Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen: Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts [7., vollkom. ungearb. und. verm. Aufl., Reprint 2020] 9783112312186, 9783112300916


199 102 15MB

German Pages 269 [272] Year 1961

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Table of contents :
Vorwort zur siebenten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Gesetzesregister
Erster Teil: Die Fälle
1. Fall: Schwierige Zuständigkeitsfragen
2. Fall: Das Beschwerdeverfahren des Prof. Neumann aus Wiesbaden
3. Fall: Ein fehlerhaftes Vorverfahren
4.Fall: Der Streit um den Haftbefehl
5. Fall: Der flüchtige Angeklagte
6. Fall: Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung
7.Fall: Die Berufung des Prokuristen Müller
8. Fall: Der beleidigte Gemeinderat
9. Fall: Ein kompliziertes Revisionsverfahren
10. Fall: Unzuverlässiges Kanzleipersonal
11. Fall: Der wankelmütige Angeklagte
12. Fall: Der Autounfall des Alexander Schnell
13. Fall: Die unbelehrbare Dirne
14. Fall: Die Einziehung des Jagdgewehrs
15. Fall: Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandel
16. Fall: Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht
17. Fall: Eine überstürzte Anzeige
18. Fall: Der falsche Angeklagte
Zweiter Teil: Die Lösungen
Zu Fall 1
Zu Fall 2
Zu Fall 3
Zu Fall 4
Zu Fall 5
Zu Fall 6
Zu Fall 7
Zu Fall 8
Zu Fall 9
Zu Fall 10
Zufall 11
Zu Fall 12
Zu Fall 13
Zu Fall 14
Zu Fall 15
Zu Fall 16
Zu Fall 17
Zu Fall 18
Alphabetisches Sachregister
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Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen: Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts [7., vollkom. ungearb. und. verm. Aufl., Reprint 2020]
 9783112312186, 9783112300916

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Praktische

Strafprozeßfälle mit L ö s u n g e n Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts Von

Dr. Walter Petters Landgerichtsrat i. R. unter Mitarbeit von Gerichtsassessor H o l g e r Preisendanz

Siebente vollkommen umgearbeitete und vermehrte Auflage

1961 J. S C H W E I T Z E R V E R L A G B E R L I N U N D

MÜNCHEN

Satz u n d D r u c k : W a l t e r de G r u y t e f Sc C o . , Berlin W 30 A l l e R e c h t e , einschließlich der Rechte der Herstellung v o n P h o t o k o p i e n und M i k r o f i l m e n , vorbehalten

Vorwort zur siebenten Auflage W ä h r e n d meine „Praktischen Strafrechts fälle" schon in elf A u f l a g e n erschienen sind, hatte sich der Entwicklungsgang der Strafprozeßfälle verlangsamt. Zurückzuführen ist dieser unterschiedliche Erfolg vor allem darauf, d a ß dem Strafprozeßrecht, vor allem in den juristischen Prüfungen, eine erheblich geringere Bedeutung z u k o m m t als dem materiellen Strafrecht. Z u d e m standen einer rascheren Auflagenfolge a u c h persönliche Gründe, vor allem Zeitmangel und Krankheiten des Verfassers entgegen. Inzwischen hat sich ein jüngerer Praktiker, Gerichtsassessor Holger Preisendanz, der seit mehreren J a h r e n nebenberuflich Vorbereitungskurse in Strafrecht und Strafprozeßrecht leitet, also über pädagogische Erfahrungen verfügt, zur M i t w i r k u n g bei der Herstellung der siebenten A u f l a g e bereiterklärt. D a m i t konnten die unterbrochenen Arbeiten auf diesem Gebiet meiner schriftstellerischen Tätigkeit wieder aufgenommen und beschleunigt durchgeführt werden. D e n ,,Fällen", die in der N e u a u f l a g e wesentlich geändert, erweitert und teilweise durch neue Tatbestände ersetzt wurden (so die Fälle 12 und 13, die samt den Lösungen von meinem oben genannten Mitarbeiter zur V e r f ü g u n g gestellt wurden) liegt z u m T e i l Examensmaterial aus der zweiten juristischen Prüfung des ehemaligen Badischen Justizministeriums zugrunde. In der Hauptsache aber sind sie das Ergebnis einer in jahrelanger Tätigkeit als Staatsanwalt und Strafrichter erworbenen praktischen Erfahrung. Die „ L ö s u n g e n " wurden auf G r u n d der in vielen Vorbereitungskursen z u m Assessorexamen gesammelten pädagogischen Erkenntnisse insofern umgestaltet, als (ähnlich wie bei den Strafrechtsfällen) die rein theoretischen Erörterungen von den eigentlichen Lösungen getrennt und fast ausschließlich in den jeweiligen „ V o r b e m e r k u n g e n " und „ N a c h t r ä g e n " untergebracht wurden. I m übrigen sind die Lösungen sowohl wie die rein theoretischen Ausführungen aufgebaut in der Hauptsache auf der Judikatur des Bundesgerichtshofs, dessen „Entscheidungen in Strafsachen" bis einschließlich Band 14 verwertet wurden. Soweit Probleme in Frage kamen, die noch nicht v o m Bundesgerichtshof behandelt worden sind, waren die Entscheidungen des ehemaligen Reichsgerichts die ausschlaggebende Erkenntnisquelle. Einer A n r e g u n g aus Universitätskreisen folgend, wurde in zunehmendem M a ß e a u c h das S c h r i f t t u m berücksichtigt. So möge diese Kombination einer strafprozessualen F a l l s a m m l u n g mit einem Lehrbuch des Strafprozeßrechts dem juristischen Nachwuchs die Vorbereitungsarbeit zu den juristischen Prüfungen mit ihren

IV

Vorwort

gesteigerten Anforderungen erleichtern. Dabei verkenne ich nicht, daß eine solche neuartige Form eines Lehrbuchs keinen geschlossenen Gesamtüberblick gewähren kann und insofern vor allem für den fortgeschrittenen Studenten, der schon über gewisse theoretische Vorkenntnisse verfügt, und für den Referendar in Frage kommt. Darüber hinaus wird das Buch aber auch dem S t r a f r e c h t s p r a k t i k e r die Möglichkeit geben, sich über schwierige allgemeine Probleme des Strafprozeßrechts nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu orientieren. In einer Kritik über meine Strafrechtsfälle wurde von berufener Seite u. a. geäußert, daß für einen Referendar, der in den strafrechtlichen Ausbildungsabschnitten dieses Buch durcharbeite, das Große Staatsexamen seine Schrecken verloren habe. Möge dieses Urteil in gleichem Maße auch auf die vorliegende, wesentlich erweiterte und verbesserte Neuauflage der Strafprozeßfälle zutreffen. Heidelberg, J a n u a r 1961

Dr. P e t t e r s

Inhaltsverzeichnis ( A n s c h l i e ß e n d das Gesetzesregister. A m E n d e des B u c h e s das a l p h a b e t i s c h e S a c h r e g i s t e r . )

Erster Teil: Die Fälle (S. i — 2 4 des Heftes in der Tasche des hinteren Deckels)

Zweiter Teil: Die Lösungen (S. 27—247.) Seite

1. Fall: Schwierige Zuständigkeitsfragen Lösung

3 27—41

Die Zuständigkeit und der Aufbau der Strafgerichte S. 27 bis 28. Die sachliche Zuständigkeit im einzelnen (Amtsgericht S. 28, Landgericht S. 29, Oberlandesgericht S. 31, Bundesgerichtshof S. 31, Instanzenzug S. 32, Prüfung der sachlichen Zuständigkeit S. 32—33, sachliche Zuständigkeit des Zusammenhangs S. 33—34). Die örtliche Zuständigkeit (die einzelnen Gerichtsstände S. 34—36, Prüfung der örtlichen Zuständigkeit S. 36). Konkurrenz verschiedener Gerichtsstände S. 37—38. Fliegender Gerichtsstand S. 39. Prozessuale Bedeutung der örtlichen Unzuständigkeit S. 39—40.

2. F a l l : Das Beschwerdeverfahren des Prof. N e u m a n n aus Wiesbaden Lösung

4 41—49

Strafverfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft S. 41. Einstellung durch die Staatsanwaltschaft S. 42. Beschwerde und Antrag auf gerichtliche Entscheidung S. 44fr.

3. Fall: Ein fehlerhaftes Vorverfahren Lösung Der Verlauf des Strafverfahrens bis zur Hauptverhandlung S. 50—57. (Die Anklage S. 50. Die Voruntersuchung S. 53. Die Eröffnung des Hauptverfahrens S. 54. Die V o r bereitung der Hauptverhandlung S. 56. Das beschleunigte Verfahren S. 57). Der Zeuge und seine Beeidigung S. 58 bis 59. Verlesung eines Protokolls S. 59—60. Zeugnisverweigerung S. 61—63. Beeidigung des Zeugen S. 64—66. Parteirechte in der Voruntersuchung S. 67—69. Die notwendige Verteidigung 69—72. Der Ausschluß des Untersuchungsrichters S. 72—75. Ladung des Angeklagten S. 72 bis 75. Verlesung von Schriftstücken S. 76—84. (Siehe auch Fälle 9 und 16). Augenschein S. 84—85.

5 50—85

Inhaltsverzeichnis

VI

4 . F a l l : Der Streit u m den Haftbefehl

6

Lösung

86—95

Die Zwangsmittel im Strafverfahren S. 86. Die Freiheitsbeschränkung in der S t P O . S. 86—87. Die Untersuchungshaft S. 87—go. Erlaß und Aufhebung des Haftbefehls v o r Rechtskraft des Urteils S. 90—91, n a c h Rechtskraft des Urteils S. 9 1 — 9 3 . Die Strafvollstreckung S. 93—95

7

5. Fall: Der flüchtige Angeklagte Lösung

96—iio

Allgemeine Grundsätze betreffend die Hauptverhandlung (Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit, Verlauf der Verhandlung einschließlich Sitzungsprotokoll) S. 96—102. Anwesenheit des Angeklagten S. 102—105.Freilassung gegen Sicherheit S. 107. Gegenstand der Urteilsfindung (Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts) S. 107. Verhältnis des Urteils zur Anklage S. 1 0 7 — 1 1 0

6. Fall: Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung Lösung Die Rechtsstellung des Verteidigers S. 1 1 0 — 1 1 2 . Kosten des Verfahrens S. 1 1 2 — 1 1 5 . Beendigung desHauptverfahrens auf andere Weise als durch Verurteilung (die Einstellung innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung; Aussetzung und Unterbrechung) S. 1 1 5 — 1 1 6 . Allgemeines über Rechtsmittel, insbesondere Beschwerde S. 1 1 7 — 1 2 1 . Reformatio in peius S. 1 2 1 — 1 2 3 .

7 . F a l l : Die Berufung des Prokuristen Müller

. . . .

Lösung

7 110—123

8 123—137

Das Rechtsmittel der Berufung S. 1 2 3 — 1 3 7 . Teilweise Anfechtung; Beschränkung der Berufung auf das Straßmaß S. 1 2 g — 1 3 4 . Fehlender Strafantrag S. 134. Unterbrechung der Verjährung S. 1 3 5 . Prozeßvoraussetzungen S. 1 3 6 — 1 3 7 .

8. Fall: Der beleidigte Gemeinderat Lösung

10 137—141

Verhältnis des Urteils zur Anklage (keine Teilung des Schuldausspruchs) S. 139. Zurückverweisung aus der Berufungsinstanz S. 140.

9. Fall: Ein kompliziertes Revisionsverfahren . . . . Lösung Das Rechtsmittel der Revision S. 142 ff. Inhalt und Form der Revisionsrechtfertigung S. 147 ff. Ablehnung eines Beweisantrags S. 149. Durchsuchung und Beschlagnahme S. 1 5 2 — 1 5 4 . Verlesung von Schriftstücken S. 1 5 3 — 1 5 4 . (Siehe auch Fälle 3 und 16.) Einlegung eines Rechtsmittels und dessen Zurücknahme S. 1 5 6 — 1 5 8 . Wirkung des R e v i sionsurteils auf Mitangeklagte S. 1 5 8 — 1 5 9 . U m f a n g der Beweisaufnahme S. 160 ff.

11 142—164

Inhaltsverzeichnis

VII Seite

14 165—170

10. Fall: Unzuverlässiges Kanzleipersonal Lösung Fristen S. 165. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand S. 165 fr. (Verschulden des Verteidigers S. 167, unabwendbarer Zufall S. 167, unzuständiges Gericht S. 168, Beseitigung rechtskräftiger Beschlüsse S. 169.)

11. Fall: Der wankelmütige Angeklagte Lösung

15 170—174

Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln und Verzicht S. 170. Form des Verzichts S. 172. Bindende Kraft eines Beschlusses im Beschwerdeverfahren S. 173. Aufhebung eines rechtskräftigen Beschlusses S. 174.

12. Fall: Der Autounfall des Alexander Schnell Lösung

. . . .

16 174—185

Die materielle Rechtskraft und ihre Auswirkungen S. 174 bis 182 (Begriff'S. 174; Umfang S. 175; Einzelheiten und Beispiele S. 175—176; Besonderheiten: die materielle Rechtskraft bei Einstellungsurteilen S. 177; bei der fortgesetzten Tat S. 177; bei der Sammelstraftat S. 178; bei Straf befehlen S. 179; bei Beschlüssen S. 180—182). Die Zurücknahme des Strafantrags S. 182

13. Fall: Die unbelehrbare Dirne Lösung

16 185—187

Die materielle Rechtskraft bei der fortgesetzten T a t und bei Einstellung wegen anderweitiger Rechtshäufigkeit S. 185 bis 187 (siehe auch Fall 12); das Verbot der reformatio in peius S. 186 (siehe auch Nachtrag zu Fall 6).

14. Fall: Die Einziehung des Jagdgewehrs Lösung

17 187—195

Das Strafbefehlsverfahren S. 187 ff. Das objektive Strafverfahren (Einziehung) S. 191fr.

15. Fall: Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandel Lösung

18 196—208

Das Wiederaufnahmeverfahren S. 196 ff. Der Sachverständige S. 2 06 ff.

16. Fall: Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht . . . Lösung

19 208—217

Die Grundsätze des Privatklageverfahrens S. 208 ff. Zusammentreffen von Privatklageverfahren und Offizialverfahren S. 214fr. Die Staatsanwaltschaft im Privatklageverfahren S. 216.

17. Fall: Eine überstürzte Anzeige Lösung Die Nebenklage S. 217 ff. Das Anschlußrecht aus der Privatklageberechtigung S. 219, und aus § 395 Abs. 2 S. 221. Prü-

21 217—227

VIII

Inhaltsverzeichnis Seite

fung der Anschlußberechtigung durch das Berufungsgericht S. 221. Kosten der Nebenklage S. 221. Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsprozeß) S. 225 fr.

18. F a l l : Der falsche Angeklagte Lösung

23 228—247

Das Urteil S. 228 ff. (Zustandekommen eines Strafurteils S. 228. Abstimmung S. 229—233, Verkündung S. 233, Urteilsformel S. 235; Urteilsgründe S. 235.) Berichtigung eines Strafurteils S. 238fr. Formale und materielle Rechtskraft des Urteils S. 241. Nichtige Entscheidungen S. 242. Entschädigung bei Freisprechung im Wiederaufnahmeverfahren S. 245, für unschuldig erlittene Untersuchungshaft S. 246.

Alphabetisches Sachregister

248 fr.

Gesetzesregister I. D i e §§ der Strafprozeßordnung ( S t P O ) (Die Zahlen der Seiten, die grundsätzliche Ausführungen enthalten, sind fett gedruckt)

§§

2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 13 13a 14 15 16 17 18 19 22 23 24 25 26 27 28 31 33 34 35a 36 43 44 45 46

Seite 33, 38 33, 35, 38, 41 33 32, 174 34, 37—39 34, 37—39 34, 35 35 35 35—37, 173 37, 38, 41, 173 35 37, 173 35, 173 36, 37, 40, 41 40 36, 4° 37, 173 45, 51, 56, 72—75 56, 73—75 73 74 74, 166 74 74, 119 72 38, 170, 204 150 167 93 45, 157 47, 165—168 166, 168, 169 119, 168, 174

§§

47 51 52

53 53a 54 55 56 57 59 60 61 62 63 64 65 66 66a 66c 67 68a 69 70 71 74 75 76 77 79 80 80a 81 81a

Seite 167 58, 86, 87 60—66, 80, 83, 152, 153, 228 62, 63, 153 62, 153 63 59, 63, 8o, 82, 216 166 58, 63 58, 59, 65 60, 63, 65, 66, 83, 221 45, 64, 65, 83, 127 65 60, 63—66 66 59, 6 0 59. 61 60 58, 60 59 63 58, 79, 86 58, 68, 85, 87 59 207 207 207 207 208 207 207 54, 86, 207 63, 85, 151, 208

X

Gesetzesregister

§§

81b 81c 81d 85 86 87 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 102 103 104 105 106 107 108 109 111 112 113 114 114a 114b 114d 115 115a 115b 115c 115d 116 117 121 122 123 124 125 126 126a 127

Seite 84- 151 85- 151, 208 85. Ï5 1 - 2 0 8 208 84 60, 84, 207 84, 207 207 84 151—154 152 152, 154 152, 153 153- 154 152 152 85, 151 85, 151- J 5 3 151 151. 153 151 151 !5i 151 !52 86, 87, 8 9 — 9 1 , 103 88, 91, 103 88 88 88 88, 89 88 54, 88, 8 9 89 88 70, 89 89 88, 107 107 107 91, 92 89 90 91 86, 90 86, 9 0

§§

128 130 131 133 134 135 136a 137 140 143 145 147 148 149 151 152 153 153a 153b 153c 154 154a 154b 154c 155 156 157 158 160 162 163 164 165 166 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177

Seite 9° 9i 90 86 86 86 86 7 1 , 72 69—72 69 69, 96 112 1 1 2 , 154 112 50 46, 152 42, 43, 46, 5 1 , 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 9 , 180, 1 8 1 , 190 42, 46, 1 1 5 42, 46 42 42, 43, 46, 115, 116, 181 42, 43, 1 1 6 42, 43, 46 42, 43, 46 106, 108, 1 6 1 , 175, 177 44, 52, 1 1 5 , 188 57, 90 41 41- 50 84 86 87 84 84 60, 83, 84, 2 1 4 54- 67, 84 44- 51 43- 44 42, 4 5 — 4 7 , 49, 50, 165, 2 1 1 , 217, 2 2 1 , 224 4749 180, 181 44, 49, 49 49 49

§§

178 180 181 182 183 184 185 187 188 190 191 192 193 195 197 198 199 200 201 202 203 204

205 206 206a 207 208 209 2101 II 211 212 212a 212b 213 214 216 217 219 220 222 223

Gesetzesregister

XI

§§

Seite 56, 66—68 56, 67, 84 96, 218, 225 96 76, 97, 116, 150 76, 96, 97, 234 86, 96, 102, 103, 244 86, 104—106, i n , 128 78, 103, 104, i n , 127, 128, 165 56, 78, 104, i n , 128 48, 100, i n , 127, 128 104, 165 86 34 99 99 99. 100 99, 100 100 37, 55. 99. 1 0 0 > i q 6 , 126 100 78, 160, 161, 164, 207 149, 150, 160, 162, 206 164, 201, 206 85, 164 150, 163 149, 161, 162, 208 163 164, 207 100, 104, 105 68 68, 76, 77, 84, 96, 153 60, 77, 78, 83, 96, i n , 126, 153, 2 1 3 162, 213, 2 1 4 60, 66, 78, 79, 126, 127 79, 80, 82, 84, 126, 127 76—79, 83, 126, 127 60, 83, 126, 127 81, 82, 206 78, 79, 81, 96, 126 57, 78, 79, 96, 153 77, 208 99 99, 100, m

Seite 53 37, 53 53 40, 53 53 37. 53 74. 84 60, 83, 84, 2 1 4 60, 83, 84, 2 1 4 53 74 54. 67 54, 67, 68, 80, 84 84 54 51. 54 44. 51 51 39, 40, 53, 165, 245 "9 40, 53—55, 120 36, 40,49, 54, 55, 116, 180, 181, 187, 191 40, 44, 115, 116 54 44, 75, 115, 116, 119, 180, 181 54 50. 52, 54 32 56, 119 49. 5 6 . ! I 9 . 180. Ï88, 213 49. 56, 173, 180—182, 213 29, 51. 55. 5 7 57 54. 57 56 56, 58, 126 76 76, 165 160, 161 68, 161 56 56, 59, 66, 67, 80

224 225 226 227 228 229 230 231 232

119,

137,

191, 205,

233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 I II III IV V VI 245 246 246a 247 248 249 250 251 251 I II III IV 252 253 254 256 257 258

XII

§§

2601 III 261 262 263 264 265

Gesetzesregister

§§

Seite ioo, 75. 116,

44,

235,

180,

181, 235 83,

137,

117, 134,

232, 60,

238

184,

97,

185,

177,

230,

228,

142,

235 229 132,

230,

231

54, 55, 106—108, 139, 175, 1 7 7 , 1 7 8 , 2 1 6 , 2 2 9 5 5 , 1 0 6 , 109, 1 1 0 , 1 4 6 , 1 7 6 , 178,

186

266

51. 55. Io8 . 110 > !25. 176.

267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 285 296 297 298 299 300 301 302

235—238

186

303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313

96, 97, 99,

165,

233, 234

33 33, 116, 119, 174, 176,

101 101, 102,

55, 62,

235 105 70. io 5 105 117,

121,

88,

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171,

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166, 170,

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142,

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129,

143

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125 126

323 324 325 326 327 328 I II

116,

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222

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143,

172,

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125—127,

222

189 140,

141,

146

329 331 144,

Seite 125,

184

101 101 62,

314 315 316 317 318 319 320 321 322

III

33.

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332 333 334 335 336 337

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219,

338 156, 2 3 3 338 Nr. 1 73. H«. 144 Nr. 2 73. 75. 140, 144 88, in, 157, 1 7 0 , 1 7 1 , Nr. 3 1 4 0 , 1 4 4 243 Nr. 4 1 4 4 88, 129, 158, 171, 1 9 7 Nr. 5 6 9 , 9 6 , 9 7 , 1 0 3 , 1 0 7 , 38, 54, 72, 118—120, 173,

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145. 148,

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339 341 342 343 344

Nr. 6 Nr. 7 Nr. 8

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118,

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148,

139, 156

143 141,

143, 144,

XIII

Gesetzesregister

§§

345 346

347 348 3491 II III

350 351 352 353 354 354a 355 357 358

359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 373a 3741 II III

375 376 377 378 379a 380

Seite 124, 142, 147, 148, 159, 165, 199 143, 157, 167, 169, 170, 174 143 119, 173 116, 126, 143, 149, 1 5 7 — 1 5 9 . 174. 222 222 48, 143, 174 103, 104, i n , 143, 165 143 129, 141, 143, 222 145. 156 122, 146, 148, 156, 158 146, 147 33, 122, 146, 148, 184

147, 157—159 1 1 8 , 121, 123, 141, 147,

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'73

132, 196—198, 200—205

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176, 196—198, 204, 205

196, 202, 203 201 197. 199 199 203, 204 174, 201, 202, 204 204, 205 197, 198, 205 1 1 7 . 198 11 9 . !74. 199. 204, 205 122, 123, 205 197 29, 45. 46, 208, 2 1 1 , 2 1 7 , 219, 224, 225 208, 214, 219, 220, 224 209, 219, 220, 224 208, 214, 2 1 5 42, 46, 2 1 1 39, 2 1 1 , 216, 2 1 8 209 209 209, a 12, 2 1 3

§§

381 382 383 384 385 386 387 388 389 391 392 393 395 I II 396 397 401 402 403 404 405 406 406a 406b 406c 406d 407 408 409 410 411 412 413 429a 430 431 432 449 450 451 455 456 457 458

Seite 209 211 1 1 6 , 1 1 9 , 209, 2 1 2 164, 209, 210, 2 1 3 209 58 48, 104, i n , 209, 2 1 3 210 1 1 6 , 210, 2 1 1 , 2 1 6 165, 210, 2 1 5 , 2 1 8 215 1 1 6 , 210, 2 1 9

29, 217—219, 224, 225

45, 217, 220, 2 2 1 , 224, 225 218 222 218, 2 1 9 219

29, 225—227, 230, 233

225—227 225—227 225—-227 225, 227 225, 227 225, 227 225, 227 29, 187, 189 187, 188, 1 9 1 187—189, 1 9 1 179, 189, 190 48, 55. '04. m . 189 166, 189 189, 190 207

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117, 191—194, 238

1 9 1 . 195 1 9 1 . 195 9 1 , 93, 94, 242 90. 94 92. 93. 235 93 93. 95 94 92. 95. 243

Gesetzesregister

XIV §§ 4 6 0

461 462 463 463a 464 465 466

Seite 33, 95

94 92, 95, 119, 173, 243 94, 244

93, 95 109, 112, 117 113, 115, 222 114

§§ 467 468 469 470 471 472a 473

Seite 113—116, 130 114 115, 119, 173, 223 114, 183 114, 115, 222, 223

115, 227 115, 121, 12g, 136

II. Die §§ des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)

§§

24 25 26 28 29 30 32 63 73 74 74a 76 77 80 81 82 83 84 120 121 122 132 134 134a 135 139

Seite 28- - 3 0 , 38 28, 208 29 28 27- 29 40, 55

73 73 30, 53, 121 30 28, 30 27, 29—31 73 30, 176, 184 27

30, 55 73 73 31 31, 173 28, 3i 28 28

31 3i

28, 3i

§§

142 143 145 146 150 169 171a 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 183 185 192 193 194 195 196 197 198

Seite 5° 50 5i 50 49 97 98 98, 99

98, 99

99 98 99

87, 99, 104

7, 93, 99 93, 99 93, 99 99 99 96 8

96, 230 229 230 230 230, 233 230

233

Erster Teil

Die Fälle

Petters, Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen, 7. Auflage

FALLI Schwierige Zuständigkeitsfragen A. Der Untersuchungsrichter beim L a n d g e r i c h t H e i d e l b e r g hat die Voruntersuchung eröffnet gegen die Angeschuldigten A, B und G, und zwar gegen den in H e i d e l b e r g wohnhaften Angeschuldigten A wegen einer in Heidelberg begangenen schweren Brandstiftung i. S. des § 307 StGB und eines in S t u t t g a r t in Mittäterschaft mit den dort wohnhaften B und C begangenen Betrugs (§§ 263, 47 StGB; gegen B und G wegen dieses in Stuttgart begangenen Betrugs). Die Angeschuldigten B und C beantragen gemäß § 12 Abs. 2 StPO durch ihren Verteidiger die Übertragung der Strafsachen nach Stuttgart. Welches Gericht wird über diesen Antrag entscheiden und wie wird die Entscheidung lauten? Ist sie anfechtbar? B. Der in Karlsruhe wohnhafte Schriftsteller A hatte in einem Artikel, der in einer S t u t t g a r t e r Zeitung erschienen war, einen in Nürnberg wohnhaften Arzt beleidigt. Kurze Zeit darauf ließ A den gleichen Artikel auch in einer K a r l s r u h e r Zeitung zum Abdruck bringen. Nachdem der beleidigte Arzt wegen des in beiden Zeitungen erschienenen Artikels frist- und formgerecht Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gestellt hatte, erhob diese gemäß § 376 StPO vor dem Schöffengericht in Karlsruhe am 1. Dezember 1959 Anklage wegen der durch Veröffentlichung in den beiden Zeitungen begangenen Beleidigungen, unter Beifügung eines ausführlichen Ermittlungsergebnisses. Der Beschuldigte erhob auf die gemäß § aoi StPO erlassene Aufforderung den Einwand, daß im Hinblick auf den ausschließlichen Gerichtsstand des § 7 Abs. 2 StPO die Zuständigkeit des Schöffengerichts in Karlsruhe für die in Stuttgart begangene Beleidigung nicht begründet sei. Dieser Einwand wurde durch Beschluß vom 20. Dezember 1959 mit der Begründung, daß sich die Karlsruher Zuständigkeit aus § 8 StPO ergebe, verworfen, und gegen den Beschuldigten in dem gleichen Beschluß das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht in Karlsruhe eröffnet. In der Hauptverhandlung wiederholte der Verteidiger des Angeklagten nach Verlesung des Eröffnungsbeschlusses den Einwand der Unzustän1»

4

Praktische Strafprozeßfalle, I. Teil: Die Fälle

digkeit. Das Gericht wies unter Bezugnahme auf § 16 S t P O diesen Einwand, weil verspätet erhoben, durch Beschluß als unzulässig zurück und verurteilte den Angeklagten gemäß der Anklage wegen der beiden Beleidigungen zu j e iooo D M Geldstrafe, im Uneinbringlichkeitsfall zu j e einem Monat Gefängnis. War das Schöffengericht in Karlszuhe zur Aburteilung zuständig? Wäre es auch zuständig gewesen, wenn A seinen Wohnsitz in Stuttgart gehabt hätte? Die Entscheidungen des Gerichts sind auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen.

FALL 2 Das Beschwerdeverfahren des Prof. Neumann aus Wiesbaden Professor Dr. Neumann in Wiesbaden hat dem Verlagsbuchhändler Friedreich in Heidelberg eine Anzahl seiner Werke in Verlag gegeben. Anfang M a i 1959 teilte Friedreich dem Professor Neumann mit, er sehe sich genötigt, den Ladenpreis der von ihm verlegten Werke vom i . J u n i ab um 1 0 — 1 5 Prozent zu erhöhen. Professor Neumann widersprach der beabsichtigten Erhöhung, da er nach § 4 des Verlagsvertrags eine fest bestimmte Summe für jedes verkaufte Werk zu beanspruchen hatte, so daß die ganze Erhöhung des Verkaufspreises dem Verleger zugute gekommen wäre. Trotz dieses Widerspruchs setzte der Verleger den Verkaufspreis um 1 5 Prozent hinauf und verkaufte eine Anzahl Werke um diesen neuen Preis. Professor Neumann erstattete nunmehr b e i d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t Heidelberg gegen den Verleger A n z e i g e wegen Vergehens strafbar nach § 3 8 Ziffer 1 des Gesetzes vom 19. J u n i 1901 betreffend Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst in Verbindung mit § 21 des Gesetzes über das Verlagsrecht vom 19. J u n i 1 9 0 1 . Der Beschuldigte wendete gegen die Anzeige ein, er sei bei richtiger Auslegung des Verlagsvertrags zur Erhöhung der Preise auch ohne Einwilligung des Urhebers berechtigt. E r habe bei dem Landgericht Wiesbaden bereits eine K l a g e gegen Professor Neumann anhängig gemacht, mit welcher er die Verurteilung des Beklagten zur Anerkennung seiner Berechtigung zur selbständigen Erhöhung der Ladenpreise begehre. Mit Beschluß vom 3. September 1959 hat die Staatsanwaltschaft, die aus besonderen, hier nicht interessierenden Gründen ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejahte (siehe §§ 374, 376 StPO), das Ermittlungsverfahren bis zur Erledigung dieses Rechtsstreits v o r l ä u f i g e i n g e s t e l l t . Gegen diesen Beschluß, der nicht förmlich zugestellt wurde, dem Anzeiger aber am 4. September — einem Sonntag — durch einfachen Brief zur Kenntnis kam, hat der Anzeiger mit einer am 17. September bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg eingegangenen Schrift B e s c h w e r d e an den Generalstaatsanwalt eingelegt und beantragt, die Einstellungsverfügung aufzuheben und die Staatsanwaltschaft zur Fortfüh-

Fall 3

5

rung des Strafverfahrens anzuweisen. Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde mit den Akten alsbald an den Generalstaatsanwalt in Karlsruhe weitergegeben, bei dem sie am 19. September einkam. Der Generalstaatsanwalt hat mit Verfügung vom 30. September dem Anzeiger eröffnet, daß er das Verfahren der Staatsanwaltschaft im Dienstaufsichtswege geprüft, aber keine Veranlassung gefunden habe, der Beschwerde eine weitere Folge zu geben. Er halte es in Ubereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft Heidelberg für zweckmäßig, vor der Fortführung des Strafverfahrens den Ausgang des bei dem Landgericht Wiesbaden schwebenden Rechtsstreit abzuwarten. Diese Verfügung ist dem Beschwerdeführer am 4. Oktober zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober — beim Oberlandesgericht Karlsruhe am 26. Oktober eingekommen — beantragte Rechtsanwalt Krücke in Wiesbaden im Auftrage des Professor Neumann g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g gemäß § 172 StPO. Er nahm auf die in den Akten der Staatsanwaltschaft Heidelberg befindliche Strafanzeige und die Beschwerdeschrift Bezug und bat, diese Akten, sowie nötigenfalls die Akten des Landgerichts Wiesbaden zu erheben. Vollmacht des Anzeigers, der sich auf einer Reise befinde, werde er nachbringen. Der Antrag sei zulässig, obgleich eine endgültige Ablehnung der öffentlichen Klage nicht erfolgt sei. Das O b e r l a n d e s g e r i c h t veranlaßte die Einsendung der Akten der Staatsanwaltschaft. Ehe diese einkamen, überschickte Professor Neumann mit Brief vom 11. November 1959 die von ihm dem Rechtsanwalt Krücke erteilte Vollmacht, wobei er die ganze Angelegenheit in einer ausführlichen Darstellung für das Oberlandesgericht erörterte. Wie wird das Oberlandesgericht in der Sache selbst und hinsichtlich der Kosten entscheiden und aus welchen Gründen?

FALL 3 Ein fehlerhaftes Vorverfahren Bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung (also n a c h Eröffnung des Hauptverfahrens) vor dem Amtsgericht (Schöffengericht) gegen H und Genossen wegen gewerbsmäßiger Hehlerei findet der Amtsrichter, der den fraglichen Fall in Vertretung seines plötzlich erkrankten Kollegen übernommen hat, beim Studium der Akten: 1. daß in dem v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n (unter Beobachtung der Vorschrift der §§ 169, 193 StPO) ein zur Hauptverhandlung nicht geladener Zeuge b e e i d i g t worden ist, mit der im Protokoll angegebenen Begründung, daß dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen der Schwierigkeit der Verkehrsverhältnisse nicht zugemutet werden könne; 2. daß in der später durchgeführten V o r u n t e r s u c h u n g der Neffe N des Angeschuldigten H gemäß § 66 Nr. 3 StPO e i d l i c h vernommen worden ist, ohne daß er ausweislich des Protokolls über sein Z e u g n i s -

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

v e r w e i g e r u n g s r e c h t und E i d e s v e r w e i g e r u n g s r e c h t belehrt worden war, und daß, wie spätere Feststellungen ergaben, auch gegen ihn der Verdacht der Beteiligung an der gewerbsmäßigen Hehlerei besteht; 3 . daß in der Voruntersuchung ein A u g e n s c h e i n in dem dem Gerichtsgebäude gegenüberliegenden Privathaus eingenommen worden ist, ohne daß der in Untersuchungshaft befindliche Angeschuldigte H von dem Termin benachrichtigt worden war, geschweige denn anwesend war; 4 . daß der Angeschuldigte S während der Voruntersuchung die B e s t e l l u n g eines V e r t e i d i g e r s schriftlich beantragt hatte, dieser Antrag aber, wohl versehentlich, nicht verbeschieden worden war; 5 . daß er selbst in der Voruntersuchung als S t e l l v e r t r e t e r des U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r s das Ersuchen um Einvernahme eines Zeugen an ein auswärtiges Gericht sowohl in den Akten als auch in der Ausfertigung unterschrieben hat; 6. daß die L a d u n g z u r H a u p t v e r h a n d l u n g auf den 25. Mai dem Angeklagten T am 20. Mai zugestellt worden ist. Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die Obliegenheiten des Amtsrichters?

FALL 4 Der Streit um den Haftbefehl In der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter in Mannheim beantragte der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte, nachdem er wegen Rückfalldiebstahls unter Annahme mildernder Umstände zu sechs Monaten Gefängnis, wobei drei Monate der erlittenen Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wurden, verurteilt worden war, und er sowohl wie der Staatsanwalt auf das Rechtsmittel der Berufung verzichtet hatten, sofort nach Verkündung des Urteils und Verzicht auf die Berufung, ihn aus der U n t e r s u c h u n g s h a f t zu entlassen, damit er zu Hause seine dringenden Feldgeschäfte erledigen könne. Der über diesen Antrag gehörte Staatsanwalt beantragte Abweisung desselben mit der Erklärung, er halte zwar auch eine Fluchtgefahr nicht mehr für vorliegend, allein er erachte es für rechtlich unzulässig, in diesem Stadium des Verfahrens noch einen Beschluß auf Aufhebung des Haftbefehls zu fassen. Als der Amtsrichter trotzdem einen dahingehenden Beschluß erließ, daß der Haftbefehl aufgehoben werde, erklärte der Staatsanwalt, daß er gegen diesen Beschluß Beschwerde einlege und deshalb beantrage, den Vollzug der Entscheidung auszusetzen. Der Amtsrichter gab diesem letzteren Antrag des Staatsanwalts statt und legte die Akten mit dem alle diese Vorgänge beurkundenden Hauptverhandlungsprotokoll dem Landgericht (Strafkammer) Mannheim zur Entscheidung vor. Wie ist das Verfahren des Amtsrichters zu beurteilen?

Fall 6

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FALL 5 Der flüchtige Angeklagte In der Hauptverhandlung wegen E r p r e s s u n g vor dem Schöffengericht in Karlsruhe stellte der Angeklagte Müller nach seiner Einvernahme den Antrag auf Ladung neuer Zeugen, durch welche er nachweisen werde, daß er nicht die Absicht gehabt habe, sich zu Unrecht zu bereichern. Durch Gerichtsbeschluß wurde dieser Antrag verworfen. Darauf verließ der Angeklagte in einem unbewachten Augenblick den Verhandlungssaal. Der Staatsanwalt beantragte, die Verhandlung zu Ende zu führen, den Angeklagten jedoch unter weitgehender Berücksichtigung seiner Verteidigung nicht wegen Erpressung, sondern wegen N ö t i g u n g zu verurteilen. Das Schöffengericht ging nicht auf diesen Antrag ein, beraumte Termin zur Fortsetzung der unterbrochenen Hauptverhandlung auf den elften T a g nach der Unterbrechung an und erließ gegen den Angeklagten wegen Fluchtverdachts Haftbefehl. Ein Freund des Angeklagten, Privatier Ohnesorg, leistete sofort durch Hinterlegung von 5000 D M in bar Sicherheit und wendete dadurch die Vollstreckung des Haftbefehls ab. Müller hatte sich darauf zu seinen Verwandten nach Stuttgart begeben. Ohnesorg teilte darauf der Staatsanwaltschaft die Adresse des Müller, die er wußte, mit. Daraufhin erwirkte die Staatsanwaltschaft die Verhaftung des Müller. Der Staatsanwalt beantragte nunmehr, die Sicherheit für die Staatskasse für verfallen zu erklären. Ohnesorg wendete dagegen ein, nach § 1 2 1 StPO sei durch die Verhaftung des Angeklagten die Sicherheit frei geworden, auch sei j a die Verhaftung durch ihn ermöglicht worden und er deshalb gemäß § 1 2 1 Abs. 2 S t P O schon aus diesem Grunde von der Haftung zu befreien. 1. Hätte das Schöffengericht, als Müller aus der Hauptverhandlung weglief, Urteil erlassen können? 2. Ist die Sicherheit als für die Staatskasse verfallen zu erklären?

FALL 6 Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung Nach Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsrichter war der A n g e k l a g t e g e s t o r b e n , bevor es zur Hauptverhandlung gekommen war. Der Verteidiger des Angeklagten, der seine Vollmacht dem Gericht bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegt hatte, richtete nun an das Amtsgericht den Antrag, das Verfahren e i n z u s t e l l e n und gemäß § 467 S t P O auszusprechen, daß die dem Angeklagten erwachsenen Kosten der Verteidigung der Staatskasse auferlegt würden. Der Amtsrichter wies diesen

8

Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

Antrag durch Beschluß ab, mit der Begründung, daß der vorliegende Fall Anlaß zu einer Einstellung des Verfahrens nicht biete. Hierauf stellte die Staatsanwaltschaft beim Amtsrichter den Antrag auf Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung, damit durch Urteil die Einstellung des Verfahrens ausgesprochen werde. Der Amtsrichter lehnte diesen Antrag ab mit der Begründung, daß im Hinblick auf den T o d des Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht mehr stattfinden könne. Die Staatsanwaltschaft legte nun gegen die bezeichneten beiden Entscheidungen die B e s c h w e r d e ein und beantragte in erster Reihe, die Einstellung des Verfahrens zu verfügen evtl. anzuordnen, daß zwecks Einstellung durch Urteil Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen sei. Wie wird das Beschwerdegericht entscheiden?

FALL 7 Die Berufung des Prokuristen Müller Der K a u f m a n n K a r l M a y e r in Heidelberg hatte am 2. J u l i 1959 in einer Heidelberger Zeitung ein I n s e r a t veröffentlicht, dessen Inhalt den Tatbestand des § 4 des Gesetzes gegen den u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b erfüllte (wissentlich unwahre Angaben über Beschaffenheit, Ursprung und Herstellungsart der von ihm vertriebenen Waren). Ein Konkurrent des Mayer, der zunächst ohne Inanspruchnahme einer Behörde den Fall zu klären versucht hatte, stellte am 15. Oktober 1959 S t r a f a n t r a g bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg. Diese erhob nach eingehenden Ermittlungen Anklage gegen Mayer wegen Vergehens nach § 4 des U W G . Das Hauptverfahren wurde vom Amtsgericht (Einzelrichter) Heidelberg eröffnet und Verhandlungstermin auf 7. J a n u a r i960 bestimmt. Kurze Zeit später lief bei der Staatsanwaltschaft eine Polizeimeldung des Inhalts ein, daß der Hauptschuldige an dem unlauteren Wettbewerb — insbesondere durch Abfassung des Inserats — der inzwischen aus der Firma Mayer ausgeschiedene P r o k u r i s t H e i n r i c h M ü l l e r sei, über dessen Beteiligung am besten der frühere L e h r l i n g S c h m i t t Auskunft geben könne. Unter Ubersendung dieser Meldung an den Amtsrichter beantragte der Staatsanwalt Aufhebung des Termins zur Hauptverhandlung und Überlassung der Akten zwecks Vornahme weiterer Erhebungen. Diese verzögerten sich erheblich, weil zunächst weder der Aufenthalt des Müller noch derjenige des Schmitt bekannt war. (Der Angeklagte Mayer selbst, der kurz nach Eröffnung des Hauptverfahrens schwer erkrankte, hatte bei einer polizeilichen Vernehmung eine Beteiligung des Müller in Abrede gestellt.) Nach mehrmonatlichen Bemühungen konnte schließlich Köln als Aufenthaltsort des S c h m i t t ermittelt werden.

Fall 7

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Der Staatsanwalt sandte daraufhin die Akten an das A m t s g e r i c h t K ö l n mit der Bitte, den Zeugen S c h m i t t darüber zu vernehmen, was ihm von der Beteiligung Dritter, insbesondere des Prokuristen M ü l l e r , an dem dem Mayer zur Last gelegten Vergehen bekannt sei. A m 7. J u n i i960 verfügte das A m t s g e r i c h t K ö l n mit dem Betreff: „ I n Strafsachen gegen K a r l M a y e r in Heidelberg wegen unlauteren Wettbewerbs" die Ladung des S c h m i t t auf 5. J u l i i960. S c h m i t t bestätigte bei seiner Vernehmung, daß M ü l l e r bei Abfassung des fraglichen Inserats vom 2. J u l i 1959 maßgebend beteiligt war. Außerdem ergab die Vernehmung, daß M ü l l e r nach seinem Ausscheiden aus der Firma Mayer nach F r a n k f u r t verzogen war. Bei der alsbald erfolgten richterlichen Vernehmung des M ü l l e r als Beschuldigten gab dieser zu, daß er den M a y e r bei der Abfassung des Inserats beraten hatte. Der Staatsanwalt erhob nunmehr a u c h g e g e n M ü l l e r A n k l a g e , und zwar wegen Beihilfe zu dem von M a y e r begangenen Wettbewerbsvergehen. Der Amtsrichter in Heidelberg eröffnete demgemäß am 10. August i960 das Hauptverfahren auch gegen Müller. A m 15. September i960 fand, da Mayer infolge Krankheit immer noch verhandlungsunfähig war, gegen M ü l l e r , und zwar in dessen Abwesenheit gemäß § 2 3 2 StPO H a u p t v e r h a n d l u n g v o r d e m A m t s r i c h t e r i n H e i d e l b e r g statt. M ü l l e r wurde zu 500 D M G e l d s t r a f e , hilfsweise 1 Monat Gefängnis verurteilt. Dieses Urteil wurde Müller am 1. Oktober i960 gemäß § 232, Abs. 4 S t P O zugestellt. A m 6. O k t o b e r t r a f b e i m A m t s r i c h t e r e i n S c h r e i b e n d e s M ü l l e r v o m 4. O k t o b e r e i n , i n d e m er e r k l ä r t e , d a ß er g e g e n d a s U r t e i l B e r u f u n g e i n l e g e , da ihm die Strafe zu hoch sei. In der B e r u f u n g s v e r h a n d l u n g v o r d e r S t r a f k a m m e r H e i d e l b e r g , zu der Müller, der sich auf einer Geschäftsreise in Heidelberg befand, in Begleitung eines Rechtsanwaltes erschienen war, wurde v o m V e r t e i d i g e r vorgetragen, das Verfahren müsse eingestellt werden, da der S t r a f a n t r a g nicht rechtzeitig gestellt und überdies die Strafverfolgung gegen Müller v e r j ä h r t sei. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft (ein junger Assessor) trat diesen Ausführungen des Verteidigers mit der Behauptung entgegen, das Gericht sei nicht befugt, die vom Verteidiger erhobenen Einwendungen gegen die Weiterführung des Verfahrens zu prüfen, da der Angeklagte seine Berufung auf das Strafmaß beschränkt habe; dadurch sei, so fuhr der Assessor fort, der gesamte außerhalb der Straffrage liegende tatsächliche und rechtliche Fragenkomplex rechtskräftig geworden und könne nicht mehr zum Gegenstande der Urteilsfindung in der Berufungsinstanz gemacht werden. E r könne es sich daher ersparen, so schloß der Vertreter der Staatsanwaltschaft seine Ausführungen, auf die Fragen des Strafantrags und der Verjährung einzugehen. E r beantrage die Verwerfung der Berufung des Angeklagten, da die vom Amtsrichter gegen ihn ausgesprochene Strafe durchaus schuldangemessen sei. 1 . Welche Grundsätze bestehen bezüglich der Frage der t e i l w e i s e n Anfechtung?

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

2. Ist die Ansicht des V e r t r e t e r s d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t richtig? 3. W i e sind die E i n w e n d u n g e n des R e c h t s a n w a l t s zu beurteilen? 4 . W i e w i r d die S t r a f k a m m e r , die eine Geldstrafe v o n 200 D M f ü r angemessen hält, entscheiden?

FALL 8 Der beleidigte Gemeinderat Gegen den Schneider N ö r g e l m a n n w u r d e das H a u p t v e r f a h r e n eröffnet, weil er d u r c h ein u n d dieselbe H a n d l u n g zu X . im M o n a t August i960 den G e m e i n d e r a t von X . als solchen u n d die G e m e i n d e r a t s m i t g l i e d e r mit d e m B ü r g e r m e i s t e r d u r c h eine in d e r Anklage n ä h e r bezeichnete K u n d g e b u n g beleidigt h a b e . Eine E r m ä c h t i g u n g i. S. des § 197 S t G B liegt vor; a u ß e r d e m h a b e n sämtliche Gemeinderatsmitglieder u n d d e r Bürgermeister S t r a f a n t r a g gestellt. D e r A m t s r i c h t e r h a t den Angeklagten wegen Beleidigung des G e m e i n d e r a t s (§§ 186, 197 StGB) verurteilt u n d in d e n Entscheidungsg r ü n d e n ausgeführt, d a ß lediglich der T a t b e s t a n d des § 186 StGB u n d nicht a u c h derjenige des § 185 StGB gegeben sei, u n d welche G r ü n d e f ü r die Strafzumessung m a ß g e b e n d w a r e n . Bezüglich der Frage, ob a u c h eine Beleidigung der e i n z e l n e n M i t g l i e d e r u n d des B ü r g e r m e i s t e r s vorliege, e n t h a l t e n die Urteilsgründe keine Feststellungen. Die S t r a f k a m m e r erläßt auf die B e r u f u n g des Angeklagten, d e r die i h m z u r Last gelegten Ä u ß e r u n g e n bestreitet, folgendes U r t e i l : „ D a s Urteil des Amtsgerichts v. . . . wird aufgehoben. D e r Angeklagte wird freigesprochen, soweit er wegen Beleidigung des G e m e i n d e r a t s verurteilt w o r d e n ist. Insoweit treffen die Kosten die Staatskasse. I m ü b r i g e n w i r d die Sache a n das Amtsgericht z u r Erledigung des Eröffnungsbeschlusses zurückverwiesen". A u c h die S t r a f k a m m e r hält, wie in d e n U r t e i l s g r ü n d e n ausgeführt wird, die d e m Angeklagten z u r Last gelegten Ä u ß e r u n g e n f ü r erwiesen, ist aber der Ansicht, d a ß eine Beleidigung des G e m e i n d e r a t s n i c h t vorliege u n d h ä l t m i t Rücksicht auf den I n h a l t des Eröffnungsbeschlusses eine P r ü f u n g f ü r nötig, o b nicht d u r c h die den Gegenstand d e r Anklage b i l d e n d e K u n d g e b u n g die einzelnen G e m e i n d e r a t s m i t g l i e d e r u n d d e r B ü r g e r m e i s t e r beleidigt seien. I n d e r e r n e u t e n H a u p t v e r h a n d l u n g erkennt der Amtsrichter a b e r mals d a h i n , d a ß der Angeklagte wegen Beleidigung des G e m e i n d e r a t s verurteilt w i r d u n d f ü h r t in d e n Urteilsgründen aus, w a r u m eine gleichzeitige Beleidigung a u c h d e r einzelnen Gemeinderatsmitglieder u n d des Bürgermeisters nicht vorliege. Gegen dieses Urteil legt der Staatsanwalt R e v i s i o n ein lediglich m i t d e r Begründung, d a ß das Amtsgericht bei seiner zweiten Entscheidung an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts g e b u n d e n gewesen sei.

Fall 9

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Es liege eine Verletzung des § 328 Abs. 2 StPO vor; es werde daher Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung beantragt. 1. Die Urteile des Amtsgerichts und der Strafkammer sind auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. 2. Wie wird das R e v i s i o n s g e r i c h t , das der Ansicht ist, daß nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern eine solche der Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters vorliege, entscheiden?

FALL 9 Ein kompliziertes Revisionsverfahren Der Amtsrichter in Mannheim hat am 1. März i960 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen den Tüncher R u d o l f F i n z e r und den Gipser O t t o B r u n n e r aus Mannheim durch Strafbefehl eine Gefängnisstrafe von je zwei Monaten festgesetzt unter der Beschuldigung, daß sie in gemeinschaftlicher Ausführung am 5. Februar i960 dem Spezereihändler F r i e d r i c h K r a u s e in Mannheim aus seiner unverschlossenen Ladenkasse 500 D M gestohlen haben. Die Beschuldigten hatten die Tat zugegeben. Der Strafbefehl wurde rechtskräftig. Nachdem beide die gegen sie erkannte Gefängnisstrafe verbüßt hatten, erfuhr der Kriminalkommissar Benz, der den Fall bearbeitet hatte, von dritter Seite, daß F i n z e r an seinen Bruder, den Arbeiter K a r l F i n z e r , einen Brief geschrieben habe, der das Geständnis enthalte, daß B r u n n e r und er bei dem Diebstahl noch eine verschlossene Kassette, die ganz hinten in der Ladenkasse gestanden und in der Krause weitere 2000 D M verwahrt habe, mit entwendet und nachher in der Wohnung des F i n z e r erbrochen und das Geld sich angeeignet hätten. K r a u s e , der das Fehlen der Kassette noch nicht bemerkt hatte, bestätigte dem Kommissar Benz auf Vorhalt ihren Verlust. Kommissar Benz begab sich darauf ohne besonderen Auftrag der Staatsanwaltschaft zu K a r l F i n z e r und vernahm ihn zur Sache. Dieser bestritt, von seinem Bruder einen Brief des besagten Inhalts erhalten zu haben und verbat sich die Durchsuchung seiner Person und seiner Wohnung, die ihm der Kommissar androhte, wenn er den Brief nicht freiwillig herausgebe. Bei der trotzdem vorgenommenen Durchsuchung fand der Beamte den Brief, b e s c h l a g n a h m t e ihn und legte ihn mit entsprechender Meldung der Staatsanwaltschaft vor. Mittlerweile hatte die Staatsanwaltschaft in Erfahrung gebracht, daß F i n z e r in seiner Jugend mehrere Vorstrafen wegen einfachen und schweren Diebstahls erlitten hatte. (Diese Tatsache war infolge eines Irrtums der Strafregisterbehörde dem Amtsrichter bei Erlaß des Strafbefehls nicht bekannt.) Die Staatsanwaltschaft erwirkte gegen die beiden Beschuldigten Haftbefehl und erhob vor der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m eine neue Anklage gegen Rudolf Finzer und Otto Brunner wegen gemeinschaftlich verübten schweren Diebstahls i. S. der §§ 242, 243 Z. 2, 47 StGB, begangen seitens F i n z e r unter den Rückfallvoraussetzungen des § 244 StGB. Gleichzeitig

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

wurde gegen diesen Beschuldigten als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher die S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g beantragt. In der H a u p t v e r h a n d l u n g v o r d e r S t r a f k a m m e r am 15. August i960, in der die beiden Angeklagten von Rechtsanwalt Dr. F i s c h e r verteidigt wurden, gaben die Angeklagten den einfachen Diebstahl wieder zu, bestritten aber, auch die Kassette gestohlen zu haben. Der B r i e f des R u d o l f F i n z e r an seinen Bruder K a r l kam zur V e r l e s u n g . Kommissar B e n z bestätigte als Zeuge den Hergang bei der Beschlagnahme des Briefes. Ein zweiter Zeuge, der Schlosser F r i t z B r e n n e i s e n , dessen Ladung vor der Hauptverhandlung von dem Verteidiger zur Entlastung der Angeklagten beantragt und von dem Vorsitzenden des Gerichts auch verfügt worden war, war trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Hauptverhandlung nicht erschienen. Der Verteidiger beantragte wegen Ausbleibens dieses Zeugen die Vertagung der Hauptverhandlung und erneute Ladung des Zeugen. Der Antrag wurde vom Gericht ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Die Beweisaufnahme wurde darauf geschlossen und von dem Vorsitzenden nach Anhörung des Staatsanwalts und des Verteidigers, und nachdem die beiden Angeklagten das letzte Wort erhalten hatten nach geheimer Beratung folgendes Urteil verkündet: „ D i e Angeklagten R u d o l f F i n z e r und O t t o B r u n n e r aus Mannheim werden wegen gemeinschaftlich verübten schweren Diebstahls i. S. der §§ 242, 243 Z. 2, 47 S t G B verurteilt, und zwar Finzer zu einer Gefängnisstrafe von 1 J a h r und 2 Monaten und Brunner zu einer Gefängnisstrafe von 8 Monaten. Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der gegen den Angeklagten Finzer gestellte Antrag auf Sicherungsverwahrung wird abgelehnt". Gleichzeitig wurde durch Gerichtsbeschluß die Fortdauer der Untersuchungshaft verkündet. Bei der Eröffnung der Urteilsgründe führte der Vorsitzende aus, daß das Gericht auf Grund des verlesenen Briefes des Angeklagten R u d o l f F i n z e r an seinen Bruder K a r l die volle Überzeugung gewonnen habe, daß beide Angeklagten gemeinschaftlich bei dem Diebstahl a u c h d i e K a s s e t t e des Spezereihändlers K r a u s e entwendet, diese nachher in der Wohnung des R u d o l f F i n z e r erbrochen und ihren Inhalt sich angeeignet hätten. Diese T a t erfülle den Tatbestand der §§ 242, 243 Z. 2, 47 des StGB. I m übrigen machte der Vorsitzende eingehende, in der Hauptsache rechtliche Ausführungen über die Gründe, die für das Gericht bestimmend gewesen seien, bezüglich der T a t des Angeklagten F i n z e r das Vorliegen der Rückfallvoraussetzungen nach § 244 S t G B zu verneinen und den Antrag auf Sicherungsverwahrung abzulehnen. Schließlich nahm der Vorsitzende noch zur Frage des Strafmaßes Stellung und gab zum Schluß die Gründe bekannt, die zur Nichtanrechnung der Untersuchungshaft führten. Die schriftlichen Urteilsgründe hatten im wesentlichen den gleichen Inhalt. Gegen das Urteil legten beide Angeklagte R e v i s i o n ein, und zwar F i n z e r mit einem Schreiben vom 23. August i960, das am 24. August

Fall 9

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i960, u n d B r u n n e r mit einem Schreiben vom 19. August, das a m 20. August i960 bei der S t r a f k a m m e r einkam. N a c h d e m den Angeklagten a m 15. September i960 das Urteil zugestellt war, beauftragten sie ihren Verteidiger, der schon inhaltlich seiner in erster Instanz vorgelegten Vollmacht zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt war, die Revision zu begründen. Er t a t dies mit folgender Revisionsrechtfertigung, die a m 20. September i960 bei der S t r a f k a m m e r einkam: M a n n h e i m , den 19. September i960. I n St. S. gegen Rudolf Finzer u n d O t t o Brunner aus M a n n h e i m wegen schweren Diebstahls. Ich beantrage die A u f h e b u n g des gegen F i n z e r u n d B r u n n e r erlassenen Urteils der S t r a f k a m m e r in M a n n h e i m vom 15. August i960 u n d Zurückverweisung der Sache zur anderweiten V e r h a n d l u n g u n d Entscheidung a n die Vorinstanz. Es wird Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren gerügt, u n d zwar: 1. Es wird gerügt, d a ß das Gericht die Beweisaufnahme nicht auf d e n vorgeladenen Zeugen Schlosser B r e n n e i s e n erstreckt u n d d e m auf Vert a g u n g der H a u p t v e r h a n d l u n g wegen Ausbleibens dieses Zeugen gestellten Antrage nicht stattgegeben u n d zudem den ablehnenden Beschluß nicht begründet hat. 2. Es wird weiter gerügt, d a ß der Brief des Angeklagten F i n z e r a n seinen Bruder K a r l als U r k u n d e in der H a u p t v e r h a n d l u n g verlesen worden ist, anstatt den K a r l F i n z e r über den Inhalt des Briefes zu vernehmen. 3. Es wird a u ß e r d e m Verletzung des Grundsatzes ,,ne bis in i d e m " gerügt. Die beiden Angeklagten hätten von der S t r a f k a m m e r nicht verurteilt werden dürfen, weil sie wegen derselben T a t d u r c h den Strafbefehl des Amtsrichters vom 1. M ä r z i960 bereits rechtskräftig bestraft worden sind. Die A n w e n d u n g des Strafgesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis ist daher fehlerhaft u n d somit auch das materielle Recht verletzt. Dr. Fischer, Rechtsanwalt. N a c h d e m die Akten zur Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft vorgelegt waren, u n d diese auf eine Gegenerklärung verzichtet hatte, erfolgte die Einsendung der Akten a n das Revisionsgericht durch die Staatsanwaltschaft. A m 15. November i960 fand die H a u p t v e r h a n d l u n g vor d e m Revisionsgericht statt. W ä h r e n d gerade der Fall verhandlt wurde, k a m ein T e l e g r a m m des Rechtsanwalts Dr. Fischer folgenden Inhalts ein: „ I c h n e h m e die Revision des Angeklagten R u d o l f F i n z e r gegen das Urteil der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m vom 15. August i960 hiermit zurück . Dr. Fischer, Rechtsanwalt.

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

Das Telegramm kam in der Hauptverhandlung, noch bevor sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen hatte, zur Verlesung. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmte der Zurücknahme der Revision zu. 1. Entspricht die Revisionsrechtfertigung des Rechtsanwalts Fischer vom 19. September i960 den Vorschriften der Strafprozeßordnung? 2. Sind die Revisionsrügen berechtigt? 3. Wie wird das Revisionsgericht über die Revisionen der beiden Angeklagten Finzer und Brunner entscheiden?

FALL 10 Unzuverlässiges Kanzleipersonal Am 16. November 1959 wurde der Angeklagte K a r l W e i ß von der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m wegen mehrerer Verbrechen nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt. Am 19. November 1959 bat Weiß seinen Verteidiger, gegen dieses Urteil R e v i s i o n einzulegen. Infolge Verschuldens des Kanzleipersonals des Rechtsanwalts gelangte das die Revisionseinlegung enthaltende Schriftstück mit Vollmacht erst am 24. November 1959 zum Landgericht. Dieses v e r w a r f gemäß § 346 StPO durch Beschluß, der dem Rechtsanwalt am 7. Dezember 1959 zugestellt wurde, die Revision als u n z u l ä s s i g . Am 12. Dezember 1959 kam beim Landgericht ein auf die Revisionseinlegung Bezug nehmender A n t r a g des Rechtsanwalts vom 11. Dezember auf W i e d e r e i n s e t z u n g in den v o r i g e n S t a n d ein. Diesem Antrag hatte der Verteidiger eine eidesstattliche Versicherung seines Bürovorstehers beigefügt, in der dieser bekundete, daß der Kanzleiangestellte X, der im Auftrage des Bürovorstehers am 23. November 1959 mit dem die Revisionseinlegung enthaltenden Schriftstück zum Landgericht geschickt worden sei, auf ausdrückliches Befragen nach seiner Rückkehr die Ausführung des Auftrags behauptet, in Wirklichkeit aber das Schriftstück erst zwei Tage später beim Gericht abgegeben habe. Die Strafkammer erließ am 22. Dezember 1959 entgegen dem Antrag des Staatsanwalts, der unter Hinweis auf § 45 Abs. 2 und unter Bezugnahme auf § 346 Abs. 2 StPO die Verwerfung des Gesuchs beantragte, folgenden Beschluß: Der Angeklagte wird in bezug auf den Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil der Strafkammer Mannheim vom 16. November 1959 in den vorigen Stand wieder eingesetzt. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen (§§ 46, 473 Abs. 3 StPO.) 1. War die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sachlich gerechtfertigt und entsprach das Verfahren den gesetzlichen Vorschriften? 2. Welche Bedeutung kommt insbesondere den Einwendungen des Staatsanwalts zu?

Fall 1 1

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FALL 11 Der wankelmütige Angeklagte A m 15. September i960 wurde der Händler E m i l S c h w a r z vom A m t s r i c h t e r i n S t u t t g a r t wegen Urkundenfälschung, begangen in Tateinheit mit Betrug, zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Der Angeklagte, dessen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt worden war, verzichtete am 20. September i960 zu Protokoll des Gefängnisaufsehers auf das Rechtsmittel der Berufung, erklärte dann aber am gleichen T a g e in einem Schreiben seine „Unterschrift für hinfällig" und legte Berufung ein. Beide Schriftstücke sind am 2 1 . September i960 bei dem Amtsgericht eingegangen. Das Landgericht — Strafkammer — Stuttgart, an das die Akten gemäß § 3 2 1 StPO gelangt waren, v e r w a r f gemäß § 3 2 2 Abs. 1 S. 1 als Berufungsgericht durch Beschluß am 17. Oktober i960 die Berufung als unzulässig mit der Begründung, es sei nach den angestellten Ermittlungen anzunehmen, daß dem Amtsgericht der Widerruf des Rechtsmittelverzichts mit der Berufungseinlegung erst n a c h Eingang des Verzichts zugegangen sei. Auf sofortige B e s c h w e r d e d e s V e r t e i d i g e r s des Angeklagten wurde der Beschluß des Landgerichts durch das O b e r l a n d e s g e r i c h t S t u t t g a r t aufgehoben und das Landgericht angewiesen, der Berufung des Angeklagten Fortgang zu geben. Das Oberlandesgericht stellte sich dabei auf den Standpunkt, daß zugunsten des Angeklagten anzunehmen sei, daß der Widerruf des Verzichts mit der Berufungseinlegung z u e r s t bei dem Amtsgericht eingegangen sei, da eine Klarstellung nach dieser Richtung nicht habe geschaffen werden können. In der darauf anberaumten B e r u f u n g s v e r h a n d l u n g vom 15. Dezember i960 beantragte der V e r t e i d i g e r lediglich Herabsetzung der vom Amtsrichter ausgesprochenen Strafe, da die Notlage, in der sich sein Mandant zur Zeit der T a t befunden habe, nicht genügend berücksichtigt worden sei. Der S t a a t s a n w a l t stellte den Antrag, die Berufung abermals als unzulässig zu verwerfen, da der Gerichtsbeschluß vom 17. Oktober i960 zu Recht ergangen sei; eine Herabsetzung der Strafe komme jedenfalls nicht in Frage. Der V e r t e i d i g e r erhielt auf seinen Antrag nochmals das Wort und erklärte, die Strafkammer dürfe gar nicht prüfen, ob der oberlandesgerichtliche Beschluß zu Recht ergangen sei, sondern habe ihn als rechtskräftige und bindende Vorentscheidung anzusehen und demgemäß in Befolgung der vom Oberlandesgericht erteilten Weisung in der Sache selbst zu entscheiden. Die S t r a f k a m m e r gelangte nach abermaliger Prüfung der Frage, ob wirksam Berufung eingelegt sei, zu dem in dem Beschluß vom 17. Oktober i960 festgestellten Ergebnis und verwarf daher durch Urteil die Berufung als unzulässig gemäß § 322 Abs. 1, S. 2 StPO. E n t h ä l t das U r t e i l der S t r a f k a m m e r eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g ?

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

FALL 12 Der Autounfall des Alexander Schnell Der Autoverkäufer A l e x a n d e r S c h n e l l hat mit dem Vorführwagen seiner Firma am i. Oktober i 9 6 0 einen Verkehrsunfall verschuldet und dabei seinen im P K W mitfahrenden B r u d e r B r u n o verletzt. Bruno stellt zunächst Strafantrag, worauf die Staatsanwaltschaft gegen Alexander Schnell Anklage vor dem Amtsgericht (Einzelrichter) erhebt. Als Bruno auf Drängen seines Bruders in der Hauptverhandlung am 10. Dezember i 9 6 0 seinen Strafantrag zurücknimmt, verneint der als Vertreter der Staatsanwaltschaft erschienene Referendar (R) ein besonderes öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung. 1. Konnte Bruno Schnell in der Hauptverhandlung den bereits gestellten Strafantrag wieder zurücknehmen? Konnte die Zurücknahme für ihn nachteilige Folgen haben? 2. Konnte Referendar R in der Hauptverhandlung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneinen, nachdem die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bis dahin bejaht hatte? 3. Wie wird das Gericht bei der gegebenen Sachlage entscheiden? 4. Wie ist die Rechtslage, wenn das Gericht das Verfahren gemäß § 260 I I I einstellt und Bruno nach Rechtskraft des Urteils an den Folgen seiner durch den Unfall erlittenen Verletzungen stirbt? K a n n in diesem Fall ein neues Verfahren eingeleitet werden? 5. Wie ist zu verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft nach dem T o d Brunos auf Grund der veränderten Sachlage gegen Alexander wegen fahrlässiger Tötung Anklage vor dem Schöffengericht erhebt und in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht der begründete Verdacht aufkommt, daß Alexander den Unfall vorsätzlich verschuldet hat, um seinen Bruder, mit dem er schlecht stand, zu töten und gleichzeitig auch sich das Leben zu nehmen? 6. Das Schöffengericht erkennt zwar seine sachliche Unzuständigkeit, übersieht aber § 270 und stellt das Verfahren durch Urteil nach § 260 I I I ein: welche prozessualen Möglichkeiten hat in diesem Fall die Staatsanwaltschaft? 7. Die Staatsanwaltschaft entschließt sich für eine Anklage vor dem Schwurgericht: muß sie die Rechtskraft des vom Schöffengericht erlassenen Einstellungsurteils abwarten oder kann sie sofort die Klage erheben?

FALL 13 Die unbelehrbare Dirne Die Dirne V e r o n i k a H o r r wird am I . J u n i i 9 6 0 vom Amtsgericht (Einzelrichter) wegen fortgesetzten öffentlichen Anbietens zur Unzucht (§ 361 Ziffer 6 StGB) zu einer Haftstrafe von 6 Wochen verurteilt. Gegen

Fall 14

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dieses Urteil legt sie form- u n d fristgerecht Berufung ein. A m 1. J u l i u n d 8. J u l i i960 k o m m t sie erneut wegen Ü b e r t r e t u n g gem. § 361 Ziff. 6 S t G B z u r Anzeige. Der Staatsanwalt erhebt w i e d e r u m Anklage vor d e m Amtsgericht wegen zweier rechtlich selbständiger H a n d l u n g e n . I n der H a u p t v e r h a n d l u n g vor d e m Einzelrichter a m 1. August i960 b e a n t r a g t er f ü r j e d e der beiden H a n d l u n g e n eine H a f t s t r a f e von 4 W o c h e n , a u ß e r d e m Einweisung in ein Arbeitshaus. 1. Wie wird d e r Amtsrichter entscheiden, w e n n er n a c h Eintritt in die H a u p t v e r h a n d l u n g zur Ü b e r z e u g u n g k o m m t , d a ß die beiden angeklagten Vorfälle a m i . J u l i u n d 8 . J u l i i960 als Teilakte der bereits a m i . J u n i i960 abgeurteilten fortgesetzten T a t anzusehen sind u n d a) die Sache d u r c h Urteil der Kleinen S t r a f k a m m e r v o m 15. J u l i i960 bereits rechtskräftig abgeschlossen ist, b) die Berufungsverhandlung noch aussteht? 2 . Welche Höchststrafe k a n n die Kleine S t r a f k a m m e r i m Falle b) aussprechen, w e n n sie die Auffassung des Amtsrichters teilt? K a n n die Einweisung in ein Arbeitshaus ausgesprochen w e r d e n ? 3 . W i e ist die rechtliche Situation, w e n n die Kleine S t r a f k a m m e r entgegen d e r Ansicht des Amtsrichters d a v o n ausgeht, d a ß die beiden V o r fälle a m i . J u l i u n d 8 . J u l i i960 rechtlich selbständige H a n d l u n g e n d a r stellen?

FALL 14 Die Einziehung des Jagdgewehrs D e r Staatsanwalt h a t bei d e m Amtsrichter E r l a ß eines S t r a f b e f e h l s gegen einen L a n d w i r t b e a n t r a g t , weil er u n t e r V e r l e t z u n g f r e m d e n J a g d r e c h t s d e m Wilde nachgestellt h a t (§ 292 StGB). Der A n t r a g lautete auf einen M o n a t Gefängnis u n d E i n z i e h u n g des Gewehrs, das d e m Bruder des L a n d w i r t s gehörte. Der Amtsrichter e r k a n n t e auf die b e a n t r a g t e Gefängnisstrafe, die E i n z i e h u n g des Gewehrs ist j e d o c h nicht ausgesproc h e n w o r d e n . N a c h d e m der L a n d w i r t die Gefängnisstrafe bereits v e r b ü ß t h a t t e , k a m e n die Akten d e m Staatsanwalt wieder in die H ä n d e , u n d er ersah aus ihnen, d a ß seinem A n t r a g auf Einziehung des Gewehrs nicht entsprochen w a r . E r e r h o b d a r a u f wegen derselben T a t A n k l a g e vor d e m Amtsrichter u n t e r Hinweis d a r a u f , d a ß d e m A n t r a g e auf E i n z i e h u n g des Gewehrs nicht entsprochen sei, in diesem U m f a n g e deshalb Rechtsk r a f t nicht h a b e eintreten können. Der Amtsrichter, der lediglich infolge eines I r r t u m s die Einziehung des Gewehrs nicht ausgesprochen hatte, schloß sich dieser Auffassung a n u n d verurteilte den L a n d w i r t zu einer Gefängnisstrafe von einem M o n a t unter A n r e c h n u n g d e r bereits v e r b ü ß t e n Strafe u n d sprach die E i n z i e h u n g des Gewehrs aus. Der L a n d w i r t u n d dessen Bruder b e g a b e n sich d a r a u f u n m i t t e l b a r n a c h der V e r k ü n d u n g des Urteils zu einem R e c h t s a n w a l t u n d berieten sich mit ihm, o b mit Aussicht P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

auf Erfolg das Urteil des Amtsrichters angefochten w e r d e n könne. M a n entschloß sich, Berufung einzulegen. 1. W i e wird der R e c h t s a n w a l t die Berufung b e g r ü n d e n ? 2 . W a s h ä t t e der S t a a t s a n w a l t t u n müssen, u m die b e a n t r a g t e Einzieh u n g des Gewehrs durchzusetzen, w e n n er v o r der Rechtskraft des Strafbefehls von d e r u n t e r b l i e b e n e n E i n z i e h u n g K e n n t n i s b e k o m m e n h ä t t e ? 3. H ä t t e der Staatsanwalt n a c h Rechtskraft des Strafbefehls die Einziehung des Gewehrs g e m ä ß §§ 43off. S t P O erreichen k ö n n e n ? 4. W i e w ä r e die F r a g e 3 zu b e a n t w o r t e n , w e n n das G e w e h r d e m L a n d wirt selbst gehört h ä t t e ? 5 . W i e w ä r e die Rechtslage, w e n n das G e w e h r d e m L a n d w i r t gehört h ä t t e u n d dieser vor E r l a ß des Straf befehls gestorben w ä r e ?

FALL 15 Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandet J o s e f B r a n d e l ist a m 1. D e z e m b e r 1959 v o n d e m Amtsrichter in K a r l s r u h e wegen gefährlicher K ö r p e r v e r l e t z u n g (§ 223 a StGB) zu einer Gefängnisstrafe v o n einem M o n a t verurteilt worden, weil er n a c h den Feststellungen des Gerichts in der N a c h t v o m 28. auf 29. O k t o b e r 1959 d e m I g n a z T r e i b e r auf d e r Straße aufgelauert u n d mit einem starken S t o c k einen Schlag auf d e n K o p f versetzt h a t t e . Das Urteil stützte sich hauptsächlich auf das Zeugnis des beeidigten G u s t a v K a i s e r , der a n g a b , er h a b e u n m i t t e l b a r vor d e m Uberfall d e n Angeklagten B r a n d e l m i t einem Prügel b e w a f f n e t hinter d e r Wirtschaft gesehen, in d e r sich der Überfallene T r e i b e r b e f u n d e n h a b e . D e r Angeklagte h a t t e in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g zwar zugegeben, d a ß er d e n T r e i b e r mit seinem Stock geschlagen, dagegen in A b r e d e gestellt, d a ß er i h m aufgelauert h a b e u n d geltend g e m a c h t , 1. er sei v o n T r e i b e r überfallen worden, u n d er h a b e lediglich in Notwehr gehandelt; 2 . überdies sei er u n t e r den N a c h w i r k u n g e n eines epileptischen A n falles gestanden u n d infolge d a v o n z u r e c h n u n g s u n f ä h i g gewesen. D e r Amtsrichter h a t t e d e n ersten Teil d e r Verteidigung d u r c h das Zeugnis des K a i s e r u n d d e n zweiten d u r c h ein ausführlich begründetes G u t a c h t e n des Gerichtsarztes als widerlegt angesehen. N a c h Eintritt d e r Rechtskraft des Urteils erschien d e r auf freiem F u ß befindliche Verurteilte auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts seines W o h n ortes (Durlach), ü b e r g a b eine v o n i h m v e r f a ß t e u n d unterzeichnete Erkläru n g u n d t r u g vor, er wolle einen A n t r a g a u f W i e d e r a u f n a h m e d e s V e r f a h r e n s stellen, die B e g r ü n d u n g sei in d e r ü b e r g e b e n e n Schrift enthalten. D e m e n t s p r e c h e n d n a h m der U r k u n d s b e a m t e zu Protokoll, d a ß d e r Erschienene d e n A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e des d u r c h das rechtskräftige Urteil des A m t s r i c h t e r s zu K a r l s r u h e v o m 1. D e z e m b e r 1959 erledigten

Fall 16

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Verfahrens stelle und sich trotz gegenteiliger Belehrung durch ihn, den Beamten, zur Begründung auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte, vom Verurteilten übergebene schriftliche Erklärung beziehe. In dem übergebenen Schriftstück ist gesagt, daß sich der Antrag auf § 359 Ziffer 5 der StPO stütze und hierzu folgendes vorgetragen: 1. Der Zeuge K a i s e r sei wissentlich von der Wahrheit abgewichen; man berufe sich auf Schulze und Müller, die bezeugen würden, daß K a i s e r gar keine Wahrnehmungen gemacht haben konnte, weil er an fraglichem Abend seine fern vom Tatort gelegene Wohnung nicht verlassen hatte; mithin lägen eine neue Tatsache und neue Beweismittel vor, die geeignet seien, seine Freisprechung zu begründen. 2. Es werde das in der Hauptverhandlung abgegebene Gutachten angefochten. a) Er berufe sich auf den praktischen Arzt Dr. Blum, der als Sachverständiger begutachten werde, daß er bei Begehung der Tat z u r e c h n u n g s u n f ä h i g gewesen sei. Auch dieses neue Beweismittel sei zur Begündung seiner Freisprechung geeignet. b) Zum mindesten werde der Sachverständige Blum dartun, daß bei Begehung der Tat seine Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t g e m i n d e r t gewesen sei. In diesem Falle werde ihm das Gericht mildernde Umstände zubilligen und eine geringere Strafe gegen ihn aussprechen. Das Amtsgericht Durlach legte den Antrag dem Amtsgericht Karlsruhe zur Entschließung vor. Wie ist der Antrag zu beurteilen 1. nach Form, 2. nach Inhalt (das Vorbringen unter 1 und 2 a—b soll im einzelnen behandelt werden) und welchen Beschluß wird der Amtsrichter in Karlsruhe auf den Antrag erlassen?

FALL 16 Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht Dem in Köln wohnhaften Agenten F r i t z L e i c h t hatte am 1. November 1959 der ebenfalls in Köln wohnhafte Maurermeister A u g u s t S t e i n bei einem Wirtshausstreit vorgeworfen, die E h e f r a u L e i c h t treibe Ehebruch mit dem in Bonn wohnhaften Regierungsbaumeister F r a n z H e r g e r t . Es sei eine Schande für einen Staatsbeamten, dem man so etwas nachsage, eine noch größere Schande aber sei es für den „gefälligen" Ehemann, der diesem Treiben ruhig zusehe. L e i c h t erhob am 2. November 1959 Privatklage für sich und namens seiner Ehefrau, von der er Vollmacht vorlegte, gegen S t e i n wegen Verleumdung (§ 187 StGB) beim Amtsrichter in Köln. Die Privatklage wurde dem S t e i n vorschriftsmäßig mitgeteilt und nach Zahlung des Gebührenvorschusses am 16. November 1959 das Hauptverfahren antragsgemäß eröffnet. Am 30. November 1959 fand Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter in Köln statt, zu der die z«

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E h e l e u t e L e i c h t und S t e i n erschienen. Letzterer gab die Äußerung zu und beantragte lediglich die eidliche Vernehmung der E h e f r a u L e i c h t als Zeugin über ihre Beziehungen zu H e r g e r t . Der Amtsrichter gab dem Antrag statt; die E h e f r a u L e i c h t wurde als Zeugin vernommen und beschwor, daß sie zu H e r g e r t in keinerlei geschlechtsvertraulichen Beziehungen stehe. Daraufhin verurteilte der Amtsrichter den Angeklagten auf Grund des § 187 S t G B zu sechs Wochen Gefängnis. Hiergegen legte der Angeklagte frist- und formgerecht B e r u f u n g ein. Nach Ablauf der Fristen der § § 3 1 4 , 3 1 7 StPO wurden die Akten der Strafkammer des Landgerichts Köln prozeßordnungsgemäß vorgelegt. Inzwischen hatte aber auch H e r g e r t durch L e i c h t von der Äußerung des S t e i n erfahren. E r machte davon seiner vorgesetzten Behörde Mitteilung und diese stellte auf Grund des § 196 S t G B am 10. November 1959 Strafantrag gegen S t e i n bei der Staatsanwaltschaft Köln. Die Staatsanwaltschaft ließ S t e i n , H e r g e r t und die E h e l e u t e L e i c h t durch die Kriminalpolizei vernehmen; dabei war wohl von dem Privatklageverfahren die Rede, der Kriminalbeamte war aber der Ansicht, daß dieses für das staatsanwaltschaftliche Verfahren ohne Bedeutung sei, belehrte auch die Beteiligten in diesem Sinne und unterließ es zudem, die betreffenden Angaben in seiner Meldung zu erwähnen. Die Staatsanwaltschaft erhob nunmehr öffentliche K l a g e vor dem Amtsgericht Köln, und die zuständige Abteilung des Amtsgerichts (eine andere als die mit der Privatklage befaßte) eröffnete am 25. November 1959 das Hauptverfahren. In der Sache fand am 10. Dezember 1959 Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter statt. Z u derselben war außer dem Angeklagten nur H e r g e r t als Zeuge erschienen, die weiter geladene E h e f r a u L e i c h t war am T a g e vor der Verhandlung an einem Herzschlag verstorben. Der Angeklagte bestritt auch jetzt die Äußerung nicht und wendete gegenüber der Anklage nur ein, er sei j a wegen der Äußerung bereits verurteilt. Der Amtsrichter erhob kurzerhand die Akten des Privatklageverfahrens, entnahm daraus, daß dieses noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, beachtete aber den Einwand des Angeklagten nicht weiter, da das Offizialverfahren dem Privatklageverfahren vorgehe. E r vernahm dann den H e r g e r t als Zeugen, verlas nach Verkündung eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses trotz Widerspruchs des Angeklagten aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 30. November 1959 die Aussagen der E h e f r a u L e i c h t und verurteilte schließlich den S t e i n wegen Verleumdung des H e r g e r t zu drei Monaten Gefängnis. Auch hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Freisprechung ein. Gemäß § 321 StPO gelangen die Akten an den Staatsanwalt. Er zieht die Akten des Privatklageverfahrens bei und prüft die beiden Verfahren sowohl in der Richtung etwaiger Verstöße gegen Verfahrensnormen und ihrer Wirkungen, als nach der des Erfolgs der Berufungen an H a n d des Strafprozeßrechts. Welches wird das Ergebnis dieser kritischen Prüfung sein? Welche Erklärungen wird er abzugeben, welche Anträge zu stellen haben, wenn

Fall 17

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er die Verurteilung des S t e i n wegen Beleidigung der E h e l e u t e L e i c h t und des H e r g e r t erzielen will? K a n n er die Verurteilung des S t e i n zu der als angemessen zu erachtenden Strafe von drei Monaten Gefängnis erreichen?

FALL 17 Eine überstürzte Anzeige Der 18 J a h r e alte Sohn eines Kaufmanns war in Mannheim eines Nachts auf der Straße vor einer Wirtschaft, in der er vorher mit seinem Vater gewesen war, mit einem S c h l o s s e r in Streit geraten, in dessen Verlauf der S c h l o s s e r dem Sohne des Kaufmanns mit einem kräftigen Stock •— seiner Art nach zweifellos ein gefährliches Werkzeug — einen schweren Schlag auf den K o p f versetzte und ihn nicht unerheblich verletzte. Eine mehrwöchentliche kostspielige Krankenhausbehandlung war notwendig geworden. Bei dem S c h l o s s e r befand sich in der Unglücksnacht dessen Freund, ein S c h r e i n e r , der sich aber bei dem ganzen Streit passiv verhielt. In dem Augenblick, als der Sohn des Kaufmanns den Schlag erhielt, kam sein Vater gerade aus der Wirtschaft heraus und sah noch, wie sein Sohn den Schlag bekam und zusammenbrach und wie unmittelbar darauf zwei jüngere Männer davonsprangen. Als den einen erkannte er in der Dunkelheit den S c h r e i n e r , den S c h l o s s e r erkannte er dagegen nicht. Obwohl nun der K a u f m a n n darüber, wer von den beiden den Schlag geführt hatte, sich keineswegs ganz sicher war, erklärte er schon bei der Anzeige, die er noch in der gleichen Nacht bei der Kriminalpolizei erstattete, und auch bei späteren Vernehmungen mit Bestimmtheit, der S c h r e i n e r sei der Täter gewesen. Der S c h r e i n e r , der in Haft genommen wurde, bestritt mit allem Nachdruck, der Täter gewesen zu sein und erklärte immer und immer wieder, er sei nur zufällig Zeuge des Streites gewesen, der andere junge Mann habe die T a t vollführt, wie dieser heiße und wer er sei — er wollte seinen Freund in der Hoffnung, daß er selbst bald wieder auf freien Fuß komme, schonen •— wisse er aber nicht; er sei nur deshalb davongesprungen, weil er eben den Unannehmlichkeiten, denen Zeugen zumeist ausgesetzt seien, habe aus dem Wege gehen wollen. Die Staatsanwaltschaft erwirkte die Aufhebung des Haftbefehls und stellte das V e r f a h r e n gegen den S c h r e i n e r w e g e n g e f ä h r l i c h e r K ö r p e r v e r l e t z u n g n a c h § 2 2 3 a StGB m a n g e l s B e w e i s e s ein. Der Generalstaatsanwalt wies auf die B e s c h w e r d e des Vaters die Staatsanwaltschaft Mannheim zur Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Schreiner wegen Vergehens nach § 223 a S t G B an. Diese erhob demgemäß Anklage gegen den Schreiner vor dem Amtsrichter in Mannheim. K u r z darauf s t a r b d e r S o h n und zwar an einer Lungenentzündung, die in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit der Mißhandlung stand. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens schloß sich der K a u f m a n n der erhobenen öffentlichen Klage als N e b e n k l ä g e r an. Der Amtsrichter

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

sprach nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch Beschluß die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschlüsse aus. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter erschien der K a u f m a n n in Begleitung eines mit Vollmacht versehenen Rechtsanwalts. Der Nebenkläger wurde als Zeuge vernommen. Er bestätigte unter Eid seine schon bei der Anzeige und im Vorverfahren gemachten Angaben, allerdings mit der Einschränkung, daß er nicht mehr mit Bestimmtheit wie bisher aufrechterhalten könne, daß der Angeklagte tatsächlich der Täter gewesen sei. Nach reiflicher Überlegung sei er zu der Uberzeugung gelangt, d a ß er sich in der Person getäuscht und auch der andere junge M a n n den Schlag geführt haben könne. Nach seiner Vernehmung war die Beweislage trotzdem immerhin so, daß mit der Verurteilung des S c h r e i n e r s zu rechnen war. Da trat der im Gerichtssaal anwesende S c h l o s s e r an den Richtertisch und bat um seine Vernehmung; er sei in der Lage, wichtige Angaben zu machen. Das Gericht beschloß, ihn — zunächst unbeeidigt —• zu hören. Der S c h l o s s e r gab darauf eine wahrheitsgemäße Schilderung des ganzen Verlaufes des Streites und versicherte, daß nicht der S c h r e i n e r , sondern e r der Täter gewesen sei. Der Staatsanwalt beantragte die Freisprechung des Angeklagten u n d sein Verteidiger außerdem, daß die sämtlichen der Staatskasse und dem S c h r e i n e r erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger auferlegt werden sollten, da der Nebenkläger durch seine ursprüngliche bestimmte Angabe bei der Anzeigeerstattung u n d den späteren Vernehmungen, der Schreiner sei der Täter gewesen, zum mindesten grob fahrlässig gehandelt und dadurch das Verfahren gegen diesen veranlaßt habe. Der Nebenkläger und sein Vertreter traten diesem letzteren Antrage des Verteidigers entgegen. Der Amtsrichter s p r a c h darauf zwar den Angeklagten von der erhobenen Anklage f r e i , wies aber den Antrag des Verteidigers, die der Staatskasse und dem Angeklagten erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger aufzuerlegen, in der Formel des Urteils mit der in den Entscheidungsgründen gegebenen Begründung zurück, das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, daß die Anzeige des Nebenklägers auf g r o b e r F a h r l ä s s i g k e i t beruhe. Gegen das Urteil hat der Verteidiger des freigesprochenen Angeklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt und in seiner Berufungsrechtfertigung folgendes ausgeführt: Die Frage, ob der K a u f m a n n überhaupt als Nebenkläger von dem Erstinstanzgericht hätte zugelassen werden dürfen, wolle er dahingestellt sein lassen. Sein Angriff richte sich lediglich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Uberbürdung der Kosten des Verfahrens auf den Nebenkläger. Der Nebenkläger habe durch seine bestimmte Angabe bei der Anzeigeerstattung und den späteren Vernehmungen, der Schreiner sei der Täter gewesen, zum allermindesten grob fahrlässig gehandelt und deshalb beantrage er, das Urteil des Amtsrichters bezüglich dieses Punktes aufzuheben u n d seinem von ihm in der ersten Instanz gestellten Antrage, den er wiederhole, zu entsprechen.

Fall 18

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1. Durfte der K a u f m a n n als Nebenkläger zugelassen werden? 2. Durfte er als Zeuge eidlich vernommen werden? 3. Unterliegt die Frage der Anschlußberechtigung der Prüfung des Berufungsgerichts ? 4. Auf welche Bestimmung gründet sich der Antrag des Verteidigers in der Kostenfrage? 5. Wie wäre die Frage der Zulassung als Nebenkläger zu entscheiden, wenn eine schwere Körperverletzung i. S. des § 224 StGB in Frage stünde? 6. Wie ist die Frage 5 zu entscheiden, wenn der Sohn nicht gestorben ist.

FALL 18 Der falsche Angeklagte Ein in Karlsruhe unter dem Namen E r w i n W e l t z wohnhafter Mechaniker war vom dortigen Amtsgericht wegen Übertretung nach § 360 Nr. 4 StGB im Abwesenheitsverfahren nach § 232 StPO zu einer Haftstrafe von 2 Wochen verurteilt worden. Die Zustellung des Urteils an ihn erwies sich als unmöglich, weil er kurz nach der Urteilsverkündung Karlsruhe verlassen hatte und sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte. Es wurde deshalb ein Suchvermerk bei der Strafregisterbehörde niedergelegt. Diese teilte nach 4 Monaten mit, Weltz sei inzwischen in Stuttgart verurteilt worden und wohne noch dort. Nunmehr wurde das Urteil dem Weltz in Stuttgart gemäß § 232 IV StPO durch Ubergabe zugestellt. Er legte rechtzeitig B e r u f u n g ein mit der Begründung, er sei nicht der T ä t e r ; zur Zeit der Tat habe er sich im Rheinland aufgehalten, es liege jedenfalls ein Mißbrauch seines Namens und seiner Ausweispapiere vor, die ihm vor Jahresfrist von einem Berufsgenossen gestohlen worden seien. Die Erhebungen ergaben die Richtigkeit dieser Angaben, worauf die Strafkammer den Erwin Weltz, der die Berufung eingelegt hatte, unter Aufhebung des amtsrichterlichen Urteils f r e i s p r a c h . In den Gründen wurde ausgeführt: Als Verurteilter sei immer der anzusehen, der vor Gericht gestanden oder gegen den sich die in seiner Abwesenheit durchgeführte Verhandlung gerichtet habe. Trotzdem müsse demjenigen, der dem Namen nach verurteilt worden sei, solange als die Persönlichkeit des wahren Täters noch nicht feststehe, das Recht zustehen, das gegen ihn ergangene, äußerlich zu Recht bestehende Urteil aus der Welt zu schaffen. Hierzu stehe ihm nur das ordentliche Rechtsmittel zur Verfügung, nachdem das Urteil ihm zugestellt worden sei. Der dem N a m e n nach verurteilte Nichttäter müsse danach freigesprochen werden, während gegen den wahren Täter, dessen Persönlichkeit zunächst nicht feststeht, für den Fall der Ermittelung eine neue Anklage zu erheben sei. I. Ist das Verfahren und das Urteil des Berufungsgerichts richtig? Wenn nicht, wie hätte es verfahren und entscheiden müssen?

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

I I . Welche Wirkungen hätte das Urteil des Amtsrichters für den Verurteilten, und welche für den richtigen Namensträger gehabt, wenn es rechtskräftig geworden wäre? I I I . Welche Ersatzansprüche hätte der richtige Erwin Weltz gehabt, und gegen wen, wenn gegen ihn eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe infolge eines hier nicht interessierenden Irrtums vollstreckt worden wäre? I V . Was hat zu geschehen, wenn sich in einer Hauptverhandlung folgendes herausstellt: 1. Der geladene Erschienene ist nicht der Täter; die Ladung war nicht dem Täter, sondern einer anderen Person gleichen Namens zugestellt worden; 2. Der Erschienene ist nicht der Täter, sondern dessen Bruder, der sich f ü r den Täter verurteilen lassen will; 3. Der unter dem Namen K a r l Maier Erschienene ist zwar der Täter; er heißt aber in Wirklichkeit August Müller und hat sich vor J a h r e n den Namen K a r l Maier zu Unrecht beigelegt. 4. Der Erschienene ist nicht der Täter August Müller, sondern eine andere Person gleichen Namens, der infolge eines hier nicht interessierenden Irrtums schon die Anklageschrift zugestellt worden ist.

Zweiter Teil

Die Lösungen

Der i. Teil: „Die Fälle" (Seiten i—24) liegt gesondert geheftet in der Tasche des hinteren Deckels

ZU FALL 1 A. Die Zuständigkeit und der A u f b a u der Strafgerichte I. Unter Zuständigkeit versteht man die Befugnis eines Gerichts, in einer Strafsache eine Entscheidung zu treffen. Man unterscheidet s a c h l i c h e und ö r t l i c h e Zuständigkeit. 1. Durch die Vorschriften über die s a c h l i c h e Zuständigkeit wird festgestellt, welche A r t v o n G e r i c h t für die Verhandlung und Entscheidung einer bestimmten Strafsache berufen ist. Die diesbezüglichen Bestimmungen enthält das G e r i c h t s v e r f a s s u n g s g e s e t z (GVG). (Siehe unten Abschnitt B.) 2. Die Bestimmungen über die ö r t l i c h e Zuständigkeit regeln die Frage, welches der sachlich zuständigen Gerichte im E i n z e l f a l l in Tätigkeit zu treten hat. Die diesbezüglichen Bestimmungen enthält die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g (StPO). (Siehe unten Abschnitt G.) II. Der A u f b a u der Strafgerichte 1. Die o r d e n t l i c h e S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t wird ausgeübt durch A m t s g e r i c h t e , L a n d g e r i c h t e , O b e r l a n d e s g e r i c h t e und durch den Bundesgerichtshof. 2. Die A m t s g e r i c h t e entscheiden durch E i n z e l r i c h t e r oder S c h ö f f e n g e r i c h t e (Amtsrichter als Vorsitzender und zwei Schöffen, § 29 I GVG bzw. erweitertes Schöffengericht mit zwei Amtsrichtern und zwei Schöffen, § 29 II GVG). Ferner gibt es beim Amtsgericht noch den J u g e n d r i c h t e r (Amtsrichter) bzw. das Jugendschöffengericht (Amtsrichter mit zwei J u gendschöffen § 33 JGG). 3. Bei den L a n d g e r i c h t e n entscheiden die S t r a f k a m m e r n , die für die Entscheidungen a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung besetzt sind mit d r e i Richtern und in der Hauptverhandlung in einer Besetzung von d r e i Richtern und z w e i Schöffen ( g r o ß e Strafkammer) oder in einer Besetzung von e i n e m Richter und z w e i Schöffen ( k l e i n e Strafkammer) in Tätigkeit treten (§ 76 GVG). Ferner gibt es bei den Landgerichten noch die J u g e n d k a m m e r n (drei Richter und zwei Schöffen) sowie die S c h w u r g e r i c h t e ( d r e i Richter und s e c h s Geschworene, § 81 GVG).

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I I . Teil: Lösungen

4. Bei den O b e r l a n d e s g e r i c h t e n entscheiden S t r a f s e n a t e , besetzt mit d r e i Richtern, in der H a u p t v e r h a n d l u n g des ersten Rechtszuges mit f ü n f Richtern (§122 G V G ) . 5. Die S t r a f s e n a t e des B u n d e s g e r i c h t s h o f s entscheiden in der Besetzung von f ü n f Mitgliedern (§ 139 G V G ) . Der g r o ß e S e n a t f ü r S t r a f s a c h e n besteht aus d e m Präsidenten u n d acht Mitgliedern (§132 GVG). 6. I n e r s t e r I n s t a n z entscheiden: Der Amtsrichter, Jugendrichter, das Schöffengericht, bzw. erweitertes Schöffengericht u n d (Bezirks-) Jugendschöffengericht, die große S t r a f k a m m e r bzw. J u g e n d k a m m e r , das Schwurgericht u n d die Strafsenate des Bundesgerichtshofs (ausnahmsweise diejenigen der Oberlandesgerichte). In der B e r u f u n g s i n s t a n z entscheiden die große u n d die kleine S t r a f k a m m e r . I n der R e v i s i o n s i n s t a n z entscheiden die Strafsenate der Oberlandesgerichte u n d des Bundesgerichtshofs. B. Die sachliche Zuständigkeit im einzelnen I . Das Amtsgericht ist z u s t ä n d i g (siehe § 24 G V G ) f ü r Ü b e r t r e t u n g e n u n d f ü r V e r g e h e n , wenn nicht die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt oder die Zuständigkeit des Landgerichts n a c h § 74 a G V G oder des Bundesgerichtshofs nach § 134 G V G begründet ist; ferner f ü r V e r b r e c h e n , wenn nicht die Zuständigkeit des Schwurgerichts oder des Bundesgerichtshofs begründet oder im Einzelfall eine höhere Strafe als zwei J a h r e Zuchthaus oder Ausspruch der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist oder die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt. Das Amtsgericht darf nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als zwei J a h r e Zuchthaus u n d nicht auf Sicherungsverw a h r u n g erkennen. 1. Der A m t s r i c h t e r entscheidet als E i n z e l r i c h t e r (siehe § 25 G V G ) : a) Bei Ü b e r t r e t u n g e n ; b) bei V e r g e h e n , wenn sie im Privatklageweg verfolgt werden; ferner wenn die T a t mit keiner höheren Strafe als G e f ä n g n i s v o n s e c h s M o n a t e n allein oder in V e r b i n d u n g mit anderen Strafen oder mit Nebenfolgen bedroht ist; u n d schließlich, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage z u m Einzelrichter erhebt u n d keine höhere Strafe als Gefängnis von e i n e m J a h r zu erwarten ist; c) bei V e r b r e c h e n , die n u r wegen Rückfalls Verbrechen sind, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage z u m Einzelrichter erhebt u n d keine höhere Strafe als Gefängnis von einem J a h r zu erwarten ist. 2. Das S c h ö f f e n g e r i c h t (ein Richter u n d zwei Schöffen) e n t s c h e i d e t (siehe § 28 G V G ) in allen zur Zuständigkeit der Amtsgerichte ge-

Fall I

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hörenden Strafsachen (siehe oben Abschnitt I), soweit nicht der Amtsrichter allein entscheidet. Die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen werden von dem Amtsrichter erlassen. Der z w e i t e Amtsrichter (erweitertes Schöffengericht) wird nur dann zugezogen, wenn dem Verfahren ein besonders umfangreicher Sachverhalt zugrundeliegt und die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt oder wenn ein Gericht höherer Ordnung das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet, § 29 II GVG. 3. Der J u g e n d r i c h t e r (Einzelrichter): a) Seine S t r a f g e w a l t (siehe § 26 GVG und §39 JGG): Jugendstrafe bis zu einem Jahr, ferner alle Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln sowie alle nach § 6 JGG zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen. Jugendstrafe von unbestimmter Dauer darf der Jugendrichter als Einzelrichter nie aussprechen. Die Verhängung von Maßregeln der Sicherung und Besserung (§ 42 a StGB) ist im Jugendstrafrecht allgemein beschränkt auf Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt und Fahrerlaubnisentziehung, § 7 JGG. b) Seine Z u s t ä n d i g k e i t : Für alle Jugendgerichtssachen im Rahmen seiner Strafgewalt, soweit nicht Anklage vor dem Jugendschöffengericht oder der Jugendkammer erhoben wird. c) U n z u l ä s s i g ist gegen einen J u g e n d l i c h e n (§§ 7gff. JGG): Strafbefehlsverfahren (§§ 407ff. StPO), beschleunigtes Verfahren (§212 StPO), Entschädigungsverfahren (§§ 403ff. StPO) sowie Privatklage (§§ 374ff. StPO) und Nebenklage (§§ 395ff. StPO). 4. Das J u g e n d s c h ö f f e n g e r i c h t (ein Amtsrichter und zwei Schöffen) ist zuständig für alle Verfehlungen, die nicht zur Zuständigkeit eines anderen Jugendgerichts gehören, § 40 I JGG. Das Jugendschöffengericht kann bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens die Entscheidung der Jugendkammer herbeiführen, ob diese die Sache wegen ihres besonderen Umfangs übernehmen will, § 40 II JGG. Die Strafgewalt des Jugendschöffengerichts ist unbeschränkt, soweit es sich um Strafen und Maßnahmen des Jugendstrafrechts handelt; das Jugendschöffengericht kann also alle nach dem JGG zulässigen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Strafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen, Maßregeln der Sicherung und Besserung, insbesondere aber die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer aussprechen. Steht allerdings die Anwendung des allgemeinen Strafrechts in Frage (nur bei Heranwachsenden möglich, § 107 ff. JGG), so sind gemäß § 108 III JGG dieselben Beschränkungen wie in § 24 II GVG zu beachten. II. Beim Landgericht entscheiden als erkennende Gerichte die S t r a f k a m m e r n (kleine und große Strafkammern), die S c h w u r g e r i c h t e und die J u g e n d k a m m e r n . 1. Die k l e i n e Strafkammer (Vorsitzender und zwei Schöffen) tritt nur als B e r u f u n g s g e r i c h t gegen Urteile des Amtsrichters in Tätigkeit (§76 GVG). P c t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

2 . Die g r o ß e S t r a f k a m m e r (drei R i c h t e r mit Einschluß des Vorsitzend e n u n d zwei Schöffen) ist z u s t ä n d i g : a) Als erkennendes Gericht des e r s t e n R e c h t s z u g e s f ü r alle V e r b r e c h e n , die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts, des Schwurgerichts oder des Bundesgerichtshofs gehören. Die große S t r a f k a m m e r ist f e r n e r zuständig f ü r alle V e r g e h e n u n d V e r b r e c h e n , die von d e r Staatsanwaltschaft bei ihr angeklagt werden (siehe oben Abschnitt I), oder v o m Amtsgericht an sie verwiesen sind, weil seine Strafgewalt zu ihrer A b u r t e i l u n g nicht ausreicht. (N. B. Die Zuständigkeitsregelung der §§ 24, 74 G V G , die der Staatsanwaltschaft die Befugnis e i n r ä u m t , im Einzelfall j e n a c h der Bedeutung des Falles Anklage vor d e m Amtsgericht — Einzelrichter oder Schöffengericht •— oder vor der G r o ß e n S t r a f k a m m e r zu erheben, ist nicht verfassungswidrig. Art. 101 G G ist nicht verletzt, vgl. B G H 9, 367; a. A. Eb. Schmidt, L e h r k o m m e n t a r , Teil I I A n m . 7 zu § 209 S t P O ) . b ) Als B e r u f u n g s g e r i c h t gegen die Urteile des Schöffengerichts (siehe §§ 74, 76 G V G ) . c) F ü r das S i c h e r u n g s v e r f a h r e n n a c h §§42gaff. als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges (§ 429b Abs. 3 S t P O ) . d) Eine S t r a f k a m m e r des Landgerichts, in dessen Bezirk das O b e r l a n desgericht seinen Sitz hat, ist f ü r d e n Bezirk des Oberlandesgerichts als e r k e n n e n d e n Gerichts des ersten Rechtszuges zuständig f ü r die V e r g e h e n u n d V e r b r e c h e n d e r §§ 84, 90—97, l o o d I I u n d I I I , 129, 129a, 234a u n d 241a S t G B (§ 74a G V G ) . (Die S t r a f k a m m e r n , besetzt mit d r e i R i c h t e r n , sind ferner g e m ä ß § 73 G V G noch zuständig f ü r die die V o r u n t e r s u c h u n g betreffenden Entscheidungen u n d schließlich f ü r die Entscheidungen ü b e r B e s c h w e r d e n gegen V e r f ü g u n g e n des Untersuchungsrichters u n d des Amtsrichters sowie gegen Entscheidungen des Amtsrichters u n d des Schöffengerichts.) 3 . Die S c h w u r g e r i c h t e (drei R i c h t e r mit Einschluß des Vorsitzenden u n d sechs Geschworene) sind z u s t ä n d i g f ü r M o r d ( § 2 1 1 StGB), T o t schlag (§ 212 StGB) u n d K i n d s t ö t u n g (§ 217 StGB), ferner f ü r die Verb r e c h e n des StGB n a c h §§ 178, 221 Abs. 3 letzter Halbsatz, 226, 229 Abs. 2 letzter Halbsatz, 239 Abs. 3, 251, 252, 255 StGB, w e n n die Strafe aus § 251 StGB zu e n t n e h m e n ist, §§ 307, 311 StGB, w e n n die Strafe aus § 307 StGB zu e n t n e h m e n ist, §§312 Abs. 1 letzter Halbsatz, 321 Abs. 2 letzter H a l b s a t z , 324 letzter Halbsatz, 341 i. V e r b , mit 23g Abs. 3 StGB u n d § 5 Abs. 2 zweiter Halbsatz, Abs. 3 des Sprengstoffgesetzes (§ 80 GVG). Die drei R i c h t e r u n d sechs Geschworenen entscheiden ü b e r die S c h u l d u n d S t r a f f r a g e g e m e i n s c h a f t l i c h ; Beschlüsse u n d V e r f ü g u n g e n a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g erlassen w ä h r e n d der T a g u n g die drei richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts u n d a u ß e r h a l b d e r T a g u n g die mit drei R i c h t e r n besetzte S t r a f k a m m e r (§ 82 G V G ) .

Fall i

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4. Die J u g e n d k a m m e r n (drei Richter, zwei Schöffen). Ihre S t r a f g e w a l t entspricht der des Jugendschöffengerichts. Sie sind zuständig in Sachen, a) die nach allgemeinem Strafrecht unter die Zuständigkeit des Schwurgerichts fallen, b) die nach Vorlage durch das Jugendschöffengericht übernommen werden (s. o. I 5), c) wenn gegen einen Heranwachsenden nach allgemeinem Strafrecht eine höhere Strafe als zwei Jahre Zuchthaus oder Sicherungsverwahrung auszusprechen ist (§ 108 III, Satz 2). Beschlüsse und Verfügungen a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung erläßt die mit drei Richtern besetzte Jugendkammer (§ 76 Abs. 1 GVG). III. Bei den Oberlandesgerichten entscheiden S t r a f s e n a t e . Sie sind gemäß § 120 GVG z u s t ä n d i g : 1. Im ersten und letzten Rechtszug (besetzt mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden) in den Strafsachen, die nach § 134 a I GVG von dem Oberbundesanwalt an die Landesstaatsanwaltschaft abgegeben werden oder in denen der Bundesgerichtshof nach § 134 a III GVG bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Entscheidung dem Oberlandesgericht überweist. 2. In der Besetzung mit d r e i Richtern einschließlich des Vorsitzenden (siehe § 122 GVG Abs. 1) zur Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der R e v i s i o n a) gegen die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Amtsr i c h t e r s (siehe §§ 313, 334 StPO), b) gegen die B e r u f u n g s u r t e i l e der k l e i n e n und g r o ß e n Strafkammer, c) a u s n a h m s w e i s e gegen die Urteile der großen Strafkammer und der Schwurgerichte, wenn nämlich die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird (§121 Abs. 1 Nr. 1 GVG). (Die O b e r l a n d e s g e r i c h t e sind s c h l i e ß l i c h noch z u s t ä n d i g zur Entscheidung über die B e s c h w e r d e gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammer oder des Bundesgerichtshofs begründet ist (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG.) IV. Beim Bundesgerichtshof entscheiden die S t r a f s e n a t e (besetzt mit f ü n f Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden, § 139 GVG). 1. in e r s t e r und l e t z t e r Instanz bei Hoch- und Landesverrat, bei Verfassungsverrat, bei Anschlägen gegen ausländische Staatsmänner nach § 102 StGB, bei Parlamentsnötigung, bei Verstößen gegen § 138 StGB, wenn die Unterlassung sich auf eine Tat bezieht, die zur Zuständigkeit des BGH gehört, sowie bei Völkermord i. S. von § 220 StGB; 2. über die R e v i s i o n gegen die Urteile der S c h w u r g e r i c h t e und die Urteile der g r o ß e n Strafkammer im ersten Rechtszuge, soweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist (§135 GVG). s*

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II. T e i l : Lösungen Y . Der Instanzenzug (Rechtszug).

Amtsrichter

Schöffengericht (1 Richter, 2 Schöffen)

;

1

Kleine Strafkammer (1 Richter, 2 Schöffen)

Große Srafkammer (3 Richter, 2 Schöffen)

I l

;

Oberlandesgericht (3 Richter) I m Falle des § 313 S t P O ist B e r u f u n g ausgeschlossen u n d n u r die Revision gegeben

Große Strafkammer (3 Richter, 2 Schöffen)

I

Oberlandesgericht (3 Richter)

Schwurgericht (3 Richter. 6 Geschworene)

i Bundesgerichtshof (5 Richter) Oberlandesgericht (3 Richter) falls Landesrecht verletzt

Bundesgerichtshof (5 Richter) Oberlandesgericht (3 Richter) falls Landesrecht verletzt

Im übrigen k a n n Jedes Urteil des A m t s richters u n d des Schöffengerichts u n t e r U m g e h u n g der B e r u f u n g s i n s t a n z sofort m i t der Revision a n g e f o c h t e n w e r d e n . (§ 335 S t P O )

VI. Die P r ü f u n g der sachlichen Zuständigkeit durch das Gericht. Die Prüfung der s a c h l i c h e n Zuständigkeit ist niemals von einem A n t r a g oder einem E i n w a n d abhängig. Das Gericht hat vielmehr v o n A m t s w e g e n g e m ä ß § 6 S t P O in jeder L a g e des Verfahrens s e i n e Z u ständigkeit zu prüfen. 1. D i e P r ü f u n g d e r s a c h l i c h e n stanz :

Zuständigkeit

in erster

In-

a) V o r E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s : aa) Ist der A m t s r i c h t e r schon bei Erhebung der K l a g e der Ansicht, d a ß die bei ihm eingereichte Sache die Zuständigkeit des Amtsgerichts ü b e r s t e i g t , so legt er die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem L a n d g e r i c h t z u r E n t s c h e i d u n g vor (§ 209 Abs. 3 S t P O ) . Einer ausdrücklichen Unzuständigkeitserklärung bedarf es in diesem Falle nicht. bb) Das L a n d g e r i c h t ist g e m ä ß § 209 Abs. 1 S t P O befugt, das Hauptverfahren auch vor den zu seinem Bezirk gehörenden Gerichten n i e d e r e r O r d n u n g zu eröffnen. In einem solchen Falle m u ß sich das für zuständig erachtete Gericht der H a u p t v e r h a n d l u n g unterziehen, auch w e n n es sich selbst für unzuständig hält. b) N a c h E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s : aa) G e w i n n t das Gericht e r s t i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g die Uberzeugung, d a ß seine Zuständigkeit zur Aburteilung der T a t nicht aus-

Fall I

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reicht, d a n n m u ß es d u r c h B e s c h l u ß seine U n z u s t ä n d i g k e i t aussprechen u n d die Sache a n d a s z u s t ä n d i g e G e r i c h t v e r w e i s e n (§ 270 Abs. 1 S t P O ) . (Nach E. 64, 179 k a n n eine solche Verweisung schon d a n n stattfinden, sobald sich in der V e r h a n d l u n g , o h n e d a ß alle zu Gebote stehenden Beweismittel vorher e r h o b e n zu w e r d e n b r a u c h e n , ein die h ö h e r e Zuständigkeit b e g r ü n d e t e r V e r d a c h t ergibt.) bb) Ein Gericht darf sich aber in der H a u p t v e r h a n d l u n g nicht deshalb f ü r u n z u s t ä n d i g erklären, weil die Sache vor ein Gericht n i e d e r e r O r d n u n g gehöre (§ 269 S t P O ) . 2 . Das m i t d e r B e r u f u n g b e f a ß t e G e r i c h t ( S t r a f k a m m e r ) h a t die sachliche Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz g e m ä ß § 328 Abs. 3 S t P O ebenfalls v o n A m t s w e g e n z u p r ü f e n u n d gegebenenfalls u n t e r A u f h e b u n g des angefochtenen Urteils die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen, u n d zwar, im Gegensatz zu d e m Fall des § 270 S t P O nicht d u r c h Beschluß, sondern d u r c h U r t e i l (siehe a u c h E. 75, 304). 3 . A u c h das Revisionsgericht h a t v o n A m t s wegen d a r a u f zu achten, o b die sachliche Zuständigkeit in d e m V e r f a h r e n , das zu d e m angefocht e n e n Urteil geführt h a t , nicht überschritten ist ( B G H 7, 27; 10, 74; 13, 157). W i r d festgestellt, d a ß das Gericht d e r vorigen Instanz sich mit U n r e c h t f ü r zuständig erklärt h a t , so verweist das Revisionsgericht n a c h A u f h e b u n g des Urteils die Sache a n das zuständige Gericht (§ 355). 4. Die U n t e r s u c h u n g s h a n d l u n g e n eines sachlich unzuständigen Gerichts sind nicht schon aus diesem G r u n d e ungültig.

