Preußen und Bayern am Rhein 3515107746, 9783515107747

Das moderne Landeswappen von Rheinland-Pfalz (wie auch das des Saarlandes) lässt nicht erkennen, dass wesentliche Teile

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German Pages 165 [170] Year 2014

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Inhalt
Vorwort
Einführung zu „Preußen und Bayern am Rhein“ mit Annotationen zu Geschichte und Beziehungsgeschichten an Rhein, Mosel und Saar
Hasslieben am Rhein
Wie die rheinische Pfalz an die Wittelsbacher fiel
Wittelsbacher als geistliche Fürsten am Rhein in der Frühen Neuzeit – dynastische Ambition, europäische Politik und kulturelles Erbe
Eine problematische Annäherung – Preußen und der Mittelrhein in der „Sattelzeit“
Das architektonische Erbe Preußens am Rhein
Koblenz-Ehrenbreitstein – von der kurtrierischen Reichsfestung zur preußischen Landesfestung
Die Autoren
Bildnachweis
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 3515107746, 9783515107747

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Franz J. Felten (Hg.)

Preußen und Bayern am Rhein

Landesgeschichte

Mainzer Vorträge 17

Franz Steiner Verlag

Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V.

Preußen und Bayern am Rhein

mainzer vortr äge Herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz Band 17

Franz J. Felten (Hg.)

Preußen und Bayern am Rhein

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10774-7

Inhalt Vorwort......................................................................................................7 Franz J. Felten ...........................................................................................9 Einführung zu „Preußen und Bayern am Rhein“ mit Annotationen zu Geschichte und Beziehungsgeschichten an Rhein, Mosel und Saar. Michael Kißener......................................................................................47 Hasslieben am Rhein. Vergleichende Beobachtungen zur bayerischen und preußischen Präsenz am Rhein im 19. und 20. Jahrhundert Bernd Schneidmüller ..............................................................................63 Wie die rheinische Pfalz an die Wittelsbacher fiel Josef Johannes Schmid ...........................................................................81 Wittelsbacher als geistliche Fürsten am Rhein in der Frühen Neuzeit – dynastische Ambition, europäische Politik und kulturelles Erbe Heinz Duchhardt ...................................................................................107 Eine problematische Annäherung – Preußen und der Mittelrhein in der „Sattelzeit“ Anton Neugebauer ................................................................................119 Das architektonische Erbe Preußens am Rhein Klaus T. Weber ......................................................................................143 Koblenz-Ehrenbreitstein – von der kurtrierischen Reichsfestung zur preußischen Landesfestung Die Autoren ...........................................................................................163 Bildnachweis .........................................................................................165

Vorwort „Preußen am Rhein“ würde offenbar im aktuellen Trend liegen; man denke nur an die Tagung „Preußen in der Rhein-Main-Region. 1866: Annexion als Modernisierung“, die nach Abschluss unserer Reihe Ende März 2011 in Bad Homburg abgehalten wurde (und deren Vorträge soeben im Druck erschienen sind), an die Ausstellungen in Nordrhein-Westfalen im September 2009 „Wir sind Preußen“ zum Jubiläum der Ankunft Preußens im Westen 1609 oder an den Sammelband „Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte“, erschienen 2011, dessen Herausgeber, Georg Mölich vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland (als Institution ein direkter Erbe der Preußenzeit), überdies 2013 zusammen mit der Thomas-Morus-Akademie und dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (der, wie das Institut, dankenswerter Weise noch das gesamte Gebiet der preußischen Rheinprovinz im Auge hat) nach Bensberg zu einer Studienkonferenz „Preußen am Rhein. Zur Kulturgeschichte des Rheinlands nach 1815“ einlud. Die Idee und der Beschluss, eine Vortragsreihe zu „Preußen am Rhein“ analog zu unserer Reihe von 2007 „Frankreich am Rhein“ (s. Mainzer Vorträge 13, 2009) zu veranstalten, entstand noch in Unkenntnis dieser Aktivitäten am 27. Februar 2007, am Rande des Vortrages, der die Frankreich-Reihe im Plenarsaal unseres Landtages beschloss, in einem Gespräch mit dem Herrn Landtagspräsidenten Joachim Mertes, selbst, wie der Verfasser dieser Zeilen, im Süden der ehemaligen preußischen Rheinprovinz aufgewachsen. Schnell war klar, dass in einem Land, das in seinem Landesnamen „Rheinland“ und „Pfalz“ verklammert, Bayern nicht fehlen durfte – also „Preußen und Bayern am Rhein“. Die Idee stieß auf freundliche Resonanz, bei den zahlreichen Besuchern unserer Vortragsveranstaltungen wie den Vortragenden, die wir schnell gewinnen konnten. Dafür gebührt ihnen unser herzlicher Dank, aber auch dafür, und das ist in einer Zeit zunehmender Verpflichtungen nicht gering zu schätzen, dass sie alle bereit waren, ihre Vorträge für den Druck zu bearbeiten. Zu danken ist weiterhin den Gastgebern unserer Veranstaltungen, zuerst dem Herrn Landtagspräsidenten, der den Plenarsaal für den Eröffnungsvortrag zur Verfügung stellte, Herrn Prof. Dr. Peter Reifenberg, Direktor der Akademie des Bistums Mainz – Erbacher Hof, deren Haus am Dom uns seit Jahren in vertrauensvoller Kooperation zur Verfügung gestellt wird, und

den dort für den Ablauf verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Jahre 2011 waren wir aber erstmals auch im Lande unterwegs, im historischen Ratssaal zu Speyer mit dem Vortrag über die Pfalz und in der Rheinischen Landesbibliothek Koblenz mit dem über die preußische Landesfestung. Auch hier gilt unseren Gastgebern, der Stadt Speyer und dem Landesbibliothekszentrum, unser geziemender Dank. Wie immer aber ist Dr. Elmar Rettinger und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres IGL, insbesondere auch den studentischen, für effiziente Organisation und aktive Hilfe bei Planung, Vorbereitung und Durchführung der Vorträge herzlich zu danken – und schließlich nicht zuletzt Dr. Hedwig Brüchert für die Redaktion der Beiträge und die Vorbereitung für den Druck (in bewährter Sorgfalt und dankenswerter Weise auch nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst). Mainz, Ende Oktober 2013

Franz J. Felten

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Einführung zu „Preußen und Bayern am Rhein“ mit Annotationen zu Geschichte und Beziehungsgeschichten an Rhein, Mosel und Saar.1 „Preußen und Bayern am Rhein“ – der Titel verweist nicht zufällig auf unsere Reihe von 2007 „Frankreich am Rhein“ (s. Vorwort). Sprach Michael Kißener (Mainz) damals zu dem Thema: „Wie Völker hassen lernen. Deutsche und Franzosen im 19. Jahrhundert“, so wählte er dieses Mal für den wieder bis in die Politik des 20. Jahrhunderts hinein führenden Eröffnungsvortrag den Titel: „Hasslieben am Rhein. Vergleichende Beobachtungen zur bayerischen und preußischen Präsenz am Rhein im 19. und 20. Jahrhundert.“ Hier wie dort wecken die Namen der politischen Gebilde (Akteure) durchaus unterschiedliche Erinnerungen bei den Linksrheinern, 1

Die Erweiterung des Titels und der persönlich-anekdotisch getönte Einstieg sollen andeuten, dass das Thema den Hg., selbst nicht mit einem Vortrag in der Reihe vertreten, reizte, einige Aspekte dieser Beziehungsgeschichten, die ja in den letzten Jahren in der Wissenschaft zunehmend Beachtung finden, vertiefend zu behandeln, da er aufgrund eigener Biographie (an der saarländisch-deutschen Grenze aufgewachsen und in aufgewühlter Zeit zu politischem Bewusstsein gekommen) ein besonderes Interesse an den Ereignissen und Mentalitäten, aus seit langem gewachsenen methodisch-fachlichem Interesse auch an der Nutzung von Geschichte als Argument so sehr interessiert ist, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, über die bloße Vorstellung der Vorträge hinauszugehen, zumal manche Abläufe, wie zahlreiche Gespräche zeigten, einer breiteren Öffentlichkeit und teils auch im Fach nicht allgemein bekannt sind, sie es aber verdienen, in einer Publikation, die ein breites Publikum ansprechen will, dargestellt zu werden. Der in der Reihe übliche Verzicht auf regelrechte Fußnoten mit ausführlichen Belegen und der Möglichkeit differenzierender Argumentation fiel hier besonders schwer. Einen schwachen Ersatz mögen die Belege im Fließtext und die Liste ausgewählter Literatur bieten, die freilich nicht annähernd die vorhandene, nicht einmal die konsultierte Literatur abbildet. Auf eine Auflistung von Internetseiten wurde verzichtet, da sie z.T. nach kurzer Zeit nicht mehr erreichbar sind. Etlichen Fachkollegen in Archiv, Museum und Universität sei herzlich für Gespräche insbesondere zu Problemen der saarländischen Geschichte gedankt, namentlich Gerd Ames (Saarbrücken), Hans-Christian Herrmann (Saarbrücken), Joachim Kemper (Speyer), Michael Kißener (Mainz), Volker Rödel (Karlsruhe) und Walter Rummel (Speyer). Für Hinweise auf Fehler, Irrtümer, abweichende Interpretationen und Übersehenes, auch anekdotisch-subjektives, ist der Autor gerade wegen der lebensweltlichen Verankerung des Themas und der sich durch die Pensionierung ergebenden Freiräume, sich stärker in diesen zeithistorischen Gefilden tummeln zu können, dankbar. Mainz, am 23. Oktober 2013 ([email protected]).

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persönliche, mehr noch kollektive, die meist schon zu Geschichtsbildern geronnen oder sogar davon abgeleitet sind. Da keiner unter uns die Zeiten, in denen diese Geschichtsbilder im Positiven wie im Negativen geprägt wurden, selbst erlebt haben dürfte, jedenfalls was Preußen und Bayern angeht, verschwimmen die Grenzen zwischen Erzählungen von selbst Erlebtem bzw. in der Familie Tradiertem und Gelesenem oder irgendwo Aufgeschnapptem. Erzählgut, Ahnen und Wissen fließen ein in ein kollektives Gedächtnis, das historischen Ereignissen im Nachhinein Sinn und Bedeutung verleiht, selbst wenn sie lange zurück liegen. Bei „Frankreich am Rhein“ ist es nicht nur die Erinnerung an die Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch an die nach 1918, ja an so entfernte Ereignisse wie den Pfälzischen Erbfolgekrieg – aber auch an die Mainzer Republik und die Zeit des napoleonischen Kaiserreichs. Franz Xaver von Zwack(h), der erste Regierungspräsident des nach dem Wiener Kongress geschaffenen bayerischen Rheinkreises, ist seit 1843 tot, und dennoch soll die spöttische Bezeichnung „Zwockel“ in der Pfalz für die einst dort tätigen bayerischen Beamten (oder auch für heutige Bayern) auf seinen Namen zurückgehen. (Alte Mainzer meinten mit dem gleichen Wort Österreicher, angeblich abzuleiten von einem an der Kopfbedeckung der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Bundesfestung Mainz stationierten österreichischen Truppen getragenes „Zwoagl“.) Das Wissen, von 1815 bis 1945 zu Preußen gehört zu haben, ist in der ehemaligen Rheinprovinz noch weithin lebendig, und das Gefühl, „Beute-“ oder „Muss-Preußen“ gewesen zu sein, überdauerte vielfach den Untergang des Staates. Wissen und Gefühl dürften allmählich verblassen, wie auch der Ausdruck „bei den Preußen sein“ nicht mehr Synonym für Militärdienst ist, wie noch in den 1950er und 1960er Jahren – und zwar bei der zehn Jahre nach dem Untergang Preußens aufgebauten Bundeswehr. Kartoffeln seien eher für die Mägen von Preußen und Schweinen gedacht, meinten alte Bauern noch in meiner Kindheit, und dass ausgerechnet der im Dorf wohnende Polizist (noch immer „Gendarm“ oder gar „Landjäger“ genannt) und der Förster „Preußen“ waren – und zugleich die einzigen Evangelischen unter mehr als 1.200 katholischen Einwohnern – „passt“ zu der Vorstellung, dass die preußische Regierung bewusst Ostelbier, gerne Pommern, als Repräsentanten der Macht in den Westen schickte (wohl nicht nur, weil nicht genügend katholische Beamte zur Verfügung standen), und zu dem, was man über die wechselseitig empfundene Fremdheit und Abneigung lesen kann (Zitate in: Frankreich am Rhein 18ff.). Generationen gut preußischer Volksschulerziehung, mit Lesebüchern, in denen der Alte Derfflinger und Zieten aus dem Busch auch an Rhein, Mosel und Saar gefeiert wurden, hatten Distanzgefühle, die schon zu Beginn der

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Preußenzeit formuliert wurden, hatten die Zeiten des Kaiserreichs, als auch viele „Beutepreußen“ begeisterte Staatsdiener und Offiziere selbst in elitären preußischen Regimentern wurden, überlebt. Sie spielten in den 1920er Jahren nicht zuletzt eine politische Rolle, etwa bei den unterschiedlichen Überlegungen, die Rheinlande zu verselbständigen, bis hin zu den verschiedenen Spielarten des Separatismus. Ja, sie wurden auch nach 1945 noch in der Alltagswelt ganz unbewusst und scheinbar zweckfrei vermittelt – vor allem aber auch, wie schon nach 1918, im Rheinland von Politikern verschiedener Strömungen zielgerichtet eingesetzt. War bewusste Distanzierung von Preußen, ja Preußenfeindlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg Wurzelgrund für unterschiedliche separatistische Bewegungen, so wurde sie nach 1945 benutzt, um die Rheinländer vom Nationalsozialismus abzugrenzen, ja freizusprechen und ihnen einen Platz in der Reihe der westeuropäischen Völker zu sichern. Das zeigte Michael Kissener exemplarisch an einer Rede Peter Altmeiers, des späteren langjährigen Ministerpräsidenten unseres Landes, die dieser 1946 zum Auftakt der Beratenden Landesversammlung in Koblenz zur Ausarbeitung einer Verfassung hielt. Im Ausgreifen Preußens bis über den Rhein sah Altmeier einen wesentlichen Teil einer politischen Fehlentwicklung, die es nach der Katastrophe des Nationalsozialismus zu korrigieren gelte, indem der politische Schwerpunkt an den Rhein verlagert werde, „wo der nationalsozialistische und zentralistische Machtstaatsgedanke niemals Wurzeln schlagen konnte“. „Hitler und seine ‘Alte Garde’“ erklärte er zu legitimen Nachfolgern der „Kräfte Ostelbiens“, denen er die „Menschen von Rhein und Pfalz, die niemals das abendländische Geisteserbe und die traditionelle Verbindung mit den Völkern Westeuropas verleugnet haben“, entgegenstellte (hier zit. nach Kißener in diesem Band; vgl ders. 2006, 20 und 2013, 113). Obwohl er gelegentlich auch an die preußische Rheinprovinz erinnerte, lehnte er hier alle preußischen Tendenzen ab, befürwortete einen Bruch mit der preußischen Geschichte am Rhein; statt dessen griff er weit zurück ins Mittelalter, zu dem zu einem „Rheinländer“ gemachten Karl dem Großen (†814) und seinem übernationalen, christlichen Reich – ein gedanklicher Fluchtpunkt zur Begründung eines christlichen Europa, in dem damals viele eine Chance sahen, alte Gräben und Konflikte zwischen den europäischen Völkern zu überwinden. (Der Begründer der Paneuropa Union, Graf Coudenhove -Calergi, rief 1949 bei einer Rede zur Verleihung des Karlspreises in Aachen dazu auf, den Vertrag von Verdun, der 843 das Karlsreich zerrissen habe, rückgängig zu machen und ein Europa von der Ostsee bis zum Kongo zu begründen; http://www.karlspreis. de/preistraeger/1950/rede_von_richard_nikolaus_graf_coudehove_kalergi.html).

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In ganz ähnlicher Weise konnte, wie Kißener zeigt, das neue, durch Beschluss der französischen Besatzungsmacht am Schreibtisch aus Teilen dreier Staaten zusammengesetzte Bundesland Rheinland-Pfalz legitimiert werden, wie z.B. in einer Denkschrift der Landesregierung von 1954, die der staatlichen Gliederung des Raumes von 1815 bis 1945 die innere Legitimation absprach: Mit der Zuordnung rheinischer Gebiete an Preußen und Bayern sei die Bevölkerung in eine Randlage hinein gedrängt worden, mit der „erhebliche wirtschaftliche Nachteile und ein bedeutender Verlust an politischer und kultureller Substanz verbunden“ gewesen sei. Demgegenüber stelle die Vereinigung der „deutschen Kernlande“ Rheinland und Pfalz in einem neuen Land einen „Akt historischer Kontinuität“ dar (zit. bei Kißener, in diesem Band; vgl. auch Rödel 2013, 283f.). – Am Rande: Noch ein 2006 in vierter Auflage von der Mainzer Staatskanzlei herausgegebener prächtiger Bildband trägt den Titel „Rheinland-Pfalz deutsches Kernland“. Die politische Argumentation aus der Gründungszeit des Landes ist bis heute ständig präsent: „Aus genau diesem Grund“, so schließt Kißeners Beitrag, „knüpft unser Landeswappen mit Kreuz, Rad und Löwe ganz bewusst nicht an Preußen und Bayern an, sondern an die viel älteren Traditionen und Raumordnungen, in die die Gründerväter das neue Land stellen wollten – wenn man so will, also ein noch heute sichtbares, indirektes Relikt der ‘Hasslieben am Rhein’“. Und so verweist auch der Landtagspräsident, wiewohl der preußischen Tradition nicht ganz abgeneigt, in seinem Vorwort zu „Kreuz, Rad, Löwe. Rheinland-Pfalz. Ein Land und seine Geschichte“ (2012), der großen, von Landtag und Staatskanzlei finanzierten Geschichte des Landes mit dem Titel auf die (seit 1954 dort aufgestellte) schwarz-rot-goldene Hambacher Fahne und das Landeswappen an der Stirnseite des Plenarsaales hin, die „nicht nur die Hoheit des Staates, sondern zugleich auch die historischen Wurzeln unseres Landes“ symbolisierten – von der mehr als hundertjährigen Zugehörigkeit zu Preußen und Bayern als Teil des „reichen historischen Erbes“ ist bewusst nicht die Rede. Der Ministerpräsident hingegen (ein bekennender Pfälzer) geht in seinem Vorwort gerade von den Erscheinungen aus, die in seiner Heimat bis heute an die bayerische Zeit erinnern, von den kirchlichen Zugehörigkeiten bis zu den Feuerversicherungen, betont aber auch, dass das Landeswappen bewusst auf den preußischen Adler, die Löwen von Hessen und Nassau und die bayerischen Rauten verzichtet habe, um deutlich zu machen: „Das ‚Land aus der Retorte’ hat weit in die Geschichte zurückreichende Wurzeln.“ Die für den Band verantwortlichen Historiker, darunter auch der Verfasser dieser Zeilen, unterstreichen ihrerseits, dass Landtag und Landesregierung damit „einen klaren geschichtspolitischen Akzent“

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setzen, das „neue, aus so heterogenen Teilen zusammengesetzte Land in eine lange zurückreichende Tradition einbinden und damit ein politisches Programm verknüpfen“ wollten – das sich, wie Kißener mehrfach zeigte, in das abendländisch-westeuropäische Konzept der entstehenden Bundesrepublik einfügte, und mit den das große Landeswappen bekrönenden Weinblättern als „Volkskrone“ ist auch ein demokratischer Akzent gesetzt. Gehört zum politischen Programm auch der Verzicht auf das Kreuz von Kurköln, das ja vor 1789 durchaus auch im Lande präsent war, um nicht zu stark an die „nordrheinischen“ Bezüge zu erinnern? Eine bewusste politische Gestaltung des Hoheitszeichens mit Selektion der eigenen Geschichte ist kein Einzelfall. Nordrhein-Westfalen etwa, das teilweise viel ältere preußische Traditionen hatte, verzichtet in dem erst 1953 amtlich eingeführten Landeswappen ebenfalls auf jede Erinnerung an Preußen zugunsten der Symbole der alten Provinzen Rheinland, Westfalen und Lippe; dabei entfällt der Preußenadler im Wappen der Rheinprovinz, wo er schon in der Weimarer Zeit „reduziert“ war im Vergleich mit dem Wappen des 19. Jahrhunderts. Der Landschaftsverband Rheinland, seit 1953 Rechtsnachfolger der alten Rheinprovinz, hingegen führt deren Wappen von 1926 in nahezu unveränderter Form. 2009 war Preußen auch in Nordrhein-Westfalen wieder eine Tradition, an die man sich positiv erinnern wollte: „Bei dem Wort ‚Preußen‘ denken viele Menschen vor allem an Pickelhauben und militärischen Drill. Doch man sollte den Blick auch auf Kirchen und Kanäle, auf Fabriken und Fußballvereine, auf Parks, Gärten und sogar auf Narrenkappen richten. In NRW hat die preußische Herrschaft so viele und so allgegenwärtige Spuren hinterlassen, dass sie uns oft kaum noch bewusst sind. 2009 aber gibt es Gelegenheit, die Wahrnehmung für die Zeit ‚als Nordrhein-Westfalen noch preußisch war‘ auf erlebnisreiche Weise zu schärfen – beim Besuch der gleichnamigen Ausstellung an den beiden Standorten des NRW-Preußen-Museums Wesel und Minden.“ (http://www.nrw-stiftung.de/projekte/projekt. php?pid=541; vgl. Sensen u.a. 2008). Dem rheinland-pfälzischen Beispiel der Wappengestaltung folgte das Saarland bei seinem Beitritt zur Bundesrepublik 1957. Bis zur Abtrennung vom Reich nach dem Ersten Weltkrieg, unter einer dem Völkerbund unterstehenden Regierungskommission, hatte das Saargebiet mehr als 100 Jahre zu etwa einem Viertel zur bayerischen Pfalz und zu etwa drei Vierteln zur preußischen Rheinprovinz gehört – doch davon findet sich im Wappen des neuen Bundeslandes keine Spur. 1957 verwarf man nicht nur das Wappen der Jahre 1947–1956, das in seinen Farben die französische Trikolore zitierte, und das Wappen des Saargebietes von 1919–1935, das Elemente von Städtewappen kombinierte. Wie in Rheinland-Pfalz über-

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sprang man auch die mehr als 100 Jahre währende preußische und bayerische Zeit und verwies auf die (vier) wichtigsten Territorien aus der Zeit vor 1789: Der silberne Löwe von Nassau-Saarbrücken und die roten gestümmelten Adler der Herzöge von Lothringen begleiten also das rote Kreuz des Kurfürstentums Trier und den goldenen Löwen der Herzöge von Zweibrücken, der sich ja als „Pfälzer Löwe“ mit dem Trierer Kreuz neben dem Mainzer Rad auch im rheinland-pfälzischen Wappen findet. Einen differenzierten Umgang mit der politischen Vorgeschichte kann man auch anderwärts beobachten: Das 1991 für das neue Bundesland Sachsen-Anhalt eingeführte Landeswappen hingegen kombiniert die Wappen der 1816 eingerichteten preußischen Provinz Sachsen (mit Adler) und des Freistaates Anhalt von 1924; 1948 hatte man aus einsichtigen Gründen auch in Sachsen-Anhalt auf den preußischen Adler verzichtet und ihn durch Ähren, Hammer und Schlegel ersetzt. In Thüringen fügte man 1991 den sieben Sternen, die im Landeswappen des alten Freistaats für die vor 1918 existierenden thüringischen Staaten standen, einen achten Stern für die ehemals preußischen Gebiete hinzu. Auch Baden-Württemberg greift in dem erst 1954 beschlossenen Wappen mit den drei staufischen Löwen im Hauptfeld auf die schwäbischen Herzöge des Mittelalters zurück. (Die Löwen hatten aber auch schon das Wappen des Königreichs Württemberg im 19. Jahrhundert bestimmt.) In einer Krone über dem Wappenschild erinnert das große Staatswappen mit fünf kleinen Schilden an die bis zum Ende des alten Reiches existierenden bedeutenderen früheren Territorien auf seinem Gebiet, darunter auch die bis zum Ende Preußens existierenden Hohenzollernschen Lande, aber unter Verzicht auf den Preußen-Adler, mit Rückgriff auf die schwarz-weiße Viertelung in den Wappen der 1950 in Preußen aufgegangenen Fürstentümer HohenzollernHechingen und Hohenzollern-Sigmaringen. Trotz des symbolischen Bruchs der rheinland-pfälzischen Landesväter mit der bayerischen und preußischen Vergangenheit wirken, so die Herausgeber in ihrem Vorwort zur neuen Landesgeschichte (Kreuz, Rad, Löwe), „nicht zuletzt in der landesgeschichtlichen Forschung das regionale Selbstbewusstsein der Pfälzer, die fortdauernde Erinnerung an die über anderthalb Jahrhunderte bestehende Zugehörigkeit der nördlichen Landesteile zur ehemaligen preußischen Rheinprovinz, aber auch die Bindungen zu Hessen fort.“ Zu verweisen wäre etwa (weitere Beispiele bei Rödel 2013, 292) auf Historische Kommissionen, Institute und landesgeschichtliche Zeitschriften, die sich für Rheinhessen, die südliche Rheinprovinz und die Pfalz noch zuständig fühlen. Das (inzwischen in eine Abteilung des Historischen Seminars der Universität Bonn umgewandelte) Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande hat mit seiner

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Zeitschrift, Rheinische Vierteljahrsblätter, wie mit der dort initiierten, unvollendet gebliebenen großen Rheinischen Geschichte der 1970er Jahre (Petri/Droege) den Raum bis zur Nahe und Saar ebenso im Blick wie der vorzügliche, 2008 abgeschlossene Geschichtliche Atlas der Rheinlande (Irsigler), der von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde in Köln herausgegeben wurde. Das noch im Erscheinen begriffene Nordrheinische Klosterbuch hingegen macht an der modernen Landesgrenze halt, entsprechend der Zuständigkeit des Geldgebers, des Landschaftsverbandes Rheinland, der 1953 dem seit 1887 existierenden, auf die gesamte Rheinprovinz bezogenen Provinzialverband Rheinland folgte. Das seit 2010 online stehende Geschichtsportal des Landschaftsverbandes wiederum definiert als seinen „Bezugsraum ... bis 1945 die Rheinprovinz, nach 1945 das Einzugsgebiet des LVR, [den] Landesteil Nordrhein der Landes NRW“ (http://www.rheinische-landeskunde.lvr.de/geschichte/portal/), was in der Praxis nicht streng eingehalten wird. Für den südlichen Teil der Rheinprovinz findet sich kein Verband als Nachfolgeinstitution, während in der Pfalz ein Bezirksverband als Kommunalverband höherer Ordnung mit einem gewählten Bezirkstag vergleichbare Aufgaben wahrnimmt, z.B. als Träger eines Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern sowie weiterer kultureller und sozialer Einrichtungen. Hier spiegelt sich eine beträchtliche, bis in die Zeit Napoleons zurückreichende historische Kontinuität wider, auch wenn der conseil général von 1800 „keine Institution der Selbstverwaltung, sondern ein Hilfsorgan des Fiskus“ war (Fenske). Seine Tradition setzte in der bayerischen Zeit der „Landrat“ fort, ebenfalls ein vom Herrscher berufenes Beratungsgremium. Erst in der Weimarer Zeit wurde der „Kreistag“ gewählt. Nach 1933 wurde auch er gleichgeschaltet, in Größe und Kompetenzen beschnitten. Zum 1. Januar 1939 wurden die bayerischen „Kreise“ in „Regierungsbezirke“ umbenannt, der Kommunalverband in „Bezirksverband“; die Mitglieder des „Bezirkstages“ wurden vom bayerischen Innenminister ernannt, ein Indiz dafür, dass München trotz aller Bemühungen, die Pfalz von Bayern zu lösen (dazu unten mehr), die staatsrechtliche Bindung behauptete. Bei der Gründung des Landes Rheinland-Pfalz sagte General Koenig die Wahrung regionaler Interessen zu, mit ausdrücklichem Bezug auf die Pfalz: „Tout en respectant dans le Palatinat par exemple, des traditions et aspirations locales“ (Abbildung der schmucklosen „Geburtsurkunde des Landes“ in Kreuz, Rad, Löwe 127). Ob er dabei an die bayerische Tradition dachte – oder vielleicht nicht doch an die Chancen einer Anknüpfung an pfälzische Selbständigkeitsbestrebungen (bis hin zum Separatismus) in den 1920er Jahren? (Zu den Befürchtungen nach 1945 Rödel 2013, 293f.) Die Verfassung des Landes von

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1947 jedenfalls sah für die einzelnen Landesteile eine gesetzlich geregelte Selbstverwaltung vor. Doch nur in der Pfalz wurden die Möglichkeiten der 1949 vom Landtag beschlossenen Bezirksordnung, die sich an der bayerischen Kreisordnung von 1927 orientierte, Gebrauch gemacht und für die Gründung des Bezirksverbandes genutzt, während die ehemals preußischen Regierungsbezirke und Rheinhessen, wo die Provinziallandtage 1933 bzw. 1936 aufgelöst worden waren, darauf verzichteten. Kann man darin nicht nur einen Ausdruck des historisch begründeten pfälzischen Sonderbewusstseins, sondern, wie in anderen Erscheinungen, auch eine lebendige Erinnerung an die bayerische Vergangenheit sehen? Das wiedererstandene Bayern jedenfalls bemühte sich nach 1945, „den unter französischer Besatzung stehenden ehemaligen 8. bayerischen Regierungsbezirk – die Pfalz – wieder in den Freistaat zu integrieren“– so die aktuelle Homepage des 1950 zu diesem Zweck von bayerischen Landtagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern gegründeten Bundes der Pfalzfreunde in Bayern. „Traditionell ist der Präsident des Bayerischen Landtags der 1. Vorsitzende des Bundes“ (wie alle einschlägigen Zitate, auch im folgenden, auf den Internetseiten, die unter der Dachadresse http://www.bayernpfalz.de/Netzcraftwerk/index.php zu finden sind). Schon seit 1949 verfolgte der Landesverband der Pfälzer in Bayern e.V. „als Mitglieder-Vereinigung und als Dachorganisation der in Bayern bestehenden Pfälzer-Vereine“ das „oberste Ziel, die Pfalz, die durch die Schaffung des Landes Rheinland-Pfalz von Bayern abgetrennt worden war, wieder zum Freistaat zurück zu holen.“ Das entsprach der offiziellen Politik, hatte doch der bayerische Ministerpräsident am 30. Juli 1948 im Landtag erklärt, den Pfälzern stünden in Bayern alle Türen offen, und der Landtag konstituierte 1950 seinen Ältestenrat als „Pfalzausschuss“, der jährlich in die Pfalz reiste und für den Anschluss warb (Wagner 280). Die damals in den Ministerien zur Vorbereitung des Anschlusses eingerichteten Pfalzbeauftragten und Pfalzreferenten existieren offenbar immer noch, gehören jedenfalls nach der aktuellen Satzung des Bundes der Pfalzfreunde vom 21. März 2013 dem Beirat an: „...auch mit deren Einverständnis die Regierungspräsidenten ggf. vertreten durch die Pfalzreferenten bei den Regierungen und der Pfalzreferent der Staatskanzlei und der Pfalzbeauftragte des bayerischen Landtags“. Energisch hatte schon 1949 Ministerpräsident Altmeier in einer Regierungserklärung vor dem Landtag gegen diese bayerische „Annexions-Propaganda“ protestiert; zwar würden „all diese Maßnahmen (er nannte im einzelnen Pfalzreferenten, Pfalzausschuss, Besuche, Reden und Veranstaltungen in der Pfalz, intensive Werbemaßnahmen) als nicht offiziell bezeichnet werden“, doch lasse „sich dabei die amtliche Initiative und Mitwirkung der bayerischen Regie-

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rung nicht bestreiten“ (zit. nach Wagner 281). Hessen und Baden verfolgten ihre Wünsche nach Angliederung von Teilen des neuen Landes, auf das sie historische Ansprüche zu haben glaubten, vorsichtiger, obwohl auch sie im Lande auf Sympathisanten zählen konnten. In der Pfalz selbst gründeten prominente Politiker aus allen Parteien den Verein „Kurpfalz“, der sich für eine Wiedervereinigung der seit 1815 getrennten Kurpfalz und damit indirekt für den Anschluss an den absehbaren Südweststaat einsetzte. Die pfälzischen Bayernfreunde konterten mit dem Bund „Bayern und Pfalz“, der unter dem Vorsitz eines CDU-Bundestagsabgeordneten schon ein Jahr nach der Gründung 700 Mitglieder zählte (Wagner 284). Diese Konkurrenz mag dazu beigetragen haben, dass keine der beiden Initiativen 1956 das notwendige Quorum von 10% der Stimmberechtigten erreichte – obwohl angeblich die Pfälzer nach 1948 „ganz zweifellos mehrheitlich eine süddeutsche Ausrichtung der Pfalz“ gewollt haben sollen (Küppers, zit. bei Wagner 284f.). Der Verein Kurpfalz wie die Organisationen der Pfälzer und ihrer Freunde in Bayern akzeptierten die Niederlage und definierten sich neu: „Da eine Länderneugliederung trotz mehrerer Anläufe nicht möglich war, hat sich der Verein in stärkerem Maße darauf konzentriert, die kulturelle Identität des geschichtlichen Raums der ehemaligen Kurpfalz über die Ländergrenzen hinweg zu erhalten und die politische Zerteilung zu mildern“ (http://www.kurpfalz-bibliothek.de/verein.htm). Deutlicher nimmt die aktuelle Internetseite des Bundes der Pfalzfreunde in Bayern „die Schuldigen“ ins Visier: „Im Volksbegehren von 1956 zeigten sie Pfälzer (sic!) zu wenig Interesse an einer Rückkehr zu Bayern. Seither pflegt der Bund die historisch gewachsenen Beziehungen zur Pfalz“ (http://www. bayernpfalz.de/Netzcraftwerk/index.php?id_seite=1155117204). Zu diesem Zweck verleiht er „an Persönlichkeiten, die sich um die Pflege dieser Beziehungen besonders verdient gemacht haben, die Hofenfels-Medaille (2010 z.B. an Bernhard Vogel) und fördert junge, begabte Pfälzer Künstler/innen mit dem Mannlich-Kunstpreis. 2013 wurde der Kurfürst-KarlTheodor-Preis ausgelobt für herausragende, wissenschaftliche Abschlussarbeiten zum Thema Bayern und Pfalz.“ Der Landesverband der Pfälzer in Bayern e.V. versteht sich heute als „kulturelle(s) Bindeglied zwischen Pfälzern rechts und links des Rheins“, gibt eine Zeitschrift „Die Pfalz“ heraus und unterhält enge freundschaftliche Beziehungen zur Pfälzer Weinbruderschaft, Komturei München.Vor allem dotierte er 1974 aus den Erträgen der 1950 zur Mitfinanzierung des Kampfs um die Rückkehr der Pfalz gegründeten Pfälzer Weinstube in der Münchener Residenz eine „Bayern-Pfalz-Stiftung“, die einschlägige kulturelle Projekte und Forschungen fördert, sowie begabte junge Pfälzer (auch aus den ehemaligen

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pfälzischen Teilen des Saarlandes) unterstützt, die in Bayern ihre Ausbildung machen. Sie wirbt im Internet: „Bitte unterstützen Sie die Ausbildung unserer jungen Pfälzer/innen in Bayern!“ Noch in den 50er Jahren gingen traditionsbewusste Abiturienten aus der Pfalz (inkl. „Saarpfalz“) gerne nach München zum Studium (oder ins kurpfälzische Heidelberg, aber nicht nach Mainz oder Saarbrücken) und machten auch in Bayern Karriere. 2009 feierten beide Verbände in Zusammenarbeit mit dem Hauptstaatsarchiv München den 60. Geburtstag des Landesverbandes mit einer großen Ausstellung „Goldener Löwe und weißblaue Rauten“. Institutionelle Bindungen zwischen Bayern und der Pfalz existieren bis heute: Der Bischof von Speyer ist Mitglied der bayerischen Bischofskonferenz, sein Bistumsarchiv ist das einzige Archiv außerhalb Bayerns, das im Handbuch der bayerischen Archive aufgeführt wird. Städtepartnerschaften, die in den Zwanziger Jahren die Verbindung zur besetzten Pfalz halten sollten, lebten weiter. Für die von König Maximilian II. begründete Studienstiftung für hochbegabte bayerische Studenten (Maximilianeum) – seit 1980 nach einer Zustiftung des Herzogs Albrecht auch: Studentinnen – können auch Gymnasien und Fachoberschulen der „linksrheinischen Pfalz“ bis heute Schülerinnen und Schüler mit exzellenten Leistungen (1.0 Abitur) vorschlagen, die seit längerem in der Pfalz wohnen („bayerisches Indigenat“) sowie ein „christliches Glaubensbekenntnis und tadellose sittliche Führung“ aufweisen (http://maximilianeum.mhn.de/stiftung/frameset_stiftung.php). Der Norden von Rheinland-Pfalz kann auf solche Fürsorge aus dem alten Mutterland begreiflicher Weise nicht zählen. Preußen war mit seinem Untergang bzw. seiner Auflösung 1947 als Basis für Ansprüche auf den Norden von Rheinland-Pfalz ausgeschieden, doch hatte man in der nördlichen Rheinprovinz den Süden nicht vergessen. Nordrhein-Westfalen, in Person des Ministerpräsidenten Arnold und, noch 1951, des Finanzministers Weitz, forderten den Anschluss der Regierungsbezirke Koblenz und Trier – und fanden Widerhall im Lande, auch bei Politikern der CDU und in der Bevölkerung. Wenn man einem Lagebericht des Landrats von Simmern glauben darf, hätte man es nach der Gründung des Landes „in der Bevölkerung lieber gesehen, mit der nördlichen Rheinprovinz zusammen einen gemeinschaftlichen Staat zu bilden, weil wirtschaftliche und kulturelle Interessen sowie die gemeinschaftliche geschichtliche Vergangenheit Bindungen geschaffen haben, die zurzeit weder mit den hessischen noch mit den pfälzischen Gebieten bestehen“ (zit. bei Wagner 283 und Rödel 2013, 294). Der Landrat gab dem neuen Land offenbar eine Chance („zurzeit“), während der Trierer Regierungspräsident im Oktober 1946 auf das Aufgehen in einem größeren Lande hoffte („vielleicht der

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erste Schritt zur Bildung eines größeren Landes“), wie auch der erste Landtagspräsident 1947 in seiner Antrittsrede (ebd. 283, 287). Die Debatte verschärfte sich, als die Ministerpräsidenten von den Westalliierten nicht nur den Auftrag erhielten, eine Verfassung für die zu gründende Bundesrepublik zu erarbeiten, sondern auch eine Neugliederung der Länder vorzubereiten (Kißener 2006, 95ff.). Im Sommer 1948 beschloss der SPD-Landesausschuss, Rheinhessen, Hessen Nassau und Koblenz-Trier sollten gemäß dem klaren Votum der Bevölkerung „wieder in ihre historische Verbindung mit denjenigen Gebieten zurückgebracht werden, von denen sie durch Befehl der Besatzungsmächte getrennt wurden“. Die Pfalz sollte zu dem geplanten Südweststaat gehören, in Rheinhessen forderte der Bezirksvorsitzende, die „natürliche Verbindung“ zu Hessen schnell wiederherzustellen (Wagner 288f.). In den anderen Parteien gab es ähnliche Stimmen, auch in der CDU, wo Altmeier, der anfangs selbst die Lebensdauer des Landes skeptisch beurteilte und auf die Bindungen zur Rheinprovinz hinwies, sich seit 1947 als Ministerpräsident massiv für den Fortbestand seines Landes einsetzte (zum Ganzen Küppers 1986; Dorfey). Dabei nutzte er „die Angst vor vermeintlichen französischen Abtrennungsoder Autonomieabsichten in der Pfalz“ und gewann mit dieser Argumentation schon 1948 eine überwältigende Mehrheit im Landtag für den status quo, auch wenn das Land „in seiner gegenwärtigen Form keine befriedigende Endlösung“ sei (Kißener 2006, 96; Rödel 2013, 283; vgl., auch zum Folgenden Küppers 1990). Die reale Entwicklung erwies sich schnell als stärker als alle historisch oder wie auch immer motivierten Bestrebungen, sich dem neuen Land Nordrhein-Westfalen oder einem anderen Land anzuschließen, obwohl es noch 1951 in dem vom Bundestag eingesetzten Ausschuss zur Neugliederung der Bundesländer Stimmen aus dem Land dafür gab und die Bemühungen auch später noch verfolgt wurden. Beim Volksbegehren 1956 erreichten die Befürworter einer Umgliederung im Norden 14.2% der Wahlberechtigten, deutlicher noch votierte man in Montabaur (25.3 %) und Rheinhessen (20.2%) für den Anschluss an Hessen, während in der Pfalz die Befürworter einer Angliederung an Bayern nur 7.6% erreichten, die eines Anschlusses an Baden-Württemberg immerhin 9.3%, beide also das Quorum von 10% nicht erreichten. Die drei an sich fälligen Volksbefragungen wurden auf die lange Bank geschoben – bis zum 19. Januar 1975, als bei einer Beteiligung von 39.6% in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier eine klare Zweidrittelmehrheit für die Zugehörigkeit zu Rheinland-Pfalz stimmten, nur 33.2% (= 13.1% der Stimmberechtigten) für den Anschluss an Nordrhein-Westfalen. In Montabaur und Rheinhessen waren nur 14.3% bzw. 7.1% der Abstimmungsberechtigten für den

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Anschluss an Hessen, so dass Ministerpräsident Helmut Kohl in einer Regierungserklärung 1975 befriedigt feststellen konnte, dass die Bürger zu ihrem Lande Rheinland-Pfalz stünden (Mathy, 142f.). Altmeiers Eintreten für sein Land hatte auch eine nationalpolitische Dimension, denn er wies diesem die „treuhänderische Wahrnehmung“ der Interessen des schon vor der Entstehung von Rheinland-Pfalz und der Bundesrepublik von der übrigen französischen Besatzungszone abgetrennten Saarlandes in der Bundesrepublik zu (Wagner 291). Vielleicht hielt er auch, wie andere Parteifreunde, „eine Rückkehr des Saarlandes nach Deutschland nur in Verbindung mit einem Anschluss an RheinlandPfalz für denkbar“ (Wagner 291, 287) oder wünschenswert („umstritten, aber wohl nicht ganz unwahrscheinlich“; Kißener 2006, 107; starke Belege für die rheinland-pfälzischen Ansprüche bei Küppers 1994, 354f.). Im Vergleich zu dem Saargebiet von 1919–1935 war das Saarland 1946 im Norden erheblich vergrößert worden, wenn auch die Ausdehnung bis vor die Tore von Trier 1947 auf Einspruch der Alliierten teilweise (61 Gemeinden) rückgängig gemacht worden war – nicht ohne öffentlichen Protest in der Saarburger Gegend, wo man lieber zum Saarland gehören wollte (Foto: Wagner 24; auch http://www.saar-nostalgie.de/Geografie_ Landeskunde.htm mit Begründung). Rheinland-Pfalz, das als einziges Bundesland an das Saarland grenzte, war nun die natürliche Basis für den legalen und illegalen „Kampf um die deutsche Saar“, in dem man beiderseits der streng bewachten Grenzen auf Erfahrungen, Personen und Strukturen aus den Jahren 1919–1935 zurückgreifen konnte. Nach dem Vertrag von Versailles hatte man vor allem in Bayern, in geringerem Maße in Preußen und auf Reichsebene staatliche Strukturen geschaffen, um Hilfe in den besetzten Gebieten zu leisten, Nachrichten zu sammeln und Propaganda gegen die französische Politik an der Saar und in den besetzten linksrheinischen Gebieten zu machen (Jacoby 31ff.). Für die Pfalz waren dies etwa der Staatskommissar für die Pfalz, seit 1921 auch ein eigener Staatskommissar für die Saarpfalz, der sehr rührige bayerische Saarvertrauensmann, der Leiter der grenznahen Bezirksamtsaußenstelle Waldmohr, Richard Binder, der auch mit preußischen Saarvertrauensleuten eng zusammenarbeitete, und die 1919 in Mannheim gegründete „Zentralstelle für pfälzische Angelegenheiten“, seit 1923 in Heidelberg, die „sogar Saboteure und politische Mörder unterstützte“ (Kreuz, Rad, Löwe 96). Quasi staatlich war auch die heute noch existierende Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 1925 gegründet im Zusammenwirken von Leitern pfälzischer Kultureinrichtungen und dem Münchener Ministerium „zur Stärkung der nationalen Identität und antifranzösischen Abwehrarbeit“ durch „Kulturpflege“. Die von der Staatsre-

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gierung auf Vorschlag des pfälzischen Regierungspräsidenten berufenen Mitglieder hatten, so der aus der Pfalz stammende Staatsminister Franz Matt in der Eröffnungsrede, „Wache zu halten für deutsches Volkstum an Deutschlands neuer Grenze“ (zit. Freund 2006, 179). Zugleich reagierte Bayern damit auf badische Konkurrenz, das 1924 gegründete Institut für pfälzische Landeskunde an der Universität Heidelberg (Freund 2006, 175f.). Für die preußischen Rheinlande wirkten von Berlin aus preußische und Reichsministerien eng mit Institutionen in der Provinz zusammen. Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete stand unter der Leitung des Oberpräsidenten der preußischen Rheinprovinz mit einem Generalkommissar als ständigem Vertreter. Auch in anderen Ministerien kümmerte man sich um die besetzten Gebiete und die Saar, insbesondere im preußischen Kultusministerium und im Innenministerium mit eigener „Saarabteilung“, in der 1933/34 mit Heinrich Schneider ein gebürtiger Saarbrücker wirkte, der auch im „Saarkampf“ nach 1945 eine wichtige Rolle spielen sollte. In bewegten Zeiten (separatistische Bestrebungen, Ruhrkampf) wurde diese „preußische Politik“ am Rhein durchaus begrüßt (Romeyk 121), zumal sie mit finanzieller Unterstützung („Westhilfe“) verbunden war. In Trier wurde ein Saarreferat in der Bezirksregierung eingerichtet; in Heidelberg, später in Kassel und Frankfurt, seit 1926 in Köln, wirkten hohe Beamte, oft in getarnten Beschäftigungsverhältnissen, als „Saarvertrauensmann“. Besonders der seit 1926 in Köln residierende, direkt dem preußischen Innenministerium unterstehende Dr. Waterman baute auf monatlichen Reisen ins Saargebiet ein Netz von Vertrauensleuten auf, für die er sogar staatliche Finanzmittel ohne Quittung abrechnen konnte (Jacoby 34f.). Sie wurden umso wichtiger, als die Reichszentrale für Heimatdienst, die offiziell im Auftrag der Reichsregierung „der sachlichen Aufklärung über außenpolitische, wirtschaftspolitische, soziale und kulturelle Fragen, und zwar nicht im Geiste einzelner Parteien, sondern vom Standpunkte des Staatsganzen“ dienen sollte, nach Protesten der Franzosen in den besetzten Gebieten nicht mehr tätig sein konnte (Jacoby 32f.). Die staatlichen Bemühungen wurden flankiert von privaten Initiativen, die hier beispielhaft für die Saar skizziert seien – und zum Vergleich mit den angesprochenen pfälzisch-bayerischen Bemühungen nach 1945 einladen. Noch während der Verhandlungen um den Friedensvertrag in Versailles konstituierte sich im Januar/Februar 1919 in Berlin unter der Leitung des bekannten Stahlindustriellen Hermann Röchling ein „Ausschuss für den Saargebietsschutz“. Mit staatlichen Mitteln unterstützt, organisierte er Protestkundgebungen nahezu im ganzen Reich. In Stuttgart

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entstand im Februar eine „Vereinigung gegen die Lostrennung unseres Saargebietes und der Rheinpfalz“, die mit der inzwischen in Berlin geschaffenen Geschäftsstelle „Saar-Verein“ 1920 ein förmliches Abkommen zur Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche schloss (ed. Jacoby S. 203). Die Geschäftsstelle „Saar-Verein“ hatte den „Zweck, durch eine unabhängige Propaganda die Befreiung des Saargebietes aus der Fremdherrschaft zu fördern“. Formal unabhängig und privat finanziert, in Wirklichkeit aber wesentlich getragen von Reichs- und Landesministerien, koordinierte und unterstützte sie die in möglichst großer Zahl zu gründenden „Saarvereine“ und verstand sich als „Bindeglied zwischen dem deutschen Saarland und dem großen deutschen Vaterlande“. Unter der Leitung des aus dem Saargebiet ausgewiesenen Theodor Vogel, ehemals Redakteur des „Bergmannsfreundes“, der Betriebszeitung der nunmehr in französischer Hand befindlichen Saarbergwerke, gab sie den „Saar-Freund“ und andere Publikationen heraus, organisierte Vorträge und Rundfunksendungen, Saarausstellungen und große Saarkundgebungen (gerne an symbolischen Orten wie dem Deutschen Eck in Koblenz, wo 1934 200.000 Saarländer teilnahmen, oder am Niederwalddenkmal bei Rüdesheim). Sie förderte deutsche Vereine an der Saar und Reisen „ins Reich“, auch Ferienaufenthalte von Kindern, regte Dissertationen und andere wissenschaftliche Arbeiten an, unterstützte saarländische Studierende, bekämpfte vor allem aber die französische Politik und Propaganda an der Saar im In- und Ausland (Becker 2004). Auch angesehene Wissenschaftler stellten sich von Anfang an bereitwillig in den Dienst der deutschen Propaganda gegen die französische Abtrennungspolitik. So stellte z.B. auf einer Protestversammlung in der Aula der Heidelberger Universität „gegen Frankreichs Anspruch auf Pfalz und Saarbecken“ am 1. März 1919 der Historiker Wilhelm Oncken die französischen Saarpläne in den historischen Kontext seines imperialistischen Ausgreifens seit Ludwig XIV., und kein geringerer als Max Weber warnte dort nach einer sachlichen Darlegung der wirtschaftlichen Folgen einer Abtrennung der Saar: „Gegen die politische Vergewaltigung deutscher Brüder im Osten oder Westen würde die Welt eine deutsche Irredentabewegung entstehen sehen, die in ihren revolutionären Mitteln sich von der italienischen, serbischen und irischen nur dadurch unterscheiden würde, daß der Wille von 70 Millionen dahinterstände und – ich vermute, und ich sage es offen, ich erwarte es“ (zit. Becker 2004, S. 84). Preußen und Bayern kämpften um ihre Gebiete links des Rheins und nutzten jede Chance, die französische Besatzung zu diskreditieren. Dafür ein besonders anschauliches Beispiel: Seit Beginn der 1920er Jahre kämpften Hausbesitzer aus dem ehemals bayerischen Dörfchen Schnap-

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pach, bei St. Ingbert, um Ausgleich der durch Grubensenkungen verursachten Schäden an ihren Häusern. Zwischen 1925 und 1931 führten 51 von ihnen Prozesse gegen die (französische) Bergwerksverwaltung – unterstützt mit Geld aus Bayern und dem Reich: Bayern stellte 11.000 Reichsmark zur Verfügung, von denen ihm 5.500 RM vom Reich erstattet wurden – aus dem Haushaltstitel: „Vollzug des Friedensvertrages“. Die Prozesse führten nur zu sehr begrenzten Erfolgen, die Entschädigungen deckten oft nicht einmal die Prozesskosten. Bayern und das Reich mussten letztlich auf eine Rückzahlung der Gelder verzichten, einmal wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit, vor allem aber, weil der Vorsitzende des Hausbesitzervereins glaubhaft „behauptete, man habe 1925 bei einer Besprechung mit dem bayrischen Regierungsrat Jolas [der neben dem Regierungsrat Binder von der Bezirksamtsaußenstelle Waldmohr eine führende Rolle in der bayrischen Saarpolitik spielte, Fe.] die ganze Sache ‚als politische Angelegenheit betrachtet, die Geldbeträge wären als politische Gelder gezahlt worden’ und seien ‚ein Geschenk des bayerischen Staates‘ gewesen. ... Er selbst habe keinerlei Interesse an einem Prozess gehabt... Bei allen Besprechungen seien ‚die Münchener Herren jedoch der Ansicht gewesen, daß man unbedingt klagen müsse’, weswegen er sich hierzu bereit erklärt habe“ (Wettmann-Jungblut/Linsmayer 391). Bergschäden gab es vor 1920 wie nach 1935, aber hier bot sich die Gelegenheit, „die französischen ‚Besatzer’, die aus reiner Profitgier die deutsche Kulturlandschaft zerstörten, zu diskreditieren“ (ebd.). Diese Zuspitzung entsprach der im Reich wie an der Saar vorherrschenden nationalen Emotion. „Deutsch ist die Saar“ lautet die erste Zeile des 1920 zur Melodie eines bekannten Bergmannsliedes gedichteten Saarliedes, das schnell ungeheuer populär wurde – auch nach 1945 wieder. So hieß die Parole vor der im Versailler Vertrag vorgesehenen Abstimmung 1935 auch „Heim ins Reich“, oder, noch gefühlvoller und daher im Abstimmungskampf 1955 wieder plakatiert: „Deutsche Mutter, heim zu Dir“. Am Ergebnis war 1935 (wie auch 1955) nicht zu zweifeln – trotz der verzweifelten Versuche der Gegner des Hitler-Regimes, die Abstimmung zu einem Votum gegen Hitler umzufunktionieren (Paul). Wie aber sollte nach der Abstimmung die Heimkehr ins Reich organisiert werden? Sollten die beiden bayerischen Oberämter und die preußischen Landkreise zu ihren Herkunftsländern zurückkehren, was man dort fest erwartete? Oder sollte an der Saar, im Vorgriff auf die seit den Zwanziger Jahren diskutierte Reichsreform, die v.a. das als zu groß empfundene Preußen zerlegen sollte, ein erster Schritt gemacht werden, indem das Saargebiet mit der Pfalz zu einem neuen „Reichsgau“ vereinigt wurde, worum sich vor allem der pfälzische Gauleiter Josef Bürckel mit aller Macht bemühte?

