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German Pages 308 Year 1978
Praxis des neuen Familienrechts
Referate und Berichte der Großen Arbeitstagung des Fachverbandes Berliner Stadtvormünder e. V. vom 28. November bis 2. Dezember 1977 in Berlin
w DE
G 1978
Walter de Gruyter • Berlin • New York
SAMMLUNG GÖSCHEN 2854
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Praxis des neuen Familienrechts: Referate u. Berichte d. großen Arbeitstagung d. Fachverb. Berliner Stadtvormünder e. V. vom 28. November bis 2. Dezember 1977 in Berlin. — 1. Aufl. — Berlin, New York : de Gruyter, 1978 (Sammlung Göschen; Bd. 2854) ISBN 3-11-007444-3 NE: Fachverband Berliner Stadtvormünder © Copyright 1978 by Walter de Gruyter 8c Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit 8c Comp., 1000 Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden — Printed in Germany - Satz und Druck: Saladruck, 1 Berlin 36 - Bindearbeiten: Berliner Buchbinderei Wübben Sc Co., 1 Berlin 42
Vorwort
Die Flut neuer Gesetze im Ehe- und Familienrecht, die 1977 über den Praktiker hereinbrach, löste allgemeine Unsicherheit und — dadurch bedingt — Unbehagen in den Amtsvormundschaften aus. Nicht nur die bereits vorliegenden Änderungen des Ehe- und Scheidungsrechts, sondern auch weite Teile des Unterhalts-, Adoptionsund Verfahrensrechts sowie die bisher bekanntgewordenen Absichten des Gesetzgebers zur Neuordnung des Rechts der elterlichen Sorge und des Jugendhilferechts zwingen den in diesem Bereich Beschäftigten zur Neuorientierung und zum Umdenken, damit eine optimale Ausschöpfung der Gesetzesnormen im Interesse des Bürgers erreicht werden kann. Der Fachverband Berliner Stadtvormünder e. V. setzte das allgemeine Unbehagen in die Idee um, die Praktiker der mit den genannten neuen Gesetzen Arbeitenden in Berlin zu einer Tagung zusammenzuführen, um in Diskussionen über die Normen Freiräume und Mängel aufzuzeigen und zu einer einheitlicheren Anwendung zu gelangen. Welcher Ort wäre für eine derartige Zusammenkunft besser geeignet als Berlin, von wo aus in der Vergangenheit stets befruchtende Impulse auch im Familienrecht, insbesondere im Vormundschaftsrecht, ausgegangen sind. Im gleichen Maße, in dem der Gedanke einer großen Arbeitstagung in Berlin sich festigte, türmten sich aber schier unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten auf, die für den kleinen, finanzschwachen und mit den rechtlich unzulänglichen Attributen eines privaten Vereins ausgestatteten Fachverband manchmal kaum zu bewältigen waren. Sie konnten nur durch die Begeisterung und den selbstlosen Einsatz von Mitarbeitern, insbesondere der unermüdlichen Arbeit des gesamten Vorstandes, überwunden werden.
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Vorwort
Als Leitthema einer solchen Tagung drängten sich die Reformgesetze im Familienrecht geradezu auf. Als besondere Schwerpunkte waren erkennbar: Das Unterhaltsrecht mit seinen unterschiedlichen Auslegungs- und Berechnungsmöglichkeiten, das Adoptions- und Adoptionsvermittlungsrecht wegen seiner ungelösten Übergangsprobleme und das Recht der elterlichen Sorge, über dessen voraussichtliche Endfassung und über dessen verfassungskonforme Lösung bis zu diesem Zeitpunkt nur Widersprüchliches bekannt war. Aktuelle Fragen, wie zum Beispiel erste Erfahrungen mit Unterhaltsvorschußkassen im In- und Ausland, rundeten den Kreis der Themen ab. Derart hochgesteckte Ziele einer großen Arbeitstagung konnten nach der Vorstellung seiner Organisatoren nur durch Gewinnung hervorragender, international anerkannter Fachreferenten erreicht werden. Der Fachverband Berliner Stadtvormünder e. V. kann sich glücklich schätzen, diese sich selbst gestellte Aufgabe durch die Verpflichtung aussagestarker Referenten, die spontan ihre Bereitschaft erklärten, verwirklicht zu haben. Enttäuschend im Verlauf von Vorbereitung, Organisation und Abwicklung einer Veranstaltung dieses Ausmaßes war trotz großen ideellen und materiellen Einsatzes das relativ geringe Echo in der Öffentlichkeit. Dies muß um so mehr verwundern, als es sich bei den angesprochenen Themen um sozialpolitische Probleme handelt, von denen große Teile der Bevölkerung direkt betroffen sind. Der Mut des Veranstalters zum organisatorischen und finanziellen Risiko ist bei diesen Vorzeichen besonders hervorzuheben. Besonders erfreulich und für den Veranstalter ermutigend war in diesem Zusammenhang die frühzeitig erklärte Bereitschaft des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Antje Huber, zur Übernahme der Schirmherrschaft. Der Fachverband Berliner Stadtvormünder e. V. hat ihr aus diesem Anlaß besonderen Dank auszusprechen. Gleichzeitig wird auch dem Senat von Berlin für die gewährte Unterstützung gedankt. Der erfolgreiche Verlauf der Tagung ist in erster Linie den hervorragenden Fachvorträgen aller Referenten zu verdanken. In gleicher Weise gebührt Verdienst am Erfolg denjenigen, die durch engagierte
Vorwort
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Mitarbeit in den Arbeitskreisen — als Teilnehmer oder Sprecher—zur Formulierung von Aussagen und Zielsetzungen beigetragen haben. Es bleibt zu hoffen, daß diese Dokumentation nicht nur von Praktikern gelesen und zur Entscheidungsfindung herangezogen wird, sondern daß auch die an der Weiterentwicklung der Reformgesetze Tätigen, seien es nun Abgeordnete, Fachreferenten oder Rechtslehrer, Erfahrungen und Anregungen aus dem Kongreß aufgreifen und in künftige Reformen einfließen lassen. Ich h o f f e und wünsche, daß dieses Buch mit dazu beiträgt, den verfassungsmäßigen Grundgedanken von sozialer Sicherheit der Verwirklichung näher zu bringen. Gerhard Schaplow, Vorsitzender des Fachverbandes Berliner Stadtvormünder e. V.
Inhalt
Gerhard Schaplow, Vorsitzender des Fachverbandes Berliner Stadtvormünder e. V., Berlin Vorwort
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Antje Huber, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Grußwort
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Ilse Reichel, Senator für Familie, Jugend und Sport Grußwort
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Direktor Walter Zarbock, Deutsches Institut für Vormundschaftswesen, Heidelberg Die Bedeutung der Amtsvormundschaft nach den Reformen im Familien- und Kindschaftsrecht
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Professor Dr. Wilfried Schlüter, Berlin Besondere Probleme des Unterhalts minderjähriger Kinder unter besonderer Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Änderungen
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Professor Dr. Helmut Engler, Freiburg, Ministerialdirektor im Justizministerium Baden-Württemberg Das neue Adoptionsrecht — hält es das Versprochene?
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Regierungsdirektor Eduard Tack, Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Bonn Adoptionsvermittlung — neue Chance für sozial benachteiligte Kinder 111 Professor Dr. Dr. h. c. Günther Beitzke, Bonn Internationales Kindschaftsrecht Professor Dr. Dieter Giesen, Berlin Ehe- und Familienrecht. Schwerpunkt Scheidungsfolgen
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Inhalt
Professor Dr. Paul Kirchhof, Münster Die Grundrechte des Kindes und das natürliche Elternrecht 171 Ministerialrat Dr. Gottfried Knöpfel, Bundesministerium der Justiz, Bonn Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge 189 MinisterialsekretärDr. Gerhard Hopf, Bundesministerium für Justiz, Wien Ein Jahr Unterhaltsvorschüsse in Österreich 207 Sozialoberamtmann Victor Huvale, Hamburg Erste Erfahrungen mit der Hamburger Unterhaltsvorschußkasse 229 Professor Dr. Wilfried Schlüter, Berlin Unterhaltsrecht — eine noch ungelöste Aufgabe für den Gesetzgeber 241 Ergebnisprotokolle Arbeitsgruppe A „Adoptionsrecht" Arbeitsgruppe B „Unterhaltsrecht" Arbeitsgruppe C „Elterliche Sorge"
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Grußwort des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Antje Huber
Der Bitte des Fachverbandes Berliner Stadtvormünder e. V., die Schirmherrschaft für die Große Arbeitstagung zu übernehmen, bin ich gerne nachgekommen. Entgegen meiner ursprünglichen Absicht kann ich leider aus Termingründen Ihrer freundlichen Einladung, persönlich zu Ihnen zu sprechen, nicht folgen. Ich bitte Sie dafür um Verständnis. Sowohl das Generalthema „Amtsvormundschaft und die Reformgesetze im Familienrecht" wie auch Zeitpunkt und Zielgruppe dieser Fachtagung scheinen mir sehr glücklich gewählt. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode gehörten wichtige Reformen im Familienrecht zu den Schwerpunkten der Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung. Ich erinnere zum Beispiel an das Volljährigkeitsgesetz, an die Vorab-Novelle zum Adoptionsrecht,' an die am 1. Januar d. Js. in Kraft getretene Gesamtreform des Adoptionsrechts und des Adoptionsvermittlungsrechts sowie an das seit dem 1. Juli d. Js. geltende Eherecht. In der laufenden Legislaturperiode steht neben der Verabschiedung des Sorgerechtsentwurfs entsprechend der Regierungserklärung insbesondere die dringend notwendige Reform des Jugendhilferechts an. Der Referentenentwurf des neuen Jugendhilferechts, der im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erarbeitet wurde, ist vor etwa 14 Tagen zur Stellungnahme an Länder und Verbände versandt worden. Außerdem müssen die Vorarbeiten für eine Neuordnung des Unterhaltsrechts intensiv weitergeführt werden. Die genannten bereits verabschiedeten oder noch zu schaffenden gesetzlichen Neuregelungen im Familienrecht sind deshalb von zentraler politischer Bedeutung, weil sie das Schicksal vieler Bürger stärker
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Grußwort
als viele andere Gesetze ganz unmittelbar und persönlich tangieren, und weil gesetzgeberische Änderungen und Verbesserungen in diesem Bereich daher für viele Menschen — Erwachsene und Kinder — eine direkte Verbesserung ihrer Lebenschancen und ihrer Lebensqualität bewirken können. Mir wird die politische Sensibilität des Familienrechts nicht zuletzt täglich anhand zahlreicher Zuschriften aus der Bevölkerung immer wieder sehr plastisch vor Augen geführt. Die vom Gesetzgeber angestrebten Verbesserungen werden sich verständlicherweise aber nur dann voll auswirken, wenn auch die notwendige Umsetzung in die Praxis gelingt. Ich begrüße es daher besonders, daß diese Fachtagung sich an diejenigen wendet, die das neue Recht in der Praxis der Jugendämter oder der Gerichte anwenden und daß sie ihnen Gelegenheit zur Information, zur Kritik und zu Verbesserungsvorschlägen für unsere weitere Arbeit gibt. Lassen Sie mich zum Schluß die Gelegenheit wahrnehmen, mit Blick auf die aktuelle Diskussion über die Neuregelung des elterlichen Sorgerechts und die Reform des Jugendhilferechts noch eine Bemerkung zur Bedeutung der Familienpolitik für die Bundesregierung anzufügen: Ehe und Familie sind unverzichtbare Formen menschlichen Zusammenlebens. Die Familie ist und bleibt die intimste und stabilste Gemeinschaft mitmenschlicher Beziehungen. Dieser Grundsatz war und ist Ausgangspunkt aller Reformen im Familienrecht und im Jugendhilferecht, das damit in engem Zusammenhang steht. Auch das neue Jugendhilferecht wird dementsprechend selbstverständlich den Vorrang der Eltern als den originären Erziehern der Kinder gemäß Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ausdrücklich unterstreichen und respektieren, daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. Eines der Hauptanliegen der Reform des Jugendhilferechts wird es deshalb gerade sein, den Eltern konkrete Hilfsangebote zu machen, damit sie ihre Erziehungsaufgabe erfüllen können und Eingriffe aufgrund des staatlichen Wächteramtes weitgehend entbehrlich werden. Ich wäre dankbar, wenn dies bei den Diskussionen im Rahmen dieser Fachtagung einbezogen würde. Ich wünsche der Tagung Erfolg und Resonanz in der Praxis.
Grußwort des Senators für Familie, Jugend u. Sport, Frau Ilse Reichel
Im Namen des Senates von Berlin und im Namen des Regierenden Bürgermeisters begrüße ich Sie sehr herzlich und wünsche Ihrer Tagung einen guten Verlauf. Sie haben wahrlich eine Menge an Erfahrung auszutauschen, denn die rechtlichen Änderungen in der letzten Zeit betreffen ganz besonders die Probleme der Rechte der Kinder. Ihre Aufgabe ist es, die Rechte der Kinder zu vertreten und nicht des einen oder anderen Erwachsenen, wenn die Erwachsenen schwierige Auseinandersetzungen miteinander haben. Die rechtlichen Reformen für die Unterhaltsregelung sind sehr flexibel und offen gehalten, es sollten individuelle Entscheidungen ermöglicht werden. Andererseits muß in gleichgelagerten Situationen auch gleich entschieden werden. Aus diesem Grunde ist der Erfahrungsaustausch von ganz erheblicher Bedeutung sowohl für Sie für die täglichen Entscheidungen, aber auch für die Rechtsstellung des Kindes und für die Eltern. Bei aller Notwendigkeit, individuelle Entscheidungen zu treffen, die der Situation entsprechen, darf aber auch das Prinzip der Gleichbehandlung, der Vergleichbarkeit nicht zu kurz kommen. Ich habe den Eindruck, daß in der Amtsvormundschaft die Probleme des Jugendamtes am stärksten verdichtet werden. Sie sollen Partei ergreifen für das Kind und haben mit Gesetzen zu tun, die eben auch die Bedeutung der elterlichen Sorge, die Bedeutung der elterlichen Rechte nicht vernachlässigen dürfen.1 Und Sie haben es eben in den allermeisten Fällen doch mit Situationen zu tun, in denen die Familie nicht nur in der heilen Ganzheit besteht, sondern mit Familien, in denen Konflikte entstanden sind, in denen Schwierigkeiten auftreten.
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Grußwort
Sie haben im Augenblick auch noch das Problem, daß die neuen Familiengerichte mit dem neuen Familienrecht die ersten Erfahrungen sammeln müssen. Deshalb ist es gut, daß die Richter dieser Familiengerichte an dieser Tagung teilnehmen, daß die Universitäten sich mit diesen Themen beschäftigen, daß bedeutende Institute beteiligt sind, so daß man hoffen kann, daß die Formen der engen Zusammenarbeit dieser Tagung auch auf die tägliche Arbeit übergreifen. Das neue Adoptionsrecht ist hier schon angesprochen worden. Wir sind alle bemüht, Kindern, die in der eigenen Familie nicht mehr die Geborgenheit haben können, die sie gebrauchen, in jungen Jahren eine andere, ihnen eigene Familie, zu vermitteln. Die Adoptionsvermittlungsstellen haben noch nicht allzu lange Erfahrungen und werden auf Ihren Rat, auf Ihre Hilfe, auf Ihre tatkräftige Unterstützung angewiesen sein. Ich darf Ihnen an dieser Stelle einen besonderen Dank dafür sagen, daß Sie sich von den Wünschen, von den Vorstellungen, die Adoptiveltern haben, nicht treiben lassen, sondern immer mit denen, die die Adoptionen vermitteln, gemeinsam überlegen, welche Familie für welches Kind wohl nach menschlichem Ermessen und dem was wir heute im voraus sagen können, die beste Familie ist. Viele sind der Auffassung gewesen, daß durch das neue Familienrecht und dadurch, daß die alleinstehenden Mütter selbst die Vormundschaft und die rechtliche Vertretung ihrer Kinder übernehmen können, eine Entlastung für die Amtsvormundschaft entstehen würde. Ich bin allerdings ganz froh darüber, daß dies nicht so ist, daß viele der betroffenen Erwachsenen die Möglichkeit, eine Beistandschaft zu erbitten, aufgegriffen haben. Denn wir alle wissen, wie schwierig es ist, die Rechte der Kinder dem ehemaligen Partner gegenüber zu vertreten. Ich glaube, daß ich hier im Namen vieler alleinstehender Elternteile — inzwischen nicht nur Mütter — Ihnen den Dank dafür aussprechen kann, daß Sie immer bereit sind, mit Rat und Tat zu helfen. Ich weiß auch, daß Sie nicht in dem Maße helfen können, wie Sie es gerne möchten, weil gerade die Festsetzung des Unterhaltes manchmal problematisch ist. Sie werden sich mit einem wesentlichen Thema zu beschäftigen haben in dieser Tagung, das sind die Unterhaltsvorschußkassen. Die
Grußwort
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Forderung nach Unterhaltskassen können wir alle nur nachdrücklich unterstützen. Es sind ja nicht die Begüterten, die mit ihren Sorgen kommen, sondern es sind diejenigen, die am Rande der Grenzen der Existenzsicherung sind. Wir haben ja hier in Berlin die Zentrale Vormundschaftskasse, eingerichtet mit Computern. Vielleicht kann der uns mal die Arbeit abnehmen, auszurechnen, was die Unterhaltskassen kosten würden und was wir sparen würden. Auf alle Fälle würden wir den betroffenen Menschen und damit auch den Kindern viele Sorgen und viele Schwierigkeiten ersparen helfen. Ich hoffe, daß wir aus den Erfahrungen der Hamburger Kollegen, aber auch der Österreicher Kollegen viel lernen können. Mit der Zentralen Vormundschaftskasse haben wir in Berlin schon eine gute Voraussetzung geschaffen, um den Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen Kosten so gering wie möglich zu halten. Wir haben auch nicht die Problematik der unterschiedlichen Zuständigkeiten. Ich meine aber, daß letzten Endes nicht die Kompetenzschwierigkeiten den Ausschlag geben sollen. Verwaltungen sind dazu da, sich so zu organisieren, daß sie für den Bürger möglichst leicht handhabbar sind, und daß sie den Betroffenen möglichst schnelle Hilfen bieten. Und wenn wir im Jahrhundert des Kindes den Rechten der Kinder gerecht werden wollen, dann müssen wir vor allen Dingen den Alleinstehenden, denen, die allein für ihre Kinder zu sorgen haben, helfen, daß die materiellen Voraussetzungen stimmen, daß sie in die Lage versetzt werden, das Beste für die Erziehung ihres Kindes oder ihrer Kinder zu tun und von uns allen, die wir für sie verantwortlich sind, nicht allein gelassen werden. Dieses ist Ihre Hauptaufgabe. Mir bleibt nur noch, Ihnen dankeschön zu sagen dafür, daß Sie mit dieser Arbeitstagung, die für uns alle so wichtig ist, nach Berlin gekommen sind, daß Sie in dieser Zusammensetzung hier sind. Ich darf hoffen, daß die hier gezeigte Zusammenarbeit eine dauerhafte sein wird, und daß uns allen miteinander etwas Gutes einfallen wird, damit es die Kinder unserer Gesellschaft besser haben.