VII. Besondere sachliche Zuständigkeit auf Grund des Zusam-

m e n h a n g s . (§§ 2—5 S t P O )

1. Besteht zwischen einer Strafsache u n d einer a n d e r e n Strafsache, f ü r die ein Gericht h ö h e r e r O r d n u n g sachlich zuständig ist, ein Z u s a m m e n h a n g , so k ö n n e n beide Strafsachen im Wege der V e r b i n d u n g bei d e m Gericht h ö h e r e r O r d n u n g a n h ä n g i g g e m a c h t w e r d e n (§ 2 S t P O ) . Eine V e r b i n d u n g z u s a m m e n h ä n g e n d e r Sachen ist n a c h B G H 4, 152 a u c h d a n n möglich, w e n n sich die V e r f a h r e n i n v e r s c h i e d e n e n T a t s a c h e n i n s t a n z e n befinden. Die V e r b i n d u n g h a t den Vorteil, d a ß die Persönlichkeit des Angeklagten umfassender beurteilt w e r d e n k a n n u n d im Falle d e r V e r u r t e i l u n g eine nachträgliche G e s a m t s t r a f e n b i l d u n g n a c h § 79 S t G B bzw. § 460 S t P O erspart bleibt. Der I n s t a n z e n z u g wird nicht v e r k ü r z t : Der Angeklagte h a t auf j e d e n Fall das Rechtsmittel der Revision. 2 . Ein Z u s a m m e n h a n g ist n a c h § 3 S t P O v o r h a n d e n : a) w e n n e i n e Person m e h r e r e r Straftaten beschuldigt wird ( p e r s ö n l i c h e r Z u s a m m e n h a n g ) , oder b) w e n n bei einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g m e h r e r e Personen als T ä t e r , T e i l n e h m e r , Begünstiger oder H e h l e r beschuldigt w e r d e n ( s a c h l i c h e r Z u s a m m e n h a n g ) . § 3 ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. N u r dort, wo m e h r e r e Personen b e i m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e r Betracht u n g als T ä t e r , T e i l n e h m e r , Begünstiger oder H e h l e r an der T a t beteiligt

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I I . Teil: Lösungen

waren, kann eine Verbindung vorgenommen werden. Es genügt dagegen nicht, daß mehreren Taten im materiell-rechtlichen Sinn der gleiche Lebensvorgang zugrundeliegt, wie das z. B. bei der aktiven und passiven Bestechung der Fall ist. Hier kommt allenfalls eine Verbindung nach § 237 in Betracht (vgl. BGH 11, 130). 3 . Die V e r b i n d u n g kann erfolgen: a) durch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t , indem sie von vornherein die Strafsachen gemeinsam bei dem Gericht höherer Ordnung anklagt, b) oder n a c h t r ä g l i c h durch Gerichtsbeschluß. (§ 4 StPO). 4. Auch wenn der Zusammenhang nicht der in § 3 bezeichnete ist, kann das Gericht die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Strafsachen zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung anordnen (§ 237 StPO).

C. Die örtliche Zuständigkeit ( I n den folgenden Ausführungen des ganzen B u c h e s betreffen die Paragraphenzahlen die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g )

Die Frage der ö r t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t ist, wie schon oben in Abschnitt A I 2 erwähnt wurde, in der Hauptsache in der Strafprozeßordnung behandelt (§§ 7 — 21). Der Ausdruck G e r i c h t s s t a n d betrifft ausschließlich die ö r t l i c h e Zuständigkeit. (N. B. Die hier behandelten Fragen betreffen nur die örtliche Zuständigkeit für den P r o z e ß a l s G a n z e s ; die örtliche Zuständigkeit für einzelne Prozeßhandlungen [Vernehmung von Zeugen, Verhaftung usw.] ist jeweils bei den betreffenden Gesetzesstellen behandelt.)

I. Die einzelnen Gerichtsstände 1. Begründet wird der G e r i c h t s s t a n d in erster Linie durch den B e g e h u n g s o r t (§ 7), ferner durch den W o h n s i t z bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort oder letzten Wohnsitz des Beschuldigten (§ 8), schließlich durch den Ergreifungsort ( § 9 ) . a) Diese Gerichtsstände sind g l e i c h b e r e c h t i g t ; gesetzlich steht keinem von ihnen ein Vorrang vor den anderen zu. b) In der P r a x i s wird man allerdings den G e r i c h t s s t a n d des B e g e h u n g s o r t s (er ist nach § 3 des Strafgesetzbuches sowohl dort begründet, wo die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g vorgenommen wurde, als auch dort, wo der E r f o l g eingetreten ist) gegenüber dem Gerichtsstand des Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsorts den Vorzug geben, und zwar deshalb, weil der Staatsanwaltschaft die Person des Täters und infolgedessen der Gerichtsstand des Wohnsitzes häufig zunächst unbekannt ist. Abgesehen davon wird aber auch meistens die Erhebung der Beweise am sichersten und schnellsten am Tatort erfolgen können. Der Gerichtsstand des W o h n s i t z e s wird in der Regel nur dann in Frage kommen, wenn besondere Umstände vorliegen, wie z. B. die Tatsache, daß die Zeugen sämtlich am Wohnsitz des Beschuldigten, der von dem Tatort weit entfernt liegt, wohnhaft sind.

Fall I

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2. D e r G e r i c h t s s t a n d d e s H e i m a t h a f e n s (§ 10). Er ist für solche Straftaten begründet, welche auf einem d e u t s c h e n S c h i f f außerhalb des Geltungsbereichs der StPO oder in offener See begangen werden, und zwar ist in einem solchen Falle das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen oder der Hafen liegt, welchen das Schiff nach der Tat zuerst erreicht. Entsprechendes gilt für Straftaten, die in einem deutschen F l u g z e u g begangen werden (§ 10 II). 3. Der Gerichtsstand für e x t e r r i t o r i a l e D e u t s c h e (§ 11). 4. Der G e r i c h t s s t a n d d e s Z u s a m m e n h a n g s (§ 13). a ) Er ist für z u s a m m e n h ä n g e n d e Strafsachen, die einzeln nach Z. 1 bis 4 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, bei jedem Gericht gegeben, welches für eine der zusammenhängenden Strafsachen gegeben ist. b) Ein Z u s a m m e n h a n g ist nach § 3 vorhanden, wenn eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird, oder wenn bei einer strafbaren Handlung mehrere Personen als Täter, Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler beschuldigt werden. 5. Der G e r i c h t s s t a n d d e s A u f t r a g s (§ 15). Er wird dadurch begründet, daß das o b e r e G e r i c h t einem an sich örtlich unzuständigen Gericht die Untersuchung und Entscheidung einer Strafsache ü b e r t r ä g t . Dies ist möglich, wenn das an sich zuständige Gericht an der Ausübung des Richteramts rechtlich oder tatsächlich verhindert ist oder wenn von einer Verhandlung vor diesem Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen ist. (N.B. § 15 ist nach BGH 1, 211 e n t s p r e c h e n d anwendbar, wenn das für ein Wiederaufnahmeverfahren an sich zuständige deutsche Gericht n i c h t m e h r b e s t e h t ; das zuständige Gericht wird in diesem Falle durch den Bundesgerichtshof bestimmt.) 6. In J u g e n d s a c h e n gibt es noch die Gerichtsstände der Vormundschaft, des Aufenthalts und der Verwahrung (§ 42 I J G G ) . Befindet sich der Jugendliche oder Heranwachsende in einer Jugendstrafanstalt, so soll die Anklage vor dem Richter erhoben werden, in dessen H a n d die Vollstrekkungsleitung liegt; in allen übrigen Fällen soll nach Möglichkeit der Richter entscheiden, dem die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben obliegen (§42 I J G G ) . Wechselt der Beschuldigte in einer Jugendgerichtssache seinen Aufenthalt, so ist § 42 I I I J G G zu beachten (Möglichkeit der Abgabe an das Jugendgericht, in dessen Bezirk der Beschuldigte übergewechselt ist). 7. Läßt sich ungeachtet der umfassenden Zuständigkeitsregelung im Einzelfall das gesetzlich zuständige Gericht nicht ermitteln, so bestimmt der BGH das Gericht, das sich mit der Sache zu befassen hat (§ 13a StPO). Ein nach § 13 a begründeter Gerichtsstand fällt nicht dadurch wieder weg, d a ß später ein auf §§ 7—10 beruhender Gerichtsstand ermittelt wird (BGH 10, 255); das gemeinschaftliche obere Gericht kann jedoch in analoger Anwendung von § 12 I I die Untersuchung und Entscheidung der Sache auf das nachträglich ermittelte, gemäß §§ 7 ff. zuständige Gericht übertragen (vgl. BGH a.a.O.).

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II. Teil: Lösungen

II. Mehrfacher Gerichtsstand 1. Unter mehreren nach §§ 7-—11 zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, welches die U n t e r s u c h u n g z u e r s t e r ö f f n e t h a t (sog. Prioritätsprinzip § 12 I). Es h a t also z u n ä c h s t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t d a r ü b e r zu ents c h e i d e n , bei welchem Gericht die Klage erhoben werden soll, wobei dem von der Staatsanwaltschaft bestimmten Gericht kein Recht zusteht, die Eröffnung der Untersuchung deshalb abzulehnen, weil es zweckmäßiger sei, die Sache vor ein anderes zuständiges Gericht zu bringen. Gelangt die zuerst mit der Sache befaßte Staatsanwaltschaft zu der Überzeugung, daß es zweckmäßiger ist, die Sache in einem anderen Bezirk verfolgen zu lassen, so kann sie die für den anderen Gerichtsstand zuständige Staatsanwaltschaft um Ü b e r n a h m e ersuchen. Lehnt diese die Übernahme ab, so kann die mit der Sache zuerst befaßte Staatsanwaltschaft die Entscheidung der gemeinsam vorgesetzten Instanz einholen. Sind mit der gleichen Sache zwei S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n befaßt, so hat die später befaßte Behörde der früher befaßten die Sache zu überlassen; wird eine Einigung nicht erzielt, entscheidet wieder die gemeinsam vorgesetzte Instanz. 2. Nach § 12 II besteht die Möglichkeit, aus Z w e c k m ä ß i g k e i t s g r ü n d e n auf Antrag oder von Amts wegen die Wirkung der Vorschrift des Abs. 1 wieder aufzuheben und die bereits eröffnete Untersuchung und Entscheidung der Sache einem anderen der von vornherein zuständig gewesenen Gerichte zu übertragen. III. Die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit 1. Im Gegensatz zur sachlichen Zuständigkeit gehört die ö r t l i c h e Zus t ä n d i g k e i t , da diese für den Angeschuldigten regelmäßig nicht so bedeutsam ist wie die Frage der sachlichen Zuständigkeit, nicht zu den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen (siehe Nachtrag zu Fall 7); das Gericht ist also n i c h t verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens seine örtliche Zuständigkeit v o n A m t s w e g e n z u prüfen. Hat das Gericht den Fehler nicht beachtet bzw. der Rügeberechtigte nicht rechtzeitig Einwand erhoben, so nimmt das Verfahren seinen Fortgang. 2. V o n A m t s w e g e n hat das Gericht gemäß § 18 nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens seine örtliche Zuständigkeit zu prüfen und bei Bejahung der Unzuständigkeit die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 204 wegen Unzuständigkeit abzulehnen. 3. Das R e c h t des B e s c h u l d i g t e n , die Unzuständigkeit geltend zu machen, ist im Interesse einer Einschränkung der Erörterung über die örtliche Zuständigkeit zeitlich beschränkt: a) Hat eine V o r u n t e r s u c h u n g stattgefunden und ist der Beschuldigte vor ihrer Eröffnung gehört worden, ohne die Unzuständigkeit gerügt zu haben, so geht er des Einwands für das ganze weitere Verfahren verlustig. Ist der Beschuldigte nicht gehört worden, so kann er den Einwand gemäß § 16 bis zum Schluß der Voruntersuchung geltend machen.

Fall i

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b ) Ist eine V o r u n t e r s u c h u n g n i c h t geführt worden oder auf den erhobenen Unzuständigkeitseinwand kein Beschluß ergangen, so muß der Beschuldigte den Einwand spätestens bis zum Beginn der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses (§ 243 Abs, 2) geltend machen (§ 16). 4. I n d e r B e r u f u n g s - u n d R e v i s i o n s i n s t a n z kann die Frage der örtlichen Zuständigkeit nur noch soweit Gegenstand der Prüfung sein, als es sich darum handelt, ob der Vorderrichter einen vom Angeklagten rechtzeitig erhobenen Einwand der Unzuständigkeit mit Unrecht verworfen hat. (E. 17, 412.)

D. Lösung des Falles A (In sämtlichen Lösungen betreffen die Paragraphenzahlen die Strafprozeßordnung)

I. Welches Gericht hat über den Antrag zu entscheiden? 1. Die „ o b e r e n G e r i c h t e " i. S. der Bestimmungen der §§ 12, 13, 14, 19 sind der Bundesgerichtshof, die Oberlandesgerichte und die Landgerichte. 2. Z u s t ä n d i g s i n d a l s „ o b e r e G e r i c h t e " a ) das Landgericht (Strafkammer), wenn es sich um Amtsgerichte oder Schöffengerichte desselben Landgerichtsbezirks handelt, b ) das Oberlandesgericht, wenn es sich um Gerichte desselben Oberlandesgerichtsbezirks handelt, und nicht Fall a) vorliegt, und c) der Bundesgerichtshof, wenn Gerichte verschiedener Oberlandesgerichte in Frage stehen. I m v o r l i e g e n d e n F a l l k o m m t d e m n a c h als m a ß g e b e n d e s Ger i c h t d e r B u n d e s g e r i c h t s h o f in F r a g e .

II. Wie wird der Bundesgerichtshof entscheiden? 1. Die Z u s t ä n d i g k e i t d e s U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r s in H e i d e l b e r g , der gemäß § 184 die Voruntersuchung eröffnet hat, ist gemäß §§ 7, 8 für die in Heidelberg begangene Brandstiftung und nach §§ 13, 2 für das von den drei Angeschuldigten gemeinsam in Stuttgart begangene Betrugsvergehen begründet. 2. Die b e a n t r a g t e Ü b e r t r a g u n g d e r S t r a f s a c h e n n a c h S t u t t g a r t gemäß § 12 Abs. 2 könnte nur erfolgen, wenn auch dort die Möglichkeit bestünde, die Anklagesachen in gleicher Weise wie in Heidelberg anhängig zu machen. Dies ist aber nicht der Fall. a ) Was die B r a n d s t i f t u n g betrifft, so wäre die Staatsanwaltschaft Stuttgart nicht in der Lage, die Eröffnung der Voruntersuchung gegen A zu erwirken, da der Antrag wegen Unzuständigkeit des Gerichts gemäß §180 abgelehnt werden müßte, denn weder nach § 7 noch nach § 8 wäre ein örtlicher Gerichtsstand des Schwurgerichts in Stuttgart begründet.

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II. Teil: Lösungen

b) Bezüglich der B e t r u g s s a c h e wäre allerdings gemäß §§ 7, 8, 13, 3 ein ö r t l i c h e r Gerichtsstand gegen alle drei Angeschuldigten in Stuttgart gegeben, aber gemäß § 24 G V G bei dem dortigen Amtsgericht bzw. der Strafkammer, nicht aber bei dem dortigen Schwurgericht. In der Betrugssache könnte somit Anklage beim Amtsgericht (Einzelrichter oder Schöffengericht in Stuttgart) erhoben werden. c) U n m ö g l i c h a b e r w ä r e es, m i t d i e s e r A n k l a g e a u c h d i e w e g e n B r a n d s t i f t u n g z u v e r b i n d e n , deren Aburteilung zur sachlichen und ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit des Schwurgerichts Heidelberg gehört. Der § 13 bezieht sich nämlich nur auf verschiedene ö r t l i c h zuständige Gerichte g l e i c h e r O r d n u n g ; kommt eine v e r s c h i e d e n e s a c h l i c h e Zuständigkeit in Frage, so ist für eine Verbindung der § 2 maßgebend, wonach zusammenhängende Strafsachen, welche einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören, verbunden nur bei demjenigen Gericht anhängig gemacht werden können, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. U n d umgekehrt kann eine zur Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung gehörige Strafsache in Verbindung mit einer zur Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung gehörigen bei diesem letzteren nicht anhängig gemacht werden. (Siehe E. 45, 166.) Die E n t s c h e i d u n g des B u n d e s g e r i c h t s h o f s , die o h n e m ü n d liche Verhandlung, aber nach A n h ö r u n g der Staatsanwalts c h a f t (§ 33) d u r c h B e s c h l u ß z u e r f o l g e n h a t , h a t d a h i n z u l a u ten, d a ß d e m A n t r a g aus r e c h t l i c h e n G r ü n d e n n i c h t entsprochen wird. III. Ist die Entscheidung anfechtbar? Gegen die Entscheidung des „oberen Gerichts" gibt es kein Rechtsmittel. 1. Soweit das O b e r l a n d e s g e r i c h t und der B u n d e s g e r i c h t s h o f in Frage kommt, ergibt sich die Unanfechtbarkeit aus § 304 IV. 2. D a ß auch die Entscheidung des L a n d g e r i c h t s nicht angefochten werden kann, folgt aus der Tatsache, d a ß die Entscheidung gemäß § 12 Abs. 2 weder als eine solche erster Instanz, noch als eine solche der Berufungsinstanz i. S. des § 304 Abs. 1 angesehen werden kann. E. Lösung des Falles B I. W a r das Schöffengericht in Karlsruhe zur Aburteilung zuständig ? 1. Die Annahme des Schöffengerichts, daß die Veröffentlichung d e s s e l b e n A r t i k e l s in z w e i v e r s c h i e d e n e n Z e i t u n g e n eine Mehrheit von selbständigen Handlungen darstellt, enthält keinen Rechtsirrtum. (E. 14, 342.) Es s i n d i m v o r l i e g e n d e n F a l l e a l s o z w e i T a t o r t e i. S. d e s § 7 A b s . 2 v o r h a n d e n , nämlich Karlsruhe und Stuttgart.

Fall i

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2. Bezüglich des § 7 Abs. 2 f ü h r t das Reichsgericht in E. 36, 259 folgendes a u s : „ N a c h der Entstehungsgeschichte des Gesetzes v o m 13. J u n i 1902 sollte d u r c h die A b ä n d e r u n g des § 7 den in d e r Öffentlichkeit vielfach erörteten U n z u t r ä g l i c h k e i t e n des sog. f l i e g e n d e n G e r i c h t s s t a n d e s der Presse abgeholfen werden, welche d a r a u s hervorgingen, d a ß d e r Gerichtsstand der b e g a n g e n e n T a t f ü r Preßdelikte bei j e d e m Gericht b e g r ü n d e t war, in dessen Bezirk die Druckschrift V e r b r e i t u n g g e f u n d e n h a t t e . M a n wollte diesen Ü b e l s t a n d d a d u r c h beseitigen, d a ß nicht m e h r sämtliche Gerichte, auf d e r e n Bezirk sich die d u r c h d e n I n h a l t der Druckschrift beg a n g e n e Straftat erstreckt h a b e , n e b e n e i n a n d e r z u r A b u r t e i l u n g zuständig sein sollten, sondern die örtliche Zuständigkeit sich auf dasjenige von diesen n a c h Abs. 1 des § 7 a n sich zuständigen Gerichten beschränken solle, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen sei. Die Sondervorschrift des jetzigen Abs. 2 Satz 1 § 7 bildet d e m g e m ä ß f ü r Preßdelikte lediglich eine E i n s c h r ä n k u n g oder A u s n a h m e gegenüber d e m Absatz 1." H i e r a u s e r g i b t sich, d a ß , d a d e r A b s . 2 sich n u r auf d e n G e r i c h t s s t a n d der b e g a n g e n e n T a t bezieht, die sonstigen Vorschriften über den Gerichtsstand nicht berührt werden und d a ß i n s b e s o n d e r e d e r G e r i c h t s s t a n d d e s W o h n s i t z e s (§ 8) a u c h bei P r e ß d e l i k t e n a l l g e m e i n a n w e n d b a r ist. D i e K a r l s r u h e r Z u s t ä n d i g k e i t w e g e n d e r in S t u t t g a r t beg a n g e n e n B e l e i d i g u n g w a r a l s o a u s § 8 g e g e b e n . (Wohnsitz des Täters.) (N. B. H ä t t e der d u r c h den I n h a l t des Artikels beleidigte Arzt P r i v a t k l a g e erhoben, so wäre g e m ä ß § 7 I I Satz 2 a u c h das Amtsgericht N ü r n berg zuständig gewesen. § 7 I I Satz 2 bringt insoweit eine wesentliche prozessuale Erleichterung f ü r den Beleidigten. W i r d n a c h e r h o b e n e r Privatklage die Strafverfolgung g e m ä ß § 377 I I von der Staatsanwaltschaft ü b e r n o m m e n , so bleibt der in § 7 I I Satz 2 geschaffene Sondergerichtsstand erh a l t e n ( p e r p e t u a t i o f o r i ) . Es w ä r e in d e r T a t unbefriedigend, wollte m a n d e m Privatkläger, d e r n a c h d e r Ü b e r n a h m e d e r Strafverfolgung d u r c h die Staatsanwaltschaft z u m Nebenkläger wird, mit d e r Beseitigung des bisher bestehenden Sondergerichtsstands a u c h seine bisherigen prozessualen Erleichterungen n e h m e n , vgl. B G H 11, 56; Eb. Schmidt Teil I I Erl. 15 zu § 7 S t P O ; neuerdings a u c h Schwarz § 7 A n m . 2 B; a. A. noch E. 4 1 , 280 u n d Löwe-Rosenberg § 7 A n m . 10).

II. Der Beschluß des Schöffengerichts v o m 20. Dezember 1959 1. V o r b e m e r k u n g : N a c h § 201 Abs. 1 h a t d e r Vorsitzende des Gerichts die Anklageschrift d e m A n g e s c h u l d i g t e n m i t z u t e i l e n u n d ihn zugleich a u f z u f o r d e r n , sich i n n e r h a l b einer zu b e s t i m m e n d e n Frist zu erklären, ob er die V o r n a h m e einzelner Beweiserhebungen vor d e r H a u p t v e r h a n d l u n g b e a n t r a g e n oder E i n w e n d u n g e n gegen die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s vorbringen oder eine V o r u n t e r s u c h u n g b e a n t r a g e n wolle. (Diese Vorschrift gilt nicht, w e n n Anklage b e i m Amtsrichter als Einzelrichter erhoben w o r d e n ist, § 201 Abs. 3).

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I I . Teil: Lösungen

Z u d e n E i n w e n d u n g e n , die der Angeklagte n a c h Mitteilung der A n klageschrift gegen die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s g e m ä ß § 201 vorbringen k a n n , gehört a u c h diejenige d e r U n z u s t ä n d i g k e i t . 2 . Die Bestimmung des § 2 0 1 Abs. 1 Satz 1, w o n a c h ü b e r die A n t r ä g e u n d E i n w e n d u n g e n das G e r i c h t z u b e s c h l i e ß e n h a t , besagt lediglich, d a ß das G e r i c h t einen a u s d r ü c k l i c h e n B e s c h l u ß erlassen m u ß . (Ein einfacher Bescheid des Vorsitzenden genügt ebensowenig wie eine stillschweigende A b l e h n u n g d u r c h den Eröffnungsbeschluß.) Nicht aber ist die Bestimmung d a h i n zu verstehen, als h a b e das Gericht einen b e s o n d e r e n Beschluß zu erlassen, bevor es weiter in der Sache beschließt; vielmehr bild e n die A n t r ä g e u n d E i n w e n d u n g e n des Angeschuldigten in gleicher Weise wie auf der a n d e r e n Seite die A n t r ä g e der Staatsanwaltschaft das M a t e r i a l f ü r die zu treffende E n t s c h e i d u n g (§§ 202 bis 205). 3 . Die V e r w e r f u n g e i n e s A n t r a g s usw. k a n n also, wie i m v o r l i e g e n d e n F a l l e geschehen, u n t e r g l e i c h z e i t i g e r E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s e r f o l g e n . (Löwe-Rosenberg A n m . 12 zu § 201.) D e r B e s c h l u ß d e s S c h ö f f e n g e r i c h t s v o m 20. 12. 1959, d e r a l s eine a u ß e r h a l b der H a u p t v e r h a n d l u n g ergehende Entscheid u n g g e m ä ß § 30 A b s . 2 G V G v o n d e m A m t s r i c h t e r e r l a s s e n w u r d e , g e h t also in O r d n u n g .

III. Der in der Hauptverhandlung ergangene Beschluß 1. Die Vorschriften der §§ 16—18 ergeben, d a ß das Gesetz das Bestreit e n u n d die P r ü f u n g d e r ö r t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t m ö g l i c h s t e i n s c h r ä n k e n will. Deshalb darf, wie schon oben ausgeführt, das Gericht n a c h E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s seine örtliche Zuständigkeit n u r auf Einw a n d des Angeklagten aussprechen (§ 18), u n d deshalb ist d e m Angeschuldigten in A n e r k e n n u n g seines Interesses, vor keinen a n d e r e n als den örtlich zuständigen R i c h t e r gestellt zu werden, zwar das R e c h t eingeräumt, seine Auffassung d u r c h E r h e b u n g eines E i n w a n d e s zur Geltung zu bringen, die A u s ü b u n g dieses Rechts aber a n Fristen geknüpft, n a c h d e r e n Ablauf d e r F o r t g a n g des Verfahrens nicht m e h r d a d u r c h g e h e m m t w e r d e n k a n n , d a ß die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel gezogen wird. 2 . G e m ä ß § 16 m u ß d e r Angeschuldigte den E i n w a n d d e r U n z u s t ä n d i g k e i t bei Verlust desselben bis z u m Schlüsse der V o r u n t e r s u c h u n g , u n d falls eine solche nicht s t a t t g e f u n d e n h a t , spätestens vor der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses in der H a u p t v e r h a n d l u n g geltend m a c h e n . Der im v o r l i e g e n d e n F a l l e v o m Verteidiger des Angeklagten erst n a c h der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses vorgebrachte E i n w a n d d e r U n z u s t ä n d i g k e i t w a r somit v e r s p ä t e t erhoben. 3 . I n § 201 Abs. 2 letzter Satz ist n u n aber u n t e r Hinweis auf § 182 Abs. 1 bestimmt, d a ß der Beschluß des Gerichts, d u r c h welchen ein solcher Einw a n d verworfen wird, v o n d e m Angeschuldigten d u r c h die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e angefochten w e r d e n k a n n , die g e m ä ß § 3 1 1 Abs. 2 i n n e r h a l b einer Frist von einer W o c h e eingelegt w e r d e n m u ß . W i r d die Frist nicht gew a h r t , so ist der E i n w a n d d e r örtlichen Unzuständigkeit r e c h t s k r ä f t i g

Falla

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a b g e w i e s e n , und diese Rechtskraft der Entscheidung hat zur Folge, daß der Einwand mit rechtlicher Wirkung n i c h t w i e d e r h o l t werden kann (siehe E. 26, 340). 4. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e k o m m e n w i r s o m i t zu f o l g e n d e m E r g e b n i s : Da der Angeklagte A von seinem Recht, gegen den ihm zugestellten Eröffnungsbeschluß, durch welchen der Einwand der örtlichen Unzuständigkeit verworfen wurde, die sofortige Beschwerde einzulegen, keinen Gebrauch gemacht hat, war der E i n w a n d , den der Verteidiger in der Hauptverhandlung wiederholt hat, b e r e i t s v e r b r a u c h t und daher schon aus diesem Grunde zurückzuweisen. D a s S c h ö f f e n g e r i c h t h ä t t e also l o g i s c h e r w e i s e n i c h t u n t e r B e z u g n a h m e a u f § 16 den E i n w a n d z u r ü c k w e i s e n , s o n d e r n d i e o b i g e B e g r ü n d u n g ( V e r b r a u c h des E i n w a n d s ) der E n t s c h e i d u n g z u g r u n d e l e g e n müssen. I V . Wäre der Amtsrichter in Karlsruhe auch dann für die A b urteilung beider Beleidigungen zuständig gewesen, wenn A seinen Wohnsitz in Stuttgart gehabt hätte ? Hätte der Beschuldigte A seinen Wohnsitz in S t u t t g a r t gehabt, dann hätte sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts K a r l s r u h e zur Aburteilung der durch die Veröffentlichung in der dort erscheinenden Zeitung begangenen Beleidigung aus § 7 ergeben, während für die durch die Veröffentlichung in der Stuttgarter Zeitung begangene Beleidigung eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Karlsruhe gemäß § 13 (Gerichtsstand des Zusammenhangs) begründet gewesen wäre, da ein Zusammenhang i. S. des § 3 auch dann vorhanden ist, wenn eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird.

ZU FALL 2 A. Vorbemerkung I . Ein Strafverfahren entsteht in der Regel auf Grund einer S t r a f a n zeige, die gemäß § 158 bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich erstattet werden kann. (Wegen Strafantrag siehe Abs. 2 des § 158.) II. Ein Strafverfahren kann auch ohne Anzeige oder Antrag aus e i g e n e r I n i t i a t i v e d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t in Gang kommen, da diese nach §§ 152 II, 160 I verpflichtet ist, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dabei ist zu beachten, daß die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur B e l a s t u n g , sondern auch die zur E n t l a s t u n g dienenden Umstände zu ermitteln hat (§ 160 II). (Ob der Staatsanwalt,

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I I . Teil: Lösungen

w e n n er a u ß e r a m t l i c h stritten.)

K e n n t n i s erlangt, einschreiten m u ß , ist be-

III. Dieses sog. L e g a l i t ä t s p r i n z i p , zu dessen strenger D u r c h f ü h r u n g die S t r a f b e s t i m m u n g des § 346 StGB sowie die Beschwerde im Aufsichtsweg ( § 1 4 7 G V G ) u n d die Beschwerde a n den vorgesetzten S t a a t s a n w a l t nebst A n t r a g auf gerichtliche E n t s c h e i d u n g (§§ 172ff.) dienen, wird d u r c h b r o c h e n im Privatklageverfahren (§ 376), in J u g e n d g e r i c h t s s a c h e n (§ 45 J G G ) , sowie schließlich in den Fällen der §§ 153, 153a 153b, 153c, 154» ' 5 4 a > ! 5 4 b . !54CD e r w e s e n t l i c h e I n h a l t dieser Bestimmungen ist folgender: 1. N a c h § 376 wird wegen d e r n a c h § 374 i m W e g e d e r P r i v a t k l a g e verfolgbaren Delikte (hierunter fallen vor allem die V e r g e h e n der Beleidigung u n d K ö r p e r v e r l e t z u n g i. S. d e r §§223, 223 a StGB) öffentliche Klage v o n der Staatsanwaltschaft n u r d a n n erhoben, w e n n dies im öffentlichen Interesse liegt. 2. N a c h § 153 I d ü r f e n besonders leichte Ü b e r t r e t u n g e n (Schuld des T ä t e r s gering u n d Folgen der T a t u n b e d e u t e n d ) nicht m e h r verfolgt werden, es sei denn, d a ß ein öffentliches Interessse an d e r H e r b e i f ü h r u n g einer gerichtlichen Entscheidung besteht. Der Absatz 2 des § 153 sieht die Möglichkeit einer s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e n Einstellung bei V e r g e h e n vor. Diese Einstellung ist, obwohl sie n u r mit Z u s t i m m u n g des Gerichts erfolgen k a n n , n u r eine solche n a c h § 171, so d a ß ein V e r b r a u c h der Strafklage nicht eintritt (E. 67, 316; 75, 121; B G H M D R 54, 151.) (N. B. F ü r die Erteilung der Zustimm u n g ist das Gericht zuständig, das a u c h f ü r die H a u p t v e r h a n d l u n g zuständig wäre, also entgegen d e m W o r t l a u t des Gesetzes nicht ausschließlich d e r Amtsrichter, vgl. B G H 12, 399 u n t e r Hinweis auf die Gesetzesgeschichte.) A u c h n a c h K l a g e e r h e b u n g k a n n n a c h § 153 I I I d a s G e r i c h t mit Z u s t i m m u n g d e r Staatsanwaltschaft das V e r f a h r e n einstellen. I n diesem Falle tritt ein V e r b r a u c h d e r S t r a f k l a g e ein. (Siehe Fall 12, A b schnitt A I V 5 d S. 180.) 3. N a c h § 153 a k a n n die Staatsanwaltschaft von der E r h e b u n g d e r öffentlichen K l a g e absehen, w e n n das Gericht a u c h im Falle eines Schuldspruchs von Strafe absehen k ö n n t e (Abs. 1). G e m e i n t sind hier die Fälle der sog. Retorsion (§§ 199, 233 StGB), ferner die §§ 139 I 173 V 175 I I u n d 157 I I . Will die Staatsanwaltschaft n a c h § 153a I von der E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e absehen, so bedarf sie hierzu — wie bei § 153 I I — d e r Z u s t i m m u n g des Gerichts. Will u m g e k e h r t bei bereits e r h o b e n e r K l a g e das Gericht das V e r f a h r e n einstellen, so ist hierzu — wie bei § 153 I I I — die Z u s t i m m u n g d e r Staatsanwaltschaft, a u ß e r d e m die Z u s t i m m u n g des Angeschuldigten erforderlich (Abs. 2). 4 . § 153 b lockert d e n Verfolgungszwang bei Auslandstaten. 5. N a c h § 153 c k a n n der O b e r b u n d e s a n w a l t bei S t a a t s g e f ä h r d u n g (§§ goff. StGB), L a n d e s v e r r a t (§§ ioo-—iooe StGB) u n d ähnlichen, gegen

Falla

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Bestand u n d Sicherheit des Staates gerichteten Delikten von d e r E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e absehen, w e n n d e r T ä t e r n a c h der T a t , bevor i h m deren E n t d e c k u n g b e k a n n t geworden ist, d a z u beigetragen h a t , die d u r c h die T a t d r o h e n d e G e f a h r wieder a b z u w e n d e n oder w e n n er d u r c h ein umfassendes Geständnis die B e k ä m p f u n g d e r landesverräterischen oder staatsgefährdenden Bestrebungen erleichtert h a t . Will der O b e r b u n d e s a n w a l t von d e r E r h e b u n g d e r öffentlichen Klage absehen, so bedarf es hierzu der Z u s t i m m u n g des Bundesgerichtshofs. Ist die K l a g e bereits erhoben, so k a n n a u c h der B G H mit Z u s t i m m u n g des O b e r b u n d e s a n w a l t s das V e r f a h r e n einstellen (Abs. 3). 6. § 154 b e h a n d e l t die u n b e d e u t e n d e n N e b e n d e l i k t e . E r verfolgt den Zweck, einer unnötigen H ä u f u n g von Anklagen gegen dieselbe Person vorzubeugen, z. B. Anklage wegen Diebstahls n e b e n einer solchen wegen Mords. Ein V e r b r a u c h d e r Strafklage tritt in diesem Falle, d e r sich im Gegensatz zu § 1 5 3 a u c h a u f V e r b r e c h e n bezieht, weder bei d e r staatsanwaltschaftlichen (Abs. I) noch bei der gerichtlichen Einstellung (Abs. II) ein. N a c h Abs. I I I u n d I V tritt aber eine unterschiedliche B e h a n d l u n g ein, j e n a c h d e m o b es sich u m eine rechtskräftig e r k a n n t e oder u m eine z u e r w a r t e n d e Strafe handelt. R e c h t s m i t t e l : w i r d das V e r f a h r e n d u r c h Gerichtsbeschluß n a c h § 154 I I eingestellt, so h a t d e r Beschuldigte m a n gels Beschwer kein Rechtsmittel. W e g e n möglicher A u s n a h m e n siehe B G H 10, 88. Die Staatsanwaltschaft h a t n u r d a n n ein Beschwerderecht, w e n n die Einstellung gesetzwidrig ohne ihren A n t r a g ( Z u s t i m m u n g genügt!) beschlossen w u r d e . Gegen die A b l e h n u n g einer von d e r Staatsanwaltschaft b e a n t r a g t e n Einstellung n a c h § 154 I I h a b e n die Beteiligten in Hinblick auf § 305 ebenfalls kein Beschwerderecht (a. A. Schwarz § 154 A n m . 1 B). 7 . § 1 5 4 a gibt d e r Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von d e r Erheb u n g der öffentlichen K l a g e abzusehen, w e n n d e r Anzeiger nicht innerh a l b einer i h m v o n der Staatsanwaltschaft zu stellenden Frist eine f ü r die Beurteilung der S t r a f b a r k e i t entscheidende zivil- oder verwaltungsrechtliche F r a g e im Zivil- bzw. Verwaltungsrechtsweg klären läßt. Die Vorschrift will verhindern, d a ß der Anzeiger bei ungeklärten F r a g e n des Zivil- oder Verwaltungsrechts zur E r s p a r u n g eigener A u f w e n d u n g e n die Staatsanwaltschaft u n d ihre Hilfsorgane u n n ö t i g in Bewegung setzt. Sie wird in der Praxis leider viel zu wenig beachtet. 8. § 1 5 4 b b e h a n d e l t die Einstellung bei A u s l i e f e r u n g u n d Ausweisung. 9. § 154c b e h a n d e l t die E r m e s s e n s f r e i h e i t g e g e n ü b e r d e n O p f e r n einer Erpressung. I V . Eine bei d e r Staatsanwaltschaft a n h ä n g i g g e w o r d e n e s a c h e k a n n auf folgende Arten e r l e d i g t w e r d e n :

Straf-

1. d u r c h Einstellung ohne E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e (§ 171),

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I I . Teil: Lösungen

2 . d u r c h V e r w e r f u n g des Antrags auf E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e d u r c h das Oberlandesgericht bzw. den Bundesgerichtshof (§ 174), 3 . d a d u r c h , d a ß n a c h geführter V o r u n t e r s u c h u n g oder auf eine unm i t t e l b a r erhobene Anklage (§ 199) von d e m Gericht die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s a b g e l e h n t (§ 204) oder das V e r f a h r e n g e m ä ß § 205 (Abwesenheit des Angeklagten) oder § 206 a (Verfahrenshindernis) vorläufig bzw. endgültig eingestellt wird, 4. d a d u r c h , d a ß die öffentliche K l a g e z u r ü c k g e n o m m e n wird (§ 156), 5. d u r c h das in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g ergehende Urteil des erkenn e n d e n Gerichts (§ 260). (Siehe a u c h Fall 6, Abschnitt A I I I . )

B. Lösung des Falles I. Die Entscheidung des Staatsanwalts in Heidelberg v o m 2. September 1959 und die gegen sie eingelegte Beschwerde 1. V o r b e m e r k u n g e n : a) D i e s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e E i n s t e l l u n g d e s V e r f a h r e n s die e i n e n V e r b r a u c h des S t r a f k l a g e r e c h t s n i c h t bewirkt, k a n n auf verschiedene Weise erfolgen: aa) Der Staatsanwalt k a n n die Anzeige von vornherein z u r ü c k w e i s e n , d. h. d i e E i n l e i t u n g e i n e s S t r a f v e r f a h r e n s a b l e h n e n , w e n n sich schon aus d e m I n h a l t der Anzeige ergibt, d a ß eine s t r a f b a r e H a n d l u n g , sei es aus rechtlichen, sei es aus tatsächlichen G r ü n d e n , nicht vorliegt, oder d a ß die Strafverfolgung z. B. wegen vollendeter V e r j ä h r u n g , wegen Fehlens des erforderlichen Strafantrags oder wegen S t r a f u n m ü n d i g k e i t nicht stattfinden k a n n . bb) Auf eine Anzeige dagegen, die nicht sofort zurückgewiesen w e r d e n kann, m u ß ein vorbereitendes V e r f a h r e n folgen, das e i n z u s t e l l e n ist, sobald z. B. feststeht, d a ß der Nachweis einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g nicht e r b r a c h t w e r d e n , oder w e n n d e r T ä t e r nicht ermittelt werden k a n n , oder in d e n Fällen d e r §§ 153 ff.; der Beschuldigte ist von d e r Einstellung in K e n n t n i s zu setzen, w e n n er als solcher vom R i c h t e r v e r n o m m e n oder ein H a f t b e f e h l gegen ihn erlassen w a r ; dasselbe gilt, w e n n er u m einen Bescheid gebeten h a t oder w e n n ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist (§ 170 I I ) . cc) Schließlich f ü h r e n d e r D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens entgegenstehende H i n d e r n i s s e , wie z. B. schwere E r k r a n k u n g , Abwesenheit des Beschuldigten, I m m u n i t ä t der A b g e o r d n e t e n w ä h r e n d der Sitzungsperiode oder Z w e c k m ä ß i g k e i t s g r ü n d e z u e i n e r „ v o r l ä u f i g e n E i n s t e l lung". b ) D a ß j e d e r A n t r a g s t e l l e r i. S. des § 1 7 1 , also j e d e r Anzeigende gegen d e n a b l e h n e n d e n Bescheid der Staatsanwaltschaft, der i h m b e k a n n t gegeben w e r d e n m u ß , eine B e s c h w e r d e h a t , ergibt sich ohne weiteres

Fall 2

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aus der in der Organisation der Staatsanwaltschaft begründeten Befugnis und Verpflichtung der Vorgesetzten, erforderlichenfalls durch Anweisungen in die Tätigkeit der ihnen untergeordneten Beamten einzugreifen. (Siehe §§ 146, 147 G V G . ) D i e s e B e s c h w e r d e , sog. A u f s i c h t s b e s c h w e r d e , die im G e s e t z n i c h t g e r e g e l t ist, ist a n k e i n e F r i s t o d e r F o r m g e b u n d e n . c) D e m A n t r a g s t e l l e r , w e l c h e r z u g l e i c h d e r V e r l e t z t e ist, h a t d a s G e s e t z i n § 172 e i n e B e s c h w e r d e p r o z e s s u a l e r N a t u r g e g e b e n , indem in einem solchen Falle eine g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g darüber herbeigeführt werden kann, ob die Staatsanwaltschaft mit Recht das Verfahren eingestellt hat. aa) Das Recht, auf g e r i c h t l i c h e Entscheidung anzutragen, ist von der Innehaltung b e i d e r in Absatz 1 bestimmten Fristen abhängig. bb) Als „ V e r l e t z t e r " hat jeder zu gelten, dessen Rechtssphäre durch das Delikt berührt wird. (Siehe hierzu E 23, 362. Siehe auch Fall 17, Abschnitt B I, wo die Frage, wer als „Verletzter" i. S. des N e b e n k l a g e b e r e c h t i g t e n nach § 395 I I zu gelten hat, erörtert wird. Im übrigen ist der Begriff „Verletzter" noch von Bedeutung in § 22 Nr. 1—4, 61 Nr. 2, 374 und schließlich in §§ 6 1 , 65 StGB.) cc) Die Beschwerde des § 172 muß innerhalb der z w e i w ö c h i g e n F r i s t bei dem vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft eingegangen sein.

2. Der vorliegende F a l l : a ) Daß der Anzeiger Neumann als „ v e r l e t z t " i. S. des § 172 zu gelten hat, bedarf keiner Erläuterung. b ) Ebensowenig kann zweifelhaft sein, daß die zweiwöchige B e s c h w e r d e f r i s t gewahrt war. Die Frist wird nach § 43 berechnet, d. h. sie endigt mit Ablauf des Tages, der durch seine Benennung dem T a g entspricht, an welchem die Frist begonnen hat. Da im vorliegenden Falle die Frist am 3. September begonnen hat, endigte sie an sich am 17. September; da aber der 17. September ein Sonntag war, gilt gemäß § 4 3 1 1 als Ende der Frist erst Montag der 18. September.

II. Die Entscheidung des Generalstaatsanwalts

Bezüglich der Entscheidung des Generalstaatsanwalts vom 29. September 1959 bestehen keine Bedenken. I m Hinblick auf sein Recht und die Pflicht der Aufsicht und Leitung (s. § 147 G V G ) hätte er die Beschwerde a u c h d a n n einer sachlichen Prüfung unterziehen müssen, wenn sie erst n a c h Ablauf der zweiwöchigen Frist bei ihm eingekommen wäre. Diese z w e i w ö c h i g e F r i s t hat, wie oben ausgeführt wurde, n u r d i e B e d e u t u n g , daß die Einhaltung dieser Frist eine Vorbedingung für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bildet.

III. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Da der Generalstaatsanwalt der Beschwerde des Professors Neumann keine Folge gegeben hat, stellt dieser gemäß § 172 I I nunmehr A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung.

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II. T e i l : Lösungen

1 . D i e Vorschrift des § 172 bedeutet eine D u r c h b r e c h u n g d e s in § 152 I n o r m i e r t e n A n k l a g e m o n o p o l s der Staatsanwaltschaft. Die Entscheidung der Frage, ob die öffentliche K l a g e zu erheben ist, soll nicht ausschließlich von einer abhängigen Verwaltungsbehörde getroffen werden, sondern es soll dem V e r l e t z t e n d a s R e c h t z u s t e h e n , g e g e n die a b l e h n e n d e n V e r f ü g u n g e n der S t a a t s a n w a l t s c h a f t die Ents c h e i d u n g eines u n a b h ä n g i g e n Gerichtshofes anzurufen. a ) Dieses d e m Verletzten zur Sicherung der D u r c h f ü h r u n g des Legalitätsprinzips gewährte Antragsrecht r e i c h t a b e r n i c h t w e i t e r als das in § 152 I I verankerte Prinzip selbst. W o die V e r f o l g u n g nur f a k u l t a t i v zulässig ist, ist ein Antragsrecht nicht gegeben; die Gerichte sind nicht zur Entscheidung von Opportunitätsfragen berufen. (Löwe-Rosenberg A n m . 4 zu § 172.) Ein A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung entfällt daher insbesondere auch dann, w e n n das Gesetz die Offizialverfolgung von dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses abhängig gemacht hat, wie bei den im Privatklageweg verfolgbaren Delikten (§§ 374, 376) und bei allen Übertretungen, ferner in den Fällen der §§ 153 II, 1 5 3 a ! , 153b, 154 I, 1 5 4 b und 154c (§§ 172 I I Satz 3). b) E i n e A b l e h n u n g d e r A n k l a g e e r h e b u n g l i e g t n u r d a n n v o r , wenn jede V e r f o l g u n g abgelehnt wird. aa) W i r d die Anklage unter einer a n d e r e n s t r a f r e c h t l i c h e n Q u a l i f i k a t i o n erhoben, als sie dem Antragsteller richtig erscheint, so gibt dies kein Antragsrecht; denn nur die V e r f o l g u n g der T a t an sich, nicht die unter einer bestimmten Qualifikation, kann der Antragsteller g e m ä ß § 172 weiterbetreiben. bb) Beschließt die Staatsanwaltschaft, weil der Durchführung der K l a g e ein H i n d e r n i s entgegensteht (siehe oben I 1 a, cc), das V e r f a h r e n „ v o r l ä u f i g e i n z u s t e l l e n " , d a n n wird sich die gerichtliche Entscheidung auf die Frage z u beschränken haben, ob das Vorhandensein des betreffenden Hindernisses anzuerkennen sei. cc) B e s c h l i e ß t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t a b e r , w i e v o r l i e g e n d , das V e r f a h r e n aus Z w e c k m ä ß i g k e i t s g r ü n d e n „ v o r l ä u f i g einz u s t e l l e n " , so e n t f ä l l t d i e M ö g l i c h k e i t , e i n e g e r i c h t l i c h e E n t scheidung herbeizuführen. D e n n die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat nicht erklärt, die E r h e b u n g der A n k l a g e gegen den Verlagsbuchhändler a b z u l e h n e n ; sie will vielmehr bloß aus G r ü n d e n d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t abwarten, bis der denselben Gegenstand behandelnde Zivilprozeß in Wiesbaden entschieden ist. (Siehe Beschluß des O L G M ü n c h e n v o m 3. Oktober 1919 in „Alsberg, die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte", Band 1, S. 370.) D e r A n t r a g des R e c h t s a n w a l t s K r ü c k e a u f g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g wäre also aus diesem G r u n d e als u n z u l ä s s i g zu verwerfen, w e n n die f o r m e l l e n Voraussetzungen des § 172 gegeben wären, was aber, wie unten ausgeführt wird, nicht der Fall war. 2. Der A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung i s t b i n n e n e i n e m M o n a t nach der Bekanntmachung der ablehnenden Beschwerdeentscheidung bei

Falla

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dem zuständigen Gerichte zu stellen (§ 172 Abs. 2) und muß von einem R e c h t s a n w a l t u n t e r z e i c h n e t u n d s u b s t a n t i i e r t sein. (§ 172 Abs.3.) K a n n der verletzte Anzeiger sich aus finanziellen Gründen die Bestellung eines Anwalts nicht leisten, so kann er das Armenrecht beanspruchen. Die §§ 114fr. Z P O finden entsprechende Anwendung ( § 1 7 2 I I I , Satz 2, letzter Halbsatz). a ) Der Antrag muß also b i n n e n e i n e m M o n a t nach der Bekanntmachung beim O b e r l a n d e s g e r i c h t bzw. Bundesgerichtshof (§ 172 Abs. 3 i. V . mit Abs. 4) e i n k o m m e n ; eine analoge Anwendung des § 306 erscheint nicht zulässig. Eine Nichtbeachtung dieser Vorschrift, sowie die Versäumung der zweiwöchigen Beschwerdefrist hat den Verlust des Rechtsbehelfs zur Folge. Eine W i e d e r e i n s e t z u n g i n d e n v o r i g e n S t a n d gemäß §§44ff. gibt es nur gegen die Versäumnis der zweiten, nicht der ersten Frist, denn die Wiedereinsetzung kommt nur für die bei den G e r i c h t e n wahrzunehmenden Fristen in Frage. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e ist d e r S c h r i f t s a t z d e s R e c h t s a n w a l t s K r ü c k e a n s i c h r e c h t z e i t i g (4. Oktober bis 4. November) beim Oberlandesgericht eingekommen. b ) Der Antrag muß ferner in der in Abs. 3 des § 172 verlangten Art s u b s t a n t i i e r t sein, d.h. er muß die T a t s a c h e n , welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die B e w e i s m i t t e l angeben. aa) Der Antrag muß also nicht nur den Beschuldigten in erkennbarer Weise bezeichnen, sondern muß auch eine in s i c h v e r s t ä n d l i c h e S a c h d a r s t e l l u n g enthalten, die dem Gericht die Entscheidung darüber ermöglicht, ob der vorgetragene Sachverhalt ausreicht, um die Erhebung der öffentlichen Klage zu beschließen, oder ob noch die Einsicht in die von der Staatsanwaltschaft geführten Verhandlungen gemäß § 1 7 3 erforderlich ist. (Siehe Goltdammers Archiv, Band 58, S. 226.) bb) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e fehlt dem Schriftsatz vom 2 1 . Oktober eine solche Sachdarstellung; Rechtsanwalt Krücke hat sich vielmehr darauf beschränken zu können geglaubt, lediglich auf die bei den Akten der Staatsanwaltschaft Heidelberg befindliche Strafanzeige und die bei dem Generalstaatsanwalt eingereichte Beschwerdeschrift Bezug zu nehmen, was jedoch im Hinblick auf die strenge Vorschrift des § 172 Abs. 3 nicht zulässig ist. (Siehe Goltdammers Archiv, Band 38, S. 368.) D a s o m i t i n n e r h a l b d e r v o r g e s c h r i e b e n e n F r i s t — d i e ausf ü h r l i c h e S a c h d a r s t e l l u n g w u r d e j a erst am 11. N o v e m b e r g e g e b e n — nur ein u n s u b s t a n t i i e r t e r A n t r a g beim Oberland e s g e r i c h t e i n g e k o m m e n ist, ist d e r A n t r a g a u f g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g z u n ä c h s t schon aus diesem f o r m e l l e n G r u n d e als u n z u l ä s s i g z u r ü c k z u w e i s e n . (N. B. Diese Zurückweisung würde indes der späteren Anbringung eines substantiierten Antrags, wenn er noch innerhalb der einmonatigen Frist einkommt, nicht entgegenstehen.) c) D e r A n t r a g m u ß s c h l i e ß l i c h m i t t e l s eines v o n e i n e m R e c h t s a n w a l t u n t e r z e i c h n e t e n S c h r i f t s t ü c k s a n g e b r a c h t wer-

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I I . Teil: Lösungen

den, um dem G e r i c h t die P r ü f u n g v ö l l i g g r u n d l o s e r A n t r ä g e zu e r s p a r e n . aa) Diese Bestimmung betrifft lediglich die Form der Erklärung und läßt die Frage nach der L e g i t i m a t i o n desjenigen, der den Antrag bei Gericht anbringt, völlig unberührt. bb) Bezüglich der Frage, i n w e l c h e r A r t d e r g e w ä h l t e V e r t e i d i g e r s i c h a l s s o l c h e r a u s z u w e i s e n h a b e , enthält die Strafprozeßordnung keine allgemeinen Vorschriften; es ist hieraus die Absicht des Gesetzes zu erkennen, die Zulassung eines Verteidigers so wenig als möglich von formellen Erfordernissen abhängig zu machen. Insbesondere ist (ausgenommen die Fälle der §§ 234, 350, 387, 4 1 1 , 4 3 1 ) S c h r i f t l i c h k e i t d e r V o l l m a c h t n i c h t e r f o r d e r l i c h . Sie wird zunächst bis zu ihrem Nachweis vermutet, wenn der Verteidiger schriftliche Eingaben für den Beschuldigten macht oder schriftlich Anträge für ihn stellt; handelt es sich um Erklärungen, die an eine N o t f r i s t gebunden sind (z.B. Einlegung von Rechtsmitteln gemäß § 297), dann muß die Vertretungsmacht im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung v o r h a n d e n gewesen sein. Die nachträgliche Genehmigung des Berechtigten — einerlei ob sie innerhalb oder außerhalb der Rechtsmittelfrist erklärt wird — kann diese Unwirksamkeit nicht mehr beheben. cc) Verschieden von dieser Frage nach der Zeit, zu welcher der Rechtsanwalt von seinem Vollmachtgeber zur Abgabe der Erklärung e r m ä c h t i g t sein muß, ist die Frage, z u w e l c h e m Z e i t p u n k t d i e L e g i t i m a t i o n des R e c h t s a n w a l t s d e m G e r i c h t n a c h g e w i e s e n w e r d e n muß. In dieser Beziehung hat das Reichsgericht in E. 2 1 , 127 seinen früheren (in E. 3, 91 niedergelegten) strengen Standpunkt aufgegeben und bezüglich des A n g e k l a g t e n dahin entschieden, daß grundsätzlich die W i r k s a m k e i t der von einem rechtzeitig bevollmächtigten Rechtsanwalt für den Angeklagten eingereichten E r k l ä r u n g usw. n i c h t d a v o n a b h ä n g e n soll, d a ß a u c h die L e g i t i m a t i o n des R e c h t s a n w a l t s i n n e r h a l b der f r a g l i c h e n Frist nachgewiesen wird. dd) Im v o r l i e g e n d e n F a l l e handelt es sich aber nicht um einen vom B e s c h u l d i g t e n bevollmächtigten Rechtsanwalt, sondern um einen solchen des V e r l e t z t e n . Hier muß verlangt werden, daß die Vollmacht i n n e r h a l b d e r M o n a t s f r i s t dem Gericht vorgelegt wird. (Siehe Goltdammers Archiv 39, 477.) ee) Da somit im v o r l i e g e n d e n F a l l e dem Oberlandesgericht innerhalb der gesetzlichen Frist, d.h. vor dem Ablauf des 4. November 1959, ein Antrag des Verletzten deshalb nicht vorgelegen hat, weil die dem Rechtsanwalt Krücke erteilte Vollmacht erst mit Brief vom 1 1 . Dezember 1959 eingereicht worden ist, m u ß d e r A n t r a g a u c h a u s d i e s e m G r u n d e als u n z u l ä s s i g z u r ü c k g e w i e s e n werden.

IV. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts 1 . D i e E n t s c h e i d u n g in d e r S a c h e selbst. Aus den obigen Erörterungen ergibt sich, daß eine Sachentscheidung überhaupt nicht erfolgen kann, da, selbst wenn man einem Antrag auf

Fall 2

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gerichtliche Entscheidung gegen eine „vorläufige Einstellung" stattgeben wollte, der A n t r a g den A n f o r d e r u n g e n des § 172 Abs. 3 nicht genügt. D e r A n t r a g ist d e m n a c h als u n z u l ä s s i g z u r ü c k z u w e i s e n . 2. D i e K o s t e n e n t s c h e i d u n g . a ) Die d u r c h das V e r f a h r e n ü b e r den A n t r a g v e r a n l a ß t e n K o s t e n , bezüglich d e r e n das Gericht g e m ä ß § 176 Sicherheitsleistung verlangen k a n n , bestehen in der in § 74 des Gerichtskostengesetzes vom 26. J u l i 1957 bestimmten G e b ü h r , in d e n d u r c h die etwaigen E r m i t t l u n g e n (§ 173 Abs. 3) verursachten Auslagen sowie in den notwendigen Auslagen, welche d e m Beschuldigten entstanden sind. (Siehe Fall 6, Abschnitt A I I 2 a, S. 1 1 3 . ) b ) Diese Kosten sollen g e m ä ß § 177 d e m A n t r a g s t e l l e r a u f e r l e g t werden, w e n n der A n t r a g n a c h § 174 verworfen wird, „weil sich kein gen ü g e n d e r A n l a ß z u r E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e e r g i b t " . Aus dieser Fassung des § 177 ist zu folgern, d a ß f ü r d e n A n t r a g s t e l l e r K o s t e n n i c h t e r w a c h s e n , w e n n d e r A n t r a g , wie im v o r l i e g e n d e n Falle, wegen eines formellen Mangels, ohne sachliche Prüf u n g z u r ü c k g e w i e s e n w i r d ; d e n n dieser Fall ist in den §§ 174, 177 nicht vorgesehen, u n d es fehlt somit a n einer gesetzlichen Vorschrift, auf G r u n d deren d e m Antragsteller in diesem Falle G e b ü h r e n auferlegt w e r d e n könnten. (Siehe Löwe-Rosenberg, A n m . 3 zu § 177; N J W 52, 239.) (NB. W i r d d e r A n t r a g aus s a c h l i c h e n G r ü n d e n , d e r e n W ü r d i g u n g erst n a c h P r ü f u n g der Formerfordernisse erfolgen darf, g e m ä ß § 174 verworfen, so tritt n a c h Abs. 2 ein b e d i n g t e r V e r b r a u c h d e s S t r a f k l a g e r e c h t s ein. E r a c h t e t dagegen das Gericht den A n t r a g f ü r b e g r ü n d e t , so beschließt es g e m ä ß § 175 die E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e ; die D u r c h f ü h r u n g dieses Beschlusses besteht darin, d a ß die Staatsanwaltschaft die öffentliche K l a g e n a c h M a ß g a b e des Beschlusses unverzüglich erhebt. Diese Regelung, die eine D u r c h b r e c h u n g des in § 150 G V G niedergelegten Grundsatzes bedeutet, d a ß nämlich die Staatsanwaltschaft in ihren Amtsv e r r i c h t u n g e n v o n d e n G e r i c h t e n u n a b h ä n g i g ist, h a t f ü r die S t a a t s a n w a l t s c h a f t keinerlei weitere Bindungen bezüglich des n u n f o l g e n d e n S t r a f v e r f a h r e n s . So b r a u c h t sie insbesondere keine sofortige Beschwerde g e m ä ß § 2 1 0 Abs. 2 einzulegen, falls das Gericht die E r ö f f n u n g des H a u p t verfahrens g e m ä ß § 204 ablehnt. Ebensowenig ist sie gehindert, Freisprechung zu b e a n t r a g e n oder im Falle der Freisprechung auf die Einleg u n g eines Rechtsmittels zu verzichten. Ebenso ist a u c h f ü r die weiteren g e r i c h t l i c h e n Entscheidungen der Beschluß n a c h § 175 in keiner Weise bindend.) (NB. Das Klageerzwingungsverfahren steht d e m Verletzetn n u r i m V e r f a h r e n zur V o r b e r e i t u n g einer e r s t z u e r h e b e n d e n ö f f e n t l i c h e n K l a g e zu, nicht aber in d e m V e r f a h r e n bei W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens n a c h rechtskräftiger A b l e h n u n g der E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s g e m ä ß § 2 1 1 . Urteil des O L G N e u s t a d t in Deutsche Rechtszeitschrift 49, S. 45-) P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

ZU FALL 3 A. Vorbemerkung: Allgemeine Übersicht über den Verlauf des Strafverfahrens bis zur Hauptverhandlung I. D a s Strafverfahren zerfällt in drei Hauptteile: 1. Das V o r v e r f a h r e n (§§ 1 5 1 — 1 9 7 ) . Zu ihm gehört: a) Das sog. v o r b e r e i t e n d e V e r f a h r e n , das im wesentlichen in der Hand des Staatsanwalts liegt (§§ 151 —177). b) D i e g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g (§§ 1 7 8 — 1 9 7 ) . 2. Das H a u p t v e r f a h r e n . Zum Hauptverfahren im weiteren Sinn gehört: a) Das E r ö f f n u n g s v e r f a h r e n ( § § 1 9 8 — 2 1 2 b ) . b) V o r b e r e i t u n g der Hauptverhandlung (§§ 2 1 3 — 2 2 5 ) . c) Die H a u p t v e r h a n d l u n g ( § § 2 2 6 — 2 7 5 ) . 3. Das V o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n , das die Verwirklichung der vom Gericht gegen den Angeklagten verhängten Strafe bzw. Sicherungsmaßregel bezweckt und das allgemein in der Hand des Staatsanwalts liegt (s. Nachtrag zu Fall 4, S. 93). II. Die Anklage (wegen Vorbereitung der öffentlichen Klage siehe Fall 2, Abschn. A). 1. Die Anklage ist die u n b e d i n g t e V o r a u s s e t z u n g einer jeden gerichtlichen Untersuchung bzw. Strafentscheidung (sog. Akkusationsprinzip, § 151)2. Zur E r h e b u n g der öffentlichen Klage ist gemäß § 152 I die S t a a t s a n w a l t s c h a f t berufen (sog. A n k l a g e m o n o p o l d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t , durchbrochen in §§ 1 7 2 f r . S.Fall 2 Abschn. B III) und in § 2 0 8 II, s. Fall 2 Abschn. B III und in § 208 II. (Wegen des L e g a l i t ä t s p r i n z i p s nach §§ 152 II, 160 I siehe Fall 2 Abschn. A III, S. 42.) a) Die s a c h l i c h e und ö r t l i c h e Zuständigkeit der Staatsanwalts bestimmt sich nach der Zuständigkeit der Gerichte, bei denen die Staatsanwaltschaft besteht. (§§ 142, 143 GVG.) b) Die Staatsanwaltschaft ist eine abhängige Behörde. Im Gegensatz zu den nur dem Gesetz unterworfenen Richtern sind die Staatsanwälte den dienstlichen Weisungen ihrer Vorgesetzten unterworfen (§146 GVG), und zwar nicht nur solchen allgemeiner Natur, sondern auch speziellen Anweisungen in der konkreten Sache (E. 44, 77). Daß eine solche Anweisungsmöglichkeit in r e c h t l i c h e n Fragen besteht, kann nicht zweifelhaft sein. Dagegen erscheint es fraglich und ist bestritten, ob der Staatsanwalt auch bezüglich der t a t s ä c h l i c h e n Würdigung des Beweisergebnisses an etwaige Weisungen seines Vorgesetzten gebunden ist, d.h. ob er insbeson-

Fall 3

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dere auf Weisung des Vorgesetzten die Anklage erheben, bzw. ein Rechtsmittel gegen ein freisprechendes Urteil einlegen m u ß oder a u c h n u r darf, w e n n er persönlich von d e r U n s c h u l d des Beschuldigten ü b e r z e u g t ist, u n d umgekehrt, o b der Befolgung einer solchen Weisung die S t r a f b e s t i m m u n g e n der §§ 344, 346 StGB entgegenstehen. Gegen eine Weisungsmöglichkeit seitens des Vorgesetzten in E r m e s s e n s f r a g e n (z.B. bei A n w e n d u n g des §153) d ü r f t e n wohl keine Bedenken bestehen. c ) Aus der schon e r w ä h n t e n Organisation d e r Staatsanwaltschaft ergibt sich ferner das sog. D e v o l u t i o n s - u n d S u b s t i t u t i o n s r e c h t der oberen staatsanwaltschaftlichen Beamten, w o n a c h j e d e r erste Beamte einer Staatsanwaltschaft bei j e d e m Gericht seines Bezirks die amtlichen V e r r i c h t u n g e n selbst v o r n e h m e n oder a u c h a n Stelle des a n sich zuständigen Beamten einen a n d e r e n mit der W a h r n e h m u n g der Geschäfte b e a u f t r a g e n k a n n (§ 145 G V G ) . (N. B. A u s s c h l i e ß u n g s - u n d A b l e h n u n g s g r ü n d e , wie sie g e m ä ß §§22 ff. f ü r R i c h t e r bestehen, gibt es f ü r die Staatsanwaltschaft nicht.) 3 . Die E r h e b u n g d e r K l a g e geschieht regelmäßig entweder d u r c h den A n t r a g auf V o r u n t e r s u c h u n g oder d u r c h die Einreichung einer Anklageschrift (§ 170). (Wegen der Besonderheit im b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n s. u n t e n Abschn. 7 u n d bei der N a c h t r a g s a n k l a g e Fall 5, N a c h t r a g . Abschn. I I I . ) Als dritte F o r m d e r „ K l a g e e r h e b u n g " h a t schließlich der A n t r a g auf E r l a ß eines Strafbefehls zu gelten (siehe Fall 14, Abschnitt A l l , S. 187). I n d e m A n t r a g e auf V o r u n t e r s u c h u n g ist stets die E r h e b u n g d e r Klage enthalten, in der Einreichung der Anklageschrift n u r d a n n , w e n n nicht eine V o r u n t e r s u c h u n g vorausgegangen ist (§ 199), andernfalls h a t , d a die K l a g e bereits e r h o b e n war, die Einreichung der Anklageschrift n u r die Bedeutung einer ein neues Prozeßstadium einleitenden P r o z e ß h a n d l u n g (§ 198). 4. D i e A n k l a g e s c h r i f t h a t e i n e d o p p e l t e F u n k t i o n . a ) Sie ist d a z u bestimmt, das G e r i c h t ü b e r die Sachlage in tatsächlicher u n d rechtlicher Beziehung zu i n f o r m i e r e n u n d i h m d a d u r c h die Möglichkeit z u r Entscheidung d a r ü b e r zu geben, o b die notwendigen Voraussetzungen f ü r die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s gegeben sind. b ) Die Anklageschrift ist ferner d a z u bestimmt, den A n g e s c h u l d i g t e n ü b e r die R i c h t u n g u n d B e g r ü n d u n g der Anschuldigung u n d insbesondere ü b e r die gegen ihn v o r z u b r i n g e n d e n Beweise d u r c h ein sog. E r m i t t l u n g s e r g e b n i s in K e n n t n i s zu setzen. V o n einem solchen Ermittlungsergebnis k a n n g e m ä ß § 200 Abs. 2 n u r a b g e s e h e n werden, w e n n Anklage b e i m Amtsrichter als Einzelrichter e r h o b e n wird. 5. Die z w i n g e n d e n E r f o r d e r n i s s e j e d e r A n k l a g e s c h r i f t sind n a c h § 200: a ) die Bezeichnung der P e r s o n des Angeschuldigten; b ) die Bezeichnung der T a t , d . h . des geschichtlichen Vorgangs, der den Gegenstand der Anklage bildet, u n d die Angabe, welcher s t r a f r e c h t l i c h e T a t b e s t a n d d u r c h diesen V o r g a n g n a c h Ansicht der Staatsanwaltschaft verwirklicht w i r d ; 4*

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I I . Teil: Lösungen c) die A n g a b e der G e s e t z e s b e s t i m m u n g e n

(Paragraphen);

d) die A n g a b e der B e w e i s m i t t e l , u n d zwar nicht n u r der belastenden, sondern a u c h d e r entlastenden; e) die A n g a b e d e s G e r i c h t s , vor welchem die H a u p t v e r h a n d l u n g stattfinden soll; f) die A u f n a h m e eines E r m i t t l u n g s e r g e b n i s s e s (s. oben Ziff. 4b). 6. M ä n g e l d e r A n k l a g e s c h r i f t . Die Anklage ist eine unentbehrliche Voraussetzung f ü r das gerichtliche V e r f a h r e n . Sie unterliegt als sogenannte U r t e i l s v o r a u s s e t z u n g (Schwarz V o r b e m . 1 B vor § 1 5 1 ; E. 77, 22, 35) prozessual den f ü r die Prozeßvoraussetzungen entwickelten G r u n d s ä t z e n . (Siehe hierzu N a c h t r a g zu Fall 7, S. 136.) Weist die Anklage M ä n g e l auf, so h a t das Gericht die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s bis zur Beseitigung des Mangels a b z u lehnen. Ergibt sich erst im L a u f e des gerichtlichen Verfahrens, d a ß die A n k l a g e f e h l t (wichtig vor allem dort, wo eine N a c h t r a g s a n k l a g e erforderlich wird!), so ist dieser M a n g e l in j e d e r Lage des Verfahrens, also a u c h in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu p r ü f e n (Schwarz V o r b e m . 1 B vor § 1 5 1 ; E. 67, 59). Entsprechendes gilt, w e n n die Anklage, abgesehen von den Fällen der §§ 212, 266 n i c h t s c h r i f t l i c h erhoben w u r d e (E. 57, 59) oder sonst e r h e b l i c h e M ä n g e l aufweist, z.B. w e n n T a t u n d T ä t e r nicht hinreichend bestimmt sind (Eb. Schmidt a . a . O . Teil I N r . 121). I m übrigen aber k a n n die R e v i s i o n auf einen M a n g e l d e r Anklageschrift n i c h t g e s t ü t z t werden, weil nicht die Anklageschrift, sondern der in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g allein zu verlesende E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß die G r u n d lage d e r H a u p t v e r h a n d l u n g bildet, das Urteil also nicht auf der Anklageschrift b e r u h t (E. 31, 104). A u c h steht d e m Angeklagten kein R e c h t zu, wegen Mangelhaftigkeit d e r Anklage die Aussetzung d e r V e r h a n d l u n g u n d die nachträgliche Vervollständigung der Anklageschrift zu verlangen ( G o l d t a m m e r s Archiv 35, 3 2 1 ) . 7. D i e Z u r ü c k n e h m b a r k e i t

der

Klage.

a) G e m ä ß § 156 k a n n die öffentliche K l a g e n u r bis z u r E r ö f f n u n g der V o r u n t e r s u c h u n g oder des H a u p t v e r f a h r e n s z u r ü c k g e n o m m e n w e r d e n . b ) Beantragt die Staatsanwaltschaft n a c h geführter V o r u n t e r s u c h u n g , d e n Angeschuldigten a u ß e r Verfolgung zu setzen, so k a n n sie dieses Ergebnis nicht erzwingen. Vielmehr ist das Gericht n a c h M a ß g a b e des § 208 Abs. 1 befugt, t r o t z d e m die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s zu beschließen; die Staatsanwaltschaft ist in diesem Falle g e m ä ß § 208 Abs. 2 verpflichtet, eine d e m Beschluß entsprechende Anklageschrift einzureichen. ( D u r c h b r e c h u n g des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft.) c) W e g e n Z u r ü c k n a h m e des Antrags auf S t r a f b e f e h l siehe Fall 14, Abschnitt A V I , S. 189. d ) W e g e n Z u r ü c k n a h m e d e r P r i v a t k l a g e , siehe Fall 16, Abschnitt A V I I 5, S. 210.

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I I I . D i e g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g (§§ 178—197). 1. Sie ist dazu b e s t i m m t , die gegen den Angeschuldigten wegen einer bestimmten T a t erhobene Beschuldigung so weit zu klären, d a ß eine Entscheidung des Gerichts d a r ü b e r erfolgen kann, ob das H a u p t v e r f a h r e n zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen ist (§ 190). Sie dient daher demselben Zweck wie das vorbereitende Verfahren, jedoch mit d e m Unterschied, d a ß in der Voruntersuchung bereits die Anschuldigung wegen einer b e s t i m m t e n T a t gegen eine b e s t i m m t e Person als T ä t e r oder Teilnehmer gerichtet ist. Der W e r t d e r V o r u n t e r s u c h u n g liegt im allgemeinen darin, d a ß der L e i t e r der Voruntersuchung die zur D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens notwendigen Z w a n g s m a ß n a h m e n , wie Verhaftung, Beschlagnahme u n d Durchsuchung in eigener Person vornehmen kann, also ohne jeweils die Mitwirkung des f ü r diese M a ß n a h m e n an sich zuständigen Gerichts (in der Regel des Amtsgerichts) in Anspruch n e h m e n zu müssen. 2. E i n e V o r u n t e r s u c h u n g f i n d e t s t a t t : a ) I n den zur Zuständigkeit des B u n d e s g e r i c h t s h o f s , des O b e r l a n d e s g e r i c h t s im ersten Rechtszuge oder des S c h w u r g e r i c h t s gehörenden Strafsachen. I m letztgenannten Falle ( S c h w u r g e r i c h t ) entfällt eine Voruntersuchung, wenn der Beschuldigte durch einen Richter vernommen ist, der Tatbestand einfach liegt u n d die Voruntersuchung nach d e m Ermessen der Staatsanwaltschaft nicht erforderlich ist. Doch k a n n der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§201) die Durchf ü h r u n g einer Voruntersuchung beantragen; d e m Antrag ist stattzugeben (§ 178 Abs. 1). b ) I n den zur Zuständigkeit der S t r a f k a m m e r im ersten Rechtszug u n d zur Zuständigkeit des S c h ö f f e n g e r i c h t s gehörenden Sachen, wenn der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§ 201) oder die Staatsanwaltschaft dies beantragt u n d erhebliche G r ü n d e geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint (§178 Abs. 2). 3. U b e r den staatsanwaltschaftlichen Antrag auf E r ö f f n u n g d e r V o r u n t e r s u c h u n g hat zunächst der U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r zu entscheiden (§ 184). Dabei ist zu beachten, d a ß die Grenzen der richterlichen P r ü f u n g bei Eröffnung der V U viel enger gezogen sind als bei der P r ü f u n g des Antrags auf Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 insofern, als im ersteren Falle der Antrag nur aus r e c h t l i c h e n u n d nicht auch aus tatsächlichen G r ü n d e n abgelehnt werden kann, also insbesondere nicht mit der Begründung, das Beweisergebnis sei unzureichend. Glaubt der U R , d a ß ein g e s e t z l i c h e s H i n d e r n i s i. S. des § 180 vorliege, so legt er die Akten der StrK zur Entscheidung vor ( § 7 3 G V G ) . Diese lehnt durch Beschluß e n t w e d e r den Antrag der StA (oder des Angeschuldigten) a b (§ 183, anfechtbar mit der sofortigen Beschwerde) oder ordnet durch unanfechtbaren Beschluß die Eröffnung der V U a n (§ 18 2 11), auf G r u n d dessen der U R die Eröffnung zu verfügen hat (wegen des „ E i n w a n d s " des Angeschuldigten siehe §§ 181, 182 I).

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II. Teil: Lösungen

4. Die L e i t u n g der Voruntersuchung steht nach § 184 dem U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r zu. In einigen Fällen hat das G e r i c h t an Stelle des Untersuchungsrichters zu entscheiden, so z. B. bei Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten (§81), ferner in den Fällen der §§ 115 a, 197 Abs. 2. Für die Entscheidung von B e s c h w e r d e n gegen den Untersuchungsrichter ist gemäß § 304 die Strafkammer zuständig. 5. Ein R e c h t a u f T e i l n a h m e an der Voruntersuchung haben die Prozeßbeteiligten n u r bei der vorweggenommenen Beweisaufnahme des § 193, also nicht bei der Vernehmung des Angeschuldigten; diese findet ebenso wie im vorbereitenden Verfahren (§ 169 Abs. 2) in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers statt (§ 192 Abs. 2). 6. Nach S c h l u ß d e r V o r u n t e r s u c h u n g legt der Untersuchungsrichter der Staatsanwaltschaft die Akten zur Stellung ihrer Anträge vor. Der Staatsanwalt erhebt nun e n t w e d e r A n k l a g e in derselben Form, wie wenn keine Voruntersuchung stattgefunden hätte, o d e r er stellt den Antrag bei Gericht, den Angeschuldigten a u ß e r V e r f o l g u n g zu setzen. Der Staatsanwalt kann also das Verfahren nicht selbst einstellen und hat auch keine Möglichkeit, die Außerverfolgungsetzung zu erzwingen. (Siehe § 208 und die Ausführugnen oben in Abschnitt II 7 b.) IV. Die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 198 bis 212b). 1. Nach durchgeführter V o r u n t e r s u c h u n g entscheiden gemäß § 198 in den zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs oder der Oberlandesgerichte gehörigen Sachen diese Gerichte (Strafsenate), sonst das L a n d g e r i c h t (Strafkammer) darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist. 2. D e r B e s c h l u ß ü b e r d i e E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s (§§ 203, 207), der den Gegensatz zu der in § 204 bezeichneten Entscheidung bildet, ist z u e r l a s s e n , wenn das Gericht auf Grund des ihm von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Aktenmaterials die Überzeugung gewinnt, daß der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung h i n r e i c h e n d v e r d ä c h t i g , d. h. daß eine strafbare und schuldhafte Handlung des Angeschuldigten w a h r s c h e i n l i c h ist. Dabei ist das Gericht bei seiner Beschlußfassung an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden (§ 206). Es kann also eröffnen, während die Staatsanwaltschaft Außerverfolgungsetzung beantragt und umgekehrt. Es ist ferner zur Umgestaltung der Klage in demselben Umfang befugt wie gemäß § 264 das erkennende Gericht gegenüber dem Eröffnungsbeschluß (siehe hierzu Nachtrag zu Fall 5, Abschn. I S . 107); es kann also insbesondere die Tat rechtlich anders qualifizieren, als es in der Anklage geschehen ist, z. B. statt als Diebstahl als Unterschlagung, oder statt als R a u b als Diebstahl oder umgekehrt. Dadurch kann u. U. auch eine Änderung in der s a c h l i c h e n Zuständigkeit eintreten, so daß evtl. das Hauptverfahren vor einem anderen als dem in der Anklageschrift bezeichneten Gericht er-

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öffnet werden m u ß . (NB. qualifiziert der Eröffnungsbeschluß milder als die Anklage, so darf nicht etwa eine Einstellung bezüglich der schwereren T a t erfolgen.) 3. M i t d e m Eröffnungsbeschluß ist die Sache bei d e m e r k e n n e n d e n G e r i c h t anhängig geworden; diesem steht von n u n a n die Ausübung der richterlichen Gewalt zu, jedoch mit der M a ß g a b e , d a ß in s c h ö f f e n g e r i c h t l i c h e n Sachen die vor dem Beginn der H a u p t v e r h a n d l u n g erforderlichen Entscheidungen von d e m Amtsrichter (§ 30 Abs. 2 G V G ) , in s c h w u r g e r i c h t l i c h e n Sachen die vor d e m Beginn der Sitzungsperiode erforderlichen von der Strafkammer zu erlassen sind (§ 82 Abs. 2 GVG). 4. D e r E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß b i l d e t d i e n o t w e n d i g e V o r a u s setzung u n d G r u n d l a g e der H a u p t v e r h a n d l u n g . Er begrenzt das Gebiet der Urteilsfindung (§§ 264—266) u n d gibt ferner d e m Angeklagten d a r ü b e r Belehrung, wie er seine Verteidigung zweckmäßig u n d erschöpfend zu f ü h r e n h a b e (Einzelheiten siehe E 10, 5 7 ; B G H 5, 226; 5, 2 6 1 ; 10, 137). 5. D a s G e r i c h t h a t d i e E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s a b z u l e h n e n (siehe Löwe-Rosenberg, A n m . 3 zu § 203), a ) wenn die öffentliche Klage erhoben wurde, obwohl eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g oder eine K l a g e v o r a u s s e t z u n g fehlte, ferner wenn ein P r o z e ß h i n d e r n i s der E r h e b u n g der Klage oder der Fortsetzung des Verfahrens entgegenstand (siehe Nachtrag zu Fall 7, S. 136). b ) wenn die T a t unter k e i n S t r a f g e s e t z fällt; c) w e n n es an genügenden B e w e i s e n f e h l t ; d ) wenn ein Rechtfertigungs- oder S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d (z. B. Zurechnungsunfähigkeit) als hinreichend bewiesen anzusehen ist; e) wenn ein S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d oder ein S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d vorliegt. 6. Gelangt eine Strafsache, abgesehen von den besonderen Fällen der § § 2 1 2 , 266, 4 1 1 , o h n e v o r g ä n g i g e n E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß zur H a u p t v e r h a n d l u n g (ein Fall, der in der Praxis wohl selten vorkommen dürfte), so m u ß auf Einstellung erkannt werden, u m einem anderweiten Verfahren R a u m zu geben (E. 24, 65). Wird das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses erst in der Revisionsinstanz aufgedeckt, so ist dieser Mangel als Verfahrenshindernis von Amts wegen zu berücksichtigen. E r wird in der Regel zur A u f h e b u n g des Urteils f ü h r e n (BGH 8, 283). Eine A u s n a h m e von diesem Grundsatz ist n u r d a n n denkbar, w e n n der Sachverhalt in tatsächlicher u n d rechtlicher Hinsicht so einfach gelagert ist, d a ß sämtliche Prozeßbeteiligten sich auch ohne Verlesung des Eröffnungsbeschlusses ü b e r die Sach- u n d Rechtslage Klarheit verschaffen können u n d mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, d a ß das Urteil auf der Verletzung des § 243 I I beruhte. (NB. O b der Eröffnungsbeschluß verlesen w u r d e oder nicht, k a n n n u r durch das Protokoll bewiesen werden, § 274; siehe auch B G H 8, 283 u n d Fall 5 Abschnitt A I 4 d, S. 101.)

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II. Teil: Lösungen

7. Dem gänzlichen Fehlen des Eröffnungsbeschlusses ist der Fall gleichzusetzen, daß der Eröffnungsbeschluß w e s e n t l i c h e M ä n g e l enthält, welche in der Hauptverhandlung nicht mehr verbessert werden können. Ein solcher Mangel liegt z. B. vor, wenn der Eröffnungsbeschluß von zwei Richtern der Strafkammer erlassen worden ist (E. 43, 218), oder wenn einer der in §§ 22, 23 genannten Ausschließungsgründe gegeben war (E. 55, 113) oder wenn der Eröffnungsbeschluß—-gegebenenfalls in Verbindung mit der Anklageschrift — die Tat nicht so bezeichnet, daß sie für alle Beteiligten genügend bestimmbar ist (BGH 10, 137). 8. Der Eröffnungsbeschluß kann v o n d e m A n g e k l a g t e n n i c h t a n g e f o c h t e n werden (§ qio Abs. 1). Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens a b g e l e h n t oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sof o r t i g e B e s c h w e r d e zu (§ 210 Abs. 2). 9. Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß a b g e l e h n t , so kann die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden (§ 211). V. Das Gesetz bezeichnet mit dem Ausdruck „Vorbereitung der Hauptverhandlung" (§§ 213—225) den Inbegriff aller derjenigen Handlungen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, welche in den Zeitraum zwischen dem Erlaß der das Hauptverfahren eröffnenden Entscheidung und dem Beginn der Hauptverhandlung selbst fallen. Die im Gesetz für dieses Stadium des Verfahrens vorgesehene Tätigkeit des Vorsitzenden besteht in der Hauptsache darin, 1. den T e r m i n z u r H a u p t v e r h a n d l u n g zu bestimmen (§ 213), 2. die L a d u n g des Angeklagten und des Verteidigers zu bewirken und die Vorbereitungen für die Beweisaufnahme zu treffen, d. h. die Ladungen der Zeugen u n d Sachverständigen, sowie die Herbeischaffung der als Beweismittel dienenden Gegenstände zu veranlassen (§§ 214—222); 3. die k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g der Zeugen und Sachverständigen, deren Vernehmung in der Hauptverhandlung Hindernisse entgegenstehen, anzuordnen (§ 223). Dabei ist die Bestimmung des § 224 zu beachten, die auch auf den Fall zur Anwendung gelangt, daß vor der Hauptvcrhandlung ein Augenschein einzunehmen ist (§ 225). Ihre Verletzung begründet die Revision (BGH 9, 24). 4. Gegebenenfalls ist auch die k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g d e s A n g e k l a g t e n zu veranlassen, sofern dieser auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden wurde (§ 233). Hierbei ist zu beachten, daß das Protokoll über die richterliche Vernehmung sich nicht in einer Bezugnahme auf eine vorangegangene polizeiliche Vernehmung erschöpfen darf. Vielmehr ist der wesentliche Inhalt der Aussage im Protokoll festzuhalten. Enthält nur das polizeiliche, nicht aber auch das richterliche Protokoll ein G e s t ä n d n i s , so kommt eine Verlesung

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g e m ä ß § 254 nicht in Betracht (siehe a u c h B G H 6, 279 u n d 7, 73 betr. V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e des Ermittlungsrichters). V I . „ A n g e s c h u l d i g t e r " heißt der Beschuldigte, gegen den die öffentliche K l a g e e r h o b e n w o r d e n ist, w ä h r e n d der Beschuldigte, gegen d e n das H a u p t v e r f a h r e n eröffnet w o r d e n ist, als „ A n g e k l a g t e r " bezeichnet wird (§ 157)- „ B e s c h u l d i g t e r " ist die allgemeine Bezeichnung f ü r denjenigen, gegen d e n ein Strafverfahren im G a n g e ist. V I I . D a s b e s c h l e u n i g t e V e r f a h r e n (§§ 2 1 2 — 2 1 2 b ) . Die G r u n d s ä t z e f ü r dieses V e r f a h r e n sind folgende: 1. I m V e r f a h r e n vor d e m A m t s r i c h t e r u n d d e m S c h ö f f e n g e r i c h t k a n n der Staatsanwalt schriftlich oder m ü n d l i c h d e n A n t r a g auf Aburteilung i m beschleunigten V e r f a h r e n stellen, w e n n der S a c h v e r h a l t e i n f a c h u n d die s o f o r t i g e A b u r t e i l u n g möglich ist (§ 212). ( I n J u g e n d strafsachen ist dieses V e r f a h r e n ausgeschlossen, § 79 I I J G G . ) 2 . Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag, so wird, o h n e d a ß es e i n e r E n t s c h e i d u n g ü b e r d i e E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s bedarf, die H a u p t v e r h a n d l u n g sofort d u r c h g e f ü h r t oder mit kürzester Frist anb e r a u m t (§ 2 1 2 a Abs. 1). D e r Einreichung einer A n k l a g e s c h r i f t bedarf es nicht. Die Anklage k a n n vielmehr m ü n d l i c h e r h o b e n w e r d e n (§ 2 1 2 a Abs. 2). Einer L a d u n g des Beschuldigten (die Frist beträgt 24 Stunden) bedarf es n u r , w e n n er sich nicht freiwillig z u r H a u p t v e r h a n d l u n g stellt oder nicht d e m Gericht vorgeführt wird (§ 212 a Abs. 3). 3. D e r Amtsrichter oder das Schöffengericht l e h n t d i e A b u r t e i l u n g i m b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n a b , w e n n sich a) die Sache z u r V e r h a n d l u n g in diesem V e r f a h r e n nicht eignet oder wenn b ) eine h ö h e r e Strafe als 1 J a h r Gefängnis zu erwarten ist. Z u c h t h a u s oder eine M a ß r e g e l der Sicherung u n d Besserung darf in diesem V e r f a h r e n nicht v e r h ä n g t w e r d e n . Zulässig ist j e d o c h die E n t z i e h u n g der F a h r erlaubnis (§ 2 1 2 b Abs. 1). Die A b l e h n u n g k a n n a u c h in der H a u p t v e r h a n d l u n g bis z u r Verk ü n d u n g des Urteils erfolgen (§ 212 b Abs. 2). I m Falle der A b l e h n u n g bedarf es der Einreichung einer n e u e n Anklageschrift ( § 2 1 2 Abs. 3). V I I I . Die H a u p t v e r h a n d l u n g u n d d e r e n V e r l a u f : Siehe Fall 5, Abschnitt A.

B. Lösung des Falles I. In dem vorbereitenden Verfahren ist ein zur Hauptverhandlung nicht geladener Zeuge beeidigt worden m i t der i m Protokoll angegebenen Begründung, daß d e m Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden könne.

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II. Teil: Lösungen

1 . V o r b e m e r k u n g : Z e u g e n sind am Verfahren unbeteiligte Personen, die über von ihnen gemachte sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen aussagen sollen (E. 52, 289). a) Z e u g e n können daher nicht sein: aa) der amtierende R i c h t e r (dagegen kann der Richter I. Instanz in der zweiten Instanz als Zeuge vernommen werden, ebenso der Untersuchungsrichter) , bb) der amtierende S t a a t s a n w a l t (E. 29, 236); wird seine Vernehmung als Zeuge beschlossen, so muß an seiner Stelle ein anderer Staatsanwalt der weiteren Verhandlung beiwohnen, das gleiche gilt für den V e r t e i d i g e r (E. 24, 108), für den im Falle notwendiger Verteidigung ein Ersatzverteidiger zu stellen ist (E. 54, 175). cc) der P r i v a t k l ä g e r (der Nebenkläger kann Zeuge sein), dd) der M i t b e s c h u l d i g t e , es sei denn, daß das Verfahren gegen ihn abgetrennt ist (E. 52, 138). b) Jeder ordnungsmäßig geladene Zeuge (s. §§214, 220, 386) hat vor dem Richter, vor den er geladen ist, zu erscheinen. Unentschuldigtes A u s b l e i b e n hat die in § 51 genannten Folgen (Verurteilung in die Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld, hilfsweise bis zu 6 Wochen Haft; außerdem kann zwangsweise Vorführung angeordnet werden). Die Erscheinungspflicht einer u n m i t t e l b a r geladenen Person (§§ 220, 386) ist davon abhängig, daß dieser bei der Ladung entweder die gesetzliche Entschädigung bar dargeboten oder deren Hinterlegung bei der Geschäftsstelle nachgewiesen wird. Ist dies der Fall, so zieht ein unentschuldigtes Ausbleiben dieselben Folgen nach sich, die beim Nichterscheinen eines amtlich Geladenen nach § 51 eintreten. c) Jeder Zeuge muß über den Gegenstand seiner Vernehmung aussagen (§ 69) und grundsätzlich seine Aussagen beschwören. (Wegen der Ausnahmen siehe die Ausführungen in Abschnitt II, S. 64 ff.) Die unberechtigte Zeugnis- oder E i d e s v e r w e i g e r u n g hat, wie das unentschuldigte Ausbleiben, nach § 70 Verurteilung in die Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld, hilfsweise Haftstrafe bis zu 6 Wochen zur Folge; außerdem kann zur E r z w i n g u n g des Zeugnisses die Haft angeordnet werden. (NB. Die Maßnahmen des § 70 dürfen nur zur Herbeiführung v e r w e i g e r t e r , nicht dagegen zur Erreichung wahrheitsgemäßer Aussagen angewandt werden. E. 73, 31. Siehe auch Vorbem. Fall 4, Abschn. II, S. 87.) d) Jeder Zeuge ist nach Belehrung gemäß § 57 einzeln und nach seiner Vernehmung zu vereidigen (§ 59 S. 1), nachdem er in Abwesenheit der später zu vernehmenden Zeugen vernommen worden ist (§ 58). Die V e r e i d i g u n g selbst geschieht nach §66c in der Weise, daß der Zeuge nicht die ganze Eidesnorm und Eidesformel nachspricht, sondern nur sagt: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe", nachdem vorher der Richter an den Zeugen die Worte gerichtet hat: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben". Das „Nicht-

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verschweigen" bezieht sich nicht auf solche Tatsachen, hinsichtlich deren ein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55) besteht. Erfolgt eine w i e d e r h o l t e Vernehmung des Zeugen im gleichen Vorverfahren oder Hauptverfahren — z. B. Vernehmung des bereits im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen im Berufungsverfahren — so genügt Berufung auf den früher geleisteten Eid (§ 67.) e) Jeder Zeuge hat nach § 71 nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis und auf Erstattung der Reisekosten. 2. Die V e r e i d i g u n g der Z e u g e n e r f o l g t g e m ä ß § 59 S a t z 2 g r u n d s ä t z l i c h in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , abgesehen von dem Falle der kommissarischen Vernehmung gemäß § 223, die nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen kann, wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder wenn einem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. A u s n a h m s w e i s e kann eine Beeidigung s c h o n im V o r v e r f a h r e n stattfinden, nämlich in der V o r u n t e r s u c h u n g nach § 66 dann, wenn Gefahr im Verzug ist (E. 43, 336), oder der Eid als Mittel zur Herbeiführung einer wahren Aussage über einen für das weitere Verfahren erheblichen Punkt erforderlich erscheint, oder der Zeuge voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert sein wird, oder schließlich, wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. Im v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n ist die Vereidigung eines Zeugen nach § 65 nur zulässig, wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn der Eid als Mittel zur Herbeiführung einer wahren Aussage über einen für das weitere Verfahren erheblichen Punkt erforderlich erscheint. Im vorbereitenden Verfahren wegen einer Übertretung ist die Vereidigung unzulässig. Darüber, ob eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Beeidigung des Zeugen vorliegt, hat in der Voruntersuchung der Untersuchungsrichter und im vorbereitenden Verfahren der die Vernehmung bewirkende Amtsrichter zu entscheiden. Es steht somit für den v o r l i e g e n d e n F a l l fest, daß die B e e i d i g u n g des Zeugen u n g e s e t z l i c h war, da sie im vorbereitenden Verfahren aus einem Grunde vorgenommen wurde, der nach § 66 nur in der Voruntersuchung Platz greift. 3. A n g e s i c h t s d i e s e r S a c h l a g e e r h e b t s i c h f ü r d e n V o r s i t z e n d e n d i e F r a g e , ob t r o t z d i e s e s V e r s t o ß e s d i e V e r l e s u n g des P r o t o k o l l s ü b e r d i e s e Z e u g e n v e r n e h m u n g in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g e r f o l g e n k a n n , o d e r ob d i e L a d u n g d e s Z e u g e n z u r H a u p t v e r h a n d l u n g bzw. eine k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g n a c h § 223 g e b o t e n e r s c h e i n t .

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I I . Teil: Lösungen

a) Die V e r l e s u n g d e r N i e d e r s c h r i f t ü b e r e i n e f r ü h e r e r i c h t e r l i c h e V e r n e h m u n g (eine Abweichung von der Regel des § 250) darf an Stelle der mündlichen Vernehmung einer Person vor dem erkennenden Gericht n u r unter den in § 251 bestimmten Voraussetzungen erfolgen. (S. hierzu Nachtrag A zu diesem Falle, S. 76.) b) Nach § 251 Abs. 1 Ziff. 3 ist die V e r l e s u n g d e r N i e d e r s c h r i f t (Protokoll) über eine frühere richterliche Vernehmung eines Zeugen u. a. auch dann z u l ä s s i g , wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. c) Bezüglich der Frage, ob und inwieweit ä u ß e r e F o r m m ä n g e l des Protokolls, insbesondere Verstöße gegen die Vorschriften der §§ 168, 187, 188 oder in wieweit Verletzung der Bestimmungen über die Z e u g n i s bzw. E i d e s v e r w e i g e r u n g (§§ 52, 63) oder über die B e e i d i g u n g (§§ 60—66e) die Beweiskraft des Protokolls aufheben und daher seine Verlesung und Verwertung in der Hauptverhandlung unzulässig machen, enthält die Strafprozeßordnung keine Bestimmungen. Hiernach muß es in jedem einzelnen Falle der freien Würdigung des erkennenden Gerichts (§ 261) überlassen bleiben, welche Bedeutung den etwaigen Verstößen und Mängeln beizumessen und ob die Beweiskraft des Protokolls oder doch eines Teils desselben für aufgehoben zu erachten sei. (Siehe auch S. 87.) d) F ü r d e n v o r l i e g e n d e n F a l l e r g i b t s i c h d e m n a c h f o l g e n d e s : aa) Ein Mangel in der F o r m d e s P r o t o k o l l s liegt laut Tatbestand nicht vor; es enthält insbesondere auch (gemäß § 6 6 a ) den vom Amtsrichter angenommenen Grund der Beeidigung. bb) Abs. 4 des § 251 enthält bezüglich der Beeidigung der zur Verlesung gelangenden Aussagen von Zeugen und Sachverständigen nur die Bestimmung, daß f e s t g e s t e l l t w e r d e n m u ß , o b d e r V e r n o m m e n e v e r e i d i g t w o r d e n ist, und daß eine Beeidigung nachgeholt werden kann, wenn sie dem Geicht notwendig erscheint und noch ausführbar ist. Damit hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, daß der G r u n d d e r B e e i d i g u n g nicht einmal der Erwähnung, geschweige denn der Prüfung in der Hauptverhandlung bedarf. cc) Trotzdem wird das Gericht von der Verlesung eines Vernehmungsprotokolls absehen müssen, wenn im einzelnen Fall die Möglichkeit nicht ausgeschlossen erscheint, daß die B e w e i s k r a f t des Protokolls durch die Tatsache der unzulässigen Beeidigung beeinträchtigt wird. Eine solche Möglichkeit erscheint aber vorliegend ausgeschlossen. Die Aussagen des fraglichen Zeugen sind dadurch, daß sie entgegen der Bestimmung des § 65 beeidigt worden sind, in keiner Weise in ihrer G l a u b w ü r d i g k e i t b e e i n t r ä c h t i g t worden. I h r e V e r w e r t u n g a l s b e e i d i g t e A u s s a g e kann daher eine w a h r h e i t s g e m ä ß e U r t e i l s f i n d u n g nicht gefährd e n . Abgesehen davon hätte aber das Gericht auch ohne weiteres die Möglichkeit, die fraglichen Aussagen des Zeugen l e d i g l i c h a l s u n b e e i d i g t e zu werten und dadurch einen Zusammenhang zwischen der Gesetzesverletzung und dem Urteil auszuschließen (§ 337).

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D e r A m t s r i c h t e r wird somit dem ersten im v o r b e r e i t e n d e n Verfahren entstandenen Fehler keine weitere Beachtung schenken und insbesondere davon absehen, den Z e u g e n zur H a u p t v e r h a n d l u n g z u l a d e n . (Siehe a u c h E. 10, 157.)

II. In der Voruntersuchung ist der Neffe N des Angeschuldigten H gemäß § 66 Nr. 4 eidlich v e r n o m m e n worden, ohne daß er über sein Zeugnis- und Eidesverweigerungsrecht belehrt worden ist, und obwohl, wie sich nachträglich herausgestellt hat, auch gegen ihn der Verdacht einer Beteiligung an der gewerbsmäßigen Hehlerei besteht. I . V o r b e m e r k u n g e n , a ) N a c h § 5 2 ist zur V e r w e i g e r u n g d e s Z e u g n i s s e s berechtigt der V e r l o b t e und Ehegatte des Beschuldigten u n d w e r mit d e m Beschuldigten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder d u r c h A n n a h m e an K i n d e s Statt verbunden oder in der Seitenlinie bis z u m dritten G r a d v e r w a n d t oder bis z u m zweiten G r a d verschwägert ist, a u c h w e n n die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht m e h r besteht. Diese Vorschrift bezweckt keinen Schutz des Angeklagten, sondern nimmt lediglich Rücksicht auf den G e w i s s e n s z w i e s p a l t des Zeugen, indem dieser einerseits nicht z u einer Aussage gegen einen A n g e hörigen g e z w u n g e n , andererseits vor der G e f a h r des Meineids bewahrt w e r d e n soll ( B G H 2, 351, 354.) aa) D e r G r a d der V e r w a n d t s c h a f t bemißt sich nach der Z a h l der sie vermittelnden Geburten. (Eltern u n d K i n d e r sind also im 1. G r a d , G r o ß eltern u n d Enkel i m 2. G r a d in gerader Linie, Geschwister i m 2., Cousin u n d Cousine i m 4., O n k e l u n d N e f f e im 3. G r a d der Seitenlinie verwandt.) D i e V e r w a n d t e n eines Ehegatten sind mit d e m anderen Ehegatten verschwägert. Linie u n d G r a d der S c h w ä g e r s c h a f t bestimmen sich n a c h d e m G r a d e der sie vermittelnden Verwandtschaft. (Schwiegervater u n d Schwiegertochter sind im 1. G r a d in gerader Linie, der E h e m a n n mit d e m Bruder seiner F r a u im 2. G r a d in der Seitenlinie verschwägert; nicht verschwägert sind die E h e m ä n n e r zweier Schwestern, oder ein Ehegatte mit d e m A d o p t i v k i n d des anderen. E. 30, 75.) V e r l o b t e sind unverheiratete M ä n n e r und Frauen, zwischen denen ein wechselseitiges unbedingtes Eheversprechen ernstlich gegeben u n d angen o m m e n ist. (E. 35, 49.) bb) Das Zeugnisverweigerungsrecht steht d e m Z e u g e n a u c h dann zu, w e n n er nur z u einem von mehreren Beschuldigten in einem Angehörigkeitsverhältnis steht, a u c h w e n n dieser bereits rechtskräftig verurteilt oder gestorben ist; Voraussetzung ist nur, d a ß die mehreren Beschuldigten in irgendeinem Zeitpunkt in demselben V e r f a h r e n verfolgt w o r d e n sind. (E. 33, 350.) ( D a g e g e n gibt das zwischen M i t a n g e k l a g t e n bestehende V e r wandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis diesen kein Zeugnisverweigerungsrecht. B G H 3, 149.) G e m ä ß § 52 I I sind die in A b s . I genannten Personen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht z u b e l e h r e n . D i e Belehrung hat durch das G e r i c h t

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I I . T e i l : Lösungen

z u erfolgen und ist als wesentliche Förmlichkeit i m Sinne der §§ 273, 274 im Protokoll z u beurkunden. Schwierigkeiten treten auf, w e n n ein K i n d a l s Z e u g e vernommen werden soll, das noch nicht die erforderliche Reife besitzt, um die Bedeutung seiner Aussage zu erfassen. W ä h r e n d das Reichsgericht in einer frühen Entscheidung (E. 4, 398) die Auffassung vertrat, es genüge, w e n n das K i n d selbst nach Belehrung zur Aussage bereit sei, hat sich der G r o ß e Senat des B G H in einer Grundsatzentscheidung v o m 8. 12. 1958 ( B G H 12, 235 mit zustimmender A n m . v o n E b . Schmidt J R 59, 369) dahin entschieden, d a ß in solchen Fällen ausschließlich der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r nach entsprechender Belehrung darüber z u entscheiden hat, ob das K i n d aussagen soll oder nicht. V o n diesem Grundsatz ist allerdings dort eine A u s n a h m e z u machen, w o der gesetzliche Vertreter selbst der Beschuldigte ist. D e r B G H hat diese Frage in seinem Beschluß v o m 8. 12. 1958 nur angedeutet, ohne sie abschließend zu entscheiden. N a c h dem neuen Familienrecht wird hierbei folgendes zu beachten sein: werden b e i d e E l t e r n t e i l e b e s c h u l d i g t , so sind sie in der A u s ü b u n g ihrer elterlichen G e w a l t verhindert. Das Vormundschaftsgericht kann in diesem Fall g e m ä ß § 1909 B G B einen P f l e g e r bestellen. Ist nur e i n Elternteil beschuldigt, so entscheidet d e r a n d e r e E l t e r n t e i l allein (str., vgl. Boeckmann N J W 60, 1938). (NB. Z u r Verweigerung des Zeugnisses sind nach § 53 ferner berechtigt Geistliche, Verteidiger, sowie im einzelnen näher bestimmte A n g e hörige von Berufsständen, z u denen der Beschuldigte in einem gewissen Vertrauensverhältnis steht und auf deren Verschwiegenheit er sich verlassen darf. Hierunter fallen u. a. Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ärzte und Apotheker. Das Zeugnisverweigerungsrecht umfaßt alles, was diesen Personen im R a h m e n ihrer beruflichen Tätigkeit anvertraut oder bekannt wurde. Unter entsprechenden Voraussetzungen können a u c h die Mitglieder des Bundestags, eines Landtags oder einer zweiten K a m m e r ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen. In sämtlichen bisher genannten Fällen haben auch die H i l f s k r ä f t e und die zur Vorbereitung auf ihren Beruf an der berufsmäßigen Tätigkeit der jeweiligen Vertrauensperson teilnehmenden Personen (z. B. Referendare auf der Anwaltsstation, Schreibkräfte) ein Zeugnisverweigerungsrecht ( § 5 3 a l ) . Z u r Klarstellung sei darauf hingewiesen, daß § 53 e b e n s o w i e § 52 k e i n e S c h u t z v o r s c h r i f t f ü r d e n A n g e k l a g t e n d a r s t e l l t . § 53 verschafft dem Angeklagten kein Recht, z u verlangen, d a ß sein A r z t , V e r teidiger usw. nicht gegen ihn aussagt oder d a ß die Aussage einer in § 53 genannten Vertrauensperson nicht gegen ihn verwertet wird. Ein derartiges R e c h t des Angeklagten kann auch nicht aus § 300 S t G B hergeleitet werden. § 5 3 will lediglich — ähnlich wie § 5 2 , siehe oben 1 a) — den Z e u g e n aus seiner Pflichtenkollision befreien; im übrigen aber unterliegt es der freien Entscheidung des Zeugen, ob er im Einzelfall das Interesse der Allgemeinheit an der A u f k l ä r u n g einer Straftat über das in ihn gesetzte V e r t r a u e n seines M a n d a n t e n , Patienten usw. stellt oder nicht. Keinesfalls kann er v o m Angeklagten zur Zeugnisverweigerung gezwungen werden. Hieraus folgt aber, d a ß seine Aussage gegen den Angeklagten auch dann

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verwertet werden kann, wenn sie sich materiellrechtlich als Verstoß gegen § 300 S t G B darstellt (vgl. B G H 9, 60). Das Zeugnisverweigerungsrecht kann entfallen, wenn die Vertrauensperson von der Schweigepflicht entbunden ist ( § 5 3 I I ) . Das gilt aber nur für den Verteidiger des Beschuldigten sowie für die in § 53 Ziff. 3 genannten Angehörigen bestimmter Berufsstände und ihre Gehilfen, nicht auch für Geistliche und die in Ziff. 4 genannten Mitglieder parlamentarischer Gremien, ferner nicht für die in Ziff. 5 genannten R e dakteure, Verleger usw. und die in Ziff. 6 genannten Intendanten, Sendeleiter usw. Praktisch bedeutsam ist vor allem das Zeugnisverweigerungsrecht von Ä r z t e n . Hierbei ist besonders zu beachten, daß solche Ärzte, die einen Beschuldigten oder Zeugen in zulässiger Weise im Auftrag der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder eines Gerichts untersucht und vernommen haben, sich auf kein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, denn in diesem Falle kommt nicht das Verhältnis eines Arztes zum hilfesuchenden Kranken in Frage, sondern das Verhältnis eines Beauftragten des Gerichts zu einer Person, deren Körperbeschaffenheit nach einer gewissen Richtung als Mittel zur Wahrheitsermittlung in einem anhängigen Verfahren dienen soll. So ist in einem Verfahren wegen T r u n k e n h e i t a m S t e u e r der Arzt, der auf Anweisung der Polizei dem Angeklagten gemäß § 8 i a eine Blutprobe entnommen und ihn den üblichen Tests (die verweigert werden dürfen!) unterzogen hat, auch dann zur Aussage über seine Feststellungen bei der Blutentnahme verpflichtet, wenn der Angeklagte seiner Vernehmung entgegentritt. § 5 4 regelt die Aussagepflicht der Beamten und Richter (Abs. 1), der Regierungsmitglieder (Abs. 2) und des Bundespräsidenten (Abs. 3). Nach § 55 kann jeder Zeuge die A u s k u n f t auf solche Fragen v e r w e i g e r n , deren Beantwortung ihm selbst oder einem seiner Angehörigen ( § 5 2 Nr. 1—3) die G e f a h r s t r a f g e r i c h t l i c h e r V e r f o l g u n g zuziehen würde; der Umstand, daß der Zeuge bei Beantwortung einer Frage seine eigene Schande oder die eines Angehörigen würde bekennen müssen, berechtigt ebensowenig zur Verweigerung der Auskunft, wie die Gefahr, aus der Beantwortung der Frage einen Vermögensnachteil zu erleiden; § 68a bestimmt aber, daß Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einer Person, die im Sinne des § 52 Abs. 1 sein Angehöriger ist, zur U n e h r e gereichen können, nur dann gestellt werden sollen, wenn es unerläßlich ist ( B G H 1, 3 4 1 ; 13, 252). Macht der Zeuge von dem Recht des § 55, über das er belehrt werden muß, keinen Gebrauch, so ist er verpflichtet, falls das Gericht es für erforderlich hält, die Aussage zu beeidigen, sofern nicht die Beeidigung nach § 60 Nr. 3 unzulässig, oder die Verweigerung der Eidesleistung aus § 63 zu begründen ist. Unterbleibt die in § 55 I I vorgeschriebene Belehrung über das A u s k u n f t s v e r w e i g e r u n g s r e c h t , so kann auf diese Unterlassung — im Gegensatz zur Belehrungspflicht über das Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t gemäß § 52 I I — die Revision nicht gestützt werden (siehe B G H 1, 39; 1 1 , 2 1 3 ) ; das Gleiche gilt für die Unterlassung des allgemeinen Hinweises über die Bedeutung des Eides gemäß § 57, siehe E. 56, 66.

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I I . Teil: Lösungen

b) E i d e s v e r w e i g e r u n g s b e r e c h t i g t sind gemäß § 6 3 die in § 5 2 Abs. 1 bezeichneten Personen (Verlobte, Ehegatten, Verwandte und Verschwägerte des Beschuldigten). Die in § 63 zweiter Halbsatz für diese Personengruppe vorgesehene B e l e h r u n g muß a u s d r ü c k l i c h darüber erfolgen, daß der Zeuge, der j a , wie oben erwähnt, nach § 52 zunächst über sein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t zu belehren ist, a u c h berechtigt ist, lediglich die B e e i d i g u n g z u v e r w e i g e r n . (NB. macht ein Zeuge von seinem Eidesverweigerungsrecht keinen Gebrauch, dann steht es immer noch im Ermessen des Gerichts, ob er vereidigt werden soll; siehe § 61 Nr. 2 unten in Abschnitt 3 c). c) U n b e e i d i g t s i n d n a c h §60 z u v e r n e h m e n : Die Eidesunmündigen, d.h. Personen unter 16 J a h r e n oder Verstandesunreife bzw. Verstandesschwache, die vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben (Nr. 1), die Eidesunfähigen nach § 161 S t G B (Nr. 2) und die der B e t e i l i g u n g usw. Verdächtigen (Nr. 3). aa) Unter der „ d e n G e g e n s t a n d d e r U n t e r s u c h u n g b i l d e n d e n T a t " i. S. des § 60 Nr. 3 ist der ganze tatsächliche Vorgang zu verstehen, innerhalb dessen die abzuurteilende Straftat begangen wurde (vgl. B G H 4, 255; 6, 382; 10, 65). bb) B e t e i l i g t e r im Sinn des § 60 Nr. 3 ist (außer dem, dessen Handeln den Begriff der „ T e i l n a h m e " nach den §§ 47 fr. S t G B erfüllt) derjenige, der bei dem fraglichen Vorgang in strafbarer Weise und i n d e r s e l b e n R i c h t u n g w i e d e r A n g e k l a g t e mitgewirkt hat und deshalb bei seiner Darstellung nicht die Unbefangenheit gegenüber dem Angeklagten besitzt, wie sie die Voraussetzung eines einwandfreien Zeugnisses bildet. (E. 77, 203; B G H 6, 3 8 3 ; 10, 65.) Dem Gesetzeszweck entsprechend ist es auch nicht erforderlich, daß eine v o r s ä t z l i c h e Beteiligung in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für eine Nichtbeteiligung nach § 60 Nr. 3 liegen vielmehr auch dann vor, wenn der rechtsverletzende Erfolg durch Zusammentreffen f a h r l ä s s i g e n Verhaltens des Angeklagten und des Zeugen herbeigeführt wurde. (E. 64, 377; B G H V R S 10, 1 4 1 ; B G H S t 10, 65). Diese extensive Auslegung des § 60 Nr. 3 wird von besonderer Bedeutung bei V e r k e h r s s t r a f s a c h e n . Sie führt dazu, daß bei der Verhandlung von Unfällen alle als Zeugen vernommenen Unfallbeteiligten unvereidigt bleiben, sofern sich eine schuldhafte Mitverursachung des Unfalls nicht mit Sicherheit ausschließen läßt. Völlig unerheblich ist dabei, ob durch den Unfall unbeteiligte Dritte verletzt oder gefährdet wurden oder ob der Angeklagte und der Zeuge die einzelnen Unfallbeteiligten waren. Es genügt in solchen Fällen die bloße Möglichkeit, daß beide — der Angeklagte und der Zeuge — durch ihre Fahrweise schuldhaft die Verkehrssicherheit beeinträchtigt haben ( B G H 10, 65). Fehlt es aber a n d e r e r s e i t s an einer solchen strafbaren Mitwirkung des Zeugen an der T a t des Angeklagten, so ist der Umstand allein, daß sich die T a t des Zeugen in dem allgemeinen Rahmen des gleichen geschichtlichen Vorgangs abspielt und in derselben Richtung bewegt, in der auch die T a t des Angeklagten liegt, und daß sie mit der T a t in einem inneren oder äußeren, wenn auch noch so engen Zusammenhang

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steht, ohne Bedeutung. (E. 59, 167.) (Wegen der umstrittenen Frage, wann wegen V e r d a c h t s d e r B e g ü n s t i g u n g durch eine unwahre Aussage in der Hauptverhandlung von einer Vereidigung abgesehen werden kann, siehe die sich widersprechenden Entscheidungen E. 68, 3 2 1 ; 6 9 , 2 6 3 ; B G H 1, 361.) (NB. G e m ä ß § 6 1 k a n n v o n e i n e r B e e i d i g u n g n a c h d e m E r m e s sen d e s G e r i c h t s a b g e s e h e n werden, 1. bei Personen, die z . Z . der Vernehmung das sechzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben; 2. beim Verletzten sowie bei Personen, die i. S. des § 52 Abs. 1 Angehörige des Verletzten oder des Beschuldigten sind; siehe hierzu B G H 1, 1 7 5 ; 3. wenn das Gericht der Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist; siehe hierzu B G H 1, 9 und 216. Im Verfahren wegen einer Ü b e r t r e t u n g und im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n werden gemäß § 62 Zeugen nur dann vereidigt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussagen oder zurHerbeiführung einer wahrenAussage für notwendig hält.) d ) Ergibt die weitere Verhandlung, daß der zunächst angenommene Grund für eine Nichtvereidigung gemäß §§ 60, 6 1 , 62 nicht vorliegt, so ist die Vereidigung nachzuholen, da ein Verstoß gegen § 59 in der Regel die Revision begründet ( B G H 7, 2 8 1 ; 8, 155). e) Die r e c h t l i c h e n F o l g e n einer entgegen dem V e r b o t des §60 durchgeführten V e r e i d i g u n g (NB. durch dieses Verbot wird die s t r a f r e c h t l i c h e Verfolgung wegen M e i n e i d s nicht ausgeschlossen, auch nicht, wenn das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet war, E. 36, 278), sowie einer u n t e r l a s s e n e n B e l e h r u n g über das Zeugnis bzw. Eidesverweigerungsrecht (§§ 52 Abs. 2, 63) sind folgende: aa) S ä m t l i c h e M ä n g e l enthalten eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g und begründen daher gemäß § 337 die R e v i s i o n , soweit das Urteil auf diesen Verstößen beruht, was dann der Fall ist, wenn das Urteil aus den diesbezüglichen Aussagen Folgerungen gezogen hat ( B G H 4, 2 1 7 betr. Verstoß gegen § 63). bb) Erklärt im Falle der m a n g e l n d e n B e l e h r u n g der Zeuge auf Grund n a c h t r ä g l i c h e r Belehrung, daß er von dem Zeugnis- bzw. Eidesverweigerungsrecht keinen Gebrauch mache, so gilt der Mangel der Belehrung als b e h o b e n . cc) Verzichtet der Zeuge im Falle der n a c h t r ä g l i c h e n Belehrung n i c h t auf sein Zeugnis- bzw. Eidesverweigerungsrecht, dann können die diesbezüglichen Mängel nur dadurch b e h o b e n werden, daß im Urteil ausdrücklich festgestellt wird, daß die Aussage unberücksichtigt geblieben ist. (E. 9, 386.) dd) Stellt sich die B e e i d i g u n g n a c h t r ä g l i c h g e m ä ß § 60 als unz u l ä s s i g heraus und bringt das Urteil zum Ausdruck, daß die Aussage n u r a l s u n e i d l i c h e gewürdigt worden ist, so ist der Verstoß damit geh e i l t . ( B G H 4, 130). Der Umstand, daß eine mit dem Eid bekräftigte Aussage nur als uneidliche Aussage gewertet werden soll, verändert jedoch P e t t e r s , S t r a f p r o z e ß f ä l l e , 7. A u f l .