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Mitte November 1933 warnte der Trierer Regierungspräsident den Preußischen Innenminister brieflich (ed. Jacoby, S. 224–26) vor „Bestrebungen in bestimmten Kreisen der bayrischen Pfalz, bei der bevorstehenden Neugliederung des Reichs die bayrische Pfalz mit dem heutigen Saargebiet ... zu einem neuen Verwaltungsgebiet zu vereinigen“. Zur Untermauerung seiner aktuellen politischen Bedenken (Beunruhigung der Bevölkerung im Saargebiet, die, „vielleicht abgesehen von den beiden pfälzischen Oberamtsbezirken, von solchen Bestrebungen nichts wissen will“) mit historischen Argumenten fügte er zwei wissenschaftliche Gutachten „insbesondere über die ethnographischen Zusammenhänge“ bei. Sie stammten von Franz Steinbach, der als Mitgründer und nunmehriger Leiter des Bonner Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande seit Jahren im „Volkstumskampf“ im Westen stand, und Gottfried Kentenich, der als Direktor der Trierer Stadtbibliothek 1930 ein Werk mit dem bezeichnenden Titel: „12 Jahre unter der Geißel der Fremdherrschaft“ mit karikaturhaften Illustrationen veröffentlicht hatte. Beide Autoren sprachen sich vehement gegen einen Zusammenschluss des Saargebiets mit der Pfalz aus („widernatürlich“) und betonten den engen Zusammenhang mit dem Trierer Land. Wirtschaftliche wie politisch-militärische Gesichtspunkte sprächen für diese Verbindung, ja, Steinbach hielt es für notwendig, bei einer Neugliederung des Reiches „die Westpfalz dem (preußischen) Saargebiet zuzuteilen und den östlich der Hardt-Linie gelegenen Teil einem rheinfränkischen Bezirk, etwa mit dem wirtschaftlichen Mittelpunkt in Mannheim, Ludwigshafen und Karlsruhe, einzuverleiben“ (Jacoby 225). Für Steinbach sollte Preußen „nicht nur politisch-militärisch, sondern auch kulturell die Wacht an der Westgrenze“ behalten (zit. bei Freund 146). Auch sein Vorgänger und Gründer des Bonner Instituts, Hermann Aubin, inzwischen an der „Grenzlanduniversität“ Breslau, plädierte noch am 11. Januar 1934 für die Rückkehr des Saarlandes, wenigstens des größten Teils, zu Preußen (Freund 146). Bemerkung am Rande: In der Diskussion um die Neugliederung des Bundesgebietes kam Steinbach 1953 in einem Vortrag, der 1967 in einem Sammelband seiner Abhandlungen und Aufsätze zu seinem 65. Geburtstag gedruckt wurde, auf die Fragen zurück. Emotional war er für eine Zusammenfassung der „fränkischen Rheinlande von der Pfalz bis zum Niederrhein als historische Einheit“ – auf Kosten der ohnehin schon seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts zerrissenen Pfalz bzw. Bayerns: „Mein Herz schlägt warm bei dem Gedanken, daß endlich doch noch nach leidvoller Zerrissenheit, die im Dienst des Reiches getragen wurde, weil die deutschen Herrscher am Rhein keinen starken Staat hochkommen ließen, die immer vorhandene Einheit der fränkischen Rheinlande Wirklichkeit wer-

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den könne. Ich glaube aber nicht an diese Möglichkeit“. Seine Alternative folgte der Argumentation von 1934: „Die andere Lösung, die unter dem Gesichtswinkel der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammengehörigkeit in Betracht kommt, muß davon ausgehen, daß die Trierer Lande unter keinen Umständen von der Saar losgerissen werden dürfen. Hier ist uralte landsmannschaftliche Verbundenheit, durch das tiefe Erlebnis des 19. Jhs bestätigt und verstärkt, zu einem gegenwartspolitischen Faktor ersten Ranges geworden“. Dabei war, auch seiner Meinung nach, „die Südgrenze der Rheinprovinz ... eine Willkürgrenze ohne Rücksichtnahme auf landsmannschaftliche Zusammenhänge. ... Sie hatte aber vor allem in der Südwestecke einen festen Anhaltspunkt in der seit altersher kurtrierischen Saar und im erklärten Volkswillen der nassau-saarbrückischen Lande. Das sind entscheidende Voraussetzungen für ein enges Zusammenwachsen im 19. Jh. gewesen“. Beide Argumente sind wohl deutlich zu relativieren. Rolf Wittenbrock hat kürzlich sehr schön zeigen können, wie im Saarbrücker Raum „eine noch bis zur Jahrhundertmitte erkennbare profranzösische Erinnerungskultur“ durch eine „deutsch-preußische Gesinnung“ überlagert, „ein importiertes reichsdeutsches Gedächtnis in die kollektive Erinnerung der Saarbrücker implantiert“ wurde (Wittenbrock 355, 353). Am Vorabend der Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig richtete die staatstragende Saarbrücker Zeitung einen flammenden Appell an die Bevölkerung: „Gerade hier in Saarbrücken wollen wir zeigen, dass der alte preußische Geist noch in uns lebt und dann recht zum Ausdruck kommt, wenn es sich darum handelt, jener Männer zu gedenken, die uns die Wege zur deutschen Einheit gebahnt, und dass uns noch die gleichen Empfindungen beseelen, wie unsere Helden vor 100 Jahren“ (zit. ebd. 364). Auch bei Steinbach wird die preußische Zeit zu einem „gegenwartspolitischen Faktor“, die Geschichte der Saar im 19. Jahrhundert wird auf Preußen reduziert, von Bayern ist keine Rede; dessen Erwähnung hätte auch seinem weiteren Anliegen widersprochen, wollte er doch 1934 die Pfalz nicht zuletzt aus militärstrategischen Zwecken zerlegen und mit dem preußischen Saargebiet vereinen. 1953 plädierte er (ersatzweise gleichsam für die große Lösung) für eine Zusammenfassung von Hessen und Rheinland-Pfalz (mit Einschluss der Saar selbstverständlich) mit „kräftiger Selbstverwaltung in den Teilen“ und endete mit dem flammenden Appell: „Vor allem hängt der Trierer Raum aufs engste mit der Saar zusammen. Wir dürfen diese historische Klammer nicht lösen“ (Collectanea, S. 62f.). Kaum nötig zu erwähnen, dass 1933/1935 auch genügend Wissenschaftler die tiefe historische, sprachliche, völkische etc. Verbundenheit von Pfalz und Saargebiet beschrieben und gewissermaßen „die reibungslose Über-

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nahme der Saar vor[bereiteten]“ (Freund 2006, 146 zu Beginn des Unterkapitels „Pfälzische wissenschaftliche Angliederungsvorbereitungen“). Daran beteiligten sich auch „Überläufer“ aus dem preußischen Bereich, wie der 1929 von der preußischen Generaldirektion der Staatsarchive aus Wiesbaden zum Aufbau eines Stadtarchivs nach Saarbrücken beurlaubte und dort für die Saarforschungsgemeinschaft tätige Georg Wilhelm Sante (Jacoby 42f.). Bayern lehnte diese von Bonn und Berlin aus betriebene Forschungsförderung ab, weil es „die Landeszugehörigkeit der beiden Teile des Saarlandes in keiner Hinsicht verwischt“ wissen wollte (zit. Freund 80). Die Promotoren der (preußischen) Saarforschung sagten zu, die bayerischen Teile nicht einzubeziehen. Je näher die Abstimmung rückte, desto mehr verwischten sich die Grenzen. Die im Sommer 1933 „gleichgeschaltete“ Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften „ignorierte immer häufiger die mit der Saarforschungsgemeinschaft vereinbarte Forschungsgrenze“. Umgekehrt publizierte Sante 1934 fleißig im Sinne Bürckels in der Wissenschaftsbeilage zu dessen Kulturzeitschrift „Die Westmark“, die mehrfach vom Saarpropagandaausschuss der Reichsregierung beanstandet wurde, weil sie „die Saarfragen einseitig vom Standpunkt der Reichsreform und der beabsichtigten Angliederung des Saargebietes an die Pfalz behandle“ (Freund 148f.). Am 9. März 1935, unmittelbar nach der Rückkehr der Saar, machte er sich anheischig, dem künftigen Gau durch ein Buch einen „wissenschaftlichen Unterbau“ zu geben (zit. Freund 154). Die Entscheidung freilich fiel in der Politik, genauer in Berlin. Wie dies geschah, wie Bayern und Preußen ihre saarländischen Gebiete verloren, ist ein instruktives Beispiel für nationalsozialistische Herrschaftspraxis – oder in der Diktion Santes, der nach der Rückgliederung auf eine gute Position im Machtbereich Bürckels hoffte: „Die überkommenen Formen des Reichs zerbrechen vor der Wucht der nationalsozialistischen Bewegung“ (zit. Freund 154). Mit Berufung auf „eine mündliche Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten“ (bei einem Besuch Görings in Trier) hielt sich der dortige Regierungspräsident in einem Schreiben an den Preußischen Innenminister am 14. November 1933 „für ermächtigt und auch für verpflichtet, wie bisher, so auch in Zukunft nicht nur zur Vermeidung einer Beunruhigung der Saar, sondern auch in Wahrung der preußischen Interessen, die sich, wie dargelegt, in vollem Umfang mit den richtig verstandenen Interessen der gesamten Westmark des Reiches decken, dafür einzutreten, daß die Rückgliederung der Saar nur auf der Grundlage des status quo ante, d.h. unter Verbleib bei Preußen erfolgen und daß das Saargebiet auch nach der Rückgliederung mit dem mittelrheinischen Gebiet, d.h. mit dem hiesigen

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Bezirk und damit mit der preußischen Rheinprovinz verbunden bleiben muß“ (Jacoby 225f.). Ob Innenminister Frick, im übrigen ein Pfälzer, auf diese Mahnung seines Regierungspräsidenten, der sich ausdrücklich auf ein Gespräch mit Göring und dem Gauleiter bezog, reagierte, ist ungewiss. Ende November protestierte jedenfalls der Innenstaatsekretär beim Vizekanzler, Franz von Papen, damals noch Saarbevollmächtiger der Reichsregierung, gegen ein „unerträgliches Hineinarbeiten außersaarländischer Dienst- und Parteistellen in die deutsche Tätigkeit im Saargebiet selbst“, die „zur schwersten Gefährdung der deutschen Abwehrarbeit überhaupt“ führten – und belegte dies mit verunglückten Aktionen von Pfälzern, die „es den preußischen Saarvertrauensmännern, die seit mehr als einem Jahrzehnt die preußische Saar bearbeiten, nicht mehr möglich (machten), in das Saargebiet zu reisen“. Der Vizekanzler sollte beim Reichskanzler „beantragen, daß allen Parteistellen jegliches Hineinarbeiten in die Saar verboten wird“ (ed. Jacoby 226f.). Nicht genannt, aber in allererster Linie gemeint war Bürckel, der seit Anfang 1933 Saarbeauftragter der NSDAP und der starke Mann an der Saar war, auf Kosten der dortigen Parteiführung, die der preußische Staatssekretär zu stärken suchte, indem er alle dort tätigen reichsdeutschen Parteigenossen ihr unterstellt wissen wollte. Bürckel aber baute seine Stellung aus: Im April 1934 beauftragte ihn die bayerische Staatsregierung mit der politischen Leitung der Kreisregierung in der Pfalz, am 7. August löste er von Papen als „Saarbevollmächtigten der Reichsregierung“ ab. Dennoch war bis Ende 1934 in Berliner Regierungskreisen noch unklar, in welcher Form das Saargebiet zum Reich zurückkehren sollte. Ein Gesetzentwurf des Reichsinnenministeriums vom 20. Juli zur Reichsreform hatte die Frage des Saargebiets noch offen gelassen; im Oktober fasste ein Entwurf des zuständigen Ministerialrats Pfalz und Saar zusammen. Andere Reichsministerien wie die Spitzen der Rheinprovinz wussten noch um die Jahreswende nur durch Hörensagen von derartigen Plänen. Dabei hatte Bürckel schon eine Entscheidung Hitlers zu seinen Gunsten erreicht. Am 14. Dezember konnte er den von ihm in Berlin empfangenen „Saar-Vertretern der Ressorts“ mitteilen, „daß der Führer entschieden habe, daß das Saargebiet nicht wieder Preußen und Bayern, sondern alsbald Reichsgebiet werden solle“. Ob es ein eigener Reichsgau werde [„was sich seiner vorläufigen Ansicht nach nicht empfehle“ – sein Ehrgeiz zielte weiter, Fe.] oder „in einen ersten zu errichtenden Reichsgau eingegliedert würde, würde der Führer voraussichtlich binnen kurzem“ entscheiden (Vermerk des Ministerialrates Litter im Reichsfinanzministerium, ed. Jacoby 234f.).

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Offiziell wurden die Ressorts wie die Behörden in der Provinz offenbar nicht informiert. Am 24. Dezember fragte der Oberpräsident der Rheinprovinz beim Staatssekretär im Innenministerium an, ob es stimme, dass – wie man sich in Saarbrücken erzähle – „in der letzten Besprechung von Vertretern des Saargebietes beim Führer am Montag, den 17.12., ... der Führer dahingehend entschieden [habe], dass das Saargebiet nach der Rückgliederung ohne Rückgabe an die preussische bzw. bayrische Verwaltung als eine Art Reichsland gesondert verwaltet werden sollte, und zwar unter der staatlichen Führung des Saarbeauftragten, Gauleiter Bürckel“ (ed. Jacoby, 235f.). Auch der Reichsaußenminister hatte am 7. Januar nur davon „gehört“ und wandte sich in einem Brief an Frick aus außenpolitischen Gründen dagegen: „Wenn das Saargebiet im Rahmen der künftigen Gliederung des Reiches als selbständige Einheit erhalten bliebe, so würde das bedeuten, dass wir durch einen Akt der Reichsgewalt das in Versailles künstlich geschaffene Gebilde verewigen. Wir würden damit anerkennen, dass das Gebiet eine natürliche Einheit bilde, dem im Rahmen des Reichs ein bestimmtes Maß von Eigenleben gewährleistet werden müsse. Die Bedenken, die gerade bei diesem Grenzland gegen solche Pläne sprechen, liegen so klar zutage, dass ich sie nicht näher darzulegen brauche. International gesehen, haben wir alles Interesse daran, das Versailler Gebilde ohne jeden Rest aus der Geschichte verschwinden zu lassen“. Der Brief endet mit der Bitte, ihn auf dem Laufenden zu halten, „wie die künftige staatsrechtliche Behandlung des Saargebiets gedacht ist.“ Eine Notiz auf dem Schreiben hält schlicht fest: „Die Frage ist in der Chefbesprechung am 18.1. im Sinne des RInnenministers geklärt worden“ (ed. Jacoby 236). Innerhalb weniger Tage wurden drei Entwürfe für ein Saarland-Gesetz erarbeitet, das am 24. Januar im Kabinett als „Gesetz über die vorläufige Verwaltung des Saarlandes“ beschlossen und am 30. Januar verkündet wurde. Dementsprechend wurde das Saarland bei der Rückgliederung am 1. März 1935 dem Reich unterstellt, eine Art „Reichsland“, aber ausdrücklich keine öffentlich-rechtliche Körperschaft, was u.a. bedeutete, dass die Beamten des „Landes“ Reichsbeamte wurden und das Eigentum der Regierungskommission des Saargebietes wie auch das bayerische und preußische Eigentum an der Saar auf das Reich übergingen (Herrmann 324ff.). Bürckel wurde vom Führer zum „Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebietes“ ernannt und direkt dem Innenminister unterstellt. Er erhielt alle Befugnisse, die den preußischen Oberpräsidenten und den Reichsstatthaltern zustanden. Detailliert wurde aufgelistet, welche Zuständigkeiten bei anderen Reichsbehörden verbleiben sollten. Sofort begann Bürckel seine nicht nachlassenden Versuche, seine eigene Position

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und den Status seines Herrschaftsgebietes auszubauen, das die Pfalz und das Saarland umfasste, aber staatsrechtlich keine Einheit bildete. Dabei blieb es, obwohl er nicht nur die Parteiorganisation unter seiner Leitung zusammenfasste, sondern auch übergreifende Institutionen schuf und seit 1936 als „Reichskommissar für das Saarland“ und, nach dem Zwischenschritt eines „Reichskommissars für die Saarpfalz“, seit 1941 als „Reichsstatthalter in der Westmark“ regierte. Doch trotz intensiver Bemühungen gelang es ihm nicht, sein Herrschaftsgebiet als „Teil-Reichsgau“ (so der Plan 1935) zu konstituieren und die Pfalz staatsrechtlich von Bayern zu trennen – trotz der Unterstützung des Reichsinnenministeriums, das z.B. schon 1935 vorgeschlagen hatte, Bayern solle doch zugunsten des Reichs auf die Pfalz verzichten, was nicht schwerfallen dürfte, da sie doch ein Zuschussgebiet sei (Herrmann 334). Nach dem Anschluss Österreichs, den Bürckel dank seiner Verdienste um die Rückgliederung der Saar als „Reichskommissar“ mit gestaltete, war sogar ein Tausch der Pfalz gegen Vorarlberg im Gespräch (gewissermaßen eine Umkehrung der Entscheidung nach dem Wiener Kongreß) . Doch der Entwurf eines von Bürckel dringend erbetenen „Saarpfalzgesetzes“, den der Reichsinnenminister 1938 der Reichskanzlei übersandte, mit dem §1 („Aus dem Saarland und dem bayrischen Regierungsbezirk Pfalz wird der Reichsgau Saarpfalz gebildet. Der bayerische Regierungsbezirk Pfalz scheidet aus dem Lande Bayern aus.“ ed. Herrmann 358) scheiterte, nicht nur am Münchner Widerstand. Selbst als Bürckel im Krieg als Reichsverteidigungskommissar erweiterte Rechte bekam, behauptete Bayern wesentliche Rechte in der Pfalz – bis 1945 (Herrmann 353; Rödel 1988). Seine saarländischen Gebiete freilich hatte Bayern 1935 verloren, wie Preußen. Die Rheinprovinz vermochte, trotz des Einsatzes des neuen Oberpräsidenten Terboven, einem gut vernetzten Nationalsozialisten, nicht einmal, die 1920 geteilten Kreise Merzig und St. Wendel im Norden des Saargebietes wieder zu vereinigen und damit zurückzugewinnen. In Trier musste man sogar erleben, dass Gemeinden im Grenzgebiet, die unter der Abtrennung mehr gelitten hatten als das Saargebiet selbst, dem Saarland angeschlossen werden wollten (Herrmann 339f.). Bürckel distanzierte sich von diesen Aktionen, erklärte sich scheinbar bereit, die beiden Teilkreise an Preußen zurückzugeben, im Tausch gegen das oldenburgische Birkenfeld. Er verwies aber auf „die wiederholte Festlegung des Führers, daß er die Saarländer, die gemeinsam den Kampf geführt haben, territorial nicht mehr aufteilen werde“ und verzichtete auch nicht auf die süffisante Bemerkung, „in Merzig bestehe keine große Begeisterung für die Wiedervereinigung mit der Rheinprovinz, was ... ausschließlich auf den Gauleiter von Koblenz-Trier zurückzuführen sei“ (Herrmann 342).

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Birkenfeld kam 1937 zu Preußen und bildete mit dem Restkreis Baumholder einen neuen Kreis im Regierungsbezirk Koblenz. Der Restkreis Wadern bestand bis 1946, als er mit einem großen Teil des 1920 beim Reich und damit der Rheinprovinz verbliebenen Kreises Saarburg durch Weisung des französischen Oberkommandierenden in Deutschland dem erneut abgetrennten Saarland zugewiesen wurde. Dort wiederholte sich die Geschichte des „Saarkampfs“ in gewisser Weise, nunmehr ganz ohne preußische Bezüge. Weit mehr als Organisationen wie der Deutsche Saarbund, in dem schon vor 1935 Fritz Hellweg in gleicher Mission aktiv war, und die Deutsche Aktion des Fürsten Hubertus von Löwenstein spielte nach Gründung der Bundesrepublik das Gesamtdeutsche Ministerium unter dem Berliner Jakob Kaiser die Hauptrolle. Es unterstützte kulturell und politisch, vor allem auch finanziell die Opposition an der Saar, insbesondere die durch die Verbote der Regierung Johannes Hoffmann in den Untergrund gedrängten prodeutschen Parteien (vor allem Demokratische Partei Saar, SPD und CDU – im Gegensatz zur regierenden Christlichen Volkspartei und der mit dieser regierenden SPS; sehr ausführlich dazu in mehreren Publikationen Elzer). Die prodeutschen Kräfte konnten auch auf die Unterstützung des unmittelbaren Nachbarn Rheinland-Pfalz rechnen. Getreu der stets auch öffentlich bekundeten Überzeugung des gebürtigen Saarbrückers Peter Altmeier „Seit jeher ist die Saar nach Geschichte und Kultur deutsches Land. Ihre Menschen sprechen die gleiche Sprache und haben das gleiche Lebensgefühl“ (so 1951, zit. Mathy 139, weitere Zitate bei Küppers 1994) unterstützte seine Regierung (mit einem Innenminister Aloys Zimmer, dessen Geburtsort 1946 zum größeren Saarland geschlagen worden war und der schon vor 1933 Grenzlanderfahrungen in Westpreußen gemacht hatte) „verdeckt und offen“ die prodeutschen Kräfte „im Abstimmungskampf“. Rheinland-Pfalz übernahm so nach 1945 die Rolle des untergegangenen Preußen in der Zeit des Saargebietes vor 1935. Altmeier „setzte sich damit in einen scharfen Gegensatz zu Konrad Adenauer“ (Kißener 2006, 106; Küppers 1994). War der Bundeskanzler bereit, im Interesse seiner deutschland- und europapolitischen Pläne in der Saarfrage Frankreich weitreichende Konzessionen zu machen, indem er z.B. Jakob Kaiser 1954 jede weitere Unterstützung des Deutschen Saarbundes e.V. aus Mitteln des Gesamtdeutschen Ministeriums untersagte (Elzer 2007, 562), erklärte Altmeier in der schon zitierten Rede 1951: „Wir haben uns in RheinlandPfalz seit dem Zusammenbruch 1945 immer bemüht, für den friedlichen Ausgleich zwischen dem deutschen Volk und seinem französischen Nachbarn einzutreten, Deshalb muß auch die Saarfrage eine Lösung erfahren, die keinen Stachel zurückläßt“ (zit. Mathy 139f.). In einem Brief an Ade-

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nauer plädierte er im Sommer 1951 für die Eingliederung der Saar nach Rheinland-Pfalz, weil „diese Region aufgrund engster volkstumsmäßiger, religiös-kultureller, wirtschaftlicher und verwaltungsgeschichtlicher Zusammenhänge letztlich ein Stück Mittelrhein sei“ (Küppers 1994, 354). An die „Europäisierung der Saar“ hätten sie nie glauben können und würden es auch nicht tun, schrieben Altmeier und Zimmer 1953, und ein Jahr später erklärte der Ministerpräsident im Landtag, nicht die Saar, sondern allein Europa sei zu europäisieren (Küppers 1994, 342). Die politische Entwicklung gab Altmeier Recht, und doch blieb bei ihm ein Stachel zurück: Acht Tage nach der „Volksbefragung“ am 23. Oktober 1955 (zum Problem der Terminologie: http://www.saar-nostalgie.de/ Volksbefragung.htm) schrieb er dem Staatssekretär Globke im Kanzleramt (bis 1933 Leiter der Saarabteilung im preußischen Innenministerium): „Ich habe zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass die Saarbevölkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit das Saarstatut ablehnen würde. Man hat leider auf uns, die wir die Situation an der Saar besser kannten, nicht gehört. Ich will dieses traurige Kapitel nicht noch einmal anrühren. Es gäbe darüber viel Kritisches zu sagen.“ (zit. Kißener 2006, 107f.) – Seine mit der Saarabstimmung verknüpften Hoffnungen blieben unerfüllt. In der Tat hatten die Saarländer mit fast 68% der Stimmen (bei einer Beteiligung von fast 98%) das Statut abgelehnt – ohne zu wissen, ob ihre Hoffnung, damit das Regime Johannes Hoffmann zu stürzen („Der Dicke muß weg“) in Erfüllung gehen würde. Anders als 1935 waren ihnen keine drei Alternativen zum Ankreuzen angeboten worden, sondern nur ein Ja oder Nein zur Annahme des von der Bundesregierung mit Frankreich ein Jahr zuvor ausgehandelten Europäischen Statuts. Daher konnte man eine Drohkulisse aufbauen: Adenauer erklärte am 25. Februar 1955 im Bundestag: „Die Folge [einer Ablehnung] würde sein, dass Herr Grandval und der Herr Hoffmann dableiben“; er hoffe, „dass dann [nach einer Entscheidung für das Saarstatut, Fe] das Saarvolk von den Freiheiten, die ihm zugesichert sind, den rechten Gebrauch macht, weil sie Deutsche sind“ (Ja und Nein 72). Obwohl Frankreich sich, wie die Bundesrepublik, offiziell strikte Nichteinmischung in den Abstimmungkampf auferlegt hatte, warnte der französische Außenminister vor der „Täuschung, dass eine Ablehnung des Statuts zu neuen Verhandlungen zwischen dessen Unterzeichnern führen würde. Die Folge einer Ablehnung könne für die Saar nur die automatische Rückkehr zu der Situation vor dem 23. Oktober 1954 bedeuten“ (Hudemann/Heinen 521). Adenauer selbst warb mitten im Abstimmungskampf öffentlich für die Annahme des Statuts, was im Saarland von den Befürwortern des Statuts entsprechend ausgenutzt wurde: „Deutsche sagen mit dem Bundeskanzler Ja“ oder: „Wir vertrauen dem Kanzler JA“,

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während die „nationale Opposition“ die Ambivalenz seiner Äußerungen ausnutzte und mit Bezug auf das oben zitierte Argument plakatierte: „Herr Hoffmann will bleiben u. sagt darum: Ja! Wir wollen die Verwirklichung des Kanzlerwortes und sagen deshalb NEIN!“ (Diese und zahlreiche andere Plakate, die einen Eindruck von der Härte der hoch emotionalisierten und gerade im Rückbezug auf die Vergangenheit auf beiden Seiten diffamierenden Auseinandersetzung vermitteln, in: Ja und Nein, hier 72f.; vgl. 127, 133.) Die Hoffnung der Nein-Sager trog nicht; entgegen der Prognose der Befürworter des Statuts trat Johannes Hoffmann noch in der Nacht zurück. Eine Übergangsregierung unter einem parteilosen Ministerpräsidenten schrieb Neuwahlen aus, bei der Hoffmanns Gegner, CDU, SPD und DPS mehr als 63% der Stimmen erhielten, die CVP und die SPS, die mit Hoffmann regiert hatten, immerhin noch 27.6% (gegenüber über 86% bei den Wahlen 1952, bei denen die prodeutschen Parteien nicht hatten antreten dürfen). Der neue Landtag legte am 31. Januar 1956 in einer Grundsatzerklärung die saarländische Politik auf die politische und wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland fest. Mehr noch: „...entgegen allen Besorgnissen und düsteren Prophezeiungen Adenauers über die negativen Auswirkungen auf das deutsch-französische Verhältnis“ (Kißener 2006, 107) einigten sich Deutschland und Frankreich danach relativ rasch auf den Vertrag von Luxemburg (27. Oktober 1956), in dem Frankreich gegen weitgehende wirtschaftliche Zusagen sich „damit einverstanden [erklärte], daß sich der Anwendungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 1. Januar 1957 ab auf das Saarland erstreckt“ (bei Beibehaltung der Zoll- und Währungseinheit mit Frankreich mit Weitergeltung der einschlägigen saarländischen und französischen Rechte während einer Übergangszeit, die dann am 5. Juli 1959 endete) (http:// www.verfassungen.de/de/saar/vertrag56.htm). So konnte der Bundestag am 23. Dezember 1956 das Gesetz über die Eingliederung des Saarlandes (http://www.verfassungen.de/de/saar/gesetz56.htm) beschließen, wonach das Saarland am 1. Januar 1957 ein eigenständiges „Land der Bundesrepublik Deutschland“ – und nicht ein Regierungsbezirk von RheinlandPfalz wurde. Zur Beibehaltung der Eigenständigkeit trugen mehrere Faktoren bei: Frankreich forderte in den Verhandlungen ein eigenständiges Saarland, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Interessen. Das Saarland besaß seit Dezember 1955 eine demokratisch legitimierte Regierung und Volksvertretung. In der Bevölkerung war die (im Umfang übertriebene) „Invasion“ pfälzischer Beamter in Bürckels Zeit nicht vergessen; auch die Sieger von 1955 wollten nicht von Rheinland-Pfalz annektiert werden. Im Kalkül der

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Bundesregierung spielten die potentiellen Bundesratsstimmen des Saarlandes eine Rolle. In Rheinland-Pfalz überlegte man, dass die Existenz eines weiteren kleinen Landes (nach Bremen und Hamburg) die eigene Existenz schwer angreifbar machen würde (vgl. Küppers 1994, 357f.). Inzwischen ist die politische Eigenständigkeit Kern der politischen Identität des Saarlandes; wie es in Zeiten dauernder Überforderung staatlicher Finanzen über die bestehenden Kooperationen hinaus weiter geht, muss die Zukunft lehren. Fragen wir nach diesem Exkurs nach dem Erbe Preußens und Bayerns am Rhein, so scheint auf den ersten Blick in der Pfalz mehr an Bayern zu erinnern als im nördlichen Teil des Landes an Preußen – vielleicht mit Ausnahme des baulichen Erbes, das in diesem Band in zwei Beiträgen gewürdigt wird. Blickt man auf die Strukturen des Landes, urteilen Fachleute etwas anders: Dank des größeren Gewichts der Koblenzer Behörden in der Gründungsphase, so kann man in der gründlichen Darstellung von „Verfassung, Verwaltung, Justiz“ in der neuen Landesgeschichte lesen, flossen „preußische Traditionen stärker in den Aufbau und die Arbeitsweise der Verwaltung des neuen Landes ein als bayerische und hessische“ (Kreuz, Rad, Löwe 227). Ähnliches gilt für die Saar, wo überdies die evangelischen Christen bis heute zur Rheinischen Landeskirche mit Sitz in Düsseldorf bzw. zur Evangelischen Kirche der Pfalz – Protestantische Landeskirche mit Sitz in Speyer, die Katholiken zu den Bistümern Trier und Speyer gehören. Denn die schon in der Saargebietszeit und, noch energischer, von Johannes Hoffmann betriebene Gründung eines Saarbistums scheiterte am Widerstand im Lande, an dem der Bischöfe und des Vatikans. Andererseits bleiben der Pfalz, neben den oben genannten fortbestehenden Bindungen (Bischofskonferenz, Förderung der Pfälzer in Bayern), zahlreiche Erinnerungsstätten, von der Villa Ludwigshöhe bis zum Denkmal des Prinzregenten Liutpold in Landau und vor allem der an die bayerische Zeit erinnernde Bezirksverband mit seinen kulturellen und sozialen Einrichtungen, dem der Norden nichts Vergleichbares gegenüberzustellen hat. Insgesamt scheint die Erinnerung an die bayerische Zeit, vielleicht sogar eine innere Bindung an Bayern, in der Pfalz positiver zu sein als die an Preußen in der ehemaligen Rheinprovinz. Ein Vergleich wird dadurch erschwert, dass kein aktueller Bezug zu Preußen mehr möglich ist. Dennoch kann man mit Michael Kißener fragen, ob diese Unterschiede mit der jeweiligen Politik der bayerischen und preußischen Regierung nach 1815 in ihren neuen Gebieten zusammenhängt. In seinem Beitrag, der diese Politik „sine ira et studio und jenseits vorschneller Verurteilungen oder volkstümlicher Erklärungsansätze zu analysieren“ unternimmt, unter-

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scheidet Kißener die Integration auf politischer und rechtlicher Ebene (Systemintegration) von der auf der kulturellen und mentalen (Sozialintegration). Auch wenn sich die Pfalz nach dem Anschluss an Bayern nicht genügend in München vertreten fühlte und auch energisch demokratische Reformen eingefordert wurden (Höhepunkte das Hambacher Fest 1832 und die Revolution von 1848), erscheine die bayerische Politik in der Pfalz liberaler als die preußische in der Rheinprovinz; das zeige sich etwa im Umgang mit dem fortschrittlichen Recht der französischen Zeit wie in der Zulassung ständischer Vertretungen und kommunaler Rechte. Dies bestätigt auch das Zeugnis eines Pfarrers, der 1818 sechs verschiedene Landesherren im Naheraum in nächster Nähe vergleichen konnte: „Die Bayern sind am vergnügtesten weil sie nach den alten liberalen [Institutionen] behandelt werden und noch wenige Veränderungen sind gemacht worden. Die Hessen und Oldenburger sind sehr missvergnügt, da sie durch die Organisation wieder einen starken Schritt rückwärts gemacht haben, die Preußen werden mit dem Soldatenwesen sehr gequält“ (Kreuz, Rad, Löwe 189; vgl. Herres MV 11, 68). Die Unterschiede zwischen bayrischer Pfalz und preußischem Rheinland verschärften sich nach 1818, als der preußische König sein Verfassungsversprechen nicht einlöste und die Berliner Regierung einen, wie Heinz Duchhardt in seinem Beitrag formuliert, „stramm reaktionären Kurs“ fuhr. „Modellhaft bildete sich ... in relativ kurzer Zeit ein regionales Selbstbewusstsein heraus, eine regionale Identität in Opposition gegen die preußische Integrationspolitik. Die Rheinländer wollten Integration nicht nur als Eingliederung in bzw. Anpassung an die preußischen Werteund Handlungsmuster verstanden wissen“ (Herres ebd.). Sie spitzten sich noch einmal zu nach der Revolution von 1848, die preußischen Konservativen als „Aktion der Rheinlande und eine Reaktion der alten Provinzen gegen sie“ erschien (Leopold von Gerlach, Generaladjutant des Königs, zit. bei Herres 76). Preußische Truppen halfen nicht nur den Aufstand in der Pfalz niederzuschlagen, was die Pfälzer den Bayern übelnahmen. Die zunehmende Beschneidung des Selbstverwaltungsrechts und die damit einhergehenden Repressionen (und Drohungen, mit „Pommern“ für Ordnung zu sorgen) veranlassten selbst den „Kartätschenprinzen“, den späteren Kaiser Wilhelm, der damals in Koblenz lebte, zum Protest bei seinem königlichen Bruder gegen die „Einseitigkeit“ der königlichen Regierung, die er als demonstrative Kränkung der Rheinländer ansah (zit. bei Herres 80). Dabei hatte Preußen an sich gute Ausgangsvoraussetzungen, denn in den Befreiungskriegen hatte es auch im Rheinland Ansehen gewonnen; es profitierte von der nationalen Aufwallung in der Rheinkrise 1840, als es um „die Wacht am Rhein“ ging, vor allem aber im Gefolge der „Eini-

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gungskriege“ 1866 und der Reichsgründung 1871 – auch wenn auf beiden Seiten weiterhin starke Vorbehalte existierten (etwa im Tagebuch des vielfältig aktiven Kölner Bürgers Friedrich Baudri) und die Konflikte in den Festungsstädten sowie das harte Vorgehen gegen Bischöfe und Priester vor allem im Kulturkampf „das Verhältnis zwischen Rheinländern und preußischem Staat lange schwer belastet“ haben (Kißener in diesem Band). Auch andere Autoren befinden, dass „die konfessionellen Spannungen, die sich unter dem nationalen Hochgefühl von 1871 deutlich abgeschwächt hatten, nun wieder zu Tage“ traten und das „katholische Rheinland weiterhin von antipreußischen und antiprotestantischen Kräften dominiert“ wurde (Kreuz, Rad, Löwe 568). Dennoch ebnete spätestens die Reichsgründung 1871 und das wachsende nationale Hochgefühl auch (katholischen) Rheinländern emotional und real den Weg in den preußischen Staat. Nachfahren des Trierer Kaufmanns Matthias Joseph Hayn (†1839), der unter Napoleon durch den Handel mit Nationalgütern so reich geworden war, dass man ihn „Moselkönig“ nannte, wurden beispielsweise Landrat (in Saarburg!), später Regierungsrat in Stade und Posen, Oberförster oder Offizier, selbst in Eliteregimentern (http://mohr-rautenstrauch.de/ Name/Mohr_Ludwig_Robert.htm). In den Anfangsjahren der bayrischen und preußischen Herrschaft litten die Rheinlande wie Nassau und die Pfalz unter wirtschaftlichen Problemen, die durch Zollgrenzen verschärft wurden; vor allem die Pfalz klagte über erhöhte Steuerlasten und die Zollgrenzen selbst innerhalb Bayerns. Lange konnten die südlichen Rheinlande mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Kölner Raumes nicht mithalten. Erst seit dem Boom der 1870er Jahre (Gründung der BASF 1865) besserte sich die Lage, „was (nach Kißener) die Akzeptanz der bayerischen und preußischen Herrschaft am Rhein gestärkt hat“; freilich verweist er abschließend auf die erfolgreichere Integrationspolitik im benachbarten Großherzogtum Baden. Es dürfte freilich kaum dem geringeren Erfolg der Integrationspolitik Preußens und Bayerns am Rhein geschuldet sein, wenn nach 1945 diese Zeit übersprungen und auf die ältere Geschichte der Lande an Rhein und Mosel zurück gegriffen wurde, als es galt, dem neuen Land ein Wappen zu geben, sondern einer bewussten, demonstrativen politischen Option. „Preußen und Bayern waren gleichsam die Negativfolie, vor der sich die Korrektur einer historischen Fehlentwicklung vollziehen sollte“ (Kißener in diesem Band mit Bezug auf die schon zitierte Rede Peter Altmeiers). Wie weit aber gerade Bayerns Präsenz am Rhein in die Geschichte zurückreicht, zeigen die Beiträge in diesem Band von Bernd Schneidmüller zum Übergang der Pfalzgrafschaft an die bayerischen Wittelsbacher 1214 und von Josef Johannes Schmid über Wittelsbacher auf rheinischen

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Erzbischofs- und Bischofsstühlen in der Frühen Neuzeit. Auch Schneidmüller geht aus von gegenwärtigen Spuren Bayerns in der Pfalz und den politischen Diskussionen über ihre Zugehörigkeit nach 1945, insbesondere den Bemühungen des 1949 gegründeten „Vereins Kurpfalz“ (vgl. oben). Unter der provokativ klingenden Frage, ob Bayern 1214 den Rheinlanden unterworfen wurde, erörtert Schneidmüller zunächst die Belehnung Ludwigs von Bayern (1183–1231) mit der rheinischen Pfalzgrafschaft. Sie blieb bis zum Ende des Alten Reichs 1803 bei den Wittelsbachern, wobei das Haus Bayern Ende des 18. Jahrhunderts zweimal durch seine pfälzischen Linien in Mannheim bzw. Zweibrücken dynastisch gerettet wurde (Schneidmüller). Als 1815 die Kurpfalz nicht wieder hergestellt wurde, fiel der Großteil ihres Gebiets an Baden, doch Bayern kehrte wieder an den Rhein zurück, auch wenn man dort nicht unbedingt damit gerechnet hatte. Noch am 4. September schrieb Georg Friedrich Rebmann, in französischer Zeit Gerichtspräsident in Mainz, aus Kaiserslautern einem Freund: „Übrigens wissen die Götter, wenn und wann unsre Seelen hier zu Lande gebadet, gedarmt, gepreußt und geösterreichert werden“ – „gebayert“ fehlt in der Liste, obwohl schon eine österreichisch-bayerische Landesadministrationskommission im Lande tätig war (Kreuz, Rad, Löwe 189). Schneidmüller erklärt nicht nur, wie es 1214 zu der Belehnung kam, sondern lässt seine Zuhörer/Leser auch teilhaben an den Problemen der Quellenlage und ihrer Erforschung und vermittelt einen lebendigen Eindruck, wie Historiker zu ihren Erkenntnissen kommen, bis hin zum Blick in die Handschriften. Er betont die Bedeutung der welfischen Erbtochter Agnes, die Ludwigs Sohn Otto heiratete, als Bindeglied, ja als „Unterpfand der Rechtmäßigkeit“ der wittelsbachischen Ansprüche und erörtert unter dem prosaischen Titel „Vom Nutzen der rheinischen Pfalzgrafschaft“ die Frage nach deren Bedeutung ebenso wie die Entstehung des Kurfürstenkollegs, beides immer wieder aufgeworfene große Fragen der deutschen Geschichte. Nicht wegen etwaiger alter Rechte wuchs den Pfalzgrafen eine zentrale Rolle im Reich zu, so seine erste Antwort, sondern wegen großer Persönlichkeiten und der Ereignisse im Thronstreit seit der Doppelwahl 1198. Er spricht anschaulich von „vielen Anlagerungen“, die der Rang des Pfalzgrafen seit dem 13. Jahrhundert erfahren habe. „Präzisierungen ... erfolgten fallweise, blieben situationsgebunden, wurden oft sogar eher gedacht als praktiziert.“ Die politische Kraft großer Dynasten, die ein bis 1504 expandierendes einzigartiges Fürstentum am Rhein schufen, „verbunden mit der Nähe zu König und Reich [habe] der Pfalzgrafschaft in einer zentralen Landschaft der europäischen Geschichte ihr besonderes Gewicht“ gegeben.

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Mit offen bekannter „genuin altbayerischer Emphase“ gibt Josef Johannes Schmid einen weit ausgreifenden Überblick über 300 Jahre, in denen Wittelsbacher als Bischöfe und Erzbischöfe am Rhein regierten, kontinuierlich in Köln von 1583 bis 1761, vereinzelt in Trier und Mainz, wo freilich schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts der Wittelsbacher Konrad zweimal den erzbischöflichen Stuhl einnahm. Eindrücklich zeigen personenbezogene Tabellen die Häufung von Leitungsämtern in der Kirche des Alten Reiches, wenn etwa ein Erzbischof von Köln daneben bis zu fünf andere Bischofsstühle innehatte, nachdem er zuvor oder auch gleichzeitig Propst von Altötting, Fürstpropst von Berchtesgaden, Fürstabt von Stablo-Malmédy oder Hochmeister des Deutschen Ordens war. Detailliert stellt Schmid die Geschichte der einzelnen Personen im politischen und kulturellen Kontext ihrer Zeit dar, bis hin zum „Höhepunkt und Abschluss“ mit Franz-Ludwig von Pfalz-Neuburg und Clemens August von Bayern. In seinem „analytischen Résumé“ erörtert er drei Fragen, die Forschung und populäre Wahrnehmung bewegten: Wieweit handelten die geistlichen Fürsten nach Interessen ihrer fürstlichen Familie? Welche politische Bedeutung hatten sie? Waren sie nur oder vor allem „Benefizien-Jäger“? Dabei wertet Schmid auch die „so oft geschmähten Subsidienzahlungen großer Mächte“, vor allem Frankreichs, positiv, weil sie politische Unabhängigkeit nach innen und ein „gewaltiges kulturelles Programm“ ermöglichten, vor allem ein beeindruckendes Bauprogramm, das (in einer eigenen Tabelle zusammengestellt) demonstriert, was von der Herrschaft der Wittelsbacher am Rhein (heute noch sichtbar) geblieben ist. Positiv wertet Schmid aber auch das „immense, fast unglaubliche Reformprogramm“ Franz-Ludwigs von Pfalz-Neuburg für seine Stifte, insbesondere für Trier, das vorbildhaft gewirkt habe, und überhaupt den Beitrag der wittelsbachischen Kirchenfürsten für die Realisierung der „Katholischen Reform“. Als „eine problematische Annäherung“ behandelt Heinz Duchhardt Preußen und den Mittelrhein in der „Sattelzeit“, also in den Jahrzehnten vor und nach der Französischen Revolution und ihren Folgen für Deutschland. Ausgehend von der negativen Einschätzung der geistlichen Fürsten, insbesondere der Kurfürsten von Mainz (Kreaturen des Hauses Österreich, zu schwach, um selbständig zu handeln) durch Friedrich II. von Preußen, fragt er zunächst nach der Positionierung des Mainzers zu Österreich und Preußen. Im Prinzip schien Preußen „der geborene Feind des Katholizismus und der geistlichen Staatenwelt“ zu sein, aber auch zum Kaiserhof, von dem man Förderung und Schutz erwartete, wuchs die Distanz angesichts der Politik Kaiser Josephs II. So sah Preußen Chancen, die geistlichen Staaten „im antihabsburgischen Sinn zu instrumentalisieren“, verstärkte seine diplomatische Präsenz „abrupt“ und erzielte damit auch

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Erfolge. Die katholischen Fürsten konnten sich dem neuen Bild Friedrichs, das ihn „in die Nähe einer protonationalen Identifikationsfigur rückte“, nicht gänzlich entziehen, zumal sich auch Teile des ritterschaftlichen Adels auf Preußen umorientierten, was Duchhardt am Beispiel der (protestantischen) Freiherren vom Stein aufzeigt, auch wenn vor allem für die katholischen Reichsritter „die Straße nach Wien die Hauptstraße blieb“. Die gute Position Preußens als „Orientierungsmacht ... für viele kleine und größere Potentaten im hessisch-rhein-mainischen Raum“ wurde freilich stark beeinträchtigt durch den Separatfrieden mit Frankreich 1795. Erst Preußens tragende Rolle in den sogenannten Befreiungskriegen stellte sein Prestige wieder her, die Übertragung der linksrheinischen Lande machte es zum unmittelbaren Nachbarn der neu zugeschnittenen Staaten im Rhein-Main-Gebiet, zumal es die Bundesfestung Mainz neben Österreich besetzte. Gleichwohl spricht Duchhardt von einer nur dezenten Positivierung des Preußenbildes in der Region, dezent wegen des „stramm reaktionäre[n]) Kurs[es]“, den Berlin spätestens seit 1819 fuhr, wie auch wegen seiner „aggressive[n] Wirtschaftspolitik“, deren Auswirkungen, die er am Beispiel Nassaus aufzeigt, „viele antipreußische Gefühle geweckt, vielleicht auch nur wieder aufgefrischt [hat]“. Ähnlich wirkte die Präsenz der preußischen Besatzung in der Bundesfestung Mainz, wo die Österreicher „um Längen populärer“ waren. Umgekehrt galt die Stadt einem preußischen Beobachter 1833 als „Zentralpunkt revolutionärer Bestrebungen“. Da Preußen sich im Vormärz politischer Modernisierung zu verschließen und sich zur reaktionärsten Bundesmacht neben Österreich zu entwickeln schien, wundert es kaum, dass in der Stadt 1848 der Ruf erschallte: „Schlagt die Preußen tot“ – dem auch Taten folgten. So überrascht die Bilanz Duchhardts wenig, dass es „bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein sehr schwieriger Prozess des Zueinander-Findens war, dass viele Reserven blieben oder sich dann sogar noch verstärkten. ... mit Preußen hatten die Menschen in dieser Region offenbar erhebliche Schwierigkeiten, sich zu akkomodieren. Dabei hatten sie es noch vergleichsweise gut, denn – anders als die Westfalen oder die Rheinländer – wurden sie immerhin noch nicht in den preußischen Staatsverband gezwungen.“ Dieses Schicksal ereilte, als Folge der sogenannten Einigungskriege, das benachbarte Nassau. Eine soeben publizierte Tagung in Bad Homburg behandelte 2009 die Frage: „Preußen in der Rhein-Main-Region – 1866: Annexion als Modernisierung?“ Heinz Duchhardt sprach dort über „Preußen und das Rhein-Main-Gebiet – eine ‘natürliche Verbindung‘?“ und Gregor Maier über „Sie fügen sich mit Fassung in das Unvermeidliche.

