherrscher selbst rechtswidrig verhält. d) Bestimmtheit des Klageantrags Das Hauptproblem für eine effektive Inanspruchnahme von Rechtsschutz durch ausgebeutete Marktteilnehmer ist die Ermittlung des Als Ob Wettbewerbspreises und der damit verbundene Nachweis eines Marktmachtmissbrauchs. Die Gefahr ist groß, dass der Anspruchsteller entweder nicht in der Lage ist, einen hinreichend ähnlichen Vergleichsmarkt zu ermitteln oder den dort üblichen Vergleichsmarktpreis215 und den durch Zu- oder Abschläge zu berechnenden Als Ob Wettbewerbspreis richtig zu beziffern.216 Noch größer werden die Schwierigkeiten, wenn ein Vergleichsmarkt nicht existiert und deshalb auf Konzepte wie den Monopolpreisvergleich oder auf die Heranziehung von Märkten mit ähnlichen Produkten ausgewichen werden muss. Im Fall des Gewinnspannenbegrenzungskonzeptes fehlen die Informationen über die unternehmensinternen Kostenstrukturen des Marktbeherrschers. Bereits die von den 212
Zur Geschäftsverweigerung siehe S. 413 ff. Siehe auch zur Geschäftsverweigerung S. 417 ff. 214 Siehe S. 480 f. 215 Insbesondere dürfte es den Betroffenen im Regelfall an den Informationen über Vergleichsmärkte fehlen, die für eine hinreichend genaue Bestimmung dieses Preises nötig sind, da sie dort selbst nicht tätig sind. 216 Zum Problem einer hinreichend bestimmten Berechnung, vgl.: BGH, 26. 09. 1995, WuW/E BGH 3009 (3012) „Stadtgaspreis Potsdam“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/ DE-R 1439 (1440 ff.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1516 ff.) „Stadtwerke Mainz“; OLG Koblenz, 17. 08. 2006, WuW/DE-R 1905 (1906 f.) „Gemeindewerke in Rheinland Pfalz“; BKartA, 13. 02. 2003, WuW/DE-V 750 (752 ff.) „RWE net“; Kuhn, WuW 2006, S. 578 (580 ff.). 213
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Kartellbehörden angestrengten Verfahren zeigen, dass es aufgrund der äußerst schwierigen Vergleichbarkeit unterschiedlicher Märkte sehr problematisch ist, einen Missbrauch nachzuweisen.217 Der Kläger muss nach § 253 Abs. 2 ZPO die Missbrauchsgrenze, deren Unter- oder Überschreitung er verhindern will, konkret bezeichnen. Ihm bietet sich nicht der Ausweg, zu versuchen, durch einen zunächst unbestimmten Klageantrag im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung eine näherungsweise Konkretisierung zu erreichen und verbleibende Unsicherheiten im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO zu überwinden. Denn im Verhältnis zum Schadensnachweis in den Ausnahmefällen des § 287 ZPO ist der Vergleichsmarktpreis nicht nur konkret berechenbar. Er muss auch berechnet werden, um überhaupt den Missbrauchstatbestand feststellen zu können.218 Der Unterlassungskläger ist im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen des Missbrauchs darlegungs- und beweispflichtig.219 Daran ändert sich auch nichts durch einen vorausgegangenen Vertragsschluss. Auch im Rahmen dessen müsste er Voraussetzungen und Umfang einer Vertragsanpassung als vom vereinbarten Vertrag abweichende, ihm günstige Tatsachen darlegen und beweisen. Es besteht dabei ein hohes Risiko, dass die Gerichte die Bewertung des Klägers nicht teilen. Das Prozessrisiko lässt sich im Einzelfall nur dadurch minimieren, dass die Betroffenen die Hilfe von Kartellbehörden in Anspruch nehmen. Es kommt zum einen eine Beteiligung der Kartellbehörden nach § 90 Abs. 2 GWB oder § 90 a) Abs. 2 GWB in Betracht. Die Hilfe der Kartellbehörde kann hier konkret dahin gehen, Aussagen zu Vergleichsmärkten und zur Berechnung der Missbrauchsgrenze zu treffen. Zum anderen kann das betroffene Unternehmen einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 GWB stellen. Es ist dann nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 GWB, im Beschwerdeverfahren gegebenenfalls nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 GWB beteiligt. Führen die Behörden ein Verfahren durch und endet es mit einer rechtskräftigen Untersagungsverfügung haben die Betroffenen nicht nur eine Beendigung des missbräuchlichen Verhaltens erreicht, sondern können diese Verfügung nach § 33 Abs. 4 GWB als Grundlage zur Geltendmachung von Schadensersatzforderungen nutzen.220 Für die Betroffenen besteht allerdings die Gefahr, dass die Behörden ein Einschreiten
217
Kuhn,WuW 2006, S. 578 (580 ff.) m. w. N.; siehe auch S. 466 ff. Zur Bestimmtheit nach § 37 VwVfG für behördliche Untersagungsverfügungen: BGH, 26. 09. 1995, WuW/E BGH 3009 (3012) „Stadtgaspreis Potsdam“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1440 f.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515) „Stadtwerke Mainz“; BKartA, 13. 02. 2003, WuW/DE-V 750 (752 ff., 757) „RWE net“; LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1487, 1494) „Wasserversorgung Wetzlar“ zu § 131 Abs. 6 GWB, 103 GWB a. F. (1990). 219 Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass der Kläger vorbehaltlich besonderer Beweislastregeln die Voraussetzungen seines Anspruchs darlegen und beweisen muss, vgl. Kühne, RdE 2005, S. 241 (249); Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1213 f.); zu Art. 2 VO 1/2003 siehe S. 41 f. 220 Siehe S. 71 ff. 218
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nach dem Opportunitätsprinzip ablehnen.221 Der Kläger ist nicht darauf beschränkt, die Unterlassung der bestimmten Preisforderung des Marktbeherrschers als konkreter Verletzungshandlung zu verlangen.222 Vielmehr kann er die konkrete Missbrauchsgrenze benennen, die dem höchsten zulässigen Betrag entspricht und beantragen, dass der Beklagte verurteilt wird, es zu unterlassen diese Preisgrenze zu überschreiten. Bei Nachfragemachtmissbrauch kann er spiegelbildlich verlangen, dass der Marktbeherrscher es unterlässt, den angemessenen Mindestpreis zu unterschreiten. Mit einem solchen Antrag verbindet sich kein unzulässiges Handlungsgebot.223 Ein solches Vorgehen ist im Zusammenhang mit kartellbehördlichen Untersagungsverfügungen von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt worden, weil dadurch lediglich die Verletzung einer bestimmten Preismissbrauchsgrenze verboten, aber keine bestimmte Preisgestaltung vorgeschrieben wird.224 Der Marktbeherrscher bleibt frei, bis zu dieser Grenze jeden beliebigen Preis zu fordern oder zu zahlen. Demgegenüber wäre die Untersagung nur des konkret geforderten Preises nicht ausreichend, um das Verbot effektiv durchzusetzen. Dadurch würde das marktbeherrschende Unternehmen seine Verpflichtung bereits dann erfüllen können, wenn es den Preis lediglich geringfügig änderte, ohne dass dieser dann aber bereits zwangsläufig angemessen wäre.225 In der Folge müssten nach jeder geringfügigen Preisänderung eine neue Untersagungsverfügung erlassen oder ein neues Urteil erstritten werden. Durch ein derartiges „Katz und Maus“ Spiel könnte der Marktbeherrscher die Durchsetzung des Verbots für lange Zeit herauszögern. Ergibt sich nach Erlass des Urteils eine wesentliche Änderungen auf dem beherrschten Markt dergestalt, dass die marktbeherrschende Stellung erodiert, dann ist der ehemalige Marktbeherrscher in der Preisgestaltung frei. Das Urteil hat insoweit keine Bedeutung mehr als das Preisniveau durch zunehmenden Wettbewerb sinkt. Ergeben sich im Laufe der Zeit Änderungen der Kostenstruktur auf dem Vergleichsmarkt,226 die zu 221 Siehe S. 71 ff.; allerdings ist ein Gericht ohnehin nicht verpflichtet, ein Zivilverfahren unter Verweis auf ein anhängiges Kartellverwaltungsverfahren auszusetzen. Das Gericht ist insoweit nur gehalten, sein durch § 148 ZPO eingräumtes Ermessen sachgerecht auszuüben: OLG Düsseldorf, 03. 05. 2006, WuW/DE-R 1755 (1756 f.) „Zementkartell“; Bechtold, NJW 2007, S. 3761 (3766). 222 Zu kartellbehördlichen Verfügungen: BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 16. 12. 1976, WuW/E BGH 1445 (1446 f.) „Valium“; OLG Düsseldorf, 11. 02. 2004, WuW/DE-R 1239 (1239 f., 1243) „TEAG“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/ DE-R 1439 (1440) „Stadtwerke Mainz“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515 f.) „Stadtwerke Mainz“; LKartB Hessen, 09. 05. 2007, WuW/DE-V 1487 (1487, 1494) „Wasserversorgung Wetzlar“ zu §§ 131 Abs. 6 GWB, 103 GWB a. F. (1990); Schebstadt, WuW 2005, S. 1009 (1010). 223 Siehe S. 139 ff. 224 Vgl. soeben Fn. 222; Schebstadt, WuW 2005, S. 1009 (1010 m. w. N.). 225 BGH, 03. 07. 1976, WuW/E BGH 1435 (1436 f.) „Vitamin B 12“; BGH, 16. 12. 1976, WuW/E BGH 1445 (1446 f.) „Valium“; OLG Düsseldorf, 11. 02. 2004, WuW/DE-R 1239 (1239 f., 1243) „TEAG“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515) „Stadtwerke Mainz“. 226 Bei diesem handelt es sich typischerweise um einen Wettbewerbsmarkt, welcher Änderungen unterliegt. Ein Monopolpreisvergleich kann nur Notbehelf sein, siehe S. 466 ff.
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einer Verschiebung der Missbrauchsgrenze führen müssen, so ist der Marktbeherrscher darauf angewiesen, im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO gegen das Urteil vorzugehen.227 Er muss dann allerdings darlegen und beweisen, dass nach dem Urteil wesentliche Änderungen eingetreten sind. Dadurch kommt es zu einer Beweislastumkehr. e) Missbräuchliche Vertragsklauseln In einem solchen Fall gilt, dass diese Bestimmungen nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig oder durch eine geltungserhaltende Reduktion anzupassen sind. Dementsprechend kann der Marktbeherrscher aus der von ihm vorgegebenen Regelung keine Rechte herleiten. Insofern erübrigt sich für den Vertragspartner die Beseitigungs- oder Unterlassungsklage nach § 33 Abs. 1 GWB. Allenfalls dann, wenn der Marktbeherrscher mit dem Ziel der faktischen Durchsetzung seiner missbräuchlichen Geschäftsbedingungen Sanktionen androht, ist die Feststellungsklage geboten, um den rechtmäßigen Vertragsinhalt zu klären. Verstoßen zusammenhängende Regelungskomplexe eines Vertrages gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV oder § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB ist das betroffene Unternehmen, wie bereits ausgeführt, darauf angewiesen im Wege einer Beseitigungsklage eine Vertragsänderung herbeizuführen.228 Dazu ist einerseits erforderlich, die konkret betroffenen Regelungen und andererseits die Missbrauchsgrenzen zu benennen. Gegebenenfalls kann ein Angebot zur Vertragsänderung vorgelegt und auf dessen Annahme geklagt werden. f) Forderung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen vor Vertragsschluss Wie auch beim Preismissbrauch sollte der Kläger, falls insoweit Aussicht auf Erfolg besteht, einen Antrag auf Unterlassung einer Geschäftsverweigerung, die in einem Kontrahierungszwang mündet und einen Antrag auf Unterlassung der Forderung oder Erzwingung unangemessener Vertragsbedingungen verbinden. Das Problem ist, dass allenfalls ein Anspruch auf einen verhandelten Vertrag besteht. Soweit es nur um die Ausgestaltung einzelner Vertragsbedingungen geht, ist zu prüfen, ob es dem Kläger möglich ist, ein Vertragsangebot unter Gewährung eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB hinsichtlich der streitbefangenen Nebenbestimmungen zu formulieren.229 Der Marktbeherrscher kann gegebenenfalls zur Annahme verurteilt werden und ist verpflichtet die Leistungsbestimmung nach 227 Schmidt/Brinkmann, in: MüKo ZPO, § 767 Rn. 58, 62; auch im Verwaltungsverfahren besteht für den Verfügungsadressaten die Möglichkeit bei veränderter Sachlage ein neues Verfahren anzustreben, in dem die Missbrauchsgrenze angepasst wird, vgl. dazu BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515 f.) „Stadtwerke Mainz“. 228 Siehe S. 494 f. 229 Dazu am Beispiel des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen, siehe S. 554 ff.
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billigem Ermessen, also insbesondere unter Einhaltung der Grenzen des Ausbeutungsverbots zu treffen. Unabhängig davon, ob diese Möglichkeit im Einzelfall gegeben ist, muss der Kläger die Bedingungen, die er für missbräuchlich hält, konkret benennen. Da ohnehin mit Hilfe des Vergleichsmarktkonzepts bzw. des dispositiven Gesetzesrechts die Missbrauchsgrenzen ermittelt werden müssen, um den Verstoß gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB nachzuweisen, sollte der Klageantrag dahin gehen, den Marktbeherrscher zu verurteilen, es zu unterlassen, diese Grenzen durch unangemessene Forderungen zu überschreiten. Ein solcher Antrag ist, wenn es gelingt diese Gestaltungsgrenzen hinreichend konkret zu bezeichnen, ebenso wie beim Preismissbrauch zulässig. Im Übrigen stellt die konkrete Formulierung des Unterlassungsklageantrages ein allgemeines Problem des Wettbewerbsprozesses dar, auf das an dieser Stelle, gerade auch angesichts der Vielzahl möglicher Sachverhaltskonstellationen nicht näher eingegangen werden kann.230 4. Abgrenzung von Unterlassung und Beseitigung Soweit die Parteien bereits einen Vertrag zu missbräuchlichen Preisen oder Geschäftsbedingungen geschlossen haben, bietet die Vertragsanpassung nach § 134 2. Halbsatz BGB dem übervorteilten Vertragspartner Schutz. Er kann unmittelbar die vertraglichen Rechte geltend machen, benötigt also den Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch insoweit nicht. Nichtsdestotrotz steht ihm der Unterlassungsanspruch zur Verfügung, um faktischen wirtschaftlichen Druck und unangemessenen Forderungen, die außerhalb der vertraglichen Beziehung stehen bzw. auf deren Änderung abzielen, entgegenzutreten. In einem solchen Fall ist die zukunftsgerichtete Unterlassungsklage zweckmäßig, weil der Kläger über die Beseitigung einer gegenwärtigen Störung hinaus einen Vollstreckungstitel erwirbt, mit Hilfe dessen er gegen Wiederholungen missbräuchlichen Verhaltens vorgehen kann. Nur soweit komplexe Vertragsbedingungen nicht nach § 134 2. Halbsatz BGB angepasst werden können, bedarf es eines Beseitigungsanspruches, um die von der missbräuchlichen Vertragsgestaltung ausgehende gegenwärtige Störung zu beenden.231 Soweit noch kein Vertrag geschlossen ist, stellt die Unterlassungsklage das richtige Rechtsmittel dar. Der von Ausbeutung betroffene Kläger will verhindern, dass derartige missbräuchliche Preisforderungen oder Forderungen nach unangemessenen Geschäftsbedingungen aufrechterhalten oder zukünftig neu formuliert werden. Insofern bietet ihm ein Unterlassungsurteil einen Titel, mit dem er zukünftig vollstrecken kann. Im Gegensatz dazu könnte er mit einem Urteil auf Beseitigung nur die Beendigung einer gegenwärtigen Störung herbeiführen. Die Beseitigungsklage ist deshalb nur dann sinnvoll, wenn der Vertragsinteressent über das Interesse, keinen missbräuchlichen Bedingungen ausgesetzt zu werden, hinaus einen Vertragsschluss als Folge eines 230 231
Siehe auch S. 136 ff. Zur Abgrenzung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, siehe S. 144 f.
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Kontrahierungszwanges durchsetzen will. Ein Beseitigungsanspruch ist auch dann nicht notwendig, wenn im Rahmen der Durchführung eines Vertrages zu ausbeuterischen Preisen oder Bedingungen überhöhte Zahlungen geleistet wurden. Denn aufgrund der nach § 134 2. Halbsatz BGB vorzunehmenden geltungserhaltenden Reduktion steht bereits aufgrund Gesetzes fest, dass der durch die Missbrauchsgrenze beschriebene höchstzulässige Preis den Vertragsinhalt darstellt.232 Dementsprechend sind darüber hinaus gehende Zahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt und können vom ausgebeuteten Vertragspartner nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückgefordert werden.233 Im Fall des Nachfragemachtmissbrauchs durch Zahlung eines zu niedrigen Entgelts, führt die Anpassung durch geltungserhaltende Extension nach § 134 2. Halbsatz BGB zu einer Erhöhung des vertraglich geschuldeten Preises. Das betroffene Unternehmen kann insoweit die Nachzahlung einfach im Wege der Leistungsklage durchsetzen.234 5. Schadenersatz Der Anspruch auf Naturalrestitution nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB, § 33 Abs. 1, 3 GWB und § 249 BGB würde, falls bereits ein Vertrag geschlossen wurde, zu einer Anpassung an den angemessenen Preis oder die angemessenen Bedingungen führen. Da dieses Ergebnis allerdings bereits durch Vertragsanpassung nach § 134 BGB eintritt,235 verbleibt für den Schadensersatzanspruch insoweit kein Anwendungsbereich mehr. Soweit es um die Beendigung einer vorvertraglichen Forderung überhöhter Entgelte oder unangemessener Bedingungen geht, führt bereits der verschuldensunabhängige Unterlassungsanspruch zum Ziel. a) Preisüberhöhung und unangemessene Vertragsbedingungen Ein mit unangemessenen Preisen belastetes Unternehmen kann als Mindestschaden die Differenz zwischen dem angemessenen Entgelt, welches der Marktbeherrscher bei hypothetisch rechtmäßigem Verhalten gefordert hätte und dem tatsächlich gezahlten, überhöhten Entgelt ersetzt verlangen.236 Die Höhe des ange232
Siehe S. 472 ff. Infolgedessen reduziert sich die Bedeutung eines daneben stehenden Schadensersatzanspruches, siehe sogleich S. 513 f.; a. A. Beseitigungsanspruch auf (Nach-)Zahlung, Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (54); Roth, in: FS Westermann, S. 1355 (1375). 234 Siehe auch S. 148 ff. 235 Siehe S. 472 ff. 236 OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; OLG Frankfurt a.M., 03. 03. 2011, WuW/DE-R 3228 (3243 ff.) „Wasserversorgung O1“; BGH, 16. 06. 1971, WuW/E BGH 1192 (1193 f.) „Stromversorgung für US-Streitkräfte“; vgl. im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Kartellverbot: BGH, 26. 04. 1967, WuW/E BGH 893 (898) „Hörgeräte“; BGH, 19. 06. 2007, wistra 2007, S. 471 (471 f.) „Abschöpfung des Mehrerlöses“; OLG Frankfurt a.M., 07. 11. 2006, WuW/DE-R 2015 (2017) „Bieterhaftung“; 233
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messenen Entgelts ist dabei in der Regel auf Basis des Vergleichsmarktkonzeptes,237 ersatzweise auf Grundlage des Gewinnspannenbegrenzungskonzeptes zu ermitteln.238 Der Ansicht des LG Mannheims,239 welches im Zusammenhang mit Preisüberhöhungen bei Verstoß gegen das Kartellverbot judiziert hat, dass nicht nur die Einkaufspreise mit und ohne Preisüberhöhungen verglichen werden dürften, sondern auch die weitere Verarbeitung der bezogenen Produkte zu berücksichtigen sei, kann nicht gefolgt werden.240 Das Gericht will das Betriebsergebnis des betroffenen Unternehmens mit und ohne Preisüberhöhung vergleichen. Das würde dazu führen, den hypothetischen Kausalverlauf nach dem schädigenden Ereignis, sprich der Zahlung des überhöhten Preises, zu berücksichtigen. Dafür gibt es im Haftungsrecht außerhalb der Fälle der Schadensanlage oder der Schadensrenten keine Grundlage.241 Allerdings ist der Schadensvergleich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung anzustellen, so dass dazwischenliegende Ereignisse Berücksichtigung finden müssen.242 Zu beachten ist, dass der der überzahlte Betrag bereits aufgrund von § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB rückforderbar ist, weil der Austauschvertrag keine Rechtsgrundlage für die Überzahlung darstellt.243 Auf einen Schadensersatzanspruch muss lediglich bei einem Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB zurückgegriffen werden, und auch das nur, falls die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB nicht greift.244 Eine eigenständige Bedeutung hat der Schadensersatzanspruch insoweit nur in dem eher theoretischen Fall, dass bereits vor Vertragsschluss Zahlungen geleistet wurden. Größere Bedeutung gewinnt der SchadenserBGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 ff.) „ORWI“; Logemann, S. 452 ff.; Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (960, 966 ff.); siehe auch S. 167 f. 237 OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3166 ff.) „Arzneimittelpreise“; vgl. im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Kartellverbot: BGH, 19. 06. 2007, wistra 2007, 471 (472 f.) „Abschöpfung des Mehrerlöses“; vgl. auch Logemann, S. 452 ff.; zur Anwendung von Vergleichsmarktkonzepten bei der Ermittlung des Schadens in Fällen verbotener Kartellierung: Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Buntscheck, WuW 2013, S. 947 (950 f.); vgl. nunmehr auch Kommission, Leitfaden, S. 53 ff., Rn. 149 ff., 60, 172 ff.; hierzu Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (489 f.). 238 Logemann, S. 453 f.; bzw. weiterer geeigneter ökonomischer Konzepte, vgl. BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3632 (3634 ff.) „Wasserpreise Calw“ und BGH, 14. 07. 2015, WuW/ DE-R 4871 (4875 f.) „Wasserpreise Calw II“; zur Anwendung von Kosten- und Marktsimulationsmethoden bei der Ermittlung des Schadens in Fällen verbotener Kartellierung: Kommission, Leitfaden, S. 42 ff. Rn. 106 ff., S. 60 Rn. 172 ff.; des Weiteren Ellger, in: FS Möschel, S. 191 (206 ff.); Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, S. 173 (174 f.); Bernhard, NZKart 2013, S. 488 (490 f.). 239 LG Mannheim, 11. 07. 2003, GRUR 2004, S. 182 (184) „Vitaminkartell“, bestätigt durch OLG Karlsruhe, 28. 01. 2004, WuW/DE-R 1229 (1230 f.) „Vitaminpreise“. 240 BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3440) „ORWI“; siehe auch S. 168 ff. 241 Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 209 ff. 242 Köhler, GRUR 2004, S. 99 (102). 243 BGH, 22. 07. 2014, NZKart 2014, S. 459 (460) „Stromnetznutzungsentgelt IV“; siehe S. 472 ff. 244 Das ist wegen hoher Anforderungen nur bei Kenntnis des Marktbeherrschers vom Verbotsverstoß, d. h. vorsätzlichem Handeln möglich; Schwab, in: MüKo BGB, § 819 Rn. 2 ff.