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I I . Teil: Lösungen

die Beweislage nicht unerheblich. Die Beteiligten müssen d a h e r die Gelegenheit erhalten, weitere Beweisanträge zu stellen. Das bedeutet, d a ß gegebenenfalls die bereits geschlossene Beweisaufnahme wieder zu eröffnen ist. W i r d den Beteiligten diese prozessuale Möglichkeit abgeschnitten, so beg r ü n d e t a u c h dieser M a n g e l g e m ä ß § 337 die Revision (vgl. B G H a . a . O . 132)2. Diese E r ö r t e r u n g e n allgemeiner A r t f ü h r e n im v o r l i e g e n d e n F a l l zu f o l g e n d e m E r g e b n i s : a) D e m Neffen N stand ein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t g e m ä ß § 52 I Nr. 3 zu, d a er mit einem der Angeschuldigten in der Seitenlinie i m dritten G r a d e v e r w a n d t ist. Ü b e r dieses h ä t t e N g e m ä ß § 52 II belehrt w e r d e n müssen. b) D e m N stand a u ß e r d e m g e m ä ß § 63 ein E i d e s v e r w e i g e r u n g s r e c h t zu. A u c h ü b e r dieses R e c h t w a r er g e m ä ß § 63, zweiter Halbsatz zu b e l e h r e n . c) O b N einer „ B e t e i l i g u n g " im oben erörterten Sinne tatsächlich verdächtig ist, l ä ß t sich aus d e m W o r t l a u t des Tatbestandes nicht erkennen. d) D a die U n t e r l a s s u n g d e r B e l e h r u n g i. S. der §§ 52 Abs. 2 u n d 63 d e r V e r n e h m u n g nicht n u r die v o m Gesetz d u r c h die Belehrung erstrebte Sicherheit d a f ü r entzieht, d a ß die Aussage des betreffenden Angehörigen unbeeinflußt u n d möglichst zuverlässig abgegeben worden ist, sondern d i e V e r n e h m u n g s e l b s t z u e i n e r i l l e g a l e n m a c h t , k a n n eine derartige Aussage a u c h nicht als ein gesetzlich zulässiges Beweismittel angesehen werden. Sie k a n n deshalb a u c h n i c h t in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g v e r l e s e n u n d v e r w e r t e t , d . h . g e m ä ß § 251 zu einer Erkenntnisquelle f ü r die richterliche Entscheidung g e m a c h t werden, wobei es gleichgültig ist, ob die Prozeßbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger u n d Angeklagter) mit der Verlesung einverstanden sind. (E. 20, 186 u n d B G H 1, 39.) e) Die gleichen Folgen m ü ß t e n eintreten, w e n n der Fall des § 60 Nr. 3 gegeben ist. D e n n die Möglichkeit, die fraglichen Aussagen als uneidliche zu w e r t e n u n d d a d u r c h verlesbar u n d f ü r die Urteilsfindung v e r w e r t b a r zu m a c h e n , scheidet i m v o r l i e g e n d e n F a l l e aus, d a der gleichzeitige F e h l e r d e r m a n g e l n d e n B e l e h r u n g auf diese Weise nicht zu beseitigen ist. f ) Falls also der Amtsrichter im v o r l i e g e n d e n F a l l e zu der Ü b e r zeugung gelangt, d a ß die Aussagen des Zeugen N f ü r die Urteilsfindung von Wichtigkeit sind, wird er entweder den N z u r H a u p t v e r h a n d l u n g l a d e n müssen, oder die Akten g e m ä ß § 223 u n t e r Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten u n d des Verteidigers (§ 224) an das zuständige Amtsgericht übersenden mit d e m Ersuchen u m nochmalige Vern e h m u n g des Zeugen N u n t e r Beobachtung der Bestimmungen der §§ 52,

60, 63, 64.

III. In der Voruntersuchung hat ein Augenschein in dem dem Gerichtsgebäude gegenüberliegenden Privathaus stattgefunden,

67

Fall 3

ohne daß der in Untersuchungshaft befindliche Angeschuldigte H von dem Termin benachrichtigt worden war. (Siehe auch Nachtrag B, S. 84.) 1. V o r b e m e r k u n g : Die Frage, welche Prozeßbeteiligten bei den einzelnen Verfahrensabschnitten ein A n w e s e n h e i t s r e c h t haben (Parteiö f f e n t l i c h k e i t ) , ist folgendermaßen zu beantworten: a) Das A n w e s e n h e i t s r e c h t a l l e r P r o z e ß b e t e i l i g t e n im V o r v e r f a h r e n (also des Beschuldigten, des Staatsanwalts und des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren und in der Voruntersuchung) ist auf den Fall des § 193 bzw. § 169 beschränkt, d.h. dieses Recht ist nur für solche Beweisakte vorgesehen, deren Wiederholung in der Hauptverhandlung entweder nicht geschehen kann oder doch voraussichtlich nicht geschehen wird, die demnach als v o r w e g g e n o m m e n e T e i l e d e r H a u p t v e r h a n d l u n g zu gelten haben. Es sind dies: aa) Die Einnahme eines A u g e n s c h e i n s (§ 193 Abs. 1); bb) die Vernehmung eines Z e u g e n o d e r S a c h v e r s t ä n d i g e n , dessen Erscheinen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen oder dem das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann (§ 193 Abs. 2). (NB. Hat schon im Vorverfahren eine solche Vernehmung nach § 193 stattgefunden, dann erübrigt sich selbstverständlich eine k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g gemäß §§ 223 bis 225, da auch das gemäß § 193 aufgenommene Protokoll in der Hauptverhandlung verlesen werden kann, siehe Nachtrag A, Abschnitt D III, S. 79 ff.) b) Die A n w e s e n h e i t des S t a a t s a n w a l t s u n d des V e r t e i d i g e r s bei d e r V e r n e h m u n g des B e s c h u l d i g t e n : aa) Die r i c h t e r l i c h e Vernehmung des Beschuldigten im Vorverfahren (also sowohl im vorbereitenden Verfahren als auch in der Voruntersuchung) erfolgt in A b w e s e n h e i t sowohl der S t a a t s a n w a l t s c h a f t als auch des V e r t e i d i g e r s (§§ 192 Abs. 2, 169). bb) An der p o l i z e i l i c h e n Vernehmung des Beschuldigten kann die S t a a t s a n w a l t s c h a f t wie bei allen polizeilichen Verhandlungen stets teilnehmen; dies ergibt sich daraus, daß die Polizei in Strafsachen als ein Organ der Staatsanwaltschaft erscheint. (NB. B e s c h u l d i g t e r und Vert e i d i g e r haben keinen Anspruch auf Anwesenheit bei polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Verhandlungen.) 2. Nach § 193 Abs. 4 hat der n i c h t a u f f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e A n g e s c h u l d i g t e einen Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen, welche an der Gerichtsstelle des Orts abgehalten werden, wo er sich in Haft befindet. (Das gleiche gilt für die kommissarische Vernehmung, siehe § 224 II.) a) Der Ausdruck „ n i c h t auf f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h " ist gewählt, um alle gesetzlich zulässigen Arten von Haft zu umfassen. Der Abs. 4 ist also anwendbar, gleichviel, ob der Angeschuldigte eine Freiheitsstrafe verj*

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I I . Teil: Lösungen

b ü ß t , oder o b er sich in U n t e r s u c h u n g s h a f t , Zwangshaft (§ 70) oder in einer vom Zivilrichter oder von der Polizei v e r h ä n g t e n H a f t befindet. b) Der Ausdruck „ G e r i c h t s s t e l l e " wird im Gesetz in verschiedenem Sinne g e b r a u c h t : w ä h r e n d er in § 248 ganz allgemein O r t der V e r h a n d l u n g bedeutet, ist in § 224 Abs. 2 u n d § 193 Abs. 4 unter diesem Begriff n u r das r e g e l m ä ß i g e G e s c h ä f t s l o k a l des Gerichts zu verstehen. E i n A n s p r u c h auf A n w e s e n h e i t bei d e m in e i n e m P r i v a t haus stattfindenden Augenschein stand dem Angeschuldigten im v o r l i e g e n d e n F a l l e a l s o n i c h t zu. 3. E i n e a n d e r e F r a g e i s t a b e r d i e , o b d e r A n g e s c h u l d i g t e n i c h t von d e m T e r m i n h ä t t e in K e n n t n i s gesetzt w e r d e n müssen. a ) Die zur Anwesenheit bei der Augenscheinseinnahme Berechtigten, welche n a c h Abs. 3 des § 193 b e n a c h r i c h t i g t werden müssen, sind n a c h Abs. 1 die Staatsanwaltschaft, der Angeschuldigte u n d der Verteidiger. b) Der Abs. 4 n u n will die aus Abs. 1 u n d 3 sich ergebenden R e c h t e des Angeschuldigten f ü r den Fall, d a ß er sich in H a f t befindet, nicht beseitigen, sondern n u r z u m Ausdruck bringen, d a ß der an sich z u r Anwesenheit berechtigte v e r h a f t e t e A n g e s c h u l d i g t e z u r V e r h i n d e r u n g v o n Fluchtversuchen oder V e r m e i d u n g von Transportschwierigkeiten keinen A n s p r u c h d a r a u f hat, an O r t u n d Stelle hing e b r a c h t z u w e r d e n , u m sein R e c h t auszuüben. (E. 23, 143.) Dagegen steht i h m ein A n s p r u c h a u f B e n a c h r i c h t i g u n g schon u m deswillen zu, weil er ein wesentliches Interesse d a r a n h a b e n k a n n , sich bei d e m a u c h f ü r die H a u p t v e r h a n d l u n g bedeutungsvollen Akt der Augenscheinseinnahme d u r c h einen Verteidiger vertreten zu lassen. Das U n t e r b l e i b e n der B e n a c h r i c h t i g u n g e n t h ä l t also im vorliegenden Falle einen Verstoß gegen das Gesetz. 4. A u f G r u n d d i e s e r F e s t s t e l l u n g e n folgende Erwägungen anstellen:

wird

der

Amtsrichter

a ) Die Verlesung des Protokolls ü b e r den richterlichen Augenschein in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g g e m ä ß § 249 h a t stets zur Voraussetzung, d a ß das bei der E i n n a h m e des Augenscheins beobachtete V e r f a h r e n nicht a n einem w e s e n t l i c h e n M a n g e l leidet; mit einem solchen ist aber n a c h den obigen A u s f ü h r u n g e n das Augenscheinsverfahren im vorliegenden Falle behaftet, die Verlesung des diesbezüglichen Protokolls ist also a n sich nicht statthaft. b) E r h e b t aber der Angeklagte in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g k e i n e n W i d e r s p r u c h gegen die Verlesung der Augenscheinseinnahmeverhandlung, bzw. stellt er keinen Antrag, die Augenscheinseinnahme u n t e r Z u ziehung des Verteidigers zu wiederholen, so wird hieraus geschlossen w e r d e n können, d a ß der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden ist, d a ß er auf G e l t e n d m a c h u n g des formalen Mangels verzichtet, d e r d a n n a u c h nicht m e h r Gegenstand eines Revisionsangriffes werden könnte. (E. 23, 144; siehe a u c h E. 4, 301.)

Fall 3

69

Der A m t s r i c h t e r wird also a b w a r t e n , ob der A n g e k l a g t e in der H a u p t v e r h a n d l u n g gegen die V e r l e s u n g W i d e r s p r u c h erhebt und dann gegebenenfalls einen neuen Augenschein anordnen müssen. I V . Der schriftliche A n t r a g des Angeschuldigten S, einen Verteidiger zu bestellen, ist nicht verbeschieden worden. 1. V o r b e m e r k u n g :

Die notwendige

Verteidigung.

a) In b e s t i m m t e n Fällen ist die Verteidigung eine n o t w e n d i g e . Ist ein solcher Fall gegeben, dann d a r f e i n e Hauptverhandlung o h n e Verteidiger n i c h t stattfinden; (absoluter Revisionsgrund nach § 338 N r . 5). Bleibt der Verteidiger in der Hauptverhandlung aus, entfernt er sich vorzeitig oder weigert er sich, die Verteidigung zu führen, so hat der V o r sitzende sofort einen anderen Verteidiger zu bestellen ( § 1 4 5 Abs. 1). Die Notwendigkeit der Verteidigung erstreckt sich auch auf die B e r u f u n g s i n s t a n z , nicht dagegen auf die R e v i s i o n s i n s t a n z . Ergibt sich e r s t i m L a u f e d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , d a ß die Verteidigung notwendig ist (z. B. es stellt sich während der V e r h a n d l u n g heraus, daß die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt in Frage kommt), so hat der V o r sitzende dem Angeklagten einen Verteidiger zu bestellen; gegebenenfalls ist die V e r h a n d l u n g auszusetzen (§ 145 II, I I I ) . A u f jeden Fall aber sind bei nachträglicher Bestellung eines Offizialverteidigers alle wesentlichen Teile der Hauptverhandlung zu wiederholen (vgl. B G H 9, 243). Als wesentliche Bestandteile der Hauptverhandlung sind hierbei anzusehen die V e r n e h m u n g des Angeklagten zur Person und zur Sache, die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses, die Schlußvorträge und die Urteilsverkündung. N i m m t der notwendige Verteidiger auch nur zeitweise an einem dieser wesentlichen Teile der Hauptverhandlung nicht teil, so bildet seine A b wesenheit den a b s o l u t e n R e v i s i o n s g r u n d d e s § 338 N r . 5. W ä h l t der Angeklagte nach Bestellung des Pflichtverteidigers einen anderen V e r teidiger und nimmt dieser die W a h l an, so ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen (§ 143). W i r d die Zurücknahme der Bestellung zunächst unterlassen, so kann sie noch in der H a u p t v e r h a n d l u n g nachgeholt werden, allerdings nicht zur Unzeit, z. B. während einer Zeugenvernehmung durch den Pflichtverteidiger. Der Vorsitzende wird in solchen Fällen z w e c k m ä ß i g die veränderte Verfahrenslage mit den Beteiligten erörtern, u m ihnen Gelegenheit zu geben, sich darauf einzustellen. A u f keinen Fall darf durch den Wegfall des Pflichtverteidigers die Verteidigung beeinträchtigt werden. Insbesondere m u ß dem Wahlverteidiger die Möglichkeit gegeben werden, die Verteidigung ordnungsgemäß vorzubereiten (vgl. B G H 3, 327). b) D i e V e r t e i d i g u n g i s t n o t w e n d i g

(§ 140), w e n n

aa) die Hauptverhandlung vor dem B u n d e s g e r i c h t s h o f oder d e m O b e r l a n d e s g e r i c h t i m e r s t e n R e c h t s z u g oder vor dem S c h w u r gericht stattfindet;

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I I . Teil: Lösungen

bb) eine T a t in Frage kommt, die nicht n u r w e g e n R ü c k f a l l s e i n V e r b r e c h e n ist und die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Stellung eines Verteidigers b e a n t r a g t ; cc) das Verfahren zur Anordnung der S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g oder zur U n t e r b r i n g u n g i n e i n e r H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t oder zur U n t e r s a g u n g d e r B e r u f s a u s ü b u n g führen kann; dd) der Beschuldigte t a u b oder s t u m m ist; ee) wenn sich der Beschuldigte bis zur Hauptverhandlung in H a f t befunden, diese l ä n g e r a l s d r e i M o n a t e gedauert hat und die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Verteidigers b e a n t r a g t . Unter Haft ist in diesem Zusammenhang nur die Untersuchungshaft in der Sache zu verstehen, in der die Beiordnung eines Verteidigers beantragt wird, nicht auch die Untersuchungshaft in anderer Sache und die Strafhaft, vgl. Beschluß des Großen Senats vom 2 4 . 6 . 1953 ( B G H 4, 308). Die weitergehende Auslegung des Haftbegriffs in § 140 Nr. 5 ( B G H 3, 334) wurde ausdrücklich aufgegeben. Nach Auffassung des Großen Senats will der Gesetzgeber in § 140 Nr. 5 die Fälle erfassen, die wegen ihres Umfangs oder ihrer Schwierigkeit besonders bedeutsam sind, wobei die Dauer der Haft und ihr Fortbestehen bis zur Hauptverhandlung unwiderlegbare Vermutungen sind für die Schwere der T a t oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Der Strafgefangene wird durch diese einengende Interpretation des § 140 Nr. 5 keineswegs schutzlos, da auch für ihn gemäß § 140 I I ein Offizialverteidiger bestellt werden kann. ff) zur V o r b e r e i t u n g e i n e s G u t a c h t e n s über den G e i s t e s z u s t a n d des Beschuldigten seine Unterbringung in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt in Frage kommt; gg) die Hauptverhandlung gegen einen A b w e s e n d e n stattfindet (§ 277). Schließlich ist ein Verteidiger zuzuziehen in der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g ü b e r d e n H a f t b e f e h l , wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate gedauert hat (§ i i 5 d Abs. 3) oder wenn der Angeschuldigte zur mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl nicht vorgeführt wird (§ 1 1 5 d Abs. 2 Satz 2). c) In a n d e r e n als den genannten F ä l l e n bestellt der Vorsitzende für das ganze Verfahren oder nur für einen Teil des Verfahrens einen Verteidiger, wenn wegen der S c h w e r e d e r T a t oder wegen der S c h w i e r i g k e i t d e r S a c h - u n d R e c h t s l a g e die Mitwirkung eines Verteidigers g e b o t e n erscheint, oder wenn sich der Beschuldigte seiner Persönlichkeit nach nicht selbst verteidigen kann (§ 140 I I ) . Diese Voraussetzungen sind vor allem dann gegeben, wenn die Staatsanwaltschaft A n k l a g e v o r d e r G r o ß e n S t r a f k a m m e r d e s L a n d g e r i c h t s erhebt. In solchen Fällen kann von der Beiordnung eines Verteidigers nur dann abgesehen werden, wenn das Landgericht lediglich wegen der Bedeutung der Sache zuständig ist und diese Bedeutung weder auf der Schwere der Tat noch auf der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage beruht ( B G H 6, 199).

Fall 3

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d) A u ß e r h a l b der oben erörterten Fälle steht dem Beschuldigten ein A n s p r u c h a u f B e s t e l l u n g e i n e s V e r t e i d i g e r s n i e m a l s und insbesondere auch dann nicht zu, wenn er armutshalber außerstande ist, die Gebühren eines Wahlverteidigers, den sich der Beschuldigte gemäß § 137 in jeder Lage des Verfahrens nehmen kann, zu bezahlen. (Wegen der allgemeinen Rechte und Pflichten des Verteidigers s. Fall 6, Abschnitt A, S. 110 ff.) 2. Für den v o r l i e g e n d e n F a l l e r g i b t s i c h f o l g e n d e s : a ) Der Fall einer n o t w e n d i g e n V e r t e i d i g u n g liegt n i c h t vor. Zwar bildet eine Tat den Gegenstand des Verfahrens, die nicht nur wegen Rückfalls ein Verbrechen ist (gewerbsmäßige Hehlerei nach § 260 StGB); aber die Bestellung eines Verteidigers war seitens des Angeschuldigten S in der Voruntersuchung, also v o r B e g i n n der in § 140 Abs. 3 vorgesehenen F r i s t v o n e i n e r W o c h e beantragt worden. Dies genügt aber nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 140 Abs. 3. Anderenfalls wäre, wie in E. 58, 102 ausgeführt wird, der Vorsitzende genötigt, alle Eingaben, die der Angeschuldigte im Laufe des Vorverfahrens dem Gericht eingereicht hat, sorgfältig und genau zu prüfen, und das Übersehen eines solchen Antrags könnte zur Aufhebung des Urteils und zur Wiederholung der Hauptverhandlung führen. Der Gesetzgeber kann aber, so führt das R G a.a.O. aus, nicht gewollt haben, daß der Bestand eines gerichtlichen Urteils durch solche Zufälligkeiten in Frage gestellt wird. (N. B. Der Angeschuldigte, der w ä h r e n d der Frist des § 140 Abs. 3 einen W a h l v e r t e i d i g e r hat und deshalb u n t e r l a s s e n hat, die Bestellung eines P f l i c h t v e r t e i d i g e r s zu beantragen, kann im Falle der Niederlegung der Wahlverteidigung die Stellung eines Pflichtverteidigers beantragen, und zwar innerhalb einer Frist von einer Woche, die mit der Kenntnis von der Niederlegung beginnt (E. 67, 3). Hat der Angeschuldigte zunächst f r i s t g e m ä ß den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gestellt und sodann einen Wahlverteidiger genommen, so kann er nach Wegfall des Wahlverteidigers e r n e u t die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragen; über dieses Recht ist er, notfalls noch in der Hauptverhandlung zu belehren (BGH 3, 78). Hat der Angeschuldigte erst n a c h Ablauf der Frist einen Wahlverteidiger bestellt, und hat dieser sodann die Verteidigung niedergelegt, so kann der Angeschuldigte die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht mehr beantragen, E. 70, 264.) Ergibt sich schließlich e r s t in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , daß ein Verbrechen i. S. von § 140 I Nr. 2 in Frage kommt, so ist der Angeklagte auch noch in diesem Zeitpunkt aufsein Recht, die Gestellung eines Verteidigers zu beantragen, hinzuweisen (BGH I, 302). b) Obwohl also im v o r l i e g e n d e n F a l l im Hinblick auf § 140 III eine notwendige Verteidigung nicht vorliegt, muß über den gemäß § 140 II gestellten A n t r a g des Angeschuldigten S n o c h v o r d e r H a u p t v e r h a n d l u n g entschieden werden und die Entscheidung dem Angeschuldigten noch vorher bekannt gemacht werden, um ihn in die Lage zu versetzen, entweder selbst einen Verteidiger für die Hauptverhandlung zu wählen und sachlich zu unterrichten, oder gegen eine ablehnende Ent-

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II. T e i l : Lösungen

Scheidung von dem ihm nach § 304 zustehenden Beschwerderecht noch vor der H a u p t v e r h a n d l u n g G e b r a u c h zu machen. (S. E. 48, 387; 42, 97.) D e r Angeklagte darf jedenfalls bis zum Eintritt in die Hauptverhandlung damit rechnen, daß das Gericht ihm auf seinen vorher gestellten A n t r a g einen Verteidiger für die H a u p t v e r h a n d l u n g bestellen werde, da es dessen Bestellung nicht abgelehnt hatte. Er ist dadurch möglicherweise veranlaßt worden, seinerseits von der W a h l eines Verteidigers bis zum Eingang der Entscheidung, die er bis z u m Beginn der Hauptverhandlung erwarten darf, abzusehen. Der A m t s r i c h t e r w ü r d e also d u r c h die U n t e r l a s s u n g einer E n t s c h e i d u n g ü b e r d e n A n t r a g gegen § 140 II verstoßen und in das dem Angeschuldigten nach § 137 zustehende Recht eingreifen, sich in jeder L a g e des Verfahrens, also auch vor der Hauptverhandlung, für diese des Beistands eines Verteidigers zu bedienen. A u f diesen Verstoß könnte das Urteil, falls der Angeklagte in der H a u p t verhandlung nicht ausdrücklich a u f s e i n R e c h t aus § 137 verzichtet, sehr w o h l beruhen (§ 337) und die A u f h e b u n g des Urteils wäre im Falle einer diesbezüglichen Verfahrensrüge unabwendbar. (Siehe auch E. 73, 48 u. 52.) Andererseits aber würde die Wiederholung des Antrags seitens des Angeklagten in der Hauptverhandlung u. U . z u einer V e r t a g u n g der V e r h a n d lung führen müssen. Der Amtsrichter wird d e m n a c h schon jetzt den A n t r a g a u f B e s t e l l u n g eines V e r t e i d i g e r s in b e j a h e n d e m o d e r verneinendem Sinn verbescheiden. V. In der Voruntersuchung hat der A m t s r i c h t e r als Stellvertreter des Untersuchungsrichters das Ersuchen u m Einvernahme eines Zeugen an ein auswärtiges Gericht sowohl in den A k t e n , als auch in der A u s f e r t i g u n g unterschrieben. 1 . V o r b e m e r k u n g : Die §§ 22—25, 31 behandeln die Fälle, in denen eine Gerichtsperson (Richter und Urkundsbeamter der Geschäftsstelle) oder ein Schöffe oder Geschworener (siehe § 31) an der A u s ü b u n g seines Amtes in einer einzelnen Strafsache b e h i n d e r t ist. Es gibt A u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e und A b l e h n u n g s g r ü n d e . a) K r a f t G e s e t z e s a u s g e s c h l o s s e n ist der R i c h t e r usw. aa) w e n n er an der Sache i n t e r e s s i e r t ist, weil er selbst verletzt ist oder bestimmte Angehörige beschuldigt oder verletzt sind ( § 2 2 N r . 1 — 3 ) ; („verletzt" heißt „unmittelbar betroffen"). bb) wenn er bereits in der Sache t ä t i g gewesen ist als Staatsanwalt, Polizeibeamter, A n w a l t des Verletzten oder als Verteidiger, oder w e n n er in der Sache als Z e u g e oder Sachverständiger vernommen worden ist (§ 22 N r . 4 u. 5 ) ; (N. B. N u r der bereits als Zeuge oder Sachverständiger v e r n o m m e n e Richter ist kraft Gesetzes ausgeschlossen; ein Richter ist dagegen nicht gehindert, über einen Beweisantrag zu entscheiden, in dem

Fall 3

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er lediglich als Zeuge b e n a n n t ist, o h n e v o r h e r v e r n o m m e n worden zu sein, B G H 7, 3 3 0 ; 10, 206); cc) bei der Mitwirkung in h ö h e r e r I n s t a n z (Berufung oder Revision), wenn er bei der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (§ 23 Abs. 1), oder schließlich dd) wenn er als Untersuchungsrichter d i e V o r u n t e r s u c h u n g g e f ü h r t hat (§ 23 Abs. 2). Ein A u s s c h l i e ß u n g s g r u n d entzieht der betr. Gerichtsperson von selbst, ohne daß von den Prozeßbeteiligten Widerspruch erhoben wird, die Fähigkeit zur Ausübung des Amtes. (NB. zur „Ausübung des Richteramtes" gehört nach B G H 3, 68 nicht die Auslosung der Schöffen.) Nimmt ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter trotzdem eine Amtshandlung vor, so ist diese, falls es sich um eine E n t s c h e i d u n g handelt, nicht etwa nichtig, sondern lediglich mit dem im einzelnen Falle zulässigen Rechtsmittel a n f e c h t b a r ; erfolgt keine Anfechtung, so ist der Mangel geheilt. (Wirkt eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Gerichtsperson — Richter, Geschworener oder Schöffe —• bei dem U r t e i l mit, so ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, § 338 Nr. 2.) S o n s t i g e A m t s h a n d l u n g e n des ausgeschlossenen Richters sind a b s o l u t n i c h t i g , so daß z.B. ein von einem ausgeschlossenen Richter aufgenommenes Beweisprotokoll im weiteren Verfahren nicht verwertet werden darf. (E. 30, 72; 33, 309; 55, 1 1 3 . ) (NB. Werden die, d i e B e s e t z u n g d e r G e r i c h t e und die G e s c h ä f t s v e r t e i l u n g betreffenden Vorschriften — insbesondere diejenigen der §§ 63, 83 G V G •— verletzt, oder sind Fehler bei der Berufung der Schöffen oder Geschworenen unterlaufen — siehe §§ 32 fr., 77, 84 G V G — so liegt der a b s o l u t e Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 vor, vgl. B G H 8, 240, 252; 10, 179, 252, 384; 1 1 , 54, 106. Siehe auch B G H 2, 14, wo in Übereinstimmung mit E. 60, 63 entschieden wurde, daß eine unvorschriftsmäßige Besetzung i. S. des § 338 Nr. 1 noch nicht darin liege, daß ein Schöffe vorübergehend in seiner Aufmerksamkeit durch E r m ü d u n g s e r s c h e i n u n g e n beeinträchtigt gewesen ist.) b) A b g e l e h n t werden kann der Richter usw. von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Privatkläger (§ 24): aa) wenn er kraft Gesetzes a u s g e s c h l o s s e n ist, bb) wegen Besorgnis der B e f a n g e n h e i t (s. hierzu B G H 4, 264 betr. zu offene Presseberichte). Die A b l e h n u n g eines Richters wegen B e s o r g n i s d e r B e f a n g e n h e i t ist begründet, (ein ganzer Gerichtshof kann nicht abgelehnt werden, E. 27, 175) wenn im Angeklagten bei verständiger Würdigung der ihm bekannten Umstände die Auffassung aufkommen k a n n , der Richter werde ihm gegenüber möglicherweise eine innere Haltung einnehmen, die dessen Unparteilichkeit störend beeinflussen könne. (Siehe E. 60, 67 und B G H 1, 34.) Hierher gehören z. B. die Fälle, daß der Richter mit dem Beschuldigten v e r f e i n d e t ist, oder daß der Richter vor dienstlicher Befassung der Sache sich D r i t t e n g e g e n ü b e r g e ä u ß e r t hat, wie er als erkennender Richter

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I I . T e i l : Lösungen

ü b e r die Sache urteilen w ü r d e (E. 61, 67). N i c h t dagegen liegt ein Abl e h n u n g s g r u n d z.B. vor, w e n n der R i c h t e r in einer a n d e r e n ähnlichen Strafsache eine d e m Angeklagten ungünstige R e c h t s a u f f a s s u n g bekundet h a t , oder w e n n er d e m Angeklagten vor A n o r d n u n g der Beweisaufn a h m e nahelegt, die Berufung z u r ü c k z u n e h m e n (E. 60, 43). Wegen des V e r f a h r e n s b e i d e r A b l e h n u n g , die g e m ä ß § 25 n u r bis z u m Beginn des an die V e r n e h m u n g des Angeklagten zur Sache anschließend e n Teils der H a u p t v e r h a n d l u n g (also bis z u m Beginn d e r Beweisaufn a h m e ) erfolgen kann, u n d zwar ohne Rücksicht auf die Kenntnis von d e m A b l e h n u n g s g r u n d u n d dessen H e r v o r t r e t e n ( B G H i , 299) siehe §§ 26—27. Gegen den Beschluß, d u r c h den das Ablehnungsgesuch f ü r u n b e g r ü n d e t erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt (§28). H a n d e l t ein R i c h t e r trotz erfolgter A b l e h n u n g weiter, oder w a r das Ablehnungsgesuch zu U n recht verworfen worden, u n d wird d a r a u f die R e v i s i o n gestützt (das Ablehnungsgesuch unterliegt a u c h in tatsächlicher Beziehung der freien N a c h p r ü f u n g des Revisionsrichters), d a n n liegt der a b s o l u t e R e v i s i o n s g r u n d des § 338 Nr. 3 vor. 2. I m v o r l i e g e n d e n F a l l h a n d e l t es sich u m die Frage, ob i m H i n blick auf § 23 Abs. 2 d e r A m t s r i c h t e r v o n d e r L e i t u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g a u s g e s c h l o s s e n ist. a) N a c h § 23 Abs. 2 darf der Untersuchungsrichter in den Sachen, in welchen er die V o r u n t e r s u c h u n g g e f ü h r t h a t , nicht Mitglied des erkennenden Gerichts sein. aa) Der U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r h a t die V o r u n t e r s u c h u n g „ i n d e r S a c h e " n u r d a n n g e f ü h r t , w e n n sie nicht n u r die gleiche T a t betraf, sondern a u c h gegen die gleichen Personen eröffnet u n d geführt wurde, gegen die das V e r f a h r e n vor d e m erkennenden Gericht gerichtet ist. ( I m Gegensatz hierzu gilt f ü r § 22 N r . 4 u n d die d o r t b e h a n d e l t e s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e Tätigkeit der Grundsatz, d a ß , solange dieselbe T a t d e n Gegenstand des Verfahrens bildet, es sich u m dieselbe Sache i. S. des § 22 N r . 4 handelt, o h n e Rücksicht d a r a u f , o b die staatsanwaltschaftlichen A m t s h a n d l u n g e n sich gerade gegen d e n T e i l n e h m e r d e r T a t gerichtet h a b e n , gegen d e n n u n m e h r das H a u p t v e r f a h r e n läuft.) (Siehe E. 62, 317.) bb) D e m Untersuchungsrichter steht derjenige R i c h t e r gleich, der ihn, w e n n a u c h n u r bei einzelnen U n t e r s u c h u n g s h a n d l u n g e n , v e r t r e t e n h a t . (E. 18, 270.) Dagegen ist die Bestimmung nicht a n w e n d b a r auf d e n Amtsrichter, welcher auf Ersuchen des Untersuchungsrichters (§ 185 Satz 2), H a n d l u n g e n der V o r u n t e r s u c h u n g v o r g e n o m m e n h a t , ebensowenig auf d e n Vorsitzenden der E r ö f f n u n g s k a m m e r , der n a c h Schluß der V o r u n t e r suchung z u r weiteren A u f k l ä r u n g des Sachverhalts einzelne Beweiserh e b u n g e n v o r n i m m t (E. 63, 337). Dagegen findet n a c h E. 68, 377 § 23 I I A n w e n d u n g auf den Untersuchungsrichter, der n a c h § 191 U n t e r s u c h n n g s handlungen vornimmt. cc) I m m e r aber ist Voraussetzung f ü r die Ausschließung g e m ä ß § 23 Abs. 2, d a ß d e r Untersuchungsrichter bzw. dessen Stellvertreter w e s e n t l i c h e A k t e d e r V o r u n t e r s u c h u n g v o r g e n o m m e n h a t , d. h. solche,

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welche die Feststellung des Tatbestandes und die Sammlung der Beweise bezwecken, insbesondere Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, Einnahme eines Augenscheins, Vernehmung des Angeschuldigten usw. (E. 18, 2 7 1 ) , dagegen nicht die Eröffnung der Voruntersuchung, und zwar auch dann nicht, wenn mit ihr die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verbunden ist. (E. 6 1 , 415.) (NB. Im Gegensatz hierzu kommt es bei der Frage, ob der Richter als Beamter der S t a a t s a n w a l t s c h a f t usw. i. S. des § 22 Nr. 4 „ i n d e r S a c h e t ä t i g " gewesen ist, auf die materielle Bedeutung des Amtsgeschäfts nicht an, E. 70, 162.) b) D a d u r c h n u n , d a ß i m v o r l i e g e n d e n F a l l e d e r A m t s r i c h t e r als s t e l l v e r t r e t e n d e r U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r l e d i g l i c h ein E r suchen um E i n v e r n a h m e eines Z e u g e n u n t e r s c h r i e b e n hat, hat er n i c h t d i e V o r u n t e r s u c h u n g „ g e f ü h r t " i. S. d e s § 23 A b s . 2. D e r Amtsrichter wird demnach dieser Feststellung keine weitere Beachtung schenken. (NB. Derjenige Untersuchungsrichter, bei dem die oben erörterten Voraussetzungen zutreffen, ist n i c h t n u r von jeder Mitwirkung im e r k e n n e n d e n Gericht ausgeschlossen, sondern darf auch nicht an einer a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g ergehenden Entscheidung der Strafkammer, insbesondere nicht beim Beschluß über die E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s mitwirken. Würde daher festgestellt, daß ein Richter an dem E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß m i t g e w i r k t hat, der z. B. als Stellvertreter des Untersuchungsrichters den Angeschuldigten, wenn auch nur einmal vernommen, und somit die Voruntersuchung i. S. des § 23 Abs. 2 „geführt" hat, so würde ein Sachurteil auf Grund eines solchen, einen wesentlichen prozessualen Mangel enthaltenden Eröffnungsbeschlusses, der vom Angeklagten beanstandet bzw. infolge Nichtkenntnis seiner Fehlerhaftigkeit nicht gerügt worden ist, unbedingt der A u f h e b u n g i n d e r R e v i s i o n s i n s t a n z unterliegen. Denn mit der Revision kann gemäß § 336 auch der dem Urteil vorausgegangene Eröffnungsbeschluß angefochten werden, wenn auf dem wesentlichen prozessualen Mangel desselben das Urteil b e r u h t . Eine a b s o l u t e Gesetzesverletzung nach § 338 Nr. 2 würde in einem solchen Falle deshalb nicht vorliegen, weil der kraft Gesetzes ausgeschlossene Richter nicht an dem Urteil, sondern nur an einer Vorentscheidung teilgenommen hat. Andererseits aber kann die Möglichkeit nicht als ausgeschlossen gelten, daß bei der Mitwirkung einwandfreier Richter [der Untersuchungsrichter gilt in diesem Falle gemäß § 23 Abs. 2 als befangen] ein Eröffnungsbeschluß gar nicht zustande gekommen, mithin das angefochtene Urteil nicht erlassen worden wäre. S c h o n d a s V o r l i e g e n e i n e r s o l c h e n M ö g l i c h k e i t aber berechtigt zu der Bejahung der Frage, ob das Urteil auf der fraglichen Gesetzesverletzung b e r u h t . (Siehe Fall 9, Abschnitt A V I I I 2, S. 146.) Das Gericht müßte daher, da eine allgemeine Urteilsvoraussetzung fehlt, das Verfahren gemäß § 206 a durch Beschluß außerhalb der Hauptverhandlung bzw. durch Urteil in der Hauptverhandlung gemäß § 260 I I I einstellen, um einem anderweitigen Verfahren nach Fassung eines legalen, rechts-

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II. Teil: Lösungen

gültigen Eröffnungsbeschlusses Raum zu geben. Siehe E. 10, 56 und E. 43, 217.) VI. Die Ladung zur Hauptverhandlung auf den 25. Mai w a r d e m Angeklagten T a m 20. Mai zugestellt worden. 1 . G e m ä ß §217 muß z w i s c h e n der Z u s t e l l u n g der L a d u n g (§ 216) und dem T a g e der H a u p t v e r h a n d l u n g eine F r i s t von mindestens einer W o c h e liegen. Ist diese F r i s t nicht e i n g e h a l t e n worden, so k a n n der A n g e k l a g t e die A u s s e t z u n g der V e r h a n d lung v e r l a n g e n , s o l a n g e mit der V e r l e s u n g des Beschlusses ü b e r die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s nicht b e g o n n e n ist. 2. Der Angeklagte kann auf die Einhaltung dieser Frist v e r z i c h t e n ; ein Widerruf des Verzichts ist nicht statthaft (§ 217 III). Als stillschweigender Verzicht wird angesehen, wenn der Angeklagte im Falle der Nichteinhaltung der Frist es unterläßt, die Aussetzung der Hauptverhandlung zu beantragen. Nach erfolgtem Verzicht kann die Nichteinhaltung der Frist eine Revision nicht begründen, und zwar auch dann nicht, wenn der Vorsitzende die nur instruktionelle Vorschrift des § 228 Abs. 3 außer acht gelassen hat. (R. 1, 262.) (NB. Nach E. 69, 23 und E. 57, 267 stellt auch ein Verstoß gegen § 229 keinen unbedingten Revisionsgrund dar, es ist in einem solchen Falle vielmehr zu untersuchen, ob das Urteil auf ihm beruht. Siehe Fall 5, Vorbemerkung Abschn. I 2 b, S.97.) Es w i r d sich j e d e n f a l l s f ü r den A m t s r i c h t e r e m p f e h l e n , den A n g e k l a g t e n schon v o r der H a u p t v e r h a n d l u n g d a r ü b e r zu hören, ob er auf die F r i s t des § 2 1 7 v e r z i c h t e . (NB. Wird die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen, so muß zum ersten Hauptverhandlungstermin die Frist wieder gewahrt werden. E. 42, 407.) Nachtrag A . Verlesung von Schriftstücken (Urkundenbeweis) A . A l l g e m e i n e Grundsätze I . Während der Wert der Z e u g e n a u s s a g e n als Beweismittel nur ein b e d i n g t e r ist, insofern, als dieser Wert nicht nur durch die Glaubwürdigkeit des Zeugen selbst, sondern auch durch die Fähigkeit des vernehmenden Beamten beeinflußt wird, fehlen diese Gefahrenquellen bei den sog. stummen Z e u g e n , nämlich den U r k u n d e n und den A u g e n scheinsobjekten. II. Die g e s e t z l i c h e n B e s t i m m u n g e n über V e r l e s b a r k e i t von U r k u n d e n (§§ 249—256) beziehen sich mit Ausnahme des § 251 Abs. 3 nur auf die Beweisaufnahme über die S c h u l d - und S t r a f z u m e s s u n g s f r a g e n . Dagegen ist das Gericht z. B. hinsichtlich des Beweises für die Feststellung der Prozeßaussetzungen, oder zur Vorbereitung der Ent-

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Scheidung darüber, ob die L a d u n g u n d V e r n e h m u n g einer Person erfolgen soll (s. § 251 Abs. 3) a n keine Beweisregel gebunden. III. Soll mit U r k u n d e n bewiesen werden, so sind diese, soweit der Verlesung keine gesetzlichen Hinderungsgründe entgegenstehen, zu v e r l e s e n , z. B. der beleidigende Brief, der gefälschte Wechsel, da in diesem Falle der Urkundenbeweis der unmittelbarste u n d deshalb d e m Zeugenbeweis vorzuziehen ist (§ 249, siehe auch BGH 5, 278; 11, 29). Es k a n n also j e d e bei d e n A k t e n b e f i n d l i c h e U r k u n d e , d e r e n V e r l e s u n g i m G e s e t z n i c h t v e r b o t e n ist, v e r l e s e n w e r d e n . Dabei ist es gleichgültig, ob es sich u m eine Originalurkunde oder u m die unbeglaubigte Abschrift einer solchen handelt, u n d ob sie vom Angeklagten, einem Zeugen oder von einer dritten, a m Prozeß nicht beteiligten Person herrührt. Es darf aber eine solche Verlesung, abgesehen von den unten in den Abschnitten B u n d D aufgeführten Fällen stets nur z u m Beweise d a f ü r verwendet werden, d a ß ein Schriftstück dieses Inhalts vorhanden ist. U r k u n d e n , die in der H a u p t v e r h a n d l u n g nicht förmlich verlesen wurden, dürfen nicht zur Grundlage des Urteils gemacht werden (BGH 5,

278).

B . Die im Gesetz ausdrücklich als verlesbar bezeichneten und daher als zum Beweise für die Richtigkeit ihres Inhalts geeigneten Urkunden sind folgende: I . N a c h § 249 S a t z 2: 1. F r ü h e r ergangene Strafurteile, sowie Straflisten. 2. Auszüge aus Kirchenbüchern u n d Personenstandsregistern. 3. Protokolle über die E i n n a h m e des richterlichen Augenscheins. II. N a c h §256: 1. Die ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen ö f f e n t l i c h e r B e h ö r d e n (mit Ausnahme von Leumundszeugnissen). 2. Arztliche Atteste über Körperverletzungen i. S. der §§ 223, 223a u n d 230 StGB (also nicht über solche i. S. des § 224 StGB). Die Verlesung derartiger Atteste ist allerdings n u r d a n n zulässig, wenn der Zweck des Strafverfahrens sich in der Verfolgung einer einfachen vorsätzlichen oder fahrlässigen bzw. gefährlichen Körperverletzung e r s c h ö p f t , nicht dagegen, wenn es bei der Ausführung anderer, schwererer Delikte zu Verletzungen gekommen ist, z. B. bei Ausführung einer Notzucht (vgl. BGH 4. ! 55)III. N a c h §§ 251—254: Vernehmungsprotokolle des Angeklagten, der Zeugen u n d Sachverständigen in bestimmten Ausnahmefällen. (S. unten Abschn. D.)

C. Ausdrücklich im Gesetz verboten ist die Verlesung in folgenden Fällen: I . N a c h § 256: Die Verlesung von L e u m u n d s z e u g n i s s e n öffentlicher Behörden. Für ihre Verlesbarkeit gilt also der auch f ü r private Leumundszeugnisse geltende § 250, d. h. der Verfasser des Leumundszeugnisses m u ß

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II. Teil: Lösungen

persönlich vernommen werden und zwar ohne Unterschied, ob das Zeugnis den Angeklagten oder andere Personen betrifft (E. 53, 280). I I . N a c h § 250: Die Verlesung von V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n , es sei denn, daß einer der in § § 2 5 1 , 253, 254. aufgeführten Fälle vorliegt. (S. den folgenden Abschnitt D.)

D. Die Verlesung von Vernehmungsprotokollen: I . D e r G r u n d s a t z d e s § 250: 1. Beruht der Beweis einer Tatsache auf der W a h r n e h m u n g e i n e r P e r s o n , so ist diese in der Hauptverhandlung zu v e r n e h m e n . Die Vernehmung darf n i c h t durch V e r l e s u n g des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung e r s e t z t werden. Das gleiche gilt für die Vernehmung des Sachverständigen und des Angeklagten. 2. Dieser Grundsatz beruht auf der Erkenntnis, daß, wenn es sich um W a h r n e h m u n g e n handelt, die eine Person gemacht hat, der Beweis durch die Auskunftsperson besser ist als der Urkundenbeweis. Dieser Grundsatz der M ü n d l i c h k e i t bzw. Unmittelbarkeit gilt vor allem für die H a u p t v e r h a n d l u n g e r s t e r I n s t a n z . In der B e r u f u n g s i n s t a n z ist dieser Grundsatz in weitem Umfange durchbrochen und in der R e v i s i o n s i n s t a n z ist der Grundsatz der Mittelbarkeit die Regel. 3. Die Bestimmung des § 250 schließt nicht die Möglichkeit aus, auch einen m i t t e l b a r e n B e w e i s z u führen, z. B. durch Vernehmung eines Polizeibeamten über den Inhalt dessen, was der Angeklagte oder unmittelbare Tatzeugen ihm gegenüber bekundet haben. Das Gericht wird allerdings im allgemeinen die u n m i t t e l b a r e Beweisführung mit ihrer Möglichkeit, durch Fragen und Vorhaltungen auf den Inhalt der Bekundungen einzuwirken, als die zuverlässigere Beweisquelle bevorzugen, um nicht gegen die sich aus § 244 I I ergebende Aufklärungspflicht zu verstoßen. Das pflichtgemäße Ermessen kann aber auch die mittelbare Beweisführung für ausreichend erachten, z. B. in großen Betrugsfällen, wenn eine große Zahl von geschädigten Personen zu vernehmen ist. Siehe auch B G H 6, 209. II. Die V e r l e s u n g von V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n des Angeklagten. 1. Bei A b w e s e n h e i t des Angeklagten: Wird eine Hauptverhandlung unter den Voraussetzungen des § 232 oder des § 233 o h n e d e n A n g e k l a g t e n durchgeführt, so kann und muß die Niederschrift über eine r i c h t e r l i c h e Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung verlesen werden (§ 232 Abs. 3 und § 233 Abs. 3, S. 2). 2. Bei A n w e s e n h e i t des Angeklagten: a ) Ist der Angeklagte im Termin a n w e s e n d , so kann ein r i c h t e r l i c h e s Protokoll über seine frühere Aussage i n s o w e i t verlesen werden, als daraus der Beweis für ein G e s t ä n d n i s hergeleitet werden soll (§ 254 Abs. 1).

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b) Das gleiche gilt von der Verlesbarkeit r i c h t e r l i c h e r Protokolle zwecks Feststellung von W i d e r s p r ü c h e n zwischen der vor dem erkennenden Gericht gemachten und den früheren Aussagen des Angeklagten. (§ 254 Abs. 2). Z u a) i s t n a c h E. 61, 72 f o l g e n d e s z u b e m e r k e n : Bei r i c h t e r l i c h e n Geständnissen hat das Gericht ohne weiteres die Möglichkeit, auf Grund des Protokolls für erwiesen zu erachten, d a ß der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat. Liegt dagegen nur ein p o l i z e i l i c h e s Geständnis vor, so m u ß das Gericht, falls der Angeklagte bestreitet, ein Geständnis abgelegt zu haben, den Verhörsbeamten über das frühere Geständnis vernehmen. (Siehe auch B G H 3, 149.) Beweisgrundlage ist dann nicht der Inhalt des polizeilichen Protokolls, sondern die Zeugenaussage des Polizeibeamten. K a n n sich dieser an Einzelheiten nicht mehr erinnern, so darf ihm der Inhalt des von ihm aufgenommenen Protokolls durch V o r h a l t oder wörtliches Vorlesen, gegebenenfalls sogar durch V o r l a g e z u m Durchlesen als Gedächtnisstütze zugänglich gemacht werden (vgl. B G H 3, 281). Eine derartige Gedächtnisstütze darf dem Z e u g e n allerdings erst geboten werden, w e n n er versucht hat, das, was er noch in Erinnerung hat, im Z u s a m m e n h a n g und ohne Gedächtnisstütze wiederzugeben (vgl. § 69 A b s . 1). Erst w e n n offensichtlich ist, d a ß er sich an einzelne Tatsachen nicht mehr erinnern kann, darf ihm der Inhalt des Vernehmungsprotokolls zugänglich gemacht werden. D a n n allerdings ist es nicht erforderlich, d a ß er — entsprechend der in § 253 A b s . 1 getroffenen R e g e l u n g — selbst erklärt, d a ß er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern könne. Eine unmittelbare A n w e n d u n g v o n § 253 scheidet schon deshalb aus, weil der Z e u g e nicht über den Inhalt s e i n e r V e r n e h m u n g gehört w i r d ; für eine analoge A n w e n d u n g besteht kein A n l a ß , da unter den Voraussetzungen des § 253 unter Durchbrechung des Grundsatzes der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit die frühere Aussage selbst als Beweisgrundlage verwertet werden kann und das Gesetz nur deshalb strengere Anforderungen an die Verwertbarkeit stellt (vgl. B G H a. a. O . 284). III. D i e V e r l e s u n g v o n V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n v o n Z e u g e n , Sachverständigen und Mitbeschuldigten. 1 . Die Verlesung bei A b w e s e n h e i t der Beweispersonen (§ 2 5 1 ) : a) In diesem Fall dürfen grundsätzlich (mit Ausnahme der Fälle des § 251 I I und III) n u r r i c h t e r l i c h e P r o t o k o l l e verlesen werden, und z w a r mit Rücksicht darauf, d a ß beim r i c h t e r l i c h e n Protokoll auf die zutreffende Wiedergabe einer erschöpfenden V e r n e h m u n g vertraut werden kann. (E. 67, 254; 71, 12.) b) § 251 I Nr. 1 enthält die a b s o l u t e n H i n d e r u n g s g r ü n d e , die einer V e r n e h m u n g eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten entgegenstehen: T o d , Geisteskrankheit oder Unauffindbarkeit. c ) § 251 I Nr. 2 enthält r e l a t i v e H i n d e r u n g s g r ü n d e (im Wortlaut übereinstimmend mit § 223 I), die dem Erscheinen der Beweisperson in

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II. Teil: Lösungen

der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit entgegenstehen, nämlich Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse. § 251 I Nr. 2 ist sinngemäß auch dann anwendbar, wenn der Zeuge zwar vor Gericht erscheinen kann, aber zu befürchten ist, daß seine Vernehmung in der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verschlechterung seines Krankheitszustandes führen könnte (vgl. B G H 9, 297)-

d) § 251 I Nr. 3 enthält e b e n f a l l s e i n e n r e l a t i v e n H i n d e r u n g s g r u n d (im Wortlaut übereinstimmend mit § 223 I I ) , nämlich den Fall, daß der Beweisperson das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. In den Fällen b) und c) (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 und 2) darf gemäß § 251 I I j e d e s V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l , also auch ein solches der Polizei, des Finanzamts oder des Notars, verlesen werden, und zwar nicht nur ein solches, das in d e m s e l b e n Verfahren, sondern auch jedes s o n s t i g e P r o t o k o l l , das in i r g e n d e i n e m a n d e r e n V e r f a h r e n aufgenommen worden ist. (S. hierzu Wortlaut des § 251 I I „Niederschriften über eine andere Vernehmung".) Im Falle d) (§ 251 I Nr. 3) dagegen kommen nur solche r i c h t e r l i c h e n Vernehmungsprotokolle in Frage, die in d e m s e l b e n Verfahren aufgenommen worden sind. e) Ferner können alle r i c h t e r l i c h e n Vernehmungsprotokolle und zwar auch solche, die in d e m s e l b e n Verfahren aufgenommen worden sind, i n j e d e m F a l l e verlesen werden, w e n n d e r S t a a t s a n w a l t , der V e r t e i d i g e r und der A n g e k l a g t e mit der Verlesung einverstanden sind. (§ 251 Abs. 1 Nr. 4.) f) Wird das Vernehmungsprotokoll eines f r ü h e r e n M i t b e s c h u l d i g t e n verlesen, so sind folgende Besonderheiten zu beachten (vgl. B G H 10, 186): aa) Wäre der frühere Mitbeschuldigte in der Hauptverhandlung vernommen worden, so hätte er die S t e l l u n g e i n e s Z e u g e n eingenommen. Hieraus folgt: hätte der frühere Mitbeschuldigte als Zeuge in der Hauptverhandlung gemäß §§ 52 ff. das Zeugnis verweigern können, so ist die Verlesung des Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung unzulässig. Bestünde dagegen lediglich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55, so wäre eine Verlesung des Protokolls unbedenklich. § 55 dient nämlich in erster Linie der Selbstverteidigung des Zeugen. Dieser konnte aber seine Interessen bereits bei seiner früheren Vernehmung als Beschuldigter wahren, gegebenenfalls sogar durch Verweigerung jeglicher Angaben. Es besteht daher kein Bedürfnis, ihn in der Hauptverhandlung besonders zu schützen. g ) Schließlich ist für sämtliche Fälle des § 251 festzustellen, daß nach seiner Neufassung die Verlesbarkeit einer im Vorverfahren gemachten Aussage nicht mehr von der Beachtung der Förmlichkeiten des § 193 abhängt. ( B G H i, 219.)

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Fall 3 2 . Verlesung von Vernehmungsprotokollen Zeugen oder Sachverständigen. (§ 253.)

bei A n w e s e n h e i t

des

a) I n den folgenden beiden Fällen ist die Verlesung von V e r n e h m u n g s protokollen j e d e r A r t , also a u c h v o n p o l i z e i l i c h e n z u l ä s s i g , n ä m l i c h : aa) z u r U n t e r s t ü t z u n g d e s G e d ä c h t n i s s e s , w e n n ein Zeuge oder Sachverständiger erklärt, d a ß er sich einer T a t s a c h e nicht m e h r erinnert (§ 253 Abs. 1), oder w e n n bb) ein in der V e r n e h m u n g hervortretender W i d e r s p r u c h mit der f r ü h e r e n Aussage nicht auf andere Weise ohne U n t e r b r e c h u n g der H a u p t v e r h a n d l u n g festgestellt oder b e h o b e n w e r d e n k a n n (§ 253 I I ) . (Siehe hierzu B G H 3, igg, 201, wo unter Bezugnahme auf E. 5g, 144 auf den Unterschied zwischen Verlesung z u m Z w e c k e d e s U r k u n d e n b e w e i s e s (§ 253) u n d einer Verlesung z u m Zwecke lediglich von V o r h a l t u n g e n hingewiesen w i r d ; d u r c h letztere soll n ä m l i c h nicht der U r k u n d e n i n h a l t , wie es bei § 253 der Fall ist, festgestellt, sondern allein die d u r c h den V o r h a l t herbeigeführte E r k l ä r u n g d e s B e f r a g t e n vera n l a ß t werden. Ein solcher V o r h a l t ist immer, also auch a u ß e r h a l b d e r G r e n z e n des § 253 möglich.) b ) V e r b o t e n ist die Verlesung der Aussagen eines vor der H a u p t v e r h a n d l u n g v e r n o m m e n e n Z e u g e n , welcher erst in der H a u p t v e r h a n d l u n g von seinem Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t G e b r a u c h m a c h t (§ 252). Dieses Verlesungsverbot bezieht sich a u c h auf r i c h t e r l i c h e V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e , u n d zwar selbst d a n n , w e n n alle Beteiligten mit der Verlesung einverstanden sind; § 251 I Nr. 4 findet keine analoge Anw e n d u n g (BGH 10, 77). U m das Verlesungsverbot des § 252 nicht zu entwerten, messen Liter a t u r u n d R e c h t s p r e c h u n g d e r Bestimmung ü b e r ihren eigentlichen W o r t l a u t hinaus ein weitgehendes V e r w e r t u n g s v e r b o t bei. So ist es unzulässig, den I n h a l t einer Vernehmungsniederschrift eines z u r Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen a n d e r e n Zeugen zur Auffrischung ihres Gedächtnisses vorzuhalten, bevor feststeht, ob der z u r Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Geb r a u c h m a c h e n will oder nicht ( B G H 7, ig4). Die umstrittene Frage, o b der V e r h ö r s b e a m t e ü b e r die vor i h m g e m a c h t e n f r ü h e r e n Bekundungen des verweigerungsberechtigten Zeugen v e r n o m m e n w e r d e n darf, h a t d e r Bundesgerichtshof ( B G H 2, gg) mit einer ausführlichen Begründung (in A n l e h n u n g an E. 48, 246 u n d in A b w e i c h u n g von E. 72, 2 2 1 ) f o l g e n d e r m a ß e n entschieden: m a c h t ein Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht G e b r a u c h , so darf ü b e r den I n h a l t einer Aussage, die er bei einer f r ü h e r e n r i c h t e r l i c h e n Vern e h m u n g n a c h Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht g e m a c h t h a t , d u r c h V e r n e h m u n g des Richters Beweis erhoben werden. Die V e r n e h m u n g d e r Verhörsperson ü b e r den I n h a l t f r ü h e r e r n i c h t r i c h t e r l i c h e r (also vor allem polizeilicher oder vor d e m Staatsanwalt gemachter) Aussagen ist unzulässig, u n d dies selbst d a n n , w e n n der Zeuge auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen w u r d e . Das in § 252 enthaltene V e r P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

6

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I I . Teil: Lösungen

l e s u n g s - und V e r w e r t u n g s v e r b o t dient, wie der B G H a. a. O. weiter ausführt, dem Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Wahrheitserforschung einerseits und der Pflichtkollision andererseits, in die der wegen seiner persönlichen Nähe zur Sache unfreie Dritte durch den Zeugniszwang geraten kann. Diese vom Bundesgerichtshof erstmals in B G H 2, gg aufgestellten Grundsätze wurden in den bereits erwähnten Entscheidungen B G H 7, ig4 und 10, 77 bestätigt und in B G H 1 1 , g7 sinngemäß auf die Vernehmung von S a c h v e r s t ä n d i g e n übertragen: macht ein Zeuge, der bereits von einem Sachverständigen vernommen wurde, in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so kann der Sachverständige über den Inhalt der durch ihn erfolgten Vernehmung gehört werden, sofern der betreffende Zeuge vor dieser früheren Vernehmung richterlich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen wurde. (Siehe auch B G H 13, 1 ; 13, 250 und Nachtrag zu Fall 15.) Wird ein Richter oder Sachverständiger entsprechend den in B G H 2, gg und 1 1 , g7 aufgestellten Grundsätzen in zulässiger Weise als Zeuge vernommen, so darf ihm zur Unterstützung des Gedächtnisses der Inhalt des Protokolls vorgehalten oder vorgelesen werden. Zur Beweisgrundlage darf jedoch auch in diesem Falle nur die Bekundung des Richters, nicht etwa das Protokoll gemacht werden ( B G H 1 1 , 338). Z u beachten ist schließlich noch, daß nur der Vernehmungsrichter selbst als Zeuge gehört werden darf, nicht auch andere Personen, die bei der Vernehmung zugegen waren, z. B. Referendare ( B G H 13, 3g4). (NB. Die Bestimmung des § 252 und die diesbezügliche Rechtsprechung bezieht sich n i c h t auf die Aussagen eines Zeugen, dem lediglich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 zusteht. In diesem Falle ist also eine Vernehmung der V e r h ö r s p e r s o n ohne weiteres möglich, siehe B G H vom 2 8 . 1 1 . 5 0 in M D R 5 i , i 8 o . Siehe schließlich B G H 1, 3 3 7 : Erklärt ein A n g e k l a g t e r , daß er sich zu Angaben, die in früheren polizeilichen Protokollen enthalten sind, nicht äußern wolle, so können trotzdem diese Angaben zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, ¿ror allem auch durch Vernehmung der Verhörsperson, denn die für die Zeugnisverweigerung geltenden Grundsätze sind keineswegs auch auf den Angeklagten anzuwenden.)

E. Spezialbestimmungen über die Verlesung von sonstigen Urkunden. I . Liegen die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 vor, dann kann j e d e Urkunde, die eine von einem Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten stammende s c h r i f t l i c h e Ä u ß e r u n g enthält, verlesen werden. (§ 251 I I am Schluß.) I I . Soll die Verlesung z u a n d e r e n Z w e c k e n a l s u n m i t t e l b a r d e r U r t e i l s f i n d u n g (d. h. der Klärung der Schuld- und Strafzumessungsfragen), insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen alle Arten von Vernehmungsprotokollen (also a u c h p o l i z e i l i c h e ) , Ur-

Fall 3

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künden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke werden. (§ 251 III.) (S. oben Abschn. A II, S. 76.)

verlesen

F. Bei der Verlesung von Vernehmungsprotokollen zu beachtende Formvorschriften und der Einfluß von Formmängeln oder sonstiger Mängel der Vernehmungsprotokolle auf ihre Verlesbarkeit und Beweiskraft. I . Die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls darf nur stattfinden auf Grund eines sie anordnenden G e r i c h t s b e s c h l u s s e s (also in keinem Falle auf Anordnung des Vorsitzenden allein), der den G r u n d der Verlesung enthalten muß, sowie bei einem richterlichen Vernehmungsprotokoll die Feststellung, ob der Vernommene v e r e i d i g t worden ist. (§251 Abs. 4.) W a r dies nicht der Fall, so m u ß die Vereidigung, falls sie durchführbar ist, nachgeholt werden (§ 259 I V Satz 4), es sei denn, daß das Gericht einen der Gründe der §§ 60, 61 für vorliegend erachtete, die die Vereidigung verbieten oder in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts stellen; auch über diese Fragen muß der Gerichtsbeschluß Aufschluß geben ( B G H 1, 269). Aus dem Beschluß m u ß ferner hervorgehen, d a ß der zur Verlesung berechtigende Grund n o c h f o r t d a u e r t . (E. 59, 299; B G H 1, 103.) Das F e h l e n eines solchen Gerichtsbeschlusses oder seiner Begründung r e c h t f e r t i g t d i e R e v i s i o n , sofern das angefochtene Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht, d. h. wenn die Aussage der betreffenden Beweisperson bei der Urteilsfällung verwertet worden ist; denn der Mangel der Begründung entzieht den Beteiligten und dem Revisionsgericht die M ö g l i c h k e i t , die Z u l ä s s i g k e i t d e r V e r l e s u n g z u p r ü f e n und verleiht der Verlesung den Charakter eines gesetzlich unzulässigen Aktes, weil die Berechtigung zu einer Ausnahme von § 250 nicht ersichtlich ist. (E. 1,236.) II. Jede Verlesung nach § 251 kann aber nur erfolgen, wenn ein o r d n u n g s m ä ß i g e s P r o t o k o l l vorliegt. Bezüglich der Frage, ob und inwieweit Verstöße vor allem gegen die Bestimmungen über das Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t (§§ 52ff.), über B e e i d i g u n g (§§ 60—66e) oder s o n s t i g e , dem Protokoll anhaftende M ä n g e l , z. B. Verletzung der F o r m v o r s c h r i f t e n , der §§ 168, 187, 188 (z. B. fehlende Unterschriften, Nichtanwesenheit des Richters oder des Protokollführers, Rasuren, Durchstreichungen usw.) die B e w e i s k r a f t des Protokolls a u f h e b e n und seine V e r l e s u n g in der Hauptverhandlung u n z u l ä s s i g machen, enthält die Strafprozeßordnung keine Bestimmung. Es bleibt daher in jedem einzelnen Falle der f r e i e n W ü r d i g u n g d e s e r k e n n e n d e n R i c h t e r s (§ 261) überlassen, welche Bedeutung den etwaigen Verstößen und Mängeln beizumessen und ob die Beweiskraft des Protokolls oder doch eines Teils desselben für aufgehoben zu erachten sei (E. 34, 396) und demgemäß im Falle seiner V e r l e s u n g u n d V e r w e r t u n g die R e v i s i o n gerechtfertigt wäre und zur A u f h e b u n g des Urteils führen würde. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf 6*

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II. Teil: Lösungen

hingewiesen, daß nach der Neufassung des § 251 vom 12. 9. 1950 die Verlesbarkeit einer im Vorverfahren gemachten Aussage nicht mehr von der Beachtung der Förmlichkeiten des § 193 abhängt. (Siehe BGH 1, 219.) Zu beachten ist ferner, daß polizeiliche Vernehmungsprotokolle, u m nach § 251 I I verlesbar zu sein, nicht der Form des § 188 bedürfen, andererseits aber in ihrem Beweiswert beeinträchtigt werden, wenn ihr Inhalt von dem Zeugen nicht durch Unterschrift genehmigt, möglicherweise sogar nicht einmal vorgelesen wurde (BGH 5, 214). Nachtrag B . Augenschein 1. Unter den B e g r i f f d e s A u g e n s c h e i n s fallen alle s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g e n des Gerichts, sei es, d a ß sie durch das Auge, sei es, daß sie durch andere Sinnesorgane gemacht werden. 2. Der A u g e n s c h e i n kann v o r g e n o m m e n werden: a) entweder i n n e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , also seitens des erkennenden Gerichts. In diesem Falle ist der Augenschein ein Akt der Beweisaufnehme. b) oder a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g (§ 86), aa) von dem Amtsrichter im vorbereitenden Verfahren (§§ 162, 165, 166, 169), bb) von dem U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r in der Voruntersuchung (§§193, 195), cc) von einem b e a u f t r a g t e n oder e r s u c h t e n Richter (§§ 185, 225, im Hauptverfahren, aber außerhalb der Hauptverhandlung). 3. B e s o n d e r e F o r m v o r s c h r i f t e n bestehen nur für die Einnahme des Augenscheins a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung. (§§ 168, 187: Hinzuziehung eines Urkundsbeamten, § 249: Aufnahme eines Protokolls, durch dessen Verlesung in der Hauptverhandlung das Ergebnis der Augenscheinseinnahme dem erkennenden Gericht zur Kenntnis gebracht wird; §§ 193, 225: Benachrichtigung der Anwesenheitsberechtigten.) 4. B e s o n d e r e A r t e n d e s A u g e n s c h e i n s : a) Die richterliche L e i c h e n s c h a u und L e i c h e n ö f f n u n g (§§ 87—91), die erstere, die der Identifizierung dient, unter Zuziehung e i n e s Arztes, die letztere im Beisein von z w e i Ärzten; sie bezweckt die Feststellung der Todesursache. b) L i c h t b i l d e r , F i n g e r a b d r ü c k e u n d M e s s u n g e n , § 81b. Diese Maßnahmen, zu deren Durchführung j e d e mit dem Erkennungsdienst oder dem Strafverfahren befaßte Behörde — also nicht nur der Richter — zuständig ist, dürfen n u r b e i m B e s c h u l d i g t e n , bei unverdächtigen Personen nicht gegen deren Willen vorgenommen werden. c) Die S c h r i f t v e r g l e i c h u n g , § 93.

Fall 3

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d ) Die k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g , § § 8 i a , 8 1 c u n d 8 i d . ( F r ü h e r w a r streitig, o b die körperliche U n t e r s u c h u n g sich n a c h den Vorschriften ü b e r die D u r c h s u c h u n g oder nach denjenigen ü b e r den A u g e n s c h e i n richte. Diese Streitfrage w u r d e d u r c h § 8 i a beseitigt, wobei zu b e a c h t e n ist, d a ß die körperliche D u r c h s u c h u n g , d. h. die D u r c h s u c h u n g d e r ä u ß e r e n O b e r f l ä c h e des K ö r p e r s oder d e r K l e i d u n g n a c h wie vor der Bestimmung der §§ 102, 103 unterliegt, siehe Fall 9, Abschn. B I I , 2 a, aa, S. 151.) aa) D e r B e s c h u l d i g t e darf körperlich u n t e r s u c h t w e r d e n z u r Feststellung aller T a t s a c h e n , die f ü r das V e r f a h r e n von Bedeutung sind. (§ 81 a Abs. 1 Satz 1.) Z u diesem Zweck sind k ö r p e r l i c h e E i n g r i f f e , die von einem A r z t n a c h den R e g e l n der ärztlichen K u n s t zu U n t e r suchungszwecken v o r g e n o m m e n w e r d e n (z. B. A u s p u m p e n des Magens), sowie die E n t n a h m e von Blutproben (zum Zwecke der Blutgruppenb e s t i m m u n g oder d e r Feststellung des Blutalkoholgehalts) ohne Einwillig u n g des Beschuldigten zulässig, w e n n kein Nachteil f ü r seine Gesundheit zu besorgen ist (§ 81 a Abs. 1 Satz 2). bb) Bei u n v e r d ä c h t i g e n Personen, die als Zeugen in Betracht k o m m e n , ist die körperliche U n t e r s u c h u n g o h n e ihre Einwilligung n u r zulässig, w e n n festgestellt w e r d e n m u ß , ob sich a n i h r e m K ö r p e r eine bestimmte S p u r oder Folge einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g b e f i n d e t (z. B. U n t e r s u c h u n g einer angeblich Genotzüchtigten). Die U n t e r s u c h u n g k a n n aus den gleichen G r ü n d e n wie das Zeugnis v e r w e i g e r t w e r d e n ( B G H 12, 235). Die U n t e r s u c h u n g ist u n z u l ä s s i g , w e n n sie d e m Betroffenen bei W ü r d i g u n g aller U m s t ä n d e n i c h t z u g e m u t e t werden k a n n ( § 8 i c Abs. 1). Die E n t n a h m e v o n B l u t p r o b e n ist ohne Einwilligung des zu U n t e r s u c h e n d e n zulässig, w e n n kein Nachteil f ü r seine Gesundheit zu besorgen ist u n d der Eingriff z u r Erforschung der W a h r h e i t unerläßlich ist (§ 81 c Abs. 2). cc) K a n n die k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g e i n e r F r a u d a s S c h a m g e f ü h l verletzen, so wird sie einer F r a u oder einem A r z t ü b e r t r a g e n . Auf V e r l a n g e n der zu u n t e r s u c h e n d e n F r a u soll eine a n d e r e F r a u oder ein Angehöriger zugelassen w e r d e n . Diese Vorschriften gelten a u c h d a n n , w e n n die zu u n t e r s u c h e n d e F r a u in die U n t e r s u c h u n g einwilligt (§ 81 d). dd) Die A n o r d n u n g der oben g e n a n n t e n M a ß n a h m e n steht d e m R i c h t e r , bei G e f ä h r d u n g des Untersuchungserfolges d u r c h V e r z ö g e r u n g a u c h der Staatsanwaltschaft u n d ihren Hilfsbeamten zu. ee) I m Falle bb) gilt bei W e i g e r u n g des Betroffenen die Vorschrift des § 70 entsprechend. U n m i t t e l b a r e r Z w a n g darf n u r auf besondere A n o r d n u n g des Richters a n g e w a n d t w e r d e n . Die A n o r d n u n g setzt voraus, d a ß d e r Betroffene trotz Auferlegung einer Ordnungsstrafe bei der Weiger u n g b e h a r r t oder d a ß G e f a h r im V e r z u g ist (§ 81 c Abs. 4). 5. Ein B e w e i s a n t r a g auf E i n n a h m e einees A u g e n s c h e i n s k a n n a b g e l e h n t werden, w e n n der Augenschein n a c h d e m p f l i c h t g e m ä ß e n Ermessen des Gerichts zur Erforschung d e r W a h r h e i t nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 5).

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II. Teil: Lösungen

ZU FALL 4 A. Vorbemerkungen I. Die Zwangsmittel im S t r a f v e r f a h r e n . Die wirksame Durchführung des Strafverfahrens macht häufig schon im Vorverfahren die A n w e n d u n g von Z w a n g s m i t t e l n erforderlich, d. h. von E i n g r i f f e n in die R e c h t s s p h ä r e des e i n z e l n e n , nämlich 1. in die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t (insbesondere Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung, vorläufige Festnahme, s. foIgenderAbschn.il), 2. in die k ö r p e r l i c h e U n v e r s e h r t h e i t (körperliche Untersuchung, siehe Fall 3, Nachtrag B, Abschn. 4d, S. 85), 3. in das E i g e n t u m (Beschlagnahme, siehe Fall 9, Abschn. B II 2 a, bb, S. 152), 4. in das H a u s r e c h t (Durchsuchung, siehe Fall 9, Abschn. B II 2a, aa, S. 151). (NB. Nach § 136 a, einer Ergänzungsvorschrift zu § 343 StGB, die gemäß § 69 III auch für die Vernehmung von Zeugen gilt, darf die Willensentscheidung und Willensbestätigung des zu Vernehmenden durch keinerlei Z w a n g s m i t t e l , insbesondere nicht durch N a r k o a n a l y s e oder H y p nose beeinträchtigt werden; dagegen dürfen nach wie vor zulässige Zwangsmittel angewendet werden, wie z. B. Drohung mit Untersuchungshaft, falls der Beschuldigte grundlos leugnet und die Voraussetzungen des § 112 gegeben sind. Besonders zu beachten ist, daß sich § 136 a nicht nur auf richterliche Vernehmungen bezieht, sondern auch auf Vernehmungen durch die Polizei [§ 163 II] und durch Sachverständige [BGH 11, 211].) II. Eine Freiheitsbeschränkung ist in der StPO. in folgenden Fällen vorgesehen. 1. Gegen den B e s c h u l d i g t e n : Die Verhaftung auf Grund richterlichen Haftbefehls (§§ 1 i2ff.), die Unterbringung auf Grund richterlichen Unterbringungsbefehls (§ 126a) und die vorläufige Festnahme des § 127. Ferner die Verhaftung zur Durchführung der Hauptverhandlung (§§ 230, 236), und entsprechend für das Sicherungsverfahren die Bestimmungen der §§ 42gaff. Ferner kommt gegen den B e s c h u l d i g t e n noch in Frage die Vorführung der §§ 133 II, 134, und das Festhalten der §§ 135, 231 und schließlich noch die Verbringung in eine öffentliche Heil- und Pflegeanstalt zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand (§ 81). (NB. Die Unterbringung nach § 81 kann auch in der H.V. erfolgen; sie setzt keinen Haftbefehl voraus, darf nicht länger als sechs Wochen dauern und ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.) 2. Gegen den Z e u g e n : a) Die V o r f ü h r u n g wegen N i c h t e r s c h e i n e n s (§ 51 Abs. 1) setzt eine o r d n u n g s m ä ß i g erfolgte L a d u n g voraus. Die Maßnahme kann neben der obligatorisch vorgesehenen

Fall 4

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Verurteilung in die K o s t e n (verursacht z. B. durch Verlegung des Termins) und S t r a f e (1—1000 D M , bzw. Haft bis 6 Wochen) verfügt werden. Entstehen durch das unentschuldigte Ausbleiben eines Zeugen Kosten, so m u ß der Ordnungsstrafbeschluß auf jeden Fall v o r der Entscheidung in der Hauptsache ergehen; denn nur dann besteht die Möglichkeit, die Prozeßbeteiligten im Urteil von dem Teil der Kosten zu befreien, die durch das Ausbleiben des Zeugen entstanden sind (vgl. BGH 10, 126). Entschuldigt sich der Zeuge nachträglich, so ist der Ordnungsstrafbeschluß wieder aufzuheben (§51 II Satz 2). Die Bezugnahme in der Kostenentscheidung des Urteils auf den Ordnungsstrafbeschluß wird damit gegenstandslos. b) Die Z w a n g s h a f t (§70 Abs. 2), im Gegensatz zu Abs. 1 nur eine Kannvorschrift, setzt eine gesetzlich nicht vorgesehene V e r w e i g e r u n g d e s Z e u g n i s s e s oder der E i d e s l e i s t u n g voraus. Auch diese M a ß n a h m e kann (wie im Falle a) erst n a c h Verurteilung in die Kosten usw. oder d a n e b e n durchgeführt werden. Die Haft darf höchstens 6 Monate bzw. 6 Wochen dauern und nicht über die Beendigung des Verfahrens in der betr. Instanz hinausgehen. (Siehe E. 25, 134; 36, 92.) 3. J e d e P e r s o n , die die amtliche T ä t i g k e i t e i n e s B e a m t e n (auch eines nichtrichterlichen) bei einer außerhalb der Amtsstelle vorgenommenen Amtshandlung (z. B. einer Durchsuchung, einer Augenscheinseinnahme u. a.) vorsätzlich s t ö r t , kann gemäß § 164 f e s t g e n o m m e n und bis zum nächstfolgenden Tag einschließlich f e s t g e h a l t e n werden. 4. Siehe schließlich noch die in §§ 177, 178 G V G vorgesehenen Strafmaßnahmen, wonach Beschuldigte, Zeugen usw. auf B e s c h l u ß d e s G e r i c h t s aus dem Sitzungszimmer entfernt und während einer zu bestimmenden Zeit (bis zur Höchstdauer von 24 Stunden) f e s t g e h a l t e n werden können, wenn sie einem zur A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r O r d n u n g erlassenen Befehl z u w i d e r h a n d e l n (§ 177 GVG), bzw. mit einer Ordnungsstrafe in Geld oder bis zu d r e i T a g e n H a f t belegt werden können, wenn sie sich in der Sitzung einer U n g e b ü h r (z. B. grobe Beleidigung eines Zeugen) schuldig machen (§ 178 GVG). (Siehe hierzu Fall 5, Abschn. A I 4 a.) I I I . D i e w i c h t i g s t e n V o r s c h r i f t e n ü b e r d i e Untersuchungshaft im e i n z e l n e n : 1. Die U n t e r s u c h u n g s h a f t ist, da sie den schwersten Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten vor seiner Verurteilung darstellt, an ganz b e s t i m m t e V o r a u s s e t z u n g e n geknüpft. a) D r i n g e n d e r T a t v e r d a c h t , d. h. ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, daß der Beschuldigte die Tat begangen hat. b) Vorliegen eines b e s o n d e r e n H a f t g r u n d e s , nämlich F l u c h t v e r d a c h t (§ 112 Abs. 1 Nr. 1) oder V e r d u n k e l u n g s g e f a h r , auch Kollusionsgefahr genannt ( § 1 1 2 Abs. 1 Nr. 2).

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I I . Teil: Lösungen

Ist die T a t n u r mit H a f t oder G e l d s t r a f e bedroht, so darf die U n t e r suchungshaft n u r wegen V e r d a c h t s d e r F l u c h t u n d n u r bei Vorliegen d e r weiteren in § 113 g e n a n n t e n Voraussetzungen v e r h ä n g t w e r d e n . Ist die U n t e r s u c h u n g s h a f t lediglich wegen F l u c h t v e r d a c h t s v e r h ä n g t , so k a n n d e r Angeschuldigte gegen Sicherheitsleistung mit der U n t e r suchungshaft verschont werden (§ 117). 2 . Z u s t ä n d i g f ü r d e n E r l a ß d e s H a f t b e f e h l s ist n u r der R i c h t e r (§ 114 Abs. 1), u n d zwar i m vorbereitenden V e r f a h r e n der Amtsrichter, in der V o r u n t e r s u c h u n g der Untersuchungsrichter u n d in der H a u p t v e r h a n d l u n g das e r k e n n e n d e Gericht. Der Beschuldigte, von dessen V e r h a f t u n g ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson zu b e n a c h richtigen ist (§ 114a), m u ß spätestens einen T a g n a c h der Ergreifung d e m zuständigen R i c h t e r v o r g e f ü h r t w e r d e n (114b I). Ist dies nicht möglich (der Beschuldigte wird z. B. auf G r u n d eines v o m Amtsrichter in Heidelberg erlassenen Haftbefehls in M ü n c h e n festgenommen), so ist er d e m nächsten Amtsrichter v o r z u f ü h r e n (114c I), d e r d e n Beschuldigten n u r aus den in § 114c I I I a n g e f ü h r t e n G r ü n d e n (also nicht wegen m a n g e l n d e n Tatverdachts) freilassen darf. 3. Die m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g ü b e r d e n H a f t b e f e h l ist in § i i 4 d b e h a n d e l t . N e b e n der i m schriftlichen Wege zu erledigenden B e s c h w e r d e n a c h § 115, bzw. weiteren Beschwerde n a c h § 310 ist d e m Beschuldigten, falls d e r H a f t b e f e h l wegen eines V e r b r e c h e n s oder Vergehens erlassen ist, die Möglichkeit gegeben, d e m zuständigen Gericht m ü n d l i c h seine Bedenken gegen die V e r h a f t u n g vorzutragen. a ) Beide Möglichkeiten stehen a l t e r n a t i v n e b e n e i n a n d e r . W i r d Ant r a g auf m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g gestellt, so k o m m t eine H a f t b e s c h w e r d e zunächst nicht in Betracht. Eine bereits eingelegte H a f t b e s c h w e r d e gilt mit der A n b e r a u m u n g des T e r m i n s zur m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g als z u r ü c k g e n o m m e n . Z u r Klarstellung m u ß allerdings d a r a u f hingewiesen werden, d a ß n a c h D u r c h f ü h r u n g d e r m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g jederzeit wieder Beschwerde eingelegt w e r d e n k a n n . Insbesondere k a n n a u c h die auf G r u n d der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g getroffene Entscheidung mit d e r Beschwerde angefochten werden. F ü r d e n A n t r a g auf m ü n d l i c h e Verh a n d l u n g gelten entsprechend die §§ 297—-300 u n d 302 I I (115c I), also nicht § 303, so d a ß der A n t r a g a u c h ohne Z u s t i m m u n g des Staatsanwalts zurückgenommen werden kann. b ) D e m A n t r a g auf m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g m u ß z u m e r s t e n M a l e stets stattgegeben werden. S p ä t e r h i n , d. h. w e n n bereits eine m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g auf A n t r a g (§ 1 i 4 d ) oder im H a f t p r ü f u n g s v e r f a h r e n (§ 115 a) s t a t t g e f u n d e n h a t , entscheidet das Gericht ü b e r A n t r ä g e auf nochmalige m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g n a c h f r e i e m E r m e s s e n (§ 1 i 4 d Abs. 3). (Gegen d e n a b l e h n e n d e n Beschluß ist das Rechtsmittel der Beschwerde u n d weiterer Beschwerde g e m ä ß §§ 304, 310 gegeben.) 4 . Die Bestimmungen ü b e r das H a f t p r ü f u n g s v e r f a h r e n sind in § 115a enthalten. Dieses V e r f a h r e n bezweckt, der ü b e r m ä ß i g e n D a u e r der U n t e r s u c h u n g s h a f t entgegenzuwirken.

Fall 4

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a) Die Prüfung findet z u m e r s t e n M a l e statt, wenn die Untersuchungshaft e i n e n Monat gedauert hat (§ 115a Abs. 2). Sie beginnt grundsätzlich mit der Festnahme (§ 115a II), unter den Voraussetzungen des Abs. 5 jedoch entsprechend später. Läßt das Gericht den Angeschuldigten nicht frei, so bestimmt es zugleich, wann das Haftprüfungsverfahren zu w i e d e r h o l e n ist; die Frist soll in der Regel mindestens d r e i W o c h e n und darf nicht mehr als d r e i M o n a t e betragen. Dasselbe gilt bei jeder Wiederholung des Haftprüfungsverfahrens (§ 115 a Abs. 3). b) Auch im Haftprüfungsverfahren hat der Angeschuldigte das Recht, m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g zu beantragen, und zwar auch dann, wenn schon bei einer früheren Haftprüfung nach mündlicher Verhandlung entschieden worden ist. (Anders im Falle des § i i 4 d , s. oben Abschn. 3b). 5. Für die m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g s o w o h l nach § i i 4 d a l s a u c h nach § 115a gilt folgendes (§ i i s d ) : a) Von O r t u n d Z e i t der mündlichen Verhandlung sind die Staatsanwaltschaft sowie der Angeschuldigte und der Verteidiger zu b e n a c h richtigen. (§ i i s d Abs. 1.) b) Wird der Angeschuldigte zur mündlichen Verhandlung nicht vorgeführt (weil er verzichtet hat oder Hindernisse — weite Entfernung oder Krankheit — entgegenstehen), so muß ein V e r t e i d i g e r seine Rechte wahrnehmen. (§ H 5 d Abs. 2.) Ein solcher muß auch dann zugezogen werden, wenn die Untersuchungshaft seit der Verhaftung d r e i M o n a t e gedauert hat. (§ i i s d Abs. 3.) c) In der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g sind die Beteiligten zu hören. Art und Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen. Die mündliche Verhandlung darf sich natürlich nie zu einer vorweggenommenen Hauptverhandlung auswachsen. Über die Verhandlung ist ein Protokoll wie in der Hauptverhandlung aufzunehmen. (§ i i s d Abs. 5.) d) Die E n t s c h e i d u n g , die am Schluß der Verhandlung und, falls dies nicht möglich ist, spätestens innerhalb einer Woche zu erlassen ist (§ i i s d Abs. 6), geht dahin, daß der Haftbefehl aufrecht zu erhalten oder aufzuheben, oder daß der Verhaftete gegen Sicherheit aus der Haft zu entlassen sei. e) N a c h E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s findet eine Verhandlung über den Haftbefehl nicht mehr statt (§ 115b). 6. Da die Untersuchungshaft k e i n e S t r a f h a f t ist, kann sie auch nicht als Strafhaft vollstreckt werden. Die Vollstreckung muß vielmehr so durchgeführt werden, daß dem Verhafteten n u r s o l c h e B e s c h r ä n k u n g e n auferlegt werden, die zur Sicherung des Zweckes der Haft oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gefängnis notwendig sind. (Siehe im übrigen § 116.) 7. Wie sich aus der Bezeichnung „ A n g e s c h u l d i g t e r " in § 112 ergibt, betreffen die §§ 112 bis 124 zunächst nur diejenige Haft, welche n a c h



I I . Teil: Lösungen

E r h e b u n g der öffentlichen Klage v e r h ä n g t w o r d e n ist (§ 157). F ü r v o r K l a g e e r h e b u n g zu erlassende H a f t b e f e h l e (sie bilden in der täglichen Strafrechtspraxis die M e h r z a h l ) gelten g e m ä ß § 125 die Bestimmungen der §§ 112 ff. entsprechend. 8. W e g e n A n r e c h n u n g der U n t e r s u c h u n g s h a f t n a c h § 450 S t P O u n d § 60 StGB siehe N a c h t r a g , Abschnitt I 3 c, S. 94. 9. I m J u g e n d g e r i c h t s v e r f a h r e n sind die in d e n §§ 52, 72 u n d 93 J G G g e n a n n t e n Besonderheiten zu beachten. I V . § 126 a betrifft die einstweilige Unterbringung in den Fällen, in d e n e n dringende G r ü n d e f ü r die A n n a h m e v o r h a n d e n sind, d a ß j e m a n d als Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g e r oder v e r m i n d e r t Zurechnungsfähiger eine strafb a r e H a n d l u n g b e g a n g e n h a t , seine U n t e r b r i n g u n g in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu e r w a r t e n steht u n d die öffentliche Sicherheit die einstweilige U n t e r b r i n g u n g erfordert. V . Z u r vorläufigen Festnahme des § 127 (eine Freiheitsentziehung ohne Haftbefehl) ist j e d e r m a n n berechtigt, w e n n der T ä t e r auf frischer T a t betroffen wird, u n d w e n n er fluchtverdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht festgestellt werden k a n n (Abs. 1). D a r ü b e r hinaus sind n a c h Abs. 2 die S t a a t s a n w a l t s c h a f t u n d die P o l i z e i b e a m t e n z u r v. F. berechtigt, w e n n die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder U n t e r bringungsbefehls vorliegen u n d G e f a h r i m V e r z u g ist. Der F e s t g e n o m m e n e ist unverzüglich d e m R i c h t e r v o r z u f ü h r e n , der ihn spätestens a m folgenden T a g zu v e r n e h m e n h a t (§ 128). (NB. Der F e s t n e h m e n d e n a c h § 127 I darf ganz allgemein alle H a n d l u n g e n v o r n e h m e n , die — w e n n die öffentlich-rechtliche Befugnis nicht gegeben w ä r e —• als Freiheitsberaubung, N ö t i g u n g u n d evtl. K ö r p e r v e r l e t z u n g anzusehen sein d ü r f e n ; d e r F e s t z u n e h m e n d e , der sich z u r W e h r setzt, h a n d e l t d a h e r nicht in N o t w e h r , sondern ist u. U . wegen Körperverletzung s t r a f b a r — siehe E. 34, 446; 54, 197 —, aber n a t ü r l i c h nicht wegen Widerstandes i. S. des § 1 1 3 , wie i m Falle des § 127 I I . ) V I . Der Steckbrief (eine öffentliche A u f f o r d e r u n g zur Ergreifung eines Beschuldigten) k a n n d u r c h d e n R i c h t e r oder S t a a t s a n w a l t erlassen w e r d e n auf G r u n d eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls, w e n n d e r Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält (§ 131 Abs. 1), oder o h n e H a f t b e f e h l oder Unterbringungsbefehl, w e n n ein Festgen o m m e n e r entweicht oder sich sonst der Bewachung entzieht (§ 131 Abs. 2). I n diesen Fällen k a n n a u c h die P o l i z e i b e h ö r d e einen Steckbrief erlassen (§ 131 Abs. 2 S. 2).

B. Lösung des Falles I. Über Erlaß und Aufhebung des Haftbefehls 1. Der Rückfalldiebstahl i. S. des § 244 StGB ist ein d a als Strafe Z u c h t h a u s a n g e d r o h t ist. (§ 1 StGB.)

Verbrechen,

Fall 4

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Bildet ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung und soll die Untersuchungshaft wegen Fluchtverdachts verhängt werden, so bedarf nach § 112 Abs. 2 Nr. i der Verdacht der Flucht k e i n e r w e i t e r e n B e g r ü n d u n g , weil hier die Vermutung dafür spricht, daß der Angeschuldigte zu fliehen versuchen werde. Trotzdem entbindet diese Bestimmung den Richter nicht von der Verpflichtung, jeweils zu prüfen, ob im einzelnen Fall nicht Umstände vorliegen, welche diese Vermutung als unbegründet erscheinen lassen. Die T a t s a c h e also, d a ß im v o r l i e g e n d e n Falle ein V e r b r e c h e n den Gegenstand der U n t e r s u c h u n g bildet, steht einer Aufh e b u n g des H a f t b e f e h l s g r u n d s ä t z l i c h n i c h t e n t g e g e n . (NB. Ist die Tat nur mit H a f t oder G e l d s t r a f e b e d r o h t , so kommt als Haftgrund lediglich F l u c h t v e r d a c h t in Frage, und zwar nur in den in § 113 angeführten Fällen.) 2. D e r H a f t b e f e h l ist a u f z u h e b e n a) wenn der in ihm angegebene Grund der Verhaftung weggefallen ist, oder wenn der Angeschuldigte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird (§ 123), b) wenn bei einem Antragsdelikt zunächst eine Verhaftung vorgenommen wird, nachträglich aber ein Strafantrag nicht gestellt wurde (§ 130), c) immer auf Antrag der Staatsanwaltschaft, solange diese noch Herr des Verfahrens ist, d. h. solange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ist (§ 126). Die ausdrückliche E r w ä h n u n g d e r F r e i s p r e c h u n g in § 123 hat nicht die Bedeutung, daß ein auf S t r a f e lautendes Urteil etwa nicht geeignet wäre, die Aufhebung des Haftbefehls zu bewirken. Vielmehr muß auch ein derartiges Urteil diese Wirkung insoweit haben, als mit ihm die tatsächlichen Voraussetzungen des Haftbefehls in Wegfall gekommen sind; die Untersuchungshaft darf nicht lediglich deshalb fortdauern, weil der Angeschuldigte eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, denn die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe begründet nicht ohne weiteres den Fluchtverdacht. Die T a t s a c h e also, d a ß ein auf S t r a f e l a u t e n d e s U r t e i l erg a n g e n war, s t a n d einer A u f h e b u n g des H a f t b e f e h l s an sich nicht entgegen. II. Die Stellungnahme des Staatsanwalts 1. S t r a f u r t e i l e sind nach § 449 nicht v o l l s t r e c k b a r , bevor sie r e c h t s k r ä f t i g geworden sind. Nicht nur durch Ablauf der Rechtsmittelfrist wird das Urteil rechtskräftig, sondern auch durch Zurücknahme des eingelegten Rechtsmittels und durch den V e r z i c h t auf Einlegung desselben. Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e sowohl der Verurteilte als auch der Staatsanwalt auf das Rechtsmittel verzichtet haben, ist das U r t e i l in diesem Augenblick r e c h t s k r ä f t i g g e w o r d e n .

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I I . Teil: Lösungen

2. M i t d e r R e c h t s k r a f t d e s U r t e i l s i s t d a s g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n b e e n d e t . Damit findet aber der richterliche Haftbefehl noch nicht seine Erledigung; er ändert n u r seinen Charakter, indem er von der Rechtskraft des Urteils a b nicht mehr die Feststellung, sondern die Befriedigung des staatlichen Strafanspruchs zu sichern bestimmt ist. 3. N a c h d e m somit feststeht, d a ß der im Vorverfahren erlassene H a f t befehl über die Rechtskraft des Urteils fortdauert, erhebt sich die Frage, ob das e r k e n n e n d e G e r i c h t die B e h ö r d e ist, die n a c h wie vor ü b e r d i e A u f r e c h t e r h a l t u n g d e s H a f t b e f e h l s zu entscheiden h a t . Die Frage ist bestritten. M a n wird wohl den Standpunkt vertreten müssen, d a ß mit der a b s o l u t e n R e c h t s k r a f t des auf Strafe lautenden Urteils n u n m e h r die S t a a t s a n w a l t s c h a f t als das nach §451 Abs. 1 grundsätzlich zur Strafvollstreckung berufene O r g a n des Staats dominus litis wird u n d in dieser Eigenschaft die Verfügungsgewalt über den Verurteilten erlangt, soweit nicht ausdrücklich das Gesetz auch fernerhin d e m Gericht f ü r bestimmte, in den §§ 360 Abs. 2, 458, 462 erschöpfend aufgeführte Fälle eine Einwirkung auf die Strafvollstreckung einräumt. („Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte", Band 1, S. 254ff.) 4. Hieraus folgt: Befindet sich der Angeklagte zur Zeit der Rechtskraft des Urteils in Untersuchungshaft, so ist der vorausgegangene richterliche Haftbefehl der Rechtstitel, auf den hin die Staatsanwaltschaft den Angeklagten i n H a f t behalten kann, es sei denn, d a ß der Amtsrichter eine S t r a f e bis zu 3 M o naten einschließlich ausgesprochen hat, in welchem Falle er selbst a n Stelle des Staatsanwalts Vollstreckungsbehörde ist. (Vgl. § 5 I StrVollstrO v. 15. 2. 1956 i. V. mit den in Abs. 2 genannten Ausnahmen.) Gelangt die Staatsanwaltschaft zu der Uberzeugung, d a ß Fluchtverdacht nicht mehr vorliegt, so kann sie selbständig, d. h. ohne das Gericht u m Aufh e b u n g des Haftbefehls angehen zu müssen, den Verurteilten aus der H a f t entlassen. I I I . Die Entscheidung des Amtsrichters 1. D a ß zur A u f h e b u n g des Haftbefehls der Amtsrichter nach der herrschenden Ansicht n i c h t z u s t ä n d i g war, ergibt sich aus den Ausführungen zu I I . 2. Auch die A u s s e t z u n g d e s V o l l z u g e s d e r E n t s c h e i d u n g ist gesetzwidrig. a) Zwar kann das Gericht usw. entgegen d e m Grundsatz, d a ß d u r c h Einlegung der Beschwerde der Vollzug der Entscheidung nicht g e h e m m t wird, anordnen, d a ß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen sei (§ 307 I I ) . b) Indes hat das Gesetz in § 123 Abs. 2 f ü r Haftsachen ganz allgemein bestimmt, d a ß d u r c h Einlegung eines Rechtsmittels d i e F r e i l a s s u n g d e s A n g e s c h u l d i g t e n n i c h t v e r z ö g e r t w e r d e n d a r f ; also weder die Beschwerde über einen die H a f t betreffenden Beschluß, noch ein gegen

Fall 4

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die Entscheidung in der Hauptsache eingelegtes Rechtsmittel vermögen die Freilassung aufzuschieben. D e r A m t s r i c h t e r m u ß t e also, w e n n er sich s c h o n z u r A u f h e b u n g des H a f t b e f e h l s f ü r b e r e c h t i g t hielt u n d einen d i e s b e z ü g lichen Beschluß erlassen hatte, den Angeklagten auf freien F u ß setzen.

Nachtrag Die Strafvollstreckung Die S t r a f v o l l s t r e c k u n g ist im 7. Buch der S t P O (§§449 bis 463a) geregelt. M a n unterscheidet zwischen S t r a f v o l l s t r e c k u n g i m e n g e r e n S i n n u n d S t r a f v o l l z u g . E r s t e r e bezieht sich auf den ä u ß e r e n Gang der Strafvollstreckung, w ä h r e n d der Strafvollzug die D u r c h f ü h r u n g der Strafvollstreckung im einzelnen regelt.

I. Die Strafvollstreckung i. e. S . Hierfür kommt neben der S t P O die S t r a f v o l l s t r e c k u n g s o r d n u n g vom 15. Februar 1956 (StrVollstrO) in Frage. 1. V o r a u s s e t z u n g d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g : a) Rechtskräftiges Strafurteil (§449). b) Beglaubigte Abschrift der Urteilsformel, welche von d e m Urkundsb e a m t e n mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehen sein m u ß (§45i)2. Als V o l l s t r e c k u n g s b e h ö r d e n kommen in Betracht: a) Der O b e r s t a a t s a n w a l t beim Landgericht, soweit nichts anderes bestimmt ist ( § 4 a StrVollstrO); b) der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht, wenn dieses im ersten Rechtszug entschieden hat (§ 4 b StrVollstrO); c) der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, wenn dieser i m ersten Rechtszug entschieden h a t ; d) der A m t s r i c h t e r in den Sachen, in denen er im ersten Rechtszug entschieden hat, es sei denn, d a ß auf Freiheitsstrafe von mehr als drei M o n a t e n entschieden ist, oder d a ß eine der in § 5 Abs. 2 StrVollstrO genannten weiteren Ausnahmen vorliegt.; e) der J u g e n d r i c h t e r regelmäßig in Jugendstrafsachen (vgl. §§ 82ff., 110JGG). (N. B. Für die Vollstreckung von U n g e b ü h r s t r a f e n sind die §§178 bis 180 G V G u n d f ü r die Vollstreckung von E r z w i n g u n g s s t r a f e n ist § 36 S t P O maßgebend.) I m e r s t e r e n Falle ist demnach der Vorsitzende des Gerichts (siehe § 179 G V G ) u n d im l e t z t e r e n Falle die Staatsanwaltschaft die Vollstreckungsbehörde. (Siehe E. 15, 230.) 3. D i e V o l l s t r e c k u n g e i n e r F r e i h e i t s s t r a f e : a) Sie h a t grundsätzlich s o f o r t n a c h d e r R e c h t s k r a f t des Urteils zu erfolgen. A u f s c h u b kann von Amts wegen (§ 455) oder auf Antrag (§ 456) erfolgen.

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II. T e i l : Lösungen

b) Die Vollstreckung erfolgt durch L a d u n g des Verurteilten Strafantritt. U n t e r Umständen Haftbefehl und Steckbrief ( § 4 5 7 ) .

zum

c) Die Berechnung der Strafzeit: aa) § 450 betrifft diejenige Untersuchungshaft, die der Angeschuldigte n a c h der Urteilsfällung erlitten hat und z w a r seit er auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hat oder seitdem die Einlegungsfrist abgelaufen ist, ohne d a ß er eine Erklärung abgegeben hat. Die A n r e c h n u n g ist o b l i g a t o r i s c h . Sie ist unverkürzt z u vollziehen. Sie besteht also darin, d a ß jeder T a g der Untersuchungshaft als ein T a g verbüßter Freiheitsstrafe behandelt wird, ohne Unterschied, ob auf Zuchthausstrafe, Gefängnisstrafe oder H a f t erkannt w i r d ; § 21 S t G B findet also keine A n w e n d u n g . bb) Dagegen bezieht sich § 60 S t G B auf diejenige Untersuchungshaft, die der Angeschuldigte v o r Urteilsfällung erlitten hat. Diese Untersuchungshaft ist n i c h t etwa eine a n t i z i p i e r t e S t r a f h a f t ; sie ist daher v o m E n d e d e r S t r a f h a f t z u r ü c k z u r e c h n e n (E. 29, 75) und § 21 S t G B findet ebenfalls keine A n w e n d u n g . (Siehe E. 77, 178.) Die Anrechn u n g erfolgt nach freiem Ermessen; j e d o c h kann eine längere Freiheitsstrafe nicht durch eine kürzere Untersuchungshaft für verbüßt erklärt werden (E. 59, 412). Die Nichterörterung der A n r e c h n u n g der Untersuchungshaft bildet auch dann einen Revisionsgrund, w e n n ein diesbezüglicher A n t r a g nicht gestellt worden ist (siehe K G in J R 47, 170). (Wegen A n r e c h n u n g eines Krankenhausaufenthaltes siehe § 461.) cc) B e i s p i e l : A wurde a m 1. M ä r z i960 v o m Schöffengericht Heidelberg z u vier M o n a t e n Gefängnis unter A n r e c h n u n g der a m 1. Februar i960 verhängten U H verurteilt; der Haftbefehl wurde aufrechterhalten. V o n beiden Seiten wurde Berufung eingelegt. Der Angeklagte n a h m seine Berufung a m 5. M ä r z 12 U h r , die Staatsanwaltschaft a m 10. M ä r z 11 U h r zurück: A u f die Strafzeit, die an sich g e m ä ß § 449 mit dem Zeitpunkt der a b s o l u t e n Rechtskraft, also a m 10. M ä r z 11 U h r beginnt, ist g e m ä ß § 450 die seit Eintritt der r e l a t i v e n Rechtskraft, also seit 5. M ä r z 12 U h r erlittene Untersuchungshaft anzurechnen. Die Strafzeit e n d e t demnach g e m ä ß § 19 S t G B a m 5. Juli u m 12 U h r . Die g e m ä ß § 60 S t G B anzurechnende U n t e r s u c h u n g s h a f t hatte 28 T a g e gedauert, die, falls das Gericht sie voll anrechnen will, a b 5. Juli zurückzurechnen sind. Die Entlassung hat also a m 7. J u n i mittags 12 U h r zu erfolgen. (N. B. Eine vorsätzlich oder fahrlässig bewirkte Strafzeitverlängerung ist nach § 345 S t G B strafbar.) 4. D i e V o l l s t r e c k u n g e i n e r V e r m ö g e n s s t r a f e : a) Sie erfolgt nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Urteile der Z i v i l g e r i c h t e (§ 463). Der Verurteilte (der übrigens nicht die W a h l hat, ob er zahlen oder die Ersatzstrafe absitzen will) kann also gepfändet werden ( § 8 1 1 Z P O ) und kann auch z u m Offenbarungseid (§807 Z P O ) gezwungen werden. (NB. § 463 findet auch bei den auf Einziehung lautenden Entscheidungen Anwendung.)

Fall 4

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b) Über den A u f s c h u b der Vollstreckung bzw. die Gewährung von T e i l z a h l u n g e n enthält nicht die StPO, sondern das StGB Bestimmungen (siehe §§ a8ff. StGB). c) In den N a c h l a ß kann eine Geldstrafe nur dann vollstreckt werden, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden ist (§30 StGB). 5. Werden bei der Strafvollstreckung r i c h t e r l i c h e E n t s c h e i d u n g e n notwendig, so werden sie gemäß § 462 von dem Gericht des ersten Rechtszuges nach Anhörung der Parteien o h n e m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g erlassen. Solche Entscheidungen kommen gemäß § 458 vor allem in Betracht, wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel bestehen, oder wenn E i n w e n d u n g e n g e g e n d i e Z u l ä s s i g k e i t d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g erhoben werden, wenn also der Verurteilte z. B. V e r j ä h r u n g d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g geltend macht oder seine I d e n t i t ä t mit dem wahren Täter bestreitet oder behauptet, eine wegen derselben Tat verhängte Strafe bereits verbüßt zu haben. Liegt der Fall des § 460 vor, d. h. sind die Vorschriften über die B i l d u n g e i n e r G e s a m t s t r a f e gemäß § 79 StGB außer Betracht geblieben, dann kommt ebenfalls n u r d a s B e s c h l u ß v e r f a h r e n nach § 462 in Frage und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Unterlassung auf Rechtsirrtum, auf einem Versehen oder darauf beruht, daß dem Gericht die frühere Verurteilung nicht bekannt war; es kann also die fragliche Unterlassung n i c h t etwa mit dem Rechtsmittel der R e v i s i o n angefochten werden. (BGH 2, 388, in Abweichung von E. 64, 413.) 6. Die Vorschriften über die Strafvollstreckung finden auch auf die V o l l s t r e c k u n g von M a ß r e g e l n der S i c h e r u n g und Besserung sinngemäß Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 463 a). Eine mit Freiheitsentziehung verbundene, n e b e n einer Freiheitsstrafe angeordnete Maßregel der Sicherung und Besserung wird erst nach Vollzug der Freiheitsstrafe durchgeführt (§ 456 b mit der in Satz 2 dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Ausnahme für die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Trinkerheilanstalt). 7. Ein Vollstreckungsbeamter, der wissentlich eine rechtskräftige Strafe n i c h t v o l l s t r e c k t , macht sich einer B e g ü n s t i g u n g i m A m t e gemäß § 346 StGB schuldig, und umgekehrt ist der Tatbestand des § 345 StGB gegeben, wenn der Beamte vorsätzlich oder fahrlässig die Strafzeit zum Nachteil des Verurteilten falsch berechnet. II. Der Strafvollzug Er ist Sache der J u s t i z v e r w a l t u n g Durch die Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940 wurden Grundsätze für den Vollzug der Freiheitsstrafen aufgestellt, insbesondere Anweisungen für die Gestaltung des Unterrichts und Bestimmungen betreffend den strengen Arrest und das Beschwerdewesen getroffen. In der genannten V O sind auch Bestimmungen über den Vollzug von Sicherungsmaßregeln enthalten.