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Okkupation und Annexion 1866/67 im Spiegel der öffentlichen Meinung im Herzogtum Nassau“ (Dölemeyer 2013). Wir sahen schon, dass man 2009 in Nordrhein-Westfalen das preußische Erbe nicht zuletzt mit Blick auf die sichtbaren Spuren positiv inszenierte. Vorangegangen war die neue, positive Einschätzung des architektonischen Erbes in unserem Lande, im Einklang mit einer entsprechenden Neubewertung der Kunst des 19. Jahrhunderts generell. Bahnbrechend war die Dissertation Michael Bringmanns, der später Jahrzehnte an unserer Universität als Kunsthistoriker wirkte, über die neuromanische Architektur. Für sie gibt es in unserem Lande herausragende Zeugnisse über die ehemals preußischen Gebiete hinaus, die Anton Neugebauer behandelt. Der hohe Ministerialbeamte weist zunächst auf die Verluste hin, die noch nach Inkrafttreten des rheinland-pfälzischen Denkmalschutz- und -pflegegesetzes von 1978 eintraten, bevor er die Leistungen der preußischen Bauverwaltung auf den verschiedensten Gebieten, von Verkehrsbauten über Verwaltungs- und Schulgebäude bis hin zu Kasernen und Festungen, würdigt. Bei einem so spektakulären Beispiel wie dem Kaiserdenkmal am Deutschen Eck in Koblenz vergisst er nicht die politische Dimension – auch in der Diskussion um den Wiederaufbau Ende des 20. Jahrhunderts, bei der „die oft eher aus dem Bauch herauskommende Ablehnung Preußens durch den Rheinländer ... eine genauso gefühlige Umkehrung“ gefunden habe. Die architektonische Würdigung der „großartigen Festungsbau(ten)“ in Koblenz überlässt er dem Vortrag von Klaus T. Weber, verzichtet aber nicht auf ihre politische Aussage (Demonstration des Anspruchs preußischer Herrschaft), wie er umgekehrt die Vernachlässigung der Bauten bis in jüngste Zeit als Ausdruck der Abneigung gegen alles Preußische deutet. Auch einen Industriebau, die Sayner Hütte bei Bendorf, entworfen von deren späteren Leiter Carl Ludwig Althans (1788–1864), der 1817 als Berg- und Hütteninspektor in preußische Dienste getreten war, nimmt er in den Blick. Sie gilt ihm wegen der „grandiose[n] Architektur [und Technik] der Gießhalle“ als „technisches Kulturdenkmal und überragende Ingenieurleistung von Weltruhm“. Vor allem aber bespricht er die viel bekannteren und für den Tourismus wichtigeren Burgen (s. auch Mainzer Vorträge 15) , die von den Preußenprinzen und insbesondere von König Friedrich Wilhelm IV. (1840–1858), aber auch von reichen Privatleuten, darunter ein englischer Eisenbahnunternehmer (Lahneck), bis ins beginnende 20. Jahrhundert hinein (Reichenstein, Maus, Heimburg, Katz) wieder auf- und ausgebaut wurden. Schon 1825/29 wurde die Vautzburg bei Trechtingshausen zur Burg „Rheinstein“ als Wohnsitz für Prinz Friedrich ausgebaut, 1839/44 durch eine neugotische Schlosskapelle mit Familiengruft und ein Wirtschaftsgebäude in

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prächtiger Lage (Schweizerhof) ergänzt. Die Sooneck wurde 1843/61 „behutsam“ als Jagdschloss für vier Preußenprinzen ausgebaut. Zahlreiche Vorhaben, auch der Hohenzollern, blieben aber nach Neugebauers Urteil „glücklicherweise ungebaute Träume“. Als bedeutendste der rekonstruierten Burgen am Rhein würdigt er ausführlich Stolzenfels, „eine gebaute Liebeserklärung an das Rheinland, ein Zeichen dafür, dass Preußen nicht nur äußerlich vom Rheinland Besitz genommen hatte, sondern sich mit ihm identifizierte und exemplarisch Zerstörungen durch den französischen ‘Erbfeind’ (vgl. MV 13) beseitigte“. Die Stadt Koblenz hatte 1815 die Ruine dem jungen, von der Schönheit der neuen Provinz begeisterten Kronprinzen geschenkt. Von erstrangigen Architekten, Schinkel, Stüler und anderen, ließ sie der „Romantiker auf dem Königsthron“ bis 1843 als rheinische Sommerresidenz ausbauen. Die historischen Szenen des großen Fresko auf der dem Rhein zugewandten Außenfassade deutet Neugebauer als „geradezu programmatisch für Friedrich Wilhelms Wirken im Rheinland“. Als weitere in diesem Sinne aussagekräftige Bauten des Königs würdigt er die doppelstöckige Grabkapelle für Johann von Böhmen, von Schinkel in höchst romantischer Lage auf einem hoch das Saartal überragenden Felsen wenige Kilometer südlich von Saarburg errichtet, und die sogenannte Basilika in Trier, mit deren Wiederaufbau als Kirche, als „protestantischer Gegendom“, der Preußenkönig sich in die Tradition Konstantins als Schutzherr der Kirche stellte. Von den Kirchen, für die Kaiser Wilhelm II. sich in unserem Land auch finanziell sehr engagierte, nennt Neugebauer die demonstrativ groß gebaute protestantische Erlöserkirche in Gerolstein und die Ausstattung der Abteikirche in Maria Laach. Von den Profanbauten im neuromanischen, an die Stauferkaiser anknüpfenden Stil werden die Kaiserbrücke in Mainz und das Regierungsgebäude in Koblenz behandelt, während das dortige Oberpräsidium an den regionalen Stil des 18. Jahrhunderts anknüpfte. Nicht mehr realisiert wurde das in „monumental-ungeschlachte[r] Formensprache“ geplante Nationaldenkmal, das 1915 zum 100. Geburtstag Bismarcks auf der Höhe über Bingerbrück errichtet werden sollte; im zweiten Anlauf und nach mehrfach geänderten Plänen desselben Architekten gebaut wurde das vom Rheinhessischen Bismarckverein finanzierte 33 m hohe Denkmal auf dem Westerberg oberhalb von Ingelheim, das heutzutage als riesige Adventskerze illuminiert wird. Dem vom Volumen her größten architektonischen Erbe des 19. Jahrhunderts widmet sich der durch einschlägige Monographien und Tagungsbände ausgewiesene Mainzer Kunsthistoriker Klaus T. Weber im letzten Beitrag unseres Bandes. Er zeichnet die Entwicklung von der kurtrieri-

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schen Reichsfestung Koblenz seit dem 16. Jahrhundert bis zur preußischen Landesfestung nach, einschließlich der von Napoleon 1801 befohlenen Entfestigung. Ausführlich würdigt der Autor die Planer und Bauleiter aus dem militärischen Ingenieurscorps, die hier entwickelten preußischen Richtlinien für die Koblenzer Bauten, die auch künftigen Festungsbauten in Preußen die Richtung wiesen. Er vergisst aber auch die sozialgeschichtliche Dimension nicht: Die Bauarbeiten wurden teils von Soldaten, teils von Zivilisten, bis 1816 auch als Frondienste aus den umliegenden Gemeinden geleistet. Waren schon die Frondienste, insbesondere nach Beendigung des Krieges gegen Napoleon, heftig kritisiert worden, so erst recht die Polizeimaßnahmen, mit denen der Innenminister danach mehr Arbeiter auf die Baustelle bringen wollte. Bauleitung und Bezirksregierung waren dagegen, dass „Bettler mit Gewalt zu den Arbeits-Punkten hingeschleppt werden. Sie werden bald fortlaufen, wie die Erfahrung schon gelehrt hat, oder sie werden so schlecht und faul arbeiten, dass die BauKommission sie bald wieder von selbst entlassen wird“. Gute Fortschritte hingegen seien zu erwarten, so Clausewitz 1818, nachdem sich die leitenden Ingenieure „endlich [davon] überzeugt [hätten], dass der Mangel an Arbeitern nicht in der Indolenz der Einwohner zu suchen [sei] sondern in den unpassenden Lohnsätzen; seitdem sie diese beträchtlich erhöht haben, sind sie bis zu jener beträchtlichen Zahl von Maurern gestiegen“. Höhere Löhne zogen auch Arbeiter aus entfernteren Regionen an, die nach Abschluss der Bauten freilich keine ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten fanden und „bei den Alteingesessenen Existenzängste auslöste[n]“. Auf Betreiben des Koblenzer Bürgermeisters kam es „zu einem Verdrängungsprozess der Tagelöhner- und Handwerkerfamilien in das Umland, das in der Folge der Nährboden für die ersten Arbeiterviertel von Koblenz bildete, wie dies z.B. für Metternich nachgewiesen ist“ (Weber). Abschließend würdigt Weber mit Emphase die militärtechnische Bedeutung der Bauten („neu und aufsehenerregend war hierbei die Stringenz der angewendeten fortifikatorischen Mittel.“ – „Vorbildlich weit fortgeschritten war die Diskussion in der preußischen Militärführung um die Erneuerung der Festungsbauweise.“) und ihrer Ausführung („innovativ, pseudoempirisch“), die 1819 zur Norm für künftige Bundesfestungen am Rhein erhoben wurden. Bei der „neupreußische[n] Befestigungsmanier“, so resümiert Weber in etwas eigenwilliger Diktion, „handelt es sich weniger um eine nationale Entwicklung, sondern um eine allgemeine Festungsidee, die den internationalen Festungsbau beschäftigte und die sich den militärtechnischen Zwängen verpflichtet fühlte und nicht dem Ausdruck eines völkischen Bewußtseins, in dessen unglücklichen Zusammenhang sie bis heute gerne gebracht wird.“

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Insgesamt, so hoffen wir, können wir ein facettenreiches und farbiges Bild der verschiedenen Formen preußischer und bayerischer Präsenz am Rhein und ihres Nachlebens präsentieren.

Literaturhinweise (neben den hier nicht aufgeführten Beiträgen dieses Bandes und der dort angegebenen Literatur, auf die ausdrücklich verwiesen sei) Ames, Gerhard/Ludwig Linsmayer (Hg.): Ja und Nein – Das Saarreferendum von 1955. Saarbrücken 2005. Batori, Ingrid: Von der französischen Stadt bis zur Gegenwart (Geschichte der Stadt Koblenz 2), Stuttgart 1993. Baudri, Friedrich: Tagebücher 1854–1871, 2 Bände, bearb. von Ludwig Gierse und Ernst Heinen. Düsseldorf 2006 und 2009 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde LXIII). Becker, Frank G.: „Deutsch die Saar, immerdar!“ Die Saarpropaganda des Bundes der Saarvereine 1919–1935 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 40), Saarbrücken 2007. Bellot, Josef: Hundert Jahre politisches Leben an der Saar unter preußischer Herrschaft (1815–1918). (Rheinisches Archiv 45), Bonn 1954. Cahn, Jean Paul: Le second retour. Le rattachement de la Sarre à l‘Allemagne, 1955– 1957, Bern 1985. Dölemeyer, Barbara u.a. (Hg.): „Preußen in der Rhein-Main-Region – 1866: Annexion als Modernisierung?“ In: Mitteilungsheft des Vereins für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg e.V. 62 (2013). Dorfey, Beate: Die Teilung der Rheinprovinz und die Versuche zu ihrer Wiedervereinigung (1945–1956). Das Rheinland zwischen Tradition und Neuorientierung (Dokumente und Darstellungen zur Geschichte der Rheinischen Provinzialverwaltung und des Landschaftsverbandes Rheinland 8), Köln 1993. Elzer, Herbert: Adenauers „großes Spiel“. Staatsraison und Parteikalkül bei der Durchsetzung des deutsch-französischen Saarabkommens vom 23.10.1954 gegen Jakob Kaiser und die CDU/CSU. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 46 (1998), S. 182–245. Elzer, Herbert: In Distanz zu Adenauers Saarabkommen vom 23.10.1954. Die rheinland-pfälzische CDU als unbeugsame Verfechterin einer deutschen Saar. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 24 (1998), S. 457–544. Elzer, Herbert: Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Netzwerk der prodeutschen Opposition 1949– 1955 (Schriftenreihe Geschichte, Politik & Gesellschaft der Stiftung Demokratie Saarland 8), St. Ingbert 2007. Elzer, Herbert: Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und die „Kleine Wiedervereinigung“. Die Bundesministerien im außenpolitischen Ringen um die Saar 1949–1955 (Schriftenreihe Geschichte, Politik & Gesellschaft der Stiftung Demokratie Saarland 9), St. Ingbert 2008.

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Hasslieben am Rhein Vergleichende Beobachtungen zur bayerischen und preußischen Präsenz am Rhein im 19. und 20. Jahrhundert Obwohl die bayerische und preußische Herrschaft am Rhein nun schon seit rund 65 Jahren beendet ist, sind Erinnerungen daran bis heute in unserem Raum lebendig. Das preußische Interesse an den Rheinlanden auf dem Wiener Kongress habe Fürst Metternich in höchstem Maße amüsiert, „weil er wusste, an der Verwaltung des Rheinlandes ist schon der Römer gescheitert“, so etwa der Kabarettist Konrad Beikircher, der sein Programm ebenso gerne mit dem preußisch-rheinischen Gegensatz ausschmückt (Beikircher, S. 68) wie ihn ja auch der rheinische Karneval mit seinen ganz unmilitärisch auftretenden Karnevalssoldaten noch widerspiegelt. Auch in der Pfalz gibt es solche Reminiszenzen an die in diesem Fall bayerische Herrschaft von 1816 bis 1946. Dort nennt man die Bayern bis heute gerne etwas spöttisch „Zwockel“, in Erinnerung an den ersten bayerischen Regierungspräsidenten in der Pfalz Franz Xaver v. Zwackh. Die Sache ist hier sogar noch etwas ernster: Bis heute gibt es einen Pfalzreferenten in der Bayerischen Staatskanzlei, der allerdings mittlerweile „eher repräsentativen Charakter“ hat und „ohne jeglichen politischen Anspruch“ fungiere, so die offizielle Sprachregelung (Goldener Löwe, S. 82). Nach wie vor existieren aber der „Landesverband der Pfälzer in Bayern“ und der „Bund der Pfalzfreunde“, deren Ursprünge in die Zeit eines heftigen, von Bayern ausgehenden Rückgliederungskampfes um die Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg reichen. Was sich hier erhalten hat, ist nichts weniger als der Nachklang von Einstellungen, die sich in der rund 130-jährigen bayerischen und preußischen Geschichte am Rhein herausgebildet haben. Schon ein flüchtiger Blick auf die Quellen zeigt das deutlich: Als nach rund 100-jähriger Präsenz in Bayern und Preußen Bilanz gezogen wurde über die Herrschaft am Rhein, da war für die offiziöse Geschichtsschreibung die Sachlage völlig klar. Adam Sahrmann etwa resümierte in seiner 1921 erschienenen Arbeit mit dem Titel „Pfalz oder Salzburg?“ gleich zu Beginn: „Mit Recht dürften aber die Pfälzer an der Schwelle des 2. Jahrhunderts ihrer Verbindung mit

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Bayern das abgeschlossene Säkulum ‚als das bedeutsamste ihrer Geschichte, als das glücklichste ihrer so reich bewegten Vergangenheit‘ bezeichnen. Denn für die Pfalz war die Besitzergreifung durch den bayerischen König Max Joseph I. am 1. Mai 1816 der Beginn einer glänzenden friedlichen Entwicklung gewesen und in dem überaus segensreichen Zeitalter bayerischer Könige hatten auch diese Neubayern einen großartigen Aufstieg auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und geistigen Lebens zurückgelegt“ (Sahrmann, S. 1). Ganz ähnlich sah es Joseph Hansen für die Rheinprovinz, als er 1917 ein mehrbändiges Werk über „Die Rheinprovinz 1815–1915“ herausgab. Er hielt die vergangenen 100 Jahre preußischer Herrschaft am Rhein für eine der „reichsten und bewegtesten Zeiten“ in der rheinischen Geschichte. Im Verband der deutschen Nation, die man allein Preußen zu verdanken habe, sei das Rheinland „schnell und vielseitig aufgeblüht“. Gerade jetzt in der Zeit des Krieges, 1917, würden die „Segnungen ihrer vor hundert Jahren erfolgten Aufnahme in den Verband des waffenstarken preußischen Staats besonders deutlich“. „Eng und unzerreißbar“ sei daher das Band, welches das Rheinland mit Preußen verbinde (Hansen, S. VIf., IX). Diese positive Sicht der Dinge vermochten andere freilich nicht zu teilen. Dafür gibt es viele Belege aus der gesamten 130-jährigen Beziehungsgeschichte: Ganz anders hört sich an, was etwa die pfälzischen Revolutionäre 1849 in der Kaiserslauterner Fruchthalle über Bayern verlauten ließen: „Wir haben keinen Teil mehr an dem Hause Wittelsbach. Wir sagen uns los von dem eigensüchtigen Bayern und im Bund mit den freiheitsstolzen Brüdern von Baden wollen wir unsere eigenen Herren sein“ (zit. nach Dürr, S. 12). Wilhelm Heinrich Riehl wusste 1857 in seinen volkskundlichen Beobachtungen über die Pfälzer zu berichten, sie „legten jedes Wort auf die Goldwaage, welches an der Isar über pfälzische Zustände gesprochen wird. Denn gleich wie viele Altbayern fürchten, vernorddeutscht zu werden, so argwohnen gegentheils viele Pfälzer, dass man ihr Land ganz sachte verbayern wolle. Der Pfälzer hört es gern, wenn beim Festmahle der erste Trinkspruch nicht kurzweg dem Könige gebracht wird, sondern dem ‚Könige und Pfalzgrafen!‘ Es ist für ihn eine offene Frage, ob die Pfalz an Bayern oder Bayern an die Pfalz gefallen sei“ (Riehl, S. 310f.). Und als das Ende der bayerischen Herrschaft am Rhein gekommen war, resümierte eine Denkschrift der rheinland-pfälzischen Landesregierung 1954 nur ganz kühl: „Eine landsmannschaftliche Verbundenheit zwischen der Pfalz einerseits und Bayern andererseits ist nicht gegeben. (...) Auch besondere kulturelle Zusammenhänge zwischen der Pfalz und Bayern bestehen nicht. (...) Wirtschaftlich hat weder die (...) pfälzische Wirtschaft noch die Landwirtschaft gesteigerte Verflechtungen

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mit dem Land Bayern aufzuweisen (...) Das soziale Gefüge der Pfalz (...) weist schon als Folge der räumlichen Trennung der Pfalz von Bayern keine besonderen Zusammenhänge dorthin auf.“ Von einer irgendwie breiteren Sympathie für Bayern könne daher in der Pfalz überhaupt nicht gesprochen werden, allenfalls 0,8% der pfälzischen Bevölkerung engagierten sich in Vereinigungen, die nach Bayern tendierten, und das seien überwiegend gleichsam gefühlsduselige ältere Beamte, die sich in die Monarchie zurückträumten (Rheinland-Pfalz, S. 33). Beim Krieg 1866 konnte ein Flugblatt im Rheinland zustimmende Leser finden, in dem es hieß: „Kein anderer Staat als Preußen (...) war von Anfang an das Unglück Deutschlands (...) So ein Preußenkönig dünkt sich ein Gott, erhaben über alle irdischen Geschöpfe und deren Tugenden verachtend (...). Rheinländer, könnt ihr es vergessen, wie man eure Religion in den Kot zu treten versucht und eure Priester mißhandelt hat! (...) Um euch preußisch zu machen (...), hat man euch ein Heer von Beamten gesandt, welche den preußischen Geist euch einprägen sollten“ (zit. nach Heyen, S. 194f.). Vor diesem Hintergrund mag Theodor Fontanes skeptischer Beurteilung in den 1889 erschienenen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ einige Wahrheit innewohnen: „Nicht nur Deutschland widerstrebt dem AltPreußentum, das nur wenig über Brandenburg hinaus Wurzeln geschlagen hat, nein auch in unseren eigenen Provinzen (...) ist man voller Haß gegen den Borussismus oder voll Spott und Hochmut. (...) Wen eine Sommerreise von der ‚guten Stadt Berlin‘ aus in die Provinzen führt, westlich bis an den Rhein und die Eider, der wird sich der Wahrnehmung nicht verschließen können, dass er in fremden Gegenden reist und dass die Herzen eine total andere Sprache führen“ (Fontane, S. 404). Im 20. Jahrhundert konnte diese „total andere Sprache der Herzen“ in fast pathologisch zu nennende Aversion umschlagen, die der Wittlicher Bürgermeister Joseph Mehs in seinen Tagebüchern festhielt. 1940 etwa notierte er, überall in der rheinischen Bevölkerung sei „reine, unverhohlene Schadenfreude“ darüber festzustellen, dass die alliierten Bomber ihre Fracht nun auch über Berlin ausladen würden (Wein, S. 222). Was nun fängt der Historiker mit solchen Befunden an, was kann er zur Erklärung solch merkwürdiger Gemengelagen, die sich eben wie „Hasslieben“ ausnehmen, beitragen? Näher besehen stellt die Geschichte von Bayern und Preußen am Rhein nichts anderes als die Geschichte der Integration von neuen Gebieten in einen bestehenden Staatsverband dar – ein Vorgang, wie er tausendfach schon in der Geschichte stattgefunden hat. Daher gilt es, diesen Integrationsprozess sine ira et studio und jenseits vorschneller Verurteilungen oder volkstümlicher Erklärungsansätze zu analysieren. Dabei rücken

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zwangsläufig allerdings die zu erklärenden Konfliktzonen in den Vordergrund – man sollte also stets mitdenken, dass für die große Mehrheit der Pfälzer und der Rheinländer vermutlich eine Obrigkeit so gut oder schlecht wie die andere war. Damit ist freilich die geschilderte Langlebigkeit dieser auseinandergehenden Beurteilungen preußischer und bayerischer Herrschaft am Rhein noch nicht erklärt. Hier bietet es sich an, die Diskurse über jene historische Epoche genauer zu betrachten und ihre Funktionalisierung zu untersuchen. Dies soll in einem zweiten Schritt geschehen, indem am Beispiel einer Rede, die der spätere Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Peter Altmeier 1946 gehalten hat, der politische Umgang mit dem historischen Erbe der Preußen am Rhein genauer beleuchtet wird. In diesem Zusammenhang soll auch der Frage nach den Entstehungsbedingungen für das rheinland-pfälzische Landeswappen nachgegangen werden. I. In der modernen Analyse von politischen Integrationsprozessen werden in der Regel zwei verschiedene Integrationsebenen unterschieden: zum einen die sogenannte Systemintegration, also die staatliche, politische und rechtliche Integration von neuen Herrschaftsgebieten in ein aufnehmendes Land, sowie die Sozialintegration, d.h. die kulturelle und mentale Integration der „Neubürger“. Neuerdings wird darauf hingewiesen, dass auch die gegenseitigen Abhängigkeiten einzelner Integrationsprozesse sowie Momente der politischen Kultur, die bei diesen Prozessen eine wichtige Rolle spielen, zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Dies alles ist an dieser Stelle nicht zu leisten, doch soll zumindest versucht werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Elemente, die für den Fall „Preußen und Bayern am Rhein“ wichtig erscheinen, herauszuarbeiten. a) 1816: Bayern und Preußen am Rhein Zunächst und vor allem ist der Beginn dieser Beziehungen ins Auge zu fassen: die territoriale Neuordnung des Wiener Kongresses. Nachdem das linksrheinische Deutschland fast zwei Jahrzehnte in den französischen Staatsverband eingegliedert gewesen war, entschieden die Mächtigen auf dem Wiener Kongress, die Pfalz an Bayern zu geben. Das Rheinland kam an Preußen, damit die starke Militärmacht gleichsam die „Wacht am Rhein“ gegen Frankreich halten konnte. Das damals schon so bezeichnete „Seelengeschacher“ wurde besonders deutlich in der Verpflichtung Preußens, ein Gebiet mit „69.000 Seelen“ im Raum Birkenfeld, Meisenheim, St. Wendel an einige Herzöge und Grafen aus allen Teilen Deutschlands

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abzutreten. Diese hatten daran kein Interesse und verkauften ihre Kleinherrschaften zwischen 1817 und 1834 gleich wieder an Preußen oder aber sie fielen diesem dann 1866 zu. Allein der Großherzog von Oldenburg behielt trotz bitterer Enttäuschung über seine Entschädigung länger die Herrschaft Birkenfeld, die trotz vielfacher Versuche, sie abzustoßen, erst 1937 in die preußische Rheinprovinzverwaltung überführt wurde. Als er sie 1817 zwangsweise annahm, soll er geäußert haben: „Ich komme zu Birkenfeld wie jener zu einer Ohrfeige, ich weiß selber nicht, wie (...). Es ist doch ein wahrer Spott, mir ein Land jenseits des Rheins anzuweisen und macht den klugen Seelenverkäufern in Wien verzweifelt wenig Ehre“ (zit. nach Brandt, S. 10). Was der Großherzog von Oldenburg äußerte, hätte auch der bayerische König oder der König von Preußen sagen können: keiner war so recht erfreut über den Gebietszuwachs, der für alle so weit weg von den Hauptlanden lag, der dem Ideal des zusammenhängenden Staatsgebietes geradewegs widersprach. Aber nicht nur die Monarchen waren keineswegs über diese Gebietszuwächse erfreut, die Menschen in diesem Raum waren es auch nicht. Zwar gab es damals noch keine repräsentativen Meinungsumfragen, die uns Gewissheit über die Stimmung in der Bevölkerung geben könnten, aber es gibt doch immerhin eine Reihe von Hinweisen darauf, dass man sich in der Pfalz ebenso wie im Rheinland wünschte, irgendwie in dem durch Frankreich geschmiedeten Verband zu verbleiben, vielleicht in einer Art rheinischer Monarchie, die zu Deutschland gehören sollte, aber eben doch nicht einfach irgendwelchen deutschen Ländern zugeschlagen zu werden. Der bekannte Protagonist des Hambacher Festes, Philipp Jakob Siebenpfeiffer, etwa äußerte noch 1830 in seiner Zeitschrift „Rheinbayern“: „Groß sind die Fehler, die 1814–1815 begangen worden: alle Länder französischer Zunge hätten Frankreich verbleiben, alle der deutschen zu Deutschland kommen, und am Rhein ein mächtiges Königreich errichtet werden sollen“ (Rheinbayern, S. 41). Aus alledem wurde aber nun nichts, weil am grünen Tisch in den diplomatischen Kompensationsgeschäften eben anders entschieden worden war. Ein Land, das der Landesherr eigentlich nicht will, eine Bevölkerung, die den Landesherrn nicht will – das aber sind schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Gemeinschaft. Die in die Pfalz abkommandierten bayerischen Beamten gaben der Situation bald schon gereimten Ausdruck, der diese lange nachwirkende Ausgangssituation erkennen lässt: „Wen Gott will strafen, den schickt er nach Ludwigshafen, wen Gott nicht gerne hat, den schickt er in die Bezirkshauptstadt [nach Speyer also], und schickt er ihn nach Germersheim, so springt er lieber in den Rhein“ (zit. nach Martin, S. 86).

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Einige bayerische Könige, wie namentlich anfänglich Ludwig I., haben im Laufe der Zeit ein gewisses Interesse an der Pfalz entdeckt, und auch in Preußen betätigte sich z.B. Friedrich Wilhelm IV. mit seiner Baupolitik als Förderer der Rheinprovinz. Aus dieser wohlwollenden landesväterlichen Sorge der Monarchen entwickelte sich dann immerhin einige Sympathie für die neuen Herren. Aber der Geruch, eigentlich ein ungeliebtes Nebenland zu sein, nur eine abseitige Provinz, der blieb und kam immer wieder durch. b) Länder mit besonderem Recht Aber nicht nur, dass Pfalz und Rheinland gleichsam als Verfügungsmasse in die neuen staatlichen Zuordnungen gelangten, sie kamen auch mit einer gegenüber dem Aufnehmerland wesentlich moderneren politischen und gesellschaftlichen Ordnung in den neuen Staatsverband. Als Teil des französischen Staates seit 1797 systematisch modernisiert, war die Bauernbefreiung hier bereits völlig durchgeführt, eine moderne Verwaltung hatte Einzug gehalten, ebenso ein modernes Justizsystem und der Code Napoléon. Traditionelle Behinderungen und Beschränkungen von Handel und Gewerbe waren abgebaut, und eine gewisse politische Partizipation war durch die französischen Departementalräte bereits eingeführt. Diesen Fortschritt verlangten Pfälzer nicht anders als Rheinländer zu erhalten, mehr noch, sie empfahlen ihr System den Aufnahmeländern nachdrücklich zur Nachahmung. Das führte in Bayern nicht anders als in Preußen zu Abwehrreaktionen, wollte man sich dort doch keinesfalls die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung von den hinzugekommenen Landesteilen vorschreiben lassen. Berliner Beamte etwa sprachen von einer Art „Dünkel“ rheinischen Sonderlebens, der im Rheinland herrsche. Immerhin aber war Bayern so klug, diese dann als „pfälzische Institutionen“ bezeichneten Sonderrechte nicht zu kassieren, sondern der bayerische König akzeptierte den Rechtszustand, beließ auch die meisten noch von der französischen Verwaltung eingesetzten Beamten und akzeptierte als regionale Landesrepräsentation sogar den „Landrath“, mit dem die französische Tradition der Departementalräte fortgeführt wurde. Hinzu kam, dass Bayern 1818 eine moderne Repräsentativerfassung erhielt, die auch den Pfälzern eine Interessenvertretung in München erlaubte. Das produzierte zunächst einmal eine günstige Grundstimmung. Ganz so positiv war die Situation im Rheinland nicht, denn hier wurde keine Fortführung der französischen Departementalräte erlaubt, wohl aber wurden die „rheinischen Institutionen“, das rheinische Recht, gewährt, das das rheinische Bürgertum dann auch nachdrücklich und mit Feuereifer zu bewahren suchte. Schlechter als die Pfälzer in Bayern waren die Rhein-

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länder in Preußen auch dadurch gestellt, dass der preußische König sein Verfassungsversprechen bekanntlich nicht gehalten hat. Was übrig blieb, war lediglich eine rheinische Provinzialständeversammlung in Düsseldorf, die jedoch nicht als wirkliche Landesrepräsentation angesehen werden konnte. Entscheidend für die Entwicklung war bei alledem, dass seit den 1820er Jahren versucht wurde, solche Zugeständnisse, so gut es ging, zurückzuschrauben und einzuhegen und den Zugriff des aufgeklärten, modernen Staates durchzusetzen. Ein Mittel dazu war die Einschränkung der Pressefreiheit, aber auch die Ernennung von führenden Beamten, die bayerisches und preußisches Staatsinteresse exekutierten und sich nicht mehr viel um das regionale Eigenleben kümmerten. Das hat zu teils heftigen Auseinandersetzungen geführt, die in Bayern nicht zuletzt das Hambacher Fest 1832 oder die Revolution von 1848/49 motiviert haben. Im Februar 1846 resümierte der Pfälzer Abgeordnete Karl Friedrich Heintz, Appellationsgerichtsrat in Zweibrücken, die Stimmung gegen Bayern sei in der Pfalz mittlerweile so heftig, dass sich schon aus dem geringsten Anlass ein Verlust der ganzen Provinz ergeben könnte, dass man hier bald sogar den Duodez-Landgrafen von Hessen-Homburg als neuen Landesfürsten begrüßen würde, wenn man nur die bayerische Herrschaft loswürde. Umgekehrt war man in Bayern auch allmählich die ständigen Reibungen mit dem Nebenland satt und erwog um die Jahrhundertmitte, die Provinz irgendwie an Preußen loszuwerden. Nicht unähnlich waren die Verhältnisse im preußischen Rheinland, wo die preußischen Beamten 1848 den Eindruck hatten, einem „dramatischen Zerfall staatlicher Autorität in Stadt und Land“, so neuere Forschungen, gegenüberzustehen. Steuern wurden verweigert, Beamte bedroht, überhaupt wurde der den staatlichen Durchgriff repräsentierende preußische „Beamte“ zum verachteten Symbol staatlicher Zwangsherrschaft (Rummel, S. 123, 126). Am Ende kam auch hier die Forderung nach einer Loslösung der Rheinlande von Preußen auf. „Freiheit und Republik, wären wir doch die Preußen quitt“, sangen die Demokraten um 1848 im Rheinland und fanden zumindest im Ziel, die preußische Herrschaft abzuschütteln, die Unterstützung der Katholiken (Sperber, S. 28–31). Auch die nach der Revolution von 1848/49 einsetzende Verfolgung und Restauration, die viele Rheinländer und Pfälzer zur politischen Emigration zwang, hat nicht eben zu einer Aussöhnung und Integration der Länder in die vorgegebenen Herrschaftsstrukturen geführt. Eine gewisse Wende trat offenbar erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes bzw. des Kaiserreiches 1871 ein, weil nunmehr die Länder und ihre Provinzen vor dem Hintergrund der deutschen Einigung

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an Gewicht verloren und der französische Anspruch auf die Rheingrenze unseren Raum in der Abwehr Frankreichs zusammenführte. Den Grenzregionen der Pfalz und des Rheinlandes, in denen der nationale Gedanke stark war, wuchs die Aufgabe als „Wächter am Rhein“ zu. Das ermöglichte dann auch eine größere Akzeptanz Bayerns und Preußens, zumal Wilhelm I. nun als Reichsgründer in der deutschen Öffentlichkeit eine bemerkenswerte Heroisierung erfuhr. Dies war der Hintergrund, vor dem das Denkmal für den in der Pfalz beliebten bayerischen Prinzregenten Luitpold von 1892 in Landau oder das berühmte Reiterstandbild Wilhelms I. am Deutschen Eck in Koblenz von 1897 zu sehen sind. Nimmt man die bisher genannten Punkte zusammen, so lässt sich bereits hier feststellen, dass die Systemintegration, also vor allem die institutionelle Integration der Pfalz und des Rheinlandes, zunächst erhebliche Anlaufschwierigkeiten hatte und erst durch nachträgliche Reparaturmaßnahmen teilweise nachgeholt wurde. Vor allem aber stellte sich eine völlig unterschiedliche politische Kultur in der Pfalz und im Rheinland lange als wesentliches Hindernis für eine erfolgreiche staatliche Integration dar. Erst auf dem Umweg der Reichseinigung konnte eine integrierende Aufgabe für die beiden Grenzlandschaften gefunden und oberflächlich auch eine Akzeptanz der dadurch dann ja nachrangigen Landesherrschaften erreicht werden. Doch wie sah es mit der Sozialintegration aus? c) Konfession als Konfliktherd Mindestens ebenso wichtig wie diese strittigen politischen und Verfassungsrechte war das Problem der differierenden Konfessionsstände zwischen den Provinzen und der Zentrale. Das katholische Rheinland war ab 1816 Teil des überwiegend protestantischen preußischen Staates, umgekehrt kam die gemischtkonfessionelle Pfalz mit einem leichten evangelischen Übergewicht nun in den mehrheitlich katholischen bayerischen Staat. Das hat für Katholiken wie für Evangelische erhebliche Probleme sowohl religiöser wie kultureller Art mit sich gebracht, die das Verhältnis zeitweilig erheblich belastet haben. Bekannt ist ja der gerade im Rheinland so gerne zitierte Ausspruch des preußischen Kultusministers Freiherr vom Stein zu Altenstein, demzufolge der preußische Staat „für die evangelische Kirche nach Liebe, für die katholische Kirche nach Pflicht“ (zit. nach Höroldt, S. 44) Sorge trage, und genau in diesen Bahnen entwickelte sich in der Perspektive vieler Rheinländer nunmehr auch das Kirche-Staat-Verhältnis, insbesondere in der preußischen Rheinprovinz. Es waren zunächst die religiösen Praktiken der Katholiken, wie z.B. Wallfahrten, die zu Konflikten mit den preußi-

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schen Beamten führten, weil sie darin die Gefahr von Unordnung und Aufruhr erblickten, sie für Unfug und wirtschaftlich schädlich hielten, folglich das Wallfahren unter strenge Auflagen stellten. Hinzu kam der Konflikt in der Mischehenfrage, der bereits 1837 zur Inhaftierung des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering führte, ein Vorgang, der für langanhaltende Verärgerung über den preußischen König unter den rheinischen Katholiken sorgte. Deshalb war die große Anteilnahme an der Heilig Rock-Wallfahrt nach Trier 1844 und 1891, trotz der Versuche König Friedrich Wilhelms IV. um Entspannung der Lage, auch ein trotziges Bekenntnis katholisch-rheinischen Selbstbewusstseins. Erneut riss der Kulturkampf nach 1871 die Wunden wieder auf, die durch die für die katholische Kirche günstigen Artikel der preußischen Verfassung von 1850 langsam begonnen hatten zu heilen. Dass etwa das Trierer Priesterseminar geschlossen und die Seminaristen 1873 gewaltsam vertrieben wurden, Bischof Matthias Eberhard von Trier ganze 10 Monate in Haft verbringen musste und wegen der staatlichen Kulturkampfmaßnahmen alleine 251 Seelsorgstellen in der Diözese Trier verwaisten, hat das Verhältnis zwischen Rheinländern und preußischem Staat lange schwer belastet. In der Pfalz, wo auch ein bayerischer Kulturkampf stattfand, der freilich andere Dimensionen als der preußische im Rheinland hatte, waren es die Angriffe auf die evangelische Kirche, die die Gemüter erregten. Schon 1830 entwickelte sich ein Konflikt zwischen der pfälzischen evangelischen Geistlichkeit, die dem theologischen Rationalismus anhing, und dem Münchner Oberkonsistorium mit dessen Bevorzugung des Neuluthertums. Wenige Jahre später führte der sogenannte Kniebeugenstreit zu noch größerer Verstimmung. 1838 ordnete das bayerische Kriegsministerium an, dass alle Soldaten, ganz gleich welcher Konfession, sich niederzuknien hätten, wenn bei einer Prozession das Allerheiligste an ihnen vorbeigetragen würde. Das war für evangelische Gläubige natürlich eine Provokation. Erst 1845 wurde die so umstrittene Order wieder zurückgenommen. Auch die Sozialintegration blieb, das zeigt das Beispiel der konfessionellen Differenzen anschaulich, ein Problem- und potentielles Spannungsfeld zwischen Provinzen und Zentrale, das erst im 20. Jahrhundert an Schärfe verlor. Dabei wird zudem deutlich, wie sich die Sozialintegration vielfach auch hier wieder mit Modernisierungsproblematiken verband, die Walter Rummel an vielen weiteren Beispielen für das Rheinland aufgezeigt hat. Denn auch auf diesem Gebiet ging es dem preußischen Staat nicht nur um eine Klärung des Kirche-Staat-Verhältnisses, sondern auch um die konsequente bürokratische Umsetzung moderner Staatlichkeit. Dadurch verstärkte sich bei der katholischen Bevölkerung des Rheinlan-

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des der Eindruck, einer unbarmherzig harten Bürokratie unterworfen zu sein, die in den Bereich des Religiösen rücksichtslos eingreife: „Wenn man den Kindern erzählt, der Papst dürfe nicht heiraten, dann fragen sie, ob es ihm der Landrat verboten habe“, so zitiert Reinhard Koselleck den charakteristischen Ausspruch eines preußischen Adeligen (Koselleck, S. 453). d) Problemlagen der Wirtschaft Vermutlich wären die Gegensätze zwischen Bayern und der Pfalz, zwischen Preußen und dem Rheinland jedoch längst nicht so deutlich zutage getreten und so lange konserviert worden, hätte sich mit den genannten Problemen nicht auch der Eindruck einer wirtschaftlichen Benachteiligung der tatsächlich oder angeblich ungeliebten Provinzen verbunden. Unter französischer Herrschaft hatte die Pfalz von den vielfältigen Wirtschaftsfördermaßnahmen profitiert, die Frankreich initiiert hatte. Nach 1816 jedoch entstand mit der bayerischen Herrschaft eine wirtschaftlich durchaus schwierige Situation. Die Pfalz wurde mehr als alle anderen bayerischen Kreise zur Steuerlast herangezogen, bekam nach Meinung vieler Pfälzer Abgeordneter dafür aber kaum etwas von den Bayern zurück. Auch an der Begleichung der bayerischen Staatsschulden sollten sich die Pfälzer beteiligen, die schuldenfrei an Bayern gekommen waren. Einwendungen der pfälzischen Abgeordneten dagegen wurden im Landtag regelmäßig ignoriert. Besonderen Ärger rief die bayerische Zollpolitik hervor: Exporte aus der Pfalz wurden an den Landesgrenzen mit Zöllen belegt, sogar solche in das altbayerische Gebiet. Der pfälzische Abgeordnete Kurz brachte das Problem schon 1819 auf den Punkt: „Eine solche gegen eine isolierte Provinz angelegte Sperre ist eben kein Mittel zur Annäherung, zur innigen Vereinigung mit derselben. Eine Provinz von dem Markte der übrigen auszuschließen, sie mit neuen Lasten zu überbürden, während ihre Belastung bereits am Tage liegt (...), das heißt mit andern Worten, sie als ein erobertes Land, als ein Mexiko oder Peru, und ihre Bewohner als Stiefkinder zu behandeln“ (zit. nach Fenske, S. 36). In der preußischen Rheinprovinz sahen die Verhältnisse etwas anders aus, sind differenzierter zu betrachten. Das rheinische Bürgertum sah den Anschluss an Preußen zunächst sehr skeptisch, verband man mit dem ehemals als „Streusandbüchse“ des Hl. Römischen Reiches titulierten Territorium, das durch die Kriege gegen Napoleon sehr geschwächt war, Soldaten und militärische Zucht, aber keineswegs eine attraktive Wirtschaftspolitik. Vielzitiert ist in diesem Zusammenhang das Wort des Kölner Ban-

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kiers Schaffhausen, der 1816 festgestellt haben soll, da heirate man aber in eine arme Familie ein (Schmitt, S. 61). Doch Preußen investierte in seine rheinische Provinz, schuf Schulen und eine eigene Universität (in Bonn), die man in der Pfalz gar nicht hatte. Das Medizinalwesen wurde verbessert, Land- und Forstwirtschaft nach modernen Gesichtspunkten erneuert, die Schiffbarkeit des Rheins verbessert. Allerdings: die südlichen Rheinlande hinkten der positiven wirtschaftlichen Entwicklung des Nordens weit hinterher, vor allem die ländlichen Gebiete im Hunsrück oder der Eifel blieben wirtschaftliche Notstandsgebiete. Ab den 1870er Jahren allerdings konnten durch freilich begrenzte staatliche Wirtschaftsfördermaßnahmen, durch die bisweilen aber sehr ambivalente Wirkung des Zollvereins und durch Handelsabkommen sowie dann durch den Boom der späteren 1870er Jahre auch das südliche Rheinland und die Pfalz an der allgemeinen positiven Entwicklung partizipieren. Mit der Industrialisierung, die Pfalz und Rheinland nun wenigstens z.T. auch erreichte, stellten sich eine Absicherung der Lebensverhältnisse und ein bescheidener Wohlstand ein, der zweifellos gegen Ende des Jahrhunderts die Akzeptanz der bayerischen und preußischen Herrschaft am Rhein gestärkt hat. Hier erweist sich einmal mehr die entscheidende Rolle, die ökonomische Partizipation bei der politischen Integration von neuen Landesteilen spielt. Schon dieser oberflächliche vergleichende Blick auf einige, längst nicht alle Konfliktfelder bayerischer Herrschaft in der Pfalz und preußischer Herrschaft am Rhein lässt erkennen, dass es sich hier um geradezu klassische Problemkonstellationen der politischen Integration von neuen Gebietsteilen in einen bestehenden Staat handelt, mithin die Annahme einer Verschiedenheit von Volkscharakteren oder einer einfach missgünstigen Herrschaftsausrichtung gegenüber der neuen Provinz als Erklärungsansatz zu kurz greift. Deutlich ist auch, dass der Integrationsprozess von Konflikten begleitet wird, die ganz typisch für das 19. Jahrhundert, für den Eintritt in die Moderne sind. Auch andernorts sind genau solche Konfliktzonen identifizierbar, man denke etwa nur an das Beispiel des Großherzogtums Baden, wo allerdings sehr intensive und z.T. staatlich gelenkte Integrationsmaßnahmen trotz aller Schwierigkeiten in ein per Saldo sehr positives Integrationsergebnis in der Mitte des 20. Jahrhunderts mündeten. Genau das erreichte man in der Pfalz und im Rheinland jedoch so nicht, woraus sich z.T. auch schon die dauerhafte Ambivalenz der Erinnerung an die 130-jährige Geschichte der Bayern und Preußen am Rhein erklären lässt.

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II. Hinzu kommt allerdings, dass der Diskurs über die preußische Herrschaft am Rhein oder die bayerische Herrschaft in der Pfalz auch bald schon politisch instrumentalisiert wurde. Ein anschauliches Beispiel dafür stellt die Rede dar, die der spätere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier am 6. Dezember 1946 zu Beginn der Beratungen der Beratenden Landesversammlung als Fraktionsvorsitzender der CDP/CDU in Koblenz gehalten hat. Die Situation, in der diese Rede gehalten wurde, war denkbar dramatisch: Mit der Ordonnance Nr. 57 hatte die französische Besatzungsmacht den Auftrag erteilt, das Land Rheinland-Pfalz zu gründen. Über die Gemeinderatswahlen am 15. September und die Kreisversammlungswahlen am 13. Oktober 1946 war eine Beratende Landesversammlung konstituiert worden, deren Hauptaufgabe die Ausarbeitung einer Verfassung war. Während dieser Arbeit übernahm eine Allparteienregierung unter Leitung des CDU-Mannes Wilhelm Boden die Regierungsführung. Diese erste vorläufige rheinland-pfälzische Regierung war um ihre Aufgabe wahrlich nicht zu beneiden. Sie hatte ein Land aufzubauen, in dem die Menschen hungerten und kein Dach über dem Kopf hatten, in dem Wirtschaft und Infrastruktur weitgehend zerstört waren, in dem durch die Verbrechen des Nationalsozialismus eine völlige politische und moralische Orientierungslosigkeit herrschte und der gesellschaftliche und politische Wiederaufbau grundlegend neu erfolgen musste. Das alles hatte Bodens Regierung unter der Aufsicht der französischen Besatzungsmacht zu leisten, ohne wirklich freie Hand für politische Entscheidungen zu haben. Unter diesen Voraussetzungen war nicht auf einen schnellen Erfolg zu hoffen, vielmehr war zu improvisieren, ohne Aussicht auf Beifall der leidenden Menschen. Daher war es das erste Ziel der Rede Altmeiers, den nur eingeschränkten Handlungsrahmen seines Ministerpräsidenten zu verdeutlichen und auf manch unbequeme Entscheidungen vorzubereiten. Deutliche Parallelen sah er zur Lage 1918: damals habe man auch auf den Trümmern eines verlorenen Krieges den Neuaufbau wagen müssen und sei gescheitert, jetzt aber solle der Aufbau nicht scheitern, jetzt sollte Verständnis der Sieger für die Deutschen ihr Handeln leiten, vor allem aber sollten die Menschen wissen, wem sie das ganze Elend zu verdanken hatten: niemand anderem nämlich als den Nationalsozialisten. Diese zweifellos zutreffende Feststellung verschaffte Altmeier in den Augen der Besatzungsmacht gewiss Kredit, doch innenpolitisch war sie nicht unproblematisch. Wusste nicht jeder, wie weit sich die Partei und ihre Genossen und Sympathisanten, Denunzianten und Anpasser in der

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Bevölkerung ausgebreitet hatten, so dass es streng genommen eben nicht nur einige wenige waren, die das alles zu verantworten hatten? Deshalb forderte Altmeier eine Entnazifizierung, die nur auf die im engeren Sinne politischen Hauptverantwortlichen ausgerichtet sein sollte, die große Mehrheit des Volkes, mit der ja jetzt ein neuer Staat aufgebaut werden musste, sollten nicht als Mittäter, Helfer oder Unterstützer des NS-Regimes eingeordnet werden, sondern vielmehr als Opfer – genau genommen als Opfer einer großen historischen Fehlentwicklung, die es nun mit aller Macht zu korrigieren gelte. Diese politische Fehlentwicklung aber sah Altmeier in nichts weniger als dem unheilvollen Ausgreifen der preußischen Herrschaft. Seit der reichsfeindlichen Hausmachtpolitik Friedrichs des Großen habe sich das politische Kraftzentrum nach „Ostelbien“ verlagert, wo es bedauerlicherweise auch unter seinen Nachfolgern geblieben sei, von denen der schlimmste kein anderer als Adolf Hitler, der „legitime Nachfolger“, gewesen sei. Diese Geschichtsinterpretation vergaß allzu eilig, dass die Keimzelle der NS-Bewegung München und nicht Berlin gewesen war, und übersah, wie viele Wähler und Unterstützer Hitler überall im Reich hatte gewinnen können. Aber sie hatte zwei eminente Vorteile: Zum einen entsprach sie weitgehend der Auffassung führender französischer Militärs, die im preußischen Militarismus die tiefer liegende Ursache des Nationalsozialismus ausgemacht hatten. Der Geneigtheit der Besatzungsmacht konnte Altmeier auf diese Weise also wiederum gewiss sein. Zum anderen exkulpierte aber diese Geschichtsinterpretation auch die Rheinländer, die ja gleichsam ein frühes Opfer des preußischen Militarismus gewesen sein sollten: „Hier am Rhein“, so stellte Altmeier fest, habe nämlich „der nationalsozialistische und zentralistische Machtstaatsgedanke niemals Wurzeln schlagen“ können, hier habe der „Militarismus niemals eine Heimat [gehabt] (...), sondern allezeit – auch in der Nazizeit – [sei im Rheinland] demokratisches, föderalistisches, friedliebendes Denken lebendig geblieben“. Und mehr noch als das: diese Geschichtsinterpretation exkulpierte die Rheinländer nicht nur, sie gab ihnen jetzt, da das preußisch-nationalsozialistische Unwesen endlich beseitigt war, eine neue Sendung, die aus der trostlosen Gegenwart in eine lichte Zukunft wies. An den Rhein müsse nämlich nun, nach dieser Preußen-Verirrung der Geschichte, das Kraftzentrum der politischen Weiterentwicklung zurückkehren, dahin, wo es in der guten alten Zeit, dem Mittelalter, schon einmal zum Wohle aller gelegen habe. Altmeier lehnte also nicht nur „alle preußischen Tendenzen“ rundweg ab und befürwortete den Bruch mit der preußischen Geschichte am Rhein, sondern bekannte sich damit auch als Verfechter der christlichen Abend-

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landidee, die als Leitbild die christlich geprägte Einheit des mittelalterlichen Reiches propagierte und Deutschland nach dem Nationalsozialismus nun eine neue, betont christliche Ausrichtung geben wollte. Ihr Vorbild war Kaiser Karl der Große, den Altmeier nun kurzerhand auch zu einem Rheinländer machte, der für ihn der Idealtypus eines Mittlers zwischen Frankreich und Deutschland war, eines Mittlers, wie es jetzt die Rheinländer sein sollten: „Als Menschen von Rhein und Pfalz, die niemals das abendländische Geisteserbe und die traditionelle Verbindung mit den Völkern Westeuropas verleugnet haben, bekennen wir uns auch heute wieder aus innerster Überzeugung zu unserer Verpflichtung, den geistigen und politischen Kern der deutschen Neuordnung zu bilden und damit zugleich die Eingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Völkerfamilien zu vollziehen“ (Graß/Heyen, S. 2, 18f.). In diesem politischen Konzept hatten Preußen und Bayern keinen Platz mehr, sie waren gleichsam die Negativfolie, vor der sich die Korrektur einer historischen Fehlentwicklung vollziehen sollte. In einer Denkschrift der Landesregierung Rheinland-Pfalz zur Neugliederungsdebatte aus dem Jahre 1954 hieß es denn auch kurz und knapp, die Zuordnung der Pfalz zu Bayern und des Rheinlandes zu Preußen habe diese deutschen Kernlande „zu Randgebieten von Ländern (...) [gemacht], deren Schwerpunkt außerhalb des rheinischen Landes lag. Diese Randlage, in die die Bevölkerung hineingedrängt wurde, war für sie mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen und einem bedeutenden Verlust an politischer und kultureller Substanz verbunden.“ Dass diese „unorganische“ Aufgliederung nun revidiert werde durch die Schaffung des Landes RheinlandPfalz, das sich an der mittelalterlichen Raumaufteilung orientiere, sei „deshalb ein Akt historischer Kontinuität“ (Rheinland-Pfalz, S. 40, 43). Aus genau diesem Grund knüpft unser Landeswappen mit Kreuz, Rad und Löwe ganz bewusst nicht an Preußen und Bayern an, sondern an die viel älteren Traditionen und Raumordnungen, in die die Gründerväter das neue Land stellen wollten – wenn man so will, also ein noch heute sichtbares, indirektes Relikt der „Hasslieben am Rhein“.