Die Bedeutung der Amtsvormundschaft nach den Reformen im Familien- und Kindschaftsrecht Walter Zarbock Bei den Vorsprechungen für die Durchführung dieser Tagung habe ich zunächst gezögert, das mir angetragene Referat zu diesem Thema zu übernehmen und zwar aus folgenden Gründen: I. Es heißt in der Überschrift: Nach den Reformen im Familien- und Kindschaftsrecht. Dazu stellen sich m. E. folgende Fragen: Ist die Behandlung des Themas zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt sinnvoll? - Bringen die in der letzten Zeit ergangenen Gesetze und Gesetzesänderungen derart viel Neues, daß sie eine Hervorhebung in dieser Form verdienen, handelt es sich um so grundlegende Änderungen, daß man sie mit der anspruchsvollen Bezeichnung „Reform" belegen kann—ohne damit in das (partei-)politische Gegeneinander verfallen zu wollen, das sich häufig an der Wertung des Begriffs „Reform" entzündet; ferner: - Lohnt sich eine Beschäftigung mit den neuen Gesetzen zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem wichtige Gesetzesvorhaben in der abgelaufenen 7. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages — aus welchen Gründen auch immer — nicht verwirklicht wurden, dazu zählt: das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, der Entwurf eines neuen Jugendhilfegesetzes und—womit der Stadtstaat Hamburg einen ersten Anfang gemacht hat — die bundesweite Einführung der Vorschußkassen, sowie - längerfristig — die Reform des gesamten Unterhaltsrechts; und überhaupt: - Kommt denn der Amtsvormundschaft auch in unserer Zeit noch
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eine solche Bedeutung zu, die es verlohnt, ihr eine gesteigerte Aufmerksamkeit zuzuwenden? II. Trotz dieser Bedenken bin ich der Auffassung: — markieren die neuen gesetzlichen Regelungen im Familien- und Kindschaftsrecht auch für die Amtsvormundschaft einen wichtigen Punkt in ihrer Entwicklung, auch wenn die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge (ein Entwurf wurde am 8. 2. 1977 neu im Bundestag eingebracht, vgl. BT-Drucks. 8/111), wenn die Neuregelung des Jugendhilferechts (Anfang November hat das BMJFG einen RefEntw. eines Jugendhilfegesetzes veröffentlicht); wenn auch die Reform des Unterhaltsrechts fast als Schlußlicht auf dem Fahrplan des Bundesministeriums der Justiz rangiert und Überlegungen, die Unterhaltsvorschußkassen bundesweit einzuführen, erst ganz langsam Konturen gewinnen, so stehen wir doch an einem wichtigen Punkt der Entwicklung, denn die Gesetzesänderungen der jüngsten Zeit haben die Amtsvormundschaft vor mannigfaltige Probleme gestellt. Zu diesen Gesetzen zählen u. a. und auf sie soll später eingegangen werden: Das neue Adoptionsgesetz, das Gesetz zur Vermittlung der Annahme als Kind, das 1. EheRG, das Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten, die Neufestsetzung des Regelbedarfs durch die Regelbedarf-Verordnung 1976, das Sozialgesetzbuch- Allgemeiner Teil— (Auskunftspflicht), die mit diesen Gesetzen verbundenen Neuregelungen im Unterhaltsrecht und — nicht zuletzt — die gesteigerten Beratungs- und Unterstützungspflichten (vgl. die §§ 51,51 a und 51 b JWG). — Dies verlangt von der Amtsvormundschaft eine Einstellung auf die neue Rechtssituation, denn die neuen Gesetze sind auch Ausdruck einer gesteigerten Sensibilität für soziale Notwendigkeiten und Verbesserungen; — sie stellen zugleich einen wichtigen Einschnitt in der Entwicklung der Amtsvormundschaft dar. Dieser Bereich der Jugendhilfe wird dadurch wieder einmal vor die Frage gestellt, ob diese Form behördlicher Jugendfürsorge überhaupt noch zeitgemäß ist. Stichworte wie „Einbeziehung in das Sozialgesetzbuch", „Eigenständigkeit der Jugendhilfe", „Abbau von Hierarchien im Jugendamt", „Zusammenfassung mit dem Sozialamt", „Gemeinsame Geltendmachung von
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Ansprüchen aller Art (auch von Unterhaltsansprüchen) durch das Rechtsamt" leuchten hier auf. III. Schon diese wenigen Stichworte machen m. E. deutlich, daß mit der Frage nach der „Bedeutung der Amtsvormundschaft nach den Reformen im Familien- und Kindschaftsrecht", ganz allgemein die Frage nach dem Stellenwert der Amtsvormundschaft im System der Jugendhilfe gestellt ist, und ob und wie die Amtsvormundschaft die ihr gestellten Aufgaben bewältigt und in der Zukunft bewältigen kann. Das setzt voraus, in kurzen Zügen einen Kurzabriß der Entwicklung der Amtsvormundschaft im Geflecht der Jugendhilfe allgemein zu geben.* A. Die Entwicklung der Amtsvormundschaft I. Wechselbeziehungen zum Deutschen Institut für Vormundschaftswesen (DIV). Die Entwicklung des DIV ist im Rahmen dieses Referates — wie ich meine — durchaus von Interesse, da enge Wechselbeziehungen zur Entwicklung der Amtsvormundschaft bestehen. Hierzu der Hinweis, daß das Institut im Untertitel seines Namens die Bezeichnung „Archiv deutscher Berufsvormünder" führt. Gleichzeitig mag diese Kurzdarstellung auch dazu dienen, meine Legitimation, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen, darzulegen. Manch einer wird sich gefragt haben, was für ein merkwürdiges „Wesen" dieses Institut für Vormundschaftswesen denn nun eigentlich ist. Die Kenntnis über die Arbeit und Aufgaben des Instituts ist über den Bereich der Jugendämter hinaus nicht sehr weit verbreitet. Auch mir erging es so, bevor ich vor etwas mehr als 10 Jahren die Leitung des Instituts in Heidelberg übernahm. Erst eine gewisse Zeit später fiel mir ein, daß ich während der Referendarausbildung in Bremen von dem Vormundschaftsrichter die Aufgabe * Den weiteren Ausführungen ist folgende Gliederung zugrunde gelegt: Teil A: Darstellung der Entwicklung der Amtsvormundschaft 1. Enge Verknüpfung der Entwicklung der Amtsvormundschaft mit der Entwicklung des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen (DIV). 2. Entwicklung der Amtsvormundschaft als Teil der Jugendhilfe. Teil B: Die Neuregelungen Teil C: Folgerungen. 2
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erhielt, Probleme der Übertragung der elterlichen Gewalt nach norwegischem Recht zu prüfen und auf meine etwas hilflose Frage, ob denn jemand über norwegisches Recht Auskunft erteilen könne, die Antwort vom Richter erhielt, es gebe ja in Heidelberg „so ein Institut", das sich mit diesen Dingen beschäftige. Und so verhält es sich denn auch: Ein Schwergewicht der Arbeit des Instituts besteht in der Abwicklung von Vaterschafts- und Unterhaltsfällen mit Auslandsberührung und in diesem Zusammenhang auch die Auskunfterteilung und Gutachtentätigkeit zu Fragen ausländischen Rechts auf dem Gebiet des Familienrechts. Dieser Teil der Arbeit hat sich im Laufe der Jahre als für die Jugendämter besonders wichtig herausgestellt. Ursprünglich wurde das Institut in Frankfurt von Prof. Klumker zur Verbesserung der rechtlichen und tatsächlichen Situation unehelicher Kinder im Jahre 1906 gegründet. Dies Anliegen versuchte man in jener Zeit durch den Ausbau der damaligen Berufsvormundschaft zu verwirklichen. Eine grundlegende Änderung ergab sich jedoch, als mit dem Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) die Einrichtung von Amtsvormundschaften und Jugendämtern den kommunalen Trägerkörperschaften gesetzlich zur Pflicht gemacht wurde 1 . ImRJWGvon 1922 (in Kraft getreten am 1. 4. 1924) erhielt jedes deutsche uneheliche Kind kraft Gesetzes einen Amtsvormund, dem das Gesetz eine umfassende Stellung eingeräumt hatte, denn der Mutter eines unehelichen Kindes oblag lediglich die Personensorge, während die gesamte gesetzliche Vertretung des unehelichen Kindes in Händen des Amtsvormundes lag. Die Einrichtung der Amtsvormundschaft und der Jugendämter stellte natürlich einen fundamentalen Neubeginn dar und brachte viele Probleme und Schwierigkeiten mit sich. Das Institut konzentrierte sich deshalb darauf, durch Publikationen und Tagungen die Arbeit der Amtsvormünder zu erleichtern. In diesem Rahmen stellte die Abwicklung von Vaterschaftsprozessen mit Auslandsberührung ein besonders schwieriges Problem dar und das Institut sah sich deshalb gezwungen, diesen Zweig seiner Arbeit immer mehr auszuweiten und zu vervollständigen, nicht zuletzt durch die Anknüpfung und Verbesserung von Auslandskontakten. Im Jahre 1933 wurde im Zuge der Zentralisierung das Institut von Frankfurt nach Berlin verlegt und aus dieser Zeit resultieren besonders enge Verbindungen zu den Berliner Amtsvormündern, die hier die Bezeichnung Stadtvormünder tragen. Mein Vorgänger, Dr. Heinrich Webler, weiß aus dieser 1 Vgl. zur Geschichte der Amtsvormundschaft: ZblJugR 1974/170 („50 Jahre . . . " ) .
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Zeit besonders eindrucksvoll zu erzählen. Das Institut erlebte seinen Berichten zufolge hier in Berlin einen Höhepunkt seiner Entwicklung. (Bis Ende 1933 befand sich das Institut in der Potsdamer Straße 121 = Bissingzeile 19; 1936 bezog es Räume am Nikolsburger Platz, wo es 1943 ausgebombt wurde, dann in die Oranienburger Straße 10 übersiedelte und noch im selben Jahr erneut ausgebombt wurde, und schließlich wurden geringe Reste 1 9 4 4 nach Schloß Blumberg in der Mark Brandenburg ausgelagert, bis auch im Jahre 1945 das Schloß abbrannte.) In den Bombennächten 1943 verlor das Institut nahezu sämtliche Bestände und weitere Bestände wurden im Schloß Blumberg vernichtet. Ganz geringe Reste der ursprünglich sehr umfangreichen Bibliothek konnten dann in den Westen herübergeholt werden, wo Dr. Webler nach dem Kriege in Hildesheim mit dem Wiederaufbau begann. Zur Jahreswende 1 9 5 5 / 5 6 siedelte das Institut nach Heidelberg über, nicht zuletzt um für seine Auslandsarbeit die erhalten gebliebene Literatur der Universitätsbibliothek Heidelberg in Anspruch nehmen zu können. Heute stellt nach wie vor die Auslandsarbeit für das Institut den größten Teil seiner Aufgaben dar. Pro Jahr werden ca. 1 2 0 0 - 1 3 0 0 neue Fälle in die Bearbeitung genommen, von denen sich selbstverständlich nicht alle zu Zahlungsfallen entwickeln, sei es, daß das jeweilige Recht des ausländischen Staates nur unvollkommen Ansprüche zuläßt oder Devisenbeschränkungen bestehen, wie in einem großen Teil der Staaten Afrikas, oder daß der zum Unterhalt Verpflichtete, in seine Heimat zurückgekehrt, über keine finanziellen Mittel verfugt, wie z. B. vielfach nach Italien zurückgekehrte Gastarbeiter. Immerhin konnte im vergangenen Jahr der Betrag der transferierten Mündelgelder, die durch das Institut aus dem Ausland oder in das Ausland transferiert wurden, auf den Betrag von ca. 3,7 Mill. D M gesteigert werden. Daneben stellen die vom Institut zu erstattenden Gutachten für Jugendämter, aber auch für Ministerien und Gerichte, darunter auch das Bundesverfassungsgericht, einen weiteren umfangreichen Aufgabenbereich dar. Die Arbeit wird von ca. 2 0 - 2 5 Mitarbeitern durchgeführt, darunter 4 bzw. 5 Juristen. Schwierigkeiten bereitet der umfangreiche Schriftverkehr. Beispielsweise werden zuweilen bis zu 3 0 0 Posteingänge gezählt. Daneben sucht das Institut mit der Durchführung von Tagungen die Arbeit der Jugendämter zu erleichtern. Gemeinsam mit der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung — Amt für Jugend — Hamburg, führt das Institut in Reinbek bei Hamburg im J a h r 3 jeweils 3tägige Fortbildungsveranstaltungen durch. Daneben die Großen Arbeitstagungen in unregelmäßigen Abständen. Die nächste ist im September 1978 in Bingen/Rhein geplant. Zur Arbeitserleichterung der Jugendämter dienen ferner Veröffentlichungen, wie beispielsweise der im vergangenen Jahr erschienene Kommentar von Brüggeniann zum Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten und auch vor allen Dingen 2*
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die Zeitschrift „Der Amtsvormund", für die auch bei Gerichten und Anwälten ein starkes Interesse besteht, ferner das „Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt", das sich dem gesamten Bereich der Jugendhilfe, des Jugendrechts, einschließlich Jugendstrafrecht, Jugendgerichtshilfe und Jugendstrafvolzug, widmet. Diese kurze Aufstellung mag verdeutlichen, daß die Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und dem Institut so eng ist, daß sich von daher ein guter Uberblick über die Tätigkeit der Jugendämter gewinnen läßt. Ferner sei erwähnt, daß das Institut auch im Gütachterausschuß der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) vertreten ist. Die KGSt bereitet ein Organisationsgutachten „Jugendamt" vor. Das Institut hatte die Federführung im Bereich „Vormundschaftswesen". Ein Teilgutachten „Vormundschaftswesen" wurde bereits unter dem Datum vom 16. Juni 1976 als Bericht Nr. 1 2 / 1 9 7 6 vorgelegt. Finanziert wird das Institut durch Beiträge der komunalen Trägerkörperschaften, also der Städte und Landkreise, sowie durch eine Zuwendung des Bundes, vertreten durch das B M J F G . Selbstverständlich hat auch das Institut ebenso wie andere Träger mit den ständig steigenden Personalkosten zu kämpfen. Besonders dankbar waren wir deshalb, daß uns eine Zuwendung des Bundes im Jahre 1968 in die Lage versetzte, unsere Bibliothek im Bereich der Auslandsliteratur zu vervollständigen und auch am Institutsgebäude dringend notwendige Renovierungen vorzunehmen. Zuvor wurde der Betrag von 3,7 Mill. D M Mündelgelder erwähnt, der im vergangenen Jahr eingenommen wurde. Hier besteht die Schwierigkeit, die Gelder möglichst schnell an die Mütter weiterzuleiten. Nicht selten entstehen jedoch Verzögerungen, zum Teil durch so simple Dinge wie Erkrankungen, die aber angesichts der engen Personaldecke des Instituts schlecht aufgefangen werden können. Es ergibt sich deshalb die Notwendigkeit, den Versuch der Umstellung auf Datenverarbeitung vorzunehmen, und hier werden möglicherweise die Erfahrungen nutzbar gemacht werden können, die in Berlin bei der zentralen Mündelgeldverwaltung und -weiterleitung gemacht wurden. Zusammenfassend lassen sich also einige wichtige Stationen in der Entwicklung des Instituts feststellen: Der Beginn mit der Konzentration auf das uneheliche Kind in dem Bemühen, seine Stellung zu verbessern. Diesem Ziel dient der Ausbau der Amtsvormundschaften in den Jugendämtern und der Einsetzung von Amtsvormündern, um die personalen Bezüge zum Kind zu stärken, charakteristisch auch die untergeordnete Rechtsstellung der Mutter eines unehelichen Kindes. Die schon früh einsetzenden Bemühungen zur Verbesserung
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dieser Situation, nicht zuletzt auch durch verschiedene Entwürfe dps Instituts. Eine Entwicklung, die sich nach dem 2. Weltkrieg verstärkt fortsetzt und einen ersten Höhepunkt in der Novelle des JWG von 1961 findet. Schließlich dann der gravierende Einschnitt durch das Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes am 1. 7. 1970, mit der die Mutter eines nichtehelichen Kindes die volle elterliche Gewalt erhält und die Amtsvormundschaft in der Amtspflegschaft neuen Rechts konzentriert wird. II. Diese Entwicklungslinien lassen sich nun selbstverständlich verstärkt in der Amtsvormundschaft selbst nachzeichnen: Ausgangspunkt für eine Darstellung der Entwicklung der Amtsvormundschaftist die rechtliche Regelung, die das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene BGB für die Rechtsstellung eines unehelichen Kindes und seiner Mutter getroffen hatte. Entsprechend den Rechtsauffassungen jener Zeit erhielt die Mutter eines unehelichen Kindes lediglich das Recht der Personensorge. Die gesetzliche Vertretung lag im vollen Umfang bei einem Vormund. Die Rechtsbeziehungen des Vaters zu seinem Kinde erschöpften sich in — zu Beginn und lange Zeit danach — äußerst niedrigen finanziellen Verpflichtungen. Gemäß der Fiktion des früheren § 1589 II BGB galt das uneheliche Kind mit seinem Vater als nicht verwandt. Zur besseren Betreuung der unehelichen Kinder entwickelte sich die Institution der Berufsvormünder, die später in die Amtsvormundschaft einmündete. Dies geschah durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922, das am 1. 4. 1924 in Kraft trat. Damit wurde die „Amtsvormundschaft" für Minderjährige eingeführt; sie trat ergänzend neben die Einzel-, Vereins- oder Anstaltsvormundschaft. Durch ein vereinfachtes Verfahren wurde und wird auch heute noch das Jugendamt Beistand, Pfleger oder Vormund eines Kindes. Die Ausübung der Aufgaben überträgt das Jugendamt einzelnen seiner Beamten oder Angestellten, die im Umfang der Übertragung zur gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes befugt sind. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von 1922 sollte durch den „Amtsvormund" eine umfassende Betreuung des Mündels, auch in erzieherischer Hinsicht, sichergestellt werden. Auch in späteren Jahren stand der Mutter eines unehelichen Kindes lediglich die tatsächliche Personensorge zu, die elterliche Gewalt war ihr nicht übertragen. Erst durch die gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes geschaffenen Bestimmungen des
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Gleichberechtigungsgesetzes und des Familienrechtsänderungsgesetzes, letzteres im Jahr 1961, war der Mutter die Möglichkeit gegeben, unter bestimmten Voraussetzungen die elterliche Gewalt über ihr Kind selbst auszuüben. Einen entscheidenden Einschnitt stellte dann das „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder", das am 1. 7. 1970 in Kraft trat, dar. Nunmehr erhielt die Mutter eines nichtehelichen Kindes die volle elterliche Gewalt, und auch die Rechtsstellung des nichtehelichen Vaters wurde verändert: auch rechtlich besteht nunmehr eine Verwandtschaft zwischen Vater und seinem nichtehelichen Kind und ein gegenseitiges Erbrecht wurde begründet. Allerdings ist im übrigen die Rechtsstellung des nichtehelichen Vaters nicht sehr umfassend, z. B. hat er nur ein eingeschränktes Verkehrsrecht. Gleichzeitig erfuhr auch die Amtsvormundschaft eine entscheidende Wandlung. Das Nichtehelichengesetz von 1970 stellt nunmehr der Mutter eines nichtehelichen Kindes einen Amtspfleger zur Seite, dessen Aufgabenkreis in § 1706 BGB wie folgt umrissen ist: § 1706 BGB: Das Kind erhält, sofern es nicht eines Vormunds bedarf, für die Wahrnehmung der folgenden Angelegenheiten einen Pfleger: 1. Für die Feststellung der Vaterschaft und alle sonstigen Angelegenheiten, die die Feststellung oder Änderung des Eltern-Kindes-Verhältnisses oder des Familiennamens des Kindes betreffen, 2. für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen einschließlich der Ansprüche auf eine an Stelle des Unterhalts zu gewährende Abfindung sowie die Verfügung über diese Ansprüche; ist das Kind bei einem Dritten entgeltlich in Pflege, so ist der Pfleger berechtigt, aus dem vom Unterhaltspflichtigen Geleisteten den Dritten zu befriedigen, 3. die Regelung von Erb- und Pflichtteilsrechten, die dem Kind im Falle des Todes des Vaters und seiner Verwandten zustehen.
