Poststrukturalistische Soziologien [1. Aufl.] 9783839400111

Während insbesondere in der anglo-amerikaÝ nischen Literaturtheorie poststrukturalistische Theoriefiguren eine zentrale

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German Pages 88 [93] Year 2015

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Inhalt
Einleitung: Spurensuche
Die Einheit der Struktur und ihre Dezentrierung
De Saussures zeichentheoretisches Modell
Der anthropologische Strukturalismus von Lévi-Strauss: Strukturen und Nullwert
Die Dekonstruktion der Struktur
Die Soziologie und ihre Gegenstände: »Das Ende des Sozialen« und »Die Unmöglichkeit der Gesellschaft«
Das Ende des Sozialen (Baudrillard)
Die Unmöglichkeit der Gesellschaft (Laclau / Mouffe)
Geschichte und Modernität: Das Ende der Meta-Narrative und Genealogie
Inkommensurable Sprachspiele
Genealogie der Machtverhältnisse
Sozialtheoretische Weiterführungen
Die Dekonstruktion des Subjekts
Subjektpositionen (Foucault)
Das Insistieren des Unbewussten (Žižek)
Der Dualismus von Struktur / Handlung nach der Dekonstruktion des Subjekts
Poststrukturalistische Analysen von Identitäten
Singularitäten und Differenzen
Konturen einer ›spektralen Soziologie‹
Anmerkungen
Literatur
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Poststrukturalistische Soziologien [1. Aufl.]
 9783839400111

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Urs Stäheli Poststrukturalistische Soziologien

Die Beiträge der Reihe Einsichten werden durch Materialien im Internet ergänzt, die Sie unter www.transcript-verlag.de abrufen können. Das zu den einzelnen Titeln bereitgestellte Leserforum bietet die Möglichkeit, Kommentare und Anregungen zu veröffentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Die Deutsche Bibliothek • CIP-Einheitsaufnahme Stäheli, Urs: Poststrukturalistische Soziologien / Urs Stäheli. – Bielefeld : transcript Verl., 2000 (Einsichten) ISBN 3-933127-11-4 © 2000 transcript Verlag, Bielefeld Gestaltung: orange|rot, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-933127-11-4

Inhalt

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Einleitung: Spurensuche

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Die Einheit der Struktur und ihre Dezentrierung

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De Saussures zeichentheoretisches Modell Der anthropologische Strukturalismus von Lévi-Strauss: Strukturen und Nullwert Die Dekonstruktion der Struktur

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Die Soziologie und ihre Gegenstände: »Das Ende des Sozialen« und »Die Unmöglichkeit der Gesellschaft« Das Ende des Sozialen (Baudrillard) Die Unmöglichkeit der Gesellschaft (Laclau / Mouffe)

Geschichte und Modernität: Das Ende der Meta-Narrative und Genealogie Inkommensurable Sprachspiele Genealogie der Machtverhältnisse Sozialtheoretische Weiterführungen

Die Dekonstruktion des Subjekts Subjektpositionen (Foucault) Das Insistieren des Unbewussten (Žižek) Der Dualismus von Struktur / Handlung nach der Dekonstruktion des Subjekts Poststrukturalistische Analysen von Identitäten Singularitäten und Differenzen

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Konturen einer ›spektralen Soziologie‹