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Wie die rheinische Pfalz an die Wittelsbacher fiel1 In Speyer, wo dieser Text vorgetragen wurde, sind die bayerischen Spuren unübersehbar. Am Rathaus, am Historischen Museum, am Gymnasium – überall entdeckt man königlich bayerische Bautätigkeit. Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften unterhält bis heute besondere Beziehungen zum Freistaat, die Bayerische Hypo- und Vereinsbank verweist schon im Namen auf alte Verbindungen, der Bezirksverband Pfalz bezieht seine Prägung aus der Geschichte der bayerischen Rheinpfalz, der katholische Bischof ist wie seine Amtsbrüder in Eichstätt und Würzburg ein Suffragan des Bamberger Erzbischofs. Inzwischen ist das nicht mehr selbstverständlich, sondern nur aus der Geschichte zu erklären. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte diese Region zu Bayern. Die Neuordnung der Länder hat sich inzwischen so verstetigt, dass nicht einmal die deutsche Einheit von 1990 daran zu rütteln vermochte. Rheinland-Pfalz ist heute ebenso selbstverständlich geworden wie andere Bindestrich-Länder: Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern. Dabei fehlte es in den 1950er oder 1960er Jahre nicht an heftigen Debatten über einen anderen Zuschnitt der Grenzen. Diskutiert wurde in unserer Region über: - einen Südweststaat, - die Wiederbelebung der alten Kurpfalz links und rechts des Rheins, - die alte Anknüpfung der Pfalz an Bayern. Lange noch suggerierten Volksabstimmungen oder administrative Planspiele also eine Flexibilität der Ländergrenzen. Der 1949 gegründete Verein Kurpfalz setzte sich nachdrücklich für die Verknüpfung der linksund der rechtsrheinischen Pfalz ein. Die beiden Vorsitzenden, der Ludwigshafener Oberbürgermeister Dr. Ludwig Reichert und der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Hermann Heimerich, schrieben als Vereinsziel in

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Text des Vortrags vom 20.1.2011 im Ratssaal der Stadt Speyer. Eine ausführliche Fassung mit den Belegen ist im Tagungsband (Die Wittelsbacher und die Kurpfalz – eine Erfolgsgeschichte?) zur Ausstellung „Die Wittelsbacher am Rhein“ (Mannheim 2013) zu finden.

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die Satzung, „auch eine politische Vereinigung dieser Gebiete im Rahmen eines größeren deutschen Landes unter Beachtung der Bestimmungen des Grundgesetzes herbeizuführen.“ 1949 sollte die Kurpfalz mit einem Land Württemberg-Baden vereinigt werden. Im Juni 1950 unterstrich das Mitteilungsblatt des Vereins: „Der Verein respektiert die Existenz des zwar unorganisch zusammengesetzten Landes Rheinland-Pfalz, solange dieses Staatsgebilde eine staatsrechtliche Realität darstellt.“ Doch man wollte die Auflösung dieses Landes vorbereiten, die „angesichts der Möglichkeit einer Volksbefragung gemäß Artikel 29 des Grundgesetzes eines Tages einmal kommen“ würde. Inzwischen pochen nur noch wenige auf ältere Identitäten aus der Zeit des Heiligen Römischen Reichs. Heute lösen wir die Probleme wirtschaftlicher oder kultureller Verknüpfung anders, etwa durch die Gründung einer Metropolregion, an der sich drei Länder beteiligen, ohne dass in den Landeshauptstädten gleich virulenter Separatismus gewittert würde. Trotzdem ist die Kenntnis der alten Zusammenhänge wichtig. Und deshalb wird hier ein folgenreiches Ereignis aus dem Jahr 1214 beschrieben, ausgehend von der Frage: Wie kam die rheinische Pfalz an die Wittelsbacher? Das ist zunächst mit zwei kurzen Sätzen gesagt. 1) 1214 belehnte der staufische König Friedrich II. den bayerischen Herzog Ludwig I. mit der Pfalzgrafschaft bei Rhein. 2) Die bayerischen Herzöge und Könige behielten diese Würde bis 1918. Weil das Ereignis von 1214 gewaltige Auswirkungen auf die Geschichte unserer Region wie überhaupt auf die deutsche Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit besaß, soll es in diesem Beitrag etwas genauer betrachtet und erklärt werden. Am Anfang stehen das Ereignis selbst und seine historische Bedeutung. Dann will ein kleiner Rückgriff die Ursachen, vor allem aber den Nutzen des Fürstentums am Rhein erläutern. Und schließlich geht es um die Folgen, nämlich um den rätselhaften Rang der rheinischen Pfalzgrafschaft. 1214 – Wurde Bayern damals den Rheinlanden unterworfen? In der Rückschau erscheint Geschichte immer logisch. Historiker erklären große Ereignisse mit vernünftigen Argumenten aus den historischen Umständen. Vergangene Alternativen werden häufig nicht bedacht. Auch die Vergabe der Pfalzgrafschaft an Herzog Ludwig I. von Bayern (1183–1231) durch König Friedrich II. (1211/12–1250) erscheint konsequent. Beständige Treue und Zuverlässigkeit gegenüber den staufischen Königen zeichneten den Aufstieg der Wittelsbacher aus. Deshalb wurden sie 1180 mit

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dem Herzogtum Bayern belehnt, deshalb fiel ihnen 1214 die rheinische Pfalzgrafschaft zu. Hier wie dort traten Wittelsbacher die Nachfolge welfischer Fürsten an, die sich offenbar beständig im Kampf gegen die staufische Monarchie aufrieben. Welfischer Eigensinn, so erzählten es früher die Geschichtsbücher, führte ins Abseits, wittelsbachische Treue zu Kaiser und Reich begründete dagegen eine stabile Fürstenherrschaft, die ein Jahrhundert später sogar auf den Königsthron führte. Für Jahrhunderte band die Belehnung von 1214 die rheinische Pfalzgrafschaft und das bayerische Herzogtum zusammen. Bald dürfen wir die 800. Wiederkehr dieses für Region wie Reich so folgenreichen Ereignisses feiern. Bis zum Ende des Alten Reichs präsentierten sich alle Wittelsbacher stets gemeinsam als Pfalzgrafen bei Rhein und als Herzöge von Bayern. Erst der Aufstieg Napoleons bereitete sowohl dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation als auch der Kurpfalz 1803 ein Ende. Für einige Zeit gerieten die Lande am Rhein in den Bannkreis des Westens. Die Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 stellte die Kurpfalz nicht wieder her. Ihr Erbe fiel an Aufsteiger wie die Markgrafen von Baden, die zuvor im Rang deutlich unter den pfälzischen Kurfürsten rangierten. Nur der linksrheinische Teil der alten Kurpfalz kam an Bayern zurück. Von Napoleons Gnaden war dieses Land seit 1806 ein Königreich. Bis 1918 führten die Wittelsbacher den Titel eines Königs von Bayern und eines Pfalzgrafen bei Rhein. Der pfälzische Löwe zierte das königliche Wappenschild an vornehmer Stelle. Doch jetzt rangierte der Pfalzgraf hinter dem König, anders als in vielen mittelalterlichen Urkunden, in denen er dem bayerischen Herzogstitel vorangestanden hatte. Zweimal wurde das Haus Bayern im 18. Jahrhundert dynastisch durch seine pfälzischen Linien gerettet. Dabei traten Erbverfügungen aus einem Hausvertrag in Kraft, der schon 1329 in Pavia geschlossen und von Kaiser Ludwig IV. als Urkunde verkündet worden war. Er hatte die wittelsbachischen Lande geteilt, sah aber im Falle des Aussterbens eines Zweigs die Erbfolge der anderen Linien vor. Die aus den Teilungen seit dem 13. Jahrhundert resultierenden komplizierten Stammbäume und Linien der Wittelsbacher sind so verwirrend, dass nur wenige Spezialisten sie komplett überblicken. Schon die Kurzfassung des Stammbaums nimmt im Wittelsbacher-Taschenbuch von Ludwig Holzfurtner ganze 15 Seiten ein. Dort stehen die vielen Seitenlinien brav hintereinander: Oberbayern und Niederbayern mit den Linien Straubing-Holland, Ingolstadt, Landshut, München; die Pfalz mit den Linien Neumarkt, Mosbach, Simmern, Zweibrücken, Veldenz, Lautern, Birkenfeld, Neuburg, Sulzbach, Landsberg, Kleeburg. Was lange als Zersplitte-

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rung erscheinen mochte, erwies sich Jahrhunderte später als eine kluge dynastische Reservebildung. 1777 zog Kurfürst Karl Theodor aus der Linie Pfalz-Sulzbach vom Rhein nach München. 1799 folgte ihm Kurfürst Maximilian von PfalzZweibrücken. Der Mann aus Zweibrücken begründete 1806 die bayerische Königslinie und wurde zum Stammvater aller heutigen Wittelsbacher. 1214 – ein Jahr mit Folgen. Wie also ist die Ankunft der Wittelsbacher am Rhein zu erklären? Seit 1198 herrschte im römisch-deutschen Reich Krieg. Damals waren von zerstrittenen Fürsten zwei Könige gewählt worden, die über Jahre gegeneinander kämpften: ein Staufer, Philipp von Schwaben, und ein Welfe, Otto von Braunschweig. Diese Auseinandersetzung nötigte alle Fürsten zu einer Entscheidung, wurde an Papst Innocenz III. herangetragen, erfasste sogar die Könige von Frankreich und England als Verbündete von Staufern und Welfen. Deshalb eskalierte der Streit um den römischen Königsthron zum europäischen Ereignis. Treu stand der Herzog von Bayern an der Seite des Staufers. Doch dieser wurde 1208 plötzlich ermordet, ausgerechnet vom bayerischen Pfalzgrafen aus einer Seitenlinie der Wittelsbacher. Jetzt setzte sich der Welfe durch und machte seinen Frieden mit der Stauferpartei. 1209 wurde Otto IV. vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt. Doch sein Glück währte nicht lange. Der Papst, der ihn vorher so glühend unterstützt hatte, witterte bald Verrat und sprach den Kirchenbann über den Welfen aus. Schon im Herbst 1211 formierten sich die Anhänger der Staufer aufs Neue und wählten Friedrich II. zum König. Der rechtmäßige Erbe der Stauferkaiser sollte herrschen. Als Sohn Kaiser Heinrichs VI. und der normannischen Königstochter Konstanze hatte er Kindheit und Jugend in Sizilien verbracht und dort als König regiert. Wegen der Wirren des Thronstreits konnte er das väterliche Erbe im Norden der Alpen zunächst nicht antreten. Dort führte sein Onkel Philipp die staufische Sache. Was verwirrend klingt, ließe sich auf einen wiederholten Konflikt zwischen Staufern und Welfen um die Krone reduzieren. Lediglich wechselnde fürstliche Gefolgschaften machten die Dinge manchmal etwas unübersichtlich. Zu Friedrichs Wählern von 1211 gehörte auch Herzog Ludwig I. von Bayern. Schon sein Vater Otto hatte seine Staufertreue wiederholt bewiesen. Das Herzogtum Bayern, 1180 dem Welfen Heinrich dem Löwen (†1195) weggenommen, war der Lohn dafür. Nun erneuerten die Wittelsbacher die Treue zu Barbarossas Enkel Friedrich II. Noch war das gefährlich, denn niemand konnte den späteren Triumph des Jünglings aus Apulien erahnen. Mit Glück gelangte der 17-jährige Staufer 1212 über die Alpen und setzte sich in einem rasanten Siegeszug durch das Rheintal im

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Reich fest. Im Dezember wurde Friedrich in Frankfurt am Main noch einmal zum König gewählt und im Mainzer Dom gekrönt. Finanziert wurde das meiste durch Geld des französischen Königs. Doch aus dem geradlinigen Durchbruch wurde nichts. Otto IV. sammelte 1213 seine Anhänger und erlangte erneut die Unterstützung seines Onkels König Johann von England. Das erschütterte die staufischen Neigungen mancher Fürsten. Auch Ludwig von Bayern betrieb 1212 noch eine merkwürdige Schaukelpolitik und schloss ein Bündnis mit Kaiser Otto IV. Vielleicht wurde damals die Verlobung geschlossen, die sich später als nützlich erweisen sollte. Sie lässt Ottos älteren Bruder, den Pfalzgrafen Heinrich bei Rhein (1195–1227), ins Rampenlicht treten. Dieser Welfe hatte durch eine kluge Ehe mit Agnes, der einzigen Tochter des staufischen Pfalzgrafen Konrad (1156–1195), 1195 die Nachfolge in der staufisch beherrschten Pfalzgrafschaft bei Rhein erlangt. Im Thronstreit unterstützte er zuerst seinen Bruder Otto, dann den Staufer Philipp, nach dessen Ermordung wieder den Bruder Otto. Doch Heinrich schätzte 1212 die Gefahr, die von Friedrich II. ausging, wohl richtig ein. Deshalb überließ er die Würde eines rheinischen Pfalzgrafen seinem gleichnamigen Sohn. Wir nennen ihn zur Unterscheidung vom Vater einmal Heinrich den Jüngeren (†1214). Im April 1213 ist er als Pfalzgraf belegt. Der Herrschaftswechsel beruhte auf der Erblichkeit großer Fürstentümer. Durch seine Mutter Agnes war der junge Heinrich ja der Enkel des staufischen Pfalzgrafen Konrad. Das Recht am Fürstentum wurde damals durch Blut weitergegeben, bei fehlender Sohnesfolge ersatzweise auch durch weibliches Blut. Zunächst erwies sich die Entscheidung als glücklich. Der ältere Heinrich zog sich auf seine welfischen Besitzungen in Sachsen zurück. Der jüngere Heinrich konnte die rheinische Pfalzgrafschaft offenbar aus dem staufisch-welfischen Konflikt der Könige heraushalten. Eine zweite wichtige Entscheidung, die der ältere Heinrich damals vermutlich traf, war die Verlobung seiner jüngeren Tochter Agnes (†1267) mit Otto (II., Herzog von Bayern 1231–1253), dem einzigen Sohn Herzog Ludwigs von Bayern. Der Knabe Otto war vielleicht sechs, die Tochter Agnes elf Jahre alt. Der Ehebund sollte die 1180 entstandene Konkurrenz beider Häuser endlich überwinden. Dass damit später der Übergang der rheinischen Pfalzgrafschaft legitimiert werden konnte, war anfangs nicht zu erahnen. Erst Jahre später, die Kinder waren groß geworden, kam es zur Vermählung. Otto II. und Agnes wurden zu Stammeltern aller späteren Wittelsbacher, die damit auch Nachkommen der Staufer und Welfen waren. Eine ältere Tochter, Irmgard, hatte der Welfe Heinrich zuvor schon mit dem Markgrafen von Baden verbunden.

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Friedrichs Siegeszug führte den wankenden Wittelsbacher bald wieder an die Seite des Staufers. Im Dezember 1212 gehörte er zu den Frankfurter Wählern Friedrichs II. Bald trat er als Zeuge in Friedrichs Urkunden auf, vor allem in einer berühmten Versprechung an den Papst, in dem der junge König große Zugeständnisse machte. Damals schälte sich am Stauferhof ein Kern treuer Fürsten heraus: der Wittelsbacher, der Herzog von Österreich, der Landgraf von Thüringen. Doch dann fehlte Ludwig für ein Jahr in Friedrichs Umkreis, vom Sommer 1213 bis zum Sommer 1214. Damals wurde die Entscheidung über den künftigen Sieger im Kampf um die Krone wieder brenzlig. Mit dem 27. Juli 1214 wurde alles klar. Es war der Tag der Schlacht von Bouvines. Sie gehörte zu jenen wenigen großen Schlachten, welche die mittelalterliche Geschichte veränderten. Im Sommer 1214 rückten Kaiser Otto IV. und König Johann von England gegen König Philipp II. von Frankreich vor. Von Südwesten kam der englische König, von Nordosten der römische Kaiser. Der französische Kronprinz schlug das englische Heer, der französische König das kaiserliche. Bis heute zählen die Franzosen jene Schlacht von Bouvines 1214 zu den wichtigsten Ereignissen ihrer Nationalgeschichte. Genau 700 Jahre später wurden in der Marneschlacht von 1914 alte Erinnerungen wieder wach. Hatte nicht schon einmal das gerechte Frankreich den Hochmut eines deutschen Aggressors gestraft? Wieder einmal wurde das ferne Mittelalter plötzlich aktuell. Ottos Heer aus nord- und nordwestdeutschen Adligen, unterstützt von einem englischen Kontingent, überschritt bei Valenciennes die Reichsgrenze. Beim Aufeinandertreffen östlich von Lille am Sonntag, dem 27. Juli 1214, waren die Truppen König Philipps II. zahlenmäßig unterlegen. Nur knapp entkam der französische König dem Tod. Doch das Schlachtenglück wechselte, als Ottos Pferd, im Auge getroffen, sich aufbäumte und seinen Reiter abwarf. Sofort bestieg der Kaiser ein Ersatzpferd und wandte sich zur Flucht. Seinen Leuten gab er damit ein verhängnisvolles Beispiel. Den überstürzten Rückzug der Kaiserlichen nutzte das französische Heer zu einem gewaltigen Sieg. Viele Anhänger des Welfen verloren ihr Leben oder gerieten in Gefangenschaft. Sogar das kaiserliche Feldzeichen, ein Reichsadler aus Metall, fiel in die Hände Philipps II. Symbolträchtig ließ der Kapetinger den ramponierten Vogel reparieren und übersandte ihn an seinen staufischen Verbündeten Friedrich II. Ein Chronist vom Petersberg notierte ein verheerendes Urteil: „Es steht fest, dass der Name der Deutschen seit dieser Zeit bei den Franzosen wertlos wurde.“ Bouvines entschied auch den deutschen Thronstreit. 1215 zog sich Otto IV. in seine sächsischen Besitzungen zurück und starb in der Bedeu-

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tungslosigkeit 1218 auf der Harzburg. Sein Bruder, der ältere Heinrich, hielt im Norden die welfische Herrschaft noch zusammen und sorgte für die Nachfolge seines Neffen im Land um Braunschweig und Lüneburg. Nach dem französischen Triumph wagte sich Friedrich II. aus der Deckung und zog an den welfisch dominierten Niederrhein. Ludwig von Bayern hatte Pech bei diesem Feldzug und geriet in die Gefangenschaft des Grafen von Jülich. Die Freilassung musste teuer erkauft werden. Ganz Bayern – so jammerte die Chronik von Scheyern – sei mit dem Herzog in Gefangenschaft geraten. Jeder, sei er reich oder arm, sei er adlig und nichtadlig, musste eine steura zahlen. 100 Pfund Silber an Lösegeld flossen für den Freikauf des Wittelsbachers. Am 8. September 1214 wurde Frieden geschlossen. Der König feierte den Sieg am nördlichen Oberrhein, dem alten Zentrum der Staufer. Vielleicht in Worms, vielleicht in der Umgebung wurde der Lohn fällig. Hier stand die Neuordnung der rheinischen Pfalzgrafschaft an. An einem 26. April, vermutlich im Jahr 1214, war der welfische Pfalzgraf Heinrich der Jüngere kinderlos verstorben. Im Zisterzienserkloster Schönau, in der Nähe des staufischen Großvaters, fand er sein Grab. Nach Bouvines war mit der Rückkehr des älteren Heinrich nicht mehr zu rechnen. Jetzt bekam Friedrich II. die Chance, das erste wichtige Fürstentum seit seiner Königswahl zu vergeben. Die Wahl fiel auf den Wittelsbacher. Zum zweiten Mal nach 1180 wurde seine Dynastie zum Nutznießer welfischer Niederlagen. Von diesem großen Ereignis liegen uns leider keine wirklich guten Quellen vor. Wir müssen vieles rekonstruieren und mit manchem Konjunktiv arbeiten. Ich will Sie an den offenen Fragen teilhaben lassen und damit einen Eindruck vermitteln, wie Historiker zu ihren vorsichtigen Aussagen gelangen. Von der Belehnung der Wittelsbacher künden nur drei bayerische Chroniken knapp. Ihre Chronologie bleibt merkwürdig dunkel. 1) Die schon genannte Chronik von Scheyern setzte die Erwerbung der rheinischen Pfalzgrafschaft durch Herzog Ludwig von Bayern ins Jahr 1215, nach der erneuten Krönung Friedrichs II. in Aachen. 2) Aufschlussreicher sind ausführlichere Randnotizen aus St. Emmeram in Regensburg, die im 13. Jahrhundert neben eine Abschrift der Chronik Cassiodors aus dem 11. Jahrhundert geschrieben wurden. Die Hinweise der Edition in Band 17 der MGH-Scriptores ließen die genauere Einsicht in die Sammelhandschrift angeraten erscheinen (Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 14613). Auf der Rückseite von Blatt 70 wurden historische Nachrichten aus der Zeit zwischen 1212 und 1228 an den Rand geschrieben. Es ging in bunter chronologischer Folge um den Herrschaftsantritt Friedrichs II. in Deutschland, um seine Ehe mit Johanna

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von Jerusalem, um das Wirken der Dominikaner, um den Tod Papst Innocenz‘ III. und um Papst Honorius III., um die Kreuznahme Friedrichs II. Dann folgte der Satz: „Herzog Otto von Bayern heiratete die Tochter des Pfalzgrafen Heinrich bei Rhein, erhielt dessen Fürstentum und besaß Heidelberg sowie alles aus dessen Erbschaft.“ Auf der Rückseite von Blatt 84 und auf der Vorderseite von 85 folgte ein neuer Strang historischer Randnotizen, die mit dem Jahr 1218 und den Kreuzzugsplänen Friedrichs II. beginnen. Darunter befindet sich die schwer lesbare und vom Herausgeber Georg Pertz teilweise rekonstruierte Nachricht: „Otto, der ältere Sohn Ludwigs, heiratete in Worms die Tochter Pfalzgraf Heinrichs, und sein Vater Ludwig erhielt das Fürstentum bei Rhein. (...) Und auf Veranlassung des vorgenannten Herzogs von Bayern wurde das Land Bayern gleichsam den rheinischen Landen unterworfen [?]. Aller Ruhm des Klerus und der Klöster wurde bedroht; ohne alle Klage wurden klösterliche Dinge zerstört, und es gab keinen Unterschied (mehr) zwischen Klerus und Volk.“ Der Gegenwartsklage des Emmeramer Mönchs gesellte sich jetzt also die Information bei, dass Herzog Ludwig von Bayern die Pfalzgrafschaft erlangte und dass sein Sohn Otto die Tochter des Pfalzgrafen Heinrich geheiratet hätte. Die viel zitierte und hier in der Kurpfalz gerne gehörte Nachricht, dass Bayern damals gleichsam der Rheinpfalz unterworfen worden sei, steht jedoch auf brüchigem Fundament. Das Wort „unterworfen“ (subiectiva) ist heute nicht einmal mehr unter der Quarzlampe lesbar und war es auch für den Herausgeber Pertz 1861 schon nicht mehr. Die Editoren hofften damals, die Stelle durch chemische Tricks lesbar machen zu können, und dürften den schwach lesbaren Text durch Kreidebehandlung endgültig zerstört haben. Pertz notierte in seiner Edition: „nicht deutlich lesbar“ (non dictincte legitur). Solange nicht eine neue Technik die Passage wieder neu präsentiert, sollte das „unterworfen“ also einfach aus unseren Wunschvorstellungen getilgt werden. So bleiben die etwas widersprüchlichen und zeitlich nicht genau fixierbaren Meldungen aus St. Emmeram, dass einmal Herzog Otto II. auf Grund seiner Ehe die Pfalzgrafschaft mit Heidelberg und allem Erbe des welfischen Pfalzgrafen erlangt hätte, dass ein anderes Mal Herzog Ludwig I. das rheinische Fürstentum erworben und sein Sohn Otto die Tochter des vorigen Pfalzgrafen zur Frau genommen hätte. 3) Die Annalen von Schäftlarn vermeldeten Ottos Schwertgürtung auf einem feierlichen königlichen Hoftag von 1228 in Straubing. Sein Vater Ludwig trägt hier den Titel eines Herzogs von Bayern, Otto selbst den eines Pfalzgrafen bei Rhein. Die wenigen lateinischen Worte werfen Fragen auf. Wer bekam eigentlich 1214 das Recht an der Pfalzgrafschaft, der Va-

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ter Ludwig allein oder nur an Stelle seines Sohns Otto? Wann erfolgte die Übertragung genau, 1215 oder bei Ottos Hochzeit mit der welfischen Erbtochter Agnes? Erst zwei Urkunden Ludwigs helfen weiter. In beiden nannte er sich „von Gottes Gnaden Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern“. Die eine wurde an einem 6. Oktober in Worms ausgestellt, ohne das Jahr zu erwähnen. Die andere, seit wenigen Jahren im Landesarchiv Speyer verwahrt, trägt die Jahreszahl 1214. Drei Chroniken, zwei Urkunden – manches widersprüchlich, anderes unklar. Sie merken jetzt, warum sich Historiker bei genauen Terminen schwertun. Manche setzen die Belehnung Ludwigs auf den 6. Oktober 1214 und rücken sie nach Worms. Andere sind nicht sicher, ob Ludwig nur als Sachwalter für seinen Sohn Otto agierte, der erst wegen seiner Ehe mit der Erbtochter Agnes zum Pfalzgrafen im erbrechtlichen Sinne wurde. Seit April 1215 trat Ludwig jedenfalls als Zeuge in königlichen Urkunden vollgültig als Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern auf. So ist seine Urkunde von 1214 das wichtigste Fundament für eine klare Jahresnennung gegen die anderslautenden Chroniken. Doch in der fürstlichen Neidgemeinschaft des Hochmittelalters nutzten die Wittelsbacher die welfische Erbtochter Agnes als Unterpfand der Rechtmäßigkeit. Sie wird in eben dieser Urkunde von 1214 prominent genannt. Gemeinsam mit ihr beschenkte Ludwig das Kloster Schönau östlich von Heidelberg. Der neue Pfalzgraf war in die Grablege seiner Amtsvorgänger gekommen und leistete Wiedergutmachung für Schäden, die seine Truppen dort angerichtet hatten. Die Übertragung von Fischereirechten am Rhein begründete Ludwig mit der ausdrücklichen Zustimmung des adligen Mädchens Agnes, der Verlobten seines einzigen Sohns. So trat neben die Belehnung durch den König das fürstliche Erbrecht hinzu. Ludwig agierte hier als Familienoberhaupt und verwaltete die Rechte von Sohn und künftiger Schwiegertochter. Elf Jahre später übertrug der Wormser Bischof Heinrich Heidelberg mit den Grafschaftsrechten dieser Gegend sowohl an Ludwig als auch an seine Schwiegertochter Agnes wie an deren männliche Erben. Agnes war also erneut das Bindeglied für den rechtmäßigen Besitz an Heidelberg, dem Herrschaftsmittelpunkt der Pfalzgrafschaft. Dieses Vorgehen bezeugt die neue Bedeutung weiblichen Erbrechts an großen Fürstentümern der Stauferzeit. Freilich ging Irmgard, die ältere Schwester, leer aus; vielleicht wurde sie anders abgefunden. Im 13. Jahrhundert bekamen die Markgrafen von Baden beim Griff auf die rheinische Pfalzgrafschaft jedenfalls noch keine Chance. Heidelberg fiel ihnen erst nach dem Ende der Kurpfalz 1803 zu. 1214 begann an Mittelrhein und Neckar das Zeitalter der

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Wittelsbacher. Als Dank bewahrte Ludwig seinem staufischen Förderer die Treue. Bis 1220 trat er ständig am Hof Friedrichs II. auf. Später führte er sogar die Regentschaft für den Kaisersohn Heinrich. Erst ein Zerwürfnis mit dem jungen König stellte seit 1228/29 die Weichen in andere Richtungen. Vom Nutzen der rheinischen Pfalzgrafschaft Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern – was begründete diese ungewöhnliche Reihenfolge im Fürstentitel? Was war eine Pfalzgrafschaft? Und was machte die rheinische Pfalzgrafschaft so wertvoll? Das sind große Fragen der deutschen Geschichte, die von der historischen Forschung immer wieder formuliert wurden. Seit dem 10. Jahrhundert entwickelte sich das ostfränkisch-deutsche Reich in der Zusammenfügung von fünf großen Herzogtümern: Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringen. Neben Herzögen und vielen Grafen ist seit der Jahrtausendwende in jedem Herzogtum ein Pfalzgraf, ein comes palatinus, bezeugt. Im Rang stand er eindeutig über den Grafen und bildete bisweilen einen Widerpart zu den Herzögen. Die Sonderstellung könnte aus der Nähe zur königlichen Pfalz resultieren und den Namen gegeben haben. Doch genau sind die Kompetenzen nicht beschrieben. Vielleicht nahmen die Pfalzgrafen im königlichen Auftrag besondere Rechte wahr; vielleicht vertraten sie den König als Richter? Eindeutig ist das Amt nicht zu definieren. Als die Ordnung des Reichs im Laufe des 13. und 14. Jahrhundert nämlich genauer fixiert wurde, verschwanden die Pfalzgrafen. Deshalb bleibt Vieles in der Geschichte der bayerischen, sächsischen oder schwäbischen Pfalzgrafen undeutlich. Ihr Ende beruhte freilich auf politisch-dynastischen Zufällen. Die Pfalzgrafen fielen keiner systematischen Vernichtungsaktion zum Opfer. Man brauchte sie wohl nicht mehr. Wie brisant ihr Amt war, zeigt das Beispiel der Wittelsbacher. Sie waren im 12. Jahrhundert zuerst die Pfalzgrafen in Bayern und nutzten das Amt als Sprungbrett zur Herzogswürde. Dann behielten sie das Pfalzgrafenamt noch bis 1208 in einer Nebenlinie der Familie, um es 1248 ganz eingehen zu lassen. In Bayern hatte der wittelsbachische Herzog den wittelsbachischen Pfalzgrafen überflüssig gemacht. In solchen Verwandlungen blieben allein die rheinischen Pfalzgrafen übrig. Ihr Amt kam aus der lothringischen Pfalzgrafschaft, bedeutsam wegen des Bezugs zur vornehmen Königspfalz Aachen. Langsam verschoben sich Besitz und Rechte der wechselnden pfalzgräflichen Familien, zuerst an den Niederrhein, dann rheinaufwärts. Es hat den Anschein, dass

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die vormals lothringischen Pfalzgrafen damit der territorialen Konkurrenz mit den Kölner Erzbischöfen auswichen. So rückte die Pfalzgrafschaft nach Süden, verlor ihre lothringische Prägung, schob sich in fränkisches Gebiet und wurde zur Pfalzgrafschaft am Rhein. An dieser zentralen Wirtschaftsader des Reichs fanden die Pfalzgrafen bessere Entfaltungsmöglichkeiten vor. Das Herzogtum Franken, von Koblenz bis Würzburg, von Fritzlar bis Bruchsal, bildete die alte Mitte des ostfränkisch-deutschen Reichs. Doch seit der Mitte des 10. Jahrhunderts wurde das herzogliche Amt von den Königen nicht mehr besetzt. Das Zentrum des Reichs sollte offenbar der Monarchie zur Verfügung stehen. Der Wegfall einer zentralen Herzogsgewalt bot Platz für viele Herrschaftsträger. Beständig loteten Könige, Erzbischöfe, Bischöfe, Klöster, Grafen und freie Herren ihre Entfaltungsmöglichkeiten aus. In dieses agonale Gefüge traten die rheinischen Pfalzgrafen ein und füllten das Vakuum einer fehlenden Herzogsherrschaft langsam aus. Etwas überspitzt könnte man die rheinischen Pfalzgrafen geradezu als „Ersatzherzöge“ im Herzen des Reichs ansprechen. Diesen Rang vermochten sie besonders gut auszufüllen, als sich die wichtigsten Dynastien des Reichs in der pfalzgräflichen Würde ablösten: Staufer – Welfen – Wittelsbacher. Die neue Richtung einer engen Bindung des Amts an die Krone wies der erste staufische König Konrad III. (1138– 1152). Er verlieh die pfalzgräfliche Würde an seine engsten Verwandten, zuerst 1140/41 an seinen Halbbruder Heinrich „Jasomirgott“ (†1177), den späteren ersten Herzog von Österreich, dann an seinen Schwager Hermann von Stahleck (1142–1155). Diese Bezeichnung verweist auf die namengebende Burg Stahleck bei Bacharach. Hier entstand das erste Zentrum der königsnahen Pfalzgrafschaft. Ihre Formung erhielt sie seit 1156. Damals vertraute Kaiser Friedrich Barbarossa die Würde seinem Halbbruder Konrad an. In vier Jahrzehnten schuf dieser die rheinische Pfalzgrafschaft auf salischem Erbe gleichsam neu, indem ihr am unteren Neckar ein zweites Zentrum zufiel. Rhein und Neckar zwischen Bacharach und Heidelberg wurden zu den Kommunikationsachsen dieser Pfalzgrafschaft. Lange bewahrte sie ihr bipolares Gefüge, bis sich Heidelberg als wichtigste Residenz durchsetzte. Seine Grablege bereitete sich Konrad im Zisterzienserkloster Schönau östlich von Heidelberg. In diesem Erinnerungsort ließen sich später noch welfische oder wittelsbachische Pfalzgrafen beisetzen. Im 14. Jahrhundert konkurrierte Schönau mit der neuen Stiftskirche in Neustadt um die Gräber der Wittelsbacher. Erst mit König Ruprecht wurde die Heidelberger Heiliggeistkirche seit dem 15. Jahrhundert zur neuen Mitte der Dynastie. Die Wege in diese Stadt hatte der staufische Pfalzgraf Konrad gewiesen.

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Bei seinem Tod 1195 hinterließ er eine einzige Tochter: Agnes. Das Erbe der Pfalzgrafschaft machte sie zu einer der besten Partien des ausgehenden 12. Jahrhunderts. Ihr kaiserlicher Vetter Heinrich VI. (1190–1197) bedachte schon Heiratspläne mit Herzog Ludwig von Bayern oder mit König Philipp II. von Frankreich. Doch mit einer eigenmächtigen Entscheidung brach die junge Dame im Bund mit ihrer Mutter alle Konventionen einer Zeit, die Töchter zu Objekten fürstlicher Heiratspolitik machte. Nicht die von der staufischen Familie favorisierten Großen gewannen die Hand der Pfalzgrafentochter, sondern der Welfe Heinrich, der älteste Sohn jenes Heinrichs des Löwen, der 1180 als Herzog von Bayern und Sachsen entmachtet worden war. Von der heimlichen Eheschließung der jungen Brautleute auf Burg Stahleck erfuhren der staufische Pfalzgraf als Vater und der staufische Kaiser als Vetter erst nach Vollzug der Ehe, an dem dann nichts mehr zu ändern war. Im 19. Jahrhundert wurde die staufisch-welfische „Liebesheirat“ zum Stoff für romantische Dichtungen, in denen Emotionen über den Hass zweier Familien siegten. Immerhin eröffnete die Eheschließung eine Annäherung von Staufern und Welfen. Mit der Hand der Agnes hatten die Welfen endlich wieder ein Fürstentum gewonnen: die Pfalzgrafschaft. In diese rheinischen Traditionen trat der Welfe Heinrich ein. Wir wissen das neuerdings noch besser als früher. Vor kurzem wurde nämlich ein bislang nicht beachtetes Siegel Pfalzgraf Konrads aus den französischen Archives départementales de l’Aube in Troyes bekannt gemacht, wo Urkunden aus dem Zisterzienserkloster Clairvaux erhalten sind. Das Siegel zeigt den Staufer zu Pferd, mit dem Adlerschild und der Fahnenlanze als dem wichtigsten Zeichen seiner fürstlichen Herrschaft. Durch eine Lehnsfahne übertrug der Herrscher ein Reichsfürstentum an einen Herzog oder Pfalzgrafen. Der welfische Pfalzgraf übernahm 1195/96 offenbar den Siegelstempel seines Schwiegervaters und wechselte lediglich den Taufnamen aus. Aus dem Vergleich der beiden Siegel von Schwiegervater und Schwiegersohn erkennt man, wie entschieden Heinrich 1196/97 die Siegeltradition seines Vaters Heinrichs des Löwen aufgab und wie offensichtlich er in die Fußstapfen seines rheinischen Schwiegervaters eintrat. Flexibel fügte sich der Fürst also in die Tradition des neuen Amts, dem er die Zeichenhaftigkeit seiner eigenen Familie unterordnete. Erst der Thronstreit von 1198 zwischen dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto veränderte die Situation vollständig. Er führte zu Parteinahmen und ließ neue Gräben aufbrechen. Dieser Zeit kam eine entscheidende Funktion im Nachdenken über Recht und Unrecht, über Oben und Unten, über Treue und Verrat zu. Zum ersten Mal wurde

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dezidiert formuliert, dass der rheinische Pfalzgraf bei einer Königswahl mitwirken müsse. Fußte der pfalzgräfliche Anspruch auf Beteiligung an der Königswahl auf uraltem Recht? Oder wurde er im Thronstreit plötzlich aus Parteiinteressen neu formuliert? Das sind wichtige Fragen, die in der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert werden. Dabei ist kaum an uralte Rechte der rheinischen Pfalzgrafen zu glauben. Den neuen Anspruch erlangten sie erst aus dem aktuellen Wandel, nämlich: 1) durch die immense dynastische Bedeutung: Staufer, Welfen, Wittelsbacher wechselten sich innerhalb weniger Jahrzehnte als Pfalzgrafen ab. Das machte ihre Herrschaft im Zentrum des Reichs so bedeutend. 2) durch konkrete Entscheidungen im politischen Umbruch: Die Pfalzgrafen standen beständig im Brennpunkt der Reichspolitik. Das gab dem Fürstentum eine neue Bedeutung. Erst wegen großer Amtsträger und wegen der Ereignisketten des Thronstreits wuchs den Pfalzgrafen ihre neue, zentrale Rolle in der Reichsordnung zu, nicht aus uralten Rechten des pfalzgräflichen Amts. Damit gelangen wir zum dritten und letzten Abschnitt – zu den historischen Folgen des Thronstreits für den Rang der wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein. Rätselhafter Rang Im 13. und 14. Jahrhundert wurde die bis dahin nur gelebte Ordnung des Heiligen Römischen Reichs immer klarer in Büchern und Bildern fixiert. Um 1230 benannte der Sachsenspiegel die bevorrechtigten Königswähler im römisch-deutschen Reich, nämlich die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, den Pfalzgrafen bei Rhein, den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Den böhmischen König schloss der Sachsenspiegel aus, weil er kein Deutscher sei. Dieses frühe Zeugnis für die Königswähler bleibt in der Forschung umstritten. Denn die Entstehung des Kurfürstenkollegiums gehört immer noch zu den großen Rätseln der deutschen Geschichte. Ob man sich für die erste oder zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts oder gar erst für das 14. Jahrhundert als bedeutsame Formierungsphase entscheidet – der rheinische Pfalzgraf gehörte unstrittig zum illustren Kreis der vier weltlichen Königswähler. Bereits um 1200 erklärte Roger von Howden, ein ferner englischer Chronist, die Wahl so: „Wie bei der Wahl des Kaisers der Römer vorzugehen ist: Nach dem Tod des Kaisers kommen die Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Herzöge, Grafen und alle übrigen Großen Deutschlands zusammen. Sie müssen gemeinsam zwölf Männer auswählen und diese dem Kölner

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Erzbischof, dem Mainzer Erzbischof, dem Herzog von Sachsen und dem Pfalzgraf bei Rhein präsentieren. Wen immer diese vier aus den vorgenannten zwölf wählen, der wird König von Deutschland sein und in der Aachener Pfalzkapelle gekrönt werden, wo Karl der Große bestattet ist.” Auch wenn der Chronist aus der Ferne schrieb und die Gegebenheiten im römisch-deutschen Reich nur verzerrt wahrnahm – für ihn gehörte der Pfalzgraf zu den vier Hauptwählern im Reich. Acht Jahrzehnte später formulierte der Kölner Domherr Alexander von Roes eine noch verwunderlichere Geschichte: „Man wisse also, dass der heilige Kaiser Karl der Große mit Zustimmung und im Auftrag des Papstes aus göttlicher Eingebung bestimmt und angeordnet hat, dass das Römische Kaisertum für immer an die rechtmäßige Wahl durch die deutschen Fürsten gebunden bleiben sollte. Denn es ziemt sich nicht, dass das Heiligtum Gottes, die Herrschaft über die Christenheit, jemandem durch Erbrecht zufällt. Karl selbst konnte ja seine Abstammung unmittelbar von den Griechen, den Römern und den Germanen herleiten; und erst sein Vater Pippin und dann Karl selbst hatte mit Hilfe der Franken, der Germanen also, die Stadt Rom und die Kirche Gottes aus der Bedrängnis durch die Langobarden befreit. Die zur Wahl berechtigten deutschen Fürsten sind folgende: Der Erzbischof von Trier, Erzkanzler für Gallien, der Erzbischof von Köln, Erzkanzler für Italien, der Erzbischof von Mainz, Erzkanzler für Germanien, das heißt für ganz Deutschland, und der Pfalzgraf von Trier, der den früheren Hausmeiern entspricht, jenem Amt, aus dem Karls Vorfahren im Hauptstamm hervorgegangen waren.“ Die Herleitung des Kurfürstenkollegs von Karl dem Großen entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Doch in der schönen Fabel spielt der rheinische Pfalzgraf erneut eine zentrale Rolle. Im 13. Jahrhundert gehörte er als Wähler einfach dazu. 1308 trat er als erster der weltlichen Königswähler auf. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 wies ihm dann den zweiten Platz hinter dem König von Böhmen zu. Als Erztruchsess bekleidete er im Ensemble des Reichs ein bedeutendes Amt. Bei feierlichen Hoftagen des Kaisers sollte der Pfalzgraf den Ehrendienst am kaiserlichen Tisch vollziehen. Das symbolisierte zwar eine Unterordnung unter den Kaiser, der vom Pfalzgrafen ja bedient wurde. Doch die Hofämter der vier weltlichen Kurfürsten stellte sie über alle Fürsten und Herren des Reichs. Dienst war nämlich Ehre. Darum verwandte die Goldene Bulle von 1356 viel Platz für die genaue Beschreibung: „Der Pfalzgraf bei Rhein als Erztruchsess soll ebenfalls zu Pferde einreiten und vier mit Speisen gefüllte silberne Schüsseln in Händen halten, wobei jede drei Mark Silber auf der Waage wiegt, und er soll vom Pferd steigen und sie vor dem Kaiser oder König auf den Tisch setzen.“

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Bei feierlichen Prozessionen mit dem Kaiser in wohl bedachter Folge durften die Kurfürsten die Insignien des Reichs tragen. Angeführt wurde der Zug vom Erzbischof von Trier. Hinter ihm schritten in der Mitte der Herzog von Sachsen mit dem blank gezogenen Reichsschwert, zu seiner Rechten der Pfalzgraf bei Rhein mit dem Reichsapfel, zu seiner Linken der Markgraf von Brandenburg mit dem Zepter. Rechts und links hinter dem König gingen die Erzbischöfe von Mainz und Köln. Den Schluss bildete der König von Böhmen. Der Reichsapfel in der Hand des Pfalzgrafen – das wurde zum Symbol des kurfürstlichen Vorrangs. Bis zum Untergang der Kurpfalz an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert trugen die Kurfürsten als Säulen des Reichs den Reichsapfel im Wappen und schmückten ihre Schlösser oder Grenzsteine mit ihm. Von solch hohem Rang griffen die Wittelsbacher dreimal erfolgreich nach der Königs- und Kaiserkrone: Ludwig IV. „der Bayer“ 1314, Ruprecht 1400, Karl VII. 1742. Auch die Gründung einer Universität zielte in die Rangkonkurrenz mit den beiden anderen königsfähigen Dynastien des Spätmittelalters. Nachdem die Luxemburger die Universität Prag, die Habsburger die Universität Wien gegründet hatten, durften die Wittelsbacher nicht mehr fehlen und gründeten 1386 die Universität Heidelberg. Der Rang der wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein erfuhr seit dem 13. Jahrhundert viele Anlagerungen. Man dachte sie sich als Richter in Prozessen zwischen König und Reichsfürsten, sogar als Richter über den König, als Stellvertreter des Königs bei Abwesenheit vom Reich, als Reichsverweser für die Zeit zwischen dem Tod eines Königs und der Wahl des Nachfolgers, als Inhaber der Geleitrechte am Rheinstrom. Gerne fügte die historische Forschung all diese Elemente zu einem klaren Profil des pfalzgräflichen Amts zusammen. Doch Skepsis ist bei klaren Herrschaftsmodellen des Mittelalters immer geboten. Nach meiner Überzeugung existierte 1214 noch kein klares, einheitliches Profil. Präzisierungen des Rangs erfolgten vielmehr fallweise, blieben situationsgebunden, wurden oft sogar eher gedacht als praktiziert. Die Karriere der rheinischen Pfalzgrafen im Reich des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit folgte keinen uralten Rechten. Sie ergab sich vielmehr aus dem dynastischen Gewicht der Pfalzgrafen, ihrer beständigen Nähe zu König und Reich und der geographischen Lage der Pfalzgrafschaft in einer der großen europäischen Innovationsregionen. Fassen wir zusammen: Dieser Beitrag wurde um das Jahr 1214 herum gebaut, als die rheinische Pfalzgrafschaft an die Wittelsbacher fiel. Die Verknüpfung von Rheinpfalz und Bayern entwickelte sich über lange Jahrhunderte zu einem

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Grundpfeiler deutscher Geschichte und prägte unsere Region bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Wie will man erklären, dass dieser Aufstieg von 1214 so undeutlich überliefert ist? Hier wurde exemplarisch vorgeführt, wie die Geschichtswissenschaft durch das Zusammensetzen von Quellensplittern arbeitet. Dabei bleiben notwendigerweise Skrupel und Zweifel. Der besondere Rang der rheinischen Pfalzgrafen wurde sodann weniger aus älteren Voraussetzungen, sondern aus der politischen Kraft dreier großer Dynastenfamilien entwickelt. Staufer – Welfen – Wittelsbacher: In kurzer Zeit lösten sich die führenden Familien des hochmittelalterlichen Reichs auch als Pfalzgrafen ab und formten ein einzigartiges Fürstentum am Rhein zwischen Bacharach und Heidelberg. Bis 1504 expandierte es immer weiter. Dieser Schwung, verbunden mit der Nähe zu König und Reich, gab der Pfalzgrafschaft in einer zentralen Landschaft europäischer Geschichte ihr besonderes Gewicht.

Quellen und Literatur: Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156–1505, hg. v. Meinrad Schaab, bearb. v. Rüdiger Lenz (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg A 41), Stuttgart 1998. Briechle, Andrea: Heinrich Herzog von Sachsen und Pfalzgraf bei Rhein. Ein welfischer Fürst an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde 16), Heidelberg 2013. Dahlhaus, Joachim: Der Adler im Schild. Unbeachtete Urkunden des rheinischen Pfalzgrafen Konrad und anderer deutscher Fürsten (1160–1215). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 159 (2011), S. 101–130. Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, 2 Bde., hg. v. Alfried Wieczorek, Bernd Schneidmüller u. Stefan Weinfurter, Darmstadt 2010. Holzfurtner, Ludwig: Die Wittelsbacher. Staat und Dynastie in acht Jahrhunderten (Urban-Taschenbücher 592), Stuttgart 2005. Huthwelker, Thorsten: Tod und Grablege der Pfalzgrafen bei Rhein im Spätmittelalter (1327–1508) (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde 14), Heidelberg 2009. Kurpfalz und Rhein-Neckar. Kollektive Identitäten im Wandel, hg. v. Volker Gallé, Jörg Peltzer, Bernd Schneidmüller u. Stefan Weinfurter (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde 13), Heidelberg 2008. Mittelalter. Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter. Begleitpublikation zur Ausstellung der staatlichen Schlösser und Gärten BadenWürttemberg und des Generallandesarchivs Karlsruhe, Redaktion Volker Rödel (Schätze aus unseren Schlössern. Eine Reihe der staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg 4), Regensburg 2000. Peltzer, Jörg Henning: Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der poli-

Wie die rheinische Pfalz an die Wittelsbacher fiel

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tisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (Rank. Politischsoziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 2), Ostfildern 2013. Pfalzatlas. 4 Bde., hg. v. Willi Alter, Speyer 1964–1994. Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214–1508, Bd. 1: Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214–1400, bearb. v. Adolf Koch u. Jakob Wille, Innsbruck 1894. Rödel, Volker: 6. Oktober 1214. Die Belehnung Herzog Ludwigs I. mit der Pfalzgrafschaft bei Rhein. In: Bayern nach Jahr und Tag. 24 Tage aus der bayerischen Geschichte, hg. v. Alois Schmid u. Katharina Weigand, München 2007, S. 122–140, 439–441, 466f. Rödel, Volker: Die Geburt der Kurpfalz. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 100 (2002), S. 217–238. Schaab, Meinrad: Geschichte der Kurpfalz. Bd. 1: Mittelalter, 2. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln 1999. Schneidmüller, Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819–1252) (UrbanTaschenbücher 465), Stuttgart, Berlin, Köln 2000. Schneidmüller, Bernd: Kurpfalz. Zukunftsentwürfe in einer historischen Landschaft. Vortrag zum 60. Jubiläum des Vereins Kurpfalz am 4. November 2009, Schloss Schwetzingen (Privatdruck Mannheim: Verein Kurpfalz 2009). Verwandlungen des Stauferreichs. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, hg. v. Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter u. Alfried Wieczorek, Darmstadt 2010. Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa, 2 Bde., hg. von Alfried Wieczorek, Bernd Schneidmüller, Alexander Schubert u. Stefan Weinfurter, Regensburg 2013. Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter – eine Erfolgsgeschichte? Hg. von Jörg Peltzer, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter u. Alfried Wieczorek, Regensburg 2013 [dort S. 23–49 die Belege zu diesem Aufsatz].