Auch die Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes mußten angepaßt werden. Die insoweit grundlegende Bestimmung ist in § 37 JWG enthalten. Diese Vorschrift erhielt nunmehr folgenden Wortlaut: §37 (Übertragung der Aufgaben) Das Jugendamt wird Pfleger oder Vormund in den durch das Bürgerliche Ge-
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setzbuch und die folgenden Bestimmungen vorgesehenen Fällen (Amtspflegschaft, Amtsvormundschaft). Es überträgt die Ausübung der Aufgaben des Pflegers oder Vormunds einzelnen seiner Beamten oder Angestellten. Im Umfang der Übertragung sind die Beamten und Angestellten zur gesetzlichen Vertretung des Minderjährigen befugt. Die Übertragung gehört zu den laufenden Geschäften im Sinne des § 16. Hervorzuheben ist schließlich noch die Beurkundungsbefugnis im Bereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft, die in den §§ 49, 5 0 J W G geregelt ist. Hier bleibt festzuhalten, daß nach gegenwärtigem Recht eine Pflegschaft oder Vormundschaft durch das Jugendamt in folgenden Fällen entsteht: — Kraft Gesetzes bei der Geburt eines ne. Kindes einer volljährigen Mutter (gesetzliche Amtspflegschaft, § 40 JWG, SS 1705 ff. BGB), — kraft Gesetzes bei der Geburt eines ne. Kindes einer minderjährigen Mutter (gesetzliche Amtsvormundschaft, § 41 JWG, SS 1773, 1791 BGB), — durch Verfügung des Vormundschaftsgerichts für nichteheliche, für ehelich erklärte und eheliche Kinder (einschließlich ausländischer Kinder) aufgrund eines Entzuges, einer Einschränkung, des Ruhens oder der Verwirkung der elterlichen Gewalt, auf Antrag oder nach Tod der Mutter (bestellte Amtspflegschaft, bestellte Amtsvormundschaft, § 45 JWG, SS 1666, 1671 f., 1676, 1773, 1791 b, 1909, 1915 BGB), — durch Verfügung des Vormundschaftsgerichts für nichteheliche und eheliche Kinder (einschließlich ausländischer Kinder) auf Antrag des Sorgeberechtigten (Unterhaltspflegschaft, Unterhaltsbeistandschaft, § 45 JWG, SS 1685, 1690, 1909 BGB). Zusammenfassend für diesen Abschnitt lassen sich Amtspflegschaft und Amtsvormundschaft als Institutionen definieren, die der Ausfüllung bestimmter Defizite im Verhältnis Kind/Eltern dienen: — Soweit es sich um das Ausfüllen rechtlicher Defizite handelt, wird der Pfleger bzw. Vormund zur Sicherung der rechtlichen Ansprüche des Kindes gegen Dritte für das Kind tätig; — in sonstigen — insbesondere erzieherischen und sozialpädagogischen — Bereichen vermittelt er das Ausfüllen von Defiziten durch andere (z. B. durch Vermittlung von Pflegeeltern). Im Laufe seiner Entwicklung ist die Funktion als Elternersatz beim Pfleger bzw. Vormund zurückgetreten, dennoch muß er persönliche Bezüge zum
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Kind (und dessen Eltern) herstellen und pflegen, um seinen Aufgaben entsprechen zu können. Inwieweit der Amtsvormund/Amtspfleger diesem Anspruch auch in unserer Zeit gerecht wird, bedarf einer Prüfung, und zwar nicht nur beschränkt auf diesen Bereich, sondern auf dem Hintergrund der Entwicklung der gesamten Jugendhilfe. III. Nochmals sei darauf hingewiesen, daß die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft durch die Reform des Nichtehelichenrechtes zwar entscheidende Verbesserungen erfahren hatte, doch kann dies keinen Endpunkt der Entwicklung darstellen. Vielmehr ist auch der Bereich der Amtsvormundschaft eingebunden in das System des Jugendhilferechts, das bereits seit längerer Zeit als nicht mehr zeitgemäß und praktikabel angesehen wird, so daß der Ruf nach der grundlegenden Reform des Jugendhilferechts nicht mehr verstummte. 1. Wie allgemein bekannt, sind die Entwürfe zu einem neuen Jugendhilfegesetz in der 7. Legislaturperiode steckengeblieben und werden gerade im Augenblick durch die Veröffentlichung des neuen Referentenentwurfes wieder aufgenommen. In allen bisher vorgelegten Entwürfen ist der Bereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft wenig verändert worden. Das mag nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß die Reform des Nichtehelichenrechts bedeutsame Änderungen gebracht hat. Ich meine jedoch, daß auf lange Sicht gesehen auch die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft wiederum überprüft werden muß, ob sie ihren Aufgaben nicht noch besser gerecht werden kann und ob evtl. Änderungen angezeigt sind. Schon hier sei hingewiesen auf die Notwendigkeit einer Verbesserung der Situation von Kindern aus geschiedenen Ehen. Die Tendenz muß sein, den Schutz nicht nur auf nichteheliche Kinder zu beschränken, sondern allgemein die Schutzfunktion der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft allgemein auf schutzbedürftige Kinder auszudehnen, um endlich die Trennung zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern aufzuheben. Diese Forderung deckt sich mit der Forderung nach einer allgemeinen Verbesserimg der Jugendhilfe, deren Mängel in den letzten Jahren immer deutlicher zutage traten. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Situation der Jugendhilfe kurz wie folgt zu umreißen:
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2. Zunächst fällt es schwer, eine allgemein verbindliche Definition für den Begriff Jugendhilfe zu finden. Am ehesten mag dazu eine Definition in dem Bericht der Bund-Länder-Kommission aus dem Jahre 1974, S. 68 2 , geeignet sein: „Jugendhilfe umfaßt eine Vielzahl von Maßnahmen und Einrichtungen. Sie trägt dazu bei, dem Erziehungsanspruch des jungen Menschen, der durch Elternhaus, Schule und Berufsausbildung allein häufig nicht erfüllt werden kann, gerecht zu werden. Die Jugendhilfe gehört mit ihren verschiedenen Aufgaben sowohl zur gesellschaftlichen Daseinsvorsorge als auch zum Bildungswesen."
Sengling3 weist in einem Referat auf der Arbeitstagung der Jugendämter der Länder Bremen und Niedersachsen darauf hin, daß eine Begriffsbestimmung insbesondere durch die „außerordentlich heterogene Struktur der Organisation und Verwaltung von Jugendhilfe" erschwert wird, „da gibt es leistungsstarke und fachlich orientierte Jugendämter und daneben das kleine Jugendamt des Landkreises, das kaum seinen gesetzlichen Pflichtaufgaben nachkommen kann" (S. 26). Gegenüber den Forderungen nach verbessertem Jugendhilferecht stellt dieser Befund jedoch ein empfindliches Hindernis dar. In den letzten Jahren hat sich immer klarer gezeigt, daß Jugendhilfe durch eine individuelle Förderung dazu beitragen sollte, bereits eingetretene oder zu erwartende Entwicklungsdefizite einzelner oder spezifischer Problemgruppen auszugleichen. Jugendhilfe soll sich um die Verbesserung der Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen bemühen, und zwar durch Angebote, die Ungleichheiten und Benachteiligungen verringern und Entwicklungsdefizite beheben. In der Praxis besteht jedoch nach wie vor eine erhebliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In weiten Bereichen der Jugendhilfe besteht diese nur in einer Reaktion auf Gefährdung einzelner oder benachteiligter Gruppen. Eine solche reaktive Jugendhilfe setzt immer erst dann ein, wenn ein Problem bereits akut geworden ist. Die nachträgliche Korrektur ist dabei nicht nur unverhältnismäßig sehr viel kostspieliger, sie erweist sich auch wegen der geringen Erfolgsquote als unwirksam. Es läßt aufhorchen, daß noch immer 2 3
Zit. bei Sengling s. nachfolgend. Im Tagungsbericht der Arbeitstagung in Wolfsburg v. 1 6 . / 1 7 . 5. 1977.
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50-60 % eines Jugendamts-Haushaltes allein für die Unterbringung von Kindern außerhalb der eigenen Familie verwandt werden, ebenfalls ein Hinweis auf eine nur reagierende Jugendhilfe. Dagegen werden für Aufgaben der Beratung nur ca. 3 %, für Freizeithilfen und Angebote der außerschulischen Jugendarbeit nur 7 % eines Jugendamts-Haushalts zur Verfügung gestellt (Sengling a.a.O.). Auf der Negativseite ist weiter zu vermerken: Jugendhilfeinstitutionen tragen nicht selten durch Stigmatisierung und durch die Zuschreibung negativer Merkmale zur Verstärkung dissozialer und delinquenter Rollen bei, und es ist festzustellen, daß die Hauptklientel der Jugendhilfe im Prinzip aus den Gruppen der Bevölkerung kommt, die den materiellen Benachteiligungen am härtesten und unausweichlichsten ausgeliefert sind. Es darf auch nicht übersehen werden, daß sich der Widerspruch zwischen bürokratischen Verhaltensprinzipien und klienten-bezogener, auf Erkenntnis beruhender Vorgehensweise nur langsam auflöst. Mit Sengling (S. 31) ist demgegenüber zu fordern, daß Jugendhilfe— und damit auch Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft — darauf ausgerichtet sein muß, einen Beitrag zur Befreiung von Kindern und jungen Menschen aus den sie benachteiligenden und behindernden Abhängigkeiten zu leisten und Möglichkeiten aufzuzeigen, die allgemeine Förderung und die besonderen kompensatorischen Leistungen für junge Menschen dieser Gesellschaft zu verbessern. Mit anderen Worten: die Jugendhilfe muß darauf ausgerichtet sein, die verspätete, wenig koordinierte und partikulare Reaktion auf bereits offen hervorgetretene Erziehungsdefizite in eine Jugendhilfe zu verändern, bei der der Leistungscharakter ganz entscheidend in den Vordergrund tritt und schon in einem frühen Stadium einsetzt. IV. Prüft man vor diesem Hintergrund den gegenwärtigen Stand der Amtsvormundschaft, so kann man feststellen, daß sie ihre Aufgabe - Ausfüllung von Defiziten — in folgender Weise zu erfüllen sucht: 1. Aufgaben zur Ausfüllung rechtlicher Defizite - Feststellen der Vaterschaft und alle sonstigen Angelegenheiten, die die Feststellung oder Änderung des Eltern-Kind-Verhältnisses oder Familiennamen des Kindes betreffen,
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— allgemeine Beratung alleinstehender Eiternteile und werdender Mütter hinsichtlich der Ausübung der Personensorge, insbesondere bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, — Geltendmachung von Unterhalts- und Schadensersatzansprüchen, einschließlich der Ansprüche auf eine an Stelle des Unterhalts zu gewährende Abfindung sowie die Verfügung über diese Ansprüche, — Regelung von Erb- und Pflichtteilsrechten, die dem Kind im Falle des Todes des Vaters oder seiner Verwandten zustehen, — Verwaltung des Vermögens des Kindes einschließlich der Verfügung über die Anlage und über die Erlöse (nur bei Amts vormundschaften bzw. Vermögenspflegschaften), — Klärung namensrechtlicher Probleme, gesetzliche Vertretung bei Adoption und Ehelicherklärung. 2. Aufgaben zur Ausfüllung erzieherischer Defizite — Allgemeine Beratung alleinstehender Elternteile und werdender Mütter hinsichtlich der Ausübung der Personensorge, Vermittlung an den Allgemeinen Sozialdienst bzw. an besondere Sozialdienste, — Sorge für die Person des Kindes (nur bei Amtsvormundschaften und Sorgepflegschaft), — Gespräche mit den zu betreuenden Kindern und deren Eltern (Elternteilen) und weiteren Bezugspersonen, — Einleitung und Mitwirkung bei der Gewährung besonderer Hilfen, z. B. Einleitung der Adoption, Unterbringung in einer Pflegestelle, Unterbringung in einem geschlossenen Heim - i. V. m. Allgemeinem Sozialdienst bzw. besonderen Sozialdiensten, — Vermittlung zwischen den Beteiligten im Hinblick auf Verkehrs- und Besuchsrechte. Der Grad der Intensität der Aufgabenerfüllung im Rahmen der Betreuung eines nichtehelichen Kindes durch Amtspflegschaft oder Amtsvormundschaft ist u. a. abhängig von — der Art des jeweiligen Falles, z. B. Auslandsberührung, Aussageunwilligkeit der Mutter, — den einzelnen Bearbeitungsphasen, z. B. Feststellung der Vaterschaft, lange Prozeßdauer, Unterhaltsfestsetzung bei unklaren wirtschaftlichen Verhältnissen, Auskunfts- und Zahlungsunwilligkeit des Vaters, Zwangs-
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Vollstreckungsmaßnahmen, Änderung der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit auf Seiten der Eltern oder des Kindes und im Zusammenhang damit die Notwendigkeit der Schaffung neuer Titel, — erbrechtlichen Fragen und Schadensersatzansprüchen, z. B. wegen Tötung der Eltern oder aus unerlaubten Handlungen, — der Notwendigkeit der Klärung namensrechtlicher Probleme usw.
3. Auf den besonders arbeitsintensiven und verantwortungsvollen Bereich der Urkundstätigkeit der Jugendämter (§§ 49, 50 JWG) sei hingewiesen. Ferner durch die: 4. Beratungs- und Unterstützungstätigkeit Im Mittelpunkt steht hier § 51 JWG mit folgendem Wortlaut: „§ 51 (Beratung und Unterstützung eines alleinstehenden Elternteils) (1) Das Jugendamt hat einen Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht, auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge, insbesondere bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes zu beraten und zu unterstützen. (2) Leben die Eltern des Kindes getrennt, ohne daß die Sorge für die Person des Kindes einem Elternteil übertragen ist, so gilt Abs. 1 für den Elternteil entsprechend, in dessen Obhut sich das Kind befindet oder der Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen will.
Beratung und Unterstützung der werdenden Mutter, von Sorgeberechtigten, der Einzelvormünder und -pfleger durch den Amtspfleger oder Amtsvormund (§§ 31 II, 47 d, 51, 52 JWG, §§ 13, 14,15 SGB), erfolgt insbesondere im Hinblick auf — Fragen des zivilrechtlichen Unterhalts, — Fragen des Sozial- und Steuerrechts (z. B. BKGG, Wohngeldgesetz, RVO, Ausbildungsförderung). — Fragen des Vaterschafts- und Anfechtungsrechts, — Fragen des Namens- und Personenstandsrechts, — Fragen der Ausübung der elterlichen Gewalt, vormundschaftsrechtliche und familienrechtliche Fragen. Besonders der letzte Bereich hat durch die neuen Gesetze eine ständige Ausweitung erfahren. Er stellt aber zugleich die Brücke dar zwischen den sozialen Anforderungen, die an ein neues Jugendhilfe-
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recht und damit auch an die Amtsvormundschaft gestellt werden und den Mitteln, mit denen die Jugendhilfeeinrichtungen den an sie gestellten Anforderungen nachkommen können, um das große Ziel zu erreichen, - nämlich: Defizite benachteiligter Gruppen oder Personen auszugleichen. Im folgenden Abschnitt soll nunmehr geprüft werden, welche neuen Gesetze eine Erweiterung der Möglichkeiten, aber auch der Probleme gebracht haben.
B. Die Neuregelungen I. Unter denjenigen Gesetzen, die den Bereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft berühren, ist in der zeitlichen Abfolge zunächst das Adoptionsgesetz zu nennen. Ich beschränke mich hierbei auf einige wenige Punkte, da das Adoptionsrecht in einem Spezialreferat im Rahmen dieser Tagung behandelt wird. Das „Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften" (Adoptionsgesetz) vom 2. 7. 1976 - BGBl. 1976 I 1749 - trat am 1. Januar 1977 in Kraft. Mit dieser Neuregelung wurde dem Bedeutungswandel Rechnung getragen, den die Adoption seit langem erfahren hatte. Zielte sie in früheren Jahren darauf ab, einen Familiennamen oder das Vermögen in einer Familie zu erhalten, so hatte sie sich schon bald zu einer fürsorgerischen Maßnahme entwickelt, mit der einem Kind die Geborgenheit einer Familie gegeben werden soll. Durch die „Annahme als Kind" erfolgt eine vollständige Loslösung des Kindes von seinen leiblichen Eltern und die volle Integration in die neue Familie. Das Kind erhält den Status eines ehelichen Kindes, nicht zuletzt auch Beziehungen zu den Verwandten der Annehmenden. Eine solche Annahme wird als Volladoption bezeichnet. Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit (unter bestimmten Voraussetzungen) der Adoption eines Volljährigen. Hier gehen die Wirkungen nicht so weit, wie bei der Minderjährigen-Adoption, sie wird deshalb als Adoption mit sog. schwachen Wirkungen bezeichnet. An die Stelle des bisherigen Vertragssystem tritt das Dekretsystem, d. h. die Annahme wird durch einen Beschluß des Vormundschaftsgerichts wirksam (§ 1752 BGB).
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Vorgeschaltet sind jedoch wichtige Voraussetzungen: — Dem Ausspruch der Annahme soll in der Regel eine angemessene Pflegezeit vorausgehen (§ 1744). Der unbestimmte Begriff „angemessen" soll es ermöglichen, diese Pflegezeit den individuellen Bedürfnissen anzupassen: bei einem gesunden Kind wird sie kürzer, bei einem geschädigten Kind wird sie länger sein müssen. Erfreulicherweise trifft nunmehr das Gesetz eine Regelung für die Zeit zwischen der Erklärung der Einwilligung durch die Eltern und dem Ausspruch der Annahme. § 1751 BGB bestimmt: „Mit der Einwilligung eines Elternteils in die Annahme ruht die elterliche Gewalt dieses Elternteils; die Befugnis, mit dem Kind persönlich zu verkehren, darf nicht ausgeübt werden. Das Jugendamt wird Vormund; dies gilt nicht, wenn der andere Elternteil die elterliche Gewalt allein ausübt oder wenn bereits ein Vormund bestellt ist. Eine bestehende Pflegschaft bleibt unberührt. . . . "
Gerade der letzte Satz hat jedoch Unklarheit verursacht. Bedeutet diese Vorschrift, daß eine Amtspflegschaft bestehen bleibt mit der Folge, daß möglicherweise im Jugendamt des Wohnorts des Kindes eine Amtsvormundschaft eingerichtet werden muß, während am bisherigen Wohnort des Kindes und in der Regel am Wohnort der Mutter die Amtspflegschaft bestehen bleibt? Wäre es nicht sinnvoller, in diesen Fällen das die Vormundschaft führende Jugendamt (ergänzend sei bemerkt, daß es sich hier um die 2. Form einer kraft Gesetzes eintretenden „Amtsvormundschaft" handelt) auch die Amtspflegschaft übernehmen zu lassen. Immerhin obliegt es dem die Amtspflegschaft führenden Jugendamt, gemäß § 1706 BGB bei der Adoption des Kindes mitzuwirken, während das die Adoptions-Amtsvormundschaft führende Jugendamt verpflichtet ist, die Verhältnisse bei den annehmenden Eltern zu prüfen. Widersprechende Entscheidungen und Auffassungen sind nicht ausgeschlossen. Das Gesetz hat keine Regelung getroffen und eine unsichere Rechtslage wurde verursacht. Praktisch wäre es natürlich, wenn beispielsweise das die Amtsvormundschaft führende Jugendamt auch die Amtspflegschaft übernimmt. Dennoch ist es fraglich, ob das durch die Gesetzesbestimmungen ohne weiteres gedeckt ist. Brüggemann weist in seinem Aufsatz „Zweifelsfragen des neuen Adoptionsver-
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fahrensrechts aus der Sicht des Jugendamtes" in ZblJugR 1 9 7 7 / 1 9 9 darauf hin, daß eine derartige Folgerung nicht unbedingt zwingend ist. Binschus hat in seinem Aufsatz „Zur Durchführung des Adoptionsverfahrens nach den neuen Bestimmungen - Probleme bei der Anwendung des neuen Gesetzes —" in ZfF 1 9 7 7 / 2 2 4 erneut Bedenken der Praxis geltend gemacht. Die erste — soweit bekannt - Entscheidung, die sich mit diesem Problem beschäftigt, ist die des LG Bonn vom 18. 10. 1977 (DAVorm 1 9 7 7 / 7 4 6 , H. 11/12). Sie sucht eine Lösung der durch den Gesetzgeber offengelassenen Frage durch eine Art Mittelweg. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet: Der Eintritt der Amtsvormundschaft gemäß § 1751 BGB bei einem anderen Jugendamt muß nicht zwangsläufig, sie kann aber nach § 4 3 I S . 1 J W G eine Abgabe der Amtspflegschaft im Interesse des Kindes erforderlich machen.