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satzanspruch im Hinblick auf finanzielle Mehrbelastungen durch unangemessene Geschäftsbedingungen. Ist es hier allerdings zu einer Bereicherung des Marktbeherrschers, z. B. durch überhöhte Kosten, gekommen, greift auch insoweit § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.245 Aber auch hier kann die Bereicherung, vorbehaltlich der Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB, nach § 818 Abs. 3 BGB weggefallen sein. b) Vorteilsausgleichung Bei der Ersatzfähigkeit finanzieller Mehrbelastungen ist die Frage der Vorteilsausgleichung durch Weitergabe überhöhter Preise oder unangemessener Mehrkosten zu betrachten.246 Gelingt dem betroffenen Unternehmen eine Weiterwälzung von Preisen oder Kosten, dann führt das nicht zu einer Verringerung seines Schadensersatzanspruches. Vielmehr kann ein übervorteiltes Unternehmen die volle Differenz zwischen angemessenem und tatsächlich gezahltem Entgelt ersetzt verlangen.247 Dafür gibt es mehrere Gründe.248 Zunächst ist auf die Argumentation zur Begrenzung des persönlichen Schutzbereichs auf die unmittelbare Marktgegenseite Bezug zu nehmen.249 Dort wurde bereits ausgeführt, dass die Weitergabe eines überhöhten Preises an Abnehmer 2. Stufe für diese keinen ersatzfähigen Schaden i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB darstellt, weil das Ausbeutungsverbot keine abstrakte Angemessenheit in Bezug auf Preise und Geschäftsbedingungen zulässt. Maßgeblich ist die Ermittlung derjenigen Bedingungen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit bilden würden. Ist das ausgebeutete Unternehmen nicht selbst marktbeherrschend, dann sind die Vertragsbedingungen Ergebnis freien Wettbewerbs. Dem Normzweck des Ausbeutungsverbotes entsprechend ist dem Dritten ein Schaden nicht entstanden. Ist demgegenüber der ausgebeutete Wiederverkäufer selbst marktbeherrschend, dann macht er sich schadensersatzpflichtig. Der Dritte kann in der Folge unmittelbar Schadensersatz von dem Unternehmen verlangen, welches ihn ausbeutet. Der Anspruch ist der Höhe nach auf den Schaden begrenzt, der infolge der Ausbeutung durch den Wiederverkäufer entstanden ist. Dessen Verhalten unterbricht den Kausalzusammenhang zum Verhalten des ersten Verkäufers. In der Folge wird eine Verdopplung von Schadenersatzansprüchen vermieden, die dazu führen könnte, dass der Ausgebeutete mehr erhielte als zum Schadensausgleich erforderlich ist. Darüber hinaus handelt es 245
Siehe S. 493 f. Siehe auch S. 168 ff. 247 OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“ (indes ohne nähere Begründung); für die Zulassung des Einwandes der Weiterwälzung des Schadens im Zusammenhang mit einem (insoweit rechtlich anders gelagerten) Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, vgl. BGH, 28. 06. 2011, WuW/ DE-R 3431 (3440 ff.) „ORWI“. 248 Sie rechtfertigen eine Ausnahme von Artikel 13 der Richtlinie 2014/104/EU, der vorschreibt, dass der Einwand der Schadensweiterwälzung zu gewährleisten ist, siehe S. 500 ff. 249 Siehe S. 500 ff. 246
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sich bei der Zahlung des zweiten Abnehmers an das ausgebeutete Unternehmen nicht um einen Fall der schadensverringernden Vorteilsausgleichung.250 Erstens ist dieser Vermögenszufluss nicht unmittelbare Folge des schädigenden Ereignisses.251 Indem der Wiederverkäufer, vorausgesetzt die Marktbedingungen lassen eine Weitergabe zu, sich überlegt, ob und inwieweit er die höhere Belastung weiterreicht, trifft er eine freie Entscheidung. Dadurch wird der Kausalzusammenhang mit dem schädigenden Ereignis unterbrochen.252 Zweitens ist eine Vorteilsausgleichung nicht anzuerkennen, wenn der Schädiger dadurch auf unbillige Weise entlastet würde.253 Das wäre hier der Fall, wenn infolge der Zahlung Dritter der durch Ausbeutung entstandene Schaden reduziert würde. Der unmittelbare Vertragspartner des Marktbeherrschers könnte nur einen, um den Zufluss seitens des Dritten verringerten Schaden ersetzt verlangen. Der Dritte selbst könnte keinen Schadensersatz verlangen, da er nicht zum Kreis der Betroffenen nach § 33 Abs. 1, 3 GWB zählt und seine Zahlung nicht als ersatzfähiger Schaden anzusehen ist. In der Folge könnte der Marktbeherrscher den Unrechtsgewinn behalten. Der Verstoß gegen Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB bliebe insoweit sanktionslos. Diese Entlastung des Schädigers widerspräche dem Normzweck des Ausbeutungsverbots254 und der Zielrichtung der 6. und 7. GWB Novelle.255 Der Gesetzgeber wollte mit diesen Reformen den privaten Rechtsschutz durch effektive Sanktionen stärken. Der durch die 7. GWB Novelle neu geschaffene § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ermöglicht es, von einer Vorteilsausgleichung zur Erzielung einer normativen Schadenskorrektur abzusehen.256 Schließlich spricht auch die bereicherungsrechtliche Rechtslage gegen die Anerkennung der Vorteilsausgleichung. Selbst dann, wenn der Schaden infolge Weitergabe überhöhter Preise oder besonderer Kosten an Dritte entfallen würde, könnte das ausgebeutete Unternehmen eine Rückgewähr des überzahlten Betrages aufgrund von § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB verlangen.257 In der Konsequenz würde das dazu führen, dass die Rechtsfolgen nach Bereicherungsrecht einerseits und Deliktsrecht andererseits 250
Siehe auch S. 168 ff. Siehe auch S. 168 ff. 252 Allgemein Görner, S. 215 ff.; einschränkend – allerdings im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch nach vorausgegangenem Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 1 EGV a. F. (Art. 101 Abs. 1 AEUV) i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3438 f.) „ORWI“. Aber auch bei verbotener Kartellierung gibt es keine widerlegliche Vermutung dafür, dass eine Preiserhöhung auf dem nachgelagerten Markt (Preisbildung gegenüber Abnehmern 2. Stufe) ursächlich auf der Kartellabsprache beruht, vgl. Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (928 f.); Morell, WuW 2013, S. 959 (961); für einen Ausschluss der „pass on defence“ Soyez, EuZW 2012, S. 100 (101 f.). 253 BGH, 28. 06. 2011, WuW/DE-R 3431 (3441, 3443) „ORWI“; Kirchhoff, WuW 2012, S. 927 (930); Morell, WuW 2013, S. 959 (960, 962 ff.); siehe auch S. 168 ff. 254 Siehe S. 466 ff. 255 Siehe S. 36 ff. und S. 42 ff. 256 Ebenso OLG Frankfurt a.M., 21. 12. 2010, WuW/DE-R 3163 (3168 f.) „Arzneimittelpreise“; siehe S. 168 ff. 257 BGH, 22. 07. 2014, NZKart 2014, S. 459 (460 f.) „Stromnetznutzungsentgelt VI“; siehe S. 474 ff. 251
G. Ausbeutungsmissbrauch
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miteinander in Widerspruch stünden. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Weitergabe von Preisen oder Kosten durch das ausgebeutete Unternehmen an Angehörige der nächsten Marktstufe, nicht zu einer Reduzierung des dem ausgebeuteten Unternehmen entstandenen Schadens führt. Eine schadensverringernde Vorteilsausgleichung kommt hier nicht zur Anwendung. Der Schaden ist allein im Verhältnis des Marktbeherrschers zum ausgebeuteten Marktteilnehmer zu ermitteln. Der ausbeutende Marktbeherrscher kann den Einwand der Schadensweiterwälzung nicht erheben. c) Entgangener Gewinn Im Zusammenhang mit einer Ausbeutung kann Gewinn entgehen, wenn das ausgebeutete Unternehmen nachzuweisen in der Lage ist, dass ein höherer Preisgestaltungsspielraum, welcher ohne Ausbeutung bestanden hätte, zu einem Zugewinn an Umsatz und Gewinn hätte führen können. Das Problem dabei ist, dass eine Schadensberechnung nach dem gewöhnlichen Geschäftsverlauf i. S. v. § 252 S. 2, 1. Alt. BGB258 dann schwierig ist, wenn kein Vergleichszeitraum ohne Ausbeutung zur Verfügung steht. Eine solche Berechnung ist gewöhnlich nur nach Preiserhöhungen oder Umgestaltungen von Geschäftsbedingungen durch Vergleich mit der Geschäftsentwicklung vor diesen Maßnahmen denkbar. Eine Berechnung nach konkreten Vorkehrungen gemäß § 252 S. 2, 2. Alt. BGB259 ist dann nicht durchführbar, wenn die Aufwendungen in eine Zeit fallen, in der Ausbeutung praktiziert wird und sie auf der Grundlage der unangemessenen Mehrbelastung kalkuliert werden. Dann aber ist die Ausbeutung nicht ursächlich für ein etwaiges Scheitern der Amortisation oder der Erreichung der Gewinnzone. Entgangener Gewinn kann aber mit dem Argument behauptet werden, dass das Geld, welches aufgrund Überzahlung oder Mehraufwendung nicht zur Verfügung stand, gewinnbringend hätte investiert werden können. Allerdings müssten derartige Pläne substantiiert dargelegt werden können. Daran dürfte der Anspruch regelmäßig scheitern, weil solche Überlegungen voraussetzen, dass man die Überzahlung als rechtswidrig und rechtsgrundlos erkennt. Dann aber müsste sie das betroffene Unternehmen ohne weiteres auf das angemessene und dementsprechend nach dem angepassten Vertrag geschuldete Maß reduzieren, um sich nicht dem Vorwurf des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 S. 2, 2. Alt. BGB auszusetzen.260 d) Nachfragemachtmissbrauch Wird anbietenden Unternehmen von einem Marktbeherrscher ein unangemessen niedriges Entgelt gezahlt, dann kann dieses Unternehmen aufgrund eines infolge 258 259 260
Siehe S. 164 f. Siehe S. 165 f. Siehe S. 154 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
geltungserhaltender Extension erhöhten Vertragspreises261 eine Nachzahlung bis zur Höhe des wettbewerbskonformen Preises verlangen. Daneben besteht ein Schadensersatzanspruch auf Ausgleich des entgangenen Gewinnes nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB und §§ 249 Abs. 1, 252 BGB, der in der Höhe der Differenz zwischen angemessenem und tatsächlich gezahltem Entgelt entspricht. Zwischen diesen Ansprüchen besteht Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. e) Sonstige Schäden Soweit infolge der finanziellen Mehrbelastung bzw. unangemessen geringer Zahlungen die Wettbewerbsfähigkeit des Abnehmers beeinträchtigt wird, kommt nach allgemeinen Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gerichtet auf Kompensation von Marktanteils- und Wertverlust des betroffenen Unternehmens in Frage.262
VII. Zusammenfassung Verträge, die missbräuchlich überhöhte Preise oder unangemessene Geschäftsbedingungen enthalten, sind gemäß Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB verboten. Um die Marktgegenseite zu schützen, ist eine Vertragsanpassung erforderlich. Maßstab sind dabei entweder der durch das Vergleichsmarktkonzept, hilfsweise durch andere zur Gewinnbegrenzung geeignete Konzepte ermittelte Als Ob Wettbewerbspreis oder die Als Ob Wettbewerbsbedingungen. Ist es bei der Kontrolle von Geschäftsbedingungen nicht möglich, ein geeignetes Vergleichsmarktniveau zu ermitteln, so ist eine umfassende Interessenabwägung durchzuführen, die das dispositive Gesetzesrecht und allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen berücksichtigt. Das Verbot erfasst gleichermaßen den Missbrauch von Angebots- wie auch von Nachfragemacht. Liegt ein Preismissbrauch vor ist im ersten Fall eine geltungserhaltende Reduktion und im zweiten Fall eine geltungserhaltende Extension vorzunehmen. Bei missbräuchlichen Geschäftsbedingungen gilt das gleiche für die quantitative Anpassung einzelner Klauseln, soweit dadurch ein angemessenes Maß erreicht werden kann. Die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes ist gegebenenfalls auch durch die Nichtigkeit einzelner Klauseln zu erreichen. Soweit aber diese beiden Möglichkeiten nicht ohne die Gefahr einer Veränderung der gesamten Vertragsstruktur263 angewandt werden können, ist das übervorteilte Unternehmen auf den Beseitigungsanspruch zu verweisen. Die Vertragsanpassung durch geltungserhaltende Reduktion ermöglicht eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung bei Überzahlung aufgrund überhöhter 261
Siehe S. 474 ff. Siehe S. 166 f. 263 Was zur Folge hätte, dass den Parteien ein von beiden Seiten nicht gewollter, andersartiger Vertrag aufgedrängt würde, siehe S. 494 f. 262
G. Ausbeutungsmissbrauch
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Preise oder Kosten. Wird als Folge eines Nachfragemachtmissbrauchs der Vertragspreis im Wege geltungserhaltender Extension angehoben, besteht für das ausgebeutete Unternehmen ein vertraglicher (Nach-)Zahlungsanspruch. Eine Anpassung auf ein, anstelle des Als Ob Wettbewerbspreises oder der Als Ob Wettbewerbsbedingungen niedrigeres (oder bei Nachfragemachtmissbrauch höheres) Niveau kommt wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit und weil § 19 Abs. 1, 2 Nr. 2 GWB keine Strafnorm ist, nicht in Betracht. In den persönlichen Schutzbereich sind ausschließlich diejenigen Unternehmen einbezogen, die dem Marktbeherrscher als Vertragspartner unmittelbar gegenübertreten. Eine Einbeziehung Angehöriger nachfolgender Marktstufen scheitert bereits daran, dass selbst bei Weitergabe überhöhter Preise oder Kosten ein Missbrauch durch den nicht marktbeherrschenden Wiederverkäufer nicht vorliegt. Der Beseitigungsanspruch ermöglicht keine Rückzahlung überhöhter Entgelte und keine Nachzahlung im Fall missbräuchlich zu niedriger Entgelte. Im ersten Fall kann der Abnehmer überzahltes Entgelt im Wege der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB zurückfordern. Im zweiten Fall besteht ein vertraglicher Anspruch auf (Nach-)Zahlung bis zur Höhe des nicht ausbeuterischen Entgelts. Rechtschutz gegen faktischen wirtschaftlichen Druck eines marktbeherrschenden Unternehmens kann durch Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs erreicht werden. Hierbei kann sich, wenn die Weigerung zu nicht missbräuchlichen Bedingungen zu kontrahieren, zugleich eine sachlich nicht gerechtfertigte Geschäftsverweigerung darstellt, ein Anspruch auf Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen ergeben. Als Mindestschaden kann die Differenz zwischen der Belastung infolge der Ausbeutung und den Als Ob Wettbewerbsbedingungen angesetzt werden. Indes kann hier ein Ausgleich regelmäßig bereits durch Rückzahlung oder Nachzahlung als Folge einer Vertragsanpassung gemäß § 134 2. Halbsatz BGB erreicht werden. Gelingt es einem ausgebeuteten Unternehmen die Mehrbelastung ganz oder teilweise weiterzugeben, so mindert das seinen Schadensersatzanspruch nicht. Der Ersatz weitergehender Schäden, insbesondere entgangenen Gewinns ist an den Nachweis gebunden, dass infolge der Ausbeutung Marktanteile verloren gegangen sind oder geplante Geschäftsabschlüsse nicht realisiert werden konnten.
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H. Preis- und Konditionenspaltung I. Tatbestand Dieses in § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB genannte Regelbeispiel weist eine große Ähnlichkeit zu den Fällen des Ausbeutungsmissbrauchs auf.1 Im europäischen Recht wird diese Fallgruppe durch Art. 102 S. 2 lit. a) AEUVerfasst.2 Das Gesetz betrachtet wiederum die Forderung bestimmter ungünstiger Entgelte oder Geschäftsbedingungen als missbräuchlich. Es knüpft dabei ebenso wie in Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB an den Gedanken der Ausbeutung an, welche bei Überschreitung bestimmter Missbrauchsgrenzen vorliegt. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Fallgruppen besteht im Maßstab, der zur Ermittlung der Missbrauchsgrenze angewandt wird. Gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB und auch im Rahmen von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV wird das Als Ob Wettbewerbskonzept zugrunde gelegt, welches – jedenfalls vorrangig – auf der Heranziehung eines Vergleichsmarktes beruht, auf dem der Normadressat selbst nicht tätig ist.3 Dem gegenüber richtet sich § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB an marktbeherrschende Unternehmen, welche auf räumlich verschiedenen Märkten tätig sind und fragt, ob diese Unternehmen auf einzelnen Märkten unterschiedliche Entgelte oder Geschäftsbedingungen verlangen. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Unternehmen sich missbräuchlich verhält, wenn es auf einem von ihm beherrschten Markt gegenüber seinen Vertragspartnern ungünstigere Preise oder Vertragsbedingungen durchsetzt, als es das auf einem Markt tut bzw. zu tun in der Lage ist, auf dem es wirksamen Wettbewerb ausgesetzt ist. Daraus ist abzuleiten, dass die, auf den beherrschten Märkten verlangten Konditionen nicht dem Ergebnis entsprechen, welches bei freiem Leistungswettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre. Das missbräuchlich handelnde Unternehmen ist aufgrund dieser differenzierten Geschäftspolitik in der Lage, maximalen Gewinn zu schöpfen.4 Marktteilnehmer, welche als Vertragspartner auf dem beherrschten Markt auftreten, werden insoweit benachteiligt. Es handelt sich bei der Preis- und Konditionenspaltung nicht um einen 1
Siehe ab S. 466. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 168, 180 f. 3 Siehe S. 466 ff. 4 Zum Bsp.: EuGH, 14. 02. 1978, WuW/EWG/MUV 425 (438 f.) „Chiquita“; EuG, 16. 12. 1999, Slg. 1999 II, S. 3989 (4008 f.) „Micro Leader Business“; KG, 12. 03. 1982, WuW/E OLG 2617 (2618 f.) „regional unterschiedliche Tankstellenpreise“; KG, 03. 05. 1982, WuW/E OLG 2620 (2621 ff.) „Vergaserkraftstoff-Abgabepreise“; BKartA, 19. 02. 1997, WuW/E BKartA 2875 (2881 ff.) „Flugpreis Berlin – Frankfurt/M.“, allerdings aufgehoben durch KG, 26. 11. 1997, WuW/DE-R 124 (126 ff.) „Flugpreis Berlin-Frankfurt/M.“ und bestätigt durch BGH, 22. 07. 1999, WuW/DE-R 375 (376 f.) „Flugpreisspaltung“; BKartA, 20. 09. 2000, WuW/DE-V 289 (291 f.) „Freie Tankstellen“, dazu OLG Düsseldorf, 13. 11. 2000, WuW/DE-R 589 (592 ff.) „Freie Tankstellen“, sowie OLG Düsseldorf, 13. 02. 2002, WuW/DE-R 829 (832 ff.) „Freie Tankstellen“; OLG Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2862 ff.) „Entega“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DE-R 3145 (3155 f.) „Entega II“. 2
H. Preis- und Konditionenspaltung
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Spezialfall des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot.5 Dort liegt der Missbrauchsvorwurf gerade in der sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung von gleichartigen Unternehmen, die beide auf dem gleichen Markt tätig sind.6 Beim Verbot der Preis- und Konditionenspaltung dient der Vergleich zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Märkten tätig sind, nur dazu, die Missbrauchsgrenze zu ermitteln, ab der Ausbeutung vorliegt. Im Grunde handelt es sich nur um einen besonderen Anwendungsfall des räumlichen Vergleichsmarktkonzeptes.7 Deshalb werden diese Fälle im europäischen Recht unproblematisch von Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV erfasst, ohne dass das einer besonderen Erwähnung bedürfte. Auf der Ebene des europäischen Rechts bietet sich insbesondere ein Vergleich verschiedener nationaler Märkte an.8 Das Verbotsziel besteht im Schutz vor Ausbeutung. Die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen kann sachlich gerechtfertigt sein. In Betracht kommt insbesondere, dass trotz eines höheren Preises auf dem betroffenen Markt eine Kostendeckung nicht erreicht wird.9
II. Schutzzweck Das Verbot der Preis- und Konditionenspaltung als besonderer Anwendungsfall des räumlichen Vergleichsmarktkonzeptes zielt darauf ab, eine Ausbeutung von Angehörigen der Marktgegenseite zu verhindern.10 Die Forderung ungünstigerer Entgelte oder Geschäftsbedingungen ist nicht deshalb verboten, weil darin eine Ungleichbehandlung zu erkennen ist. Sie ist vielmehr deswegen verboten, weil sie nicht Ergebnis des freien Leistungswettbewerbes ist. Der Normzweck ist also identisch mit Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1 Nr. 2 GWB.11 Es geht darum sicherzustellen, dass ein wettbewerbsanaloges Marktergebnis gewährleistet wird, welches aktuelle und potentielle Vertragspartner eines marktbeherrschenden Unternehmens davor schützt, höhere wirtschaftliche Belastungen tragen zu müssen als es bei Vorliegen freien Leistungswettbewerbes der Fall wäre. Zugleich wird 5
Dazu, dass sich Elemente der Ausbeutung und der Diskriminierung mischen: BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (3451) „Grossistenkündigung“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DER 3145 (3150 ff.) „Entega II“. 6 Zum Diskriminierungsverbot siehe ab S. 427. 7 Zum Vergleichsmarktkonzept siehe S. 466 ff. 8 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 466 ff. 9 BKartA, 19. 02. 1997, WuW/E BKartA 2875 (2881 ff.) „Flugpreis Berlin – Frankfurt/M.“, aufgehoben durch KG, 26. 11. 1997, WuW/DE-R 124 (126 ff.) „Flugpreis Berlin – Frankfurt/ M.“ und Aufhebung bestätigt durch BGH, 22. 07. 1999, WuW/DE-R 375 (376 f.) „Flugpreisspaltung“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DE-R 3145 (3150 ff.) „Entega II“; siehe auch S. 466 ff. 10 Vgl. Fn. 4. Der Schutz erstreckt sich auch auf private Endverbraucher: BGH, 24. 10. 2011, WuW/DE-R 3446 (34 1) „Grossistenkündigung“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 168, 174; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 102, 133 ff. 11 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 470 f.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
mittelbar ein Schutz der Angehörigen nachfolgender Marktstufen angestrebt, die Gefahr laufen, durch die Weitergabe überhöhter Preise oder übermäßiger Kosten belastet zu werden.12
III. Rechtsfolgen 1. Parallelen zum Ausbeutungsmissbrauch Das Verbot der Preis- und Konditionenspaltung wendet sich in gleicher Weise wie Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB gegen die Ausbeutung der Marktgegenseite. In beiden Vorschriften wird die Forderung nach nicht wettbewerbsgerechten Entgelten oder sonstigen Geschäftsbedingungen als missbräuchliches Verhalten beurteilt. Unterschiede bestehen lediglich im Hinblick auf den Maßstab zur Ermittlung der Missbrauchsgrenze. Es werden aber nicht etwa völlig verschiedene Maßstäbe angewandt. Vielmehr stellt das Vergleichskonzept des § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB eine Konkretisierung des allgemeinen Vergleichsmarktkonzeptes nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB dar. Aufgrund dieser weitreichenden Parallelen ist eine grundsätzlich gleiche Beurteilung der Rechtsfolgen bei Ausbeutungsmissbrauch und Preis- und Konditionenspaltung geboten. Fraglich ist lediglich, inwieweit sich Unterschiede aus den teilweise abweichenden Methoden zur Errechnung der Missbrauchsgrenze auswirken. 2. Sanktion nach § 134 BGB Im Hinblick auf einen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) und c) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB sind die Verträge zu betrachten, welche zwischen dem marktbeherrschenden Unternehmen und den Angehörigen der Marktgegenseite auf dem beherrschten Markt geschlossen werden. Diese Rechtsgeschäfte verstoßen i. S. v. § 134 BGB gegen das Verbot der Preis- und Konditionenspaltung, da in ihnen missbräuchliche Preise oder Geschäftsbedingungen festgeschrieben werden.13 Allerdings entspricht eine Totalnichtigkeit nicht dem Normzweck. Bei der Preisspaltung kommt eine geltungserhaltende Reduktion oder Extension in Betracht. Insoweit kann auf die Begründung zum Ausbeutungsverbot verwiesen werden.14 Ein Unterschied ergibt sich bei der Frage nach dem Niveau, auf das der Vertragsinhalt anzupassen ist. Es kann sich auch hier nur um den wettbewerbsanalogen Preis handeln. Im Gegensatz zum Ausbeutungsverbot, wo insoweit auf einen schwierig zu beurteilenden Vergleichsmarkt abzustellen ist, wird das Niveau hier durch die Tätigkeit des Normadressaten auf einem oder mehreren Wett12 13 14
Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 470 f. Siehe S. 472 f. Siehe S. 473 ff.
H. Preis- und Konditionenspaltung
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bewerbsmärkten vorgegeben. Er muss das Entgelt soweit erhöhen oder erniedrigen, dass es demjenigen entspricht, welches er auf Märkten fordert, auf denen er im Wettbewerb steht. Allenfalls ist zuzugestehen, dass bestimmte Unterschiede, die nicht dem Einfluss des Marktbeherrschers unterliegen in Form von Zu- oder Abschlägen berücksichtigt werden.15 Bei der Anpassung sonstiger Vertragsbedingungen sind die Verträge an diejenigen Bedingungen anzupassen, zu denen der Marktbeherrscher mit seinen Vertragspartnern auf Wettbewerbsmärkten kontrahiert. Dabei sind die gleichen Verfahren anzuwenden, die beim Ausbeutungsmissbrauch dargestellt wurden. Dazu gehören also die Teilnichtigkeit, die geltungserhaltende Reduktion oder Extension einzelner Vertragsbedingungen und die Durchsetzung einer Vertragsänderung mit Hilfe einer Beseitigungsklage.16 Im Gegensatz zum Ausbeutungsmissbrauch kann der Kläger einfacher ein Angebot zur Vertragsänderung formulieren und auf Annahme klagen, da er es an die Bedingungen anpassen kann, die der Marktbeherrscher auf einem sachlich gleichen, nur räumlich verschiedenen Markt fordert. Insoweit besteht auch eine Parallele zu den Fällen der diskriminierenden Geschäftsverweigerung, wo auf die Annahme eines Angebots zu üblichen Bedingungen geklagt werden kann.17 Allerdings ist hier zu beachten, dass Unterschiede zwischen den räumlich verschiedenen Märkten gegebenenfalls durch Zu- und Abschläge ausgeglichen werden müssen.
IV. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Persönliche Betroffenheit Der Zweck des Verbotes der Preis- und Konditionenspaltung besteht ebenso wie der des Ausbeutungsverbotes darin, die Übervorteilung der Marktgegenseite durch ein marktbeherrschendes Unternehmen zu verhindern.18 In den Kreis der Betroffenen i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB sind deshalb diejenigen Unternehmen einzubeziehen, die dem Marktbeherrscher auf dem beherrschten Markt als aktuelle oder potentielle Vertragspartner gegenübertreten und von diesem mit der Forderung nach unangemessenen Preisen oder Geschäftsbedingungen konfrontiert werden.19
15
Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 466 ff. und S. 481 ff. Siehe S. 492 ff. 17 Siehe S. 458 ff. 18 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 466 ff. 19 OLG Frankfurt a.M., 26. 01. 2010, WuW/DE-R 2860 (2861) „Entega“; BGH, 07. 12. 2010, WuW/DE-R 3145 (3155 f.) „Entega II“; zum Ausbeutungsverbot siehe S. 496 ff.; zum Ausschluss von Unternehmen auf nachgelagerten Marktstufen, siehe S. 500 ff. 16
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
2. Sachlicher Schutzbereich Dem Marktbeherrscher ist es verboten, auf einem beherrschten Markt ungünstigere Preise oder Geschäftsbedingungen zu verlangen, als er sie auf Märkten verlangt, auf denen er selbst im Wettbewerb steht. 3. Inhalt des Unterlassungsanspruches Die prozessualen Fragestellungen sind, als Folge der übereinstimmenden Zielsetzung beider Verbotstatbestände, in gleicher Weise zu beantworten, wie es beim Ausbeutungsmissbrauch bereits dargestellt wurde. Darauf wird verwiesen.20 Es besteht lediglich ein Unterschied in der Beschreibung der Missbrauchsgrenze. Diese entspricht, vorbehaltlich etwaiger Rechtfertigungsgründe den Bedingungen, die der Marktbeherrscher selbst auf vergleichbaren Wettbewerbsmärkten gewährt. Der Kläger kann zur Bezeichnung der Missbrauchsgrenze auf eben diese Bedingungen verweisen. Er muss lediglich verlangen, die gleiche Leistung zu dem Preis oder den Bedingungen zu erhalten, die der Marktbeherrscher auf einem Drittmarkt fordert. Dadurch entfällt die schwierige Suche nach einem Vergleichsmarkt und es werden komplizierte Berechnungen vermieden. Ein Problem mit dem Bestimmtheitsgebot gibt es allenfalls insoweit als das möglicherweise bestehende Unterschiede zwischen den räumlich verschiedenen Märkten durch Zu- oder Abschläge ausgeglichen werden müssen. Insgesamt kann ein betroffenes Unternehmen, soweit nicht bereits ein Vertrag geschlossen worden ist, in Kombination mit Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung einer Geschäftsverweigerung deutlich einfacher einen Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen durchsetzen. 4. Beseitigungsanspruch und Schadenersatz Bezüglich der Ansprüche auf Beseitigung und Schadensersatz ist auf die entsprechenden Ausführungen zum Ausbeutungsmissbrauch zu verweisen.21
20 21
Siehe S. 506 ff. Siehe S. 512 ff.
J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen
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J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen I. Überblick Der im Rahmen der 6. GWB Novelle geschaffene Beispielstatbestand des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB (jetzt § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB) dient der Initiierung von Wettbewerb.1 Der Gedanke der Schaffung von Wettbewerb steht im Zusammenhang mit der Deregulierung früher staatlich gelenkter oder zumindest geschützter Märkte, z. B. im Bereich der Bahn, der Energieversorgung, der Post und der Telekommunikation.2 Die Rechtsfigur der strategischen Engpasseinrichtung geht, soweit es das europäische Recht betrifft, auf die Rechtsprechung des EuGH3 bzw. die Praxis der Kommission4 zu Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV (bzw. die Vorgängernormen des Art. 86 EGV a. F., sowie Art. 82 EG a. F.) zurück. Beide hatten ihrerseits Anleihe bei der Rechtsfigur der in den USA entwickelten essential facility doctrine genommen.5 Über die Netzindustrien hinaus,6 beschäftigten Verwaltung und Rechtsprechung Fragen der Mitbenutzung von körperlichen Einrichtungen, die unter Kontrolle von privaten Unternehmen stehen.7 Nach Art. 102 AEUV können darüber hinaus auch 1 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) ff) und II. zu § 19 GWB; Hohmann, S. 102 f., 107 ff. 2 BegrRegE zur 6. GWB Novelle BT-Drucks. 13/9720, I. 3. c) ff); Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 331, 392 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 342. 3 EuGH, 05. 10. 1988, Slg. 1988, S. 6211 (6235 f.) „AB Volvo/Erik Veng Ltd“; EuGH, 06. 04. 1995, Slg. 1995 I, S. 743 (744 f., 822 ff.) „RTE und ITP“, zuvor Kommission, 21. 12. 1988, WuW/EV 1447 (1449 f.) „Magill TV-Guide“; EuGH, 26. 11. 1998, Slg. 1998 I, S. 7791 (7830 ff.) „Oscar Bronner“; EuGH, 24. 10. 2002, WuW/EU-R 597 (598 ff.) „Aeroports de Paris“; EuG, 10. 08. 2001, WuW/EU-R 511 (513 ff.) „IMS Health“; EuGH, 29. 04. 2004, WuW/ EU-R 804 (806 ff.) „IMS Health/NDC Health“. 4 Kommission, 26. 02. 1992, ABl. EG 1992, Nr. L 96, S. 34 (40) „British Midland/Aer Lingus“; Kommission, 21. 12. 1993, ABl. EG 1994, Nr. L 15, S. 8 ff. „Sealink II“; Kommission, 21. 12. 1993, ABl. EG 1994 Nr. L 55, S. 52 „Hafen von Rödby“; Kommission, 14. 01. 1998, WuW/EU-V 38 (41 ff.) „Flughafen Frankfurt/Main AG“; Kommission, 11. 06. 1998, WuW/ EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; Kommission, 20. 10. 2004, WuW EU-V 1035 (1036 ff.) „Postgesetz“. 5 Zu den Bezügen zum US-amerikanischen Recht, vgl. Schlussantrag des Generalanwalts F. G. Jacobs in der Sache „Oscar Bronner“, EuGH, Slg. 1998 I, S. 7791 (7807 f.). 6 Siehe S. 526. 7 Vgl. Nachweise in Fn. 3 und 4; zum deutschen Recht: BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (253 ff.) „Puttgarden“ und nachfolgend: OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 „Fährhafen Puttgarden“; BKartA, 27. 01. 2010, WuW/DE-V 1879 (1887 ff.) „Scandlines“ und nachfolgend: OLG Düsseldorf, 10. 06. 2010, WuW/DE-R 2941 (2943 ff.) „Fährhafen Puttgarden II“; BGH, 11. 12. 2012, WuW/DE-R 3821 (3827 f.) „Fährhafen Puttgarden II“; OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2825 f.) „Brandenburg-Lotto“; OLG Koblenz, 13. 12. 2012, WuW/DE-R 3727 (3741 ff.) „Nürburgring-Nordschleife“.
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gewerbliche Schutzrechte oder Informationen als wesentliche Einrichtungen eingeordnet werden,8 während § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB nur körperliche Einrichtungen betrifft.9 Im deutschen Recht muss insoweit auf die Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB zurückgegriffen werden.10
II. Tatbestand 1. Verhältnis zur sektorspezifischen Regulierung Im Bereich der Netzindustrien finden im deutschen Recht vielfach die sektorspezifischen Zugangsregeln der §§ 21 ff. TKG,11 § 28 PostG,12 § 14 AEG,13 §§ 20 ff. EnWG14 Anwendung. Die Regulierung des Zugangs zu Telekommunikations-, Strom- und Gasnetzen, sowie Infrastruktureinrichtungen der Post und der Eisenbahn ist speziellen Regulierungsbehörden15 zugewiesen. Demgegenüber tritt die Zuständigkeit der allgemeinen Kartellbehörden zurück. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB findet neben den in den Spezialgesetzen enthaltenen Sonderregeln regelmäßig keine Anwendung.16 Im Folgenden wird nur auf den Verbotstatbestand des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB und die sich insoweit ergebenden Überschneidungen mit Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV eingegangen. Fragen der sektorspezifischen Regulierung sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
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Vgl. Nachweise in Fn. 3; des Weiteren LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/DE-R 2120 (2122) „MPEG 2-Standard“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2614 f.) „Orange Book Standard“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 328, 329, 332; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1065 f.); Paal, GRUR 2013, S. 873 (873 f.). 9 BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, Ziffer II. zu § 19 Abs. 4; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 342 ff.; Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1064); Paal, GRUR 2013, S. 873 (873 f.). 10 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 362 ff.; LG Düsseldorf, 30. 11. 2006, WuW/ DE-R 2120 (2122) „MPEG 2-Standard“. 11 Weiterführend Ludwigs, WuW 2008, S. 534 (537 ff.). 12 Weiterführend Gerstner, WuW 2002, S. 131 (135); Ludwigs, WuW 2008, S. 534 (542 ff.). 13 Weiterführend Gerstner, WuW 2002, S. 131 (135 f.); Bartosch/Jaros, WuW 2005, S. 15 (16 ff.); Ludwigs, WuW 2008, S. 534 (545 ff.). 14 Weiterführend Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 35 f., 196 ff. mit Nachweisen zu den Gesetzgebungsmaterialien; Lotze/Thomale, WuW 2008, S. 257 (257 ff.); Ludwigs, WuW 2008, S. 534 (535 ff.). 15 Insbesondere der Bundesnetzagentur, zu Gründung, Aufgaben und Organisation, vgl. Neveling, ZNER 2005, S. 263 (263 ff.); Ludwigs, WuW 2008, S. 534 (535 ff.); vgl. allgemein zum Verhältnis von Kartellbehörden und Sonderaufsichtsbehörden Möschel, WuW 2002, S. 683 (684 ff.). 16 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 384 ff.
J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen
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2. Marktbeherrschung und Infrastruktureinrichtung § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB findet ebenso wie die Rechtsfigur der „essential facility doctrine“ im europäischen Recht nur auf vertikal integrierte Unternehmen Anwendung, die zugleich auf dem vor- oder nachgelagerten Markt tätig sind.17 Es geht explizit darum zu verhindern, dass eine Infrastruktureinrichtung als Marktzutrittsschranke zur Sicherung eines Monopols missbraucht wird. Ist der Eigentümer nicht selbst auf dem vor- oder nachgelagerten Markt tätig, dann handelt es um einen Fall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung.18 Die Tatbestandsvoraussetzung des Innehabens einer marktbeherrschenden Stellung bezieht sich auf den (Zugangs-)Markt der Infrastruktureinrichtung, nicht aber auf den abgeleiteten voroder nachgelagerten Markt.19 Weil die durch Rechtsanspruch gewährleistete Mitbenutzung wesentlicher Einrichtungen eine vergleichsweise junge Erscheinung ist, ist eine Vielzahl der damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen nicht abschließend geklärt. Aufgabe dieser Arbeit ist es nicht, diese Rechtsfragen aufzuarbeiten.20 Es werden nur die Problemfelder angerissen, die für das Verständnis der zivilrechtlichen Rechtsfolgengestaltung von Bedeutung sind.