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Anmerkungen

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Literatur

Einleitung: Spurensuche In David Lynchs Film Blue Velvet (1986) findet der Protagonist auf seinem Heimweg in einer US-amerikanischen Vorstadtsiedlung plötzlich ein abgeschnittenes Ohr, das in starker Vergrößerung gezeigt wird; die Szene ist zudem mit einem aufdringlichen Soundtrack unterlegt. Der Effekt dieses deplatzierten und von Ameisen belebten Ohrs ist im buchstäblichen Sinn un-heimlich (vgl. Žižek 1993: 169): Das Ohr hat seinen angestammten Platz verlassen, und es legt sich scheinbar motivationslos und verquer in die Filmerzählung; mehr noch, es unterbricht die Kontinuität des Films, indem es als Fremdkörper eine undefinierbare Position einnimmt. Die Schwierigkeit, mit der uns diese Szene konfrontiert, ergibt sich aus dem Aufbrechen eines Sinnhorizontes, aus dem Insistieren eines Fleckens, über den man nicht hinwegsehen kann. Das deplatzierte Ohr konfrontiert die ZuschauerInnen mit einer Bedeutungsleere, von der sie sich gleichzeitig angezogen wie auch abgestoßen fühlen: Einerseits verunsichert dieses auf dem hyperrealen Rasen liegende Ohr, da wir es nicht einordnen, aber auch nicht einfach ignorieren können, andererseits fasziniert gerade die Erfahrung, dass Sinnprozesse entgleiten und scheitern können. Es ist dieses Insistieren auf ein Moment des Sinnbruchs, das viele jener Theorien charakterisiert, die man häufig auf irreführende Weise unter dem Stichwort ›Poststrukturalismus‹ zusammenfasst. Dies heißt keineswegs, dass alle poststrukturalistischen Theorien sich ausschließlich für Sinnprozesse interessieren. Vielmehr wird das Versagen einer hermeneutischen Perspektive, die den eigentlichen Sinn (sei dieser z. B. die alles bestimmende Ökonomie oder eine Form von kultureller Authentizität) zu sichern sucht, im Poststrukturalismus ernst genommen. Dadurch eröffnen sich zwei Wege für poststrukturalistisches Denken: einerseits das erwähnte Interesse am Scheitern von Sinnprozessen, indem das unendliche Gleiten des Sinns zum Ausgangspunkt genommen wird (vgl. z. B. Derrida und Lacan); andererseits eine Skepsis gegenüber Sinntheorien und die Suche nach Begrifflichkeiten, die es erlauben, das sinntheoretische Vokabular zu ersetzen (vgl. z. B. Foucault oder Deleuze / Guattari). Diese beiden Perspektiven müssen sich nicht ausschließen, verweisen aber doch auf unterschiedliche Umgangsweisen

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mit Sinn nach dem Versagen hermeneutischer Sinnmodelle. Im Folgenden werden beide Perspektiven vorgestellt, aber das Interesse an einer Soziologie der Sinnbrüche und -dislokationen soll hierbei im Vordergrund stehen. ›Poststrukturalismus‹ steht denn auch nicht für eine einheitliche Theorie oder wissenschaftliche Methode, um derartige dunkle und manchmal kaum wahrnehmbare Flecken im Sinnhaften aufzuzeigen.1 Die unter diesem Namen entwickelten Theorien sind zu unterschiedlich und zwischen ihnen herrscht häufig eine alles andere als freundnachbarschaftliche Beziehung. Viele TheoretikerInnen wehren sich denn auch deutlich gegen das Etikett. Statt von einer eigenen Theorieschule zu sprechen, nehmen die ›poststrukturalistischen Soziologien‹ die Position eines Parasiten ein (vgl. Serres 1981): den Status eines Gastes, der von den etablierten Unterscheidungen der Soziologie lebt (wie z. B. Handlung / Struktur) und sie unterminiert. Diese Einführung vertritt, um die Vielfalt von Interventionen zu unterstreichen, ein weites Verständnis von Poststrukturalismen, ohne es als label einer einheitlichen Theorieschule verwenden zu wollen. Zu jenen TheoretikerInnen, die als PoststrukturalistInnen bezeichnet werden, gehören etwa Gilles Deleuze (1925–1995) / Felix Guattari (1930–1992) und ihre SchizoAnalyse, Jacques Lacans (1901–1981) Psychoanalyse, Michel Foucaults (1926–1984) Macht / Wissens-Analysen, Jean-François Lyotards (1924–1998) Analyse des postmodernen Wissens und von différends, Jean Baudrillards Simulationstheorie, die mit Jacques Derrida identifizierte Dekonstruktion, die von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelte dekonstruktive Theorie des Politischen wie auch der diskurstheoretische Feminismus von Judith Butler. Poststrukturalistische Konzepte werden für soziologische Theorien nicht zuletzt deshalb relevant, weil durch diese Konzepte die basalen Kategorien der Soziologie (wie z. B. Handlung, Subjekt, Struktur, Gesellschaft, Sozialstruktur / Semantik) in Frage gestellt werden. Alvin Gouldner (1974) hatte bereits Mitte der siebziger Jahre eine Krise der Soziologie festgestellt, da sie ihre einheitsverbürgenden Theorien aufgeben musste. Sowohl der Marxismus wie auch der Parsons’sche Funktionalismus wurden als gescheiterte Versuche betrachtet, der Soziologie eine fachuniversale Theorie anzubieten. Diese problematische Lage der Soziologie wird