Dem Amtsvormund/Amtspfleger bleibt es also überlassen, im Einzelfall „die richtige Lösung zu finden". Dem Vater eines nichtehelichen Kindes gewährt das Adoptions-Gesetz eine sehr schwache Position. Seine Einwilligung ist nicht erforderlich. Eine Annahme seines ne. Kindes durch Dritte ist nur dann nicht auszusprechen, wenn der Vater die Ehelicherklärung oder die Annahme des Kindes beantragt hat. Hier besteht zuweilen die nicht unbegründete Befürchtung, daß der Vater die Annahme des Kindes zumindest eine Zeitlang blockiert. Der Vater kann jedoch auf die Ehelicherklärung oder die Annahme verzichten. Die Verzichtserklärung bedarf der öffentlichen Beurkundung. Hier wird der Amtsvormund/Amtspfleger zunächst ernsthaft und präzise zu prüfen haben, ob von Seiten des Vaters ein ernsthaftes Interesse bestehen könnte. Ist das aber nach Lage des Falles ausgeschlossen, so steht er in einem gewissen Zwang, möglichst von dem Vater eine Verzichtserklärung zu bekommen, damit bei der in Aussicht genommenen Adoption des Kindes keine nachteiligen Verzögerungen eintreten (vgl. hierzu auch den bereits erwähnten Aufsatz von Brüggemann in ZblJugR 1977/199). Noch vor eine weitere, m. E. schwierigere Entscheidung sieht sich der Amtsvormund/Amtspfleger gestellt: Soll eine geplante Adoption zunächst mit Rücksicht darauf zurückgestellt werden, daß die
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rechtswirksame Vaterschaftsfeststellung noch nicht abgeschlossen werden konnte. Einerseits ist anerkannt, daß jedes Kind ein absolutes Recht darauf hat, eindeutig festgestellt zu wissen, wer sein Vater ist. Ebenso unzweifelhaft ist, daß jedes Kind gerade in den ersten Lebensmonaten einer ständigen und fürsorglichen Pflege und Betreuung bedarf, um sich gesund entwickeln zu können. Mit der Problematik haben sich in Aufsätzen Petra Müller (DAVorm 1 9 7 6 / 4 7 7 ) , Helga Oberloskamp (DAVorm 1 9 7 6 / 1 0 7 unter Nr. 2.3), Binschus (ZfF 1 9 7 6 / 1 9 9 ) , Brüggemann (in dem erwähnten Aufsatz in ZblJugR 1 9 7 7 / 2 0 4 ) befaßt, die Problematik hat aber bereits den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beschäftigt. In dem Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 7 / 5 0 8 7 , S. 15, abgedruckt DAVorm 1 9 7 7 / 3 1 1 ) heißt es: „Bei der Annahme eines Minderjährigen als Kind darf der Ausgang eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nur dann abgewartet werden, wenn eine dadurch eintretende Verzögerung der Annahme dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Ein Wunsch eines Adoptionsbewerbers, vor Ausspruch der Annahme erst die Vaterschaft zu klären, ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, wenn dadurch eine Verzögerung der Annahme eintritt und die Verzögerung dem Wohl des Kindes widerspricht. Die Rechte, die das Gesetz dem Vater eines nichtehelichen Kindes einräumt (§ 1747 II S. 2 BGB), stehen nur dem zu, dessen Vaterschaft feststeht. Nur ihm gegenüber besteht auch die Pflicht zur Beratung nach § 51 b JWG [Beratung des ne. Vaters!]. Das Jugendamt hat die Pflicht zur Vaterschaftsfeststellung auch dann, wenn eine Annahme als Kind angestrebt wird (§ 1706 Nr. 1 BGB, § 1 Nr. 2, § 401 JWG). Es wäre pflichtwidrig, eine mögliche Vaterschaftsfeststellung zu unterlassen, um den nichtehelichen Vater an der Ausübung seiner Rechte zu hindern und sich der Pflicht zu seiner Beratung zu entziehen. Die Vaterschaftsfeststellung ist daher auch während der Pflegezeit zu betreiben. Nach dem Ausspruch der Annahme ist die Feststellung der Vaterschaft nicht verboten. Von diesem Zeitpunkt an steht es in der freien Entscheidung der Annehmenden, ob sie eine Vaterschaftsfeststellung betreiben oder fortführen wollen. Dabei werden sie zu berücksichtigen haben, daß das Kind später ein Interesse an seiner natürlichen Abstammung haben kann, ihm aber die Feststellung seiner Abstammung nach Erreichen der Volljährigkeit aus Beweisgründen erheblich erschwert oder unmöglich sein wird. . . . " Zuletzt hat sich Ullenbrucb, Heilbronn, aus der Sicht der Praxis mit der Frage „Betreibung der Vaterschaftsfeststellung bei vorgesehener
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Adoption eines nichtehelichen Kindes?" (ZblJugR 1 9 7 7 / 4 2 6 , H. 9/10) beschäftigt. Er tendiert mehr dazu, eine Adoption im Interesse einer guten Entwicklung des Kindes nicht an der Vaterschaftsfeststellung scheitern zu lassen. Entsprechende Weisungen wurden im KrJA Heilbronn erlassen. Erneut wird deutlich, welche tiefgreifenden Entscheidungen im Bereich des Adoptionsrechts zu treffen sind. II. 1. Gleichzeitig mit dem Gesetz über die Annahme als Kind wurde
das „Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind" — Adop-
tionsvermittlungsgesetz — (AdVermiG) vom 2. 7. 1976 — BGBl. 1976 I 1762 — erlassen und trat ebenfalls am 1. Januar 1977 in Kraft. Hier warten wir noch immer auf die gemäß § 7 II AdVermiG erforderliche Rechtsverordnung, die „das Nähere über die Durchführung der sachdienlichen Ermittlungen und der Adoptionshilfe (§ 9) sowie die von den Adoptionsvermittlungsstellen dabei zu beachtenden Grundsätze" enthalten soll. Sie liegt zwar im Entwurf vor, doch ist über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Veröffentlichung noch nichts bekannt. 2. Im Zusammenhang mit der Adoptionsvermittlung begegnet uns die Problematik der „Fachkräfte". Diese Frage spielt aber auch im neuen Jugendhilferecht eine gewisse Rolle und hier wie dort wird man nicht nur auf eine theoretische Vorbildung für die Bereiche abstellen können, sondern wird nach wie vor auch die Mitarbeiter in den Jugendbehörden berücksichtigen müssen, die aus dem Verwaltungsdienst gekommen sind und in befriedigender Weise die Aufgaben der Vermittlung bewältigten. 3. Dennoch wird es notwendig sein, durch die Zusammenfassung von Adoptionsvermittlungsstellen, d. h. von Jugendamtsbezirken, die Vermittlung von Adoptionskindern effektiver zu gestalten. Diese Möglichkeit sieht das Gesetz ausdrücklich vor. III. 1. In einem gewissen Zusammenhang mit der Adoptionsvermittlung steht die Bereitstellung und die Vermittlung von Pflegestellen. In einer schwierigen Situation der Mutter stellt die Adoption nicht immer die optimale Lösung dar, sondern vielfach wird eine gute Pflegestelle geeignet sein, die Unausweichlichkeit einer Adoption zu vermeiden und die Zeit, in der möglicherweise die Mutter eines ne. 3
Göschen, Familienrecht
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Kindes nicht in der Lage ist, ihr Kind selbst zu betreuen, zu überbrücken. Dabei mag erwähnt werden, daß in vielen Orten, beispielsweise in Dortmund oder auch in Hamburg, verstärkt Bemühungen unternommen werden, die Pflegestellenvermittlung zu aktivieren. Dies geschieht u. a. durch genaue Prüfung der Pflegestellen und einer umfassenden Beratung, Schulung und ständigen Kontaktpflege zwischen Behörden und Pflegeeltern, aber auch zwischen den Pflegeeltern unter sich durch Anregung der Jugendbehörde. Im Augenblick ist das Pflegekinderwesen noch nicht gesetzlich geregelt, doch wurden an verschiedenen Stellen umfangreiche Vorarbeiten geleistet, z. B. befaßte sich damit ein entsprechender Ausschuß der AGJ und das 6. Internationale Expertengespräch für Jugendhilfe hat sich sowohl anläßlich seiner Tagung im vergangenen Jahr in Bad Godesberg als auch auf der diesjährigen Tagung in Sursee/Schweiz mit der Problematik der Pflegekinder befaßt und eine Schlußresolution verabschiedet, die erfreulicherweise einstimmig von den Beteiligten aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und aus Deutschland erarbeitet wurde. Die Veröffentlichung ist im FORUM Jugendhilfe der AGJ im Dezember-Heft vorgesehen. Gewisse Schwierigkeiten sind im Zusammenhang mit der Zahlung von Pflegegeld aufgetreten. a) In seinem Urteil vom 31. 3. 1977 (ZblJugR 1977/445) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: 1. öffentliche Jugendhilfe ist nachrangig gegenüber der Erfüllung des Erziehungsanspruchs eines Kindes durch seine Familie, und zwar auch dann, wenn das Kind von seinen Großeltern erzogen wird (§ 1 III JWG). 2. „Wirtschaftliche Hilfe" ist im Rahmen des Jugendwohlfahrtsrechts kein eigenständiger Leistungstatbestand; sie kommt nur im Gefolge erzieherischer Hilfe in Betracht. Wird Hilfe ausschließlich zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts eines bei seinen Großeltern lebenden Kindes erforderlich, so kann sie nur nach Maßgabe des Sozialhilferechts gewährt werden (§ 6 I, II JWG).
Das Bundesverwaltungsgericht vertritt in dieser Entscheidung die Auffassung, daß auch Großeltern rechtlich zur Familie zu zählen sind und also auch den Erziehungsanspruch eines Kindes mit befriedigen, so daß die Zahlung von Pflegegeld zunächst nicht in Betracht
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kommt, sondern nur im Bedürfnis falle Sozialhilfeleistungen zu gewähren sind. Es ist außerordentlich fraglich, ob diese Entscheidung die praktischen Bedürfnisse der Jugendämter voll abdeckt, denn bei der Bereitstellung von Pflegestellen spielen Großeltern und ihre wirtschaftliche Unterstützung durch die Jugendämter eine entscheidende Rolle. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat zu einer umfangreichen Diskussion geführt, die im Augenblick noch nicht abgeschlossen ist (vgl. „Vorläufige Empfehlung" des Bayer. LJA in DA Vorm 1977/712; Kunkel, „ Z u m Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Zahlung von ,Pflegegeld' für Kinder bei ihren Großeltern" in ZblJugR 1977/494; Münder, „Die Kosten von Erziehung und Aufziehung" in ZblJugR 1978/29; dazu Giese ZblJugR 1978/171). b) In einem weiteren Fall sei auf den bereits erwähnten § 1751 BGB nochmals verwiesen, der für die Zeit zwischen Abgabe der Einwilligungserklärung und der Adoption eine vorrangige Unterhaltspflicht der Adoptionsbewerber und Adoptionspflegeeltern statuiert, um sie frühzeitig auf die auf sie zukommenden Verpflichtungen aufmerksam zu machen. Grundlage ist § 1751 Abs. 4, wo es heißt: „Der Annehmende ist dem Kind vor den Verwandten des Kindes zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet, sobald die Eltern des Kindes die erforderliche Einwilligung erteilt haben und das Kind in die Obhut des Annehmenden mit dem Ziel der Annahme aufgenommen ist."
Hier hatte ein Verwaltungsgericht entschieden: „Nach der Ansicht des Gerichts entfällt eine Verpflichtung zur Zahlung von Pflegegeld durch den Träger der Jugendhilfe erst mit rechtswirksamer Einwilligungserklärung und Annahmeerklärung der Adoptionsbewerber."
Urteil d. VerwG Münster v. 1. 9. 1977 (= DAVorm. 1978/40 m. Anm. Brüggemann, S. 44). Es kommt also darauf an, wann die Voraussetzung, daß das Kind mit dem Ziel der Annahme aufgenommen wurde, erfüllt ist. Nicht immer müssen Pflegeeltern gleichzeitig auch schon Adoptionspflegeeltern sein. Das Gericht hat in diesem Fall diesen Zeitpunkt offengelassen, man wird ihn schwerlich aber erst dann anzunehmen ha3'
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ben, wenn der Adoptionsantrag gestellt ist, da dann das gesetzliche Ziel, nämlich die Adoptionsbewerber schon frühzeitig die Unterhaltslast übernehmen zu lassen, kaum zum Tragen kommen dürfte. Wir werden uns in der Praxis auch mit dieser Problematik noch näher zu beschäftigen haben. IV. Gravierende Änderungen auch für den Amtsvormund/Amtspfleger brachte das „Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren" (Vereinfachungsnovelle) vom 3. Dezember 1976 - BGBl. 1976 I 3281 - , das ebenfalls am 1. Juli 1977 in Kraft getreten ist. Der Gesetzgeber suchte mit den neuen Bestimmungen das Zivilprozeßverfahren zu straffen und zu beschleunigen. Im Bereich von Unterhaltsprozessen ist die Neuregelung des Mahnund Vollstreckungsverfahrens zu beachten. Insbesondere wurden jedoch auch von Richtern kraft Gesetzes zu beachtende Ausschlußfristen eingeführt. In einem umfassenden Aufsatz, in dem die Jugendämter mit den Neuregelungen vertraut gemacht werden („Die Auswirkungen des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren auf Kindschafts- und Unterhaltsprozesse": DAVorm 1977/289, H. 5) weist die Verfasserin, Richterin am Amtsgericht Hamburg Jutta Puls, abschließend darauf hin: „Die Jugendämter als Vormünder, Pfleger oder Beistände sollten nicht auf Verhängung von Sanktionen bei Fristversäumung durch den Gegner drängen, denn der mit seinem Vorbringen ausgeschlossene Gegner wird, weil es ihm schwerfällt, eine aus seiner Sicht unrichtige Entscheidung zu akzeptieren, ein schlechter' Unterhaltsschuldner sein: er wird nicht freiwillig zahlen und den Zugriff des Unterhaltsgläubigers auf sein Einkommen und Vermögen bei der Zwangsvollstreckung zu vereiteln oder zu erschweren suchen."
Ohnehin zählt die Durchführung eines Vaterschaftsfeststellungsprozesses immer noch zu den schwierigsten Aufgaben des Amtsvormundes/Amtspflegers: Die angemessene und vorsichtige Ermittlung des möglichen Vaters, die Frage von Mehrverkehr, die Problematik der Einholung von Gutachten: serologische, erbbiologische, HLA-Gutachten, Tragezeitgutachten, die Bewertung von Gutachten und der statistischen Werte, die Bewertung des Streits der Wissenschaftler über die beste Methode, sind nur einige Stichworte aus dieser schwierigen Materie. V. Von besonderer Bedeutung ist schließlich das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts" (1. EheRG) vom 14. Juni
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1 9 7 6 - BGBL 1 9 7 6 1 1 4 2 1 . Das Gesetz stellt einen entscheidenden Einschnitt in das deutsche Familienrecht dar. Es bringt auch für die Jugendämter bedeutsame Änderungen mit sich. Das gilt neben den allgemeinen Wirkungen des Eherechts insbesondere für das mit dem Scheidungsrecht ab seinem Inkrafttreten am 1. 7. 1 9 7 7 an die Stelle des bisherigen Verschuldensprinzips getretenen Zerrüttungsprinzips: Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Sie ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und ihre Wiederherstellung nicht mehr erwartet werden kann. Die Zerrüttung soll nach dem neuen Recht aus objektiven Umständen geschlossen werden, und zwar wurden deshalb bestimmte Fristen eingeführt, die die Scheidung entweder hemmen oder das Scheitern der Ehe vermuten lassen 4 : — Eine einjährige Trennungsfrist ist Voraussetzung für eine Ehescheidung, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder wenn der Antragsgegner der Scheidung zustimmt; — bei noch nicht einjährigem Getrenntleben kann eine Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Solche Gründe können z. B. Ehebruch, ehewidrige Beziehungen, Mißhandlungen u. a. mehr sein; — leben die Ehegatten mehr als 1 Jahr getrennt und beantragen beide Ehegatten die Scheidung oder stimmt der Antragsgegner der Scheidung zu, so wird unwiderlegbar vermutet, daß die Ehe gescheitert ist; — bei einer dreijährigen Trennung wird das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet, ohne daß es insoweit auf eine Übereinstimmung der Ehegatten ankommt; — das Gesetz enthält eine Härteklausel für die Fälle, in denen trotz Scheiterns der Ehe nicht geschieden werden soll, wenn und solange ihre Aufrechterhaltung - im Interesse der aus Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist,
Vgl. hierzu SchlHOLG v. 16. 9. 1977: 1. Scheitern der Ehe / 2. Aussetzung des Scheidungsverfahrens nur, wenn Aussicht auf Fortsetzung der Ehe besteht. / 3. Härteklausel bei noch nicht fünfjähriger Trennung in: SchlHAnz. 1 9 7 7 / 1 8 5 ; und SchlHOLG v. 29. 9. 1977: Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel in: SchlHAnz. 1977/187).
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— oder wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint; — bei mehr als fünfjährigem Getrenntleben gilt aber auch diese Härteklausel nicht mehr. Es ist dann ohne jede Einschränkung auch auf nur einseitigen Antrag und ohne Rücksicht auf die Folgen für die Kinder und den anderen Ehegatten die Scheidung auszusprechen. b) Schwierigkeiten kann der Begriff des „Getrenntlebens" verursachen. Das Gesetz geht von folgenden Grundsätzen aus: Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt. Häusliche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrenntleben. Zusammenleben über kürzere Zeit, das der Versöhnung der Ehegatten dienen soll, unterbricht oder hemmt die erwähnten Fristen nicht. Ob sich die gesetzgeberischen Intentionen verwirklichen lassen, ist auch in diesem Punkt zweifelhaft. Es ist zu befürchten, daß in der Frage der Dauer des Getrenntlebens die Fam.-Richter sehr viel belogen werden. c) Unter den Folgen der Scheidung
sind hervorzuheben:
-Elterliche Gewalt nach Scheidung der Ehe Das Familiengericht bestimmt, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über gemeinschaftliche Kinder zustehen soll. Von einem gemeinsamen Vorschlag der Eltern soll das Familiengericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Maßgebend ist die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohle des Kindes am besten entspricht; - hinsichtlich der Unterhaltsberechtigung gilt, daß nach einer Scheidung jeder geschiedene Ehegatte grundsätzlich selbst für seinen Unterhalt zu sorgen hat. Davon gibt es jedoch folgende Ausnahmen: - Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, wenn von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Diese Unterhaltsverpflichtung kann auch für die Frau gegenüber dem Manne in Betracht kommen, wenn ihm das Sorgerecht über die Kinder übertragen ist und er deshalb nicht oder u. U. nur halbtägig berufstätig sein kann;
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- Unterhalt wegen Alters, Krankheit oder Gebrechen Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, wenn von ihm wegen Alters, Krankheit oder anderer Gebrechen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht oder nicht mehr erwartet werden kann. Diese Unterhaltsverpflichtung kann noch nach Jahren entstehen. - Unterhalt zur Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung Ein geschiedener Ehegatte, der in Erwartung der Ehe oder während der Ehe eine Schul- oder Berufsausbildung nicht aufgenommen oder abgebrochen hat, kann von dem anderen Ehegatten Unterhalt verlangen, wenn er diese oder eine entsprechende Ausbildung sobald wie möglich aufnimmt, um eine angemessene Erwerbstätigkeit, die den Unterhalt nachhaltig sichert, zu erlangen und der erfolgreiche Abschluß der Ausbildung zu erwarten ist. Der Anspruch besteht längstens für die Zeit, in der eine solche Ausbildung im allgemeinen abgeschlossen wird. - Unterhalt aus Billigkeitsgründen Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, wenn von ihm aus sonstigen schwerwiegenden Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Versagung des Unterhalts unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre. Dieser Unterhaltsanspruch kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Das kann z. B. der Fall sein, wenn die Ehe nur kurz bestanden hat. d) Das neue Rechtsinstitut „Versorgungsausgleich" (VA), das der Alters- und Hinterbliebenenversorgung dienen soll, verursacht nicht geringe Schwierigkeiten. Das beruht auf zahlreichen neuen und komplizierten Vorschriften aber auch in den zeitraubenden Verfahren, in den bei den Bundesversorgungsanstalten nach der Zusammensetzung der Altersrentenansprüche gefragt werden muß, wenn es sich möglicherweise hierbei auch um Anfangsschwierigkeiten handelt. Der VA kann auch vereinbart werden, muß jedoch den gesetzgeberischen Vorstellungen entsprechen. In Hamburg hat man zur Unterstützung der Familienrichter einen Versicherungsfachmann zweimal wöchentlich 5 Stunden ins Familiengericht geholt gegen entsprechende Honorierung. Er steht den Familienrichtern zur Verfügung. Zu beachten ist auch, daß für Familiensachen kein Richterprivileg besteht. Die Familienrichter haben sich deshalb gegen Haftpflichtschäden versichern lassen.
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Der Versorgungsausgleich läßt sich wie folgt umreißen: Bei der Scheidung findet eine Teilung und Ausgleichung der während der Ehe erworbenen Anwartschaften statt, weil sie auf der gemeinsamen Lebensleistung beider Ehegatten beruhen. Der Versorgungsausgleich umfaßt alle von einem oder beiden Ehegatten während der Ehe erworbenen Anwartschaften auf Renten aus der Sozialversicherung, Beamtenpensionen, betrieblichen Ruhegeldleistungen, Renten aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen oder aus Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder oder Renten aus privaten Versicherungen. Der Ehegatte, der die werthöhere Anwartschaft erworben hat, hat dem anderen Ehegatten als Ausgleich die Hälfte des Wertunterschiedes zukommen zu lassen. Der Versorgungsausgleich ändert nichts an den Auszahlungsvoraussetzungen, z. B. die Erfüllung der Wartezeiten. Bei rechtskräftigen Ehescheidungen vor dem 1. 7. 1977 gibt es keinen Versorgungsausgleich.
e) Schließlich wurde das Verfahrensrecht in Familiensachen neu geregelt. Das neugeschaffene Familiengericht, das mit einem Richter am Amtsgericht besetzt ist, hat zu entscheiden über die Scheidung, über die Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung einer Ehe, über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe oder die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die Regelung der elterlichen Gewalt, des persönlichen Verkehrs des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind, die Herausgabe eines Kindes an einen anderen Elternteil, die Unterhaltspflicht gegenüber einem (ehelichen) Kinde und zwischen den geschiedenen Ehegatten, den Versorgungsausgleich, die Hausratsteilung u. a. mehr. Vor dem Familiengericht herrscht Anwaltszwang. Wichtig ist der sog. Entscheidungsverbund, der zeitraubende Verfahren im Anschluß an die Ehescheidung vermeiden soll. Vor diesem Zeitpunkt ist jedoch die Regelung der elterlichen Sorge durch einstweilige Anordnung möglich. Hier werden die Jugendämter oft vor dem Problem stehen, in relativ kurzer Zeit eine Stellungnahme zur Frage der Regelung der elterlichen Sorge abgeben zu müssen, wobei zu berücksichtigen ist, daß in Zukunft an die Qualität solcher Stellungnahmen durch den Familienrichter zweifellos erhöhte Anforderungen gestellt werden müssen. Es zeichnen sich Tendenzen ab, nach denen sich der Scheidungsstreit vom Verschulden und seine Verteilung im früheren Recht, auf die Verteilung der elterlichen Gewalt bei gemeinsamen ehelichen Kin-
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dern verlagert. Hier sind die Jugendämter also mehr als bisher zu genauen Analysen und Stellungnahmen gefordert: — allein der Grundsatz: „ . . . Die Kinder gehören zur Mutti" reicht nicht aus, — von einem Rollenzwang (der Mutter) darf nicht ausgegangen werden, — die emotionalen Bindungen sind präzise festzustellen, ältere Kinder sind in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen, — wichtig ist, daß die Jugendämter bei ihren Stellungnahmen sich in 1. Linie auf die Feststellung von Tatsachen konzentrieren und weniger Wertungen vornehmen, — insgesamt werden Scheidungsprozesse in diesem Punkt nämlich erbitterter werden (finanzielle Konsequenzen!), — mehr als bisher werden sich die Jugendämter Anwälten gegenübersehen, die naturgemäß bedingungsloser für ihre Partei kämpfen und dabei die Jugendämter bei Beweisanträgen und Vernehmungen sicherlich nicht ausnehmen werden. Z. B. dient ein Antrag auf einstw. AO bereits der Vorbereitung der späteren Unterhaltsregelung. — das bedeutet für die Jugendämter aber auch: im Interesse der Kinder härter werden im Nehmen. Nach wie vor stellt der unterhaltsrechtliche Bereich an den Amtsvormund/Amtspfleger erhöhte Anforderungen. Hier ist auf folgende Neuregelungen hinzuweisen: VI. Das „Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten" vom 29. Juli 1976—BGBl. 197612029-ist ebenfalls am 1. Januar 1977 in Kraft getreten. Feststellungen hatten ergeben, daß Unterhaltsansprüche ehelicher Kinder aus geschiedenen Ehen oftmals bei der ursprünglich vereinbarten — meist sehr niedrigen — Höhe stehengeblieben waren, weil vielfach die Mütter sich scheuten, die Mühseligkeiten eines Prozesses zur Erhöhung der Unterhaltsbeträge auf sich zu nehmen oder einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen.