III. Schutzzweck Der Zugang zur Infrastruktureinrichtung soll dem Interessenten überhaupt erst ermöglichen, auf dem abgeleiteten Markt als Wettbewerber auftreten zu können. Ziel ist also nicht die Schaffung von Wettbewerb auf dem Markt der Einrichtung, sondern auf dem vor- oder nachgelagerten Markt.21 Es stellt sich die Aufgabe, die Eigen17
Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 332; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 334; Lettl, WuW 2011, S. 579 (579, 588 f.). 18 BGH, 19. 03. 1996, WuW/E BGH 3058 (3059) „Pay TV Durchleitung“; Heise, WuW 2009, S. 1024 (1027 f.); zur Geschäftsverweigerung siehe S. 383 ff. 19 BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1523 f.) „Arealnetz“; OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2827) „Brandenburg-Lotto“. Die Frage ist allerdings streitig, vgl. zur Gegenansicht Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 315 m. w. N.; Lutz, in: FS Baur, S. 507 (513 f.); dazu, dass die Marktbeherrschung alternativ auf dem Markt der Mitbenutzung der Einrichtung oder auf dem vor- oder nachgelagerten Markt bestehen könne, vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 335; Lettl, WuW 2011, S. 579 (580 ff.); zum Europarecht vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 332, 392. 20 Weiterführend Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, zu Art. 102 AEUV Rn. 333 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 310 ff.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 333 ff.; Hohmann, S. 166 ff.; Lettl, WuW 2011, S. 579 (580 ff.). 21 Kommission, 14. 01. 1998, WuW/EU-V 38 (41 f.) „Flughafen Frankfurt/Main AG“; Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; BKartA, 21. 12. 1999, WuW DE-V 253 (255 f.) „Puttgarden“; BKartA, 27. 01. 2010, WuW/DE-V 1879 (1882) „Scandlines“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1526 f.) „Arealnetz“, zuvor OLG Düsseldorf, 23. 06. 2004, WuW/DE-R 1307 (1310) „GETEC net“ und BKartA, 08. 10. 2003, WuW/ DE-V 811 (813 ff.) „GETEC net“; OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2827)
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
tumsfreiheit des Marktbeherrschers mit der Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit des den Zugang beanspruchenden Unternehmens in Einklang zu bringen.22 Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Freiheit des Wettbewerbs mit der Eigentumsfreiheit gleich gewichtet wird.23 Eine durch den Wettbewerb eintretende Reduzierung der Erwerbschancen des Infrastrukturinhabers steht im Einklang mit dem Normzweck, weil es sich insoweit um eine zwangsläufige Folge von Wettbewerb handelt.24 Es obliegt dem Marktbeherrscher, sich durch eigene bessere Leistung auf dem abgeleiteten Markt durchzusetzen. Der Eingriff in das Eigentum wird durch die Zahlung eines angemessenen Entgelts ausgeglichen.25 Vor diesem Hintergrund ist die Gewährung des Zugangs die Regel, die berechtigte Verweigerung die Ausnahme.26 Bei Anwendung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB, nicht aber bei Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV,27 trägt der Infrastruktureigentümer die Beweislast dafür, dass eine sachliche Rechtfertigung für die Zugangsverweigerung besteht.28 Es geht allerdings nicht nur darum, den Zugang als solchen zu ermöglichen, sondern einen Zugang zu diskriminierungsfreien und angemessenen Bedingungen. Anderenfalls ist ein
„Brandenburg-Lotto“; OLG Koblenz, 13. 12. 2012, WuW/DE-R 3727 (3744 f.) „NürburgringNordschleife“; Heise, WuW 2009, S. 1024 (1027 f.); Lettl, WuW 2011, S. 579 (588 f.). 22 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 333; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 306 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 334; Hohmann, S. 273 ff. 23 Das bedeutet insbesondere, dass das eigene Netznutzungsinteresse des Infrastrukturinhabers keinen Vorrang vor dem Zugangsinteresse der Wettbewerber hat, z. B.: Kommission, 14. 01. 1998, WuW/EU-V 38 (42 ff.) „Flughafen Frankfurt/Main AG“; Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; OLG München, 18. 10. 2001, WuW/ DE-R 790 (794 ff.) „Bad Tölz“; OLG Düsseldorf, 23. 06. 2004, WuW/DE-R 1307 (1311 ff.) „GETECnet“, zuvor BKartA, 08. 10. 2003, WuW/DE-V 811 (813 ff.) „GETEC net“; BkartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (152 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“. 24 BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1525 ff.) „Arealnetz“; OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2828) „Brandenburg-Lotto“. 25 Will dagegen der Wettbewerber ein angemessenes Entgelt nicht zahlen, so hat er auch keinen Anspruch auf Netzzugang: OLG München, 22. 04. 2004, WuW/DE-R 1270 (1273) „GSM-Wandler“; KG, 15. 01. 2004, WuW/DE-R 1274 (1278 f.) „GSM-Gateway“. 26 Zum Bsp.: BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (151 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; LG Berlin, 27. 06. 2000, WuW/DE-R 533 (535 ff.) „Fortum“; LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (543 f.) „Euro Power“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (567 f.) „Gashandel“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (851 ff.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (907 f.) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1523 ff.) „Arealnetz“, zuvor OLG Düsseldorf, 23. 06. 2004, WuW/DE-R 1307 (1310) „GETEC net“ und BKartA, 08. 10. 2003, WuW/DE-V 811 (813 ff.) „GETEC net“. 27 Siehe auch S. 41 f. 28 BGH, 11. 12. 2012, WuW/DE-R 3821 (3828) „Fährhafen Puttgarden II“, zuvor OLG Düsseldorf, 07. 12. 2011, WuW/DE-R 3465 (3473) „Fährhafen Puttgarden“, zuvor BKartA, 27. 01. 2010, WuW/DE-V 1879 (1887 ff.) „Scandlines“; OLG Düsseldorf, 10. 06. 2010, WuW/ DE-R 2941 (2944) „Fährhafen Puttgarden II“.
J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen
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funktionsfähiger und chancengleicher Wettbewerb nicht denkbar.29 Rechtsstreitigkeiten betreffen das Vorliegen von betriebsbedingten Verweigerungsgründen, insbesondere die häufig behauptete mangelnde Kapazität wegen eigener Netznutzung30 und die behauptete Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen.31 Dabei ist der Rechtsbegriff der betriebsbedingten Verweigerungsgründe eng auszulegen. Große Probleme bereitet die Bestimmung des angemessenen Entgelts.32 Dieser Punkt kann ein echtes Hindernis darstellen, weil ein Streit darüber eine faktisch legale Zugangssperre bedeuten kann und zuverlässige Kriterien zur Ermittlung angemessener Entgelte häufig fehlen. In der Diskussion über die Zielsetzung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB33 wird die Frage aufgeworfen, ob primär die Wettbewerbsstrukturen auf abgeleiteten Märkten34 oder einzelne aktuelle
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BegrRegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, Ziffer I. 3. c) ff) und Ziffer II. Zu § 19 Absatz 4, vgl. dazu auch die Stellungnahme des Bundesrates 13/9720, 4. Zu Artikel 1 (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB); des Weiteren Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (152 ff., 156) „Berliner Stromdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (852 ff.) „Linzer Gaslieferant“; OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1186 ff.) „InfraCard Tarif“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1526 f.) „Arealnetz“; Hohmann, S. 112 f., S. 262 ff.; Bartosch/Jaros, WuW 2005, S. 15 (23 ff.); Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028); zum Diskriminierungsverbot siehe S. 432. 30 Zum Bsp.: Kommission, 14. 01. 1998, WuW/EU-V 38 (42 ff.) „Flughafen Frankfurt/ Main AG“; BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (151 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1523 ff.) „Arealnetz“, zuvor OLG Düsseldorf, 23. 06. 2004, WuW/DE-R 1307 (1308 ff.) „Getec net“ und BKartA, 08. 10. 2003, WuW/DE-V 811 (813 ff.) „GETEC net“; OLG Düsseldorf, 07. 12. 2011, WuW/DE-R 3465 (3470 ff.) „Fährhafen Puttgarden“. 31 Zum Bsp.: BGH, 11. 12. 2012, WuW/DE-R 3821 (3824 ff.) „Fährhafen Puttgarden II“, zuvor OLG Düsseldorf, 07. 12. 2011, WuW/DE-R 3465 „Fährhafen Puttgarden“, zuvor OLG Düsseldorf, 10. 06. 2010, WuW/DE-R 2941 (2943 ff.) „Fährhafen Puttgarden II“ und BKartA, 27. 01. 2010, WuW/DE-V 1879 (1887 ff.) „Scandlines“; OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2827 f.) „Brandenburg-Lotto“; OLG Koblenz, 13. 12. 2012, WuW/DE-R 3727 (3744 f.) „Nürburgring-Nordschleife“. 32 Zum Bsp.: Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (573, 577 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (979 ff.) Fährhafen Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 16. 01. 2002, WuW/DE-R 894 (895 ff.) „Netzzugangstarife“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (908) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1440 ff.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1516 ff.) „Stadtwerke Mainz“; BayLKartB, 10. 11. 2000, WuW/DE-V 347 (348) „Bad Tölz“ und OLG München, 18. 10. 2001, WuW/DE-R 790 (793 ff.) „Bad Tölz“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1618 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; OLG Düsseldorf, 18. 10. 2006, WuW/DE-R 1920 (1921 f.) „Flughafen Köln/Bonn“; BKartA, 13. 02. 2003, WuW/DE-V 750 (757) „RWE net“. 33 Die nachfolgenden Erwägungen gelten ebenso für die Frage nach der Zielsetzung der „essential facility doctrine“ im Rahmen von Art. 102 AEUV. 34 Hohmann, S. 130 ff.; Mailänder, in: FS Schmidt, S. 271 (272).
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
oder potentielle Wettbewerber35 geschützt werden sollen. Es konnte indes bereits gezeigt werden, dass es keinen Gegensatz zwischen der Freiheit der Marktteilnehmer und dem Wettbewerb als Institution gibt.36 Soweit aus der Tatsache, dass § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB eine Marktstrukturkontrolle beinhaltet, der Schluss gezogen wird, der institutionelle Schutz des Wettbewerbs müsse im Vordergrund stehen,37 wird übersehen, dass das strukturelle Element sich in der Öffnung des Marktes erschöpft. Die Marktstrukturkontrolle findet nur auf dem Markt der Einrichtung statt. Die Mitbenutzung ist nur Zwischenziel. Sinn und Zweck der Norm ist die Initiierung freien Wettbewerbs auf dem abgeleiteten Markt. Dementsprechend kann es auf dem voroder nachgelagerten Markt nur eine Verhaltens-, aber keine Strukturkontrolle geben. Der Zugang für Wettbewerber dient der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten als Basis eines freien Leistungswettbewerbs. Deshalb ist jedem Interessenten Zugang zu gewähren, es sei denn technische oder rechtliche Gründe sprechen dagegen. Eine Marktstrukturkontrolle müsste prüfen, wie sich der Zugang einzelner auf die Wettbewerbsentwicklung auswirkt. Sie könnte unter Verweis auf bereits bestehenden funktionsfähigen Wettbewerb weitere Teilnehmer als für eine gesunde Wettbewerbsstruktur nicht erforderlich ausschließen. Ein solches Argument rechtfertigt eine Verweigerung weder nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, noch nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB. Diese Auffassung hätte zur Folge, dass Marktzutrittsschranken zugunsten der bereits etablierten Nutzer errichtet würden. Das widerspräche dem Sinn der Vorschriften, der gerade darin besteht, abgeleitete Märkte umfassend zu öffnen. Zudem ist der einzelne Marktteilnehmer individuell gegen Diskriminierungen zu schützen.38 Durch den Schutz der Interessen des einzelnen Zugangsinteressenten wird der Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt mitgeschützt. Der Schutz der Institution Wettbewerb und der Schutz des individuellen Anspruchs auf Zugang zu und Betätigung auf dem abgeleiteten Markt sind gleichrangig.39 Soweit möglich ist jedem Interessenten Zugang zu gewähren. Übersteigt aber die Nachfrage nach Zugang das Angebot, muss der Marktbeherrscher eine sachgerechte Auswahl treffen.40 Dabei kommen grundsätzlich der Ausschluss einzelner Interessenten oder eine Repartierung in Betracht.41 Ein Verstoß gegen das Verbot diskriminierender Geschäftsverweigerung führt in Verbindung mit dem 35 Betonung der Individualinteressen der Wettbewerber bei Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 331 f.; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 347. 36 Siehe S. 62 ff. 37 Hohmann, S. 134 f. 38 Zum Bsp.: BayLKartB, 10. 11. 2000, WuW/DE-V 347 (349 ff.) „Bad Tölz“ und OLG München, 18. 10. 2001, WuW/DE-R 790 (793 ff.) „Bad Tölz“; OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1185 ff.) „InfraCard-Tarif“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2807 ff.) „Trassennutzungsänderung“. 39 Siehe S. 62 ff. 40 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (152 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“. 41 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (152 f., 156 f.) „Berliner Stromdurchleitung“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 335; Nothdurft, in: Langen/ Bunte, § 19 GWB Rn. 356; zum Diskriminierungsverbot siehe S. 458 ff.
J. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen
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Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB dazu, dass der Marktbeherrscher einem Kontrahierungszwang unterliegt.42 Das Diskriminierungsverbot kann auch dann zur Begründung von Rechtsschutz herangezogen werden, wenn der Marktbeherrscher ohne sachlichen Grund von einem Zugangsinteressenten höhere Preise fordert, als er sie von vergleichbaren anderen Unternehmen verlangt oder wenn er ihn in Bezug auf sonstige Vertragsbedingungen schlechter behandelt. Im Übrigen finden auch Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB Anwendung.43 Vor diesem Hintergrund sind die verwaltungs- und zivilrechtlichen Rechtsfolgen so zu gestalten, dass die effektive Durchsetzung von Mitbenutzungsansprüchen gefördert wird.
IV. Sanktion nach § 134 BGB 1. Verbot und Rechtsgeschäft Der Wortlaut von § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB legt nahe, dass lediglich die sachlich nicht gerechtfertigte Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen als missbräuchlich angesehen wird. In der Tat ist die Norm eine spezialgesetzliche Kodifizierung des allgemeinen Verbots der sachlich nicht gerechtfertigten bzw. unbilligen Geschäftsverweigerung nach § 19 Abs. 1 und 2 Nr. 1 GWB.44 Im Rahmen von Art. 102 AEUV wird die Zugangsverweigerung als Unterfall der Geschäftsverweigerung nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV behandelt.45 Die bloße Zurückweisung des Zugangsbegehrens stellt sich als tatsächliche Handlung bzw. Unterlassung dar, so dass es insoweit an einem Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 134 BGB fehlt. Darüber hinaus werden aber weitere missbräuchliche Verhaltensweisen erfasst. Zunächst kann neben der Weigerung erstmalig Zugang zu gewähren, auch der Abbruch einer Geschäftsbeziehung missbräuchlich sein.46 Des Weiteren kann sich die Forderung überhöhter Entgelte als faktische Marktzutrittssperre auswirken. Deshalb ist sowohl nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV als auch nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB Zugang gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts zu gewähren. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass es dem marktbeherrschenden Unternehmen verboten ist, unangemessene Entgelte zu fordern.47 Darüber hinaus darf das marktbeherrschende Unternehmen gem. Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB Zugangsinteressenten nicht 42
Siehe S. 540 ff. Kommission, 11. 06. 1998, WuW/EU-V 137 (138 ff.) „Flughafen-Catering“; KG, 26. 06. 2003, WuW/DE-R 1321 (1324) „Gera-Rostock“. 44 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 159. 45 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 331. 46 Insoweit zur Geschäftsverweigerung, siehe S. 392 ff. 47 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 333, 338; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 352, 354; Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028). 43
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
diskriminieren, indem es etwa von Dritten höhere Netznutzungsentgelte verlangt als von konzernangehörigen Unternehmen.48 2. Der Abbruch der Geschäftsbeziehung Der Begriff der Zugangsverweigerung schließt den Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen ein. Der Normzweck sowohl von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV als auch von § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB erfordert eine derartige Auslegung, weil anders der Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt nicht dauerhaft gesichert werden kann. Gäbe es Rechtsschutz nur gegen die Geschäftsaufnahme, wäre der Inhaber der Infrastruktureinrichtung im Nachhinein frei, den zunächst initiierten Wettbewerb jederzeit wieder zu beenden. Die Zugangsinteressenten hätten keine Rechtssicherheit und müssten befürchten, ihre gewonnenen Betätigungsmöglichkeiten wieder zu verlieren. Tritt die Beendigung aufgrund einer zulässigen Befristung ein, dann ist der Zugangsinteressent auf die Beseitigungs-, gegebenenfalls auch Unterlassungsklage gemäß Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB angewiesen, die zu einem Kontrahierungszwang führen kann.49 Anderenfalls erfolgt die Beendigung eines zugangsbegründenden Vertrages,50 unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung im Einzelfall durch Rechtsgeschäft. Insoweit kommt, weil es sich um Dauerschuldverhältnisse handelt, regelmäßig nur eine Kündigung in Betracht.51 Führt die Kündigung zu einer rechtswidrigen Beendigung des Zugangs, dann verstößt sie gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Verweigerung des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen. Sie ist daher, dem Normzweck des Verbots nach § 134 BGB entsprechend, nichtig. Denn die Nichtigkeit der Kündigung hat zur Folge, dass der Vertrag zur Regelung des Zugangs zur wesentlichen Einrichtung fortbesteht. Der Zugangsinteressent hat weiterhin einen vertraglichen Anspruch auf Zugang. Damit wird das Ziel des Verbotes erreicht. Diese Rechtslage unterscheidet sich von anderen Fällen der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung, in denen eine Vertragsbeziehung durch Kündigung beendet werden soll. Während in jenen Fällen auch die Vertragsfreiheit des Marktbeherrschers erhebliches Gewicht hat und deshalb eine Kündigung regelmäßig zulässig, allenfalls die Dauer der Kündigungsfrist umstritten ist,52 führt in den Fällen der 48 Kommission, 21. 12. 1993, ABl. EG 1994, Nr. L 15, S. 8 „Sealink II. Dies betrifft auch Fälle, in denen ein Anbieter seinen Nachfragern die Wahl zwischen verschiedenen, zum Teil erhebliche Rabattgewährungen einschließenden Vergütungssystemen (Tarifen) einräumt, faktisch aber nur ein verbundenes Unternehmen aufgrund seines Größenvorteils den günstigsten Tarif in Anspruch nehmen kann, vgl. dazu LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“. 49 Siehe S. 540 ff.; zur Geschäftsverweigerung siehe S. 406 ff. 50 Die Gewährung des Zugangs kann nur durch Vertrag erfolgen, siehe S. 540 ff. 51 OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2825) „Brandenburg-Lotto“; OLG Koblenz, 13. 12. 2012, WuW/DE-R 3727 (3744 f.) „Nürburgring-Nordschleife“. 52 Siehe S. 392 ff.
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Zugangsverweigerung zu einer Infrastruktureinrichtung die Kontrolle über eben diese Einrichtung dazu, dass der Marktbeherrscher einem Kontrahierungszwang unterworfen ist.53 Deshalb ist an dieser Stelle die Nichtigkeit der Kündigung und nicht die geltungserhaltende Extension der Kündigungsfrist die angemessene Rechtsfolge.54 Das bedeutet im Ergebnis, dass eine gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Zugangsverweigerung zu einer wesentlichen Einrichtung verstoßende Kündigung nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig ist. Das gleiche gilt für andere Arten der rechtsgeschäftlichen Vertragsbeendigung, soweit sie missbräuchlich sind. 3. Die Forderung unangemessener Entgelte a) Missbräuchliches Verhalten Nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB muss das marktbeherrschende Unternehmen den Zugang gegen ein angemessenes Entgelt gewähren. Das gilt ebenso im Rahmen von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV. Freier Wettbewerb auf den abgeleiteten Märkten entsteht nicht schon dann, wenn mehrere Unternehmen die Infrastruktureinrichtung mitbenutzen dürfen. Es ist ebenso notwendig den Zugangsinteressenten Bedingungen zu bieten, welche diesen eine realistische Chance gibt, in Konkurrenz zum marktbeherrschenden Unternehmen auf dem vor- oder nachgelagerten Markt wettbewerbsfähig zu sein.55 Die durch die Zahlung eines Entgelts entstehenden Kosten muss das mitbenutzende Unternehmen auf die Preise umlegen, die es auf dem abgeleiteten Markt von der Marktgegenseite fordert. Der Eigentümer der wesentlichen Einrichtung ist nicht gezwungen, die Zugangshilfe zu lediglich kostendeckenden Preisen zu gewähren. Eine angemessene Verzinsung investierten Kapitals steht mit dem Normzweck von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB in Einklang.56 Bei dieser Ausgangslage ist die Kostenstruktur des Zugangsinteressenten von vornherein ungünstiger, wobei allerdings nicht vergessen werden darf, dass der Eigentümer seinerseits das Risiko ständiger Vorhaltung und Benutzbarkeit der Einrichtung trägt. Die Kosten für die Mitbenutzung der wesentlichen Einrichtung wirken also wettbewerbsdämpfend. Das marktbeherrschende Unternehmen kann das ausnutzen, indem es den Preis für die Gewährung der Zugangshilfe so hoch setzt, dass es dem Zugangsinteressenten und Wettbewerber unmöglich wird, im Preiswettbewerb auf dem vor- oder nachgelagerten Markt zu bestehen. Ein derartiges Verhalten ist im Grunde nur eine etwas geschicktere Ver-
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Siehe S. 540 ff. Vgl. auch OLG Brandenburg, 31. 03. 2009, WuW/DE-R 2824 (2825 ff.) „BrandenburgLotto“. 55 Siehe S. 546 ff. 56 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 338; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 352. 54
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weigerung des Zuganges zur Einrichtung.57 Entweder verzichtet der Interessent „freiwillig“ auf den Zugang, weil er erkennt, dass die Zugangskosten im Wettbewerb nicht umlagefähig sind oder er wird nach gewisser Zeit zum Ausscheiden aus dem Markt gezwungen. In der Folge wird der vor- oder nachgelagerte Markt wieder monopolisiert. Das Zugangsentgelt muss daher so bemessen sein, dass die Wettbewerber des Marktbeherrschers eine reale Chance haben, im Preiswettbewerb nicht nur bestehen, sondern gemäß den Grundsätzen dynamischen Wettbewerbs auch Marktanteile hinzu gewinnen zu können. Die Umsetzung dieses auf hoher Abstraktionsebene angesiedelten Grundsatzes zu einem im Einzelfall angemessen Preis stellt eines der größten Probleme beim Zugang zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen dar.58 Eine Diskussion dieser Fragen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen. Zum Zweck der Untersuchung der zivilrechtlichen Rechtsfolgen genügt es, ohne dass es auf die Entgeltberechnung im Einzelnen ankäme, die Rechtswidrigkeit einer bestimmten Entgeltforderung zu unterstellen. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass sich das marktbeherrschende Unternehmen dadurch missbräuchlich verhält, dass es ein unangemessen hohes Entgelt verlangt. b) Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen das Verbot der Zugangsverweigerung Die schlichte Ablehnung eines von einem Zugangsinteressenten geäußerten Nutzungsbegehrens ist als tatsächliche Handlung nur deliktsrechtlich, nicht aber im Rahmen von § 134 BGB relevant. Ein Rechtsgeschäft liegt aber dann vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen ein Vertragsangebot zur Regelung der Nutzung einer Infrastruktureinrichtung unterbreitet. Auch wenn der Marktbeherrscher auf ein Angebot eines Zugangsinteressenten zum Abschluss eines Nutzungsvertrages mit einem Gegenangebot i. S. v. § 150 Abs. 2 BGB reagiert, nimmt er insoweit ein Rechtsgeschäft vor. Enthalten derartige Angebote des Marktbeherrschers rechtswidrig überhöhte Nutzungsentgelte, dann liegt darin, dass der Marktbeherrscher sie unterbreitet, zugleich die Weigerung zu angemessenen Bedingungen zu kontrahieren. Ein solches Verhalten steht einerseits als unerlaubte Handlung einer völligen Zugangsverweigerung gleich.59 Und andererseits sind solche Angebote des Marktbeherrschers als Rechtsgeschäfte i. S. v. Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Ist nun auf Grundlage eines solchen Angebotes ein Zugangs- oder Nutzungsvertrag geschlossen worden, so verstößt auch dieser gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Zugangsverweigerung zu Infrastruktureinrichtungen.60 Der Vertragsinhalt ist, soweit es das überhöhte Entgelt 57
Siehe S. 527 ff. Siehe S. 527 ff. 59 Siehe S. 527 ff. und S. 545 ff.; zum Parallelproblem im Rahmen der sachlich nicht gerechtfertigten Lieferverweigerung, siehe S. 387 f. 60 Zum Fall eines Verstoßes gegen das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot wegen diskriminierender Rabattgestaltung bei der Festsetzung von Netznutzungsentgelten: OLG 58
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betrifft, rechtswidrig. Deshalb ist es mit dem Gesetzeszweck des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB nicht vereinbar, dem Marktbeherrscher einen vertraglichen Anspruch auf ein rechtswidrig überhöhtes Entgelt einzuräumen. Das Verbot erstreckt sich nur auf den rechtswidrigen Teil des Rechtsgeschäfts.61 Das ist die Entgeltforderung. Da es sich dabei aber um die synallagmatische Gegenleistung für die Ermöglichung der Mitbenutzung handelt,62 kommt eine auf diese Forderung begrenzte Teilnichtigkeit nicht in Betracht.63 Die Nichtigkeit der Entgeltforderung hätte die Nichtigkeit des Gesamtvertrages zur Folge. c) Geltungserhaltende Reduktion zur Verwirklichung des Normzwecks Zu prüfen ist, ob die Regelnichtigkeit nach § 134 2. Halbsatz BGB mit dem Normzweck des Verbots der Zugangsverweigerung vereinbar ist. Im Falle der Nichtigkeit des Vertrages verlöre der Zugangsinteressent den vertraglichen Anspruch auf Zugang zur Infrastruktureinrichtung. Er müsste dann mit Hilfe eines Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruches den Abschluss eines Vertrages zu angemessenen Bedingungen durchsetzen. Ein solcher Vertrag ist im Wege eines Anspruchs auf verhandelten Netz- bzw. Infrastrukturzugang zu erreichen.64 Dieses Verfahren wäre angesichts dessen, dass der Marktbeherrscher dem Interessenten bereits Zugang gewährt hat, außerordentlich umständlich. Eher vertretbar ist es, lediglich von einer Nichtigkeit der vertraglichen Vergütungsabrede auszugehen und den Vertrag im Übrigen fortbestehen zu lassen.65 Dann allerdings ist es dogmatisch unzulässig, den Vergütungsanspruch durch einen Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zu ersetzen.66 Richtigerweise muss dann entDüsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1185, 1188) „InfraCard-Tarif“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; zum Fall der Untersagung der Forderung von Wechselgebühren: BayLKartB, 10. 11. 2000, WuW/DE-V 347 (348 ff.) „Bad Tölz“, nachfolgend OLG München, 18. 10. 2001, WuW/DE-R 790 (793 ff.) „Bad Tölz“. 61 OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1185, 1188) „InfraCard-Tarif“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; vgl. auch LG Köln, 31. 08. 2005, WuW/DE-R 1634 (1635) „DARED“ und OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/ DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“, sowie OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/DE-R 2299 (2300) „ANDI“ zu einer gegen § 12 TKG a. F. verstoßenden Entgeltabrede; siehe auch S. 107 f. 62 Regelmäßig wird entweder ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag mit Werk- oder Dienstleistungscharakter oder ein Mietvertrag vorliegen, so dass es sich bei dem Entgelt um Werk- oder Dienstvergütung bzw. um Mietzins handelt. 63 Siehe S. 107 ff. 64 Siehe S. 540 ff. 65 So offenbar OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1184 f., 1188) „InfraCard Tarif“; des Weiteren LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“. 66 So offenbar OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1188) „InfraCard-Tarif“ und LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; zur Problematik halbseitiger Teilnichtigkeit siehe S. 118.
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weder § 155 BGB zur Anwendung kommen, falls die Parteien den Vertrag auch ohne Vergütungsregelung getroffen hätten. Die entstehende Lücke ist dann durch ergänzende Vertragsauslegung bzw. dispositives Gesetzesrecht67 mit der Folge zu schließen, dass das angemessene Entgelt als Vergütung festzusetzen ist. Oder aber es ist, wie eingangs erwähnt, der Vertrag als insgesamt nichtig anzusehen, wenn die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit den Vertrag nicht geschlossen hätten. Beide Vorgehensweisen werden letztlich dem Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV bzw. des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB nicht gerecht. Es besteht hier eine Parallele zum, vom Regelungszweck68 her verschiedenen, aber bezüglich der Forderung eines überhöhten Entgelts gleich gelagerten Fall des Ausbeutungsmissbrauchs. Dort wurde festgestellt, dass unangemessene Entgelte im Interesse der betroffenen Vertragspartner auf ein zulässiges Maß zu reduzieren sind.69 Das Verbot der Zugangsverweigerung will dem betroffenen Zugangsinteressenten einen möglichst unkomplizierten und schnellen Zugang zum abgeleiteten Markt zu angemessenen Bedingungen verschaffen.70 Der Marktbeherrscher verlangt das überhöhte Entgelt, um eine Marktzutrittsschranke zu errichten, die den Newcomer entweder abschreckt oder doch zumindest seine Wettbewerbschancen merklich beeinträchtigt. Ihm soll es unmöglich gemacht werden, sich als ernsthafter Konkurrent auf dem abgeleiteten Markt zu etablieren. Die Verpflichtung des Wettbewerbers dauerhaft ein überhöhtes Netznutzungsentgelt zu zahlen, bedeutet im Grunde den Boden für sein späteres Ausscheiden zu bereiten.71 Vor diesem Hintergrund wäre die Nichtigkeit eines den Zugang regelnden Vertrages kontraproduktiv. Der Verlust des vertraglichen Zugangsanspruchs würde ausschließlich dem Marktbeherrscher nutzen. Es bestünde dann die Gefahr, dass er die Verhandlungen über einen neuen Vertrag verzögert und damit faktisch eine vollständige Zugangssperre errichtet. Der Marktbeherrscher würde also gewissermaßen für sein rechtswidriges Verhalten noch belohnt. Der Schutz des Nutzungsinteressenten lässt sich einfacher und wirkungsvoller durch eine geltungserhaltende Reduktion auf Basis des § 134 2. Halbsatz BGB erreichen.72 Ihm bleibt der vertraglich erworbene Anspruch auf Zugang und Nutzung der Infrastruktureinrichtung erhalten. Geboten ist lediglich eine Anpassung des Entgelts an das, wie es in § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB heißt, aber auch bei Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV gilt, „angemessene“ Maß. Der Nutzungsvertrag kommt von vornherein mit einem rechtmäßigen, die Wettbewerbschancen des Konkurrenten wahrenden Entgelt zustande. Dieses Ergebnis überzeugt auch im Hinblick auf eine eventuelle Vertragsdurchführung. Dem Vertragspartner des Marktbeherrschers bleiben Gewährleis67 Zum Bsp.: §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB i. V. m. § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB oder Art. 102 AEUV. 68 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 470 f. 69 Siehe S. 473 ff. 70 Siehe S. 527 ff. und S. 540 ff. 71 Siehe S. 527 ff. 72 LG Berlin 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; von Hammerstein, ZNER 2005, S. 9 (14); zur geltungserhaltenden Vertragsanpassung siehe S. 115 ff.