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II. Teil: Lösungen

ZU FALL 5 A. Vorbemerkung: Allgemeine Grundsätze betr. die Hauptverhandlung I. Die Mündlichkeit, die Unmittelbarkeit, die Öffentlichkeit und der Verlauf der Hauptverhandlung 1. Die Hauptverhandlung wird beherrscht in erster Linie von dem G r u n d s a t z d e r M ü n d l i c h k e i t (§ 250), d. h. die Entscheidungen des Gerichts ergehen auf Grund einer Verhandlung, in der die Prozeßbeteiligten m ü n d l i c h e Vorträge halten und m ü n d l i c h e Anträge stellen. Nicht das, was in den A k t e n steht, sondern nur das, was m ü n d l i c h dem Gericht zur Kenntnis gebracht wurde, darf als Erkenntnisquelle für die Urteilsfindung verwertet werden. (Ausnahmen von diesem Grundsatz sind vorgesehen in §§249, 251, 253, 254, siehe Nachtrag A zu Fall 3, S. 76ff. ferner im Berufungsverfahren und vor allem im Revisionsverfahren.) 2. Folgen des G r u n d s a t z e s d e r U n m i t t e l b a r k e i t sind neben der Notwendigkeit der u n m i t t e l b a r e n Vorlage der Beweismittel vor Gericht das Erfordernis der A n w e s e n h e i t des G e r i c h t s u n d d e r P r o z e ß b e t e i l i g t e n (§§ 226, 230), sowie das Erfordernis des z e i t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g s der Hauptverhandlung (§§ 229, 268). a) Bei der Urteilsfindung können nur d i e j e n i g e n G e r i c h t s p e r s o n e n m i t w i r k e n , vor denen die Verhandlung der Sache stattgefunden hat. Diese Personen müssen gemäß § 226 während der g a n z e n Verhandlung einschließlich der Urteilsverkündung a n w e s e n d sein. Ein Verstoß hiergegen bildet einen absoluten Revisionsgrund nach § 338, Nr. 5. aa) Fällt im Laufe der Verhandlung ein R i c h t e r aus, so muß die Verhandlung vor dem neubesetzten Gericht von Anfang an wiederholt werden. Um dies zu vermeiden, kann bei Verhandlungen von längerer Dauer der Vorsitzende gemäß § ig2 II GVG sog. E r g ä n z u n g s r i c h t e r zuziehen. bb) Dagegen ist ein W e c h s e l in der Person des S t a a t s a n w a l t s in jedem Stadium des Verfahrens statthaft, wie sich aus § 227 ergibt (E. 16, 180).

cc) Ebenso kann der U r k u n d s b e a m t e in jedem Stadium der Hauptverhandlung wechseln. dd) Wegen der Erfordernisse der Anwesenheit des A n g e k l a g t e n s. unten Abschnitt II, S. 102. ee) Die Anwesenheitspflicht des n o t w e n d i g e n Verteidigers ergibt sich nicht aus § 226, sondern beruht auf § 145. (Siehe hierzu Fall 3, Abschnitt IV, I, S. 69.) ff) Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist gemäß § 185 GVG ein Dolmetscher zuzuziehen. Dieser gehört dann ebenfalls zu den Personen, deren An-

Fall 5

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Wesenheit f ü r die gesamte D a u e r der H a u p t v e r h a n d l u n g erforderlich ist ( B G H 3, 285). Sind die Beteiligten n u r t e i l w e i s e der deutschen S p r a c h e nicht mächtig, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, o b u n d in welchem U m f a n g ein Dolmetscher beizuziehen ist. I n einem solchen Fall gehört der Dolmetscher nicht zu den Personen, deren Anwesenheit f ü r die gesamte D a u e r der H a u p t v e r h a n d l u n g erforderlich ist. Die Revision k a n n also nicht auf § 338 Ziff. 5 gestützt werden (vgl. B G H a. a. O . ) . b) Der G r u n d s a t z der U n m i t t e l b a r k e i t m a c h t es ferner erforderlich, d a ß die H a u p t v e r h a n d l u n g ein z u s a m m e n h ä n g e n d e s G a n z e s bildet (§§ 228, 229), d. h., d a ß eine A b s c h w ä c h u n g d e s u n m i t t e l b a r e n G e s a m t e i n d r u c k s der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g vermieden wird. (Siehe a u c h § 261.) aa) Die U n t e r b r e c h u n g ordnet der Vorsitzende an (§228 Abs. 1 Satz 2). Eine u n t e r b r o c h e n e H a u p t v e r h a n d l u n g wird g e m ä ß § 229 n a c h der U n t e r b r e c h u n g n u r d a n n noch einmal von n e u e m begonnen, w e n n die H a u p t v e r h a n d l u n g insgesamt m e h r als 10 T a g e u n t e r b r o c h e n w a r . Ein Verstoß gegen § 229 stellt k e i n e n u n b e d i n g t e n R e v i s i o n s g r u n d in d e m Sinne dar, d a ß er g e m ä ß § 338 notwendig die A u f h e b u n g des Urteils zur Folge h a b e n m ü ß t e , ebensowenig wie das bei einer Verletzung des § 268 Abs. 2 S. 1 der Fall ist (E. 69, 23). Es ist vielmehr in einem solchen Falle stets zu untersuchen, o b das Urteil auf d e m Verstoß b e r u h t . Diese Frage wird allerdings oft n u r schwer zu verneinen sein (E. 57, 267), d. h. m a n wird wohl n u r selten feststellen können, d a ß es ausgeschlossen erscheint, d a ß die ü b e r die Frist des § 229 h i n a u s g e h e n d e Aussetzung den lebendigen Eindruck der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g abgeschwächt h a b e . bb) Die A u s s e t z u n g (Vertagung) d. h. die Bestimmung eines n e u e n T e r m i n s zur H a u p t v e r h a n d l u n g beschließt das G e r i c h t (§ 228 Abs. 1 Satz 1). Sie k o m m t z. B. in Betracht, w e n n die Ladungsfrist nicht eingeh a l t e n ist, oder w e n n weitere Beweiserhebungen erforderlich sind u n d die Frist des § 229 nicht ausreicht, oder w e n n ein psychiatrisches G u t a c h t e n erforderlich wird. 3 . F ü r die H a u p t v e r h a n d l u n g gilt ferner der G r u n d s a t z d e r Ö f f e n t l i c h k e i t . Die diesbezüglichen Vorschriften d e r §§ iögff. G V G h a b e n in ihrer Gesamtheit die Aufgabe, die Öffentlichkeit der V e r h a n d l u n g als eine w e s e n t l i c h e B e d i n g u n g d e s ö f f e n t l i c h e n V e r t r a u e n s z u r R e c h t s p r e c h u n g d e r Gerichte zu gewährleisten (E. 70, 1 1 2 ; B G H 7, 2 1 8 ; 9, 280). Dieser Gesetzeszweck ist n u r d a n n erreicht, w e n n beliebige Z u hörer, sei es a u c h in begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts h a b e n ( B G H 5, 75)a ) N i c h t ö f f e n t l i c h ist die H a u p t v e r h a n d l u n g in J u g e n d s a c h e n . H i e r ist die Öffentlichkeit nicht n u r w ä h r e n d d e r V e r h a n d l u n g , sondern a u c h w ä h r e n d der V e r k ü n d u n g der Entscheidung ausgeschlossen (§ 48 I J G G ) ; die V e r h a n d l u n g ist j e d o c h n a c h allgemeinen G r u n d s ä t z e n öffentlich, w e n n neben einem J u g e n d l i c h e n zugleich a u c h H e r a n w a c h s e n d e P c t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

oder Erwachsene angeklagt sind. In solchen Fällen kann die Öffentlichkeit nur dann ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Erziehung eines jugendlichen Angeklagten geboten erscheint (§ 48 I I I J G G ) . b) Die Öffentlichkeit k a n n für die ganze Verhandlung oder einen Teil derselben a u s g e s c h l o s s e n werden ( § 1 7 2 G V G ) : aa) wegen G e f ä h r d u n g d e r ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g , insbesondere der S t a a t s s i c h e r h e i t (§ 172 G V G ) . Gefährdung der ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g kann auch in einer Erschwerung der Wahrheitsermittlung (E. 30, 244) oder in einer fortwährenden Störung der Verhandlung (E. 30, 104) liegen oder wenn ein Zeuge bei wahrheitsgemäßer Aussage vom Anhang des Angeklagten Nachteile für Leib oder Leben zu befürchten hat ( B G H 3, 344); bb) wegen G e f ä h r d u n g d e r S i t t l i c h k e i t (§ 172 G V G ) . (Verbot der Veröffentlichung des Verhandelten in § 1 8 4 b S t G B ) ; cc) wegen Gefährdung eines wichtigen G e s c h ä f t s - o d e r B e t r i e b s g e h e i m n i s s e s (§ 172 G V G ) . (Hierunter fallen vor allem die Werkspionageprozesse) ; dd) wenn das Verfahren die Unterbringung in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t zum Gegenstand hat, § 1 7 1 a G V G . Keine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit liegt ferner dann vor, wenn aus triftigen Gründen e i n z e l n e n Personen der Zutritt zur Hauptverhandlung versagt wird, z. B. Kindern oder solchen Personen, die sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder in unwürdiger Aufmachung erscheinen (§ 175 Abs. 1 G V G ) . Als zulässig angesehen wird auch die Entfernung von Personen, die gegebenenfalls als Zeugen in Betracht kommen oder gegen die auf Grund derselben Vorgänge, die Gegenstand der Hauptverhandlung sind, ein selbständiges Ermittlungsverfahren schwebt ( B G H 3, 386). Bei der Beurteilung derartiger Grenzfälle kommt es entscheidend darauf an, daß der Zweck der Vorschriften über die Öffentlichkeit gewahrt bleibt, d. h. daß die Allgemeinheit auch nach Ausschluß einzelner Personen die Möglichkeit hat, die Vorgänge in der Hauptverhandlung zu kontrollieren (vgl. B G H a. a. O. 390). Bleibt dieser Zweck als solcher gewahrt, so schadet eine nur unwesentliche Beeinträchtigung des Grundsatzes der Öffentlichkeit nicht, sofern sie nicht willkürlich vorgenommen wird, sondern im Interesse der Wahrheitsermittlung. In allen Fällen ist die U r t e i l s v e r k ü n d u n g ö f f e n t l i c h , und zwar muß die Wiederherstellung der Öffentlichkeit vor der Urteilsverkündung durch das Protokoll beurkundet werden, § 1 7 3 Abs. 1 G V G . Durch einen besonderen Beschluß kann in den Fällen aa—cc für die Verkündung der U r t e i l s g r ü n d e wieder die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, § 173 I I G V G . (NB. Nach § 1 7 5 1 1 G V G kann bestimmten Personen der Zutritt zu nichtöffentlichen Verhandlungen gestattet werden.) c) Die n i c h t ö f f e n t l i c h e V e r k ü n d u n g d e r U r t e i l s f o r m e l bildet e i n e n a b s o l u t e n R e v i s i o n s g r u n d i. S. des § 3 3 8 Nr. 6 (vgl. B G H 4,

Fall 5

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279 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte, w o n a c h mit der „ m ü n d lichen V e r h a n d l u n g " die H V . schlechthin gemeint ist). d ) Der B e s c h l u ß ü b e r den A u s s c h l u ß d e r Ö f f e n t l i c h k e i t w ä h r e n d der H a u p t v e r h a n d l u n g oder eines Teiles derselben m u ß ö f f e n t l i c h v e r k ü n d e t werden, § 174 Abs. 1 S. 2 G V G ; ein Verstoß hiergegen beg r ü n d e t ebenfalls einen a b s o l u t e n Revisionsgrund n a c h § 338 N r . 6 (E. 70, 109). D e m Beschluß m u ß ferner e i n e V e r h a n d l u n g vorausgehen, § 174 Abs. 1 S. 1 G V G , u m den Prozeßbeteiligten G e l e g e n h e i t z u r Ä u ß e r u n g zu geben. Ein Verstoß hiergegen bildet aber (im Gegensatz z u r f r ü h e r e n Rechtsprechung) keinen absoluten Revisionsgrund i. S. des § 338 N r . 6, sondern n u r einen relativen, d. h. der Verstoß f ü h r t n u r d a n n zur A u f h e b u n g des Urteils, w e n n dieses auf i h m b e r u h t . (E. 69, 401.) Dagegen bildet ein Verstoß gegen § 1 7 4 1 S. 3 G V G , w o n a c h in d e n Fällen d e r §§ 172, 173 G V G angegeben w e r d e n m u ß , aus welchem G r u n d e die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist, den a b s o l u t e n Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 (E. 70, 112 u n d B G H 1, 343; 2, 56). 4. D e r V e r l a u f d e r H a u p t v e r h a n d l u n g a ) Die P r o z e ß l e i t u n g steht d e m Vorsitzenden zu, § 238. Er bestimmt die R e i h e n f o l g e der v o r z u n e h m e n d e n P r o z e ß h a n d l u n g e n , soweit nicht besondere Vorschriften (§§ 243, 257, 258, 268) Platz greifen. E r h a t f ü r A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r O r d n u n g zu sorgen (Sitzungspolizei § 176 G V G ) ; er k a n n R ü g e n u n d W a r n u n g e n erteilen u n d a u c h d e n Saal r ä u m e n lassen. D e m G e r i c h t v o r b e h a l t e n sind alle M a ß r e g e l n , welche d e n C h a r a k t e r einer S t r a f e h a b e n (§§ 177, 178 G V G ) , insbesondere die E n t f e r n u n g e i n e r P e r s o n a u s d e m S i t z u n g s z i m m e r wegen U n g e h o r s a m s n a c h § 177 G V G , oder B e s t r a f u n g wegen U n g e b ü h r n a c h § 178 G V G (siehe Fall 4 Abschn. A I I 4, S. 87). (NB. Diese sämtlichen Befugnisse g e m ä ß §§ 176—179 G V G stehen g e m ä ß § 180 G V G a u c h einem einzelnen R i c h t e r zu, d e r a u ß e r h a l b e i n e r S i t z u n g tätig wird, insbesondere d e m b e a u f t r a g t e n R i c h t e r u n d d e m U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r ; in diesen Fällen h a t die Beschwerde, die nach § 181 I in d e n Fällen d e r §§ 178, 180 G V G gegeben ist, g e m ä ß § 181 I I G V G aufschiebende Wirkung. Eine Beschwerde gegen eine M a ß n a h m e n a c h § 177 G V G ist ausgeschlossen, wie sich aus § 181 G V G ergibt. W i r d eine s t r a f b a r e H a n d lung in der Sitzung b e g a n g e n [z. B. eine K ö r p e r v e r l e t z u n g oder ein Meineid], so h a t das Gericht g e m ä ß § 183 G V G ein d a r ü b e r aufzunehm e n d e s Protokoll der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. Eine B e a n s t a n d u n g der Verhandlungsleitung als unzweckmäßig, ungeeignet oder u n angemessen ist ausgeschlossen. Lediglich ü b e r eine g e s e t z l i c h u n z u l ä s s i g e A n o r d n u n g des Vorsitzenden k a n n die Entscheidung des Gerichts angerufen werden, § 238 Abs. 2.) b ) Die M i t w i r k u n g d e r P r o z e ß b e t e i l i g t e n b e i d e r B e w e i s a u f n a h m e ist in §§ 239—241 geregelt: § 239 betrifft das in der Praxis selten a n g e w a n d t e sog. K r e u z v e r h ö r , d. h. die Überlassung der V e r n e h m u n g von Z e u g e n u n d S a c h v e r s t ä n d i g e n a n Staatsanwalt u n d Verteidiger. (Die V e r n e h m u n g des A n g e k l a g t e n erfolgt i m m e r d u r c h den Vorsit-

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II. T e i l : Lösungen

zenden.) N a c h § 240 steht s ä m t l i c h e n P r o z e ß b e t e i l i g t e n (insbesondere a u c h den Geschworenen und Schöffen) das R e c h t zu, einzelne Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und Sachverständigen zu richten. W i r d die Befugnis des Kreuzverhörs mißbraucht, kann sie von dem Vorsitzenden wieder entzogen werden ( § 2 4 1 I ) ; ebenso kann der Vorsitzende in j e d e m Falle ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen zurückweisen, mit Ausnahme der von beisitzenden Richtern gestellten (§ 241 II). (NB. Der im Zweifelsfalle g e m ä ß §242 erforderliche G e r i c h t s b e s c h l u ß , mit d e m g e m ä ß § 241 II eine Frage zurückgewiesen wird, m u ß die Gründe angeben, weshalb das Gericht die Frage als nicht zur Sache gehörend, d. h. als weder unmittelbar noch mittelbar die in der Anklage bezeichnete T a t betreffend, also „als verfahrensfremden Z w e c k e n dienend" ansieht; siehe hierzu E. 66, 14 und B G H 2, 284. Beruht die Zurückweisung durch Gerichtsbeschluß auf rechtsirrtümlichen Erwägungen, dann wird im allgemeinen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 — unzulässige Beschränkung der Verteidigung — vorliegen.) c ) Die R e i h e n f o l g e im G a n g der V e r h a n d l u n g ist in § 234 gesetzlich festgelegt. Aufruf der Sache, A u f r u f der Zeugen und Sachverständigen (erstere müssen, sofern sie nicht gleichzeitig Nebenkläger sind, nach dem A u f r u f den Sitzungssaal verlassen, § 243 Abs. 4), V e r n e h m u n g des A n g e klagten zur Person, Verlesung des Eröffnungsbeschlusses, V e r n e h m u n g des Angeklagten zur Sache (die übrigen Prozeßbeteiligten haben auf V e r langen ein unmittelbares Fragerecht), die Beweisaufnahme § 244 (hierunter fällt die V e r n e h m u n g der Z e u g e n und Sachverständigen, die V e r lesung von Schriftstücken und die Einnahme eines Augenscheins; näheres hierüber siehe Nachträge zu Fall 3 und Fall 9), Schlußvorträge § 2 5 8 (Angeklagter hat das letzte Wort), und schließlich Erlaß des Urteils (§ 260). Eine V e r l e t z u n g d e r g e s e t z l i c h f e s t g e l e g t e n R e i h e n f o l g e kann unter Umständen g e m ä ß § 337 zur A u f h e b u n g des Urteils führen, insbesondere w e n n der Angeklagte nicht das R e c h t z u m letzten W o r t gehabt hat, bei dessen Geltendmachung er nicht auf die freie R e d e verwiesen werden kann, sondern auch schriftliche Unterlagen und Aufzeichnungen verwenden darf ( B G H 3, 368). Schwere, sich als Revisionsgründe i m Sinne von § 337 auswirkende Verfahrens verstoße liegen ferner dann vor, w e n n vor der V e r n e h m u n g des Angeklagten einzelne Prozeßhandlungen vorgenommen werden, die zur Beweisaufnahme gehören, z. B. die Vernehm u n g eines Zeugen, oder wenn ein nach § 247 vorübergehend aus d e m Saal entfernter Angeklagter nach seiner Wiederzulassung nicht sofort, d. h. vor jeder weiteren Prozeßhandlung über das in seiner Abwesenheit V e r handelte unterrichtet wird ( B G H 3, 384). Zulässig ist es dagegen, die H a u p t v e r h a n d l u n g in mehrere Abschnitte zu zerlegen und den Angeklagten erst z u Beginn eines j e d e n Abschnitts zur Sache über diesen Abschnitt zu vernehmen. In diesem Fall m u ß j e d o c h aus dem Protokoll klar ersichtlich sein, auf welchen Abschnitt sich die jeweilige V e r n e h m u n g des A n g e klagten bezieht ( B G H 10, 342).

Fall 5

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d) D a s S i t z u n g s p r o t o k o l l (Sitzungsniederschrift). Uber die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen, das vom Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten zu unterschreiben ist, § 2 7 1 . aa) D a s P r o t o k o l l m u ß e n t h a l t e n : a) die in § 272 aufgeführten fünf Punkte;

ß ) eine Wiedergabe des Ganges und Ergebnisses der Hauptverhandlung, sowie die Urteilsformel, § 273 I. (NB. Auf den Umstand allein, daß die Urteilsformel nicht in das Sitzungsprotokoll aufgenommen ist, kann die Revision nicht gestützt werden, da diese Rüge nur eine Protokollrüge sein würde, E. 58, 143.) Aus der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht (Amtsrichter und Schöffengericht) sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen der Zeugen und Sachverständigen in das Protokoll aufzunehmen, § 273 Abs. 2. bb) G r u n d s ä t z e f ü r d i e B e w e i s k r a f t d e s P r o t o k o l l s : § 274 legt n i c h t a l l g e m e i n dem Sitzungsprotokoll e r h ö h t e B e w e i s k r a f t bei. Vielmehr regelt § 274 ebenso wie der gleichlautende § 164 Z P O nur d i e Beweiskraft, die das o b e r e G e r i c h t dem Protokoll beizumessen hat, wenn zwecks Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit des bisherigen Verfahrens „die B o b a c h t u n g d e r f ü r d i e H a u p t v e r h a n d l u n g v o r g e s c h r i e b e n e n F ö r m l i c h k e i t e n " nachzuprüfen ist, z.B. ob der Zeuge beeidigt worden, ob er auf sein eventuelles Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen, ob ein bestimmter Beweisantrag gestellt, bzw. wie er beschieden wurde, ob ein bestimmtes Schriftstück verlesen worden ist. Die Urteilsberatung gehört dagegen nicht zu den Förmlichkeiten, die nur durch das Protokoll bewiesen werden können. Sie ist nicht Bestandteil der Hauptverhandlung, sondern vollzieht sich außerhalb dieser und muß daher nicht im Protokoll festgehalten werden ( B G H 5, 294). Bezüglich der wesentlichen, im Protokoll festzuhaltenden F ö r m l i c h k e i t e n gilt folgender G r u n d s a t z : Was nicht im Protokoll beurkundet ist, gilt als nicht geschehen. Was andererseits im Protokoll steht, gilt als so geschehen, wie es niedergeschrieben ist. Diese p o s i t i v e und n e g a t i v e B e w e i s k r a f t des Protokolls kann durch andere Beweise als durch den der „ F ä l s c h u n g " , d.h. einer Urkundenfälschung nach § 267 S t G B oder der Falschbeurkundung i. S. des § 348 Abs. 1 S t G B weder widerlegt noch ergänzt werden. Ist das Protokoll nicht ordnungsgemäß vom Vorsitzenden und vom Urkundsbeamten unterschrieben, so gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Entsprechendes gilt, wenn eine der beiden Urkundspersonen nachträglich vom Inhalt des Protokolls in einer dienstlichen Erklärung ausdrücklich abrückt. Der Inhalt des Protokolls ist dann insoweit nicht mehr durch die Unterschrift gedeckt ( B G H 4, 364). Wird das Protokoll zwar ordnungsgemäß unterschrieben, aber erst nach Eingang der Revisionsbegründung, so wird seine Beweiskraft dadurch nicht beeinträchtigt, sofern keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden. Dies gilt selbst dann, wenn durch die Unterschrift einer bereits erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen wird ( B G H 12, 270). Die Nachholung der Unterschrift ist insoweit streng zu unterscheiden von einer unzulässigen nachträglichen Protokollberichtigung (s. u. cc).

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I I . Teil: Lösungen

Die Beweisregel des § 274 e r s t r e c k t s i c h n i c h t a u f d i e E r k l ä r u n g e n d e s A n g e k l a g t e n z u r S c h u l d f r a g e , insbesondere nicht auf ein vom Angeklagten abgelegtes G e s t ä n d n i s oder sonstige von ihm abgegebene Erklärungen, mögen sie auch unter Beobachtung des Abs. 3 des § 274 in das Protokoll aufgenommen worden sein. (E. 49, 3 1 6 ; 58, 58.) Dasselbe gilt von den Aussagen der Zeugen. E b e n s o w e n i g erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls auf Tatsachen, die für ein a n d e r e s S t r a f v e r f a h r e n von m a t e r i e l l r e c h t l i c h e r B e d e u t u n g sind. So wäre es z. B. für die Frage, ob A in dem Strafverfahren B einen Meineid geleistet hat, ohne Bedeutung, ob das Protokoll jenes Strafverfahrens die Feststellung enthält, daß A beeidigt worden ist, d. h. in dem jetzt gegen A wegen Meineids eingeleiteten Strafverfahren wäre das Gericht an die in dem Verhandlungsprotokoll des Strafverfahrens B getroffene Feststellung nicht gebunden und könnte nach freier richterlicher Überzeugung die Eidesleistung als nicht geschehen ansehen. (Siehe E. 32, 279.) cc) B e z ü g l i c h d e r F r a g e , i n w i e w e i t d i e U r k u n d s p e r s o n e n , also der Vorsitzende und der Urkundsbeamte, n a c h t r ä g l i c h das fertige Protokoll ohne Minderung seiner Beweiskraft b e r i c h t i g e n oder e r g ä n z e n können, gilt folgendes: ist ein Rechtsmittel eingelegt und eine Rüge erhoben, welche sich auf das Protokoll bezieht, so waren nach der ursprünglichen reichsgerichtlichen R e c h t s p r e c h u n g s p ä t e r e Erklärungen der Gerichtspersonen, welche den für die erhobene R ü g e entscheidenden Punkt des Protokolls betreffen und derselben die bisherige Grundlage entziehen würden, n i c h t zu berücksichtigen (E. 63, 408). Diese Rechtsprechung hatte zur Folge, daß unter Umständen Urteile auf Grund angeblicher Verfahrensverstöße aufgehoben werden mußten, von denen durch die Erklärungen der Urkundsbeamten feststand, daß sie nicht begangen worden waren. Im Hinblick auf den das Strafverfahren beherrschenden Grundsatz, mit m ö g l i c h s t e r B e s c h l e u n i g u n g der Wahrheit und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, hatte der Große Senat für Strafsachen in der Entscheidung vom 1 1 . J u l i 1936 (E. 70, 241) mit jener Rechtsprechung gebrochen. E s k o n n t e a l s o n u n m e h r d a s P r o t o k o l l (die N i e d e r schrift) auch noch nach G e l t e n d m a c h u n g einer diesbezügl i c h e n V e r f a h r e n s r ü g e w i r k s a m b e r i c h t i g t w e r d e n . Der B u n d e s g e r i c h t s h o f ist in B G H 2, 125 zu der a l t e n reichsgerichtlichen Rechtsprechung zurückgekehrt, hat also entschieden, daß eine Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls vom Revisionsgericht dann nicht zu berücksichtigen ist, wenn sie erst n a c h erhobener Verfahrensrüge vorgenommen wird und dieser die Grundlage entzieht. (Siehe auch B G H 1, 25g, wo ein besonderer Fall nachträglicher Protokollberichtigung behandelt wird, und B G H 7, 2 1 9 ; 10, 145.)

II. Die Grundsätze betr. die Anwesenheit des Angeklagten 1 . Die Strafprozeßordnung verlangt g r u n d s ä t z l i c h die p e r s ö n l i c h e A n w e s e n h e i t des Angeklagten in der Hauptverhandlung und kennt kein eigentliches Kontumazialverfahren, § 230 Abs. 1. Sie vertritt den Grundsatz, daß der Angeklagte nicht ungehört verurteilt werden darf, weil das

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Gericht die materielle Wahrheit nur d a n n restlos ergründen kann, wenn der Angeklagte in Person vor ihm gestanden hat. Dieser Grundsatz gilt im allgemeinen auch f ü r die Berufungsinstanz (siehe aber § 329), nicht aber f ü r die Revisionsinstanz (§ 350). Die Anwesenheit ist während der ganzen Dauer der H a u p t v e r h a n d l u n g notwendig (siehe B G H 3, 187); auch n u r vorübergehende Abwesenheit begründet die Revision (§ 338 Ziff. 5). 2. Der n i c h t a u f f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e Angeklagte wird vorgeführt; der auf f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e wird gemäß §¡216 geladen; erscheint er nicht, so m u ß die V e r h a n d l u n g vertagt werden, u n d es wird, wenn sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, seine V o r f ü h r u n g angeordnet oder ein Haftbefehl erlassen (§ 230 Abs. 2). (NB. Das Gesetz stellt hier einen selbständigen Verhaftungsgrund auf; die Voraussetzungen der §§ i i 2 , 113 brauchen nicht vorzuliegen.) 3. I n A b w e s e n h e i t d e s A n g e k l a g t e n kann, abgesehen von den schon oben (Abschnitt I I 1) erwähnten Fällen der §§ 329, 350 in f o l g e n d e n F ä l l e n verhandelt w e r d e n : a ) N a c h § 2 3 2 , d . h . wenn keine höhere Strafe als H a f t , G e l d s t r a f e oder E i n z i e h u n g , allein oder in V e r b i n d u n g miteinander, zu e r w a r t e n ist, also n u r in geringfügigen Fällen (Übertretungen u n d leichte Vergehen). aa) Es kommt in diesem Falle also nicht darauf an, mit welcher Strafe die T a t b e d r o h t ist, sondern darauf, welche Strafe der Angeklagte im Einzelfalle zu e r w a r t e n hat. M u ß wider Erwarten auf eine höhere Strafe erkannt werden, so darf ein solches Urteil in Abwesenheit des Angeklagten nicht ergehen (§ 232 Abs. 1 Satz 2). Die V e r h a n d l u n g m u ß d a n n ausgesetzt werden. Entsprechendes gilt f ü r Maßregeln der Sicherung u n d Besserung. bb) Z u r S i c h e r u n g des Angeklagten ist dieses Abwesenheitsverfahren a n folgende w e i t e r e V o r a u s s e t z u n g e n geknüpft: der Angeklagte m u ß o r d n u n g s m ä ß i g g e l a d e n sein; eine L a d u n g d u r c h öffentliche Bekanntm a c h u n g genügt nicht (§ 232 Abs. 2). F e r n e r m u ß in der L a d u n g darauf h i n g e w i e s e n sein, d a ß in Abwesenheit verhandelt werden kann (§232 Abs. 1 Satz 1). Soll die F a h r e r l a u b n i s entzogen werden, so m u ß der Angeklagte auch hierauf besonders hingewiesen werden (Abs. 1 S 3). Dieser besondere Hinweis kann jedoch der ratio legis entsprechend dort entfallen, wo der Angeklagte bereits aus d e m — zumeist gleichzeitig zugestellten •— Eröffnungsbeschluß entnehmen kann, d a ß er mit Fahrerlaubnisentziehung zu rechnen hat. U n d s c h l i e ß l i c h m u ß das in Abwesenheit des Angeklagten ergehende Urteil d u r c h U b e r g a b e z u g e s t e l l t werden (§ 232 Abs. 4). N i c h t e r f o r d e r l i c h ist allerdings eine Zustellung durch p e r s ö n l i c h e Ü b e r g a b e a n d e n A n g e k l a g t e n ; es genügt vielmehr j e d e F o r m der Ersatzzustellung nach § 181 Z P O . Lediglich die Zustellung d u r c h Niederlegung g e m ä ß §§ 182, 195a Z P O ist unzulässig (BGH 11, 152). cc) H a t die H a u p t v e r h a n d l u n g gemäß § 232 ohne den Angeklagten stattgefunden, so k a n n er gegen das Urteil binnen einer Woche nach seiner Zustellung die W i e d e r e i n s e t z u n g i n d e n v o r i g e n S t a n d unter den

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gleichen Voraussetzungen wie gegen die V e r s ä u m u n g einer Frist nachsuchen. H a t er von der L a d u n g z u r H a u p t v e r h a n d l u n g keine K e n n t n i s erlangt, so k a n n er stets die Wiedereinsetzung in d e n vorigen S t a n d beanspruchen. H i e r ü b e r ist d e r Angeklagte bei der Zustellung des Urteils zu belehren (§ 235). b ) N a c h § 2 3 3 , d . h . w e n n der Angeklagte a u f s e i n e n A n t r a g (zu dessen Stellung der Verteidiger einer besonderen E r m ä c h t i g u n g bedarf, siehe E. 54, 210) von der Verpflichtung z u m E r s c h e i n e n in der H a u p t v e r h a n d l u n g e n t b u n d e n wird, vorausgesetzt, d a ß k e i n e h ö h e r e S t r a f e als Freiheitsstrafe bis zu sechs M o n a t e n oder Geldstrafe oder Einziehung, allein oder in V e r b i n d u n g miteinander, z u e r w a r t e n ist, u n d d a ß eine r i c h t e r l i c h e V e r n e h m u n g stattgefunden h a t u n d der Angeklagte gem ä ß § 233 I I b e l e h r t w o r d e n ist. (Siehe E. 27, 380.) M u ß wider E r w a r t e n auf eine h ö h e r e Strafe oder eine M a ß r e g e l der Sicherung u n d Besserung e r k a n n t werden, so darf ein solches Urteil in Abwesenheit des Angeklagten nicht ergehen (§ 233 I Satz 2). Wegen der weiteren Voraussetzungen dieses Verfahrens siehe § 233 I I , I I I . Bei der Zustellung des Urteils ist besonders zu beachten, d a ß die in § 232 I V vorgesehene Beschränkung (Zustellung d u r c h U b e r g a b e , siehe oben a) bb) keine entsprechende A n w e n d u n g findet. Die Zustellung k a n n d e m n a c h a u c h d u r c h Niederlegung g e m ä ß §§ 182, 1 9 5 a Z P O erfolgen ( B G H 11, 152). c) I m F a l l e d e s § 2 3 1 A b s . 2. Siehe hierzu die A u s f ü h r u n g e n u n t e n in Abschnitt B I 1. Soweit n a c h den vorstehenden E r ö r t e r u n g e n in Abwesenheit des Angeklagten v e r h a n d e l t w e r d e n kann, also in den Fällen der §§ 232 u n d 233, aber auch im Falle des § 2 3 1 Abs. 2, ist d e r Angeklagte g e m ä ß § 234 befugt, sich d u r c h einen m i t s c h r i f t l i c h e r V o l l m a c h t v e r s e h e n e n V e r t e i d i g e r v e r t r e t e n zu lassen. (NB. Das gleiche gilt g e m ä ß § 350 f ü r die Revision, g e m ä ß § 387 f ü r das Privatklageverfahren u n d g e m ä ß § 4 1 1 f ü r das Einspruchsverfahren n a c h vorausgegangenem Strafbefehl.) 4. Bei z e i t w e i s e r A b w e s e n h e i t des Angeklagten k a n n in folgenden Fällen v e r h a n d e l t w e r d e n : a) W e n n der Angeklagte wegen Gefahr der B e e i n f l u s s u n g von Mitangeklagten oder Zeugen aus d e m Sitzungszimmer abtreten m u ß (§ 247 Abs. 1). b ) W e n n d e r Angeklagte g e m ä ß § 1 7 7 G V G wegen Nichtbefolgung eines z u r A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r O r d n u n g erlassenen Befehls aus d e m Sitzungszimmer entfernt wird ( § 2 4 7 Abs. 2). Wie lange der Angeklagte wegen U n g e b ü h r von der weiteren V e r h a n d l u n g ausgeschlossen w e r d e n soll, steht i m pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts u n d h ä n g t von d e r A r t u n d d e m G r a d der U n g e b ü h r ab. (Siehe hierzu B G H 9, 77.) c) W e n n der j u g e n d l i c h e Angeklagte wegen der Gefahr nachteiligen Einflusses bei E r ö r t e r u n g bestimmter F r a g e n (z. B. der häuslichen Familienverhältnisse) das Sitzungszimmer verlassen m u ß (§ 51 I J G G ) . d) W e n n d e m Angeklagten a u f s e i n e n W u n s c h i m I n t e r e s s e s e i n e r G e s u n d h e i t erlaubt wird, d a ß er sich f ü r die Zeit der E r s t a t t u n g eines

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ärztlichen G u t a c h t e n s ü b e r seinen körperlichen oder geistigen Z u s t a n d aus d e m Sitzungszimmer entfernt. (E. 60, 3 1 3 u n d B G H 3, 190.) I n a l l e n F ä l l e n h a t der Vorsitzende d e m Angeklagten n a c h dessen R ü c k k e h r d e n wesentlichen I n h a l t desjenigen mitzuteilen, was in seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst v e r h a n d e l t w o r d e n ist, § 247 Abs. 1 Satz 2 ; § 5 1 I, S. 2 J G G . (Siehe a u c h die Entscheidung E. 60, 179, wo das V o r g e h e n eines Vorsitzenden gebilligt wird, der zwecks P r ü f u n g des W a h r n e h m u n g s v e r mögens einer genotzüchtigten F r a u zunächst einen Z e u g e n a u f d e r A n k l a g e b a n k Platz n e h m e n ließ, u n d d a n n d e m erst später vorgeführten wirklichen Angeklagten das Protokoll ü b e r den Erkennungsversuch vorlas. Das Wesentliche sei, so f ü h r t das R G aus, d a ß die Anwesenheit des Angeklagten ein Hindernis f ü r die unbeeinflußte Wahrheitsforschung gewesen w ä r e ; dies sei der G r u n d g e d a n k e des § 247 Abs. 1, der eine a u s d e h n e n d e Auslegung zulasse. I n der gleichen R i c h t u n g bewegt sich E. 73, 3 5 5 : Das Gericht k a n n den Angeklagten a u c h d a n n aus d e m Sitzungszimmer entfernen, w e n n es befürchtet, ein Zeuge werde, falls er in Gegenwart des Angeklagten v e r n o m m e n werde, infolge eines Nervenleidens, das er d u r c h die H a n d l u n g des Angeklagten erlitten hat, nicht aussagen.) 5. I n §§ 276fF. wird das V e r f a h r e n g e g e n A b w e s e n d e b e h a n d e l t , d . h . gegen solche Beschuldigte, die sich d e r deutschen Gerichtsbarkeit d a d u r c h entziehen, d a ß sie sich i m Auslande a u f h a l t e n oder i m I n l a n d e verbergen. Eine H a u p t v e r h a n d l u n g findet g e m ä ß § 277 n u r statt, w e n n die fragliche T a t n u r mit H a f t , Geldstrafe oder Einziehung b e d r o h t ist. H a n delt es sich u m ein schwereres Delikt, d a n n k o m m t lediglich eine Beweissicherung n a c h § 285 in Frage.

B. Lösung des Falles I. Hätte das Schöffengericht Urteil erlassen können? 1. N a c h § 2 3 1 A b s . 1 d a r f s i c h d e r e r s c h i e n e n e A n g e k l a g t e aus der V e r h a n d l u n g nicht entfernen. E n t f e r n t e r s i c h d e n n o c h , so k a n n die H a u p t v e r h a n d l u n g in seiner Abwesenheit zu E n d e geführt werden, w e n n seine V e r n e h m u n g ü b e r die Anklage schon erfolgt war, u n d das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht f ü r erforderlich erachtet (§ 231 Abs. 2). F ü r diese Vorschrift w a r die E r w ä g u n g m a ß g e b e n d , d a ß es ebensosehr gegen das Interesse der Strafrechtspflege wie gegen die Rücksicht auf die W ü r d e des Gerichts verstoßen würde, w e n n d e m Angeklagten die Möglichkeit gewährt wäre, eine begonnene u n d vielleicht schon d e m Abschluß n a h e H a u p t v e r h a n d l u n g d a d u r c h , d a ß er sich entfernt oder bei ihrer Wied e r e r ö f f n u n g ausbleibt, unwirksam u n d gleichsam ungeschehen zu m a c h e n ; die Bestimmung soll Platz greifen, w e n n von d e m Angeklagten versucht wird, v o r s ä t z l i c h d e m G a n g e d e r R e c h t s p f l e g e e n t g e g e n z u t r e t e n . (E. 58, 1 5 2 ; B G H 2, 300, 304; siehe a u c h B G H 3, 206 u n d B G H 10, 304.)

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2. U r t e i l w e g e n E r p r e s s u n g . O b w ä h r e n d des weiteren Verlaufs d e r V e r h a n d l u n g die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich ist, steht zu entscheiden in d e m E r m e s s e n d e s G e r i c h t s , ( „ k a n n " ) w e n n n u r die eine Voraussetzung gegeben ist, d a ß seine V e r n e h m u n g ü b e r die Anklage g e m ä ß § 243 Abs. 3 erfolgt ist. D a n a c h d e m T a t b e s t a n d unterstellt werden m u ß , d a ß die V e r n e h m u n g n a c h § 243 Abs. 3 stattgefunden h a t , h ä t t e das Schöffengericht die Verh a n d l u n g zu E n d e f ü h r e n u n d U r t e i l w e g e n E r p r e s s u n g erlassen können. 3. U r t e i l w e g e n N ö t i g u n g . a ) F ü r den Fall, d a ß , n a c h d e m der Angeklagte sich entfernt h a t , eine K l a g ä n d e r u n g g e g e n ü b e r d e m E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß in F r a g e k o m m t , h a t d a s G e s e t z keine Entscheidung d a r ü b e r getroffen, welcher der beiden d e m § 231 Abs. 2 zugrundeliegenden G e d a n k e n der stärkere ist: die Voraussetzung des rechtlichen Gehörs oder das öffentliche Interesse a n der ungestörten D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens. b) Die R e c h t s p r e c h u n g (E. 32, 98 u n d 99) h a t sich f ü r d e n ersten Gesichtspunkt entschieden, mit folgender B e g r ü n d u n g : „Die Fiktion, d a ß d e r Angeklagte d u r c h seine willkürliche E n t f e r n u n g auf seine Verteidigung ü b e r h a u p t verzichtet h a b e , ließe sich mit den Prinzipien des Strafprozesses nicht vereinigen, u n d ebensowenig darf d e m Gesetze die Absicht unterstellt werden, d e m Angeklagten in diesem Falle eine Ungehorsamsstrafe d a m i t aufzuerlegen, d a ß er das R e c h t auf Belehrung n a c h § 265 verwirkt h ä t t e . Die N i c h t b e a c h t u n g d e r letzteren Vorschrift w ü r d e zu unbilligen Ergebnissen f ü h r e n , wo i n n e r h a l b der weitgesteckten Grenzen zulässiger K l a g ä n d e r u n g (§ 155, 264) eine V e r u r t e i l u n g wegen eines nach U m s t ä n d e n gegenüber der ursprünglichen Anklage weit schwereren Delikts erfolgen kann, auf G r u n d einer Strafrechtsnorm, an welche der Angeklagte vielleicht nicht gedacht h a t . " c) Das Schöffengericht d u r f t e also, strenggenommen, ein U r t e i l w e g e n N ö t i g u n g gegen den nicht anwesenden Angeklagten n i c h t erlassen, d a n a c h § 265 Abs. 1 eine von d e m Eröffnungsbeschluß abweichende Verurteilung nicht erfolgen darf, ohne d a ß eine H i n w e i s u n g des Angeklagten auf die V e r ä n d e r u n g des rechtlichen Gesichtspunktes erfolgt ist; d a ß die V e r ä n d e r u n g schon v o r der E n t f e r n u n g des Angeklagten h e r v o r g e t r e t e n war, bleibt dabei ohne Bedeutung. d) Andererseits aber will der § 265 lediglich v e r h ü t e n , d a ß d u r c h die Ä n d e r u n g der K l a g e die V e r t e i d i g u n g des Angeklagten b e e i n t r ä c h t i g t wird. W e n n n u n , wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , der Angeklagte zu d e m v o n i h m s e l b s t a n g e r e g t e n v e r ä n d e r t e n rechtlichen Gesichtspunkt schon Stellung g e n o m m e n h a t (er h a t t e j a die L a d u n g von Zeugen z u m Beweise d a f ü r b e a n t r a g t , d a ß er nicht die Absicht g e h a b t habe, sich zu U n r e c h t zu bereichern), d ü r f t e k a u m ersichtlich sein, d a ß u n d wie der Angeklagte bei erfolgtem Hinweis sich h ä t t e anders verteidigen können. Einer auf Verletzung des § 265 gestützten Revision m ü ß t e d a h e r i m v o r l i e g e n d e n F a l l e der Erfolg versagt bleiben, d a als völlig a u s g e -

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s c h l ö s s e n erscheinen muß, daß das Urteil durch die Außerachtlassung dieser Vorschrift beeinflußt wurde, daß es also auf der Gesetzesverletzung i. S. des § 337 beruhe (siehe E. 74, 139; BGH 2, 250). (Daß der absolute Revisionsgrund nach § 338 Ziff. 5 nicht vorliegt, bedarf nach den obigen Ausführungen keiner weiteren Begründung.) D a s S c h ö f f e n g e r i c h t h ä t t e a l s o a u c h U r t e i l w e g e n Nötigung erlassen können.

II. Ist die Sicherheit als für die S t a a t s k a s s e verfallen verfallen zu erklären? 1. Ohnesorg hat gemäß § 117 S i c h e r h e i t g e l e i s t e t , und zwar, wie sich aus § 122 Abs. 1 ergibt, dafür, daß der Angeschuldigte sich weder der Untersuchung noch dem Antritt der zu verhängenden Freiheitsstrafe entziehen werde. 2. Ein F r e i w e r d e n der Sicherheit tritt nach § 121 Abs. 1 ein, wenn der Angeschuldigte zur Haft gebracht, oder wenn der Haftbefehl aufgehoben worden ist, oder wenn der Antritt der erkannten Freiheitsstrafe erfolgt. Immer aber wird die Sicherheit n u r unter der V o r a u s s e t z u n g frei, daß nicht schon vor dem Freiwerden eine den Verfall begründende Tatsache (§ 122) eingetreten ist. (Siehe die Eingangsworte zu § 121 „eine n o c h n i c h t v e r f a l l e n e Sicherheit".) Da der Angeklagte, bevor die Sicherheit gemäß §121 freigeworden war, geflohen war und dadurch gemäß § 122 bewirkt hat, daß die Sicherheit der Staatskasse verfiel, kann Ohnesorg, der gemäß § 122 Abs. 2 zu dem Antrag des Staatsanwalts zu hören war, seine Einwendungen nicht auf §121 Abs. 1 stützen. 3. Ebensowenig kann Ohnesorg seine Befreiung mit Abs. 2 des § 121 begründen, da auch diese Gesetzesstelle ebenso wie Abs. 1 zur Voraussetzung hat, daß die Sicherheit noch nicht gemäß § 122 verfallen ist. 4. D i e g e m ä ß § 122 Abs. 3 zu f ä l l e n d e E n t s c h e i d u n g des G e r i c h t s h a t a l s o d a h i n zu l a u t e n , d a ß d i e von d e m P r i v a t i e r O h n e s o r g g e l e i s t e t e S i c h e r h e i t in H ö h e v o n 5000 M a r k der S t a a t s k a s s e v e r f a l l e n ist, d a d e r A n g e k l a g t e sich d u r c h d i e F l u c h t d e r U n t e r s u c h u n g e n t z o g e n hat. Diese Entscheidung hat gemäß § 122 Abs. 3, solange sie noch mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, die W i r k u n g eines vorläufig vollstreckbaren, die rechtskräftige Entscheidung die eines rechtskräftigen Zivilendurteils. (NB. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Privatier Ohnesorg wird durch diese Entscheidung nicht berührt.)

Nachtrag Das Verhältnis des Urteils zum Eröffnungsbeschluß I. N a c h § 264 ist G e g e n s t a n d d e r U r t e i l s f i n d u n g d i e in der A n k l a g e , d. h. d e m E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß , b e z e i c h n e t e T a t , wie

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I I . Teil: Lösungen

sie sich n a c h d e m E r g e b n i s d e r V e r h a n d l u n g d a r s t e l l t . a u c h Fall 8, Abschnitt I I i, S. 139.)

(Siehe

1. Das erkennende Gericht ist also a n den Eröffnungsbeschluß n u r i n s o f e r n g e b u n d e n , als es n u r die in diesem bezeichnete T a t , d . h . dasselbe historische Vorkommnis, nicht aber ein anderes z u m Gegenstand d e r Aburteilung m a c h e n darf. Ist also z. B. d e m wegen fahrlässiger K ö r p e r v e r letzung (§ 230 StGB) Angeklagten eine Schuld nicht nachzuweisen, aber d e r T a t b e s t a n d der unterlassenen Hilfeleistung (§ 330c StGB) erwiesen, so k a n n dieserhalb keine V e r u r t e i l u n g erfolgen. Das V e r g e h e n des § 330 c StGB k ö n n t e in der gleichen H a u p t v e r h a n d l u n g n u r i m Wege einer N a c h t r a g s a n k l a g e g e m ä ß § 266 (nach vorheriger Freisprechung von der Anklage n a c h § 230 StGB) zur A b u r t e i l u n g g e b r a c h t w e r d e n . 2. Die I d e n t i t ä t der T a t vorausgesetzt, ist d e m e r k e n n e n d e n Gericht aber j e d e A b w e i c h u n g v o n d e m E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß gestattet. a ) Der gleiche konkrete V o r g a n g wird in t a t s ä c h l i c h e r Hinsicht sowohl noch d a n n vorliegen, w e n n n a c h d e m Ergebnis der V e r h a n d l u n g Zeit oder O r t der H a n d l u n g oder Einzelheiten der Ausführungsweise anders erscheinen als i m Eröffnungsbeschluß unterstellt wurde, als a u c h d a n n , w e n n die Willensrichtung des Angeklagten oder die ä u ß e r e Art seiner Beteiligung sich anders darstellt. (E. 5, 250.) b) U m eine lediglich r e c h t l i c h e A b w e i c h u n g h a n d e l t es sich, w e n n das erkennende Gericht, obgleich das Beweisergebnis mit den tatsächlichen A n n a h m e n des Eröffnungsbeschlusses übereinstimmt, doch die T a t anders qualifiziert als im Eröffnungsbeschluß, z. B. als U n t e r s c h l a g u n g statt als Diebstahl. c) I n den meisten Fällen der K l a g ä n d e r u n g wird diese sowohl t a t s ä c h l i c h e r w i e r e c h t l i c h e r Art sein, d . h . es wird das von d e m Beschlüsse abweichende Ergebnis des Beweises zugleich die V e r ä n d e r u n g d e r Qualifizierung der T a t zur Folge h a b e n . D a b e i ist es gleichgültig, ob die die verä n d e r t e Qualifizierung b e d i n g e n d e n T a t u m s t ä n d e sich erst in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g herausstellen, oder ob sie bereits in d e n Akten b e k a n n t w a r e n ; ebensowenig m a c h t es einen Unterschied, o b die T a t n a c h d e m Ergebnis der H a u p t v e r h a n d l u n g im Vergleich mit ihrer Qualifizierung i m Eröffnungsbeschluß sich als eine in h ö h e r e m , in gleichem oder in geringerem G r a d e s t r a f b a r e darstellt. 3. E n t s p r e c h e n d d e m in § 155 Abs. 2 niedergelegten G r u n d s a t z h a t das Gericht von A m t s w e g e n die F r a g e d e r K l a g e ä n d e r u n g zu p r ü f e n ; es ist also hierzu weder ein A n t r a g des Staatsanwalts noch ein solcher des Angeklagten erforderlich. 4. I n der täglichen P r a x i s der Gerichte häufig v o r k o m m e n d e Fälle der A b w e i c h u n g des Urteils vom Eröffnungsbeschluß sind folgende: a ) Der Eröffnungsbeschluß h a t fünf selbständige Betrugsfälle z u m G e g e n s t a n d ; das Gericht hält aber fortgesetzte T a t f ü r gegeben: der Angeklagte ist n u r wegen Betrugs zu bestrafen, ohne d a ß eine Freisprechung erfolgen darf, d a es sich n u r u m eine a n d e r e rechtliche Qualifikation der gleichen V o r g ä n g e h a n d e l t .

Fall 5

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b) Der Eröffnungsbeschluß nimmt umgekehrt fünf Betrugsfälle als fortgesetzte Tat an; das Gericht hält nur drei Fälle, ebenfalls als in fortgesetzter Tat begangen, für erwiesen: keine Freisprechung von den zwei nicht erwiesenen Fällen, da wegen ein und derselben Tat nicht gleichzeitig Verurteilung und Freisprechung erfolgen kann. c) Der Eröffnungsbeschluß enthält fünf selbständige Betrugsfälle; das Gericht hält nur vier für erwiesen, aber nicht als selbständige Handlungen, sondern als fortgesetzte Tat: Freisprechung von dem einen Betrugsfall. (E. 39, 146.) d) Der Eröffnungsbeschluß nimmt fünf Betrugsfälle als fortgesetzte Tat an; das Gericht hält nur vier für erwiesen, und zwar als selbständige Handlungen: Freisprechung von dem einen Fall. (E. 57, 302.) (Wegen der Kostenentscheidung in den einzelnen Fällen vgl. §§ 4643".) II. D i e B e s t i m m u n g e n des § 265 b e z w e c k e n , dem A n g e k l a g t e n , d e r seine V e r t e i d i g u n g auf die t a t s ä c h l i c h e n und r e c h t l i c h e n G r u n d l a g e n d e r A n k l a g e e i n g e s t e l l t hat, g e g e n Ü b e r r a s c h u n g e n u n d E r s c h w e r u n g e n s e i n e r V e r t e i d i g u n g , wie sie infolge der aus § 264 sich ergebenden Möglichkeiten vorkommen können, zu schützen. (Siehe hierzu BGH 2, 371, 373.) Ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des § 265 ist daher stets zu verneinen, wenn nicht ersichtlich ist, daß und wie der Angeklagte sich bei erfolgtem Hinweis anders hätte verteidigen können, d.h. wenn die Einflußlosigkeit des unterlassenen Hinweises ersichtlich ist (BGH 2, 250). I m e i n z e l n e n b e s t i m m t § 265 f o l g e n d e s : 1 . H i n w e i s u n g des A n g e k l a g t e n auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes mit der Möglichkeit der Verteidigung, wenn er verurteilt werden soll: a) auf Grund eines n i c h t im Eröffnungsbeschluß a n g e f ü h r t e n (schärferen oder milderen) Strafgesetzes (§ 265 Abs. 1); hierzu gehört auch der Fall, daß im Eröffnungsbeschluß ein v o l l e n d e t e s Delikt angenommen wurde, der Angeklagte aber nur wegen V e r s u c h s verurteilt werden soll (BGH 2, 250), sowie der Fall, daß der Angeklagte im Eröffnungsbeschluß der A l l e i n t ä t e r s c h a f t beschuldigt ist, aber unter der wahlweisen Feststellung verurteilt werden soll, er habe a l l e i n o d e r g e m e i n s c h a f t l i c h mit einem anderen gehandelt (E. 63, 430); b) wegen eines im Eröffnungsbeschluß nicht genannten Umstandes, der eine S t r a f v e r s c h ä r f u n g begründet (§265 Abs. 2), z.B. §§ 223a, 223b Abs. 1, 224 StGB statt § 223 StGB. Ferner das Merkmal der G e w i n n s u c h t i. S. des § 27 a StGB (BGH 3, 30). Dagegen gehören nicht hierher Umstände, die bloß Strafzumessungsgründe sind, z. B. ein „besonders schwerer Fall" i. S. des § 223b Abs. 2 StGB (E. 70, 358); c) wegen eines im Eröffnungsbeschluß nicht genannten Umstandes, der die Anordnung einer Maßregel der S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g rechtfertigt (§ 265 Abs. 2). (Siehe hierzu BGH 2, 85 betr. Anordnung eines Berufsverbotes.)

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I I . Teil: Lösungen

2. A u s s e t z u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g . a) A u f A n t r a g d e s A n g e k l a g t e n (§ 265 Abs. 3), wenn aa) die V e r ä n d e r u n g d e r S a c h l a g e in d e m Hervortreten n e u e r T a t s a c h e n besteht, welche der Angeklagte nicht aus d e m Eröffnungsbeschluß ersehen konnte, u n d bb) die A n w e n d u n g eines s c h w e r e r e n S t r a f g e s e t z e s oder einer Strafschärfungsvorschrift oder einer Sicherungsmaßregel in Frage k o m m t (handelt es sich u m ein milderes Strafgesetz, so genügt die Hinweisung des Abs. 1) u n d cc) der Angeklagte die neu hervorgetretenen U m s t ä n d e bestreitet u n d behauptet, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein. b) V o n A m t s w e g e n oder auf A n t r a g (§ 265 Abs. 4), wenn die Aussetzung d e m Gericht infolge der v e r ä n d e r t e n S a c h l a g e zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung erforderlich erscheint. (Siehe hierzu E. 71, 336; 76, 85.) III. U m W e i t e r u n g e n u n d V e r z ö g e r u n g e n zu v e r m e i d e n , b i e t e t § 266 d i e M ö g l i c h k e i t , a u c h e i n e v o l l k o m m e n a n d e r e T a t als d i e in d e m E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß b e z e i c h n e t e in d e m g l e i c h e n H a u p t v e r f a h r e n z u r A b u r t e i l u n g z u b r i n g e n (sog. Klageerweiterung). 1. V o r a u s s e t z u n g hierfür ist lediglich, d a ß der Staatsanwalt in der H a u p t v e r h a n d l u n g die Anklage schriftlich oder mündlich auf weitere Straftaten (im Gegensatz z u m früheren Recht auch Verbrechen) erstreckt. 2. Z u r S i c h e r u n g d e s A n g e k l a g t e n ist dieses Verfahren a n folgende weitere Voraussetzungen geknüpft: a) Der Angeklagte m u ß der Ausdehnung der Anklage z u s t i m m e n ; b) der Vorsitzende m u ß d e m Angeklagten Gelegenheit geben, sich zu verteidigen; c) die V e r h a n d l u n g m u ß auf seinen Antrag u n t e r b r o c h e n werden, es sei denn, d a ß der Antrag mutwillig oder nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt ist; auf das Antragsrecht m u ß der Angeklagte hingewiesen werden.

ZU FALL 6 A. Vorbemerkungen I. Allgemeines über die Stellung des Verteidigers I . D i e Z u z i e h u n g e i n e s V e r t e i d i g e r s hängt im allgemeinen von d e m Willen des Beschuldigten oder seines gesetzlichen Vertreters a b ; nur in vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen ist die Verteidigung eine notwendige. (Siehe Fall 3 Abschn. B IV, 1 b, S. 69.)

Fall 6

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2. Die r e c h t l i c h e S t e l l u n g d e s V e r t e i d i g e r s : a) Er ist n i c h t V e r t r e t e r des Beschuldigten. Hieraus folgt: aa) Die A n w e s e n h e i t des Verteidigers kann die Anwesenheit des Beschuldigten nicht ersetzen (Ausnahme: §§ 234 im Zusammenhang mit 231 II, 232, 233, ferner 250, 387 I, 411 I I ) . Das gleiche gilt für die E r k l ä r u n g e n des Verteidigers; insbesondere hat der Beschuldigte immer das letzte Wort (§ 258 I I u n d I I I ) . bb) Der Verteidiger ist n i c h t Z u s t e l l u n g s b e v o l l m ä c h t i g t e r . Es m u ß daher insbesondere der Beschluß, welcher den Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 233 entbindet, dem Angeklagten selbst zugestellt werden (E. 44, 48); das gleiche gilt von der Zustellung eines gemäß §§ 232, 233 in Abwesenheit des Angeklagten ergangenen Urteils (E. 19, 293; 43, 321). Dagegen kann die Zustellung der L a d u n g zur H a u p t v e r h a n d l u n g rechtswirksam an einen Zustellungsbevollmächtigten erfolgen (E. 43, 321). b) Der Verteidiger ist gewissermaßen ein S p e z i a l v o r m u n d des Beschuldigten. Hieraus folgt, daß der Wille des letzteren f ü r den Verteidiger ebensowenig maßgebend ist, wie der Wille des Mündels für den V o r m u n d ; der Verteidiger kann also Erklärungen abgeben, die mit denjenigen des Beschuldigten in Widerspruch stehen, u n d ist an die Anträge des letzteren nicht gebunden. Folgende A u s n a h m e n : ein R e c h t s m i t t e l darf der Verteidiger nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten e i n l e g e n (§ 297) u n d ebenso bedarf er zur Z u r ü c k n a h m e eines Rechtsmittels einer ausdrücklichen Ermächtigung des Beschuldigten, § 302 I I . (NB. Der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r , insbesondere der eheliche Vater bzw. die eheliche Mutter, der V o r m u n d , der Pfleger — nicht aber, wie früher, der E h e m a n n für die beschuldigte Ehefrau — können dagegen selbständig, also auch gegen den Willen des Beschuldigten von j e d e m Rechtsmittel Gebrauch machen, § 298, siehe auch Fall 11, Abschnitt A, S. 170.) 3. Streitig ist die Frage der G r e n z e n d e s V e r t e i d i g u n g s r e c h t s , d . h . ob der Verteidiger Freisprechung beantragen darf, wenn er von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, z. B., wenn dieser ihm ein Geständnis seiner Schuld abgelegt hat. Aus seiner Stellung als Beistand des Beschuldigten folgt jedenfalls, daß er zur U b e r f ü h r u n g des Beschuldigten nicht beitragen darf, sondern daß er in erster Linie den Unschuldigen vor ungerechter Verurteilung schützen u n d alle die Momente zur Geltung bringen soll, die geeignet sind, eine erwiesene T a t in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Andererseits ist es aber mit seiner Standesehre nicht vereinbar, wenn er die Wahrheit bewußt verletzt. Möglicherweise kommt auch § 257 StGB in Frage, z. B. wenn der Verteidiger dem Angeklagten zu wahrheitswidrigem Verhalten rät. (Siehe hierzu u . a . E. 66, 325; 70, 390; 73, 352.) 4. Eine bestimmte F o r m d e r V o l l m a c h t ist nicht vorgeschrieben (ausgenommen § § 2 3 4 , 3 5 0 , 3 8 7 , 4 1 1 , 4 3 1 , d . h . die Fälle, in denen der Angeklagte abwesend sein kann); es genügt vielmehr, wenn der Beschuldigte dem Gericht die erfolgte Wahl mitteilt, oder wenn der Angeklagte mit dem

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II. Teil: Lösungen

Verteidiger vor Gericht erscheint u n d dessen A u f t r e t e n als Verteidiger d a d u r c h billigt, d a ß er denselben H a n d l u n g e n v o r n e h m e n läßt, welche n u r d e m Verteidiger zustehen. (E. 25, 152.) (Wegen der Frage, zu welchem Z e i t p u n k t die L e g i t i m a t i o n des Rechtsanwalts d e m Gericht n a c h g e w i e s e n w e r d e n m u ß , siehe Fall 2, Abschn. B I I I 2c, S. 47.) 5. Die V o l l m a c h t gilt f ü r die g a n z e D a u e r des Verfahrens einschließlich der W i e d e r a u f n a h m e , falls nicht v o n d e m Verteidiger selbst oder von d e m Beschuldigten bzw. dessen gesetzlichen V e r t r e t e r etwas Entgegenstehendes erklärt wird. 6. Die R e c h t e d e s V e r t e i d i g e r s sind, abgesehen von denjenigen, die er n e b e n d e m Beschuldigten a u s ü b e n k a n n , folgende: a) Das R e c h t d e r Akteneinsicht, § 147. (Nach Schluß der V o r u n t e r s u c h u n g bzw. nach E i n r e i c h u n g d e r Anklageschrift unbeschränkt, v o r diesem Z e i t p u n k t n u r insoweit, als dies o h n e G e f ä h r d u n g des Untersuchungszweckes möglich ist, oder insoweit Protokolle ü b e r die V e r n e h m u n g des Beschuldigten, ü b e r G u t a c h t e n von Sachverständigen u n d ü b e r gerichtliche H a n d l u n g e n , d e n e n der Verteidiger beiw o h n e n darf, in F r a g e stehen. Siehe a u c h E. 72, 268.) b ) Das R e c h t , mit d e m verhafteten Beschuldigten zu verkehren, § 148. (Nach E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s unbeschränkt, v o r h e r ist Bes c h r ä n k u n g des schriftlichen u n d m ü n d l i c h e n Verkehrs möglich. Abs. 2 und 3 a.a.O.) c) Das R e c h t a u f G e b ü h r e n , n a c h der B u n d e s g e b ü h r e n o r d n u n g f ü r Rechtsanwälte v o m 26. J u l i 1957 (siehe B G H 3, 397), falls der Verteidiger b e s t e l l t ist. (Dem g e w ä h l t e n Verteidiger steht dieser Anspruch selbst d a n n nicht zu, w e n n die Verteidigung eine notwendige ist.) d ) F ü r das b e s c h l e u n i g t e V e r f a h r e n (siehe Fall 3 Abschnitt A V I I , S. 000.) gelten folgende S p e z i a l b e s t i m m u n g e n : aa) Der Verteidiger k a n n die d e m Gericht vorliegenden Akten von d e m Z e i t p u n k t a b einsehen, in d e m d e r Staatsanwalt bei Gericht d e n A n t r a g auf A b u r t e i l u n g im beschleunigten V e r f a h r e n stellt (§ 147 Abs. 1 S. 2). bb) V o n demselben Z e i t p u n k t a n ist d e m verhafteten Beschuldigten schriftlicher u n d m ü n d l i c h e r V e r k e h r mit d e m Verteidiger ohne die i m § 148 Abs. 2, 3 vorgesehenen Beschränkungen gestattet (§ 148 Abs. 4). (Siehe a u c h § 149, w o n a c h der E h e g a t t e als Beistand zugelassen werden kann.)

II. Allgemeines über die Kosten des Verfahrens I . N a c h § 4 6 4 m u ß grundsätzlich jedes Urteil, j e d e r Strafbefehl u n d j e d e eine U n t e r s u c h u n g einstellende Entscheidung, d . h . j e d e d a s g e r i c h t liche Verfahren zum Abschluß bringende Prozeßhandlung Bestimmung d a r ü b e r treffen, von w e m die Kosten des Verfahrens zu t r a g e n sind. Die Kostenentscheidung ist f ü r sich allein mit den gegen die E n t scheidung in d e r Sache gegebenen Rechtsmitteln a n f e c h t b a r . (Siehe Fall 7, Abschn. A I I 4a, S. 130.)

Fall 6

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M a ß g e b e n d f ü r die Kostenfestsetzung ist das G e r i c h t s k o s t e n g e s e t z vom 18. J u n i 1878 in der Fassung v o m 26. J u l i 1957. 2. M a n unterscheidet G e r i c h t s k o s t e n u n d a u ß e r g e r i c h t l i c h e Kosten. a ) Z u d e n G e r i c h t s k o s t e n gehören aa) die G e b ü h r e n . Sie richten sich g e m ä ß § 67 G K G n a c h d e r H ö h e der rechtskräftig erk a n n t e n Strafe. Es w e r d e n erhoben bei V e r u r t e i l u n g zu G e l d s t r a f e bis zu 50 D M eine G e b ü h r von 5,— D M ; liegt die Geldstrafe zwischen 51,— u n d 100,— D M , so wird eine G e b ü h r von 10,— D M e r h o b e n ; bei Geldstrafe von m e h r als 100.— D M beträgt die G e b ü h r 10 v. H . des Betrags der Strafe, j e d o c h höchstens 20000,— D M (§ 70 G K G ) . Bei F r e i h e i t s s t r a f e n ist die G e b ü h r n a c h deren D a u e r abgestuft von 20 bis 500,— D M (§ 70 a . a . O . ) . E r m ä ß i g u n g tritt ein, w e n n die Strafe d u r c h Strafbefehl oder S t r a f v e r f ü g u n g festgesetzt ist ( § 7 1 a . a . O . ) . W e g e n der G e b ü h r e n s ä t z e f ü r die B e r u f u n g s - u n d R e v i s i o n s i n s t a n z , sowie f ü r Entscheidungen i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n u n d f ü r die Zurückweisung einer Beschwerde siehe §§ 55, 56, 69 G K G bb) Die A u s l a g e n . Z u i h n e n gehören u . a . die Schreibgebühren ( § 9 1 a.a.O.), die G e b ü h r e n f ü r Zeugen u n d Sachverständige u n d die Reisekostenvergütungen von Gerichtspersonen bei Geschäften a u ß e r h a l b der Gerichtsstelle (z. B. bei der E i n n a h m e eines Augenscheins) vgl. § 92 G K G . b ) Z u d e n a u ß e r g e r i c h t l i c h e n K o s t e n gehören die n o t w e n d i g e n A u s l a g e n des Angeklagten, des Privatklägers u n d des Nebenklägers (§ 467 Abs. 2), vor allem die Kosten der Verteidigung, a u c h der nicht-notwendigen, nicht dagegen das v e r t r a g s m ä ß i g e Verteidigerhonorar, soweit es die Sätze der R A G e b O übersteigt. Ferner gehören hierher die Reisen z u m Gerichtssitz u n d z u m Verteidiger, dagegen n i c h t die Auslagen f ü r Erwerbsu n d Zeitverlust. 3. D e r A n g e k l a g t e h a t die Kosten zu tragen soweit er v e r u r t e i l t oder eine Sicherungsmaßregel gegen ihn a n g e o r d n e t w u r d e . Eine Verurteilung in diesem Sinne liegt a u c h d a n n vor, w e n n das Gericht den Angeklagten zwar f ü r schuldig erklärt, aber von Strafe absieht, z. B. in den Fällen der §§ 158 I, 175 I I , 199 u n d 233 StGB. Z u den Kosten des Verfahrens gehören auch die Kosten der V o r b e r e i t u n g der öffentlichen K l a g e u n d der Vollstreckung, sowie einer v o m Gericht a n g e o r d n e t e n M a ß r e g e l der Sicherung u n d Besserung, § 465. D e r S t a a t s k a s s e fallen die Kosten zur Last, w e n n der Angeklagte f r e i g e s p r o c h e n oder a u ß e r Verfolgung gesetzt wird, § 4 6 7 Abs. 1. Kosten, die d u r c h eine schuldhafte Versäumnis des Angeklagten entstanden sind (z. B. Ausbleiben in der H a u p t v e r h a n d l u n g u n d d a d u r c h bedingte Aussetzung derselben u n d abermalige L a d u n g der Zeugen usw.) sind d e m Angeklagten trotz Freispruchs aufzuerlegen; die d e m Angeschuldigten erwachsenen n o t w e n d i g e n A u s l a g e n können der Staatskasse auferlegt werden, § 4 6 7 Abs. 2. Sie s i n d ihr aufzuerlegen, w e n n d e r Angeklagte wegen erwiesener U n s c h u l d oder mangels eines b e g r ü n d e t e n T a t v e r d a c h t s P c t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

freigesprochen wurde, § 467 I I S. 2. (Zur Frage, w a n n ein b e g r ü n d e t e r T a t v e r d a c h t nicht m e h r vorliegt, siehe B G H 11, 383.) Gewisse Einschränk u n g e n dieser R e c h t e des freigesprochenen Angeklagten ergeben sich aus § 2 des Gesetzes ü b e r die E n t s c h ä d i g u n g f ü r unschuldig erlittene U n t e r suchungshaft v o m 1 4 . 7 . 1904, der g e m ä ß § 4 6 7 1 1 S. 2 entsprechende A n w e n d u n g findet. So entfällt ein Anspruch auf E r s t a t t u n g der notwendigen Auslagen, w e n n d e r Angeklagte vorsätzlich oder grobfahrlässig die Einleitung des gegen ihn eingeleiteten V e r f a h r e n s verschuldet h a t , z. B. d u r c h sinnlose Aussageverweigerung im Ermittlungsverfahren. W i r d das V e r f a h r e n e i n g e s t e l l t , so trägt ebenfalls die Staatskasse die Kosten. (E. 20. 118.) Besonderheiten ergeben sich, w e n n d a s V e r f a h r e n wegen Z u r ü c k n a h m e d e s S t r a f a n t r a g s , d u r c h d e n es bedingt war, eingestellt w u r d e . I n diesem Falle h a t d e r Antragsteller die Gerichtskosten sowie die d e m Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Diesem Kostenrisiko k a n n der Antragsteller d a d u r c h entgehen, d a ß er seinen S t r a f a n t r a g n u r u n t e r der Bedingung z u r ü c k n i m m t , d a ß er d u r c h die Kostenentscheidung von j e d e r Kostenlast befreit w i r d ( B G H 9, 149.) Das Gericht h a t hierbei die Möglichkeit, d e m Angeklagten die Kosten aufzuerlegen, allerdings n u r , sofern er sich zur Ü b e r n a h m e bereit erklärt. Schließlich sieht das Gesetz dort, wo es unbillig wäre, die Beteiligten zu belasten, die Möglichkeit vor, d e r Staatskasse die Kosten aufzuerlegen ( § 4 7 0 ) . W i r d das V e r f a h r e n wegen V e r j ä h r u n g eingestellt, so sind in entsprechender A n w e n d u n g von § 467 I I a u c h die n o t w e n d i g e n A u s l a g e n d e s A n g e k l a g t e n der Landeskasse aufzuerlegen. Ein Angeklagter der nicht m e h r verfolgt werden durfte, darf nicht schlechter gestellt w e r d e n als ein freigesprochener Angeklagter ( B G H 13, 75). Die d u r c h § 467 I I Satz 2 gebotenen E i n s c h r ä n k u n g e n sind allerdings a u c h hier zu b e a c h t e n ( B G H a. a. O . 79). (Mitangeklagte, die in bezug auf dieselbe T a t verurteilt sind, h a f t e n f ü r die Auslagen als Gesamtschuldner § 466; wegen der A u s n a h m e b e s t i m m u n g bei w e c h s e l s e i t i g e n K ö r p e r v e r l e t z u n g e n u n d B e l e i d i g u n g e n siehe § 468.) 4. D i e K o s t e n p f l i c h t i n P r i v a t k l a g e s a c h e n . a) W i r d der B e s c h u l d i g t e v e r u r t e i l t , so h a t er a u ß e r d e n Gerichtskosten a u c h die notwendigen Auslagen des Privatklägers zu erstatten, § 471 Abs. 1. b ) W i r d der B e s c h u l d i g t e a u ß e r V e r f o l g u n g g e s e t z t oder f r e i g e s p r o c h e n , oder w i r d das V e r f a h r e n e i n g e s t e l l t , so fallen d e m Privatkläger die Kosten des Verfahrens sowie die d e m Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zur Last, § 471 Abs. 2. (Wegen Ausn a h m e n siehe § 471 I I I . ) 5. Die Kosten eines z u r ü c k g e n o m m e n e n oder e r f o l g l o s e i n g e l e g t e n R e c h t s m i t t e l s treffen den, d e r es eingelegt h a t . W a r das Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft eingelegt, so können die d e m Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden. H a t t e das Rechtsmittel t e i l w e i s e n E r f o l g (z. B. es

Fall 6

"5

wurde Freisprechung beantragt, aber nur Strafermäßigung erreicht), so k a n n das Gericht die Gebühr ermäßigen und die entstandenen Auslagen angemessen verteilen, § 473 I, S. 3. Hierbei ist zu beachten, daß sich § 473 I I I Satz 3 nur auf die G e r i c h t s k o s t e n und die g e r i c h t l i c h e n A u s l a g e n bezieht, nicht auch auf die Auslagen des Angeklagten. Diese sind von der Staatskasse nur dort zu übernehmen, wo das Gesetz eine entsprechende Regelung ausdrücklich vorsieht, z. B. in den §§ 471, 472 a und 473 I Satz 2 (vgl. BGH 10, 15). 6. Darüber, wie zu entscheiden ist, wenn das Rechtsmittel, abgesehen von der Freisprechung, den b e a b s i c h t i g t e n E r f o l g hatte, gibt das Gesetz keine unmittelbare Auskunft, denn § 467 betrifft nur den Fall, daß durch ein Rechtsmittel Freisprechung erstrebt und erreicht wird, nicht aber den Fall, daß das Urteil nur in einem Nebenpunkt, insbesondere im Strafausspruch angefochten und der erstrebte Erfolg, insbesondere eine Ermäßigung der Strafe erreicht wird. Nach E. 63, 3 1 1 ist in diesem Falle § 473 Abs. 1 S. 3 entsprechend anzuwenden, d. h. die Kosten sind in einem solchen Falle dem Gegner aufzuerlegen (s. auch Fall 7 Abschn. B III, S. 136). 7. Wegen der Kostenpflicht eines w i d e r besseres Wissen oder grobf a h r l ä s s i g Anzeigenden (§ 469) siehe Fall 17, Abschn. B IV, 2, S. 223. 8. S t i r b t ein Verurteilter v o r Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten (§ 465 II). III. Beendigung des Hauptverfahrens auf andere Weise als durch Verurteilung oder Freisprechung. (Zeitspanne von der Einreichung der Anklageschrift bis zur Urteilsverkündung.) 1. Die Einstellung a) Einstellung a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung: aa) Nach § 205, d. h. wenn der Hauptverhandlung ein in d e r P e r s o n des A n g e k l a g t e n l i e g e n d e s H i n d e r n i s (Abwesenheit, Geisteskrankheit oder sonstige Krankheit) entgegensteht. Vorläufige Einstellung; einfache Beschwerde. bb) Nach § 206a, d. h. wenn n a c h Eröffnung des Hauptverfahrens sich ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s herausstellt. E n d g ü l t i g e Einstellung; sofortige Beschwerde. Wegen des Begriffs „Verfahrenshindernis" siehe Nachtrag zu Fall 7. (NB. Stellt sich das Verfahrenshindernis v o r Eröffnung des Hauptverfahrens heraus, dann wird die Eröffnung abgelehnt, es sei denn, daß die Staatsanwaltschaft die Klage gemäß § 156 zurücknimmt.) cc) Nach § 153 I I I (siehe Fall 2, Abschn. A I I I 2, S. 42). E n d g ü l t i g e Einstellung; nicht anfechtbar. dd) Nach § 1 5 3 a II (siehe Fall 2, Abschn. A I I I , 3, S. 42). E n d g ü l t i g e Einstellung; nicht anfechtbar. ee) Nach § 154 I I (siehe Fall 2, Abschn. A I I I 5, S. 43). V o r l ä u f i g e E i n s t e l l u n g ; Anfechtbarkeit siehe Fall 2, Abschn. A I I I 6, S. 43. 8*

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II. Teil: Lösungen

ff) Nach § 154a IV. V o r l ä u f i g e E i n s t e l l u n g ; einfache Beschwerde, gg) Nach § 393 (siehe Fall 16, Abschn. A XI, S. 210). b) Einstellung in der Hauptverhandlung, aa) Durch U r t e i l : Nach § 260 III. Nach § 389, d. h. wenn im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n sich herausstellt, daß die Tat in diesem Verfahren nicht abgeurteilt werden kann, bb) Durch B e s c h l u ß : §§ 205, 153 III, 154 II, 383 II, 393. 2. S o n s t i g e B e e n d i g u n g e n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g d u r c h Beschluß: a) Nach § 228: Aussetzung der Hauptverhandlung (Unterbrechung auf eine längere Dauer als zehn Tage). b) Nach § 270 (siehe Fall 1 Abschn. B VI 1 b, S. 32). 3. S o n s t i g e g e r i c h t l i c h e B e e n d i g u n g e n des S t r a f v e r f a h r e n s a u ß e r h a l b der H a u p t v e r h a n d l u n g : a) A b l e h n u n g d e r E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s bzw. Außerverfolgungssetzung nach § 204. b) V e r w e r f u n g d e r B e r u f u n g als u n z u l ä s s i g nach § 322. c) V e r w e r f u n g d e r R e v i s i o n als u n z u l ä s s i g nach § 349. B. Lösung des Falles I. Der Antrag des Verteidigers 1. Da nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (§§ 168, 672 BGB), die auf das Verhältnis des Verteidigers zum Beschuldigten Anwendung zu finden haben, die V o l l m a c h t d u r c h d e n T o d des letzteren im Zweifel n i c h t e r l i s c h t , war der Verteidiger zur Stellung des fraglichen Antrags an sich legitimiert. 2. Der Z w e c k des A n t r a g s ist der, die Anwaltskosten von der Staatskasse ersetzt zu erhalten, und zwar gemäß § 467 Abs. 2, der auch bei Einstellung Anwendung findet. (E. 20, 118.) II. Die Entscheidungen des A m t s r i c h t e r s 1. D e r e r s t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß des A m t s r i c h t e r s a) Zu den V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e n i. S. des § 206a, die das Gericht zur Einstellung des Verfahrens nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor der Hauptverhandlung berechtigen, gehören Verjährung, bereits erfolgte rechtskräftige Entscheidung in der gleichen Sache (ne bis in idem), anderweitige Rechtshängigkeit und fehlender Strafantrag. (Siehe Nachtrag zu Fall 7.) N i c h t aber gehört zu diesen Einstellungsgründen der Tod des Beschuldigten. Er hat vielmehr, ebenso wie die Abolition (Niederschlagung eines einzelnen Verfahrens) oder die Amnestie (Niederschlagung aller oder eines bestimmten Kreises anhängiger Verfahren) ein E r l ö s c h e n d e r

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Fall 6

S t r a f k l a g e zur Folge; das V e r f a h r e n findet in diesem Falle also o h n e E i n s t e l l u n g s v e r f ü g u n g sein E n d e . Das Gericht h a t lediglich die Beendigung des Verfahrens a k t e n m ä ß i g festzustellen. (Siehe Löwe, A n m . 27a, Buch I I , 1. Abschn. sowie Alsberg, strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte, 3. Band, S. 1 5 4 — 1 5 7 ; siehe a u c h E. 54, 11.) b) D e r e r s t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß d e s A m t s r i c h t e r s , d e r d e n A n t r a g des V e r t e i d i g e r s b e t r i f f t , ist also r i c h t i g . Eine Entscheidung ü b e r die K o s t e n f r a g e k a n n in diesem S t a d i u m des Verfahrens d e m n a c h n i c h t stattfinden, d a §464 mindestens eine die „ U n t e r s u c h u n g einstellende E n t s c h e i d u n g " voraussetzt. 2. D e r z w e i t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß d e s A m t s r i c h t e r s a) D a die S t a a t s a n w a l t s c h a f t mit i h r e m A n t r a g eine E i n s t e l l u n g des Verfahrens in der H a u p t v e r h a n d l u n g g e m ä ß § 260 erreichen will, w ä r e erste Voraussetzung hierfür, d a ß eine H a u p t v e r h a n d l u n g ü b e r h a u p t m ö g l i c h ist. Eine solche Möglichkeit ist aber n i c h t gegeben. Der G r u n d satz, d a ß ein Strafverfahren n u r g e g e n e i n e l e b e n d e P e r s o n durchgef ü h r t werden kann, h a t i m Gesetz n u r z w e i A u s n a h m e n : das W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n zugunsten eines bereits Verstorbenen g e m ä ß § 371 (siehe Fall 15, Abschn. A I X 1, S. 198) u n d das sog. o b j e k t i v e V e r f a h r e n g e m ä ß §§ 43off., das die Einziehung g e m ä ß § 42 StGB bezweckt u n d an die Bedingung geknüpft ist, d a ß die V e r f o l g u n g u n d V e r u r t e i l u n g einer b e s t i m m t e n Person nicht a u s f ü h r b a r ist (siehe Fall 14, Abschn. B I I I , S. 191). V o n diesen beiden gesetzlich besonders geregelten Fällen abgesehen ist jedenfalls eine H a u p t v e r h a n d l u n g n a c h d e m T o d e d e s B e s c h u l d i g t e n schon deshalb n i c h t möglich, d a ein Verstorbener nicht geladen, geschweige d e n n gegen ihn v e r h a n d e l t werden k a n n . b) A u s d i e s e n F e s t s t e l l u n g e n e r g i b t s i c h f ü r d e n v o r l i e g e n d e n Fall, d a ß a u c h der zweite A b l e h n u n g s b e s c h l u ß des A m t s richters, der den A n t r a g der S t a a t s a n w a l t s c h a f t betrifft, zu Bedenken keinen A n l a ß gibt. D a ß hiervon abgesehen der A n t r a g der Staatsanwaltschaft a u c h d e s h a l b u n b e g r ü n d e t ist, weil der T o d des Angeklagten eine Einstellung des Verfahrens nicht bewirken k a n n , ergibt sich aus den oben in A b schnitt 2 a g e m a c h t e n A u s f ü h r u n g e n . (NB. Stirbt der Angeklagte n a c h E r l a ß des Urteils, aber v o r dessen R e c h t s k r a f t , so können weder die Erben, die den Angeklagten f ü r u n schuldig halten, noch der Verteidiger ein Rechtsmittel einlegen; d e n n hierzu sind g e m ä ß § 296 n u r die Staatsanwaltschaft u n d d e r Beschuldigte u n d g e m ä ß § 298 d e r gesetzliche Vertreter befugt.)

III. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft 1. V o r b e m e r k u n g : Allgemeines über schwerde.

die

Rechtsmittel,

insbesondere

die

Be-

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II. Teil: Lösungen

a) R e c h t s m i t t e l i. S. der StPO sind nur B e s c h w e r d e , B e r u f u n g und R e v i s i o n . Sie haben den Zweck, die Nachprüfung einer noch nicht rechtskräftigen richterlichen Entscheidung durch einen höheren Richter zu ermöglichen (sog. Devolutiveffekt). K e i n e Rechtsmittel sind also: der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie der Einspruch gegen den amtsrichterlichen Strafbefehl. b) B e r u f u n g und R e v i s i o n greifen die Urteile an. Die B e s c h w e r d e richtet sich gegen Beschlüsse und Verfügungen. c) Die Art des Rechtsmittels richtet sich nicht nach dem Inhalt, sondern nach der F o r m der anzufechtenden Entscheidung. (Siehe E. 63, 247, 65, 397 und B G H 8, 383, wo dargelegt wird, daß die Beantwortung der Frage, ob die im einzelnen Falle erlassene gerichtliche Entscheidung als ein Bes c h l u ß oder als ein U r t e i l anzusehen sei, nicht davon abhängt, welche Bezeichnung ihr das Gericht verliehen hat.) Ein U r t e i l kann nur durch B e r u f u n g oder R e v i s i o n angefochten werden. (Näheres über Berufung Fall 7, Vorbemerkung, und über Revision Fall 9, Vorbemerkung.) d) Bezüglich der W i r k u n g d e r E i n l e g u n g des Rechtsmittels gelten folgende Grundsätze: aa) Die Rechtsmittel h e m m e n die formelle R e c h t s k r a f t und somit die Vollstreckung der Entscheidung (sog. S u s p e n s i v e f f e k t ) , mit Ausnahme der Beschwerde (siehe § 307, 316, 343). bb) Jedes von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t z u L a s t e n d e s A n g e k l a g t e n eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung a u c h z u g u n s t e n des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann, § 301. cc) Die vom Angeklagten (oder zu dessen Gunsten von der Staatsanwaltschaft) eingelegte B e r u f u n g oder R e v i s i o n hat die Wirkung, daß das angefochtene Urteil nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden kann (§§ 331, 358 Abs. 2). (Wegen dieses sog. Verbots der r e f o r m a t i o in p e i u s s. Nachtrag, und wegen der Möglichkeit, Berufung und Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken, s. Fall 7 Abschn. A II, S. 129.) e) Wegen der Grundsätze betr. E i n l e g u n g , Z u r ü c k n a h m e und V e r z i c h t siehe Fall 11, A, S. 170. f) F ü r d a s R e c h t s m i t t e l d e r B e s c h w e r d e g i l t i m e i n z e l n e n folgendes: aa) Die Beschwerde ist das R e c h t s m i t t e l gegen die Entscheidungen des Gerichts und der in § 304 Abs. 1 besonders genannten Richter, soweit es sich n i c h t u m U r t e i l e handelt, die nur mit der Berufung oder Revision angefochten werden können. Die Beschwerde richtet sich also vor allem gegen die Beschlüsse, d. s. sachliche oder förmliche bei der Durchführung des Verfahrens notwendig werdende Entscheidungen I. Instanz oder der Berufungsinstanz, welche nicht die Hauptsache betreffen, und ferner gegen die V e r f ü g u n g e n , d. s. Entscheidungen eines einzelnen

Fall 6

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Richters, nämlich des Vorsitzenden, des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters und des beauftragten oder ersuchten Richters. bb) A u s g e s c h l o s s e n ist d i e B e s c h w e r d e mit der Wirkung, daß die nichtanfechtbaren Beschlüsse mit ihrer Erlassung formell rechtskräftig werden: Gemäß § 304 I in den im Gesetz ausdrücklich erwähnten Fällen (§§ 28 I S. 1 ; 46 I I ; 153 I I I ; 20a I V ; 2 1 0 I ; 270 I I I ; 348 I I ) ; g e m ä ß § 304 Abs. 4 gegen Beschlüsse und Verfügungen der O b e r l a n d e s g e r i c h t e und des B u n d e s g e r i c h t s h o f s ; g e m ä ß § 305 gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der U r t e i l s f ä l l u n g v o r a u s g e h e n und in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen und zu deren Vorbereitung dienen (E. 67, 310). (Z. B. Beschluß über Verlesung eines Protokolls oder über Ablehnung eines Beweisantrags.) Diese Beschlüsse können nur zusammen mit dem Urteil, also mit Berufung oder Revision angefochten werden. A u s g e n o m m e n sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis oder Straffestsetzungen, sowie alle Entscheidungen, durch welche d r i t t e P e r s o n e n (§ 304 Abs. 2) betroffen werden. (Z. B. Beschwerde eines Zeugen oder Sachverständigen gegen Ordnungsstrafen, oder eines Nebenklägers, dem der Anschlnß versagt wird); g e m ä ß § 3 1 0 gegen Entscheidungen des B e s c h w e r d e g e r i c h t s (weitere Beschwerde), a u s g e n o m m e n Entscheidungen der Landgerichte (Strafkammern) , welche Verhaftungen und einstweilige Unterbringung betreffen. cc) E i n g e l e g t wird die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich beim judex a quo, in dringenden Fällen auch beim Beschwerdegericht. B e f r i s t e t (eine Woche) ist die Beschwerde nur im Falle der s o f o r t i g e n Beschwerde des § 3 1 1 . (Fälle der sofortigen Beschwerde: §§ 28 I S. 2, 46 I I I ; 206a I I ; 210 I I ; 322 I I ; 372; 383 I I ; 462 Abs. I V ; 469 I I I . ) dd) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, hat, abgesehen vom Falle der sofortigen Beschwerde (siehe § 3 1 1 Abs. 3), der Beschwerde a b z u h e l f e n , wenn sie für begründet gehalten wird (§ 306 Abs. 2). ee) Die E n t s c h e i d u n g d e s B e s c h w e r d e g e r i c h t s , die ohne vorherige mündliche Verhandlung erfolgt (siehe aber § 308), lautet e n t w e d e r auf Verwerfung der Beschwerde als u n z u l ä s s i g (nicht statthaft; oder nicht form- oder fristgerecht eingelegt) o d e r als unbegründet o d e r , falls sachlich begründet, auf A u f h e b u n g der angefochtenen Entscheidung und anderweitige Entscheidung in der Sache selbst. Das Beschwerdegericht hat also grundsätzlich die Vorinstanz n i c h t zu einer Ä n d e r u n g der angefochtenen Entscheidung a n z u w e i s e n , sondern unter Aufhebung der letzteren seinerseits diejenige Entscheidung zu erlassen, welche von ihm nach Lage der Sache für gerechtfertigt gehalten wird (§ 309 Abs. 2). Hat z. B. das Gericht des ersten Rechtszuges die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Unrecht abgelehnt (§ 204), so erläßt das Beschwerdegericht selbst den Beschluß, welcher die Eröffnung des Hauptverfahrens aus-

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I I . Teil: Lösungen

spricht (§ 203). H a n d e l t es sich dagegen u m die U n t e r l a s s u n g einer Sachentscheidung d u r c h das Vordergericht, so k a n n das Beschwerdegericht, statt sie selbst zu treffen, eine diesbezügliche Anweisung an das V o r d e r gericht erlassen, E. 19, 332. (Siehe im übrigen Fall 11 Abschn. B I I I . ) ff) R e c h t s k r ä f t i g wird eine mit der s o f o r t i g e n Beschwerde anf e c h t b a r e Entscheidung, w e n n die erstere nicht rechtzeitig eingelegt oder w e n n sie verworfen w i r d ; eine in der Beschwerdeinstanz ergehende abä n d e r n d e Entscheidung wird wegen ihrer U n a n f e c h t b a r k e i t sofort mit der V e r k ü n d u n g rechtskräftig. 2. V o r a u s s e t z u n g f ü r den G e b r a u c h j e d e s R e c h t s m i t t e l s , also auch der Beschwerde ist stets, d a ß derjenige, der sich des Rechtsmittels bedienen will, ein b e r e c h t i g t e s I n t e r e s s e an der A u f h e b u n g der a n z u f e c h t e n d e n Entscheidung, die sich u n m i t t e l b a r gegen ihn richtet, haben muß. a ) D e m B e s c h u l d i g t e n u n d d e n in § 304 Abs. 2 bezeichneten Personen (Zeugen, Sachverständigen z. B. wegen Ordnungsstrafen, oder Personen, die d u r c h Beschlagnahme oder D u r c h s u c h u n g betroffen sind, oder d e m Nebenkläger wegen V e r s a g u n g des Nebenklagerechts) k a n n ein solches Interesse n u r d a n n zugebilligt werden, w e n n sie d u r c h die anzufechtende Entscheidung b e s c h w e r t werden. (So k a n n z. B. der Beschuldigte gegen die seine Nichtschuld aussprechende Entscheidung kein Rechtsmittel einlegen, ebensowenig z u m Zwecke der V e r s c h ä r f u n g der Strafe.) D e r Beschuldigte m u ß d u r c h den U r t e i l s t e n o r beschwert sein, d. h . er k a n n n i c h t d i e G r ü n d e des Urteils anfechten. So k a n n er z. B. kein Rechtsmittel einlegen, w e n n er n u r „ m a n g e l s B e w e i s e s " freigesprochen ist, w ä h r e n d er b e h a u p t e t , u n s c h u l d i g zu sein. B e s t r i t t e n ist die F r a g e der Beschwerung d u r c h einen Freispruch wegen U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t ( § 5 1 Abs. 1 StGB). Das Reichsgericht h a t diese F r a g e in E. 69, 12 u n t e r Bezugnahme auf obigen G r u n d s a t z verneint, d. h. m i t der Begründung, d a ß n u r das Ergebnis (also d e r Urteils t e n o r ) u n d n i c h t die B e g r ü n d u n g eines Urteilsspruchs a n g r e i f b a r sei. I m Urteil des K a m m e r g e r i c h t s vom 19. D e z e m b e r 1947 (siehe Deutsche Rechtszeitschrift 1948, S. 255) w u r d e der g e g e n t e i l i g e S t a n d p u n k t vertreten mit der Begründung, d a ß ein Angeklagter, d e r die T a t nicht begangen h a t , ein b e r e c h t i g t e s ideelles u n d wirtschaftliches I n t e r e s s e d a r a n habe, nicht als geisteskrank zu gelten u n d deshalb die Möglichkeit h a b e n müsse, ein solches freisprechendes Urteil anzufechten. (NB. W e n n auf G r u n d einer A m n e s t i e das V e r f a h r e n in der H a u p t v e r h a n d l u n g e i n g e s t e l l t wird, o b w o h l bei richtiger sachlich-rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts das Vorliegen einer Straftat h ä t t e verneint werden müssen, ist d e r Angeklagte d u r c h die Einstellung „ b e s c h w e r t " . E r k a n n d a h e r das Einstellungsurteil mit d e m Antrag, freigesprochen zu werden, anfechten. E. 70, 193; siehe a u c h B G H 2, 216.) b ) Die S t a a t s a n w a l t s c h a f t k a n n ein berechtigtes Interesse an der A u f h e b u n g einer Entscheidung in a l l e n F ä l l e n h a b e n , i n d e n e n i h r ü b e r h a u p t ein R e c h t s m i t t e l zusteht.

Fall 6

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Der Staatsanwalt kann also nicht nur zugunsten des Beschuldigten (§ 296 Abs. 2), sondern auch z u g u n s t e n a n d e r e r P e r s o n e n ein Rechtsmittel einlegen, da er nicht ein Privatinteresse zu vertreten, sondern der objektiven Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen hat. (E. 7, 410.) 3. Man wird daher im v o r l i e g e n d e n F a l l e dem Staatsanwalt das Recht zugestehen müssen, b e i d e E n t s c h e i d u n g e n des Amtsrichters mit der Beschwerde a n z u f e c h t e n , denn auch die e r s t e Entscheidung, die sich eigentlich nur gegen den Verteidiger gerichtet hat, hatte die Einstellung des Verfahrens zum Gegenstande und war insofern geeignet, ein von der Staatsanwaltschaft zu vertretendes Interesse (ordnungsmäßige Erledigung des Strafverfahrens) zu begründen. Daß die z w e i t e Entscheidung offenbar nicht in Form eines formellen Beschlusses getroffen wurde, ist rechtlich bedeutungslos, da die Beschwerde gegen jede richterliche Maßnahme gegeben ist. (NB. An eine Frist ist die Beschwerde nicht gebunden, da sie im Gesetz nicht als „sofortige Beschwerde" bezeichnet ist. S. § 311.) IV. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts 1. Z u s t ä n d i g ist für die Entscheidung über die Beschwerde, die zunächst gemäß § 306 Abs. 1 beim Amtsrichter einzureichen ist, der zur Abänderung der Entscheidung gemäß § 306 Abs. 2 befugt ist, die Strafkammer (§ 73 GVG). 2. Die E n t s c h e i d u n g m u ß d a h i n l a u t e n , d a ß die B e s c h w e r d e d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t aus den oben erörterten Gründen als u n b e g r ü n d e t v e r w o r f e n w i r d . Die Kosten fallen gemäß § 473 der Staatskasse zur Last. (Eine weitere Anfechtung dieses Beschlusses ist gemäß §310 Abs. 2 ausgeschlossen.) (NB. Der Anwalt wird seine Kostenforderung gegen die Erben des verstorbenen Angeklagten geltend machen müssen.)

Nachtrag Das V e r b o t d e r sog. r e f o r m a t i o in p e i u s 1. G r u n d s a t z : Das Urteil darf in Art und Höhe der Strafe nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich er selbst, sein gesetzlicher Vertreter oder die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel eingelegt hat. Dieser Grundsatz ist im Gesetz ausdrücklich ausgesprochen für das B e r u f u n g s v e r f a h r e n in § 331, für das R e v i s i o n s v e r f a h r e n in § 358 II. Eine Schlechterstellung ist nach BGH 13, 41 entgegen dem Wortlaut der §§ 331, 358 II auch dann unzulässig, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zwar zuungunsten des Angeklagten eingelegt hatte, das Urteil aber gemäß § 301 zugunsten des Angeklagten aufgehoben oder abgeändert wurde. Entscheidend ist nach Auffassung des BGH nicht das Ziel, sondern die Wirkung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels.

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II. Teil: Lösungen

Das Verbot der reformatio in peius gilt schließlich auch dann, wenn auf ein vom Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter oder der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten eingelegtes Rechtsmittel die Sache gemäß §§ 328 II, 354 II z u r ü c k v e r w i e s e n oder gem. §§ 328 III, 355 an das zuständige Gericht w e i t e r v e r w i e s e n wird. Für das W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n siehe die entsprechende Regelung in § 373 II. 2. Der S i n n d e s V e r b o t s der reformatio in peius ist der, daß der Angeklagte die einmal erlangte Position nicht wieder verlieren soll, wenn nur er, sein gesetzlicher Vertreter oder die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel eingelegt bzw. die Wiederaufnahme des Verfahrens betrieben hat. D e r A n g e k l a g t e s o l l i n s b e s o n d e r e n i c h t d u r c h die G e f a h r einer h ä r t e r e n B e s t r a f u n g von der E i n l e g u n g eines R e c h t s m i t t e l s oder von einem A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e des V e r f a h r e n s a b s c h r e c k t werden. 3. N u r d e r S t r a f a u s s p r u c h unterliegt dem Verbot der reformatio In peius, n i c h t a u c h d e r S c h u l d s p r u c h . Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes. Das erneut mit der Sache befaßte Gericht ist also nicht gehindert, eine abweichende, für den Angeklagten nachteilige rechtliche Würdigung der Tat vorzunehmen. Der Angeklagte kann zum Beispiel auf seine Berufung vom Landgericht wegen Raubs verurteilt werden, obwohl das Amtsgericht die Tat noch als Diebstahl gewürdigt hatte. Nur die Strafe darf nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden. 4. I m e i n z e l n e n ist w e g e n d e s S t r a f m a ß e s f o l g e n d e s zu b e achten: a ) Es liegt k e i n e Verschärfung vor, wenn das neu erkennende Gericht an Stelle der vom ersten Gericht erkannten F r e i h e i t s s t r a f e eine G e l d s t r a f e verhängt, sofern letztere die gesetzlich festgelegten Maximalgrenzen nicht überschreitet. Es bedeutet f e r n e r k e i n e Verschärfung, wenn an Stelle der früheren Z u c h t h a u s s t r a f e eine Gefängnisstrafe von längerer Dauer tritt, sofern sie die durch den Umwandlungsmaßstab des § 21 StGB gezogene Grenze einhält (BGH 2, 96). b ) War im ersten Urteil auf eine G e s a m t s t r a f e erkannt, so sind folgende drei Fälle zu unterscheiden: aa) Liegt eine Gesamtstrafe wegen z w e i e r Delikte vor, z. B. fünf Monate Gefängnis wegen Diebstahls und zwei Monate Gefängnis wegen Betrugs, zusammengezogen zu einer Gesamtstrafe von sechs Monaten, so darf im zweiten Urteil im Falle der Freisprechung von der Anklage des Betrugs auf höchstens fünf Monate Gefängnis erkannt werden. bb) Bezog sich die Gesamtstrafe des ersten Urteils a u f m e h r a l s z w e i Delikte, war z. B. auf fünf Monate Gefängnis wegen Diebstahls, zwei Monate Gefängnis wegen Betrugs und ein Monat Gefängnis wegen Unterschlagung, Gesamtstrafe sechs Monate Gefängnis erkannt worden, so kann der zweite Richter, wenn er bezüglich der Unterschlagung zu einer Freisprechung gelangt, trotzdem die Gesamtstrafe von sechs Monaten aufrechterhalten (BGH 7, 86); dagegen müßte er sie ermäßigen, wenn er

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wegen Betrugs freispräche und nur wegen Diebstahls und Unterschlagung verurteilte. (E. 25, 297.) cc) Es liegt ein Verstoß gegen das Verbot der S c h l e c h t e r s t e l l u n g des Angeklagten vor, wenn das neue Urteil zwar keine höhere Gesamtstrafe als die früher erkannte ausspricht, jedoch die Einzelstrafen höher bemißt als das aufgehobene Urteil. (E. 53, 164; 67, 236; BGH 1, 252; 13, 42-) c) Ist in erster Instanz gemäß § 79 StGB eine n a c h t r ä g l i c h e Ges a m t s t r a f e gebildet worden und darf in der Berufungsinstanz keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden, weil die bei der Strafbildung einbezogene Strafe aus dem früheren, bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren inzwischen verbüßt ist, so darf der Angeklagte dessen ungeachtet der ihm einmal gewährten Vergünstigung des § 79 StGB nicht verlustig gehen, obwohl die Voraussetzungen des § 79 StGB an sich gar nicht mehr vorliegen. Die Strafe in dem noch anhängigen Verfahren darf daher nicht höher bemessen werden als die frühere Gesamtstrafe abzüglich der verbüßten Einzelstrafe. Entsprechendes gilt, wenn auf die Revision des Angeklagten eine nachträgliche Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an den Tatrichter zurückverwiesen wird (BGH 12, 94). d) Ist im ersten Urteil die U n t e r s u c h u n g s h a f t angerechnet worden, so bedeutet Beseitigung der Anrechnung ohne gleichzeitige Herabsetzung der Strafe eine unzulässige Verschärfung. Lautet also das erste Urteil auf ein Jahr Gefängnis unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft, so wäre eine Herabsetzung der Strafe auf neun Monate o h n e Anrechnung der Untersuchungshaft eine Verschärfung. (E. 59, 231.) (Siehe wegen dieses ganzen sehr umstrittenen Fragenkomplexes auch E. 62, 401 und Löwe-Rosenberg Erl. 4b zu § 331.) 5. Das Verbot der reformatio in peius steht der Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen, wohl aber allen anderen Maßregeln der Sicherung und Besserung, z. B. der Fahrerlaubnisentziehung und der Anordnung der Sicherungsverwahrung, was aus deren Nichterwähnung in den §§ 331 II, 358 II und 373 II zu entnehmen ist. 6. N a c h t e i l i g e K o s t e n e n t s c h e i d u n g e n werden vom Verbot der reformatio in peius nicht erfaßt (BGH 5, 52).

ZU FALL 7 A. Vorbemerkung I. Das Rechtsmittel der Berufung 1. Allgemeines, Unterschied zur Revision Die B e r u f u n g bezweckt die Nachprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, während die R e v i s i o n nur eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht erreichen kann. Der Berufung

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II. T e i l : Lösungen

unterliegen alle Urteile des Amtsrichters bzw. Schöffengerichts ( § 3 1 2 ) mit A u s n a h m e der in § 313 genannten Urteile des Amtsrichters, die aus schließlich Übertretungen z u m Gegenstand haben und durch die der Angeklagte entweder freigesprochen oder ausschließlich zu Geldstrafe verurteilt worden ist. Diese sind nur mit der Revision anfechtbar (sog. E r s a t z r e v i s i o n ) . Für die Frage, ob ein Urteil nur Übertretungen z u m Gegenstand hat, sind die Urteilsgründe entscheidend, nicht der T e n o r . In den Urteilsgründen hat sich das Gericht mit allen Punkten des Eröffnungsbeschlusses zu befassen. Hieraus folgt: w a r dem Angeklagten im Eröffnungsbeschluß ein V e r g e h e n (z. B. ein Diebstahl) zur Last gelegt worden, so greift § 313 selbst dann nicht ein, wenn der Angeklagte schließlich nur wegen Genußmittelentwendung (Übertretung g e m ä ß § 370 Ziff. 5 StGB) zu einer Geldstrafe von 3 0 , — D M verurteilt w u r d e ; die Beteiligten haben vielmehr g e m ä ß § 312 das Rechtsmittel der Berufung (h. L., vgl. O L G H a m m N J W 57, 74 und B a y O b L G V R S 57, 287 mit weiteren Nachweisen) . A n Stelle jeder an sich zulässigen Berufung kann Revision eingelegt werden ( § 3 3 5 ; sog. Sprungrevision; streng zu unterscheiden von der oben behandelten Ersatzrevision). Eine solche Sprungrevision ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn der Sachverhalt bereits geklärt ist und nur noch reine Rechtsfragen streitig sind. K a n n oder will sich der Beschwerdeführer zunächst noch nicht entscheiden, ob er die Berufung oder die Revision wählen soll, so genügt es, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist erklärt, d a ß er das Urteil „ a n f e c h t e " ( B G H 2, 62). Die Entscheidung, ob das Urteil mit der Berufung oder der Revision angefochten werden soll, ist dann innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist ( § § 3 1 7 , 345) zu treffen und d e m Gericht mitzuteilen. G e h t a u c h i n n e r h a l b d e r B e g r ü n d u n g s f r i s t k e i n e e i n d e u t i g e E r k l ä r u n g e i n , so i s t d a s R e c h t s m i t t e l a l s B e r u f u n g zu behandeln. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bis z u m A b l a u f der Begründungsfrist auch den U b e r g a n g v o n B e r u f u n g a u f R e v i s i o n für z u l ä s s i g erklärt ( B G H 5, 338; ebenso O L G Stuttgart N J W 57, 641). Hiergegen bestehen um so weniger Bedenken, als der U b e r g a n g von Berufung auf Revision bei genauer Betrachtung nichts anderes ist als ein nachträglicher Verzicht auf die Ü b e r p r ü f u n g des Urteils in tatsächlicher Hinsicht. Bedenklicher erscheint dagegen ein U b e r g a n g v o n R e v i s i o n a u f B e r u f u n g ; denn mit der W a h l der Sprungrevision hat der Beschwerdeführer bereits auf die U b e r p r ü f u n g des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichtet. (Siehe auch die ausdrückliche Regelung in § 566a Z P O . ) Das O L G Stuttgart hat daher in N J W 57, 641 durchaus konsequent den nachträglichen Ü b e r g a n g von Revision auf Berufung für unzulässig erklärt. A u c h der Bundesgerichtshof hält einen nachträglichen U b e r g a n g von Revision auf Berufung für unzulässig, allerdings nur für den Fall,

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d a ß der Beschwerdeführer bereits bei Einlegung des Rechtsnittels z w e i f e l s f r e i zu erkennen gibt, daß er an Stelle der an sich zulässigen Berufung u n d unter Verzicht auf sie als Rechtsmittel die Revision wählt (BGH 13, 388, 392). Im übrigen aber ist es nach Ansicht des BGH zulässig, noch innerhalb der Begründungsfrist zu erklären, daß das zunächst als Revision bezeichnete Rechtsmittel als Berufung zu behandeln sei. Der BGH will auf diese Weise verhindern, daß der Beschwerdeführer an seiner im Vorstadium des zweiten Rechtszugs möglicherweise vorschnell erklärten Rechtsmittelbezeichnung festgehalten wird. 2. Das Berufungsgericht hat, vorbehaltlich der aus §§ 318, 327 und 331 sich ergebenden Einschränkungen in a b s o l u t e r U n a b h ä n g i g k e i t von dem erstrichterlichen Verfahren und dessen Ergebnissen über den Gegenstand der Anklage v o n n e u e m zu verhandeln, dabei auch allen zutage tretenden Änderungen der Sachlage Rechnung zu tragen und ausschließlich auf Grund der Berufungsverhandlung nach e i g e n e r Ü b e r z e u g u n g die Entscheidung zu treffen, und zwar grundsätzlich in der Sache selbst. I m Gegensatz zur Revision erfolgt bei der Berufung nur a u s n a h m s w e i s e eine Z u r ü c k v e r w e i s u n g an die Vorinstanz (den Amtsrichter bzw. das Schöffengericht), nämlich im Falle des § 328 Abs. 2. O b die Urteilsfindung auf Geschehnisse ausgedehnt wird, die erst in der Berufungsverhandlung als zu der „ T a t " gehörig ermittelt werden, ist ohne Belang. Gegenstand der Urteilsfindung ist also nicht das, was der erste Richter als „ T a t " ermittelt h a t , sondern der Urteilsfindung unterliegen auch die Tatsachen und Vorgänge, die im Rahmen des § 264 bei erschöpfender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung als die unter Anklage gestellte „ T a t " zu erfassen gewesen w ä r e n ; nicht den Tatbestand des angefochtenen Urteils, sondern die „ T a t " in ihrem ganzen Umfange ist es, worüber die StPO einen zweiten Rechtszug eröffnet und einen Anspruch auf abermalige Verhandlung und Entscheidung gewährt. Nur die Einbeziehung einer neuen s e l b s t ä n d i g e n Straftat in das Strafverfahren (§ 266 Abs. 1) ist in der Berufungsinstanz ausgeschlossen. (E. 62, 130.) (Wegen der B e s c h r ä n k u n g der Berufung siehe unten Abschnitt II, S. ia 9 .) 3. Die wesentlichen Bestimmungen über den G a n g d e s B e r u f u n g s v e r f a h r e n s sind in den §§312, 325, 326, 327, 328 enthalten. a) Der Amtsrichter hat zunächst zu prüfen, o b B e r u f u n g eingelegt u n d ob dies r e c h t z e i t i g geschehen ist, d . h . binnen einer Woche (§ 314). Ist die Berufung v e r s p ä t e t eingelegt, so hat sie der Amtsrichter als u n z u l ä s s i g z u v e r w e r f e n , § 319 Abs. 1. Der Beschwerdeführer kann dann binnen einer Woche die Entscheidung des Berufungsgerichts beantragen, § 319 Abs. 2. b) Ist die Berufung rechtzeitig eingelegt, so sind die Akten nach Ablauf der Rechtfertigungsfrist von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts der Staatsanwaltschaft beim erstinstanzlichen Gericht zu übersenden, die, falls von ihr Berufung eingelegt wurde, Berufungseinlegung und Rechtfertigung dem Angeklagten zuzustellen hat (§ 320).

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II. T e i l : Lösungen

c) Die Staatsanwaltschaft übermittelt dann die Akten an die Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht, die sie ihrerseits binnen einer W o c h e dem Vorsitzenden des Berufungsgerichts zu übersenden hat (§ 321). d ) Es erfolgt nunmehr seitens des Berufungsgerichts (ebenso wie bei der Revision nach § 349) zunächst eine f o r m a l e V o r p r ü f u n g a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g dahin, ob die Bestimmungen über die Einlegung der Berufung (Form und Frist) beobachtet wurden. Ist diese Frage z u verneinen, dann k a n n das Berufungsgericht schon in diesem Stadium des Verfahrens die Berufung durch einen mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g v e r w e r f e n (§ 322). (NB. A u c h i n der Hauptverhandlung kann diese Frage nochmals geprüft werden und führt bei Verneinung der formalen Voraussetzungen ebenfalls zur V e r w e r f u n g der Berufung, diesmal aber durch Urteil, § 322 I S. 2.) e) Aus dem Hinweis in § 323 Abs. 1 auf § 214 folgt, d a ß die V o r b e r e i t u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g in der zweiten Instanz in demselben M a ß e Sache der S t a a t s a n w a l t s c h a f t ist wie in der ersten Instanz; es steht ihr also vor allem die Entschließung über den U m f a n g der Beweisaufnahme zu. f) Die H a u p t v e r h a n d l u n g verläuft, abgesehen von den in g) bis i) erwähnten Besonderheiten wie in der ersten Instanz, (§332). N a c h d e m die H a u p t v e r h a n d l u n g nach Vorschrift des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter (bzw. der Vorsitzende, falls ein Urteil des Einzelrichters angefochten wird und daher die k l e i n e Strafkammer als Berufungsgericht zuständig ist) in Abwesenheit der Zeugen einen V o r t r a g über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens, wobei das Urteil des ersten Rechtszugs verlesen werden m u ß (§ 324). V o n der Verlesung der U r teilsgründe kann abgesehen werden, w e n n sie für die Berufung nicht von Bedeutung sind. g ) D a die Sache in der Berufungsinstanz aufs neue verhandelt werden muß, bedarf es regelmäßig einer a b e r m a l i g e n B e w e i s a u f n a h m e , es sei denn, d a ß nach L a g e der Sache in der zweiten Instanz ein G r u n d vorliegt, von einer Beweisaufnahme ganz oder teilweise abzusehen ( § 3 2 3 A b s . 2). So wird eine abermalige Beweisaufnahme w o h l stets entbehrlich sein, w e n n die Sache g e m ä ß § 328 A b s . 2 in die erste Instanz zurückzuverweisen ist, oder wenn lediglich über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist. Dagegen wird eine a b e r m a l i g e B e w e i s a u f n a h m e durch nochmalige V e r n e h m u n g der in erster Instanz gehörten Z e u g e n (also nicht nur durch Verlesung ihrer in erster Instanz gemachten A n g a b e n nach § 325) immer dann notwendig sein, w e n n die Schuldfrage nicht ganz eindeutig geklärt ist. h) Eine Durchbrechung des in § 250 niedergelegten Grundsatzes der U n m i t t e l b a r k e i t d e r B e w e i s a u f n a h m e ( M ü n d l i c h k e i t der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen) enthält § 325 insofern, als, abgesehen von den Fällen der §§ 251, 253, an Stelle der abermaligen mündlichen V e r n e h m u n g die V e r l e s u n g d e s i n e r s t e r I n s t a n z a u f g e n o m -

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m e n e n P r o t o k o l l s gestattet sein soll, w e n n Staatsanwaltschaft und Angeklagter zustimmen (die Zustimmung kann nicht widerufen werden, E . 6 3 , 302), o d e r die Zeugen usw. zur Berufungsverhandlung nicht geladen (oder gestellt) sind und der Angeklagte ihre Ladung nicht so rechtzeitig beantragt hat, daß sie noch ausführbar war. In diesem Falle ist eine Verlesung auch dann möglich, wenn beide Teile widersprechen. Eine solche Beweisaufnahme durch Verlesung der Aussagen der in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges vernommenen Zeugen und Sachverständigen wird vor allem dann Platz greifen, wenn durch die Verlesung die fragliche Tatsache ebenso sicher aufgeklärt werden kann wie durch die Vernehmung. (NB. Eine solche ausnahmsweise an Stelle der unmittelbaren Vernehmung eines Zeugen gestattete Verlesung seiner Aussage setzt, wie im Falle des § 2 5 1 , stets voraus, daß bei seiner Vernehmung die Vorschriften über die Beeidigung, und zwar nach Maßgabe der hierfür zur Zeit der Berufungsverhandlung bestehenden Zulässigkeit und Möglichkeit, beachtet sind. Ist also ein in erster Instanz uneidlich vernommener Zeuge inzwischen eidesmündig geworden, so ist die Verlesung seiner uneidlichen Aussage nicht statthaft (E. 63, 229), es sei denn, daß das Gericht eine der Voraussetzungen des § 61 für vorliegend erachtet. i ) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme finden die S c h l u ß v o r t r ä g e statt, wobei der Beschwerdeführer zuerst gehört wird (§ 326). (Wegen der teilweisen Anfechtung nach § 327 s. u. Abschn. II.) k) D i e E n t s c h e i d u n g d e s B e r u f u n g s g e r i c h t s : aa) Ist die Berufung b e g r ü n d e t , dann wird das angefochtene Urteil aufgehoben und, wie oben in Abschnitt 2 erörtert wurde, in der Regel vom Berufungsgericht i n d e r S a c h e s e l b s t entschieden (§ 328 Abs. 1). (Wegen des Verbots der reformatio in peius siehe Nachtrag zu Fall 6, S. 1 2 1 . ) bb) Ergibt die Berufungsverhandlung, daß die Berufung u n b e g r ü n d e t ist, dann wird sie v e r w o r f e n . (Das Gesetz schreibt für diesen Fall keine besondere Formel vor.) cc) Hat das Amtsgericht seine Z u s t ä n d i g k e i t z u U n r e c h t angenommen, dann verweist das Berufungsgericht gemäß § 328 Abs. 3 unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das zuständige Gericht, und zwar durch U r t e i l , das wie jedes andere Berufungsurteil mit der Revision anfechtbar ist (E. 65, 397). dd) Wegen des Falles des § 328 Abs. 2 siehe Fall 8 Abschnitt I I I 2, S. 140. 1) Die s e i t e n s d e s A n g e k l a g t e n e i n g e l e g t e B e r u f u n g gilt im Falle des nicht genügend entschuldigten A u s b l e i b e n s d e s A n g e k l a g t e n bzw. seines Vertreters (soweit eine Vertretung zulässig ist, siehe §§ 232, 234) gemäß § 329 Abs. 1 als z u r ü c k g e n o m m e n ; sie wird daher ohne jedes Eingehen auf die Sache, also auch ohne vorgängige Berichterstattung (§ 324) durch Urteil verworfen (E. 59, 277); hat die S t a a t s a n w a l t s c h a f t d i e B e r u f u n g e i n g e l e g t , so ist über diese trotz Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln oder die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen.

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I I . Teil: Lösungen

aa) „ N i c h t g e n ü g e n d e n t s c h u l d i g t " ist der Angeklagte dann, wenn ihm kein Entschuldigungsgrund zur Seite steht, und nicht schon dann, wenn er sich nicht genügend entschuldigt h a t . Es sind also a u c h v o n A m t s w e g e n Entschuldigungsgründe zu berücksichtigen (E. 6 2 , 4 2 1 ) . Die Frage, ob ein genügender Entschuldigungsgrund vorliegt, hat der Tatrichter nach p f l i c h t g e m ä ß e m Ermessen zu entscheiden. Ein Ausbleiben wird z. B. dann als genügend entschuldigt zu gelten haben, wenn der Angeklagte vor der Verhandlung in der Berufungsinstanz seine Entbindung vom Erscheinen beantragt oder ein Gesuch um Terminsverlegung eingereicht, aber keinen diesbezüglichen Bescheid erhalten hat. (E. 59, 277; siehe auch E. 64, 246, und Monatsschrift für Deutsches Recht 1949, S. 78.) bb) Eine V e r t r e t u n g d u r c h e i n e n V e r t e i d i g e r ist nach § 234 im ersten Rechtszug insoweit zulässig, als die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten stattfinden kann, also in den Fällen der §§ 232, 233 und des § 231 Abs. 2 (siehe Fall 5 Abschnitt A I I 3 c , S. 104), ferner im Strafbefehlsverfahren ( § 4 1 1 II). Das gleiche muß gemäß § 3 3 2 a u c h f ü r d i e H a u p t v e r h a n d l u n g i n d e r B e r u f u n g s i n s t a n z gelten, wobei aber zu beachten ist, daß der Angeklagte im Falle des § 233 s p e z i e l l vom Erscheinen in der Berufungsverhandlung e n t b u n d e n sein muß, daß also eine für den ersten Rechtszug erlangte Befreiung nicht ohne weiteres auch für die Berufungsinstanz genügt. (Siehe zu diesem umstrittenen Fragenkomplex Löwe-Rosenberg Anm. 4 zu § 233 u. Anm. 7 zu §329.) Ist die Berufung n u r v o n d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t eingelegt, so ist die Vertretung stets statthaft. Dies ergibt sich aus § 234 in Verbindung mit der Tatsache, daß nach § 329 über die Berufung der Staatsanwaltschaft a u c h b e i m A u s b l e i b e n d e s A n g e k l a g t e n verhandelt werden darf. cc) „ S o f o r t " heißt ohne jede Prüfung der Sach- und Rechtslage. O b in dem Falle, daß b e i d e T e i l e Berufung eingelegt haben, die Entscheidung in e i n e m Urteil oder durch z w e i äußerlich getrennt gehaltene Urteile erfolgt, ist nach E. 65, 231 (234) Z w e c k m ä ß i g k e i t s f r a g e ; jedenfalls aber muß über beide Berufungen in e i n e r Hauptverhandlung verhandelt werden.