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Diese Umstände führten dazu, daß die unterhaltsrechtliche Situation ehelicher Kinder deutlich schlechter war als diejenige nichtehelicher Kinder, deren Unterhaltsansprüche von ihren Amtsvormündern und Amtspflegern geltend gemacht wurden. Dies brachte auch die Amtliche Begründung zum Gesetz zur vereinfachten Abänderung zum Ausdruck (BT-Drucks. 7/4791, S. 7): „Durch diese Regelung [die des Regelunterhalts] haben nichteheliche Kinder gegenüber anderen unterhaltsberechtigten Kindern - insbesondere gegenüber Kindern geschiedener oder getrenntlebender Eltern - einen Vorteil und dies, obwohl die Unterhaltsinteressen nichtehelicher Kinder in aller Regel, z. B. von den Jugendämtern, bestens wahrgenommen werden. . . . "
Bis zuletzt war unsicher, ob dieses Gesetz noch in der 7. Legislaturperiode verwirklicht werden konnte (das zeigt auch das Verkündungsdatum vom 29. 7. 1976). Es hat erheblicher Anstrengung bedurft, und hier verdient insbesondere die Bundestagsabgeordnete Dr. Renate Lepsius großen Dank, denn sie hat sich mit nicht ermüdender Zähigkeit für die Verwirklichung eingesetzt. Aber auch dem Institut gebührt ein gewisser Anteil, denn als fast einzige Organisation hat es schon bei der Veröffentlichung der ersten Entwürfe eingehend begründete Stellungnahmen abgegeben und auch im Bundesjustizministerium bei Anhörungen oder in Einzelbesprechungen die Verwirklichung des geplanten Gesetzes gefördert. Die materielle Grundlage für das neue Gesetz wurde durch die Einfügung eines neuen § 1612 a BGB geschaffen. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten Vom 29. Juli 1976 § 1612 a (1) Ist die Höhe der für einen Minderjährigen als Unterhalt zu entrichtenden Geldrente in einer gerichtlichen Entscheidung, einer Vereinbarung oder einer Verpflichtungsurkunde festgelegt, so kann der Berechtigte oder der Verpflichtete verlangen, daß der zu entrichtende Unterhalt gemäß den Vorschriften des Absatzes 2 der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse angepaßt wird. Die Anpassung kann nicht verlangt werden, wenn und soweit bei der Festlegung der Höhe des Unterhalts eine Änderung der
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Geldrente ausgeschlossen worden oder ihre Anpassung an Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse auf andere Weise geregelt ist. (2) Ist infolge erheblicher Änderungen der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse eine Anpassung der Unterhaltsrenten erforderlich, so bestimmt die Bundesregierung nach Maßgabe der allgemeinen Entwicklung, insbesondere der Entwicklung der Verdienste und des Lebensbedarfs, durch Rechtsverordnung (Anpassungsverordnung) den Vomhundertsatz, um den Unterhaltsrenten zu erhöhen oder herabzusetzen sind. Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Die Anpassung kann nicht für einen früheren Zeitpunkt als den Beginn des vierten auf das Inkrafttreten der Anpassungsverordnung folgenden Kalendermonats verlangt werden. Sie wird mit der Erklärung wirksam; dies gilt nicht, wenn sich die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung aus einem Schuldtitel ergibt, aus dem die Zwangsvollstreckung stattfindet. (3) Der Unterhaltsbetrag, der sich bei der Anpassung ergibt, ist auf volle Deutscher Mark abzurunden, und zwar bei Beträgen unter fünfzig Pfennig nach unten, sonst nach oben. (4) Von der in einer Anpassungsverordnung vorgesehenen Anpassung sind diejenigen Unterhaltsrenten ausgeschlossen, die in den letzten zwölf Monaten vor dem Wirksamwerden der Anpassung festgesetzt, bestätigt oder geändert worden sind. (5) Das Recht des Berechtigten und des Verpflichteten, auf Grund allgemeiner Vorschriften eine Änderung des Unterhalts zu verlangen, bleibt unberührt. „Die Anpassung kann jeweils nicht für einen früheren Zeitpunkt als dem Beginn des 4. auf das Inkrafttreten der Anpassungs-Verordnung folgenden Kalendermonats verlangt werden." Dies bestimmt Abs. 2. Danach war die erstmalige Anpassung zum 1. November 1977 möglich und damit ein Datum, das auch für die Amtsvormünder/Amtspfleger erhöhte Aktivitäten verlangte. Gewisse Schwierigkeiten wurden durch die Bestimmung neuer Gerichtsstände, und zwar auch für die Festsetzung des Regelbedarfs in der ZPO verursacht. Die Änderung geschah mit Rücksicht darauf, daß sowohl die Abänderung im vereinfachten Verfahren als auch die
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Abänderung des Regelbedarfs in Zukunft in einem automatisierten Verfahren erfolgen soll, damit sowohl für die Justizverwaltung als auch für die Jugendämter die regelmäßigen Änderungen erleichtert werden 5 . VII. Wie immer führt auch heute noch die Neufestsetzung des Regelbedarfs zu einer beträchtlichen Arbeitsbelastung der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft. Die letzte Änderung erfolgte durch die „ Verordnung zur Neufestsetzung des Regelbedarfs" (Regelbedarf-Verordnung 1 9 7 6 ) vom 3 0 . Juli 1 9 7 6 - B G B l . 1 9 7 6 1 2 0 4 2 . Ab 1. November 1 9 7 6 gelten folgende Beträge: — 6. Lebensjahr: D M 165,— 7. - 12. Lebensjahr: D M 2 0 0 , 13. - 18. Lebensjahr: D M 2 3 7 , Die im allgemeinen in einem zweijährigen Rhythmus erfolgende Neufestsetzung des Regelunterhalts stellt die Jugendämter regelmäßig vor erhebliche Schwierigkeiten: In vielen Fällen müssen die wirtschaftlichen Verhältnisse neu festgestellt werden, es entsteht die Frage der freiwilligen Beurkundung oder die der Einleitung des Neufestsetzungsverfahrens, mit vielen Vätern müssen Gespräche über die Leistungsfähigkeit geführt werden, ebenso sind mit den Müttern Fragen der Sozialleistungen zu besprechen usw. Auch 7 Jahre nach Einführung des Systems des Regelunterhalts treten noch Probleme auf. Dies betrifft insbesondere die Vorschrift des § 1 6 1 5 g BGB. Bekanntlich bedeutet „Regelunterhalt" nach der Begriffsbestimmung des § 1 6 1 5 f B G B , die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgesetzten Beträge des Regelbedarfs abzüglich der sog. anzurechnenden Leistungen gemäß § 1 6 1 5 g B G B . Hier handelt es sich in erster Linie um Kindergeld und Kinderzuschläge. Die Praxis beschäftigt dabei insbesondere die Frage, ob ein Vater, der durch die Zählkindeigenschaft seines nichtehelichen Kindes einen Vorteil, nämlich ein höheres Kindergeld erhält, dies als „Leistung" im Sinne des § 4 RegU-VO anzusehen ist mit der Folge, daß die Mutter sich nicht die Hälfte des ihr geHinsichtlich der neuen Zuständigkeitsregelungen sei auf die Ausführungen von Brüggemann in DA Vorm 1977/235, die Stellungnahme von Zeindl, „Zur Auslegung der neuen Zuständigkeitsregelung der §§ 642 a, 642 b ZPO" in DAVorm 1977/410 und die Erwiderung von Brüggemann in derselben Nummer des DAVorm 1977/416. Vgl. ferner BGH v. 8. 2. 1978 in DAVorm 1978/270.
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währten Kindergeldes auf den Unterhaltsanspruch ihres Kindes anrechnen lassen muß. Sicherlich ein vergleichsweise kleines Problem. Immerhin belastet es doch eine Reihe von Jugendämtern, die im Bezirk eines LG arbeiten, dessen Rechtsprechung von der ganz überwiegenden Zahl der insgesamt 93 Landgerichte abweicht. Es handelt sich hier um die LGt e Kleve, Itzehoe, Aurich und Osnabrück, die eine von der ganz herrschenden Meinung abweichende Auffassung vertreten. Nicht nur die JÄ dieser Bezirke, sondern darüber hinaus auch andere JÄ, die im Rahmen der Amtshilfe tätig werden müssen, verursacht diese Haltung Schwierigkeiten, so daß sich ein JA sogar veranlaßt sah, Verfassungsbeschwerde aus dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung ne. Kinder zu erheben. Die Verfassungsbeschwerde wurde allerdings schon vor der Annahme vom BVerfG* negativ beschieden, ohne daß damit aber das Problem gelöst wäre. Man wird vermutlich nicht umhin können, diese Frage erst der Gesamtreform des Unterhaltsrechts vorzubehalten. Offenbar wird diese Ansicht auch im Bundesministerium der Justiz vertreten.
VIII. Die Struktur des Unterhaltsrechts insgesamt ist es dann auch,
die die Amtsvormünder/Amtspfleger vor nicht geringe Probleme stellt. Vor dem Inkrafttreten des Nichtehelichenrechtes war es relativ einfach: Die Höhe des Unterhalts eines unehelichen Kindes richtete sich nach der Lebensstellung seiner Mutter. Vor etwa 10 Jahren hatten wir Unterhaltsbeträge zwischen DM 80,— und DM 120,-. Maßgebend dafür war die Rechtsprechung der 93 Landgerichte und so konnte es geschehen, daß je nach dem Wohnort des Beklagten u. U. Kinder derselben Familie unterschiedliche Unterhaltsansprüche erhielten. Zwar ist mit dem Regelunterhalt seit 1970 zweifellos eine Verbesserung der Stellung der nichtehelichen Kinder eingetreten. Dies betrifft aber nur die sog. Normalfälle, d. h. solche, in denen Kind und Mutter und auch Vater innerhalb einer bestimmten Gruppe ihre Lebensstellung haben. Das nichteheliche Kind soll aber auch an einer besseren Lebensstellung seines Vaters partizipieren. Darüber aber enthält das Gesetz keine Maßstäbe. Um zu vermeiden, daß es zu einer unterschiedlichen Rechtsprechung kommt, sah sich das Institut 1970 veranlaßt, seine sog. „Heidelberger Bedarfstabelle" einzuführen, um möglichst von der Bedarfsseite her eine gewisse Vereinheitlichung zu erzielen. Auch einige Gerichte versuchten durch die Aufstellung von Tabellen gewisse Anhaltspunkte zu bieten, ohne daß damit verbindliche Maßstäbe gesetzt werden. Hinzuweisen ist auf die weit verbrei* BVerfG: „Fehlerhafte Gesetzesauslegung" des LG Kleve in DAVorm 1978/H. 4/5 u. LG Würzburg in DAVorm 1978/290.
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tete sog. „Düsseldorfer Tabelle" des LG Düsseldorf (DAVorm 1977/28), die „Kölner Tabelle" des LG Köln (DAVorm 1977/252) und die sog. „Berliner Tabelle" des Kammergerichts (DAVorm 1977/82). Zu den Problemen, die einer Lösung bedürfen, zählt beispielsweise die Frage der Berücksichtigung eigenen Einkommens der Mutter des Kindes oder der Ehefrau, die Berücksichtigung des Familienstandes des unterhaltspflichtigen Vaters, also ob er verheiratet ist oder seinerseits noch für eine Familie zu sorgen hat, ferner die Anrechnung von Sozialleistungen usw. Hier wird es verstärkter Anstrengungen bedürfen, um zu einheitlichen Vorschlägen zu kommen, und diese Tagung wird möglicherweise bereits einen beachtlichen Schritt in diese Richtung tun können. Die Gesamtreform des Unterhaltsrechts rangiert im „Fahrplan" des Bundesjustizministeriums an letzter Stelle, und wenn auch eine entsprechende Projektgruppe eingerichtet sein soll, so läßt sich im Augenblick noch nicht sagen, wann die Arbeiten in ein entscheidendes Stadium treten werden. Das entbindet uns m. E. nicht, schon frühzeitig entsprechende Überlegungen über eine Verbesserung anzustellen, denn die Problematik der Bemessung von Unterhaltsansprüchen stellt die Praxis vor ganz entscheidende Probleme. IX. Schließlich sei noch ein Gesetzeswerk erwähnt, das in der vergangenen Legislaturperiode verkündet wurde und auch von wesentlicher Bedeutung für die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft ist. Es handelt sich um das „Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil" — vom 11. Dezember 1975 - BGBl. 1975 I 3015, das am 1. Januar 1976 in Kraft trat. In diesem Buch sollen unterschiedliche Gebiete aus dem Sozialbereich zusammengefaßt werden, so z. B. Ausbildungsförderung, Arbeitsförderung, Sozialversicherung, Wohngeld, Kindergeld und auch die Jugendhilfe. Zu der Frage, ob die Jugendhilfe Teil des Sozialgesetzbuches werden sollte, gibt es z. Z. noch leidenschaftliche Diskussionen. Die Jugendhilfe hat sich bisher nahezu einstimmig mit dem Argument dagegen gewandt, Jugendhilfe sei in erster Linie Erziehung und könne nicht mit bloßen Sozialansprüchen gleichgesetzt werden. Im Augenblick ist der Stand so, daß lediglich der Allgemeine Teil als Gesetz vorliegt und die Jugendhilfe dem Besonderen Teil zugeordnet wurde und als VIII. Buch aufgeführt ist. Hier wird die Diskussion auch dann in ein entscheidendes
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Stadium treten, wenn einmal das Jugendhilfegesetz verabschiedet sein sollte. Das SGB — Allgemeiner Teil — legt besonderen Wert auf den Ausbau der Beratung und Unterstützungsfunktionen im Sozialbereich (vgl. § 13: Aufklärung, § 14: Beratung, § 15: Auskunft). Im Zusammenhang mit § 35: Geheimhaltung — ist die Frage aufgetaucht, ob Jugendämter befugt sind, beispielsweise von Krankenkassen und Arbeitsämtern Auskünfte einzuholen oder ob die Geheimhaltungspflicht des § 35 SGB-AT entgegensteht. In seinem Beitrag „Geheimhaltungspflicht nach § 35 SGB-AT und Amtshilfe aus der Sicht der Jugendämter" in DAVorm 1 9 7 7 / 6 3 3 hat sich Claussen mit dieser Problematik auseinandergesetzt und kommt zu m. E. praktikablen Ergebnissen. In diesem Zusammenhang sei auch auf einen Aufsatz von Kaufmann in DAVorm 1 9 7 7 / 6 8 9 hingewiesen „Auskünfte und Geheimnisschutz in der behördlichen Sozialarbeit". X . Der besonderen Bedeutung, die der Gesetzgeber der
Beratungs-
und Unterstützungsfunktion in neueren Sozialgesetzen beilegt, se-
hen sich die Jugendämter bereits seit längerem gegenübergestellt. Grundlage hierfür ist in erster Linie § 51 J W G . Die Bestimmung wurde im Wortlaut bereits oben erwähnt. Die Zahl der alleinstehenden Elternteile, insbesondere alleinstehende Mütter, denen auf der Grundlage dieser Vorschrift Hilfe zuteil wurde, hat immer mehr zugenommen. Zunächst hatten sich die Jugendämter dieser Aufgabe nur zögernd zugewandt, da allgemein die Personalzuweisung mit den gestiegenen Aufgaben nicht Schritt gehalten hatte. In erster Linie ging es darum, alleinstehende Elternteile bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zu unterstützen. Die Entwicklung mag an zwei Beispielen deutlich werden: Das Stadtjugendamt Stuttgart (Stuttgart: 6 1 7 0 0 0 Einwohner) hat folgende Feststellungen zu der Problematik getroffen: Die Beratung und Unterstützung alleinstehender und getrenntlebender Elternteile sowie werdender Mütter nach §§ 51, 5 2 JWG hat sich in den vergangenen Jahren bei unserer Abteilung „Amtsvormundschaften und Amtspflegschaften" zahlenmäßig wie folgt entwickelt:
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48 Jahr
Fallzahl
Jahr
Fallzahl
1971 1972 1973
299 317 468
1974 1975 1976
740 843 791
Das Zahlenmaterial für das Jahr 1976 wurde mit folgendem Ergebnis besonders durchleuchtet: Beratung
alleinstehende Elternteile
557
120
677
77
12
89
7
1
8
15
2
17
656
135
791
getrenntlebende Elternteile werdende Mütter ehelicher Kinder werdende Mütter nichtehelicher Kinder Fallzahlen insgesamt
Unterstützung
zusammen
Personenkreis
Wie die nachstehende Aufstellung zeigt, handelt es sich bei den Geschäften nach §§ 51, 52 JWG vorwiegend um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen: Gegenstand
Beratung
Unterstützung
zusammen
Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen
642
135
777
Sonstige Sorgerechtsfragen (Erziehung, Ausbildung usw.)
14
—
14
Fallzahlen insgesamt
656
135
791
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Auch im Stadtjugendamt Stuttgart wird bedauert, daß organisatorischen Überlegungen bislang bei Fällen nach den §§ 5 1 , 5 2 J W G die diesen Bestimmungen quantitativ und qualitativ zukommende Bedeutung nicht ausreichend Rechnung getragen wird, obwohl auf die Unterstützung und Beratung seitens des Jugendamtes ein Rechtsanspruch besteht und der Wirkungskreis dieses Aufgabenbereiches nach der einschlägigen Literatur sehr weit zu ziehen ist. Es ist nach Ansicht des StJA Stuttgart unvertretbar, die Fälle der Unterstützung und Beratung bei der Frage, welche Fallzahl einem Sachbearbeiter in der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft höchstens zugemutet werden kann, außer Anrechnung zu lassen. Dadurch könnte vielfach eine sachgerechte Bearbeitung aller Fälle nicht mehr gewährleistet werden, was sich letztlich auch zum Nachteil des gesetzlich anvertrauten Personenkreises auswirken müßte. Stadt Hannover (Einw.: 5 7 8 000)
Beratung und Unterstützung gem. §§ 51, 52 JWG s 51 JWG
§ 52 JWG
1 9 7 3 : 10 2 3 6 1973: 632 1974: 10 953 1974: 648 Für 1974 errechnete sich folgender Arbeitsaufwand: 194 8 6 0 Jahresarbeitsminuten ( = IV2 Arbeitskraft) Zeitaufwand je Fall: 16,66 Minuten
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich im Rahmen einer Untersuchung aller Fallarten, also gesetzliche Amtsvormundschaften, gesetzliche Amtspflegschaften, bestellte Amtspflegschaften etc. in Berlin ab 1969.