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tungs- und vertragliche Schadensersatzansprüche im Fall von Pflichtverletzungen erhalten. Der Zugangspetent hat den Zugang zur Infrastruktur aufgrund Vertrages erlangt. Seine Entgeltzahlung ist bis zur Höhe der Angemessenheit mit Rechtsgrund geleistet worden. Im Übrigen hat der nutzende Wettbewerber einen Anspruch auf Rückzahlung der darüber hinaus gehenden Beträge gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.73 Somit wird der Zugangsinteressent umfassend geschützt. Dies ist zugleich Voraussetzung für die Entstehung von, im öffentlichen Interesse liegenden wirksamen Leistungswettbewerb. Mit der geltungserhaltenden Reduktion vertraglich vereinbarter, aber überhöhter Entgelte in Nutzungsverträgen wird dem Normzweck des Verbots der Verweigerung des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen vollständig entsprochen. d) Umfang der geltungserhaltenden Reduktion aa) Problemlage Ein weiteres Problem wirft die Frage auf, ob die Höhe des Entgelts gleich der Obergrenze ist, bei der die Angemessenheit gerade noch gewahrt ist oder ob eine weitergehende Absenkung in Betracht kommt. Das höchstzulässige Entgelt stellt nur eine Obergrenze auf bis zu welcher der Inhaber der Infrastruktureinrichtung frei ist, jedes Entgelt zu verlangen.74 Es gibt also nicht nur ein bestimmtes angemessenes Entgelt, sondern einen Spielraum, der nach unten durch die Kosten des Eigentümers und nach oben durch den Wert der Zugangshilfe begrenzt wird. Es ist wiederum der Grundsatz zu beachten, dass die Handlungsfreiheit des Normadressaten nicht weiter eingeschränkt werden darf, als es zur Verwirklichung des Gesetzeszweckes erforderlich ist.75 Dabei besteht die Gefahr, dass durch Aufrechterhaltung des Vertrages zu den höchstzulässigen rechtmäßigen Bedingungen der Normadressat angehalten wird zu versuchen, seine Entgeltforderung möglichst hoch anzusetzen. Für ihn ist es besser, zunächst das angemessene Maß zu überschreiten und dann gebremst zu 73 LG Köln, 31. 08. 2005, WuW/DE-R 1634 (1635) „DARED“ und OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“, sowie OLG Düsseldorf, 16. 01. 2008, WuW/ DE-R 2299 (2300) „ANDI zur Rückforderung überhöhter Entgelte nach Verstoß gegen § 12 TKG; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; BGH, 20. 07. 2010, WuW/DE-R 3023 (3024, 3030) „Stromnetznutzungsentgelt IV“; OLG Frankfurt a.M., 05. 10. 2010, WuW/DE-R 3135 (3141 ff.) „Überhöhte Netznutzungsentgelte“; OLG München, 23. 02. 2012, WuW/DE-R 3608 (3610, 3620) „Trassenentgelte“; BGH, 22. 07. 2014, NZKart 2014, S. 459 (460) „Stromnetznutzungsentgelt VI“. 74 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1440 f.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/ DE-R 1513 (1515) „Stadtwerke Mainz“. 75 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (982 f.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1440 f.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515, 1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; OLG München, 23. 02. 2012, WuW/DE-R 3608 (3616) „Trassenentgelte“; Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028 ff.); siehe auch S. 107 f.
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werden, als vorher zu versuchen, das angemessene Maß zu finden und dabei Gefahr zu laufen, unterhalb der rechtmäßigen Obergrenze zu bleiben.76 Eine Handhabung der Norm, welche die Aufrechterhaltung zu den höchstzulässigen Entgelten ermöglicht, verringert die präventive Wirkung des Verbots. Andererseits wirft die Ermittlung der angemessenen Grenze erhebliche Schwierigkeiten auf.77 Es gibt bisher, insoweit ist die Rechtslage noch schwieriger als bei Ausbeutungsverbot,78 keinen allgemein anerkannten Maßstab zur Berechnung für alle Arten von Netzen oder sonstigen Infrastruktureinrichtungen. Im Einzelfall sind die Grenzen fast immer umstritten. Es gibt aber auch keinen Maßstab dafür, wie weit eine zusätzliche Absenkung gehen müsste, um eine verlässliche präventive Wirkung zu erzielen. Es besteht die Gefahr lediglich eine Bestrafung vorzunehmen, die vom Gesetzeszweck nicht gedeckt ist.79 Die Angemessenheit kann immer nur für eine ganz bestimmte abgrenzbare wesentliche Einrichtung, wie z. B. einen Flug- oder Seehafen bzw. nur für einen bestimmten abgrenzbaren Teil eines Netzes, wie z. B. eine bestimmte Schienentrasse oder eine bestimmte Pipeline ermittelt werden. Hintergrund ist, dass es bei jeder Einrichtung eine individuelle Kostenstruktur gibt, die vor allem durch regionale, bauliche und nutzungsspezifische Unterschiede variiert.80 bb) Das übliche Entgelt Das Abstellen auf das übliche Entgelt kommt nur in Betracht, wenn es in Bezug auf die betreffende Einrichtung bereits andere Nutzer gibt. Der Marktbeherrscher darf die, von diesen Unternehmen verlangten Entgelte gegenüber Newcomern nicht ohne sachlichen Grund überschreiten. Insoweit handelt es sich um eine Fallgestal-
76 Zum Präventionsgedanken beim Behinderungsmissbrauch durch Forderung überhöhter Entgelte, vgl. OLG Düsseldorf, 27. 06. 2007, WuW/DE-R 2109 (2116, 2118) „DARED“; zum Parallelproblem im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsmissbrauch, siehe S. 481 ff. 77 Zum Bsp.: OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1442 ff.) „Stadtwerke Mainz“ und BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1516 ff.) „Stadtwerke Mainz“; Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028 ff.); siehe auch S. 527 ff. 78 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 466 ff. 79 Die Missbrauchsverbote beinhalten kein Unwerturteil im Sinne individueller Vorwerfbarkeit. Sie erlauben daher auch keine präventive Preiskontrolle, sondern nur die Untersagung konkret missbräuchlichen Verhaltens: OLG Düsseldorf, 17. 03. 2004, WuW/DE-R 1439 (1440 f.) „Stadtwerke Mainz“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1513 (1515, 1518 f.) „Stadtwerke Mainz“; siehe S. 50 ff. und S. 61 ff., sowie im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsverbot S. 466 ff. und S. 483 ff. 80 Das wird durch das Verfahren „Puttgarden“ gut illustriert, in dem die Sicherstellung eines Zugangs zu einem Fährhafen die Durchführung von Umbaumaßnahmen durch den Eigentümer erforderlich machte. Die damit verbundenen Kosten konnten nicht ohne Einfluss auf das Mitbenutzungsentgelt bleiben, vgl. BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (983) „Fährhafen Puttgarden“; vgl. auch Koenig/Kühling/Winkler, WuW 2003, S. 228 (229 ff.); Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028 ff.).
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tung des Diskriminierungsverbots.81 Zu beachten ist, dass die Netznutzung durch eigene Betriebe und die Nutzung durch konzernangehörige Unternehmen, denen Kosten aus kalkulatorischen Erwägungen heraus in Rechnung gestellt werden, nicht berücksichtigt werden können. Sonst eröffnete man eine Missbrauchsmöglichkeit dadurch, dass die zu zahlenden Entgelte überhöht werden, weil es sich um einen unternehmens- oder konzerninternen Vorgang handelt und Verluste an einer Stelle an anderer Stelle als Gewinn in gleicher Höhe entstehen.82 Selbst wenn es aber bereits andere unabhängige Nutzer gibt, ist dadurch nicht die Gefahr gebannt, dass die von diesen Unternehmen gezahlten Entgelte überhöht sind. Einzig zulässig ist also die Aussage, dass dann, wenn es bereits andere unabhängige Nutzer gibt, das von einem Newcomer verlangte Entgelt jedenfalls nicht höher sein darf als das, was von diesen Nutzern gezahlt wird. Lediglich dann, wenn dieses Entgelt das höchstzulässige Maß nicht überschreitet, eröffnet sich insoweit eine sichere Alternative. Der Grund dafür liegt aber ausschließlich im Bereich des Diskriminierungsverbotes und hat mit der Berechnung der Höhe im Übrigen nichts zu tun. cc) Anpassung auf das nicht missbräuchliche, angemessene Maß Wollte man eine niedrigere Preisgrenze aus Gründen der Prävention durchsetzen, würden zusätzlich zu den erheblichen Problemen bei der Berechnung des angemessenen Entgelts weitere große Schwierigkeiten verursacht. Dem Erfordernis der Rechtssicherheit kann dabei wohl kaum entsprochen werden. Dazu kommt, dass das Missbrauchsverbot, keinen Strafcharakter hat. Ziel ist es, die Freiheit des Wettbewerbs und die Handlungsfreiheit des Zugangsinteressenten zu schützen. Das wird durch die Absenkung auf das angemessene Maß erreicht. Für eine weitergehende Herabsetzung, die zu einer Begünstigung des Interessenten führen würde, ist kein Raum. Handelt der Normadressat schuldlos, bedarf sein Verhalten keiner gesonderten Sanktionierung. Handelt er schuldhaft, kann der benachteiligte Wettbewerber Schadensersatz verlangen und im Rahmen dessen seine individuellen Nachteile ausgleichen.83 e) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass ein Nutzungsvertrag über eine Infrastruktureinrichtung, soweit er ein nicht angemessenes Entgelt für die Nutzung enthält, gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und § 19 81 OLG Düsseldorf, 19. 03. 2003, WuW/DE-R 1184 (1185) „InfraCard-Tarif“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1670 f.) „Trassenpreissystem“; Büdenbender, ZIP 1999, S. 1469 (1472); Bartosch/Jaros, WuW 2005, S. 15 (23 f.); siehe auch S. 550 ff. 82 Siehe S. 551 ff. 83 Zum Schadenersatz siehe ab S. 560.
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Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB verstößt. Das überhöhte Entgelt ist auf Grundlage von § 134 2. Halbsatz BGB im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion auf das angemessene Maß abzusenken. Im Übrigen bleibt der Vertrag unverändert wirksam.
V. Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz 1. Dogmatische Struktur des Zugangsanspruchs a) Der Streit um die Notwendigkeit einer vertraglichen Zugangsregelung Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB führen i. V. m. dem Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Zugangsverweigerung nach § 33 Abs. 1 GWB zu einem speziellen gesetzlichen Kontrahierungszwang. Der Marktbeherrscher ist verpflichtet, die in der Verweigerung der Mitbenutzung der Infrastruktureinrichtung bestehende Behinderung des Zugangsinteressenten zu beseitigen bzw. zu unterlassen. Spiegelbildlich folgt daraus, dass der Marktbeherrscher die Mitbenutzung gestatten muss. Die Regelung der Einzelheiten kann nur durch einen Nutzungsvertrag erfolgen. Der Beseitigungsanspruch ist im Ergebnis auf Abschluss dieses Vertrages gerichtet.84 Allerdings ist dieser dogmatische Ansatz nicht unumstritten. Teilweise wird angenommen, es bestehe ein direkter Zugangsanspruch auf Grundlage gesetzlicher Anordnung bzw. eines Beseitigungsanspruches.85 Einer vertraglichen Regelung bedürfe es nicht. Der Zwang zum Vertragsschluss sei kontraproduktiv, weil dadurch der Marktbeherrscher Gelegenheit erhalte, Verhandlungen und damit auch den Zugang zu verzögern.86 Ein Vertrag sei auch nicht notwendig, um den Zugang zu realisieren. Der Anspruch auf Duldung der Nutzung der Infrastruktur sei bereits inhaltlich durch das Gesetz ausgeformt. Einzelregelungen über Zugangsbedingungen könnten nachgeholt werden. Für den 84 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (543 f.) „Euro Power“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (567) „Gashandel“; BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (253 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (979 ff.) „Fährhafen Puttgarden“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1521) „Arealnetz“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2615 f.) „Orange Book Standard“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 305, 320, 331; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 346; Hohmann, S. 307 ff.; Mailänder, in: FS Schmidt, S. 271 (280 f.); Büdenbender, ZIP 1999, S. 1469 (1470 ff.); Köhler, BB 2002, S. 584 (587 f.); zum europäischen Recht: Kommission, 27. 08. 2003, WuW/EU-V 960 (969) „GVG/FS“; zur Geschäftsverweigerung siehe S. 406 ff. 85 LG Mainz, 26. 08. 2004, WuW/DE-R 1444 (1446) „Stiftung B“; Boesche, S. 98 ff., 254 ff.; Dreher, DB 1999, S. 833 (838); Theobald/Zenke, WuW 2001, S. 19 (24 ff.). 86 LG Mainz, 26. 08. 2004, WuW/DE-R 1444 (1445) „Stiftung B“; Boesche, S. 257 f.; Theobald/Zenke, WuW 2001, S. 19 (24 ff.).
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Wettbewerb entscheidend sei, dass Wettbewerbern die Mitbenutzung schnell und unkompliziert ermöglicht werde.87 b) Vertrag zur Regelung der Zugangsmodalitäten Dem ist entgegenzuhalten, dass aus dem Gesetz selbst keine genauen Anhaltspunkte für den Inhalt des Zugangsanspruchs im Einzelfall zu entnehmen sind. Während immerhin § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB das Verweigerungsverbot als Beispielstatbestand benennt, sind diese Fälle im Rahmen von Art. 102 AEUV nur nach dessen Satz 2 lit. b) zu lösen. Aber auch § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB bezeichnet als Inhalt einer Zugangsregelung nur das angemessene Entgelt, ohne allerdings Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Konkretisierung vorzugeben. Das ist angesichts einer Vielzahl verschiedener Infrastruktureinrichtungen auch gar nicht einheitlich möglich. Des Weiteren bedarf es über das Nutzungsentgelt hinaus jeweils einer Konkretisierung der Modalitäten im Einzelfall. Insbesondere Art, Umfang, Dauer der Nutzung, Haftungsfragen, technische Details usw. müssen vorab geklärt werden. Diese Aufgabe kann allein ein Vertrag als Regelungsinstrument des Interessenausgleichs zwischen Privaten oder zumindest privat handelnden Rechtssubjekten88 leisten. Die Regelungsbedürftigkeit wird von den Vertretern eines unmittelbaren, nicht vertraglichen Zugangsanspruches zwar auch gesehen.89 Jedoch wird nicht befriedigend dargestellt, welches Instrumentarium zur Findung der notwendigen Regelungen verwandt werden soll. Insbesondere wird keine überzeugende Lösung für das Problem der Bestimmung des angemessenen Entgelts entwickelt. Soweit ausgeführt wird, man könne mit Hilfe eines Beseitigungs- oder Bereicherungsanspruchs zu einer Festlegung der Gegenleistung kommen,90 so handelt es sich nur um eine Scheinlösung. Das Problem wird in eine andere juristische Konstruktion gekleidet, bleibt aber inhaltlich erhalten. Wie das angemessene Entgelt zu bestimmen ist, wird nicht gesagt. Ohnehin gibt es dafür weder einen allgemeingültigen Maßstab, noch gibt es nur einen bestimmten zulässigen Preis. Die einzige Möglichkeit besteht deshalb in der Bestimmung durch Verhandlung der Parteien. Die Aufgabe des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB kann vor diesem Hintergrund nur in der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entgeltforderung des Marktbeherrschers im Hinblick auf die Überschreitung äußerster Grenzen sein.91 Sie kann aber nicht darin bestehen, den Parteien Preise zu oktroyieren.
87 LG Mainz, 26. 08. 2004, WuW/DE-R 1444 (1445) „Stiftung B“; Boesche, S. 255 f.; Theobald/Zenke, WuW 2001, S. 19 (24 ff.). 88 Unternehmen, die sich mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden. 89 Boesche, S. 103, 231 ff., 258 ff. 90 Boesche, S. 231 ff., 258 ff. 91 Zum Problem der Festlegung des angemessenen Entgelts, siehe S. 537 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
c) Parallele zur unbilligen Geschäftsverweigerung Keine Überzeugungskraft kann das Argument entfalten, die Anwendung eines Kontrahierungszwanges bei § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB laufe auf eine unzulässige Übertragung der zum Abschlusszwang bei Verstoß gegen das Verbot der unbilligen Behinderung und Diskriminierung entwickelten Rechtsprechung hinaus. Das sei wegen der Unterschiedlichkeit der Regelungsbereiche unzulässig.92 Denn während es bei dem Diskriminierungsverbot um den Zugang zu einem bereits eröffneten Geschäftsverkehr gehe, handele es sich beim Verbot der Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen um die Mitbenutzung von Eigentum, ohne dass insoweit ein Geschäftsverkehr zugrunde liege. Es gehe also um die Eröffnung des Zugangs zum Eigentum. Nur im ersten Fall liege eine Beschränkung der Vertrags- im zweiten Fall eine der Eigentumsfreiheit vor.93 Dabei wird allerdings übersehen, dass das Diskriminierungsverbot ein Spezialfall des Behinderungsverbotes ist. Die Freiheit vor sachlich nicht gerechtfertigter bzw. unbilliger Behinderung wird nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB gleichermaßen geschützt. § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB stellt lediglich einen Spezialfall des allgemeinen Behinderungsverbotes dar.94 Die Rechtsprechung zum Kontrahierungszwang hat sich auf Grundlage des Verbots der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB entwickelt, was die diskriminierende Geschäftsverweigerung einschließt.95 d) Infrastrukturzugang und Vertragsfreiheit Für das Modell des verhandelten Zugangs spricht insbesondere auch, dass dem Eigentümer der Infrastruktureinrichtung im Rahmen zulässiger vertraglicher Gestaltung die Möglichkeit zur Verfolgung legitimer Interessen eröffnet wird.96 Das beinhaltet die Gewähr dafür, dass die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Marktbeherrschers nicht weiter eingeschränkt wird, als es zur Verwirklichung des Normzwecks von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB erforderlich ist.97 Damit wird die Funktion des Vertrages als Mittel privatautonomer 92
Boesche, S. 98 ff. Boesche, S. 98 ff. 94 Siehe auch S. 383 ff. 95 OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (851) „Linzer Gaslieferant“; Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 305, 320, 331; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 114 ff.; zum Kontrahierungszwang bei unbilliger Geschäftsverweigerung, siehe S. 406 ff. 96 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“ zum verhandelten Netzzugang nach der Rechtslage vor der 6. GWB Novelle infolge einer Missbrauchsverfügung des BKartA gem. § 103 Abs. 5 GWB a. F.; Köhler, BB 2002, S. 584 (587 f.). 97 Das wird vom Normzweck auch gefordert, siehe S. 527 ff. und S. 537 ff.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 333, 338; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 346. 93
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Gestaltung gesichert. In der Folge erhält auch der Zugangsinteressent die Möglichkeit, seine Interessen in die Gestaltung der Zugangsregelung einzubringen. Scheitert eine Einigung an einer Verzögerungstaktik des Marktbeherrschers oder daran, dass er rechtswidrige Forderungen aufstellt, so kann der Zugangsinteressent, wie zu zeigen sein wird,98 in jedem Einzelfall eine angemessene vertragliche Gestaltung erzwingen. Eine derartige Umsetzung des Kontrahierungszwanges bei Weigerung des Marktbeherrschers ist mit Hilfe des Zivilrechts und Zivilprozessrechts möglich. Der Interessent formuliert unter Einräumung eines, der Festsetzung eines angemessenen Entgelts dienenden Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB ein annahmefähiges Angebot, welches er dem Inhaber der Infrastruktureinrichtung vorlegt.99 Wird er zur Annahme verurteilt, erfolgt die Vollstreckung gemäß § 894 ZPO dadurch, dass das Prozessgericht durch das Urteil die Annahmeerklärung ersetzt.100 Dabei auftretende Schwierigkeiten sind handhabbar. e) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen lediglich einen Sonderfall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung darstellt. Der Anspruch des Interessenten richtet sich auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Verweigerung eines Zugangs zur Infrastruktureinrichtung gemäß Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 2 Nr. 4 jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB. Er mündet also in die Pflicht, die Mitbenutzung zu gestatten. Die genauen Bedingungen der Nutzung bedürfen einer vertraglichen Regelung. Es handelt sich also um einen Anspruch auf verhandelten Infrastrukturzugang. Die missbräuchliche Weigerung kann der Marktbeherrscher nur dadurch abstellen, dass er einem Vertragsschluss zustimmt. 2. Persönliche Betroffenheit Das Ziel des Verbotes der sachlich nicht gerechtfertigten Zugangsverweigerung ist es, den freien Wettbewerb auf Märkten zu fördern, deren Zugang nur über die Mitbenutzung einer Infrastruktureinrichtung möglich ist. Der dahinter stehende Gedanke ist, dass wenn schon die im Hinblick auf die Infrastruktureinrichtung bestehende marktbeherrschende Stellung aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen nicht beseitigt werden kann, doch zumindest Wettbewerb auf den abgeleiteten Märkten ermöglicht werden soll.101 Es geht also um eine wettbewerbsbegründende oder -erhaltende Mitbenutzung der Infrastruktureinrichtung für aktuelle 98
Siehe S. 545 ff. Siehe S. 545 ff. 100 Siehe S. 545 ff. 101 Siehe S. 525 ff.
99
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oder potentielle Wettbewerber. Deshalb sind solche Unternehmen als Betroffene i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt, die den Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung erstreben, um als Wettbewerber auf dem vor- oder nachgelagerten Markt tätig werden zu können und die vom Marktbeherrscher zurückgewiesen oder mit der Forderung nach unangemessenen Nutzungsbedingungen konfrontiert werden.102 Dieser Anspruch besteht allerdings nicht für Unternehmen, die zwar Leistungen des Marktbeherrschers nutzen, nicht aber als dessen Wettbewerber auftreten wollen.103 Ebenso sind solche Unternehmen in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten beeinträchtigt, denen zwar bereits Zugang gewährt worden ist, die aber vom Abbruch der Vertragsbeziehung bedroht sind oder die den Zugang nur zu unangemessenen Bedingungen erhalten haben. 3. Abgrenzung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch Verweigert der Inhaber einer wesentlichen Einrichtung auf Anfrage eines Zugangsinteressenten deren Mitbenutzung, so besteht eine gegenwärtige Störung der wirtschaftlichen Interessen des potentiellen Wettbewerbers. Dieser Störung ist mit einem Beseitigungsanspruch entgegenzutreten.104 Da dieser Anspruch zu einem Kontrahierungszwang führt,105 besteht für die Zukunft ein vertraglicher Anspruch auf Mitbenutzung der Einrichtung. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ist daneben nicht notwendig. Als Vertragspartner kann der Betroffene unmittelbar aus dem Vertrag auf Zugang zur Infrastruktureinrichtung klagen. Da es sich bei diesen Verträgen um Dauerschuldverhältnisse handelt, bedarf es, im Gegensatz zu sonstigen Fällen der Geschäftsverweigerung, keiner wiederholten Klage auf Vertragsschluss.106 Soweit bereits ein Vertrag geschlossen wurde, bedarf es für den Fall eines Abbruchs der Vertragsbeziehung oder der Forderung vertraglich überhöhter 102 LG Berlin, 27. 06. 2000, WuW/DE-R 533 (541 f.) „Fortum“; LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (542 f., 544) „EuroPower“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (567 f.) „Gashandel“; OLG Düsseldorf, 08. 08. 2001, WuW/DE-R 774 (776) „Kramer Progetha“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (851 ff.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (907) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; OLG München, 11. 04. 2002, WuW/DE-R 964 (965 f.) „Stromdurchleitung Erlangen“; OLG Hamburg, 19. 06. 2002, WuW/DE-R 1076 (1077 f.) „Online Ticketshop“; KG, 26. 06. 2003, WuW/DE-R 1321 (1322) „Gera-Rostock“; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 331 f.; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB Rn. 346; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, § 33 GWB Rn. 45; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 19 GWB Rn. 347. 103 OLG München, 22. 04. 2004, WuW/DE-R 1270 (1272) „GSM-Wandler“; KG, 15. 01. 2004, WuW/DE-R 1274 (1275 f.) „GSM-Gateway“. Diese Unternehmen können ihren Anspruch aber mit einem Verstoß gegen das Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Geschäftsverweigerung oder Diskriminierung begründen, siehe S. 403 f., S. 406 ff., sowie S. 458 ff. 104 Fritzsche, WRP 2006, S. 42 (52 f.); siehe auch S. 144 f. 105 Siehe S. 540 ff. und im Zusammenhang mit der Geschäftsvereigerung, siehe S. 406 ff. 106 Zum Problem bei Lieferverweigerung, siehe S. 417 ff.
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Entgelte einer Beseitigungsklage nicht mehr. Im ersten Fall ist die Feststellungsklage auf Fortbestand des Vertrages mit der Begründung der Nichtigkeit der rechtswidrigen Kündigung bzw. der sonstigen Vertragsbeendigung geboten. Im zweiten Fall besteht bereits aufgrund der geltungserhaltenden Reduktion ein Vertrag mit zulässigem Inhalt.107 Es besteht also keine Störung, sondern allenfalls die Notwendigkeit, die angemessene Höhe des Entgelts feststellen zu lassen. Im Hinblick auf eine Zahlung eines überhöhten Entgelts besteht ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt BGB. 4. Inhalt des Beseitigungsanspruchs a) Geschäftsverweigerung und Vorlage eines Angebots Bei dem Anspruch auf Zugang zu wesentlichen Einrichtungen handelt es sich um eine spezielle Erweiterung des Verbotes sachlich nicht gerechtfertigter Geschäftsverweigerung marktbeherrschender Unternehmen gegenüber Wettbewerbern, welche die Realisierung ihres Markteintritts nur über die Mitbenutzung einer Infrastruktureinrichtung erreichen können.108 Insoweit gelten die im Zusammenhang mit dem Kontrahierungsanspruch bei der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung getroffenen Aussagen auch hier.109 Erstrebt der potentielle Wettbewerber den Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung, so sollte er ein annahmefähiges Angebot vorlegen und aufgrund von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB, jeweils i. V. m. 33 Abs. 1 GWB auf dessen Annahme klagen. Die Pflicht zur Annahme ergibt sich aus dem Anspruch auf Beseitigung der Behinderung, welcher nur durch die aktive Zugangsgewährung verwirklicht werden kann.110 Der Zugang beanspruchende Wettbewerber muss die wesentlichen Vertragsbedingungen hinreichend bestimmt benennen.111 Notwendig ist die Regelung 107
Siehe S. 533 ff. Schlussanträge von Generalanwalt Tizzano „IMS Health/NDC Health“, WuW 2003, S. 1214 (1215 f.); siehe auch S. 525 ff. und S. 542. 109 Siehe S. 406 ff. 110 Zur dogmatischen Begründung des Kontrahierungszwanges, siehe S. 540 ff. 111 BGH 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616 f.) „Orange Book Standard“; zur Bestimmtheit kartellbehördlicher Verfügungen, vgl.: BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (264 f.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (474 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (572 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (705 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (978 ff.) „Fährhafen Puttgarden“; BGH, 28. 06. 2005, WuW/DE-R 1520 (1521) „Arealnetz“; OLG Düsseldorf, 07. 12. 2011, WuW/DER 3465 (3468) „Fährhafen Puttgarden“, BGH, 11. 12. 2012, WuW/DE-R 3821 (3827 f.) „Fährhafen Puttgarden II“; zu zivilrechtlichen Anträgen (insbesondere im Verfahren der einstweiligen Verfügung): LG Berlin, 27. 06. 2000, WuW/DE-R 533 (535) „Fortum“; LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (543) „Euro Power“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566 f.) „Gashandel“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 f.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (907) „Nord108
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der synallagmatischen Leistungspflichten und sonstigen Bedingungen, deren Festlegung erkennbar Voraussetzung für eine erfolgreiche Vertragsdurchführung ist.112 Eine Verständigung über sämtliche Nebenpunkte ist dagegen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht notwendig. Denn gemäß § 154 BGB kann ein Vertrag auch unter bewussten Offenlassens einzelner Punkte geschlossen werden, solange es sich nicht um wesentliche Vertragsbestandteile handelt oder solche, die erkennbar nach dem Willen wenigstens einer Partei als regelungsbedürftig angesehen werden.113 Zudem lassen sich nicht leistungsbezogene Nebenpflichten häufig auch ohne ausdrückliche Nennung im Vertrag aus Mitwirkungs-, Rücksichtnahme- oder Leistungstreuepflichten herleiten. Aus Sicht des Vertragsinteressenten ist darzulegen, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang er die Einrichtung mitbenutzen will. Das ist erstens von seinen konkreten Bedürfnissen und zweitens vom Vertragstyp abhängig, der zweckmäßigerweise angestrebt wird. Dabei kann es sich um einen Miet-, Pacht-, Dienst- oder Werkvertrag, gegebenenfalls mit Geschäftsbesorgungscharakter handeln.114 Darüber hinaus ist auf technische Fragen Rücksicht zu nehmen. Insoweit dürfte der Kläger mit der Bestimmtheit deshalb keine Probleme haben, weil er lediglich seine eigenen berechtigten Bedürfnisse formulieren muss. Insoweit kann es allenfalls das Problem geben, dass der Kläger die Mitbenutzung in einem größeren Umfang einfordert als sie ihm zusteht. Das ist dann allerdings eine Frage der Begründetheit des Antrages, der durch das Gericht durch nur teilweise Stattgabe einer Klage gelöst werden kann. b) Das Problem der Festlegung des angemessenen Entgelts aa) Die Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes Die Frage hinreichender Bestimmtheit hat sich in der bisherigen Praxis vor allem im Hinblick auf die Festlegung eines angemessenen Entgelts als schwierig erwiesen.115 Im Hinblick auf kartellverwaltungsrechtliche Verfügungen muss der Begriff des angemessenen Entgelts als solcher dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG genügen.116 Es bedarf deshalb einer Angabe über die Höhe des zulässigen Entgelts oder zumindest der maßgeblichen Berechnungsgrundlagen, weil anderenfalls für den bayerische Stromdurchleitung“; OLG Karlsruhe, 27. 02. 2012, WuW/DE-R 3556 (3561 ff.) „Lizenzvertragsangebot“. 112 Vgl. soeben Fn. 111. 113 Allgemein Busche, in: MüKo BGB, § 154 Rn. 3. 114 Dies ist eine Frage der Vertragsgestaltung im jeweiligen Einzelfall. 115 Siehe S. 527 ff. 116 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; BKartA, 21. 12. 1999, WuW/DE-V 253 (264 f.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/DE-R 569 (572 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (706 f.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (978) „Fährhafen Puttgarden“.