4. D i e i n d e r P r a x i s a m h ä u f i g s t e n formeln des Berufungsgerichts l a u t e n :

vorkommenden

Urteils-

a ) Das Berufungsgericht hält die Berufung für unbegründet: Die Berufung wird auf Kosten des Angeklagten (der Staatskasse) verworfen. b ) Die Berufung ist teilweise begründet: Die Berufung des Angeklagten (der Staatsanwaltschaft) wird mit der Maßgabe verworfen, daß die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte in Wegfall kommt. c) Das Berufungsgericht hält nicht, wie die erste Instanz, fünf Diebstähle für erwiesen, sondern nur drei: Das Urteil des Amtsrichters wird aufgehoben. Der Angeklagte wird wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gefängnisstrafe von x Monaten verurteilt. Im übrigen wird er freigesprochen. Soweit Verurteilung erfolgte, hat der Angeklagte die Kosten

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Fall 7

des Verfahrens zu tragen, im übrigen fallen die Kosten der Staatskasse zur Last. d) Angeklagte A und B sind in erster Instanz verurteilt worden. Das Berufungsgericht hält nur die Schuld des A für erwiesen: Das Urteil des Amtsgerichts wird, soweit es den Angeklagten B betrifft, aufgehoben; dieser Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Die Berufung des Angeklagten A wird auf dessen Kosten verworfen. e) Das Berufungsgericht hält das Strafmaß erster Instanz für zu hoch: Das Urteil des Amtsgerichts wird im Strafmaß aufgehoben. Der Angeklagte wird zu x Monaten Gefängnis und zur Tragung der Kosten verurteilt. f) Das Berufungsgericht hält die Kostenentscheidung im Privatklageverfahren für falsch: das Urteil des Amtsgericht wird hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Im übrigen wird die Berufung verworfen. Die gerichtlichen Kosten werden dem Privatkläger auferlegt, die außergerichtlichen gegeneinander aufgehoben. (NB. Wegen der Kostenentscheidung bei teilweisem Erfolg vgl. § 473 und Fall 6, Abschn. A II 6, S. 115.) II. Über die teilweise Anfechtung im allgemeinen 1. Jeder Angeklagte, der verurteilt worden ist, hat nicht nur das Recht, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten, sondern kann auch darüber entscheiden, in w e l c h e m U m f a n g e er das Rechtsmittel einlegen will. A n d e r e r s e i t s verbietet die StPO dem Rechtsmittelrichter grundsätzlich, das angefochtene Urteil weiter nachzuprüfen, als die Anfechtungsanträge des Angeklagten gehen (§§ 316 I, 318, 327, 344 I, 352 I). 2. Eine B e s c h r ä n k u n g der A n f e c h t u n g ist sowohl bei der Beruf u n g als auch bei der R e v i s i o n stets dann zulässig und als solche wirksam, w e n n der angefochtene Teil der Entscheidung, losgelöst von dem nichtangegriffenen Teile, einer s e l b s t ä n d i g e n P r ü f u n g u n d B e u r t e i l u n g zugänglich ist, ohne ein erneutes Eingehen auf diese anderen Teile notwendig zu machen. (E. 65, 296; BGH 5, 252.) Die Beschränkung kann schon bei der E i n l e g u n g des Rechtsmittels oder in der Berufungs- bzw. Revisionsrechtfertigung, schließlich aber auch noch in der Hauptverhandlung erfolgen. Da die nachträgliche Beschränkung aber eine t e i l w e i s e R ü c k n a h m e des Rechtsmittels bedeutet, so untersteht sie der Schranke des § 303. Andererseits aber ist die einmal erfolgte Beschränkung unwiderruflich. 3. Ist das Rechtsmittel (Berufung oder Revision) auf solche rechtlich abtrennbaren Teile beschränkt, so ist das Urteil im übrigen rechtskräftig geworden. Es liegt eine sog. t e i l w e i s e R e c h t s k r a f t vor. Sie hat für die von ihr erfaßten Teile des Urteils die gleiche rechtliche Wirkung wie die völlige Rechtskraft für das ganze Urteil. Für ihren Bereich bewirkt die durch die Rechtsmittelbeschränkung hervorgerufene teilweise Rechtskraft demnach den V e r b r a u c h der S t r a f k l a g e und erzeugt damit insoweit ein P r o z e ß h i n d e r n i s (ne bis in idem), das sowohl vom Berufungsgericht P e t t e r s , S t r a f p r o z e ß f ä l l e , 7. A u f l .

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als auch vom Revisionsgericht v o n A m t s w e g e n zu berücksichtingen ist. (Siehe Nachtrag.) 4. B e i s p i e l e a u s d e r P r a x i s : a) E i n e B e s c h r ä n k u n g d e r A n f e c h t u n g ist z u l ä s s i g u n d wirksam: aa) wenn das Urteil m e h r e r e sachlich (i. S. des § 74 StGB) zusammentreffende S t r a f t a t e n zum Gegenstand hat; hier kann jede Straftat gesondert zum Gegenstand eines Rechtsmittels gemacht werden; bb) bezüglich der S t r a f f r a g e gegenüber der S c h u l d f r a g e ( B G H 5, 252). Wird die Berufung in wirksamer Weise auf das Strafmaß beschränkt, so erwachsen die dem Schuldspruch zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft. Das Berufungsgericht darf von diesen Feststellungen nicht abweichen. Wurde zum Beispiel in erster Instanz festgestellt, daß der Angeklagte mit unbedingtem Vorsatz gehandelt hat, so darf das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die auf das Strafmaß beschränkte Berufung nicht von bedingtem Vorsatz ausgehen ( B G H 10, 7 1 ) . cc) I n n e r h a l b d e r S t r a f f r a g e hinsichtlich einer von mehreren Hauptstrafen, E. 47, 227 (z. B. einer Geldstrafe, welche als zweite Hauptstrafe bei Verurteilung wegen Betrugs i. w. R . neben Zuchthausstrafe verhängt werden muß); ferner hinsichtlich der Bildung einer Gesamtstrafe (E. 37, 284), einer hilfsweisen Freiheitsstrafe (E. 39, 393), einer Nebenstrafe (E. 42, 3 1 ) , (z. B. Zulässigkeit der Polizeiaufsicht, Einziehung, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte); ferner hinsichtlich der Strafe des strafschärfenden Rückfalls (E. 64, 159; 65, 237) und schließlich hinsichtlich der Nichtanwendung der §§ 157, 158 und 163 I I StGB (E. 60, 106; 6 1 , 123, 159). dd) hinsichtlich der Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t (E. 4 1 , 3i9)ee) hinsichtlich der K o s t e n e n t s c h e i d u n g . Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Kostenfrage kommt vor allem dort in Betracht, wo einem freigesprochenen Angeklagten die notwendigen Auslagen nicht erstattet wurden. Das auf die Rechtsmittelbeschränkung hin nur mit der Auslagenerstattung (§ 467 II) befaßte Berufungsgericht darf aber über die Tatfrage keine neuen Beweise erheben; es hat die Entscheidung ausschließlich an Hand der Urteilsgründe des Erstrichters nachzuprüfen. Der nur aus Mangel an Beweisen freigesprochene Angeklagte hat also nicht die Möglichkeit, über den Umweg einer Anfechtung der Kostenentscheidung doch noch einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld zu erreichen ( B G H 13, 149 mit weiteren Nachweisen). b ) N i c h t z u l ä s s i g u n d s o m i t u n w i r k s a m ist d a g e g e n : aa) die B e s c h r ä n k u n g a u f d i e S c h u l d f r a g e ohne Anfechtung im Strafmaß, da die Strafe ohne eine ordnungsmäßige Schuldfeststellung nicht verhängt werden kann; bb) im Falle t a t e i n h e i t l i c h e n Z u s a m m e n t r e f f e n s mehrerer strafbarer Handlungen die Beschränkung der Anfechtung auf einen dieser Tat-

Fall 7 bestände (E. 60, 109). Die Schuldfrage bei einer und derselben Handlung muß in all diesen Fällen nach allen für die richtige Gesetzanwendung maßgebenden Gesichtspunkten e i n h e i t l i c h geprüft werden. (Siehe Fall 8, Abschnitt III 1 S. 139.) cc) Die R e v i s i o n kann in der Regel nicht auf die Frage beschränkt werden, ob die Strafverfolgung v e r j ä h r t ist, da diese Frage nicht geprüft werden kann, ohne daß auf die sachlich rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts eingegangen wird. Die Revision ergreift in diesem Falle auch die sachlichrechtliche Grundlage, auf der die Frage der Verjährung zu entscheiden ist (BGH 2, 385). c) Bezüglich der s t r a f e r h ö h e n d e n und s t r a f m i n d e r n d e n Umstände gilt folgendes (s. E. 69, 114): aa) Liegen die besonderen Umstände in M e r k m a l e n d e r T a t selbst begründet, so ist eine Beschränkung des Rechtsmittels u n z u l ä s s i g (so z. B. bei den Erschwerungsgründen des § 351 StGB, oder bei der Gewerbsmäßigkeit der Begehung nach § 260 StGB, siehe E. 64, 151), weil hier die Gewerbsmäßigkeit einen untrennbaren Bestandteil der Schuldfrage bildet. bb) Handelt es sich dagegen um Umstände, die n u r ä u ß e r l i c h zu d e r T a t h i n z u t r e t e n oder in b e s o n d e r e n E i g e n s c h a f t e n oder Verhältnissen des Täters begründet sind, so ist die Beschränkung z u l ä s s i g und wirksam, z. B. bei der Reizung i. S. des § 213 StGB, beim Rückfall nach §§ 244, 264 StGB, (E. 65, 237; BGH 5, 252), sowie in den Fällen der §§ 157, 158 StGB. 5. B e s o n d e r e F ä l l e . a) Die B e s c h r ä n k u n g des Rechtsmittels auf die S t r a f f r a g e hat zur Folge, daß auch die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des Angeklagten, da sie ein B e s t a n d t e i l d e r S c h u l d ist, für den Rechtsmittelrichter rechtskräftig feststeht und nicht mehr zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht werden kann, selbst dann nicht, wenn er bei erneuter Würdigung der Teile der angefochtenen Entscheidung, die seiner Nachprüfung noch unterstehen, zu der Ansicht kommen sollte, daß der Erstrichter die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zu Unrecht bejaht hat. Umgekehrt kann das Rechtsmittel nicht auf die Frage der Anwendung des § 51 I StGB beschränkt werden. A n d e r e r s e i t s aber handelt es sich bei der v e r m i n d e r t e n Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des § 51 Abs. 2 StGB um eine Bestimmung, die a u ß e r h a l b der Schuldfeststellung liegt und nur die Strafe betrifft, indem sie dem Richter lediglich einen gesetzlichen Strafermäßigungsgrund (strafmindernden Umstand) zur Verfügung stellt. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Anwendung des § 51 Abs. 2 ist daher wirksam (str.; so wie hier BGH 7, 283; a. A. Eb. Schmidt Lehrkommentar Teil II Erl. 18 zu §318 StPO: §51 II StGB stellt nicht lediglich eine auf die Straffrage bezogene Strafzumessungsregel auf, sondern enthält eine grundlegende Norm bezüglich des materiellrechtlichen Schuldbegriffs; eine auf die Nichtanwendung des § 51 II StGB bezogene Rechtsmittelbeschränkung ist daher immer unbeachtlich). 9*

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Folgt man der hier im Anschluß an B G H 7, 283 vertretenen Ansicht, so ergibt sich folgendes: bei einer auf die Nichtanwendung des § 5 1 I I StGB bezogenen Rechtsmittelbeschränkung wird der Schuldspruch rechtskräftig und kann selbst dann nicht mehr abgeändert werden, wenn sich im weiteren Verfahren überraschend die völlige Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten ergibt. Die Beseitigung unerwünschter Rechtskraftfolgen muß im Interesse der Rechtssicherheit dem W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n überlassen bleiben (vgl. B G H a.a.O.). Dieses kann erst n a c h v o l l s t ä n d i g e r R e c h t s k r a f t betrieben werden, da § 359 ausdrücklich ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren voraussetzt (str.; so wie hier Schwarz, Anm. 1 vor § 359 m. weiteren Nachweisen.) b) Die Beschränkung des Rechtsmittels eines als g e f ä h r l i c h e r G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r nach § 20 a StGB Verurteilten, gegen den auch die S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g angeordnet wurde, auf diese letztere Maßregel ist —jedenfalls dann, wenn die Strafen nach § 20 a geschärft worden sind — u n w i r k s a m . Nach B G H 7, 101 soll dies allerdings nicht gelten, wenn ausnahmsweise unter bestimmten Umständen erkennbar kein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Sicherungsverwahrung und der Strafschärfung nach § 20 a StGB besteht. Eine derartige Ausnahme wird jedoch in der Praxis äußerst selten sein, denn die G e f ä h r l i c h k e i t des Täters i. S. des § 20 a StGB und die sich daraus für die Allgemeinheit ergebende Gefahr i. S. des § 4 2 e StGB kann nur e i n h e i t l i c h beurteilt werden. Das auf die Sicherungsverwahrung beschränkte Rechtsmittel erfaßt demnach auch den Strafausspruch, soweit er auf § 20a S t G B beruht. A n d e r e r s e i t s aber reicht das auf die Sicherungsverwahrung beschränkte Rechtsmittel (das, wie gesagt, auch die Frage „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" mit umfaßt) über den Strafausspruch nicht hinaus, d. h. die Schuldfrage bleibt unberührt, da § 20a nicht einen Umstand begründet, der sachlich-rechtlich nicht von der Schuldfrage gelöst werden könnte, insbesondere aber keinen straferhöhenden Umstand im Sinn des § 263 Abs. 2 darstellt. (E. 68, 385.) In einer späteren Entscheidung (E. 73, 81) wird eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sicherungsverwahrung auch für den Fall abgelehnt, daß die Strafe — versehentlich — nicht dem § 20 a entnommen wurde, vorausgesetzt, daß zwischen der Höhe der Strafe und der Ablehnung der Sicherungsverwahrung ein innerer Zusammenhang besteht. c) Zulässig ist die Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Anordnung der U n t e r b r i n g u n g i n e i n e H e i l a n s t a l t nach § 4 2 b StGB. aa) Soweit § 5 1 Abs. 2 ( v e r m i n d e r t e Z.) in Frage steht, kann (wie oben in a) ausgeführt wurde) ein Angeklagter regelmäßig wirksam auf eine Nachprüfung des Schuldspruchs verzichten. Er kann in einem solchen Falle auch seine Anfechtung auf die Maßregel des § 42 b StGB beschränken, da diese hier n e b e n die Strafe tritt. Es kann dann auch eine Nachprüfung geboten sein, ob eine mit Strafe bedrohte Handlung dargetan oder die Zurechnungsfähigkeit rechtlich bedenkenfrei beurteilt worden ist. Diese Nachprüfung kann dann gegebenfalls zur Aufhebung der Maßregel des

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§ 4 2 b S t G B führen, während es bei der daneben ausgesprochenen Strafe, die der Verurteilte nicht beanstandet und also hingenommen hat, bewendet. bb) Schwieriger ist die Rechtslage, wenn das Gericht die Merkmale des § 5 1 Abs. 1 S t G B ( U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t ) festgestellt hat. Dann ist die Sicherungsmaßregel a n d i e S t e l l e der Strafe getreten; sie ist dadurch bedingt, daß das Gericht eine mit Strafe bedrohte, aber nicht schuldhaft begangene Handlung feststellt. Bei dieser ganz besonders gearteten Verfahrenslage ist die Anordnung der Unterbringung so untrennbar mit der Tat- und Schuldfrage verbunden, daß nur eine e i n h e i t l i c h e B e u r t e i l u n g möglich ist, zumal die Unterbringung von der Bejahung der Zurechnungsunfähigkeit abhängt. Dessen ungeachtet ist nach B G H 5, 267 entgegen der Ansicht des Reichsgerichts in E. 7 1 , 265 die Anordnung der Unterbringung auch hier selbständig anfechtbar. Den Freispruch kann der Angeklagte nämlich mangels Beschwer nicht anfechten (siehe auch B H G 7, 153). Daß der Freispruch auf § 51 I S t G B beruht, ist hierbei ohne Bedeutung. Lediglich die Anordnung der Unterbringung beschwert den Angeklagten und berechtigt ihn zu einer Anfechtung des Urteils. Diese Anfechtung kann aber wegen des — z. Z. der Entscheidung E. 7 1 , 265 außer K r a f t gesetzten — Verbots der reformatio in peius nie zu einer Änderung des Schuldspruchs führen. Würde also das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufgehoben, so müßte das neu zu erlassende Urteil wiederum auf Freispruch lauten, und zwar selbst dann, wenn sich ergeben sollte, daß der Angeklagte entgegen der bisherigen Annahme strafrechtlich voll verantwortlich ist. Es wäre daher sinnwidrig, wollte man eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung der Unterbringung nicht zulassen. Der Angeklagte wird durch diese Rechtsmittelbeschränkung in seinen Rechten nicht beeinträchtigt; denn trotz der Teilrechtskraft des Schuldspruchs hat das Gericht im Falle der Zurückverweisung sich erneut mit der Frage zu befassen, ob der Angeklagte wirklich in seiner Zurechnungsfähigkeit ganz oder teilweise beschränkt war. Nur dann nämlich kann die Unterbringung erneut angeordnet werden. (NB. Ergibt sich in der erneuten Hauptverhandlung, daß der Angeklagte voll zurechnungsfähig ist, so muß die Unterbringung in einer Heilund Pflegeanstalt aufgehoben werden; andererseits besteht wegen des Verbots der reformatio in peius keine Möglichkeit, den Angeklagten zu bestrafen: ein unbefriedigendes, aber dogmatisch unvermeidbares Ergebnis, vgl. B G H 1 1 , 320.) d) Sehr streitig und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die F a h r e r l a u b n i s e n t z i e h u n g (§ 4 2 m StGB) unabhängig oder nur zusammen mit dem Strafausspruch angefochten werden kann. (Siehe hierzu B G H bei Daliinger M D R 54, 1 6 ; B G H 6, 183, 184; 10, 266 und Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht 1 1 . Aufl. Anm. 1 9 b zu § 4 2 m StGB). Ubereinstimmung besteht jedoch darin, daß die Anfechtung des Strafausspruchs zugleich auch die Frage der Fahrerlaubnisentziehung erfaßt ( B G H 10, 266).

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6. Die u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g des Rechtsmittels auf einen Teil der Entscheidung hat nicht die Folge, d a ß das Rechtsmittel wirkungslos ist; vielmehr m u ß in einem solchen Falle das Urteil auch wegen der dem angefochtenen Teil in der logischen Reihenfolge vorausgehenden Teile bis zu dem als angefochten gelten, der eine selbständige Nachprüfung zuläßt (E. 65, 296). B. L ö s u n g d e s Falles I. Ist die A n s i c h t d e s Vertreters der S t a a t s a n w a l t s c h a f t richtig? 1. Die Erklärung des M ü l l e r in seinem Schreiben vom 4. Oktober 1959, daß er gegen das Urteil Berufung einlege, da ihm „die Strafe zu hoch" sei, bedeutet eine B e s c h r ä n k u n g der Berufung auf das S t r a f m a ß . Diese Beschränkung des Rechtsmittels hat nach den in Abschnitt A I I 3, S. 129 gemachten Ausführungen zur Folge, daß der übrige Teil des Urteils, insbesondere der S c h u l d a u s s p r u c h in R e c h t s k r a f t übergegangen ist. 2. Durch diese Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß wird aber nicht die Verpflichtung der Strafkammer berührt, v o n A m t s w e g e n z u p r ü f e n , ob alle P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g e n (Verfahrensvoraussetzungen) gegeben sind, bzw. ob Prozeßhindernisse der Weiterführung des Verfahrens entgegenstehen. (Siehe E. 62, 262.) 3. Da, wie im Nachtrag ausgeführt ist, sowohl die s a c h l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t als auch die Fragen der V e r j ä h r u n g u n d des S t r a f a n t r a g s zu diesen Prozeßvoraussetzungen gehören bzw. ihr Vorliegen oder Fehlen V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e darstellen, mußte die Strafkammer im v o r l i e g e n d e n F a l l e v o n A m t s w e g e n auch diese Punkte prüfen, obwohl der Angeklagte seine Berufung auf das Strafmaß beschränkt hatte. Der seitens der S t a a t s a n w a l t s c h a f t vertretene S t a n d p u n k t ist s o m i t r e c h t s i r r i g . II. Die E i n w e n d u n g e n d e s R e c h t s a n w a l t s 1. Bezüglich der Bemängelung des S t r a f a n t r a g s befindet sich der Rechtsanwalt in einem Irrtum, da Gegenstand des Strafverfahrens ein Vergehen nach § 4 U W G bildet, zu dessen Verfolgung gemäß § 22 a.a.O. ein Strafantrag nicht erforderlich ist. W ä r e das Vergehen des § 4 a.a.O. ein A n t r a g s d e l i k t , dann wäre allerdings festzustellen, d a ß der Strafantrag des Konkurrenten vom 15. Oktober 1959, der an sich gemäß § 22 Abs. 3 a.a.O. zur Stellung eines solchen berechtigt wäre, wohl verspätet gestellt worden ist, vorausgesetzt, daß der Konkurrent schon v o r dem 15. Juli 1959 „Kenntnis" von der strafbaren Handlung gehabt hat (§61 StGB). In diesem Falle hätte die Strafkammer das Verfahren wegen F e h l e n s e i n e r P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g (nämlich eines rechtzeitig gestellten Strafantrags) bzw. wegen Vorliegens eines V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e s durch Urteil gemäß § 260 I I I einstellen müssen, und zwar ohne Rücksicht darauf, d a ß im Hinblick auf die Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß der S c h u l d a u s s p r u c h i n R e c h t s k r a f t erwachsen war (E. 65, 150; BGH 6, 304; 13, 128).

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2. Was nun die Frage der V e r j ä h r u n g betrifft, ist die Rechtslage folgende : a) Gemäß § 22 Pressegesetz vom 7. 5. 1874 in der Fassung vom 28. 6. 1935 verjähren Vergehen, welche durch Verbreitung von Druckschriften strafbaren Inhalts begangen werden, in einem J a h r (früher in sechs Monaten). (NB. Abweichendes Landesrecht ist zulässig, da das Presserecht unbeschadet Art. 75 Nr. 2 GG Materie der konkurrierenden Gesetzgebung ist, Einzelheiten vgl. BVerfGer. NJW 57, 1355.) Da im v o r l i e g e n d e n Falle die Tat, an der Müller beteiligt war, am 2. Juli 1959 (Tag der Veröffentlichung des fraglichen Inserats in der Heidelberger Zeitung) begangen wurde, war die V e r j ä h r u n g gemäß § 67 Abs. 4 StGB um 24 Uhr in der Nacht vom 1. zum 2. Juli i960 eingetreten, falls in der Zwischenzeit keine Unterbrechung der Verjährung erfolgt war. b) U n t e r b r o c h e n w i r d d i e V e r j ä h r u n g nach § 68 StGB durch jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist. Zur Unterbrechung der Verjährung geeignet ist jede Handlung des Richters, die bestimmt und geeignet ist, die Erledigung der Strafsache zu fördern und die damit der Verfolgung der zur Untersuchung stehenden Straftat dient. Bei der Entscheidung der Frage, ob eine solche Unterbrechung vorliegt, ist stets der gesamte Inhalt der Akten zu prüfen. (E. 63, 321.) aa) Die Handlung muß w e g e n d e r b e g a n g e n e n T a t vorgenommen werden. Es muß ein historisch bestimmter Vorgang, der als strafbare Handlung erscheint, die Veranlassung zur Vornahme der richterlichen Handlung gegeben haben. bb) Die Unterbrechungshandlung muß sich g e g e n eine b e s t i m m t e Person als T ä t e r oder Teilnehmer richten. Die Handlung muß dazu bestimmt sein, den Täter oder Teilnehmer durch Einleitung oder Fortführung des Strafverfahrens zur Verantwortung zu ziehen. c) Da i m v o r l i e g e n d e n F a l l e aus der Polizeimeldung, die mit den Gerichtsakten an das Amtsgericht Köln gelangt war, ohne weiteres ersichtlich ist, daß mit dem Ersuchen um Zeugenvernehmung lediglich die Einleitung eines Strafverfahrens gegen M ü l l e r beabsichtigt war, konnte auch die L a d u n g des Z e u g e n S c h m i t t vom 7. Juni i960 notwendigerweise nur diesem Zwecke dienen. Daß der Betreff, unter dem die Ladung erfolgte, gegen Karl M a y e r lautete, scheint dabei von untergeordneter Bedeutung zu sein. Die V e r j ä h r u n g d e r S t r a f v e r f o l g u n g g e g e n M ü l l e r m u ß s o m i t a l s d u r c h d i e r i c h t e r l i c h e L a d u n g des Z e u g e n S c h m i t t v o m 7. J u n i i960 u n t e r b r o c h e n g e l t e n . (Würde die Strafkammer das Vorliegen der Verjährung bejahen, so müßte die gleiche Entscheidung wie im Falle des fehlenden Strafantrags — siehe oben Abschnitt II Abs. 2 — getroffen werden.)

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III. Die Entscheidung der Strafkammer (bei Verneinung der Verjährung) wird lauten: Auf die Berufung des Angeklagten Heinrich Müller wird das Urteil des Amtsrichters in Heidelberg vom 15. 9. i960 im Strafmaß dahin abgeändert, daß eine Geldstrafe von 200,— DM, an deren Stelle im Unbeibringlichkeitsfalle 2 Wochen Gefängnis treten, ausgesprochen wird. Die Kosten der Berufung fallen der Staatskasse zur Last. (NB. In Fall 6 Abschn. A II 6, S. 115 über die Kosten wurde erwähnt, daß das Gesetz keine unmittelbare Bestimmung darüber enthält, wie [abgesehen von der Freisprechung] bei v o l l e m E r f o l g e des Rechtsmittels die Kostenentscheidung zu lauten hat, daß aber § 473 Abs. 1 S. 3 entsprechend anzuwenden ist; denn wenn ein t e i l w e i s e r Erfolg eines u n b e s c h r ä n k t eingelegten Rechtsmittels [z. B. Strafherabsetzung bei begehrter Freisprechung] die Wirkung hat, daß das Gericht den Angeklagten von den Kosten t e i l w e i s e entlasten kann, dann muß das Gericht auch die Möglichkeit haben, den Angeklagten bei vollem Erfolg von den Kosten g a n z zu befreien. Für den v o r l i e g e n d e n F a l l ist nun zu beachten, daß bei Beschränkung des Rechtsmittels auf das Strafmaß nicht notwendig j e d e H e r a b s e t z u n g d e r S t r a f e unbedingt als voller Erfolg des Rechtsmittels anzusehen ist. Hat, wie im v o r l i e g e n d e n Falle, der Beschwerdeführer die Ermäßigung der Strafe in das Ermessen des Gerichts gestellt und nimmt dieses eine Herabsetzung der Strafe um mehr als die Hälfte vor, wird man ohne Bedenken dieses Ergebnis als vollen Erfolg bewerten können. [Siehe E. 63, 311 und BGH 5, 52]. Ferner sei abschließend bemerkt, daß die Strafkammer die erstinstanzliche Strafe nicht hätte erhöhen können, da nur der Angeklagte Berufung eingelegt hatte. [Verbot der reformatio in peius. Siehe § 331 und Nachtrag zu Fall 6, S. 121.]) Nachtrag Prozeßvoraussetzungen I. P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g e n (Verfahrensvoraussetzungen, auch Bedingungen der Strafverfolgbarkeit genannt) sind Tatsachen, von deren Vorhandensein die E i n l e i t u n g , oder — falls ihr Fehlen zunächst übersehen worden ist — die Fortsetzung des Strafverfahrens abhängig ist. Die a l l g e m e i n e n Prozeßvoraussetzungen sind diejenigen, die stets gegeben sein müssen, während die b e s o n d e r e n Prozeßvoraussetzungen nur in bestimmten Fällen vorliegen müssen. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. chen

Zu den a l l g e m e i n e n Prozeßvoraussetzungen gehören: Die Z u l ä s s i g k e i t des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten. Die s a c h l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t . Nicht eingetretene V e r j ä h r u n g . Nicht eingetretene A m n e s t i e (E. 71, 252). Nicht bestehende anderweitige R e c h t s h ä n g i g k e i t . Nicht bereits erfolgte r e c h t s k r ä f t i g e E n t s c h e i d u n g in der gleiSache. (Grundsatz ne bis in idem, siehe Fall 12, S. 174.) Hierher

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gehört auch der Fall der durch beschränkte Rechtsmitteleinlegung bewirkten t e i l w e i s e n R e c h t s k r a f t . (Siehe oben die Ausführungen in Abschn. A l l 3, S. 129.) Die Fälle 3 bis 6 sowie die Fälle des folgenden Abschnitts I I I werden auch negative Prozeßvoraussetzungen oder Prozeßhindernisse und „ V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e " genannt (siehe §§ 206 a, 260 Abs. 3 und Fall 6, Abschn. B II 1, S. 116). Ist zweifelhaft, ob eine erforderliche Prozeßvoraussetzung gegeben ist bzw. ob der Durchführung des Verfahrens ein Prozeßhindernis entgegensteht, so gilt auch hier der Grundsatz „in d u b i o p r o r e o " (vgl. Eb. Schmidt Teil I Nr. 177). III. Zu den b e s o n d e r e n Prozeßvoraussetzungengehören: 1. Der S t r a f a n t r a g bei Antragsdelikten. 2. Die Ermächtigung (§ 197 StGB). 3. Die A u f l ö s u n g d e r E h e durch rechtskräftiges Urteil in den Fällen der §§ 170, 172, 238 StGB. IV. Das F e h l e n e i n e r P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g , bzw. das Vorliegen eines Prozeßhindernisses (Verfahrenshindernisses) hat das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens v o n A m t s w e g e n zu berücksichtigen. Dies gilt a u c h f ü r d a s R e v i s i o n s g e r i c h t . (Siehe E. 65, 150; 67, 53; 68, 18 und 120; 72, 379; BGH 6, 304; 7, 26; 8, 269.) V. Das F e h l e n e i n e r P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g bzw. das Vorliegen eines Prozeßhindernisses (Verfahrenshindernisses) hemmt die Einleitung oder Durchführung eines Verfahrens und h i n d e r t s o m i t e i n e e n d g ü l t i g e S a c h e n t s c h e i d u n g . Das Verfahren ist e i n z u s t e l l e n und zwar a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung durch B e s c h l u ß (§ 206a), in der Hauptverhandlung gemäß § 260 Abs. 3 durch U r t e i l . Das gilt selbst dann, wenn der S c h u l d s p r u c h b e r e i t s r e c h t s k r ä f t i g ist und in der Rechtsmittelinstanz nur noch über die Straffrage oder über die Kosten zu entscheiden ist (BGH 6, 304; 13, 128).

ZU FALL 8 I. Vorbemerkungen materiellrechtlicher A r t : 1. Von dem Grundsatz, daß juristische Personen, Korporationen oder andere durch eine K o l l e k t i v b e z e i c h n u n g zusammengefaßte P e r s o n e n e i n h e i t e n nicht als solche, sondern nur insofern beleidigt werden können, als durch die Beleidigung die e i n z e l n e n durch den Kollektivbegriff bezeichneten p h y s i s c h e n Personen betroffen werden, macht das Gesetz in §§ 196, 197 StGB eine p o s i t i v e A u s n a h m e insofern, als Beh ö r d e n und gewisse p o l i t i s c h e K ö r p e r s c h a f t e n als beleidigungsfähig anerkannt werden. (Zur Frage, wieweit abgesehen von den in §§ 196, 197 StGB gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen Personengemeinschaften belei-

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I I . Teil: Lösungen

digungsfähig sind, siehe E. 70, 1 4 1 ; BGH 6, 186; 11,207 sowie Petters, Strafrechtsfälle Erster Teil, Fall 7 Abschnitt A V I S. 226.) 2. Unter „ p o l i t i s c h e r K ö r p e r s c h a f t " i. S. des § 197 (ein Begriff", der den Gegensatz bildet zu privaten u n d religiösen Körperschaften) ist j e d e Körperschaft zu verstehen, die, ohne Behörde zu sein, zur Förderung staatlicher Zwecke rechtlich berufen ist. D a ß unter diesen Begriff auch ein G e m e i n d e r a t fällt, ist nicht zweifelhaft (siehe E. 33, 68). 3. B e l e i d i g u n g e i n e r s o l c h e n K ö r p e r s c h a f t liegt d a n n vor, wenn die Körperschaft in bezug auf die T ä t i g k e i t , die ihr a l s s o l c h e r obliegt, beleidigend angegriffen wird. (Siehe E. 40, 184; 41, 168.) Eine gegen ihre M i t g l i e d e r als E i n z e l p e r s o n e n gerichtete Beleidigung ist daher nicht ohne weiteres eine Beleidigung der Körperschaft, wie umgekehrt eine Beleidigung der Körperschaft nicht notwendigerweise eine solche der Einzelmitglieder darstellt. Es i s t a l s o z w i s c h e n d e r K ö r p e r s c h a f t einerseits u n d ihren M i t g l i e d e r n a n d e r e r s e i t s zu u n t e r s c h e i d e n , zumal die Körperschaft fortbesteht, auch wenn ein Wechsel unter ihren Mitgliedern eingetreten ist. 4. W ä h r e n d die Verfolgung von Beleidigungen der e i n z e l n e n M i t g l i e d e r von der Stellung eines S t r a f a n t r a g s i. S. des § 61 StGB abhängig ist, verlangt das Gesetz zur A h n d u n g einer Beleidigung einer Körperschaft als solcher eine E r m ä c h t i g u n g (§ 197 StGB). D a nun f ü r die Ermächtigung eine besondere F o r m im Gesetz n i c h t vorgeschrieben ist (siehe E. 18, 382), genügt die in dem Strafantrag liegende bestimmte Erklärung des Willens, d a ß die Beleidigung verfolgt werde. U m g e k e h r t aber liegt in einer solchen „ E r m ä c h t i g u n g " nicht ohne weiteres ein Strafantrag der einzelnen Mitglieder zur Verfolgung der gegen sie in ihrer Eigenschaft als Einzelpersonen begangenen Beleidigung. (E. 41, 168; 47- 63.) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e , in dem sowohl eine E r m ä c h t i g u n g als auch S t r a f a n t r ä g e der sämtlichen Einzelmitglieder des Gemeinderats einschließlich des Bürgermeisters vorliegen, sind r e c h t l i c h die f o r m e l l e n V o r a u s s e t z u n g e n sowohl f ü r eine Bestrafung des Täters wegen Beleidigung des Gemeinderats als solchen, als auch f ü r eine strafrechtliche Erfassung einer eventuell gegen die Einzelmitglieder gerichteten K u n d gebung gegeben. (NB. Die Ermächtigung braucht nicht positiv zum Ausdruck zu bringen, daß der Wille auf Strafverfolgung gerichtet ist, sondern n u r negativ, d a ß er der Verfolgung nicht entgegenstehe; die Ermächtigung kann nicht zurückgenommen werden. Siehe E. 33, 66.) 5. Die Bestimmung des § 73 StGB behandelt an sich n u r den Fall der Verwirklichung mehrerer Straftaten durch ein und dieselbe Handlung, wenn diese Straftaten den Tatbestand v e r s c h i e d e n e r Strafgesetze bilden, umfaßt aber seinem Wortlaute nach nicht den Fall, wenn eine u n d dieselbe H a n d l u n g d a s s e l b e Strafgesetz m e h r f a c h verletzt.

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Allein der daselbst ausgesprochene Grundsatz, daß in dem Falle, wenn eine und dieselbe Handlung m e h r e r e S t r a f g e s e t z e verletzt, nur e i n Strafgesetz, und zwar das die schwerste Strafe, bzw. die schwerste Straftat androhende zur Anwendung zu kommen hat, stellt es außer Zweifel, daß auch in dem Falle, wenn eine und dieselbe Handlung eine mehrfache Verletzung d e s s e l b e n Strafgesetzes enthält (sog. gleichartige Idealkonkurrenz), das betreffende Strafgesetz nur e i n m a l zur Anwendung gebracht werden darf (BGH 2, 20). II. Das erste Urteil des A m t s r i c h t e r s 1. Nach § 264, der das Verhältnis des Urteils zur Anklage und zum Eröffnungsbeschluß behandelt, ist d a s G e r i c h t a n d e n E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß i n s o f e r n g e b u n d e n , als es n u r d i e in d i e s e m b e z e i c h nete Tat, nicht aber eine a n d e r e zum Gegenstand der A b u r t e i l u n g m a c h e n d a r f , andererseits aber den Eröffnungsbeschluß e r s c h ö p f e n muß. (Siehe Nachtrag zu Fall 5, S. 108.) a) Dasselbe historische Vorkommnis, d.h. dasselbe konkrete Tun des Angeklagten vorausgesetzt, kann aber das erkennende Gericht wie im Nachtrag zu Fall 5 Abschn. 2 erörtert wurde, sowohl in t a t s ä c h l i c h e r als auch in r e c h t l i c h e r Beziehung von dem Eröffnungsbeschluß abweichen. b) Andererseits aber muß das Gericht im Falle einer Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes die im Eröffnungsbeschluß formulierte Klage v o l l s t ä n d i g e r s c h ö p f e n , d.h. sich in den E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e n über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der in dem Beschlüsse bezeichneten Tatbestandsmerkmale ausdrücklich aussprechen; es darf also die dort angenommene strafrechtliche Qualifikation der Tat nicht mit S t i l l s c h w e i g e n übergehen. Hat das Gericht erster Instanz die Klage nicht vollständig erschöpft, so liegt ein Mangel des Verfahrens vor, welcher im Wege der Revision gemäß § 344 Abs. 2 geltend gemacht werden kann. (Siehe Löwe-Rosenberg Erl. 6 zu § 264; ob darüber hinaus der a b s o l u t e Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 vorliegt, erscheint fraglich, siehe hierzu Fall 18, Abschn. A V 2, S. 236.) 2. D a s U r t e i l d e s A m t s r i c h t e r s ist j e d e n f a l l s i n s o f e r n f e h l e r h a f t , a l s es s i c h n i c h t in d e n G r ü n d e n d a r ü b e r a u s s p r i c h t , daß der Angeklagte einer Beleidigung der Gemeinderatsmitg l i e d e r u n d des B ü r g e r m e i s t e r s n i c h t f ü r s c h u l d i g b e f u n d e n wurde. III. Das Urteil der S t r a f k a m m e r 1. Die s t r a f b a r e H a n d l u n g als solche ist nicht t e i l b a r in dem Sinne, daß in b e z u g a u f e i n e n r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t verurteilt und in bezug auf den anderen freigesprochen wird oder die Erledigung in

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dieser Beziehung einem späteren Urteil vorbehalten bleibt. (Siehe a u c h Fall 18, Abschn. A I 9, S. 231.) W e n n die S t r a f k a m m e r der Ansicht war, d a ß möglicherweise eine Beleidigung d e r Gemeinderatsmitglieder u n d des Bürgermeisters vorliege, so m u ß t e sie die diesbezügliche endgültige P r ü f u n g s e l b s t v o r n e h m e n . Die S t r a f k a m m e r d u r f t e aber den Angeklagten nicht wegen d e r n a c h ihrer Ansicht nicht zutreffenden Beurteilung der T a t freisprechen. Das w a r eine u n z u l ä s s i g e T e i l u n g d e s S c h u l d a u s s p r u c h s . Solange die S t r a f k a m mer e i n e T a t des Angeklagten a n n a h m , konnte sie wegen dieser e i n e n T a t n u r verurteilen oder freisprechen. (Siehe Fall 7, Abschn. A I I 4b, S. 130.) 2. W a s im übrigen die Z u r ü c k v e r w e i s u n g i n d i e e r s t e I n s t a n z betrifft, ist folgendes zu sagen: a) Eine solche Zurückverweisung k a n n g e m ä ß §328 Abs. 2 erfolgen, w e n n das Urteil a n einem M a n g e l leidet, welcher die Revision wegen V e r l e t z u n g e i n e r R e c h t s n o r m ü b e r d a s V e r f a h r e n begründen würde. b ) Die Zurückverweisung h a t aber n u r zu erfolgen, „ w e n n d i e U m s t ä n d e d e s F a l l e s es e r f o r d e r n " , andernfalls erkennt das Berufungsgericht in der Sache selbst. Die Entscheidung d a r ü b e r , ob diese Voraussetzung als gegeben anzusehen ist, liegt in d e m E r m e s s e n d e s G e r i c h t s . Die Zurückverweisung, die übrigens in der Praxis n u r selten v o r k o m m t , wird im allgemeinen n u r d a gerechtfertigt sein, w o d e r d e m V e r f a h r e n a n h a f t e n d e M a n g e l ein f u n d a m e n t a l e r ist u n d nicht n u r einen einzelnen Verfahrensakt, sondern das V e r f a h r e n als Ganzes betrifft. (Siehe § 338 N r . 1, 2, 3, 5, 6, 7.) c) Die S t r a f k a m m e r jedenfalls h a t t e keinen Anlaß, im v o r l i e g e n d e n F a l l e , wo lediglich ein M a n g e l d e r U r t e i l s g r ü n d e vorlag, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen. Sie h ä t t e vielmehr, wie schon oben e r w ä h n t , die Frage, ob d u r c h die K u n d g e b u n g des T ä t e r s möglicherweise die Gemeinderatsmitglieder u n d der Bürgermeister beleidigt worden seien, in e i g e n e r Z u s t ä n d i g k e i t p r ü f e n müssen. D a b e i h ä t t e n s i c h d r e i Möglichkeiten ergeben: aa) W ä r e die S t r a f k a m m e r zur B e j a h u n g dieser F r a g e gelangt, d a n n h ä t t e sie, da j a ein Urteil wegen Beleidigung vorlag, die B e r u f u n g mit der M a ß g a b e verwerfen müssen, d a ß nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern eine solche der Gemeinderatsmitglieder u n d des Bürgermeisters vorliege, vorausgesetzt, d a ß gegen den S t r a f a u s s p r u c h des Amtsrichters keine Bedenken bestanden (siehe E. 27, 193). I n den U r t e i l s g r ü n d e n h ä t t e d a n n erörtert werden müssen, w a r u m die fragliche K u n d g e b u n g nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern n u r eine solche d e r Mitglieder u n d des Bürgermeisters enthalte. bb) W ä r e die S t r a f k a m m e r zu d e m Ergebnis gelangt, d a ß die S t r a f e des Amtsrichters bei dieser Rechtslage z u h o c h sei, d a n n h ä t t e die Beruf u n g mit d e r w e i t e r e n M a ß g a b e v e r w o r f e n w e r d e n müssen, d a ß die Strafe herabgesetzt wird. (Eine E r h ö h u n g der Strafe wäre, d a j a n u r der

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Angeklagte Berufung eingelegt hatte, im Hinblick auf § 331 ausgeschlossen gewesen.) cc) Hätte die Strafkammer die Uberzeugung gewonnen, daß weder eine Beleidigung des Gemeinderats noch eine solche der Mitglieder und des Bürgermeisters vorliege, dann hätte der Angeklagte unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils f r e i g e s p r o c h e n werden müssen.

IV. Das zweite Urteil des Amtsrichters 1. Für die R e v i s i o n gilt der Grundsatz, daß das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden ist ( § 3 5 8 Abs. 1.) 2. Eine gleiche Regelung für die B e r u f u n g s i n s t a n z enthält das G e s e t z n i c h t . Der erstinstanzliche Richter, an den die Sache gemäß § 328 Abs. 2 zurückverwiesen wird, ist in seiner neuen Entscheidung sowohl auf tatsächlichem als auch auf rechtlichem Gebiet vollkommen frei. W i e d e r h o l t e r den formellen oder materiellen Verstoß, so wird das Berufungsgericht auf erneut eingelegte Berufung eine e i g e n e Sachentscheidung treffen müssen, um das Verfahren zum Abschluß zu bringen, wobei das Berufungsgericht an seine frühere Entscheidung ebenfalls nicht gebunden ist. Das U r t e i l d e s A m t s r i c h t e r s , der im v o r l i e g e n d e n F a l l e entgegen der Entscheidung der Strafkammer wieder zu dem gleichen Ergebnis kommt wie in seiner ersten Entscheidung, enthält demnach k e i n e G e s e t zesverletzung.

V. Das Urteil des Oberlandesgerichts 1. Das Urteil des Amtsrichters wurde vom Staatsanwalt gemäß § 335 mit der R e v i s i o n angefochten. Nach §§ 344, 352 wird die Prüfung des Revisionsrichters durch die Begründung der Revisionsanträge dergestalt begrenzt, daß, wenn bloße M ä n g e l d e s V e r f a h r e n s gerügt werden, die in der Entscheidung selbst enthaltene unrichtige Anwendung einer Rechtsnorm nicht zur Aufhebung des Urteils führen kann. (Siehe Fall 9, Abschn. A V I I 1, S. 143.) 2. D a im v o r l i e g e n d e n F a l l e der Staatsanwalt l e d i g l i c h einen s p e z i e l l e n p r o z e s s u a l e n V e r s t o ß , nämlich eine angebliche Verletzung des § 3 2 8 Abs. 2 gerügt hat, ist das Oberlandesgericht n i c h t z u e i n e r A u f h e b u n g des amtsgerichtlichen Urteils b e f u g t , obwohl es zu der Uberzeugung gelangte, daß das Strafgesetz unrichtig angewandt wurde, d. h. daß der Angeklagte nicht einer Beleidigung des Gemeinderats, sondern nur einer solchen der einzelnen Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters schuldig sei. 3. Da, wie oben ausgeführt, die prozessuale Rüge des Staatsanwalts u n b e g r ü n d e t ist, hat das U r t e i l d e s O b e r l a n d e s g e r i c h t s zu lauten: „ D i e Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts wird als unbegründet verworfen. Die Staatskaase hat die Kosten des Verfahrens zu tragen."

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II. Teil: Lösungen

ZU FALL 9 A. Vorbemerkung: Das Rechtsmittel der Revision I . Die R e v i s i o n ist gemäß § 333 gegen die Urteile der S t r a f k a m m e r n und der S c h w u r g e r i c h t e , ferner gemäß § 334 gegen die Urteile des A m t s r i c h t e r s i n s o w e i t zulässig, als nach § 3 1 3 die Berufung ausgeschlossen ist, also wenn es sich um Ü b e r t r e t u n g e n handelt und entweder Freispruch erfolgte oder ausschließlich auf Geldstrafe erkannt wurde. Schließlich ist die Revision auch gegen berufungsfähige Urteile nach freier Wahl des Beschwerdeführers an S t e l l e d e r B e r u f u n g möglich (sog. S p r u n g r e v i s i o n nach § 335); dabei genügt es, wenn der Anfechtende innerhalb der Anfechtungsfrist lediglich erklärt hat, daß er das Urteil anfechte; er muß dann allerdings innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 I) die Revisionsanträge und deren Begründung in der Form des § 345 II anbringen, andernfalls die Anfechtung als Berufung zu behandeln ist (BGH 2, 63). II. Die Revision (§ 333) ist ein b e s c h r ä n k t e s R e c h t s m i t t e l . Sie hat nicht die Wirkung, daß eine Uberprüfung der untergerichtlichen Tatfrageentscheidung erfolgt, sondern führt nur eine Uberprüfung der Rechtsfrageentscheidung sowie des die untergerichtliche Entscheidung tragenden Verfahrens herbei, und zwar nur in der Richtung des Revisionsangriffs. Die Feststellungen k o n k r e t e r T a t s a c h e n durch das Untergericht, insbesondere auch seine B e w e i s w ü r d i g u n g sind durch die Revision grundsätzlich nicht zu erschüttern, es sei denn, daß die die Tatsachenfeststellungen betreffenden Urteilsgründe W i d e r s p r ü c h e oder Verstöße gegen E r f a h r u n g s s ä t z e oder die D e n k g e s e t z e enthalten; denn deren Berücksichtigung fällt nicht in das Gebiet der durch § 261 dem Tatrichter vorbehaltenen Beweiswürdigung, sondern gehört vielmehr zur „richtigen" Anwendung der Rechtsnormen auf die festgestellten Tatsachen, die das Revisionsgericht nach § 337 nachzuprüfen hat. (E. 61, I 54-) III. Die E i n l e g u n g der Revision erfolgt, ebenso wie die der Berufung (siehe § 314) bei dem Gericht, dessen Urteil a n g e f o c h t e n w i r d , zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich, und zwar innerhalb einer Woche nach Verkündung bzw. Zustellung des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Angeklagten verkündet wurde (§ 341). (Wegen § 342 siehe Fall 10, Abschn. A I I 1.) Binnen zwei w e i t e r e n Wochen muß eine Revisionsrechtfertigung erfolgen (§ 345). (Siehe unten Abschn. B I und E. 76, 280.) Das Gericht, dessen E n t s c h e i d u n g a n g e f o c h t e n w i r d , hat, ebenso wie bei der Berufung, zu prüfen, ob die Revision r e c h t z e i t i g eingelegt und ob die Revisionsanträge und deren Begründung rechtzeitig und in der v o r g e s c h r i e b e n e n F o r m angebracht sind. Ist eine dieser Fragen zu verneinen, so wird die Revision durch B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g

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verworfen (§ 346). Gegen diesen Beschluß k a n n b i n n e n einer W o c h e A n t r a g auf Entscheidung des Revisionsgerichts gestellt w e r d e n . (Das in Fall 7 Abschn. A. I 3 a, S. 125 zu § 3 1 9 Abs. 2 Ausgeführte gilt entsprec h e n d f ü r § 346 Abs. 2.) D u r c h r e c h t z e i t i g e E i n l e g u n g d e r Revision wird, ebenso wie gem ä ß § 3 1 6 bei der Berufung, die Rechtskraft des Urteils, soweit es angefochten ist, g e h e m m t , § 3 4 3 Abs. 1. (Wegen der Revisionsrechtfertig u n g s g r ü n d e siehe Abschn. B I 1, S. 147.) G e m ä ß § 3 4 7 wird n u n m e h r die Revisionsschrift d e m Gegner, der b i n n e n einer W o c h e eine Gegene r k l ä r u n g einreichen k a n n , zugestellt. D a n n erfolgt die E i n s e n d u n g der Akten an das Revisionsgericht. I V . Ebenso wie das Berufungsgericht (siehe § 322) h a t a u c h das R e v i s i o n s g e r i c h t zunächst eine V o r p r ü f u n g v o r z u n e h m e n u n d d u r c h B e s c h l u ß die Revision zu verwerfen, w e n n es sie f ü r u n z u l ä s s i g hält (§ 349 Abs. 1). D a s Revisionsgericht h a t aber, im Gegensatz z u m Berufungsgericht, a u c h eine s a c h l i c h e V o r p r ü f u n g v o r z u n e h m e n u n d die Revision d u r c h B e s c h l u ß d a n n als u n b e g r ü n d e t zu verwerfen, w e n n es dieselbe einstimmig f ü r o f f e n s i c h t l i c h u n b e g r ü n d e t h ä l t ( § 3 4 9 1 1 ) . (Siehe Fall 11, Abschn. B I V , 1 b.) V . W e d e r die A n w e s e n h e i t des A n g e k l a g t e n noch diejenige eines V e r t e i d i g e r s ist in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g erforderlich. Der nicht auf freiem F u ß befindliche Angeklagte h a t keinen A n s p r u c h auf V o r f ü h r u n g (§ 35°)• Die H a u p t v e r h a n d l u n g b e g i n n t mit d e m V o r t r a g des Berichterstatters, i h m folgt derjenige des Beschwerdeführers (§ 351). V I . Die s c h r i f t l i c h e U r t e i l s b e g r ü n d u n g u n d der I n h a l t des S i t z u n g s p r o t o k o l l s der letzten H a u p t v e r h a n d l u n g bilden die G r u n d l a g e f ü r die P r ü f u n g d e r Frage, o b eine Revision erfolgreich d u r c h g e f ü h r t w e r d e n k a n n ; m ü n d l i c h v e r k ü n d e t e Urteilsgründe sowie V o r g ä n g e in der H a u p t v e r h a n d l u n g , die aus d e m Sitzungsprotokoll nicht hervorgehen, sind f ü r die Revision bedeutungslos. Ebensowenig können neue T a t s a c h e n u n d neue Beweismittel vorgebracht werden. V I I . D a s angefochtene Urteil unterliegt, wie schon oben (unter I.) erw ä h n t wurde, n u r e i n e r N a c h p r ü f u n g i n r e c h t l i c h e r B e z i e h u n g , w ä h r e n d die t a t s ä c h l i c h e n Feststellungen des Untergerichts f ü r das Revisionsgericht b i n d e n d sind. Die N a c h p r ü f u n g darf ferner n u r erfolgen i n n e r h a l b d e r g e s t e l l t e n R e v i s i o n s a n t r ä g e (§ 352). (Wegen der f ü r die t e i l w e i s e A n f e c h t u n g geltenden G r u n d s ä t z e siehe Fall 7, Abschn. A I I , S. 129.) Hierbei ist folgendes zu beachten (§ 344): 1. Will der Beschwerdeführer einen V e r s t o ß im V e r f a h r e n rügen (z. B. Verletzung d e r Bestimmungen ü b e r Beeidigung oder Nichtvereidigung von Zeugen oder Sachverständigen, ü b e r Verlesbarkeit von U r k u n d e n , ü b e r das Erfordernis des Hinweises auf die V e r ä n d e r u n g des

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II. Teil: Lösungen

rechtlichen Gesichtspunktes, oder Verletzung der die absoluten Revisionsgründe enthaltenden Bestimmungen des §338), so genügt n i c h t d i e b l o ß e B e h a u p t u n g , d a ß das Urteil auf Mängeln des Verfahrens beruhe. V i e l m e h r m u ß in allen diesen Fällen der Beschwerdeführer diejenigen T a t s a c h e n einzeln anführen, die die Verletzung der Verfahrensnorm ergeben (§ 344 I I , S. 2 u n d BGH 2, 168 u. 304). D i e V e r f a h r e n s r ü g e ist n u r d a n n o r d n u n g s g e m ä ß e r h o b e n , wenn die d e n M a n g e l e n t h a l t e n d e n T a t s a c h e n mit Bestimmth e i t b e h a u p t e t w e r d e n , z. B. wenn die Revision rügt, ein Zeuge sei ohne gesetzlichen G r u n d unvereidigt geblieben. Z u m Beweis der behaupteten Tatsache kann die Revision sich auf das Protokoll berufen (vgl. § 274). Die Verfahrensrüge ist dagegen nicht ordnungsgemäß erhoben, w e n n die Revision lediglich vorträgt, aus dem Protokoll sei nicht ersichtlich, ob der Zeuge vereidigt wurde oder nicht; eine Vereidigung sei d a h e r anscheinend unterbleiben. D e r a r t i g e P r o t o k o l l r ü g e n s i n d u n z u l ä s s i g (BGH 7, 162). Ist die Anfechtung auf eine Verfahrensrüge beschränkt, so darf ferner n u r d e r j e n i g e s p e z i e l l e V e r f a h r e n s v e r s t o ß , den der Beschwerdeführer gerügt hat, nachgeprüft werden. Andere nicht gerügte Verfahrensverstöße kann in diesem Falle das Revisionsgericht ebensowenig prüfen wie die Frage, ob die m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e A u f f a s s u n g des Untergerichts Mängel aufweist. Von den hier erwähnten e i g e n t l i c h e n V e r f a h r e n s n o r m e n , deren Verletzung ausdrücklich gerügt werden m u ß , sind zu unterscheiden die V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g e n (Prozeßvoraussetzungen u n d Prozeßhindernisse), die in j e d e m Stadium des Verfahrens v o n A m t s w e g e n , also o h n e R ü g e zu prüfen sind. (Siehe E. 68, 18; BGH 7, 26 u n d Nachtrag zu Fall 7, S. 136.) 2. Bei der R ü g e m a t e r i e l l e r R e c h t s v e r l e t z u n g e n genügt die b l o ß e B e h a u p t u n g des Beschwerdeführers, d a ß durch das Urteil das materielle Recht verletzt sei (§ 344 e contrario). Das Revisionsgericht ist d a n n verpflichtet, von Amts wegen das Urteil n a c h a l l e n R i c h t u n g e n h i n auf das Vorhandensein materieller Mängel zu prüfen, auch wenn der Beschwerdeführer den einen oder anderen Punkt speziell hervorgehoben h a b e n sollte. Bei der m a t e r i e l l e n Rechtsverletzung sind folgende z w e i F ä l l e zu unterscheiden: a ) ein R e c h t s s a t z ist auf einen Sachverhalt a n g e w e n d e t w o r d e n , der nicht unter diesen Rechtsatz subsumiert werden konnte. H a t z. B. der Verkäufer einer beweglichen Sache nach Abschluß des Kaufvertrags u n d Zahlung des Kaufpreises den in seinem Besitz gebliebenen Kaufgegenstand anderweitig nochmals verkauft, u n d ist er auf G r u n d dieses Tatbestands wegen Unterschlagung verurteilt worden, so wird die Revision mit Erfolg Verletzung des § 246 StGB d u r c h Anw e n d u n g rügen, weil der Angeklagte d u r c h den Verkauf der Sache o h n e nachfolgende Ü b e r g a b e das Eigentum an der Sache nicht verloren hatte, somit der angeblich unterschlagene Gegenstand f ü r ihn kein fremder war.

Fall 9

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b) Die A n w e n d u n g eines Gesetzes ist u n t e r b l i e b e n , obwohl nach dem festgestellten Sachverhalt seine Anwendung geboten war. Ist z. B. bei Feststellung eines Diebstahls geringwertiger Gegenstände in den Urteilsgründen zum Ausdruck gebracht, d a ß der Täter sich in einer Notlage befunden habe, und ist trotzdem Urteil wegen Vergehens nach § 242 StGB ergangen, d a n n wird die Revision mit Erfolg darauf gestützt werden können, daß § 242 durch Anwendung und § 248 a StGB durch Nichtanwendung verletzt sei. 3. Wegen Gesetzesverletzung bei der S t r a f f i n d u n g siehe Fall 18, Abschn. A V 5, S. 236. VIII. Stellt sich die Revision als u n b e g r ü n d e t heraus, so ist sie zu verwerfen. Ist sie dagegen b e g r ü n d e t , so wird das angefochtene Urteil aufgehoben, § 353 Abs. 1. Gleichzeitig sind die d e m U r t e i l z u g r u n d e l i e g e n d e n F e s t s t e l l u n g e n a u f z u h e b e n , s o f e r n sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren die Aufhebung des Urteils erfolgte, § 353 Abs. 2. Hierbei ist folgendes zu beachten: die tatsächlichen Feststellungen sind i m m e r a u f z u h e b e n , wenn das Urteil wegen v e r f a h r e n s r e c h t l i c h e r Gesetzesverletzung aufgehoben werden muß, denn in diesem Falle muß der b e t r o f f e n e T e i l in gesetzmäßiger Weise w i e d e r h o l t werden, was ohne Änderung der tatsächlichen Feststellungen nicht möglich ist. Dagegen müssen im Falle einer s a c h l i c h r e c h t l i c h e n Gesetzesverletzung die tatsächlichen Feststellungen n u r d a n n aufgehoben werden, wenn die bisherigen Feststellungen ergänzt werden müssen, um die Tat unter allen für sie in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten nachprüfen zu können. Selbstverständlich ist eine teilweise Aufhebung der tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich d e r s e l b e n T a t ausgeschlossen. (NB. B e r i c h t i g u n g e n d e r U r t e i l s f o r m e l sind trotz Verwerfung der Revision möglich und zwar dann, wenn eine u n d e u t l i c h gefaßte Urteilsformel klargestellt werden soll, wenn eine nach den Urteilsgründen tatsächlich erfolgte Verurteilung keinen vollständigen und klaren Ausdruck in der Urteilsformel gefunden hat; siehe hierzu E. 54, 203 und 290.) Ein Urteil unterliegt, wie sich aus den obigen Ausführungen zusammenfassend ergibt, der Aufhebung i n f o l g e R e v i s i o n , wenn f o l g e n d e d r e i V o r a u s s e t z u n g e n gegeben sind: 1. Wenn eine V e r l e t z u n g d e s G e s e t z e s stattgefunden hat (§ 337), und zwar e n t w e d e r infolge eines Fehlers im V e r f a h r e n (Verletzung eines Satzes des Strafprozeßrechts in seiner Anwendung auf den gegenwärtigen Prozeß, die fehlerhafte Vornahme oder Nichtvornahme einer Prozeßhandlung, insbesondere einer dem Urteil vorangegangenen Entscheidung) o d e r infolge eines in der m a t e r i e l l r e c h t l i c h e n E n t s c h e i d u n g liegenden Fehlers, indem entweder der von dem Vorderrichter festgestellte Tatbestand die erfolgte Gesetzesanwendung nicht rechtfertigt oder ein Gesetz außer Anwendung geblieben ist, welches auf diesen Tatbestand hätte angewendet werden müssen. P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

2. W e n n das Urteil a u f d e r V e r l e t z u n g b e r u h t , d. h., w e n n im Falle der Verletzung einer m a t e r i e l l e n R e c h t s n o r m ohne diese Verletzung die Entscheidung nicht so h ä t t e ergehen können, wie sie ergangen ist, u n d im Falle d e r Verletzung einer p r o z e ß r e c h t l i c h e n N o r m , w e n n nicht klar erhellt, d a ß die Verletzung einen Einfluß auf das Urteil nicht g e h a b t h a t , w e n n also die M ö g l i c h k e i t besteht, d a ß das Urteil auf d e m prozessualen Verstoß b e r u h t , wobei eine solche Möglichkeit ohne weiteres unterstellt wird, w e n n es sich u m einen sog. absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 handelt. 3. W e n n eine g e s e t z m ä ß i g e R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g (Revisionsantrag u n d Begründung) erfolgt ist. (NB. T r o t z Vorliegens eines K a u s a l z u s a m m e n h a n g s darf, w e n n bei Verletzung einer lediglich z u g u n s t e n des Angeklagten gegebenen Rechtsn o r m — z. B. Fälle N r . 5 u n d 8 des § 338 oder § 265 •— trotzdem zu seinen Gunsten e r k a n n t w o r d e n ist, j e n e G e s e t z e s v e r l e t z u n g n i c h t d a z u b e n u t z t werden, eine A u f h e b u n g des Urteils z u m N a c h t e i l d e s A n g e k l a g t e n h e r b e i z u f ü h r e n , § 339. Siehe hierzu E. 29, 44, u n d N J W 1947, S. 312.) I X . N a c h A u f h e b u n g des Urteils entscheidet ausnahmsweise d a s R e v i s i o n s g e r i c h t a n Stelle des Gerichts der Vorinstanz i n d e r S a c h e s e l b s t , w e n n es sich u m A u f h e b u n g wegen m a t e r i e l l e r G e s e t z e s v e r l e t z u n g handelt, u n d w e n n o h n e weitere tatsächliche E r ö r t e r u n g e n n u r auf völlige oder teilweise Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist, d. h. eine solche, bei deren V e r h ä n g u n g d e m richterlichen Ermessen kein Spielraum gewährt wird (z. B. eine Geldstrafe, die in d e m m e h r f a c h e n Betrage einer hinterzogenen A b g a b e besteht), o d e r das Revisionsgericht in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit d e m A n t r a g d e r Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe f ü r angemessen erachtet (§ 354 I). (Wegen V e r w e i s u n g a n d a s z u s t ä n d i g e G e r i c h t i m Falle des § 355 siehe Fall 1, Abschn. B V I 3, u n d wegen der Möglichkeit einer K l a r s t e l l u n g der Urteilsformel siehe oben Abschn. V I I I , Abs. 1 a m Ende.) Siehe schließlich a u c h § 354 a, w o n a c h das Revisionsgericht auch d a n n in der Sache selbst zu entscheiden hat, w e n n es das Urteil a u f h e b t , weil z. Z. der E n t scheidung des Revisionsgerichts ein anderes (milderes oder schärferes) Gesetz gilt, als z. Z. des Erlasses der angefochtenen Entscheidung. I n a l l e n a n d e r e n F ä l l e n ( u n d das ist die Regel) wird die Sache z u r a n d e r w e i t e n V e r h a n d l u n g u n d Entscheidung in d i e V o r i n s t a n z z u r ü c k v e r w i e s e n (§ 354 I I ) . Der Urteilstenor lautet in diesem Falle z. B.: „ D a s Urteil der S t r a f k a m m e r X wird nebst den i h m z u g r u n d e liegenden Feststellungen a u f g e h o b e n u n d die Sache z u r weiteren Verh a n d l u n g u n d Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen." ( Ü b e r die Kostenfrage wird erst in d e m E n d u r t e i l entschieden.) (Die Berufungsinstanz dagegen entscheidet grundsätzlich in der Sache selbst u n d verweist n u r ausnahmsweise in die Vorinstanz zurück, nämlich i m Falle des § 328 Abs. 2. Siehe Fall 7, Abschn. A I 2, S. 125.)

Fall g

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X . Das Gericht, an welches die Sache verwiesen ist, hat eine neue H a u p t v e r h a n d l u n g durchzuführen, bei der sie an die der A u f h e b u n g des Urteils zugrunde liegende R e c h t s a n s i c h t des Revisionsgerichts g e b u n d e n ist (§ 358 A b s . 1). W i r d das neue Urteil bei gleichen Feststellungen wieder mit der Revision angefochten, so ist das Revisionsgericht selbst a u c h an seine frühere rechtliche Beurteilung gebunden (E. 59, 34). (Siehe a u c h § 354a.) X I . W e n n das Urteil n u r v o n d e m A n g e k l a g t e n oder z u seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft a n g e f o c h t e n war, kann es nicht z u m N a c h t e i l des Angeklagten geändert werden. (§ 358 Abs. 2). ( Z u § 357 siehe unten Abschn. B I I I 5, S. 158.)

B. Lösung des Falles I. Entspricht die Revisionsrechtfertigung des Rechtsanwalts Fischer den Vorschriften der Strafprozeßordnung? 1. D i e Form d e r R e c h t f e r t i g u n g . a) D i e F o r m , in welcher die Revisionsrechtfertigung des Angeklagten anzubringen ist, schreibt § 345 A b s . 2 vor; verlangt wird eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder Erklärung des Angeklagten zu Protokoll der Geschäftsstelle. Die Einreichung einer formlosen Rechtfertigungsschrift ist also ausgeschlossen. Der G r u n d d e r B e s t i m m u n g ist ein doppelter: einmal soll erreicht werden, d a ß dem Revisionsgericht die Prüfung g a n z grundloser oder unverständlicher Anträge, wie sie häufig von Winkelschreibern verfaßt werden, erspart bleibt; z u m anderen liegt es im Interesse des A n geklagten selbst, d a ß seine A n t r ä g e usw. nicht in ungeeigneter Weise gestellt werden. (E. 18, 104; 64, 65.) b) Die U n t e r z e i c h n u n g der Rechtfertigungsschrift durch einen Rechtsanwalt oder den Verteidiger wird verlangt, und z w a r mit d e m vollen bürgerlichen Namen. N i c h t e r f o r d e r l i c h i s t d a g e g e n e i n e e i g e n h ä n d i g e U n t e r s c h r i f t . N a c h B G H 8, 174 (177) kann sich der Verteidiger bei der Unterzeichnung mit seinem N a m e n vertreten lassen. Folgt man dieser Ansicht, so ist es auch zulässig, d a ß der Verteidiger die Revision t e l e g r a f i s c h begründet und hierbei das T e l e g r a m m fernmündlich aufgibt. Entscheidend ist allein, d a ß der Verteidiger den zuständigen Postbediensteten ermächtigt, einen bestimmten T e x t aufzunehmen, mit seiner Unterschrift zu versehen und telegrafisch weiterzuleiten (vgl. B G H a. a. O . ) . Streitig und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Frist zur Begründung der Revision a u c h d a n n gewahrt ist, wenn das T e l e g r a m m zunächst nur fernmündlich zugesprochen wurde, die T e l e g r a m m u r k u n d e aber noch nicht bei Gericht eingegangen ist. D i e Frage wird in B G H 14, 233 grundsätzlich bejaht, j e d o c h mit der Einschränkung, d a ß der T e l e g r a m m i n h a l t 10*

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I I . Teil: Lösungen

an eine zur Entgegennahme der Erklärung befugte Person des zuständigen Gerichts durchgegeben werden muß und diese darüber eine den Wortlaut des Telegramms wiedergebende Aktennotiz fertigt. Zur Begründung wird auf § 26 TelegrO hingewiesen, wonach auch die fernmündliche Durchsage als Zustellung des Telegramms gilt. Einzelheiten siehe B G H a.a.O. D i e R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g des R e c h t s a n w a l t s F i s c h e r , die e i g e n h ä n d i g u n t e r s c h r i e b e n ist, g e n ü g t den F o r m e r f o r d e r n i s s e n d e s § 345 I I .

2. Der Inhalt der R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g .

a ) I m Gegensatz zu der Berufung bedarf die Revision stets einer R e c h t f e r t i g u n g ; die bloße Einlegung des Rechtsmittels genügt nicht, um die Sache zur Entscheidung des Revisionsrichters zu bringen. Die Revisionsrechtfertigung setzt sich nach § 344 zusammen aus dem R e v i s i o n s a n t r a g und der B e g r ü n d u n g desselben. b ) Die Bestimmung des § 344 wird ergänzt durch diejenige des § 352, nach der die G r u n d l a g e u n d den S t o f f f ü r d i e E n t s c h e i d u n g des Revisionsrichters der I n h a l t d e r R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g bildet, während die §§ 337, 338, die von der Begründung der Revision in abstracto handeln, die Bestimmungen darüber enthalten, was überhaupt Gegenstand der Beurteilung des Revisionsgerichts sein kann. aa) Über die R e v i s i o n s a n t r ä g e sagen die Motive (siehe LöweRosenberg Anm. 3 zu § 344): „Sie sollen den Streitgegenstand für die Revisionsinstanz feststellen; sie beziehen sich lediglich auf die U r t e i l s f o r m e l und müssen erkennen lassen, ob diese in ihrem ganzen Umfange oder nur zum Teil als unrichtig angegriffen wird. Dies hat seine besondere Bedeutung in den Fällen, wenn das Urteil mehrere strafbare Handlungen zum Gegenstande hat, oder wenn es mehrere Strafen nebeneinander verhängt." (Siehe wegen teilweiser Revision die Ausführungen in Fall 7 Abschn. A I I , S. 129.) Gegenstand des Antrags ist immer nur die A u f h e b u n g des Urteils; einen Antrag bezüglich der im Falle der Aufhebung zu treffenden weiteren Entscheidung (§§ 354, 355) braucht der Beschwerdeführer nicht zu stellen. bb) Bezüglich der B e g r ü n d u n g der Revisionsanträge äußern sich die Motive folgendermaßen: „ E s ergibt sich aus § 344 Abs. 2, daß erkennbar sein muß, ob die behauptete Gesetzesverletzung in der E n t s c h e i d u n g s e l b s t oder in dem ihr zugrunde liegenden V e r f a h r e n oder in beiden zugleich gefunden werde. In dieser Beziehung wird die Prüfung des Revisionsrichters durch die Begründung der Revisionsanträge dergestalt b e g r e n z t , daß beispielsweise dann, wenn bloß Mängel des Verfahrens gerügt werden, die in der Entscheidung selbst enthaltene unrichtige Anwendung einer Rechtsnorm nicht zu der Aufhebung des Urteils führen kann." Sonach kann, wenn die Revision lediglich auf prozessuale Verstöße gegründet ist, an sich der Fall vorkommen, daß das Revisionsgericht das Rechtsmittel verwerfen muß, obwohl aus dem Urteil selbst klar erhellt, daß das Strafgesetz unrichtig angewendet ist.

Fall 9

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Die allgemeine Redewendung, das Urteil werde, „in seinem ganzen U m f a n g e " angefochten, kann als zulässige Revisionsbegründung nicht angesehen werden. (E. 44, 261.) (Siehe auch E. 73, 2 3 : Die Revision ist unzulässig, wenn der Rechtsanwalt in der Revisionsbegründung zu erkennen gibt, daß er nicht die Verantwortung für die Revisionsbegründung übernehmen will. Das Rechtsmittel ist in einem solchen Falle als u n z u l ä s s i g zu verwerfen. § 349 I Satz 1. Siehe schließlich E. 64, 63: Eine vom Angeklagten verfaßte unsachgemäße Revisionsbegründung, die er z u P r o t o k o l l d e s U r k u n d s b e a m t e n d e r G e s c h ä f t s s t e l l e diktiert, ist unwirksam, wenn der Beamte zu erkennen gibt, daß er die Verantwortung für den Inhalt nicht übernehmen könne.) A u s den v o r s t e h e n d e n E r ö r t e r u n g e n im Z u s a m m e n h a n g mit d e n A u s f ü h r u n g e n i n d e r V o r b e m e r k u n g (Abschn. A V I I , S. 143) e r g i b t s i c h , d a ß d i e R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g des R e c h t s a n w a l t s Fischer auch inhaltlich den A n f o r d e r u n g e n der S t r a f p r o z e ß o r d n u n g g e n ü g t . A l l e r d i n g s ist es in der Praxis üblich, die angeblich verletzte Rechtsnorm durch B e z e i c h n u n g des betreffenden G e s e t z e s p a r a g r a p h e n i n der Revisionsrechtfertigung zu erwähnen; vorgeschrieben ist aber eine solche Benennung nicht.

II. Die 3 Revisionsrügen 1 . Die N i c h t a u s d e h n u n g der B e w e i s a u f n a h m e a u f d e n Z e u g e n B r e n n e i s e n und A b l e h n u n g des V e r t a g u n g s a n t r a g s ohne Gründe. a ) Eine unbedingte Pflicht zur Vernehmung eines g e l a d e n e n Zeugen besteht gemäß § 245 S. I nur dann, wenn der Zeuge e r s c h i e n e n ist. Will ein Prozeßbeteiligter einen geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen vernommen haben, so muß er in der Hauptverhandlung die Ladung beantragen. Dieser Antrag kann dann vom Gericht rechtswirksam n u r aus den in § 244 Abs. 3 im e i n z e l n e n angeführten G r ü n d e n abgelehnt werden. b ) Einen unmittelbaren, unbedingten A n s p r u c h a u f A u s s e t z u n g b z w . V e r t a g u n g der Hauptverhandlung hat der Angeklagte nicht, denn er würde j a sonst eine Möglichkeit besitzen, das Verfahren dadurch in die Länge zu ziehen, daß er Zeugen ladet, von denen er von vornherein weiß, daß sie nicht erscheinen werden. Andererseits aber m u ß das Gericht, falls es die Vernehmung eines geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen nicht aus einem der in § 244 Abs. 3 aufgeführten Gründe (s. Nachtrag Abschn. B I I I 2 a—g, S. 162) ablehnen kann, und Staatsanwaltschaft und Angeklagter auf die Vernehmung nicht verzichten, die Verhandlung vertagen zwecks Herbeischaffung des Zeugen. O b dem Gericht im v o r l i e g e n d e n F a l l e , in dem der V e r t a g u n g s a n t r a g z u g l e i c h e i n e n B e w e i s a n t r a g (Vernehmung des Zeugen Brenneisen) enthielt, ein gesetzlicher Ablehnungsgrund zur Seite stand, ist aus dem Tatbestand nicht zu erkennen.

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I I . Teil: Lösungen

c ) Jedenfalls aber liegt im v o r l i e g e n d e n F a l l e insofern eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g vor, als der gemäß §§ 228 Abs. i, 244 Abs. 6 erlassene G e r i c h t s b e s c h l u ß o h n e G r ü n d e geblieben ist entgegen der allgemeinen Vorschrift des § 34, wonach alle Entscheidungen, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, mit G r ü n d e n v e r s e h e n sein müssen, es sei denn, daß sich die Begründung aus dem Inhalt des Beschlusses von selbst ergibt. Diese Vorschrift beruht vor allem auf der Notwendigkeit, für die Beteiligten sowohl als für den Revisionsrichter klar ersichtlich zu machen, ob r e c h t l i c h e oder t a t s ä c h l i c h e Gründe die Ablehnung des Antrags herbeigeführt haben. Eine Begründung wäre nur dann entbehrlich gewesen, wenn der Antrag selbst nicht begründet gewesen wäre oder wenn der Antragsteller über die Ablehnungsgründe nicht hätte im Zweifel sein können. (E. 57, 44.) d) Nach § 338 Nr. 8 liegt ein a b s o l u t e r R e v i s i o n s g r u n d vor, wenn die V e r t e i d i g u n g in einem für die Entscheidung w e s e n t l i c h e n P u n k t e durch einen Beschluß des Gerichts u n z u l ä s s i g b e s c h r ä n k t worden ist. Darin liegt zunächst, worauf in der Wissenschaft immer wieder hingewiesen wird, ein i n n e r e r W i d e r s p r u c h , indem einerseits die unzulässige Beschränkung der Verteidigung vom Gesetzgeber den a b s o l u t e n Revisionsgründen zugerechnet worden ist, gleichzeitig aber nur dann zur Aufhebung des Urteils führen soll, wenn die Beschränkung einen für die Entscheidung w e s e n t l i c h e n P u n k t betrifft, mit anderen Worten, wenn auf ihr das U r t e i l b e r u h t . M a n muß daher zu dem Ergebnis kommen, daß die u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g tatsächlich zu den r e l a t i v e n Revisionsgründen des § 337 gehört. (Siehe E. 44, 345.) aa) O b im v o r l i e g e n d e n F a l l e § 338 Nr. 8 insofern zur Anwendung gelangen kann, als schon die A b l e h n u n g a l s s o l c h e eine u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g bedeutete, kann dahingestellt bleiben, da, wie schon oben bemerkt, aus dem Tatbestand nicht ersichtlich ist, ob ein gesetzlicher Ablehnungsgrund i. S. des § 244 Abs. 3 vorlag. bb) Jedenfalls aber bedeutete das F e h l e n e i n e r B e g r ü n d u n g für die Ablehnung des Vertagungs- bzw. Beweisantrags eine u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g . Denn wäre die Entschließung des Gerichts, die Verhandlung nicht zu vertagen, dem Angeklagten mit G r ü n d e n versehen bekanntgegeben worden, dann hätte er bzw. sein Verteidiger möglicherweise die Ablehnungsgründe widerlegen und Erklärungen abgeben können, welche geeignet waren, die Entscheidung zu beeinflussen. Es muß deshalb zugunsten des Beschwerdeführers angenommen werden, daß auf der ordnungswidrigen Behandlung des Vertagungs- bzw. Beweisantrags und der hierdurch herbeigeführten B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g das Urteil b e r u h t oder i. S. des § 338 Nr. 8 gesprochen, daß die V e r t e i d i g u n g i n e i n e m f ü r d i e Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt w o r d e n ist. (Siehe E. 23, 137.)

Fall 9 cc) Diese Annahme wäre n u r d a n n u n b e g r ü n d e t , wenn nach Sachlage festzustellen wäre, daß der Angeklagte a u c h b e i A n g a b e v o n G r ü n d e n nicht in der Lage gewesen wäre, die Erheblichkeit der von dem Zeugen Brenneisen zu erwartenden Angaben nachzuweisen oder andere Beweisanträge für seine Behauptung zu stellen. e) W i r k o m m e n s o m i t i m v o r l i e g e n d e n F a l l e z u d e m E r gebnis, d a ß die auf das F e h l e n der E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e ges t ü t z t e R e v i s i o n s r ü g e an sich g e e i g n e t ist, die A u f h e b u n g des angegriffenen Urteils wegen Verletzung einer Verfahrensnorm h e r b e i z u f ü h r e n , v o r a u s g e s e t z t , d a ß d i e o b e n i n A b s c h n i t t d, cc e r w ä h n t e M ö g l i c h k e i t n i c h t g e g e b e n ist. 2. D i e V e r l e s u n g d e s B r i e f e s i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g (siehe auch Nachtrag A zu Fall 3, S. 76). a) V o r b e m e r k u n g : A l l g e m e i n e s ü b e r D u r c h s u c h u n g u n d Beschlagnahme. aa) Die D u r c h s u c h u n g (§§ 102 bis 110) ist eine behördliche Maßnahme zum Zwecke der Auffindung von Beweisstücken oder Einziehungsobjekten i. S. des § 94 oder zur Ergreifung einer Person. V o r a u s s e t z u n g e i n e r D u r c h s u c h u n g ist immer, daß eine s t r a f b a r e H a n d l u n g b e r e i t s b e g a n g e n ist. D u r c h s u c h t werden können Wohnungen, Personen und Sachen. (NB. Ebenso wie bei der Beschlagnahme gibt es auch bei der Durchsuchung eine solche a u ß e r h a l b der StPO, die sich als Maßregel der p r ä v e n t i v e n Polizei darstellt oder aus gesundheits- oder sittenpolizeilichen Gründen vorgenommen wird.) Die w i c h t i g s t e und am häufigsten vorkommende A r t d e r D u r c h s u c h u n g ist die H a u s s u c h u n g (§§ 102 bis 110), d. h. diejenige Durchsuchung, deren Gegenstand die Wohnung, die Geschäftsräume oder das befriedete Besitztum sind. Bei der Haussuchung ist zu unterscheiden zwischen der Durchsuchung bei v e r d ä c h t i g e n und derjenigen bei u n v e r d ä c h t i g e n Personen. Die erstere ist in § 102, die letztere in § 103 geregelt. Zur Nachtzeit ist die Durchsuchung beschränkt (§ 104). Z u s t ä n d i g zur Anordnung der Durchsuchung ist ebenso wie bei der Beschlagnahme der R i c h t e r , bei Gefahr im Verzug auch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t oder ein H i l f s b e a m t e r der Staatsanwaltschaft (§ 105 Abs. 1). (In den Fällen des § 104 Abs. 2 sind auch Polizeibeamte, die nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne besondere Anordnung zur Durchsuchung berechtigt, siehe Abs. 3 des § 105.) Wegen der A u s f ü h r u n g der Durchsuchung vgl. §§ 105 Abs. 2, 106—109. Die D u r c h s u c h u n g v o n P e r s o n e n , die nur bei Verdächtigen zulässig ist, unterliegt nur dann den Bestimmungen der §§ 102, 103, wenn es sich um eine Durchsuchung der ä u ß e r e n Oberfläche des Körpers oder der Kleidung handelt, also bei vollkommener Wahrung der Integrität. Eine körperliche U n t e r s u c h u n g dagegen richtet sich nach den Vorschriften über den A u g e n s c h e i n §§ 81 a—81 d (siehe Fall 3, Nachtrag B, Abschn. 4d, S. 84). Besonderheiten gelten für die Durchsuchung von Dienstgebäuden und Anlagen der Bundeswehr, § 105 IV.

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I I . Teil: Lösungen

bb) D i e B e s c h l a g n a h m e . B e s c h l a g n a h m e i. S. des t a t s ä c h l i c h e n I n b e s c h l a g n e h m e n s ist eine behördliche Maßnahme, durch die einzelne Gegenstände, die als B e w e i s m i t t e l f ü r d i e U n t e r s u c h u n g v o n B e d e u t u n g sein können oder der Einziehung unterliegen, in Verwahrung genommen oder sonst sichergestellt werden. Dieses t a t s ä c h l i c h e I n b e s c h l a g n e h m e n kann e n t w e d e r in der Form einer e i n f a c h e n V e r w a h r u n g oder Sicherstellung o d e r durch eine f o r m e l l e A n o r d n u n g der Beschlagnahme erfolgen. (NB. Ebenso wie bei der Durchsuchung gibt es auch bei der Beschlagnahme eine solche a u ß e r h a l b der StPO, die sich als Maßregel der p r ä v e n t i v e n Polizei darstellt, also ohne Rücksicht auf eine etwa eintretende Strafverfolgung erforderlich ist, z. B. Wegnahme einer Waffe zum Zwecke der Verhütung einer Körperverletzung.) Die e i n f a c h e V e r w a h r u n g o d e r S i c h e r s t e l l u n g darf j e d e r Polizeibeamte, also nicht nur der Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ohne besondere Anordnung vornehmen, w e n n die Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen (z. B. §§ 40, 42m, 152, 245a, 295, 296 S t G B ) , sich e n t w e d e r n i c h t i m G e w a h r s a m e i n e r P e r s o n befinden (z. B. Einbrecherwerkzeug am Tatort) o d e r wenn sie f r e i w i l l i g herausgegeben werden ( § 9 4 Abs. 1). Die f o r m e l l e B e s c h l a g n a h m e (§§ 9 4 — 1 0 1 ) ist notwendig, wenn die Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, von der Person, die sie in Gewahrsam hat, n i c h t f r e i w i l l i g h e r a u s g e g e b e n werden (§ 94 Abs. 2). Z u s t ä n d i g für die Anordnung einer solchen formellen Beschlagnahme ist an sich n u r d e r R i c h t e r , jedoch bei Gefahr im Verzug (ebenso wie bei der Beschlagnahme) auch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t und ihre H i l f s b e a m t e n . Eine besondere F o r m der Beschlagnahme ist nicht vorgesehen; es genügt eine diesbezügliche Erklärung an den Besitzer und die Weisung, daß er sich jeder Verfügung über die Sache zu enthalten habe. (E. 18, 72.) V o n d e r B e s c h l a g n a h m e a u s g e n o m m e n sind bestimmte amtliche Akten (§ 96) und schriftliche Mitteilungen des Beschuldigten an Angehörige (§ 97), sowie die dem Verletzten durch die Straftat entzogenen Sachen, die immer möglichst bald dem Verletzten zurückzugeben sind. (§ 1 1 1 . ) Eine S o n d e r r e g e l u n g ist vorgesehen für die P o s t b e s c h l a g n a h m e , die n u r v o m R i c h t e r und bei Gefahr im Verzuge von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , dagegen n i c h t v o n d e r e n H i l f s b e a m t e n durchgeführt werden kann (siehe §§ 99, 100). (Die Herausgabepflicht des § 95 betrifft nicht den Beschuldigten oder Verdächtigen und die Personen des § 52.) b) D e r v o r l i e g e n d e F a l l : aa) Kriminalkommissar B e n z war als H i l f s b e a m t e r d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t in Tätigkeit getreten und hat, da zweifellos die Gefahr bestand, daß der fragliche Brief, falls nicht sofort zugegriffen wurde, von K a r l Finzer auf die Seite geschafft werde, aus eigener Initiative ge-

Fall g

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handelt. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, daß Benz aus dem gleichen Grunde berechtigt war, die D u r c h s u c h u n g ohne Zuziehung der in § 1 0 5 Abs. 2 genannten Personen (Gemeindebeamter oder zwei Gemeindemitglieder) vorzunehmen. Die Durchsuchung erfolgte bei einem U n v e r d ä c h t i g e n (zu der Annahme, daß K a r l Finzer der Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig war, gibt der Tatbestand keinen Anlaß), und diente der Sicherstellung eines bestimmten Gegenstandes, nämlich des fraglichen Briefes (§ 103). Da K a r l Finzer den in seinem Gewahrsam befindlichen Brief nicht freiwillig herausgab, schritt Benz gemäß § 94 Abs. 2 z u r B e s c h l a g n a h m e . Da K a r l Finzer gegen die Beschlagnahme Widerspruch erhoben hat, kommt § 98 Abs. 2 in Frage, wonach in einem solchen Falle die r i c h t e r l i c h e B e s t ä t i g u n g innerhalb von drei Tagen nachgesucht werden soll. Diese Bestimmung ist nur eine instruktionelle Vorschrift, so daß auch bei ihrer Nichtbefolgung die Beschlagnahme bestehen bleibt. bb) Wenn es darauf ankommt, den I n h a l t eines Schriftstücks zur Kenntnis der zur Urteilsfindung berufenen Personen zu bringen, so muß das Schriftstück in der Hauptverhandlung gemäß § 249 v e r l e s e n werden. (Urkundenbeweis.) Der G r u n d s a t z d e r M ü n d l i c h k e i t wird durch eine solche Verlesung nicht berührt; denn dieser Grundsatz verbietet nur, daß vor dem erkennenden Gericht die mündliche Vernehmung einer Person über die von ihr gemachten W a h r n e h m u n g e n durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung e r s e t z t wird (§ 250), sofern nicht ein bestimmter gesetzlicher Grund diese Ersetzung rechtfertigt (§ 2 5 1 ) . (Siehe auch B G H 1, 5.) cc) Für das s c h r i f t l i c h n i e d e r g e l e g t e G e s t ä n d n i s des Angeklagten enthält zwar § 254 die Bestimmung, daß es verlesen werden darf, wenn es in einem r i c h t e r l i c h e n P r o t o k o l l enthalten ist, und zwar als Ersatz für die Vernehmung des betreffenden Beamten. Damit ist aber die Verlesung von a n d e r e n S c h r i f t s t ü c k e n , z. B. p o l i z e i l i c h e n Vernehmungsprotokollen, B r i e f e n d e s A n g e k l a g t e n , die ein Schuldbekenntnis enthalten, nicht ausgeschlossen, wenn nur die Absicht der Ersetzung mündlicher Vernehmung durch Verlesung des Schriftstücks als ausgeschlossen gelten kann, was vor allem der Fall ist, wenn n e b e n der Verlesung zugleich die Vernehmung des Angeklagten erfolgt. (E. 33, 36; 35, 234. Siehe auch Nachtrag A zu Fall 3, S. 76 und B G H 3, 149.) E i n e p r i n z i p i e l l e V e r p f l i c h t u n g zur V e r n e h m u n g des B r u d e r s des A n g e k l a g t e n , s t a t t d e r V e r l e s u n g des B r i e f e s , b e s t a n d d e m n a c h an sich nicht f ü r das Gericht. dd) D a g e g e n e n t h ä l t d i e V e r l e s u n g g e r a d e d i e s e s B r i e f e s e i n e V e r l e t z u n g d e s G e s e t z e s aus folgenden Gründen: d i e B e s c h l a g n a h m e des an seinen Bruder gerichteten Briefes des Angeklagten durch den Kommissar Benz bedeutete einen Verstoß gegen § 97, wonach schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und denjenigen Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu ihm nach §§ 52, 53, 5 3 a zur Verweigerung

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II. Teil: Lösungen

des Zeugnisses berechtigt sind, falls sie sich in H ä n d e n der letzteren Personen befinden u n d diese nicht einer Teilnahme, Begünstigung oder H e h lerei verdächtig sind, nicht beschlagnahmt werden dürfen. Dabei ist der U m s t a n d , d a ß zur Zeit der Beschlagnahme gegen Finzer öffentliche Klage noch nicht erhoben war, ohne Belang, d a der Ausdruck „Beschuldigter" in einem weiteren, auch den Verdächtigen umfassenden Sinn zu verstehen ist. (E. 20, 92.) (NB. Der Beschlagnahme sind ferner entzogen: in amtlicher V e r w a h r u n g befindliche Akten unter der Voraussetzung des § 96, sowie schriftliche Mitteilungen zwischen d e m verhafteten Beschuldigten u n d seinem Verteidiger, § 148.) D a d i e g e m ä ß § § 9 4 Abs. 2, 98 e r f o l g t e B e s c h l a g n a h m e d e s Briefes somit unzulässig war, d u r f t e derselbe n a c h keiner R i c h t u n g als B e w e i s m i t t e l b e i d e r E n t s c h e i d u n g in d e r H a u p t s a c h e v e r w e r t e t w e r d e n . Da f e r n e r n a c h d e n G r ü n d e n des S t r a f k a m m e r u r t e i l s der I n h a l t des g e s e t z w i d r i g b e s c h l a g n a h m t e n u n d v e r l e s e n e n Briefes E i n f l u ß a u f d i e E n t s c h e i d u n g in d e r H a u p t sache g e w o n n e n hat, das Urteil somit auf dieser Gesetzesverl e t z u n g b e r u h t , u n t e r l i e g t es a n s i c h d e r A u f h e b u n g . (Siehe E. 47, 196 u n d 20, 91.) (NB. Die V e r w a h r u n g oder S i c h e r s t e l l u n g f r e i w i l l i g herausgegebener Schriftstücke ist keine gesetzwidrige Beschlagnahme; ihre Benutzung ist erlaubt auch gegen den Widerspruch der Person, die sie, ohne dazu verpflichtet zu sein, herausgegeben h a t . E. 22, 52.) 3. V e r l e t z u n g d e s G r u n d s a t z e s ,,ne b i s i n i d e m " a ) Der § 243 StGB behandelt die verschiedenen straferhöhenden Merkmale, die z u m T a t b e s t a n d des einfachen Diebstahls i. S. des § 242 StGB hinzutreten können u n d diesen d a n n z u m sog. s c h w e r e n D i e b s t a h l machen. Der mittels E r b r e c h e n s v o n B e h ä l t n i s s e n begangene schwere Diebstahl (§ 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB) setzt voraus, d a ß das Behältnis b e i m E r b r e c h e n s i c h i n d e m G e b ä u d e b e f i n d e t , aus d e m es gestohlen wurde. Wer sonach das Behältnis selbst erst aus d e m G e b ä u d e herausschafft u n d d a n n erst im Freien oder einem anderen G e b ä u d e erbricht, begeht einen einfachen Diebstahl (str.— so wie hier BGH 14, 291. Der abweichenden Ansicht des Schrifttums u n d des O L G M ü n c h e n [SJZ 49, 201] steht nicht n u r die Entstehungsgeschichte [vgl. E. 30, 388], sondern vor allem der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen. Der B G H folgte mit seiner in der Praxis viel beachteten Entscheidung vom 10. 5. i960 in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit d e m O L G Düsseldorf [NJW 55, 1528] u n d d e m B a y O b L G [NJW 58, 601] der ständigen Rspr. des Reichsgerichts [vgl. E . 4°> 97]- Dieses hatte in E. 75, 43 lediglich die analoge A n w e n d u n g des § 243 I N r . 2 gebilligt, die jedoch n a c h der jetzigen Fassung des § 2 StGB [Analogieverbot] unzulässig ist. b ) Wie im Fall 12 ausgeführt wird, wird das d u r c h die strafbare H a n d lung begründete K l a g e r e c h t durch die über dasselbe ergangene rechts-

Fall 9

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kräftige Entscheidung grundsätzlich dergestalt v e r b r a u c h t , daß es nicht von neuem geltend gemacht werden kann. (Grundsatz „ne bis in idem".) Dieser Grundsatz erleidet nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH (wie in Fall 12 ausgeführt wird) für das S t r a f b e f e h l s v e r f a h r e n insofern eine E i n s c h r ä n k u n g , als ein rechtskräftiger Strafbefehl einer neuen Aburteilung des Täters wegen der vom Strafbefehl erfaßten Tat dann nicht entgegensteht, wenn auf Grund der Hauptverhandlung die Tat unter einem nicht bereits in dem Strafbefehl gewürdigten a n d e r w e i t e n r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t als eine s c h w e r e r zu strafende sich darstellt. Eine erneute Strafverfolgung aus dem n ä m l i c h e n oder einem m i l d e ren rechtlichen Gesichtspunkt ist also unzulässig. Insofern hat auch der Strafbefehl den Verbrauch der Strafklage zur Folge. c) Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e die Entwendung der 500 D M und die Entwendung der Kassette, die sich ebenfalls in der Ladenkasse befand, zweifellos nur e i n e n D i e b s t a h l darstellen, also auf keinen Fall zwei selbständige Handlungen im Sinne des § 74 StGB in Frage kommen, da ferner aber der Kassettendiebstahl nach der oben erwähnten Rechtsprechung des R G ebenfalls nur ein einfacher Diebstahl war, also ein a n d e r e r r e c h t l i c h e r G e s i c h t s p u n k t nicht in Frage kommt, enthält das Urteil der Strafkammer eine Gesetzesverletzung. M. a. W.: hat der Strafbefehl die Tat rechtlich bereits so erfaßt, wie sie selbst nach Prüfung im ordentlichen Verfahren sich darstellt, dann hat sich die Strafgewalt des Staates in diesem Strafbefehl erschöpft, und eine abermalige Verurteilung im ordentlichen Verfahren wäre ebenso eine Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem", wie die wiederholte Bestrafung eines und derselben Tat durch mehrfache Strafbefehle. (E. 28, 84.) Das U r t e i l der S t r a f k a m m e r bedeutet demnach einen V e r stoß g e g e n den G r u n d s a t z „ne bis in i d e m " . (NB. Wäre die Kassette im G e b ä u d e e r b r o c h e n worden, bzw. würde man das oben erwähnte Münchener Urteil zugrunde legen, so stünde einem erneuten Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt eines Verbrechens nach § 243 Nr. 2 StGB kein Hindernis entgegen, da in diesem Falle eine „schwerer zu ahndende T a t " vorläge. Wäre das amtsrichterliche Verfahren durch U r t e i l erledigt worden, dann stünde der Einleitung eines neuen Strafverfahrens wegen Verbrechens nach § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB der Grundsatz ne bis in idem entgegen.) III. Wie wird das Revisionsgericht entscheiden? 1 . Die R e v i s i o n s r ü g e n a) Die b e i d e n e r s t e n R ü g e n : aa) Sie beziehen sich auf r e i n e V e r f a h r e n s n o r m e n . Sie können zur Aufhebung des Urteils daher nur führen, wenn der fragliche Verstoß, wie es im v o r l i e g e n d e n F a l l e geschehen ist, a u s d r ü c k l i c h g e r ü g t wird und die Tatsachen angeführt werden, die die Verletzung der Verfahrensnormen ergeben. (Siehe die Erörterungen oben in Abschn. A V I I 1, S. 143.)

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II. Teil: Lösungen

bb) D a keiner d e r Fälle des § 338 (absolute Revisionsgründe) vorliegt, ist w e i t e r z u p r ü f e n , o b das Urteil der S t r a f k a m m e r auf d e r Gesetzesverletzung b e r u h t (§ 337 Abs. 1), d. h. ob die M ö g l i c h k e i t besteht, d a ß die Gesetzesverletzung Einfluß auf das Urteil gewonnen hat. Diese F r a g e ist bezüglich der z w e i t e n R ü g e (Verlesung des fraglichen Briefes) o h n e weiteres zu b e j a h e n . Aber a u c h bezüglich der e r s t e n Gesetzesverletzung (Ablehnung des Vertagungsantrages ohne G r ü n d e ) dürften die Voraussetzungen des § 337 erfüllt sein. (Siehe die A u s f ü h r u n g e n in Abschn. I I 1, S. 149.) W i r k o m m e n somit zu d e m Ergebnis, d a ß s c h o n d i e b e i d e n e r s t e n V e r f a h r e n s v e r s t ö ß e z u r A u f h e b u n g des Urteils der S t r a f k a m m e r nebst den zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen u n d zu einer Zurückverweisung g e m ä ß § 354 Abs. 2 f ü h r e n m ü ß t e n , w e n n das V e r f a h r e n i m übrigen in O r d n u n g ginge. b ) Bei d e m G r u n d s a t z ,,ne b i s i n i d e m " , dessen Verletzung mit d e r d r i t t e n R ü g e geltend g e m a c h t wird, h a n d e l t es sich u m eine sog. V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g (auch negative Prozeßvoraussetzung oder P r o z e ß h i n d e r n i s g e n a n n t , siehe E. 67, 54 u n d E. 68, 19), die in j e d e m S t a d i u m des Verfahrens v o n A m t s w e g e n , u n d zwar in der Revisionsinstanz o h n e R ü g e n a c h § 344 Abs. 2 zu p r ü f e n ist. W i r d das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung bejaht, so ist das angefochtene Urteil aufz u h e b e n u n d das V e r f a h r e n o h n e w e i t e r e s g e m ä ß § 354 Abs. 1 e i n z u s t e l l e n . (Siehe N a c h t r a g zu Fall 7, S. 137.) Diese d r i t t e R ü g e enthält a u ß e r d e m die B e h a u p t u n g einer m a t e r i e l l r e c h t l i c h e n G e s e t z e s v e r l e t z u n g , nämlich die unrichtige A n w e n d u n g des § 243 StGB auf d e n Kassettendiebstahl, der, wie oben ausgef ü h r t , ebenfalls n u r d e n T a t b e s t a n d des § 242 StGB erfüllt. (NB. Bei A u f h e b u n g wegen eines V e r f a h r e n s v e r s t o ß e s m u ß die Sache s t e t s in die Vorinstanz z u r ü c k v e r w i e s e n werden, weil die Revisionsinstanz nicht selbst Beweiserhebungen v o r n e h m e n kann, der betroffene Teil des Verfahrens aber in gesetzmäßiger Weise wiederholt werden m u ß . Bei A u f h e b u n g wegen s a c h l i c h - r e c h t l i c h e n F e h l e r s entscheidet, sofern die tatsächlichen Feststellungen von i h m nicht betroffen w e r d e n u n d deshalb nicht mitaufgehoben w e r d e n müssen, d e r Fall des § 3 5 3 Abs. 2 also nicht vorliegt, das R e v i s i o n s g e r i c h t selbst auf G r u n d der festgestellten Tatsachen, v o r a u s g e s e t z t , d a ß einer der in § 354 Abs. 1 g e n a n n t e n v i e r F ä l l e vorliegt. Siehe oben Abschn. A V I I I , S. 145.) 2. D i e F r i s t v e r s ä u m n i s in d e r R e v i s i o n s e i n l e g u n g d e s F i n z e r . a) Es h a n d e l t sich hier u m eine sog. g e s e t z l i c h e E r k l ä r u n g s f r i s t (siehe Fall 10, Abschn. A I 1, S. 165). Eine solche ist n u r d a n n g e w a h r t , w e n n i n n e r h a l b derselben entweder die E r k l ä r u n g bei d e m zuständigen Gericht zu Protokoll gegeben oder ein die E r k l ä r u n g enthaltendes Schriftstück bei diesem Gericht eingegangen, d. h. in die H ä n d e eines in V e r t r e t u n g des Gerichts zur E m p f a n g n a h m e eingehender Schriftstücke b e r u f e n e n Beamten gelangt ist.

Fall 9

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b) N a c h § 341 m u ß die R e v i s i o n bei d e m Gericht, dessen Urteil angefochten wird, b i n n e n e i n e r W o c h e n a c h V e r k ü n d u n g des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden, vorausgesetzt, d a ß , wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , d e r Angeklagte bei der Verk ü n d u n g anwesend war. (Andernfalls beginnt die Frist erst mit d e r Z u stellung des Urteils, § 341 Abs. 2.) D a das Urteil a m 15. August i960 verkündet worden ist, F i n z e r s Revisionseinlegung v o m 23. August aber erst a m 24. August bei Gericht eingekommen ist (der letzte rechtzeitige T e r m i n w ä r e g e m ä ß § 43 d e r 22. August gewesen), h a t die Revisionseinlegung als nicht rechtzeitig zu gelten. E s h ä t t e s c h o n d i e S t r a f k a m m e r d i e R e v i s i o n d e s A n g e k l a g t e n F i n z e r d u r c h B e s c h l u ß g e m ä ß § 346 a l s u n z u l ä s s i g v e r werfen müssen. c ) D a dieser M a n g e l aber von d e m Vorderrichter übersehen w u r d e , h ä t t e a n sich n u n m e h r das R e v i s i o n s g e r i c h t g e m ä ß § 349 die Revision des Finzer d u r c h B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g verwerfen k ö n n e n ; d a wir uns aber schon i m S t a d i u m der H a u p t v e r h a n d l u n g befinden, m u ß die V e r w e r f u n g d u r c h U r t e i l ausgesprochen w e r d e n . (Siehe u n t e n Z. 5c.) 3. D i e Z u r ü c k n a h m e d e r R e v i s i o n f ü r F i n z e r . a ) Eine b e s t i m m t e F o r m f ü r die Z u r ü c k n a h m e eines Rechtsmittels n a c h § 302 ist im Gesetz nicht vorgeschrieben; es gilt d a h e r das gleiche wie f ü r die E i n l e g u n g der Rechtsmittel; sie m u ß schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden. (E. 32, 279.) b) Bezüglich der Frage, ob eine d u r c h T e l e g r a m m abgegebene Erk l ä r u n g als s c h r i f t l i c h im Sinne des Gesetzes anzusehen sei, siehe oben Abschn, B I 1 b. c ) G e m ä ß § 302 Abs. 2 bedarf aber der Verteidiger zur Z u r ü c k n a h m e e i n e s R e c h t s m i t t e l s (und n a c h E. 64, 164 a u c h z u m Verzicht auf ein solches) einer a u s d r ü c k l i c h e n E r m ä c h t i g u n g ; diese k a n n schon im voraus, d. h. vor der Einlegung wirksam erteilt werden (E. 24, 142), wobei bestritten ist, o b die a l l g e m e i n e E r m ä c h t i g u n g zur Z u r ü c k n a h m e von Rechtsmitteln ausreicht. (Siehe B G H 10, 245.) Jedenfalls liegt i m v o r l i e g e n d e n F a l l e keine E r m ä c h t i g u n g vor, d a lt. T a t b e s t a n d Rechtsanwalt Fischer inhaltlich seiner in erster Instanz vorgelegten V o l l m a c h t n u r z u r E i n l e g u n g von Rechtsmitteln befugt war. Die t e l e g r a p h i s c h e Z u r ü c k n a h m e der Revision des R e c h t s a n w a l t s F i s c h e r b e z ü g l i c h des A n g e k l a g t e n F i n z e r ist d e m n a c h rechtsunwirksam. B e z ü g l i c h dieses A n g e k l a g t e n h ä t t e also, falls n i c h t d i e V o r a u s s e t z u n g e n d e s § 357 v o r l ä g e n (siehe u n t e n Abschn. 5), d a s U r t e i l des R e v i s i o n s g e r i c h t e s l a u t e n m ü s s e n : Die R e v i s i o n des A n g e klagten Rudolf Finzer gegen das Urteil der S t r a f k a m m e r

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II. Teil: Lösungen

M a n n h e i m v o m 15. A u g u s t i960 w i r d g e m ä ß § 349 S t P O a l s u n z u lässig v e r w o r f e n ; der A n g e k l a g t e n hat die K o s t e n zu t r a g e n . ( N B . H ä t t e eine r e c h t s w i r k s a m e Z u r ü c k n a h m e d e r Revision vorgelegen •— d i e n a c h § 303 e r f o r d e r l i c h e Z u s t i m m u n g des S t a a t s a n w a l t s w a r j a erteilt w o r d e n — , so w ä r e die a n sich w e g e n v e r s p ä t e t e r Revisionseinl e g u n g g e b o t e n e V e r w e r f u n g d e r Revision n i c h t m e h r zulässig g e w e s e n ; die R e v i s i o n h ä t t e d a n n v i e l m e h r als d u r c h d i e Z u r ü c k n a h m e erledigt e r k l ä r t w e r d e n müssen [siehe E. 55, 2 1 4 ] , u n d das U r t e i l d e r S t r a f k a m m e r w ä r e im A u g e n b l i c k d e r Z u r ü c k n a h m e d e r Revision r e c h t s k r ä f t i g geworden.) 4. D i e E n t s c h e i d u n g b e z ü g l i c h

Brunner.

D a dieser A n g e k l a g t e rechtzeitig Revision eingelegt h a t t e , m u ß R e v i s i o n s g e r i c h t ( B G H ) w e g e n d e r V e r l e t z u n g des G r u n d s a t z e s „ n e in i d e m " seine E n t s c h e i d u n g d a h i n t r e f f e n , d a ß d a s U r t e i l S t r a f k a m m e r a u f z u h e b e n und das V e r f a h r e n einzustellen u n t e r A u f e r l e g u n g d e r K o s t e n a u f d i e S t a a t s k a s s e . (§ 354 I.)

das bis der ist

(NB. D a s U r t e i l h ä t t e , wie sich aus d e n A u s f ü h r u n g e n o b e n z u 1 b ergibt, a u c h d a n n a u f E i n s t e l l u n g l a u t e n müssen, w e n n die Verletz u n g des G r u n d s a t z e s ,,ne bis in i d e m " n i c h t a u s d r ü c k l i c h g e r ü g t w o r d e n w ä r e ; d e n n es h a n d e l t sich bei diesem G r u n d s a t z u m eine v o n A m t s w e g e n z u b e r ü c k s i c h t i g e n d e V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g sog. n e g a t i v e P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g . Siehe F a l l 7, N a c h t r a g , A b s c h n . I V , S. 136.) D i e r e c h t l i c h e S i t u a t i o n w ä r e n u n a l s o f o l g e n d e : der Angeklagte F i n z e r w ä r e r e c h t s k r ä f t i g z u einer G e f ä n g n i s s t r a f e v o n 1 J a h r 2 M o n a t e n verurteilt, w ä h r e n d d a s V e r f a h r e n g e g e n B r u n n e r eingestellt w e r d e n m ü ß t e . E i n solches E r g e b n i s w ü r d e a b e r m i t d e m G r u n d s a t z d e r G e r e c h t i g k e i t n i c h t v e r e i n b a r sein. E i n e n A u s w e g s c h a f f t die B e s t i m m u n g des i m f o l g e n d e n A b s c h n i t t e r ö r t e r t e n § 357. 5. D i e W i r k u n g d e s g e g e n B r u n n e r e r g a n g e n e n U r t e i l s die prozessuale Rechtslage des Finzer.

auf

a ) § 357 l a u t e t : „ E r f o l g t z u g u n s t e n eines A n g e k l a g t e n die A u f h e b u n g des U r t e i l s w e g e n Gesetzesverletzung bei A n w e n d u n g des Strafgesetzes, u n d erstreckt sich d a s U r t e i l , soweit es a u f g e h o b e n w i r d , n o c h a u f a n d e r e A n g e k l a g t e , die n i c h t Revision eingelegt h a b e n , so ist z u e r k e n n e n , als o b sie gleichfalls Revision eingelegt h ä t t e n " . Es h a n d e l t sich also h i e r u m e i n e n d e r A u s n a h m e f ä l l e , in d e n e n n a c h d e r S t r a f p r o z e ß o r d n u n g ein z u u n g u n s t e n eines A n g e k l a g t e n bereits rechtsk r ä f t i g g e w o r d e n e s U r t e i l z u dessen G u n s t e n t r o t z d e r e i n g e t r e t e n e n Rechtskraft noch aufgehoben werden kann.

D e r § 3 5 7 ist eine B i l l i g k e i t s v o r s c h r i f t , d u r c h die v e r h i n d e r t w e r d e n soll, d a ß bei sonst gleicher L a g e ein M i t a n g e k l a g t e r , d e r Revision einlegt, ein günstigeres E r g e b n i s erzielt, als ein a n d e r e r M i t a n g e k l a g t e r , d e r sich bei d e m ersten U r t e i l b e r u h i g t (E. 7 1 , 2 1 5 ) . N a c h erfolgter A u f h e b u n g des Urteils ist ein solcher M i t a n g e k l a g t e r in j e d e r B e z i e h u n g so z u be-

Fall 9

159

handeln, als wenn er selbst Revision eingelegt hätte. Es findet also auch das Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2) auf ihn Anwendung. b) D i e V o r a u s s e t z u n g e n d i e s e r G e s e t z e s s t e l l e s i n d f o l g e n d e : aa) I d e n t i t ä t d e r T a t , d. h. die Aufhebung des Urteils kann nur solchen Angeklagten zustatten kommen, welche nach der erstrichterlichen Feststellung bei derjenigen T a t beteiligt waren, auf welche sich die Revision bezieht und bezüglich deren das erste Urteil aufgehoben wird; es ist also erforderlich ein Zusammenhang i. S. des § 3 (E. 6, 260; 72, 24.) bb) G e s e t z e s v e r l e t z u n g b e i A n w e n d u n g d e s S t r a f g e s e t z e s . Ursprünglich hat man im Hinblick auf die Fassung des § 357 angenommen, daß diese Gesetzesstelle nur dann Platz greife, wenn das fragliche Urteil auf einer unrichtigen Anwendung des s a c h l i c h e n Rechts beruht. Nach der späteren reichsgerichtlichen Rechtsprechung (siehe E. 68, 1 8 ; 7 1 , 2 5 1 ) trifft § 357 auch den Fall, daß die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g e n ergibt, daß das Verfahren sowohl gegenüber dem Beschwerdeführer als auch gegenüber einem Mitangeklagten, der keine Revision eingelegt hat, unzulässig ist, z. B. wenn ein Straffreiheitsgesetz nicht beachtet ist oder der Eröffnungsbeschluß fehlt. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung übernommen ( B G H 10, 1 4 1 ) . Von dem Geltungsbereich des § 357 ist also nur die auf besondere Rüge zu beachtende Verletzung einer reinen R e c h t s n o r m ü b e r d a s V e r f a h r e n ausgeschlossen. (Siehe E. 20, 91, 93.) cc) G l e i c h e r R e v i s i o n s g r u n d für die mehreren Angeklagten, d.h. es muß die bezüglich des Revidenten vorliegende Gesetzesverletzung ohne weiteres auch die Urteilsaufhebung bezüglich des anderen Angeklagten begründen. c) D a im v o r l i e g e n d e n F a l l e die drei Voraussetzungen gegeben sind, und da den Angeklagten, welche die Revision nicht eingelegt haben, diejenigen gleichzuachten sind, die das Rechtsmittel zwar eingelegt, später aber wieder zurückgenommen haben, oder bezüglich deren das Rechtsmittel gemäß § 349 als unzulässig verworfen worden ist (E. 40, 220), i s t das R e v i s i o n s g e r i c h t v e r p f l i c h t e t , die A u f h e b u n g des U r t e i l s auch gegenüber dem Angeklagten Finzer auszusprechen. D a s U r t e i l des R e v i s i o n s g e r i c h t s h a t also zu l a u t e n : A u f die R e v i s i o n des A n g e k l a g t e n B r u n n e r w i r d das U r t e i l der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m v o m 1 5 . A u g u s t i 9 6 0 in v o l l e m U m f a n g e , g e m ä ß § 3 5 7 a u c h s o w e i t es d e n A n g e k l a g t e n F i n z e r betrifft, aufgehoben. Das V e r f a h r e n gegen beide Angeklagte w i r d eingestellt; die K o s t e n t r ä g t die Staatskasse. (NB. Wäre die Revisionsbegründung z. B. nicht von Rechtsanwalt Dr. Fischer unterschrieben gewesen, hätte also in irgendeiner Form ein Verstoß nach § 345 Abs. 2 vorgelegen, dann hätte auch die Revision des Angeklagten Brunner als unzulässig verworfen werden müssen; das die schwere Gesetzesverletzung enthaltende Urteil der Strafkammer wäre dann in seinem ganzen Umfange rechtskräftig geworden. Die hierin liegende Härte hätte nur im Gnadenwege gemildert oder beseitigt werden können.)

i6o

II. Teil: Lösungen

Nachtrag Die Beweisaufnahme und deren Umfang A. Beweisanträge vor der Hauptverhandlung (§ 219) I . Der B G H hat den B e g r i f f d e s B e w e i s a n t r a g s in B G H 6, 129 wie folgt definiert: „ E i n Beweisantrag ist das Begehren eines Prozeßbeteiligten, über eine bestimmte Tatsache ein nach der Prozeßordnung zulässiges bestimmtes Beweismittel zu verwerten". J e d e r Beweisantrag muß also ein genau bestimmtes Beweisthema und ein genau bestimmtes Beweismittel bezeichnen. Von den Beweisanträgen i. e. S. sind streng zu unterscheiden die B e w e i s e r m i t t l u n g s a n t r ä g e . Diese enthalten nur eine Anregung an das Gericht, in bestimmter Richtung Beweise zu erheben, z. B. Gerichtsakten beizuziehen ( B G H 6, 128). Solche Beweisermittlungsanträge müssen zwar nicht durch besonderen Beschluß formell entschieden werden; ihre Ubergehung in der Hauptverhandlung kann jedoch einen Verstoß gegen die sich aus § 244 I I ergebende Aufklärungspflicht darstellen. II. G r u n d s ä t z l i c h hat das erkennende Gericht nur einen Beweisantrag zu berücksichtigen, der i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g v o r g e t r a g e n wird (E. 6 1 , 376). III. Verlangt der Angeklagte v o r der Hauptverhandlung die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung, so hat er unter Angabe der Tatsachen, über welche der Beweis erhoben werden soll, seine Anträge bei dem V o r s i t z e n d e n des Gerichts zu stellen. Dieser hat darüber zu e n t s c h e i d e n und seine Verfügung dem Angeklagten b e k a n n t zu machen. (§ 219.) 1 . Der Vorsitzende kann einen solchen Antrag aus den in § 244 I I I genannten Gründen (mit Ausnahme der Wahrunterstellung, über die nur in der Hauptverhandlung entschieden werden kann) a b l e h n e n . ( B G H 1, 5i.) a) Eine solche Ablehnung v o r der Hauptverhandlung kann aber immer nur eine v o r l ä u f i g e Entscheidung sein. Die e n d g ü l t i g e Entscheidung hierüber unterliegt ausschließlich dem Ermessen des e r k e n n e n d e n G e richts. b) Die R e v i s i o n kann grundsätzlich n i c h t darauf gestützt werden, daß der V o r s i t z e n d e a l l e i n v o r der Hauptverhandlung einen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt habe. Wünscht der Angeklagte, daß der Beweis trotz der Ablehnung des Antrags durch den Vorsitzenden erhoben werde, so muß er seinen A n t r a g i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g w i e d e r h o l e n und damit dem erkennenden Gericht zur Entscheidung unterbreiten. (E. 75, 165.)