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Göschen, Familienrecht
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ges. AV ges. A M . best. AV für ehel. K. b e s t A V fur ne. K. best. APfl. Beistandschaft - ehel. Kind - ne. Kind - sonstige Amtshilfe-Ost Unterstützung insgesamt
ges. AV ges. APfl. best. A V für ehel. K. best. A V für ne. K. best. APfl. Beistandschaft - e h e l . Kind - ne. Kind - sonstige Amtshilfe-Ost Unterstützung
totale Zahlen 1973 1972
1969
1970
1971
27 7 3 7
2 662 25 036 4 222 839 4 959
3 139 2 4 131 4 363 808 4 973
3 172 23 180 4 448 819 4 581
3 568
4 521
996 2 321 1 134 329
1 005 2 126 1 737 248 47 051
4 709 943 6 722
S
622
1 852
1975
1976
3 096 22 770 4 562 844 4 429
3 135 22 336 4 688 856
1 732 20 542 3 637 804 3 502
1 374 2 0 175 4 253 748 3 277
5 417 976 1 796 1 898 354
6 501 969 1 577 1 922 525
7 709 856 1 471 1 815 678
8 589 775 1 103 1 353 736
10 0 6 9 723 922 1 112 798
46 641
4 7 105
48 003
42 773
42 607
74
75
76
4,05 48,03 8,50 1,88 8,19
47,35 9,99 1,76 7,69
47 585
46
69
70
71
58,66
5,83 54,80 9,24 1,84
6,67 51,26 9,27 1,72 10,56
6,80 49,70 9,54 1,76 9,82
6,53 47,57 9,63 1,78 9,35
9,60 2,13 4,52 3,74
11,73
13,72 2,04
9,95 1,36 14,22
11,81 3,92
066
1974
10,85 7,81 2,18 5,08 2,48 0,71
0,53
%-Anteil je J a h r 72 73
2,09 3,73 4,07 0,76
3,33 4,06 1,99
4 459
6,53 46,53 9,77 1,78 9,29 16,06 1,78 3,05 3,78 1,41
20,08 1,81 2,58 3,16 1,72
3,22
23,63 1,70 2,16 2,61 1,87
Diese wenigen Beispiele zeigen m. E. mit Deutlichkeit, welche Bedeutung dieses Gebiet für die Amts Vormundschaft/Amtspflegschaft erhalten hat. Dennoch kann nicht übersehen werden, daß die Bestimmungen in juristischer Hinsicht nicht ganz unproblematisch sind. Schon nach Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes kam es 1970 zu einer Kontroverse, inwieweit Jugendämter befugt sind, sozialrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Zweifel können aufkommen im Zusammenhang mit dem Rechtsberatungsgesetz.
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Das Deutsche Institut hatte sich bei der Vorbereitung des „Gesetzes zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten" für eine Klarstellung der Vertretungsbefugnis der Jugendämter eingesetzt. Der Unterausschuß „Familien- und Eherechtsreform" hat sich damit eingehend befaßt und führte in einem Antwortschreiben vom 8. 6. 1976 (vgl. DAVorm 1976/377) u. a. aus: „Nach Auffassung des Ausschusses ergibt sich aus § 3 Nr. 1 Rechtsberatungsgesetz i. V. m. § 51 JWG, daß die beratende und unterstützende Tätigkeit der Jugendämter bei der Geltendmachung von Unterhaltsanspriichen, die auch die Antragstellung beispielsweise in Vollmacht des betroffenen Elternteils umfaßt, nicht über den nach dem Rechtsberatungsgesetz zugelassenen Rahmen hinausgeht. Der Ausschuß hält es deshalb nicht für erforderlich, insoweit eine Klarstellung im Gesetz vorzunehmen."
Hierzu ist zu sagen, daß wir ein Tätigwerden der Jugendämter aufgrund einer — nach bürgerlichem Recht—stets personengebundenen Vollmacht wegen der damit verbundenen haftungsrechtlichen Fragen für nicht unbedenklich halten. Insgesamt wird man den Komplex der Beratungs- und Unterstützungsfunktion der Jugendämter einer genauen Prüfung zu unterziehen haben. Denn die neuen Gesetzesbestimmungen, insbesondere im Rahmen des 1. EheRG, lassen es für möglich erscheinen, daß auch im Verhältnis zur Tätigkeit von Rechtsanwälten gewisse Schwierigkeiten auftreten. Das Deutsche Institut beabsichtigt, diesen Komplex im Rahmen seiner für den Herbst 1978 vorgesehenen Großen Arbeitstagung unterdem Thema „Grenzen und Umfang der Unterstützung und Beratungspflicht der Jugendämter" näher zu durchleuchten und abzustecken. C. Folgerungen und Ausblick I. Welche Folgerungen sind nunmehr aus der Entwicklung der Amtsvormundschaft und der Amtspflegschaft, wie sie sich uns heute darstellt, mit den Akzentänderungen, die sie durch die neuen Gesetze erfahren hat, zu ziehen? In relativ kurzer Zeit hat die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft entscheidende Strukturänderungen erfahren. Aus einer ursprünglich außerordentlich autoritär strukturierten Institution hat sich die Amtsvormundschaft immer mehr in Richtung auf eine soziale Leistungsbehörde entwickelt. Aus dem „Jugendverfolgungsamt" 4•
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wurde eine Einrichtung, die nicht mehr nur die eigenen Rechte sieht, sondern die des Hilfesuchenden. Und dies, wie dargestellt wurde, aufgrund eines immer enger werdenden Netzes sozialer Angebote, das die Mitarbeiter im Jugendamt vor immer größere Anforderungen und an die Qualität ihrer Arbeit stellt. Die gesetzlichen Maßnahmen erleichtern die Situation des Bürgers und werden schwieriger für die Mitarbeiter in den Jugendämtern. Dabei kann nicht übersehen werden, daß die Ursache teilweise in unzulänglicher Personalzuweisung zu suchen ist und dies wiederum nicht selten Folge von unrealistischen Meßzahlen. Gelegentlich trifft man schon auf Zeichen der Resignation, die aufhorchen lassen und nicht leichtgenommen werden sollten. Mir sind Beispiele bekannt, in denen qualifizierte Mitarbeiter sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen ließen allein aus der Enttäuschung darüber, oft mit Problemen in ihrer Arbeit alleingelassen worden zu sein. Andererseits gibt es jedoch zahllose Beispiele, in denen qualifizierte Mitarbeiter ohne Rücksicht auf persönliche Nachteile und die Einhaltung von Tarifarbeitszeit mehr als ihre Pflicht erfüllen. Man sollte aber nüchtern feststellen, daß auch im Jugendhilfebereich selbst bei großzügiger Bemessung nie so viel Mittel bereitstehen werden, daß alle auch noch so notwendigen Forderungen sofort erfüllt werden könnten. Sparsamkeit, Einsatzfreude und rationelle Arbeitsweise sollten nicht Tugenden einer vergangenen Zeit sein. Personalknappheit herrscht in allen Zweigen der Verwaltung. Es genügt bereits ein Blick in das Jugendamt selbst: Kaum wird es irgendwo genügend Fachkräfte, Sozialarbeiter der Familienfürsorge, Erziehungsbeistände (über wieviel beamtete verfügt die einzelne Trägerkörperschaft?) geben. Aber wir sollten dabei — auch als steuerzahlende Staatsbürger — nicht den Blick in andere Bereiche der Verwaltung scheuen, beispielsweise in den der Justiz: Der Mangel an Familienrichtern ist bei dem 1. EheRG deutlich geworden, aber es fehlen ebenso Rechtspfleger, Urkundsbeamte, Protokollführer und Schreibkräfte. Denken wir ferner an den Strafvollzug, an die Polizei, und diese Liste ließe sich unabsehbar verlängern.
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II. W a s bleibt mithin zu tun? Zunächst muß meiner Auffassung nach mehr als bisher versucht werden, die Arbeit in der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft zu rationalisieren. Dazu sollte gehören: — Vordringlich müßte versucht werden, zu einheitlichen Bemessungsgrundlagen im Unterhaltsrecht zu kommen, um evtl. tabellenmäßig — wie eine Lohnsteuertabelle—Unterhaltsansprüche schneller und objektiver feststellen zu können. U. a. ließe sich dadurch möglicherweise erreichen, daß Unterhaltsansprüche mehr als bisher freiwillig anerkannt und beurkundet werden würden. Das würde gleichzeitig einen meiner Einschätzung nach nicht unbedeutenden Entlastungseffekt für die Justiz bedeuten, - eine bessere und einheitlichere Ausgestaltung des Vordruck- und Formularwesens für alle Jugendämter, - eine durchgereifte Organisation der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft, d. h. mehr Planung in den Arbeitsvollzügen. Es sollte beispielsweise der Versuch unternommen werden, die Zusammensetzung einer Arbeitsgruppe, die vielleicht aus 2 Sachbearbeitern und 1 Zuarbeiter und zentralem Schreibdienst bestehen könnte, einheitlich in allen Jugendämtern einzuführen. Allerdings muß ich gestehen, daß ich nach meinen bisherigen Erfahrungen eine gewisse Skepsis nicht unterdrücken kann. Zu sehr wird dabei in den Jugendämtern nach den „ehernen 3 Grundsätzen der Verwaltung" verfahren. Immerhin würde das jedoch den Vorteil bieten, endlich einmal zu realistischen Bemessungsgrundlagen und Meßzahlen für die Arbeitsraten zu kommen, — die Automatisierung des Mündelgeldzahlungsverkehrs (die in Berlin schon eingeführt wurde) sollte weiter vorangetrieben werden, - wichtig ist die Unterrichtung der Mitarbeiter durch ausreichende Literatur und Hilfsmittel und die Einräumung von Zeit zum Vertrautmachen mit neuen Bestimmungen und Rechtsprechung, — die Forderung nach Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter sei hier nur der Vollständigkeit halber angemerkt, über ihre Notwendigkeit sollte es keine Diskussion geben. III. Das alles mutet sehr technisch und unbedeutend an. Aber bekanntlich sitzt der Teufel im Detail. Und häufig ist der kleine Schritt besser als der — selten erreichbare — große Wurf. Nicht nur einmal stöhnten Praktiker auf: „Nachdem man uns jetzt dies auch wegreformiert hat . . . " . Dennoch darf verwaltungsmäßiges Handeln auch
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im Bereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft nicht zum Selbstzweck werden. Wiederholt ist mir noch die selbstkritische, ironische Bemerkung des Berliner Vertreters in der beim Institut gebildeten Kommission „Nichtehelichenrecht" in den Jahren nach dessen Inkrafttreten im Ohr, der da sagte: In der Verwaltung läuft inzwischen alles prächtig, es gibt nur ein störendes Element, nämlich die Hilfesuchenden, die Klienten. Oder wie in einer Ausgabe des „Neuen Rundbriefs" von Berlin in einem Leserbrief stand (an Stelle einer Unterschrift: Name ist der Red. bekannt.): „Beim Lesen des Artikels von Frau . . . ist mir erst richtig bewußt geworden, daß ich als alleinstehende Mutter mit ein bißchen erziehungsschwierigen Kindern die Sozialarbeiter [eine Sozialarbeitergruppe, die permanent fortgebildet, mit ihrem Gruppenprozeß ständig beschäftigt, auf Identitätssuche befindlich, ihre Fachkompetenz anzweifelnd . . . ] mit meinen Problemen nicht zusätzlich belasten darf."
Hier sind zufällig die Sozialarbeiter angesprochen, das Beispiel ließe sich selbstverständlich auch auf andere Gruppen der Verwaltung beziehen. Doch zurück zu den Folgerungen, die sich im Augenblick für die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft ergeben: Bei aller Planmäßigkeit darf das Ziel nicht aus den Augen verloren werden, das allen Zweigen der Jugendhilfe gestellt ist: nämlich die Verbesserung der Entwicklungsbedingungen und -chancen der uns anvertrauten Kinder. Es gilt, die eingangs aufgeführten Defizite möglichst auszugleichen. Für den Bereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft bedeutet das: Überwindung des Begriffs der „verwalteten Kinder" und Aufhebung der Unterscheidung von „nichtehelichen" und „ehelichen" Kindern. Es gilt auch die Kinder aus geschiedenen Ehen in den Schutzbereich der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft möglichst nahtlos einzubeziehen. Dazu dient in erster Linie, und das sollte wiederholt deutlich geworden sein, ein verbessertes Unterhaltsrecht, dessen Anwendung erheblich erleichtert wird. Dabei ist eine Abstimmung mit dem Sozialhilferecht dringend notwendig. In diesem Zusammenhang sei nur auf die — oft ein Alptraum für die Praktiker — Ungereimtheiten der „Überleitung" hingewiesen.
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Aber: Die Entwicklung sollte auch deutlich gemacht haben, daß die Konzentration der Betreuung auf die Kinder in keiner Weise ausreicht, um die Probleme befriedigend zu lösen. Mehr als bisher müssen auch alleinstehende Mütter in die Für- und Vorsorge einbezogen werden. Daß dies bereits vermehrt geschieht, zeigen die Statistiken. Personell ist es jedoch notwendig, daß auch die Trägerkörperschaften entsprechende Konsequenzen ziehen. Die in der Diskussion gewesene, in einem Großstadtjugendamt jedoch auch praktizierte Trennung von Amtsvormundschaft und Amtspflegschaft dürfte wenig zweckmäßig sein. Sie wird propagiert unter dem Gesichtspunkt, daß nur so eine umfassende auch personale Betreuung des Mündels gewährleistet werden könne, wobei man die Amtsvormundschaften auf eine geringere Zahl reduziert. Die entsprechenden Bedingungen dürften, wenn überhaupt, nur in einem Großstadtjugendamt zu realisieren sein. Insgesamt überwiegen m. E. die Vorteile der Beibehaltung einer Verbindung von Amtsvormundschaften und Amtspflegschaften. Auch sollten Überlegungen, die Durchführung von Vaterschaftsverfahren und die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen dem Rechtsamt zu übertragen und Jugend- und Sozialamt zu vereinigen, nicht weiter zu verfolgen sein. Allein die neuen Gesetzesbestimmungen dürften deutlich gemacht haben, daß diese Aufgaben ohne fundiertes Spezialwissen und personalen Bezug nicht durchführbar sind. Dabei sei erwähnt, daß der Amtsvormund/Amtspfleger längst nicht mehr immer den „ E r z e u g e r " oder den Unterhaltsverpflichteten als seinen Gegner ansieht. Er darf es auch nicht: D a s Adoptionsgesetz verpflichtet ihn, zumindest den Vater - natürlich nur, wenn er rechtswirksam als solcher festgestellt ist — nicht auszuschließen. Eine gewisse Kooperation ist auch bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Nutzen. M a n sollte nicht übersehen, gegenüber früheren Jahren sind die Verpflichtungen des Vaters eines nichtehelichen Kindes ganz erheblich gestiegen. Auch im neuen Ehescheidungsrecht, bei der Regelung der elterlichen Sorge, ist ein kooperatives Miteinander in vielen Fällen für alle Beteiligten sehr viel effektiver als die starre Wahrnehmung von Rechtspositionen. Bei allen damit verbundenen Verbesserungen sollte nichts darüber hinwegtäuschen, daß auch das „Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten" und das System des Regelunterhalts nur unterstützende Hilfs-
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mittel sind. Auch können wir sehr froh darüber sein, daß uns in Gestalt des § 170 b StGB, die Möglichkeit der Bestrafung wegen Unterhaltspflichtverletzung, ein Druckmittel gegen uneinsichtige Unterhaltsschuldner, verblieben ist. Leider ist dieses Schwert im Verhältnis zu Ausländern z. Z. durch eine Entscheidung des OLG Saarbrücken6 stumpf geworden (zwischenzeitlich erfreulicherweise a. A.: OLG Karlsruhe in DAVorm 1978/180). Es sei wiederholt, auch diese Regelungen entbinden uns nicht von dem Bemühen, insgesamt zu einer Verbesserung zu kommen. Eine wichtige Etappe ist dabei die Einführung von Unterhaltsvorschußkassen im beschränkten Umfang im Stadtstaat Hamburg (im einzelnen wird hierüber noch im Rahmen der Tagung zu sprechen sein). Es ist zu bedauern, daß die Bemühungen auf Bundesebene bisher so wenig Fortschritte gemacht haben und seit 1 9 6 9 nicht weiter verfolgt wurden. Damals wurde mit Mitteln des B M J F G eine Studienreise nach Dänemark, an der auch ich teilnahm, zum Studium der dortigen vorschußweisen Auszahlung von Unterhaltsbeiträgen (vgl. die AGJ-Broschüre „Die soziale Sicherung unvollständiger Familien in Dänemark") durchgeführt. Vordringliches Ziel auch der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft muß es sein, die unvollständige oder Teilfamilie zu stärken und zu unterstützen. Auch hier gilt es, die Forderung der Jugendhilfe zu verwirklichen, möglichst schon im Vorfeld Hilfen anzubieten, um die Jugendhilfe von der „Feuerwehrfunktion" zu lösen. Hierbei haben die neuen Gesetze und die darin zugewiesenen Beratungs- und Unterstützungsaufgaben einen herausgehobenen Stellenwert. Doch damit ist es nicht getan: Es gilt, Hilfen und Alternativen anzubieten, wie beispielsweise Einschaltung von Tagesmüttern, Überlegungen zur Einführung eines Erziehungsgeldes, familienunterstützende Leistungen, wie sie soeben in Baden-Württemberg eingeführt wurden, Aktivierung der hauptberuflichen Erziehungsbeistandschaft etc. Schon dieser kurze Aufriß zeigt, daß nach wie vor die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft als Teil der Jugendhilfe gleichsam als Schaltstelle für die Sozialleistungen des Jugendamtes angesehen werden kann. Hier laufen nicht selten die Bedürfnisse und Defizite zuerst auf. Damit ist jedoch auch die Verpflichtung verbunden, frühzeitig soziale Defekte zu erkennen und—wenn die eigenen Mög6
In: NJW 1975/506, vgl. dazu Kunz, NJW 1977/2004.
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lichkeiten und Kenntnisse nicht ausreichen - den jeweiligen sozialen Spezialdienst einzuschalten. Daraus wird jedoch erkennbar, daß es heute nicht mehr darum gehen kann, allein das einzelne Kind zu fördern, sondern die Bemühungen auch der Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft müssen darauf abzielen, die Familie, auch die Teilfamilie, in ihrer Gesamtheit zu unterstützen. Um es zu wiederholen: Nicht das Kind allein muß Ziel der Bemühungen sein, sondern die Familie in ihrer Gesamtheit. Darin sollten die Ministerien vorangehen, zumal das Programm in ihrem Namen zum Ausdruck kommt: Bundesministerium für Jugend, Familie und . . . (das übrige sollte als Ärgernis nicht erwähnt werden), oder auch Senator für Familie, Jugend . . . , (s. o.). Zu Beginn wurde bereits darauf hingewiesen, daß Berlin schon immer führend auf diesem Gebiet gewesen ist und auch in jüngster Zeit von hier aus wichtige Impulse ausgegangen sind. Die neuen Gesetze haben auch für die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft eine neue Dimension eröffnet. Es gilt, diese Möglichkeiten zu nutzen, und wir sind aufgerufen, diese Möglichkeiten gemeinsam in die Tat umzusetzen und zu verwirklichen: Die Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft hat auch und gerade heute einen beachtlichen Teil dazu beizutragen.
Besondere Probleme des Unterhalts minderjähriger Kinder unter besonderer Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Änderungen Wilfried Schlüter (unter Mitarbeit von Referendar Peter Scholz)
A. Der Kongreß hat sich die Aufgabe gestellt zu überprüfen und zu diskutieren, inwieweit durch die einschneidenden gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem Gebiete des Familienrechts auch das materielle und prozessuale Unterhaltsrecht verändert worden ist. Daher werde ich mich bei dem weit gesteckten Thema „Besondere Probleme des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder" vorrangig auf die Bereiche konzentrieren, die durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. 6. 1976 (BGBl. IS. 1421) und das Gesetz zur Vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten vom 29. 7. 1976 (BGBl. I S. 2029) umgestaltet worden sind. Das zuletzt genannte Gesetz eröffnet mit dem in das BGB eingefügten § 1612 a die Möglichkeit, Unterhaltsrenten minderjähriger Kinder der allgemeinen Entwicklung wirtschaftlicher Verhältnisse anzupassen. Die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für diese vereinfachte Anpassung hat der Gesetzgeber in den §§ 641 1 — 641 t ZPO geschaffen. Der Schwerpunkt des 1. EheRG liegt in materiellrechtlicher Hinsicht sicherlich nicht beim Unterhaltsrecht minderjähriger Kinder. Ganz im Vordergrund stehen das Scheidungsrecht und das Scheidungsfolgenrecht sowie einige Bestimmungen aus dem Recht der Ehewirkungen (§§ 1353 ff. BGB). Während das materielle Unterhaltsrecht des geschiedenen Ehegatten in den §§ 1564 ff. BGB ge-
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genüber den §§ 58 ff. EheG grundlegend reformiert worden ist, ist das materielle Unterhaltsrecht der ehelichen Kinder (§§ 1601 ff. BGB) im wesentlichen unverändert geblieben. Eingeführt ist lediglich durch § 1610 Abs. 3 BGB eine gesetzliche Vermutung für den Mindestunterhaltsbedarf eines ehelichen Kindes. Außerdem ist der von der Rechtsprechung seit langem anerkannte Anspruch auf Auskunftserteilung über Einkommen und Vermögen des Unterhaltsverpflichteten in § 1605 BGB kodifiziert worden. Von großer Relevanz ist die Neufassung des § 1629 Abs. 2 und 3 BGB, der das Vertretungsrecht eines Elternteils bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen Elternteil erweitert. Wesentliche einschneidende Änderungen bringt das 1. EheRG aber in seinem verfahrensrechtlichen Teil für die prozessuale Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Das Gesetz hat nicht nur das Scheidungsverfahren selbst (§§ 606 ff. ZPO), sondern vor allem das Verfahren für die anderen Familiensachen (§§ 621 ff. ZPO), zu denen auch die Unterhaltsansprüche ehelicher Kinder gehören (§ 23 bNr. 5 GVG), gänzlich umgestaltet. Die folgenden Ausführungen werden sich daher vorwiegend mit der prozessualen Durchsetzung der Unterhaltsansprüche ehelicher Kinder beschäftigen. In einem ersten Teil wird darauf einzugehen sein, wie sich das 1. EheRG und das Gesetz zur Vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten auf den normalen Unterhaltsprozeß auswirken (dazu B). In einem zweiten Teil werden die Konsequenzen dieser gesetzgeberischen Maßnahmen für die Abänderungsklage nach § 323 ZPO untersucht (dazu C). Im dritten und letzten Teil wird der Frage nachgegangen, ob und in welchen Fällen der über den Kindesunterhalt erstrittene Titel nach § 727 ZPO umgeschrieben werden kann und muß (dazu D).