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Verfügungsadressaten nicht erkennbar wird, wie er sich verhalten soll.117 Nun gilt zwar im Zivilprozess der verwaltungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz nicht. Jedoch ist der Grundsatz der Bestimmtheit des Klageantrages nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu beachten. Dadurch soll der Beklagte erkennen können, welches Verhalten der Beseitigungskläger von ihm verlangt. Des Weiteren soll der Klageantrag einen Urteilstenor mit vollstreckungsfähigem Inhalt vorbereiten.118 Insoweit ergeben sich also Parallelen zwischen dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG119 und des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.120 Allerdings schließt es der Ansatz des verhandelten Zugangs zur Infrastruktureinrichtung denknotwendig aus, dass der Zugangsinteressent und potentielle Wettbewerber die Vertragsbedingungen einseitig bestimmt.121 Somit stellt es sich für den Beseitigungsgläubiger als problematisch dar, dass er einerseits sein Begehren mit hinreichender Bestimmtheit formulieren muss und andererseits der konkrete Preis zwischen den Parteien erst auszuhandeln ist. bb) Sicherung des Mitbenutzungsanspruchs durch einstweilige Verfügung Die Lösung besteht darin, in dringenden, keinen Aufschub duldenden Fällen einen Mitbenutzungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO durchzusetzen.122 Zwar ist auch hier § 253 Abs. 2 ZPO bei der Formu-
117 BGH, 15. 11. 1994, WuW/E BGH 2953 (2957) „Gasdurchleitung“; OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473 ff.) „Puttgarden“; OLG Düsseldorf, 02. 08. 2000, WuW/ DE-R 569 (572 ff.) „Puttgarden II“; BGH, 08. 05. 2001, WuW/DE-R 703 (706 f.) „Puttgarden II“; BGH, 24. 09. 2002, WuW/DE-R 977 (978 f.) „Fährhafen Puttgarden“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616 f.) „Orange Book Standard“; OLG Karlsruhe, 27. 02. 2012, WuW/DE-R 3556 (3561 ff.) „Lizenzvertragsangebot“. 118 Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, § 253 Rn. 88. 119 „Die Konkretisierung dessen, was geboten ist, muss in dem anordnenden Verwaltungsakt erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben.“, so das OLG Düsseldorf, 25. 04. 2000, WuW/DE-R 472 (473) „Puttgarden“. 120 LG Berlin, 27. 06. 2000, WuW/DE-R 533 (535) „Fortum“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566) „Gashandel“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 f.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (907) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; zu dieser Problematik in Fällen der Geschäftsverweigerung, siehe S. 409 ff. 121 Ein Mitbenutzungsanspruch ohne vertragliche Grundlage kommt nicht in Betracht. Lediglich bei Sicherung des Mitbenutzungsanspruchs durch einstweilige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO kann zunächst auf einen Nutzungsvertrag verzichtet werden, siehe sogleich S. 547 ff. 122 LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (543) „EuroPower“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566 f.) „Gashandel“; OLG Düsseldorf, 08. 08. 2001, WuW/DER 774 (776 f.) „Kramer Progetha“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 ff.) „Linzer Gaslieferant“; OLG München, 15. 11. 2001, WuW/DE-R 906 (907) „Nordbayerische Stromdurchleitung“; OLG München, 11. 04. 2002, WuW/DE-R 964 (965) „Stromdurchleitung Erlangen“; KG, 26. 06. 2003, WuW/DE-R 1321 (1322 ff.) „Gera-Rostock“; allgemein dazu,
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lierung des Verfügungsantrags entsprechend anzuwenden.123 In dem Verfahren der einstweiligen Verfügung geht es aber nur um die Sicherung des zivilrechtlichen Anspruchs auf Mitbenutzung der Einrichtung. Insoweit muss auch nur diese Forderung hinreichend bestimmt sein. Die Forderung des Marktbeherrschers nach Zahlung eines angemessenen Entgelts ist dagegen nicht Gegenstand des vom Beseitigungsgläubiger angestrengten Verfahrens der einstweiligen Verfügung. Will der Marktbeherrscher insoweit eine Sicherung erreichen, muss er selbst einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen. Diese Rechtslage verhindert, dass der Marktbeherrscher den Zugang des Nutzungsinteressenten unangemessen lange verzögert oder überhaupt verhindert. In der Folge erfordert § 253 Abs. 2 ZPO im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Verfügung lediglich, dass der Antragsteller Art und Umfang der begehrten Nutzung bestimmt darlegt.124 Die Festsetzung des angemessenen Entgelts erfolgt erst im Hauptsacheverfahren, in dem auch über Abschlusspflicht und Inhalt der vertraglichen Zugangsregelung entschieden wird. Die Vollstreckung richtet sich nach § 894 ZPO.125 Der Zugangsinteressent muss dann auch erst nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens das Entgelt zahlen. Für den Infrastrukturinhaber ist damit keine unzumutbare Härte verbunden. Sowohl nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV als auch nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB ist es als missbräuchliches Verhalten zu beurteilen, wenn der Marktbeherrscher auf ein Zugangsbegehren mit einer grundsätzlichen Ablehnung oder einer Verzögerungsoder Hinhaltetaktik reagiert, etwa indem er die Erfüllung unzumutbarer Bedingungen verlangt. Durch konstruktives Verhalten im Rahmen der Vertragsverhandlungen obliegt es also dem Infrastrukturinhaber, eine vertragliche Regelung herbeizuführen, noch vor Zugangsgewährung eine vertragliche Grundlage für eine Entgeltforderung zu schaffen und ein Verfahren der einstweiligen Verfügung überflüssig zu machen. Kommt es trotz redlichen Verhaltens des Marktbeherrschers zu keiner Einigung, so wird auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung regelmäßig unbegründet sein. Der Antrag ist unbegründet, wenn das Scheitern oder die Verzögerung der Vertragsverhandlungen im Verantwortungsbereich des Nutzungsinteressenten liegen. Ist eine Verzögerung dagegen keiner Partei anzulasten, etwa weil die Sachlage außergewöhnlich schwierig ist, dann muss das mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung befasste Gericht im Rahmen der Erörterung des Verfügungsgrundes eine umfassende Interessenabwägung anstellen. Im Rahmen dessen müssen die berechtigten Interessen des Marktbeherrschers andass für eine Dringlichkeit hohe Anforderungen gestellt werden müssen: OLG Düsseldorf, 22. 06. 2010, WuW/DE-R 2947 (2951) „TNT Post/First Mail“. 123 Sosnitza, WRP 2004, S. 62 (64). 124 LG Magdeburg, 14. 04. 2000, WuW/DE-R 542 (543) „EuroPower“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566 f.) „Gashandel“; OLG München, 11. 04. 2002, WuW/DE-R 964 (965) „Stromdurchleitung Erlangen“; weitergehend OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/ DE-R 847 (849) „Linzer Gaslieferant“, wo zumindest die Festlegung eines maximal zu zahlenden Entgelts unter dem Vorbehalt einer späteren Rückforderung (nach konkreter Berechnung im Hauptverfahren) verlangt wurde. 125 Köhler, BB 2002, S. 584 (587).
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gemessene Berücksichtigung finden.126 Hierbei ist der Umstand, dass der Marktbeherrscher mit der Gewährung der Mitbenutzung in Vorleistung gehen muss und er das Entgelt erst später erhält, besonders zu beachten. Darüber hinaus ist folgendes zu bedenken. Der Zugangsinteressent muss, bevor er den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Aussicht auf Erfolg stellen kann, selbst ein Vertragsangebot vorlegen, in dem entweder ein angemessenes Entgelt oder ein Leistungsbestimmungsrecht zugunsten des Infrastrukturinhabers enthalten ist.127 Kommt er dieser, aus dem Grundsatz des verhandelten Infrastrukturzugangs abgeleiteten Verpflichtung nicht nach, liegt bereits keine Dringlichkeit vor. Der Infrastrukturinhaber kann jederzeit dieses Angebot annehmen und auf Basis dieses Vertrages das Entgelt fordern. Ist ihm ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB eingeräumt, muss er dieses ausüben.128 Tut er dies, dann obliegt es wiederum dem Zugangsinteressenten, eine eventuelle Unbilligkeit der Entgeltfestsetzung zu behaupten und klageweise geltend zu machen. Hat der Nutzungsinteressent dagegen mit seinem Vertragsangebot ein unangemessen niedriges Entgelt angeboten, dann obliegt es dem Marktbeherrscher ein angemessenes Gegenangebot nach § 150 Abs. 2 BGB vorzulegen, in dem ein angemessenes Entgelt enthalten ist. Der Zugangsinteressent muss dieses grundsätzlich annehmen, weil die Mitbenutzung durch Vertrag zu regeln ist.129 Mit der Sicherung des Mitbenutzungsanspruchs durch das Verfahren der einstweiligen Verfügung kann also effektiv verhindert werden, dass der Infrastrukturinhaber den Zugang zur Einrichtung dauerhaft oder auch nur vorübergehend vereitelt.130 Zugleich stellt dieses Verfahren und insbesondere die Verpflichtung mit der Zugangsgewährung in Vorleistung zu gehen, keine für den Marktbeherrscher unzumutbare Härte dar. cc) Verhandlungen über die Höhe des angemessenen Entgelts Trifft nun der Zugangsinteressent in seinem Angebot eine Bestimmung über das seiner Meinung nach angemessene Entgelt, so besteht die Gefahr, dass der Marktbeherrscher ein angebotenes Entgelt als unangemessen niedrig zurückweist und/oder seinerseits ein Gegenangebot vorlegt, das überhöht und deshalb für den Interessenten unakzeptabel ist. Infolge eines solchen Verhaltens eröffnet sich dem Beseitigungsschuldner die Möglichkeit, die Einigung durch geschickte Verhandlungstaktik hinauszuzögern und damit den Zugang faktisch zu verhindern. Schützenhilfe würde ihm § 154 BGB leisten. Solange nicht über alle als maßgeblich erachteten Punkte eine Einigung erzielt worden ist, gilt der Vertrag im Zweifel als nicht geschlossen. Im 126
OLG Düsseldorf, 08. 08. 2001, WuW/DE-R 774 (776 ff.) „Kramer Progetha“; Köhler, BB 2002, S. 584 (585 f.); Sosnitza, WRP 2004, S. 62 (64 f.). 127 OLG Karlsruhe, 27. 02. 2012, WuW/DE-R 3556 (3561 ff.) „Lizenzvertragsangebot“; siehe auch S. 554 ff. 128 Siehe S. 554 ff. 129 Siehe S. 540 ff. 130 Köhler, BB 2002, S. 584 (589 f.).
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Hinblick auf die Frage, welche praktischen Lösungsmöglichkeiten sich dem Anspruchsteller eröffnen, ist zwischen verschiedenen Konstellationen zu differenzieren. (1) Bestehender Geschäftsverkehr mit dritten Unternehmen Die besondere Bedeutung der „essential facility doctrine“ erwächst daraus, dass ein wettbewerbseröffnender Zugang dort ermöglicht wird, wo ein Marktbeherrscher die in seinem Eigentum stehende Infrastruktureinrichtung in der Vergangenheit allein genutzt hat. Infolge der auf Marktöffnung gerichteten Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zu Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB ist die Situation, dass ein Wettbewerber Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung beansprucht, die dritte Unternehmen neben dem Eigentümer bereits nutzen, nicht mehr ungewöhnlich. Besteht nun ein dergestalt eröffneter Geschäftsverkehr ist neben dem Behinderungsverbot des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB auch das Diskriminierungsverbot des Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB zu beachten.131 Der Zugangsinteressent möchte auf dem vor- oder nachgelagerten Markt sowohl in Wettbewerb mit dem Marktbeherrscher als auch mit denjenigen Unternehmen treten, welche, infolge der Zulassung zur Mitbenutzung bereits als Marktteilnehmer auftreten. Es handelt sich bei diesen Unternehmen also um solche, die dem neuen Interessenten gleichartig sind. Als Rechtsfolge ergibt sich, dass eine Gleichbehandlung zwischen den bisherigen Nutzern und dem neuen Zugangsinteressenten erfolgen muss, es sei denn, es liegen im Einzelfall besondere Rechtfertigungsgründe vor, welche eine Ungleichbehandlung erlauben.132 Als Grundsatz gilt, dass aufgrund der gesetzgeberischen Zielsetzung, Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten zu schaffen, solche Rechtfertigungsgründe restriktiv zu handhaben sind.133 Sowohl für die Verweigerung als auch für unterschiedliche Entgelte kommen als Rechtfertigung regelmäßig nur die in § 19 Abs. 2 Nr. 4, letzter Halbsatz GWB genannten betrieblichen Gründe in Betracht.134 Oberstes Ziel muss es sein, allen Zugangspetenten solche Wettbewerbsbedingungen zu bieten, die einen freien Leistungswettbewerb zulassen. Dazu gehört auch eine hinreichende Chan-
131 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (153 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1621) „Stromnetznutzungsentgelt“; BGH, 07. 02. 2006, WuW/ DE-R 1730 (1731 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt II“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616 f.) „Orange Book Standard“; siehe auch S. 527 ff. 132 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (153 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616) „Orange Book-Standard“; siehe S. 527 ff. und zum Diskriminierungsverbot, siehe S. 427 ff. 133 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (156 f.) „Berliner Stromdurchleitung“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; siehe S. 527 ff. 134 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (151 f.) „Berliner Stromdurchleitung“.
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cengleichheit.135 Durch unterschiedliche Zugangsbedingungen, insbesondere verschieden hohe Nutzungsentgelte würde diese Wettbewerbsvoraussetzung in Frage gestellt. Dementsprechend ist einem Zugangsinteressenten dann, wenn das marktbeherrschende Unternehmen bezüglich der Mitbenutzung einen Geschäftsverkehr eröffnet hat, der Zugang zur wesentlichen Einrichtung zu den üblichen Bedingungen zu gewähren.136 In Bezug auf das angemessene Entgelt bedeutet das, dass der Interessent den Zugang gegen Zahlung desjenigen Entgelts verlangen kann, das sich als übliches Entgelt herausgebildet hat. Er hat auf Grundlage des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) und c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB einen materiell rechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Nutzungsvertrages gegen Zahlung des üblichen Entgelts. Dieses Entgelt ist ohne Schwierigkeiten bestimmbar. Insbesondere ist seine Höhe dem Marktbeherrscher bekannt, weil dieser ja mit allen Nutzern in vertraglichen Beziehungen steht. Er kann also aus der Formulierung übliches Entgelt ohne weiteres erkennen, was gemeint ist und was von ihm verlangt wird. Folglich kann der Beseitigungsgläubiger ein Vertragsangebot vorlegen, indem er in Bezug auf die Gegenleistung die Zahlung des üblichen Entgelts anbietet. In einem solchen Fall genügt die Verwendung des Begriffes übliches Entgelt dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.137 Im Urteil ist es zwar nötig den genauen Betrag zu beziffern. Denn die Vollstreckung erfolgt über § 894 ZPO und Vertragsinhalt kann nur der konkrete Preis werden. Die Ermittlung ist aber dadurch einfach, dass der Marktbeherrscher, weil es sich um einen Umstand aus seinem Geschäftsbereich handelt, im Prozess darlegungspflichtig ist. (2) Zugang eigener Tochterunternehmen In einigen sektorspezifischen Bereichen wird durch Gesetz eine Trennung vom Betrieb der Netzinfrastruktur und der Versorgung des nachgelagerten Marktes angeordnet. Paradebeispiel ist die Energiewirtschaft.138 § 6 Abs. 1 EnWG bestimmt, dass der Betrieb des Übertragungsnetzes unabhängig von der Erzeugung und Verteilung von Elektrizität erfolgen muss.139 Das bedeutet im Regelfall der praktischen Umsetzung, dass für den jeweiligen Bereich rechtlich unabhängige Gesellschaften
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BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (153 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619) „Stromnetznutzungsentgelt“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“. 136 BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“; LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2616 f.) „Orange Book Standard“; zur Geschäftsverweigerung siehe S. 411 ff. und zum Diskriminierungsverbot, siehe S. 458 ff. 137 Zur Geschäftsverweigerung siehe S. 411 ff. 138 Zum Bsp. aber auch zum Zugang zu Eisenbahninfrastrukturen LG Berlin, 09. 08. 2005, WuW/DE-R 1664 (1667 ff.) „Trassenpreissystem“. 139 Dazu auch mit Darstellung des europarechtlichen Hintergrundes Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 35 ff.
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bestehen, die lediglich im Rahmen einer Konzernorganisation verbunden sind.140 Weitergehend bestimmen die §§ 20 Abs. 1 S. 1 und 21 Abs. 1 EnWG, dass einem unabhängigen dritten Unternehmen der Zugang zu den gleichen entgeltwirksamen Bedingungen gewährt werden muss, wie sie innerhalb des Konzerns dem durchleitenden Unternehmen seitens der Netzbetreibergesellschaft in Rechnung gestellt werden.141 Dazu gehört selbstverständlich und ganz wesentlich die Höhe des Netznutzungsentgeltes.142 Diese Regelung findet auch dann Anwendung, wenn keine rechtlich eigenständigen Gesellschaften gebildet werden.143 Denn nach § 8 Abs. 1 EnGW muss es zumindest eine betriebliche Trennung der Organisation geben. Auch insoweit gilt, dass das von Dritten verlangte Entgelt nicht höher sein darf als der kalkulatorisch innerhalb des Unternehmens dem für die Durchleitung verantwortlichen Betriebsteil in Rechnung gestellte Betrag. Der Rechtsgedanke besteht in der Etablierung eines speziellen Diskriminierungsverbotes.144 Dieser Rechtsgedanke sollte auch für diejenigen Bereiche Anwendung finden, in denen es zwar an einer spezialgesetzlichen Regelung fehlt, jedoch eine vergleichbare Situation besteht. Häufig besteht eine entsprechende Praxis, ohne dass ein rechtlicher Zwang zugrunde liegt. Das ist immer dann der Fall, wenn eine organisatorische Trennung zwischen Betrieb der Infrastruktureinrichtung und deren Nutzung zum Zweck der Betätigung auf einem abgeleiteten Markt besteht. Der Zugang muss dann für Dritte zu den gleichen Bedingungen erfolgen, wie er unternehmensintern gewährt wird. Die Anwendung dieses rechtlichen Prinzips im Rahmen des Verbotes, den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen ohne sachlichen Grund zu verweigern, lässt sich damit begründen, dass das Behinderungsverbot das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung einschließt.145 Die „essential facilities doctrine“ stellt wiederum nur einen Spezialfall des Behinderungsverbotes dar.146 Insoweit hat derjenige, welcher Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung begehrt Anspruch darauf, diesen Zugang zu Bedingungen zu erhalten, die nicht ungünstiger sind als diejenigen, die der Marktbeherrscher unternehmens- oder konzernintern kalkulatorisch in
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Nach §§ 6 ff. EnWG müssen eine gesellschaftsrechtliche Entflechtung, eine operationale Entflechtung, eine informatorische Entflechtung und eine buchhalterische Entflechtung stattfinden. 141 Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 202 ff. und 215 ff. 142 Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 216 ff. 143 Unternehmen mit weniger als 100.000 Kunden, jeweils bezogen auf den Strom- und den Gasmarkt, sind nach § 7 Abs. 2 EnWG nicht zur gesellschaftsrechtlichen Trennung des Netzbetriebes verpflichtet, müssen aber gleichwohl eine operationale, informatorische und buchhalterische Trennung herbeiführen. 144 Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 216 f.; Lecheler/Herrmann, WuW 2005, S. 482 (490 f.). 145 BKartA 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (154 ff.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“. 146 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV Rn. 331; Lecheler/Herrmann, WuW 2005, S. 482 (490 f.); siehe auch S. 525 ff.
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Rechnung stellt.147 Für die Angemessenheit des Entgelts bedeutet das, dass es jedenfalls nicht höher sein darf als dasjenige, welches die Betreibergesellschaft (bzw. der -betrieb) von konzernverbundenen (oder betriebsinternen) Nutzern verlangt.148 Eine umfassend zufriedenstellende Lösung für die Bestimmung des angemessenen Entgelts verbindet sich mit der Anwendung dieses Diskriminierungsverbotes nicht. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die intern in Rechnung gestellten Beträge überhöht sind und durch andere Formen der Kompensation ausgeglichen werden. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen Ansatz, der vielfach zu zufriedenstellenden Lösungen führen kann. Insbesondere kann dem Anspruchsteller über die Schwierigkeit, einen materiell rechtlich zulässigen und prozessual bestimmten Klageantrag zu formulieren, hinweggeholfen werden. Er kann in dem von ihm aufzustellenden Vertragsangebot als Gegenleistung anbieten, denjenigen Betrag zu zahlen, den der Marktbeherrscher unternehmensintern kalkulatorisch in Rechnung stellt. Eine genaue Bezifferung ist dabei nicht nötig. Denn der der Marktbeherrscher kennt natürlich diesen Betrag. Einzige Schwierigkeit ist, dass Rechtfertigungsgründe für eine ungleich höhere Forderung gegenüber dem Interessenten bestehen können. Der Marktbeherrscher ist indes aufgefordert, diese Rechtfertigungsgründe als aus seiner Unternehmenssphäre stammende Umstände konkret vorzubringen. Im Rahmen der Anwendung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB führt die dort enthaltene Beweislastregel dazu, dass der Marktbeherrscher das Vorliegen solcher Rechtfertigungsgründe auch beweisen muss. Aber auch bei Anwendung des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV ist dem Marktbeherrscher die Beweislast aufzuerlegen. Diese Beweislastumkehr149 rechtfertigt sich damit, dass das marktbeherrschende Unternehmen die Preisfestsetzung vornimmt und die Einzelheiten der Entgeltkalkulation kennt und beeinflusst.150 Es ist daher nicht erforderlich, dass der Anspruchsteller bzw. Kläger mögliche Rechtfertigungsgründe in seinem Antrag berücksichtigt. Es genügt die Angabe zur Zahlung des üblichen Entgelts, diesmal bezogen auf die Kalkulierung des Eigentümers gegenüber unternehmensinternen Betriebsteilen oder verbundenen Unternehmen, bereit zu sein. Es obliegt dem Marktbeherrscher die konkrete Höhe und eventuelle Rechtfertigungsgründe für eine eventuell unterschiedliche Festsetzung mitzuteilen und die Angemessenheit nachzuweisen. Im gerichtlichen Verfahren kann die konkrete Höhe geklärt, im Urteil beziffert und durch Zwangsvollstreckung gemäß § 894 ZPO die Annahme des Angebots des Zugangsinteressenten zu Lasten des Infrastrukturinhabers festgestellt werden.
147 BKartA, 30. 08. 1999, WuW/DE-V 149 (154 f.) „Berliner Stromdurchleitung“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1619 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2279 (2281) „Stromnetznutzungsentgelt III“; Lecheler/Herrmann, WuW 2005, S. 482 (490 f.). 148 Büdenbender/Rosin, Energierechtsreform 2005, S. 216 f.; Lecheler/Herrmann, WuW 2005, S. 482 (490 f.). 149 Zur Beweislast siehe S. 527 ff. 150 Zur Beweislast bei Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, siehe sogleich S. 554 ff.
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(3) Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts (a) Problemlage In vielen Fällen werden weder ein Geschäftsverkehr mit Dritten eröffnet, noch Kalkulationen gegenüber verbundenen Unternehmen vorhanden oder als Maßstab geeignet sein. Dann ist es für den Zugangsinteressenten außerordentlich schwierig, die Angemessenheit des zu zahlenden Entgelts zu ermitteln. Genau genommen ist es nahezu unmöglich, weil nur der Inhaber der Infrastruktureinrichtung über die für eine Berechnung notwendigen Informationen verfügt. Ein Auskunftsanspruch ist zwar gewohnheitsrechtlich anerkannt.151 Dieser Anspruch allein führt aber noch nicht zum Ziel, weil der Marktbeherrscher den Preis privatautonom bestimmen darf, soweit er dabei nicht die angemessene Grenze überschreitet. Dabei hat der Inhaber der Infrastruktureinrichtung insbesondere die Möglichkeit, durch die Geltendmachung hoher Kosten den Preis künstlich hochzuhalten.152 Der Auskunftsanspruch ermöglicht also keine Kostenkontrolle. (b) Lösung über § 315 BGB Eine Lösung kann unter Rückgriff auf die §§ 315 ff. BGB gefunden werden. Gemäß § 315 Abs. 1 BGB können die Parteien vereinbaren, dass derjenige Teil, welcher eine Leistung zu fordern berechtigt ist, die Höhe dieser Leistung bestimmen darf. § 315 Abs. 1 BGB besagt, dass der Umfang der Leistungspflicht, soweit es keine anderweitigen vertraglichen Absprachen gibt, der Billigkeit entsprechen muss. Das setzt mindestens eine Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung, weitergehend aber eine der Vertragsgestaltung entsprechende Angemessenheit voraus. Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Vorgabe des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB, aber auch der Rechtsfigur der „essential facility doctrine“ des Art. 102 AEUV, wonach die Entgeltforderung auf ein angemessenes Maß zu begrenzen ist. Der Maßstab der Billigkeit nach § 315 Abs. 1 BGB wird also durch das für den Zugang zur wesentlichen Einrichtung forderbare, angemessene Entgelt bestimmt.153 Erfolgt die Bestimmung 151 BGH, 27. 04. 1999, WuW/DE-R 303 (307) „Taxi-Krankentransporte“; OLG München, 17. 06. 2010, WuW/DE-R 2977 (2987) „VISA-Bargeldabhebung“; OLG München, 21. 02. 2013, WuW/DE-R 3913 (3915) „Fernsehwerbezeiten“; Bornkamm, in: Langen/Bunte, § 33 GWB Rn. 157; Endter, S. 214 f.; Jüntgen, S. 40 ff.; Lübbig/le Bell, WRP 2006, S. 1209 (1215); Büdenbender, NJW 2007, S. 2945 (2950 f.). 152 Insoweit ist es nicht unproblematisch die Nichtdeckung von Kosten als Rechtfertigung einer Preisgestaltung zuzulassen. 153 LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566) „Gashandel“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1618 f.) „Stromnetznutzungsentgelt“; BGH, 07. 02. 2006, WuW/DE-R 1730 (1731 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt II“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2279 (2281 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt III“; BGH, 06. 05. 2009, WuW/DE-R 2613 (2618) „Orange Book Standard“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2812 ff.) „Trassennutzungsänderung“; BGH, 20. 07. 2010, WuW/DE-R 3023 (3025) „Stromnetznutzungsentgelt IV“; OLG Frankfurt a.M., 05. 10. 2010, WuW/DE-R 3135 (3141 ff.) „Überhöhte Netznutzungsentgelte“; OLG Düsseldorf, 22. 12. 2010, WuW/DE-R 3224 (3226 f.) „Netzdurchleitungsentgelte“; OLG München, 23. 02. 2012, WuW/DE-R 3608 (3611 f.) „Trassen-
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des Entgelts nicht gemäß der Billigkeit, dann ist sie für den Zugangsinteressenten aufgrund von § 315 Abs. 3 S. 1 BGB nicht verbindlich. Der zur Leistung Verpflichtete hat gem. § 315 Abs. 3 S. 2 BGB die Möglichkeit durch Erhebung einer Gestaltungsklage154 die Billigkeit prüfen und gegebenenfalls durch richterliche Entscheidung bestimmen zu lassen. Das marktbeherrschende Unternehmen als der das Leistungsbestimmungsrecht ausübende Vertragspartner, welcher die Einzelheiten der Entgeltkalkulation kennt und beeinflusst, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Leistungsbestimmung bzw. mit anderen Worten der Angemessenheit des Entgelts.155 Soweit allerdings der Zugangsinteressent die Rückforderung überhöhter Entgelte aufgrund von § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB wegen zuvor unbilliger Ausübung eines vertraglichen Leistungsbestimmungsrechts verlangt, muss der Zugangsinteressent als Kläger zunächst das Fehlen eines Rechtsgrundes, also gleichsam die fehlende Billigkeit der Preisbestimmung substantiiert darlegen, bevor die Beweislastumkehr greift.156 In der Folge wird das i. S. v. § 315 Abs. 1 BGB, Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB angemessene Entgelt unmittelbar durch Gestaltungsurteil festgelegt. Das angemessene Nutzungsentgelt wird unmittelbar Vertragsinhalt. Für den Zugangsinteressenten eröffnet diese Rechtslage die Möglichkeit, ein Angebot zum Abschluss eines Nutzungsvertrages vorlegen zu können, ohne die Bezifferung des Entgelts vornehmen zu müssen. Er kann sich in seinem Vertragsangebot darauf beschränken, dem Marktbeherrscher ein Leistungsbestimmungsrecht einzuräumen.157 Ein solches Vertragsangebot ist i. S. v. § 253 Abs. 2 ZPO hinreichend bestimmt, um Gegenstand einer entgelte“; OLG Karlsruhe, 27. 02. 2012, WuW/DE-R 3556 (3561 ff.) „Lizenzvertragsangebot“; Bork, JZ 2006, S. 682 (683 ff.); Kühne, NJW 2006, S. 2520 (2521); Bechtold, NJW 2007, S. 3761 (3763); Büdenbender, NJW 2007, S. 2945 (2945 ff.); Heise, WuW 2009, S. 1024 (1028 f.); a. A. Schmidt, C., WuW 2008, S. 550 (555 f.). 154 BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3625 (3629) „Stromnetznutzungsentgelt V“. 155 Die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast beruht auf dem überlegenen Sachwissen des Marktbeherrschers, in dessen Sphäre die Preisbildung stattfindet: BGH, 04. 03. 2008, WuW/ DE-R 2279 (2282 f.) „Stromnetznutzungsentgelt III“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/ DE-R 2806 (2812, 2814 f.) „Trassennutzungsänderung“; BGH, 20. 07. 2010, WuW/DE-R 3023 (3026 f.) „Stromnetznutzungsentgelt IV“; OLG Frankfurt a.M., 05. 10. 2010, WuW/DE-R 3135 (3143) „Überhöhte Netznutzungsentgelte“; OLG München, 23. 02. 2012, WuW/DE-R 3608 (3615 f.) „Trassenentgelte“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3625 (3630) „Stromnetznutzungsentgelt V“. 156 BGH, 29. 04. 2008, WuW/DE-R 2295 (2297) „Erdgassondervertrag“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2812, 2815) „Trassennutzungsänderung“; BGH, 15. 05. 2012, WuW/DE-R 3625 (3631 f.) „Stromnetznutzungsentgelt V“. 157 OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314) „Hörfunkwerbung“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566) „Gashandel“; BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1618 f.) „Stromnetznutzungsentgelt“; OLG Düsseldorf, 05. 12. 2007, WuW/DE-R 2184 (2185 f., 2194) „Reisestellenkarte“. Dass ein Leistungsbestimmungsrecht vereinbart ist, kann im Einzelfall auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung festgestellt werden, vgl.: BGH, 07. 02. 2006, WuW/DE-R 1730 (1731 ff.) „Stromnetznutzungsentgelt II“; BGH, 04. 03. 2008, WuW/DE-R 2279 (2281) „Stromnetznutzungsentgelt III“; Bork, JZ 2006, S. 682 (683 ff.); zu Zwangslizenzen Nägele/Jacobs, WRP 2009, S. 1062 (1073).