Fall

9

I6I

2 . Ein Bescheid des Vorstizenden dahin, d a ß ü b e r einen g e m ä ß § 219 gestellten A n t r a g des Angeklagten i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g entschieden werde, entspricht an sich n i c h t der Vorschrift des § 219. Trotzd e m k a n n eine diesbezügliche V e r f a h r e n s r ü g e d a n n keinen Erfolg h a b e n , w e n n aus d e m Bescheid zu erkennen ist, d a ß der Vorsitzende es ablehne, g e m ä ß § 219 weiteres zu veranlassen, u n d d a ß er d e m Angeklagten anheimgebe, seine Beweisanträge in der H a u p t v e r h a n d l u n g vorzubringen. 3 . U n z u l ä s s i g ist aber ein solcher Bescheid u n d k a n n die A u f h e b u n g des Urteils zur Folge h a b e n , w e n n in d e m Angeklagten d u r c h den Bescheid d e r I r r t u m hervorgerufen w u r d e , er b r a u c h e seinen A n t r a g in der H a u p t v e r h a n d l u n g nicht zu wiederholen, es werde keinesfalls eine i h m u n g ü n stige Entscheidung ergehen, ohne d a ß das erkennende Gericht vorher ü b e r d e n a n den Vorsitzenden gerichteten A n t r a g entscheide. (E. 61, 376.) Dieser Fall wird vor allem d a n n gegeben sein, w e n n der Angeklagte r e c h t l i c h n i c h t e r f a h r e n w a r u n d keinen Verteidiger hatte. (Siehe zu diesem F r a g e n k o m p l e x die eingehenden A u s f ü h r u n g e n in B G H 1, 286.)

B. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung I . Der die g a n z e Beweisaufnahme b e h e r r s c h e n d e G r u n d s a t z des § 244 Abs. 2 l a u t e t : D a s G e r i c h t h a t z u r E r f o r s c h u n g d e r W a h r heit die B e w e i s a u f n a h m e von Amts wegen auf alle T a t s a c h e n u n d Beweismittel zu erstrecken, die f ü r die E n t s c h e i d u n g von B e d e u t u n g sind. Diese gesetzliche A u f k l ä r u n g s p f l i c h t , die auch in § 155 Abs. 2 d e m Gericht auferlegt ist, k a n n u. U . zu d e m Ergebnis f ü h r e n , d a ß zwar die A b l e h n u n g eines bestimmten Beweisantrags gerechtfertigt sein mag, d a ß aber der T a t r i c h t e r zugleich von Amts wegen zu p r ü f e n h a b e n kann, o b eine a n d e r e A u f k l ä r u n g s m ö g l i c h k e i t z u r V e r f ü g u n g steht, die möglicherweise zu einem Erfolg f ü h r e n könnte. Die N i c h t b e n u t z u n g eines solchen Beweismittels k a n n einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 244 Abs. 2 darstellen (Siehe E. 74, 147; 75, 11; B G H 2, 163; 3, 30, 169 u n d 175.) I I . I m übrigen ist, soweit es sich u m p r ä s e n t e Beweismittel handelt, d e r U m f a n g d e r B e w e i s a u f n a h m e in § 245 z w i n g e n d vorgeschrieben. 1. Sie m u ß sich erstrecken auf die sämtlichen v o r g e l a d e n e n Z e u g e n u n d S a c h v e r s t ä n d i g e n , s o w e i t s i e e r s c h i e n e n sind. (§ 245 Satz 1.) a ) Die erste Voraussetzung f ü r diese zwingende Vorschrift ist also, d a ß die Z e u g e n u n d Sachverständigen g e l a d e n sind. aa) Dabei ist es gleichgültig, o b die L a d u n g vom Gericht oder vom Angeklagten g e m ä ß § 220 Abs. 1 bewirkt w u r d e u n d ob die L a d u n g v o r oder erst w ä h r e n d der H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgt (§ 245 Satz 2). bb) Dagegen k a n n die zwingende Vorschrift des § 245 Satz 1 k e i n e A n w e n d u n g finden auf g e s t e l l t e Personen, d . h . solche, die n i c h t g e P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

l a d e n , sondern einfach zur Sitzung mitgebracht w o r d e n sind. Bezüglich dieser h a t das Gericht die Erheblichkeit der V e r n e h m u n g zu p r ü f e n u n d k a n n gegebenfalls die V e r n e h m u n g wegen U n e r h e b l i c h k e i t a b l e h n e n . D e n n die Bestimmung des § 245 w ü r d e d e m größten M i ß b r a u c h ausgesetzt sein, w e n n der Angeklagte einen u n b e d i n g t e n Anspruch auf V e r n e h m u n g aller derjenigen Personen hätte, die er im Laufe der H a u p t v e r h a n d l u n g , womöglich aus d e m Z u s c h a u e r r a u m , herbeiholt. b ) Es ist f e r n e r e r f o r d e r l i c h , d a ß die geladenen Zeugen u n d Sachverständigen a u c h e r s c h i e n e n sind, d . h . d a ß sie sich mindestens noch in einem S t a d i u m des Prozesses gemeldet h a b e n , in welchem die V e r n e h m u n g noch erfolgen k a n n . Will ein Prozeßbeteiligter einen geladenen, aber nichterschienenen, oder einen geladenen u n d erschienenen, aber n a c h seiner V e r n e h m u n g bereits wieder entlassenen Zeugen oder Sachverständigen v e r n o m m e n h a b e n , so m u ß er in der H a u p t v e r h a n d l u n g die L a d u n g b e a n t r a g e n ; f ü r diesen A n t r a g gilt d a n n die Bestimmung des § 244 Abs. 3. 2 . Die Beweisaufnahme m u ß sich f e r n e r a u f a l l e a n d e r e n h e r b e i g e s c h a f f t e n B e w e i s m i t t e l erstrecken, so insbesondere auf A u g e n scheinsgegenstände (Uberführungsstücke), U r k u n d e n , Protokolle, insbesondere ü b e r kommissarische V e r n e h m u n g e n u n d Augenscheinseinnahme u. dgl. 3. Eine A b s t a n d n a h m e von der E r h e b u n g h e r b e i g e s c h a f f t e r Beweise (geladene u n d erschienene Zeugen u n d Sachverständige u n d sonstige Beweismittel) ist n u r d a n n statthaft, w e n n die Beweiserhebung unzulässig oder n a c h der Ü b e r z e u g u n g des Gerichts z u m Zwecke d e r P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g b e a n t r a g t ist (§ 245 Satz 1) o d e r w e n n die Staatsanwaltschaft u n d d e r Angeklagte mit der A b s t a n d n a h m e einvers t a n d e n sind (§ 245 Satz 3). III. D i e A b l e h n u n g e i n e s B e w e i s a n t r a g s . (§244 Abs. 3.) 1. Ein Beweisantrag, d . h . die E r h e b u n g eines Beweises m u ß abgelehnt werden, w e n n die E r h e b u n g u n z u l ä s s i g ist (z.B. Verlesung einer U r k u n d e entgegen d e r Bestimmung des § 251). 2 . Die E r h e b u n g eines Beweises darf abgelehnt w e r d e n : a) w e n n sie wegen Offenkundigkeit ü b e r f l ü s s i g i s t . Der Begriff der Offenkundigkeit wird v o m B G H in B G H 6, 293 wie folgt definiert: „ O f f e n kundig sind zunächst die allgemein b e k a n n t e n T a t s a c h e n . D a r u n t e r sind solche V o r g ä n g e zu verstehen, von d e n e n verständige Menschen regelm ä ß i g K e n n t n i s h a b e n oder ü b e r die sie sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere F a c h k u n d e sicher u n t e r r i c h t e n können. Diese Allgemeinkundigkeit k a n n sich a u c h auf einen bestimmten Kreis von Personen oder eine bestimmte Ortschaft beschränken, wie z. B. hinsichtlich der besonderen Verkehrsverhältnisse in einer Gemeinde. Als offenkundig h a b e n ferner die gerichtskundigen T a t s a c h e n zu gelten. Gerichtskundig in diesem Sinne ist, was d e r R i c h t e r i m Z u s a m m e n h a n g mit seiner amtlichen T ä t i g keit zuverlässig in E r f a h r u n g g e b r a c h t h a t " .

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Fall g

b ) w e n n die Tatsache, die bewiesen w e r d e n soll, f ü r die Entscheidung o h n e B e d e u t u n g ist, d . h . f ü r die Beurteilung der Schuld- u n d Straffrage ü b e r h a u p t nicht in Betracht k o m m t , c) w e n n die zu erweisende T a t s a c h e s c h o n e r w i e s e n ist, d ) w e n n das Beweismittel v ö l l i g u n g e e i g n e t ist (z.B. Geisteskrankheit des Zeugen), e) w e n n das Beweismittel u n e r r e i c h b a r ist (z.B. U n a u f f i n d b a r k e i t des Zeugen), f ) w e n n der A n t r a g z u m Zwecke d e r P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g gestellt ist, (siehe B G H 1, 29) u n d schließlich g ) w e n n eine erhebliche B e h a u p t u n g , die zur E n t l a s t u n g des Angeklagten bewiesen w e r d e n soll, so b e h a n d e l t werden kann, als w ä r e die b e h a u p t e t e T a t s a c h e w a h r . (Siehe hierzu B G H 1, 1 3 7 : b e h a u p t e t d e r T ä t e r , zur T a t a n g e s t i f t e t zu sein, u n d bietet er Beweis d a f ü r an, so darf diese B e h a u p t u n g im allgemeinen n i c h t a l s w a h r u n t e r s t e l l t werden, sondern m u ß aufgeklärt werden, weil erst der wirkliche H e r g a n g in der Regel Aufschluß ü b e r das S c h u l d m a ß des T ä t e r s gibt, das die Strafzumessung mitbestimmt.) 3. U n z u l ä s s i g ist die A b l e h n u n g eines Beweisantrags, als gegen das V e r b o t d e r V o r w e g n a h m e d e s B e w e i s e r g e b n i s s e s verstoßend, mit d e r Begründung, a ) d a ß d u r c h das Verhandlungsergebnis, insbesondere d u r c h a n d e r e gehörte Zeugen, bereits das G e g e n t e i l der zu beweisenden T a t s a c h e b e w i e s e n sei (E. 47, 105), b ) d a ß die zu beweisende T a t s a c h e mit d e m Ergebnis eines a n d e r e n Beweismittels in W i d e r s p r u c h steht, c) d a ß der W e r t des Beweismittels z w e i f e l h a f t erscheine (E. 56, 134), insbesondere, d a ß ein V e r d a c h t gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen (z. B. n a h e V e r w a n d t s c h a f t mit d e m Angeklagten) vorliege (E, 63, 332), d ) d a ß das Gericht sich b e r e i t s e i n e Ü b e r z e u g u n g von der Sachlage v e r s c h a f f t h a b e (E. 44, 294.) S c h l i e ß l i c h darf n a c h der ausdrücklichen Bestimmung des § 246 Abs. 1 eine Beweiserhebung n i c h t deshalb a b g e l e h n t werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende T a t s a c h e zu s p ä t vorgebracht w o r d e n seien. Es m u ß d a h e r j e d e r im Laufe d e r V e r h a n d l u n g gestellte Beweisantrag sachlich g e p r ü f t w e r d e n . Formell unzulässig wird das V o r b r i n g e n neuer Beweisanträge erst mit Beginn d e r V e r k ü n d u n g des Urteils (E. 59, 420). (Siehe aber die Bestimmung in § 246 Abs. 2 u. 3, w o d e m G e d a n k e n Rechn u n g getragen wird, d a ß j e d e r Prozeßbeteiligte dagegen geschützt sein soll, d a ß neue, i h m bisher nicht b e k a n n t e Beweise gegen ihn verwertet werden, o h n e d a ß i h m die Möglichkeit gegeben ist, die Widerlegung derselben vorzubereiten.) 4 . I n a l l e n F ä l l e n bedarf die A b l e h n u n g eines Beweisantrags eines G e r i c h t s b e s c h l u s s e s , der vor Schluß der Beweisaufnahme zu v e r k ü n d e n u n d zu b e g r ü n d e n ist. (§ 244 Abs. 6.) 11*

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I I . Teil: Lösungen

5. E v e n t u a l a n t r ä g e sind Anträge, die hilfsweise f ü r den Fall gestellt w e r d e n , d a ß der Angeklagte nicht freigesprochen wird. Ein solcher A n t r a g b r a u c h t erst in den Urteilsgründen beschieden zu werden. (E. 29, 438; 62, 76.) I V . Eine S o n d e r r e g e l u n g besteht f ü r P r i v a t k l a g e s a c h e n . Hier ist g e m ä ß § 384 Abs. 2 der U m f a n g der Beweisaufnahme in das E r m e s s e n des Gerichts gestellt. V . B e s o n d e r s v o r g e s c h r i e b e n ist f ü r a l l e G e r i c h t e die V e r n e h m u n g e i n e s A r z t e s a l s S a c h v e r s t ä n d i g e n ü b e r den geistigen u n d körperlichen Zustand des Angeklagten, wenn d a m i t zu r e c h n e n ist, d a ß d i e U n t e r b r i n g u n g in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t , einer T r i n k e r h e i l a n s t a l t oder einer E n t z i e h u n g s a n s t a l t a n g e o r d n e t w e r d e n w i r d (§ 246a). H a t d e r Sachverständige d e n Angeklagten nicht schon f r ü h e r untersucht, so „soll" i h m n a c h § 246a Satz 2 vor der H a u p t v e r h a n d l u n g d a z u Gelegenheit gegeben w e r d e n . Das Gesetz geht hierbei v o n d e r E r w ä g u n g aus, d a ß eine rein a k t e n m ä ß i g e Beurteilung von T a t u n d T ä t e r keine zuverlässige G r u n d l a g e f ü r das vom Sachverständigen zu erstattende G u t a c h t e n u n d d a m i t f ü r die Entscheidung des Gerichts bietet. I n der H a u p t v e r h a n d l u n g selbst k a n n sich d e r Sachverständige schon desh a l b kein abschließendes Bild von d e r Person des Angeklagten m a c h e n , d a dieser in der V e r h a n d l u n g i m Bewußtsein ihrer Bedeutung erfahrungsg e m ä ß k a u m aus sich herausgeht oder aber versucht, sich zu verstellen. Die vorherige U n t e r s u c h u n g des Angeklagten d u r c h den medizinischen Sachverständigen m u ß d a h e r ü b e r den W o r t l a u t des § 246 a Satz 2 hinaus als zwingende Voraussetzung f ü r die Einweisung in eine Heil- u n d Pflegeanstalt angesehen werden (vgl. B G H 9, 1 im Anschluß a n E. 68, 198, 3 2 7 ; 69, 129). I m übrigen enthält die S t P O bezüglich des S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s e s in § 244 Abs. 4 folgende Bestimmung: ein Beweisantrag auf V e r n e h m u n g eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, a u c h a b g e l e h n t werden, w e n n d a s G e r i c h t s e l b s t d i e e r f o r d e r l i c h e S a c h k u n d e besitzt. ( B G H 3, 27, 5 2 ; 12, 18.) D i e A n h ö r u n g eines w e i t e r e n Sachverständigen k a n n a u c h d a n n a b g e l e h n t werden, w e n n d u r c h das f r ü h e r e G u t a c h t e n das G e g e n t e i l d e r b e h a u p t e t e n T a t s a c h e b e r e i t s e r w i e s e n ist; dies gilt nicht, w e n n die S a c h k u n d e des f r ü h e r e n G u t a c h t e n s zweifelhaft ist, w e n n sein G u t a c h t e n von u n z u t r e f f e n den tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, w e n n das G u t a c h t e n Widersprüche enthält, oder w e n n der neue Sachverständige ü b e r Forschungsmittel verfügt, die d e n e n eines f r ü h e r e n G u t a c h t e n s überlegen erscheinen. (Siehe hierzu B G H 2, 164; 10, 116.) V I . Ein B e w e i s a n t r a g auf E i n n a h m e eines A u g e n s c h e i n s k a n n a b g e l e h n t werden, w e n n der Augenschein n a c h d e m pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts z u r Erforschung der W a h r h e i t nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 5). (Siehe a u c h Fall 3, N a c h t r a g B, S. 84.)

Fall io

ZU FALL 10 A. Vorbemerkung: Allgemeines über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand I. Die StPO gewährt in §§ 44.fr. den R e c h t s b e h e l f d e r W i e d e r e i n s e t z u n g nicht gegen Versäumung von Prozeßhandlungen, sondern nur gegen V e r s ä u m n i s von F r i s t e n . 1. Man unterscheidet bei den F r i s t e n : a) E r k l ä r u n g s f r i s t e n , das sind den Prozeßbeteiligten gesetzte Fristen. Sie sind entweder aa) g e s e t z l i c h e Parteifristen, deren Dauer genau bestimmt ist, meistens eine Woche (z.B. Rechtsmittelfristen), ausnahmsweise 2 Wochen (§ 345 I)i oder 1 Monat (§ 172), oder bb) r i c h t e r l i c h e Parteifristen, das sind für den Einzelfall vom Richter festzusetzende Fristen (z.B. die Erklärungsfrist nach § 201). b) Fristen, die vom G e r i c h t bzw. der Staatsanwaltschaft e i n z u h a l t e n sind (z. B. die Frist für die Urteilsverkündung, § 268, und die Ladungsfrist des § 217). In diesen Fällen kommt eine WE nicht in Frage. 2. Die Berechnung der Fristen ist in §§ 42, 43 geregelt. II. Ausnahmsweise ist Wiedereinsetzung a u c h g e g e n V e r s ä u m u n g e i n e r H a u p t v e r h a n d l u n g , also eines Termins gegeben, und zwar in folgenden vier Fällen: 1 . §235: H a u p t v e r h a n d l u n g I. I n s t a n z o h n e A n w e s e n h e i t des A n g e k l a g t e n gemäß § 232. Der Angeklagte hat hier zwei Rechtsbehelfe, nämlich Wiedereinsetzung nach § 235 oder die Anfechtung nach § 315 (Berufung) bzw. 342 (Revision). Erfolgt die Anfechtung nicht innerhalb der einwöchigen Frist in Verbindung mit oder nach dem Antrag auf Wiedereinsetzung, so gilt das als Verzicht auf die Anfechtung. Erfolgt n u r A n f e c h t u n g , so kann der Antrag auf Wiedereinsetzung auch innerhalb der Frist nicht nachgeholt werden (§ 315 I I I bzw. § 342 III). Der Angeklagte kann also i n n e r h a l b d e r e i n w ö c h i g e n F r i s t zuerst Wiedereinsetzung beantragen und später Berufung bzw. Revision. Legt er zunächst nur Berufung ein, dann kommt ein Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr in Frage. 2. § 3 2 9 1 1 : A u s b l e i b e n des A n g e k l a g t e n in d e r B e r u f u n g s i n s t a n z . Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte außerdem das Rechtsmittel der Revision (§ 333). (Gegen Versäumung der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht gibt es keine Wiedereinsetzung, weil dort die Anwesenheit des Angeklagten oder eines Vertreters nicht erforderlich ist § 35°-) (Siehe hierzu Beschluß des OLG Kiel vom 1. Dezember 1949, abgedruckt in „Monatsschrift für Deutsches Recht" 1950, S. 303.) 3. § 391: A u s b l e i b e n des P r i v a t k l ä g e r s in I. oder II. Instanz.

II. Teil: Lösungen 4. §412: Ausbleiben des Angeklagten in der Einspruchsverhandlung (nach S t r a f b e f e h l ) , in der der Einspruch gemäß § 412 Abs. 1 verworfen worden ist. (Siehe aber § 412 Abs. 2.) Für diese vier Fälle gilt ferner folgendes: a) Die Vorschriften über die Fristversäumnis gelten e n t s p r e c h e n d mit der Maßgabe, daß § 45 I I selbstverständlich ausscheidet. b) Wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben, so ist damit das erste Urteil a u f g e h o b e n , und eine neue Hauptverhandlung ist anzuberaumen. c) Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Hauptverhandlung ist lediglich davon abhängig, daß der Antragsteller infolge unabwendbaren Zufalls an der E i n h a l t u n g d e s T e r m i n s verhindert war; es ist also nicht erforderlich, daß der Antragsteller verhindert war, sein Nichterscheinen zur Hauptverhandlung rechtzeitig zu entschuldigen. (E. 62, 421.) I I I . Die Wiedereinsetzung des § 4 4 ist k e i n R e c h t s m i t t e l ; die §§ 296 ff. finden daher auf sie keine Anwendung. Die Wiedereinsetzung dient nicht dem Zwecke, eine gerichtliche Entscheidung anzufechten und ihre Nachprüfung zu veranlassen, sondern sie will der Prozeßpartei eine Handhabe bieten, sich gegen die sie unverschuldet treffenden Folgen zu wehren, welche das Gesetz an die Verabsäumung einer gesetzlichen oder richterlichen Frist knüpft. Das Institut will der Partei die Möglichkeit verschaffen, eine versäumte Prozeßhandlung noch nachzuholen mit der Wirkung der Rechtzeitigkeit. Daraus nun, d a ß die Nachholung eines prozessualen Aktes lediglich von dem W i l l e n d e r P r o z e ß p a r t e i a b h ä n g t , folgt, d a ß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu den persönlichen prozessualen Befugnissen gehört, welche nur von demjenigen ausgeübt werden können, welcher ihre Folgen f ü r s i c h beansprucht. Daraus folgt, daß weder von A m t s w e g e n eine Wiedereinsetzung gewährt werden kann (E. 76, 178) noch daß der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , ebensowenig wie sie in der Lage ist, die versäumte Prozeßhandlung für den Angeklagten nachzuholen, ein Recht zusteht, das dem Angeklagten gewährte Prozeßrecht der Wiedereinsetzung auszuüben. (E. 22, 32.) Dagegen kann die Staatsanwaltschaft, wie jeder Prozeßbeteiligte, die Wiedereinsetzung zu eigenen Gunsten in Anspruch nehmen. (Siehe hierzu E. 67, 265.) I V . Die Versäumnisgründe sind g l a u b h a f t zu machen (§45 I). Hierunter ist die Erbringung eines nach billigem Ermessen zur Entscheidung genügenden Maßes von W a h r s c h e i n l i c h k e i t zu verstehen. Dies kann z. B. durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen oder anderer Erklärungen von Zeugen geschehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Beweismittel sonst zur Erbringung vollen Beweises über die T a t - und Schuldfrage im Strafprozeß genügend und zulässig sind (E. 28, 8). (Siehe auch §§ 26, 56.)

Fall io

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V. Das Gesuch hindert die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht. Das Gericht kann jedoch, und zwar auch von Amts wegen, einen Aufschub der Vollstreckung anordnen. (§ 47.) VI. Wegen der übrigen Erfordernisse, vor allem wegen des Begriffs „unabwendbarer Zufall" siehe den folgenden Abschn. B. B. Lösung des Falles I . W a r die W i e d e r e i n s e t z u n g s a c h l i c h g e r e c h t f e r t i g t u n d fristgemäß ? 1. V o r b e m e r k u n g : Was als „ u n a b w e n d b a r e r Z u f a l l " i. S. des § 44 anzusehen ist, läßt sich nicht erschöpfend bestimmen; das Gesetz begnügt sich deshalb damit, die N a t u r e r e i g n i s s e als die hier hauptsächlich in Betracht kommenden Zufälle beispielsweise anzuführen. Im übrigen entscheidet das r i c h t e r l i c h e E r m e s s e n darüber, ob dasjenige Vorkommnis, auf welches das Gesuch um Wiedereinsetzung gestützt wird, einen unabwendbaren Zufall darstellt. Nach der A n s i c h t des R e i c h s g e r i c h t s ist unter e i n e m u n a b w e n d b a r e n Z u f a l l ein Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen nach der Besonderheit des Falles zu berücksichtigenden Umständen auch durch die äußerste diesen Umständen angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. (E. 40, 120.) In Betracht kommen also vor allem plötzliche E r k r a n k u n g oder Verhinderung durch einen Unglücksfall; ferner gilt immer als „unabwendbarer Zufall" ein a m t l i c h e s V e r s c h u l d e n wie z.B. verspätete Leerung des gerichtlichen Briefkastens oder Entgegennahme der Revisionsbegründung durch einen unzuständigen Urkundsbeamten oder wenn dieser bei Abgabe der Revisionsbegründung den Angeklagten über die gesetzlichen Erfordernisse überhaupt nicht oder falsch belehrt (siehe E. 67. 197). Als „unabwendbarer Zufall" wird vom Gesetz (§ 44 S. 2) besonders erwähnt die schuldlose Nichterlangung der Kenntnis von einer Zustellung (betrifft vor allem die Ersatzzustellungen nach §§ 181 ff. ZPO, d.h. die Zustellungen in Abwesenheit des Adressaten), sowie die unterlassene Belehrung nach § 35a, 319 II S. 3 oder § 346 II S. 3. 2. Im Anschluß an obige Definition des „unabwendbaren Zustands'' hatten die Strafsenate des Reichsgerichts für das Gebiet der Strafprozeßordnung f r ü h e r den Grundsatz aufgestellt, d a ß ein V e r s c h u l d e n des V e r t e i d i g e r s e i n e n die W i e d e r e i n s e t z u n g in d e n v o r i g e n Stand begründenden u n a b w e n d b a r e n Zufall nicht darstelle. Konnte demnach bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung nichts weiter in Betracht kommen als das geltend gemachte Verschulden des Verteidigers selbst, so konnte das Gesuch als begründet nicht anerkannt werden, es sei d e n n , daß es sich um das Verschulden eines Verteidigers handelte, der b e s t e l l t worden ist; denn es sei, so argumentierte man f r ü h e r , in diesem Falle nicht zu bezweifeln, daß es für den Angeklagten ein reiner Zufall ist.

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II. Teil: Lösungen

wen der Vorsitzende aus den i h m z u r V e r f ü g u n g stehenden Personen auswählt. Diese R e c h t s p r e c h u n g w u r d e in E. 70, 186 aufgegeben. N u n m e h r ist a u c h ein V e r s c h u l d e n d e s W a h l v e r t e i d i g e r s f ü r den Angeklagten ein u n a b w e n d b a r e r Zufall, sofern nicht ein eigenes Verschulden hinzuk o m m t ; d e n n der Verteidiger, u n d zwar a u c h d e r Wahlverteidiger, sei nicht schlechthin der V e r t r e t e r des Angeklagten, sondern O r g a n d e r Rechtspflege. 3 . Ein V e r s c h u l d e n d e s G e s c h ä f t s p e r s o n a l s d e s V e r t e i d i g e r s w a r n a c h der f r ü h e r e n R e c h t s p r e c h u n g n u r d a n n ein „ u n a b w e n d b a r e r Z u f a l l " , w e n n sowohl der Angeklagte als a u c h d e r Verteidiger a u c h bei A n w e n d u n g der größten n a c h den U m s t ä n d e n zu verlangenden Vorsicht a u ß e r s t a n d e w a r e n es zu v e r h i n d e r n (E. 35, 109), nicht aber d a n n , w e n n der Verteidiger d u r c h gehörige Auswahl, Anleitung u n d Ü b e r w a c h u n g die Versäumnis h ä t t e v e r h i n d e r n können. N u n m e h r aber ist n a c h d e r oben e r w ä h n t e n Entscheidung (E. 70, 186) in j e d e m Falle ein Verschulden des Kanzleipersonals ein „ u n a b w e n d b a r e r Z u f a l l " , also ohne Rücksicht d a r a u f , o b das Verschulden bei gehöriger Leitung u n d Ü b e r w a c h u n g der Kanzlei d u r c h d e n Verteidiger h ä t t e vermieden w e r d e n k ö n n e n . 4. A u s d i e s e n E r ö r t e r u n g e n e r g i b t s i c h f ü r d e n v o r l i e g e n den Fall folgendes: a) Der „ u n a b w e n d b a r e Z u f a l l " i. S. des § 44 bestand in d e m pflichtwidrigen V e r h a l t e n des Kanzleiangestellten X . b) Das „ H i n d e r n i s " i. S. des § 45 bestand in d e r U n k e n n t n i s von der V e r s ä u m u n g d e r Frist. c) Das Hindernis w a r „ b e s e i t i g t " a m 7. D e z e m b e r 1959, d . h . an d e m T a g , a n d e m der Rechtsanwalt d u r c h den Verwerfungsbeschluß K e n n t n i s von d e r Fristversäumung erhielt. d) D a schließlich der Wiedereinsetzungsantrag vom 1 1 . D e z e m b e r a m 12. Dezember, also „ i n n e r h a l b e i n e r W o c h e n a c h B e s e i t i g u n g d e s H i n d e r n i s s e s " beim L a n d g e r i c h t einkam, sind somit sämtliche Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 erfüllt. II. D a g e g e n w a r d e r B e s c h l u ß v o m 22. D e z e m b e r 1959, w a s die Z u s t ä n d i g k e i t des ihn e r l a s s e n d e n G e r i c h t s betrifft, gesetzwidrig. 1. Es unterliegt keinem Zweifel, d a ß d e r Beschluß v o m 22. Dezember von einem u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t erlassen w u r d e ; d e n n g e m ä ß §46 Abs. 1 w a r z u r Entscheidung ü b e r das Gesuch nicht die S t r a f k a m m e r des Landgerichts M a n n h e i m , sondern ausschließlich der B u n d e s g e r i c h t s h o f zuständig, w ä h r e n d das Gesuch selbst g e m ä ß § 45 beim L a n d g e r i c h t einzureichen war. 2. N a c h § 46 I I ist indes der d e m Wiedereinsetzungsgesuch s t a t t g e b e n d e Beschluß der A n f e c h t u n g entzogen (gegen die das Gesuch verwerfende Entscheidung ist s o f o r t i g e B e s c h w e r d e zulässig). Diese Vorschrift b e a n s p r u c h t Gültigkeit, gleichviel, o b die Wiedereinsetzung sach-

Fall i o

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lieh zu U n r e c h t gewährt oder ob das Verfahren, in d e m der Beschluß erlassen w u r d e , mit M ä n g e l n behaftet ist. D a h e r i s t d e r B e s c h l u ß a u c h n a m e n t l i c h im vorliegenden Falle der Rechtskraft fähig, o b w o h l er von e i n e m u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t e r l a s s e n w u r d e . (E. 40, 272.) III. Die E i n w e n d u n g e n

des

Staatsanwalts

1. N a c h § 45 I I ist die N a c h h o l u n g der versäumten H a n d l u n g a n sich ein notwendiges Erfordernis der Wiedereinsetzung; ihr Fehlen h a t ebenso eine Zurückweisung des Antrags z u r Folge wie die Rechtsunwirksamkeit der nachgeholten H a n d l u n g . Indes erscheint die „ N a c h h o l u n g " e n t b e h r l i c h , wenn, wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , die V o r n a h m e der betreffenden H a n d l u n g bereits vor der A n b r i n g u n g des Gesuchs stattgefunden h a t t e ; es d ü r f t e d a n n die Bezugn a h m e auf das diesbezügliche Schriftstück genügen. (Siehe O L G Bremen D R Z 50, 94.) (Auch in diesem Falle würde, w e n n m a n den S t a n d p u n k t des Staatsanwalts teilen wollte, die Rechtskraft des d e m A n t r a g s t a t t g e b e n d e n Beschlusses aus d e n oben zu Ziff. I I 2 erörterten G r ü n d e n nicht b e r ü h r t werden.) 2 . Der Staatsanwalt ist ferner o f f e n b a r der Ansicht, d a ß das W i e d e r e i n s e t z u n g s g e s u c h d e s h a l b n i c h t m e h r z u l ä s s i g sei, weil d e r d e m R e c h t s a n w a l t a m 7. D e z e m b e r 1959 z u g e s t e l l t e V e r w e r f u n g s b e s c h l u ß n i c h t a n g e f o c h t e n w o r d e n sei. Diese Ansicht ist rechtsirrig: a) Allerdings wird ein g e m ä ß § 346 Abs. 1 ergehender Beschluß mit fruchtlosem Ablauf der einwöchigen Antragsfrist des § 346 Abs. 2 r e c h t s k r ä f t i g , u n d zwar mit der Wirkung, d a ß a u c h das mit der Revision angefochtene Urteil, w e n n es nicht schon f r ü h e r rechtskräftig geworden ist, mit der Rechtskraft des Beschlusses die Rechtskraft erlangt. (N. B. Das gleiche gilt g e m ä ß § 319 f ü r das Berufungsverfahren.) b) I n d e s d a r f h i e r a u s n i c h t g e f o l g e r t w e r d e n , d a ß d i e R e c h t s k r a f t des Urteils n u n m e h r u n a b ä n d e r l i c h feststehe u n d d a r u m für die W i e d e r e i n s e t z u n g gegen die V e r s ä u m u n g d e r E i n l e g u n g s f r i s t k e i n R a u m m e h r sei. Das Reichsgericht f ü h r t in dieser Hinsicht in E. 53, 288 folgendes a u s : „ D i e Wiedereinsetzung ist der außerordentliche Rechtsbehelf, den das Gesetz mit der M a c h t ausgestattet hat, das V e r f a h r e n in einen Abschnitt v o r der V e r s ä u m u n g der Frist zurückzuversetzen u n d i h m einen a n d e r e n Verlauf zu geben als den, d e n es infolge der V e r s ä u m u n g u n d n a c h ihr g e n o m m e n hat. W e n n d a h e r d e r Z e i t p u n k t der V e r s ä u m u n g vor der Rechtskraft eines Urteils liegt, so wird das V e r f a h r e n in diesen Z e i t p u n k t zurückversetzt. Insoweit h a t die Wiedereinsetzung kraft Gesetzes die M a c h t , ü b e r d i e R e c h t s k r a f t h i n w e g z u g e h e n . G e r a d e diese Rechtskraft ist in den Fällen, in d e n e n die Wiedereinsetzung gegen die Versäum u n g von R e c h t s m i t t e l f r i s t e n nachgesucht wird, die mit der Frist-

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II. Teil: Lösungen

Versäumnis gesetzlich verbundene nachteilige Rechtsfolge, deren Eintritt Voraussetzung des Wiedereinsetzungsgesuches und deren Beseitigung das Ziel der Wiedereinsetzung ist. Es erscheint daher als eine Umkehr des wirklichen Verhältnisses, wenn aus der Rechtskraft, die der Wiedereinsetzung zu weichen hat, ein Grund gegen die Zulassung des Wiedereinsetzungsgesuchs hergeleitet wird. Daß in den Fällen v e r s p ä t e t e r Einlegung der Revision oder der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist die Rechtskraft des Urteils nach § 346 durch einen besonderen, selbst der Rechtskraft fähigen Beschluß festgestellt wird, begründet gegenüber dem Falle, daß überhaupt kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, keinen wesentlichen Unterschied. Denn die Wiedereinsetzung hat, wie gesagt, den gesetzlichen Zweck und die gesetzliche Wirkung, daß die Fristversäumnis und ihre Folge als nicht eingetreten gelten. Damit wird dem Beschlußverfahren seine gesetzliche Grundlage nachträglich kraft Gesetzes wieder entzogen; es verliert ohne weiteres seinen Rechtsbestand." (Siehe auch E. 61, 180; 67, 199.) Die E i n w e n d u n g e n des S t a a t s a n w a l t s , der vor E r l a ß des W i e d e r e i n s e t z u n g s b e s c h l u s s e s g e m ä ß § 33 g e h ö r t werden mußte, sind s o n a c h r e c h t l i c h nicht h a l t b a r .

ZUFALL 11 A. V o r b e m e r k u n g : Allgemeines über Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln und über den Verzicht auf solche I. E i n l e g u n g und Z u r ü c k n a h m e von Rechtsmitteln sowie der Verzicht auf ein solches (§ 302) sind an keine b e s o n d e r e F o r m gebunden. Es gilt also für alle drei Fälle die allgemeine für die Einlegung von Rechtsmitteln vorgesehene Bestimmung (siehe §§ 306, 314, 341), daß nämlich die diesbezüglichen Erklärungen zu P r o t o k o l l der G e s c h ä f t s s t e l l e oder s c h r i f t l i c h erfolgen müssen. Eine lediglich m ü n d l i c h e Erklärung reicht in keinem Falle aus. Deshalb ist z. B. die Verzichtserklärung, die der Verurteilte im Gerichtssaal gleich nach der Urteilsverkündung abgibt, nur dann rechtswirksam, wenn sie der Urkundsbeamte in das Sitzungsprotokoll oder in ein besonderes Protokoll aufnimmt. (Siehe E. 40, 135.) II. Für den V e r t e i d i g e r gilt folgendes: 1. Er bedarf zur E i n l e g u n g eines Rechtsmittels (sie darf gemäß § 297 nicht gegen den Willen des Beschuldigten erfolgen) keiner b e s o n d e r e n L e g i t i m a t i o n ; der Nachweis kann vielmehr auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist vorgelegt werden, wenn nur die Bevollmächtigung innerhalb der Rechtsmittelfrist stattgefunden hat. (E. 55, 213 und Fall 2 Abschn. B III 2 c, cc, S. 48.) 2. Er bedarf zur Z u r ü c k n a h m e sowie zum V e r z i c h t auf Einlegung eines Rechtsmittels (beides kann gemäß § 302 I schon vor Ablauf der Frist

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zur Einlegung wirksam erfolgen) einer ausdrücklichen E r m ä c h t i g u n g , die dem Gericht durch schriftliche oder mündliche Erklärung des Angeklagten nachgewiesen werden m u ß (§ 302 II und E. 64, 164; BGH 3, 46; siehe auch BGH 10, 245 wegen der Frage des Widerrufs der Ermächtigung.) III. B e s o n d e r h e i t e n : 1. Ein von der Staatsanwaltschaft z u g u n s t e n d e s B e s c h u l d i g t e n eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht z u r ü c k g e n o m m e n werden (§ 302 I S. 2), weil möglicherweise der Angeklagte gerade im Hinblick auf die Einlegung des Rechtsmittels seitens der Staatsanwaltschaft davon abgesehen hat, s e l b s t ein Rechtsmittel einzulegen. (Siehe hierzu BGH 2, 41.) 2. Der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r des Angeklagten kann ein von ihm gemäß § 298 eingelegtes Rechtsmittel auch ohne ausdrückliche Ermächtigung wieder zurücknehmen. Eine dem § 302 I I entsprechende Beschränkung ist für den gesetzlichen Vertreter nicht vorgesehen. Wird der Angeklagte volljährig oder entfällt die gesetzliche Vertretung aus einem sonstigen Grund, so ist nur der Angeklagte selbst befugt, darüber zu entscheiden, ob das Rechtsmittel durchgeführt oder zurückgenommen werden soll. Dieses Recht hat er selbst dann, wenn er in einem früheren Verfahrensstadium seinerseits auf die Einlegung von Rechtsmitteln ausdrücklich verzichtet hat (vgl. BGH 10, 174). 3. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung (hierunter fällt auch die nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels) ist nur mit Zustimmung des Gegners möglich (§ 303). (Durch diese Vorschrift soll vor allem verhütet werden, daß die nach § 301 für das Gericht bestehende Möglichkeit, das Urteil z u g u n s t e n des Angeklagten abzuändern, ausgeschaltet wird durch Zurücknahme eines nur von der StA eingelegten Rechtsmittels.) IV. W i r k s a m g e w o r d e n e E r k l ä r u n g e n bezüglich Z u r ü c k n a h m e und V e r z i c h t können weder w i d e r r u f e n (E. 40, 133) noch wegen Irrtums angefochten werden (E. 57, 83; 64, 15; BGH 2, 63, 67; 10, 245.) Durch Zurücknahme und Verzicht ist das Rechtsmittelverfahren ohne weiteres erledigt und das Urteil wird ohne einen besonderen, das Verfahren beendenden Beschluß des Gerichts rechtskräftig. Eine erneute Einlegung des zurückgenommenen Rechtsmittels ist unwirksam, selbst innerhalb der Rechtsmittelfrist (BGH 10, 245.) V. Z u s t ä n d i g zur Entgegennahme sämtlicher Erklärungen ist d a s G e r i c h t , das die fragliche E n t s c h e i d u n g e r l a s s e n hat. Die bei einem a n d e r e n G e r i c h t abgegebene Erklärung wird erst dann rechtswirksam, wenn das betreffende Schriftstück oder Protokoll innerhalb der gesetzlichen Frist beim zuständigen Gericht einkommt. VI. A u s n a h m e n von dem Grundsatz zu V sind für die B e s c h w e r d e (siehe § 306 I Satz 2 und § 3 1 1 I I Satz 2) sowie für den Fall vorgesehen, daß der Beschuldigte sich n i c h t a u f f r e i e m F u ß befindet (§ 299). Dann

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kann er nämlich alle Erklärungen, die sich auf Rechtsmittel beziehen (also nicht nur die Einlegung, sondern auch die Zurücknahme und den Verzicht) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, wo er auf behördliche Anordnung v e r w a h r t wird. Die Befugnis des Beschuldigten, die Erklärung s c h r i f t l i c h abzugeben, wird durch diese Vorschrift nicht aufgehoben. Dagegen hat der Beschuldigte — und das ist der Sinn dieser Bestimmung — kein Recht, die Vorführung vor das eigentlich zuständige Gericht zu verlangen.

B. Lösung des Falles I. Verzicht und Berufungseinlegung des Schwarz 1. Nach den in der Vorbemerkung gemachten Ausführungen muß die Frage, ob die von einem Verhafteten g e g e n ü b e r e i n e m G e f ä n g n i s b e a m t e n abgegebene Verzichtserklärung wirksam ist, an sich v e r n e i n t werden. 2. Im v o r l i e g e n d e n F a l l e hat aber Schwarz den Verzicht auf das Rechtsmittel zu P r o t o k o l l des Gefängnisaufsehers erklärt, was einer s c h r i f t l i c h e n Erklärung gleichkommt, da Schwarz laut Sachverhalt das Protokoll unterschrieben hat. Diese Erklärung wurde rechtswirksam, da sie innerhalb der in § 314 Abs. 1 vorgesehenen Frist von einer Woche beim Amtsgericht einlief. Da am gleichen Tage auch das p e r s ö n l i c h e S c h r e i b e n des Schwarz, in dem er den Verzicht widerrief und Berufung einlegte, beim Amtsgericht einkam, wurden auch diese Erklärungen rechtswirksam, es sei denn, daß der V e r z i c h t auf das Rechtsmittel v o r dem Widerruf und der Berufungseinlegung beim Amtsgericht eintraf. Denn die Verzichtsleistung auf ein Rechtsmittel kann n i c h t w i d e r r u f e n werden. (Siehe oben, Abschn. A I V . )

II. Der Beschluß der Strafkammer vom 16. Oktober 1959 1. Der Amtsrichter selbst konnte über die Berufung keine Entscheidung treffen, da seine Prüfung gemäß §319 ausschließlich die Rechtzeitigkeit der Berufung betrifft, während alle anderen Mängel in der Einlegung des Rechtsmittels der Prüfung des Berufungsgerichts gemäß § 322 unterliegen. 2. Da ebenso wie die Zurücknahme auch der Verzicht n i c h t w i d e r r u f e n werden kann und die Strafkammer die Überzeugung erlangt hat, daß der Verzicht zeitlich v o r dessen Widerruf mit Berufungseinlegung eingekommen sei, bestehen gegen den Verwerfungsbeschluß vom 16. Oktober 1959 keine rechtlichen Bedenken. (NB. Die beschließende Strafkammer hätte auch von einer Verwerfung Abstand nehmen und die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem e r k e n n e n d e n Gericht überlassen können.)

III. Der Beschluß des Oberlandesgerichts 1. Das O L G Stuttgart war zur Erledigung der nach § 322 II erhobenen s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e (die nach § 311 I I I von der Strafkammer nicht

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m e h r berücksichtigt werden konnte) g e m ä ß § 1 2 1 I Nr. 2 G V G zuständig u n d h a t t e seine Entscheidung ohne m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g zu treffen (§ 309 I). 2 . D a die Beschwerde, wie die Berufung (im Gegensatz zur Revision) nicht n u r r e c h t l i c h e Fehler, sondern a u c h auf rein t a t s ä c h l i c h e m G e b i e t liegende F r a g e n der Z w e c k m ä ß i g k e i t u n d B i l l i g k e i t z u m Gegenstand h a b e n kann, bestehen gegen die g e m ä ß § 309 I I erlassene Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Bedenken.

IV. Das Urteil der Strafkammer v o m 15. Dezember 1959 1. Der o b e r l a n d e s g e r i c h t l i c h e B e s c h l u ß w a r f ü r das Berufungsgericht weder als V o r e n t s c h e i d u n g noch als r e c h t s k r ä f t i g e B e j a h u n g d e r Z u l ä s s i g k e i t d e r B e r u f u n g bindend, sondern h a t t e n u r die W i r k u n g , d a ß der die Berufung verwerfende Beschluß wegfiel u n d die S t r a f k a m m e r d e m g e m ä ß ü b e r das Rechtsmittel in der H a u p t v e r h a n d l u n g zu entscheiden hatte. a) V o r a u f g e g a n g e n e E n t s c h e i d u n g e n beschränken d e n Strafrichter in seiner Entscheidungsfreiheit n u r insoweit, als dies aus d e m G e s e t z s e l b s t h e r v o r g e h t . U m eine solche E i n s c h r ä n k u n g d u r c h V o r e n t scheidungen h a n d e l t es sich z.B. in den §§ 12—15, 19, 211, 348 Abs. 2 u n d vor allem in § 358 Abs. 1, der das untere Gericht a n die rechtliche Beurteilung bindet, die das Revisionsgericht seiner Entscheidung z u g r u n d e gelegt h a t , soweit es sich u m ein Urteil handelt. Dagegen e n t h ä l t die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g nirgends eine Vorschrift, aus der e n t n o m m e n werden könnte, d a ß B e s c h l ü s s e der oberen Gerichte als Vorentscheidung i. S. des § 358 Abs. 1 f ü r das u n t e r e Gericht verbindlich seien. (Abgesehen d a v o n ist n u r die r e c h t l i c h e Beurteilung des Revisionsgerichts f ü r das untere Gericht als Vorentscheidung m a ß g e b e n d , w ä h r e n d bezüglich d e r W ü r d i g u n g von T a t s a c h e n das u n t e r e Gericht in j e d e m Falle vollkommen freie H a n d behält.) b ) Der Beschluß des Oberlandesgerichts k a n n aber a u c h nicht als r e c h t s k r ä f t i g e u n d a l s s o l c h e b i n d e n d e Entscheidung angesehen werden. aa) U n b e s t r e i t b a r ist allerdings, d a ß d e r die Zulässigkeit d e r Berufung b e j a h e n d e Beschluß des Oberlandesgerichts g e m ä ß § 304 I V u n a n f e c h t b a r gewesen ist. bb) Die U n a n f e c h t b a r k e i t h a t n u n zwar bei U r t e i l e n ohne weiteres nicht n u r die formelle, sondern a u c h die materielle Rechtskraft zur Folge, nicht aber gilt das gleiche f ü r B e s c h l ü s s e . H i e r bestimmt sich vielmehr der Begriff der Rechtskraft bei den einzelnen Arten von Beschlüssen n a c h d e m Wesen u n d der p r o z e s s u a l e n Bedeutung derselben. M a n che Beschlüsse enthalten eine m a t e r i e l l e Entscheidung der Sache oder doch eines einzelnen Punktes derselben, u n d sie stehen d a h e r in Ansehung ihrer Rechtskraft d e m Urteil gleich, so z. B. der Beschluß, welcher die nachträgliche Festsetzung einer Gesamtstrafe ausspricht (§ 462) oder der in § 469 vorgesehene Beschluß ü b e r die Kosten des Verfahrens, oder d e r

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II. Teil: Lösungen

Beschluß, welcher die Berufung oder die Revision als unzulässig verwirft. (§§ 322 I, 346 I.) sowie §§ 368 I, 372 und schließlich auch der dem Wiedereinsetzungsantrag stattgebende Beschluß nach § 46 II. (Siehe Fall 10, Abschn. B II 2, S. 168 und Löwe-Rosenberg, Anm. 9 zu § 311.) cc) Im v o r l i e g e n d e n F a l l e handelt es sich aber nur um einen das V e r f a h r e n w e i t e r l e i t e n d e n Beschluß, der trotz seiner Unanfechtbarkeit n i c h t die Wirkung einer r e c h t s k r ä f t i g e n Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels hat. Es soll also k e i n e s w e g s durch einen solchen Beschluß das G e r i c h t selbst g e b u n d e n werden in der Form, daß es die Zulässigkeit des Rechtsmittels als rechtskräftig feststehend, d.h. unabänderlich anzusehen habe (E. 59, 241). (NB. Bloße U n a n f e c h t b a r k e i t der Zwischenentscheidung liegt z.B. auch dann vor, wenn eine Sache gemäß § 270 I an das für zuständig erachtete G e r i c h t h ö h e r e r O r d n u n g v e r w i e s e n wird. Auch in einem solchen Falle ist das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, durch die Unanfechtbarkeit der Verweisung nicht gehindert, seinerseits seine sachliche Zuständigkeit gemäß § 6 selbständig zu prüfen und unbeschadet des unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses die Sache an das seines Erachtens zuständige höhere Gericht weiterzuverweisen. Eine g a n z a n d e r e F r a g e aber ist die, ob ein außerhalb der Hauptverhandlung ergangener r e c h t s k r ä f t i g e r B e s c h l u ß nachträglich w i e d e r a u f g e h o b e n werden kann. Diese Frage hat das RG bezüglich § 349 I ( V e r w e r f u n g d e r R e v i s i o n als u n z u l ä s s i g ) für den Fall bejaht, daß der Beschluß auf einer t a t s ä c h lich unzutreffenden Grundlage beruhte (E. 59, 419). Dagegen ist eine nachträgliche Aufhebung des die Revision als offensichtlich u n b e g r ü n d e t verwerfenden Beschlusses gemäß § 349 I I mit der Feststellung, daß die Revision tatsächlich doch begründet ist, nicht möglich (siehe BGH in NJW55, 1766). 2. Die S t r a f k a m m e r w a r also b e r e c h t i g t , ü b e r d a s R e c h t s m i t t e l d e r B e r u f u n g in s e i n e m v o l l e n U m f a n g , e i n s c h l i e ß l i c h d e r F r a g e s e i n e r Z u l ä s s i g k e i t zu e n t s c h e i d e n , u n d z w a r g e m ä ß § 322 I S a t z 2 d u r c h U r t e i l , d a die E n t s c h e i d u n g in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g zu t r e f f e n w a r .

ZU FALL 12 A. Vorbemerkungen: Die materielle Rechtskraft und ihre Auswirkungen I. Begriff Nach Art. 103 I I I GG darf niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. Dieser Grundsatz, der in der juristischen Terminologie unter der Formel ,,ne bis in i d e m " bekannt ist, findet sich zwar in der StPO selbst nicht ausdrücklich

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ausgesprochen, ist j e d o c h als Wesenszug rechtsstaatlichen Denkens in Literatur und Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten anerkannt. Gemeint ist folgendes: der rechtskräftig Verurteilte oder Freigesprochene soll wegen desselben Sachverhalts nicht nochmal auf die A n k l a g e b a n k ; eine durch rechtskräftiges Urteil entschiedene Strafsache kann daher nicht nochmals z u m Gegenstand eines neuen Strafverfahrens gegen denselben Angeklagten gemacht werden. Die S t r a f k l a g e i s t v e r b r a u c h t . Es darf nicht verkannt werden, d a ß der Grundsatz des ne bis in idem in seiner praktischen Auswirkung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen kann, insbesondere dort, wo sich n a c h rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens ergibt, d a ß die T a t in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung weit schwerwiegender zu beurteilen ist als ursprünglich angenommen wurde. Das Bedürfnis nach einer Bestrafung entsprechend d e m materiellen U n rechtsgehalt der T a t m u ß j e d o c h grundsätzlich hinter dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zurücktreten ( B G H 3, 15). II. U m f a n g Die Rechtskraft u m f a ß t nur solche Taten, zu deren A u f k l ä r u n g und A b u r t e i l u n g das Gericht bei der Urteilsfindung berechtigt und verpflichtet war. Als T a t i m p r o z e s s u a l e n S i n n ist dabei d e r g e s a m t e h i s t o r i s c h e V o r g a n g anzusehen, a u f d e n A n k l a g e u n d E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß h i n w e i s e n (vgl. E. 72, 105; B G H 6, 92; E b . Schmidt Lehrkommentar T e i l 1 Nr. 254—265, Teil I I Erl. 5 zu § 264 S t P O ) . Liegt eine T a t i d e n t i t ä t in diesem Sinne vor und ist a u c h I d e n t i t ä t des A n g e k l a g t e n gegeben, so kann ein neues Strafverfahren nicht eingeleitet w e r d e n ; die Strafklage ist verbraucht. III. Einzelheiten und Beispiele 1 . A u c h bei Delikten, die nach materiell-rechtlichen Grundsätzen in Realkonkurrenz zusammentreffen, ist Tatidentität möglich (vgl. B G H 9, 10; 10, 396). Umgekehrt kann der örtliche und zeitliche Z u sammenhang nicht in allen Fällen zur A n n a h m e von Tatidentität führen, wenngleich er oft wertvolle Anhaltspunkte geben wird. E n t s c h e i d e n d ist, ob die in Frage stehende, zunächst unberücksichtigt gebliebene V e r haltensweise des Angeklagten nach a l l g e m e i n e r L e b e n s a u f f a s s u n g noch zu dem V o r g a n g gehört, mit dem sich das zunächst mit der Sache befaßte Gericht g e m ä ß §§ 155, 264 auf G r u n d der Anklage auseinandergesetzt hat. Der sachliche Z u s a m m e n h a n g der Beschuldigung m u ß so eng sein, d a ß eine „getrennte W ü r d i g u n g und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden w ü r d e " ( B G H 13, 21, 26). B e i s p i e l e : a) W e r einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht, dabei einen anderen Verkehrsteilnehmer verletzt und anschließend Unfallflucht begeht, hat sich materiell-rechtlich wegen zweier selbständiger H a n d lungen zu verantworten (§§ 230, 142, 74, 78 S t G B ) . Prozessual liegt dagegen nur e i n e T a t vor.

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b ) Wer bei einem Diebstahl auf frischer T a t ertappt wird u n d Widerstand leistet, u m sich im Besitz der Beute zu halten, hat sich materiellrechtlich nur wegen e i n e r T a t zu verantworten, selbst wenn er bei d e m Widerstand vorsätzlich einen Menschen getötet hat (§§ 2 1 1 , 252 [251], 73 StGB). D a ß hier auch prozessual nur eine T a t anzunehmen ist, liegt auf der H a n d . c) A n d e r s ist jedoch zu entscheiden, wenn in Beispiel b) der T ä t e r erst nach Beendigung des Diebstahls einen Menschen tötet, u m diesen als unliebsamen Tatzeugen zu beseitigen. Hier liegen sowohl materiellrechtlich als auch prozessual zwei rechtlich selbständige H a n d l u n g e n vor (§§ a n , 242, 74 StGB). Der nach Beendigung des Diebstahls begangene M o r d (§ 2 1 1 I I letzte Alternative) bildet mit dem Diebstahl „ n a c h der Auffassung des Lebens" keinen einheitlichen Vorgang. 2. Bei Tatidentität können auch s t r a f e r h ö h e n d e , zunächst unbekannt gebliebene T a t u m s t ä n d e ein neues Verfahren nicht rechtfertigen. Das zuerst mit der Sache befaßte Gericht ist verpflichtet, den Sachverhalt in tatsächlicher u n d rechtlicher Hinsicht u m f a s s e n d zu erforschen u n d zu klären. K o m m t es dieser Pflicht zur „allseitigen Kognition" (Eb. Schmidt a. a. O . Teil I Nr. 255) — verschuldet oder unverschuldet — nicht nach, so darf dieser Mangel den Angeklagten nicht belasten. B e i s p i e l e : a) Wer wegen einfachen Diebstahls rechtskräftig verurteilt ist, kann nicht erneut unter Anklage gestellt werden, wenn sich nachträglich ergibt, d a ß die T a t unter den strafschärfenden Rückfallsvoraussetzungen des § 244 StGB begangen worden war. b ) A ist wegen fahrlässiger T ö t u n g verurteilt. N a c h Rechtskraft des Urteils gesteht er, d a ß er die T ö t u n g vorsätzlich begangen hat. Auch hier ist wegen Tatidentität eine neue Anklage unzulässig. Der U m s t a n d , d a ß A nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat, ist zwar ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt, der die Strafbarkeit erhöhen w ü r d e ; er betrifft aber den gleichen Vorgang, über den auf G r u n d einer entsprechenden Anklage bereits rechtskräftig entschieden wurde. Auch eine Wiedera u f n a h m e nach § 362 Ziff. 4 kommt nicht in Betracht, da A nicht freigesprochen wurde. (NB. hätte sich die V e r ä n d e r u n g des rechtlichen Gesichtspunkts schon w ä h r e n d des inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ergeben, so hätte ein Hinweis nach § 265 genügt; möglicherweise wäre auch eine Verweisung an das sachlich ausschließlich zuständige Schwurgericht erforderlich gewesen [vgl. §§ 80 G V G , 270 S t P O ] ; eine Nachtragsanklage gemäß § 266 hätte jedenfalls nicht erhoben werden müssen. Es gilt in diesem Z u s a m m e n h a n g folgender G r u n d s a t z : dort, wo im Verfahren selbst zur Erfassung neu auftretender U m stände ein Hinweis nach § 265 genügen würde, ist nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens wegen Tatidentität eine erneute Klage unzulässig; dort jedoch, wo neu auftretende U m s t ä n d e nur im Wege der Nachtragsanklage erfaßt werden könnten, ist auch nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens unbedenklich eine neue Klage zulässig.)

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IV. Besonderheiten 1. Nach § 260 III ist das Verfahren durch Urteil einzustellen, wenn sich in der Hauptverhandlung ein P r o z e ß h i n d e r n i s herausstellt. Derartige E i n s t e l l u n g s u r t e i l e sind dann der materiellen Rechtskraft fähig, wenn sie eine endgültige sachliche Erledigung erstreben, z. B. wenn die Einstellung wegen Verjährung erfolgt. 2. Für die f o r t g e s e t z t e S t r a f t a t gilt folgendes: a) Die Einzelakte einer fortgesetzten Tat stellen sich grundsätzlich als einheitlicher historischer Vorgang ( = Tat im prozessualen Sinn) dar. Das bedeutet, daß sämtliche v o r der Urteilsfindung liegenden Einzelakte der fortgesetzten Tat gemäß §§ 155, 264 der allseitigen Kognitionspflicht des Gerichts unterliegen und damit von der Rechtskraftwirkung des Urteils umfaßt werden. Ob das Gericht sie gekannt hat. ist nicht entscheidend (vgl. BGH 6, 92; Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 262). Hieraus folgt: unbekannt gebliebene Einzelakte einer fortgesetzten Tat können — sofern sie zeitlich v o r Urteilsverkündung liegen — nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens nicht mehr angeklagt werden; die Strafklage ist verbraucht. (Siehe hierzu Petters, Strafrechtsfälle, Erster Teil, Fall 2, Nachtrag B, Abschnitt I.) b) Einzelakte einer fortgesetzten Tat n a c h Urteilsverkündung nehmen an der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht teil: die Rechtskraft eines Urteils kann nicht weiter reichen als die Pflicht des Gerichts, einen ihm vorliegenden Sachverhalt zu erforschen. Das Gericht kann aber nur solche Handlungen erforschen, die vor der Urteilsfindung liegen. c) Unstreitig ist auch, daß sich bei einem f r e i s p r e c h e n d e n U r t e i l die Rechtskraft auf alle Einzelakte der fortgesetzten Tat erstreckt, die in Anklage und EröfFnungsbeschluß genannt wurden. Bestritten ist aber, ob die unter a) dargelegten Grundsätze auch dann gelten, wenn sich nach Rechtskraft eines Urteils w e i t e r e , b i s h e r n i c h t b e k a n n t e E i n z e l a k t e herausstellen. Diese Frage dürfte zu bejahen sein; denn es besteht kein Grund, die Rechtskraftwirkungen eines F r e i s p r u c h s anders zu beurteilen als die einer v e r u r t e i l e n d e n Entscheidung. Die Pflicht des Gerichts, den ihm vorliegenden Sachverhalt umfassend zu ermitteln und gegebenenfalls bei fortgesetzten Delikten nach weiteren Einzelakten zu forschen, ist unabhängig davon, ob der Angeklagte schließlich verurteilt oder freigesprochen wird (vgl. Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 262; a. A. E. 24, 420; 47, 399; 54, 335 und 66, 26). d) Streitig ist ferner, ob eine neue Anklage zulässig ist, wenn von einer fortgesetzten Tat zunächst nur ein Einzelakt aufgeklärt und rechtskräftig erledigt wird. Auch hier wird man entgegen der h. A. in Lit. und Rspr. ( R G J W 28, 2247; BGH MDR 53, 273; siehe auch Schwarz Anmerkung 2 c zu § 264) ein neues Verfahren für unzulässig halten müssen. Zwar hat das Gericht, das zunächst mit der Sache befaßt war, nur ein Teilstück der fortgesetzten Tat gekannt; es wäre jedoch auf Grund seiner Pflicht zur allseitigen Kognition gehalten gewesen, nach weiteren Teilstücken der fortgesetzten Tat zu forschen. Die dem Gericht P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

b e k a n n t e E i n z e l h a n d l u n g u n d die u n b e k a n n t gebliebenen E i n z e l h a n d l u n g e n sind Bestandteile desselben historischen Vorgangs. Es m u ß d a h e r a u c h hier der G r u n d s a t z des ne bis in i d e m gelten. e) W i r d B e r u f u n g eingelegt, so ist das Berufungsgericht auf G r u n d seiner Pflicht zur allseitigen Kognition gehalten, sämtliche Einzelakte der fortgesetzten T a t zu erforschen u n d bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Es k o m m t hierbei nicht d a r a u f an, o b die Einzelakte der fortgesetzten T a t vor oder n a c h der U r t e i l s v e r k ü n d u n g in der ersten Instanz liegen. H a t j e d o c h lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt, so h a t das Berufungsgericht das V e r b o t d e r reformatio in peius (§ 331) zu beachten, d. h. die Strafe darf in Art u n d H ö h e nicht z u m Nachteil des Angeklagten a b g e ä n d e r t w e r d e n . Das gilt unstreitig f ü r die Einzelakte der fortgesetzten T a t , die v o r der V e r k ü n d u n g des erstinstanzlichen Urteils liegen. D a s V e r b o t d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s g i l t d a g e g e n n i c h t f ü r d i e T e i l a k t e , d i e n a c h V e r k ü n d u n g des U r t e i l s in e r s t e r I n s t a n z b e g a n g e n w u r d e n . Es wäre unbefriedigend, k ö n n t e der T ä t e r w ä h r e n d eines noch sachlich im Bereich der Schuldfrage anh ä n g i g e n Verfahrens „ u n t e r d e n sehenden A u g e n des Gerichts" sein strafbares V e r h a l t e n ungesühnt fortsetzen ( B G H 9, 324). Das in § 331 ausgesprochene V e r b o t der reformatio in peius ist d a h e r d a h i n g e h e n d einzuschränken, d a ß E i n z e l h a n d l u n g e n einer fortgesetzten T a t , die n a c h d e m erstinstanzlichen Urteil liegen, somit bei d e r Strafzumessung in erster Instanz ü b e r h a u p t nicht berücksichtigt w e r d e n konnten, v o n d e m V e r b o t der Schlechterstellung nicht betroffen w e r d e n . Die v o m Berufungsgericht auszusprechende S t r a f e i s t v i e l m e h r i n a n a l o g e r A n w e n d u n g d e r §§ 74ff. StGB z u b i l d e n (vgl. B G H a . a . O . ) . Diese E i n s c h r ä n k u n g des Verbots der Schlechterstellung ist zwar dogmatisch nicht unbedenklich (vgl. Eb. Schmidt a. a. O . Teil I I A n m . 11 zu § 264); sie ist aber v o m Ergebnis her gesehen u m so m e h r geboten als wegen des Fortsetzungszusammenhangs u n d der d a d u r c h bedingten T a t i d e n t i t ä t n a c h Rechtskraft des Berufungsurteils die zwischen erster u n d zweiter Instanz b e g a n g e n e n Teilakte a u c h in einem neuen V e r f a h r e n nicht m e h r verfolgt werden können. 3. Die f ü r die fortgesetzte T a t aufgestellten G r u n d s ä t z e galten ursprünglich a u c h f ü r die sogenannten S a m m e l s t r a f t a t e n oder K o l l e k t i v d e l i k t e (vgl. E. 47, 400). N a c h d e r G r u n d s a t z e n t s c h e i d u n g des G r o ß e n Senats des Reichsgerichts in E. 72, 164 ist dagegen j e d e r Einzelakt einer S a m m e l s t r a f t a t als rechtlich selbständige H a n d l u n g zu beurteilen, d. h. d u r c h das Band der Gewerbsmäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit oder Geschäftsmäßigkeit wird keine Handlungseinheit gebildet, sofern nicht zufällig i m Einzelfall auch die Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs gegeben sind. Die h. L. im S c h r i f t t u m sowie der B G H sind dieser Ansicht des Reichsgerichts in E. 72, 164 gefolgt (vgl. B G H 1, 41 m . weiteren Nachweisen; a. A. Schwarz A n m . 2 b zu § 264 S t P O u n d Eb. S c h m i d t a . a . O . Teil I N r . 265). Z u r B e g r ü n d u n g der h e u t e h. A. w i r d d a r a u f hingewiesen, d a ß die A n e r k e n n u n g der

Fall 12

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Sammelstraftat als Fall der Handlungseinheit durch den Gesetzeswortlaut nicht geboten ist und zu einer Privilegierung des Gewohnheitsverbrechertums, somit zu kriminalpolitisch unerträglichen Folgen führen kann. Diese liegen zum Teil in unerwünschten Rechtskraftfolgen, zum Teil aber auch in der fehlenden Möglichkeit, § 20a Abs. I I StGB anzuwenden. (Siehe hierzu auch Petters, Strafrechtsfälle, Erster Teil, Fall 2, Nachtrag B, Abschnitt I I Z. 6.) 4. S t r a f b e f e h l e sind ungeachtet des an sich entgegenstehenden Wortlauts in § 4 1 0 n u r b e s c h r ä n k t d e r m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t f ä h i g , d. h. die R e c h t s k r a f t d e s S t r a f b e f e h l s h i n d e r t n i c h t , d i e selbe T a t nochmals unter einem rechtlichen Gesichtspunkt zu v e r f o l g e n , der im S t r a f b e f e h l noch n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t wurde und eine erhöhte S t r a f b a r k e i t bedingt. Diese Einschränkung des in Art. 103 I I I G G verankerten Grundsatzes der Rechtssicherheit nach rechtskräftiger Verurteilung ist ausnahmsweise zulässig, da im Strafbefehlsverfahren eine umfassende Würdigung der T a t unter allen rechtlichen Gesichtspunkten nicht gewährleistet ist (vgl. E. 56, 263; 65, 292; 76, 2 5 1 ; B G H 3, 1 3 ; 9 ) 1 0 ; BVerfGer. N J W 54, 69). I m einzelnen: a ) Ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt, durch den die Strafbarkeit erhöht wird, und damit die Zulässigkeit eines neuen Verfahrens ist immer dann gegeben, wenn innerhalb des gleichen historischen Geschehens zu den bisher bekannten und im Strafbefehl bereits gewürdigten Delikten r e a l k o n k u r r i e r e n d e i n w e i t e r e s D e l i k t h i n z u t r i t t . In einem solchen Fall muß nämlich, sofern die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe noch nicht verbüßt ist, gemäß §§ 74, 79 S t G B auf eine Gesamtstrafe erkannt werden, die höher ist als die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe (vgl. B G H 9, 10). Das gleiche gilt, wenn die Strafe gemäß §§ 77, 78 S t G B nach dem Kumulationsprinzip zu bilden ist. b) Ergibt sich nachträglich ein Delikt, das i d e a l k o n k u r r i e r e n d zu den im Strafbefehl bereits gewürdigten Delikten tritt, so hängt die Entscheidung, ob ein neues Verfahren zulässig ist, davon ab, ob durch das neu hinzutretende Delikt der Strafrahmen erhöht wird. c ) Kein neues Verfahren ist zulässig, wenn sich im Rahmen des gleichen historischen Geschehens neue Tatumstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen, ohne daß neue rechtliche Gesichtspunkte auftreten (vgl. B G H 6, 122). B e i s p i e l : A ist wegen fortgesetzter Genußmittelentwendung durch Strafbefehl zu einer Haftstrafe von zwei Wochen verurteilt worden. Ergibt sich nach Rechtskraft des Strafbefehls, daß A in Fortsetzung seines ursprünglichen Tatplans noch zwei weitere Genußmittelentwendungen begangen hat, die dem Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat, nicht bekannt waren, so ist ein neues Verfahren wegen dieser zwei neu ermittelten Teilakte der fortgesetzten Handlung nur dann zulässig, wenn das Gericht gleichzeitig zu der Überzeugung gelangt, daß sich die Tat bei Würdigung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung von Menge und Wert der entwendeten Genußmittel nicht mehr als Über12»

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I I . Teil: Lösungen

tretung g e m ä ß § 370 Ziffer 5 StGB darstellt, sondern u n t e r § 24a StGB, gegebenenfalls sogar u n t e r § 243 oder 244 StGB zu subsumieren ist. d ) K o m m t es n a c h d e n vorstehenden A u s f ü h r u n g e n in zulässiger Weise zu einer erneuten V e r u r t e i l u n g (auch ein neuer Strafbefehl ist nicht ausgeschlossen!), so ist d i e f r ü h e r e S t r a f e , s o f e r n s i e b e r e i t s v e r b ü ß t i s t , a n z u r e c h n e n . Hierbei ergeben sich d r e i M ö g l i c h k e i t e n : aa) H a n d e l t es sich u m g l e i c h a r t i g e Strafen, so k a n n die erste ohne weiteres von der zweiten in A b z u g g e b r a c h t werden. bb) Bei u n g l e i c h a r t i g e n F r e i h e i t s s t r a f e n m u ß d e r A b z u g u n t e r Z u g r u n d e l e g u n g des U m w a n d l u n g s m a ß s t a b e s in § 21 StGB erfolgen. cc) Ist i m Strafbefehl auf eine G e l d s t r a f e e r k a n n t worden u n d i m späteren Urteil auf eine F r e i h e i t s s t r a f e , so m u ß nach B G H 3, 13 (17) nicht etwa die Ersatzfreiheitsstrafe auf die neue Strafe angerechnet, sondern die R ü c k z a h l u n g der Geldstrafe a n g e o r d n e t werden. e) W a r die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe noch nicht v e r b ü ß t , so ist bei der e r n e u t e n V e r u r t e i l u n g auszusprechen, d a ß die i m Strafbefehl e r k a n n t e Strafe in Wegfall k o m m t . f ) K o m m t das Gericht n a c h Einleitung eines n e u e n Verfahrens d u r c h die Staatsanwaltschaft zu der Ü b e r z e u g u n g , d a ß der S t r a f b e f e h l z u t r e f f e n d w a r oder d a ß er zwar nicht zutreffend war, aber die Voraussetzungen f ü r eine A u f l o c k e r u n g der G r u n d s ä t z e ü b e r die Rechtskraft nicht vorliegen, so ist d e r jeweiligen Prozeßlage entsprechend aa) die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s a b z u l e h n e n (§ 204) oder bb) das V e r f a h r e n d u r c h Beschluß g e m ä ß § 206 a bzw. d u r c h Urteil g e m ä ß § 260 I I I einzustellen. 5. B e s c h l ü s s e sind n u r dort der materiellen Rechtskraft fähig, wo i h n e n das Gesetz ausdrücklich diese Rechtswirkung beimißt. Es h a n d e l t sich d a b e i ausschließlich u m solche Beschlüsse, die ein bereits eingeleitetes V e r f a h r e n abschließen. H i e r u n t e r fallen a ) der B e s c h l u ß , d u r c h den die E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s a b g e l e h n t oder d e r Angeschuldigte a u ß e r Verfolgung gesetzt wird, § 2 1 1 ; b ) der V e r w e r f u n g s b e s c h l u ß des Oberlandesgerichts i m K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n , § 174 I I ; c) g e r i c h t l i c h e E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e n a c h § 206a; d ) g e r i c h t l i c h e E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e n a c h § 153 I I I . I m einzelnen: Z u a ) : H a t das Gericht den A n t r a g der Staatsanwaltschaft auf Erö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s abgelehnt (§ 204 I) oder d e n Angeschuldigten n a c h Abschluß der gerichtlichen V o r u n t e r s u c h u n g a u ß e r Verfolgung gesetzt (§ 204 I I ) , so ist der Angeschuldigte — sofern die Staatsanwaltschaft nicht mit Erfolg sofortige Beschwerde einlegt (§ 2 1 0 I I ) — bei u n v e r ä n d e r t e r Sachlage gegen weitere I n a n s p r u c h n a h m e gesichert. Ergeben sich j e d o c h n a c h Rechtskraft des Beschlusses n e u e T a t s a c h e n o d e r B e w e i s m i t t e l , so tritt ein V e r b r a u c h der Straf klage nicht ein. M a n

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kann auch hier von beschränkter materieller Rechtskraft sprechen. Der Unterschied gegenüber der beschränkten materiellen Rechtskraft des Strafbefehls darf jedoch nicht verkannt werden: nach Rechtskraft des Strafbefehls kann ein neues Verfahren selbst bei Vorliegen neuer Tatsachen nur dann eingeleitet werden, wenn sich neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die bisher nicht berücksichtigt wurden und eine erhöhte Strafbarkeit begründen (siehe oben Abschnitt I V 4, S. 179). Nach Rechtskraft des Beschlusses nach § 204 kommt es dagegen nur darauf an, ob sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben. Nicht entscheidend ist jedoch, ob sich auch neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben oder ob ein höheres Strafmaß zu erwarten ist. Zu b): Die in § 174 II getroffene Regelung entspricht der in § 211. Hat das Oberlandesgericht entschieden, daß kein Anlaß zur Erhebung der öffentlichen K l a g e besteht, so kann eine öffentliche Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden. Aus § 174 II folgt ferner, daß auch der Verletzte ein neues Klageerzwingungsverfahren betreiben kann, wenn er in der Lage ist, neue Tatsachen oder Beweismittel geltend zu machen (vgl. K G J R 57, 150). Zu c) Für Einstellungsbeschlüsse nach § 206 a gelten dieselben Grundsätze wie für Einstellungsurteile nach § 260 III, d. h. ein Verbrauch der Strafklage tritt nur ein, wenn durch den Beschluß eine endgültige sachliche Erledigung erstrebt wurde (siehe oben Abschnitt I V 1, S. 177). Zu d): Der Umfang der materiellen Rechtskraft von Einstellungsbeschlüssen nach § 153 I I I (gerichtliche Einstellung von Bagatellsachen mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) ist umstritten. Nach Ansicht des Reichsgerichts (E. 65, 291; 75, 123) ist die Einleitung eines neuen Verfahrens dann zulässig, wenn sich nachträglich ergibt, daß es sich bei der eingestellten Bagatellsache in Wirklichkeit um ein Verbrechen handelt, z. B. wenn sich eine zunächst als fahrlässiger Falscheid gewertete Zeugenaussage nachträglich als Meineid darstellt. Die h. L. im Schrifttum und der Bundesgerichtshof (vgl. B G H M D R 54, 181 und M D R 54, 400 bei Daliinger) haben die Rspr. des Reichsgerichts übernommen. Zur Begründung wird daraufhingewiesen, § 153 III ermächtige das Gericht, bei offensichtlichem Bagatellcharakter eines Vergehens oder einer Übertretung von einer Sachentscheidung, die den Prozeßgegenstand in seiner Gesamtheit erledigt, abzusehen. Das Gericht sei lediglich verpflichtet zu prüfen, ob die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend waren. Sei aber das Gericht zu einer erschöpfenden Sachentscheidung nicht verpflichtet, so könne auch die Strafklage nicht verbraucht sein. Demgegenüber mißt Eb. Schmidt (a. a. O. Teil I Nr. 273) dem Beschluß nach § 153 III v o l l e R e c h t s k r a f t w i r k u n g bei. Für diese Ansicht spricht zunächst, daß bei § 153 eine die Wiederaufnahme gestattende Bestimmung, wie sie sich in § 154 V findet, fehlt. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, daß das Gericht vor der Einstellung die Möglichkeit hatte, seiner Pflicht zur umfassenden Erforschung des Sachverhalts nach-

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II. Teil: Lösungen

zukommen. Die Situation ist also völlig anders als im Strafbefehlsverfahren. Es besteht daher auch kein Anlaß, den Grundsatz des „ne bis in idem" zu durchbrechen und dadurch die rechtsstaatlich garantierte Rechtssicherheit mehr als erforderlich zu beeinträchtigen. Aus den gleichen Gründen ist auch eine analoge Anwendung von §211 abzulehnen. V. Kein Verbrauch der Strafklage tritt ein 1. durch ein Urteil im D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n ; 2. durch E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t ; 3. durch Z u r ü c k n a h m e d e r K l a g e im Strafbefehlsverfahren nach erfolgtem Einspruch (E. 63, 266); 4. durch eine E i n s t e l l u n g (Urteil oder Beschluß) wegen eines p r o z e s s u a l e n M a n g e l s , dessen Behebung möglich ist (siehe oben Abschnitt IV 1 und IV 5 c). 5. U r t e i l e d e r B e s a t z u n g s g e r i c h t e haben grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung, da die Besatzungsgerichte keine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt haben (BGH 6, 176); die ausgesprochenen Strafen sind jedoch, soweit verbüßt, in analoger Anwendung von § 7 StGB bei einer erneuten Verurteilung durch ein deutsches Gericht anzurechnen (vgl. BGH a. a. O. 178). Für Urteile der amerikanischen, britischen und französischen Besatzung sind außerdem die Besonderheiten des sog. U b e r l e i t u n g s v e r t r a g s vom 30. 3. 1955 (BGBl. II 405) zu beachten. Nach Art. 7 I des Überleitungsvertrags bleiben alle Entscheidungen der Besatzungsgerichte a u c h n a c h d e u t s c h e m R e c h t r e c h t s w i r k s a m (vgl. auch BGH NJW 56, 1766). 6. Wegen der Rechtskraft von Bußgeldbescheiden siehe § 65 OWiG. B. Lösung des Falles I. Die Zurücknahme des Strafantrags 1. Strafanträge können nur dort zurückgenommen werden, wo das Gesetz die Zurücknahme ausdrücklich vorsieht (§ 64 StGB). Dementsprechend ist die Z u r ü c k n a h m e z u l ä s s i g u. a. in den Fällen der §§ 123, 185 fr. (194), 248a, 248b, 265 a und 370 Ziff. 5/6 StGB. Sie ist dagegen u n z u l ä s s i g in den Fällen der §§ 170, 172, 182, 236, 237, 299, 300, 301, 302 StGB. B e s o n d e r h e i t e n gelten für die K ö r p e r v e r l e t z u n g und die S a c h b e s c h ä d i g u n g . Der ausdrücklichen Regelung in § 232 II bzw. § 303 IV zufolge kann der Strafantrag nur dann zurückgenommen werden, wenn es sich bei dem verletzten Antragsteller um einen Angehörigen des Beschuldigten handelt. (NB. Auch in anderen Fällen bringt das Gesetz klar zum Ausdruck, daß die Strafverfolgungsorgane bei Delikten im Bereich der Individualsphäre überhaupt nicht oder nicht gegen den Willen des von der Tat

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betroffenen Angehörigen z u m Einschreiten befugt sind, vgl. §§ 247 I / I I , 248a I I I , 248b I V , 263 V, 2 6 5 a I I I , 266 I I I , 294, 370 Ziff. 5). 2 . Eine z e i t l i c h e B e s c h r ä n k u n g f ü r die Z u r ü c k n a h m e des Strafantrags besteht insoweit, als eine Z u r ü c k n a h m e g e m ä ß § 64 StGB n u r bis z u r V e r k ü n d u n g eines auf Strafe l a u t e n d e n Urteils zulässig ist. E n t scheidend ist dabei d e r Beginn der Urteilsverkündung (E. 57, 268). I n der Rechtsmittelinstanz ist die Z u r ü c k n a h m e n u r d a n n zulässig, w e n n der Angeklagte in d e n Vorinstanzen freigesprochen w u r d e . 3 . F ü r den v o r l i e g e n d e n F a l l gilt somit folgendes: d a der Strafa n t r a g gegen einen Angehörigen gerichtet w a r u n d ein auf Strafe lautendes Urteil noch nicht ergangen war, k o n n t e Bruno den S t r a f a n t r a g gegen seinen Bruder Alexander in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g rechtswirksam zurücknehmen. 4 . W i r d ein S t r a f a n t r a g z u r ü c k g e n o m m e n , so m u ß d e r Antragsteller d a m i t rechnen, d a ß i h m bei Einstellung des Verfahrens die K o s t e n auferlegt w e r d e n (§ 470 Satz 1). E r k a n n diesem Kostenrisiko d a d u r c h entgehen, d a ß er die R ü c k n a h m e d a v o n a b h ä n g i g m a c h t , d a ß der Angeklagte die Kosten ü b e r n i m m t (vgl. B G H 9, 149 m . A n m . H e n k e l J Z 56, 766).

II. Die Verneinung eines besonderen öffentlichen Interesses W i r d bei einer K ö r p e r v e r l e t z u n g ein S t r a f a n t r a g nicht gestellt oder rechtswirksam z u r ü c k g e n o m m e n , so k a n n die Staatsanwaltschaft a u c h v o n A m t s w e g e n ein V e r f a h r e n einleiten, w e n n ein b e s o n d e r e s ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e a n der Strafverfolgung besteht (§ 232 StGB). Es h a n d e l t sich hierbei u m eine A u s n a h m e b e s t i m m u n g , die nicht analog auf a n d e r e Antragsdelikte ü b e r t r a g e n w e r d e n darf ( B G H 7, 256). O b ein besonderes öffentliches Interesse a n der Strafverfolgung zu b e j a h e n ist, liegt i m pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft u n d k a n n v o m Gericht nicht ü b e r p r ü f t werden. Es ist dabei d u r c h a u s möglich, d a ß die Staatsanwaltschaft in d e n verschiedenen Stadien des Strafverfahrens zu verschiedenen Ergebnissen k o m m t (vgl. O L G Stuttgart J R 53, 348). Sie ist hierbei a n keine Frist g e b u n d e n , insbesondere nicht a n die Antragsfrist (vgl. B G H 6, 282). R e f e r e n d a r R k o n n t e a l s o i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneinen, obwohl das besondere öffentliche Interesse bis d a h i n b e j a h t w o r d e n w a r . (NB. Bei der Verletzung eines Angehörigen sollte die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse a n der Strafverfolgung n u r ausnahmsweise u n d n a c h sorgfältiger P r ü f u n g aller U m s t ä n d e bejahen, z. B. w e n n d e r Angehörige sehr schwer verletzt w u r d e oder das Verschulden des T ä t e r s besonders ernst zu beurteilen ist.)

III. Die Entscheidung des Amtsrichters Die rechtswirksame R ü c k n a h m e des Strafantrags d u r c h Bruno u n d die V e r n e i n u n g eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft h a b e n zur Folge, d a ß d e m

II. Teil: Lösungen weiteren Verfahren ein P r o z e ß h i n d e r n i s entgegensteht. Das Verfahren ist daher durch Urteil gemäß § 260 I I I einzustellen.

IV. Die Rechtslage nach dem Tod Brunos Es ist zu prüfen, ob mit der Einstellung des Verfahrens eine endgültige Erledigung der Sache gewollt war. Hierfür spricht, daß Bruno seinen zurückgenommenen Strafantrag auch zu Lebzeiten — selbst innerhalb der Antragsfrist — nicht mehr hätte erneuern können, da jeder Verzicht auf den Strafantrag endgültig ist (vgl. Dreher-Maaßen a. a. O. § 64 Anm. 2). Andererseits ist die Staatsanwaltschaft — wie oben unter I I dargelegt — durch ihre frühere Entscheidung nicht gebunden. Sie kann daher jederzeit erneut das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Ein derartiger Fall wird zwar eine seltene Ausnahme sein, läßt sich jedoch durchaus denken. H i e r a u s f o l g t , d a ß d a s G e richt eine endgültige sachliche E r l e d i g u n g nicht h e r b e i f ü h r e n konnte und die W i r k u n g e n der m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t (Verbrauch der Strafklage) daher nicht eintreten konnten. Ein n e u e s V e r f a h r e n k a n n d e m n a c h e i n g e l e i t e t w e r d e n . Die Anklage wird auf f a h r l ä s s i g e T ö t u n g lauten.

V. Die Entscheidung des Schöffengerichts Das Schöffengericht hat die Sache durch Beschluß nach § 270 an das Schwurgericht zu verweisen, dessen ausschließliche Zuständigkeit sich aus § 80 G V G ergibt. (NB. Die Verweisung kann rechtswirksam nur auf Grund der Hauptverhandlung erfolgen; an der Beschlußfassung müssen alle Richter mitwirken, deren Mitwirkung in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Mängel beim Zustandekommen des Beschlusses haben zur Folge, daß der Beschluß als rechtlich wirkungslos angesehen werden muß und nicht zur Unterlage des weiteren Verfahrens gemacht werden darf, B G H 6, 109.)

VI. Die prozessualen Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft hätte an sich die Möglichkeit, mit den ordentlichen Rechtsmitteln ( B e r u f u n g oder R e v i s i o n ) die Aufhebung des Urteils zu erreichen. Die Sache würde dann an das Schöffengericht zurückverwiesen, das sich erneut mit der Sache befassen und diese schließlich nach § 270 an das Schwurgericht verweisen müßte. (NB. Das Rechtsmittelgericht könnte die Sache nicht unmittelbar an das Schwurgericht verweisen, da das Schöffengericht seine Unzuständigkeit keineswegs verkannt hatte, somit die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 328 I I I bzw. § 355 nicht vorliegen.) Diesen recht umständlichen und zeitraubenden Weg kann sich die Staatsanwaltschaft ersparen, indem sie ohne Rücksicht auf das Einstellungsurteil des Schöffengerichts u n m i t t e l b a r A n k l a g e b e i m S c h w u r g e r i c h t e r h e b t bzw. die gerichtliche Voruntersuchung beantragt. Dieser Weg ist ohne weiteres gangbar, da das Einstellungsurteil eine endgültige sachliche Erledigung weder herbeiführen wollte noch konnte. Ein Ver-

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brauch der Strafklage ist daher nicht eingetreten (vgl. E. a6, 150 und Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 270 Anm. 336 m. weiteren Nachweisen). VII. Die Klageerhebung beim Schwurgericht ist s o f o r t m ö g l i c h . Die R e c h t s h ä n g i g k e i t beim Schöffengericht endet zwar erst mit der Rechtskraft des Einstellungsurteils. Die Staatsanwaltschaft kann jedoch dessen ungeachtet sofort neue Klage erheben, da das Schwurgericht allein sachlich zuständig ist. Es besteht daher keine Gefahr, daß das Schwurgericht in unzulässiger Weise in die Entscheidungskompetenz des Schöffengerichts eingreift und möglicherweise zwei verschiedene Urteile in derselben Sache ergehen. Die anderweitige Rechtshängigkeit wirkt sich bei dieser Sachlage ausnahmsweise nicht als Prozeßhindernis aus (vgl. Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 160 m. weiteren Nachweisen).

ZU FALL 13 I. Die Entscheidung des Amtsrichters 1. Ein rechtskräftiges Urteil der Kleinen Strafkammer liegt bereits vor: Wie sich aus den Vorbemerkungen zu Fall 12 Abschnitt IV 2e (S. 178) ergibt, hätte die Kleine Strafkammer als Berufungsgericht auf Grund ihrer allseitigen Kognitionspflicht alle Einzelakte der fortgesetzten Tat erforschen und bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Diese Pflicht zur Erfassung des gesamten Sachverhalts bezieht sich auch auf solche Teilakte der fortgesetzten Tat, die nach dem erstinstanzlichen Urteil liegen. Auch diese nehmen somit an der Rechtskraft des Urteils teil. Kommt nun das erneut mit solchen Einzelakten befaßte Gericht zu dem Ergebnis, daß die vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Teilakte Bestandteile der bereits vom Berufungsgericht rechtskräftig erledigten fortgesetzten Tat sind, so steht der weiteren Durchführung des Verfahrens das P r o z e ß h i n d e r n i s d e r m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t entgegen. Die Strafklage ist verbraucht. Hieraus folgt: erkennt der Amtsrichter das Prozeßhindernis erst n a c h Eintritt in die Hauptverhandlung, so ist das Verfahren gemäß § 260 I I I durch Urteil einzustellen. 2. Steht die Berufungsverhandlung noch aus, so steht der weiteren Durchführung des Verfahrens das P r o z e ß h i n d e r n i s d e r a n d e r w e i t i g e n R e c h t s h ä n g i g k e i t entgegen. Der Amtsrichter wird also auch bei dieser Sachlage nach § 260 I I I StPO das Verfahren einstellen und die Akten d e m B e r u f u n g s g e r i c h t v o r l e g e n , damit dieses die beiden Vorfälle vom 1. 7. bzw. 8. 7. i960 in das dort anhängige Verfahren einbeziehen kann. II. Die gesetzlich zulässige Höchststrafe in der Berufungsinstanz Geht das Berufungsgericht von der Auffassung des Amtsrichters aus, so sind die beiden am 1. 7. bzw. 8. 7. i960, somit nach Erlaß des erst-

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II. Teil: Lösungen

instanzlichen Urteils liegenden Teilakte der fortgesetzten Tat mit zu erfassen und abzuurteilen. In analoger Anwendung von § 265 ist die Angeklagte darauf hinzuweisen, daß sie auch wegen dieser beiden Teilakte bestraft werden kann. Auf den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius (§ 331 I) kann sich Veronika bei der gegebenen Sachlage nach der neuesten Rechtsprechung des BGH nicht berufen (vgl. BGH 9, 324 sowie Vorbemerkungen zu Fall 12, Abschn. I V 2 e S. 178); die Strafe ist vielmehr in a n a l o g e r A n w e n d u n g d e r §§ 74fr. StGB zu bilden. Hieraus folgt: Veronika kann nach dem für Haftstrafen geltenden K u m u l a t i o n s prinzip (§ 77 I I StGB) zu insgesamt 12 Wochen Haft verurteilt werden (6 Wochen Haft für die Teilakte v o r Erlaß des erstinstanzlichen Urteils und 6 Wochen Haft für die Teilakte n a c h Erlaß des erstinstanzlichen Urteils). Eine Einweisung in das Arbeitshaus gem. § 42 d StGB erscheint in Hinblick auf § 331 II bedenklich. Es wirft sich jedoch die Frage auf, ob die Angeklagte durch ihre erneute Straffälligkeit nach Einlegung der Berufung nicht nur den Schutz des § 331 I, sondern auch den des § 331 I I StPO verwirkt hat. Der BGH hat sich — soweit ersichtlich — zu dieser Frage noch nicht geäußert. Er müßte sie jedoch in konsequenter Fortführung seiner in BGH g, 324 niedergelegten Grundsätze bejahen. III. Die Rechtslage, wenn die Kleine Strafkammer die Ansicht des Amtsrichters hinsichtlich des Fortsetzungszusammenhangs nicht teilt. Geht die Kleine Strafkammer als Berufungsgericht entgegen der Ansicht des Amtsrichters davon aus, daß die Vorfälle am 1. 7. und 8. 7. i960 nicht als Teilakte der fortgesetzten Tat, sondern als rechtlich selbständige Handlungen anzusehen sind, so kommt eine Aburteilung in der Berufungsinstanz nicht in Betracht. Mangels Tatidentität reicht ein Hinweis nach § 265 nicht aus; eine Nachtragsanklage gemäß § 266 ist in der Berufungsinstanz grundsätzlich unzulässig, da den Prozeßbeteiligten sonst eine Tatsacheninstanz verloren ginge. Es ist nunmehr zu prüfen, ob das einstellende Urteil der materiellen Rechtskraft fähig war. Wie in den Vorbemerkungen zu Fall 12 Abschn. I V 1 (S. 177) dargelegt, sind auch einstellende Urteile der materiellen Rechtskraft fähig, sofern sie eine endgültige sachliche Erledigung erstreben. Wird — wie hier — wegen anderweitiger Rechtshängigkeit eingestellt, so kann und soll dadurch nicht notwendig das Verfahren endgültig zum Abschluß gebracht werden. Es lassen sich nämlich durchaus Fälle denken, in denen die hindernde anderweitige Rechtshängigkeit nachträglich wegfällt, ohne daß das anderweitig mit der Sache befaßte Gericht eine der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidung getroffen hat. So wäre es etwa denkbar, daß Veronika ihre Berufung gegen das Urteil vom 1. 6. i960 zurücknimmt. In diesem Fall wäre es unbedenklich, wegen der nach dem 1. 6. 1960 begangenen Teilakte der fortgesetzten Handlung ein neues

Fall 14

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Verfahren einzuleiten. Veronika wäre dann nämlich so zu stellen, wie wenn sie keine Berufung eingelegt hätte. Z u s a m m e n f a s s e n d kann festgestellt werden, d a ß das wegen anderweitiger Rechtshängigkeit einstellende Urteil nicht der m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t f ä h i g ist. D i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t ist a l s o n i c h t g e h i n d e r t , e r n e u t K l a g e zu e r h e b e n .

ZU FALL 14 A. Vorbemerkung: Das Strafbefehlsverfahren I . Bei Ü b e r t r e t u n g e n und V e r g e h e n kann die Strafe durch schriftlichen S t r a f b e f e h l des A m t s r i c h t e r s ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden, wenn die Staatsanwaltschaft schriftlich hierauf anträgt (§ 4°7)D i e s e S t r a f e d a r f a b e r n u r s e i n (§ 407 Abs. 2): 1. Geldstrafe (bei Übertretungen in Höhe von 3—150 DM, bei Vergehen in der Regel in der Höhe von 5—10000 D M ; siehe §§ 27, 27a StGB); 2. Freiheitsstrafe von höchstens drei Monaten; 3. Einziehung; 4. die Befugnis zur Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes; 5. Bekanntmachung der Entscheidung. Maßregeln der S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g dürfen in einem Strafbefehl nicht angeordnet werden (§ 407 Abs. 3). Gegen J u g e n d l i c h e darf kein Strafbefehl erlassen werden (§ 79 I J G G ) ; zulässig ist er aber gegen Heranwachsende (§ 103 JGG). II. Der A n t r a g des S t a a t s a n w a l t s , der eine bestimmte Strafe zum Gegenstand haben muß (§ 408 Abs. 1), enthält verfahrensrechtlich die Erhebung der Anklage und muß daher den Anforderungen des § 200 Abs. 1 genügen (§ 409). III. Der Amtsrichter hat den A n t r a g z u r ü c k z u w e i s e n : 1. Wenn die Sachlage die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigen würde (§ 204), also insbesondere, wenn der Beschuldigte der ihm zur Last gelegten Straftat n i c h t h i n r e i c h e n d v e r d ä c h t i g erscheint, oder wenn eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g f e h l t , z. B. der erforderliche Strafantrag nicht gestellt ist. 2. Wenn der Antrag nicht der gesetzlichen F o r m entspricht oder u n s t a t t h a f t ist (§ 407), z. B. weil die Tat ein Verbrechen ist. (NB. Z u r ü c k w e i s u n g e i n e s S t r a f b e f e h l s a n t r a g s ist im G e s e t z n i c h t b e s o n d e r s e r w ä h n t . Ihre Möglichkeit ergibt sich aber aus § 204, der analog anzuwenden ist. Gegen einen solchen zurückweisenden

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II. Teil: Lösungen

Beschluß steht der Staatsanwaltschaft die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e gemäß §210 Abs. 2 zu. Wird ihr stattgegeben, so wird das Beschwerdegericht unter Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses den Amtsrichter anweisen, dem Verfahren prozessualen Fortgang zu geben. Da ein Strafbefehl immer nur vom Amtsrichter erlassen werden kann, kann das Beschwerdegericht trotz § 309 I I nicht selbst den Erlaß des beantragten Strafbefehls beschließen. Ebensowenig ist es befugt, den Amtsrichter zum Erlaß des beantragten Strafbefehls anzuweisen. Der Amtsrichter kann dann, wenn er seine Bedenken durch den Beschwerdebeschluß behoben sieht, den Strafbefehl wie beantragt erlassen oder aber Hauptverhandlungstermin bestimmen. I V . Der Amtsrichter hat nach §408 Abs. 2 H a u p t v e r h a n d l u n g anzuberaumen (also ohne Eröffnungsbeschluß): 1. wenn er B e d e n k e n hat, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden (weil z. B. Zweifel bestehen, wie die T a t rechtlich zu qualifizieren ist); 2. wenn er hinsichtlich der S t r a f e von dem Antrag abweichen will. In diesem letzteren Falle wird er zuvor seine abweichende Ansicht der Staatsanwaltschaft mitteilen und diese zur Erklärung darüber auffordern, ob sie bei ihrem Antrag beharre. In jedem Falle, also auch im Falle 1 kann eine V e r s t ä n d i g u n g zwischen Amtsrichter und Staatsanwalt dahin führen, daß letzterer den Antrag auf Erlaß des Strafbefehls zurücknimmt. V. Der S t r a f b e f e h l w i r d e r l a s s e n , wenn weder tatsächliche noch rechtliche Bedenken entgegenstehen (§ 408 Abs. 1). Er m u ß neben der Bezeichnung der strafbaren Handlung, des Strafgesetzes, der Beweismittel und der Strafe die E r ö f f n u n g e n t h a l t e n , daß er vollstreckbar werde, wenn der Beschuldigte nicht binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem Amtsgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle E i n s p r u c h erhebe (§ 409). V I . Die Z u s t e l l u n g des Strafbefehls kann in jeder gesetzlich vorgesehenen Form erfolgen, insbesondere auch durch Niederlegung gemäß §§ 182, 195a Z P O (BGH 13, 182; siehe auch F a l l s Abschnitt I I 3 betr. Zustellung von Urteilen, die in Abwesenheit des Angeklagten ergangen sind). H a t der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so hat die Zustellung auch an diesen zu erfolgen (§ 409 II). V I I . Bei r e c h t z e i t i g e m E i n s p r u c h (bei entschuldbarer Versäumung der Einspruchsfrist ist Wiedereinsetzung möglich), der bis zum Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen werden kann, findet H a u p t v e r h a n d l u n g statt (§411), ohne daß es eines Eröffnungsbeschlusses bedarf. Die Staatsanwaltschaft kann gemäß §411 I im Falle des Einspruchs die Klage zurücknehmen („fallenlassen") und zwar bis zum Beginn der Hauptverhandlung (im Gegensatz zur Anklage, die gemäß § 156 j a nur bis zur Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens zurückgenommen werden kann). Wird kein Einspruch erhoben, so kann der Staatsanwalt den erlassenen Strafbefehl nicht mehr außer

Fall 14

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Kraft setzen. (NB. Der Einspruch, auf den gemäß § 409 II schon vor Ablauf der Frist v e r z i c h t e t werden kann, kann nicht wirksam auf das S t r a f m a ß b e s c h r ä n k t werden; E. 76, 251. Ebensowenig ist die Beschränkung auf eines von mehreren realkonkurrierenden Delikten zulässig, E. 63, 345. Im letzteren Falle ist aber Trennungsbeschluß des Gerichts möglich mit der Folge, d a ß der Angeklagte hinsichtlich des einen oder anderen Delikts den Einspruch zurücknehmen kann und insoweit der Strafbefehl rechtskräftig wird. VIII. Für die H a u p t v e r h a n d l u n g gilt folgendes: 1. Die Hauptverhandlung findet grundsätzlich vor dem A m t s r i c h t e r statt (siehe die in § 407 Abs. 4 getroffene Regelung). 2 . Der Angeklagte kann sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2). 3. Bleibt der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung in der Hauptverhandlung aus, und wird er auch nicht durch einen Verteidiger vertreten, so wird der Einspruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil verworfen (§412 Abs. 1). Gegen ein solches Verwerfungsurteil sind zwei Rechtsbehelfe gegeben: einmal die ordentlichen Rechtsmittel (Berufung und Revision), wobei bei Übertretungen §313 nicht übersehen werden darf. Zulässig ist ferner die Wiedereinsetzung mit der in Abs. 2 des §412 vorgesehenen Einschränkung. (NB. Die gegen ein solches Urteil eingelegte Berufung kann nur auf die Behauptung gestützt werden, daß der E i n s p r u c h z u U n r e c h t v e r w o r f e n worden sei. Stellt sich diese Behauptung als unbegründet heraus, d. h. wurde der Einspruch zu R e c h t verworfen, so darf auch in der Berufungsinstanz auf die Sache selbst nicht eingegangen werden, sondern die Berufung ist ohne weiteres zu verwerfen. Ist der Einspruch vom Amtsrichter zu U n r e c h t verworfen worden, so hat das Berufungsgericht gemäß § 328 das Urteil aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.) 4. Bei der Urteilsfällung ist das Gericht an den im Strafbefehl enthaltenen Ausspruch n i c h t g e b u n d e n (§411 Abs. 3). Es entscheidet so, als wäre ein Strafbefehl nicht ergangen, sondern Anklage erhoben. Es wird daher im Urteil nicht auf den Strafbefehl eingegangen, insbesondere also nicht etwa der Strafbefehl aufgehoben oder der Einspruch verworfen. Auch gilt hier nicht das Verbot der reformatio in peius. I X . Ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, erlangt die Wirkung eines r e c h t s k r ä f t i g e n U r t e i l s (§ 410). (Siehe hierzu auch Vorbemerkung zu Fall 12, Abschn. IV 4, S. 179.) N a c h t r a g : Das V e r f a h r e n b e i S t r a f v e r f ü g u n g e n ist in § 413 geregelt. Die wichtigsten Bestimmungen sind folgende: das Verfahren ist nur bei Ü b e r t r e t u n g e n möglich (§413 I). Der Amtsrichter, der ohne Hauptverhandlung entscheidet, ist an den Vorschlag der Polizeibehörde nicht gebunden, kann also insbesondere eine geringere oder höhere Strafe als die von der Polizei beantragte aussprechen (§ 413 II).

I I . Teil: Lösungen Der Amtsrichter k a n n nicht mangels Beweises einstellen, sondern m u ß in diesem Falle die Akten der Staatsanwaltschaft einsenden ( § 4 1 3 I I I ) . Dagegen k a n n der Amtsrichter d u r c h u n a n f e c h t b a r e n Beschluß wegen geringer Schuld u n d u n b e d e u t e n d e r Folgen g e m ä ß § 153 I einstellen ( § 4 i 3 V).

B. Lösung des Falles I. Wie wird der Rechtsanwalt die Berufung begründen? Der A n w a l t wird auf folgende Gesichtspunkte hinweisen: 1. Beiden V e r f a h r e n liegt derselbe Sachverhalt z u g r u n d e ; es besteht somit T a t i d e n t i t ä t . 2 . N a c h der höchstrichterlichen R e c h t s p r e c h u n g zu § 4 1 0 ist bei Vorliegen eines rechtskräftigen Strafbefehls ein neues V e r f a h r e n wegen derselben T a t n u r zulässig, w e n n sich n e u e rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die i m Strafbefehl nicht berücksichtigt w u r d e n u n d eine erhöhte S t r a f b a r keit b e g r ü n d e n (vgl. Fall 12, V o r b e m e r k u n g e n Abschn. A I V 4 S. 179). Diese Voraussetzungen sind hier nicht g e g e b e n : Auf Einziehung des Gewehrs auf G r u n d des § 295 StGB k o n n t e u n d m u ß t e in d e m Strafbefehl e r k a n n t w e r d e n ; mit d e m n e u e n V e r f a h r e n sollte lediglich die Behebung dieses Fehlers bezweckt werden, o h n e d a ß die T a t eine a b w e i c h e n d e , einem s c h ä r f e r e n S t r a f r a h m e n unterliegende Beurteilung erfahren konnte. 3. Die Rechtskraftwirkung des Strafbefehls wirkt sich in d e m n e u eingeleiteten V e r f a h r e n als P r o z e ß h i n d e r n i s aus, das in j e d e r Verfahrenslage von Amts wegen zu beachten ist u n d zur Einstellung f ü h r e n m u ß (vgl. Fall 7, N a c h t r a g , S. 136).

II. Was hätte der Staatsanwalt tun m ü s s e n , u m die beantragte Einziehung des Gewehrs durchzusetzen, wenn er nach Zustellung, aber vor der Rechtskraft des Strafbefehls von der unterbliebenen Einziehung Kenntnis b e k o m m e n hätte ? 1. K a n n d e r S t a a t s a n w a l t E i n s p r u c h e i n l e g e n ? a ) A n sich stehen die z u l ä s s i g e n R e c h t s m i t t e l gegen gerichtliche Entscheidungen n a c h § 296 s o w o h l d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t als a u c h d e m B e s c h u l d i g t e n zu. Der B e g r i f f d e r R e c h t s m i t t e l ist kein absolut feststehender. Die S t P O versteht u n t e r Rechtsmitteln n u r diejenigen prozessualen Rechtsbehelfe, d u r c h welche gerichtliche Entscheidungen, die n o c h nicht rechtskräftig sind, vor einem G e r i c h t h ö h e r e r I n s t a n z angefochten w e r d e n . Rechtsmittel i. S. der S t P O sind d a h e r n u r die B e s c h w e r d e , die B e r u f u n g u n d die R e v i s i o n . Dagegen fallen n i c h t u n t e r diesen Begriff: d e r A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens, das Gesuch u m Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der E i n s p r u c h gegen d e n amtsrichterlichen Strafbefehl. (Siehe Fall 6, Abschn. B I I I 1 a, S. 118.)

Fall 14 b) Da §409 nur von dem E i n s p r u c h des B e s c h u l d i g t e n spricht, muß gefolgert werden, daß ein solcher der S t a a t s a n w a l t s c h a f t n i c h t zusteht. Es folgt dies auch aus der Natur des Strafbefehlsverfahrens insofern, als ja grundsätzlich der Erlaß des Strafbefehls n u r g e n a u n a c h d e m A n t r a g d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t erfolgen darf; es steht dem Amtsrichter nicht zu, in irgendwelcher Richtung von dem Antrag abzuweichen; dies gilt wie von der Bestimmung der Strafe, so auch von der Qualifizierung der Tat. (Trägt der Amtsrichter Bedenken, so hat er die Sache, wie in der Vorbemerkung IV, S. 188 erörtert wurde, gemäß § 408 Abs. 2 zur Hauptverhandlung zu bringen.) 2. Hätte der Amtsrichter entgegen der Vorschrift des § 408 Abs. 2, Satz 2, a b s i c h t l i c h die Einziehung unterlassen, dann könnte hierin eine Z u r ü c k w e i s u n g des Antrags auf Erlaß des Straf befehls in diesem Teil erblickt werden, und der Staatsanwalt könnte aus diessem Grunde gegen den Strafbefehl s o f o r t i g e B e s c h w e r d e gemäß § 210 Abs. 2 einlegen. (Die Zurückweisung kommt sachlich dem in § 204 Abs. 1 bezeichneten Beschluß gleich, wie schon in Abschn. A III 2, S. 187 erwähnt wurde.) 3. Da der Amtsrichter aber nur v e r s e h e n t l i c h nicht auf Einziehung erkannt hat, kann der Staatsanwalt vor Rechtskraft des Strafbefehls lediglich dessen Ergänzung beantragen. 4. Wäre lediglich in d e r A u s f e r t i g u n g des Strafbefehls die Einziehung unterblieben, während sie in der Urschrift verfügt war, dann wäre die Zustellung des Strafbefehls u n w i r k s a m gewesen und infolgedessen die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden. (Siehe Alsberg a. a. O. Bd. I I I S. 209.) III. Hätte der Staatsanwalt nach Rechtskraft des Straf befehls die Einziehung des Gewehrs g e m ä ß § 43Off. erreichen können? 1. Auf E i n z i e h u n g , V e r n i c h t u n g oder U n b r a u c h b a r m a c h u n g von Gegenständen ist in d e r R e g e l n e b e n einer sonstigen S t r a f e im Strafurteil gegen eine bestimmte Person zu erkennen. 2. Die das sog. o b j e k t i v e V e r f a h r e n regelnden §§430—432 behandeln den Fall, in dem u n a b h ä n g i g von jedem auf Bestrafung einer bestimmten Person gerichteten Strafverfahren die E i n z i e h u n g , Vernichtung oder Unbrauchbarmachung von Gegenständen durch gerichtliches Strafurteil ausgesprochen werden kann. 3. Dieses Verfahren ist nach §430 n u r z u l ä s s i g ,,in den Fällen, in welchen nach § 42 StGB oder nach a n d e r w e i t e n g e s e t z l i c h e n Bes t i m m u n g e n auf Einziehung usw. s e l b s t ä n d i g erkannt werden kann". Das objektive Einziehungsverfahren muß also, wenn nicht auf § 42 StGB, so doch auf eine die s e l b s t ä n d i g e Einziehung ausdrücklich oder stillschweigend gestattende anderweite Gesetzesvorschrift zurückgeführt werden können. a) K a n n das o b j e k t i v e V e r f a h r e n auf §42 StGB g e s t ü t z t w e r den?

1Q2

I I . Teil: Lösungen

aa) Daß ein objektives Einziehungsverfahren gemäß § 42 S t G B a u c h gegen das in § 295 StGB erwähnte Jagdgerät möglich ist, ist unbestritten. (Siehe hierzu E. 19, 49.) bb) § 42 S t G B lautet: Ist in den Fällen der §§ 40 und 41 die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so können die daselbst vorgeschriebenen Maßnahmen s e l b s t ä n d i g erkannt werden, d. h. abweichend von der Regel der §§ 40, 41 StGB, wonach im Strafurteil selbst die fraglichen Maßnahmen auszusprechen sind. cc) Nach dem in v o r l i e g e n d e m F a l l e allein in Frage kommenden § 40 S t G B können Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht (scelere producta) oder welche z u r B e g e h u n g eines v o r s ä t z l i c h e n V e r b r e c h e n s oder V e r g e h e n s geb r a u c h t oder bestimmt sind (instrumenta sceleris), eingezogen werden, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer g e h ö r e n . dd) Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e das Gewehr dem B r u d e r des Beschuldigten gehörte, scheidet § 42 S t G B als Grundlage für ein objektives Verfahren von vornherein aus, ohne daß auf die weitere Voraussetzung des §42, nämlich die U n a u s f ü h r b a r k e i t d e r V e r f o l g u n g e i n e r b e s t i m m t e n P e r s o n eingegangen zu werden braucht. (Siehe hierzu Abschn. I V , Ziff. 3, S, 194.) b) K a n n d a s o b j e k t i v e V e r f a h r e n a u f § 295 StGB g e s t ü t z t w e r d e n , d. h. ist § 295 S t G B eine „ a n d e r w e i t e g e s e t z l i c h e B e s t i m m u n g " i. S. des § 430? aa) Nach dem klaren Wortlaut der vor 1935 in Geltung gewesenen Fassung des § 295 ( „ n e b e n der durch das Jagdvergehen verwirkten Strafe ist auf Einziehung des Gewehrs usw. zu erkennen") konnte kein Zweifel sein, daß die Einziehung nur als eine n e b e n der Hauptstrafe zu erkennende Rechtsfolge in Frage kam. bb) In der n e u e n Fassung des § 295 kommt dieser Gedanke nicht mit der gleichen Bestimmtheit zum Ausdruck. Es ist aber nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 295 S t G B diesen Grundsatz, daß die Einziehung nur n e b e n einer Strafe ausgesprochen werden kann, aufgeben wollte; vielmehr kam es ihm offenbar nur darauf an, eine unter der Geltung des alten Rechts viel erörterte Härte zu mildern, die darin bestand, daß die Einziehung a u s n a h m s l o s vorgeschrieben war, also auch für den Fall, daß der einzuziehende Gegenstand einem D r i t t e n gehörte und ohne dessen Verschulden in die Hände des Wilderers gelangt war, z. B. dem Jagdberechtigten selbst, dem der Wilderer durch Einbruch in die Jagdhütte das Gewehr gestohlen hatte. Lediglich um diese Unbilligkeit zu beseitigen, also ohne auf den Grundsatz der U n s e l b s t ä n d i g k e i t d e r E i n z i e h u n g verzichten zu wollen, hat der Gesetzgeber den § 295 S t G B dahin ergänzt, daß er im Absatz 2 die Bestimmung hinzufügte, daß von der Einziehung abgesehen werden kann, wenn die Sache ohne Schuld des Eigentümers zur T a t benutzt worden ist oder die Einziehung eine unbillige Härte für den Betroffenen bedeuten würde.

Fall 14

'93

cc) Wir k o m m e n somit im v o r l i e g e n d e n F a l l e zu d e m Ergebnis, d a ß eine nachträgliche Einziehung des Gewehrs a u c h n i c h t a u f § 295 StGB gestützt w e r d e n kann, weil es an der Voraussetzung des § 430, nämlich an der Möglichkeit, auf Einziehung s e l b s t ä n d i g erkennen zu können, fehlt. 4. Z u s a m m e n f a s s e n d i s t s o n a c h f e s t z u s t e l l e n , d a ß k e i n e M ö g lichkeit besteht, n a c h R e c h t s k r a f t des S t r a f b e f e h l s eine Einz i e h u n g des d e m B r u d e r des T ä t e r s g e h ö r i g e n G e w e h r s zu err e i c h e n . (Siehe a u c h E. 19, 45; 53, 124.)