B. I. Die für den Unterhaltsprozeß wichtigsten verfahrensrechtlichen Änderungen des 1. EheRG In seinem verfahrensrechtlichen Teil hat das 1. EheRG gegenüber dem bisherigen Recht drei grundlegende Änderungen gebracht, die auch die Unterhaltsprozesse wesentlich umgestalten.
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1. Die Einführung des Familiengerichts
Zu erwähnen ist zunächst die Einführung des Familiengerichts als besonderer Abteilung des Amtsgerichts für Ehesachen und alle anderen Familiensachen im Sinne von § 23 b G V G . Da zu den anderen Familiensachen auch die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber einem ehelichen Kind gehört (§ 23 b Nr. 5 G V G ) , ist das Familiengericht künftig für die Unterhaltsstreitigkeiten ehelicher Kinder ausschließlich zuständig (§ 6 2 1 Nr. 4 Z P O ) . Davon ausgenommen ist lediglich aus Rationalisierungsgründen das Vereinfachte Verfahren zur Abänderung von Unterhaltstiteln, das nach § 6 4 1 lAbs. 1 Satz 2 Z P O nicht als Familiensache gilt. Dieses stark formalisierte Verfahren (§§ 6 4 1 1 — 6 4 1 p, 6 4 1 r - 6 4 1 1 ZPO) sollte zusammen mit dem Regelunterhaltsfestsetzungsverfahren (§§ 6 4 2 a — 6 4 2 d Z P O ) in einer Hand bei einer allgemeinen Abteilung des Amtsgerichts bleiben, nicht zuletzt, um den rationellen Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen zu ermöglichen (vgl. §§ 641 1 Abs. 4, 6 4 2 a Abs. 5 ZPO). Materiell-rechtliche Unterhaltsprobleme, wie etwa der Bedarf des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten können in diesem rein formalisierten Verfahren von dem funktional zuständigen Rechtspfleger (§ 2 0 Nr. 10 und 11 RPflG) nicht geprüft werden. Diese Prüfung obliegt, was den Unterhalt ehelicher Kinder angeht, künftig ausschließlich dem Familiengericht. Auch für die Klage nach § 6 4 1 q Z P O gegen den im Vereinfachten Verfahren nach § 6 4 1 p Z P O ergangenen Abänderungsbeschluß ist ausschließlich das Familiengericht und nicht das allgemeine Amtsgericht zuständig. Angesichts unklarer Ubergangsbestimmungen sind die Meinungen der Oberlandesgerichte darüber geteilt, ob die am 1. 7. 1 9 7 7 , dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. EheRG, anhängigen anderen Familiensachen, wie z. B. Unterhaltssachen, von der allgemeinen Prozeßabteilung an das Familiengericht abzugeben sind. Der 3. Senat des Kammergerichts hat das m. E. zu Recht verneint 1 . Demgegenüber hat sich das O L G Koblenz 2 in mehreren Beschlüssen dafür 1 Beschluß vom 8. 8. 1 9 7 7 - 3 UF 2 7 7 3 / 7 7 - F a m R Z 1977,728; einschränkend auch OLG Hamm, Beschluß vom 12. 9. 1977 - 2 UF Sbd 7/77 FamRZ 1977, 727. 2 Beschluß vom 14. 7. 1977 - 4 SmA 5/77 - NJW 1977, 1736; Beschluß vom 20. 7. 1977 - 4 SmA 6/77 - FamRZ 1977, 646.
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ausgesprochen, daß diese Verfahren als andere Familiensachen nunmehr vom Familiengericht zu übernehmen sind, weil § 261 Abs. 3 ZPO (perpetuatio fori) für Spruchkörper und Abteilungen eines und desselben Gerichts nicht gelten solle. Für die nach dem 1. 7. 1977 rechtshängig gewordenen Unterhaltsverfahren ehelicher Kinder sind selbstverständlich die Familiengerichte ausschließlich zuständig. 2. Die Änderung des Instanzenzugs Die zweite auch für den Unterhaltsprozeß wesentliche verfahrensrechtliche Änderung des 1. EheRG ist die Einführung eines anderen Instanzenzugs. Während bisher gegen Unterhaltsurteile der Amtsgerichte nur die Berufung an das Landgericht möglich war, findet gegen Urteile des Familiengerichts die Berufung an das Oberlandesgericht ( § § 5 1 1 ZPO, 119 Nr. 1 GVG) und hiergegen die Zulassungsrevision an den Bundesgerichtshof (§§ 621 b Abs. 1 ZPO, 133 Nr. 1 GVG) statt. Die Landgerichte werden daher, sieht man von der sofortigen Beschwerde gegen den Abänderungsbeschluß im Vereinfachten Verfahren nach § 641 p Abs. 3 ZPO einmal ab, künftig nicht mehr über den Unterhalt ehelicher Kinder zu befinden haben. Wegen der auch hier gänzlich unzureichenden Übergangsvorschriften ist es zwischen verschiedenen Oberlandesgerichten, ja sogar zwischen mehreren Senaten desselben Gerichts kontrovers, ob der neue oder der bisherige Instanzenzug gilt, wenn sich nach dem 1. 7. 1977 eingelegte Rechtsmittel gegen eine vor Inkrafttreten des 1. EheRG ergangene Entscheidung richten. Die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Koblenz4 sowie der 15. Senat des Kammergerichts5 sprechen sich wohl zutreffend für den neuen Instanzenzug aus6, während der 3. Senat des Kammergerichts7 und das OLG Braunschweig8 in diesen Fällen an dem alten Instanzenzug zum Landgericht festhalten wollen9. Beschluß vom 11. 8. 1977 - 2 UF 1 9 6 / 7 7 - FamRZ 1 9 7 7 , 7 2 3 . Beschluß vom 8. 9. 1977 - 13 W F 2 6 3 / 7 7 . Beschluß vom 2 2 . 9. 1977 - 15 WF 2 9 6 5 / 7 7 - FamRZ 1 9 7 7 , 7 2 9 . 6 EbensoSedemund-Treiber, DRiZ 1 9 7 7 , 1 0 3 ; Brüggemann, F a m R Z 1977, 582 7 Beschluß vom 8. 8. 1977 - 3 UF 2 7 7 3 / 7 7 - FamRZ 1977, 7 2 8 . 8 Beschluß vom 26. 7. 1977 - 1 UF 1 2 / 7 7 - NdsRpfl 1 9 7 7 , 186. 9 Ebenso Jauernig, DRiZ 1977, 1206. 3
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Durch die nach neuem Recht mögliche Zulassungsrevision zum Bundesgerichtshof wird in gewissem Umfang langfristig die Möglichkeit eröffnet, Rechtsprechungsdivergenzen in Unterhaltsfragen auszugleichen und damit die Bildung von örtlichem Sonderrecht in diesem für die Betroffenen existenzwichtigen Bereich etwas einzudämmen. Die Erwartungen sollten aber nicht zu hoch gesteckt werden. Der Bundesgerichtshof kann nur die Auslegungskontroversen klären, die ihm zum konkreten Streitfall mehr oder weniger zufällig zur Entscheidung unterbreitet werden. Abgesehen davon bleibt abzuwarten, ob gerade die Parteien in Unterhaltsprozessen die mit erheblichen Kosten verbundene Revision einlegen werden, auch wenn sie vom Oberlandesgericht zugelassen ist. 3. Der Verbund von Scheidungs- und Folgesachen Als dritte und letzte für den Unterhaltsprozeß bedeutsame verfahrensrechtliche Änderung ist die Einführung des Verbunds von Scheidungs- und Folgesachen (§ 6 2 3 Z P O ) zu nennen. Ist in einer Familiensache für den Fall der Scheidung eine Entscheidung zu treffen, so ist über sie gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und, falls dem Scheidungsantrag stattgegeben wird, auch zu entscheiden (§ 6 2 3 Abs. 1 Z P O ) . Mit einer Unterhaltsklage, die in zeitlichem Zusammenhang mit einem Scheidungsantrag erhoben ist, wird zwar regelmäßig, aber keineswegs immer eine Entscheidung gerade für den Fall der Scheidung begehrt. Ist das ausnahmsweise nicht der Fall, etwa weil rückständiger Unterhalt oder Unterhalt nur bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils begehrt wird, so braucht über diese Unterhaltsklage nicht im Verbund mit der Ehesache verhandelt und entschieden zu werden. Die Unterhaltssache kann insoweit abgetrennt werden 1 0 . Ungeachtet der Voraussetzungen für einen Verfahrens- und Entscheidungsverbund begründet § 6 2 1 Abs. 2 und 3 Z P O eine Zuständigkeitskonzentration von Ehesache und anderen Familiensachen beim Familiengericht. Ist eine Ehesache anhängig, so ist auch für die anderen Familiensachen, z. B. für eine Unterhaltssache, das Familiengericht ausschließlich zuständig, bei dem die Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war (§ 6 2 1 Abs. 2 Z P O ) . Im ErStein-Jonas-Schlosser, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1977, § 623 Rdnr. 3, 13; siehe auch AG Hamburg FamRZ 1977, 726.
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gebnis richtet sich damit die Zuständigkeit für die Unterhaltssache nicht mehr nach §§ 12 ff. ZPO, also in der Regel nach dem Wohnsitz des Unterhaltsverpflichteten, sondern nach § 606 ZPO mit seinen verschiedenen Hilfsgerichtsständen. Wird die Ehesache erst rechtshängig, nachdem die Unterhaltssache bei einem anderen Familiengericht anhängig geworden ist, so wird die Zuständigkeitskonzentration beim Familiengericht der Ehesache dadurch hergestellt, daß die Unterhaltssache an das Familiengericht der Ehesache verwiesen wird (§ 621 Abs. 3 ZPO). 4. Es ist hier nicht der Ort, auf weitere verfahrensrechtliche Besonderheiten des 1. EheRG einzugehen, weil es sich hierbei nicht um spezifische Probleme des Unterhaltsprozesses des ehelichen Kindes handelt. Die Bedeutung der für den Unterhaltsprozeß relevanten Bestimmungen und ihr Zusammenhang mit anderen Normen des 1. EheRG, wie z. B. mit den §§ 1629 Abs. 2 und 3, 1610 Abs. 3 BGB lassen sich am besten verdeutlichen, wenn folgende Fallkonstellationen unterschieden werden: a) Der Unterhaltsprozeß wird durchgeführt, ohne daß gleichzeitig eine Scheidungssache der Eltern des unterhaltsberechtigten ehelichen Kindes anhängig ist oder wird. b) Der Unterhaltsprozeß wird gleichzeitig mit der Scheidungssache der Eltern des unterhaltsberechtigten Kindes durchgeführt. c) Die Scheidungssache der Eltern des unterhaltsberechtigten Kindes wird rechtshängig, nachdem der Unterhaltsprozeß bereits anhängig ist. d) Der Unterhaltsprozeß wird fortgeführt, nachdem der Scheidungsantrag zurückgenommen oder abgewiesen ist.
II. Die unterschiedlichen Fallgestaltungen beim Unterhaltsprozeß des ehelichen Kindes 1. Der Unterhaltsprozeß wird durchgeführt, ohne daß gleichzeitig eine Scheidungssache der Eltern des unterhaltsberechtigten Kindes anhängig ist oder wird
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a) Sachliche Zuständigkeit Da es sich bei dem Unterhaltsanspruch des ehelichen Kindes gegen seine Eltern um eine Familiensache im Sinne von § 23 b Nr. 5 GVG handelt, ist auch hier das Familiengericht und nicht eine allgemeine Abteilung des Amtsgerichts sachlich zuständig (§ 621 Nr. 4 ZPO). Die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts besteht auch dann, wenn ein volljähriges Kind seine Eltern auf Unterhalt verklagt11. Brühl-Göppinger-Mutschler wollen in diesem Fall unter Hinweis auf § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO den Unterhaltsprozeß durch eine allgemeine Prozeßabteilung des Amtsgerichts (§ 23 a Nr. 2 GVG) entscheiden lassen. § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO schreibt als Hilfsgerichtsstand für die Ehesache der Eltern den gewöhnlichen Aufenthalt eines Ehegatten mit den gemeinsamen minderjährigen Kindern vor. Aus dieser Regelung der örtlichen Zuständigkeit für die Ehesache läßt sich schwerlich ein Argument für die sachliche Zuständigkeit in einer anderen Familiensache herleiten. Diederichsen hat a. a. O. mit Recht auf die untragbaren Ergebnisse hingewiesen, die entstehen würden, wenn dem Familienrichter die sachliche Zuständigkeit für die Unterhaltsklagen volljähriger Kinder entzogen würde. Bei den nur vage umschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Unterhaltsrechts könnte diese Zuständigkeitsaufteilung sehr leicht dazu führen, daß verschiedene Abteilungen der Amtsgerichte Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit innerhalb ein und derselben Familie unterschiedlich beurteilen, ohne daß diese divergierenden Entscheidungen im Rechtsmittelzug ausgeglichen werden könnten: Über die Berufung gegen ein Urteil der allgemeinen Prozeßabteilung des Amtsgerichts über den Volljährigenunterhalt hätte abschließend das Landgericht zu befinden; die Entscheidung des Familiengerichts über den Minderjährigenunterhalt unterläge dagegen der Berufung an das Oberlandesgericht und gegebenenfalls der Zulassungsrevision an den Bundesgerichtshof. Festzuhalten ist also: Das Familiengericht ist für alle Unterhaltsklagen ehelicher Kinder sachlich zuständig, ohne Rücksicht darauf, ob sie noch minderjährig oder schon volljährig sind.
11 Stein-Jonas-Schlosser, § 621 Rdnr. 9; Diederichsen, NJW 1977, 1776; a. A. Brühl-Göppinger-Mutschler, Unterhaltsrecht, 2. Teil, 3. Aufl. 1976, Rdnr. 1145.
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b) örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften (§ 621 Abs. 2 Satz 2 ZPO), also in der Regel nach dem Wohnsitz des Unterhaltsverpflichteten (§ 13 ZPO). c) Vertretung des Kindes Da das minderjährige Kind nicht prozeßfähig ist ( S S 51, 52 ZPO, 104, 106 BGB), kann nur sein gesetzlicher Vertreter in dessen Namen die Unterhaltsansprüche aus den SS 1601 ff. BGB einklagen. (1) Gesetzlicher Vertreter sind aber im Regelfall beide Eltern 1626, 1629 BGB).
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(aa) Solange die Eltern miteinander verheiratet sind und nicht getrennt leben, kann keiner von ihnen das Kind in einem Unterhaltsprozeß gegen den anderen vertreten ( S S 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB). Um Unterhaltsansprüche des Kindes gerichtlich geltend machen zu können, müßte nach S S 1693,1909 Abs. 1 BGB ein Pfleger bestellt werden. Jeder Ehegatte hat zwar gegen den anderen einen Anspruch auf angemessenen Beitrag zum Familienunterhalt (S 1360 BGB), der auch den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder umfaßt (S 1360 a Abs. 1 BGB). Diesen dem einzelnen Ehegatten und nicht den Kindern zustehenden Anspruch kann der berechtigte Ehegatte selbstverständlich auch einklagen, wenn er nicht von seinem Ehepartner getrennt lebt. Mit Hilfe dieses Anspruchs erhält er im Ergebnis zwar auch den Unterhalt für die gemeinsamen Kinder, es handelt sich hierbei wie gesagt um einen eigenen Anspruch des Elternteils, den er auch in eigenem Namen geltend machen kann, nicht aber um einen Unterhaltsanspruch der Kinder nach §S 1601 ff. BGB. Insofern hat sich die Rechtslage durch das 1. EheRG nicht verändert. (bb) Gegenüber dem bisherigen Rechtszustand modifiziert ist aber die Vertretungsregelung für den Fall, daß die Eltern getrennt leben. Nach S 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB kann der Eltern teil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen. Er ist also insoweit allein zur
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Vertretung des Kindes berechtigt und gleichzeitig von der Beschränkung des § 1 7 9 5 B G B befreit. Diese Vertretung des einen Elternteils zur Geltendmachung des Kindesunterhalts setzt voraus, daß sich das Kind in seiner Obhut befindet. Das Gesetz verwendet den Begriff Obhut in ähnlichem Sinn wie in § 5 1 Abs. 2 J W G und knüpft an die tatsächlichen Verhältnisse an. Das Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, der sich um das persönliche und leibliche Wohl des Kindes vorrangig kümmert, der tatsächlich für seinen Unterhalt sorgt 1 2 . Abgrenzungsschwierigkeiten können vor allem dann auftreten, wenn die Eltern in ein und derselben Wohnung getrennt leben (vgl. § 1 5 6 7 BGB). Der Umstand allein, daß ein Kind in einem Internat oder Heim untergebracht ist, schließt noch nicht aus, daß sich das Kind dennoch in der Obhut eines Elternteils im Sinne von § 1 6 2 9 Abs. 2 B G B befindet 1 3 . Das wird vor allem anzunehmen sein, wenn dieser Elternteil die Unterbringung auf seine Kosten veranlaßt hat und das Kind regelmäßig besucht und sich auch sonst um sein körperliches und seelisches Wohlergehen kümmert. § 1 6 2 9 Abs. 2 B G B berechtigt den betreffenden Elternteil nur, die Unterhaltsansprüche des Kindes nach §§ 1 6 0 1 ff. B G B in dessen Namen und nicht im eigenen Namen geltend zu machen 1 4 . Das ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich hervorgehoben, ergibt sich aber aus der systematischen Stellung dieser Norm und ist vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt worden 1 5 . § 1 6 2 9 Abs. 2 B G B regelt die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern und gestattet daher nur eine Vertretung des Kindes. Eigene Ansprüche, die, wie §§ 1 3 6 0 , 1 3 6 0 a Abs. 1 B G B auch den Unterhalt des Kindes umfassen, und die der betreffende Elternteil deshalb im eigenen Namen geltend machen könnte, stehen ihm nicht mehr zu, wenn er von seinem Ehepartner getrennt lebt. Der Unterhaltsanspruch bei Getrenntleben umfaßt nach § 1 3 6 1 Abs. 1 B G B nur den eigenen angemessenen Unterhalt und nicht den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder. § 1 3 6 0 a Abs. 1 B G B greift hier geBT-Drs. 7/650 S. 175. Göppinger, Vereinbarungen anläßlich der Ehescheidung, 2. Aufl. 1977 Rdnr. 557. 14 Wie hier Palandt-Diederichsen, 36. Aufl. 1977, § 1629 Anm. 5, b bb; Ambrock, Ehe und Ehescheidung, 1977, § 1629 Anm. 2 c; a. A. ErmatiRonke, Nachtragsheft zur 6. Aufl. 1977, § 1629 Rdnr. 4. 15 BT-Drs. 7/650 S. 176. 12 13
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rade nicht ein. Eine Prozeßstandschaft, die den betreffenden Elternteil in die Lage versetzt, Ansprüche des Kindes im eigenen Namen geltend zu machen, ist angesichts der Regelung des § 1629 Abs. 3 BGB nicht möglich. Das Gesetz hat diese Klagemöglichkeit auf die besondere Fallkonstellation des § 1629 Abs. 3 BGB beschränkt; sie ist darauf zugeschnitten und auch nur dort gerechtfertigt, wie noch darzulegen sein wird. Festzuhalten ist also, daß auch unter den Voraussetzungen des § 1629 Abs. 2 BGB nur das Kind und nicht der gesetzliche Vertreter Prozeßpartei ist. Das Recht nach §. 1629 Abs. 2 BGB, das Kind bei der Durchsetzung seiner Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil zu vertreten, entfällt, sobald das Familiengericht nach §§ 1672, 1671 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag die elterliche Gewalt insgesamt oder nur das Personensorgerecht übertragen hat; zur Vertretung in Personensorgesachen gehört nach zutreffender Ansicht16 auch die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen des Kindes. Behält der auf Grund des Beschlusses nach § 1672 BGB nicht mehr sorgeberechtigte Elternteil das Kind widerrechtlich in seiner Obhut, so kann er daraus, wie schon der Wortlaut des § 1629 Abs. 2 BGB zeigt, kein Vertretungsrecht des Kindes herleiten17. Auchdernach§ 1672 BGB vertretungsberechtigte Elternteil kann — entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung 18 - aus den oben dargelegten Gründen die Unterhaltsansprüche des Kindes nur in dessen Namen, nicht etwa in eigenem Namen einklagen. (cc) Entsprechendes gilt, wenn die Ehe der Eltern geschieden und einem Elternteil nach § 1671 BGB die elterliche Gewalt übertragen ist. Nur der Inhaber der elterlichen Gewalt kann namens des Kindes die Unterhaltsansprüche durchsetzen. (2) Die Vertretung des nicht prozeßfähigen Kindes bereitet keine Schwierigkeiten, wenn der Unterhaltsprozeß von einem Vormund (§ § 1793 ff. BGB), Pfleger (§ § 1909,1915 BGB) odereinem Beistand BGH NJW 1953, 1546; Erman-Ronke, § 1626 Rdnr. 17; Palandt-Diederichsen, § 1626 Anm. 4 b; a. A. KG NJW 1951, 318. 17 BT-Drs. 7/650, S. 175. 18 Erman-Ronke, Nachtrag, § 1629 Rdnr. 5.