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Leistungsklage auf Abschluss eines Vertrages und einer Zwangsvollstreckung nach § 894 ZPO sein zu können.158 (c) Gegenauffassung für Nichtanwendung des § 315 BGB Demgegenüber hielt das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung die Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB für nicht hinreichend bestimmt.159 Es argumentierte, dass dann die Höhe des forderbaren Entgelts nicht durch den Titel selbst bestimmt wäre. Darüber hinaus könne der Normadressat die Leistungsbestimmung verzögern. Selbst wenn er dies nicht tun würde, stünde nicht fest, ob die Bestimmung der Billigkeit entspräche. Das müsste in einem zusätzlichen Verfahren geklärt werden, wodurch wiederum Verzögerungen entstehen könnten. Insbesondere im Verfahren der einstweiligen Verfügung sei eine solche Verschleppung nicht hinnehmbar. Das Gericht sah es demgegenüber als zulässig an, wenn der Kläger bzw. Antragsteller ein bestimmtes Leistungsentgelt als Gegenleistung konkret benennt und einen Vorbehalt der Rückforderung aufnimmt. Er kann dann später aufgrund von § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB Überzahlungen zurückfordern.160 Diese Lösung habe zusätzlich den Vorteil, dass der Eigentümer der wesentlichen Einrichtung nicht geltend machen könne, die Höhe des Entgelts sei unangemessen. Ihm werde es dadurch erschwert, die Verhandlungen zu verzögern.161 (d) Zurückweisung der Gegenauffassung Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Das erste Argument, die Höhe des Entgelts müsse in dem Titel, der den Zugang zur Infrastruktureinrichtung regelt, bestimmt sein, hat keine rechtliche Grundlage. Auch § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB ist nicht in dieser Weise zu interpretieren. Vielmehr können in einem Nutzungsvertrag zunächst das Ob und Wie der Mitbenutzung als Leistungspflicht des Marktbeherrschers und die Höhe des Nutzungsentgelts als nach § 315 Abs. 1 BGB zu konkretisierende Gegenleistung in einem Nutzungsvertrag geregelt werden.162 Der daraus folgende konkrete Mitbenutzungsanspruch des Zugangsinteressenten stellt dann eine vertragliche Forderung dar, welche als Leistung Zug um Zug gegen Gewährung des vom Marktbeherrscher zu bestimmenden angemessenen Entgelts tituliert werden kann. Richtig an der Gegenauffassung ist also nur, dass vor Gewährung des Zugangs zur Infrastruktureinrichtung eine Regelung über das Nutzungsentgelt getroffen worden sein muss. Dabei muss zwar das Entgelt genau beziffert sein. Das aber kann der Zugangsinteressent unschwer erreichen. Der Marktbeherrscher ist nach § 315 Abs. 1 BGB nicht nur berechtigt, das Leistungsbestimmungsrecht auszuüben, sondern 158 OLG München, 11. 03. 1999, WuW/DE-R 313 (314) „Hörfunkwerbung“; LG Dortmund, 01. 09. 2000, WuW/DE-R 565 (566) „Gashandel“. 159 OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 f.) „Linzer Gaslieferant“. 160 OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (848 f.) „Linzer Gaslieferant“. 161 OLG Düsseldorf, 05. 12. 2001, WuW/DE-R 847 (849) „Linzer Gaslieferant“. 162 Siehe S. 541.
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gemäß dem Grundsatz der Vertragstreue163 dazu auch verpflichtet. Der Nutzungsinteressent kann gemäß § 315 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz BGB i. V. m. § 242 BGB den Marktbeherrscher auf Ausübung des Leistungsbestimmungsrechtes verklagen und zugleich die gerichtliche Ersetzung der Willenserklärung nach § 894 ZPO herbeiführen.164 Das Gericht entscheidet in Form eines Gestaltungsurteils.165 In der Folge ist der Mitbenutzungsanspruch des Zugangsinteressenten Zug um Zug gegen Zahlung des angemessenen Entgelts genau bestimmbar und titulierbar. Um Zeit zu sparen kann der Kläger die Anträge auf Vertragsschluss, Ausübung des Leistungsbestimmungsrechtes und auf Zugangsgewährung im Wege der Klagehäufung gemäß § 260 ZPO geltend machen. Die Klageanträge auf Annahme des Vertragsangebotes und auf Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts können sofort nach § 894 ZPO vollstreckt werden.166 Die Vollstreckung des Anspruchs auf Zugang zur Einrichtung muss nach § 888 ZPO erfolgen.167 Alle Vollstreckungsmaßnahmen kann das Prozessgericht auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers unmittelbar durchführen. Dieser Weg ist auch im Rahmen der einstweiligen Verfügung gangbar.168 Insoweit findet auch keine Verzögerung statt. Ist der Nutzungsvertrag geschlossen, dann ist, wenn auch nur durch Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts eine Regelung des angemessenen Entgelts getroffen. Der Infrastrukturinhaber hat die Möglichkeit, durch billige Bestimmung die konkrete Höhe festzulegen. Damit wird seinem Eigentümerinteresse hinreichend Rechnung getragen. Trifft der Marktbeherrscher keine Bestimmung, so kann der Interessent durchsetzen, dass an dessen Stelle das Prozessgericht diese Festlegung trifft und zugleich dennoch Zugang verlangen. Obwohl Leistung und Gegenleistung in einem synallagmatischen Verhältnis stehen, droht dem Zugangsgläubiger eine Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 320 BGB seitens des Marktbeherrschers nicht. Denn dieses Zurückbehaltungsrecht darf nur dann ausgeübt werden, wenn sich der Schuldner selbst vertragsgemäß verhält und demnach berechtigt ist, die Gegenforderung zu verlangen.169 Der Marktbeherrscher kann sich infolge dessen nicht darauf berufen, dass eine durch ein 163
Als unselbständiger Nebenleistungspflicht, wonach entsprechend Treu und Glauben jede der Vertragsparteien verpflichtet ist, die Durchführung des Vertrages und des mit ihm angestrebten Erfolges zu fördern, vgl. Büdenbender, ZIP 1999, S. 1469 (1474 ff.). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Nutzungsentgelt nicht für die Zukunft unabänderlich festgelegt werden kann. Vielmehr ist der Preis entsprechend den Änderungen der preisbildenden Faktoren selbst Änderungen unterworfen. Eine Festsetzung des angemessenen Entgelts kann daher nur periodenbezogen erfolgen. Die Festsetzung muss regelmäßig überprüft und angepasst werden. Das Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB bietet diese Flexibilität, dazu BGH, 18. 10. 2005, WuW/DE-R 1617 (1618 f.) „Stromnetznutzungsentgelt“. 164 Würdinger, in: MüKo BGB, § 315 Rn. 47. 165 OLG Frankfurt a.M., 05. 10. 2010, WuW/DE-R 3135 (3141 ff.) „Überhöhte Netznutzungsentgelte“; OLG Düsseldorf, 22. 12. 2010, WuW/DE-R 3224 (3226 f.) „Netzdurchleitungsentgelte“; Würdinger, in: MüKo BGB, Rn. 45 zu § 315 BGB. 166 Gruber, in: MüKo ZPO, § 894 Rn. 2 f.; Köhler, BB 2002, S. 584 (586 f.). 167 Gruber, in: MüKo ZPO, § 888 Rn. 2 f. 168 Drescher, in: MüKo ZPO, § 940 Rn. 5 f. 169 Emmerich, in: MüKo BGB, § 320 Rn. 28.
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Gericht anstelle seiner Verweigerungshaltung vorgenommene Leistungsbestimmung nicht angemessen und eine vom Zugangsinteressenten auf dieser Basis angebotene oder erfolgte Zahlung nur eine Teilleistung i. S. v. § 320 BGB sei. Des Weiteren ist der Fall zu betrachten, dass der Eigentümer der Infrastruktureinrichtung sein Leistungsbestimmungsrecht zwar ausübt, dies aber nicht entsprechend der Billigkeit tut. Ist das Entgelt tatsächlich unangemessen, dann verstößt der Vertrag insoweit gegen das Verbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und des § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 134 BGB. Das Entgelt ist durch geltungserhaltende Reduktion auf das rechtliche zulässige Maß abzusenken.170 Das bedeutet, dass die Entgeltforderung nur insoweit Vertragsbestandteil wird, als sie angemessen ist. Der Zugangsinteressent muss also nur das Entgelt in dieser Höhe zahlen. Allerdings stellt sich das praktische Problem, dass solange zwischen den Parteien Streit besteht, der Zugangspetent in Unsicherheit darüber verbleibt, ob sein Standpunkt von einem Gericht als zutreffend beurteilt wird. Insoweit stellt § 315 BGB wiederum den Konfliktlösungsmechanismus zur Verfügung. Der Zugangsinteressent kann nach § 315 Abs. 3 S. 2, 1. Alt. BGB Klage darauf erheben, dass das Gericht das billige Entgelt bestimmt. Diese Bestimmung ergeht wiederum im Wege eines Gestaltungsurteils. Sie setzt, gegebenenfalls auch durch einstweilige Verfügung, das vertragliche Entgelt für beide Parteien verbindlich fest. Die Billigkeit i. S. v. § 315 Abs. 1 BGB ist dabei identisch mit dem Maßstab der Angemessenheit des Entgelts für die Nutzung der wesentlichen Einrichtung.171 Es besteht die Besonderheit, dass der Vertragsinhalt aufgrund der geltungserhaltenden Reduktion nach Art. 102 Sätze 1 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB, jeweils i. V. m. § 134 BGB ohnehin von Gesetzes wegen feststeht.172 Insoweit wäre auch eine Feststellungsklage denkbar. Da allerdings die Gestaltungsklage durch die unmittelbare Festlegung des Vertragsinhalts weitergehenden Rechtsschutz gewährt, fehlt es insoweit am Feststellungsinteresse. Es zeigt sich, dass die Konstruktion des OLG Düsseldorf, der Zugangsinteressent müsse ein bestimmtes Entgelt benennen und könne nach Klärung der Angemessenheit gegebenenfalls überzahltes Geld zurückfordern, überflüssig ist. Denn auch eine Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 1 BGB kann, wie § 315 Abs. 3 S. 2 BGB zeigt, im Nachhinein korrigiert werden. Auch dann hat der Zugangsinteressent im Falle der Überzahlung einen Rückzahlungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB.173
170
Siehe S. 533 ff. Siehe S. 554 ff. 172 Siehe S. 533 ff. 173 OLG Düsseldorf, 18. 10. 2006, WuW/DE-R 1920 (1921 f.) „Flughafen Köln/Bonn“; OLG Düsseldorf, 14. 10. 2009, WuW/DE-R 2806 (2807, 2816) „Trassennutzungsänderung“; OLG München, 20. 05. 2010, WuW/DE-R 3031 (3033) „Rückforderung von Netznutzungsentgelten“; OLG Frankfurt a.M., 05. 10. 2010, WuW/DE-R 3135 (3141 ff.) „Überhöhte Netznutzungsentgelte“; OLG Düsseldorf, 22. 12. 2010, WuW/DE-R 3224 (3226 f.) „Netzdurchleitungsentgelte“; OLG München, 23. 02. 2012, WuW/DE-R 3608 (3610, 3620) „Trassenentgelte“. 171
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(e) Ergebnis § 315 BGB bietet einen gut handhabbaren Konfliktlösungsmechanismus zur Sicherung des Mitbenutzungsanspruchs und gleichzeitigen Findung des angemessenen Entgelts. Eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung des angemessenen Entgelts besteht darin, dass die Parteien einen Dritten damit beauftragen, die Höhe der Leistung zu bestimmen.174 § 317 BGB hält dafür eine Regelung bereit. Die vom Dritten getroffene Festlegung kann von beiden Seiten gemäß § 319 BGB zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden. Die Entscheidung stellt wiederum ein Gestaltungsurteil dar.175 Das praktische Problem besteht allerdings darin, dass der Inhaber der Infrastruktureinrichtung der Bestellung des Dritten zustimmen muss. Insoweit ergibt sich hier wiederum ein Einfallstor für die Verzögerung von Verhandlungen. c) Zusammenfassung Der Inhaber der Infrastruktureinrichtung unterliegt einem Kontrahierungszwang, der aus einem Anspruch auf Beseitigung der Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB abzuleiten ist. Betroffene Unternehmen haben danach einen Anspruch auf verhandelten Zugang zur Infrastruktureinrichtung. Der Zugangsinteressent sollte ein annahmefähiges Angebot formulieren und beantragen, dass der Marktbeherrscher verurteilt wird, dieses Angebot anzunehmen. Um zu verhindern, dass ein Streit über die Höhe des angemessenen Entgelts die Nutzung der wesentlichen Einrichtung verzögert oder praktisch verhindert, kann er durch Bezugnahme auf die üblichen Bedingungen eines bereits eröffneten Geschäftsverkehrs oder einer unternehmensintern vorgenommenen kalkulatorischen Inrechnungstellung von Entgelten, verlangen, Zugang zu den gleichen Bedingungen zu erhalten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dem Marktbeherrscher ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB einzuräumen. Der Begriff der Billigkeit ist hier identisch mit dem des angemessenen Entgelts. Diese Möglichkeit sichert einen schnellen Zugang, weil der Marktbeherrscher verpflichtet ist, das Leistungsbestimmungsrecht auszuüben. Geschieht die Ausübung nicht entsprechend der Billigkeit, greift als Konfliktlösungsmechanismus die Erwirkung eines Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 S. 1 BGB. Hierbei ist der Marktbeherrscher, sowohl bei Anwendung von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV als auch § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB, verpflichtet, die Angemessenheit des Entgelts darzulegen und zu beweisen. In dringenden Fällen kann der Zugangsinteressent seinen Mitbenutzungsanspruch durch eine einstweilige Leistungsverfügung nach §§ 935, 940 ZPO durchsetzen.
174 175
Büdenbender, ZIP 1999, S. 1469 (1473). Würdinger, in: MüKo BGB, § 319 Rn. 23 f. und § 315 Rn. 45.
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5. Schadensersatz Die schadensersatzrechtliche Naturalrestitution nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, 3 GWB und § 249 BGB führt zu einem Kontrahierungszwang zugunsten abgelehnter potentieller Wettbewerber. Insoweit bietet aber bereits der verschuldensunabhängige Beseitigungsanspruch vollumfänglichen Rechtsschutz.176 Bezüglich weiterer Schadenspositionen ist zwischen der Zugangsverweigerung, der Beendigung des Zugangs und der Forderung überhöhter Entgelte zu differenzieren. a) Zugangsverweigerung aa) Entgangener Gewinn und Geschäftsentwicklung auf Vergleichsmärkten Der Berücksichtigung der gewöhnlichen Geschäftsentwicklung nach § 252 S. 2 1. Alt. BGB steht zunächst entgegen, dass eine solche auf dem abgeleiteten Markt nicht stattgefunden hat. Es kommt aber in Betracht, die Entwicklung auf räumlich verschiedenen, aber sachlich gleichen Märkten, zu denen der Nutzungsinteressent bereits Zugang erhalten hat, vergleichsweise zugrunde zu legen. Allerdings darf es insoweit nicht zu bloßen Spekulationen kommen. Jede Infrastruktureinrichtung ist wegen ihrer Einzigartigkeit und im Hinblick auf die Besonderheiten der abgeleiteten Märkte einzeln zu betrachten. Es ist nicht ohne weiteres zulässig, aufgrund ähnlicher Nutzungen zu schlussfolgern, dass die angemessenen Nutzungsentgelte gleich wären und die Geschäftsentwicklung auf dem Wettbewerbsmarkt weitgehend identisch mit der auf dem abgeleiteten Markt wäre. Vielmehr sind regionale Unterschiede zu beachten. Insoweit ist ein auf ähnlichen Märkten erzielter Umsatz und Gewinn nicht ohne weiteres übertragbar. Vielmehr muss ähnlich wie beim Vergleichsmarktkonzept eine rechnerische Anpassung erfolgen.177 Vorteilhaft ist es, wenn das betroffene Unternehmen auf Erfahrungen auf mehreren, räumlich verschiedenen Märkten verweisen kann. Gelingt es aber eine genügend große Menge an Daten zu sammeln, die eine verlässliche Prognose über die hypothetische Wettbewerbsentwicklung zulassen, so ist eine Schätzung aufgrund von § 287 Abs. 1 ZPO zulässig.178 bb) Berechnung entgangenen Gewinnes nach getätigten Investitionen Darüber hinaus ist eine abstrakte Schadensberechnung über § 252 S. 2 2. Alt BGB möglich, indem auf Basis der im Vorfeld des Zugangs getroffenen Investitionen eine Prognose über die mögliche Umsatzentwicklung erstellt wird. Hierbei gilt wiederum 176 177 178
Siehe S. 540 ff. Zum Vergleichsmarktkonzept siehe S. 466 ff. Siehe S. 163 ff.
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der Grundsatz, dass im Regelfall zumindest die Amortisation getätigter Aufwendungen vermutet werden kann.179 Schließlich vermag auch einer konkreten Schadensberechnung nach §§ 249 Abs. 1, 252 Abs. 1 S. 1 BGB praktische Bedeutung zuzukommen. Dafür ist Voraussetzung, dass der Zugangsinteressent bereits vor Mitbenutzung der Infrastruktur auf dem abgeleiteten Markt Kunden gewonnen hat. Um von einer sicheren Erwerbsmöglichkeit ausgehen zu können, ist allerdings erforderlich, dass mit diesen Kunden bereits Lieferverträge geschlossen worden sind.180 Können nun diese Lieferverträge wegen der Zugangsverweigerung nicht erfüllt werden, sind dadurch entstehende Schäden ersatzfähig. Dazu zählt nicht nur der entgangene Gewinn, sondern auch die Inanspruchnahme des potentiellen Wettbewerbers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder wegen anderer vertraglicher Schadensersatzansprüche. Ein Ausgleich kann auch dafür verlangt werden, dass Vertragspartner aus Anlass der Nichtbelieferung ihre Verträge kündigen. Sowohl bei der abstrakten als auch bei der konkreten Schadensberechnung ist aber zu berücksichtigen, dass der Zugangsinteressent im Wege einer Beseitigungsklage den Anspruch auf Zugang jederzeit durchsetzen kann. Insoweit geht es regelmäßig nur um einen Schaden durch zeitliche Verzögerung.181 Keinesfalls darf der Interessent einfach nur abwarten, um später Schadensersatz verlangen zu können. Sein Anspruch würde dann im Rahmen der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB reduziert.182 Der Interessent hat allerdings die Möglichkeit, für den Fall, dass sich durch die Verzögerung der spätere Zugang als wirtschaftlich sinnlos erweist, ausschließlich Schadensersatz zu verlangen. Dabei kommt insbesondere eine Berechnung nach dem Grundsatz frustrierter Aufwendungen in Betracht. Im Übrigen sind Schäden im Hinblick auf einen Marktanteils- oder Wertverlust nicht entstanden, weil diese in Bezug auf den nachgelagerten Markt berechnet werden müssten, wo aber entsprechende Werte noch nicht entstanden waren. b) Abbruch von Geschäftsbeziehungen Missbräuchliche zugangsbeendende Rechtsgeschäfte sind gemäß § 134 BGB nichtig.183 Dadurch besteht der, die Mitbenutzung regelnde Vertrag fort. Im Fall befristeter Verträge besteht nach Fristablauf ein Anspruch auf Fortsetzung der Nutzung durch Abschluss eines neuen Vertrages.184 Nur dann, wenn der Marktbeherrscher faktisch und ohne sachliche Rechtfertigung den Zugang verhindert, können Schäden entstehen. Dann allerdings bestehen in Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auch Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung des Nutzungsvertrages. 179 180 181
BGB. 182 183 184
Dazu im Zusammenhang mit der Geschäftsverweigerung, siehe S. 423 f. LG Mainz, 26. 08. 2004, WuW/DE-R 1444 (1446 f.) „Stiftung B“. Dieser Schaden nicht zu verwechseln mit dem Verzögerungsschaden nach §§ 286, 280 Oetker, in: MüKo BGB, § 254 Rn. 96. Siehe S. 532 f. Siehe S. 532 f.
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Zunächst folgt aus der Zugangsverhinderung, dass die Vertragserfüllung gegenüber Kunden auf dem nachgelagerten Markt, zumindest vorübergehend unmöglich wird. Daraus entstehende Schäden sind voll ersatzfähig. Dazu zählen Vertragsstrafen, Schadensersatz wegen Verzögerung, Schlechtleistung oder Nichterfüllung und der Ausgleich für den Verlust von Marktanteilen infolge Rücktritts oder Kündigung von Vertragspartnern. Letztere Position ist nach allgemeinen Grundsätzen danach zu berechnen, welche Anstrengungen erforderlich sind, um den Marktanteil der ohne Schädigung bestehen würde zurückzugewinnen.185 Darüber hinaus ist entgangener Gewinn ersatzfähig. Dieser kann soweit bestimmte Vertragspartner nicht beliefert werden konnten, konkret berechnet werden. Alternativ, insbesondere dann, wenn eine Ausdehnung des Marktanteils wahrscheinlich gewesen wäre, kann der entgangene Gewinn durch Vergleich mit der Prognose gewöhnlicher Geschäftsentwicklung ermittelt werden.186 Aufgrund der bisherigen Tätigkeit auf dem nachgelagerten Markt stehen die dazu benötigten Daten zur Verfügung. c) Überhöhtes Entgelt In Bezug auf überhöhte Entgelte gelten die allgemeinen Grundsätze für die Berechnung von entgangenem Gewinn. Hierbei kann das Anspruch stellende Unternehmen insbesondere nachzuweisen versuchen, dass es bei angemessenen Nutzungsentgelten in der Lage gewesen wäre, einen größeren Marktanteil zu gewinnen. Als Mindestschaden kann die Differenz zwischen angemessenem und tatsächlich gezahlten Entgelt verlangt werden kann.187 Allerdings kann diese Differenz bereits gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB zurückgefordert werden, wenn ein bereits geschlossener Nutzungsvertrag gemäß § 134 BGB auf das zulässige Entgelt reduziert worden ist und der Vertrag deshalb für darüber hinausgehende Zahlungen keine Rechtsgrundlage bietet.188 Insoweit bietet bereits das Bereicherungsrecht Rechtsschutz. Lediglich wenn geltend gemacht wird, dass aufgrund der Überzahlung finanzielle Mittel für Investitionen gefehlt haben, die ihrerseits eine Rendite eingebracht hätten, bedarf es des Schadensersatzanspruches. Zu beachten ist, dass eine Schadensminderung nicht dadurch eintritt, dass es dem Wettbewerber im Einzelfall gelingt, ein überhöhtes Nutzungsentgelt an seine Kunden auf dem abgeleiteten Markt weiterzugeben. Hier gilt, ebenso wie bei der Weitergabe überhöhter Preise bei Ausbeutungsmissbrauch, dass eine Vorteilsausgleichung nicht stattfindet.189 Das wird auch durch § 33 Abs. 3 S. 2 GWB bestätigt.
185
Siehe S. 166 f. Siehe S. 164 f. 187 OLG München, 20. 05. 2010, WuW/DE-R 3031 (3039) „Rückforderung von Netznutzungsentgelten“; siehe auch S. 167 f. 188 Siehe S. 535 ff. 189 Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe S. 515 ff. 186
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VI. Zusammenfassung § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB ist ein Instrument zur Initiierung von Wettbewerb auf Märkten, auf denen dieser nur über die Mitbenutzung einer wesentlichen körperlichen Einrichtung möglich werden kann. Im europäischen Recht wird das Verbot der ungerechtfertigten Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen aus Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV hergeleitet.190 Ziel ist es zu verhindern, dass die hinzunehmende Monopolstellung auf dem Markt der Infrastruktur auch eine Marktbeherrschung auf vor- oder nachgelagerten Märkten nach sich zieht. Die Vorschrift schützt das Interesse potentieller Wettbewerber auf Zugang zum und aktueller Wettbewerber auf behinderungsfreier Tätigkeit auf dem abgeleiteten Markt. Zugleich schützt die Vorschrift Wettbewerber vor unangemessen hohen Entgelten. Es handelt sich um eine Marktstrukturkontrolle bezüglich des Marktes der Infrastruktur und eine Verhaltenskontrolle auf dem abgeleiteten Markt. Der Zugangsanspruch ergibt sich dogmatisch aus dem Recht des Wettbewerbers, gemäß Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 i. V. m. 33 Abs. 1 GWB Beseitigung der Zugangsverweigerung verlangen zu können. Dieser Anspruch kann nur durch Gewährung des Zugangs erfüllt werden. Dabei ist es, um die komplexen Fragen der Mitbenutzung und die Höhe des Entgelts regeln zu können, notwendig einen Vertrag zu schließen. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der zivilrechtlichen Sanktionen auf dem zugangsbegründenden Beseitigungsanspruch. § 134 BGB hat nur insoweit Bedeutung als es um die Nutzungsbedingungen eines bereits geschlossenen Nutzungsvertrages oder den Abbruch der Geschäftsbeziehung geht. Im ersten Fall geht es vor allem um die Bekämpfung unangemessen hoher Nutzungsentgelte. Eine entsprechende vertragliche Vereinbarung verstößt gegen das gesetzliche Verbot der Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV, § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 134 BGB. Eine Nichtigkeit entspricht nicht dem Verbotszweck, weil der Wettbewerber in der Folge seinen vertraglichen Zugangsanspruch verlieren würde. Deshalb ist eine geltungserhaltende Reduktion auf das angemessene Entgelt vorzunehmen. Eine eventuelle Überzahlung kann nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB zurückgefordert werden. Im zweiten Fall des ungerechtfertigten Abbruchs der Geschäftsbeziehung ist das betreffende Rechtsgeschäft in der Regel eine Kündigung nichtig. Damit besteht der Zugangsvertrag unmittelbar fort. Durch Erhaltung des Zugangs wird der Gesetzeszweck unmittelbar verwirklicht. Bei erstmaligem Zugang besteht die Schwierigkeit für den Zugangsinteressenten darin, den Zugangsanspruch durchsetzen zu können. Es handelt sich bei der essential facility doctrine des Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB um einen Spezialfall der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung. Dementsprechend ist dem Beseitigungsgläubiger zu raten, ein annahmefähiges Angebot bezüglich des Abschlusses eines Nutzungsvertrages vorzulegen und im Wege des Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruches auf dessen Annahme zu klagen. Die Vollstreckung findet gemäß § 894 ZPO durch das Prozessgericht statt, welches die Annahmeerklärung ersetzt. 190
Siehe S. 383 ff. und S. 525 ff.
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Teil 3: Fallgruppen und zivilrechtliche Sanktionen
Die Schwierigkeit besteht darin, ein genügend bestimmtes Angebot vorlegen zu können. Insbesondere kann der Beseitigungsgläubiger nicht über die Höhe des angemessenen Entgelts bestimmen. Allerdings ist es ihm möglich, Zugang zu den üblichen Bedingungen zu verlangen, falls bereits dritte Unternehmen die Einrichtung mitbenutzen. Zudem besteht die Möglichkeit die Zulassung zu denjenigen Bedingungen zu verlangen, die der Marktbeherrscher eigenen Tochterunternehmen oder Betrieben (kalkulatorisch) in Rechnung stellt. Darüber hinaus bietet sich die Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts gemäß § 315 Abs. 1 BGB an. Das marktbeherrschende Unternehmen ist zur Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts verpflichtet. Der Anspruch auf Ausübung ist klageweise durchsetzbar. Dadurch ist der Zugangsanspruch auf vertraglicher Grundlage hinreichend bestimmt, so dass er ohne weiteres realisiert werden kann. Die Höhe des Entgelts muss billigem Ermessen entsprechen und ist gerichtlich überprüfbar. Ein unbilliges Entgelt wird durch ein nach § 315 Abs. 3 BGB zulässiges Gestaltungsurteil ersetzt. Das marktbeherrschende Unternehmen trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit bzw. Angemessenheit des Entgelts. Als Schadensersatzanspruch kommt insbesondere entgangener Gewinn in Betracht, der aus Sicht eines Zugangsinteressenten regelmäßig in Höhe frustrierter Aufwendungen besteht. Hat der Wettbewerber vor Zugang bereits Kunden gewonnen, die er infolge der Verweigerung nicht beliefern kann, darf er den entgangenen Gewinn konkret berechnen. Im Falle unrechtmäßigen Abbruchs kommt auch eine Berechnung nach dem gewöhnlichen Geschäftsverlauf in Betracht. Im Fall überhöhten Entgelts kann die Differenz zum angemessenen Entgelt als Mindestschaden geltend gemacht werden. Insoweit gibt § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB einen gleichlautenden Anspruch. Der Einwand der „passing on defence“ ist ebenso wie beim Ausbeutungsmissbrauch ausgeschlossen.