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Wittelsbacher als geistliche Fürsten am Rhein in der Frühen Neuzeit – dynastische Ambition, europäische Politik und kulturelles Erbe

Einleitung und Grundsatzfragen Wittelsbach am Rhein – fürwahr ein facettenreiches Panaroma europäischer Geschichte, aus dem es heute einen besonderen, in seiner Gesamtheit nicht immer ausreichend gewürdigten Aspekt vorzustellen gilt: die Wittelsbacher Bischöfe als Reichsprälaten am Rhein, vornehmlich in der Frühen Neuzeit. Vornehmlich deshalb, da diese Geschichte schon wesentlich früher beginnt, wiewohl sie ihre volle und sprechende Ausprägung erst im 16.–18. Jahrhundert erfahren sollte. Anliegen dieses Beitrags ist es, sowohl die Bedeutung und Motivation des Gesamthauses Wittelsbach für das rheinische Engagement deutlich herauszustellen, als auch die Symbiose der beteiligten Partner, also Hochstift(e) und Dynastie, hervorzuheben. Wenngleich wohl die meisten einigermaßen historisch Interessierten schon einmal in irgendeiner Weise mit dem Gesamtphänomen „Wittelsbach am Rhein“ in Kontakt gekommen sein dürften, tut es trotzdem gut und vielleicht auch Not, hier noch einmal kurz die wesentlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen sowie die weitestverbreiteten Fehlinterpretationen zurechtzurücken. 1214 wurde mit Ludwig I., dem Kelheimer, der erste Wittelsbacher Pfalzgraf bei Rhein – ein Amt, das nicht nur bis 1806 in der Gesamtfamilie gehalten werden konnte, sondern zudem aufgrund der Entfernung zu den schwäbisch-bayerischen Stammlanden eine eigene Nebenlinie des Hauses ausprägte. Damit sind wir nicht nur bei der Wittelsbachischen Präsenz am Rhein angekommen, sondern auch bei einem weiteren Phänomen: Das Haus Wittelsbach wird heute zumeist nurmehr als bayerische, d.h. im engeren Sinne auf die bayerischen Stammlande in ihrer jeweiligen historischen Gestalt bezogene Dynastie wahrgenommen. Tatsächlich aber stellte es in seiner über tausendjährigen Existenz nicht nur (ab 1180) die Herzöge, Kurfürsten und Könige von Bayern sowie die bereits erwähnten Pfalzgrafen bei Rhein und späteren Kurfürsten von der Pfalz, sondern da-

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rüber hinaus mehrere deutsche, böhmische, schwedische und griechische Könige, Grafen von Holland, Mitglieder des französisch-bourbonischen Königshauses sowie der englisch-britischen Aristokratie… – um nur die wichtigsten und herausragendsten „Ausleger“ zu benennen. Auch boten die Wittelsbacher nicht das heute vielleicht aus populären Publikationen und der Tagespresse so aufscheinende einheitliche Bild in ihren vermeintlichen Stammlanden: Das Herzogtum Bayern etwa wurde erst mit der Einführung der definitiven Erstgeburtsnachfolge, dem sogenannten Primogeniturgesetz, von 1506 dauerhaft geeint, zuvor war es in zeitweise bis zu drei Seitenlinien geteilt gewesen. Aber auch die Pfalz sollte ihre Sekundogenituren ausprägen, darunter am berühmtesten und – für unseren Betrachtungsgegenstand – wirkmächtigsten die „Junge Pfalz“, welche ab 1505 zu Neuburg an der Donau fundiert wurde und als Pfalz-Neuburg in die Geschichte eingehen sollte. Hinzu kamen andere Seitenlinien des Hauses, etwa in Sulzbach, Zweibrücken, Simmern, Daun/Kirn, Birkenfeld und Gelnhausen, was aber für unsere Fragestellung weniger relevant ist. Dieser doch enormen Bedeutung des Gesamtkomplexes „Wittelsbach“ steht und stand jene der rheinischen Bischofssitze gegenüber und damit die Frage, warum sich Wittelsbach just hier so um Präsenz bemühte. Im Alten Reich als „Pfaffengasse“ bekannt und ab der Reformation auch – je nach konfessioneller Couleur – verschrien, bildeten die Territorien der Bischöfe von (in Süd-Nord-Richtung betrachtet) Speyer, Worms, Mainz, Trier (Trier ist hier mit zu berücksichtigen, da dessen politisches Zentrum ab dem 17. Jahrhundert nach Koblenz und damit an die Rheinschiene verlegt wurde) und Köln nicht nur ein einigendes kulturelles Band entlang des großen Stroms, sondern bargen überdies erhebliches politisches, wirtschaftliches und geostrategisches Potential. Aus dem ottonischen Reichskirchensystem geboren und spätestens seit den Staufern etabliert, vereinigten diese Gebiete – wie alle geistlichen Reichslande des Sacrum Imperium – in sich hierarchisch-episkopale Autorität mit reichsrechtlich-territorialer Regierungsgewalt. Wiewohl die beiden Zuständigkeitsbereiche, Diözese und Hochstift, selten gebietsmäßig tatsächlich deckungsgleich waren (das Bistum übertraf in der Regel das Reichsstift um ein Vielfaches an Territorium), so bot diese Häufung am Rhein doch Perspektiven für eine in Kontinuitäten denkende Geopolitik, deren Signifikanz durch die wirtschaftliche Bedeutung der rheinischen Lande und – nach den unten noch näher zu betrachtenden politisch-militärischen Ereignissen des späten 16. Jahrhunderts – konfessionelle Geschlossenheit noch akzentuiert wurde. Des Weiteren bargen die rheinischen Prälaturen auch reichspolitisch Bedeutsames: Nicht nur bekleideten die Kirchenfürsten der drei rheini-

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schen Erzstifte Mainz, Trier und Köln die drei großen Reichskanzleistellen (Köln für Italien, Trier für Burgund beziehungsweise traditionell für „Burgund und Arelat“, Mainz für Germanien, also die deutschen Gebiete des Reiches) – seit den Festlegungen der Goldenen Bulle von 1356 waren sie als Kurfürsten festgeschrieben, und dies galt auch – vergessen wir es nicht – für die ohnehin Wittelsbachische Pfalz. Zählt man zu diesen Ämtern und Funktionen noch die herausragende Stellung dieser geistlichen Herrn bei der Wahl und Krönung des Deutschen Königs (Wahl zu Frankfurt, also im Mainzer Sprengel, Krönung zu Aachen, also im Kölner Gebiet) sowie die præeminentia der besagten Stifte (Trier als ältester deutscher Bischofssitz, Mainz als „Deutsches Rom“, die Sedes præclara Moguntina, sowie Köln, zumal unter den Staufern als Reichsheiligtum mit dem neu erbauten, die Hl. Drei Könige bergenden Dom) hinzu, möchte sich leichterdings ein geschlossenes Bild einer rheinisch-deutschen Idylle romantischen Zuschnitts einstellen, dessen sich die Wittelsbacher dann geschickt bedienten. Dies allerdings setzte eine gemeinsame Politik, ja auch nur ein gemeinsames politisches Wollen und Handeln der Entscheidungsträger sowohl auf rheinischer wie Wittelsbachischer Seite voraus, welches so niemals vorlag. In den Stiften lag die eigentliche religiöse Leitung bei den jeweiligen Domkapiteln, zumal bestimmten diese die Nachfolge im Bischofsamt kraft ihrer in den Konkordaten von Worms 1122 und – für unsere Zeit viel entscheidender – Wien 1448 verbrieften Wahlfreiheit. Dies bedeutete im politischen Alltag: Wer Bischof werden wollte, konnte dies nur über das Kapitel erreichen, weder Papst noch König hatten hier eine direkte Einflussmöglichkeit. Und die Politik der Kapitel entsprach naturgemäß den Interessen der Kapitulare – in dynastischer, allgemein personeller, politisch-strategischer und oftmals nur allzu sehr privater Hinsicht. Dies machte die koordinierte Reichskirchenpolitik eines Hauses zu einem ungeheuer komplexen und delikaten Gegenstand. Doch auch die fürstliche Gegenseite, in unserem Falle also das Haus Wittelsbach, war weit davon entfernt, ein einheitliches Bild zu zeigen. Allzu oft standen die Interessen der einzelnen Teillinien sich vielmehr konträr gegenüber, dies sowohl in konfessioneller Ausrichtung, politischer Ambition wie auch in territorialer Konzeption und geostrategischer Motivation. Erst die Hausunion von 1724 sollte hier Einhalt bieten und Gemeinsamkeiten schaffen – jedoch zu diesem Zeitpunkt hatte die Wittelsbachische Präsenz am Rhein ihren Zenit bereits überschritten und viele der oben erwähnten Attribute der rheinischen Bischofssitze hatten durch die historisch-territoriale Entwicklung entweder an Attraktivität verloren oder aber waren vollkommen obsolet geworden. Immerhin gelang es von 1724

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bis 1732, kontinuierlich drei der vier rheinischen Kurstimmen sowie drei der fünf rheinischen geistlichen Reichsstifte für das jetzt politisch vereinte Haus Bayern zu sichern. Mit dieser Perspektive, welche gleichsam den Abschluss und Höhepunkt unserer Betrachtung bildet, haben wir auch schon die Etappen unseres Rundgangs durch diese Phase Wittelsbachisch-rheinischer Beziehungen abgesteckt. Auf ein kurzes Präludium der ersten Wittelsbacher Bischöfe am Rhein wird ein zweiter, längerer Abschnitt der Epoche der endgültigen Etablierung zumal in Kurköln folgen, bevor ein analytischer Vergleich, vornehmlich anhand der beiden letzten großen Bischofsgestalten, Clemens August von Bayern und Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, die Erörterung abschließen wird. Zuvor aber sollten wir einen rein statistisch-tabellarischen Blick auf unseren Gegenstand werfen, nicht zuletzt, um eine ungefähre Vorstellung von der zeitlich-chronologischen und biographisch-personellen Fülle unseres Sujets zu erhalten. Die nachfolgende Übersicht mag dieses Unterfangen befördern.

Wittelsbacher Bischöfe am Rhein 12.–18. Jahrhundert Köln Ernst von Bayern Ferdinand von Bayern Maximilian Heinrich von Bayern Joseph Clemens von Bayern Clemens August I. von Bayern

1583–1612 1612–1650 1650–1688 1688–1723 1723–1761

Trier Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg

1716–1729

Mainz Konrad I. von Wittelsbach Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg

1161–1165/1183–1200 [!] 1729–1732

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Speyer Georg Pfalzgraf bei Rhein

1513–1529

Worms Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg

1691–1694 1694–1732

Doch diese Auflistung teilt, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit mit. Die tatsächliche Bedeutung der rheinischen Lande für die Wittelsbachische Reichskirchenpolitik ergibt sich erst aus der Betrachtung eines anderen Umstands, nämlich dem Phänomen der Kumulation. Kaum einer der hier zu betrachtenden Bischöfe war nämlich Zeit seines Lebens nur Herr eines Stiftes, sondern häufte in seiner Person die Regierung einer ganzen Reihe solcher Gebilde an. Wiewohl vom kanonischen Recht immer kritisch gesehen und auf dem großen Reformkonzil zu Trient (1545–1563) sogar explizit verboten (nicht zuletzt aufgrund der bei Kumulation ja nicht mehr möglichen Residenzpflicht der Bischöfe), legte dieser Brauch eine ganz eigene Überlebensdynamik an den Tag, welcher ihm seinen Erhalt bis spät ins 18. Jahrhundert sichern sollte. Hauptgrund hierfür war die konfessionelle Bedrängnis der deutschen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert, welche die römischen Stellen trotz prinzipieller Bedenken immer wieder auf zweitgeborene Söhne „zuverlässiger“ Dynastien zurückgreifen ließ und diesen die Kumulation nicht nur möglich machte, sondern damit sogar einen wesentlichen Beitrag zur katholischen Bestandssicherung im Reich leistete. Erst von dieser Warte aus erschließt sich nun die Signifikanz unseres Gegenstands, des Konnexes von dynastischer Ambition, europäischer Politik und kulturellem Erbe, fokussiert auf die Wittelsbacher am Rhein. Die eigene Dynamik dieser Region wird dem aufmerksamen Betrachter nicht entgehen, betrachtet man vor allem die zunehmende Ausbreitung des Hauses Wittelsbach in den deutschen Nordwesten hinein – ein Umstand, welcher durch die Tatsache, dass der Kölner Erzbischof seit 1180 zugleich in Personalunion geborener Herzog von Westfalen war, gefördert wurde. Von hier aus war der Weg, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht mehr weit hin zu den Stiften von Paderborn, Münster und Hildesheim – eine Perspektive, welche der bayerischen (hier trifft das Etikett, da es sich in der Tat nur um bayerische Wittelsbacher handelte) Politik nicht verborgen bleiben konnte.

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Wittelsbacher Bischöfe am Rhein im Kontext der Germania Sacra A. Kurfürst-Erzbischof von Köln – Geborener Legat des Hl. Stuhls – Erz-Kanzler für Italien – Herzog von Westfalen (Residenz: Bonn und Brühl) Name

Weitere Prälaturen

Ernst von Bayern 1583–1612

FBf Freising 1566–1612 FBf Hildesheim 1573–1612 FBf Lüttich/Liège 1581–1612 FBf Münster 1584–1612 FAbt Malmédy & Stavelot 1581–1612

Ferdinand von Bayern 1612–1650

FBf Hildesheim 1612–1650 FBf Lüttich/Liège 1612–1650 FBf Münster 1612–1650 FBf Paderborn 1618–1650 FAbt Malmédy & Stavelot 1612–1650 FPropst Berchtesgaden 1594–1650

Maximilian Heinrich von Bayern 1650–1688

FBf Hildesheim 1650–1688 FBf Lüttich/Liège 1650–1688 FBf Münster 1683–1688 FAbt Malmédy & Stavelot 1657 FPropst Berchtesgaden 1650–1688

Joseph Clemens von Bayern 1688–1723

FBf Freising 1685–1694 FBf Regensburg 1685–1716 FBf Hildesheim 1702–1723 FBf Lüttich/Liège 1694–1723 FPropst Berchtesgaden 1688–1723

Clemens August I. von Bayern 1723–1761

HM OT 1732–1761 FBf Regensburg 1716–1719 FBf Münster 1719–1761 FBf Paderborn 1719–1761 FBf Hildesheim 1724–1761 FBf Osnabrück 1728–1761 Propst Altötting 1715–1722

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B. Kurfürst-Erzbischof von Trier – Erz-Kanzler für Burgund – Fürstabt von Prüm (Residenz: Trier und Koblenz, bzw. Neuwied) Franz Ludwig von Pfalz-Neu- HM OT 1694–1732 burg 1716–1729 Kf-EBf von Mainz 1729–1732 FBf Breslau 1683–1732 FBf Worms 1694–1732 FPropst Ellwangen 1694–1732 Kaiserl. Oberlandeshauptmann von Schlesien 1685–1716 C. Kurfürst-Erzbischof von Mainz, Erz-Kanzler für Germanien, Primas Germaniæ (Residenz: Mainz und Aschaffenburg) Konrad I. von Wittelsbach 1161–1165/1183–1200 [!]

Card. SRE 1163–1200 CardBf Sabina 1166–1200 FEBf Salzburg 1177–1183

Franz Ludwig von Pfalz-Neu- s.o. Trier burg 1729–1732 D. Speyer Georg Pfalzgraf bei Rhein 1513–1529

-

E. Worms Ludwig Anton von Pfalz-Neu- HM OT 1684–1694 burg 1691–1694 FBf Worms 1691–1694 FPropst Ellwangen 1689–1694 Coadjutor Mainz 1691–1694 Abt Fécamp 1674–1694 Franz Ludwig von Pfalz-Neu- s.o. Trier burg 1694–1732

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Wiewohl eine detaillierte Auswertung dieser Tabelle hier nicht erfolgen kann, spricht doch das Offensichtliche eine klare Sprache. Die daraus ablesbare Tendenz sowie die territoriale Grundausrichtung bedingten das, was wir hier als Wittelsbachisches Abenteuer am Rhein zum Gegenstand unserer Betrachtung erkoren haben. A. Präludium Den Reigen der Wittelsbachischen Präsenz am Rhein eröffnete eine wiewohl spektakuläre Episode. 1161 entschied sich Kaiser Friedrich I. Barbarossa zu Lodi für den Sohn des Pfalzgrafen Otto V. von Scheyern, Konrad von Wittelsbach, als Erzbischof von Mainz. Im oft undurchsichtigen Gewirr von Loyalitäten zwischen Papst und Kaiser so auf den Bischofsthron gelangt, entschied er sich alsbald für die kuriale Partei und gegen den Staufer und die – aus römischer Sicht – von diesem ernannten Gegenpäpste. Dies bedeutete für ihn das Exil, zunächst in Frankreich, wo er sich unter anderem mit Thomas Becket, einem entschiedenen Advokaten kirchlicher Reform im römischen Sinne, befreundete, sodann in Italien, wo ihn der antikaiserliche Papst Alexander III. zunächst mit Ehren überhäufte (Kardinalserhebung, Kardinalbischof und schließlich noch dazu italienischer Diözesanbischof), schließlich aber im Zuge der Aussöhnung mit dem Kaiser (Friede von Venedig 1177) opferte und nach Salzburg transferierte. 1179 zum päpstlichen Legaten auf Lebenszeit ernannt, konnte er erst 1183 wieder nach Mainz zurückkehren und offiziell ein zweites Mal jenes Pontifikat bekleiden, dessen ersten Verlust er selbst niemals anerkannt hatte. 1188 Gastgeber des Mainzer Hoftags, des angeblich größten Festes des Mittelalters, 1197 Anführer des kaiserlichen Kontingents auf dem Dritten Kreuzzug, im Auftrag des Papstes coronator des neuen Königs von Armenien, Schlichter in zahlreichen Thronstreiten und – trotz allem – Stütze staufischer Kontinuität, blieb er bis zu seinem Tode im Jahre 1200 eine bestimmende Figur der deutschen und europäischen Politik. Der Pontifex, dessen Bruder Otto 1180 zum Herzog von Bayern und dessen Neffe Ludwig I., der Kelheimer (1173–1231) 1214 wie gesehen zum Pfalzgrafen bei Rhein avancieren sollten, wurde in zweierlei Hinsicht wegbereitend: Zum einen zeigte er schon jene Bauleidenschaft und jenen frommen Einsatz, welche fürderhin das Wittelsbachisch-geistliche Wesen bestimmen sollten, zum anderen war er wohl der erste hohe Prälat, welcher in seiner Person mehrere geistliche Ämter kumulierte, eine Praxis, die „bis dahin als unkanonisch“ gegolten hatte (Oehring, Konrad, NDB, 510).

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Über dreihundert Jahre sollte es dauern, bis wieder ein Wittelsbacher einen rheinischen Bischofsthron bestieg. In seiner Person kann Georg von der Pfalz (1486–1529) als Inbegriff Wittelsbachischen Einheits- und Expansionswillens gesehen werden. Als Sohn des Pfälzer Kurfürsten Philipp I., des Aufrichtigen (reg. 1476–1508) und der Margarete von Bayern (1456–1501), Tochter des vorletzten Teilherzogs von Bayern-Landshut, war er nicht nur Symbol familiär-dynastischer Annäherung, sondern darüber hinaus durch seine früh erhaltenen Kanonikate zu Mainz, Trier und Speyer auch der Wiederanknüpfung beziehungsweise Wegbereitung Wittelsbachisch-kirchlicher Präsenz in den rheinischen Stiften. 1499 wurde er Propst des Mainzer Kapitels, daneben 1502 auch Propst zu Sint-Donaas (St. Donatianus) in Brügge, was an die einstige Wittelsbachische Regierung in den Niederlanden gemahnen mochte. 1513 wurde der verheißungsvolle junge Mann zum Bischof von Speyer erwählt – eine nicht gerade sorgenfreie Periode für einen Prälaten. Selbst von Glaubenseifer und Reformtatkraft erfüllt (wiewohl er dem Zeitgebrauch entsprechend im Moment der Wahl nicht Priester, sondern nur einfacher Kleriker war), standen manche Unbilden einer sorgenfreien Regierung entgegen. Zum einen fand die Reformation schnell Anhänger im Bistum. Der prominenteste Überläufer war sein eigener Weihbischof Anton Engelbrecht, welcher 1525 das Bekenntnis wechselte. Im gleichen Jahr erhob sich der große Bauernaufstand auch in der Pfalz und forderte die Regierenden heraus. Durch sein diplomatisches Geschick und wohl auch durch seine leutselige Art erreichte Georg am 5. Mai 1525 zu Udenheim ein Übereinkommen mit den Aufständischen, welches aber nicht lange und vor allem nicht überall standhielt. Schnell gewann die Sprache der Waffen wieder die Oberhand, und die Exzesse des Bauernkrieges, den Georg weder verursacht noch gewollt hatte, verheerten das Land. Nach dessen blutigem Ende stand er zu seinen Zusicherungen, auch in konfessioneller Hinsicht, und versuchte, „mit Milde und Gerechtigkeit (…) nun die Wunden aus diesen stürmischen Tagen zu heilen und das zeitliche Wohl seiner Unterthanen zu fördern“ (Kleinschmidt, Georg, 699). 1529 konnte er noch am Reichtag zu Speyer, der die Geburt des deutschen Protestantismus in Begrifflichkeit und politischer Realität brachte, teilnehmen, doch noch im gleichen Jahr erlag er einer ansteckenden Krankheit. Sechzehn Jahre war er Bischof gewesen, hatte in dieser Zeit weder den Triumph seines Bekenntnisses, noch die komplette Befriedung seiner Gebiete, noch die Erfüllung der in seine Person gesetzten hohen dynastisch-reichskirchlichen Erwartungen erlebt. Im späteren so prächtigen Residenzschloss der Speyrer Bischöfe zu Bruchsal ist Georg in einer stuck-gerahmten Fresko-Rocaille idealisierend verewigt als Stifter einer

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Pazifikation mit den aufständischen Bauern, die so nicht lange hielt. Aus einem zeitgenössischen Portrait des 16. Jahrhunderts hingegen blickt er uns mit seiner eher bürgerlich erscheinenden Gewandung, die Hände den Rosenkranz betend, als Abbild jener von Krisenzeiten geschüttelten Gestalt an, welche er tatsächlich war. Eine zeitgleiche Medaille aus der Werkstatt des Hans Schwarz widerlegt diesen Eindruck nicht. Als textliches Zeugnis dieses bis heute wenig bekannten Mannes aber mag ein Auszug aus seinem Pastoralschreiben vom 28. April 1523 stehen, welches in schöner Weise Anspruch und Richtschnur der weiteren Wittelsbachischen Reichskirchenaktivitäten ebenso wie ihrer Bewertung und Würdigung anzeigen kann: „Dabei ermahnen wir Euch, den Gottesdienst mit Beseitigung aller Ungebühr, mit Eingezogenheit, Ernst, Ehrfurcht, Würde, Besonnenheit, soviel wie möglich mit Andacht, in der Furcht des Herrn, abzuhalten und das Volk nicht nur in heilsamer Lehre zu unterweisen, sondern es durch gute Handlungen, durch einen untadelhaften Wandel und durch das Beispiel zur Frömmigkeit zu ermuntern, damit wenn auf diese Weise alles Ärgernis gehoben und die Verachtung des geistlichen Standes entfernt ist, wir als Kämpfer Christi und Vermittler zwischen Gott und dem Volke, die Strafrute des Ewigen durch unser Gebet und andere gute Werke zu besänftigen und abzuhalten vermögen.“ (zit. nach: Remling, Reformationswerk, 59) B. Bayern in Köln Hatten die Umbrüche der Zeit um 1520 im Leben des Pfalzgrafen Georg bereits eine entscheidende Rolle gespielt, so sollte deren Wirkmächtigkeit die weitere Entwicklung des Wittelsbachischen Engagements am Rhein nachhaltig beeinflussen. Nun aber ging es nicht mehr um die konfessionellen, ständischen oder allgemein sozialen Belange eines kleinen und für die „großen“ Reichsund europäischen Belange eher unwichtigen geistlichen Stifts am Rhein, sondern um das große concert der – konfessionellen und vor allem politischen – Mächte Zentraleuropas allgemein. 1568 hatten sich die bis dato Spanischen Niederlande von ihrem laut eigener Definition „natürlichen Oberherrn“ (seigneur naturel) losgesagt und dem weltbeherrschenden (so schien es zumal einigen zeitgenössischen Beobachtern) Spanisch-Habsburgischen Reich den Kampf angesagt. Nordwesteuropa geriet damit augenblicklich in den Fokus weltweiter geopolitischer Aufmerksamkeit, die Konfession zum Aushängeschild politischer Loyalität und Bündnisorientierung. Wie mochte es also wirken, als Gebhard Truchsess von Waldburg-

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Trauchburg (1547–1601), seit 1577 Kurfürst-Erzbischof von Köln und Graf von Westfalen, am 19. Dezember 1582 öffentlich des katholischen Bekenntnisses entsagte, sich zum Luthertum bekannte und am Lichtmesstag des darauffolgenden Jahres seine wohl seit 1579 heimliche Geliebte, die Gerresheimer Stiftsdame Agnes von Mansfeld-Eisleben (1551–1637) – nach glaubhaften Aussagen der Zeitgenossen eine der schönsten Frauen der Epoche – ehelichte? Laut eigenem Bekunden wollte der Prälat Fürst seines Stiftes bleiben; den katholischen Mächten stand somit unmittelbar das Schreckgespenst des Jahres 1525 vor Augen, in welchem Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490–1568) seines Amtes eines Hochmeisters und Souveränen Herren in Preußen entsagt, dieses Territorium zum erblichen – lutherischen – Fürstentum erklärt und folgerichtig den Vasalleneid auf die polnische Krone geleistet hatte. Dies hatte sich damals am Rande des Imperiums abgespielt; nunmehr aber stand ein Kernland des Reiches zur Disposition, eine Kurstimme und das – strategisch wie geopolitisch aufgrund der Entwicklungen unter anderem in den Niederlanden – nicht zu unterschätzende Kölner Territorium. Die katholische Partei war gefordert, doch ihr selbsternannter „Champion“, das seit 1452 die immer mehr fiktive Kaiserwürde bekleidende Haus Habsburg, erwies sich der Herausforderung als nicht gewachsen und hatte auch nicht die personelle Alternative zu Gebhard anzubieten. Einzig ein Land, eine Dynastie kam dafür infrage – das nach wie vor unerschüttert katholische Bayern der großen Renaissanceherzöge. An Gründen und Vorgaben zum Eingreifen mangelte es nicht. Gebhard hatte durch seine Entscheidung gegen das Reservatum ecclesiasticum von 1555, gegen die Goldene Bulle, gegen seinen tridentinischen Eid und gegen die Erblandesvereinigung von 1550 verstoßen. Am 1. April 1583 wurde er von Papst Gregor XIII. exkommuniziert. Der Entscheidungsträger im Hochstift, das Kölner Domkapitel, reagierte sofort und wählte am 23. Mai konsequenterweise den bayerischen Prinzen Ernst (1554–1612), Sohn Herzog Albrechts V. (*1528, reg. 1550–1579) zum Nachfolger des Apostaten, welcher in der Wahl von 1577 mit lediglich zehn gegen zwölf Stimmen unterlegen war. Die Weichen waren gestellt – es galt jetzt nur, die neue Wegweisung durchzusetzen. Dies sollte im sogenannten „Kölner Krieg“ geschehen, welcher von 1583 bis 1588 Nordwestdeutschland verheerte und die gesamten europäischen Monarchien auf den Plan rief. Schon am 7. Dezember 1583 nahmen bayerische Truppen die gen Süden vorgelagerte Kölner Sperrfestung Godesberg ein, doch der Konflikt zog sich hin. Die Eroberung des unter anderem von niederländischen Truppen verteidigten Neuß am 26. Juli 1586 deutete die Wende zugunsten der pars catholica an, welche aber durch die Einnahme und Verwüstung der kur-

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kölnischen Residenzhauptstadt Bonn am 23. Dezember 1587 durch die Truppen Wilhelms von Oranien wieder infragegestellt wurde. Erst die Aufgabe des Kampfes durch Gebhard 1589, seine Annahme der – lutherischen – Domdechantenstelle zu Württemberg und sein Tod 1601 zu Straßburg entschieden den Ausgang des Ringens. Nunmehr waren Ernst und mit ihm Bayern in Köln unwiderruflich etabliert. Was wie eine konfessionellstrategische Rettung in letzter Minute geschienen hatte (in vielerlei Hinsicht war es dies auch), sollte sich als Kompass künftiger Reichskirchenpolitik erweisen. Einmal in Köln verankert, Ernst von Bayern gelang es der bayerischen Politik, diese Stellung als einzigartige, nur durch die ganz anders begründete und ausgerichtete Präsenz des Hauses Rohan auf dem Straßburger Bischofsstuhl (1704–1803) annähernd erreichte, Sekundogenitur zu behaupten. Von nun an sollten sich bis 1761 fünf Bischöfe aus dem Hause Bayern auf dem Kölner Thron nachfolgen und dieses Land für die Konfession, Politik und Kultur ihrer Wittelsbachischen Prälaten sichern. Ob die Entscheidung der 1580er Jahre unmittelbar eine Verbesserung der Zustände herbeiführte, sei bezweifelt. Das Verhältnis Ernsts, der niemals eine höhere Weihe besessen hat, mit Gertrud von Plettenberg (ca. 1560–1608) war notorisch, zwei Kinder entsprangen dieser Verbindung. Doch schon das Schicksal des zweitgeborenen Sohnes, Wilhelms von Bayern, Freiherr von Höllinghofen (ca. 1585–1657), seit 1650 Fürstabt der Reichsabtei Stablo-Malmedy, illustriert den Wandel der Mentalitäten. Die Zeit des Libertinismus war vorüber, jener der gewaltigen katholischen Reform in Kultur und Lebenswandel brach an. Sichtbar wurde dies im Pontifikat von Ernsts Neffen und Nachfolger, Ferdinands von Bayern (1577–1650). Sohn Herzog Wilhelms V. von Bayern, trat er 1612 die Sukzession seines Onkels an, dessen Koadjutor er seit 1595 gewesen war. Das Domkapitel, froh, katholisch geblieben zu sein und stolz auf seinen Rang als nobelstes Gremium der Reichskirche (sech-

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zehn hochadelige Vorfahren als Aufnahmebedingung), willigte gerne ein. Mit Ferdinand beginnt der planmäßige Ausbau der bayerischen Position in Westeuropa, was seine Ämterlaufbahn anschaulich illustriert: Fürstbischof von Hildesheim 1612–1650, von Lüttich/Liège 1612–1650, Münster 1612– 1650, Paderborn 1618–1650, dazu Fürstabt von Stavelot-Malmedy 1612–1650. Sein Theologiestudium hatte er 1587–1592 bei den Jesuiten in Ingolstadt, danach 1592–1593 in Rom absolviert, 1595 waren zu Ingolstadt seine Theses ex universa philosophia erschienen, in denen er sich intellektuell-philosophisch und konfessionstheologisch auf dem Stand seiner Zeit erwies. Der Engelbert-Schrein, heute in der Kölner Ferdinand von Bayern Domschatzkammer, legt Zeugnis für die kultu(r)ell-reformatorische Tätigkeit seiner Regierung ab. Bleibendes Monument seiner Bemühungen um Erneuerung in der Bewahrung des Althergebrachten aber bleibt der von ihm initiierte Bau der Kölner Jesuitenkirche Maria Himmelfahrt (1618–1678) in ihrer genialen und für die rheinischen Lande bis weit nach Flandern hinein stilbildenden Verschmelzung von gotischen und reformkatholisch-barocken Elementen. Weltgeschichtliche Bedeutung erlangte darüber hinaus sein Engagement in einem vorgeblich strategisch-geopolitischen Konflikt. 1609 war nach dem Tode des letzten regierenden Herzogs von Jülich und Berg der Nachfolgestreit über diese in der Epoche zentralen Gebiete am Niederrhein entbrannt. Zwei Konkurrenten stritten sich um das Erbe, welches – interessantes Detail des sich autonom-verfestigenden Fürstenstaates am Rande – gar nicht mehr zur realen Disposition des nominalen Oberherrn, des deutsch-habsburgischen Königs stand: Kurbrandenburg und das schon weiter oben gesehene Pfalz-Neuburg. Beide hatten einst dem lutherischen Bekenntnis angehangen, in den weichenstellenden Konflikten der 1610er Jahre aber konvertiert – Brandenburg zum Kalvinismus, Neuburg zurück zur Katholischen Kirche. Wie in einem voraus geworfenen Schatten der

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erst 1724 erreichten Vereinigung war damit die Wittelsbachische Nebenlinie zum natürlichen Verbündeten des Hauses Bayern – vor allem auch gegen die Ansprüche der kalvinischen, ebenfalls Wittelsbachischen Kurpfalz – geworden. Ferdinand unterstützte diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und konnte so deren (Teil-)Erfolg im Vertrag von Xanten (12. November 1614) erleben: Die Erblande wurden in neuburgische (Jülich und Berg) sowie brandenburgische Sphären (Ravensburg) geteilt; eine VorausMaximilian Heinrich von Bayern nahme des großen europäischen Konflikts der Jahre 1618–1648 war durch den Tod des zugunsten Brandenburgs eingreifwilligen Henri IV von Frankreich 1610 vereitelt worden. In den meisten Würden konnte Ferdinand wiederum sein Neffe Maximilian Heinrich von Bayern (1621–1688) nachfolgen: 1650–1688 Kurfürst-Erzbischof von Köln, 1650–1688 Fürstbischof von Hildesheim, 1650–1688 von Lüttich/Liège, 1683–1688 von Münster, dazu 1657 Fürstabt von Stavelot-Malmedy. In seine Regierungszeit fallen die großen Erschütterungen des zu Unrecht so genannten „Dreißigjährigen Krieges“, welche leicht seine anderen Maßnahmen – ebenfalls zu Unrecht – überschatten können. 1651 und 1682 ließ er im Kölner Sprengel Diözesansynoden als Vorbild tridentinisch-reformerischer Initiative im Reich abhalten, 1662 erschienen hierzu die von seinem Weihbischof Georg PauliStravius ausgearbeiteten Synodalstatuten (Statuta Synodalia Maximiliani Henrici de [die] 20. Martii 1662…, Colonia 1662). Als Landesherr in Westfalen erneuerte er zahlreiche Bereiche des öffentlichen Lebens in einer bemerkenswerten Reformpolitik: Errichtung eines Jahrmarktes in Brilon (1655), Elementarschulordnung (1656), Zollverordnung (1659), Bestätigung des Werler Erbsälzerprivilegs (1665), Judenprivileg für die Stadt Arnsberg (1671), Westfälische Brandordnung (1672). Diesen Initiativen im Inneren standen wegweisende Weichenstellungen auf dem Gebiet der internationalen Politik gegenüber. Als persönli-

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cher Teilnehmer am Reichstag zu Regensburg 1653/54 hatte er auf dem Fürstentag zu Augsburg 1654 noch seine Unterstützung der Königswahl Ferdinands IV. kundgetan, dies unter gleichzeitiger Betonung des Kölner Krönungsrechtes. Als sich dies nicht realisierte, reiste er aus Protest darüber und die in seinen Augen mangelnde Unterstützung des Hauses Habsburg ab und begann seine Fühler in Richtung der aufsteigenden europäischen Alternative in Gestalt der französischen Monarchie des aufstrebenden Louis XIV auszustrecken. Der Beitritt zum Rheinischen Bund 1658 markierte die Annäherung an die Krone Frankreichs, welche in Form des Asyls für deren leitenden Minister, Cardinal Jules Mazarin auf Kurkölner Gebiet während der Fronde sich erstmals konkretisiert hatte. 1666 wurde ein erster Geheimvertrag mit Louis XIV geschlossen, dieser 1671 und 1672 erneuert. Durch die Entwicklungen der großen europäischen Politik vor die Entscheidung gestellt, trat er 1683 bis 1687 in eine offene Bündnispolitik mit Frankreich ein und wies damit seinem Haus Kurbayern den Weg der kommenden Jahre. Diese begann unter seinem Neffen und Nachfolger Joseph Clemens Kajetan von Bayern (1671–1723, Kurfürst-Erzbischof von Köln 1688– 1723, Fürstbischof von Freising 1685–1694, von Regensburg 1685–1694 und wiederum 1695–1716, von Hildesheim 1702–1723 und von Lüttich/ Liège 1694–1723) sich entscheidend zu akzentuieren. Schon seine Wahl 1688 zum Kölner Erzbischof entwickelte sich, nachdem es Maximilian Heinrich nicht gelungen war, ihn als Koadjutor postulieren zu lassen, zum gesamteuropäischen Politikum. Nachdem das pro-französische Domkapitel zunächst für den expliziten Parteigänger Louis’ XIV, Kardinal von Fürstenberg, votiert hatte, gelang Kurbayern, diesmal noch gegen Frankreich, der letztendliche Erfolg nur mit massiver Unterstützung Habsburgs. Die neugewonnene Entente aber sollte nicht lange andauern. Wie sein Bruder, Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern, von der Wiener Politik massiv enttäuscht, schloss Joseph Clemens 1700 gemeinsam mit diesem ein Bündnis mit Frankreich gegen Habsburg und positionierte so seine Länder im bevorstehenden großen europäischen Ringen um die Spanische Erbfolge. Der militärische Erfolg blieb versagt; nach der Einnahme Bonns durch kaiserliche Truppen 1702 blieb dem Prälaten nurmehr das Exil in Frankreich (Namur, Lille, Valenciennes), 1706 wurde er in die Reichsacht erklärt, 1714 aber nach den Friedensschlüssen auf Betreiben Louis’ XIV restituiert. Diese Krise jedoch bereitete den Weg seiner inneren Bekehrung: 1683 hatte er zwar die Tonsur und bereits 1684 die erste Koadjutorie erhalten. Das aber hinderte ihn nicht an bis ins Jahr 1706 andauernden Verhältnissen mit mehreren Frauen. Erst der Weg nach Frankreich, die Begegnung mit der Geistigkeit des Grand Siècle, spezifisch mit einem ih-

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rer Hauptvertreter, François de Salignac de La Mothe-Fénelon, führten eine völlige Bekehrung herbei, welche 1706/1707 in der Priester- und Bischofsweihe durch ebendiesen zu Lille gipfelte. Joseph Clemens war nunmehr nicht nur politisch in der Welt Frankreichs angekommen. Seine kulturellen und religiösen Maßnahmen sprechen eine ähnliche Sprache. Hatten die 1693 erfolgte Gründung des St. Michael-Ordens und der diesem anhängenden St. Michael-Bruderschaft (davon zeugt noch das Michaeler-Tor der Bonner Residenz, heute Universität) sowie die aufrichtige Förderung der Societas Jesu noch konventionellen Mustern bayerischer Religionspraxis ebenso entsprochen, wie der ab 1697 durchgeführte maßgebliche Umbau des Bonner Residenzschlosses durch Enrico Zuccali auf architektonisch-künstlerischem Gebiet, so wies die ab der Rückkehr 1715 durchgeführte Errichtung des Poppelsdorfer Schlosses zu Bonn durch den Versailler Hofarchitekten Robert de Cotte eindeutig in die neue Zeit – eine Zeit, die sein Neffe Clemens August zur letzten Wittelsbachischen Blüte am Rhein reifen lassen sollte. C. Höhepunkt und Abschluss geistlich-Wittelsbachischer Präsenz am Rhein: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg und Clemens August von Bayern Um diese letzte Phase unseres zu betrachtenden Phänomens richtig verstehen zu können, müssen wir ein wenig weiter ausholen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts finden wir die beiden nunmehr dominierenden Zweige des Hauses Wittelsbach, Bayern und Pfalz-Neuburg, auf dem Höhepunkt ihrer politischen Stellung im Reich. Der „Jungen Pfalz“, deren Entstehen und „Sprung an den Niederrhein“ (Hans Schmidt) oben kurz angerissen worden waren, erstand in der Person des Pfalzgrafen und Herzogs Philipp Wilhelm (1615–1690) ein formidabler Anwalt und Motor dynastischen Interesses. Aus seiner Ehe mit Elisabeth Amalia Magdalena (1635–1709), der Tochter des Landgrafen Georg II. von HessenDarmstadt, gingen vierzehn überlebende Kinder hervor, welche der Vater entsprechend seinen hoch zielenden Ambitionen genial „verwendete“: Nach dem ersten Coup, 1676 seine älteste Tochter Eleonore Magdalene Therese (1655–1720) als dritte Gemahlin Kaiser Leopolds I. nach Wien zu verheiraten, stand ihm dabei unter anderem die nicht zu verachtende habsburgische Gefolgschaft und Unterstützung zur Verfügung. Dies mochte überraschen, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte Philipp Wilhelm, greifbar ab 1651, eher als Exponent des „parti français“ im Reich gegolten, was seinen Niederschlag etwa in seiner Rolle eines Vermittlers der Geheimkorrespondenz (der bayerische Hof war damals noch konsequent kaiser-

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treu) der bayerischen Kurfürstin Henriette Adélaïdes nach Versailles gefunden hatte. In Anerkennung dafür hatte Louis XIV dem Sohn Philipps, Ludwig Anton (1660– 1694), 1674 die Abbaye de Fécamp als Kommende verliehen. Als sich in den späten 1670er Jahren allerdings die Möglichkeit der Erbnachfolge des Hauses Pfalz-Neuburg in der Kurpfalz (nach Aussterben der Linie Simmern im Mannesstamm) abzeichnete, bahnte der Herzog den politischen Wechsel an, welcher mit der erwähnten Eheschließung von 1676 bereits möglich gemacht worden war. Der Erfolg stellte sich nun Schlag auf Schlag ein: von seinen Töchtern gingen 1687 Marie Sophie Elisabeth (1666–1699) als Königin nach Portugal, 1690 Maria Anna Adelheid (1667–1740) als Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg Königin nach Spanien und Dorothea Sophie (1670–1748) als Herzogin nach Parma und Piacenza sowie 1691 Hedwig Elisabeth Amalia (1673–1722) als Braut des Königssohnes Jakob Ludwig Sobieski nach Polen. Diesem dynastisch-monarchischen Geflecht, 1678 betont durch die Ehe des Erbprinzen Johann Wilhelm (1658–1716) mit der Kaisertochter Maria Anna Josepha von Österreich (1654–1689), entsprach die „geistliche Verwendung“ der nachgeborenen Söhne. Den Anfang machte dabei in bewusster Betonung der rheinischen Prälaturen (im weiteren Sinne) der bereits erwähnte Ludwig Anton, welcher, nach Kanonikaten zu Köln (1664), Mainz (1668), Straßburg (1669), Speyer (1674), Münster (1676) und Lüttich (1679), noch 1679 die Koadjutorie im Hochmeisteramt des Deutschen Ordens erhielt (Amt angetreten 1684). 1689 wurde er Fürstpropst zu Ellwangen, 1691 Koadjutor in Mainz, im gleichen Jahr wählte man ihn zum Bischof von Worms. Dieser Aufstieg, welcher nicht zuletzt einem Schutz- und Beistandsbedürfnis der erwähnten Stifte in Zeiten des Pfälzer Krieges geschuldet war, sollte eigentlich 1694 in der Wahl zum Fürstbischof von Lüttich seine vorläufige Krönung erfahren. So weit kam es allerdings nicht.

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Doch schon die bislang erfolgte Karriere belegte den Aufstieg Pfalz-Neuburgs zur nicht mehr zu übersehenden politischen Größe. 1685 hatte Philipp Wilhelm tatsächlich die Nachfolge in der Kurpfalz angetreten, und nicht zuletzt von daher war es kein Zufall, dass bei der Lütticher Wahl nunmehr die Kandidaten der beiden Wittelsbachischen Häuser zusammenprallten – Pfalz-Neuburg war zur Alternative zu Kurbayern auch am Rhein avanciert, der Mitbewerber Ludwig Antons war kein anderer als der oben schon betrachtete Joseph Clemens von Bayern. Die Entscheidung Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg brachte dann, nach ergebnisloser Doppelwahl, der Tod: Ludwig Anton verstarb am 4. Mai 1694 zu Lüttich. Doch die nunmehr bereits erfolgreich eingespielte reichskirchenpolitische Maschinerie des Hauses Pfalz-Neuburg ruhte nicht. Es gelang ihr, den Bruder des Verstorbenen, Pfalzgraf Franz Ludwig (1664–1732), bisher Bischof von Breslau und kaiserlicher Landeshauptmann in Schlesien, in allen (!) dessen Ämtern nachfolgen zu lassen. Als dieser 1716 zudem Kurfürst-Erzbischof von Trier wurde, stand das Haus Pfalz-Neuburg im Zenit seiner Größe. Allein Franz Ludwig bekleidete jetzt drei Bischofswürden, davon eine im Kurrang. Im gleichen Jahr aber starb Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz. Unter seinem Bruder und Nachfolger Carl Philipp (*1661, reg. 1716–1742) sollte sich eine Neuorientierung der pfälzischen Politik anbahnen. Diese steht im engen Zusammenhang mit der hausinternen Aussöhnung der gesamten maison de Bavière. Im Spanischen Erbfolgekrieg waren die beiden Linien verfeindet in den beiden konträren politischen Großlagern Europas gestanden: Kurbayern unter Max II. Emanuel und Kurköln unter Joseph Clemens auf Seiten Frankreichs, Pfalz-Neuburg mit all seinen Dependancen auf jener des Kaisers. Nach erfolgter Restitution der Bayern infolge der Friedensschlüsse 1713/14 fand nun, vornehmlich aufgrund der zunehmenden Enttäuschung über die Wiener Politik besonders

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bezüglich der Rechte Neuburgs auf die niederrheinischen Lande, eine Annäherung der beiden Zweige statt, welche 1724 in der erwähnten Hausunion gipfelte, politisch nach Frankreich zur politique de la paix des Cardinals de Fleury sowie kulturell zu den Emanationen des siècle de Louis XV tendierte. Inzwischen aber hatte auch zu Köln ein Generationenwechsel stattgefunden und mit der Wahl Clemens Augusts von Bayern (1700–1761) zum letzten Male das erprobte Relais von OnBischofswappen von Franz Ludwig von kel auf Neffe gegriffen. Aufstieg Pfalz-Neuburg und Ämter des letzten Bayernprinzen auf dem Kölner Thron resümieren die gesamte bisherige Tradition: Fürstbischof zu Regensburg 1716 (–1719), zu Münster 1719, zu Paderborn 1719, zu Hildesheim 1724, zu Osnabrück 1728. Ein sichtbares Ergebnis der Union von 1724 war es, dass Clemens August überdies 1732 nach dem Tode Franz Ludwigs, welcher zuvor 1729 die Kurwürde von Trier mit jener von Mainz vertauscht hatte und so Reichserzkanzler geworden war, im Amte des Hoch- und Deutschmeisters nachfolgen konnte. Der Gipfel war erreicht – und überschritten. 1730 konnte das jetzt politisch geeinte Haus Wittelsbach insgesamt vier Kurwürden (Köln, Mainz, Bayern und Pfalz), sechs Fürstbistümer (Münster, Paderborn, Hildesheim, Osnabrück, Breslau, Worms), dazu zwei Herzogtümer (Neuburg und Jülich-Berg) sowie das Hochmeisteramt – um nur die wichtigsten Titel zu nennen – bekleiden. Eine auch nur annähernd vergleichbare dynastische Position war niemals zuvor in der Reichsgeschichte erreicht worden und sollte es auch nicht mehr werden. Das Ende aber kam jäh. 1742 starb mit Carl Philipp das Haus Neuburg im Mannesstamme aus, 1761 endete mit dem Tod Clemens Augusts die rheinische Sekundogenitur des Hauses Bayern. Dazwischen hatte, phönixgleich, noch das bayerische Kaisertum Carl Albrechts/Carls VII. von 1742 bis 1745 aufgeleuchtet und war im Österreichischen Erbfolgekrieg vergangen. Der die Zukunft weisende Stern ging jetzt in Nordostdeutschland auf, in dem ein junger, nicht minder frankophiler Monarch 1740 mit einem Schlag das alte concert européen umstürzte, 1757 zu Roßbach die Armee des Reiches und zu Leuthen

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die österreichische Armee vorführte und in einem bis 1763 währenden Konflikt sein Land als neue Größe etablierte. Als 1777 auch das Haus Bayern erlosch, bedurfte es just der Unterstützung jenes mittlerweile als Friedrich der Große geltenden Fürsten, die legitimen Nachfolgeansprüche Kurpfalz’ durchzusetzen und den Umzug der Pfälzer Wittelsbacher nach München zu ermöglichen. So hatte auch am Rhein die Wittelsbachische Zeit geendet, auch hier wurde der Schatten Preußens immer länger, bis er sich 1815 definitiv politisch realisierte. Ein analytisches Résumé Im Rückblick auf das behandelte Phänomen der Wittelsbachischen Präsenz am Rhein stehen drei Fragen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Forschungsdiskussion wie auf die populäre Wahrnehmung, im Vordergrund. Handelte es sich bei den erwähnten geistlichen Fürsten lediglich um Marionetten dynastischer Interessen? Sind diese folglich als bar jeder unabhängigen politischen und/oder kulturellen Bedeutung anzusehen? Schließlich: lag ihnen als Motivation nur jene eines „Benefizien-Jägers“ zugrunde? Unbestreitbar folgten alle der hier gesehenen Persönlichkeiten zunächst den beiden Hauptmaximen, die Rolle und Besitzungen ihrer Häuser im Reich zu befördern und so auch zuvorderst den katholischen Glauben nach Maßgabe der Möglichkeiten zu unterstützen und zu befestigen. Das Verhalten aller Prälaten aber lässt daraus keineswegs den Schluss zu, dies wäre in blinder Gefolgschaft zur „häuslichen Zentrale“ geendet: Konrads und Georgs Anliegen und Politik waren viel zu spezifisch und genuin, um sich darin zu erschöpfen. Die Herausforderungen der niederrheinischen und westfälischen Gegebenheiten lagen inhaltlich wie geographisch viel zu weit von Bayern entfernt, um von dort aus nachhaltig bestimmt werden zu können. Kurköln hatte sich schon vor Kurbayern für ein Bündnis mit Frankreich entschieden und Clemens August stand den hochfliegenden Plänen seines Bruders Carl Albrecht viel zu kritisch gegenüber, um als reiner Erfüllungsgehilfe zu gelten. Die frustriert klingende Feststellung des Münchener Hofes, seine Politik sei inhaltlich „auf keine Weise zu seines Churhauses Interesse prævenieret, sondern vielmehr zur Ruhe des Römischen Reiches portieret“, spricht eine mehr denn deutliche Sprache vom echt religiös motivierten Streben nach einer wahren paix universelle de la Chrétienté. In diesem Zusammenhang sollte man Wert und Potential der so oft geschmähten und als Ausweis einer völligen Abhängigkeit gewerteten

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Subsidienzahlung großer Mächte an diese kleinen, strategisch wie geopolitisch hingegen immens wichtigen geistlichen Territorien nicht unterschätzen. Gerade sie ermöglichten nicht nur eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit auch nach innen, sondern überdies die Realisierung des gewaltigen kulturellen Programms dieser Bischöfe. Beleg hierfür mag wiederum der politisch immer noch stark unterschätzte Clemens August bieten, welcher, als Meister des politischen Lavierens, sich die Selbständigkeit seiner politischen Einschätzung ein Leben lang bewahrte und so – wesentlich früher als manch andere – etwa Friedrich von Preußen sowohl als Garant der deutschen Freiheiten als auch – dies ist kein Widerspruch – als erneute Gefahr für das deutsche Gleichgewicht und vor allem für die Position der katholischen Kirche erkannte. Friedrich quittierte diese nicht geheim gehaltene Qualifizierung mit dem charmant-ironischen Etikett eines monsieur de cinq églises für den Bayernprinzen. Alle aber übertraf in dieser Hinsicht Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, welcher zu keiner Zeit seines Lebens sklavisch den Anweisungen aus Neuburg und Düsseldorf folgte, sich zur rechten Zeit vielmehr mit den dort Regierenden überwarf und schließlich in dem immensen, fast unglaublichen Reformprogramm für seine Stifte, vor allem für Trier in den Jahren 1717–1729, den Weg in die Zukunft der inneren Politik des Reiches und darüber hinaus (Vorbild für nahezu alle späteren Reformen seiner Nichte Maria Theresia) in einer Weise wies, welche die oben genannten Wertungen bischöflicher Politik obsolet werden lässt. Als Beurteilungskriterium des Wittelsbachischen Wirkens sollte auch die geistliche Dimension nicht unerwähnt bleiben. Die faktisch oft diffus bleibende „katholische Reform“ konkretisierte sich hier, neben den noch zu sehenden Kirchenbauten, in zahlreichen Initiativen, von denen nur die wichtigsten angeführt seien: Seminar- und Missionsgründungen (so Clemens August für die nordischen Gebiete), Pastoral (erstmals mehrsprachige Rituale und Sacramentale, lateinisch-deutsch-polnisch für Schlesien, lateinisch-deutsch-französisch für Trier und die ihm als Metropolit unterstehenden trois évêchés durch Franz Ludwig), Liturgie (Neuausgaben des Missale Coloniense 1626 durch Ferdinand von Bayern und 1756 durch Clemens August), Orthodoxie (Zurückweisung der jansenistischen Tendenzen und Lehren in Köln und Trier ab 1650) und Frömmigkeit (zahlreiche Bruderschaftsgründungen in allen Diözesen ab spätestens 1640). Ein letzter Hinweis mag der kulturellen Landschaft gelten und damit dem, was von Wittelsbach am Rhein blieb. Hier genügt ein Blick auf die nachfolgende letzte Tabelle. Sie belegt Umfang, Ambition und Erbe einer Zeit, welche den betreffenden Gebieten einen unauslöschlichen Stempel aufgeprägt hatte. Zu den zahlreichen Schloss- und Repräsentationsbauten

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gesellten sich die zahlreichen Sakralbauten. Beide verschafften den betreffenden Ländern nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem auch unmittelbar erlebbare kulturelle Blüte, welche die Bedeutung des rein Konfessionellen weit hinter sich ließ. Hier erst konnte sich die Wechselwirkung von familiärem Verbindungsgeflecht (modern spricht man von „Netzwerken“) und lokal-spezifischer Ausprägung als Kulturtransfer im besten Sinne zur Gänze entfalten. Doch auch hier blieb die Perspektive nicht im Familiär-Epigonalen stecken; vielmehr wiesen die Wittelsbacher Bauten am Rhein in ihrer Verschmelzung italienisch-süddeutscher und französisch-klassischer Elemente jenen Weg in das Ideal der goûts réunis, welche die Schöpfungen des 18. Jahrhunderts in ihren besten Zeugnissen charakterisieren. Schließen wir – in genuin altbayerischer Emphase – mit jenem vielfach und in mehreren Varianten überlieferten Wort, welches nach dem Tode des letzten regierenden Bayernprinzen im Rheinland vielerorts zirkulierte: „Unter Clemens August, da trug man Blau und Weiß – und lebte gut und sicher, gar wie im Paradeis“. Diesem Résumé ist nichts hinzuzufügen.