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durch poststrukturalistische Perspektiven zugespitzt, da nun gut etablierte Kategorien, welche die Krise der siebziger Jahre noch unbeschadet überstanden hatten, ihre unangefochtene Stellung verlieren. Als weitsichtige Parasiten entziehen die poststrukturalistischen Interventionen ihrem Gastgeber aber nicht die Lebensgrundlage – denn dies würde die eigene Aktivität gefährden. Dennoch ist die zuweilen gespenstische Gegenwart dieses Parasiten nicht folgenlos für die Soziologie. An die Stelle eines stabilen, geschlossenen Gegenstandes wie Gesellschaft tritt nun eine Untersuchung des Scheiterns der Gegenstandskonstitution – ein Scheitern, das immer auch die Eröffnung neuer (Denk-)Möglichkeiten beinhaltet. Vielleicht könnte man also am ehesten von einer wahlverwandten theoretischen Geste der verschiedenen poststrukturalistischen Positionierungen sprechen; präziser, es geht um eine Doppel-Geste, die auf einen Sinnbruch verweist, ohne diesen Riss wieder in Sinn aufgehen zu lassen. Denn das Problem, das theoretisch und analytisch zu erfassen wäre und das – wie das abgeschnittene Ohr – keinen Sinn macht, besteht nicht zuletzt darin, etwas von dieser Irritation zu bewahren. Nur so kann es gelingen, Brüche und Risse nicht wieder in eine abgerundete, totalisierende theoretische Erzählung einzufügen. Diese Selbstreflexivität und das Wissen um das eigene Scheitern – muss doch jeder Theoretisierungsversuch gleichzeitig auch totalisierend vorgehen – macht poststrukturalistische Texte häufig so schwer lesbar, scheinen sie doch mit jeder ihrer Aussagen sich sogleich wieder das eigene Fundament zu entziehen. Es ginge also nicht einfach darum, eine soziologische Erzählung zu entwickeln, die erklärt, warum das abgeschnittene Ohr letztlich doch sinnvoll ist – indem z. B. eine Hintergrundgeschichte über einen Tathergang erzählt wird. Stattdessen versucht eine poststrukturalistische Strategie zwei Dinge zur gleichen Zeit: eine sinnvolle Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig eine Irritation zurücklässt. Ein derartiges Interesse an zusammenbrechenden Sinnstrukturen und am Un-Heimlichen erinnert an avantgardistische literarische und künstlerische Praktiken. Viele der poststrukturalistischen DenkerInnen sind denn auch maßgeblich durch künstlerische Avantgarden beeinflusst: Man denke etwa an die Bedeutung des Dadaismus für Jacques La-