Teil 4
Zusammenfassung Zu Teil 1
Wirksamer zivilrechtlicher Rechtsschutz bei Verstößen gegen die Verbote des Missbrauchs marktbeherrschender und marktstarker Stellungen nach Artikel 102 AEUV und § 19 Abs. 1, Abs. 2, § 20 Abs. 1, Abs. 3 GWB ist nach europäischem und deutschem Kartellrecht geboten. Hierzu gehören die Sanktionierung von Rechtsgeschäften nach § 134 BGB und die Geltendmachung von Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen auf Basis des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 GWB. Die auf Initiative der Kommission vom Rat der Europäischen Union und dem Parlament verabschiedete und am 26. 11. 2014 in Kraft getretene Kartellschadenersatzrichtlinie 2014/104/EU enthält erstmals auf europäischer Ebene legislative Vorgaben, welche die effektive Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen bei Verstößen gegen die Art. 101 und 102 AEUV in den Mitgliedstaaten sicherstellen sollen. Soweit Wettbewerbsbeschränkungen den gemeinsamen Markt betreffen, ist der Geltungsvorrang des Art. 101 AEUV zu beachten. Art. 102 AEUV stimmt weitgehend mit § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB überein. Art. 102 AEUV beschreibt den rechtlichen Mindeststandard bei der Durchsetzung des Verbots missbräuchlichen Verhaltens, der nicht unterschritten werden darf. § 19 Abs. 2 Nr. 4 und § 20 GWB verwirklichen ein höheres Niveau des Schutzes vor dem Missbrauch von Marktmacht auf nationaler Ebene. Alle genannten Normen zielen darauf ab, freien und unverfälschten Wettbewerb als Institution und Steuerungsprinzip einer auf Privatautonomie basierenden Rechtsordnung zu schützen. Zugleich bezwecken sie, Marktteilnehmern im Einflussbereich marktmächtiger Unternehmen einen Handlungsspielraum zu sichern, der chancengleiche Teilnahme am und Betätigungsfreiheit im Wettbewerb ermöglicht. Dort wo freier Wettbewerb nicht hergestellt werden kann, wird eine Marktergebniskontrolle verwirklicht. Der Ansatz der Kommission für einen „more economic approach“ bei der Anwendung von Art. 102 AEUV kann nicht vollständig überzeugen. Die Vorschläge der Kommission beinhalten die Gefahr einer Verringerung der gerichtlichen Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen. Sie stehen zugleich in einem Zielkonflikt zu der beabsichtigten Stärkung des privaten Rechtsschutzes. Es ist daran festzuhalten, dass der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs nur über den Schutz der Marktteilnehmer gedacht werden kann. Deshalb sollte an der bisher sowohl in Deutschland als auch in
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Teil 4: Zusammenfassung
Europa praktizierten pragmatischen Wettbewerbspolitik bei der Anwendung der kartellrechtlichen Generalklauseln festgehalten werden. Zu Teil 2
I. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 3 GWB und Art. 102 AEUV sind Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB. 1. In Fällen, in denen das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens sowohl gegen Art. 101 als auch 102 AEUV verstößt, richtet sich die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften nach Art. 101 Abs. 2 AEUV. Es tritt dann im Umfang des Verbotsverstoßes immer ex tunc Nichtigkeit ein. Die gleichzeitige Anwendung von § 134 BGB i. V. m. Art. 102 AEUV darf nicht zu einem anderen Ergebnis führen. In Fällen, in denen § 1 GWB neben Art. 101 AEUV zur Anwendung kommt, tritt nach Art. 101 Abs. 2 AEUV Nichtigkeit ein. Der nach § 134 BGB maßgebliche Normzweck des § 1 GWB erfordert in Anlehnung an Art. 101 Abs. 2 AEUV stets die ex tunc Nichtigkeit eines danach verbotenen Rechtsgeschäfts. Für die Abgrenzung zwischen § 1 GWB und § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB sind die gleichen Maßstäbe zugrunde zu legen, wie für die Abgrenzung zwischen Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 AEUV. Verstößt ein Rechtsgeschäft zugleich gegen § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB (auch i. V. m. § 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB) oder § 20 Abs. 3 GWB tritt aufgrund des § 134 BGB in gleichem Umfang Nichtigkeit ein. 2. Bei der Anwendung von § 134 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein Rechtsgeschäft gegen eines der gesetzlichen Verbote des Art. 102 AEUV, des § 19 Abs. 1, Abs. 2 GWB oder des § 20 Abs. 3 GWB verstößt. Hierbei ist zwischen nicht verbotenen Folgegeschäften wettbewerbswidrigen Verhaltens und Rechtsgeschäften zu unterscheiden, die wegen ihres Inhalts oder der Umstände ihres Zustandekommens verboten sind. Im Fall der Verbotswidrigkeit ist weiter zu prüfen, ob der Normzweck des Verbotsgesetzes der Nichtigkeit entgegensteht und welche alternativen Rechtsfolgen gegebenenfalls in Betracht kommen. Ist eine eindeutige, normzweckorientierte Rechtsfolgenbestimmung nicht möglich, tritt entsprechend der Auslegungsregel des § 134 2. Halbsatz BGB Nichtigkeit ein. Als mögliche alternative Rechtsfolgen zu der subsidiär anzunehmenden ex tunc Nichtigkeit kommen eine Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäftes trotz Verbotsverstoßes, eine geltungserhaltende Reduktion oder Extension oder eine Nichtigkeit ex nunc in Betracht. 3. Bezüglich der Frage der Teilnichtigkeit ist eine mögliche Überschneidung mit den Verboten des Art. 101 Abs. 1 AEUV und des § 1 GWB zu beachten. Ob und in welchem Umfang ein Rechtsgeschäft ganz oder teilweise nichtig ist, richtet sich zunächst nach dem Normzweck des Art. 101 Abs. 2 AEUV, der in jedem Einzelfall eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV gesondert zu ermitteln ist. Kommt (bei nur nationalen Sachverhalten) nur § 1 GWB zur Anwendung, so ist dessen Normzweck maßgeblich. § 139 BGB findet jeweils nur subsidiär Anwendung. Ein gleichzeitiger Verstoß gegen eines der Missbrauchsverbote und die Anwendung von § 134 BGB führt dann nicht zu abweichenden Ergebnissen. Verstößt ein Rechts-
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geschäft gegen eines der Verbote einer marktbeherrschenden bzw. marktstarken Stellung, ohne dass zugleich Art. 101 AEUVoder § 1 GWB Anwendung findet, dann ist die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Nichtigkeit eintritt, zunächst auf Basis des § 134 BGB entsprechend des Normzwecks des jeweiligen Verbotsgesetzes zu beantworten. Wiederum findet § 139 BGB nur subsidiär Anwendung. 4. Im Hinblick auf eine Teilnichtigkeit ist zu prüfen, ob Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 3 GWB i. V. m. § 134 BGB die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts im Übrigen oder seine Gesamtnichtigkeit unabhängig vom übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen der Beteiligten erfordern. Die Aufrechterhaltung nicht verbotener Vertragsbestandteile ist bei Rahmenverträgen geboten, die zur gleichmäßigen Organisation von Vertriebssystemen eingesetzt werden. Die Nichtanwendung von § 139 BGB sichert hier den Fortbestand der Vertriebsorganisation. Weiter kann die Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen zum Schutz eines schwächeren Vertragspartners geboten sein, der durch eine vollständige Nichtigkeit noch schlechter stehen würde als mit einem gegen ein Verbotsgesetz verstoßenden Vertrag. Auch insoweit findet § 139 BGB nur subsidiär Anwendung. § 138 BGB ist neben den spezielleren Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2, 20 Abs. 3 GWB i. V. m. § 134 BGB nicht anwendbar. II. Der Begriff der Betroffenheit in § 33 Abs. 1 GWB ist für Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche einheitlich zu verwenden. Die Bestimmung des Kreises der danach Anspruchsberechtigten ist entsprechend des Normzwecks des jeweils verletzten Verbotstatbestandes vorzunehmen, ohne dass es eine generelle Vorfestlegung bezüglich der Einbeziehung oder des Ausschlusses mittelbar betroffener Marktteilnehmer gibt. 1. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse des Unterlassungsgläubigers an einer möglichst weiten Fassung des dem Unterlassungsschuldner zu untersagenden Verhaltens und dem Interesse des Unterlassungsschuldners an einer nicht übermäßigen Einschränkung seiner legitimen Handlungsfreiheit ist durch Ausrichtung von Klageantrag und Urteilstenor am materiellen Verbotstatbestand, einer realistischen Einschätzung der Umgehungsgefahr und der Beachtung des Bestimmtheitsgebotes entsprechend der Grundsätze der Kernbereichstheorie aufzulösen. 2. Der Beseitigungsanspruch zielt darauf ab, eine gegenwärtige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigung zu beenden und dem betroffenen Marktteilnehmer Handlungsspielraum zurückzugeben. Er schafft aber keinen Ausgleich für entgangenen Gewinn oder erlittene Substanz- oder Wertverluste eines Unternehmens, seien sie auch nur in fehlender Liquidität begründet. Der Beseitigungsanspruch kann deshalb insbesondere nicht zu einem Anspruch auf Nachzahlung wegen in der Vergangenheit zu niedrig vergüteter Leistungen führen. Ein solcher Ausgleich ist nur über den Schadensersatzanspruch möglich. Um unbillige Vermögensverschiebungen, insbesondere im Hinblick auf das Profitieren aus objektiv rechtswidrigem
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Verhalten zu verhindern, besteht die Möglichkeit der Anpassung von Verträgen nach § 134 2. Halbsatz BGB im Wege der geltungserhaltenden Extension. 3. Das für einen Schadenersatzanspruch nach § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB vorausgesetzte Verschulden entfällt bei unvermeidbarem Rechtsirrtum, an dessen Bejahung sehr strenge Voraussetzungen zu stellen sind. Eine Reduzierung des Schadenersatzanspruches im Fall des Mitverschuldens eines von Marktmachtmissbrauch betroffenen Wettbewerbsteilnehmers ist mit dem Prinzip der effizienten Rechtsdurchsetzung vereinbar. 4. Als Schadenspositionen kommen Naturalrestitution, Ersatz des entgangenen Gewinnes, entweder aufgrund konkreter oder abstrakter Berechnung und ein Ausgleich für einen Wertverlust eines geschädigten Unternehmens in Betracht. Aus Sicht der Vertragspartner auf der Marktgegenseite kann durch Vergleich der Belastungen infolge missbräuchlicher Vertragsgestaltung mit der rechtmäßigen vertraglichen Situation ein Mindestschaden ermittelt werden. 5. Bei der abstrakten Berechnung des entgangenen Gewinnes kommt entweder ein Vergleich der Geschäftsentwicklung des betreffenden Unternehmens vor dem schädigenden Ereignis mit der Entwicklung nach dem schädigenden Ereignis in Betracht, wobei die hypothetische Weiterentwicklung ohne schädigendes Ereignis unter Beachtung der realen Marktentwicklung zu schätzen ist. Alternativ kann die Geschäftsentwicklung des betroffenen Unternehmens mit der Geschäftsentwicklung ähnlicher Unternehmen auf vergleichbaren Märkten verglichen werden. 6. § 33 Abs. 2 S. 2 GWB lässt die „passing on defence“ weder generell zu, noch schließt die Norm sie generell aus. Die Zulassung des Einwandes der Schadensweiterwälzung ist in jedem Einzelfall anhand der Grundsätze der Vorteilsausgleichung zu prüfen. Sie ist teilweise auszuschließen, um dem Geschädigten eine effektive Durchsetzung seines Schadenersatzanspruchs zu ermöglichen. Zu Teil 3 A. Kampfpreisunterbietungen
I. Verträge, in denen sich ein marktbeherrschendes oder marktstarkes Unternehmen verpflichtet, einem Kunden Leistungen zu wettbewerbswidrigen Kampfpreisen zu gewähren, verstoßen gegen das jeweilige gesetzliche Verbot des Art. 102 S 1 AEUV, des § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB, sowie des § 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GWB. Sie sind jedoch nicht nach § 134 BGB nichtig, sondern bleiben vollumfänglich wirksam. II. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB sind aktuelle und potentielle Wettbewerber des marktbeherrschenden, bei § 20 Abs. 3 GWB des marktstarken Unternehmens, nicht jedoch Markteilnehmer der Marktgegenseite, anzusehen. Es ist zu beachten, dass § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GWB nur kleine und mittlere Wettbewerber schützt, so dass sich marktstarke Unternehmen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen nicht auf diese Vorschrift, sondern nur auf eine Verletzung von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB und/oder Art. 102 Satz 1 AEUV berufen können.
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1. Ansatzpunkt für den privaten Rechtsschutz ist der Unterlassungsanspruch, denn für die betroffenen Wettbewerber geht es darum, für die Zukunft die Unterbreitung von Kampfpreisangeboten und den Abschluss von Verträgen zu wettbewerbswidrigen Preisen zu verhindern. Allerdings können Wettbewerber durch Geltendmachung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen weder die Auflösung von zu Kampfpreisen geschlossenen Verträgen verlangen, noch deren Erfüllung verhindern. 2. Im Unterlassungsklageantrag, der sich gegen Untereinstandspreisverkäufe richtet, müssen die Produkte, auf die sich die Unterlassungsverpflichtung erstreckt, konkret und eindeutig benannt werden. Besteht eine Umgehungsgefahr kann der Unterlassungsanspruch auf eine Warengattung erstreckt werden. Der Einstandspreis sollte nicht als konkrete Zahl, sondern in Form einer Berechnungsgrundlage bestimmt werden. Auf Rechtfertigungsgründe muss der Kläger in seinem Antrag nicht eingehen. Demgegenüber muss im Antrag berücksichtigt werden, dass der materielle Verbotsbereich nur Angebote erfasst, die zusammenhängend über mehr als drei Wochen bestehen oder regelmäßig wiederholt werden. Eine Ausnahme davon gilt nur für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. 3. Bei anderen Formen von Kampfpreisunterbietungen gibt es ein allgemeines Berechnungsschema, wie den Begriff des Einstandspreises nicht. Es gibt deshalb keine Alternative dazu, in einem Unterlassungsklageantrag die Selbstkosten, die nicht unterschritten werden dürfen, konkret zu berechnen und zu benennen. Um aber eine dauerhaft statische Preisgrenze, die eine Reaktion auf Marktveränderungen zu Lasten des Unterlassungsschuldners nicht zulässt, zu vermeiden, muss in einem Urteilstenor eine Befristung der Anordnung, einen bestimmten Mindestpreis nicht zu unterschreiten, aufgenommen werden. 4. Im Wege der Naturalrestitution können geschädigte aktuelle Wettbewerber Ersatz des entgangenen Gewinnes verlangen. Potentielle Konkurrenten sind dagegen auf die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs zu verweisen, bevor sie in den Markt eintreten. Darüber hinaus können aktuelle Wettbewerber einen Ausgleich für den Verlust von Marktanteilen und/oder den Wertverlust des Unternehmens verlangen. B. Rabattmissbrauch
I. Rabattvereinbarungen sind nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 20 Abs. 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten und ex tunc nichtig. Liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUVund/oder § 1 GWB vor, ergibt sich die Nichtigkeit auch aus Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. 1. Abnehmer, die einen Rabatt erhalten haben, werden dadurch geschützt, dass ein Kondiktionsanspruch des rabattgewährenden Unternehmens regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen ist. Hinzu kommt ein Schadenersatzanspruch des Abnehmers nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 BGB für den Fall
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enttäuschten Vertrauens auf die Wirksamkeit von Rabattzusagen. Insoweit ist jedoch nur der Vertrauensschaden ersatzfähig, der entsteht, wenn sich der Abnehmer auf die Rabattzusage verlässt, er einen Rabatt dann aber nicht erhält. 2. Die Nichtigkeit ist auf die verbotene Rabattzusage begrenzt. Ist eine solche Zusage Bestandteil eines Rahmen- oder Sukzessivlieferungsvertrages, der von dem marktbeherrschenden/marktmächtigen Unternehmen gleichförmig zur Organisation eines Vertriebssystems eingesetzt wird, dann bleibt dieser Vertrag im Übrigen wirksam. In allen anderen Fällen ist zur Bestimmung des Schicksals der übrigen Vertragsbestandteile § 139 BGB anzuwenden. 3. Die Wirksamkeit einzelner Lieferverträge, die als Folgeverträge einer Rabattzusage geschlossen werden, ist nach § 139 BGB zu beurteilen. 4. Rabattvereinbarungen in Form separater Auslobungsverträge sind insgesamt ex tunc nichtig. Die Wirksamkeit damit im Zusammenhang stehender Einzellieferungsverträge beurteilt sich nach § 139 BGB. 5. Austauschverträge, in denen sich ein Abnehmer bereits bei Vertragsschluss zum Bezug längerfristig bedarfsdeckender, mengenmäßig festgelegter Leistungen gegen Preisnachlass verpflichtet, sind bei Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUVoder Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB nach Art. 101 Abs. 2 AEUV oder jeweils in Verbindung mit § 134 BGB insgesamt ex tunc nichtig. II. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt sind Wettbewerber auf dem beherrschten Markt, sowie im Fall von Gesamtsortimentsrabatten auch Wettbewerber auf den betroffenen Drittmärkten. Abnehmer sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn und soweit sie durch diskriminierende Rabattsysteme gegenüber anderen Abnehmern, mit denen sie im Wettbewerb stehen, benachteiligt werden. 1. Der Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB ist Ansatzpunkt, um einer faktischen Durchführung von Rabattsystemen entgegen zu wirken. Der Unterlassungsanspruch reicht dabei aber jeweils nur soweit wie die konkrete Betroffenheit. Daher können nur auf dem beherrschten Markt tätige Wettbewerber Unterlassung des missbräuchlichen Rabattsystems insgesamt verlangen. Drittmarktwettbewerber können Unterlassung nur insoweit verlangen als der Markt, auf dem sie selbst tätig sind, betroffen ist. Diskriminierte Abnehmer können lediglich eine Beendigung der Ungleichbehandlung erzwingen. 2. Bei der Formulierung eines Unterlassungsklageantrages sind die Leistungen, für die der Rabatt gewährt wird, konkret zu bezeichnen. Der Kläger darf, um naheliegende Umgehungen zu verhindern, formulieren, dass jegliche Überschreitung der gerade noch zulässigen Dauer der zur Berechnung herangezogenen Bezugsperiode zu unterlassen ist. Der Unterlassungskläger muss sich nicht darauf beschränken, die Unterlassung des konkret angewandten oder eines ähnlichen Rabattberechnungsschemas zu fordern. Vielmehr kann er eine, im Einzelfall angemessene
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Bagatellgrenze für die Unerheblichkeit von Bestellmengen konkret bezeichnen und das Verbot deren Überschreitung verlangen. Bei Treuerabatten ist zu verlangen, dass der Normadressat es bei der Berechnung von Rabatten zu unterlassen habe, einen Fremdbezug seiner Abnehmer als Anlass für eine Minderung oder einen Verlust des Rabattanspruchs zu berücksichtigen. In Bezug auf Gesamtsortimentsrabatte ist der Klageantrag dahingehend zu erweitern, dass der Normadressat den Rabatt nicht derart berechnen darf, dass er die auf dem beherrschten Markt erbrachten Leistungen mit weiteren, anderen Märkten zugehörigen Leistungen koppelt. 3. Für diskriminierte Abnehmer ist zu beachten, dass der Schadenersatzanspruch nicht dahin geht, mit begünstigten Abnehmern gleich gestellt zu werden. Mit anderen Worten können sie nicht die (Nach-)Zahlung eines Rabattes verlangen, den das marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen begünstigten Abnehmern rechtswidrig gewährt hat. C. Missbräuchliche Kopplungen
Bei der Beurteilung zivilrechtlicher Rechtsfolgen von Kopplungsgeschäften ist danach zu unterscheiden, ob die Kopplung von dem marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen durch das Setzen wirtschaftlicher Anreize oder zwangsweise mit wirtschaftlichem Druck bewirkt wird. I. Wirtschaftliche Kopplungen lassen sich durch kostenlose Zugaben, Gewährung von Vorzugsbedingungen oder Gesamtpreisbildungen für verschiedene Leistungen erreichen. Im Hinblick auf die vertragliche Gestaltung ist zwischen der Zusammenfassung von koppelnder und gekoppelter Leistung in einem Vertrag, Kopplungsvereinbarungen und Verträgen zu unterscheiden, zwischen denen lediglich ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. 1. Ein Vertrag, in dem sowohl die Gewährung der koppelnden als auch der gekoppelten Leistung zugesagt wird, ist hinsichtlich der Vereinbarung über die gekoppelte Leistung verboten und ex tunc nichtig. Abnehmer, welche die gekoppelte Leistung erhalten haben, werden dadurch geschützt, dass sie eine für den Erhalt der gekoppelten Leistung etwaig gezahlte Gegenleistung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern können, während der Kondiktionsanspruch des Marktbeherrschers auf Rückgewähr der gekoppelten Leistung regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB analog ausgeschlossen ist. Zudem stehen Abnehmern gewöhnlich Schadenersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB für den Fall zu, dass ihr Vertrauen auf Erhalt der gekoppelten Leistung enttäuscht wird. Die Wirksamkeit der vertraglichen Abrede über die koppelnde Leistung ist nach § 139 BGB zu beurteilen. 2. Kopplungsvereinbarungen, in denen sich ein Abnehmer zum zukünftigen Bezug der gekoppelten Leistung verpflichtet, sind nichtig. Die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen ist nach § 139 BGB zu beurteilen. 3. Bei nur wirtschaftlicher Verbindung eines Vertrages über die koppelnde Leistung einerseits und eines Vertrages über die gekoppelte Leistung andererseits ist der Vertrag über die gekoppelte Leistung nichtig. Da aber zwei getrennte Verträge
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vorliegen, findet § 139 BGB keine Anwendung. Das bedeutet, dass der Vertrag über die koppelnde Leistung wirksam bleibt. Ein Abnehmer kann aber gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 ff. BGB die Aufhebung des koppelnden Vertrages verlangen, wenn er ihn ohne die Zusage der Gewährung der gekoppelten Leistung zu Vorzugsbedingungen nicht geschlossen hätte. II. Im Sinne von § 33 Abs. 1 GWB Betroffene sind Wettbewerber des marktmächtigen Unternehmens auf dem beherrschten Markt und dem Markt der gekoppelten Leistung. 1. Zur Anspruchsberechtigung ist es nicht erforderlich, dass der Drittmarktwettbewerber zugleich auf dem beherrschten Markt tätig ist. Der Drittmarktwettbewerber kann aber gegen die Kopplung nur insoweit vorgehen, als seine Stellung auf dem dritten Markt tatsächlich beeinträchtigt ist. Er ist auch dann anspruchsberechtigt, wenn er auf dem Drittmarkt selbst marktbeherrschend ist. Nicht anspruchsberechtigt sind dagegen Angehörige der Marktgegenseite. 2. Bei der Formulierung des Unterlassungsklageanspruchs ist darauf zu achten, dass nicht die Abgabe der Leistungen als solche, sondern lediglich die rechtswidrige Kopplung verboten ist. Der Anspruch richtet sich also gegen die gemeinsame Abgabe nicht zusammengehöriger Leistungen zu Vorzugsbedingungen. III. Bei zwangsweisen Kopplungen bestehen in Bezug auf die Anwendung von § 134 BGB Übereinstimmungen mit den Fällen der wirtschaftlichen Kopplungen, im Hinblick auf die Anwendung von § 139 BGB aber Unterschiede. 1. Ein einheitlicher Vertrag, welcher eine Kopplung zum Gegenstand hat, ist gemäß Art. 102 S. 2 lit. d) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB jeweils i. V. m. § 134 BGB ex tunc nichtig, soweit er die Verpflichtung zur Abnahme der gekoppelten Leistung regelt. Ebenso ist eine Kopplungsklausel nichtig, welche den Abnehmer zum Bezug von gekoppelten Leistungen verpflichtet. Besteht zwischen dem Abschluss zweier Verträge eine wirtschaftliche Abhängigkeit dergestalt, dass der Abnehmer den Vertrag über die Nebenleistung schließen muss, um die Hauptleistung erhalten zu können, so ist der Vertrag über die gekoppelte Leistung nichtig. Die Nichtigkeit in diesem Umfang ist auch von Art. 101 Abs. 2 AEUV wegen des vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV gefordert. Im deutschen Recht führt auch § 1 GBW i. V. m. § 134 BGB zur Nichtigkeit. 2. Die Abnehmer müssen davor geschützt werden, infolge der Anwendung von § 139 BGB den Anspruch auf den Erhalt der koppelnden Leistung zu verlieren. Deshalb bleiben entsprechende Austauschverträge in Anwendung von § 134 2. Halbsatz BGB oder Art. 101 Abs. 2 AEUV unabhängig vom Willen des marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmens wirksam. Soweit ein Leistungsaustausch bezüglich der gekoppelten Leistung stattgefunden hat, muss der Marktbeherrscher im Regelfall die für die gekoppelte Leistung erhaltenen Zahlungen nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alternative 1 BGB zurückgewähren. Die Rückforderung der gekoppelten Leistung ist aber regelmäßig nach § 817 S. 2 BGB direkt oder analog ausgeschlossen.
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IV. Im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung von Marktteilnehmern bestehen erhebliche Unterschiede zwischen nur wirtschaftlichen und zwangsweisen Kopplungen. Betroffene Wettbewerber im Sinne des § 33 Abs. 1 GWB sind Drittmarktwettbewerber oder solche Wettbewerber, die zugleich auf dem beherrschten als auch auf dem Markt der gekoppelten Leistung tätig sind. Nicht geschützt sind indes Wettbewerber des koppelnden Unternehmens, die ausschließlich auf dem beherrschten Markt tätig sind. Neben Wettbewerbern des koppelnden Unternehmens sind auch Abnehmer erster Stufe als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anzusehen. Angehörige nachfolgender Marktstufen sind dagegen nicht i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt. 1. Aufgrund des Kopplungsverbots ergibt sich kein Anspruch eines Abnehmers auf Erhalt der koppelnden Leistung. Ein solcher Anspruch kann sich nur aus einem bereits geschlossenen Austauschvertrag oder aus dem Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Geschäftsverweigerung ergeben. 2. Der Schaden der Abnehmer besteht in erster Linie in den durch die erzwungene Abnahme der Nebenleistung verursachten erhöhten Bezugskosten. Hätte der Abnehmer die Leistung kostengünstiger von einem Dritten bezogen, so ist nur die Differenz zum Preis des Marktbeherrschers ersatzfähig. Hätte der Abnehmer die Leistung dagegen auch nicht von einem Dritten bezogen, ist der volle Preis für die nicht benötigte Nebenleistung zu ersetzen. Der Abnehmer muss die erhaltene Leistung indes zurückgewähren bzw. einen ihm verbleibenden wirtschaftlichen Vorteil in Abzug bringen. Zur Erleichterung der Schadensberechnung kann gem. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB auf den vom Marktbeherrscher erzielten anteiligen Gewinn, d. h. den auf den Absatz der gekoppelten Leistung entfallenden Mehrerlös, zurückgegriffen werden. Häufig wird aus Sicht eines Abnehmers, die sich aufgrund Bereicherungsrechts ergebende Rechtslage zu wirtschaftlich günstigeren Ergebnissen führen, weshalb er auf die Geltendmachung von Schadenersatz verzichten kann. D. Missbräuchliche vertikale Bindungen
I. Für wettbewerbsbeschränkende vertikale Bindungen, die gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV verstoßen, ordnet Art. 101 Abs. 2 AEUVex tunc Nichtigkeit an. Wegen der inhaltlichen Gleichheit des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu § 1 GWB ergibt sich die gleiche Sanktion bei Anwendung von § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. Auch bei Anwendung von Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB tritt ex tunc Nichtigkeit ein. 1. Es tritt in jedem Fall eine vollständige Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vertikalbindungen ein. Eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt. 2. Der Vertrag im Übrigen bleibt ohne die nichtige Bindung aufrechterhalten. § 139 BGB findet zum Schutz der Vertragspartner und um den Fortbestand der Vertriebsorganisation des Bindenden zu sichern, keine Anwendung. Soweit der nichtige Teil für den Bestand des Vertrages so bedeutend war, dass der übrige Vertrag
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nicht mit sinnvollem Inhalt aufrechterhalten werden kann, tritt Gesamtnichtigkeit ein. Allerdings sind die Parteien dann aufgrund von Treuepflichten gehalten, ihre Geschäftsbeziehung auf eine neue vertragliche Basis zu stellen. 3. Einzelne, infolge der Durchführung von Rahmenverträgen geschlossene Austauschverträge oder Vereinbarungen über Einzellieferungen im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen, die in Vollzug einer vermeintlich wirksamen Bezugsbindung vorgenommen werden, bleiben wirksam. § 139 BGB findet keine Anwendung. Soweit das gebundene Unternehmen deshalb wirtschaftliche Nachteile erleidet, ist es auf die Geltendmachung von Schadensersatz nach § 33 Abs. 1 und Abs. 3 GWB zu verweisen. II. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt sind Vertragspartner des bindenden Unternehmens selbst dann, wenn sie die Bindung bereitwillig akzeptierten. Bei Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen kommt aber eine Anrechnung von Mitverschulden nach § 254 BGB in Betracht. Des Weiteren sind Wettbewerber des marktbeherrschenden/marktmächtigen Unternehmens auf dem beherrschten und, soweit eine Bezugsbindung oder Verwendungsbeschränkung mit einer Kopplung kombiniert wird, einem dritten Markt als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB anzusehen. Von Vertriebsbindungen sind Wettbewerber dagegen nicht betroffen. 1. Potentielle Abnehmer, die infolge einer Vertriebsbindung eines marktbeherrschenden/marktmächtigen Unternehmens von einem gebundenen Zwischenhändler nicht beliefert werden, sind als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 GWB wegen eines Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV oder §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB berechtigt, Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz zu fordern. Der infolge einer Vertriebsbindung nicht belieferte Dritte kann Rechtsschutz auch wegen einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUVoder § 1 GWB, jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB in Anspruch nehmen. Da insoweit auch der Gebundene als Normadressat erfasst wird, richtet sich ein Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung, im Fall des Verschuldens auch auf Schadensersatz auch gegen ihn. Potentielle Abnehmer des gebundenen Unternehmens können diese Ansprüche auch geltend machen, falls sie als Folge von Bezugsbindungen oder Verwendungsbeschränkungen in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit beeinträchtigt sind. Ansprüche auf Belieferung oder sonstige Leistung sind aber ausgeschlossen. 2. Im Fall einer aufgrund von Art. 101 Abs. 1 lit. b), 101 Abs. 2 AEUV oder Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV i. V. m. § 134 BGB oder §§ 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtigen Vertriebsbindung kann die Aufforderung des Marktbeherrschers an seinen Abnehmer, einen Dritten nicht zu beliefern, gegebenenfalls (die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 GWB sind im Einzelfall zu prüfen) als Boykott i. S. v. § 21 Abs. 1 GWB zu behandeln sein. Bejahendenfalls kann der Verrufene Rechtsschutz nach § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB in Anspruch nehmen.