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Wittelsbacher als geistliche Fürsten am Rhein Bauten und andere bedeutende Kunstwerke Wittelsbacher Prälaten in rheinischen Landen (12.-18. Jahrhundert) Person

Ort

Objekt

Konrad von Wittelsbach Ferdinand von Bayern

Mainz

Domneubau

Köln

MariaHimmelfahrtsKirche (Jesuitenkirche) Engelbert-Schrein (heute: Dom, Schatzkammer) Kreuzberg (Kirche, 1. Bau) Dom – Dreikönigskapelle (heute Elemente am nördlichen Marienaltar) Namen-Jesu-Kirche (Jesuitenkirche)

Bonn Maximilian von Bayern

Köln

Bonn Joseph Clemens von Bayern

Bonn

Franz Ludwig von PfalzNeuburg

Worms

Trier

Mainz

Schloss (heute: Universität) Hofgarten Clemensruhe (heute: Poppelsdorfer Schloss) Dom (Wiederaufbau nach den Zerstörungen im Pfälzer Krieg) Dom: Hochaltar Dom: barocke Innengestaltung, Hochaltar, HeiligRock-Kapelle DeutschordensPalais (heute: Landtag, das Innere nach Kriegszerstörung nicht wieder hergestellt)

Architekt/ Künstler ?

Erbauungszeit

Christoph Wamser Conrad Duisbergh

1618 begonnen, 1629 dem Kult übergeben, 1678 vollendet 1633

?

1627

Heribert Neuß

1668

Giacomo de Candrea

1686, 1717 unter Joseph Clemens vollendet 1697–1705 1715-1717 1715 1715 (vollendet 1740, s.u.)

Enrico Zuccalli Robert de Cotte Robert de Cotte Robert de Cotte

ab c. 1190

?

1698-1700

Balthasar Neumann Johann Georg Judas

1732 (aus Legat)

Bau: Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn (nach Vorbildern aus Versailles und Paris) Ausmalung: Christoph Thomas Scheffler Plastik: Burkard Zamels

1719-1723

1730, 1737 vollendet

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Person

Ort

Objekt

Clemens August von Bayern

Bonn

Kreuzberg-Kirche: Zweite Bauphase und Hl. Stiege Michaeler-Tor (heute: Koblenzer Tor) mit Kapelle (diese nach Kriegszerstörung nicht wieder hergestellt) Clemensruhe: zweite Bauphase mit Allee Regina Pacis (Monumentalskulptur am Stadtschloss) Schloss Herzogsfreude (nie im Idealplan vollendet, heute Ruine) Schlosskirche (Umbau) Schloss Augustusburg

Brühl

Schlossgarten Augustusburg Schloss Falkenlust

Architekt/ Künstler Balthasar Neumann

Erbauungszeit 1746

François de Cuvilliés Michael Leveilly

1751-1755

Robert de Cotte

1723-1740

Wilhelm Rottermondt

1744

Johann Heinrich Roth

1754

Balthasar Neumann

1735

Bau: Johann Conrad Schlaun / Balthasar Neumann Ausstattung: François de Cuvilliés Ausmalung: Carlo Carlone Dominique Girard

1740-1746

François de Cuvilliés

1729-1737

1728-1729

Literatur A. Allgemein und übergreifend Wittelsbach am Rhein

Lill, Rudolf: Wittelsbach am Rhein. In: AK Kurfürst Clemens August – Landesherr und Mäzen des 18. Jahrhunderts, Köln 1961, S. 57–64; Schmidt, Hans: Pfalz-Neuburgs Sprung zum Niederrhein. Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und der JülichKlevische Erbfolgestreit. In: Wittelsbach und Bayern, Bd. II/1: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian, hg. v. Hubert Glaser, München 1980, S. 77–89.

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Reichskirchenpolitik der Wittelsbacher Linien:

Jaitner, Klaus: Die Reichskirchenpolitik und Rombeziehungen Philipp Wilhelms von Pfalz-Neuburg von 1662 bis 1690. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 178 (1976), S. 91–144; Reinhardt, Rudolf: Zur Reichskirchenpolitik der Pfalz-Neuburger Dynastie. In: HJb 84 (1964), S. 118–128 (Ndr. in: Reich – Kirche – Politik : ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Germania Sacra, FS Reinhardt, Stuttgart 1998, S. 74–84). – Weitlauff, Manfred: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Bayern unter Kurfürst Max Emanuel (1679–1726) (Münchener theologische Studien, Hist. Abt. 24), Sankt Ottilien 1985. – Schmid, Josef Johannes: La crosse et la pourpre – François Louis de Neubourg, Clément Auguste de Bavière: la Reichskirchenpolitik des Wittelsbach et la relativité de l’approche dynastique. In: Bourbon und Wittelsbach. Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte, hg. v. Rainer Babel, Guido Braun u. Thomas Nicklas, Münster 2010, S. 489–507.

Die Reichsstifte, ihre Politik und Kultur

Molitor, Hansgeorg: Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1515– 1688) (Geschichte des Erzbistums Köln 3), Köln 2008; Hegel, Eduard: Das Erzbistum Köln zwischen Barock und Aufklärung. Vom Pfälzischen Krieg bis zum Ende der französischen Zeit (1688–1814) (Geschichte des Erzbistums Köln 4), Köln 1979; Winterling, Aloys: Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688–1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung „absolutistischer“ Hofhaltung (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein 15), Bonn 1986. – Hartmann, Peter Claus: Kurmainz – ein zentrales Territorium des Rhein-Main Raumes 1648–1792. In: Reichskirche, Mainzer Kurstaat, Reichserzkanzler (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 6), hg. v. Peter Claus Hartmann, Frankfurt 2001, S. 77–91; Jürgensmeier, Friedhelm (Hg.): Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte, Bd. 3: Neuzeit und Moderne I (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6), Würzburg 2002. – Laufner, Richard: Das Erzstift Trier. In: Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. v. Franz-Josef Heyen, Freiburg/Würzburg 1981, S. 42–49.

B. Zu den im Text erwähnten Personen Konrad von Wittelsbach

Oehring, Siglinde: Erzbischof Konrad von Mainz im Spiegel seiner Urkunden und Briefe (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 25), Darmstadt 1973; dies., Art. „Konrad I. von Wittelsbach“. In: NDB 12 (1979), S. 510f.; Will, Cornelius: Art. „Konrad I. von Wittelsbach“. In: ADB 16 (1882), S. 593-595.

Georg von der Pfalz

Kleinschmidt, Arthur: Art. „Georg von der Pfalz“. In: ADB 8 (1878), S. 698f.; Remling, Franz Xaver: Das Reformationswerk in der Pfalz. Eine Denkschrift für die Heimath, sammt einem Umrisse der neuern pfälzischen Kirchengeschichte, Mannheim 1846 (Ndr. Speyer 1929); Conrad, Joachim: Art. „Pfalz, Georg von der“. In: Saarländische Biografien (online unter: http://www.saarland-biografien.de/Pfalz-Georg-vonder, Juni 2012)

Ernst von Bayern

Bosbach, Ernst: Art. „Ernst, Herzog von Bayern“. In: Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, hg. v. Erwin Gatz, Berlin 1996, S. 163–171; Braubach,

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Josef Johannes Schmid

Max: Art. „Ernst, Herzog von Bayern“. In: NDB 4 (1959), S. 614f.; Lossen, Max: Der Kölnische Krieg, 2 Bde., Gotha 1887.

Ferdinand von Bayern

Foerster, Joachim F.: Kurfürst Ferdinand von Köln. Die Politik seiner Stifter in den Jahren 1634–1650 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 6), Münster 1976; Baier, Ronny: Art. „Ferdinand von Bayern (1577–1650)“. In: BBKL 21 (2003), Sp. 87–90; Ennen, Leonard: Art. „Ferdinand (Erzbischof von Köln)“. In: ADB 6 (1877), S. 691–697.

Maximilian Heinrich von Bayern

Deisting, Heinrich Josef: Maximilian Heinrich, Herzog von Bayern, Kurfürst und Erzbischof von Köln (1621–1688). Eine biographische Skizze. In: Der Arnsberger Landständepokal von 1667. Eine Stiftung des Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern für das Herzogtum Westfalen, Arnsberg 1997, S. 79–96; Christ, Günther: Art. „Maximilian Heinrich“. In: NDB 16 (1990), S. 496–500; Gatz, Erwin: Art. „Maximilian Heinrich“. In: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803, hg. v. Erwin Gatz, Berlin 1990, S. 301f.

Joseph Clemens von Bayern

Münch, Ingrid: Art. „Joseph Klemens von Bayern“. In: BBKL 3 (1992), Sp. 886–888; Braubach, Max: Kurfürst Joseph Clemens von Köln als Vermittler zwischen Versailles und Wien. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 146/147 (1948), S. 228–238; ders., Die Politik des Kurfürsten Josef Clemens von Köln bei Ausbruch des spanischen Erbfolgekrieges und die Vertreibung der Franzosen vom Niederrhein, 1701–1703 (Rheinisches Archiv 6), Leipzig 1925.

Clemens August von Bayern

Zehnder, Frank Günther/Schäfke, Werner (Hg.): Der Riß im Himmel. Clemens August und seine Epoche, 7 Bde., Köln 2000; Clemens August – Fürstbischof, Jagdherr, Mäzen. AK Schloß Clemenswerth, Meppen-Sögel 1987; AK Kurfürst Clemens August – Landesherr und Mäzen des 18. Jahrhunderts, Köln 1961. – Bibliographie: Krischer, André: Das Hofreisejournal des Kurfürsten Clemens August von Köln 1719–1745 (= Ortstermine xii), Siegburg 2000, S. 285–292.

Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg

Lehner, Maria: Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg (1660–1694) – Ordensoberhaupt, General, Bischof (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 48), Marburg 1994; Weitlauff, Manfred: Art. „Ludwig Anton, Pfalzgraf von Neuburg“. In: NDB 15 (1987), S. 408f.; Ammerich, Hans: Art. „Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg“. In: Gatz, Bischöfe, S. 287f.

Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg

Schmid, Josef Johannes: Art. „Pfalz-Neuburg, Franz-Ludwig von (1664–1732)“. In: BBKL XVI (1999), Sp. 1231–1237; ders., Reichsprälat zwischen Ost und West: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1664–1732), München 1990; Gatz, Erwin/Kopiec, Jan: Art. „Franz Ludwig“. In: Gatz, Bischöfe, S. 124–127; http://www.franzludwig.de/, Juni 2012.

Heinz Duchhardt

Eine problematische Annäherung – Preußen und der Mittelrhein in der „Sattelzeit“ Jeder, der sich mit der preußischen Geschichte des 17./18. Jahrhunderts beschäftigt, tut gut daran, einen Quellentypus mit besonderer Akribie zu studieren, die Politischen Testamente der Kurfürsten bzw. Könige. In diesen Dokumenten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern einzig und allein für den Nachfolger im Amt zur vertraulichen Unterrichtung gedacht waren, haben die Hohenzollernfürsten ohne diplomatische Rücksichtnahme gewissermaßen frei von der Leber weg gesprochen – und nicht selten dann auch vom Leder gezogen. Friedrich II., der Große, wie die Nachwelt dann sagen sollte, hat zwei solche Dokumente verfasst, eins in der Krisensituation in den frühen 1750er Jahren, als ein neuerlicher Konflikt mit den europäischen Mächten absehbar wurde, und ein zweites einige Jahre nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges in der Phase des sogenannten Rétablissements. So sehr die beiden umfangreichen Texte auch sonst in den Einzelheiten differieren und veränderten Situationen Rechnung tragen, so sehr stimmen sie in Bezug auf die Bewertung der geistlichen Fürsten und namentlich des Kurfürsten von Mainz überein: Alle geistlichen Fürsten, so lesen wir fast gleichlautend, sind – das war 1752 und 1768 ein Verdikt – dem Haus Österreich verbunden, ja sind dessen Kreaturen, zählen zu jenem Chaos kleiner Staaten, die zu schwach sind, um selbständig zu handeln. Das war bei einem Mann, der in den Kategorien militärischer Potenz zu denken gewohnt war, der Staaten nach ihrer Finanzkraft und ihrer Allianzfähigkeit beurteilte, eine nahe liegende Einordnung, aber sie enthielt dann doch nicht die ganze Wahrheit. Friedrich der Große hat nämlich durchaus die geistlichen Staaten – also das, was man zeitgenössisch die Germania sacra oder auch die Pfaffengasse nannte – in sein politisches Kalkül einzuordnen gewusst, und das traf in besonderer Weise auf den Mainzer Kurfürsten zu. Er lag im Prinzip ja richtig mit seiner Einschätzung, dass die Mainzer Oberhirten und Landesherren – wie die meisten ihrer geistlichen Mitbrüder – sich eng an die Wiener Hofburg anlehnten, von der allein sie Schutz und Protektion erwarten durften – Schutz vor den Begehrlichkeiten ihrer protestantischen Nachbarn, Protektion, um den Status der jeweiligen Fa-

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milie zu wahren oder gar noch zu steigern, etwa durch Landvergabe, Standeserhöhung oder Ämter für Familienmitglieder. Die Mainzer Kurfürsten des 18. Jahrhunderts, ob man an die Schönborn-, Eltz- oder Ostein-Erzbischöfe denkt oder auch an den die Reihe der reichsritterschaftlichen Würdenträger eigentlich sprengenden hochfürstlichen Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, waren, bei allen Differenzierungen im einzelnen, nach Wien hin ausgerichtet, wiewohl in der Regierungszeit Emmerich Josephs von Breidbach-Bürresheim (1763–1774) eine leichte Abweichung insofern festzustellen war, als prominente Mitglieder der Landesregierung sich kulturell, aber auch politisch stärker an Versailles zu orientieren begannen. Ganz problematisch erwies es sich – naturgemäß – für die geistlichen Staaten, wenn wir diese Perspektive einmal einnehmen, ein einigermaßen unverkrampftes Verhältnis zu jener hochgerüsteten und allem Anschein nach dynamischen Großmacht im Nordosten des Reiches zu finden, die aber durch die verschiedenen politischen und dynastischen Wechselfälle bedingt längst auch im niederrheinischen und im westfälischen Raum fest etabliert und über Seitenlinien, deren Aussterben zudem absehbar war, auch im fränkischen Raum präsent, also unmittelbarer Nachbar einer ganzen Reihe von Hochstiften war. Seit der Reichsvizekanzler und nachmalige Bamberger Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn in den 1720er Jahren das Wort von den protestantischen „Potentiores“ geprägt hatte, also von Mächten – er hatte dabei die Welfen und die Hohenzollern im Auge –, die über kurz oder lang der Wiener Hofburg ihren Rang streitig machen, vielleicht gar die Kaiserwürde an sich ziehen und das ganze katholische Deutschland überrollen würden, war die Atmosphäre vergiftet und war an irgendeine politische Kooperation zwischen der Germania sacra und dem Hohenzollernstaat schlechterdings nicht zu denken – hier standen sich, so schien es, Feuer und Wasser auf Dauer unversöhnlich gegenüber. Und es war vor diesem Hintergrund dann auch leicht, Säkularisationsprojekte, von denen es im 18. Jahrhundert mehr als genug gab, Preußen in die Schuhe zu schieben, selbst dann, wenn sie einen ganz anderen Ursprung hatten – Preußen, so schien es, war der geborene Feind des Katholizismus und der geistlichen Staatenwelt; Preußen, der hochgerüstete, dynamische, skrupellose und egoistische Hohenzollernstaat, war das Gegenbild der Germania sacra schlechthin. Auch wenn mit Aufklärungstendenzen und an Frankreich orientierten Beamten in den geistlichen Stiften eine engere politische Verbindung mit dem französischen Königshof noch nicht in den Bereich des Denkbaren gerückt war, trat gleichwohl eine erkennbar größer werdende Distanz zu Wien ein, die nicht aus dem Nichts herrührte, sondern in der die Reichs-

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stände – beiderlei Konfession im übrigen – oft irritierenden neuen Reichspolitik des jungen Römischen Königs und präsumtiven Kaisers gründete. Ob man an Josephs II. Art, eine Reichskammergerichts-Visitation zu betreiben, oder an seine Versuche denkt, die Reichskirchenverfassung durch die Veränderung von Bistumsgrenzen im Hauruck-Verfahren wenigstens partiell außer Kraft zu setzen: Vor allem in der Germania Sacra wurde jede Beeinträchtigung der hergebrachten Reichsordnung sensibel und seismographisch registriert und veränderte mittelfristig die Mentalitäten der Funktionsträger. Die Chance, die sich hier politisch bot, erkannte man in Berlin nach dem Siebenjährigen Krieg rasch, als man sich bewusst wurde, dass das Reich die Bühne par excellence war, auf der man in dem auch nach dem Hubertusburger Frieden weiter schwelenden Machtkampf mit der Wiener Hofburg Punkte sammeln konnte. Das Reich wurde nach dem Siebenjährigen Krieg zum Forum eines teils offenen, teils verdeckten Machtkampfs zwischen Wien und Berlin, bei dem es jeder Seite darauf ankam, eine Klientel zu gewinnen oder zu halten und über die Reichsinstitutionen – vornehmlich den Reichstag – dem anderen Probleme zu bereiten. Für die Hohenzollern stellte sich die Situation nun so dar, dass man in den geistlichen Fürsten ein Potential erkannte, dessen numerisches Gewicht beachtlich war und dessen mögliche Neuorientierung die Wiener Hofburg empfindlich treffen musste. Was Mainz betrifft, so kam erschwerend hinzu, dass sein Kurfürst in der Reichsverfassung mit exzeptionellen Funktionen ausgestattet war: Als Reichserzkanzler war er für das regelgerechte Funktionieren des Reichstags ebenso verantwortlich wie für die Verwaltung des Reichskammergerichts, als Doyen des Kurfürstenkollegs, das für die Kaiser- bzw. Königswahlen zuständig war, kam ihm eine politische Schlüsselstellung zu, als kreisausschreibender Fürst des Kurrheinischen Kreises kam ihm bei der Reichsverteidigung gen Westen immerhin eine politische Rolle zu, auch wenn die militärische Leistungsfähigkeit dieses Kreises überschaubar blieb. Und wenn man denn schon in militärischen Kategorien dachte: Mainz, die Festung, war immerhin an der sensiblen Rheinachse eine Position, die Gewicht hatte und über die jede der Großmächte am liebsten selbst verfügt hätte. Wie auch immer: Berlin entdeckte nach dem Siebenjährigen Krieg auf einmal die Germania sacra als Objekt einer neuen Begierde, nicht im Sinn, sich ihrer zu bemächtigen, sondern im Sinn, sie im antihabsburgischen Sinn zu instrumentalisieren. Preußen verstärkte abrupt seine diplomatische Präsenz am Rhein, Preußen entsandte – ein Privileg, das bisher der Kaiser allein für sich reklamiert hatte – Diplomaten zu den anstehen-

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den Bischofs- bzw. Erzbischofswahlen und sondierte, lange bevor es zu Vakanzen kam, das Umfeld und mögliche Kandidaten, die vielleicht aus dem habsburgischen Lager abgezogen werden könnten. Dabei bediente die Krone Preußen sich nicht selten solcher Personen, die in der jeweiligen Residenz sozial verankert waren – nach Mainz wurde beispielsweise in den 1780er Jahren ein älterer Bruder des nachmaligen preußischen Reformers Karl vom und zum Stein entsandt, dessen Familie, obschon protestantisch, zur – wenn man so sagen darf – Dienstmannschaft des Erzstifts zählte. Die preußische Präsenz bei den geistlichen Wahlen erreichte zwar nie die Intensität der kaiserlichen Diplomatie, die ja einen förmlichen Wahlkommissar entsandte, dem u.a. auch das Recht der direkten Vorsprache beim Domkapitel zukam und der den Gewählten dann umgehend im kaiserlichen Namen beglückwünschte, aber die informelle Anwesenheit preußischer Diplomaten veränderte doch ganz direkt das gesamte Wahlgeschäft. Preußen, so ist es formuliert worden, rückte damit peu à peu in der Germania sacra in die Position von einer Art Gegenkaiser hinein, wobei seine politische Argumentation immer deutlicher auf den Topos hinauslief, der Kaiser trete die Reichsverfassung mit Füßen und Preußen sei die Macht, die fortan den Erhalt und die Weiterentwicklung der Reichsverfassung werde schützen müssen – und dies auch wolle. Dass es mit dieser Weiterentwicklung der Reichsverfassung freilich so weit dann doch nicht her war, veranschaulichte die Geschichte des sogenannten Fürstenbundes, in den Preußen seit 1784 die kleinen Reichsstände im sogenannten Dritten Deutschland hineinzuziehen begann, die dieser Einladung auch in beachtlicher Zahl folgten, deren heimliches Ziel, das Reich zu reorganisieren, Preußen dann aber nicht einmal ansatzweise aufgriff. Auch ein von Reformprojekten erfüllter Mann wie Karl Theodor von Dalberg sollte in diesem Punkt rasch desillusioniert werden. Dieser Konvergenzprozess wurde aber durch wenigstens noch zwei weitere Faktoren – neben den erwähnten Ungeschicklichkeiten Josefs II. – begünstigt: Man hat zu registrieren, dass das berühmte Renversement des alliances von 1756, das von einem Tag zum anderen eine traditionelle Negativgröße wie Frankreich zum Alliierten der Hofburg gemacht hatte, spürbare Unsicherheiten nach sich gezogen und zu der Überzeugung geführt hatte, dass man nicht jeden machtpolitisch bedingten Schritt des Kaiserhofes partout und in absoluter Solidarität nachvollziehen müsse. Zudem hat man das unbestreitbare Prestige in Rechnung zu stellen, das Friedrich II. im und durch den Siebenjährigen Krieg zugewachsen war. Man muss die zum guten Teil vom Berliner Hof selbst inszenierte Propaganda sicher nicht zum Maßstab aller Dinge machen, die in Friedrich II.

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den neuen deutschen Heros schlechthin, die militärische und politische Lichtgestalt der Epoche, erblicken wollte – es sei hier nur an die Gedichte von Thomas Abbt, Johann Wilhelm Gleim oder Ewald von Kleist erinnert. Aber dass sich auch die katholische Staatenwelt diesem neuen FriedrichBild, das den Preußenkönig in die Nähe einer protonationalen Identifikationsfigur rückte, nicht gänzlich entziehen konnte, scheint auf der Hand zu liegen. Einen politischen und auch öffentlichkeitswirksamen Erfolg stellte es für Preußen aber zweifellos dar, dass es seiner Diplomatie gelang, auch den Mainzer Kurfürsten Erthal, der 1774 gewählt worden war, und den seinen Reformen gegenüber besonders aufgeschlossenen designierten Nachfolger, den Koadjutor Dalberg, in den Rheinbund hineinzuziehen. Wie bereits angemerkt: Die Hoffnungen, die man in Mainz mit diesem Schritt verband, weitere reichsrechtliche Verfehlungen des Kaisers zu verhindern und die Chance zu nutzen, wenigstens Teilreformen der Reichsverfassung anzupacken, sollten sich nicht erfüllen, aber der Schritt war nun einmal getan: ein Bündnis mit der protestantischen Vormacht im Reich war auch für einen geistlichen Fürsten nicht mehr ausgeschlossen. Dem kam entgegen, dass auch im die geistlichen Stifte tragenden Ritterschaftsadel im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ein signifikanter Paradigmenwechsel eingetreten zu sein schien. Die Preußen-Option der Staaten wurde nun auch sozialgeschichtlich vorbereitet. Das traf für die eine oder andere katholische Familie zu, die – wie die Stadion – ihre Söhne immerhin schon einmal auf Kavalierstour nach Preußen schickten oder gar – wie die fränkischen Rotenhan – sich mit Erfolg um preußische Dienstchargen und Titel bemühten. Ich wähle aus nahe liegenden Gründen – weil dieses Thema mich in den zurückliegenden Jahren sehr intensiv beschäftigt hat – freilich ein protestantisches Beispiel, das der freiherrlichen Familie vom Stein aus dem unteren Lahntal, für die – notabene Protestanten – der Beamtendienst nicht etwa bei den unmittelbar angrenzenden, aber immer argwöhnisch beäugten glaubensverwandten Grafen von Nassau, sondern in den benachbarten Hochstiften Mainz und Trier fast selbstverständlich war, wenn die Blicke nicht gleich nach Wien gingen. Der Vater des späteren preußischen Reformers war beispielsweise ein hoher Hofbeamter in Mainz, der unter anderem auch als Mainzer Delegierter an zwei Königs- bzw. Kaiserwahlen teilnahm. Bei der Generation der in den 1750er Jahren geborenen Söhne stellte sich das dann aber ganz anders dar. Einer der älteren Brüder Karls trat in den preußischen Militärdienst ein, ein anderer, in den Quellen meist nur der Landjägermeister genannt, fand zeitweise – er wurde indirekt schon angesprochen – als preußischer Diplomat Verwendung, der zweitjüngste

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aus der Brüdergarde entschied sich, wie bekannt, für den preußischen Verwaltungsdienst und sollte dort eine der maßgebenden Figuren des frühen 19. Jahrhunderts werden und den Übergang Preußens zur Modernisierung einleiten. Hier ist ein Blick auf die näheren Umstände erhellend: Die Familie hatte für den Absolventen der Göttinger Universität weit eher eine Karriere an einer der Reichsinstitutionen im Auge, vorzugsweise wohl entweder beim Wetzlarer Reichskammergericht, wo er ein längeres Praktikum absolvierte, oder beim Wiener Reichshofrat, wohin Karl vom Stein dann auch seine berufsorientierende Kavaliersreise führte. Aber der junge Mann entschied sich gegen die Vorstellungen seiner Eltern – später, in einer vier Jahrzehnte später niedergeschriebenen knappen Autobiographie, hat er diese Entscheidung mit der Faszination erklärt, die für ihn von der Gestalt Friedrichs II. ausging. Es sei zugegeben, dass für die große Masse der Reichsritter, vor allem auch den katholischen Teil, die Straße nach Wien die Hauptstraße blieb – die Stadion-Brüder und Metternich wurden eben keine preußischen Beamten –, aber die Straße nach Berlin war zumindest jetzt begehbar, schien einigermaßen befestigt und war zu einer veritablen Alternative geworden. Diese Beispiele sollen nicht verabsolutiert werden, aber in der Summe scheinen sie doch die Schlussfolgerung nahezulegen, dass Preußens Prestige in dieser Region des Reiches und auch in den geistlichen Staaten am Ende des Ancien Regime erkennbar zugenommen hatte – es mag etwa nur noch daran erinnert werden, dass nach Goethes Eindruck die Reichsstadt Frankfurt nach dem Siebenjährigen Krieg ganz und gar „fritzisch“ gesinnt war, es mag etwa auch ins Gedächtnis zurückgerufen werden, wie oft die jungen Prinzen aus den verschiedenen hessischen Linien in Preußen und nirgendwo sonst ihre militärischen Karrieren starteten. Preußen war am Beginn des revolutionären Einschnitts für viele kleine und größere Potentaten im hessisch-rhein-mainischen Raum zu einer Orientierungsmacht geworden und stand nahe davor, der Hofburg hier den Rang abzulaufen. Der Baseler Separatfriede Preußens mit dem revolutionären Frankreich (1795) kostete in dieser rheinisch-hessischen Perspektive viel, ließ von diesem neuen Prestige viel wieder wegbrechen. Irgendwie hatten die Mindermächtigen im Rhein-Main-Gebiet wohl in den zurückliegenden Jahren den Eindruck gewonnen, dass Preußen in die Rolle jenes Staates hineinwachsen würde, der sich ernsthaft um Erhalt und Fortbestehen des Reiches kümmern würde, nachdem weite Teile des Dritten Deutschland in dieser Hinsicht das Vertrauen in die Hofburg verloren hatten. Und nun das: der Baseler Friede, mit dem Preußen nicht nur aus der gemeinsamen Sache, der Bekämpfung der revolutionären Umtriebe im Nachbarland und der Liquidation der Institution des Königtums, ausstieg, sondern zu allem

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Überfluss auch noch auf alle seine linksrheinischen Besitzungen verzichtete – und damit, so musste es scheinen, dem Revolutionsregime carte blanche gab, sich dieser gesamten Region zu bemächtigen. Wir wissen durch die Forschungen von Karl Härter zwar, dass sich Preußen damit nicht auch der Mitwirkung in den Reichsgremien, insbesondere dem Reichstag, entzog, aber das Vertrauen bei vielen der Mindermächtigen war dahin: Preußen hatte sich, so war der bestimmte Eindruck, aus der Mitverantwortung gestohlen. Und es wäre dann vielleicht auch zu viel Blauäugigkeit gewesen, wenn man angenommen hätte, Berlin hätte sich dem Untergang der Germania sacra, wie er seit dem Reichsdeputationshauptschluss unumkehrbar geworden war, irgendwie in den Weg gestellt – ein solches Maß an Selbstverleugnung und Altruismus durfte man bei den Neffen und Großneffen Friedrichs II., die seine Politischen Testamente gelesen hatten, nun wirklich nicht erwarten. Für Preußen kam es bei diesem Prozess auf etwas anderes an: Dass diese gewissermaßen herrenlose Ländermasse nicht auf Dauer in französischen Händen blieb und, soweit von strategischer Bedeutung, möglichst unter preußische Kontrolle geriet. Das betraf ganz elementar die Festung Mainz, um die Preußen zu dem Zeitpunkt, als die Frage im Raum stand, wem dieser Teil des Mittelrheins zufallen würde, engagiert zu kämpfen begann – nicht zwingend in dem Sinn, diese Stadt dem eigenen Staatsgebiet einzuverleiben, aber in dem Sinn, sie nicht etwa in die Hände Bayerns fallen zu lassen, das seine „nationale“ Unzuverlässigkeit ja in den napoleonischen Kriegen zur Genüge unter Beweis gestellt hatte und das ganz offen mit dem Gedanken umging, von Aschaffenburg aus eine Mainz einschließende Art Landbrücke zu seinen pfälzischen Besitzungen herzustellen. Es bedurfte insofern erst der tragenden Rolle, die Preußen im sogenannten Befreiungskrieg übernahm, um das Prestige des Hohenzollernstaats in der öffentlichen Meinung wieder erkennbar wachsen zu lassen. Mit seiner auf dem Wiener Kongress beschlossenen Vergrößerung um die neue sogenannte Rheinprovinz wurde Preußen nun zum unmittelbaren Nachbarn des erheblich kleiner gewordenen Samples von Staaten in der rhein-mainischen Geschichtslandschaft, und da angesichts der Tatsache, dass alle überlebenden und/oder neu geschnittenen Staaten inzwischen mehrkonfessionelle Gebilde geworden waren, die Konfessionsfrage also nun endgültig keine Rolle mehr spielte, war dieser Prozess mit einer dezenten neuerlichen Positivierung des Preußen-Bildes verbunden. Wenn ich von einer neuerlichen Positivierung des Preußen-Bildes in der RheinMain-Region nach dem Wiener Kongress spreche, dies aber mit dem Adjektiv „dezent“ versehe, so bedarf dieser Befund noch einiger Belege.

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Zum einen wirkte der stramm reaktionäre Kurs, den Berlin spätestens nach den unmittelbar durch das Kotzebue-Attentat ausgelösten Karlsbader Beschlüssen von 1819 fuhr, auf eine Staatenwelt, in der wenigstens teilweise die französischen Institutionen – so in Rheinhessen – Eingang gefunden hatten und die vor der Hintergrund ihrer Zugehörigkeit zum Rheinbund ein deutlich höheres Modernisierungspotential aufwies, eher abstoßend denn einnehmend. Belegt werden kann und soll das zum einen anhand der Resonanz auf die aggressive preußische Wirtschaftspolitik, zum anderen anhand der Reaktionen der Menschen auf die preußische Militärpräsenz am Mittelrhein, hier ganz konkret in der Bundesfestung Mainz. Als Beleg für das erste Thema sei hier das Beispiel Nassau gewählt, das seine staatliche Erhaltung und Konsolidierung auf dem Wiener Kongress ganz zentral Preußen verdankt hatte, sich seitdem aber mit diesem Staat konfrontiert sah, der zwei Drittel seines Territoriums umschloss und 1818 zu einem Grenzzollsystem überging, das nassauischen Exporten, ob man nun an agrarische Erzeugnisse, Eisen und Eisenwaren oder auch das Selterswasser denkt, fast keine Chance mehr ließ. Durch die Ausfuhrzölle stiegen zugleich die Preise der eingeführten preußischen Güter so exorbitant, dass der Warenaustausch nahezu zum Erliegen kam. Nassau drohte unter die wirtschaftliche Hegemonie des übermächtigen Nachbarn zu geraten, und das sorgte nicht nur in der Regierung für erheblichen Unmut. Im Unterschied zu mitteldeutschen Nachbarn Preußens, vor allem von in preußisches Gebiet eingesprengten Enklaven, die sich dem preußischen Zollsystem vertraglich anschlossen, suchte das Herzogtum sich zunächst mit Preußen über einen gegenseitigen Verzicht auf die Erhebung von Zöllen zu verständigen, und als sich das nicht realisieren ließ, führte Nassau dann 1822 ein eigenes Grenzzollsystem ein. Freilich wurde der nassauische Spielraum immer enger, je mehr süd- und westdeutsche Bundesstaaten sich nolens volens dem preußischen System anschlossen. Gegen die zunehmende Abkapselung Nassaus regte sich freilich im Innern immer heftigerer Widerstand; Anfang der 1830er Jahre kam es zu fast revolutionär zu nennenden Unruhen, u.a. der Rheingauer Weinbauern, die 1831 eine erste große Zollvereinsdebatte in den Landständen erzwangen. Um vor dem Hintergrund der absehbaren Vereinigung des preußischhessischen und des süddeutschen Zollvereins zu einem einheitlichen Zollgebiet nicht völlig ins Abseits zu geraten, musste sich Nassau am Ende aber doch zähneknirschend bereit finden, seine Zukunft in dem von Preußen angesteuerten und gesteuerten Deutschen Zollverein zu sehen – zähneknirschend und eher contre cœur, denn dieser über zehnjährige, von erheblichen Pressionen begleitete Wirtschaftskampf hatte in Nassau viele antipreußische Gefühle geweckt, vielleicht auch nur wiederaufgefrischt.

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Das zweite Beispiel: Die militärische Präsenz der beiden Direktorialmächte des neuen Deutschen Bundes in Mainz, festgelegt im Frankfurter Staatsvertrag von 1816, war eine der Kröten, die der ansonsten souveräne Großherzog von Hessen-Darmstadt schlucken musste – eine Konzession, die sich der vermeintlich weiterhin durch Frankreich bedrohten Sicherheit schuldete, die es zu verlangen schien, dass die beiden militärisch am besten aufgestellten deutschen Großmächte militärische Schlüsselpositionen im französischen Vorfeld übernahmen. Diese militärische Präsenz Preußens und Österreichs – insgesamt je hälftig 7.000 Mann umfassend – war nicht nur für das Sozialleben der Stadt ein erheblicher Einschnitt, sondern spiegelte auf ihre Weise auch die latenten Spannungen zwischen den beiden deutschen Großmächten, was in der Bundesfestung u.a. dazu führte, dass den Soldaten unterschiedliche Bezirke zum Kneipenbesuch zugewiesen wurden. Die Eingriffe in das städtische Leben waren gravierend, und sie schlugen durchweg nicht zu Gunsten der Preußen aus – Österreich war in der überwiegend katholischen Stadt, auch historisch bedingt, um Längen populärer, deswegen war es beispielsweise auch deutlich leichter, Bürgerquartiere für österreichische Soldaten zu finden als für preußische. Das führte umgekehrt natürlich auch zu einer denkbar schlechten Presse von Mainz in Preußen; ein preußischer Beobachter bezeichnete die Stadt 1833 – und ein solcher Befund war in seiner perhorreszierenden Wirkung kaum noch zu übertreffen – als Zentralpunkt revolutionärer Bestrebungen im Großherzogtum. Insofern hatte es bei deutlichen Aversionen beiderseits aus preußischer Sicht auch Sinn gemacht, die sogenannte Zentraluntersuchungskommission für demagogische und demokratische Umtriebe nach den Karlsbader Beschlüssen just in Mainz zu platzieren. Mainz erhielt damit ganz gezielt und bewusst ein Negativimage. Vor einer solchen Folie – einer deutlichen Preußenfeindschaft, die im Lauf der Jahre keineswegs abnahm – kann es kaum erstaunen, dass im Verlauf der 1848er Revolution, in der es auch in Mainz zu Übergriffen auf hessische Funktionsträger gekommen und eine Bürgerwehr gebildet worden war, am Ende sich der ganze Zorn der kokardengeschmückten Demokraten gegen die preußischen Soldaten richtete, von denen unter dem Ruf „Schlagt die Preußen tot“ immerhin einige mehr oder weniger ernsthaft verletzt und fünf getötet wurden. Das ist eine winzige Episode, die aber illustriert, dass vieles von dem Prestige, das sich Preußen durch seine Führungsrolle im Befreiungskrieg erworben hatte, im Vormärz rasch wieder abbröckelte, je mehr man am Mittelrhein, im Rhein-Main-Gebiet, den Eindruck gewann, dass sich der Hohenzollernstaat jeglicher politischen Modernisierung verschloss und

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neben dem Donaustaat mehr und mehr zur reaktionärsten Bundesmacht wurde, die über keine Verfassung verfügte und keine wirkliche Gesamtrepräsentation kannte. Man wird somit um den Befund nicht herumkommen, dass es bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein sehr schwieriger Prozess des Zueinander-Findens war, dass viele Reserven blieben oder sich dann sogar noch verstärkten. Mentalitäten wandeln sich eben nur sehr allmählich, meist nicht einmal innerhalb zweier oder dreier Generationen, und mit Preußen hatten die Menschen in dieser Region offenbar erhebliche Schwierigkeiten, sich zu akkomodieren. Dabei hatten sie es noch vergleichsweise gut, denn – anders als die Westfalen oder die Rheinländer – wurden sie immerhin noch nicht in den preußischen Staatsverband hineingezwungen. Ich habe im Titel dieses Vortrags zugespitzt von einer problematischen Annäherung gesprochen, und nach unserem Befund ist klar: diese Formulierung muss nicht relativiert oder gar völlig verändert werden. Wenn es zunächst konfessionelle und in den ganz verschiedenen Weltbildern und Weltsichten liegende Gründe waren, die die geistlichen Staaten und Kurmainz als ihren Wortführer in einen scharfen Gegensatz zu Preußen brachten, so scheint sich diese kritische Haltung erst in dem Moment etwas relativiert zu haben, als Preußen seinerseits auf die geistlichen Staaten zuging und diese für einen Moment glaubten, in Preußen eine neue Schutzmacht anstelle des sie restlos enttäuschenden habsburgisch-lothringischen Kaisers zu finden. Der Fürstenbund war die Peripetie dieses Bewusstseinsänderungsprozesses, aber er blieb eine Episode. Natürlich hat sich Preußen nicht für den Erhalt der geistlichen Staaten engagiert und es nur aus alter Freundschaft hingenommen, dass für den Koadjutor Dalberg zunächst noch eine Ausnahmeregelung in Gestalt des Dalberg-Staats Platz griff. Man hat es in Mainz insofern auch eher mit gemischten Gefühlen registriert, dass Preußen sich dem Anfall der eigenen Stadt und Festung an das Königreich Bayern so vehement in den Weg stellte. Und seiner rigiden Innenpolitik wegen konnte Preußen auch nach 1815 in einer Stadt, die die französischen Institutionen und Freiheiten erlebt hatte, nicht mit viel Sympathie rechnen. Dass sich 1848 die Emotionen deswegen gegen die preußischen Soldaten kehrten, mag vor dieser Folie vielleicht verständlich erscheinen.

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Quellen und weiterführende Literatur Die Politischen Testamente des brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Königs sind zu benutzen in der historisch-kritischen Ausgabe von: Richard Dietrich: Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln/Wien 1986. Die mit Abstand beste biographische Aufarbeitung Friedrichs des Großen: Johannes Kunisch: Friedrich der Grosse. Der König und seine Zeit, München 2004. Zur Reichspolitik Friedrich des Großen vgl.: Volker Press: Friedrich der Große als Reichspolitiker. In: Friedrich der Große, Franken und das Reich, hrsg. von Heinz Duchhardt, Köln/Wien 1986, S. 25–56. Zum Spannungsverhältnis Preußen/geistliche Staaten vgl. exemplarisch: Alfred Schröcker: Ein Schönborn im Reich. Studien zur Reichspolitik des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn (1655–1729), Wiesbaden 1978. Zur späten Geschichte des Kurerzstifts Mainz immer noch: T. C: W. Blanning: Reform and Revolution in Mainz 1743–1803, Cambridge 1974. Fallstudie: Bernd Blisch: Friedrich Carl Joseph von Erthal (1774–1802). Erzbischof – Kurfürst – Erzkanzler, Frankfurt a. M. 2005. Preußen als „Gegenkaiser“: Karl Otmar Frhr. von Aretin: Heiliges Römisches Reich 1776–1806, 2 Bde., Wiesbaden 1968. Grundlegend für die Spätgeschichte des Alten Reiches auch: ders.: Das Alte Reich 1648-1806, Bd. 3: Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745–1806), Stuttgart 1997. Mittelrheinische katholische Adlige in preußischen Diensten bzw. mit Affinitäten: Freundliche Hinweise von Herrn Dr. Hilmar Tilgner, Seibersbach. Freiherr vom Stein: Heinz Duchhardt: Stein. Eine Biographie, Münster 22011. Ders.: Freiherr vom Stein. Preußens Reformer und seine Zeit, München 2010. Preußen und das Reich nach dem Basler Sonderfrieden: Karl Härter: Reichstag und Revolution 1789–1806. Die Auseinandersetzung des immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich, Göttingen 1991. Preußen und Nassau: Winfried Schüler: Das Herzogtum Nassau 1806-1866. Deutsche Geschichte im Kleinformat, Wiesbaden 2006. Mainz im Vormärz: Mainz und die soziale Frage in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zum Todestag von Oberbürgermeister Carl Wallau und Bischof Ketteler. Katalog zur Ausstellung im Rathausfoyer Mainz 4.8.–4.9.1977. o. O. 1977.