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(S 1 6 9 0 BGB) geführt werden soll. Partei dieses Prozesses ist immer nur das Kind. Hervorzuheben ist lediglich, daß nicht nur bei der Bestellung eines Vormunds oder Pflegers, sondern auch bei der Bestellung eines Beistands, der nach § 1690 Abs. 2 BGB die Rechte und Pflichten eines Pflegers hat, die Eltern von der Ausübung der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen sind, soweit der jeweilige Wirkungskreis reicht. Ist beispielsweise dem Beistand die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nach § 1 6 9 0 Abs. 1 BGB übertragen, so ist der allein sorgeberechtigte Elternteil insoweit nicht mehr zur Vertretung des Kindes in der Lage 1 9 . d) Die Bedeutung des § 1610 Abs. 3 BGB für den Unterhaltsprozeß ehelicher Kinder Angesichts der zum Teil einschneidenden Änderungen im verfahrensrechtlichen Bereich ist es überraschend, daß der Gesetzgeber das materielle Unterhaltsrecht ehelicher Kinder nahezu unverändert beibehalten hat, obwohl gerade im materiellen Bereich angesichts der verwirrenden Judikatur ein klärendes Wort des Gesetzgebers besonders notwendig gewesen wäre. Der Regierungsentwurf zum 1. EheRG hatte zunächst auf jede materiell-rechtliche Änderung des Unterhalts verzichtet. Diese Reform sollte einem gesonderten Gesetz vorbehalten bleiben 20 . Erst der Rechtsausschuß hat mit der Einführung des § 1610 Abs. 3 BGB eine auf den ersten Blick nicht sehr bedeutsame Änderung eingeführt. Diese Regelung ist jedoch ein erster Schritt auf dem Weg zur unterhaltsrechtlichen Gleichbehandlung ehelicher Kinder mit den nichtehelichen Kindern und wird darüber hinaus die Auslegung weiterer unterhaltsrechtlicher Normen beeinflussen. Gerade die ehelichen Kinder aus sogenannten „Halbfamilien" waren bei der Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche im Vergleich zu den nichtehelichen Kindern häufig benachteiligt, weil sie ihren Lebensbedarf im Sinne von § 1 6 1 0 Abs. 2 BGB schwerer nachweisen konnten; denn es existierten für sie keine gesetzlichen Regelsätze, wie sie die Regelunterhaltsverordnung für die nichtehelichen Kinder vorsieht. Nach § 1 6 1 0 Abs. 3 BGB gilt nunmehr als Mindestbedarf eines ehelichen Kindes, dessen Eltern geschieden sind oder getrennt leben und 19 20
Erman-Ronke, § 1690, Rdnr. 4; KG JfG 22, 290; RGZ 96, 48, 50. BT-Drs. 7/650 S. 175.
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das in den Haushalt eines Elternteils aufgenommen ist, der für ein nichteheliches Kind der entsprechenden Altersstufe festgesetzte Regelbedarf. Diese Norm beruht auf der Überlegung, daß die äußere Situation dieser Kinder der nichtehelicher Kinder gleicht: Die Eltern führen getrennte Haushalte, das Kind lebt bei einem Elternteil und macht gegen den anderen Unterhaltsansprüche geltend 2 1 . § 1 6 1 0 Abs. 3 B G B nimmt dem ehelichen Kind die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe seines Unterhaltsbedarfs, aber auch nur dafür, gewährt ihm aber nicht in jedem Fall einen Unterhaltsanspruch in Höhe des Regelbedarfs nichtehelicher Kinder 2 2 . Um überhaupt Unterhalt beanspruchen zu können, muß das Kind, unabhängig von § 1 6 1 0 Abs. 3 B G B , nach § 1 6 0 2 Abs. 1 B G B zunächst darlegen und gegebenenfalls beweisen, daß es außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, also bedürftig ist. Diesen Nachweis wird es allerdings in aller Regel ohne weiteres führen können. Trotz § 1 6 1 0 Abs. 3 B G B steht es auch dem Unterhaltsverpflichteten nach § 1 6 0 3 Abs. 1 B G B frei, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß er unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts dem Kind Unterhalt zu gewähren 2 3 . § 1 6 1 0 Abs. 3 B G B ändert also an den Voraussetzungen der §§ 1 6 0 2 und 1603 B G B nichts. Diese Norm erspart dem nach § 1 6 0 2 Abs. 1 B G B an sich unterhaltsberechtigten ehelichen Kind lediglich den Nachweis, daß es zur Deckung seines Lebensbedarfs im Sinne von § 1 6 1 0 Abs. 2 B G B einen Geldbetrag mindestens in der Höhe des für ein nichteheliches Kind der entsprechenden Altersstufe festgesetzten Regelbedarfs benötigt. Dem Kind ist es selbstverständlich unbenommen, einen höheren Unterhaltsbedarf als den Regelbedarf gegenüber den Eltern geltend zu machen 2 4 . Dafür ist es dann aber wieder darlegungs- und beweispflichtig. Uber den Wortlaut und den unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus läßt § 1 6 1 0 Abs. 3 B G B folgende gesetzgeberische Intentionen erkennen:
Palandt-Diederichsen, § 1610 Anm. 5. Anders § 1615 f BGB, sofern nicht § 1615 h BGB eingreift. 2 3 Dazu BT-Drs. 7/4361 S. 51, zu beachten ist aber die erweiterte Unterhaltspflicht nach § 1603 II BGB. 2 4 BT-Drs. 7/4361 S. 51.
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(1) Für die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs ehelicher Kinder, die in einer vergleichbaren äußeren Situation wie nichteheliche Kinder leben, ist der Regelbedarf eine geeignete Ausgangsbasis. (2) Auch der Bedarf ehelicher Kinder ist altersmäßig abzustufen. (3) Der Gesetzgeber ist bestrebt, das Unterhaltsrecht ehelicher und nichtehelicher Kinder soweit wie möglich einander anzugleichen. Diese Tendenz ist durch das Gesetz zur Vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten noch verstärkt worden, das auch für die ehelichen Kinder—wenn auch auf einem anderen Weg—eine vereinfachte Anpassung der Unterhaltsrenten gestattet 25 . (4) § 1610 Abs. 3 BGB und das Gesetz über die Vereinfachte Anpassung machen ferner deutlich, daß der Gesetzgeber die Zahl der Abänderungsklagen nach § 323 ZPO möglichst verringern will26. e) Die Klage auf altersmäßig gestaffelten Unterhalt für das eheliche Kind Diese Feststellungen leiten zu der Frage über, ob ein eheliches Kind, auch wenn es sich erst in der ersten Altersstufe (bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres) befindet, schon einen gestaffelten Titel für die beiden anderen Altersstufen (7-12 Jahre, 13—18 Jahre) erwirken kann. Könnte dem Kind nur der Unterhalt für die jeweilige Altersstufe zugesprochen werden, so müßte es mit Erreichen der nächsten Altersstufe jeweils erneut eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO erheben. Damit wäre der Vereinfachungseffekt, den das Gesetz über die Vereinfachte Anpassung von Unterhaltsrenten erstrebt, weitgehend vereitelt. Dieses Gesetz sollte, wie dargelegt, dazu beitragen, die Zahl der Abänderungsklagen zu reduzieren. Mit ihm ist nur eine Anpassung eines Titels an eine allgemeine Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht aber an einen gesteigerten Bedarf wegen einer höheren Altersstufe möglich. Der Gesetzgeber ist ohne weiteres davon ausgegangen, daß nach Altersstufen gestaffelte Titel zulässig und notwendig sind. In der Begründung des Rechtsausschusses zum Gesetz zur Vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten heißt es:
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Siehe dazu die Begründung in BT-Drs. 7/5311 S. 3. So ausdrücklich BT-Drs. 7/4361 S. 51.
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„Es erscheint in diesem Zusammenhang notwendig, darauf hinzuweisen, daß das mit der Einführung des Vereinfachten Verfahrens angestrebte Ziel nur dann voll erreicht werden wird, wenn künftig in Unterhaltstiteln der Unterhalt für eheliche Kinder nach Altersstufen gestaffelt angeführt und zudem in Titeln, in denen der Unterhalt für mehrere Personen festgelegt wird, der Unterhaltsbetrag für jede einzelne Person gesondert ausgewiesen wird 27 ." Im Schrifttum wird diese Meinung geteilt 2 8 . Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die ähnlich gelagerte Problematik im Rahmen des § 6 4 2 a Z P O . Dort ist es heute allgemein anerkannt, daß der Betrag des Regelunterhalts für das nichteheliche Kind schon im voraus für die jeweiligen Altersstufen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs festgesetzt werden kann, um bei Erreichen einer höheren Altersstufe eine Neufestsetzung nach § 6 4 2 b Z P O entbehrlich zu machen 2 9 . Im Ergebnis ist daran festzuhalten, daß auch für die Unterhaltsansprüche der ehelichen Kinder derartige altersmäßig abgestufte Unterhaltstitel erlassen werden müssen. Das Rechtsschutzinteresse hierfür ist allein schon deshalb zu bejahen, weil damit Abänderungsklagen des Kindes nach § 3 2 3 Z P O weitgehend überflüssig werden. Das Kind kann durch die Abänderung des gesamten Titels im Vereinfachten Verfahren ihn jeweils der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung anpassen lassen. Gänzlich unproblematisch ist eine Verurteilung zu einem altersmäßig abgestuften Unterhaltsbetrag dann, wenn der Unterhaltsverpflichtete nach seinen derzeitigen Einkommensverhältnissen (§ 1 6 0 3 BGB) den Unterhalt der höchsten Stufe leisten könnte, ohne seinen angemessenen Unterhalt zu gefährden. Verändern sich die Vermögensverhältnisse zuungunsten des Verpflichteten, so kann er den Titel mit einer Abänderungsklage nach § 3 2 3 Z P O ohne weiteres der neuen Lage anpassen lassen. Zweifelhafter ist die Rechtslage dann, wenn der Unterhaltsverpflichtete im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nur in der Lage ist, den der jetzigen Altersstufe entsprechenden Unterhaltsbedarf des Kindes zu decken, seine derzeitige LeistungsfähigBT-Drs. 7/5311 S. 5. Franz, FamRZ 1977, 27. 2'' Stein-Jonas-Schlosser, § 642 a Rdnr. 7; Odersky, NicHtchdichon-Gesetz,3. Aufl.,1973, § 642 aZPOIV5 e; LGDüsseldorfDAVorm 1971,381; LG Traunstein DAVorm 1973, 443; LG Memmingen DAVorm 1971, 252. 27 28
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keit also nicht ausreicht, um dem Unterhaltsbedarf des Kindes in den nächsten Altersstufen gerecht zu werden. Eine Verurteilung des Beklagten zu abgestuften Unterhaltsleistungen für die zweite oder dritte Altersstufe wäre nur in der Erwägung zulässig, daß der Beklagte in dem Zeitpunkt, in dem dieser Titel vollstreckt werden kann, über günstigere Einkommensverhältnisse verfügt als im Zeitpunkt der Verurteilung. Eine Verurteilung des Beklagten auf der Grundlage einer solchen Prognose über seine künftige Einkommensentwicklung läßt sich nur rechtfertigen, wenn er seinen Titel mit der Klage nach § 323 ZPO abändern lassen kann, falls die Erwartungen enttäuscht werden. Hierbei ist zu beachten, daß jeder Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen ein gewisses spekulatives Moment über die künftige Entwicklung innewohnt. Der Richter muß hier in jedem Fall, auch wenn er von derzeit feststehenden Einkommensverhältnissen ausgeht, vorausschauend die voraussichtliche künftige Entwicklung mit in seine Überlegungen einbeziehen 30 . Entwickeln sich die Umstände in einem wesentlichen Punkt anders als der Richter erwartet hatte, so ist dieser Nichteintritt der Erwartungen eine wesentliche Änderung im Sinne von § 323 ZPO. Das ist in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannt 31 . Bei einer Entscheidung für oder gegen abgestufte Titel handelt es sich letztlich darum, wer später eine Abänderungsklage erheben muß, das unterhaltsberechtigte Kind, dessen Bedarf mit hoher Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter steigen wird, oder der unterhaltsverpflichtete Elternteil, dessen Einkommensentwicklung derzeit nicht sicher vorauszusehen ist. Die Entscheidung muß zugunsten des Kindes ausfallen, weil nur so die Zielsetzung des Gesetzes über die Vereinfachte Abänderung von Unterhaltsrenten verwirklicht werden kann. 2. Der Unterhaltsprozeß mit der Scheidungssache
über den Kindesunterhalt wird der Eltern durchgeführt
gleichzeitig
a) Sachliche Zuständigkeit Zur Entscheidung ist auch hier das Familiengericht und nicht eine allgemeine Prozeßabteilung des Amtsgerichts zuständig (§§ 23 b Nr. 5 GVG, 621 Nr. 4 ZPO). 30
Kommentar zur Zivilprozeßordnung,
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Stein-Jonas-Schumann-Leipold, 19. Aufl. 1972, § 323 II 3. Stein-Jonas-Schumann-Leipold,
§ 323 II 3 m. w. N.
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b) örtliche Zuständigkeit örtlich ausschließlich zuständig ist das Familiengericht, bei dem die Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war (§ § 6 2 1 Abs. 2 Satz 1, 6 0 6 Z P O ) . Für diese Zuständigkeitskonzentration bei dem Familiengericht der Ehesache für alle anderen Familiensachen waren zwei Erwägungen maßgebend: Einmal ging der Gesetzgeber davon aus, daß das ohnehin mit der Ehesache befaßte Familiengericht die Verfahren in den anderen Familiensachen rationeller und sachgerechter erledigen kann als das sonst zuständige Familiengericht. Zum anderen sollten mit dieser Zuständigkeitskonzentration bei dem Familiengericht der Ehesache erst die verfahrensmäßigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß über Scheidungssache und Scheidungsfolgesache gemeinsam verhandelt und entschieden werden kann, wie es § 6 2 3 Z P O vorschreibt 3 2 . Schon an dieser doppelten gesetzgeberischen Zielsetzung wird deutlich, daß sich der Kreis der anderen Familiensachen, die von der Zuständigkeitskonzentration des § 6 2 1 Abs. 2 Z P O erfaßt werden, nicht mit dem Kreis der Scheidungsfolgesachen, die nach § 6 2 3 Abs. 1 Z P O im Verbund mit der Scheidungssache zu verhandeln und zu entscheiden sind, zu decken braucht, ö r t l i c h ausschließlich zuständig ist das Familiengericht der Ehesache für alle Familiensachen im Sinne von § 6 2 1 Z P O , sobald die Ehesache anhängig ist. Mit der Ehesache im Entscheidungs- und Verhandlungsverbund stehen die Familiensachen im Sinne von § 6 2 1 Abs. 1 Z P O aber nur, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des § 6 2 3 Z P O erfüllt sind, also vor allem in dieser Familiensache eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist. Übertragen auf die hier interessierende Problematik bedeutet das: Das Familiengericht, bei dem die Scheidungssache anhängig ist, ist für die Dauer des Scheidungsverfahrens für alle Unterhaltsprozesse über den Unterhalt ehelicher Kinder örtlich zuständig, gleichgültig, ob sie minderjährig oder volljährig sind, ob der Prozeß von einem Elternteil, einem Vormund, Pfleger oder Beistand geführt wird oder ob es sich um den Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils oder für einen zurückliegenden 32
BT-Drs. 7/650 S. 204.
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Zeitraum handelt. In den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund mit der Ehesache können nach § 6 2 3 Z P O aber nur die Unterhaltsprozesse einbezogen werden, die sich auf einen Unterhalt „für den Fall der Scheidung" beziehen und die von einem Elternteil für das Kind geführt werden. Wird der Kindesunterhalt nicht für die Zeit nach der Scheidung, sondern für die Zeit des Bestehens der Ehe eingeklagt — der Unterhaltsanspruch bezieht sich auf einen zurückliegenden Zeitraum oder den Zeitraum bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils —, so ist ein Verbund im Sinne von § 6 2 3 Abs. 1 Z P O mit der Ehesache nicht möglich 3 3 . Wird allerdings der Kindesunterhalt sowohl für die Zeit des Bestehens der Ehe als auch die Zeit nach der Scheidung geltend gemacht, so wird das für beide zuständige Familiengericht der Ehesache die Verfahren nach § 147 Z P O miteinander verbinden. Es handelt sich dann aber nur um einen normalen Prozeßverbund, nicht aber um einen Verbund im Sinne von § 6 2 3 Z P O . Ist der Prozeß über den Kindesunterhalt während Bestehen der Ehe spruchreif, so ist der Verbund ohne Rücksicht auf die strengen Voraussetzungen des § 6 2 8 Z P O wieder zu trennen, ein Endurteil, nicht etwa ein Teilurteil zu erlassen 34 . Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 9 1 Z P O und nicht nach § 93 a Z P O , denn die Unterhaltssache war keine Folgesache im Sinne dieser Bestimmung. Ein Verhandlungs- und Entscheidungsverbund mit der Scheidungssache wird ebenfalls nicht hergestellt, wenn der Unterhaltsprozeß nicht von einem Elternteil durchgeführt werden kann. Der Gesetzgeber wollte mit § 6 2 3 Z P O die Eltern in die Lage versetzen, zusammen mit ihrer Scheidung die wichtigsten Scheidungsfolgen möglichst abschließend zu regeln, um nach Rechtskraft des Scheidungsurteils weitere Auseinandersetzungen möglichst zu vermeiden. Dieses Ziel läßt sich aber nicht erreichen, wenn den Eltern die Kompetenz zur Regelung der betreffenden Angelegenheiten fehlt. Ein Verbund wäre dann sinnlos. Das ist einmal der Fall, wenn das Kind, für das Unterhalt begehrt wird, volljährig ist (§ 2 BGB) und daher nicht mehr unter elterlicher Gewalt steht (§ 1 6 2 6 BGB). Ein volljähriges Kind kann seinen Un33 34
Stein-Jonas-Schlosser, § 623 Rdnr. 3. Thomas-Putzo, ZPO, 9. Aufl., 1977, § 147 Anm. 3 c.
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terhaltsanspruch nur selbst geltend machen. Ein Verbund mit der Scheidungssache wäre daher verfehlt. Zudem passen zahlreiche für den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund typische Bestimmungen für den Unterhaltsprozeß volljähriger Kinder nicht (vgl. §§ 6 2 4 Abs. 1 und 2, 626 Abs. 1 Satz 1, 629 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, 6 3 0 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 ZPO 3 5 ). Durch einen solchen Verbund wäre auch eine einheitliche Kostenentscheidung, wie sie § 93 a ZPO für die Scheidungs- und Scheidungsfolgesachen vorsieht, unmöglich gemacht. Außerdem würde durch einen solchen Verbund eine andere gesetzgeberische Intention durchkreuzt, die § 1629 Abs. 3 BGB zugrunde liegt: Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Prozeßstandschaft in § 1629 Abs. 3 BGB für Verfahren über den Kindesunterhalt verhindern, daß das Kind—wenn auch nur als Partei in einer Scheidungsfolgesache - in das Scheidungsverfahren der Eltern hineingezogen wird. Das volljährige Kind wäre aber in jedem Fall selbst Partei. Im Ergebnis ist daher ein Verbund der Scheidungssache mit dem Unterhaltsprozeß des volljährigen Kindes nach § 623 ZPO nicht möglich3