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3. Bei der Formulierung von Unterlassungsansprüchen ergeben sich über die Notwendigkeit der konkreten Bezeichnung der Leistungen des bindenden Unternehmens und der darauf bezogenen Bindungen keine besonderen Schwierigkeiten. Im Falle einer lediglich übermäßigen Bindung ist es notwendig, die höchstzulässige Grenze zu ermitteln und deren Überschreitung zu untersagen. 4. Vertragspartner haben als Mindestschaden einen Anspruch auf Ersatz erhöhter Bezugskosten, die ohne praktizierte Bezugsbindung nicht entstanden wären. Die insoweit vom Bindenden erzielten Einnahmen sind als anteiliger Gewinn i. S. v. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen. In Bezug auf Verwendungsbeschränkungen kann Anknüpfungspunkt für Schadenersatzansprüche insbesondere das erzwungene Nichterschließenkönnen neuer Geschäftsbereiche sein. Im Hinblick auf Vertriebsbindungen ist der Schaden in der Regel danach zu bemessen, inwieweit Geschäfte mit ausgeschlossenen potentiellen Abnehmern entgangen sind. E. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung
I. Die vertragliche Vereinbarung des Rechts zur ordentlichen Kündigung kann als solche nicht gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung verstoßen, da die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit marktbeherrschender/marktstarker Unternehmen zwar im Interesse des Wettbewerbsschutzes eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen werden darf. Ist dagegen die Kündigungsfrist unangemessen kurz, weil sie dem abhängigen Vertragspartner keine angemessene Zeit zur Anpassung an die veränderte wirtschaftliche Situation und zur Umstellung seiner geschäftlichen Tätigkeit gewährt, so ist diese Abrede i. S. v. § 134 BGB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB verboten. Im Wege der geltungserhaltenden Extension ist die Kündigungsfrist auf einen, den Erfordernissen des Verbots der ungerechtfertigten Geschäftsverweigerung entsprechenden Zeitraum zu verlängern. Eine ausgesprochene Kündigung wird, auch wenn die Kündigungsfrist zu kurz bemessen ist, sofort wirksam. Die Kündigungsfrist verlängert sich aber durch eine geltungserhaltende Anpassung auf den Zeitraum, der erforderlich ist, um einen Verstoß gegen Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB auszuschließen. Ist im Ausnahmefall eine Anpassung der Kündigungsfrist nicht möglich, tritt ausnahmsweise von Beginn an die Nichtigkeit der Kündigung ein. II. Rechtsschutz in Form eines Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruches nach § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB können diejenigen Marktteilnehmer in Anspruch nehmen, die als aktuelle Vertragspartner von einem Abbruch oder als potentielle Vertragspartner von einer Verweigerung eines Vertragsschlusses unmittelbar betroffen sind. Angehörige nachfolgender Marktstufen sind nicht im Sinne des § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB beeinträchtigt. 1. Ein marktbeherrschendes/marktstarkes Unternehmen unterliegt zum Zweck der Beendigung einer Geschäftsverweigerung ohne sachlichen Grund einem Kon-
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trahierungszwang, den betroffene Unternehmen mit einem verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB durchsetzen können. Soweit ein betroffenes Unternehmen ein Interesse an wiederholter Belieferung hat, kann es im Wege der Feststellungsklage feststellen lassen, dass der Normadressat aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB verpflichtet ist, die Geschäftsverweigerung zu unterlassen und es zukünftig zu beliefern. 2. Der Kläger sollte ein Vertragsangebot unterbreiten, dessen Annahme er im Wege der Leistungsklage verlangt. Dazu muss er die begehrte Leistung beschreiben, die benötigte Menge konkretisieren und weitere für ihn wesentliche vertragliche Regelungen benennen. Im Hinblick auf die Gegenleistung und die Vertragsbedingungen des marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmens kann er zunächst einen unbestimmten Klageantrag, gerichtet auf Leistungsgewährung zu den üblichen, d. h. zu den gleichen Bedingungen, die anderen Unternehmen gewährt werden, stellen. Soweit es an solchen üblichen Bedingungen fehlt, kann er dem Anspruchsgegner ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB einräumen. Soweit ein marktbeherrschendes/marktstarkes Unternehmen einen Vertragsschluss dauerhaft verweigert und der Interessent seinen Anspruch auf Beseitigung der dadurch verursachten Störung ohne Unterbrechung und vermeidbare Verzögerung verfolgt, hat er einen Nachlieferungsanspruch in Form eines Störungsbeseitigungsanspruchs nach § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB i. V. m. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. der §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB. 3. Als Schadensersatz steht der entgangene Gewinn im Vordergrund, der bei Geschäftsabbruch nach gewöhnlichem Umsatz und Gewinn in der Vergangenheit berechnet werden kann. Bei Newcomern steht die Berechnung des abstrakten Gewinnes auf Grundlage der getätigten Aufwendung im Vordergrund, wobei die Vermutung der Amortisation der Aufwendung regelmäßig Hilfe leistet. F. Diskriminierung
I. Die Konstellation rechtswidrig unterschiedlicher Vertragsgestaltung zeichnet sich dadurch aus, dass einem Teil der Vertragspartner günstigere vertragliche Bedingungen eingeräumt werden als einem anderen. 1. Die vertraglichen Regelungen (in beiden Vertragswerken, d. h. sowohl die begünstigenden als auch die benachteiligenden) bleiben wirksam. Weder die Regelnichtigkeit nach § 134 1. Halbsatz BGB, noch eine auf § 134 2. Halbsatz BGB gestützte Vertragsanpassung bieten angemessene Lösungsmöglichkeiten. Das nachteilig betroffene Unternehmen kann das marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen mit Hilfe eines Beseitigungsanspruches dazu zwingen, eine Gleichbehandlung herzustellen. Ein Anspruch auf Gewährung der vorteilhaften Bedingungen
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besteht allerdings nur dann, wenn das die einzige Möglichkeit der Rückkehr zu rechtmäßigem Verhalten darstellt. 2. In diskriminierender Weise durch das marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen vorgenommene, einseitig belastende Rechtsgeschäfte sind nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten und ex tunc nichtig. 3. Die Vornahme eines Rechtsgeschäfts, die zu einer rechtswidrigen Bevorzugung eines Vertragspartners gegenüber gleichartigen anderen führt, ist wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten, ohne dass Nichtigkeit eintritt. Das Rechtsgeschäft bleibt wirksam. Der Diskriminierte ist darauf zu verweisen, mit Hilfe eines Beseitigungsanspruches nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB eine Gleichbehandlung, gegebenenfalls auch die Gewährung des gleichen Vorteils, zu erzwingen. 4. Einseitige Rechtsgeschäfte, die in unterschiedlich bevorzugender oder unterschiedlich benachteiligender Weise gleichzeitig gegenüber zwei oder mehreren Unternehmen durch ein marktbeherrschendes/marktstarkes Unternehmen vorgenommen werden, bleiben trotz Verstoßes gegen Art. 102 S. 2 lit. c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB nach § 134 BGB wirksam. Das benachteiligte Unternehmen ist auf die Geltendmachung eines Beseitigungsanspruches zur Beendigung der Ungleichbehandlung zu verweisen. 5. Verträge, die als Folge einer diskriminierenden Auswahlentscheidung zwischen marktbeherrschendem/marktstarken Unternehmen und einem Drittunternehmen geschlossen werden, verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. Diese Verträge sind nichtig. Soweit sie zum Zeitpunkt der Aufdeckung der Diskriminierung bereits vollzogen wurden, tritt die Nichtigkeit nur ex nunc ein. Dadurch erhalten benachteiligte Unternehmen die Möglichkeit, durch eine neue diskriminierungsfreie Zuteilung oder Vergabe selbst Vertragspartner werden zu können. Diese Lösung ist auf die Fälle zu übertragen, bei denen das marktbeherrschende/ marktstarke Unternehmen sowohl mit dem begünstigten als auch dem benachteiligten Unternehmen Verträge schließt, aber knappe Leistungen in diskriminierender Weise fehlerhaft zuteilt. Der Vertrag mit dem diskriminierten Unternehmen bleibt wirksam, der Vertrag mit dem begünstigten Unternehmen ist ex nunc nichtig. Soweit er noch nicht vollzogen ist, sind die freigewordenen Ressourcen durch eine neue diskriminierungsfreie Zuteilung zu verteilen. II. Als Betroffene i. S. v. § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GWB sind all diejenigen Unternehmen anzusehen, die mit dem marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen unmittelbar in Geschäftsbeziehung stehen bzw. treten wollen und von diesem im Vergleich zu anderen Unternehmen ungleich behandelt werden.
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1. Mittelbar als Geschäftspartner eines diskriminierten Unternehmens betroffene Marktteilnehmer auf nachgelagerten oder sonst dritten Märkten sind dagegen grundsätzlich nicht anspruchsberechtigt. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass die Diskriminierung des betroffenen Unternehmens auf einem zwischen dem marktbeherrschenden/marktstarken Unternehmen und dem Drittunternehmen abgestimmten Verhalten beruht und insoweit zugleich auf eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i. S. v. Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV und/oder § 1 GWB zurückgeht. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist dann auch auf solche Marktteilnehmer auszuweiten, die dem gebundenen Unternehmen unmittelbar gegenübertreten und von diesem in Ausführung des abgestimmten Verhaltens ohne sachlichen Grund ungleichbehandelt werden. In diesem Fall können beide Unternehmen, die am wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhalten mitwirken, vom diskriminierten Marktteilnehmer als Normadressaten des Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUVoder § 1 GWB über § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Ist in einem solchen Fall das bindende Unternehmen zugleich marktbeherrschend/marktstark, dann können die Betroffenen ihre Ansprüche gegen dieses Unternehmen auch auf Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. c) AEUVoder §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB stützen, ohne dass diese allerdings inhaltlich weiter reichen würden. 2. Der Beseitigungsanspruch ist in Diskriminierungsfällen von besonderer Bedeutung, da diskriminierende Rechtsgeschäfte häufig nicht nichtig sind. Er ist auf Beendigung der Ungleichbehandlung gerichtet. Nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn ersichtlich nur eine einzige Handlungsmöglichkeit besteht, um die Diskriminierung zu beenden, kann das marktbeherrschende/marktstarke Unternehmen zur Vornahme eben dieser Handlung verurteilt werden. Im Übrigen ist es in seiner Entscheidung, auf welche Weise es die Ungleichbehandlung beendet, frei. 3. In Fällen diskriminierender Auswahl bei Geschäftsabschlüssen über knappe Leistungen oder Vergabeentscheidungen muss der Klageantrag auf Neuentscheidung bezüglich der Auswahl der Vertragspartner lauten. Ein Anspruch auf Vertragsschluss besteht ausnahmsweise dann, wenn das betroffene Unternehmen nachzuweisen in der Lage ist, dass es bei rechtmäßiger Auswahl Vertragspartner hätte werden müssen. 4. Bei der Schadensberechnung kann der Diskriminierte nur dann verlangen, so gestellt zu werden als ob er die Begünstigung von Beginn an erhalten hätte, wenn er nachweist, dass die Gewährung des Vorteils die einzig rechtmäßige Handlungsvariante des marktbeherrschenden/marktmächtigen Unternehmens gewesen wäre. Darüber hinaus bleibt er verpflichtet, seinen Schaden konkret nachzuweisen. G. Ausbeutungsmissbrauch
I. Verträge, die ausbeuterisch überhöhte oder zu niedrige Preise enthalten, sind nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Im ersten Fall sind die Preise durch geltungserhaltende Reduktion abzusenken, im zweiten Fall durch geltungserhaltende Extension anzuheben.
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1. Das Maß der Anpassung bestimmt sich nach dem Preisniveau, welches durch Anwendung des Vergleichsmarktkonzeptes einschließlich angemessener Sicherheitszuschläge als Missbrauchsgrenze ermittelt wurde. Führt die Anwendung des Vergleichsmarktkonzeptes nicht zu brauchbaren Ergebnisse, ist die Missbrauchsgrenze und damit das Preisniveau über Gewinnspannenbegrenzungskonzepte zu ermitteln. Weitere Zu- oder Abschläge, sei es zur Begrenzung auf besonders evidente Verstöße oder spiegelbildlich zur Prävention sind nicht vorzunehmen. 2. Verträge, welche missbräuchliche Geschäftsbedingungen enthalten, sind gem. Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten. Sanktionen sind auf die verbotswidrigen Bestimmungen zu begrenzen, der Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich ist entsprechend der Missbrauchsgrenze, welche durch das Vergleichsmarktkonzept und eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen des dispositiven Rechts zu bestimmen ist, eine Anpassung vorzunehmen. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB ist dabei aber nicht als Maßstab heranzuziehen. Es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden. Soweit die Nichtigkeit einzelner Klauseln ausreichend ist, tritt Teilnichtigkeit ein. Kann eine Anpassung durch geltungserhaltende Reduktion oder Extension einzelner Bestimmungen durchgeführt werden, so ist diese im gebotenen Umfang vorzunehmen und der Vertrag im Übrigen unverändert zu lassen. Können unangemessene Belastungen auf diesen beiden Wegen nicht beseitigt werden, weil zusammenhängende Regelungskomplexe eines Vertragswerkes betroffen sind, bleibt der Vertrag zunächst wirksam. Zum Schutz seiner Interessen erhält der Betroffene die Möglichkeit, im Wege der Beseitigungsklage eine Vertragsänderung mit dem Ziel der Anpassung an wettbewerbskonforme Marktergebnisse durchzusetzen. Für die Zeit eines Rechtsstreits ist ihm ein Leistungsverweigerungsrecht insoweit zuzugestehen, als es darum geht, unangemessene Belastungen zu vermeiden. II. Als Betroffene nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 33 Abs. 1 GWB sind alle Unternehmen anzusehen, die dem Marktbeherrscher auf der Marktgegenseite als Abnehmer oder Lieferant unmittelbar gegenübertreten und mit der Forderung nach überhöhten Preisen oder unangemessenen Geschäftsbedingungen konfrontiert werden. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist auf diese aktuellen oder potentiellen Vertragspartner beschränkt. Eine Einbeziehung von Unternehmen, die auf nachgelagerten Marktstufen tätig sind, ist vom Normzweck des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht gedeckt. Zudem ist der Schadenersatzanspruch durch überhöhte Preise bzw. Kosten vollumfänglich dem Abnehmer erster Stufe zugewiesen. Der Einwand der Schadensweiterwälzung ist ausgeschlossen. 1. Rechtschutz gegen faktischen wirtschaftlichen Druck eines marktbeherrschenden Unternehmens kann durch Geltendmachung eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs erreicht werden. Die Weigerung zu nicht missbräuchlichen Bedingungen zu kontrahieren, stellt regelmäßig zugleich eine sachlich nicht ge-
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rechtfertigte Geschäftsverweigerung dar, so dass ein Anspruch auf Vertragsschluss zu angemessenen Bedingungen besteht. 2. Der Beseitigungsanspruch ermöglicht keine Rückzahlung überhöhter Entgelte und keine Nachzahlung im Fall missbräuchlich zu niedriger Entgelte. Im ersten Fall kann der Abnehmer überzahltes Entgelt im Wege der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 1.Alt. BGB zurückfordern. Im zweiten Fall besteht ein vertraglicher Anspruch auf (Nach-) Zahlung bis zur Höhe des nicht ausbeuterischen Entgelts. 3. Als Mindestschaden eines Unternehmens der Marktgegenseite kann die Differenz zwischen der Belastung infolge der Ausbeutung und den Als Ob Wettbewerbsbedingungen angesetzt werden. Zu beachten ist, dass hier eine Überscheidung mit vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüchen besteht. H. Preis- und Konditionenspaltung
Verträge, die zwischen einem Marktbeherrscher und Angehörigen der Marktgegenseite auf dem beherrschten Markt zu missbräuchlichen Preisen oder Geschäftsbedingungen geschlossen werden, verstoßen gegen das gesetzliche Verbot des Art. 102 S. 2 lit. a) und c) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB. Sie sind nach § 134 BGB verboten und ebenso wie beim Ausbeutungsmissbrauch durch geltungserhaltende Reduktion oder Extension auf das nicht missbräuchliche Maß anzupassen. Das Niveau der Anpassung wird durch die Preise und Bedingungen bestimmt, zu denen der Marktbeherrscher selbst auf nicht beherrschten Märkten Verträge schließt. In den Kreis der Betroffenen i. S. v. § 33 Abs. 1 GWB sind diejenigen Unternehmen einzubeziehen, die dem Marktbeherrscher auf dem beherrschten Markt als aktuelle oder potentielle Vertragspartner gegenübertreten und von diesem mit der Forderung nach unangemessenen Preisen oder Geschäftsbedingungen konfrontiert werden. Im Übrigen entsprechen die zivilrechtlichen Rechtsfolgen denjenigen, die im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsmissbrauch dargestellt wurden. J. Missbräuchliche Verweigerung der Mitbenutzung wesentlicher Einrichtungen
I. Als Zugangsverweigerung sind nicht nur die Zurückweisung des Nutzungsbegehrens, sondern auch der Abbruch einer Vertragsbeziehung und die Zugangsgewährung zu unzumutbaren Bedingungen, insbesondere zu überhöhten Nutzungsentgelten anzusehen. 1. Eine gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Zugangsverweigerung zu einer wesentlichen Einrichtung verstoßende Kündigung ist nach Art. 102 S. 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 134 BGB verboten und nichtig. Das gleiche gilt für andere Arten der rechtsgeschäftlichen Vertragsbeendigung, soweit sie missbräuchlich sind. 2. Ein Vertrag über die Mitbenutzung einer Infrastruktureinrichtung ist, soweit er ein nicht angemessenes (überhöhtes) Entgelt für die Nutzung festschreibt, wegen Verstoßes gegen das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Verweigerung des
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Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV und § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB nach § 134 BGB verboten, aber nicht nichtig. Das überhöhte Entgelt ist auf Grundlage von § 134 2. Halbsatz BGB im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion auf das angemessene Maß abzusenken. Das gilt ebenso für andere unangemessene Geschäftsbedingungen. Hat der Mitbenutzer über das geschuldete Maß hinaus Zahlungen geleistet, dann kann er diese nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB zurückfordern. Es besteht eine Parallele zu den Fällen des Ausbeutungsmissbrauchs nach Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV und § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB. II. Als Betroffene i. S. v. Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB anspruchsberechtigt, sind solche Unternehmen, die den Zugang zu einer Infrastruktureinrichtung erstreben, um als Wettbewerber auf dem vor- oder nachgelagerten Markt tätig werden zu können. Anspruchsberechtigt sind auch solche Unternehmen, denen zwar bereits Zugang gewährt worden ist, die aber vom Abbruch der Vertragsbeziehung bedroht sind oder die den Zugang nur zu unangemessenen Bedingungen erhalten haben. Nicht anspruchsberechtigt sind Unternehmen, die zwar die Infrastruktureinrichtung mitbenutzen wollen, aber nicht als Wettbewerber des Marktbeherrschers auftreten (wollen). Diese Unternehmen können Rechtsschutz nur wegen Verstoßes gegen das allgemeine Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Geschäftsverweigerung nach Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB in Anspruch nehmen. 1. Der Anspruch des Betroffenen richtet sich auf Beseitigung der Verweigerung eines Zugangs zur Infrastruktureinrichtung gemäß Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB jeweils i. V. m. § 33 Abs. 1 GWB. Es handelt sich um einen Anspruch auf verhandelten Infrastrukturzugang. Der Marktbeherrscher unterliegt insoweit einem Kontrahierungszwang. 2. Der Zugangsinteressent sollte ein annahmefähiges Angebot formulieren und in einer Klage beantragen, dass der Marktbeherrscher verurteilt wird, dieses Angebot anzunehmen. Um zu verhindern, dass ein Streit über die Höhe des angemessenen Entgelts die Nutzung der wesentlichen Einrichtung verzögert oder praktisch verhindert, kann er durch die Herstellung eines Bezugs zu den üblichen Bedingungen eines bereits eröffneten Geschäftsverkehrs oder der unternehmensintern vorgenommenen kalkulatorischen Inrechnungstellung von Entgelten verlangen, Zugang zu den gleichen Bedingungen zu erhalten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dem Marktbeherrscher ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB einzuräumen. Der Begriff der Billigkeit ist hier identisch mit dem des angemessenen Entgelts. Der Marktbeherrscher ist sowohl bei Anwendung von Art. 102 Sätze 1 und 2 lit. b) AEUVals auch von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GWB verpflichtet, die Angemessenheit des Entgelts darzulegen und zu beweisen. 3. Zugangsinteressenten, die erstmalig die Mitbenutzung einer wesentlichen Einrichtung anstreben, können entgangenen Gewinn für den Zeitraum ab Erhebung
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des Nutzungsbegehrens bis zur tatsächlichen Mitbenutzung verlangen, wenn sie nachweisen, dass sie in diesem Zeitraum Gewinn erzielt hätten. Zu diesem Zweck kann auch auf die Entwicklungen der eigenen Geschäftstätigkeit auf Vergleichsmärkten zurückgegriffen werden, welche dann Grundlage einer Schadensschätzung i. S. v. § 287 ZPO sein können. Eine konkrete Schadensberechnung kommt dann in Betracht, wenn der Zugangsinteressent auf dem abgeleiteten Markt bereits Kunden gewonnen hatte und er infolge der Zugangsverweigerung nicht in der Lage ist, diese Kunden zu beliefern. Der entgangene Gewinn berechnet sich dann auf Basis dieser nichterfüllten Verträge. 4. Eine abstrakte Schadensberechnung in Form frustrierter Aufwendungen ist auch auf Basis getätigter Investitionen zur Vorbereitung der Betätigung auf dem abgeleiteten Markt möglich. Hierbei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass sich diese Investitionen zumindest amortisiert hätten. 5. Im Fall überhöhten Entgelts kann die Differenz zum angemessenen Entgelt als Mindestschaden geltend gemacht werden. Insoweit gibt § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB einen gleichlautenden Anspruch. Der Einwand der Schadensweiterwälzung ist ebenso wie beim Ausbeutungsmissbrauch ausgeschlossen.
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Stichwortverzeichnis AGB 488 ff. Anwendungsvorrang gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 39, 86 ff., 283, 327, 336, 344, 490 Äquivalenzgrundsatz 33 ff., 71 Ausbeutungsmissbrauch 466 f. – Betroffenheit 496 ff. – Preishöhenmissbrauch 468 – Schadenersatz 513 ff. – Teilnichtigkeit 488, 492 f., 496 – Unangemessene Geschäftsbedingungen 469 – Unterlassung 506 ff. – Vertragsanpassung 474 ff., 487 ff. – Vorteilsausgleichung, pass on defence 515 ff. Auskunftsanspruch 160 f., 415 f., 554 Behinderungs- und Diskriminierungsverbot 32 f., 67, 113 f., 254 f., 427 f., 508 ff., 550 f. Beseitigungsanspruch 144 ff. Bestimmtheitsgebot 137 ff., 205 ff., 256 ff., 297, 418 ff., 458 ff., 546 ff. Betroffenheit – individuelle 62 ff. 69 ff., 293 ff., 315 f., 380 f. – nach § 33 Abs. 1 GWB 44 f., 128 ff., 154 – persönliche 134 ff., 203, 253 ff., 291 f., 313 ff., 356 ff., 403 ff., 456 ff., 496 ff., 523, 543 f. Beweislast – nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB 528 – nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB 178 ff., 213 f. – nach Art. 2 VO 1/2003 41 f., 47 f. – und pass on defence 170 Diskriminierungsverbot 427 ff. – Beseitigungsanspruch 458 ff. – einseitige Rechtsgeschäfte 439 ff. – Normzweckvorbehalt 434 ff., 448 ff.
– Schadenersatz 460 ff. – Verträge 433 f., 444 ff. Drittmarktbehinderung 46, 293 ff., 360 f. Effektivitätsgrundsatz 33 ff., 48, 84, 154 f., 158 f. Folgeverträge 94 ff., 113 f., 247 ff., 289 f., 299 f., 352 ff. Geltungserhaltende – Extension 118, 152 f., 396 ff., 400 ff., 421, 436, 474 ff., 481 ff., 487 f., 493 f., 506, 513, 517 f., 522 f., 532 f. – Reduktion 107, 115 ff., 234 f., 337 ff., 398 f., 436, 474 ff., 481 ff, 487 f., 493 f., 506, 511 ff., 522 f., 535 ff., 558 Geschäftsverweigerung 380 ff. – Abbruch von Geschäftsbeziehungen 392 ff. – Kontrahierungszwang 406 ff. – Nachlieferungsanspruch 420 ff. – Normzweckvorbehalt 395 ff. – Schadenersatz 422 ff. Gewinn – anteiliger nach § 33 Abs. 3 S. 3 GWB 44, 160, 174 f., 320 f., 374 ff. – entgangener 158, 162 ff., 219 f., 261 ff., 300 f., 320, 374 ff., 423 f., 462, 527, 560 ff. GWB – Novellen – achte 45 ff. – sechste 36 ff. – siebente 42 ff. Individualschutz 62 ff., 127 f., 293, 447 f., 486 f., 496 f., 529 f. Institutionenschutz 62 ff., 380 f., 447 f., 486 f., 529 f. Kampfpreisunterbietung 177 ff. – Normzweckvorbehalt 191 ff.
600
Stichwortverzeichnis
– Schadenersatz 219 ff. – unter Einstandspreis 179 ff., 204 ff., 218 – unter Selbstkosten 179 ff., 215 ff. – Unterlassungsanspruch 204 ff. Kontrahierungszwang 309, 348 f., 351 f., 367, 406 ff., 453, 478, 480 f., 495, 507 f., 511 f., 532, 540 ff. Kopplung 265 ff. – Normzweckvorbehalt 274 ff., 305 ff. – Schadenersatz 300 f., 318 ff. – Teilnichtigkeit 280 f., 284, 286 ff., 311 ff. – Unterlassungsanspruch 296 ff., 316 ff. – wirtschaftlicher Anreiz 267 ff. – Zwangsweise 301 ff. Kündigung 78 f., 382 f., 393 ff., 400 ff., 412, 440 f., 443, 488, 493 f., 532 f. Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB 416, 507 f., 511 f., 542 f., 549, 554 ff. More economic approach siehe ökonomische Analyse Nichtigkeit – ex nunc 82 f., 110 ff., 121 f., 234 f., 238 f., 244 f., 275 f., 285 f., 450 ff. – ex tunc 83 f., 86, 235, 238 f., 243 ff., 285 f., 453 – nach Art. 101 Abs. 2 AEUV 29 f., 38, 86 ff., 93 f., 243, 339 ff. – und § 134 BGB 29 f., 38, 93 f., 98 ff., 104 f. Ökonomische Analyse des Missbrauchs von Marktmacht 54 ff. Pass on defence siehe Vorteilsausgleichung Preis- und Konditionenspaltung 520 ff. Privater Rechtsschutz 71 ff. Rabatte – Auslobung 251 – Nichtigkeit 213 f. – Normzweckvorbehalt 233 ff. – Preisnachlass im Voraus 251 ff. – Rahmen- und Folgeverträge 246 ff. – Schadenersatz 260 ff.
– Teilnichtigkeit 241, 246 ff. – und Marktmachtmissbrauch 223 ff. – Unterlassungsanspruch 255 Rahmenverträge 95, 112 ff., 232 f., 247 ff., 272 f., 289, 334 f., 344 ff., 417 f., 443 Rechtsfolgenbestimmung bei Anwendung von § 134 BGB 99 ff, 104 ff. Richtlinie 2014/104/EU für Schadenersatzklagen in Kartellsachen 26 f., 35 f., 49 f., 159, 174, 504 f. Rückabwicklung, bereicherungsrechtliche – und Ausbeutung 478 ff., 514 f., 516 f. – und Diskriminierung 451 ff. – und Kampfpreisunterbietung 194 ff. – und Kopplung 277 ff., 306 ff. – und Rabatte 236 ff. – und Zugang zu Infrastruktureinrichtungen 535 f., 545, 562 Schadenersatzanspruch 153 ff. Schadensüberwälzung (-abwälzung) 168, 315, 504, 515 Schutzgesetzprinzip 29, 36 ff., 44 f., 128 ff., 154 Teilnichtigkeit – und §§ 134, 139 BGB 107 ff. – und Art. 101 Abs. 2 AEUV, § 139 BGB 90 ff. Unterlassungsanspruch
136 ff.
Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung – Generalklausel 61 f. – Rechtsschutz und Wettbewerb als Institution 62 ff. – Zielsetzung 50 ff. Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB – § 19 Abs. 1, 2 GWB 77 ff. – Art. 102 AEUV 83 ff. Verordnung Nr. 1/2003 38 ff. Verschulden 154 ff. Vertikale Bindungen – Investitionshilfen 350 ff. – Missbräuchliche 325 ff. – Nichtigkeit 335 – Potentielle Abnehmer 2. Stufe 359 ff.
Stichwortverzeichnis – Rahmenvertrag und einzelne Austauschverträge 352 ff. – Schadenersatz 374 ff – Teilnichtigkeit 338 ff., 344 ff. – Übermäßige Bindungen 337 ff. – Unterlassungsanspruch 370 ff. Verweigerung des Zugangs zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen 525 ff. – Abbruch von Geschäftsbeziehungen 532 f. – Beseitigungsanspruch 545 – Forderung unangemessener Entgelte 533 ff.
601
– Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB 554 ff. – Schadenersatz, 560 ff. – Zugangsanspruch 540 ff. Vorteilsausgleichung 168 ff. – und Ausbeutung 515 ff. – und Kopplung 319, 320 f. – und Zugangsverweigerung 562 Wettbewerbsfreiheit 50 f., 54 f., 71 ff., 90, 93 f., 105 ff., 244 ff., 399 f., 402 ff., 473 f., 528 ff.