Anton Neugebauer

Das architektonische Erbe Preußens am Rhein Vor ziemlich genau dreißig Jahren, in den Jahren 1980 und 1981, erschien die von Eduard Trier und Willy Weyres herausgegebene monumentale „Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland“. Knapp 50 Kunsthistorikerinnen und -historiker unternahmen damals den gelungenen Versuch einer Gesamtdarstellung der Malerei, Graphik und Photographie, der Plastik, der Architektur, des Kunsthandwerks, des Museumswesens und der Denkmalpflege im Gebiet der einstigen preußischen Rheinprovinz. Ihr Anliegen war eine Dokumentation und zugleich eine Neubewertung der Kunst der Romantik und des Historismus, des bis dahin belächelten Biedermeier, des als Ausdruck künstlerischer Schwäche verachteten Stilpluralismus und der als Kitsch verworfenen Zeugnisse des „Pompösen Zeitalters“. Der behandelte Zeitraum deckt sich weitgehend mit der Epoche der Hohenzollernherrschaft am Rhein vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg. In den vorangegangenen Jahrzehnten der Zugehörigkeit des linksrheinischen Deutschlands zu Frankreich waren zwar zahlreiche Kunst- und Bauwerke in Folge der Säkularisierung und Ausplünderung der Klöster und Stifte und des Abbruchs von Monumenten des Ancien Régime verloren gegangen, die man als Nationalgüter auf den Markt geworfen hatte, aber République und Empire hatten kaum nennenswerte neue Zeugnisse hervorgebracht. Je einer der insgesamt fünf Bände dieser Kunstgeschichte war der Malerei, der Plastik und dem Kunsthandwerk gewidmet, jedoch zwei mit zusammen rund 1.000 Seiten der Architektur. Und das war auch gut so, denn die Kenntnis und die Wertschätzung der romantischen und historistischen Baukunst und damit das Bewusstsein für ihre Schutzwürdigkeit waren Anfang der 1980er Jahre noch keineswegs Allgemeingut. König Friedrich Wilhelm III. hatte mit der Kabinettsordre vom 20. Juni 1830 den Stadtgemeinden in Preußen „die willkürliche Abtragung ihrer Stadtmauern, Thore, Thürme, Wälle“, wenn auch zunächst aus polizeilichen und militärischen, dann aber auch aus denkmalpflegerischen Gründen, untersagt. 135 Jahre später riss die Stadt Koblenz die zum Teil erst in Folge des Bombenkrieges freigelegte staufische Stadtmauer samt einer Reihe hoher Stadttürme ab. An ihrer Stelle präsentierte sich der schon bald als öde und unwirtlich empfundene Zentralplatz. Wenn schon

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mittelalterliche Wehrbauten dem Fortschritt in Gestalt einer unter dem Platz angelegten Tiefgarage nicht länger im Weg stehen durften, konnte es um die Erhaltung von Architekturdenkmälern viel späterer Epochen nicht besser bestellt sein. Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 hatte zwar ein Umdenken eingeleitet, das aber erst sehr langsam auch bei den politisch Verantwortlichen ankam. Die Deutschen Bundespost Berlin zeigte auf einer Sondermarke zum Denkmalschutzjahr eine typische Kreuzberger Häuserzeile. Dass Häuser des 19. Jahrhunderts genauso zur schützenswerten Bausubstanz gehören können wie die mittelalterlichen Stadtkerne mit ihren Kirchen, Rathäusern und Fachwerkbauten, die auf den Marken der Deutschen Bundespost prangten, hatte für die preußische Metropole Berlin Wolf Jobst Siedler schon 1964 in seiner programmatischen Polemik „Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum “ in Wort und Bild deutlich gemacht. Aber dort wie erst recht in der rheinischen Provinz blieb das architektonische Erbe der Hohenzollernzeit, also des ungeliebten 19. Jahrhunderts, noch lange bedroht. Dazu trug sicher auch die oft kultivierte Abneigung der mehrheitlich katholischen Rheinländer gegen die protestantischen Okkupanten aus dem gern als kulturlos angesehenen Osten bei. Zudem mussten die monarchischen Denkmäler des Bismarckreichs und des Wilhelminismus dem demokratischen Nachkriegsdeutschland ein Gräuel sein. Albrecht Manns (RWTH Aachen) wichtige Studie „Die Neuromanik. Eine rheinische Komponente im Historismus des 19. Jahrhunderts“ (1966) beschränkte sich weitgehend auf den Kirchenbau von 1820 bis zur Jahrhundertmitte, ging primär auf Bauten von Architekten (oft rheinischer Herkunft) wie Johann Claudius von Lassaulx, Ernst Friedrich Zwirner, Friedrich August Stüler und deren Umfeld ein. Nur ein ganz kurzes Kapitel behandelt „Die Neuromanik im Zeitalter des Eklektizismus“ am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin, die nach dem Vorbild der Gelnhausener Marienkirche von Franz Schwechten in den Jahren 1891 bis 1895 errichtet worden war. Mann endet dieses Kapitel mit der Feststellung: „Im städtebaulichen Aspekt und in der entsprechenden Wahl des Vorbildes liegt die Leistung. Das allein macht aber noch kein Kunstwerk aus“ (Mann 1966, S. 54). Und er beschließt seine Monographie mit dem Satz. „Vermutlich behält jedoch der Historismus im Bauwesen des vorigen Jahrhunderts, wie er am Wege der Neuromanik vom Rheinland nach Berlin dargestellt wurde, für längere Zeit seine Wirkung als abschreckendes Beispiel“ (Mann 1966, S. 161). Franz Schwechten hatte auch im Rheinland in den Jahren um 1900 Bauten entworfen, z.B. die Eisenbahnbrücken in Köln wie auch in Mainz,

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Die Kaiserbrücke in Mainz

denn die großherzoglich-hessischen Bahnen waren 1897 in die Preußischen Staatseisenbahnen integriert worden. Dass diese Brücken nach 1945 ihre für die Fernsicht so wichtigen, mittelalterlicher Wehrarchitektur angenäherten Türme verlieren konnten, nimmt eigentlich nicht wunder, wenn sie selbst in den Augen eines Baugeschichtlers keine Kunstwerke waren. Aber schon zwei Jahre nach Manns „Neuromanik“, 1968, veröffentlichte Michael Bringmann (ab 1978 an der Universität Mainz tätig) seine „Studien zur neuromanischen Architektur in Deutschland“, eine Heidelberger Dissertation, die in ihrer Zusammenfassung im SupplementBand zur Stuttgarter Staufer-Ausstellung 1979 weite Verbreitung fand. Unter dem Titel: „Gedanken zur Wiederaufnahme staufischer Bauformen im späten 19. Jahrhundert“ ging Bringmann den Intentionen des kaiserlichen Bauherren Wilhelm II. nach und warb um Verständnis für die Qualitäten dieser Bauten als wichtigen Zeugnissen seines Herrschaftsverständnisses. Diese wilhelminische „Neo-Staufik“ orientierte sich an der rheinischen Spätromanik, aber auch an der normannisch-staufischen Kunst im Südreich Friedrichs II. So erlebte die Mosaikkunst um 1900 eine neue Blüte. Ausgeführt wurden diese späthistoristischen Mosaiken meist von der Rixdorfer Firma Puhl und Wagner. Deren Firmengebäude waren aus Marketinggründen und als Referenzobjekte in romanischen Formen, wiederum nach Plänen von Franz Schwechten, errichtet worden. Nachdem die Gebäude kurz zuvor noch in Johannes Schaafs Debütfilm „Täto-

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wierung“ eine großartige Kulisse abgegeben hatten, meldete die Firma 1969 Konkurs an, das Land Berlin übernahm die Anlage und ließ sie zugunsten einer Umgehungsstraße 1972 abreißen. Das ZEIT-Magazin widmete ihr einen elegischen Nachruf. Solche Nachrufe hätte es in diesen Jahren noch viele geben können, auch im einst preußischen Rheinland: Bis weit in die 1980er Jahre und damit noch lange nach Inkrafttreten des rheinland-pfälzischen Denkmalschutz- und -pflegegesetzes von 1978 verschwanden z.B. in Neuwied die Provinzialblindenanstalt von Clemens Caspar Pickel, in Koblenz die Kaltwasserbadeanstalt in der Laubach, die Erbgroßherzog-Friedrich-Kaserne auf der Karthause und das Kloster Maria Trost in Kesselheim, eine Besserungsanstalt für „gefallene Mädchen“, deren vierschiffige Kapelle vielleicht weltweit einmalig war. Für diese Bauten sah man keine Nutzungsmöglichkeit, sie entsprachen nicht mehr dem modernen Standard, sie waren durch Straßenbaumaßnahmen ohnehin geschädigt usw. Natürlich konnten und können nicht alle Denkmäler der preußischen Ära als Kulturdenkmäler erhalten werden, dazu waren und sind es einfach auch zu viele. Dies zeigt schon ein Blick in die beiden erwähnten Architektur-Bände der rheinischen Kunstgeschichte. Der erste behandelt den Kölner Dom, den katholischen und den evangelischen Kirchenbau, Synagogen, Klöster, Konvikte und Seminare, Krankenhäuser und daneben die übergreifenden Themen „Kunstwerke in der Landschaft“ und „Denkmalpflege“. Der zweite Band ist dem Profanbau vorbehalten: Regierungsgebäude, Gerichtsgebäude, Rathäuser, Post- und Zollbauten, Hochbauten der Eisenbahn, Eisenbahn- und Straßenbrücken, Militärbauten, Schulbauten, Hochschulbauten, Theater, Kasinobauten, Museums- und Ausstellungsbauten, Badebauten, Zoobauten, Banken und Versicherungen, Waren- und Kaufhäuser, Fabrikbau, Schloss- und Burgenbauten, den Wohnhausbau, Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet und schließlich die Stadtbaukunst. Aus dem Inhaltsverzeichnis wird deutlich, dass in Folge der Industrialisierung und dem mit ihr einhergehenden gewaltigen Bevölkerungswachstum in den Städten zahlreiche aktuelle Aufgaben auf die neue Preußische Bauverwaltung in der Rheinprovinz zugekommen waren: - wegen der Notwendigkeit hygienischer Fürsorge, - dank der Erschließung des Raumes durch die neuen Verkehrsmittel, insbesondere die Eisenbahn: Bahnhofs-, Tunnel-, Brückenbauten, Wassertürme, Drehscheiben, Lokschuppen usw., und aufgrund der neuen Kommunikationsmittel Post und Telegraph, - angesichts der Ansprüche an die Kulturpflege: Bis ca. 1950 war das 1889 gebaute preußische Provinzialmuseum in Trier das erste und einzige staatliche Museum in Rheinland-Pfalz,

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- wegen des Raumbedarfs einer modernen Verwaltung: Rathäuser, Landratsämter, Bezirksverwaltungen, - für die militärische Absicherung der neu gewonnenen Gebiete links des Rheins: Kasernen, Festungen, - nach der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht: So finden wir flächendeckend im ehemaligen Regierungsbezirk Koblenz die Schulbauten von Johann Claudius Lassaulx und seinen Nachfolgern. Kein Wunder, dass bis heute Städte und Gemeinden, ja weite Teile der Kulturlandschaft des Rheinlandes, wenn wir nur an die Tunnelportale an Rhein, Mosel und Ahr denken, durch diese Bauten aus 100 Jahren königlich preußischer Präsenz geprägt sind. Aber Kasernen, Postämter und Bahnhöfe brauchen wir nicht mehr oder nur noch in viel kleinerem Zuschnitt. So bleiben viele preußische Architekturzeugnisse gefährdet, andere finden dagegen großes öffentliches Interesse. Im Folgenden gehe ich auf einige dieser Bauten ein, die im südlichen Teil der Rheinprovinz, also im heutigen Rheinland-Pfalz liegen, die in der Zeit der Monarchie und unter persönlicher Teilnahme der Monarchen gebaut wurden. Das Kaiserdenkmal am Deutschen Eck Am 30. Januar 2011 war der 100. Todestag eines Künstlers, dessen Name, wie wahrscheinlich die Namen der meisten „offiziellen“ Maler, Bildhauer und Architekten seiner Zeit, heute weitgehend vergessen ist: Emil Hundrieser, geboren am 13. Januar 1846 in Königsberg, seit 1873 als Bildhauer in Berlin tätig, von 1895 an Professor an der Preußischen Akademie. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Bruno Schmitz entstanden seine bekanntesten Werke, die Reiterdenkmäler für Wilhelm I. auf dem Kyffhäuser und am Deutschen Eck in Koblenz, beide 1897 im 100. Geburtsjahr des Königs in Anwesenheit des Enkels Wilhelm II. eingeweiht. Wie die Gremien in den anderen preußischen Provinzen hatte auch der Rheinische Provinziallandtag gleich nach dem Tod des Kaisers die Errichtung eines Provinzialdenkmals beschlossen. Als Standorte waren unter anderen eine Rheininsel, ein Felshang bei Königswinter und der Platz vor dem Koblenzer Schloss vorgesehen, wo Wilhelm, der Prinz von Preußen, als Militärgouverneur mit seiner Frau Augusta gewohnt hatte. Ihr widmete die Stadt Koblenz ein bis heute erhaltenes und gepflegtes Denkmal (von Karl Friedrich Moest und Bruno Schmitz, 1896) in den Rheinanlagen, da sie maßgeblich diese von Peter Joseph Lenné gartenkünstlerisch entworfenen Koblenzer Anlagen initiiert hatte, ohne die es 2011 keine Bundesgartenschau in Koblenz gegeben hätte. Wilhelm II. selbst fällte aber die Entscheidung für das Deutsche Eck als Standort, den Zusammenfluss von

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Koblenz, Deutsches Eck und Festung Ehrenbreitstein

Rhein und Mosel, eine kluge Wahl, denn das monumentale Denkmal setzte einen unübersehbaren Akzent an diesem exponierten Ort der mittelrheinischen Landschaft, der heute linksrheinisch das Nordende der UNESCO-Welterbelandschaft markiert und somit ein Teil des universalen Patrimoniums ist. Diese Platzierung wurde, nicht von Wilhelm selbst, sondern in den vaterländisch-schwülstigen Festgedichten anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten, eindeutig politisch gedeutet: Dem Sieger über Frankreich „Wilhelm dem Großen“ (dieses Epitheton wiederum versuchte Wilhelm II. – vergeblich – durchzusetzen) errichtet sein Enkel ein Monument genau dort, wo der aus dem Elsass, aus Straßburg herkommende Vater Rhein sich mit der aus Lothringen, aus Metz kommenden Mutter Mosel vereinigt, als bleibendes Erinnerungsmal an den Sieg von 1870/71 und die Wiedergewinnung der in Zeiten des Niedergangs Deutschlands verlorenen gegangenen Provinzen: „Deutsch ist und soll bleiben der Rhein – Mit Elsaß und Lothringen! – Wir alle wollen Hüter sein – Und scharf stets halten die Klingen“ (zit. nach Neugebauer 2009, S. 141). Das Kaiserdenkmal wurde schnell touristischer Anziehungspunkt im ohnehin spätestens seit der Rheinkrise von 1840 politisch konnotierten romantischen Mittelrheintal, so wie an dessen südlichem Ende das Niederwald-Denkmal. Die Bestückung des Rheintals mit vaterländischen Denkmälern wurde schon von Zeitgenossen satirisch aufgespießt, Guillaume Apollinaire ereiferte sich über das „affreux monument, macabre et gigantesque“ (zit. nach Kerber 1993, S. 127), Tucholsky charakterisierte bekanntlich das Denkmal als „Faustschlag aus Stein“, „gigantischen Tortenaufsatz“, „steinernes Geklump“, „Trumm“ und „Trubas von

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einem Denkmal“ (Die Weltbühne 3 [1930], S. 94). Aber all das tat seiner Popularität keinen Abbruch. Den Sturz der Monarchie 1918, die französische Besatzungszeit bis 1930, den Separatistenputsch 1923, den sozialdemokratisch geführten Freistaat Preußen – immerhin konnte man die auf Max von Schenkendorf zurückgehende Inschrift „Nimmer wird das Reich vergehen, wenn ihr einig seid und treu“ samt dem Relief eines Adlers, der Natterngezücht zerfetzt, als Anspielung auf die „vaterlandslosen Gesellen“ von links beziehen – und die NS-Herrschaft, die nach 1939 zahlreiche wilhelminische Denkmäler als Reichsbronzereserve zu Geschosshülsen umschmelzen ließ, überstand das Denkmal bis 1945 unbeschadet. Nicht einmal ein halbes Jahrhundert hatte es in Koblenz neben der auf 1100 Jahre zurückblickenden Kastorkirche gestanden, als dann jedoch die in Kupferblech getriebenen Figuren von Pferd, Reiter und begleitendem weiblichen Genius kurz vor Kriegsende einer amerikanischen Granate zum Opfer fielen. Bis auf das Gesicht des Kaisers und die Troddel seines Portepée wurden sie verschrottet, angeblich zur Herstellung der Oberleitungen der Koblenzer O-Busse. Den leeren Sockel, jetzt bekrönt mit der schwarz-rot-goldenen Trikolore, widmete Bundespräsident Theodor Heuss 1953 zum Mahnmal der deutschen Einheit um. So stand der nackte Schmitzsche Monumentalbau an der Moselmündung, bis Ende der 80er Jahre zunächst der aus Koblenz stammende Mäzen Peter Ludwig und dann der Verleger Werner Theisen die Wiederherstellung der Hundrieserschen Skulpturengruppe anregten und sogar die Finanzierung zusagten. Politisch-historisch motivierter, allerdings eher lauer Widerstand erhob sich gegen die Wiederherstellung eines Denkmals für den „Kartätschenprinzen“ von 1848/49, der als Kaiser 1878 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das Sozialistengesetz, unterschrieben hatte, gegen ein Symbol des preußischen Militarismus, ein Zeugnis wilhelminischen Größenwahns. Gegenwind kam auch aus der Denkmalpflege, die das Mahnmal in seiner Form von 1953 als schützenswertes Kulturdenkmal eigenen Rechtes ansah und grundsätzliche Einwände gegen die Rekonstruktion eines völlig vernichteten Denkmals erhob. Aber die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung wollte ihren alten Kaiser Wilhelm wieder haben, die Zustimmung in Koblenz war größer als die Ablehnung – oder zumindest vermuteten dies die politischen Entscheidungsträger in Stadt und Land und legten der Neuanfertigung keine rechtlichen Steine in den Weg. Kultusminister Georg Gölter und mit ihm die rheinland-pfälzische Landesregierung, Eigentümerin des Deutschen Ecks, lehnte zwar die Wiederherstellung des preußischen Denkmals ab, aber sie wollte die Koblenzer nicht gegen sich aufbringen, und so argumentierte sie politisch: So lange die deutsche Frage offen und das Brandenburger

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Tor verschlossen sei, werde die deutsche Flagge auf dem Mahnmal wehen, so Ministerpräsident Bernhard Vogel im Februar 1988. Keine zwei Jahre später war das Brandenburger Tor offen, und in ihrer Not erhoffte sich die Landesregierung nun guten Rat von zwei Expertenkommissionen, denen u.a. die Historiker Wolfgang J. Mommsen und Lothar Gall, der Bildhauer Hubertus von Pilgrim und Christoph Stölzl angehörten, damals Direktor des noch im Aufbau befindlichen Deutschen Historischen Museums. Der riet in einer der Kommissionssitzungen 1991 zur Rekonstruktion mit dem Hinweis, dass man in Berlin bereits ernsthaft über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses nachdenke, den er im Übrigen natürlich auch befürworte. Das Gremium sprach sich aber mehrheitlich gegen den neuen Kaiser aus und empfahl der Landesregierung einen offenen Wettbewerb für die Neugestaltung des Deutschen Ecks. Die stimmte schließlich doch dem Schenkungsangebot Theisens zu, brauchte sich aber nicht mehr um die Realisierung zu kümmern, denn sie wurde kurz darauf im Frühjahr 1991 abgewählt. Der neue Ministerpräsident, Rudolf Scharping, schob der Stadt Koblenz die Verantwortung für die Restauration wilhelminischer Kaiserherrlichkeit zu und schenkte ihr das Deutsche Eck, versüßt mit der vorherigen Begleichung der hohen Sanierungs- und Stabilisierungskosten des hochwassergeschädigten Denkmalssockels in Höhe von mehreren Millionen Mark. Die Idee von Kultusministerin Rose Götte, man könne den Reiter ja neben den Sockel stellen, um so eine gewisse Distanz auszudrücken, wurde nicht weiter verfolgt. Seit September 1993 steht Kaiser und König Wilhelm wieder auf seinem tempelartigen Unterbau. Das Denkmal am Deutschen Eck ist sicher kein gewöhnliches Beispiel für den nicht ganz leichten Umgang mit dem preußischen architektonischen Erbe am Rhein. Die Befürworter der Neuschöpfung als Bronzeguss (keine Rekonstruktion im eigentlichen Sinn, denn das Original war eine Kupfertreibarbeit, deren arbeitsaufwändige Wiederherstellung nicht zu bezahlen war) argumentierten nicht politischhistorisch. Keiner von ihnen wollte die Restauration der HohenzollernMonarchie. Die älteren wollten lediglich das, was ihnen ans Herz gewachsen war, wieder haben, und die nachgeborenen Pro-Denkmal-Anhänger argumentierten ästhetisch: Der leere Sockel mit dem „Zahnstocher“ darauf (wenn kein Wind wehte und wenn die Flagge gereinigt werden musste, sah man nur die Fahnenstange) sei formal und inhaltlich nicht überzeugend. Die oft eher aus dem Bauch herauskommende Ablehnung Preußens durch den Rheinländer fand hier eine genauso gefühlige Umkehrung. Inzwischen, fast 20 Jahre nach der Wiederaufrichtung, gehört das Denkmal längst wieder ganz selbstverständlich und ganz entspannt zum gewohnten Bild der Stadt und der Mittelrheinlandschaft. Im Jahr 2011 wurde es von

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Zigtausenden besucht, da es unmittelbar neben einer der drei BUGA-Flächen und der Talstation der Kabinenbahn zur Festung Ehrenbreitstein steht. Die Koblenzer Festung und die Sayner Hütte Diesem großartigen Festungsbau in „Neupreußischer Manier“, überhaupt der Großfestung Koblenz ist der Vortrag von Dr. Klaus Weber gewidmet, ich gehe deshalb nicht näher auf sie ein, auch wenn sie am Anfang preußischen Bauens am Rhein unter Friedrich Wilhelm III. überhaupt steht. Denn bereits aus dem Jahr 1814, als der Wiener Länderschacher noch gar nicht abgeschlossen war, Napoleon sein Waterloo noch nicht erlebt und der preußische König noch gar nicht von seiner neuen Provinz offiziell Besitz ergriffen hatte, stammen die ersten Pläne des Generals von Aster für ein großes, 14 km Umfang umfassendes Defensionswerk, das sich auf vier große Anlagen auf den Höhen rings um die befestigte Kernstadt an Rhein und Mosel stützen sollte. Die militärischen Zweckbauten „Kaiser Alexander“ und „Großfürst Konstantin“, „Kaiser Franz“ mit der Bubenheimer Flesche, Asterstein und Ehrenbreitstein vereinigen Elemente klassisch antiker, ja sogar ägyptischer Architektur mit Anlagen, die an italienische, palladianische Villen oder, nachdem der Romantiker Friedrich Wil-

Löwentor der Feste Kaiser Alexander in Koblenz

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helm IV. 1840 seinem Vater auf dem Thron gefolgt war, mit Zinnen und Türmen an mittelalterliche Wehrbauten erinnern. Sicher waren die Festungen rings um Koblenz auch Symbole der Herrschaft über das neu gewonnene, von den Ideen der Französischen Revolution infizierte und die Errungenschaften der napoleonischen Ära hochhaltende Rheinland, dessen Loyalität man sich angeblich nicht sicher sein konnte. Die Belgische Revolution 1830 schreckte die preußischen Behörden auf, man befürchtete Unruhen seitens der napoleonischen Veteranen. So konnte ihnen in Koblenz erst später als in der Pfalz und insbesondere in Rheinhessen erlaubt werden, ein Denkmal – auf dem Hauptfriedhof – zu errichten, versehen mit dem napoleonischen Adler und bekrönt mit dem Helm der attischen Hopliten, ein Symbol für den Anspruch auf politische Mitsprache des freien Bürgers. Zeitgenössische Bilder zeigen auf der Festung Ehrenbreitstein, in die sich bei einem Volksaufstand die Verwaltung hätte zurückziehen können, eine riesige Fahne mit dem schwarzen Adler, die den Anspruch auf dauerhafte Herrschaft Preußens unterstreicht. Die Abneigung gegen die preußische Herrschaft mag ein Grund dafür sein, dass bis in die 1980er, 1990er Jahre die Festungswerke im städtischen Besitz dem Verfall preisgegeben, ja sogar systematisch zerstört wurden. Erst das bürgerschaftliche Engagement von Fördervereinen hat zu einem Umdenken geführt. Militärischen Zwecken diente auch die in der Nachbarschaft von Koblenz, in Sayn bei Bendorf, gelegene königliche Eisenhütte, eine von dreien in Preußen neben Berlin und Gleiwitz. Berühmt wurde sie weniger durch den Guss von Kanonen und Kanonenkugeln, als durch die grandiose Architektur der Gießhalle und durch ihre wunderbaren Erzeugnisse der angewandten Kunst, der Kleinkunst, des preußischen Eisens, des „Fer de Berlin“. Carl Ludwig Althans entwarf 1828/30 eine Gießhalle im modernen Werkstoff Gusseisen aus vorgefertigten Elementen, Säulen, Quer- und Längsbindern, erbaut in den Formen einer dreischiffigen Basilika, mit einer den Querschnitt widerspiegelnden, diaphanen Fassade aus Eisen und Glas statt der ursprünglich geplanten massiven Steinfassade. Der steinerne Hochofen, seine Nebenräume und Schornsteine bilden in diesem Bauwerk Vierung samt Vierungsturm, Querschiff, Chor und Chortürmen. Die Architektur ergibt sich aus der Notwendigkeit einer hellen, feuergeschützten Produktionsanlage, die Säulen des „Kirchenschiffs“ tragen nicht nur das Dach, sondern auch auf Kugellagern die drehbaren Kräne. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts unmittelbar vom Abriss bedroht, wurde die Sayner Hütte dank des Engagements eines Unternehmers zunächst wieder Produktionsstätte, dann von der RWE übernommen, von ihr zum Kauf angeboten und schließlich 2004 von der Stadt Bendorf, die

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30 Jahre zuvor den Abriss gewollt hatte, erworben, die in Form einer Stiftung mit Hilfe des Landes die Anlage erhalten und nutzen will. Die Althanssche Gießhalle gilt heute zu recht als technisches Kulturdenkmal und überragende Ingenieurleistung von Weltruhm. Unter den Sayner Produkten sind neben Schmuckstücken und Statuetten (darunter ein Guss der Igeler Säule en miniature) die berühmten Neujahrsplaketten zu nennen, die seit 1822 Jahr für Jahr bedeutende, meist mittelalterliche Architekturdenkmäler im Rheinland, z.T auch in Westfalen vorstellten, so u.a. die Kirchen von Andernach, Offenbach am Glan, Sinzig und Münstermaifeld, Kloster Maria Laach, St. Kastor in Koblenz und das sog. Pfarrhoftor in Remagen. Sie machten Werbung für deren Erhaltung und Pflege und damit für den institutionell noch gar nicht existierenden Denkmalschutz im preußischen Rheinland. Denn erst 1843 nahm mit Ferdinand von Quast der erste staatliche Konservator in Preußen sein Amt auf. Viele der dargestellten Bauten wurden nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Interesses des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. ab den 1830er Jahren tatsächlich Objekte der preußischen Denkmalpflege, so die Matthiaskapelle in Kobern, der Königsstuhl in Rhens und natürlich das Bauwerk, mit dem die Serie auf den Neujahrsplaketten überhaupt einsetzte, die Porta Nigra in Trier.

Gießhalle der Sayner Hütte

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Friedrich Wilhelm IV. Die trotz der künstlerischen Gestaltung doch nüchternen Zweckbauten der Koblenzer Festung wie der Sayner Hütte passen gut zum nüchternen, eher amusischen Bild Friedrich Wilhelms III. Dagegen war sein Sohn, der „Romantiker auf dem Königsthron“, künstlerisch als Zeichner, als Autor und als Architekt begabt; der große Karl Friedrich Schinkel sah ihn als Kollegen an. Während der Befreiungskriege 1814/15 war Friedrich Wilhelm zum ersten Mal an den Rhein gekommen: „Ich tauchte meine Rechte in den Strom und bekreuzigte mich. Welch ein göttlicher Strom“ (zit. nach Gölter 1984, S. 369) schrieb er damals seiner Schwester Charlotte. Der Kronprinz liebte das Rheinland, und dieses entgegnete seine Zuneigung: 1815 schenkte ihm die Stadt Koblenz die Ruine der trierischen Landesburg Stolzenfels; die Schenkung nahm er 1823 an und ließ die Ruine von Schinkel, Stüler und anderen Architekten in den Jahren bis 1842 als rheinische Sommerresidenz ausbauen. Die Begeisterung für das Mittelalter reicht in Preußen und bei den Hohenzollern allerdings weiter zurück: 1747 hatte Horace Walpole in England mit Strawberry Hills sozusagen die Neugotik erfunden. Friedrich der Große von Preußen ließ schon kurz danach, 1754/55, das Nauener Tor in Potsdam nach eigenen Skizzen mit zwei runden Türmen als mittelalter-

Schloss Stolzenfels

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lich anmutendes Stadttor errichten. 1815 hatte der preußische Minister Karl Friedrich Freiherr von und zum Stein den „gotischen Turm“ an sein Schloss in Nassau an der Lahn anbauen lassen, ein Jahr später begannen die Wiederherstellungsarbeiten an der Marienburg in Westpreußen, für die sich der Architekt Friedrich Gilly seit 1794 und der Dichter Max von Schenkendorf seit 1803 eingesetzt hatten, bis Friedrich Wilhelm III. 1804 weitere Abrisse verbot. Prinz Friedrich von Preußen, ein Vetter des Kronprinzen, hatte um 1820 in seinem von Schinkel errichteten Berliner Stadtpalais in der Wilhelmstraße eine „Rüstkammer“ einrichten lassen, mit Rüstungen, Waffen, neuen Skulpturen im mittelalterlichen Stil (z.B. eine Johanna von Orléans, heute im Garten von Stolzenfels), Kopien mittelalterlicher Gemälde wie Lochners Kölner Dombild vom Koblenzer Maler Kaspar Benedikt Beckenkamp (eine weitere ebenfalls in Stolzenfels) und mit originalen mittelalterlichen Glasfenstern, u.a. aus Kirchen des Rheinlandes. Derselbe Prinz erwarb 1823 die Vautzburg bei Trechtingshausen und ließ sie ab 1825 durch Johann Claudius von Lassaulx und Wilhelm Kuhn zu seinem seit 1829 so genannten Wohnsitz „Rheinstein“ ausbauen. Wie später bei Sooneck wurde dabei die mittelalterliche Bausubstanz bis hin zu den ori-

Burg Rheinstein von Süden

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ginalen Putzen möglichst geschont. Als neogotischer Neubau kam 18391844 die Schlosskapelle (samt Familiengruft) von Philipp Hofmann hinzu, später als Wirtschaftgebäude das Schweizerhaus. Zeittypisch ist der Wille, ein Gesamtkunstwerk in der Landschaft zu schaffen. 1975 verkaufte die Erbin der Hohenzollern, Barbara Prinzessin von Hessen und bei Rhein, Herzogin von Mecklenburg, die Burg an den Opernsänger Hermann Hecher, nachdem zuvor die überaus wertvolle Ausstattung von einem betrügerischen englischen Kunsthändler geplündert und verkauft worden war. Das Land hatte aus Angst vor den hohen Folgekosten nicht rechtzeitig zugegriffen und Rheinstein nicht in die Schlösserverwaltung (wie Sooneck und Stolzenfels) übernommen, zahlte aber dafür in den folgenden Jahrzehnten hohe Zuschüsse für den Substanzerhalt des Denkmals. Rheinstein ist die erste der romantisch ausgebauten Rheinburgen, ihrem Vorbild sollten viele weitere folgen, wie das von Kronprinz Friedrich Wilhelm und den Prinzen Carl, Albrecht und Wilhelm zu gemeinsamer Nutzung als Jagdschloss 1832 erworbene und 1843-1861 durch den Militärarchitekten Carl Schnitzler behutsam ausgebaute Sooneck. Manche Pläne blieben glücklicherweise ungebaute Träume, denn Projekte wie der Ausbau von Rheinfels für Prinz Wilhelm (1843) und der von Fürstenberg für Prinzessin Luise von Preußen und ihren Mann, Prinz Friedrich der Niederlande, durch den Niederländer de Jong nach dem Vorbild des Rathauses von Löwen (1849) hätte von der Originalsubstanz kaum etwas übrig gelassen. Auch die Ausbauten der Schönburg und der von Stahleck für Angehörige des Hauses Hohenzollern unterblieben, ebenso der Neubau eines weiteren „mittelalterlichen Hohenzollernschlosses“ auf dem Kleinen Rheinberg bei Bingen durch Ludwig Persius und des neugotischen Schlosses Friedrichsberg oberhalb von Sayn für den Fürsten Sayn-Wittgenstein durch Georg Moller. Auch Staatsbeamte und Unternehmer folgten den fürstlichen Vorbildern: Rheineck (südlich von Bad Breisig) ließ der Bonner Professor und spätere preußische Kultusminister Moritz August von Bethmann Hollweg ab 1832 durch Lassaulx ausbauen, die Kapelle 1838 durch den Frankfurter Nazarener Edward von Steinle ausmalen. Bei der Burg Lahneck, gegenüber von Stolzenfels, war Bauherr ab 1851 der englische Eisenbahnunternehmer Edward A. Moriarty. Ein Epigone der ersten Burgenromantik ist die aus Domanialbesitz vom Berliner Metallwarengroßhändler Louis Ravené erworbene und 1868-1877 durch Hermann Ende und Julius Raschdorff, den Architekten des Berliner Doms, ausgebaute Reichsburg Cochem, eingeweiht in einem gemeinsamen Festakt mit der ersten kaiserlichen Bahnfahrt durch eines der großen technischen Projekte der preußi-

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schen Zeit, den über 4 km langen und bis 1985 längsten Tunnel Deutschlands, den Kaiser-Wilhelm-Tunnel, dessen aufwändige adlergeschmückte Portale noch heute an Bauzeit und Bauherrn erinnern. Erst um 1900 erfolgte in einer letzten spätestromantischen Welle der Ausbau von Reichenstein, Maus, Heimburg und Katz, jedes Mal durch den Adel imitierende Privatleute. Die wichtigste der romantisch ausgebauten Burgen ist und bleibt natürlich Stolzenfels, eine gebaute Liebeserklärung an das Rheinland, ein Zeichen dafür, dass Preußen nicht nur äußerlich vom Rheinland Besitz genommen hatte, sondern sich mit ihm identifizierte und exemplarisch Zerstörungen durch den französischen „Erbfeind“ beseitigte. Auf der dem Strom zugewandten Außenfassade ließ der Bauherr ein Jahr nach der Fertigstellung des Schlosses, 1843, ein großes Fresko von einem in Koblenz geborenen und in Düsseldorf ausgebildeten Schadow-Schüler und späteren Mitarbeiter von Philipp Veit, August Gustav Lasinsky (auch wenn es immer wieder zu lesen ist: nicht von seinem Bruder Johann Adolf), anbringen, das geradezu programmatisch ist für Friedrich Wilhelms Wirken im Rheinland. Es stellt den Besuch des gerade zum König gewählten Kurfürsten Ruprecht von der Pfalz bei Erzbischof Werner von Trier aus dem Haus Falkenstein dar. Begleitet wird er an jenem Augusttag des Jahres

Burg Stolzenfels, Fresko von August Gustav Lasinsky, 1843

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1400 von seinem Schwager Friedrich von Hohenzollern, Burggraf von Nürnberg, dem künftigen (ab 1415) ersten Markgrafen von Brandenburg aus dem späteren Königshaus. Die Szene spielt sich unterhalb der Burg Stolzenfels ab, im Hintergrund sind der Königsstuhl von Rhens und die Marksburg zu sehen. Die Kurfürsten von Köln und Mainz sowie zahlreiches Gefolge, darunter ein Ritter aus der Familie von Helfenstein, die die Erbmarschälle von Kurtrier stellte, begleiten Werner. Frauen reichen dem König Brot, Wein und Fische. Das Wandgemälde war schon um 1900 stark verblasst und musste weitgehend neu gemalt werden. Die Burg: Gemalt auf der Grundlage einer Zeichnung Dürers dokumentiert sie das Interesse an den Denkmälern der Geschichte, gleichzeitig gibt sie den Hinweis: Schloss Stolzenfels ist keine Rekonstruktion dieser mittelalterlichen Burg, sondern ein moderner Bau, keine bloße Nachahmung, sondern eine eigenständige Schöpfung. Der Königsstuhl: König Rupprecht war in Rhens 1400 gewählt worden, das Bild zeigt im Hintergrund den Wahlort, den Königsstuhl. Bereits 1826 war das 1798 von den Franzosen zerstörte Denkmal auf einer Sayner Neujahrsplakette verewigt worden und hatte das Interesse an diesem Monument des mittelalterlichen Königtums geweckt. Im Jahre der Rheinkrise 1840 rief eine bürgerliche Sammlungsbewegung zu seiner Wiederherstellung auf, und am 15. Oktober 1843 konnte der von Lassaulx entworfene Neubau dem König als Geschenk übergeben werden. Mit der Aufnahme des Königsstuhls in das Fresko bekundet der König, dass er sich in der Nachfolge der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches sieht. Wittelsbach und Hohenzollern: Friedrich Wilhelm IV., der Nachkomme des Burggrafen Friedrich, war ein Schwager König Ludwigs I. von Bayern aus dem Hause Pfalz-Zweibrücken, der König Rupprecht zu seinen Ahnen zählte; er hatte dessen Schwester Elisabeth geheiratet. Die enge Verbindung der beiden Dynastien wird im „fernen Spiegel“ des Wandbildes dokumentiert: Rupprecht und Friedrich waren dank der Heirat des Wittelsbachers mit Elisabeth von Hohenzollern verschwägert. Auch in der Klause Kastel hoch über der Saar, die der König von Schinkel zur Grabkapelle für den Böhmenkönig Johann den Blinden von Luxemburg, einem der Hauptwerke der Romantik im Rheinland, ausbauen ließ, wird an die gemeinsamen mittelalterlichen Ahnen des Königspaars erinnert. Johann der Blinde ist auch eines der von Hermann Stilke im Kleinen Rittersaal von Stolzenfels gemalten „Exempla Virtutis“ und steht dort für die Tugend der Tapferkeit. König, Erzbischof, Kurfürsten: Die freundschaftliche Begegnung von 1400 bildet in mittelalterlicher Verkleidung das für einen so frommen und vom Gottesgnadentum durchdrungenen Herrscher ganz selbstverständli-

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che Bündnis von Thron und Altar ab. Friedrich Wilhelm sah sich bewusst als Nachfolger der geistlichen rheinischen Kurfürsten, deren ehemalige Erzstifte nach 1815 Teil Preußens geworden waren. So ließ er die Schlösser von Brühl und Koblenz wiederherstellen, die Residenz in Trier behielt ihr Rokoko-Treppenhaus, das nach ursprünglicher Wiederaufbauplanung einer Vorhalle der konstantinischen Palastaula zum Opfer gefallen wäre. Dem letzten Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus ließ er in der Koblenzer Residenz ein Denkmal errichten, obwohl doch die zopfzeitliche Architektur dem 19. Jahrhundert ansonsten ein Graus war. Der Herr von Helfenstein: Die Darstellung des durch sein – heute falsch übermaltes – Wappen identifizierten gepanzerten Ritters lässt daran denken, dass eine der Anlagen der Koblenzer Großfestung „Fort Helfenstein“ ist, dessen Name an die hier einst stehende Ministerialenburg erinnert. Die moderne Festung erscheint als ihr Erbe der mittelalterlichen Burg. Vielleicht schlägt das Bild des Ritters auch einen Bogen vom rheinischen „Neupreußen“ ins alte Preußenland: Anfang des 15. Jahrhunderts hat Wilhelm von Helfenstein das Amt des Großkomturs, des Stellvertreters des in der Marienburg residierenden Hochmeisters des Deutschen Ordens, inne. Die Architektur des Großen Rittersaals in Stolzenfels nimmt jedenfalls eindeutig Bezug auf den Sommerremter der Marienburg. „Folgt man der Aussage des Gemäldes, so wird hier die preußische Baupolitik am Mittelrhein als umfassende Neuschöpfung einer ‚historischen Landschaft’ interpretiert“ (Werquet 2009, S. 353). Neben Schloss Stolzenfels und der Klause von Kastel, die die Nähe des preußischen Königs zum mittelalterlichen Königtum dokumentieren, ist das programmatischste Bauprojekt Friedrich Wilhelms im südlichen Rheinland sicher die sogenannte Basilika in Trier. Mit dem Wiederaufbau des konstantinischen Großbaus als Kirche für die (kleine) evangelische Gemeinde stellt sich der König in die Nachfolge des ersten christlichen Kaisers, als neuer Konstantin. Wie dieser für die von ihm gestiftete Lateran-Basilika und andere Gründungen das Salvator-Patrozinium wählte (St. Johannes wird erst später Kirchenpatron), so widmete der Hohenzoller die vom Festungsbaumeister Karl Schnitzler unter Beteiligung von Ferdinand von Quast geplante und von Friedrich August Stüler nach dem Vorbild römischer Kirchen wie Santa Maria in Cosmedin ausgestattete Palastaula als Evangelische Kirche dem Erlöser. Als protestantischer Gegendom zur von Friedrich Wilhelm geförderten Kölner Kathedrale und nach dem Ulmer Münster größten evangelischen Kirche im damaligen Deutschland ist die Basilika weit mehr als ein großartiges Beispiel preußischer Denkmalpflege und architektonisches Vorbild für manche Kirchenbauten der Schinkelschule. Der König, der bekanntlich auch Kirchenprojekte für

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Rom und Jerusalem betrieb, erweist sich wie Konstantin als Schutzherr der Kirche. Wilhelm II. Die von Wilhelm II. geplante Vollendung der Basilika durch einen hohen Campanile nach stadtrömischem Vorbild, wie ihn beispielsweise Stülers Potsdamer Friedenskiche aufweist, wurde zwar nicht realisiert, aber mit einer Reihe anderer Bauten erwies sich der Kaiser als würdiger Erbe seines Großonkels. Wie dieser war er künstlerisch begabt, seine Marinebilder und seine Dichtungen können mit den Werken vieler Zeitgenossen gut mithalten. Sein Geschmack war sicher nicht progressiv, aber in den letzten Jahren seiner Herrschaft konnte er sich sogar mit den Ankäufen Ludwig Justis für die Nationalgalerie anfreunden, mit Liebermann, Slevogt, Corinth, die er zehn Jahre zuvor noch zur „Rinnsteinkunst“ gerechnet hatte. Ein Steckenpferd war auch bei ihm die Architektur. Hinsichtlich des architektonischen Anspruchs steht der Bau der Erlöserkirche in Gerolstein, den Wilhelm II. mit erheblichen eigenen Mitteln förderte, deutlich in der Nachfolge der Bauten Friedrich Wilhelms IV.; bis 1945 blieb die Kirche im Besitz der Hohenzollern. Sie war der 50. Sakralbau, den der 1890 gegründete Evangelische Kirchenbauverein gefördert

Konstantinbasilika in Trier

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hatte, der unter dem Patronat der Kaiserin Auguste Victoria stand. Ihr Oberhofmeister (und zugleich Obertruchsess Wilhelms II.) Freiherr Ernst von Mirbach vertrat sie als Vorsitzender im Kuratorium dieses Vereins. Mirbach hatte schon 1902/1903 am Stammsitz seiner Familie in der Eifel die katholische (!) Erlöserkapelle nach vom Kaiser ausdrücklich geprüften und gut geheißenen Plänen von Max Spitta und Franz Schwechten, den führenden Architekten der „Neo-Staufik“, in Formen der Spätromanik mit hochwertigem bildhauerischem Schmuck sowie Mosaiken von August Oetken (ausgeführt von Puhl und Wagner) errichten lassen. Mit der Kirche im benachbarten Gerolstein, ebenfalls nach Plänen von Franz Schwechten, sollte nach dem Willen des Kaisers auch der gegenüber den Trierer Protestanten noch ärmeren evangelischen Gläubigen der Eifel eine schönes Gotteshaus gestiftet werden: Ein eindeutiger Denkmalbau, denn in der schwach besiedelten Diaspora war solch ein großer, eher nach Berlin passender Zentralbau mit Campanile, der Elemente der frühbyzantinischen und spätromanischen Architektur verband, samt seinen Marmorinkrustationen, farbigen Glasfenstern und reichen Mosaiken nach den Entwürfen von Hermann Schaper und August Oetken, ausgeführt wiederum von Puhl und Wagner, eigentlich fehl am Platz. Gerolstein errinnert nicht zufällig an

Erlöserkirche in Gerolstein

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Bauten wie San Vitale in Ravenna oder St. Gereon in Köln: Wilhelm II. sah sich wie der Romantiker Friedrich Wilhelm als legitimer Nachfolger der christlichen Kaiser der Antike wie des Mittelalters. Wie sein Großonkel für die Trierer Basilika (und die Heilandskirche Sacrow) wählte auch Wilhelm II. das Salvator-Patrozinium der Bauten Konstantins, nicht nur in Gerolstein, sondern z.B. auch für die Evangelische Kirche in Jerusalem, mit der er ebenfalls an Friedrich Wilhelm IV. anknüpfte, der bereits von einer evangelischen Gemeinde in Jerusalem geträumt hatte, und an den Staufer Friedrich II., der bekanntlich auch König von Jerusalem war. Die Erlöser-Kirche in Gerolstein wurde am 15. Oktober 1913, drei Tage vor der Eröffnung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig, in Anwesenheit des Kaisers geweiht, ein Hinweis darauf, wie viel Wilhelm II. an dem Bau in der von ihm sonst als lediglich für Truppenübungsplätze geeignet angesehenen Eifel lag und wie mobil der Kaiser im Zeitalter des frühen Automobilismus war. An staufische Architektur knüpft auch in gewisser Weise Wilhelms II. Stiftung für Maria Laach an. Er wollte die Versöhnung mit der Katholischen Kirche, wollte die letzten Reste des Kulturkampfs beenden. Er genehmigte die Übernahme der Abtei, die zuvor Collegium der Jesuiten gewesen war, durch den Benediktinerorden, der sich an alter Stelle neu ansiedelte. Als Hausherr – die Kirche gehörte bis 1924 dem preußischen Staat – stiftete er 1898 einen heute entfernten Hochaltaraufsatz von Max Spitta und initiierte und finanzierte, zumindest zum Teil, die Mosaizierung in den Ostabschlüssen, insbesondere den Christus Pantokrator in der Halbkuppel der Apsis, geschaffen, wie üblich von Puhl und Wagner, nach dem Vorbild der Kathedralen von Monreale und Cefalù: Dome, die die normannischen Vorgänger der Staufer in Sizilien errichtet hatten, also Bauten aus dem staufischen Südreich, an dem Wilhelm II. ein besonderes Interesse zeigte. So ließ er nach den Gräbern der Kaiserinnen und Gattinnen seines Vorbilds Friedrich II., Jolante von Jerusalem und Isabella von England, im Dom von Andria forschen. Nicht nur im Sakralbau, sondern auch im Profanbau gibt es Zeugnisse dieses spätwilhelminischen Aufgreifens von Bauformen der Stauferzeit, die als Höhepunkt der deutschen Reichsgeschichte und kaiserlichen Macht angesehen wurde, an die die „herrlichen Zeiten“, denen Wilhelm II. die Deutschen entgegenführen wollte, anknüpfen sollten. Bewusst geht es hier also um kaiserliche Architektur, auch wenn der Bauherr eigentlich nicht der Kaiser, sondern der König von Preußen war. Wie in der Grenzprovinz Posen (Bau des dortigen Königsschlosses als „Pfalz in der Ostmark“, heute Zamek Cesarzski w Poznaniu) und im Reichsland ElsaßLothringen (wo Wilhelm II. als Kaiser Einfluss nehmen konnte, z.B. beim

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Regierungsgebäude in Koblenz

Bau der Bahnhofs- und Reichspostgebäude in Metz) waren diese Bauten im frankreichnahen Rheinland als wehrhafte Stadttore oder Burgen konzipiert, so die Hohenzollernbrücke Köln, die Kaiserbrücke Mainz und das Regierungsgebäude in Koblenz (1902/1906). Dessen von Wilhelm II. selbst zum Vorteil des Erscheinungsbildes abgeänderte Pläne sahen eine turmbewehrte Pfalz am Rhein à la Kaiserswerth vor (heute Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung). Die historistische preußische Staatsarchitektur in der Ära Wilhelms II. war aber nicht ausschließlich staufisch-kaiserlich geprägt: Gerade in Koblenz wurde auch ganz bewusst Bezug zu den kurfürstlichen Bauten des 18. Jahrhunderts, zu Balthasar Neumann und Johann Seiz, den Architekten des Schlosses Schönbornslust und des Dikasterialbaus in Ehrenbreitstein, genommen. Der Bau des Oberpräsidiums (1905-1907), heute SGD Nord, knüpft an deren mainfränkisch-rheinischen Spätbarock an. Ein Jahr nach der Einweihung der Erlöserkirche Gerolstein stand Deutschland im Krieg. Die letzte große Bauplanung im Südteil der königlich preußischen Rheinprovinz blieb auf dem Papier: Das Nationaldenkmal für Otto von Bismarck, das aus Anlass des 100. Geburtstages des „Eisernen Kanzlers“ 1915 auf der Bingerbrücker, also preußischen Elisenhöhe über dem Binger Loch errichtet werden sollte, dort, wo Friedrich Wilhelm III. den Sprengungen zur besseren Schiffbarmachung ein Denk-

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mal hatte setzen lassen und Friedrich Wilhelm IV. sich persönlich mit den Plänen des Kölner Dombaumeisters Ernst Friedrich Zwirner auseinander gesetzt hatte, die Bedeutung des Mäuseturms als Grenzmarke am preußisch-hessisch-nassauischen Dreiländereck durch einen hohen Zinnenkranz zu unterstreichen. Seit 1883 stand auf der Rheingauer Seite der Binger Pforte das Niederwalddenkmal, dem die katholischen „Gegendenkmäler“ der Rochuskapelle (Max Meckel, 1895) und des neoromanischen Benediktinerinnenkloster St. Hildegard (P. Ludger Rincklake OSB/Maria Laach, 1908) antworteten. Das Bismarck-Denkmal hätte dieser Geschichts- und Denkmallandschaft einen weiteren Akzent hinzufügen sollen. Ein Künstler- und Architektenwettbewerb wurde zwar durchgeführt und der in Eltville geborene Wallot-Schüler Wilhelm Kreis, aus dessen Feder schon der Standardentwurf für Bismarcksäulen von 1899 stammte (u.a in Bad Ems, Sargenroth, Dierdorf, Kirn realisiert), schließlich zum Sieger gekürt, aber der Erste Weltkrieg machte allen weiteren Planungen einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur der Siegerentwurf verwendete damals eine monumental-ungeschlachte Formensprache, angelehnt an das Grabmal Theoderichs in Ravenna, das als urtümlich-germanischer Steinbau interpretiert wurde. Dass Wilhelm Kreis in der NS-Zeit „Totenburgen“ für die Gefallenen der großdeutschen Wehrmacht in Afrika und in der Ukraine im selben Stil entwarf, erscheint folgerichtig, aber war nicht zwingend: Kreis hat in den 1920er Jahren mit dem Wilhelm-Marx-Haus und der Gesolei in Düsseldorf (heute Kunstpalast) wichtige Beispiele des Neuen Bauens im preußischen Rheinland der Nach-Hohenzollern-Zeit geschaffen. Statt eines Bismarck-Denkmals wurde in Bingen 1915 die Hindenburg-Eisenbahnbrücke eingeweiht, die bereits seit 1913 von Preußen und Hessen geplant und dann überwiegend vom Reich finanziert worden war. Wie die Ludendorff-Brücke in Remagen und die Kronprinzenbrücke in Urmitz war sie ein strategischer Verkehrsweg, über den Truppen schneller an die Front im Westen gebracht werden sollten. Alle drei, sämtlich 1945 gesprengten, Brücken waren bzw. sind in ihren Überresten düster-dräuende Bauten. Über sie fluteten 1918, 105 Jahre nach Blüchers siegreichem Rheinübergang, die geschlagenen deutschen Armeen zurück, während gleichzeitig der letzte König von Preußen in die umgekehrte Richtung, ins Exil nach Doorn, floh. Am Anfang der preußischen Architektur im Rheinland standen die Koblenzer Festungsbauten, am Ende die strategischen Brücken. Als mahnende Zeugen der Geschichte verdienen sie genauso Beachtung wie romantische Burgen und historistische Kirchenbauten.