IV. Wie wäre die Rechtslage bezüglich eines objektiven Verfahrens, wenn das Gewehr dem Täter selbst gehört hätte? 1. Die r e c h t l i c h e N a t u r d e r E i n z i e h u n g i s t i n d e r R e c h t s l e h r e s t r e i t i g . W ä h r e n d die einen der Einziehung u n t e r allen U m s t ä n d e n die Eigenschaft eines S t r a f ü b e l s zuschreiben, sehen die a n d e r e n in derselben lediglich eine S i c h e r u n g s m a ß r e g e l . D i e A n s i c h t d e s R e i c h s g e r i c h t s (E. 46, 135) geht d a h i n , d a ß der Einziehung eine D o p p e l n a t u r innewohne, i n d e m mit dieser M a ß r e g e l sowohl der Strafzweck, als auch der Zweck polizeilicher Sicherung verfolgt werde, u n d d a ß jeweils geprüft werden müsse, welcher C h a r a k t e r im einzelnen Falle dominiere. a ) Bestimme das Gesetz, d a ß bei der E i n z i e h u n g unberücksichtigt bleiben soll, ob der Eigentümer der einzuziehenden Sache an d e r Straftat, die z u r Einziehung f ü h r t , beteiligt ist, u n d o b ü b e r h a u p t gegen eine bestimmte Person ein Strafverfahren eingeleitet wird, so sei d a r a u s zu schließen, d a ß , w e n n gesetzlich Einziehung a n g e o r d n e t werde, der ihr etwa begrifflich a u c h i n n e w o h n e n d e s t r a f r e c h t l i c h e C h a r a k t e r als n e b e n s ä c h l i c h anzusehen sei; der Sicherungszweck rücke d a n n dergestalt in d e n V o r d e r g r u n d , d a ß er als ausschlaggebend erscheine. b ) Bei denjenigen gesetzlichen Bestimmungen dagegen, in d e n e n die E i n z i e h u n g n u r u n t e r der Voraussetzung f ü r statthaft erklärt wird, d a ß d e r E i g e n t ü m e r d e r einzuziehenden Sache a n d e r Straftat als T ä t e r oder T e i l n e h m e r beteiligt ist, werde d e r Regel n a c h a n z u n e h m e n sein, d a ß d e r S t r a f z w e c k a l s a u s s c h l a g g e b e n d f ü r die A n o r d n u n g der Einziehung anzusehen sei. (Ebenso E. 50, 389; 53, 124; 63, 379, u n d Urteil des O L G F r e i b u r g vom 24. J u n i 1948 [Deutsche Rechtszeitschrift 49, S. 140].) 2 . H i e r n a c h k a n n es keinem Zweifel unterliegen, d a ß die in § 40 StGB vorgesehene Einziehung, d a sie n u r einen d e m T ä t e r oder T e i l n e h m e r g e h ö r i g e n G e g e n s t a n d treffen kann, vorwiegend Strafcharakter h a t ( B G H 5, 168, 1 7 8 ) . M i t dieser Feststellung aber k o m m e n wir zu d e m Ergebnis, d a ß auch, w e n n der L a n d w i r t E i g e n t ü m e r des Gewehres wäre, eine Einziehung ausgeschlossen wäre, d a e i n e m w e i t e r e n o b j e k t i v e n V e r f a h r e n ü b e r die E i n z i e h u n g des d e m T ä t e r g e h ö r i g e n Gewehrs, ü b e r dessen s t r a f r e c h t l i c h e S c h u l d r e c h t s k r ä f t i g e n t s c h i e d e n w o r d e n ist, u n d über den d a h e r ein weiteres S t r a f ü b e l nicht v e r h ä n g t P e t t e r s , S t r a f p r o z e ß f ä l l e , 7. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

w e r d e n d a r f , d e r G r u n d s a t z ,,ne b i s i n i d e m " e n t g e g e n s t e h e n würde. M . a. W . : der G r u n d s a t z n e b i s i n i d e m bedeutet nicht n u r , d a ß gegen dieselbe Person eine S t r a f k l a g e nicht von n e u e m erhoben w e r d e n darf wegen einer T a t , ü b e r welche rechtskräftig entschieden ist (siehe oben Abschnitt I), sondern d a ß in einem solchen Falle a u c h die Einleitung eines o b j e k t i v e n V e r f a h r e n s ausgeschlossen ist, soweit es die V e r h ä n g u n g eines S t r a f ü b e l s gegen den T ä t e r bezweckt. (E. 14, 169.) I n den Fällen dagegen, in d e n e n die Einziehung nicht die V e r h ä n g u n g eines Strafübels bedeutet, sondern lediglich eine p o l i z e i l i c h e P r ä v e n t i v m a ß r e g e l enthält, wie z. B. i m Falle des § 4 1 StGB oder bei der Einziehung von Falschgeld g e m ä ß § 152 StGB, steht die V e r u r t e i l u n g oder Freisprechung einer bestimmten Person d e m o b j e k t i v e n V e r f a h r e n z u m Zwecke der U n b r a u c h b a r m a c h u n g oder E i n z i e h u n g n i c h t entgegen. (Siehe E. 14, 169; 27, 3 5 2 ; 44, 3 1 5 ; B G H 6, 64.) 3. Abgesehen d a v o n scheidet das objektive V e r f a h r e n im vorliegenden Falle a u c h schon deshalb aus, weil in § 42 StGB als Voraussetzung f ü r das selbständige V e r f a h r e n verlangt wird, d a ß die Verfolgung oder die V e r u r t e i l u n g einer bestimmten Person n i c h t a u s f ü h r b a r ist, z. B. wegen T o d , Abwesenheit, U n b e k a n n t h e i t , d a u e r n d e r Geisteskrankheit des T ä t e r s oder V e r j ä h r u n g . (Siehe E. 8, 350 u n d 238.) V o n einer „ N i c h t d u r c h f ü h r b a r k e i t " k a n n aber nicht gesprochen werden, w e n n die Verfolgung u n d die V e r u r t e i l u n g einer bestimmten Person stattgefunden h a t ; d e n n d e r Zweck des § 42 StGB ist n u r der, d e r Strafgewalt die nötige H a n d h a b e zu gewähren, d e m Gesetz selbst d a n n Genüge zu verschaffen, w e n n aus zufälligen U m s t ä n d e n rechtlicher oder tatsächlicher N a t u r die Verfolgung oder V e r u r t e i l u n g einer b e s t i m m t e n Person nicht erfolgen konnte. (E. 8, 349.) H a t dagegen die V e r u r t e i l u n g einer bestimmten Person stattgefunden, so bedarf es einer solchen H a n d h a b e nicht, d a alsdann die Möglichkeit gegeben war, die in § 40 StGB bestimmte Nebenstrafe im Urteil bzw. Strafbefehl gegen den T ä t e r auszusprechen. (Siehe E. 66, 419.)

V. Wie wäre die Rechtslage, wenn das Gewehr dem Landwirt gehört hätte, und dieser vor Einleitung eines Strafverfahrens gestorben wäre ? 1. W ä r e der T ä t e r v o r E r l a ß des Strafbefehls g e s t o r b e n , so stünden der Einleitung eines Verfahrens auf E i n z i e h u n g des i h m gehörigen Gewehrs g e m ä ß § § 4 2 StGB u n d 430 S t P O k e i n e B e d e n k e n entgegen, d a wie schon oben e r w ä h n t , § 40 StGB nicht d u r c h § 295 StGB ausgeschlossen wird. (E. 19, 49.) 2 . Allerdings ist das in § 40 StGB aufgestellte Erfordernis, d a ß die einzuziehenden Gegenstände d e m T ä t e r oder einem T e i l n e h m e r g e h ö r e n müssen, regelmäßig auf d e n Z e i t p u n k t der im objektiven V e r f a h r e n erfolgenden U r t e i l s f ä l l u n g zu beziehen. Dieser G r u n d s a t z k a n n aber d a n n nicht Platz greifen, w e n n d e r T ä t e r bereits vorher g e s t o r b e n ist u n d d a d u r c h das E i g e n t u m a n d e m Gegenstand auf seine E r b e n über-

Fall 14

195

gegangen ist, d e n n sonst w ä r e die selbständige Einziehung g e m ä ß §§ 40, 42 StGB im Falle des Todes des Täters ü b e r h a u p t nicht s t a t t h a f t . Es m u ß d a h e r in einem solchen Falle genügen, w e n n d e m T ä t e r das E i g e n t u m bis zu seinem T o d e zugestanden h a t . (E. 53, 181; siehe aber E. 16, 116.) Nachtrag: F ü r das o b j e k t i v e S t r a f v e r f a h r e n gelten im übrigen folgende Bestimmungen : 1. Der A n t r a g wird seitens der Staatsanwaltschaft oder des Privatklägers bei d e m G e r i c h t gestellt, welches f ü r d e n Fall d e r Verfolgung einer bestimmten Person zuständig sein würde. Die Entscheidung ü b e r den A n t r a g erfolgt d u r c h Urteil auf G r u n d m ü n d l i c h e r V e r h a n d l u n g , w e n n die Staatsanwaltschaft oder einer d e r in § 4 3 1 I I g e n a n n t e n Beteiligten einen entsprechenden A n t r a g stellt oder w e n n das Gericht eine m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g f ü r erforderlich hält (§ 431 I). 2. Die H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgt in einem T e r m i n , der o h n e besonderen Gerichtsbeschluß vom Vorsitzenden a n z u b e r a u m e n ist. Auf die V e r h a n d l u n g finden die G r u n d s ä t z e des ordentlichen Verfahrens (Besetz u n g des Gerichts, Öffentlichkeit, Beweisaufnahme) A n w e n d u n g ( § 4 3 1 ) . Z u r H a u p t v e r h a n d l u n g sind Personen, die einen rechtlichen A n s p r u c h auf den Gegenstand der Einziehung usw. h a b e n (die sog. Einziehungsinteressenten), also vor allem d e r E i g e n t ü m e r des Gegenstandes zu l a d e n ( § 4 3 1 I I ) , vorausgesetzt, d a ß der A n s p r u c h mindestens g l a u b h a f t gem a c h t wird (siehe B G H 2, 295). Diese Personen, die sich d u r c h einen Verteidiger vertreten lassen können, k ö n n e n nicht als Zeugen v e r n o m m e n werden (E. 46, 88); sie h a b e n die Befugnisse des Angeklagten. (NB. N a c h der herrschenden Ansicht stehen diese Befugnisse den Einziehungsinteressenten n u r im objektiven V e r f a h r e n zu u n d nicht auch im ordentlichen Verfahren, in d e m gegen eine bestimmte Person auf Einziehung e r k a n n t wird. Siehe E. 34, 388.) 3 . W i r d kein A n t r a g a u f m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g gestellt u n d h ä l t a u c h das Gericht eine m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g nicht f ü r erforderlich, so entscheidet das Gericht im schriftlichen V e r f a h r e n n a c h A n h ö r u n g der Staatsanwaltschaft u n d der Beteiligten d u r c h Beschluß ( § 4 3 1 I V ) . Diese d u r c h das dritte Strafrechtsänderungsgesetz v o m 4. 8. 1953 neu eingefügte Regelung erleichtert das V e r f a h r e n vor allem f ü r den in der Praxis sehr häufigen Fall, d a ß die Beteiligten u n b e k a n n t oder nicht a u f f i n d b a r sind. 4 . Das U r t e i l lautet entweder auf E i n z i e h u n g usw. der betreffenden Gegenstände oder, falls d e r A n t r a g f ü r unzulässig oder u n b e g r ü n d e t bef u n d e n wird, auf Z u r ü c k w e i s u n g desselben. D a nicht ü b e r eine Schuldfrage zu entscheiden ist, genügt einfache M a j o r i t ä t . 5. Z u r Ergreifung der R e c h t s m i t t e l i m objektiven V e r f a h r e n sind n a c h § 432 n u r die Staatsanwaltschaft u n d die in § 431 n ä h e r bezeichneten Einziehungsinteressenten berechtigt, a u c h w e n n sie in d e m V e r f a h r e n des ersten Rechtszugs noch nicht als solche aufgetreten w a r e n . (Siehe hierzu E. 66, 419.) 13*

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II. Teil: Lösungen

ZU FALL 15 A. Vorbemerkung: Das Wiederaufnahmeverfahren I. Ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren kann unter gewissen Voraussetzungen wieder aufgenommen werden. Die „ W i e d e r a u f n a h m e d e s V e r f a h r e n s " ist k e i n R e c h t s m i t t e l ; von diesen unterscheidet sie sich dadurch, daß sie nicht auf solche, in dem angefochtenen Urteil enthaltene Fehler gegründet werden kann, welche sich lediglich als r e c h t l i c h e darstellen, daß sie sich vielmehr — abgesehen von dem absoluten Wiederaufnahmegrunde unter Z. 3 der §§ 359 und 362 — g e g e n d i e B e w e i s g r u n d l a g e n d e s U r t e i l s richtet. II. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens ist allein zu dem Z w e c k e in die Strafprozeßordnung aufgenommen, um da, wo die G e r e c h t i g k e i t es gebietet, die formell unanfechtbare Entscheidung vor allem der S c h u l d f r a g e von neuem zur Erörterung zu bringen (E. 19, 323), und dadurch den Widerspruch zwischen der durch das rechtskräftige Urteil geschaffenen f o r m a l e n Rechtslage und der m a t e r i e l l e n Tatlage, die sich nachträglich als nicht der Wahrheit entsprechend herausstellt, zu beseitigen. Z w e c k d e s W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s im einzelnen kann sein: 1. a) b) c)

Im Falle der vorangegangenen V e r u r t e i l u n g des A n g e k l a g t e n : Die Erzielung der F r e i s p r e c h u n g . Die Anwendung eines m i l d e r e n Strafgesetzes. Die Anwendung eines s t r e n g e r e n Strafgesetzes.

2. Im Falle der vorausgegangenen F r e i s p r e c h u n g des A n g e k l a g t e n : Die Herbeiführung einer Verurteilung. I I I . Ein Wiederaufnahmeverfahren findet n i c h t statt: 1. Zum Zwecke der Ä n d e r u n g d e s S t r a f m a ß e s oder der Entscheidung über Maßregeln der Sicherung und Besserung a u f G r u n d d e s s e l b e n S t r a f g e s e t z e s , § 363 Abs. 1 (Dies gilt sowohl für § 359 als auch für § 362.) 2. Zu dem Zwecke, eine Milderung der Strafe wegen v e r m i n d e r t e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t herbeizuführen, § 363 Abs. 2. 3. Zu dem Zwecke der Erreichung einer dem Angeklagten g ü n s t i g e r e n B e g r ü n d u n g des freisprechenden Urteils. (Der Angeklagte wurde z. B. wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen und erstrebt Freispruch wegen erwiesener Unschuld.) (Siehe Löwe-Rosenberg, Anmerkung 5 zu § 359; siehe auch Fall 6, Abschn. B III 2, S. 120). IV. Die Wiederaufnahme findet n u r a u f A n t r a g , der vom Staatsanwalt (auch zugunsten des Verurteilten) oder vom Verurteilten gestellt werden kann, also n i e m a l s v o n A m t s w e g e n statt. Im Gegensatz zum

Fall 15

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früheren Recht ist gemäß § 373 a auch eine Wiederaufnahme gegenüber einem rechtskräftigen S t r a f b e f e h l zulässig. V. Die a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n ü b e r R e c h t s m i t t e l , also diejenigen der §§ 296 bis 303, finden auch bei dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens Anwendung (§365). Es kann demnach der dem Angeklagten früher bestellte Verteidiger ohne weiteres auch im Wiederaufnahmeverfahren fungieren (§ 297 und E. 22, 97). VI. Die W i e d e r a u f n a h m e im e i n z e l n e n : 1. Z u g u n s t e n und z u u n g u n s t e n des Verurteilten findet die Wiederaufnahme statt, wenn in dem angegriffenen Verfahren gewisse s t r a f b a r e H a n d l u n g e n begangen wurden, nämlich. a) eine U r k u n d e n f ä l s c h u n g (§§ 359 Nr. 1, 362 Nr. 1), und zwar genügt schon der Gebrauch einer falschen Urkunde schlechthin, mag sie der Gebrauchende auch für echt gehalten haben, b) eine strafbare E i d e s v e r l e t z u n g bzw. eine vorsätzlich falsche uneidliche Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen (§§ 359 Nr. 2, 362 Nr. 2), c) eine kriminell strafbare A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g e i n e s R i c h t e r s , also eine R i c h t e r b e s t e c h u n g nach § 334 StGB, oder eine R e c h t s b e u g u n g nach § 336 StGB, vorausgesetzt, daß diese strafbare Handlung, soweit sie zugunsten des Verurteilten begangen wurde (§ 359), nicht von diesem direkt oder indirekt veranlaßt wurde. Im übrigen ist es g l e i c h g ü l t i g , ob die Amtspflichtverletzung des Richters irgendeinen E i n f l u ß auf die E n t s c h e i d u n g gehabt hat (siehe § 370); es liegt also hier ein a b s o l u t e r Wiederaufnahmegrund vor. (NB. Nur die strafbare Pflichtverletzung eines R i c h t e r s , nicht eine solche des Staatsanwalts, des Urkundsbeamten oder des Verteidigers kommt hier in Frage.) 2. Z u g u n s t e n des Verurteilten findet die Wiederaufnahme statt, wenn n e u e T a t s a c h e n u n d B e w e i s m i t t e l beigebracht werden (§ 359 Nr. 5). Siehe hierzu die Erörterung unten in Abschn. II, 1 b. (NB. Der Fall des § 359 Nr. 4 spielt in der Praxis eine geringe Rolle. Siehe hierzu Fall 18, Abschn. A I 1 b, S. 229.) 3. Z u u n g u n s t e n des Verurteilten findet ferner die Wiederaufnahme statt, wenn der F r e i g e s p r o c h e n e vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges G e s t ä n d n i s der strafbaren Handlung ablegt. (§ 362 Nr.4.) VII. Mit Nr. 1 und 2 der §§ 359, 362 können auch solche Beweisgrundlagen angegriffen werden, welche die S c h u l d f r a g e n i c h t b e r ü h r e n , insbesondere auch diejenigen, welche die Z u l ä s s i g k e i t d e r S t r a f v e r f o l g u n g betreffen; z. B. kann das Wiederaufnahmeverfahren darauf gestützt werden, daß das Schriftstück, welches den zur Strafverfolgung erforderlichen A n t r a g enthielt, oder das Protokoll, welches einen die Verjährung unterbrechenden Akt beurkundet, sich als fälschlich angefertigt erweist. Im übrigen ist in den Fällen der Nr. 1 und 2 — im Gegensatz zu dem Falle der Nr. 3 (Richterbestechung und Rechtsbeugung) — immer Vor-

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I I . Teil: Lösungen

aussetzung, daß die Beweismittel einen E i n f l u ß a u f d i e E n t s c h e i d u n g , und zwar im Falle des § 359 einen dem Verurteilten ungünstigen und im Falle des § 362 einen für den Verurteilten günstigen Einfluß gehabt haben. (Siehe § 370 I 2. Halbsatz.) V I I I . Weder eine schon vollzogene S t r a f v o l l s t r e c k u n g noch der T o d des Verurteilten schließen eine Wiederaufnahme des Verfahrens aus ( § 3 6 1 I). (NB. Die Vollstreckung des Urteils wird durch den Wiederaufnahmeantrag nicht gehemmt; es ist aber Aufschub bzw. Unterbrechung der Vollstreckung möglich, siehe § 360.) I X . A u s n a h m s w e i s e findet s o f o r t , d.h. ohne Erneuerung der Hauptverhandlung eine Sachentscheidung statt und zwar in folgenden z w e i Fällen (§370: 1 . Wenn der Verurteilte bereits v e r s t o r b e n ist. Eine Entscheidung kann in diesem Falle in d o p p e l t e r Form ergehen (§ 371 I ) : a ) Entweder ist unter Aufhebung des früheren Urteils auf F r e i s p r e c h u n g zu erkennen, oder b) falls dies nicht möglich ist, auf A b l e h n u n g d e s A n t r a g s , und zwar in beiden Fällen, da die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, ohne Z u z i e h u n g v o n L a i e n r i c h t e r n , d.h. es entscheidet der Amtsrichter ohne Schöffen und die Strafkammer in der Besetzung von drei Mitgliedern. A n t r a g s b e r e c h t i g t sind in diesem Falle gemäß § 361 I I der Ehegatte, die Verwandten auf- und absteigender Linie sowie die Geschwister des Verstorbenen. (NB. Das Antragsrecht des Staatsanwalts wird durch § 361 I I nicht berührt.) 2 . Es kann ferner auch bei einem l e b e n d e n Verurteilten ohne Erneuerung der Hauptverhandlung s o f o r t sachlich entschieden werden, wenn a ) das vorliegende Beweismaterial so e i n d e u t i g ist, daß der Verurteilte sofort f r e i g e s p r o c h e n werden kann, u n d b) bei öffentlicher K l a g e die S t a a t s a n w a l t s c h a f t z u s t i m m t . Auch in diesem Falle erfolgt die Entscheidung ohne Zuziehung von Laienrichtern, und zwar durch B e s c h l u ß , n i c h t d u r c h U r t e i l , da ein Urteil immer eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzt ( B G H 8, 383). (Der Fall des § 371 I I wird z. B. vorliegen, wenn wegen derselben T a t nachträglich eine a n d e r e P e r s o n rechtskräftig verurteilt wurde, so daß an der Unschuld des früher Verurteilten kein Zweifel bestehen kann, oder wenn Verurteilung erfolgt war ausschließlich auf Grund einer Zeugenaussage, wegen deren der Zeuge wegen Meineids verurteilt wurde. Siehe Löwe-Rosenberg Anm. 3. zu § 3 7 1 . ) X . Erfolgt F r e i s p r u c h im Wiederaufnahmeverfahren, so muß nach dem Gesetz betr. die E n t s c h ä d i g u n g der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. M a i 1988 mit Änderung vom 24. November 1933 zugleich ein B e s c h l u ß darüber ergehen, ob dem Angeklag-

Fall 15

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ten eine Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren ist. Die Voraussetzungen entsprechen denen der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. (Siehe Nachtrag 2 z u Fall 18, S. 246.) X I . Die in gewissen Fällen mögliche E r n e u e r u n g d e r S t r a f k l a g e z u u n g u n s t e n des Angeklagten z . B . nach vorausgegangenem Strafbefehl, oder bei Einstellung wegen eines behebbaren Mangels läßt im Gegensatz z u m Wiederaufnahmeverfahren den Bestand des früheren rechtskräftigen Urteils unberührt. X I I . Sämtliche, im Wiederaufnahmeverfahren ergehenden B e s c h l ü s s e (nicht die Urteile) können mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (§ 372). XIII. Siehe im übrigen N a c h t r a g 1, S. 204. B. Lösung des Falles I. Die F o r m des A n t r a g s 1 . Der Antrag, der auch n a c h V e r b ü ß u n g der Strafe und, wie oben erwähnt, sogar auch n a c h d e m T o d e des Verurteilten (im letzteren Falle durch die nächsten Angehörigen, siehe §§ 361 II, 371) gestellt werden kann, kann nach § 366 I I nur mittels einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder z u P r o t o k o l l d e r G e s c h ä f t s s t e l l e angebracht werden (wie § 345 II). Ist der Verurteilte in H a f t , so kann er g e m ä ß §§ 365, 299 den A n t r a g zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, w o er auf behördliche A n o r d n u n g verwahrt wird, während i n a l l e n ü b r i g e n F ä l l e n zur Aufnahme des P r o t o k o l l s nur zuständig ist die Geschäftsstelle des Gerichts, welches das den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags bildende Urteil erlassen hat. Der A n t r a g hätte also bei der Geschäftsstelle gerichts K a r l s r u h e gestellt w e r d e n müssen.

des

Amts-

2. Der zu Protokoll der Geschäftsstelle angebrachte A n t r a g m u ß v o l l s t ä n d i g in dieses aufgenommen werden. Es ist nicht statthaft, v o n d e m Antragsteller ein Schriftstück entgegenzunehmen und in d e m Protokoll auf dasselbe zu verweisen. (E. 2, 358.) M i t der Ausschließung der formlosen Begründung und mit der Zulassung der Protokollierung durch die Geschäftsstelle verfolgt das Gesetz den Zweck, d a ß der Urkundsbeamte das i h m Vorgetragene nach Form und Inhalt prüft, den Antragsteller belehrt, u n d so zwecklose Belästigungen der Gerichte verhütet. (E. 52, 277.) D e r F o r m v o r s c h r i f t ist a l s o a u c h in d i e s e r B e z i e h u n g g e n ü g t . (Siehe auch E. 64, 63.)

nicht

II. Der Inhalt des A n t r a g s 1. D i e a n g e b l i c h e f a l s c h e A u s s a g e des Z e u g e n (Z. 1 d e s A n t r a g s . )

Kaiser

usw.

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II. T e i l : Lösungen

a ) A u f § 3 5 9 Nr. 2 kann sich der Antragsteller nicht stützen, d a g e m ä ß § 364 erst eine r e c h t s k r ä f t i g e V e r u r t e i l u n g wegen der die Wiederaufnahme begründenden strafbaren H a n d l u n g vorliegen muß, bevor der A n t r a g auf Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist; die rechtskräftige Verurteilung bildet die Grundlage des Antrags. b) Es erhebt sich aber die Frage, ob Brandel mit seiner ersten Begründung auf § 359 Nr. 5 ( n e u e T a t s a c h e n o d e r B e w e i s m i t t e l ) mit Erfolg Bezug nehmen kann. a a ) Ü b e r die G e f a h r e n , die diese Gesetzesstelle in sich birgt, äußert sich Löwe-Rosenberg in A n m e r k u n g 1 9 a z u § 359 folgendermaßen: durch die Bestimmung der Nr. 5 wird die Beibringung neuer erheblicher T a t sachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegrund zugelassen, und zwar in so weitem M a ß e , d a ß eine strenge und sorgfältige Prüfung aller auf diesen G r u n d gestützten Anträge geboten ist, w e n n anders nicht aus der Bestimm u n g eine Gefahr für die Strafrechtspflege erwachsen soll. Neue A n f ü h rungen willkürlich vorzubringen und Z e u g e n zu finden, welche dieselben zu bestätigen bereit sind, wird einem großen Teil der Verurteilten und, wenn diese sich in H a f t befinden, ihren Angehörigen ohne Schwierigkeit möglich sein, während andererseits (was namentlich bei den z u mehrjährigen Freiheitsstrafen Verurteilten in Betracht kommt) die Widerlegung der neubeschafften Beweise mit dem L a u f e der Zeit immer schwieriger wird, da in diesem die Belastungsbeweise mehr oder minder verlorenzugehen pflegen, so d a ß eine neue Hauptverhandlung den Inhalt der früheren meistens nur unvollkommen reproduzieren kann. bb) D a ß es sich im v o r l i e g e n d e n F a l l e bei der von Brandel vorgebrachten Tatsache, der Hauptbelastungszeuge Kaiser habe an dem fraglichen T a g e seine W o h n u n g überhaupt nicht verlassen, um eine solche Tatsache handelt, die geeignet ist, eine von dem Urteil des Karlsruher Amtsrichters abweichende Entscheidung der S c h u l d f r a g e (es käme dann evtl. Notwehr in Frage) herbeizuführen (das beschließende Gericht m u ß dabei die Frage prüfen, ob die Tatfrage anders, als geschehen, zu entscheiden gewesen wäre, w e n n das Beweismoment schon dem erkennenden Richter vorgelegen hätte) unterliegt keinem Zweifel. Es sei ferner unterstellt, d a ß die Tatsache „ n e u " ist, d . h . dem früher erkennenden Gericht nicht bekannt war, bei der Entscheidung also nicht berücksichtigt werden konnte. (Siehe E. 19, 321.) (NB. § 359 Nr. 5 betrifft n u r d i e S c h u l d f r a g e . W e n n also z . B . nach Eintritt der Rechtskraft eines Urteils sich herausstellt, d a ß die Urkunde, die den zur Strafverfolgung erforderlichen A n t r a g enthält, gefälscht war, so könnte auf diesen Fall nicht Nr. 5 des § 359, sondern nur Nr. 1 dieser Gesetzesstelle zur A n w e n d u n g gelangen, da das neue Urteil nur auf Einstellung des Verfahrens lauten könnte, die Schuldfrage also unberührt ließe.) Ebensowenig kann ein Wiederaufnahmeantrag nach § 359 N r . 5 auf die Behauptung gestützt werden, die abgeurteilte T a t sei verjährt gewesen (siehe aber oben Abschn. A V I I S. 197), oder der Verurteilte sei wegen derselben T a t bereits von einem anderen Gericht rechtskräftig

Fall 1 5

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verurteilt worden (Verletzung des Grundsatzes ne b i s in i d e m ) . Denn auch in diesen Fällen könnte das neue Urteil nur auf E i n s t e l l u n g und nicht auf Freisprechung lauten. (Siehe zu dieser umstrittenen Frage E. 19, 321 und Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen Bd. 2, S. 347ff.) cc) Die lange streitig gewesene Frage, ob die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweismittel zur Erschütterung einer den Verurteilten belastenden Zeugenaussage ebenfalls durch § 364 eingeschränkt wird, ist heute durch § 364 S. 2 geklärt. Dieser durch das dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 neu eingeführten Regelung zufolge ist die Anführung neuer Tatsachen und Beweismittel, insbesondere n e u e r Z e u g e n z u g u n s t e n d e s V e r u r t e i l t e n nicht davon abhängig, daß die bisherigen Belastungszeugen wegen Verletzung ihrer Zeugenpflichten rechtskräftig verurteilt wurden. Das gilt selbst dann, wenn für den Fall, daß die neu vorgetragenen Tatsachen sich erweisen lassen, ein früherer Zeuge vorsätzlich oder fahrlässig die Unwahrheit gesagt haben muß. Dieser Ausschluß der einschränkenden Bestimmung des § 364 S. 1 bringt für den Verurteilten eine wesentliche Erleichterung, da der Nachweis einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Falschaussage erfahrungsgemäß äußerst schwierig, vor allem aber zeitraubend ist. c) W i r k o m m e n somit zu d e m E r g e b n i s , d a ß B r a n d e l m i t s e i n e m e r s t e n W i e d e r a u f n a h m e g r u n d , w a s s e i n e n I n h a l t anl a n g t , d i e Z u l a s s u n g d e s A n t r a g s g e m ä ß § 368 e r r e i c h e n müßte. 2. D i e A n f e c h t u n g d e s i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g a b g e g e benen Gutachtens. a ) An sich ist der S a c h v e r s t ä n d i g e ein B e w e i s m i t t e l i. S. der StPO, also auch i. S. des § 359 Z. 5. In Frage kann also nur kommen, ob im Einzelfall der Sachverständigenbeweis ein e r h e b l i c h e s n e u e s B e w e i s m i t t e l , d.h. geeignet ist, eine von dem Urteil abweichende Entscheidung der Schuldfrage herbeizuführen. Diese Frage wird der Richter nach f r e i e r Ü b e r z e u g u n g verneinen können, wenn er entweder glaubt, zu einer selbständigen abschließenden Beurteilung der Frage imstande zu sein, oder wenn er annimmt, daß sie durch ein schon früher erstattetes Gutachten hinreichend entschieden ist. (E. 57, 158.) Es ist somit in der Regel die Bezeichnung eines a n d e r e n Sachverständigen n i c h t als Beibringung eines n e u e n B e w e i s m i t t e l s anzusehen, es sei denn, daß in dem Wiederaufnahmeantrag die Behauptung einer n e u e n T a t s a c h e enthalten ist. Dies wird namentlich dann der Fall sein, wenn sich auf dem Gebiet, auf das sich das Gutachten des vernommenen Sachverständigen bezieht, nach allgemeinen Begriffen ein W e c h s e l in d e n h e r r s c h e n d e n A n s c h a u u n g e n vollzogen hat, d.h. wenn das seither Anerkannte und scheinbar Unanfechtbare durch das Ergebnis n e u e r F o r s c h u n g e n überholt worden ist, oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen erscheinen. (Siehe hierzu § 244 I V Satz 2, erörtert in Abschnitt I I 2

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II. T e i l : Lösungen

des Nachtrags zu diesem Fall; siehe ferner Beschluß des O L G Dresden v o m i i . J a n u a r 1900, abgedruckt in Alsberg „ D i e strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte", 2. Band, S. 339.) Für den vorliegenden Fall gelangen wir auf G r u n d dieser allgemeinen Erörterungen zunächst zu folgendem Ergebnis: I m Hinblick darauf, d a ß der Amtsrichter seiner Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit ein „ausführlich begründetes Gutachten des Gerichtsarztes" zugrunde gelegt hatte, mußte dem Wiederaufnahmeantrag des Brandel, soweit er die B e n e n n u n g e i n e s n e u e n S a c h v e r s t ä n d i g e n z u m Gegenstand hat, der Erfolg versagt bleiben. D e r A n t r a g w ä r e daher, w e n n kein anderer Wiederaufnahmegrund vorgebracht worden wäre, g e m ä ß § 368 z u v e r w e r f e n , d a in i h m „kein geeignetes Beweismittel angeführt ist." b) Sollte der Amtsrichter aber aus irgendeinem hier nicht interessierenden G r u n d e zu der U b e r z e u g u n g gelangen, d a ß zur Verbescheidung des Wiederaufnahmeantrags ein w e i t e r e s G u t a c h t e n e r f o r d e r l i c h sei, dann würden sich bezüglich des Vorbringens des Brandel f o l g e n d e M ö g l i c h k e i t e n ergeben: aa) W ü r d e der neue Sachverständige Dr. Blum z u dem Ergebnis kommen, d a ß Brandel u n z u r e c h n u n g s f ä h i g i. S. des § 51 Abs. 1 S t G B gewesen ist, u n d würde sich der Amtsrichter diesem neuen Gutachten anschließen, dann läge ein n e u e s B e w e i s m i t t e l vor, das im Hinblick auf den Schuldausschließungsgrund des § 51 Abs. 1 S t G B die F r e i s p r e c h u n g des Angeklagten z u begründen geeignet w ä r e (§ 359 Nr. 5). bb) W ü r d e Dr. Blum lediglich feststellen können, d a ß bei Brandel eine v e r m i n d e r t e Zurechnungsfähigkeit vorgelegen habe, dann wäre ein solches Ergebnis in b e z u g auf die Frage der Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens folgendermaßen z u bewerten: a) Ein „milderes Gesetz" i. S. des § 359 Nr. 5 ist dasjenige, welches i n a b s t r a c t o eine mildere Strafe androht. In Betracht kommen vor allem die Fälle, in denen es sich u m einen a n d e r e n T a t b e s t a n d handelt. So enthält § 223 S t G B das mildere Gesetz gegenüber § 224 S t G B oder § 222 S t G B gegenüber § 226 S t G B oder § 242 S t G B gegenüber § 249 S t G B . Ferner sind die V e r g e h e n nach §§ 242, 259 und 263 S t G B mildere Gesetze gegenüber den Rückfallverbrechen nach §§ 244, 261, 264 S t G B . A b e r auch eine Bestrafung wegen V e r s u c h s gegenüber der Bestrafung wegen V o l l e n d u n g derselben Straftat hat als Bestrafung „in A n w e n d u n g eines milderen Strafgesetzes" zu gelten; ebenso ist die bei A n w e n d u n g des § 73 S t G B ( I d e a l k o n k u r r e n z ) dem Verurteilten angedrohte Strafe in abstracto milder als diejenige, die bei A n w e n d u n g des § 74 ( R e a l k o n k u r r e n z ) zulässig ist. K e i n e s f a l l s a b e r k a n n v e r m i n d e r t e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t als „ m i l d e r e s G e s e t z " gelten. ß) A b g e s e h e n davon ist aber in § 363 Abs. 2 (in der alten S t P O von 1924 fehlte diese Gesetzesstelle) nunmehr gesetzlich festgelegt, d a ß ein Wiederaufnahmeverfahren z u m Z w e c k e einer M i l d e r u n g d e r S t r a f e w e g e n v e r m i n d e r t e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t a u s g e s c h l o s s e n ist.

Fall 15

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cc) Würde der neue Sachverständige Dr. Blum bei der Begutachtung des Brandel zum Ergebnis kommen, daß weder die Voraussetzungen des Abs. 1 noch diejenigen des Abs. 2 des § 51 S t G B vorliegen, daß aber vom ärztlichen Standpunkt aus dem Brandel m i l d e r n d e U m s t ä n d e zuzubilligen seien, dann wäre der Fall des § 363 I gegeben. Hier wird ausdrücklich eine Wiederaufnahme (zugunsten und zuungunsten des Angeklagten) z u m Z w e c k e e i n e r a n d e r e n S t r a f b e m e s s u n g i n n e r h a l b dess e l b e n S t r a f g e s e t z e s herbeizuführen, für a u s g e s c h l o s s e n erklärt. (Daß die Frage, ob mildernde Umstände vorhanden sind, lediglich in den Bereich der S t r a f z u m e s s u n g fällt, die Annahme derselben die strafbare Handlung also nicht zu einer anderen macht und nicht die Anwendung eines anderen „milderen" Strafgesetzes zur Folge hat, ist zweifeslfrei; die mildernden Umstände sind lediglich privilegierte Strafzumessungsgründe. Als ein „ a n d e r e s S t r a f g e s e t z " i. S. des § 363 I kommt vor allem der R ü c k f a l l in §§ 244, 261, 264 S t G B gegenüber §§ 242, 259, 263 S t G B in Frage. Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann also darauf gestützt werden, daß die Voraussetzungen des Rückfalls zu Unrecht als vorliegend bzw. nicht als vorliegend erachtet worden seien.) (NB. Bei A n w e n d u n g d e s § 359 N r . 5 ist n o c h f o l g e n d e s z u bea c h t e n : ist festgestellt, daß ein „milderes Strafgesetz" in Frage kommen kann, so ist die Zulässigkeit der Wiederaufnahme noch davon abhängig, ob von letzterer auch in Ansehung der S t r a f e ein praktischer Erfolg zugunsten des Verurteilten zu erwarten ist; b e i d e Ergebnisse, die Anwendbarkeit des milderen Strafgesetzes u n d die Wahrscheinlichkeit einer Strafmilderung, müssen zusammentreffen. Die Wiederaufnahme findet also n i c h t statt, wenn trotz der Anwendung des milderen Strafgesetzes entweder die erkannte Strafe aufrechterhalten werden müßte, oder doch ihre Aufrechterhaltung zulässig wäre u n d dieselbe von dem beschließenden Gericht nach Lage der Sache auch für angemessen erachtet wird; über die Frage, ob eine geringere Strafe zu erwarten ist, entscheidet das über die Wiederaufnahme beschließende Gericht nach freiem Ermessen.) (Siehe Löwe-Rosenberg, Anmerkung 22 b zu § 359.)

III. Der Gerichtsbeschluß 1. Die Zuständigkeit Nach § 367 ist für das Wiederaufnahmeverfahren nur dasjenige Gericht zuständig, welches zuvor mit der Sache befaßt gewesen war und das angefochtene Urteil erlassen hatte; in unserem Falle also der A m t s r i c h t e r in K a r l s r u h e . (NB. Sind Urteile v e r s c h i e d e n e r R e c h t s z ü g e ergangen, entsteht die Frage, welches Urteil als das durch den Antrag angefochtene zu gelten hat. Diese Frage ist dahin zu beantworten, daß dasjenige Gericht zur Entscheidung berufen ist, welches unter selbständiger Erörterung der der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen i n d e r S a c h e s e l b s t z u l e t z t ents c h i e d e n h a t , also das B e r u f u n g s g e r i c h t , sofern dasselbe sich nicht etwa nur mit der Straffrage befaßt hat, in welchem Falle das Gericht des

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II. Teil: Lösungen

ersten Rechtszuges zuständig wäre. Das R e v i s i o n s g e r i c h t ist nur dann zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag berufen, wenn in der R e v i s i o n s i n s t a n z eine Amtspflichtverletzung i. S. der §§ 359 Nr. 3 bzw. 362 Nr. 3 vorgefallen ist [siehe § 367 Abs. 1 Satz 2]. In allen anderen Fällen, in denen ein im Revisionsverfahren erlassenes Urteil angegriffen wird, ist für das Wiederaufnahmeverfahren das Gericht zuständig, gegen dessen Urteil die Revision eingelegt war. [Siehe E. 47, 45 und E. 77, 282.].) 2. Der A m t s r i c h t e r in K a r l s r u h e w i r d also n a c h A n h ö r u n g der S t a a t s a n w a l t s c h a f t seine E n t s c h e i d u n g d a h i n treffen, d a ß der A n t r a g des J o s e f B r a n d e l als u n z u l ä s s i g g e m ä ß § 368 zu v e r w e r f e n ist, d a er n i c h t in d e r v o r g e s c h r i e b e n e n Form a n g e b r a c h t w u r d e . Die Kosten t r ä g t der A n t r a g s t e l l e r . (NB. Sowohl der den Antrag zulassende als auch der ihn verwerfende Beschluß kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 372.) Bei nur unvollständigem Antrag oder einem anderen l e i c h t zu beheb e n d e n M a n g e l kann das Gericht, statt den Antrag alsbald zu verwerfen, zunächst den Antragsteller unter Bestimmung einer Frist zur V e r v o l l s t ä n d i g u n g auffordern. Ein solches Verfahren wird sich in den geeigneten Fällen um so mehr empfehlen, als der Antragsteller jederzeit befugt ist, einen verworfenen Antrag nach Behebung des betreffenden Mangels zu erneuern. (Siehe Löwe-Rosenberg, Anm. 7 zu § 368.) Nachtrag 1 Allgemeines über den Verlauf des Wiederaufnahmeverfahrens

1. Das Gericht hat zunächst darüber zu entscheiden, ob der Antrag z u l ä s s i g ist. a) Ist der Antrag nicht in der vorgeschriebenen Form (siehe oben Abschn. I) angebracht oder ist k e i n g e s e t z l i c h e r G r u n d der Wiederaufnahme geltend gemacht oder sind k e i n e g e e i g n e t e n B e w e i s m i t t e l angeführt, (z.B. weil sie nicht neu sind), so ist der Antrag — nach Anhörung der Staatsanwaltschaft gemäß § 33 — als u n z u l ä s s i g zu v e r w e r f e n (§ 368). b) Andernfalls wird der Antrag f ü r z u l ä s s i g e r k l ä r t (§ 369, I). 2. Das Gericht hat nunmehr in die Prüfung der Frage einzutreten, ob der Antrag b e g r ü n d e t ist. Da in der Praxis die meisten Wiederaufnahmeanträge auf § 359 Nr. 5 (neue Tatsachen und Beweismittel) gestützt werden, wird das Gericht in der Regel nicht sofort die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnen, sondern gemäß § 369 Abs. 1 durch einen beauftragten oder ersuchten Richter die notwendigen Erhebungen vornehmen lassen. (Handelt es sich um das Urteil eines Amtsrichters, dann wird in der Regel dieser selbst die Erhebungen vornehmen.) 3. Kommt das Gericht auf Grund dieser Erhebungen zu dem Ergebnis, daß der A n t r a g n i c h t b e g r ü n d e t ist (weil z.B. die vom Verurteilten benannten Zeugen dessen Behauptungen nicht bestätigen konnten), dann wird der Antrag, nachdem Staatsanwaltschaft und Antragsteller (Ver-

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urteilter) g e m ä ß § 3 6 9 Abs. 4 v o r h e r g e h ö r t w u r d e n , als u n b e g r ü n d e t v e r w o r f e n (§ 370 Abs. 1). E b e n s o i s t z u e n t s c h e i d e n , w e n n d i e in §§ 359 N r . 1 u n d 2, 362 N r . 1 u n d 2 g e n a n n t e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g offensichtlich k e i n e n E i n f l u ß a u f d a s U r t e i l g e w o n n e n h a b e n . D i e d u r c h Z u r ü c k w e i s u n g d e r sofortigen Beschwerde g e g e n diesen Beschluß (siehe § 372) o d e r d u r c h A b l a u f d e r Beschwerdefrist e i n t r e t e n d e R e c h t s k r a f t des Beschlusses h a t z u r Folge, d a ß auf d i e s e l b e n T a t s a c h e n u n d Beweismittel ein n e u e r A n t r a g n i c h t gestützt w e r d e n k a n n . (Diese Ansicht ist im H i n b l i c k a u f d i e T a t s a c h e , d a ß im Gesetz eine d e m § 2 1 1 e n t s p r e c h e n d e G e s e t z e s b e s t i m m u n g fehlt, n i c h t u n b e s t r i t t e n . ) 4 . Ist d e r A n t r a g b e g r ü n d e t , so v e r f ü g t d a s G e r i c h t die W i e d e r a u f n a h m e d e s V e r f a h r e n s u n d die E r n e u e r u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g (§ 370 Abs. 2). Dieser Beschluß bildet die G r u n d l a g e d e s W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s . D u r c h i h n w i r d das r e c h t s k r ä f t i g e U r t e i l beseitigt u n d eine n e u e H a u p t v e r h a n d l u n g n ö t i g g e m a c h t , d e r e n G r u n d l a g e die A n k l a g e s c h r i f t bildet u n d die g e g e n ü b e r d e r f r ü h e r e n H a u p t v e r h a n d l u n g v ö l l i g s e l b s t ä n d i g ist, d . h . m i t i h r (mit A u s n a h m e d e r i n § 373 Abs. 2 g e t r o f f e n e n B e s t i m m u n g des V e r b o t s d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s ) in k e i n e m i n n e r e n v e r f a h r e n s r e c h t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g steht. (E. 58, 52.) D a s n e u erkenn e n d e G e r i c h t h a t i n s b e s o n d e r e die F r a g e d e r Zulässigkeit des W i e d e r a u f n a h m e a n t r a g s n i c h t m e h r z u p r ü f e n , a u c h n i c h t , w e n n die E n t s c h e i d u n g von einem unzuständigen Gericht getroffen w u r d e ; das neue Gericht hat n u r i n d e r S a c h e s e l b s t z u e n t s c h e i d e n . E b e n s o wie d e r E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß die n o t w e n d i g e G r u n d l a g e d e r H a u p t v e r h a n d l u n g b i l d e t dergestalt, d a ß ein U r t e i l , d a s erlassen w u r d e , obgleich ein E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß nicht e r g a n g e n w a r , d e r A u f h e b u n g unterliegt, so k a n n a u c h das i m wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil nicht zu Recht bestehen, wenn i h m ein B e s c h l u ß n a c h § 370 n i c h t v o r a u s g e g a n g e n ist (E. 35, 351.) 5. D i e e r n e u t e H a u p t v e r h a n d l u n g e n d e t n a c h § 373 I a ) m i t d e r A u f r e c h t e r h a l t u n g des f r ü h e r e n Urteils, w e n n das G e r i c h t z u d e m gleichen E r g e b n i s wie das erste U r t e i l g e l a n g t (siehe E . 57, 317), b ) m i t d e r A u f h e b u n g des f r ü h e r e n U r t e i l s u n d einer a n d e r w e i t e n E n t s c h e i d u n g , w e n n das G e r i c h t z u e i n e m a n d e r e n E r g e b n i s k o m m t . Die W i r k u n g e n des f r ü h e r e n Urteils sind n a c h M ö g l i c h k e i t rückg ä n g i g z u m a c h e n (z.B. d u r c h E r s t a t t u n g b e z a h l t e r G e l d s t r a f e n u n d K o s t e n ) . W i r d in d e m n e u e n U r t e i l w i e d e r u m a u f Strafe e r k a n n t , so ist eine bereits vollstreckte Strafe a u f d i e n e u e Strafe a n z u r e c h n e n . D a ß f ü r das n e u e U r t e i l d a s V e r b o t d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s gilt, w u r d e bereits e r w ä h n t . 6 . G e g e n das n e u e U r t e i l sind die R e c h t s m i t t e l z u l ä s s i g (siehe h i e r z u E. 77, 282), die gegen das U r s p r u n g s u r t e i l zulässig gewesen w ä r e n , d . h . gegen das U r t e i l , g e g e n d a s die W i e d e r a u f n a h m e b e a n t r a g t w o r d e n ist. 7. W e g e n des Gesetzes b e t r e f f e n d d i e E n t s c h ä d i g u n g d e r i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n f r e i g e s p r o c h e n e n P e r s o n e n vgl. N a c h t r a g 1 z u Fall 18, S. 245.

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I I . Teil: Lösungen

Nachtrag 2 Der

Sachverständige

I . S a c h v e r s t ä n d i g e s i n d d r i t t e P e r s o n e n , die mittels eines G u t achtens d e m Gericht helfen sollen, T a t s a c h e n , zu deren Beurteilung eine besondere F a c h k u n d e gehört, richtig zu würdigen. I I . Der H a u p t u n t e r s c h i e d zwischen d e m S a c h v e r s t ä n d i g e n u n d Z e u g e n liegt in f o l g e n d e m : 1. Der Z e u g e h a t n u r ü b e r v o n i h m w a h r g e n o m m e n e tatsächliche Vorgänge auszusagen, w ä h r e n d der S a c h v e r s t ä n d i g e ü b e r die Schlüsse, die er aus d e n tatsächlichen V o r g ä n g e n zieht, Auskunft zu geben h a t . T a t s a c h e n , d i e d e r S a c h v e r s t ä n d i g e s e l b s t e r m i t t e l t h a t , z.B. d u r c h eigene Befragung des Angeklagten oder eines Zeugen, d ü r f e n bei der Urteilsfindung n u r d a n n verwertet werden, w e n n sie in zulässiger Weise in die H a u p t v e r h a n d l u n g eingeführt w o r d e n sind. Dies ist n u r im Wege des Zeugenbeweises möglich. D e r S a c h v e r s t ä n d i g e m u ß a l s o v o r d e r E r s t a t t u n g seines G u t a c h t e n s als Z e u g e g e h ö r t u n d vere i d i g t w e r d e n . H a n d e l t es sich hierbei u m Vorgänge, die der Sachverständige d u r c h die V e r n e h m u n g oder U n t e r s u c h u n g eines Zeugen ermittelt h a t , der in der H a u p t v e r h a n d l u n g von seinem Zeugnisverweigerungsrecht G e b r a u c h m a c h t , so sind die zu § 252 entwickelten G r u n d s ä t z e zu beachten. (Siehe hierzu B G H 13, 1; 13, 250 u n d N a c h t r a g A zu Fall 3, S. 76.) 2. G e b u n d e n ist d e r R i c h t e r a n das G u t a c h t e n des Sachverständigen n u r , w e n n er von dessen Richtigkeit überzeugt ist, ebenso wie er a u c h die Aussagen des Zeugen n u r zu g l a u b e n b r a u c h t , w e n n er sie f ü r wahrheitsg e m ä ß hält. N i m m t der Sachverständige zu einer R e c h t s f r a g e Stellung, z. B. zu der Frage, ob u n d in welchem U m f a n g der Angeklagte zurechnungsfähig ist, so darf das Gericht sich d e m G u t a c h t e n nicht einfach anschließen; das Gericht entscheidet vielmehr in eigener V e r a n t w o r t u n g . Auf j e d e n Fall aber, also a u c h w e n n das Gericht sich die Auffassung des Sachverständigen zu eigen m a c h t , müssen die A u s f ü h r u n g e n des Sachverständigen im Urteil wiedergegeben w e r d e n u n d erkennen lassen, d a ß sie von richtigen rechtlichen Vorstellungen ausgehen (BGH 7, 238). Z u r selbstständigen Stellung des Richters z u m Sachverständigen siehe a u c h B G H 8, 113. 3. W ä h r e n d ein Z e u g e n b e w e i s n u r n a c h M a ß g a b e des § 244 Abs. 3 abgelehnt w e r d e n k a n n , darf ein S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s a u c h abgelehnt werden, w e n n das Gericht selbst die erforderliche S a c h k u n d e besitzt (§ 244 Abs. 4 Satz 1), u n d w ä h r e n d der Z e u g e n b e w e i s insbesondere nicht mit der B e g r ü n d u n g abgelehnt werden darf, d a ß d u r c h a n d e r e gehörte Zeugen b e r e i t s d a s G e g e n t e i l der zu beweisenden T a t s a c h e bewiesen sei (siehe N a c h t r a g zu Fall 9 Abschn. B I I I , S. 162), enthält § 244 Abs. 4 Satz 2 bezüglich des S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s e s eine a n d e r e Regelung. Diese n e u e Gesetzesstelle, die das Ergebnis der bisherigen R e c h t -

Fall 15

207

sprechung zu dieser Frage enthält, sieht vor, d a ß ein Beweisantrag auf Vernehmung eines w e i t e r e n S a c h v e r s t ä n d i g e n a u c h d a n n a b g e l e h n t w e r d e n k a n n , wenn durch das frühere Gutachten d a s G e g e n t e i l d e r b e h a u p t e t e n T a t s a c h e b e r e i t s e r w i e s e n ist, es sei d e n n , daß die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, daß sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, daß das Gutachten Widersprüche enthält oder daß der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen (s. Fall 9 Abschn. B V, S. 164). 4. Dem Sachverständigen kann i m G e g e n s a t z z u m Z e u g e n die A k t e n e i n s i c h t sowie die A n w e s e n h e i t während der ganzen Hauptverhandlung gestattet werden; auch kann ihm erlaubt werden, an den Beschuldigten und die Zeugen unmittelbar Fragen zu stellen (siehe § 80). (Wegen des Umfangs der Ermessensfreiheit des Gerichts siehe BGH 2, 25.) 5. Gegen einen z u r E r s t a t t u n g d e s G u t a c h t e n s v e r p f l i c h t e t e n S a c h v e r s t ä n d i g e n kann sowohl im Falle des Nichterscheinens als auch bei Weigerung der Aussagen eine O r d n u n g s s t r a f e in Geld, aber n i c h t wie beim Zeugen z w a n g s w e i s e V o r f ü h r u n g u n d H a f t verhängt werden (§ 77). 6. Der S a c h v e r s t ä n d i g e hat, im Gegensatz zur allgemeinen Zeugenpflicht, eine G u t a c h t e r p f l i c h t nur in den in § 75 genannten Fällen. Er kann ferner aus denselben Gründen wie der Richter a b g e l e h n t werden (§ 74), z.B. deshalb, weil er Angestellter der durch die strafbare Handlung geschädigten Firma ist (E. 58, 262). Im übrigen ist die Frage, ob ein Mißtrauensgrund vorliegt, tatsächlicher Natur und unterliegt daher insoweit nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. (E. 25, 361; BGH 8, 144, 226). Das Zeugnis v e r w e i g e r n kann der Sachverständige aus denselben Gründen, die den Zeugen hierzu berechtigen (§ 76). III. Eine u n b e d i n g t e V e r p f l i c h t u n g z u r Z u z i e h u n g S a c h v e r s t ä n d i g e n b e s t e h t n u r in f o l g e n d e n F ä l l e n :

eines

1. Bei der E i n w e i s u n g i n e i n e H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t zur Beobachtung auf den Geisteszustand (§81); 2. wenn damit zu rechnen ist, daß die U n t e r b r i n g u n g i n e i n e r H e i l o d e r P f l e g e a n s t a l t , T r i n k e r h e i l a n s t a l t oder E n t z i e h u n g s a n s t a l t (insbesondere im Sicherungsverfahren der §§ 429a ff.) a n g e o r d n e t wird (§§ 80 a, 246 a); 3. bei L e i c h e n s c h a u und L e i c h e n ö f f n u n g (§ 87); 4. beim Verdacht einer V e r g i f t u n g (§91); 5. bei M ü n z d e l i k t e n (§92). 6. Außerdem bildet die N i c h t h i n z u z i e h u n g e i n e s S a c h v e r s t ä n d i g e n immer dann einen Revisionsgrund, wenn durch diese Unterlassung gegen den Grundsatz des § 244 I I ( P f l i c h t z u r W a h r h e i t s e r m i t t l u n g ) verstoßen wurde (siehe BGH 2, 14, 16; 8, 130).

208

II. Teil: Lösungen

7. Schließlich m u ß ganz allgemein die Beweisaufnahme immer auf den Sachverständigen erstreckt werden, wenn derselbe g e l a d e n und e r s c h i e n e n ist (§ 245 Satz 1). (Siehe Fall 9, Nachtrag Abschnitt B I I 1, S. 161.) IV. Das Gutachten ist in der H a u p t v e r h a n d l u n g grundsätzlich m ü n d l i c h zu erstatten. A u s n a h m s w e i s e können nach § 256 v e r l e s e n werden Gutachten öffentlicher Behörden und ärztliche Atteste über andere als schwere Körperverletzungen. (Siehe Fall 3, Nachtrag A, Abschn. B I I 2, S. 77.) V. Der n a c h Erstattung des Gutachtens zu leistende S a c h v e r s t ä n d i g e n e i d (ob der Sachverständige zu vereidigen ist, liegt grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, § 79 I) lautet nach § 79 I I dahin, d a ß der Sachverständige das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet habe. D i e s e r E i d d e c k t a u c h d i e Z e u g e n a u s s a g e des Sachverständigen insoweit, als er Wahrnehmungen bekundet, die einen untrennbaren Bestandteil des Gutachtens bilden (E. 69, 97). (Im Zweifelsfalle empfiehlt es sich f ü r die Praxis, dem Sachverständigen auch den Zeugeneid abzunehmen.) Der s a c h v e r s t ä n d i g e Z e u g e des §85, auf den die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung gelangen, ist ein Zeuge, der über Wahrnehmungen aussagt, zu denen eine besondere Sachkunde erforderlich ist (z. B. der Weichenwärter über die Bedeutung bestimmter Signale.) VI. Wegen der Spezialbestimmungen für k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g e n (§§ 81 a, 81 c und 81 d) siehe Nachtrag B zu Fall 3 Abschn. 4d, S. 85.)

ZU FALL 16 A. V o r b e m e r k u n g : Die G r u n d s ä t z e d e s P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n s I . G r u n d s ä t z l i c h ist es S a c h e d e s S t a a t e s , sein Recht zu strafen, selbst auszuüben, und zwar durch die mit der Strafrechtspflege betrauten Organe. N u r a u s n a h m s w e i s e überläßt der Staat dieses Recht dem durch die Straftat Verletzten (Privatklage nach § 374, für deren Verhandlung und Entscheidung der Amtsrichter zuständig ist, § 25 Nr. 2 a GVG). II. Neben dem V e r l e t z t e n sind zur Privatklage auch legitimiert diejenigen Personen, welche nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 65 Abs. 1 S. 2, 196, 232 Abs. 3 StGB) neben dem Verletzten selbst und unabhängig von dem Willen desselben die S t r a f v e r f o l g u n g b e i d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t zu beantragen berechtigt sind (§ 374 Abs. 2). Sind m e h r e r e P e r s o n e n zur Privatklage berechtigt, d . h . sind durch dieselbe strafbare Handlung mehrere Personen verletzt, o d e r sind n e b e n dem Verletzten noch andere Personen privatklageberechtigt (der Vormund des über 19 J a h r e alten Minderjährigen, der Ehemann und der vorgesetzte Beamte), so ist jeder von dem anderen bei Ausübung dieses Rechts unabhängig, § 375.

Fall 16

209

I I I . Die P r i v a t k l a g e wird e r h o b e n zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch Einrichtung einer Anklageschrift ( § 3 8 1 ) . Der Privatklage hat in der Mehrzahl der Fälle des § 374 ein S ü h n e v e r s u c h voranzugehen, § 380. Der Privatkläger muß p a r t e i f ä h i g und p r o z e ß f ä h i g sein, andernfalls die Privatklage unzulässig ist bzw. durch den gesetzlichen Vertreter geführt werden muß (§ 374 Abs. 3). Ein Minderjähriger, auch wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist also zur selbständigen Erhebung der Privatklage nicht befugt. I V . Nach Erhebung der Privatklage setzt das Gericht dem Privatkläger, soweit ihm nicht das Armenrecht bewilligt ist, eine Frist zur Z a h l u n g eines Gebührenvorschusses. Nach § 3 7 9 a Abs. 3 tritt bei Nichteinhaltung der Zahlungsfrist die Z u r ü c k w e i s u n g der Privatklage und die Verwerfung des etwa vom Privatkläger (Nebenkläger) eingelegten Rechtsmittels oder Wiederaufnahmeantrags ein. Die rechtskräftige Zurückweisung der Privatklage hat den endgültigen Verlust des Privatklagerechts zur Folge. V . Nach Zahlung des Vorschusses und Erklärung des Beschuldigten bzw. nach Ablauf der hierzu gesetzten Frist b e s c h l i e ß t d e r A m t s r i c h t e r , entweder das H a u p t v e r f a h r e n zu eröffnen oder die Klage z u r ü c k z u w e i s e n . Wie im Offizialverfahren kann auch der Amtsrichter vor der Entscheidung Beweiserhebung vornehmen (§383 Abs. 1). Eine Z u r ü c k w e i s u n g kommt vor allem in Frage, wenn eine strafbare Handlung überhaupt nicht vorliegt (z. B. wenn es sich um eine wegen Vorliegens des § 193 S t G B straflose Beleidigung handelt) oder wenn die Klage nicht den Erfordernissen des § 200 Abs. r entspricht (§ 381 S. 2), oder wenn der Amtsrichter eine Straftat für vorliegend erachtet, welche das Privatklageverfahren ausschließt. V I . Nach § 383 Abs. 2 kann das Gericht bei einem im Wege der Privatklage zu verfolgenden Vergehen bei geringer Schuld des Täters und unbedeutenden Folgen der T a t das Verfahren d u r c h B e s c h l u ß e i n s t e l l e n . Nach Abs. 2 S. 3 ist die Einstellung mit der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e anfechtbar. Die rechtskräftige Einstellung enthält nur eine b e s c h r ä n k t e m a t e r i e l l e R e c h t s k r a f t insofern, als eine nochmalige Nachprüfung der auf dem Gebiete des Ermessens liegenden Voraussetzungen der Geringfügigkeit der Schuld und der Folgen der T a t ausgeschlossen ist. Dagegen aber entfällt die Rechtskraft, wenn sich herausstellt, daß kein Vergehen, sondern ein Verbrechen vorliegt. (E. 65, 293.) V I I . Das w e i t e r e V e r f a h r e n richtet sich nach den Bestimmungen, welche für das O f f i z i a l v e r f a h r e n gelten. Der Privatkläger übernimmt im allgemeinen die Rolle des Staatsanwalts (§§ 384, 385). Im übrigen ist folgendes zu beachten: 1 . Sowohl der A n g e k l a g t e als auch der P r i v a t k l ä g e r können sich durch einen mit Vollmacht versehenen Rechtsanwalt vertreten lassen (§§ 387, 378). P e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

14

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II. Teil: Lösungen

2. Das Gericht bestimmt den U m f a n g d e r B e w e i s a u f n a h m e (§ 384 Abs. 2). 3. Kommt das Gericht im Laufe der Verhandlung zu der Überzeugung, daß das Privatklageverfahren keine Anwendung finden kann, so ist das Verfahren e i n z u s t e l l e n (§ 389). 4. Die oben in Ziff. VI erwähnte E i n s t e l l u n g bei B a g a t e l l s a c h e n kann auch n a c h Anordnung der Hauptverhandlung und auch noch in der Berufungsinstanz erfolgen. 5. Z u r ü c k g e n o m m e n werden kann die Privatklage (und zwar ohne Zustimmung des Angeklagten) bis zur Verkündung des Urteils I. Instanz bzw. II. Instanz (§ 391 Abs. 1). F i n g i e r t wird die Zurücknahme, wenn der Privatkläger n i c h t e r s c h e i n t und sich auch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten läßt. (Siehe § 391 Abs. 2.) VIII. B l e i b t in der B e r u f u n g s i n s t a n z der P r i v a t k l ä g e r bzw. sein Anwalt aus, so ist die Rechtslage folgende: 1. Der P r i v a t k l ä g e r hat Berufung eingelegt: a) Im Falle der F r e i s p r e c h u n g d e s A n g e k l a g t e n im I. Rechtszug: Verwerfung der Berufung (§ 391 Abs. 3). b) Im Falle der V e r u r t e i l u n g d e s A n g e k l a g t e n im I. Rechtszug: Prüfung, ob das Urteil zugunsten des Angeklagten abzuändern ist. (Siehe Wortlaut des Abs. 3 des § 391 „Unbeschadet der Verschrift des § 301".) 2. Der A n g e k l a g t e hat Berufung eingelegt: Die Privatklage gilt als zurückgenommen (§ 391 Abs. 2). 3. Der P r i v a t k l ä g e r u n d d e r A n g e k l a g t e haben Berufung eingelegt: wie zu 2). I X . B l e i b t in der B e r u f u n g s i n s t a n z d e r A n g e k l a g t e bzw. sein Anwalt aus, so ist die Rechtslage folgende: 1. Der P r i v a t k l ä g e r hat Berufung eingelegt: Es wird über die Berufung des Privatklägers verhandelt (§§ 384, 329). 2. Der A n g e k l a g t e hat Berufung eingelegt: Die Berufung wird verworfen (§§ 384, 329). X . Der Beschuldigte kann bis zur Beendigung der Schlußvorträge im I. Rechtszug W i d e r k l a g e erheben, wenn zwischen ihr und der Privatklage ein t a t s ä c h l i c h e r Z u s a m m e n h a n g besteht (§ 388). Sie kann auch mündlich erhoben werden. Abs. 2 des § 388 enthält die Möglichkeit der Widerklage gegen den Verletzten, auch wenn dieser nicht klagt. X I . Der Tod d e s P r i v a t k l ä g e r s hat die Einstellung des Verfahrens zur Folge (§ 393). (Siehe aber Abs. 2 u. 3 des § 393.) X I I . Durch den vor der Vergleichsbehörde im S ü h n e v e r f a h r e n abgeschlossenen V e r g l e i c h bzw. den dort erklärten Verzicht auf das Privatklagerecht wird dieses aufgehoben.

Fall 16

211

Der V e r g l e i c h , der v o r d e m G e r i c h t , bei dem das Privatklageverfahren anhängig ist, abgeschlossen wird, bringt das Privatklageverfahren zum Abschluß. Streitig ist, ob auch ein a u ß e r g e r i c h t l i c h e r P r i v a t v e r g l e i c h das Privatklagerecht des Verletzten aufhebt. Die Frage dürfte wohl zu verneinen sein, da die Privatklage ebenso wie die Zivilklage eine Bitte um staatlichen Rechtsschutz enthält und das Recht auf diesen Schutz erst mit der ausdrücklichen Erklärung eines Verzichts von Seiten des Berechtigten bei dem Gericht erlöschen kann. (Siehe Löwe-Rosenberg, Anmerkung 7 zu § 380.) XIII. D i e S t e l l u n g f a h r e n ist folgende:

des

Staatsanwalts

im

Privatklagever-

1. Die Staatsanwaltschaft erhebt wegen der in § 374 bezeichneten Delikte (z. B. Körperverletzung nach §§ 223, 223a, n i c h t 224 StGB) die ö f f e n t l i c h e Klage nur dann, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (§ 376)- Sie ist zu einer Mitwirkung im Privatklageverfahren n i c h t v e r p f l i c h t e t . Das Gericht legt ihr die Akten vor, wenn es die Übernahme der Verfolgung durch sie für geboten hält (§ 377). Die Entscheidung darüber, ob ein öffentliches Interesse an der Verfolgung vorliege, steht allein der Staatsanwaltschaft zu. Der Beschuldigte hat kein Recht, der Erhebung der öffentlichen Klage wegen vermeintlichen Mangels des öffentlichen Interesses zu widersprechen, und ebensowenig steht dem Gericht die Befugnis zu, aus diesem Grunde die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Hauptverhandlung abzulehnen. Ist das Delikt von einem J u g e n d l i c h e n begangen, so erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage, wenn es wegen der öffentlichen Belange oder aus Gründen der Erziehung geboten ist (§ 80 J G G ) . 2. L e h n t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t d i e E r h e b u n g d e r ö f f e n t l i c h e n K l a g e ab, weil ein öffentliches Interesse nicht vorliege, so steht dem Verletzten nur die Beschwerde an die vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu; der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist ausgeschlossen, denn die Vorschrift des § 172 I I hat nur den Zweck, die Durchführung des L e g a l i t ä t s p r i n z i p s zu gewährleisten, und das Anwendungsgebiet reicht nur soweit, als sich das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft erstreckt. Siehe Fall 2 Abschn. B I I I 1 a , S. 46. 3. D i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t k a n n d i e V e r f o l g u n g ü b e r n e h m e n in jeder Lage des Verfahrens bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils (§ 377 Abs. 2). In Abänderung seiner früheren Stellungnahme hat das Reichsgericht in E. 41, 280; 126 und 57, 349 entscheiden, daß durch die Ubernahmeerklärung der Staatsanwaltschaft gemäß § 377 das anhängige Privatklageverfahren nicht einfach beseitigt wird u n d mittels Urteil entsprechend § 389 einzustellen ist, vielmehr in derjenigen Lage, in der es sich zur Zeit der Übernahme befindet, nach den Formen des amtlichen öffentlich ein14*

212

II. Teil: Lösungen

geleiteten Verfahrens fortzuführen ist. Dies gilt namentlich auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens die Verfolgung übernimmt. B. Lösung des Falles I. Die Verstöße gegen Verfahrensnormen in dem Privatklageverfahren und ihre Wirkungen 1. N i c h t b e a c h t u n g d e r i n d e r B e l e i d i g u n g enthaltenen A n s c h u l d i g u n g gegen die E h e l e u t e L e i c h t , E h e b r u c h u n d K u p p e l e i b e g a n g e n zu h a b e n . Zwar wird das Gericht, schon wenn es erhebliche Verdachtsmomente für eine strafbare Handlung aus dem Inhalt der Klageschrift entnehmen zu können glaubt, in der Regel von der Eröffnung des Hauptverfahrens absehen und die Akten der Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung vorlegen; indes besteht hierzu eine r e c h t l i c h e V e r p f l i c h t u n g , deren Nichtbeachtung eine Verletzung einer Verfahrensnorm bedeuten würde, gemäß § 191 StGB n u r d a n n , wenn bei der Behörde wegen der angeblichen strafbaren Handlung e i n e A n z e i g e zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens gemacht worden ist. Hätte also im v o r l i e g e n d e n F a l l e eine Anzeige vorgelegen, so hätte der Amtsrichter bis zu dem Beschluß, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung zuwarten müssen. 2. D e r u n t e r l a s s e n e S ü h n e v e r s u c h . a) V o r b e m e r k u n g (siehe hierzu Löwe-Rosenberg, Anm. 6 zu § 380): aa) Nach § 380 ist bei Hausfriedensbruch, B e l e i d i g u n g , leichter vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung u. a. die Erhebung der Privatklage erst möglich, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die S ü h n e erfolglos v e r s u c h t worden ist, worüber der Kläger eine Bescheinigung mit der Klage einzureichen hat. bb) Die Vorschrift über den Sühneversuch ist im ö f f e n t l i c h e n I n t e r esse erlassen; sie verfolgt den Zweck, der leichfertigen und übereilten Erhebung von Privatklagen vorzubeugen, sie will die Geltendmachung des Klagerechts erschweren. Infolgedessen hat das Gericht v o n A m t s w e g e n zu prüfen, ob ein Sühneversuch stattgefunden hat. cc) Erst wenn der Nachweis erbracht ist, d a ß ein Sühneversuch stattgefunden hat, ist die Klage v o r s c h r i f t s m ä ß i g i. S. des §382 erhoben. Fehlt dieser Nachweis, so wird die Klage aber nicht etwa gemäß § 383 sofort zurückgewiesen, sondern der Amtsrichter bestimmt dem Privatkläger eine Frist zur Nachholung des Versäumten unter Androhung der Zurückweisung. Wird der Nachweis innerhalb der Frist nicht erbracht, so ist die Klage durch B e s c h l u ß z u r ü c k z u w e i s e n . Gegen diesen Beschluß steht dem

Fall 16

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Privatkläger die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e g e m ä ß § 210 Abs. 2 zu. Wegen abermaliger E r h e b u n g einer zurückgewiesenen K l a g e siehe § 2 1 1 . b) Indes bedeutet die Vorschrift des § 380 keine Prozeßvoraussetzung, sondern eine sog. K l a g e v o r a u s s e t z u n g , die als solche n u r f ü r den Prozeßabschnitt Bedeutung h a t , welcher mit E r h e b u n g d e r Klage beginnt u n d mit d e r E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s endigt; mit diesem Z e i t p u n k t wird der M a n g e l zwar nicht geheilt, aber gegenstandslos. c) Eine N a c h h o l u n g d e s S ü h n e v e r s u c h s i m H a u p t v e r f a h r e n oder in höherer Instanz w ä r e schon deshalb überflüssig, weil das Gericht j a selbst in j e d e r Lage des Verfahrens eine gütliche Erledigung der Sache im Wege des Vergleichs versuchen k a n n . D a ß der Amtsrichter im v o r l i e g e n d e n F a l l e das H a u p t v e r f a h r e n o h n e vorangegangenes S ü h n e v e r f a h r e n eröffnet h a t , ist d e m n a c h f ü r den weiteren Verlauf des Privatklageverfahrens ohne Bedeutung. 3. D i e e i d l i c h e V e r n e h m u n g d e r E h e f r a u L e i c h t als Z e u g i n . a) N a c h § 384 richtet sich n a c h der E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s das weitere V e r f a h r e n n a c h d e n Bestimmungen, welche f ü r das V e r f a h r e n auf erhobene öffentliche K l a g e gegeben sind, soweit nicht die d e m § 384 folg e n d e n P a r a g r a p h e n A b w e i c h u n g e n enthalten, oder solche aus der N a t u r des Privatklagerechts hergeleitet w e r d e n müssen. b) So m u ß z. B. als d e m Wesen d e r Privatklage widersprechend die V e r n e h m u n g des P r i v a t k l ä g e r s a l s Z e u g e n abgelehnt w e r d e n . Z w a r k a n n der Privatkläger zwecks A u f k l ä r u n g z u m persönlichen Erscheinen genötigt w e r d e n (§ 387 Abs. 3); aus der N a t u r d e r Privatklage ergibt sich aber, d a ß der Kläger als eine der Staatsanwaltschaft v e r w a n d t e P r o z e ß p a r t e i anzusehen ist, u n d somit, d a nicht dritte Person, im Strafv e r f a h r e n a u c h nicht als Zeuge a u f t r e t e n k a n n . (Siehe Fall 3, Abschn. B I 1 a, S. 58.) Die V e r n e h m u n g der E h e f r a u Leicht, in d e r e n N a m e n ihr E h e m a n n P r i v a t k l a g e e r h o b e n hatte, die also P r i v a t k l ä g e r i n war, enthält d e m n a c h einen Verstoß gegen eine V e r f a h r e n s norm, der zur A u f h e b u n g des auf diesem Verstoß b e r u h e n d e n Urteils führen müßte.

II. Die Verstöße gegen Verfahrensnormen in dem Offizialverfahren und ihre Wirkungen 1. D i e V e r l e s u n g d e r A u s s a g e n d e r E h e f r a u L e i c h t . (Siehe a u c h Fall 3, N a c h t r a g A, S. 76 fr.) a) Die U n m i t t e l b a r k e i t d e r Beweisführung (ein Teil des G r u n d satzes d e r Mündlichkeit) ist in § 250 gesetzlich festgelegt, der die Verlesung eines Protokoll d a n n f ü r unzulässig erklärt, w e n n sie zu d e m Zwecke erfolgt, den Beweis f ü r die W a h r n e h m u n g e n einer Person d u r c h diese Verlesung, statt d u r c h V e r n e h m u n g der Person zu liefern. (Siehe hierzu B G H 1, 5.) b) I n A b w e i c h u n g v o n d i e s e r R e g e l darf n u r in den in § 251 a u f g e f ü h r t e n Fällen a n Stelle der m ü n d l i c h e n V e r n e h m u n g einer Person vor d e m e r k e n n e n d e n Gericht die Verlesung des Protokolls ü b e r eine f r ü h e r e

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II. Teil: Lösungen

Vernehmung derselben erfolgen. Der Absatz i Nr. i enthält die Fälle absoluter, der Absatz i Nr. 2 u n d 3 diejenigen relativer Hinderung. In den ersteren Fällen, wenn also ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter v e r s t o r b e n oder in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln gewesen ist, ist die Zulässigkeit der Verlesung des Protokolls über seine frühere (auch nichtrichterliche) Vernehmung an keine Beschränkung geknüpft, insbesondere ist nicht Voraussetzung, daß es sich dabei um ein in der a n h ä n g i g e n Sache aufgenommenes Protokoll handeln muß. (Siehe Nachtrag A zu Fall 3, Abschn. D I I I 1, S. 79.) Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 251 ist also an sich nur, d a ß ein o r d n u n g s m ä ß i g e s g e r i c h t l i c h e s P r o t o k o l l vorliegt, d . h . ein solches, das den Erfordernissen der §§ 168, 187, 188 (vor allem Unterschriften des Richters und zugezogenen Gerichtsschreibers) entspricht. c) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e entsteht nun die Frage, welche Bedeutung der Tatsache zukommt, daß die V e r n e h m u n g d e r E h e f r a u L e i c h t als Z e u g i n im Privatklageverfahren gesetzwidrig war. Diese Frage ist unter Bezugnahme auf die Erörterungen in Fall 3, Abschn. B I 1 a, S. 58 dahin zu beantworten, d a ß die Verlesung d e r z w a r o r d n u n g s m ä ß i g protokollierten, aber auf G r u n d einer illegalen V e r n e h m u n g erfolgten Aussagen der Ehefrau Leicht einen V e r s t o ß g e g e n e i n e V e r f a h r e n s n o r m enthält. 2. N i c h t b e a c h t u n g d e s E i n w a n d e s d e s A n g e k l a g t e n , e r sei wegen der Äußerung bereits verurteilt. Abgesehen davon, d a ß keine r e c h t s k r ä f t i g e Entscheidung über die Schuldfrage vorliegt (das Privatklageverfahren schwebt j a noch in der Berufungsinstanz), scheidet der Grundsatz ,,ne b i s i n i d e m " (siehe hierüber Fall 12, Abschn. A, S. 174fr.) schon deshalb aus, weil im vorliegenden Falle, wo ein Privatklageverfahren in Frage kommt, die V o r s c h r i f t d e s § 375 die entscheidende Norm enthält. a) Diese Vorschrift gilt sowohl für den Fall, d a ß neben dem Verletzten selbst eine andere zur Privatklage selbständig berechtigte Person vorhanden • s t (§ 374 Abs. 2), als auch dann, wenn m e h r e r e P e r s o n e n d u r c h d i e s e l b e H a n d l u n g verletzt sind. (E. 3, 364.) b) Darüber, daß sowohl die Eheleute Leicht als auch der Regierungsbaumeister Hergert die Beleidigung im Wege der Privatklage zu verfolgen b e r e c h t i g t sind, kann ebensowenig ein Zweifel bestehen, wie in der Richtung, daß beiden Beleidigungen d i e s e l b e strafbare H a n d l u n g zugrunde liegt. Die g r u n d s ä t z l i c h e V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die A n w e n d b a r k e i t d e s § 375 ( s i e h e A b s . 1 d i e s e r G e s e t z e s s t e l l e ) s i n d d e m nach gegeben. Hätte also im v o r l i e g e n d e n F a l l e das im Privatklageverfahren ergangene Urteil vom 30. November 1959 die R e c h t s k r a f t b e s c h r i t t e n gehabt, dann hätte diese Entscheidung gemäß § 375 Abs. 3 die Wirkung gehabt, d a ß nicht nur wegen der gleichen Tat ein w e i t e r e s P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n , sondern auch eine nachträgliche V e r f o l g u n g derselben

Fall 16

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Handlung durch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t auf Grund eines Antrags eines anderen Berechtigten a u s g e s c h l o s s e n gewesen wäre. (E. 3, 365.) D a s U r t e i l des A m t s r i c h t e r s im O f f i z i a l v e r f a h r e n v o m 10. D e z e m b e r 1959 h ä t t e i n d i e s e m F a l l e a u f E i n s t e l l u n g l a u t e n müssen. c) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e handelt es sich aber nur um die Frage, welche Wirkung die Tatsache der R e c h t s h ä n g i g k e i t des Privatklageverfahrens auf das Offizialverfahren ausüben mußte. aa) Handelt es sich um z w e i O f f i z i a l v e r f a h r e n , so gilt der Grundsatz, daß die Rechtshängigkeit der Straf klage bei einem Gerichte der Anhängigmachung derselben Sache bei einem anderen Gerichte entgegensteht, und daß, wenn unter Verletzung dieses Grundsatzes dennoch die Strafsache bei dem später angerufenen Gerichte gleichzeitig anhängig geworden sein sollte, dieses, wenn auch vielleicht nur in unwissentlicher Verletzung jenes Grundsatzes tätig gewordene Gericht das bei ihm schwebende Verfahren e i n z u s t e l l e n hat, wenn es von der Rechtshängigkeit der Sache, namentlich zufolge Einwandes des Angeklagten, Kenntnis erhält. bb) Handelt es sich um das Zusammentreffen eines O f f i z i a l - mit einem P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n , so greift die Spezialvorschrift des § 375 Abs. 2 Platz, wonach während der Dauer des Privatklageverfahrens die Verfolgung derselben Handlung in einem anderen Verfahren unzulässig ist, den anderen Berechtigten während der Dauer des ersten Verfahrens vielmehr nur der Beitritt zu diesem zusteht. Der mit dem O f f i z i a l v e r f a h r e n befaßte Amtsrichter hätte a l s o , w e n n er b e i E i n k u n f t d e r A n k l a g e s c h r i f t d e s S t a a t s anwalts von dem P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n Kenntnis gehabt h ä t t e , d i e E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s a l s z. Z. u n z u l ä s s i g a b l e h n e n m ü s s e n ; d a er a b e r e r s t i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g d u r c h die V e r t e i d i g u n g des A n g e k l a g t e n von d e m n e b e n h e r l a u f e n d e n P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n e r f u h r , h ä t t e e r d u r c h Beschluß das O f f i z i a l v e r f a h r e n f ü r v o r l ä u f i g b e r u h e n d e r k l ä r e n m ü s s e n ; denn erst nach Beendigung des Privatklageverfahrens konnte unter Berücksichtigung der Art der Beendigung desselben eine definitive Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Klagerecht der Staatsanwaltschaft erloschen sei. (Ein solches E r l ö s c h e n d e s s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e n K l a g e r e c h t s würde z.B. dann n i c h t vorliegen, wenn das Privatklageverfahren durch Z u r ü c k n a h m e d e r P r i v a t k l a g e gemäß § 391 seine Erledigung fände; denn eine solche Erledigung hätte lediglich die Wirkung, daß die P r i v a t k l a g e nicht von neuem erhoben werden kann [§ 392], während bezüglich der ö f f e n t l i c h e n K l a g e das Gesetz eine entsprechende Bestimmung nicht enthält, die Erhebung einer solchen also an sich durchaus möglich ist, zumal in der Zurücknahme der Privatklage nicht ohne weiteres auch die Zurücknahme des Strafantrags zu liegen braucht. E. 19, 285.)

2l6

II. Teil: Lösungen

III. Welche Schritte wird angesichts dieser Sach- und Rechtslage der Staatsanwalt unternehmen, um eine Verurteilung des Stein wegen der Beleidigung der Eheleute Leicht und des Hergert zu erreichen ? I . Der S t a a t s a n w a l t , der auf Grund der obigen Erwägungen zu dem Schluß kommen muß, daß das O f f i z i a l v e r f a h r e n in der Berufungsinstanz unbedingt für v o r l ä u f i g b e r u h e n d erklärt werden muß, wird sich zum Eintritt in das Privatklageverfahren entschließen, d. h. er w i r d d i e V e r f o l g u n g g e m ä ß § 377 A b s . 2 ü b e r n e h m e n . a) Die durch a u s d r ü c k l i c h e E r k l ä r u n g zu bewirkende Übernahme durch den Staatsanwalt hat zur Folge, daß das Privatklageverfahren nicht einfach beseitigt wird und entsprechend § 389 einzustellen ist, sondern daß es vielmehr in der Lage, in der es sich zur Zeit der Übernahme befindet, nach den Formen des amtlichen, öffentlich eingeleiteten Verfahrens fortzuführen ist. Die Privatklage ist nunmehr als öffentliche K l a g e zu behandeln. b) Da nunmehr z w e i O f f i z i a l v e r f a h r e n nebeneinander herlaufen, wird der Staatsanwalt weiter bezüglich des ersten Offizialverfahrens die Einstellung beantragen. c) D a d i e E i n l e g u n g e i n e s R e c h t s m i t t e l s seitens des Staatsanwalts noch n a c h A b l a u f der dem Privatkläger gesetzlich zustehenden Rechtsmittelfristen nicht zulässig ist — besondere Rechtsmittelfristen für die Staatsanwaltschaft sind im Gesetz nicht vorgesehen — vielmehr das Privatklageverfahren in der Lage übernommen werden muß, in welcher es sich gerade prozessual befindet, kann der Staatsanwalt, der also an die vorhandene Prozeßlage gebunden ist, im v o r l i e g e n d e n F a l l e , wo die dem Privatkläger Leicht zustehende Frist zur Einlegung der Berufung bereits abgelaufen ist, von diesem Rechtsmittel keinen Gebrauch mehr machen. d) Trotzdem kann das Gericht ohne weiteres den Stein in der Berufungsinstanz a u c h w e g e n V e r l e u m d u n g d e s R e g i e r u n g s b a u m e i s t e r s H e r g e r t bestrafen, da nach § 264 den Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat bildet, d. h. der g e s c h i c h t l i c h e V o r g a n g (die Beleidigung in ihrem gesamten Wortlaut), der der Anklage zugrunde gelegt ist. W i r k o m m e n d e m n a c h zu dem E r g e b n i s , d a ß der Staatsa n w a l t d u r c h Ü b e r n a h m e des P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n s d i e Bes t r a f u n g des S t e i n w e g e n V e r l e u m d u n g d e r E h e l e u t e L e i c h t und d e s R e g i e r u n g s b a u m e i s t e r s H e r g e r t e r r e i c h e n k a n n . Voraussetzung hierfür ist aber, daß die Aussagen des Zeugen Hergert, der nach § 55 auskunftsverweigerungsberechtigt ist, als Grundlage für ein verurteilendes Erkenntnis ausreichen; denn die Aussagen der zu Unrecht als Zeugen vernommenen Ehefrau Leicht können natürlich auch in dem Berufungsverfahren nicht verwertet werden (Siehe oben Abschn. I, 3.)

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Fall 17

IV. Kann der Staatsanwalt eine Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis erreichen? E i n e E r h ö h u n g der Strafe von 6 W o c h e n Gefängnis ist im Hinblick auf den G r u n d s a t z d e s V e r b o t s d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s unmöglich, denn der Staatsanwalt konnte j a , wie wir oben (siehe A b s c h n . I I I 1 c) gesehen haben, Berufung nicht mehr einlegen (Siehe § 3 3 1 ) .

ZU FALL 17 A. Vorbemerkung: Die Nebenklage I . W ä h r e n d das P r i v a t k l a g e r e c h t den Verletzten g e g e n K l a g e u n t e r l a s s u n g e n schützen will, bezweckt die N e b e n k l a g e , die eine weitere D u r c h b r e c h u n g des staatsanwaltschaftlichen Anklagemonopols bedeutet, d e m Verletzten eine Möglichkeit zu geben, etwaigen M ä n g e l n i n d e r K l a g d u r c h f ü h r u n g durch T e i l n a h m e an d e m Strafprozeß vorzubeugen. I I . Der N e b e n k l ä g e r ist eine Privatperson, der das Gesetz die Befugnis zugesprochen hat, an d e m Strafverfahren nach erhobener K l a g e in jeder L a g e des Verfahrens n e b e n d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t teilzunehmen. I m Gegensatz z u m Privatkläger tritt der Nebenkläger n i c h t a n d i e S t e l l e des mit der Strafverfolgung regelmäßig betrauten staatlichen Organs, sondern es soll ihm lediglich die Möglichkeit gegeben werden, n e b e n d e m Staatsanwalt seine besonderen an der Verurteilung des A n g e k l a g t e n beteiligten Interessen wahrzunehmen. D i e absolute Selbständigkeit der öffentlichen K l a g e und ihre ausschließliche Vertretung durch die Staatsanwaltschaft werden durch den A n s c h l u ß eines Nebenklägers in keiner Weise berührt. (E. 28, 2 2 6 . ) III. B e r e c h t i g t

zu

der A n s c h l u ß e r k l ä r u n g

sind:

1 . die nach M a ß g a b e des § 3 7 4 zur Privatklage Berechtigten, sobald die öffentliche K l a g e erhoben ist (§ 3 9 5 I), unter der selbstverständlichen Voraussetzung, d a ß das Privatklagerecht nicht etwa durch A b l a u f einer Antragsfrist bereits erloschen ist; 2. die Eltern, K i n d e r , Geschwister und der Ehegatte eines durch eine mit Strafe bedrohten H a n d l u n g Getöteten (§ 3 9 5 I I Ziff. 1), selbst w e n n es sich nicht u m ein Privatklagerecht handelt ( B G H 6, 1 0 3 ) , 3 . wer durch einen A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung (§ 1 7 2 I I ) die E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e herbeigeführt hat, (§ 3 9 5 I I ) . ( N B . Der innere G r u n d für die Berechtigung aus § 3 9 5 I I Z . 2 ist ein gewisses M i ß t r a u e n gegen die Staatsanwaltschaft. Derjenige, der die Staatsanwaltschaft genötigt hat, wider ihren Willen die öffentliche K l a g e zu erheben, soll a u c h die Möglichkeit haben, auf den weiteren Fortgang des Verfahrens einen wesentlichen Einfluß auszuüben.)

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II. Teil: Lösungen

4. der Bundespräsident im Falle des § 95 S t G B sowie bestimmte Staatsorgane und ihre Mitglieder im Falle des § 97 S t G B (§ 395 I I I ) . I V . Der Anschluß kann in jeder Lage des Verfahrens erfolgen, auch nach Erlaß des Urteils zwecks Einlegung von Rechtsmitteln (§ 395 I S. 2). V . K r a f t G e s e t z e s wird zum Nebenkläger: 1 . Der P r i v a t k l ä g e r , wenn die S t a a t s a n w a l t s c h a f t die Verfolgung ü b e r n o m m e n h a t (§ 377 Abs. 3), 2. das F i n a n z a m t i n G e f ä l l s p r o z e s s e n nach der R A b g O , wenn der Beschuldigte auf gerichtliche Entscheidung angetragen oder die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat (§§ 467, 472 R A b g O ) . V I . Durch den Anschluß erlangt der Nebenkläger die R e c h t e d e s P r i v a t k l ä g e r s (§ 397); er kann sich insbesondere unabhängig von der Staatsanwaltschaft der Rechtsmittel bedienen ( § 4 0 1 I). Legt n u r der Nebenkläger ein Rechtsmittel ein (er kann es nur zu Ungunsten des Angeklagten tun), dann hat trotzdem die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren der höheren Instanz mitzuwirken, und zwar in der gleichen Weies, als wenn sie selbst das Rechtsmittel eingelegt hätte (siehe Löwe-Rosenberg Anm. 5 zu § 401). N i c h t e r f o r d e r l i c h ist die A n w e s e n h e i t des Nebenklägers während der ganzen Hauptverhandlung, da er nicht zu den in § 226 aufgezählten notwendigen Personen des Verfahrens gehört; § 391 Abs. 2 kommt demnach auf ihn nicht zur Anwendung, d. h. eine fingierte Zurücknahme der Nebenklage gibt es nicht; dagegen gilt § 391 Abs. 3 (siehe E. 63, 53). V I I . Die Anschlußerklärung muß bei dem Gericht s c h r i f t l i c h (eine mündliche Erklärung in der Hauptverhandlung ist unwirksam) eingereicht werden (§ 396). Die E n t s c h e i d u n g über die Berechtigung (die nach E. 59, 126 von Amts wegen nachzuprüfen ist) hat durch a u s d r ü c k l i c h e n B e s c h l u ß zu erfolgen. Schließt sich jemand durch R e c h t s m i t t e l e i n l e g u n g der öffentlichen K l a g e an, so ist für die Entscheidung über die Zulassung des Nebenklägers allein das R e c h t s m i t t e l g e r i c h t zuständig (E. 76, 178). Dieser Zulassungsbeschluß, der konstitutive Wirkungen hat, ist zu erlassen, wenn nach dem tatsächlichen Inhalt der Anklage oder dem jeweiligen Verhandlungsergebnis die r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t besteht, das den Gegenstand der Anklage oder der Verhandlung bildende Tun des Angeklagten unter einem rechtlichen Gesichtspunkt zu betrachten, der die Zulassung des Nebenklägers nach § 395 rechtfertigt (E. 43, 262). (Siehe hierzu die Ausführungen in Abschn. B V.) Die umstrittene Frage, ob dem Antragsteller bzw. dem Angeklagten gegen die Nichtzulassung bzw. Zulassung das Rechtsmittel der B e s c h w e r d e nach § 304 zusteht, oder ob § 304 durch § 305 Satz 1 ausgeschlossen wird, findet in Rechtsprechung und Schrifttum keine einheitliche Beantwortung (siehe N J W 1953, S. 3 1 7 . )

Fall 17

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VIII. Sowohl die gesetzwidrige Ablehnung einer Zulassung als auch die zu Unrecht erfolgte Zulassung einer Nebenklage kann die R e v i s i o n gemäß § 337 begründen (E. 59, 100; 66, 346). IX. Die für die Privatklage geltenden Bestimmungen über Zahlung eines G e b ü h r e n v o r s c h u s s e s (siehe Fall 16, Abschn. A IV, S. 209) finden auf den Nebenkläger und das von ihm betriebene Verfahren entsprechende Anwendung. (§ 401.) X . Das N e b e n k l a g e - P r o z e ß v e r h ä l t n i s dauert, einmal gültig begründet, grundsätzlich solange wie das Haupt-Prozeßverhältnis. Vorher v e r l i e r t es s e i n e W i r k u n g nur durch W i d e r r u f , sowie den Tod des Nebenklägers (§ 402). (NB. § 393 II findet keine Anwendung.) Trotz des Widerrufs kann die Nebenklage erneut erhoben werden (siehe E. 8, 384; 61, 99). Von den beiden in § 402 ausdrücklich erwähnten Fällen abgesehen, ist eine Beseitigung der nebenklägerischen Befugnisse nur noch dadurch möglich, daß der Beschluß, auf dem sie beruhen, mit dem gesetzlich zulässigen Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 mit Erfolg angefochten wird. B. Lösung des Falles I. Durfte der Kaufmann als Nebenkläger zugelassen werden? 1. D a s A n s c h l u ß r e c h t a u s d e r P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g . § 395 Abs. 1 bestimmt: Wer nach Maßgabe der Bestimmung des § 374 als P r i v a t k l ä g e r a u f z u t r e t e n b e r e c h t i g t i s t , kann sich der erhobenen öffentlichen Anklage in jeder Lage des Verfahrens als N e b e n k l ä g e r anschließen. Der Anschluß kann zur Einlegung von Rechtsmitteln auch n a c h ergangenem Urteil geschehen. a) D i e P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g a u s § 374 Abs. 1 u n d 3. aa) Die den Gegenstand des Strafverfahrens bildende g e f ä h r l i c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g i. S. des § 223a StGB gehört nach § 374 Abs. 1 Z. 3 zu den Körperverletzungen, die im Wege der Privatklage verfolgt werden können. (NB. § 226 StGB kommt deshalb nicht in Frage, weil laut Tatbestand ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Körperverletzung und Tod nicht vorgelegen hat.) bb) Als P r i v a t k l ä g e r a u f z u t r e t e n berechtigt ist nach § 374 Abs. 1 der V e r l e t z t e ; ist dieser m i n d e r j ä h r i g , so hat nach Maßgabe des Abs. 3 dessen V a t e r als g e s e t z l i c h e r V e r t r e t e r die Befugnis zur Erhebung der Privatklage. Da aber die gesetzliche Vertretung mit dem Tode des vertretenen Minderjährigen ihr Ende erreicht, so muß auch in diesem Zeitpunkt die Befugnis des Vaters zur Erhebung der Privatklage bzw. Nebenklage erlöschen. (E. 29, 141.) D e r K a u f m a n n k a n n d e m n a c h sein A n s c h l u ß r e c h t n i c h t aus d e r P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g g e m ä ß §§ 395 Abs. 1, 374, Abs. 1 u n d 3 h e r l e i t e n . (NB. Die P r o z e ß f ä h i g k e i t des Privatklägers wird nicht

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I I . Teil: Lösungen

nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches [§§ 65, 195] beurteilt, sondern nach den Grundsätzen der Z P O , d. h. wem im Zivilprozeß die Fähigkeit, vor Gericht zu stehen, mangelt, kann auch die strafrechtliche Privatklage nur durch seinen gesetzlichen Vertreter erheben; der Minderjährige also, auch wenn er das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, kann selbständig P r i v a t k l a g e n i c h t erheben, obwohl er nach § 65 StGB selbständig S t r a f a n t r a g stellen kann.) b ) D i e P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g a u s § 374 A b s . 2. aa) I n Abs. 2 des § 374 werden diejenigen Personen dem Verletzten gleichgestellt, welche g e m ä ß §§ 189, 196, 232 Abs. 3 StGB amtlicher Vorgesetzter u n d überlebender Ehegatte n e b e n d e m V e r l e t z t e n s e l b s t u n d u n a b h ä n g i g von d e m Willen desselben die Strafverfolgung zu b e a n t r a g e n berechtigt sind. bb) Es ist n u n die Frage zu prüfen, ob zu d e m Personenkreis des Abs. 2 des § 374 a u c h d e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r i. S. des § 65 StGB gehört, d. h. ob der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r e i n e s M i n d e r j ä h r i g e n oder Geschäftsunfähigen ebenfalls ein s e l b s t ä n d i g e s , auch dessen T o d ü b e r d a u e r n d e s a l s o m a t e r i e l l e i g e n e s S t r a f a n t r a g s r e c h t besitzt. (NB. Die Meinungsverschiedenheit in dieser Frage ist darauf zurückzuführen, d a ß der Ausdruck „selbständiges Antragsrecht" sowohl im Sinne von e i g e n e m Recht als auch im Sinne von u n a b h ä n g i g e m Recht gebraucht wird.) Das R e i c h s g e r i c h t hat, entgegen seiner früheren Stellungnahme (siehe E. 35, 133; 38, 37) in E. 57, 241 die Frage nach dem A n t r a g s r e c h t d e s g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s i. S. des § 374 Abs. 2 dahin entschieden, d a ß der gesetzliche Vertreter des n o c h n i c h t 1 8 j ä h r i g e n M i n d e r j ä h r i g e n k e i n e i g e n e s , den T o d des Minderjährigen überdauerndes A n t r a g s r e c h t i. S. von § 374 Abs. 2 besitze. Er übe, so sagt das Reichtsgericht, n u r das Recht des Verletzten aus, zwar u n a b h ä n g i g v o n d e s s e n W i l l e n u n d insofern „ s e l b s t ä n d i g " , a b e r n u r f ü r i h n als den alleinigen T r ä g e r des materiellen Antragsrechts und in seinem Namen, also nicht mehr, n a c h d e m der Verletzte g e s t o r b e n ist, ohne d a ß der gesetzliche Vertreter Strafantrag gestellt hatte. Die Frage, o b der gesetzliche Vertreter eines M i n d e r j ä h r i g e n , d e r d a s 18. L e b e n s j a h r v o l l e n d e t h a t , ein eigenes, den T o d des Minderjährigen überdauerndes Antragsrecht i. S. des § 374 Abs. 2 besitze, hat das Reichsgericht unentschieden gelassen. Wir v e r n e i n e n diese Frage u n d k o m m e n somit zu d e m Schluß, d a ß mit d e m T o d e des Minderjährigen (gleichgültig, ob er unter oder über 18 J a h r e alt ist) n i c h t n u r d i e g e s e t z l i c h e V e r t r e t u n g z u r E r h e b u n g d e r P r i v a t k l a g e ( § 3 7 4 A b s . 3), s o n d e r n a u c h d a s A n t r a g s r e c h t n a c h § 374 A b s . 2 e r l i s c h t . D e r K a u f m a n n k a n n d e m n a c h s e i n e n B e i t r i t t als N e b e n k l ä g e r a u c h n i c h t a u f d i e B e s t i m m u n g d e s § 374 A b s . 2 s t ü t z e n . 2. D i e A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g a u s § 395 A b s . 2. a ) § 395 I I Ziff. 1 e n t f ä l l t , da der T o d des Sohnes nicht auf die Mißh a n d l u n g zurückzuführen ist. (NB. Diese Gesetzesstelle setzt nicht voraus,

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daß die Tat an sich im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, BGH 6, 103) b) zu prüfen ist weiter, ob sich die Zulassung als Nebenkläger auf § 395 I I Ziff. 2 stützen läßt. Auch diese Frage ist zu verneinen, da ein Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 II S. 3 überhaupt nicht möglich war, eine erfolgreiche Beschwerde nach § 172 I aber noch nicht die Rechtsfolge des § 395 II Ziff. 2 auslösen kann. 3. D a s o m i t k e i n e g e s e t z l i c h e M ö g l i c h k e i t f ü r d i e Z u l a s s u n g des K a u f m a n n s als N e b e n k l ä g e r b e s t a n d , k o m m e n wir zu d e m E r g e b n i s , d a ß der d i e s b e z ü g l i c h e Beschluß des A m t s r i c h t e r s der gesetzlichen Grundlage entbehrte. II. Die eidliche V e r n e h m u n g d e s N e b e n k l ä g e r s als Z e u g e n 1. Daß der N e b e n k l ä g e r a l s Z e u g e vernommen werden kann, begründet das R G in E. 2, 385 vor allem damit, daß, abgesehen von Erwägungen allgemeiner Art, weder an irgendeiner Stelle im Gesetz der Nebenkläger als unfähig zum Zeugnis erklärt werde, noch die prozessuale Stellung des Nebenklägers als solche zur Annahme der Zeugnisunfähigkeit zwinge. „Der Nebenklage ist vor allem R a u m gewährt für alle Fälle der Körperverletzung. Berücksichtigt man die tatsächliche Bedeutung dieser Deliktsart in der Rechtspflege, erwägt man den Wert des Zeugnisses des Verletzten für den Beweis und die empfindliche Schädigung der Interessen der Anklage wie auch des Verletzten selbst, wenn das Zeugnis des letzteren nach der Anschlußerklärung unzulässig sein soll, so wird es schon nach diesen Erwägungen der zwingendsten Gründe für die Annahme bedürfen, d a ß die Strafprozeßordnung dem Nebenkläger die Fähigkeit zum Zeugnisse habe absprechen wollen." 2. Wird der Nebenkläger als Zeuge vernommen, so kann er auch b e e i d i g t werden, sofern nicht ein gesetzlicher Grund zur u n e i d l i c h e n Vernehmung (§ 60) vorliegt. G e g e n die e i d l i c h e V e r n e h m u n g des N e b e n k l ä g e r s im v o r liegenden Falle bestehen d e m n a c h keine Bedenken. III. U n t e r l i e g t die F r a g e der A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g der P r ü f u n g des Berufungsgerichts? 1. Jede Berufung kann sich, wie im Falle 7 Abschn. A II 2 S. 129 ausgeführt wurde, ebenso wie die Revision sowohl gegen das Urteil in seiner G e s a m t h e i t , als auch gegen jede im Urteil enthaltene, von den übrigen Urteilsbestandteilen rechtlich loslösbare E i n z e l e n t s c h e i d u n g richten, so z. B. gegen Höhe und Art der erkannten Strafe (im Gegensatz zur Schuldfrage), Verhängung oder Nichtverhängung einer Nebenstrafe, Ehrverlust usw.; sie kann schließlich auch auf den K o s t e n p u n k t b e s c h r ä n k t werden. (E. 49, 58.) Immer hat die a u s d r ü c k l i c h e B e s c h r ä n k u n g der Berufung auf einen Teil des Urteils selbst zur Folge, daß gemäß § 327 nur dieser eine Teil der Prüfung des Berufungsgerichts unterliegt.

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II. Teil: Lösungen

D a d u r c h also, d a ß im v o r l i e g e n d e n F a l l e der V e r t e i d i g e r des A n g e k l a g t e n a u s d r ü c k l i c h e r k l ä r t h a t , d a ß s i c h s e i n A n griff nur gegen die A b l e h n u n g seines A n t r a g s auf U b e r b ü r d u n g der K o s t e n auf den N e b e n k l ä g e r richte, kann G e g e n s t a n d der P r ü f u n g n u r d i e K o s t e n f r a g e w e r d e n , es sei denn, daß das Berufungsgericht zur Prüfung der Zulassungsfrage usw. v o n A m t s w e g e n verpflichtet war. 2. Eine P r ü f u n g d e r Z u l a s s u n g s f r a g e v o n A m t s w e g e n k o m m t zwar für das Revisionsgericht (siehe E. 77, 324), nicht aber f ü r d a s Ber u f u n g s g e r i c h t in B e t r a c h t ; eine solche müßte n u r d a n n eintreten, wenn der N e b e n k l ä g e r d e r B e s c h w e r d e f ü h r e r wäre; dann wäre allerdings der Berufungsrichter verpflichtet, in eine Prüfung dieser Frage von Amts wegen einzutreten, denn nach § 322 hat das Berufungsgericht die Beachtung der Bestimmungen über die Einlegung der Berufung — und hierzu gehören auch die Bestimmungen über das R e c h t zur Einlegung des Rechtsmittels — von Amts wegen zu prüfen (E. 62, 209); stellt sich dabei heraus, daß die Zulassung als Nebenkläger zu Unrecht erfolgt ist, so ist der angebliche Nebenkläger auch nicht zur Berufungseinlegung berechtigt; die Berufung ist alsdann als unzulässig zu verwerfen. (E. 35, 26.) W i r k o m m e n also zu dem S c h l u ß , d a ß der P r ü f u n g der Strafk a m m e r im v o r l i e g e n d e n F a l l e nur die K o s t e n f r a g e u n t e r l i e g t , und d a ß o h n e j e d e N a c h p r ü f u n g die B e r e c h t i g u n g des K a u f m a n n s z u r B e t e i l i g u n g a n d e m v o r i n s t a n z l i c h e n V e r f a h r e n als N e b e n k l ä g e r u n t e r s t e l l t w e r d e n m u ß . (NB. Zu dem gleichen Ergebnis müßte man gelangen, wenn es sich um ein R e v i s i o n s v e r f a h r e n handelte. Dem § 327 entspricht § 352, und dem § 322 der § 349.) IV. Auf welche Bestimmung gründet sich der Antrag des Verteidigers in der Kostenfrage? 1. Die Strafprozeßordnung enthält keine ausdrücklichen Vorschriften über die K o s t e n e r s t a t t u n g s p f l i c h t d e s N e b e n k l ä g e r s . Dieselbe ist daher nach den aus den sonstigen Vorschriften des Gesetzes sich ergebenden Normen zu behandeln. a) Grundsätzlich besteht für den Nebenkläger keine Pflicht zur Kostentragung. (E. 46, 362.) b) Auf den im Verfahren auf öffentliche Klage auftretenden Nebenkläger erleiden, nach den in der Praxis geltenden Grundsätzen, die Bestimmungen des § 471 insofern Anwendung, als hinsichtlich der Kostenerstattungspflicht des Angeklagten (Abs. 1 und 5 a. a. O.) der N e b e n k l ä g e r dem P r i v a t k l ä g e r gleichgestellt wird. (E. 31, 230.) Im Falle der V e r u r t e i l u n g des Angeklagten und Nebenbeklagten fallen diesem also sämtliche Kosten zur Last, und zwar die des gerichtlichen Verfahrens gemäß § 465 Abs. 1, die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 471 Abs. 1 in Verbindung mit § 397, weil der Ersatz dieser Auslagen für den Privatkläger ausdrücklich vorgeschrie-

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ben ist, dem Nebenkläger aber nach erfolgtem Anschluß die Rechte des Privatklägers zustehen. (E. 3 1 , 230.) Dies gilt allerdings uneingeschränkt nur dann, wenn der Angeklagte wegen eines Delikts verurteilt wurde, das im Wege der Privatklage verfolgbar ist, zumindest aber die Rechte des Nebenklägers berührt ( B G H 1 1 , 195). Im Falle der F r e i s p r e c h u n g des Angeklagten und Nebenbeklagten können dagegen die entsprechenden Bestimmungen der Privatklage nicht ohne weiteres analog angewendet werden. Während also gemäß § 471 Abs. 2 dem P r i v a t k l ä g e r , wenn der Beschuldigte auf erhobene Privatklage außer Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, oder wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, die Kosten des ganzen Verfahrens sowie die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zur Last fallen, können in dem entsprechenden Falle in einem von Amts wegen betriebenen Verfahren, welchem sich der N e b e n k l ä g e r nur unterstützend angeschlossen hat, die Kosten des Verfahrens nicht dem Nebenkläger überbürdet werden, sondern sie fallen, wie in jedem amtlichen Verfahren, der S t a a t s k a s s e zur Last. Seine persönlichen Auslagen hat in diesem Falle der Nebenkläger ohne besonderen Ausspruch selbst zu tragen (E. 15, 192). (Die Kosten eines e r f o l g l o s e n R e c h t s m i t t e l s des Nebenklägers hat dieser selbst zu tragen, einschließlich der dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen [E. 53, 303]) allerdings nur, wenn sich ein Nebenkläger a l l e i n des Rechtsmittels bedient hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel eingelegt hatte [ B G H 1 1 , 189]). 2. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e nun hat der Verteidiger seinen Antrag, die der Staatskasse und dem freigesprochenen Angeklagten erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger aufzuerlegen, damit begründet, daß der Kaufmann bei der Anzeigeerstattung und den späteren Vernehmungen g r o b f a h r l ä s s i g den Schreiner als den Täter bezeichnet habe. Der Verteidiger stützt also seinen Antrag auf die Bestimmung des § 469, wonach im Falle einer v o r s ä t z l i c h o d e r l e i c h t f e r t i g e r s t a t t e t e n u n w a h r e n A n z e i g e das Gericht dem Anzeigenden die der Staatskasse und dem Beschuldigten erwachsenen Kosten auferlegen kann. Diese Entscheidung, die nicht nur von dem Betroffenen selbst, sondern auch von der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten, von letzterem insbesondere auch dann angegriffen werden kann, wenn die Kosten nicht dem Anzeigenden auferlegt wurden, ist, selbst wenn sie in Verbindung mit dem Urteil erlassen wird, eine selbständige, und hat auch in diesem Falle mittels besonderen B e s c h l u s s e s zu erfolgen, wie schon daraus erhellt, daß sie nach Abs. 3 mit der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e anfechtbar sein soll. D e r A m t s r i c h t e r h a t also zu U n r e c h t die E n t s c h e i d u n g n a c h § 469 in d i e U r t e i l s f o r m e l a u f g e n o m m e n . (NB. Das R G vertritt den Standpunkt — siehe E. 7, 233 und E. 54, 3 3 1 —, daß im Falle des §469 die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e a u c h d a n n d a s a l l e i n z u l ä s s i g e R e c h t s m i t t e l sei, wenn die Entscheidung, wie im vorliegenden Falle, unrichtigerweise im U r t e i l erfolgt ist. Die „Beruf u n g " des freigesprochenen Angeklagten muß daher als s o f o r t i g e Be-

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I I . Teil: Lösungen

s c h w e r d e b e h a n d e l t u n d als solche von der S t r a f k a m m e r verbeschieden w e r d e n ; siehe a u c h Alsberg Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Bd. I I I , S. 479).

V. Wie wäre die Frage der Zulassung als Nebenkläger zu entscheiden, wenn eine schwere Körperverletzung i. S. des § 224 StGB in Frage stünde ? 1. H a t k e i n e i g e n t l i c h e s K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n i. S. von § 172 I I stattgefunden, so ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber der in Abschn. I entwickelten Lösung, d. h. der K a u f m a n n k a n n weder aus § 374 i. V . mit § 395 Abs. 1, noch aus § 395 Abs. I I ein Anschlußrecht geltend m a c h e n . Die Frage, ob bei einer Anklage unter d e m Gesichtspunkt des § 224 StGB Nebenklage ü b e r h a u p t zulässig ist, k a n n bei dieser Sachlage dahingestellt bleiben. (Hierüber siehe u n t e n Abschn. V I , 2.) 2 . H a t ein K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n i. S. von § 172 I I s t a t t g e f u n d e n , so ergibt sich das Anschlußrecht aus § 395 I I Ziff. 2. D e m steht n i c h t entgegen, d a ß der K a u f m a n n d u r c h die Straftat nicht u n m i t t e l b a r verletzt w u r d e . Der Begriff des „ V e r l e t z t e n " i. S. v o n § 395 I I Ziff. 2 ist seit der Neufassung der Vorschrift d u r c h das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 ebenso zu interpretieren wie in § 172, d. h. als Verletzter h a t j e d e r zu gelten, dessen Rechtssphäre d u r c h das Delikt b e r ü h r t w u r d e (vgl. Fall 2 Abschn. B. I 1 c, S. 45). H i e r a u s folgt, d a ß a u c h der m i t t e l b a r G e s c h ä d i g t e sich bei v o r a n g e g a n g e n e m erfolgreichem Klageerzwingungsverfahren als Nebenkläger d e m V e r f a h r e n anschließen k a n n . I m v o r l i e g e n d e n F a l l ist ein m i t t e l b a r e r S c h a d e n des K a u f m a n n s d a r i n z u s e h e n , d a ß e r g e m ä ß § 1627 B G B f ü r d i e K r a n k e n hauskosten aufkommen mußte. (NB. D a ß § 224 StGB nicht zu d e n Privatklagedelikten gehört, ist a u c h hier unbeachtlich, d a sich § 395 I I Ziff. 2 gerade nicht auf Privatklagedelikte erstreckt; f ü r diese ist j a ein Klageerzwingungsverfahren ü b e r h a u p t nicht möglich, § 172 I I S. 3).

VI. Wie ist die Frage V zu entscheiden, wenn der Sohn nicht gestorben ist? 1. L e b t der Sohn n o c h u n d w u r d e ein Klageerzwingungsverfahren d u r c h g e f ü h r t , so ergibt sich die Berechtigung z u m Anschluß als N e b e n kläger w i e d e r u m aus § 3 9 5 I I Ziff. 2. 2. W u r d e k e i n Klageerzwingungsverfahren d u r c h g e f ü h r t , so ergibt sich das R e c h t z u m Anschluß als Nebenkläger aus § 374 I Ziff. 3 i. V . mit Abs. 2 u n d 3 sowie § 395 I. D e m steht nicht entgegen, d a ß § 224 StGB nicht zu den Privatklagedelikten gehört. Die A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g h ä n g t n ä m l i c h n i c h t d a v o n ab, d a ß die T a t in der Anklageschrift u n t e r d e n rechtlichen Gesichtspunkt gestellt ist, u n t e r d e m allein der Anschluß zulässig sein w ü r d e , ebensowenig davon, d a ß die T a t schließlich a u c h im Urteil unter einem solchen Gesichtsp u n k t gewertet ist.