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Koblenz-Ehrenbreitstein – von der kurtrierischen Reichsfestung zur preußischen Landesfestung

Position Koblenz liegt im Zentrum des Rheinischen Schiefergebirges. Ein Mittelgebirge, das durch die großen Flusstäler von Rhein, Mosel und Lahn in die Teile Eifel, Hunsrück, Westerwald und Taunus gegliedert wird, deren Kreuzungsbereich sich bei Koblenz befindet. Seit alters her laufen entlang dieser Flusstäler Haupthandelswege in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung. Der Ursprung der städtischen Siedlung liegt unmittelbar am Zusammenfluss von Mosel und Rhein auf einer hochwasserfreien, flachen Landzunge, in die sich ein Ausläufer des Hunsrücks mit der Karthäuser Höhe hineinschiebt. Entlang des gegenüberliegenden östlichen Rheinufers rücken die Höhen des Westerwaldes fast unmittelbar an den Strom heran, nehmen nach Süden, zur Lahnmündung hin, allmählich an Höhe ab, während sie gegenüber der Moselmündung relativ steil anstehen und nur etwas oberhalb der ehemaligen Moselmündung eine kleine Uferfläche (Ehrenbreitstein) freigeben. Auf dem gegenüberliegenden nördlichen Moselufer befindet sich bei Koblenz-Lützel eine kleine Erhebung (Petersberg) und entwickelt sich ansonsten das flache Neuwieder Becken, das sich kilometerweit nach Nordwesten ausdehnt, bevor der Geländeanstieg der Eifel beginnt. Diese topographische Situation bedingt den bedeutendsten Siedlungsraum am Mittelrhein und begründet eine über zweitausendjährige Militär- und Befestigungsgeschichte. Eine Epoche, die wir heute hoffen endgültig überwunden zu haben und die mit der preußischen Fortifikation ihre markantesten Baurelikte hinterließ. Trierer Befestigung Die bekannteste Wehranlage am Ort ist die Festung Ehrenbreitstein, die eine erhabene, das Gebiet der Moselmündung dominierende Schlüsselstellung auf dem rechten Rheinufer einnimmt. Sie liegt auf einem dreieckigen Bergplateau, das sich nach Norden öffnet. Kürzlich fanden sich im Bereich der Südspitze die ältesten Befestigungsspuren: Reste einer

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dreitausend Jahre alten Palisade und Spuren römischer Wehrbauten. Vor gut eintausend Jahren gelangte der Bereich in Salischer Zeit an das Trierer Erzbistum, und es entstand die namensgebende Höhenburg Ehrenbreitstein, der die niedrigere Burg Helfenstein vorgelagert war und unterhalb derer sich ein kleiner Ort (heute Ehrenbreitstein) entwickelte, an dessen nördlichem Ende eine Niederungsburg die herrschaftliche Burgentrias komplettierte. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Burg Ehrenbreitstein zur Festung ausgebaut und erhielt einen nördlichen Artilleriewall, der unter dem Baumeister Maximilian Pasqualini (1534–1572) zur bastionären Nordfront (ab 1564) umgestaltet wurde. Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts entwickelte sich Ehrenbreitstein zur imposanten und beeindruckend wehrhaften Rheinresidenz. Wohl unter den Baumeistern Georg Ridinger (1568–1617) und Johann Pasqualini dem Jüngeren (1562–1615) begann eine massive Verstärkung der Festung, die u.a. einen nach Norden vorgeschobenen zweiten Wallabschnitt erhielt. Ab 1626 baute man an Stelle der Niederungsburg das repräsentative Residenzschloss Philippsburg, welches mit einem auf die Moselmündung ausgerichteten Kronwerk bewehrt wurde. Bedeutend für das Thema deshalb, da mit der Wiederherstellung dieser Uferbefestigung Preußen später seine Landesfestung beginnen sollte. Die Ereignisse des 30jährigen Krieges zeigten, dass die kurtrierische Festung Ehrenbreitstein für das Reich von besonderer Bedeutung war, weshalb im Westfälischen Friedensvertrag (Art. V, §3) bestimmt wurde, dass sie den Status einer Reichsfestung erhielt. Die Fortifikation verblieb weiterhin beim Erzbistum, doch hatten im Kriegsfalle die Reichstruppen das Besatzungsrecht. Letztlich geriet damit die bedeutende Wehranlage dauerhaft in die kaiserliche Einflusssphäre, und ihre militärische Entwicklung hing fortan nicht mehr alleine vom finanzschwachen Trierer Kurstaat ab. Mit Hilfe kaiserlicher Subsidien und unter Beobachtung erfahrener Militäringenieure des Reiches wurde die Fortifikation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts kontinuierlich ausgebaut. Hierbei entstand die charakteristische Nordfront aus zwei Bastionen mit vorgelagerter Enveloppe (Wall mit Ravelin und flankierenden Kontergarden) und nordöstlichem Flankenwerk (Turm Ungenannt), was später für die Grunddisposition des preußischen Neubaus wieder aufgegriffen wurde. Namhafte Baumeister waren hier von Seiten des Reiches Menno von Coehoorn (1641–1704) und von Seiten des Kurfürstentums die Hofbaumeister Johann Christoph Sebastiani (vor 1671–1704) und Philipp Johann Honorius Ravensteyn (um 1650–1729). Zudem blieb der Ausbau nicht nur auf Ehrenbreitstein beschränkt, sondern die finanzielle Unterstützung ermöglichte auch, dass das gegenüberliegende Koblenz erstmals landseitig

Koblenz-Ehrenbreitstein

Die Festung Ehrenbreitstein, um 1797

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Die Festung Koblenz, Mitte des 18. Jahrhunderts

eine bastionäre Umwallung erhielt. Ausgeführt nach Plänen von Johann Lollio gen. Sad(d)eler (–1679) entstand hier ab 1656 eine relativ schwache Enceinte, die unmittelbar vor die mittelalterliche Stadtmauer gesetzt wurde und sechs unregelmäßige Bastionen mit einzelnen Kavalieren und zwei Ravelins hatte. Der Abschluss des kurfürstlichen Festungsbauengagements in Ehrenbreitstein und Koblenz erfolgte in den 1730er Jahren unter Kurfürst Franz Georg von Schönborn (1682–1756), der für den Ausbau seiner Ehrenbreitsteiner Residenz Balthasar Neumann (1687–1783) heranzog und dabei auch die Festungen Ehrenbreitstein und Koblenz erneuern ließ, was im Zusammenspiel mit dem Beauftragten des Reiches General Gottfried Ernst Freiherr von Wuttgenau (1673–1736) erfolgte. Neumann systematisierte die Festungsenceinte von Koblenz und gab ihr ein stärkeres Wallprofil und zusätzliche Grabensicherungen. Bei der Festung Ehrenbreitstein entstanden die sogenannten Schönbornwerke, ein nach Norden vorgeschobenes Hornwerk, welches sich in seinem charakteristischen Tracé an jenem der Festungen Mainz und Würzburg orientierte. Entfestigung Als Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1739–1812) 1768 Erzbischof von Trier wurde, war er mit der veralteten und beengten Residenz in Ehren-

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breitstein nicht zufrieden und verlegte diese nach Koblenz. Um für seine Residenzbauten eine Siedlungsfläche zu schaffen, ließ er den Wall im Rheinanschlussbereich einebnen und beendete damit die barocke Festungsentwicklung von Koblenz. Der Einspruch des Trierer Domkapitels gegen dieses belastende Bauprojekt blieb jedoch in Wien ohne Wirkung. So handelte es sich bei Koblenz um eine Trierer Landesfestung, und die die Position beherrschende Festung Ehrenbreitstein war selbst nicht gefährdet. Hinzu kam, dass die Festung Koblenz zu klein und zu schwach dimensioniert war, als dass ihr ein besonderer militärischer Wert zugesprochen werden konnte. Dies zeigte sich auch, als im Ersten Koalitionskrieg die Festung Ehrenbreitstein 1792 armiert und zudem die Position weiträumig mit einem System von Feldbefestigungen auf den umliegenden Höhen umstellt wurde, aber die ehemaligen Festungswerke von Koblenz nicht reaktiviert wurden. Diese Armierung, an der auch preußische Ingenieuroffiziere (u.a. mit Karl Christian von Lindener [1742–1828] ein Wegbereiter der Erneuerung des Preußischen Festungsbaus) maßgeblich beteiligt waren, nahm bereits die Grundtendenz der späteren preußischen Befestigung vorweg, d.h. die Hauptfestung Ehrenbreitstein mit einem weiträumigen Kordon weiterer Anlagen zu kombinieren. Am 23. Oktober 1794 nahmen französische Truppen unter General François Séverin Desgraviers de Maceau (1769–1796) Koblenz ein. Die Festung Ehrenbreitstein kapitulierte erst am 24. Januar 1799, ohne dass eine förmliche Belagerung erfolgt war. Die zuvor von Seiten des Reiches angeordnete Sprengung der Festung unterblieb. Hierzu kam es allerdings zwei Jahre später, als sich Frankreich vom rechten Rheinufer zurückziehen musste. Man sah in der gewaltigen Festung eine Bedrohung für die neue französische Departementhauptstadt Koblenz und beseitigte mit der Fortifikation auch gleich das Residenzschloss Philippsburg. Zwar hatte der Friedensvertrag von Lunéville (9. Februar 1801) ausdrücklich den Erhalt der Festung Ehrenbreitstein vorgesehen, doch berief man sich von französischer Seite auf die Rastatter Verhandlungen (1797/1798), in denen das Deutsche Reich der Demolierung noch zugestimmt hatte, so dass am 13. Februar 1801 Napoléon Bonaparte (1769–1821) die Schleifung anordnete, die erst am 9. April eingeleitet wurde. Die Festungsruine ging in den Besitz des Fürstentums Nassau-Weilburg über und ab 1806 an das Herzogtum Nassau. Auf der Französischen Seite schenkte Napoléon am 29. Oktober 1807 die Reste der Koblenzer Wallanlagen der Stadt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt können beide Städte als entfestigt angesehen werden. Die verschiedenen Versuche des französischen Militärs, die strategisch wertvolle Position neu zu befestigen, kamen in den folgenden Jahren nicht zur Ausführung.

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Drang zur Neubefestigung Die Entfestigung von Koblenz und Ehrenbreitstein nährte in der ortsansässigen Bevölkerung die Hoffnung, dass die Region vom künftigen Kriegstheater unberücksichtigt bleiben und die urbane Entwicklung von militärischen Zwängen ungehindert sich entfalten könne. Daß solches fromme Hoffen völlig unbegründet war, zeigten die Ereignisse spätestens gegen Ende 1812, als französische Ingenieure mit der Untersuchung und Vermessung der Festungsruine Ehrenbreitstein zum Zwecke ihres Wiederaufbaus begannen. Die Napoleonische Befestigungsorder für Ehrenbreitstein und Koblenz vom 28. Juli 1813 kam jedoch nicht mehr über die Planungsphase hinaus. Als am 3. November die ersten feindlichen Einheiten der schlesischen Armee in der Nähe von Ehrenbreitstein gesichtet wurden, stellte Frankreich seine Befestigungsbemühungen auf der rechten Rheinseite ein. Am 1. Januar 1814 ging die Avantgarde des 8. Russischen InfanterieKorps unter Guillaume Emmanuel Vicomte de Saint-Priest (1776–1814) bei der Lahnmündung über den Rhein und besetzte Koblenz. In der Koalition übernahm Preußen die militärischen Geschäfte am Nieder- und Mittelrhein. Am 2. März 1814 erteilte der preußische König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) dem Chef des Ingenieurkorps Johann Georg Gustav von Rauch (1774–1841) die Order zur provisorischen Befestigung: „Ich trage Ihnen auf, zu veranlassen, dass sobald als möglich der Punkt Koblenz am Rhein durch zweckmäßige Verschanzung als Brückenkopf befestigt werde und überlasse Ihnen, ob Sie dazu den Obersten von Hoyer (gemeint ist Johann Gottfried von Hoyer, 1767–1848) gebrauchen oder Mir einen anderen Offizier des Ingenieurkorps in Vorschlag bringen wollen.“ (Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 7, S. 205) Diese Order läßt sich dahingehend interJohann Georg Gustav von Rauch (1774–1841) pretieren, dass sich Preußen zu

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jenem Zeitpunkt noch die Option eines gedeckten Rückzugs über den Rhein offen halten wollte, was unter anderem bei Koblenz geschehen würde. Eine Umsetzung der Befestigungsorder ist nicht belegt. Möglicherweise wurde durch den weiteren Erfolg der Koalitionsarmee, der zum Ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) führte, der königliche Befehl obsolet. Dennoch war der Aufbau eines gegen die französische Expansion gerichteten Verteidigungskonzeptes nicht allein ein preußisches, sondern ein wichtiges internationales Anliegen. Schon am 24. November 1813 hatten die verbündeten Mächte Österreich, Russland und Preußen die Errichtung eines Militärkomitees beschlossen, welches „das ganze VertheidigungsSystem von Deutschland, und insbesondere die, in dieser Absicht anzulegenden Befestigungen zu ordnen haben. Die Ausführung dieser Anordnung wird von den commandirenden Generalen der Armeen besonderen Militair-Comissärs aufgetragen werden.“ (Punkt 7 des Protokolls, abgedruckt bei Neumann, recueil, Bd. 2, S. 428f.) Nach dem Ersten Pariser Frieden drängte die preußische Militärführung auf die rasche Herstellung eines Festungssystems am Rhein. Mit der Untersuchung der dortigen Festungen wurde der damalige Generalstabschef des 3. deutschen Armeekorps Ernst Ludwig Aster (1778–1855) beauftragt, der zu diesem Zeitpunkt noch in russischen Diensten stand. In seiner „Denkschrift über das Befestigungssystem des nördlichen Deutschland gegen Frankreich und speziell die Bedeutung von Koblenz“ vom 4. Juli 1814 vertrat Aster die Auffassung, dass von den existierenden, von Preußen beanspruchten Festungen Wesel, Jülich, Luxemburg und Mainz nur letztere die Eigenschaft hätte, um einer Offensive Frankreichs entgegenzuwirken. Zur Verhinderung eines relativ ungehinderten Einfalls der französischen Armee über Metz, entlang der Mosel nach Koblenz und von hier gegen die Elbe sei Koblenz zu befestigen und zur Ernst Ludwig Aster Erschwerung einer feindlichen (1778–1855) Annäherung auf Köln ein vor-

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geschobener Posten bei Malmedy zu errichten. Schon zuvor hatte der preußische Kriegsminister Hermann von Boyen (1771–1848) seinen König am 23. Juni 1814 auf die Dringlichkeit der Neubefestigung von Koblenz und Ehrenbreitstein hingewiesen, deren Ausführung davon unabhängig sei, ob der Platz in Zukunft an Preußen falle oder nicht. Am 7. Juli 1814 bestimmte dann eine Kabinettsorder, dass der Schutt der Festung Ehrenbreitstein soweit weggeräumt würde, dass man den Zustand der noch vorhandenen Werke für eine Wiederbefestigung richtig Hermann von Boyen (1771–1848) beurteilen könne. Hiermit wurde am 24. Juli Aster beauftragt, der offenbar schon drei Tage zuvor einen ersten, heute nicht mehr erhaltenen Befestigungsentwurf für Koblenz und Ehrenbreitstein beim Militärgouverneur Friedrich Graf Kleist von Nollendorf (1762–1823) eingereicht hatte. Die Untersuchungen dauerten bis zum 3. September, und am 16. Februar 1815 reichte Aster noch einen Nachtrag zu seinem Befestigungsentwurf ein. Aster entstammte ursprünglich dem sächsischen Ingenieurkorps, wo bereits sein Vater Friedrich Ludwig Aster (1732–1804) es bis zum Chef des sächsischen Ingenieurkorps gebracht hatte. Ernst Ludwig Aster hatte in sächsischen Diensten eine erstaunliche Karriere hingelegt und seine Fähigkeiten im Ingenieurfach bereits eindrücklich bewiesen, u. a. bei der Neubefestigung von Torgau, deren Konzeption er 1810 in Paris Napoléon vorstellte. Auf Anraten von August Wilhelm Graf Neidhardt von Gneisenau (1760–1832) wurde er am 6. Februar 1815 als Oberst in das preußische Ingenieurkorps übernommen. Aster war zu jenem Zeitpunkt ein ausgewiesener Kenner der aktuellen französischen Ingenieurschule, dies lässt auch das Wenige erkennen, was von seinen Entwürfen für Koblenz überliefert ist. Wie zuvor von den Ingenieuren der Koalitionsarmee und später von den französischen Ingenieuren vorgebracht, griff Aster die Vorstel-

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lung der militärischen Sicherungen der umliegenden Höhen auf und schlug hierfür bastionäre Werke vor, die dem entsprachen, was in Torgau oder in (Mainz-)Kastel unter französischer Vorherrschaft entstanden war. Mit den Vorstellungen des preußischen Ingenieurkorps, das sich seit einigen Jahrzehnten von der offiziellen französischen Festungsmanier zusehends abwendete, war Aster zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend vertraut. So verwundert es beispielsweise nicht, dass ranghohe preußische Militärs wie Graf Neidhardt von Gneisenau und Karl von Clausewitz (1780–1831) die Entwürfe von Aster nachweislich ablehnten.

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August Wilhelm Graf Neidhardt von Gneisenau (1760–1832)

Preußische Befestigungsorder Konkret wurde der Festungsbau am Rhein durch die Rückkehr Napoléons von der Insel Elba am 6. März 1815. Fünf Tage später erließ auf dem Wiener Kongress unter dem Eindruck des bevorstehenden Kriegsausbruchs der preußische König Friedrich Wilhelm die Befestigungsorder: „Ich habe beschlossen 1) die Stadt Koblenz zu befestigen und die Festung Ehrenbreitstein wieder herzustellen; 2) den Graben, Hauptwall und Glacis von Köln in Stand setzen; 3) das Fort Blücher (bei Wesel) vollenden und die nöthigen Außenwerke auf dem linken Rheinufer anlegen; 4) Minden wieder herstellen; und 5) einen gedeckten Weg und die nöthigen Außenwerke bei Erfurt anlegen zu lassen, und setze demgemäß hierdurch fest, daß alle diese Werke nur von Erde ausgeführt werden, sämtliche Arbeiten durch Soldaten geschehen (solange es die kriegerischen Verhältnisse erlauben), und diese für jede Tagearbeit, wie sie nach den Ingenieurgrundsätzen feststehen, eine Zulage von 4 Groschen, oder wo es zweckmäßiger ist, ganz oder zum Theil von Lebensmitteln erhalten, und daß, wenn diese Arbeiten

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nicht von Soldaten geschehen können, sie zur Kostenersparniß durch gezwungene vom Lande gestellte Arbeiter ausgeführt werden sollen. Ich trage Ihnen auf, zur Ausführung dieser Bestimmung sogleich die nöthigen Verabredungen mit einander zu treffen und haben Sie, Finanzminister v. Bülow, dem Kriegsminister v. Boyen vorläufig die Summe von 300.000 Thalern zur Disposition zu stellen, damit die Arbeiten angefangen werden können, was augenblicklich geschehen muß.“ (nach Bonin, Ingenieurkorps, Bd. 2, S. 120f.) Am 20. März kam es im Kriegsministerium zur entscheidenden Sitzung, an der der Kriegsminister Generalmajor von Boyen, der Generalstabschef Generalleutnant Graf Neidhardt von Gneisenau, der Chef des Ingenieurkorps und Generalinspekteur der Festungen Generalmajor von Rauch, Oberst Moritz von Schoeler (1771–1855) und Major Karl von Liebenroth (1772–1857) vom 1. Departement des Kriegsministeriums teilnahmen. Resultat waren die „Allgemeinen Bestimmungen“, wonach für die Projekte von Koblenz/Ehrenbreitstein, Köln/Deutz, Minden und Erfurt Baukommissionen ernannt wurden, denen der Ingenieur vom Platz, ein Generalstabsoffizier und ein Regierungskommissar angehören sollten. Die Baudirigenten habe von Rauch vorzuschlagen. Die Arbeiten und Fuhren sollten vom Militär gestellt werden. Von den vorläufig angewiesenen 300.000 Talern sollte ein Drittel für die Fortifikationsarbeiten bei Koblenz aufgewendet werden. Hierfür wurde ein „spezielles Befestigungsprinzip“ vereinbart, wonach die Errichtung von Werken in Form von Fleschen und Lünetten auf den Höhen des linken Rheinufers (Karthäuser Plateau und Petersberg) vordringlich seien, die später zu Hauptwerken ausgebaut werden sollten. Koblenz selbst sollte unter Einbeziehung des Schlosses gegen den gewaltsamen Angriff gesichert werden, und die Festung Ehrenbreitstein sei wiederherzustellen (wörtlich wiedergegeben bei Weber, Quellen, S. 31–33). Wesentlich ergänzt wurden diese Bestimmungen durch die „Allgemeinen Vorschriften und Bemerkungen für die Anfertigung der Projekte und die Ausführung der Befestigungsarbeiten“, die von Rauch am gleichen Tag verabschiedete. Diese legten fest, dass für eine Festung zunächst ein Gesamtplan zu erstellen sei, in dem alle Befestigungen und künftig zu errichtenden Werke einzutragen seien. Dabei hätten sich das Festungsprojekt und die einzelnen Werke nicht nach einer bestimmten Befestigungsmanier zu richten, sondern sollten die vorhandene lokale Situation berücksichtigen. Bei den sinnvoll anzulegenden Bauten sollten Kostenersparnis, strenge Ökonomie und schnelle Ausführbarkeit entscheidend sein. Die Festungswerke, ihre fortifikatorische Verstärkung, die Anlage und Anordnung ihrer Außenwerke sollten unter Beachtung des Prinzips errichtet

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werden, dass der Belagerer von keinem Punkt der Kontereskarpe und des gedeckten Weges den Hauptwall breschieren könne. Alle Positionen, die für den Angriff auf die Festung wichtig seien, müssten mit detachierten Werken befestigt werden. Diese Werke seien im Bereich von Schnittpunkten wichtiger Fortifikationslinien anzulegen und gegen den gewaltsamen Angriff einzurichten. Sie sollten freistehende Eskarpen in Form von krenelierten Bogenmauern erhalten sowie Kaponnieren oder krenelierte Galerien für die Grabenflankierung und bombenfeste, verteidigungsfähige Reduits. Gedeckte Kommunikationen sollten die Festung mit den detachierten Werken verbinden. In den Festungen sollten Kasernenneubauten als bombensichere Defensivgebäude entstehen, die zur Abschnittsbildung in die Bastionskehle gelegt werden könnten. Für den Munitionsbedarf müssten sicher gelegene, bombenfeste Bauten vorhanden sein. Die anzulegenden Bauten habe man zunächst in Hinblick auf die Sicherung gegen den gewaltsamen Angriff anzulegen (wörtlich wiedergegeben bei Weber, Quellen, S. 35–38). Diese Bestimmungen und Vorschriften vom 20. März 1815 waren nicht nur die Grundlage für das Koblenzer Fortifikationsprojekt, sondern auch für das, was künftig generell in Preußen geplant und gebaut werden sollte. Sie positionierten und fixierten die preußische Festungsbauauffassung und initiierten ein Baugeschehen, das von der Festungsforschung als „neupreußische Festungsbaumanier“ angesprochen wird und das zugleich elementarer Bestandteil der sich erneuernden internationalen Festungsbauweise wurde. Zugleich machen die Bestimmungen und Vorschriften deutlich, dass zu Beginn des Jahres 1815 die Diskussion um den künftig zu errichtenden Fortifikationsbau im preußischen Militär soweit fortgeschritten war, dass diese richtungsweisenden Entscheidungen gefällt werden konnten. Dies trug entscheidend dazu bei, dass mit den Bauten von Koblenz und Ehrenbreitstein eine neue Epoche im preußischen Festungsbau eingeläutet wurde. Es entstand eine preußische Militärarchitektur, die international beachtet und diskutiert wurde, an der man sich orientierte bzw. auf die man reagierte. Bauausführung Am 9. April 1815 traf der Erste Ingenieur vom Platz, Kapitän Johann Karl Jachnick (1770–1835), in Koblenz ein, und es wurde unter Beteiligung des Katasteringenieurs Heinrich Christ (um 1768–1820) und des Baubeamten Johann Claudius von Lassaulx (1781–1848) eine Festungsbaukommission gegründet. Nach fast zwei Wochen war man soweit, dass am 21. April 1815 die Festungsbauarbeiten mit der Wiederherstellung des Kron-

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werks am Ehrenbreitsteiner Ufer zur Sicherung der Moselmündung und der Rheinkommunikation begannen. Die Befestigungsarbeiten bei Koblenz wurden dann jedoch bereits gegen Ende des Monats gegenüber der Befestigung von Köln als weniger dringlich eingestuft, weshalb die Hälfte des für Koblenz vorgesehenen Baugeldes nach Köln transferiert wurde und Jachnick im Juni die dortige Bauleitung übernahm. Nach Ehrenbreitstein kam indes der zu diesem Zeitpunkt noch recht unerfahrene Premierleutnant Heinrich von Hoinigen gen. Huene (1790– 1857). Huene blieb vor Ort, überClaudius von Le Bauld de Nans nahm die Aufgaben des Platzingeet Lagny (1767–1844) nieurs von Ehrenbreitstein und war damit nur zuständig für die Befestigungen auf dem rechten Rheinufer. Für die vordringlichere Baustelle auf dem linken Rheinufer setzte man indes Heinrich Buschbeck (1779–1833) als Ingenieur vom Platz Koblenz ein. Buschbeck kam wie Aster aus sächsischen Diensten und hatte u.a. die Bauleitung beim Torgauer Brückenkopf gehabt, galt damit als im Baufach ausgewiesener Ingenieuroffizier. Nachdem die Bauarbeiten auf dem linken Rheinufer zu einem gewissen Abschluss gekommen waren, wurde Buschbeck 1825 nach Luxemburg versetzt, und Huene war nun Platzingenieur von Koblenz und Ehrenbreitstein. Aster hatte man am 20. März 1815 zum Brigadier der Rheinfestungen ernannt, doch konnte er hier zunächst nicht wirken, da er nach Frankreich abberufen wurde. Die Leitung der Rheinfestungen übernahm General von Rauch vorerst persönlich. Nach der Kriegszeit kam Aster zurück und übernahm fortan die Leitung der Festungsbauten im Rheinland und in Westfalen. Er erarbeitete jedoch nicht das Befestigungsprojekt von Koblenz, sondern damit beauftragte von Rauch den preußischen Ingenieuroffizier Claudius von Le Bauld de Nans et Lagny (1767–1844). Dieser galt als erfahrener und fähiger preußischer Festungsingenieur mit schwierigem Charakter, dem man 1814 die wichtige Aufgabe des Platzingenieurs von Mainz übertragen hatte. Als man Le Bauld de Nans unter den Befehl des aus sächsischen Diensten kommenden, zehn Jahre jüngeren Aster stellte,

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war dies offenbar so konfliktreich, dass man Le Bauld de Nans 1817 schließlich nach Sachsen versetzte und statt seiner Benjamin Keibel (1770–1835) für die weitere Planung nach Koblenz berief. Le Bauld de Nans hatte am 3. März 1816 die Befestigungsentwürfe für die rechte Rheinseite und am 9. April für die linke Rheinseite bei Aster eingereicht. Dieser versah sie mit seinen Anmerkungen und leitete sie am 14. März bzw. 10. April nach Berlin weiter. Hier war man mit den Entwürfen nicht zufrieden, und von Rauch nahm daran größere Veränderungen vor, bevor sie dem Kriegsminister vorgelegt wurden, der darüber am 2. Juni entschied. Im August kam von Rauch für neun Tage nach Koblenz, um selbst die Hauptwerke auf der Karthause (Feste Kaiser Alexander) und

Preußische Befestigungen von Koblenz und Ehrenbreitstein bis 1834 mit Eintragung der Grenze des 1. Rayon und des 2. Rayon

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dem Petersberg (Feste Kaiser Franz) abstecken, tracieren und mit Gerüsten für die Bauhöhen vorbereiten zu lassen. Im August 1816 begannen die Bauarbeiten der Festung Ehrenbreitstein bei der Kontergarde links, am 3. September die Erdarbeiten bei der Feste Kaiser Alexander (Südfront) und am 16. September bei der Feste Kaiser Franz. Systematisch verlief nun das weitere Baugeschehen. Zunächst stellte man die drei Hauptwerke so weit her, dass sie 1818/1819 gegen den gewaltsamen Angriff als gesichert galten, um dann die kehlseitigen Reduits zu errichten. Auch dehnte man den Befestigungsbereich weiter aus und begann mit den Arbeiten für die Stadtbefestigung von Koblenz und für die Anlagen auf der Pfaffendorfer Höhe (heute Asterstein). Beim weiteren schrittweisen Ausbau begann man ab 1820 die Arbeiten an der Neuendorfer Flesche, 1821 am Fort Konstantin, 1822 an den Werken Glockenberg (Asterstein) und Nöllenkopf (Ehrenbreitstein) und ab 1823 bei der Moselweißer Flesche (westlich von Koblenz). 1822 waren die Hauptarbeiten bei der Feste Kaiser Franz und der Feste Kaiser Alexander bereits beendet, und 1826 galt dies für den Festungsbau auf dem gesamten linken Ufer. Am 3. August 1828, dem Geburtstag des preußischen Monarchen, kam es dann bei der Festung Ehrenbreitstein zur feierlichen Schlusssteinlegung, doch brauchte es noch bis 1834, dass der Gesamtplan der preußischen Doppelfestung KoblenzEhrenbreitstein mit seinen sechs Befestigungssystemen als beendet angesehen wurde. Bauarbeiter Bei dem Festungsbau beteiligten sich, wie in der Befestigungsorder gefordert, die vor Ort stationierten Truppen. Dies waren zunächst bis zu ihrem Abmarsch im Juni 1815 die Soldaten der 1. Kompanie des Mansfelder Pionier-Bataillons. Ab 1816 waren es dann Soldaten der 7. und 8. Pionierabteilungen. Auch konnten sich Militärs anderer Einheiten freiwillig für den Festungsbau melden, so dass zweitweise bis zu 2/3 der Koblenzer Garnison beteiligt waren. In der 20jährigen Bauzeit lassen sich rund 120 Ingenieuroffiziere nachweisen, von denen etwa die Hälfte zwei Jahre und weniger in Koblenz oder Ehrenbreitstein garnisoniert waren. Offensichtlich setzte man die Festungsbaustelle auch als eine Art von Schulungsbau für das preußische Ingenieurkorps ein, was zudem auch einen Niederschlag in „Beiträge zur angewandten Befestigungskunst, erläutert durch Beispiele aus den neuern Preußischen Befestigungsanlagen“ fand, die Moritz von Prittwitz und Gaffron (1795–1885) auf Veranlassung des langjährigen Generalinspekteurs der Festungen und Chef des Ingenieurkorps Johann Georg von Rauch 1836 für den „ausschließlichen Gebrauch des

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Ingenieurskorps“ verfasste. Der Autor war selbst zwischen 1819 und 1824 bei den Koblenzer Festungswerken tätig gewesen, und so verwundert es nicht, dass etwa ein Drittel der 100 Tafeln sich unmittelbar auf das bezog, was zehn bis zwanzig Jahre zuvor um die Moselmündung an Bauten entstanden war. Von Anfang an waren auch Zivilarbeiter beim Festungsbau tätig. Anfang 1815 verlangte man von den umliegenden Gemeinden noch Frondienste, die man ab dem 25. April als unentgeltlich zu leistende Kriegslast einforderte. Im Juni 1815 waren dies täglich 300 Handarbeiter und 30 doppelspännige Fuhren. Auf der Baustelle wurden nicht nur Männer eingesetzt, sondern auch bis zu einem Drittel Frauen und „Knaben“ über 14 Jahren. Diese von den neuen Machthabern am Rhein angeordnete Zwangsmaßnahme löste deutliche Kritik aus, die noch zunahm, als der Kriegsminister von Boyen sie auch nach Kriegsende noch fortsetzen wollte. Erst am 23. Juni 1816 wurde der Frondienst für den Festungsbau abgelöst, und statt seiner warb man nun Lohnarbeiter an. Dies stellte sich in den Anfangsjahren als ähnlich problematisch heraus, da man keine angemessenen Lohnsätze festsetzte. Der geringen Begeisterung für den Festungsbau wollte 1817 der Innenminister durch Polizeimaßnahmen begegnen, da er der Ansicht war, dass trotz der hohen Arbeitslosigkeit sich nicht genügend Menschen bei den Baustellen einfanden. Dies wurde jedoch von der Bauleitung und der Bezirksregierung abgelehnt, da ihrer Meinung nach „der Festungsbau nicht gewinne, wenn diese Bettler mit Gewalt zu den ArbeitsPunkten hingeschleppt werden. Sie werden bald fortlaufen, wie die Erfahrung auch schon gelehrt hat, oder sie werden so schlecht und faul arbeiten, dass die Bau-Kommission sie bald wieder von selbst entlassen wird.“ (Landeshauptarchiv/Koblenz, Best. 402, Nr. 604) 1819 erreichte die Anzahl an Festungsbauarbeitern mit 6.530 Personen ihren Höchststand. Die Arbeiter stammten nicht nur aus der preußischen Rheinprovinz, sondern auch aus dem benachbarten Nassauischen „Ausland“. Ein Mangel bestand an geeigneten Facharbeitern, vor allem Steinmetze und Maurer waren gefragt, die man u.a. in den Niederlanden und in Tirol anwarb. 1818 berichtete Clausewitz: „Unsere Festungsarbeiten bei Koblenz werden in diesem Jahr einen guten Schritt vorwärts tun, da es den Ingenieuren gelungen ist, nahe an tausend Maurer aufzutreiben. Sie haben sich endlich überzeugt, dass der Mangel an Arbeitern nicht in der Indolenz der Einwohner zu suchen [ist], sondern in den unpassenden Lohnsätzen; seitdem sie diese beträchtlich erhöht haben, sind sie bis zu jener beträchtlichen Zahl von Maurern gestiegen.“ (Hahlweg, Clausewitz, Bd. 2, S. 335) Dennoch bot die jahreszeitlich beschränkte Tätigkeit beim

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Festungsbau, das relativ hohe Verletzungsrisiko und häufig eine einem Tagelöhner vergleichbare Bezahlung keine wirklich stabile Lebensgrundlage. Um die bei diesen Bedingungen vorkommenden Notfälle abzumildern, gründeten die beiden Platzingenieure Buschbeck und Huene 1820 den „Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger und verunglückter Festungsarbeiter“. Eine Verbesserung brachte in den folgenden Jahren auch, dass die Arbeiter aus den entfernteren Gegenden nicht nur in den Baumonaten mit Arbeit versorgt wurden, sondern man ihnen auch Arbeit für die Winterzeit zuteilte, wodurch sie teils über Jahre beim Bau verblieben. Mit der allmählichen Fertigstellung der Festungsanlagen gingen auch die Arbeitsmöglichkeiten zurück. Von Seiten der lokalen Behörden drängte man darauf, dass die „ausländischen“ Arbeiter, die teils mit ihren Familien über Jahre ein Auskommen gefunden hatten und sesshaft geworden waren, wieder in ihre Heimat zurückkehrten, da nach ihrer Entlassung von den Baustellen zunächst jegliche Erwerbs- und Existenzgrundlage fehlte und ihr Drängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bei den Alteingesessenen Existenzängste auslöste. Schon 1822 lastete der Koblenzer Bürgermeister den „Gastarbeitern“ eine Zunahme an Diebstahlsdelikten an und forderte 1825, dass die Kommunalordnung die Niederlassung von gewerbetreibenden Fremden eindämme und der Gemeinde ein Recht der Annahme und der Verweigerung zugestanden würde. Es kam zu einem Verdrängungsprozess der Tagelöhner- und Handwerkerfamilien in das Umland, das in der Folge den Nährboden für die ersten Arbeiterviertel von Koblenz bildete, wie dies z.B. für Metternich nachgewiesen ist. Bedeutung Die Festungsanlagen von Koblenz waren Teil des verwirklichten Verteidigungssystems, welches die internationale Koalition 1814 gefordert hatte, um einem neuerlichen Drängen Frankreichs gen Osten Einhalt zu gewähren. Entlang der Westgrenze des Deutschen Bundes hatte man sich dabei für den Ausbau eines Netzsystems mit einzelnen Waffen- und Depotplätzen entschieden, wozu die fünf Bundesfestungen Luxemburg, Mainz, Landau, Rastatt und Ulm gehörten, gemeinsam mit den preußischen Landesfestungen Wesel, Jülich, Köln, Saarlouis und Koblenz-Ehrenbreitstein sowie der bayrischen Festung Germersheim. Einerseits hatte man mit Wesel, Jülich, Luxemburg, Saarlouis, Mainz und Landau bereits bestehende Festungen übernommen, andererseits entstanden mit Köln, Koblenz, Germersheim, Rastatt und Ulm weitere Festungen an wichtigen Punkten im strategischen Gewebe des Landes. Der Kriegsminister von Boyen schrieb am 29. Mai 1816 dem Generalinspekteur der Festungen von Rauch, dass

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die jüngsten Kriegsereignisse gezeigt hätten, dass eine Vielzahl an Festungen nicht ratsam sei. Vielmehr plädierte er für einzelne befestigte Punkte als Vorrats- und Sammelstätten. Hier könne man bei einem Überfall die Streitkräfte der Provinz zusammenziehen, um dem Gegner solange Widerstand entgegenzubringen, bis von außerhalb eine Armee zu ihrer Verteidigung herangezogen worden sei. Die vorgesehene Festung Koblenz-Ehrenbreitstein biete eine wichtige Flügelstellung für Köln als dem Zentralpunkt der preußischen Besitzungen am Rhein und mit seinem Terrain auf beiden Seiten der Mosel mehrere gute Stellungen für ein bewegliches Korps. Vergleicht man die preußischen Befestigungen von Koblenz mit dem Vorangegangen, so fällt die enorme Geländeausdehnung auf, durch die weiträumig ein Areal von gut 25 km² militärisch beherrscht wurde, während sich die Barockfestungen eng um die städtische Siedlung geschmiegt und auf das Höhenplateau konzentriert hatten. Eine vergleichbare räumliche Ausdehnung hatte allerdings schon die Feldbefestigung von 1792 gehabt. Es täuscht jedoch, ginge man davon aus, in Koblenz hätte man lediglich die Idee der Feldbefestigung von 1792 aufgegriffen und zu einem permanenten befestigen Lager umgebaut. Vielmehr entstand eine Befestigung, die Aster als vorbereitetes Schlachtfeld bezeichnete. Hier sollte sich im Ernstfalle weit mehr als eine förmliche Belagerung abspielen. Die preußischen Festungswerke von Koblenz wurden auf einen künftigen strategisch-taktischen Gebrauch hin konzipiert und bildeten ein verhältnismäßig offenes System von sich gegenseitig deckenden Werken bzw. Werkgruppen, die in der Literatur mitunter treffend als Schießplatzsystem bezeichnet wurden, innerhalb dessen sich eine gefechtsmäßige Armeeoperation ausführen ließ. Neu und aufsehenerregend war hierbei die Stringenz der angewendeten fortifikatorischen Mittel. Vorbildlich weit fortgeschritten war die Diskussion in der preußischen Militärführung um die Erneuerung der Festungsbauweise und die Einführung bestimmter, mehrheitlich der französischen Festungstheorie entstammender Elemente. Auf der Grundlage der gegebenen Vorschriften von 1815 entwickelte man eine Befestigung, für die der Gebrauch von polygonalem Tracé, Artilleriekasemattenkorps, Grabensicherung mit krenelierten freistehenden Eskarpenmauern, Kaponnieren und Kontereskarpengalerien oder detachierte Werke mit kasemattiertem, defensiven Kehlreduit charakteristisch wurde, um nur einige wesentliche Merkmale zu benennen. Hinzu kam eine innovative, pseudoempirische Bauausführung. So überprüften die Ingenieure noch vor, während und nach der Errichtung die Wehrtauglichkeit, wofür die Anlagen z.T. gefechtsmäßig durch die Artillerie beschossen wurden, so dass 1822 Ernst Ludwig Aster an seinen Bruder

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Karl Heinrich (1782–1855) schrieb: „Wir haben auf diese Weise unsere ganze Festungsarmierung geprüft und haben über das, was sie einst wirklich leisten kann, fast keinen Zweifel mehr.“ Die Erneuerung war so grundlegend, dass 1819 die Militärkommission des Deutschen Bundes dieses „Neue Bauen“ am Rhein für die künftig zu errichtenden Bundesfestungen festschrieb („Vorläufige Bestimmungen über die Bundesfestungen“ § 8). Die preußischen Befestigungsanlagen von Koblenz stehen am Anfang dessen, was die Festungsforschung im Allgemeinen als neupreußische Befestigungsmanier bezeichnet. Hierbei handelt es sich weniger um eine nationale Entwicklung, sondern um eine allgemeine Festungsidee, die den internationalen Festungsbau beschäftigte und die sich den militärtechnischen Zwängen verpflichtet fühlte und nicht dem Ausdruck eines völkischen Bewusstseins, in dessen unglücklichen Zusammenhang sie bis heute gerne gebracht wird. Aus militärwissenschaftlicher Sicht lassen sich die preußischen Festungsanlagen am Zusammenfluss von Mosel und Rhein leicht als ein überwältigender Erfolg darstellen, anders sieht es jedoch aus, wird man die erdrückende Konsequenz gewahr, die die fortifikatorische Landschaft für die zivile Siedlung hatte und die folgenschwer die Entfaltung des urbanen Entwicklungspotenzials für lange Zeit verhinderte.

Ansicht von Ehrenbreitstein von Südosten (2012)

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Die Autoren Prof. em. Dr. Dr. h. c. Heinz Duchhardt, geb. 1943, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in Mainz, Bonn und Wien, Promotion 1968 (Mainz), Habilitation 1974 (Mainz), 1984–2005 Lehrstühle an den Universitäten Bayreuth und Münster, 1994–2011 Direktor des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, seit 2009 Präsident der Max Weber Stiftung. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Alten Reiches und der „Sattelzeit“, zur historischen Friedensforschung und zur Europaidee. Prof. em. Dr. Franz J. Felten, geb. 1946, nach Studien in Saarbrücken und Paris Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Promotion und Referendariat an Gymnasien in Saarbrücken, danach an der Freien Universität Berlin (Habilitation), Essen, Dresden und Halle/Saale tätig. Von 1997 bis 2011 Professor für mittelalterliche Geschichte in Mainz, von 2003 bis 2013 Leiter des Instituts für Geschichtliche Landeskunde. Forschungsinteressen vor allem auf dem Gebiet des frühen Mittelalters, der Geschichte der Kirche und der religiösen Bewegungen in sozial- und politikgeschichtlicher Perspektive; Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und Historischer Kommissionen. Prof. Dr. Michael Kißener, geb. 1960 in Bonn, 1982–1987 Studium der Geschichte, Germanistik und Pädagogik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn; 1987 Staatsexamen SI/II; 1991 Promotion; 1991/92 Volontär, dann Projektleiter im RAABE-Fachverlag für Wissenschaftsinformation, 1992– 2002 Geschäftsführer der Forschungsstelle „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten“ an der Universität Karlsruhe; 2002 Habilitation an der Universität Karlsruhe, seit 2002 Univ.-Prof. für Zeitgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Forschungsschwerpunkte: Europäische Rechtsgeschichte, Nationalsozialismus und Widerstand, Regionale Zeitgeschichte. Anton Neugebauer, geb. 1949, Studium der Geschichte und Kath. Theologie in Mainz und Freiburg/Br., 1974–1980 Schuldienst an einem Koblenzer Gymnasium,

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seitdem Referent im rheinland-pfälzischen Kultusministerium, derzeit zuständig für Archive, Bibliotheken, nichtstaatliche Museen und Landesgeschichte. Seit 1991 Mitglied der Kommission des Landtags für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Veröffentlichungen zur Kunst-, Kultur- und Regionalgeschichte in Zeitschriften und Sammelbänden. Schwerpunkt: Erinnerungskultur (Heraldik, Historienmalerei, Denkmäler etc.). Prof. Dr. Josef Johannes Schmid, geb. 1966, nach Studien u.a. der Geschichte, Theologie, Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und politischen Wissenschaften 1990 M.A., 1995 Dr. phil. – beides mit Arbeiten zu Fürstbischöfen des Hauses PfalzNeuburg; seit 1997 Dozent für Neuere Geschichte an der Universität Mainz, 2003 Habil., 2006 Lehrpreis des Landes Rheinland-Pfalz, 2010 apl. Prof.; daneben Lehraufträge und Gastdozenturen u.a. in Passau und Dijon. Zahlreiche Publikationen zur Kultur-, Zeremonial-, Diplomatie-, Militär- und Musikgeschichte Europas, sowie Nord- und Lateinamerikas. Prof. Dr. Bernd Schneidmüller, geb. 1954 in Hainchen (Hessen), Studium der Geschichte, Germanistik, Evangelischen Theologie in Zürich und Frankfurt am Main, Promotion 1977, Habilitation 1985. Professuren an den Universitäten Oldenburg, Braunschweig, Bamberg, seit 2003 an der Universität Heidelberg. Dort Direktor des Historischen Seminars und des Instituts für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde. Ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Publikationen zur mittelalterlichen Geschichte und zur Landesgeschichte. Dr. Klaus Weber, geb. 1966, Studium der Kunstgeschichte, Klass. Archäologie und Volkskunde in Mainz und Marburg, Magister Artium 1994, Promotion über die preußischen Festungsanlagen von Koblenz und Ehrenbreitstein 2000 (Mainz), 1994–2001 tätig als freiberuflicher Kunsthistoriker u.a. für das Bistum Limburg, Internationale Tage Ingelheim und das Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz. 2001–2010 Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz-Landau, seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der Universität Mainz, 2008 Übernahme der Leitung des Arbeitsbereiches Digitale Dokumentation.

Bildnachweis A. Buchholz: Frila: GDKE, Landesdenkmalpflege, Foto Heinz Straeter 1973: Manfred Heyde: Priesdorff, Soldatisches Führertum: Stadtarchiv Mainz: Stadtarchiv Trier, Dominicus Custos, Sign. Porträtsamml. Nr. 0214 Klaus T. Weber: Holger Weinandt, Koblenz: Berthold Werner: wikimedia commons:

S. 137 S. 129 S. 133 S. 131 S. 148, 149, 150, 151, 154 S. 121 S. 92 S. 145, 146, 155, 160 S. 124, 127, 130, 139 S. 136 S. 93, 94, 97, 98, 99

m a i n z e r vo rt r äg e Herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Mainz e.V. Die Mainzer Vorträge des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Johannes GutenbergUniversität Mainz e.V. verfolgen das Ziel, wichtige historische Themen und Ergebnisse der Forschung einem breiten, historisch interessierten Publikum zu präsentieren. Dank der seit Jahren vorzüglichen Kooperation mit der Akademie des Bistums Mainz – Erbacher Hof steht dafür mit dem Haus am Dom ein idealer Veranstaltungsort im Herzen der Stadt zur Verfügung. So trägt die jeweils im Januar/Februar veranstaltete Vortragsreihe ebenso wie die Präsentation der neuen Bände der wissenschaftlichen Reihe Geschichtliche Landeskunde im Rathaus und an anderen Orten dazu bei, die Verbindung zwischen der Universität und der Stadt zu vertiefen. Die Vortragsreihe steht jeweils unter einem Generalthema, das von Fachleuten vorwiegend, aber nicht ausschließlich mit regionalgeschichtlichem Bezug in verschiedenen historischen Epochen behandelt wird. Die wachsenden Zuhörerzahlen bestätigen, dass das Konzept angenommen wird. Die Drucklegung in einer preiswerten Reihe will vor allem den Hörerinnen und Hörern die Gelegenheit geben, den flüchtigen Eindruck des Vortrags zu vertiefen bzw. versäumte Vorträge nachzulesen. Die einzelnen Bände werden allen Mitgliedern des Instituts für Geschichtliche Landeskunde e.V. auf Anforderung als Jahresgabe überreicht. Die Vorträge wie die Publikation wenden sich also nicht primär an die Fachwissenschaftler, die gleichwohl willkommen sind (und in erfreulicher Zahl erscheinen). Die gedruckte Vortragsfassung bietet in der Regel weiterführende Literaturhinweise, aber nur ausnahmsweise Fußnoten und Register. Wenn die Mainzer Vorträge trotzdem wissenschaftlich anregend wirken, so ist das ein willkommener Nebeneffekt.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 0949–4596

Michael Matheus (Hg.) Juden in Deutschland 1995. 144 S. mit 20 Abb. und 3 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-06788-1 Michael Matheus (Hg.) Regionen und Föderalismus 50 Jahre Rheinland-Pfalz 1997. 120 S. mit 2 Abb. und 3 Ktn. (davon 1 fbg.), kt. ISBN 978-3-515-06879-6 Michael Matheus (Hg.) Fastnacht / Karneval im europäischen Vergleich 1999. 199 S. mit 42 Abb., 6 Tab. und 4 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-07261-8 Michael Matheus (Hg.) Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit 1999. 135 S. mit 33 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07431-5

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Michael Matheus (Hg.) Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit 2001. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-07727-9 Sigrid Schmitt (Hg.) Frauen und Kirche 2002. 138 S. mit 10 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08060-6 Michael Matheus (Hg.) Stadt und Wehrbau im Mittelrheingebiet 2003. 132 S. mit 49 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08228-0 Sigrid Schmitt / Michael Matheus (Hg.) Kriminalität und Gesellschaft in Spätmittelalter und Neuzeit 2005. 137 S. mit 14 Abb., 3 Tab. und 1 fbg. Faltkte., kt. ISBN 978-3-515-08281-5

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Franz J. Felten (Hg.) Bonifatius – Apostel der Deutschen Mission und Christianisierung vom 8. bis ins 20. Jahrhundert 2004. 159 S. mit 9 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08519-9 10. Michael Matheus (Hg.) Lebenswelten Johannes Gutenbergs 2005. 216 S. mit 23 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07728-6 11. Franz J. Felten (Hg.) Städtebünde – Städtetage im Wandel der Geschichte 2006. 121 S. mit 9 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08703-2 12. Franz J. Felten (Hg.) Mainzer (Erz-)Bischöfe in ihrer Zeit

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2008. 169 S. mit 19 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08896-1 Franz J. Felten (Hg.) Frankreich am Rhein Vom Mittelalter bis heute 2009. 236 S. mit 43 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09327-9 Franz J. Felten (Hg.) Wirtschaft an Rhein und Mosel Von den Römern bis ins 19. Jahrhundert 2010. 114 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09820-5 Franz J. Felten (Hg.) Städte an Mosel und Rhein von der Antike bis nach 1945 2013. 143 S. mit 33 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10456-2

Das Landeswappen von Rheinland-Pfalz (wie auch das des Saarlandes) lässt nicht erkennen, dass wesentliche Teile dieses Landes bis ins 20. Jahrhundert preußisch bzw. bayerisch waren. Nur dem Kenner erschließt sich, dass der pfälzische Löwe (in beiden Fällen) die Verbindung herstellt. Bewusst knüpfte man nach 1945 bei der Gestaltung der Wappen an die Territorien vor dem Untergang des Alten Reiches und nicht an die Verhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts an: Folge der „Hasslieben am Rhein“, wie Michael Kißener seinen Beitrag überschrieben hat?

Die Autoren greifen weit in die Vergangenheit zurück, um zu zeigen, wie im Mittelalter „Bayern an die Pfalz kam“, ehe es im 19. Jahrhundert umgekehrt war, erinnern aber auch an die Wittelsbacher Kurfürsten-Erzbischöfe in Köln und Mainz und zeigen, „warum und wie die Preußen nach Mainz kamen“. Unterschiedliche Aspekte der jeweiligen Beziehungen werden betrachtet, so neben der historischen Entwicklung und den dynastischen Verflechtungen auch das architektonische Erbe Preußens am Rhein allgemein sowie die preußische Landesfestung Koblenz im Besonderen.

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ISBN 978-3-515-10774-7

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