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Fall 17

D i e Z u l a s s u n g d e r N e b e n k l a g e i s t vielmehr lediglich d a d u r c h b e d i n g t , d a ß n a c h d e m tatsächlichen I n h a l t der Anklage o d e r d e m jeweiligen V e r h a n d l u n g s e r g e b n i s die r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t vorliegt, das den G e g e n s t a n d der Anklage o d e r der V e r h a n d l u n g bildende T u n des Angeklagten, sei es a u c h n u r in b e s t i m m t e r R i c h t u n g , u n t e r einem solchen rechtlichen Gesichtspunkt zu b e t r a c h t e n , der n a c h d e n gesetzlichen Bestimm u n g e n (§§ 374, 395) die E r h e b u n g einer N e b e n k l a g e zuläßt. So besteht insbesondere die Berechtigung z u m A n s c h l u ß a n die e r h o b e n e öffentliche K l a g e a u c h d a n n , w e n n m i t der d u r c h Privatklage verfolgb a r e n Beleidigung oder K ö r p e r v e r l e t z u n g ein anderes Delikt i d e e l l konkurriert oder in G e s e t z e s k o n k u r r e n z steht u n d die öffentliche K l a g e n u r u n t e r letzterem Gesichtspunkt e r h o b e n w u r d e , vorausgesetzt allerdings, d a ß der A n s c h l u ß g e r a d e z u m Z w e c k e einer Verfolgung des Angeklagten aus j e n e m rechtlichen Gesichtspunkt begehrt wird, der allein das R e c h t z u m A n s c h l u ß gibt (E. 59, 100; 6g, 246 u n d noch weitergehend E. 77, 281.) (Siehe hierzu Beschluß des O L G N ü r n b e r g , in M D R 1950, S. 304, w o n a c h ein N e b e n k l a g e r e c h t z. B. a u c h d a n n gegeben sei, w e n n Anklage wegen E i n b r u c h s d i e b s t a h l s e r h o b e n w u r d e , weil m i t diesem V e r b r e c h e n a u c h ein V e r g e h e n des H a u s f r i e d e n s b r u c h s i. S. des § 374 Abs. 1 N r . 1 u n d ein solches der S a c h b e s c h ä d i g u n g i. S. der N r . 6 in Gesetzeskonkurrenz stehe, u n d d a ß a u c h im Falle der r ä u b e r i s c h e n E r p r e s s u n g i. S. des § 255 StGB eine N e b e n k l a g e möglich sei, d a dieses V e r b r e c h e n a u c h d u r c h eine B e d r o h u n g i. S. des § 374 N r . 4 b e g a n g e n w e r d e n könne.) 2 . W e n n also im v o r l i e g e n d e n F a l l e eine nicht zu d e n im Privatklageweg verfolgbaren K ö r p e r v e r l e t z u n g e n des § 374 Abs. 1 N r . 3 geh ö r e n d e K ö r p e r v e r l e t z u n g n a c h § 224 StGB d e n G e g e n s t a n d der A n k l a g e bilden w ü r d e , w ä r e a n sich eine A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g des K a u f m a n n s a u s § 395 I nicht ausgeschlossen, d a das V e r b r e c h e n n a c h § 224 S t G B m i t d e m V e r g e h e n des § 223 a StGB in Gesetzeskonkurrenz steht. ( D a ß im Falle eines Anklageerzwingungsverfahrens a u c h b e i e i n g e t r e t e n e m T o d e d e s S o h n e s ein Anschlußrecht f ü r d e n V a t e r g e m ä ß § 395 Abs. 2 b e s t a n d e n h ä t t e , ergibt sich aus den A u s f ü h r u n g e n in Abschn. I 2 c.)

Nachtrag Die Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsprozeß) D e r S i n n u n d Z w e c k des in §§ 4 0 3 — 4 o 6 d geregelten V e r f a h r e n s ist es, D o p p e l a r b e i t z u v e r m e i d e n , i n d e m in e i n e m V e r f a h r e n nicht n u r ü b e r die strafrechtliche Schuld entschieden, sondern z u g l e i c h der d u r c h die strafbare Handlung begründete z i v i l r e c h t l i c h e Schadensersatza n s p r u c h geregelt w e r d e n k a n n , soweit eine solche Zusatzentscheidung o h n e wesentliche V e r z ö g e r u n g des Strafverfahrens möglich ist. I m m e r a b e r P e t t e r s , S t r a f p r o z e ß f ä l l e , 7. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

bleibt es d e m Verletzten überlassen, ob er seinen Entschädigungsanspruch im Strafverfahren oder im Zivilprozeß verwirklichen will. I. G e g e n s t a n d des A d h ä s i o n s p r o z e s s e s 1. Es können geltend gemacht werden a l l e v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n A n s p r ü c h e , die aus der strafbaren H a n d l u n g gegen den Beschuldigten entstanden sind, soweit sie zur Zuständigkeit der o r d e n t l i c h e n Gerichte gehören (arbeitsgerichtliche Ansprüche können z. B. nicht geltend gemacht werden) u n d noch nicht anderweitig gerichtlich anhängig gemacht sind (§ 403 Abs. 1). In Frage kommen nicht nur S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e i n G e l d , sondern insbesondere auch Ansprüche auf R ü c k g a b e der durch die strafbare H a n d l u n g (z. B. einen Diebstahl) erlangten Sache oder R e n t e n a n s p r ü c h e (z. B. bei Verletzungen d u r c h einen fahrlässig verursachten Autounfall). 2. Die H ö h e d e r E n t s c h ä d i g u n g ist unbegrenzt. I n a m t s g e r i c h t l i c h e n S t r a f v e r f a h r e n kann aber der Entschädigungsanspruch nur insoweit geltend gemacht werden, als der Anspruch die zivilrechtliche Zuständigkeitsgrenze (z. Z. 1000,— D M ) nicht übersteigt. Den diese Grenze überschreitenden Teil seines Entschädigungsanspruchs kann der Antragsteller vor den Zivilgerichten weiter verfolgen. II. D a s V e r f a h r e n 1. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der V e r l e t z t e oder sein Erbe. (Wegen des Begriffs „ V e r l e t z t e r " vgl. Fall 2, Abschn. B I 1 c, bb, S. 45.) a ) Der Antrag kann s c h r i f t l i c h oder m ü n d l i c h z u P r o t o k o l l d e s U r k u n d s b e a m t e n oder m ü n d l i c h i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g bis zu Beginn der Schlußvorträge g e s t e l l t u n d bis zur V e r k ü n d u n g des Urteils z u r ü c k g e n o m m e n werden (§ 404 Abs. 1 und 4). b ) Die Antragstellung entspricht einer K l a g e e r h e b u n g im bürgerlichen Rechtsstreit (§ 404 II), hat also die Wirkung der Rechtshängigkeit. (Unterbrechung der Verjährung.) 2. Der Antragsteller ist, wenn er seinen Antrag schon im Vorverfahren gestellt hat, von O r t u n d Zeit der H a u p t v e r h a n d l u n g zu b e n a c h r i c h t i g e n , d a m i t er in der H a u p t v e r h a n d l u n g erscheinen u n d zur Sache gehört werden k a n n (§404 Abs. 3 Satz 1). Eine A n w e s e n h e i t s p f l i c h t besteht nicht f ü r den Antragsberechtigten (§ 404 Abs. 3 Satz 2). 3. F ü r d i e E n t s c h e i d u n g s e l b s t g i l t f o l g e n d e s : a ) Eine V e r u r t e i l u n g zur Entschädigung ist davon abhängig, d a ß der Angeklagte einer Straftat s c h u l d i g g e s p r o c h e n oder eine Maßregel der Sicherung u n d Besserung gegen ihn angeordnet wird u n d d a ß der A n t r a g b e g r ü n d e t ist (§405 Satz 1). In diesem Falle ist die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch in d e n T e n o r des S t r a f u r t e i l s aufzun e h m e n (§ 406 Abs. 1). Die Entscheidung k a n n f ü r v o r l ä u f i g v o l l s t r e c k b a r erklärt werden (§ 406 Abs. 2). Die U r t e i l s f o r m e l müßte also l a u t e n : „Der Angeklagte wird wegen Betrugs zu acht M o n a t e n Gefängnis ver-

Fall 17

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urteilt. Er wird ferner zur Zahlung eines Schadensersatzes von 500,— D M an den Verletzten X verurteilt. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist, soweit es auf Zahlung des Schadensersatzes lautet, gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500,— D M vorläufig vollstreckbar." b) Das Gericht s i e h t gemäß §405 Satz 2 v o n d e r E n t s c h e i d u n g ab, aa) wenn die zu a) genannten Voraussetzungen nicht gegeben sind, bb) wenn sich der Antrag zur Erledigung im Strafverfahren n i c h t e i g n e t , insbesondere wenn seine Prüfung das Verfahren verzögern würde, cc) wenn der Antrag u n z u l ä s s i g ist, d . h . wenn die in §§403,404 bezeichneten Verfahrensvoraussetzungen nicht gegeben sind. In diesen drei Fällen kann das „ A b s e h e n v o n e i n e r E n t s c h e i d u n g " durch B e s c h l u ß geschehen, der in der Regel zusammen mit dem Urteil ergehen wird (§ 405 letzter Halbsatz). Dieser Beschluß steht einer weiteren Verfolgung der Schadensersatzansprüche im Z i v i l p r o z e ß natürlich nicht entgegen. (Siehe Ziff. 4a.) c) Siehe im übrigen Abs. 2, 3 und 4 des § 406. 4. D i e R e c h t s m i t t e l a) Der A n t r a g s t e l l e r hat k e i n Rechtsmittel (§ 406a I). Soweit sein Anspruch nicht zuerkannt ist, kann er, wie erwähnt, anderweit geltend gemacht werden (§ 406 Abs. 3 Satz 2). Der Entschädigunsganspruch kann also im Strafverfahren n i c h t r e c h t s k r ä f t i g a b e r k a n n t werden. b) Der A n g e k l a g t e kann, soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit den sonst zulässigen Rechtsmitteln anfechten (§ 406a Abs. 2 Satz 1). In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch B e s c h l u ß in nicht öffentlicher Sitzung entschieden werden (§ 406 a II Satz 2). c) Wird auf ein Rechtsmittel unter Aufhebung der Verurteilung der A n g e k l a g t e einer Straftat n i c h t s c h u l d i g gesprochen und auch nicht eine Maßregel der Sicherung und Besserung gegen ihn angeordnet, so ist z u g l e i c h die dem Antrag stattgebende Entscheidung aufzuheben, auch wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist (§ 406a Abs. 3). 5. Wegen V o l l s t r e c k u n g vgl. § 406b und wegen W i e d e r a u f n a h m e , die nur vom Angeklagten und nicht auch vom Antragsteller betrieben werden kann, siehe § 406 c„ 6. Verlangt der Verletzte eine B u ß e (gemäß §§ 188, 231 StGB), so finden die Vorschriften des Adhäsionsprozesses sinngemäße Anwendung (§ 4o6d Abs. 1) mit der A b w e i c h u n g , daß der Antrag, falls er unzulässig oder unbegründet ist, im U r t e i l a b g e l e h n t wird und somit im Falle der Rechtskraft des Urteils nicht mehr anderweit geltend gemacht werden kann (§4o6d Abs. 2). 7. Die K o s t e n f r a g e ist in § 472a geregelt.

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II. T e i l : Lösungen

ZU FALL 18 A. V o r b e m e r k u n g : Das Urteil I. Wie k o m m t ein Straf urteil zustande? 1 . N a c h § 261 entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner f r e i e n , a u s d e m I n b e g r i f f d e r V e r h a n d l u n g g e s c h ö p f t e n U b e r z e u g u n g . Die Strafgerichte haben also bei Beurteilung der Schuld oder Nichtschuld und bei Festsetzung der Strafe nach ihrer pflichtmäßigen tatsächlichen und rechtlichen Ü b e r z e u g u n g zu entscheiden, o h n e a n b e s t i m m t e B e w e i s r e g e l n gebunden zu sein. Das Reichsgericht äußert sich zu § 261 in E. 61, 206 und E. 66, 164 folgendermaßen: Die „ r i c h t e r l i c h e U b e r z e u g u n g " i. S. des § 261 wird nicht durch das Bewußtsein ausgeschlossen, d a ß jedes auf menschlicher Erkenntnis beruhende Urteil, mag es a u c h noch so sicher erscheinen, allen Fehlern und Irrtümern unterworfen ist, die durch die U n z u l ä n g l i c h k e i t d i e s e r E r k e n n t n i s bedingt sind. Objektive Wahrheit ist nur g e d a n k l i c h vorstellbar. Ihr Nachweis durch menschliche Erforschung und Erkenntnis ist b e g r i f f l i c h unmöglich, weil diese als an die erkennende Person gebunden von N a t u r subjektiv, also relativ sind. A u c h dem Richter ist daher die Findung a b s o l u t e r W a h r h e i t nicht möglich, d. h. ein absolut sicheres Wissen — dem gegenüber das Vorliegen eines gegenteiligen Tatbestandes absolut ausgeschlossen wäre — ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit verschlossen. Der Richter m u ß sich daher mit einem so h o h e n G r a d d e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t b e g n ü g e n , wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter A n w e n dung der vorhandenen Erkenntnismittel entsteht. (Siehe auch E. 75, 324 und B G H v o m 28. 1 1 . 5 0 [ M D R 51, 122].) Reichen diese Erkenntnisquellen zur v o l l e n U b e r z e u g u n g des Richters betr. die Schuld des Angeklagten n i c h t aus, dann m u ß F r e i s p r u c h erfolgen g e m ä ß dem alten, das ganze Strafverfahren beherrschenden Grundsatz „ I n dubio pro r e o " (E. 70, 3 und 72, 155), der j e d o c h keine Rechtsnorm i. S. des § 337 darstellt. (NB. Gegenstand der f r e i e n r i c h t e r l i c h e n Beweiswürdigung können auch die A n g a b e n eines g e i s t e s k r a n k e n B e s c h u l d i g t e n im Sicherungsverfahren sein; sie können somit auch für die Urteilsfindung verwertet werden, B G H 2, 269; siehe ferner B G H 2, 351, w o n a c h auch die Zeugnisverweigerung eines Angehörigen nach § 52 I der freien Beweisw ü r d i g u n g unterliegt.) a) D e r G r u n d s a t z d e r f r e i e n B e w e i s w ü r d i g u n g w i r d d u r c h b r o c h e n d u r c h S c h u l d v e r m u t u n g e n des m a t e r i e l l e n Rechts, in der Hauptsache durch die in § 190 S t G B für die üble Nachrede des § 186 S t G B getroffene Bestimmung, f e r n e r durch zahlreiche Bestimmungen der S t e u e r g e s e t z e s o w i e vor allem durch den die B e w e i s k r a f t d e s P r o t o k o l l s betreffenden § 274 (siehe hierzu die eingehenden Ausführungen in Fall 5 Abschn. A I 4 d , bb, S. 101).

Fall 18

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b) Bezüglich der G e b u n d e n h e i t d e s S t r a f r i c h t e r s a n f r ü h e r e U r t e i l e e r g i b t sich aus d e m G r u n d s a t z d e r f r e i e n Beweiswürdigung folgendes: aa) Z u f r ü h e r e n S t r a f u r t e i l e n besteht keinerlei Bindung (mit Ausn a h m e des oben e r w ä h n t e n in § 190 StGB geregelten Falles). Ebenso h a t das Gesetz bezüglich der Frage einer B i n d u n g a n Z i v i l u r t e i l e in Abs. 1 des § 262 die Regel aufgestellt, d a ß die Entscheidung zivilrechtlicher V o r f r a g e n Sache des Strafrichters ist. Es ist d a h e r z. B. bei einem Strafverfahren wegen K i n d s t ö t u n g n a c h § 2 1 7 StGB das S t r a f g e r i c h t nicht an die Entscheidung des Z i v i l r i c h t e r s g e b u n d e n , der das K i n d f ü r e h e l i c h erklärt h a t . Ebensowenig hindert ein Z i v i l u r t e i l , in d e m das Bestehen einer u n e h e l i c h e n Vaterschaft zwischen d e m A u n d d e r B festgestellt ist, eine Bestrafung des A wegen Blutschande, falls der S t r a f r i c h t e r eine Blutsverwandtschaft f ü r bewiesen erachtet. A n d e r e r s e i t s bleibt es aber d e m S t r a f r i c h t e r selbstverständlich u n b e n o m m e n , bei Feststellung des fraglichen Rechtsverhältnisses die Entscheidung des Z i v i l r i c h t e r s a u c h s e i n e r Entscheidung z u g r u n d e zu legen, vorausgesetzt, d a ß er diese Entscheidung als materiell d e r W a h r h e i t entsprechend erachtet. bb) Der Abs. 2 des § 262 gestattet d e m Strafrichter, das Strafverfahren a u s z u s e t z e n , u n d zwar nicht n u r in der H a u p t v e r h a n d l u n g , sondern in j e d e m S t a d i u m des Verfahrens, u n d das Urteil des Zivilgerichts ü b e r die zivilrechtliche V o r f r a g e a b z u w a r t e n . cc) N u r i n e i n e m F a l l e i s t d a s S t r a f g e r i c h t a n e i n Z i v i l u r t e i l g e b u n d e n , nämlich d a n n , w e n n das Urteil r e c h t s g e s t a l t e n d e ( k o n s t i t u t i v e ) W i r k u n g hat, i n d e m es neues R e c h t schafft (im Gegensatz zu der d e k l a r a t o r i s c h e n , d. h. bestehendes R e c h t feststellenden E n t scheidung). (E. 14, 374.) Es k a n n also z. B. keine Bestrafung wegen B i g a m i e erfolgen, w e n n die E h e des Beschuldigten rechtskräftig geschieden ist. Ebenso entfällt d a n n die A n w e n d b a r k e i t des § 247 I I StGB. (Siehe wegen entsprechender A n w e n d u n g dieser G r u n d s ä t z e auf Urteile im Verwaltungsstreitverfahren Löwe-Rosenberg Erl. 9 zu § 262.) 2. G e g e n s t a n d d e r U r t e i l s f i n d u n g ist n a c h § 264 die in der Anklage ( E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß ) bezeichnete T a t , wie sie sich n a c h d e m Ergebnis der H a u p t v e r h a n d l u n g darstellt. (Siehe hierzu N a c h t r a g zu Fall 5, S. 107 fr.). 3. B e r a t u n g u n d A b s t i m m u n g finden u n t e r A u s s c h l u ß d e r Ö f f e n t l i c h k e i t statt, u n d zwar regelmäßig im B e r a t u n g s z i m m e r , also räumlich a u ß e r h a l b des S i t z u n g s z i m m e r s (siehe § 193 G V G ) . (NB. A b s t i m m u n g e n , die nicht das Urteil selbst, sondern F r a g e n des dem Urteil v o r a n g e h e n d e n Verhandlungsverfahrens betreffen, wie Beurteilung eines Beweisantrags, Verlesen von U r k u n d e n , Aussetzung d e r V e r h a n d l u n g usw. können in G e g e n w a r t der Prozeßbeteiligten u n d Z u h ö r e r mit leiser, f ü r a n d e r e nicht w a h r n e h m b a r e r Stimme erfolgen, siehe E. 22, 396; 42, 85.)

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II. Teil: Lösungen

4. A b g e s t i m m t wird, was den U r t e i l s g e g e n s t a n d betrifft, in folgender Reihenfolge (siehe E. 8, 218): a ) über die P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g e n bzw. Prozeßhindernisse (vor allem Strafantrag, ne bis in idem), also über die Frage, ob eine S a c h e n t s c h e i d u n g überhaupt getroffen werden kann, oder ob das Verfahren gemäß § 260 I I I e i n g e s t e l l t werden muß. b) über die S c h u l d f r a g e , c) über R ü c k f a l l und V e r j ä h r u n g (§ 263 Abs. 3), d) über die S t r a f f r a g e einschließlich der Nebenstrafen und Nebenfolgen sowie der Sicherungsmaßregeln, e) über die E n t s c h ä d i g u n g d e s V e r l e t z t e n (§ 403), f) über die K o s t e n . 5. Die zur Entscheidung berufenen Richter sind v e r p f l i c h t e t , sich an der Beratung und Abstimmung zu b e t e i l i g e n , insbesondere darf kein Richter, falls m e h r e r e F r a g e n zur Entscheidung stehen, die Abstimmung über eine Frage verweigern, weil er bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit geblieben ist (§ 195 GVG). Falls er z. B. die Schuldfrage verneint hat, m u ß er trotzdem noch zur Straffrage Stellung nehmen. 6. B e r a t u n g u n d A b s t i m m u n g werden vom Vorsitzenden geleitet (§ 194 GVG). Abgestimmt wird gemäß § 197 G V G in folgender Reihenfolge : a) der Berichterstatter, b) die ehrenamtlichen Richter; sie stimmen nach dem Lebensalter, der Jüngere vor dem Älteren, c) die übrigen beisitzenden Berufsrichter, und zwar in der Reihenfolge nach dem Dienstalter, d ) der Vorsitzende. E r g ä n z u n g s r i c h t e r (§ 192 Abs. 2 GVG) dürfen sich an der Beweisa u f n a h m e beteiligen, dagegen bei der Beratung nicht zugegen sein. 7. R e g e l m ä ß i g erfolgen die Entscheidungen nach der a b s o l u t e n M e h r h e i t der Stimmen, § 196 Abs. 1 GVG. a) Die a b s o l u t e (einfache) M e h r h e i t bilden: im S c h ö f f e n g e r i c h t , in der kl. S t r a f k a m m e r und den S t r a f s e n a t e n d e r O b e r l a n d e s g e r i c h t e (als Revisionsgerichte) z w e i Richter; in der g r o ß e n S t r a f k a m m e r und den S t r a f s e n a t e n d e s B u n d e s g e r i c h t s h o f s d r e i Richter; im S c h w u r g e r i c h t f ü n f Richter. Beim e r w e i t e r t e n S c h ö f f e n g e r i c h t gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag, § 196 IV. b) Mit der a b s o l u t e n (einfachen) M e h r h e i t wird entschieden aa) über die in Abschnitt 3 genannten Fragen mit A u s n a h m e d e r S c h u l d f r a g e u n d S t r a f f r a g e (siehe folgender Abschnitt 8); bb) in allen das V e r f a h r e n , also nicht das Urteil selbst betreffenden Fragen, wie Verbescheidung eines Beweisantrags, Verlesung von Urkunden, Aussetzung der Verhandlung;

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cc) über die Frage der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft und der im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen (E. 39, 293). ( D a ß kraft ausdrücklicher Bestimmung in § 263 Abs. 3 auch über R ü c k f a l l und V e r j ä h r u n g mit a b s o l u t e r Mehrheit abgestimmt wird, wurde schon oben erwähnt. Werden also z. B. in der gr. S t r K die R ü c k f a l l v o r a u s s e t z u n g e n des Diebstahls von drei Richtern bejaht, während sie zwei Richter verneinen, so m u ß Urteil wegen Rückfalldiebstahls ergehen; ebenso m u ß Verurteilung erfolgen, wenn von den fünf Richtern drei die V e r j ä h r u n g verneinen.) 8. U b e r die für das Strafverfahren w i c h t i g s t e n F r a g e n wird mit der M e h r h e i t v o n z w e i D r i t t e l n entschieden, nämlich in j e d e r d e m A n g e klagten nachteiligen Entscheidung, die die S c h u l d f r a g e , die S t r a f f r a g e und die A n o r d n u n g e i n e r M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g betrifft (§ 263 A b s . 1). Für das S c h ö f f e n g e r i c h t , die k l e i n e Strafkammer und das Oberlandesgericht als Revisionsgericht ist diese Vorschrift ohne Bedeutung, d a bei diesen Gerichten die Z w e i d r i t t e l m e h r h e i t mit der e i n f a c h e n M e h r h e i t zusammenfällt. D a g e g e n kann in der g r o ß e n Strafkammer und im B u n d e s g e r i c h t s h o f (fünf Richter) eine Verurteilung nur erfolgen, w e n n vier Mitglieder, und im S c h w u r g e r i c h t (neun Richter), w e n n sechs Mitglieder die Schuldfrage bejahen. Beim e r w e i t e r t e n Schöffengericht m u ß eine qualifizierte Mehrheit von drei Richtern Zustandekommen. 9 . K a n n die z u treffende Entscheidung in T e i l e z e r l e g t werden, so wird über die einzelnen Teile g e t r e n n t a b g e s t i m m t . So wird über die Schuldfrage, die Straffrage und die A n o r d n u n g einer Sicherungsmaßregel stets gesondert entschieden. 1 0 . Bezüglich der S c h u l d f r a g e gilt im übrigen folgendes: a) Z u r Schuldfrage i. S. des § 263 Abs. 1 und 2 gehören: aa) die Frage, ob der ä u ß e r e u n d i n n e r e T a t b e s t a n d der dem Angeklagten zur Last gelegten strafbaren H a n d l u n g erwiesen ist, bb) die Frage, ob ein S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d (z. B. §§ 51, 52, 54 StGB.) oder ein die Rechtswidrigkeit ausschließender Umstand, ein sog. R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d (z. B. Notwehr, W a h r u n g berechtigter Interessen i. S. des § 193 S t G B oder übergesetzlicher Notstand) vorliegt, cc) die Frage, ob ein S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d ( § § 1 3 9 Abs. I, 173 A b s . 4, 247 Abs. 2, 257 A b s . 2 StGB) oder ein S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d (§§ 46, 163 Abs. 2, 199, 310 StGB) vorliegt, dd) die Frage, o b s t r a f e r h ö h e n d e ( z . B . § § 1 7 8 , 2 2 3 3 , 224 S t G B usw.) oder s t r a f m i n d e r n d e Umstände (z. B. §§ 157, 158 StGB) vorliegen. (NB. Z u den s t r a f e r h ö h e n d e n Umständen gehört auch das M e r k m a l der Gewinnsucht i. S. des § 2 7 a S t G B ; B G H 3, 31.) b ) Die S c h u l d f r a g e kann grundsätzlich nur u n g e t e i l t zur Abstimm u n g gebracht werden. (E. 8, 220.) Es kann also insbesondere n i c h t g e t r e n n t über die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale oder

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I I . Teil: Lösungen

über verschiedene Schuldausschließungsgründe oder Rechtfertigungsgründe abgestimmt werden, sondern es hat eine G e s a m t a b s t i m m u n g , d. h. eine Abstimmung nach dem E n d r e s u l t a t zu erfolgen. Ergibt sich für die Schuldigerklärung nicht die erforderliche Mehrheit von Stimmen, so muß der Angeklagte freigesprochen werden, auch wenn die einzelnen für nicht schuldig stimmenden Mitglieder in ihren Gründen auseinandergehen. c) B e i p s i e l c : aa) Abstimmung über objektive Tatbestandsmerkmale (siehe oben Abschnitt a, aa): die Putzfrau X hat ihrer Arbeitgeberin ein Kleid entwendet; Strafantrag wurde nicht gestellt. Es wird gegen die X zusammen mit anderen Anklagepunkten Anklage wegen Diebstahls (§ 242 StGB) vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t erhoben. Richter A ist der Ansicht, daß die Angeklagte X sich als G e s i n d e in der häuslichen Gemeinschaft befunden habe, und daß der W e r t des Kleides gering w a r ; er stimmt daher für Einstellung mangels Strafantrags (§§ 247 I StGB, 260 I I I StPO). Richter B v e r n e i n t das Tatbestandsmerkmal „häusliche Gemeinschaft". Richter C v e r n e i n t die Geringwertigkeit. Die Angeklagte muß wegen Diebstahls nach § 242 verurteilt werden, da zwei Richter die Voraussetzungen des § 247 StGB, wenn auch aus verschiedenen Gründen, verneint und damit diejenigen des § 242 bejaht haben. bb) A b s t i m m u n g ü b e r S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s - b z w . R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e siehe oben Abschnitt a, bb): In einem Strafverfahren vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t gegen X wegen gefährlicher Körperverletzung hält der Richter A die T ä t e r s c h a f t nicht für erwiesen, während der Richter B N o t w e h r für vorliegend erachtet und der Richter C die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des Angeklagten v e r n e i n t . Bei einer Abstimmung n a c h T e i l e n müßte der Angeklagte v e r u r t e i l t werden (während doch jeder der drei Richter seine Freisprechung wünscht), denn die T ä t e r s c h a f t wird mit Zweidrittelmehrheit b e j a h t , ebenso die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t , während die N o t w e h r mit Zweidrittelmehrheit v e r n e i n t wird. Der Angeklagte ist aber f r e i z u s p r e c h e n , da sich keine Zweidrittelmehrheit für eine Bejahung der Schuldfrage ergeben hat. c) G e s o n d e r t e A b s t i m m u n g in der Schuldfrage ist jedoch zulässig bezüglich der S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e und der s t r a f e r h ö h e n d e n und s t r a f m i n d e r n d e n Umstände, E. 16, 348 (s. oben zu a, cc u. dd). 1 1 . Die S t r a f f r a g e — Bemessung der Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens — umfaßt a u ß e r d e m die Fragen, ob und auf welche N e b e n s t r a f e n zu erkennen ist, ob m i l d e r n d e U m s t ä n d e zuzubilligen sind, ob ein b e s o n d e r s s c h w e r e r F a l l i. S. des § 263 Abs. 4 oder des § 266 Abs. 2 S t G B vorliegt, ob bei J u g e n d l i c h e n von Strafe abzusehen ist und schließlich ob die erlittene U n t e r s u c h u n g s h a f t anzurechnen ist. ( M i l d e r n d e Umstände können also in der gr. StrK. nur dann abgelehnt werden, wenn mindestens vier Richter dagegen sind; stimmen zwei Richter für mildernde Umstände, dann müssen sie zugebilligt werden.)

Fall 18

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Bei der A b s t i m m u n g ü b e r d i e S t r a f b e m e s s u n g ist noch folgendes zu b e a c h t e n : a ) Bilden sich z w e i M e i n u n g e n , ohne d a ß eine die erforderliche M e h r heit f ü r sich hat, so gilt die m i l d e r e M e i n u n g (196 I I I S. 2 G V G ) . B e i s p i e l : I n d e r g r o ß e n S t r a f k a m m e r stimmen die R i c h t e r A, B u n d C f ü r sechs M o n a t e Gefängnis u n d die R i c h t e r D u n d E f ü r vier M o n a t e Gefängnis. Es ist auf vier M o n a t e zu erkennen. (NB. Ist das Gericht mit drei R i c h t e r n besetzt, d a n n h a t bei zwei M e i n u n g e n i m m e r eine die erforderliche Mehrheit.) b ) Bilden sich m e h r a l s z w e i M e i n u n g e n , von d e n e n keine die erforderliche M e h r h e i t f ü r sich h a t , so werden die d e m Beschuldigten nachteiligsten S t i m m e n d e n zunächst m i n d e r nachteiligen S t i m m e n so lange hinzugerechnet, bis sich die erforderliche M e h r h e i t ergibt (§ 196 I I I Satz 1). B e i s p i e l : I n der g r o ß e n S t r a f k a m m e r stimmt der Richter A f ü r fünf J a h r e , der Richter B f ü r vier J a h r e , der Richter G f ü r drei J a h r e , der R i c h t e r D f ü r zwei J a h r e u n d d e r R i c h t e r E f ü r ein J a h r Z u c h t h a u s . Es ist auf zwei J a h r e Z u c h t h a u s zu erkennen. (NB. § 196 Abs. 2 k o m m t in Frage bei Strafsachen, in welchen auf Buße e r k a n n t w e r d e n kann, sowie b e i m V e r f a h r e n n a c h §§ 403 ff.) 12. U b e r Beratung u n d A b s t i m m u n g h a b e n alle Beteiligten S t i l l s c h w e i g e n zu b e w a h r e n . F ü r die B e r u f s r i c h t e r folgt die Schweigepflicht aus ihrer allgemeinen Amtspflicht u n d ist ein Ausfluß des Grundsatzes der U n a b h ä n g i g k e i t . Die Schweigepflicht f ü r S c h ö f f e n u n d G e s c h w o r e n e ist in § 198 G V G normiert. Es darf d a h e r kein Gerichtsmitglied ü b e r die V o r g ä n g e bei der Beratung u n d A b s t i m m u n g als Z e u g e v e r n o m m e n werden (E. 26, 202; 36, 3 7 1 ) , sogar a u c h d a n n nicht, w e n n der V e r d a c h t der R e c h t s b e u g u n g besteht. (Letzteres ist bestritten.) Jedenfalls k a n n die R e vision niemals auf die B e h a u p t u n g gestützt werden, d a ß bei d e r Beratung oder A b s t i m m u n g gesetzwidrig verfahren w o r d e n sei; dies ergibt sich schon daraus, d a ß dieser Fall nicht in § 3 3 8 enthalten ist. (E. 56, 1 1 2 ; 61, 217.) Abgesehen d a v o n w ü r d e eine Bejahung der Revisionsmöglichkeit zu d e m u n a n n e h m b a r e n Ergebnis f ü h r e n , d a ß Beweiserhebungen notwendig würden, die eine O f f e n b a r u n g des Beratungsgeheimnisses zur Folge hätten.

II. Die Verkündung des Urteils. § 268 1. Die V e r k ü n d u n g des Urteils, das im N a m e n d e s V o l k e s ergeht (§ 268 I), b e s t e h t a u s : a ) d e r Verlesung d e r Urteilsformel (sie m u ß also v o r V e r k ü n d u n g des Urteils n i e d e r g e s c h r i e b e n werden), b ) d e r E r ö f f n u n g der Urteilsgründe, § 268 Abs. 2. 2 . Die V e r k ü n d u n g e r f o l g t (§ 268 I I ) : a ) entweder a m S c h l u ß d e r V e r h a n d l u n g (das ist die Regel), b) oder spätesten a m v i e r t e n T a g e n a c h d e m Schluß der V e r h a n d l u n g .

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II. Teil: Lösungen

Eine Überschreitung dieser Frist begründet die R e v i s i o n ; denn dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß die Beratung und Entscheidung über das Ergebnis der mündlichen Verhandlung unter dem f r i s c h e n E i n d r u c k derselben erfolgen müsse, um die richtige Beurteilung der Schuldfrage zu sichern. Es kann daher kein Zweifel sein, daß das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht i. S. des § 337, d. h. daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn die fragliche Frist eingehalten worden wäre. (Siehe E. 27, 116.) (Das Gleiche gilt für die Frist des § 229, siehe Falls Abschnitt A I 2 b . ) Erfolgt also die Urteilsverkündung nicht spätestens am 4. Tage nach der Aussetzung, dann muß die Hauptverhandlung e r n e u e r t werden. Da die Urteilsverkündung einen T e i l d e r H a u p t v e r h a n d l u n g bildet, kann sie n u r in G e g e n w a r t d e r j e n i g e n R i c h t e r stattfinden, die in der Hauptverhandlung m i t g e w i r k t haben, und es würde eine Erneuerung der letzteren erforderlich sein, wenn z. B. wegen des inzwischen eingetretenen Todes eines Richters das Gericht nicht mehr in der früheren Besetzung zusammentreten könnte. (Siehe § 338 Nr. 5.) 3. Auf dem g l e i c h e n G r u n d g e d a n k e n beruht die weitere Vorschrift des § 268 Abs. 3, daß nämlich im Falle der Aussetzung der Verkündung die U r t e i l s g r ü n d e schon v o r der Verkündung s c h r i f t l i c h niedergelegt sein sollen. Auch mit dieser Vorschrift soll eine Sicherheit dafür geschaffen werden, daß die schriftlichen Urteilsgründe (dazu gehört auch die Unterschrift sämtlicher Berufsrichter, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben) unter dem frischen Eindruck der mündlichen Verhandlung festgestellt werden. Diese Vorschrift ist aber nur eine S o l l v o r s c h r i f t . Das R G war allerdings f r ü h e r der Ansicht (siehe E. 31, 140), daß ein Verstoß gegen diese Bestimmung ebenso wie ein solcher gegen § 268, Abs. 2 die Revision begründe. In einer s p ä t e r e n Entscheidung (E. 73, 217) wurde dieser Standpunkt aufgegeben und die fragliche Bestimmung für eine S o l l v o r s c h r i f t erklärt. Nach der Fassung des § 268 „so sind die Urteilsgründe t u n l i c h s t vorher schriftlich festzustellen" kann kein Zweifel mehr sein, daß es sich nur u m eine S o l l V o r s c h r i f t handelt. Dasselbe gilt f ü r § 2 7 5 A b s . 1, w o -

nach das verkündete Urteil mit den Gründen binnen e i n e r W o c h e nach der Verkündung zu d e n A k t e n zu b r i n g e n ist. (Siehe E. 73, 218.) 4. Lange streitig war die Frage, ob ein Amtsrichter gegen das Gesetz verstößt, wenn er die U r t e i l s f o r m e l w ä h r e n d d e r S c h l u ß v o r t r ä g e n i e d e r s c h r e i b t . Der Bundesgerichtshof hat sich hierzu in BGH 11, 74 (79) wie folgt geäußert: „Der Einzelrichter berät nur mit sich selbst. Bei ihm ist im Gegensatz zum Kollegialgericht die Beratung ein Vorgang, der sich im Innern eines einzelnen Menschen abspielt. Er bedeutet im Gegensatz zur Beratung des Kollegialgerichts, daß der Richter nicht mit anderen berät, sondern bei sich überlegt, wie zu entscheiden ist. Mit vorbereitenden Überlegungen hierzu beginnt ein Richter in aller Regel nicht erst nach dem Schlußwort des Angeklagten, sondern schon vorher. Die Beratung des Einzelrichters ist im Grunde genommen nur eine unmittelbare Fortsetzung

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dieser Überlegungen. Sie endet in dem Augenblick, in dem der Richter seine Überlegungen abschließt, d.h. sich endgültig entscheidet. Hierzu kann es nach dem Schlußwort des Angeklagten längerer Überlegungen bedürfen. Es gibt aber auch Fälle, die so klar liegen, daß Sekunden genügen. Die so geartete Beratung des Einzelrichters kann zwar äußerlich in Erscheinung treten, braucht dies aber nicht unbedingt zu tun. Es gibt weder ein Gesetz noch einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß der Einzelrichter nach dem Schlußwort des Angeklagten Vorkehrungen treffen muß, die äußerlich erkennbar machen, daß er noch überlegt." Der BGH kommt nach diesen Ausführungen zu dem Ergebnis, daß das Niederschreiben des Urteilstenors vor Beendigung der Schlußvorträge für sich allein weder einen Verstoß gegen § 261 StPO noch gegen Art. 103 I GG darstellt. III. Das Urteil besteht aus vier T e i l e n : 1. dem E i n g a n g (Kopf): Bezeichnung der Strafsache (Namen des Angeklagten und Bezeichnung der Tat), Bezeichnung des Tages der Sitzung, Namen der Richter, der Geschworenen, der Schöffen, des Staatsanwalts und des Urkundsbeamten, § 275 Abs. 3, 2. der Urteilsformel (Tenor), § 260, 3. den Urteilsgründen, § 267, 4. den Unterschriften, § 275 Abs. 2. IV. Die U r t e i l s f o r m e l (der Tenor) enthält den e n t s c h e i d e n d e n T e i l des Urteils. Eine gesetzliche Vorschrift über ihren Inhalt gibt es, abgesehen von der allgemeinen Bestimmung des § 260, nicht. 1. Die Urteilsformel muß, da sie allein die maßgebende Entscheidung enthält, a u s s i c h s e l b s t h e r a u s v e r s t ä n d l i c h sein und keiner Ergänzung aus den Gründen bedürfen, zumal gemäß § 4 5 1 eine beglaubigte Abschrift der Urteilsformel die Grundlage der Strafvollstreckung bildet. 2. Wird der Angeklagte wegen mehrerer t a t e i n h e i t l i c h i. S. des § 73 StGB zusammentreffender Straftaten verurteilt, so muß der Urteilstenor die sämtlichen Straftaten enthalten wie beim Vorliegen von T a t m e h r h e i t i. S. des § 74 StGB. Nimmt das Gericht entgegen der Würdigung im Eröffnungsbeschluß eine von mehreren t a t e i n h e i t l i c h zusammentreffenden Straftaten nicht für erwiesen an, so darf hinsichtlich dieser Straftat nicht Freisprechung erfolgen. Ist bei t a t e i n h e i t l i c h zusammentreffenden Straftaten die eine nicht nachweisbar und die andere verjährt, so ist auf Freisprechung zu erkennen. (E. 66, 51.) Das gleiche gilt, wenn mit einem nicht erweisbaren O f f i z i a l d e l i k t ein A n t r a g s d e l i k t tateinheitlich zusammenfällt und bezüglich des letzteren kein rechtswirksamer Strafantrag vorliegt. V. Die Urteilsgründe Sie müssen nach § 267 enthalten: 1. Die Schilderung des für erwiesen erachteten S a c h v e r h a l t s , d. h. des Ergebnisses der Beweisaufnahme i. S. des § 261, einschließlich der

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II. Teil: Lösungen

inneren Tatbestandsmerkmale; dazu sind auch die Beweismittel anzuführen, auf denen die für erwiesen erachteten Tatsachen beruhen, § 267 I. (NB. Kann ein unmittelbarer Beweis nicht geführt werden, so sind die Indizien anzuführen, auf die die Verurteilung gestützt wird, vgl. § 267 I S. 2.) 2. Gemäß § 267 Abs. 2 einen Ausspruch über die im Gesetz b e s o n d e r s v o r g e s e h e n e n U m s t ä n d e , welche die Strafbarkeit a u s s c h l i e ß e n (s. §§ 5 1 . 52, 53, 54. 59 ferner 46, 193 StGB), v e r m i n d e r n (s. §§ 157, 158, 216 StGB u . a . ) oder e r h ö h e n (z.B. Gewohnheitsmäßigkeit und Gewerbsmäßigkeit, gefährlicher Gewohnheitsverbrecher u. a.). Die Erwähnung dieser Umstände ist aber nur dann geboten, wenn der Angeklagte oder die Staatsanwaltschaft ihr Vorliegen ausdrücklich behauptet bzw. verneint haben. 3. Die R e c h t s a n w e n d u n g , d. h. die Subsumtion der für erwiesen erachteten Tatsachen unter das Strafgesetz. (Von der StPO in § 267 nicht besonders verlangt.) Hierbei werden häufig eingehende Rechtsausführungen zu machen sein, wenn Zweifel über das anzuwendende Strafgesetz bestehen. 4. Die Anführung des a n g e w e n d e t e n S t r a f g e s e t z e s (§ 267 Abs. 1), und zwar ist es nicht nur nach seiner allgemeinen Bezeichnung, sondern nach den Paragraphen des Gesetzes anzuführen (§ 267 Abs. 3). 5. Die S t r a f z u m e s s u n g s g r ü n d e einschließlich der Entscheidung über m i l d e r n d e (im Gesetz nicht besonders vorgesehene) Umstände (§ 267 Abs. 3). Hierzu ist folgendes zu bemerken: a) Die Strafzumessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens unterliegt dem t a t r i c h t e r l i c h e n E r m e s s e n und kann daher grundsätzlich nicht zum Gegenstand revisionsgerichtlicher Nachprüfung gemacht werden. b) Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob der Tatrichter etwa eine g e s e t z l i c h u n z u l ä s s i g e Strafe erkannt hat, o d e r ob die Verhängung oder Nichtverhängung einer bestimmten Strafe durch einen R e c h t s i r r t u m verursacht war. c) Auf r e c h t s i r r t ü m l i c h e n E r w ä g u n g e n beruht eine Straffestsetzung, wenn Umstände berücksichtigt werden, die zum g e s e t z l i c h e n T a t b e s t a n d gehören o d e r den G r u n d g e d a n k e n des Gesetzes bilden und demgemäß bei der Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens in Rechnung gestellt sind. So ist es z. B. unzulässig, bei fahrlässiger Tötung als strafverschärfend zu berücksichtigen, daß der Angeklagte durch sein Verhalten ein Menschenleben vernichtet hat (E. 57, 379), oder bei der Abtreibung, daß die Handlung, „weil die Sittlichkeit und Kraft des Volkes verderbend, gemeingefährlich gewesen sei." (E. 59, 426.) Unzulässig ist ferner die Erwägung des Tatrichters, er hätte dieselbe Strafe auch dann ausgesprochen, wenn der Entscheidung ein in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung abweichender Sachverhalt zugrunde zu legen wäre. Die Strafe

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k a n n sich nämlich n u r — abgesehen von der Fällen zulässiger Wahlfeststellung, f ü r die besondere G r u n d s ä t z e gelten — auf ein in tatsächlicher u n d rechtlicher Beziehung eindeutig festgelegtes V e r h a l t e n beziehen (vgl. E. 7 1 , 104; B G H 7, 359). Derartige u n z u l ä s s i g e H i l f s e r w ä g u n g e n können zwar f ü r sich allein nicht n u r A u f h e b u n g des Urteils f ü h r e n , w e n n das Revisionsgericht die Rechtsansicht des T a t r i c h t e r s teilt; sie können a b e r anderersetis nicht hindern, d a ß das Urteil a u f g e h o b e n u n d die Sache zurückverwiesen wird, w e n n das Revisionsgericht die Sach- u n d Rechtslage f ü r gegeben hält, f ü r die die Hilfserwägung gelten soll ( B G H 7, 359). d ) Das V e r h a l t e n d e s A n g e k l a g t e n i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , d. h. sein L e u g n e n bzw. sein G e s t ä n d n i s darf nicht u m seiner selbst willen als Strafzumessungsgrund berücksichtigt w e r d e n . Dagegen ist es zulässig u n d u. U . geboten, aus diesem V e r h a l t e n zu schließen, wie der T ä t e r i n n e r l i c h z u s e i n e r T a t s t e h t , u n d diesen U m s t a n d , soweit sich d a b e i Anhaltspunkte f ü r das M a ß seiner persönlichen Schuld u n d den G r a d seiner Gefährlichkeit ergeben, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ( B G H 1, 103 u n d 105). G a n z allgemein wird in B G H 3, 179 folgender G r u n d s a t z aufgestellt: Die G r u n d l a g e d e r Strafzumessung bilden f ü r d e n R i c h t e r die B e d e u t u n g d e r T a t f ü r die d u r c h sie verletzte R e c h t s o r d n u n g u n d d e r G r a d d e r p e r s ö n l i c h e n S c h u l d des Täters. E r ö r t e r t das Urteil ausschließlich solche U m s t ä n d e , die auf eine geringe Schuld des Angeklagten hindeuten, so spricht dies d a f ü r , d a ß d e r Richter die Frage, wie schwer die T a t wiege, nicht beobachtet h a t . D a r i n liegt ein Verstoß gegen § 267 I I I u n d zugleich ein sachlicher M a n g e l . e) Ebenso wie im Falle des § 267 Abs. 2 (s. oben unter 2) b r a u c h t sich der R i c h t e r mit d e r F r a g e der m i l d e r n d e n U m s t ä n d e in den Urteilsg r ü n d e n n u r d a n n auseinanderzusetzen, w e n n m i l d e r n d e U m s t ä n d e zugebilligt werden, oder w e n n ihr Vorliegen trotz eines in der V e r h a n d l u n g gestellten Antrags verneint wird. f) W i r d eine Freiheitsstrafe g e m ä ß § 23 StGB zur B e w ä h r u n g ausgesetzt, so sind die G r ü n d e hierfür d a r z u l e g e n ; eine Begründung ist außerd e m d a n n erforderlich, w e n n die Strafaussetzung entgegen einem in der V e r h a n d l u n g gestellten A n t r a g versagt w u r d e (§ 267 I I I S. 3). Entsprechendes gilt, w e n n das Gericht bei einem Schuldspruch von Strafe absieht (z. B. bei §§ 158, 199, 233 StGB) oder entgegen einem in der V e r h a n d l u n g gestellten A n t r a g nicht absieht. 6. V e r z i c h t e n alle z u r A n f e c h t u n g Berechtigten auf Rechtsmittel, so g e n ü g t die A n g a b e der f ü r erwiesen erachteten Tatsachen, in d e n e n die gesetzlichen M e r k m a l e der s t r a f b a r e n H a n d l u n g gefunden werden, u n d des zur A n w e n d u n g g e b r a c h t e n Strafgesetzes (§ 267 Abs. 4). 7. I m Falle d e r F r e i s p r e c h u n g (§ 267 Abs. 5) müssen die ergeben, o b der Angeklagte f ü r nicht ü b e r f ü h r t , oder o b u n d aus G r ü n d e n die f ü r erwiesen a n g e n o m m e n e T a t f ü r nicht s t r a f b a r w o r d e n ist, m . a. W . o b die Freisprechung auf tatsächlichen oder gründen beruht.

Gründe welchen erachtet Rechts-

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II. Teil: Lösungen

8. Wird eine M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g angeordnet, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb die Maßregel angeordnet wurde, oder weshalb die Anordnung, obwohl sie beantragt war, nicht getroffen wurde (§ 267 Abs. 6). 9 . E i n z i e h u n g s u r t e i l e (§§ 152, 42 S t G B ; 430fr. StPO) unterliegen ebenfalls der Vorschrift des § 267. 1 0 . Auf das R e v i s i o n s u r t e i l findet §267 deshalb keine Anwendung, weil das Revisionsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu treffen hat. 1 1 . Nach § 3 3 8 Nr. 7 liegt ein a b s o l u t e r R e v i s i o n s g r u n d vor, „wenn das Urteil k e i n e E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e enthält". Dieser Fall ist auch gegeben, wenn nur der in der Revisionsinstanz in Betracht kommende Teil des Urteils keine Entscheidungsgründe enthält (E. 43, 298), ferner wenn der Antrag auf Zubilligung mildernder Umstände in den Urteilsgründen überhaupt nicht erwähnt ist. Dem Fehlen der Entscheidungsgründe werden vom Reichsgericht die U n v e r s t ä n d l i c h k e i t derselben, insbesondere W i d e r s p r ü c h e und D e n k f e h l e r gleichgeachtet, da auch in diesem Falle dem Revisionsrichter die Möglichkeit fehlt, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Auffassung des Richters auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. (Siehe hierzu auch Fall 8, Abschn. I I 2, S. 139.)

VI. Die Unterschriften. § 275 A b s . 2 Unterschreiben müssen sämtliche B e r u f s r i c h t e r , die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, wodurch dokumentiert werden soll, daß die in dem Urteil niedergelegten Gründe diejenigen sind, auf welche das Gericht die Entscheidung gestützt hat. (E. 23, 261.) Ist ein Richter verhindert (z. B. infolge eines inzwischen angetretenen Urlaubs), so vermerkt dies der Vorsitzende unter dem Urteil unter Angabe des Verhinderungsgrundes.

VII. Berichtigung und Änderung eines Strafurteils 1. Berichtigung oder Ä n d e r u n g der Urteilsformel. a ) Urteilsformel und Urteilsgründe bilden, wie oben erwähnt, ein Ganzes. Die V e r k ü n d u n g des Urteils ist also erst mit dem Zeitpunkt v o l l e n d e t , in dem die vorgeschriebene Mitteilung beider Urteilsteile — der Formel und der Gründe — beendet ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Gericht an die von ihm beschlossene Entscheidung noch nicht gebunden; es ist vielmehr jederzeit in der Lage, auch noch n a c h Verlesung der Urteilsformel und w ä h r e n d der Eröffnung der Utreilsgründe mit der weiteren Verkündung innezuhalten und nochmals in die Verhandlung und Beweisaufnahme einzutreten (E. 57, 142) oder, wenn sich hierzu ein Anlaß gibt, die U r t e i l s f o r m e l z u ä n d e r n (E. 6 1 , 390). b ) Ist die Verkündung des Urteils nebst Gründen beendet, so ist die Hauptverhandlung gemäß § 260 zu schließen; e i n e A b ä n d e r u n g o d e r E r g ä n z u n g der Urteilsformel durch nachträgliche V e r k ü n d u n g o d e r in e i n e m s p ä t e r e n T e r m i n ist d a n n n i c h t m e h r m ö g l i c h .

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(Siehe E. 61, 391, wo die in E. 15, 2 7 1 vertretene gegenteilige Ansicht aufgegeben wird.) Eine interessante D u r c h b r e c h u n g dieses Grundsatzes findet sich in B G H 5, 6 : in dieser Entscheidung h a t t e sich der B G H mit einem Revisionsurteil des O L G M ü n c h e n zu befassen, das versehentlich bei der m ü n d l i c h e n Urteilsverkündung die Revision des Angeklagten verworfen hatte, obwohl es ihr a n sich stattgeben wollte, was aus d e n Urteilsgründen a u c h klar zu erkennen w a r . Der Urteilstenor w u r d e zwei T a g e später, noch vor d e r Zustellung des Urteils a n die Beteiligten, d u r c h Beschluß berichtigt. Der B G H stellte (a. a. O . 8) zunächst klar, d a ß der Urteilstenor n u r in ganz wenigen Ausnahmefällen noch nachträglich berichtigt w e r d e n k a n n , k a m d a n n aber doch zu d e m Ergebnis, d a ß in d e m z u r Entscheidung stehenden Fall die Berichtigung zulässig war. E r wollte offensichtlich vermeiden, d a ß der Angeklagte d u r c h ein reines Verkündigungsversehen in seinen R e c h t e n u n a n f e c h t b a r benachteiligt w u r d e . Es sei d e m Betroffenen nicht z u z u m u t e n , dort, wo er R e c h t fordern kann, u m G n a d e zu bitten. Alle Senate des B G H h a t t e n zuvor auf Anfrage der Entscheidung zugestimmt. Es w ä r e j e d o c h verfehlt, ihren I n h a l t a u c h auf a n f e c h t b a r e U r t e i l e zu ü b e r t r a g e n . 2. B e r i c h t i g u n g o d e r Ä n d e r u n g d e r U r t e i l s g r ü n d e : a ) Eine A b ä n d e r u n g der U r t e i l s g r ü n d e (auch s a c h l i c h e r Art) ist so lange zulässig, als ihre Feststellung eine innere Angelegenheit des Gerichts geblieben u n d das Urteil noch nicht z u r K e n n t n i s n a h m e d u r c h irgendeine a u ß e r h a l b des Gerichts stehende Person bestimmt w a r . (Siehe hierzu E. 54, 21.) b ) N a c h t r ä g l i c h e Ä n d e r u n g e n i n d e n U r t e i l s g r ü n d e n sind grundsätzlich unzulässig. 3 . V o n diesen zu 1 u n d 2 erörterten G r u n d s ä t z e n h a t d i e P r a x i s e i n e u n b e d i n g t n o t w e n d i g e A u s n a h m e zugelassen. Eine Berichtigung des Urteils ist d a n n zulässig, w e n n d e m Gericht bei der Abfassung offenb a r e Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche ä u ß e r e Unstimmigkeiten u n t e r l a u f e n sind. Diese müssen allerdings ohne weiteres als solche erk e n n b a r sein (E. 61, 3 9 1 ; B G H 2, 248, 7, 75; 12, 374). S a c h l i c h e Ä n d e r u n g e n s i n d u n z u l ä s s i g u n d d a h e r u n w i r k s a m . Sie h a b e n d a r ü b e r h i n a u s z u r Folge, d a ß unklar wird, welche T a t s a c h e n n u n m e h r als festgestellt gelten sollen, d e n n die bisherige Fassung des Urteils w i r d j a n a c h d e m (unzulässigen) Berichtigungsbeschluß d u r c h die Unterschrift des Gerichts nicht m e h r gedeckt. Diese U n k l a r h e i t i m Urteil k a n n zur Aufh e b u n g des Urteils f ü h r e n , d a das Revisionsgericht die entstandenen Lücken in den Feststellungen nicht schließen k a n n ( B G H 7, 77). N a c h trägliche Berichtigungen des Urteils sind — soweit ü b e r h a u p t zulässig — d u r c h B e s c h l u ß v o r z u n e h m e n . Der Beschluß ist von allen R i c h t e r n zu unterschreiben (siehe hierzu E. 28, 57; 61, 392) u n d den Beteiligten z u z u s t e l l e n . W e r d e n d u r c h die Berichtigung die G r ü n d e eines der Revision unterliegenden Urteils ergänzt, so w i r d die Frist zur Begründung d e r Revision erst d u r c h die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses in L a u f gesetzt ( B G H 12, 374).

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II. Teil: Lösungen

(Wegen der Möglichkeit nachträglicher B e r i c h t i g u n g e n u n d E r g ä n z u n g e n des P r o t o k o l l s s. Fall 5, Abschn. A I 4d, cc, S. 102.) VIII. Wiederherstellung eines Urteils Bei A k t e n v e r l u s t können sowohl die Urteilsformel als auch die Urteilsgründe wiederhergestellt werden. Ein solches rekonstruiertes Urteil ist, falls nach den d i e n s t l i c h e n Ä u ß e r u n g e n der richterlichen Mitglieder des erkennenden Gerichts die neue Urschrift mit der früheren Urschrift (das gilt vor allem für die Urteilsformel) übereinstimmt, der früheren Urschrift in jeder Beziehung gleich. (Siehe Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte Bd. 2 S. 133.) B. Lösung des Falles I. Die Entscheidung der Strafkammer 1. R i c h t i g ist zweifellos die in den Gründen zum Ausdruck gebrachte Ansicht, daß als V e r u r t e i l t e r immer der anzusehen ist, der vor Gericht gestanden hat, oder gegen den sich die in seiner Abwesenheit durchgeführte Verhandlung gerichtet hat. Denn ein anderer kann schon deshalb nicht verurteilt werden, weil er gar keine Gelegenheit gehabt hat sich zu verteidigen. Da also gegen den r i c h t i g e n E r w i n W e l t z eine Verhandlung überhaupt nicht geführt worden ist, wird man sagen müssen, daß e i n z i g u n d a l l e i n d e r P s e u d o - W e l t z u n d n i c h t d e r w a h r e T r ä g e r des N a m e n s v e r u r t e i l t w o r d e n ist. 2. R i c h t i g ist f e r n e r , daß demjenigen, der dem N a m e n n a c h verurteilt worden ist, das R e c h t z u s t e h e n m u ß , das gegen ihn ergangene, äußerlich zu Recht bestehende U r t e i l aus d e r W e l t zu s c h a f f e n . Fraglich kann also nur sein, auf welche Weise dies geschehen kann. a) Der echte Träger des Namens Erwin Weltz wird zwar durch die ergangene Entscheidung zweifellos „betroffen"; und zwar in seiner Eigenschaft nicht als „Beschuldigter", sondern als „andere Person" i. S. des § 304 II. Da die Entscheidung aber nicht in Gestalt eines Beschlusses oder einer Verfügung, sondern in Form eines Urteils ergangen ist, scheidet die B e s c h w e r d e des § 304 Abs. 2 aus. b) Es bleibt ihm somit k e i n a n d e r e r R e c h t s b e h e l f , als gegen das Urteil, das ihm zugestellt worden ist, B e r u f u n g einzulegen. Dem steht auch nicht entgegen, daß, wie schon erwähnt, Erwin Weltz materiell gar nicht verurteilt worden ist; denn in dem Augenblick, wo dem dem Namen nach Verurteilten das Urteil zugestellt wird, richtet es sich wenigstens formell gegen ihn, seine rechtlichen Interessen sind benachteiligt, und man wird ihn daher zwar nicht als Verurteilten, aber als A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n ansehen müssen, da er durch die fragliche Entscheidung b e s c h w e r t ist. (Siehe auch Fall 6, Abschnitt B III 2, S. 120.)

Fall 18

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3. D i e S t r a f k a m m e r d u r f t e a b e r e i n U r t e i l a u f F r e i s p r e c h u n g n i c h t f ä l l e n ; d e n n freigesprochen w e r d e n k a n n n u r j e m a n d , der angeklagt bzw. gegen d e n das H a u p t v e r f a h r e n eröffnet w o r d e n ist. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e w u r d e aber die Anklage nicht gegen den richtigen Weltz, sondern gegen den Pseudo-Weltz erhoben, u n d a u c h n u r dieser ist verurteilt w o r d e n . 4. W i e h ä t t e d i e S t r a f k a m m e r v e r f a h r e n u n d e n t s c h e i d e n müssen ? a) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e h a n d e l t es sich zweifellos u m eine o f f e n b a r e U n r i c h t i g k e i t des Urteils. Allerdings k o m m t nicht ein offensichtlicher Schreibfehler oder mangelhafter Ausdruck des e r k e n n b a r Gewollten in Frage, d e n n der Amtsrichter h a t nicht etwa etwas anderes z u m Ausd r u c k gebracht, als er wollte. D e m Gericht m u ß indes das R e c h t zustehen, a u c h s o l c h e U n r i c h t i g k e i t e n , die sich als solche erst n a c h der Entscheidung herausstellen, zu berichtigen, z u m a l d a d u r c h a n der Sache selbst nichts g e ä n d e r t u n d die rechtliche Stellung des in Wirklichkeit Verurteilten in keiner Weise b e r ü h r t wird, u n d andererseits der wirkliche Erwin Weltz, der, wie oben ausgeführt wurde, nicht freigesprochen werden k a n n , ein berechtigtes Interesse a n der Beseitigung des gegen ihn l a u t e n d e n Urteils hat. (Siehe hierzu Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte Bd. 2 S. 131.) b) Die S t r a f k a m m e r h ä t t e also das U r t e i l des A m t s r i c h t e r s durch Beschluß dahin berichtigen müssen, daß der Verurteilte mit d e m w a h r e n T r ä g e r des N a m e n s E r w i n Weltz nicht i d e n t i s c h ist. c ) N a c h e r f o l g t e r B e r i c h t i g u n g h ä t t e die S t r a f k a m m e r die Akten wieder d e m Amtsrichter zuleiten müssen, der n u n m e h r die F a h n d u n g gegen d e n tatsächlich verurteilten Pseudo-Weltz a u f z u n e h m e n u n d i m Falle der E r m i t t l u n g alsdann diesem das Urteil (umgeschrieben auf seinen richtigen N a m e n ) zuzustellen g e h a b t hätte. Die E r h e b u n g einer n e u e n Anklage k o m m t nicht in Frage.

II. Welche Wirkungen hätte das Urteil des Amtsrichters für den Verurteilten, und welche für den richtigen Namensträger gehabt, wenn es durch Nichteinlegung der Berufung seitens des letzteren rechtskräftig geworden wäre? 1. D i e W i s s e n s c h a f t u n t e r s c h e i d e t z w i s c h e n f o r m a l e r u n d materieller R e c h t s k r a f t eines Urteils. a) D i e f o r m a l e R e c h t s k r a f t . U n t e r formaler Rechtskraft versteht die Wissenschaft die U n u m s t o ß barkeit der Entscheidung. S i e t r i t t e i n bei denjenigen Urteilen, gegen die ein Rechtsmittel nicht s t a t t h a f t ist, mit der V e r k ü n d u n g ; hierher gehören vor allem die Urteile der Revisionsgerichte. Bei allen a n d e r e n Urteilen tritt die Rechtskraft mit d e m Z e i t p u n k t ein, in d e m e n t w e d e r sämtliche hinsichtlich des Prozeßgegenstandes anfechtungsberechtigten Personen die RechtsmittelP e t t e r s , Strafprozeßfälle, 7. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

frist u n b e n u t z t haben verstreichen lassen bzw. schon vorher rechtsgültig auf Anfechtung v e r z i c h t e t haben, o d e r sobald das eingelegte Rechtsmittel z u r ü c k g e n o m m e n oder von dem zur Entscheidung zuständigen Gericht als unzulässig oder als unbegründet rechtskräftig verworfen worden ist. Mit diesem Zeitpunkt allseitiger Unumstoßbarkeit erwächst das Urteil in a b s o l u t e R e c h t s k r a f t . D i e F o l g e d i e s e r a b s o l u t e n f o r m a l e n R e c h t s k r a f t ist v o r allem, daß das verurteilende Erkenntnis n u n m e h r G r u n d l a g e d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g w i r d . (Siehe § 449.) Eine v o r l ä u f i g e Vollstreckbarkeit wie im Zivilprozeß kennt das Strafrecht nicht. (Wegen des Begriffs „ t e i l w e i s e R e c h t s k r a f t " s. Fall 7, Abschn. A II 3, S. 129; von „ r e l a t i v e r Rechtskraft" spricht man, wenn das Urteil nur noch von e i n e r Partei angegriffen werden kann, weil die a n d e r e auf Anfechtung verzichtet hat, wenn also z. B. der Angeklagte sofort nach der Urteilsverkündung erklärt, daß er die Strafe annehme, während die Staatsanwaltschaft noch keine Erklärung über die Einlegung eines Rechtsmittels abgibt.) b) Die Bedeutung der m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t ist die, d a ß durch sie die S t r a f k l a g e v e r b r a u c h t wird, d. h. daß die einmal rechtskräftig entschiedene Strafsache, gleichviel ob der Angeklagte verurteilt oder freigesprochen worden ist, nicht abermals zum Gegenstand eines Strafverfahrens wegen derselben Tat gegen die gleiche Person gemacht werden darf. (Siehe hierzu die den Grundsatz „ne bis in idem" behandelnden Fälle 12 und 13.) Diese G r u n d s ä t z e ü b e r die f o r m a l e u n d m a t e r i e l l e R e c h t s kraft werden auch von der Praxis anerkannt. 2. N u n wird aber in der W i s s e n s c h a f t vielfach der Standpunkt vertreten, d a ß g e w i s s e E n t s c h e i d u n g e n n i e m a l s i n R e c h t s k r a f t e r w a c h s e n k ö n n e n , n ä m l i c h d i e sog. n i c h t i g e n E n t s c h e i d u n g e n . So könne sich die Nichtigkeit eines Urteils u. a. auf das F e h l e n d e s W i l l e n s gründen. So liege z. B. im v o r l i e g e n d e n F a l l e , wo der Täter unter einem falschen Namen verurteilt worden sei, ein sog. S c h e i n u r t e i l vor, denn eine Verurteilung des w i r k l i c h e n Täters wäre nicht erklärt, und eine solche des w a h r e n N a m e n s t r ä g e r s nicht gewollt. Ein solches nichtiges Scheinurteil müsse in jeder Lage des Verfahrens als nicht geschehen angesehen werden; die Nichtigkeit könne weder durch Zeitablauf noch sonstwie geheilt werden; insbesondere dürfe die Staatsanwaltschaft bzw. der Richter ein nichtiges Urteil nicht vollstrecken lassen, widrigenfalls sie sich der Bestrafung nach § 345 StGB aussetzen. 3. D i e P r a x i s steht in dieser Beziehung auf dem Standpunkt, daß es Fälle geben k a n n , in denen eine strafprozessuale Entscheidung mit absoluter und unheilbarer Nichtigkeit dergestalt behaftet ist, d a ß diese Nichtigkeit auch ohne Rücksicht auf die Einlegung von Rechtsmitteln Beachtung finden und die Entscheidung jeder Wirksamkeit entkleiden m u ß ; nach E. 40, 273 „kann dies jedoch nur für die Fälle zugegeben

Fall 18

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werden, in welchem es nach den Vorschriften und dem Geiste der Strafprozeßordnung als möglich anzuerkennen ist". (So hat das Reichsgericht k e i n e N i c h t i g k e i t , sondern lediglich A n f e c h t b a r k e i t angenommen, wenn eine unzulässige Verfahrensart gewählt worden, oder wenn das Gericht sachlich unzuständig war. Siehe E. 9, 1 4 ; 22, 1 1 3 ; 32, 89; 56, 3 5 1 ; 66, 410.) Ebenso hat das R G die N i c h t i g k e i t eines nicht ordnungsmäßig verkündeten Urteils in E . 7 1 , 378, sowie in E . 72, 77 die Nichtigkeit eines gegen einen Auslieferungsvertrag verstoßenden Urteils verneint. Grundsätzlich wird man also i n d e r P r a x i s den Standpunkt vertreten müssen, daß es, a b g e s e h e n von den r e c h t l i c h u n m ö g l i c h e n U r t e i l e n , wie z. B. Verurteilung eines Strafunmündigen, oder Verurteilung zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Strafe, z. B. 18 J a h r e Zuchthaus, mit den Anforderungen der staatlichen Autorität und der Rechtsordnung unvereinbar wäre, eine im gesetzlichen Prozeßwege ergangene Entscheidung von öffentlich-rechtlicher Wirksamkeit als null und nichtig zu betrachten. 4. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e wird man demnach zu dem Ergebnis gelangen, daß ein n i c h t i g e s U r t e i l j e d e n f a l l s n i c h t v o r l i e g t . T r o t z d e m a b e r k a n n es n i c h t v o l l s t r e c k t w e r d e n , und zwar aus folgenden Gründen: a ) Gegen den r i c h t i g e n E r w i n W e l t z , der gegebenenfalls seine Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung gemäß § 458 geltend machen müßte, worüber dann gemäß § 462 das Gericht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden hätte, kann das formell rechtskräftig gewordene Urteil deshalb nicht vollstreckt werden, weil, wie wir bei Prüfung der Frage 1 gesehen haben, nicht er, sondern der PseudoWeltz verurteilt worden ist. b ) Gegen den P s e u d o - W e l t z konnte das Urteil überhaupt nicht in Rechtskraft erwachsen, da es ihm noch nicht zugestellt war, und infolgedessen die Berufungsfrist nicht in Lauf gesetzt werden konnte. Eine Rechtskraft infolge eines etwaigen V e r z i c h t s des PseudoWeltz gemäß § 302 ist ebenfalls ausgeschlossen, da ein solcher nicht rechtswirksam erfolgen kann, bevor die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels begonnen hat (E. 2, 80). Es muß also n a c h dem P s e u d o - W e l t z g e f a h n d e t , n a c h E r m i t t l u n g desselben das U r t e i l auf seinen r i c h t i g e n N a m e n u m g e s c h r i e b e n u n d i h m z u g e s t e l l t w e r d e n . Das Urteil kann dann gegen ihn v o l l s t r e c k t werden, wenn er auf ein Rechtsmittel verzichtet oder von einem solchen während der Rechtsmittelfrist keinen Gebrauch macht. (NB. § 271 S t G B findet auf das Verhalten des Pseudo-Weltz keine Anwendung; denn das Strafurteil beweist nur, daß das Gericht von der Wahrheit gewisser Tatsachen überzeugt gewesen ist, aber nicht, daß die Tatsachen, welche der Richter auf Grund seiner Uberzeugung als erwiesen hingestellt hat, o b j e k t i v wahr sind. So beweist insbesondere ein 16*

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II. Teil: Lösungen

Strafurteil n i c h t f ü r oder gegen j e d e r m a n n , d a ß d e r Verurteilte mit d e m T r ä g e r eines bestimmten N a m e n s identisch ist. D a aber die N o r m des § 271 nicht weiter greift als die Beweiskraft der fraglichen U r k u n d e (hier des Urteils), entfällt eine Strafbarkeit wegen m i t t e l b a r e r F a l s c h b e u r k u n d u n g ; in Frage k o m m t lediglich eine Ü b e r t r e t u n g n a c h § 360 Z. 8 StGB

[E. 41, 203].)

III. Welche Ersatzansprüche hätte der richtige Erwin Weltz gehabt, und gegen wen, wenn an ihm eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe vollstreckt worden wäre? 1. D a s G e s e t z b e t r e f f e n d d i e E n t s c h ä d i g u n g d e r i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n f r e i g e s p r o c h e n e n P e r s o n e n vom 20. M a i 1898 scheidet f ü r den vorliegenden Fall deshalb aus, weil ein Wiedera u f n a h m e v e r f a h r e n n u r zugunsten eines V e r u r t e i l t e n stattfindet, der w a h r e Erwin Weltz aber, wie wir oben gesehen h a b e n (Z. I u n d I I ) , g a r nicht verurteilt w o r d e n ist. (Siehe N a c h t r a g . ) 2. A u c h d a s G e s e t z b e t r e f f e n d d i e E n t s c h ä d i g u n g f ü r u n s c h u l d i g e r l i t t e n e U n t e r s u c h u n g s h a f t v o m 14. J u l i 1904 k o m m t nicht in Frage, d a laut T a t b e s t a n d eine U n t e r s u c h u n g s h a f t nicht v e r h ä n g t w a r . (Siehe Nachtrag.) 3. E s w ä r e n f ü r E r w i n W e l t z n u r f o l g e n d e M ö g l i c h k e i t e n gegeben: a) Eine bezahlte G e l d s t r a f e , die n a c h § 463 n a c h den Vorschriften ü b e r die Vollstreckung d e r Urteile der Zivilgerichte beigetrieben wird, k ö n n t e einfach im Wege der Zivilklage zurückgefordert werden. b) Ein Entschädigungsanspruch f ü r unschuldig erlittene S t r a f h a f t k ö n n t e u. U . gegen den Pesudo-Weltz geltend g e m a c h t werden, außerd e m a b e r gegen den Staat, dessen Beamter das Urteil vollstreckt h a t , falls d e m Beamten ein fahrlässiges V e r h a l t e n i. S. des § 839 BGB n a c h zuweisen ist, z. B. m a n g e l h a f t e P r ü f u n g der I d e n t i t ä t ; d e m Fiskus andererseits stünde ein Rückgriff" gegen d e n Beamten zu.

IV. Was hat zu geschehen, wenn sich in einer Hauptverhandlung herausstellt: 1. D a ß d e r E r s c h i e n e n e n i c h t d e r T ä t e r i s t , d a d i e L a d u n g nicht dem Täter, sondern einer anderen Person gleichen Nam e n s z u g e s t e l l t w o r d e n ist? Es k a n n nicht verhandelt werden. Die irrtümlich geladene, also gar nicht angeklagte Person ist zu entlassen; die V e r h a n d l u n g wird vertagt u n d der richtige Angeklagte wird geladen. 2. D a ß d e r E r s c h i e n e n e n i c h t d e r T ä t e r i s t , s o n d e r n d e s s e n Bruder, der sich f ü r d e n g e l a d e n e n T ä t e r v e r u r t e i l e n lassen will? Wie im Falle 1 ist der Erschienene zu entlassen, die H a u p t v e r h a n d l u n g zu vertagen u n d g e m ä ß § 230 Abs. 2 die V o r f ü h r u n g des Täters a n z u o r d n e n oder ein H a f t b e f e h l gegen ihn zu erlassen.

Fall 18

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3. D a ß d e r u n t e r d e m N a m e n K a r l M a i e r E r s c h i e n e n e z w a r der T ä t e r ist, in W i r k l i c h k e i t a b e r A u g u s t M ü l l e r h e i ß t ? Es wird, w e n n nicht V e r t a g u n g zwecks Feststellung der Vorstrafen des Müller erforderlich erscheint, gegen den T ä t e r u n t e r seinem richtigen N a m e n v e r h a n d e l t ; d e n n er ist der T ä t e r , gegen den sich von vornherein das V e r f a h r e n gerichtet u n d gegen den das H a u p t v e r f a h r e n eröffnet w o r d e n ist. 4. D a ß d e r E r s c h i e n e n e n i c h t d e r T ä t e r A u g u s t M ü l l e r ist, sondern eine a n d e r e Person gleichen N a m e n s , der infolge eines hier nicht interessierenden I r r t u m s schon die Anklageschrift und der Eröffnungsbeschluß zugestellt worden sind? Sind d e m Nichttäter die Anklageschrift g e m ä ß § 201 u n d d e r E r öffnungsbeschluß zugestellt worden, so wird in diesem V e r f a h r e n der Nichttäter August Müller als der richtige Angeklagte zu gelten h a b e n u n d freigesprochen w e r d e n müssen, d a gegen ihn das H a u p t v e r f a h r e n eröffnet worden ist, w ä h r e n d gegen den wirklichen T ä t e r eine neue Anklage zu e r h e b e n wäre. (Siehe a u c h Beschluß des L G L ü n e b u r g v o m 23. J u n i 1949 in Monatsschrift f ü r Deutsches R e c h t 1949 S. 767, wo folgender b e d e n k l i c h e r S t a n d p u n k t vertreten w i r d : W i r d in der H a u p t v e r h a n d l u n g infolge einer Namensverwechslung gegen einen falschen Angeklagten v e r h a n d e l t u n d ein Urteil verkündet, so wirkt das Urteil gegen d e n richtigen Angeklagten, dessen T a t n a c h d e m Willen des Gerichts zur A b u r t e i l u n g stand, w e n n diesem i m f r ü h e r e n S t a d i u m des Verfahrens rechtliches G e h ö r g e w ä h r t worden ist, i h m das Urteil zugestellt wird u n d er es annimmt.)

Nachtrag I. Das Gesetz betreffend die Entschädigung der i m Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen v o m 20. Mai 1 8 9 8 . (RGBl. S. 345.) I n diesem Gesetz ist bestimmt, d a ß Personen, die i m W i e d e r a u f n a h m e verfahren f r e i g e s p r o c h e n oder in A n w e n d u n g eines milderen Gesetzes mit einer g e r i n g e r e n S t r a f e belegt werden, E n t s c h ä d i g u n g aus der Staatskasse b e a n s p r u c h e n können, w e n n die f r ü h e r e Strafe ganz oder teilweise gegen sie vollstreckt w o r d e n ist. Anspruchsberechtigt sind a u c h die Unterhaltsberechtigten. Das Gesetz w u r d e d u r c h Gesetz v o m 24. N o v e m b e r 1933 d a h i n erweitert, d a ß a u c h demjenigen, der im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n die A u f h e b u n g einer M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g e r r e i c h t , n a c h d e m sie ganz oder teilweise vollstreckt oder wirksam geworden ist (letzterer Ausdruck bezieht sich auf die U n t e r s a g u n g der Berufsausübung), u n t e r d e n im Gesetz g e n a n n t e n Voraussetzungen f ü r den e n t s t a n d e n e n Vermögensschaden E r s a t z aus der Staatskasse gewährt werden m u ß . 1. Ein A n s p r u c h a u f E n t s c h ä d i g u n g besteht n u r , w e n n das W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n die U n s c h u l d des Verurteilten bezüglich d e r

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I I . Teil: Lösungen

i h m zur Last gelegten T a t oder bezüglich eines die A n w e n d u n g eines schwereren Strafgesetzes begründenden Umstands ergeben oder dargetan hat, d a ß ein begründeter V e r d a c h t gegen den Angeklagten nicht mehr vorliegt. 2. E r s e t z t w i r d der d u r c h die Strafvollstreckung entstandene V e r m ö g e n s s c h a d e n . D u r c h das erwähnte Gesetz vom 24. November 1933 wurde die H ö c h s t g r e n z e des zu gewährenden Entschädigungsanspruchs auf 75000 R M (jetzt D M ) oder einen Rentenbetrag von jährlich 4500 R M (jetzt D M ) festgesetzt. Beruht das Fehlurteil auf einem Verschulden des Gerichts, so ist die H a f t u n g der Staatskasse nach § 839 BGB unbeschränkt. 3. Die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung wird durch b e s o n d e r e n B e s c h l u ß des im Wiederaufnahmeverfahren erkennenden Gerichts verfügt, der nicht verkündet, sondern n u r zugestellt wird. 4. Der A n s p r u c h auf Entschädigung ist a u s g e s c h l o s s e n , wenn der Verurteilte die frühere Verurteilung vorsätzlich herbeigeführt oder d u r c h grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Für den Entschädigungsanspruch bei A u f h e b u n g einer M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g sieht das Gesetz vom 24. November 1933 als b e s o n d e r e n A u s s c h l i e ß u n g s g r u n d die Tatsache vor, d a ß der Verurteilte unabhängig von der T a t oder der Verurteilung eine Gefahr f ü r die öffentliche Sicherheit oder O r d n u n g gebildet hat. Die amtliche Begründung sagt hierzu: „Es wäre z. B. keineswegs gerechtfertigt, einem gefährlichen Geisteskranken eine Entschädigung zu gewähren, wenn das Gericht die ihm zur Last gelegte T a t mit U n r e c h t festgestellt hat, die Polizeibehörde ihn aber wegen seiner Gefährlichkeit ohnedies in einer Heil- oder Pflegeanstalt hätte unterbringen müssen." I I . D a s G e s e t z b e t r e f f e n d die E n t s c h ä d i g u n g f ü r u n s c h u l d i g e r l i t t e n e U n t e r s u c h u n g s h a f t v o m 14. J u l i 1 9 0 4 i n d e r F a s s u n g d e s G e s e t z e s v o m 17. A u g u s t 1920. (RGBl. 1904 S. 3 2 1 ; 1920 S. 1579.) Dieses Gesetz gewährt denjenigen Personen einen Entschädigungsanspruch, die im Strafverfahren f r e i g e s p r o c h e n oder durch Beschluß des G e r i c h t s außer Verfolgung gesetzt worden sind, nicht dagegen denjenigen, die nur im vorbereitenden Verfahren in Untersuchungshaft gewesen sind, u n d gegen die von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t das Verfahren eingestellt worden ist. 1. Ein A n s p r u c h auf Entschädigung besteht nur, wenn das Verfahren die Unschuld ergeben oder dargetan hat, d a ß ein begründeter Verdacht nicht mehr vorliegt. Erfolgt aber die Freisprechung nach d e m Grundsatz „in dubio pro reo", so ist ein Entschädigungsanspruch nicht gegeben. 2. E r s e t z t wird der d u r c h die Untersuchungshaft entstandene V e r m ö g e n s s c h a d e n . (Wegen der Höchstgrenze siehe oben Abschnitt I, 2.) 3. U b e r die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung ist von d e m Gericht gleichzeitig mit dem freisprechenden Urteil bzw. d e m außer Verfolgung setzenden B e s c h l u ß zu entscheiden. Der Beschluß wird

Fall 18

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nicht verkündet, sondern nur zugestellt, sobald das freisprechende Urteil bzw. der außer Verfolgung setzende Beschluß rechtskräftig geworden ist. 4. Der A n s p r u c h auf Entschädigung ist a u s g e s c h l o s s e n , wenn der Verhaftete die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Außerdem k a n n der Anspruch ausgeschlossen werden, u. a. wenn die T a t in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch begangen worden ist. (NB. Nichteinlegung eines Rechtsmittels kann niemals als Fahrlässigkeit gewertet werden.) Wird gegen den z u r e c h n u n g s u n f ä h i g e n Verhafteten die Unterbringung in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t nach § 4 2 b S t G B angeordnet, so ist ein Entschädigungsanspruch n i c h t gegeben. (Siehe Gesetz vom 24. November 1933.) Dieses Gesetz enthält des weiteren eine Ergänzung des Gesetzes vom 17. August 1920 insofern, als der Verhaftung und der Untersuchungshaft die e i n s t w e i l i g e U n t e r b r i n g u n g , dem Verhafteten der einstweilig Untergebrachte, dem Haftbefehl der Unterbringungsbefehl gleichgestellt wird. Das Gesetz schließt ferner, entsprechend der oben in Abschn. I, 4 erwähnten Bestimmung, auch für die einstweilige Unterbringung den Entschädigungsanspruch aus, wenn das Gemeinwohl unabhängig von der T a t die einstweilige Unterbringung erfordert hätte.

Alphabetisches Sachregister (Die Ziffern b e d e u t e n die Seitenzahlen) A Abänderung von E n t s c h e i d u n g e n 238 Abgekürztes Verfahren (beschleunigtes Verf a h r e n ) 57 Ablehnung des Richters 72; — des S a c h v e r s t ä n d i g e n 207; — der Einleitung eines S t r a f v e r f a h r e n s 44; — der E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s 55; — des beschleunigten V e r f a h r e n s 57; eines Bew e i s a n t r a g s 150, 160, 162 Absehen von E r h e b u n g d e r Klage 44 Absolut b e s t i m m t e S t r a f e 146 Absolute Rechtskraft 242; •— Revisionsg r ü n d e 146; — W i e d e r a u f n a h m e g r ü n d e 197 A b s t i m m u n g 229 Abtreten des Angeklagten a u s d e m Sitzungssaal 104 Abwesenheit, G r u n d s ä t z e ü b e r die Anw e s e n h e i t des Angeklagten 102; E r f o r dernis der Anwesenheit des Gerichts u n d d e r Prozeßbeteiligten 96; zeitweise Abw e s e n h e i t des Angeklagten 104; Verf a h r e n gegen Abwesende 105 AdhäslonsprozeB ( E n t s c h ä d i g u n g ) 225 Akten, Einsicht d u r c h Verteidiger 112 Amnestie 120 Amtsrichter, Z u s t ä n d i g k e i t 28 Änderung des rechtlichen G e s i c h t s p u n k t s 109 Anfechtung, teilweise 129 Angehörige, Zeugnisverweigerungsrecht 61; Beeidigung 64; u n e r l a u b t e Beschlagn a h m e 153 Angeklagter, Begriff 57; L a d u n g 76, 103; Ausbleiben des — 103; E n t f e r n u n g des — 105; T o d des — 117, 198 Angeschuldigter, Begriff 57 Anklageschrift, E i n r e i c h u n g durch S t a a t s a n w a l t s c h a f t 51; Erfordernisse 51; M ä n gel 52; E r m i t t l u n g s e r g e b n i s 5 1 ; V e r h ä l t nis d e r Urteile z u m E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß 107 Anschluß als N e b e n k l ä g e r 217, 219 Antrag auf gerichtliche E n t s c h e i d u n g 4 5 ; E i n s t e l l u n g m a n g e l s — s 115, 137, 183; A u f h e b u n g des H a f t b e f e h l s bei A n t r a g s delikten 9 1 ; Kosten bei Z u r ü c k n a h m e des — s 114; — auf W i e d e r a u f n a h m e des Verf a h r e n s 199

Anwalt siehe R e c h t s a n w a l t , Verteidiger Anwesenheit der Gerichtspersonen 96; — des Angeklagten 102; A n w e s e n h e i t s r e c h t der Prozeßbeteiligten im V o r v e r f a h r e n 67 Anzeige bei S t a a t s a n w a l t s c h a f t usw. 4 1 ; Kosten bei falscher — 223 Apotheker, Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t 62 Arzt, Zeugnisverweigerungsrecht 62; körperliche U n t e r s u c h u n g 85 Attest, ärztliches, Verlesung 77 Aufbau des S t r a f v e r f a h r e n s 50 Aufhebung des Urteils bei B e r u f u n g 127, 140; — bei Revision 145; — im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n 205; — des H a f t b e fehls 91 Aufrechterhaltung der O r d n u n g durch Vorsitzenden 87, 98 Aufschub d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g 93 Augenschein 84 Ausbleiben des A n g e k l a g t e n in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g 1 0 2 , 1 6 5 , 2 1 0 ; — in der Beruf u n g s v e r h a n d l u n g 127, 165; — in d e r E i n s p r u c h s v e r h a n d l u n g 167, 189; — des Verteidigers 69, 96; — des P r i v a t k l ä g e r s 165, 210 Auslagen 113; — im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n 114; im N e b e n k l a g e v e r f a h r e n 222 Ausschließung v o n Gerichtspersonen 72 Ausschluß der Öffentlichkeit 98; Beschluß hierüber 99 Aussetzung d e r H a u p t v e r h a n d l u n g 97, 110 Äußerung des Beschuldigten zur Anklageschrift 39 Außerverfolgungsetzung 54 B Bagatellsachen 42, 209 Beamte als Zeugen 63 Beauftragter und ersuchter Richter bei kommissarischer V e r n e h m u n g des Zeugen 56, 59; im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n 204 Beeidigung des Zeugen 59, 64; — des Sachv e r s t ä n d i g e n 208 Befangenheit, Besorgnis d e r — 73 Behörden, Verlesung von E r k l ä r u n g e n 77 Beitritt z u r P r i v a t k l a g e 216

Alphabetisches Sachregister

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Bekanntmachung des T e r m i n s zur H a u p t v e r h a n d l u n g 76 Belehrung über Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g 6 1 ; — über E i d e s v e r w e i g e r u n g 6 4 ; F o l g e der Unterlassung d. B . 65 Beleidigung, Gerichtsstand bei — durch die Presse 3 8 ; P r i v a t k l a g e b e l — 3 9 , 4 2 ; Sühneversuch 212, 214 Beratung 229 Berechnung der Fristen 165; Z w e i f e l über — der S t r a f e 95 Berichterstatter 126, 230 Berichtigung des U r t e i l s 238; — des S i t z u n g s p r o t o k o l l s 102 Berufung, W e s e n der — 123; U n a b h ä n g i g k e i t v o m erstrichterlichen V e r f a h r e n 125; G a n g der B e r u f u n g s v e r h a n d l u n g 125; B e r u f u n g s u r t e i l e 128; t e i l w e i s e — 129 Beschlagnahme 152 Beschleunigtes Verfahren 57 Beschlüsse, B e g r i f f 118; A n f e c h t b a r k e l t 118; Einstellung durch — 115; B e e n d i g u n g der H a u p t v e r h a n d l u n g durch — 116; — R e c h t s k r a f t 173, 177, 180 Beschränkung des R e c h t s m i t t e l s zulässig 129; — unzulässig 130; besondere F ä l l e 131; — der V e r t e i d i g u n g 150 Beschuldigter, Begriff 57; Freiheitsbeschränkung des — 8 6 ; B e s c h l a g n a h m e v o n B r i e f e n 152, 154; L a d u n g des — 76. Beschwerde, A l l g e m e i n e s 118; — gegen H a f t b e f e h l 88 Besetzung, v o r s c h r i f t s w i d r i g e des Gerichts als R e v i s i o n s g r u n d 73, 75 Beteiligung als Grund der N l c h t b e e l d i g u n g 64, 65 Beweisantrag 160 f f . ; zulässige A b l e h n u n g 162; unzulässige A b l e h n u n g 163 Beweisaufnahme 161; U m f a n g der — 161; — in der Berufungsinstanz 126; — i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n 205; — Im P r l v a t k l a g e v e r f a h r e n 210 Beweiskraft des P r o t o k o l l s 101 Beweismittel, neue — i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n 200 f f . Beweiswürdigung 228 Bindung des unteren G e r i c h t s an E n t scheidung des höheren G e r i c h t s 173 Blutprobe 63, 85 Briefbeschlagnahme 151, 152 Bundesgerichtshof 31 D Daktyloskopie siehe F i n g e r a b d r ü c k e Denkgesetze 142 Devolutiveffekt 118 Dienstalter bei der A b s t i m m u n g 230 Dienstaufsichtsbeschwerde 45 Disziplinarstrafen b e w i r k e n keinen Verbrauch der S t r a f k l a g e 182

Dritte als B e s c h w e r d e b e r e c h t i g t e 119 D r u c k s c h r i f t e n , Gerichtsstand 39 Durchsuchung

151 E

Ehe, Auflösung 137

als

Prozeßvoraussetzung

Ehegatte, Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t 61 E h r e n a m t l i c h e r R i c h t e r , A b s t i m m u n g 230 Eidesnorm b e i m Z e u g e n e i d 5 8 ; — b e i m S a c h v e r s t ä n d i g e n e i d 208 Eidesverletzung als W i e d e r a u f n a h m e g r u n d 200, 201 E i d e s v e r w e i g e r u n g , R e c h t zur — 64 Einlassungsfrist siehe L a d u n g s f r i s t Einsicht der A k t e n durch V e r t e i d i g e r 112 Einspruch g e g e n S t r a f b e f e h l 188, 191 Einstellung des V e r f a h r e n s durch Staatsa n w a l t 4 4 ; — durch G e r i c h t außerhalb der H a u p t v e r h a n d l u n g 116; — In der H a u p t v e r h a n d l u n g 117, 118, 177; v o r l ä u f i g e — 4 3 , 4 6 ; — w e g e n Geringfügigkeit 4 2 ; — bei O p f e r n einer N ö t i g u n g oder Erpressung 4 3 ; — durch das R e v i s i o n s g e r i c h t 137, 146; — i m P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n 209 E i n s t w e i l i g e U n t e r b r i n g u n g 90, 247 E i n w a n d der U n z u s t ä n d i g k e i t 4 0 ; g e g e n E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s 4 0 ; — g e g e n Zulässigkeit der S t r a f v o l l s t r e c k u n g 95, 243, 246 E i n z i e h u n g , V e r f a h r e n 191; — durch S t r a f b e f e h l 190; — rechtliche N a t u r 193; E i n ziehungsurteile 238 E n t f e r n u n g v o n Personen aus d e m Sitzungssaal 87, 99, 104; — des V e r t e i d i g e r s bei n o t w e n d i g e r V e r t e i d i g u n g 96 Entschädigung der Z e u g e n und S a c h v e r ständigen 5 9 ; — des i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n F r e i g e s p r o c h e n e n 245; — f ü r unschuldig erlittene Untersuc h u n g s h a f t 246; — des V e r l e t z t e n 225 Entscheidungen müssen m i t Gründen v e r sehen sein 150; nichtige — 243 EntscheldungsgrUnde beim Urteil 235; R e v i s i o n w e g e n Fehlens 139, 238 Entschuldigung bei A u s b l e i b e n in der B e r u f u n g s v e r h a n d l u n g 127; — in der E i n s p r u c h s v e r h a n d l u n g 189 E r f o l g l o s i g k e i t , Bescheinigung über — des Sühneversuchs 212; — eines R e c h t s m i t t e l s 114, 136 Ergänzungsrichter 230 E r g r e i f u n g , Gerichtsstand der — 34 Erhebung der K l a g e 51 Erkennende G e r i c h t e 27, 55 Erklärungsfristen 156, 165 Erledigung eines S t r a f v e r f a h r e n s , M ö g l i c h keiten 43

Alphabetisches Sachregister Erlöschen der Strafklage durch Verbrauch (ne bis in idem) 175ff.; — beim Strafbefehl 179; — bei Einstellung des Verfahrens 177, 180; — im Beschlußverfahren 180; — bei Sammelstraftaten 178; — bei fortgesetzter Tat 177; — durch Urteile der MilOerichte 182 Ermächtigung zur Zurücknahme eines Rechtsmittels 157 Ermessensfreiheit der Staatsanwaltschaft gegenüber Opfern einer Erpressung 43 Ermittlungsergebnis 51 EröffnungsbeschluB 54 Erpressung siehe Ermessensfreiheit Erweiterung der Anklage in der Hauptverhandlung 110 Erzwingung des Zeugnisses und der Eidesleistung 87; — der Anklage 45 Eventualantrag 164 F Falscher Angeklagter 244 Fälschung des Sitzungsprotokolls 101; — einer Urkunde als Wiederaufnahmegrund 197 Festhaltung wegen Störung einer Amtshandlung 87; — zur Aufrechterhaltung der Ordnung 87 Festnahme, vorläufige 90 Fingerabdrucke 84 Fliegender Gerichtsstand 39 Fluchtverdacht als Grund der Verhaftung 87 Formale Rechtskraft 241 Formel des Urteils siehe Urteilsformel Förmlichkeiten, Beobachtung beim Protokoll 101 Formmängel, äußere des Protokolls 60 Fortgesetzte Tat, Verbrauch der Strafklage 177 Fortsetzung der unterbrochenen Verhandlung 97 Fragerecht 100 Freiheitsstrafe, Vollstreckung 93 Freiheitsbeschränkung in der Strafprozeßordnung 86 Freilassung gegen Sicherheit 107 Freisprechung, Inhalt der Urteilsgründe 237; Wirkung auf Haftbefehl 91; Entschädigung bei Freisprechung im Wiederaufnahmeverfahren 245 Freiwerden der Sicherheit 107 Frische Tat, Festnahme 90 Fristen 156, 165 JebUhren 112; — verständigen 59; GeblihrenvorschuB Nebenklage 209,

G der Zeugen und Sach— des Verteidigers 112 bei Privatklage und 219

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Gefahr Im Verzuge, Beeidigung des Zeugen Im Vorverfahren 59 Gefahrdung der Sittlichkeit, der Staatssicherheit, eines Geschäftsgeheimnisses 98 Gefährlicher Gewohnheitsverbrecher, keine Beschränkung des Rechtsmittels auf Sicherungsverwahrung 132 Gegenstand der Urteilsfindung 107 ff. Geisteskrankheit, Verlesung des Protokolls über frühere Vernehmung 79; Sicherungsverwahrung 90 Geisteszustand, Untersuchung des Beschuldigten 54, 164, 207 Geistlicher, Zeugnisverweigerungsrecht 62 Geldstrafe, Vollstreckung 94 Gerichtskosten siehe Kosten Gerichtsstand 34; Zusammentreffen mehrerer 36; fliegender — 39 Geringfügigkeit der T a t 43 Gesetzlicher Vertreter im Privatklageverfahren 219 Geständnis, Verlesung des Protokolls über ein früheres — 79, 153; — als Grund für Wiederaufnahme des Verfahrens 197 Glaubhaftmachung 166 Gründe, Entscheidungen müssen mit Gründen versehen sein 150; Entscheidungsgründe beim Urteil 235; Revision wegen Fehlens der — 238 Gutachten, Verpflichtung zur Erstattung 207; Verlesung in der Hauptverhandlung 77, 208; — über Geisteszustand 164 H Haft gegen den Beschuldigten 86; — gegen den Zeugen 58, 87 Haftbefehl 90; — gegen ausgebliebenen Angeklagten 86, 103; — zur Strafvollstreckung 94; Aufhebung 91 Haftprüfung 88 Hauptverfahren, Begriff 50, 54 Hauptverhandlung, Allgemeine Grundsätze 96ff.; Vorbereitung der — 56; Ladungsfrist 76; Verlauf der — 99; Grundsätze über die Anwesenheit des Angeklagten 102, 165; Aussetzung und Unterbrechung 97, 110; Einstellung innerhalb und außerhalb der — 115, 116; Beweisaufnahme 161; — gegen flüchtigen Angeklagten 105; — in der Berufungsinstanz 126; — in der Revisionsinstanz 143; — im Wiederaufnahmeverfahren 205; — im Privatklageverfahren 209 Hell- oder Pflegeanstalt, Ausschluß der Öffentlichkeit 98; Unterbringungsbefehl 90; Beschränkung des Rechtsmittels auf Unterbringung 132; — Einweisung nur nach Anhörung eines Sachverständigen 207

Alphabetisches Sachregister

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Hinweisung auf v e r ä n d e r t e n G e s i c h t s p u n k t e n 109

rechtlichen

I Instanzenzug 32

Mitbeschuldigter, Verlesung f r ü h e r e r Aussagen 79 Mündlichkeit des Verfahrens, G r u n d s a t z 96; — in d e r B e r u f u n g s i n s t a n z 126 N

J Jugendgerichte 27, 29 K Kind als Zeuge 62 Klage, E r h e b u n g 5 0 , 51; Absehen v o n Klagee r h e b u n g 44; A n k l a g e s c h r i f t 51; Anschluß des N e b e n k l ä g e r s an öffentliche — 217; K l a g e ä n d e r u n g 109, 110; — e r w e i t e r u n g 110; — E r z w i n g u n g 45 Kollegialgericht, A b s t i m m u n g 230 Kollision m e h r e r e r G e r i c h t s s t ä n d e 36 Kommissarische Vernehmung 59 Körperliche Untersuchung 85 Kosten des V e r f a h r e n s , Allgemeines 113ff.; — in P r i v a t k l a g e s a c h e n 114; G e b ü h r e n v o r s c h u ß in P r i v a t k l a g e s a c h e n 209; — d e r N e b e n k l a g e 222; — bei Z u r ü c k n a h m e des R e c h t s m i t t e l s 114; bei Erfolg des R e c h t s m i t t e l s 115, 136; Auferlegung der — auf Anzeigenden 223 Krankheit, V e r n e h m u n g k r a n k e r Zeugen u n d S a c h v e r s t ä n d i g e r 80; Verlesung f r ü herer Aussagen 80 L Ladung z u r H a u p t v e r h a n d l u n g 76; u n m i t telbare — von Zeugen 58, 161 Ladungsfrist 76 Landgericht B e s e t z u n g u. Z u s t ä n d i g k e i t 29, 30 Legalitätsprinzip 42 Legitimation des R e c h t s a n w a l t s 48 Leichenöffnung 84, 207 Leichenschau 84, 207 Leitung der Hauptverhandlung 99 Letztes Wort des A n g e k l a g t e n 100 Leumundszeugnisse d ü r f e n n i c h t verlesen werden 77 Lichtbilder 84 M Maßregel d e r Sicherung u n d Besserung, A b s t i m m u n g 231; — in den Urteilsg r ü n d e n 238 Materielle Rechtskraft 174ff., 241 Messungen 84 Mildernde Umstände als S t r a f z u m e s s u n g s g r ü n d e 236, 237 Mitangeklagter, W i r k u n g d e r Revision f ü r — 158

Nachtragsanklage 110 Naturereignisse als W i e d e r e i n s e t z u n g s g r u n d 167 Nebendelikte 43 ne bis in ¡dem, G r u n d s a t z 174ff.; — im S t r a f b e f e h l s v e r f a h r e n 179 Nebenklage 217ff.; Kosten der — 222 Neue Beweismittel als W i e d e r a u f n a h m e g r u n d 200 ff.; — bei e r n e u t e r Klageerheb u n g 177 Nichterscheinen v o n Zeugen 58, 86, 90 Nichtige Urteile 242 Nichtvereidigung, E n t s c h e i d u n g ü b e r — 64, 65 Notar, Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t 62 Nötigung, Ermessensfreiheit d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t bei Verfolgung von Opfern einer — 4 3 Notwendige Verteidigung 69 0 Oberlandesgericht 31 Objektives Verfahren 191ff. Öffentliches Interesse im Privatklageverfahren 211 Öffentlichkeit der V e r h a n d l u n g 97; — d e r U r t e i l s v e r k ü n d u n g 98; Ausschluß d e r — 98 Offizialverteidiger 69 ff. Opfer der E r p r e s s u n g 4 3 Ordnung, A u f r e c h t e r h a l t u n g in d e r S i t z u n g 99 Ordnungsstrafe gegen Zeugen 58, 86 Örtliche Zuständigkeit 34ff. P Parteifähigkeit im Privatklageverfahren 209, 219 Parteirechte in der V o r u n t e r s u c h u n g 54, 67 Pflichtverteidiger 69 Pressedelikt, Z u s t ä n d i g k e i t 39 Privatklage, G r u n d s ä t z e 2 0 8 f f . Protokoll, Verlesung von — e n über frühere V e r n e h m u n g e n 59, 78ff., 214; — über Augenschein 68, 77; — in der B e r u f u n g s i n s t a n z 126; Sitzungsprotokoll l O l f f . Prozeßfähigkeit im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n 209, 219 Prozeßhindernisse 137 Prozeßleitung 99 Prozeßstadien 50 Prozeßvoraussetzungen 137

Alphabetisches Sachregister R R e c h t f e r t i g u n g der Revision 147 Rechtfertigungsgrund, Abstimmung über — 231 R e c h t s a n w a l t a l s Verteidiger I lOff.; Zeugnisverweigerung 62; P f l i c h t - u n d W a h l v e r teidiger 69 ff. R e c h t s a n w e n d u n g , E r ö r t e r u n g in den Urteilsgründen 236 Rechtshängigkeit, a n d e r w e i t e als Prozeßh i n d e r n i s 136 R e c h t s k r a f t , f o r m a l e u n d materielle 241; — bewirkt Verbrauch der Strafklage 175ff.; — bei Einstellungsurteil 177; Beseitigung d e r — durch W i e d e r a u f n a h m e des V e r f a h r e n s 196; r e c h t s k r ä f t i g e s Urteil als V o r a u s s e t z u n g der S t r a f v o l l s t r e c k u n g 9 3 ; teilweise — 129; relative — 242 Rechtsmittel, Allgemeine G r u n d s ä t z e 118; A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e r 120; F o r m des — s 118; Verzicht auf — 170; Z u r ü c k n a h m e d e s — s 118, 170; — im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n 205 R e c h t s n o r m , bei Verletzung einer — ü b e r d a s V e r f a h r e n Z u r ü c k w e i s u n g a u s der B e r u f u n g s i n s t a n z 140; Verletzung einer — V o r a u s s e t z u n g f ü r A u f h e b u n g des Urteils in der Revisionsinstanz 145; spezialisierte Rüge bei Verletzung von Verf a h r e n s n o r m e n 143, 144 R e f o r m a t i o In peius 118, 121, 136, 205 Revision, allgemeine G r u n d s ä t z e 142ff.; R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g 147; Beschränk u n g d e r — 129; B i n d u n g der Vori n s t a n z an rechtliche B e u r t e i l u n g des Revisionsgerichts 141, 147, 173 Richter, Ausschluß u n d A b l e h n u n g 72, 73; M i t w i r k u n g eines ausgeschlossenen — s Revisionsgrund 7 3 , 7 4 ; richterliche Ü b e r z e u g u n g 228; Zeugnisverweigerungsrecht 63 R ü c k f a l l , A b s t i m m u n g ü b e r — 230 S Sachentscheidung, keine — bei Fehlen einer P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g 137 Sachliche Zuständigkeit 32ff. Sachverständiger, allgemeine G r u n d s ä t z e 206; S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s 164, 201 S a m m e l s t r a f t a t e n , V e r b r a u c h der S t r a f klage 178 SchluOvorträge 100, 127 Schöffengericht 26, 28 Schreibfehler, B e r i c h t i g u n g des Urteils 238, 239 Schriftstücke, Verlesung 76ff. Schriftvergleichung 84 Schuldfrage, E n t s c h e i d u n g hierüber 231

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Schwurgericht 27, 30 Sicherheitsleistung z u r V e r s c h o n u n g v o n U n t e r s u c h u n g s h a f t 107 Sicherungsmaßregel, A b s t i m m u n g über —231; Vollstreckung von — 95 Sicherungsverfahren 30, 86 Sicherungsverwahrung, keine Beschränk u n g des R e c h t s m i t t e l s auf — 132 Sittlichkeit, Ausschluß d e r Ö f f e n t l i c h k e i t wegen G e f ä h r d u n g der — 98 Sitzungspolizei 87, 99 Sitzungsprotokoll 101 ff. Sofortige Beschwerde 119 Sprungrevision 124 S t a a t s a n w a l t s c h a f t , E r l a ß eines Steckbriefs 90, 94; — Anklagezwang 4 2 ; — E r h e b u n g d. Klage 59; E i n s t e l l u n g durch — 4 4 ; R e c h t s m i t t e l 117 ff.; Anwesenheit des S t a a t s a n w a l t s in der H a u p t v e r h a n d lung 96; — in P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n 211; — bei d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g 9 3 Staatskasse, Verfall einer Sicherheit 107 Staatssicherheit, Ausschluß d e r Öffentlichkeit wegen G e f ä h r d u n g der — 98 Steckbrief 90, 94 S t i m m e n v e r h ä l t n i s bei A b s t i m m u n g 229 S t r a f a n t r a g als P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g 137; R e c h t s k r a f t bei Einstellung mangels — s 182 S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e 231 StrafausschlleOungsgründe 231 Strafbefehlsverfahren, allgemeine G r u n d sätze 187ff.; G r u n d s a t z ne bis in idem 174 ff. S t r a f e r h ö h e n d e U m s t ä n d e 231 Straffrage, E n t s c h e i d u n g h i e r ü b e r 230, 232 S t r a f k a m m e r 27 ff. Strafurteil, G e b u n d e n h e i t a n früheres— 229 S t r a f v e r f a h r e n , A u f b a u des — s 50 Strafvollstreckung 93 Strafvollzug 95 S t r a f z u m e s s u n g s g r ü n d e 236 Sühneversuch 209, 212 Suspensiveffekt 118 T Tatort, G e r i c h t s s t a n d 34 T a t s a c h e n , neue, als W i e d e r a u f n a h m e g r u n d 204; bei e r n e u t e r K l a g e e r h e b u n g 181 Termin, A n b e r a u m u n g z u r H a u p t v e r h a n d l u n g 76 Tod, Verlesung von Aussagen v e r s t o r b e n e r Zeugen 79; — des A n g e k l a g t e n 117; — des P r i v a t k l ä g e r s 210; — des N e b e n klägers 219; W i e d e r a u f n a h m e des Verf a h r e n s n a c h d e m T o d e des Verurteilten 198 Trinkerhellanstalt 207

Alphabetisches Sachregister

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Übertretungen, kein Anklagezwang 4 2 ; H a u p t v e r h a n d l u n g ohne Angeklagten 102 Überzeugung, richterliche 2 2 8 Umstände, mildernde — 2 3 1 , 2 3 6 , 237 Unabwendbarer Zufall 167 Unbrauchbarmachung (objektives Verfahren) 191 Uneldllche V e r n e h m u n g von Zeugen 65 Unmittelbarkeit 9 6 Unterbrechung der H a u p t v e r h a n d l u n g 9 7 ; Aussetzung 97 Unterbringung in einer Heil- oder Pflegea n s t a l t , B e s c h r ä n k u n g des R e c h t s m i t t e l s auf — 1 3 2 ; —zur B e o b a c h t u n g des Geisteszustandes 5 4 , 7 0 , 9 0 , 207 Unterbringungsbefehl 86, 9 0 Untersuchung, körperliche 85 Untersuchungshaft, Allgemeines 87 ff. E n t schädigung für unschuldig erlittene — 2 4 6 ; — nach R e c h t s k r a f t des Urteils 9 2 Untersuchungsrichter 5 4 , 7 4 Unzuständigkeit, sachliche 3 2 ; örtliche — 34 Unterzeichnung des Urteils 2 3 8 Unzurechnungsfähigkeit, B e s c h r ä n k u n g des R e c h t s m i t t e l s auf — 1 3 1 ; kein R e c h t s m i t t e l bei Freispruch wegen — 120 Urkunden, Verlesung in der H a u p t v e r handlung 7 6 Urkundsbeamter der Geschäftsstelle 9 6 Urteil, Z u s t a n d e k o m m e n 2 2 8 ; Öffentlichk e i t bei Urteilsverkündung 9 8 ; Verhältnis des — s zum Eröffnungsbeschluß 1 0 7 ; Urteilsformel 2 3 5 ; Urteilsgründe 2 3 5 ; Berichtigung des — s 2 3 8 ; nichtige — e 2 4 2 ; Vollstreckung 9 3 ; W i e d e r h e r stellung eines — s 2 4 0 Urtellsfindung, Gegenstand der — 107ff. Urteilsverkündung 2 3 3 V Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes 109, 176 Verbindung zusammenhängender Strafsachen 34, 3 8 Verbrauch der Strafklage ( G r u n d s a t z ne bis in ¡dem) 174ff., 185ff. Verbrechen, notwendige Verteidigung 7 0 ; U n t e r s u c h u n g s h a f t bei — 91 Verdunkelungsgefahr als H a f t g r u n d 87 Vereidigung der Zeugen 6 4 f f . ; — des S a c h verständigen 2 0 8 Verfall der S i c h e r h e i t 107 Vergleich in P r i v a t k l a g e s a c h e n 2 1 0 Verhaftung siehe Haftbefehl Verhörsbeamte, V e r n e h m u n g 81, 8 2 Verjährung, Unterbrechung 135; Abstimmung über — 2 3 0

Verkündung des Urteils 2 3 3 ; •— des B e schlusses über Ausschließung der Ö f f e n t lichkeit 9 9 Verlauf des S t r a f v e r f a h r e n s 5 0 f f . Verlesung von S c h r i f t s t ü c k e n 7 6 f f . Verletzter, Beschwerde gegen Einstellung des V e r f a h r e n s 4 5 ; •— im P r i v a t k l a g e verfahren 2 0 8 ; — als Nebenkläger 2 1 9 ; Nichtvereidigung des — 6 5 Verlobter, Zeugnisverweigerungsrecht 61 Verminderte Zurechnungsfähigkeit, Bes c h r ä n k u n g des R e c h t s m i t t e l s 1 3 2 ; — kein W i e d e r a u f n a h m e g r u n d 196 Vernehmung der Zeugen 5 8 ; — des S a c h verständigen 2 0 6 ; — des Angeschuldigten in der Voruntersuchung 6 7 ; k o m m i s sarische — des Angeklagten 59, 6 7 ; Verlesung des Protokolls über frühere — 78ff. V e r s ä u m u n g von F r i s t e n 165ff. Verschwägerte, Zeugnisverweigerungsrecht 61 Verteidiger, Allgemeines 11 Off.; P f l i c h t v e r teidiger 6 9 ; Z e i t p u n k t für Nachweis der Legitimation 4 8 , 1 1 1 ; notwendiger — 6 9 Vertreter, gesetzlicher — im P r i v a t k l a g e verfahren 2 0 9 ; im Nebenklageverfahren 219 Verwandte, Zeugnisverweigerungsrecht 61 Verwerfung des A n t r a g s auf Anordnung der E r h e b u n g der öffentlichen K l a g e 4 6 ; — der Berufung 1 2 5 ; — der Revision 143, 1 5 7 ; — des A n t r a g s auf W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens 2 0 4 ; — des E i n s p r u c h s 166, 189 Verzicht auf R e c h t s m i t t e l 118, 1 7 0 , 2 3 7 Vollmacht des Verteidigers 4 8 Vollstreckung der S t r a f e n 9 3 Vollstreckungsbehörden 9 3 Vorbereitendes Verfahren 5 0 Vorbereitung der Hauptverhandlung 5 6 Vorführung des Beschuldigten 8 6 ; — des Zeugen 86 Vorläufige Einstellung des Verfahrens 4 3 , 4 6 , 116 Vorläufige F e s t n a h m e 9 0 Vorsitzender, Prozeßleitung und Sitzungspolizei 87, 9 9 ; — bei B e r a t u n g und A b stimmung 230 Voruntersuchung 5 4 , 6 6 f f . Vorverfahren 5 0 Vorweggenommene Teile der H a u p t v e r handlung 67 W Wahlverteidiger 110 Wahrheitsforschung als Ziel des S t r a f v e r fahrens 161, 2 2 8 W e i t e r e Beschwerde 119 Widerklage 2 1 0

Alphabetisches Sachregister Widerruf bei Verzicht u n d Z u r ü c k n a h m e des R e c h t s m i t t e l s 170; — d e r Anschiuße r k i ä r u n g des N e b e n k l ä g e r s 219 Wiederaufnahme der a b g e l e h n t e n Klage 181; — eines r e c h t s k r ä f t i g abgeschlossenen V e r f a h r e n s 196ff.; Allgemeines ü b e r den Verlauf des V e r f a h r e n s 204; E n t s c h ä d i g u n g nach erfolgter Freisprec h u n g 245 Wiedereinsetzung in den vorigen S t a n d 165 ff. Wohnsitz, G e r i c h t s s t a n d des — e s 34 Z Zeugen, Allgemeines 5 8 ; Ausbleiben des — 58, 8 7 ; Zeugnisverweigerungsrecht 61ff.; Beschlagnahme bei zeugnisverweiger u n g s b e r e c h t i g t e n Personen 152ff.; Vereid i g u n g 59ff.; — ausnahmsweise in Voru n t e r s u c h u n g u n d v o r b e r e i t e n d e m Verf a h r e n 59; kommissarische V e r n e h m u n g 56, 5 9 ; Protokoll ü b e r f r ü h e r e Aussagen des — 79, 213; — in der Berufungsi n s t a n z 127; P r i v a t k l ä g e r k a n n n i c h t — sein; 58, 213, N e b e n k l ä g e r als — 221; s a c h v e r s t ä n d i g e r — 208

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Zeugnisverweigerung 61 ff. Zufall, u n a b w e n d b a r e r — als Wiedereins e t z u n g s g r u n d 167 Zurücknahme der öffentlichen Klage 52; — d e r P r i v a t k l a g e 210; — von R e c h t s m i t t e l n 118, 170; — des S t r a f a n t r a g s 114, 182; — des E i n s p r u c h s gegen S t r a f befehl 189 Zurückverweisung aus d e r B e r u f u n g s i n s t a n z 140, 146, 189; — a u s der Revisionsinstanz 146 Zurückweisung der P r i v a t k l a g e 209; — des S t r a f b e f e h l s 187 Zusammenhang von S t r a f s a c h e n 33, 3 8 ; G e r i c h t s s t a n d des — s 33 Zusammentreffen m e h r e r e r G e r i c h t s s t ä n d e 36; — von P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n m i t Offizialverfahren 211, 216 Zusatzanklage 110 Zuständigkeit, sachliche 28ff.; P r ü f u n g der sachlichen — 32, 174; ö r t l i c h e — - 3 4 ; P r ü f u n g der örtlichen — 36; — bei Zusammentreffen mehrerer Gerichtss t ä n d e 36; •— m e h r e r e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n 36 Zwangshaft 87 Zwangsmittel im S t r a f v e r f a h r e n 86

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