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can, an Paul Valéry für Jacques Derrida oder an Lautréamont für Julia Kristeva. Es ist deshalb sicherlich kein Zufall, dass die verschiedenen Poststrukturalismen vornehmlich in literaturwissenschaftlichen Instituten rezipiert worden sind. Sie haben im anglo-amerikanischen Raum sogar zum neuen Genre der theory geführt (vgl. Culler 1988; Derrida 1997a). Theory ist nicht mehr disziplinär begrenzte Literaturtheorie, sondern sprengt die Grenzen der Literatur gerade durch ihr Interesse an grundlegenden Fragen des Scheiterns von Sinnprozessen und der Materialität von Sinn.2 Die Herausforderung der Poststrukturalismen an die Soziologie besteht darin, Mittel zu finden, um den Zusammenbruch von Sinn nicht als ausschließlich ästhetisches Phänomen oder philosophisches Problem zu konzipieren, sondern diese Figuren in einem soziologischen Kontext zu zitieren. Eine notwendige Voraussetzung für diese Verschiebung ist freilich, dass das Soziale ebenfalls als diskursives Verhältnis gedacht wird. Damit ist die konstitutive Rolle von Sinnprozessen für die Konstitution des Sozialen gemeint. Breite Strömungen der Soziologie, insbesondere die phänomenologische Soziologie, haben versucht, Gesellschaft als sinnhafte Konstruktion zu analysieren. Im Poststrukturalismus wird einerseits implizit an diese Traditionen angeschlossen, indem Gesellschaft als diskursives Phänomen analysiert wird. Andererseits werden aber gerade die Unmöglichkeit vollständigen Sinns, das Scheitern und Verzögern von Sinnprozessen wie auch vielfältige Dislokationen betont. Aus dieser Perspektive gibt es nicht die Gesellschaft als objektiven Gegenstand, sondern verschiedene prekäre Diskursivierungsweisen von Gesellschaft. Diskurstheorie erweist sich hier als eine konstruktivistische Theorie, die sich insbesondere für die umkämpfte Natur von diskursiven Konstruktionen interessiert. Mit der Feststellung, dass Gesellschaft immer diskursiv konstituiert ist, wird keineswegs behauptet, dass sie ein rein sprachliches Phänomen sei. Die Diskurstheorie benutzt die Analogie von Sprache, um aufzuzeigen, dass Gesellschaft wie sprachliche Diskurse über Differenzen strukturiert ist.3 Ich werde im zweiten Kapitel durch eine Auseinandersetzung mit Ferdinand de Saussure und Claude Lévi-Strauss den Differenzbegriff genauer bestimmen. Dennoch sei hier bereits auf die hervorragende Bedeutung des Differenzbegriffs für eine poststrukturalistische Soziologie hingewiesen. Gesell-

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schaft differenztheoretisch zu denken bedeutet zunächst, dass Gesellschaft nicht aus ›Letztelementen‹ wie z. B. Individuen oder auch einzelnen Handlungen besteht, die miteinander Verbindungen eingehen. Vielmehr entstehen die einzelnen ›Elemente‹ erst in einem Beziehungsgeflecht. Erst durch die Position in einem derartigen Gewebe, und somit durch die Abgrenzung von anderen Positionen, kommen ›Elemente‹ zustande. Wenn also kein Element aus sich heraus bestimmt werden kann, dann bekommt die Beziehung zu dem, was es nicht ist, eine zentrale Bedeutung. Ein konsequentes differenztheoretisches Vorgehen bedeutet, dass sich die einzelnen Differenzen letztlich nicht wiederum von einer bestimmten Identität oder einem Ursprung ableiten lassen, sondern sich durch ihre gegenseitigen Beziehungen bestimmen. Aus diesem Grunde verstehen sich viele poststrukturalistische Ansätze auch als post-foundationalist. Es gibt kein Fundament, aus dem gesellschaftliche Differenzen abgeleitet werden können – damit bezieht eine poststrukturalistische Soziologie eine klare Position gegen verschiedene gut etablierte soziologische Traditionen: Weder ein alles andere bestimmendes Verhältnis wie die Ökonomie im Marxismus oder ein zentrales Unterdrückungsverhältnis wie das Patriarchat, noch eine Perspektive gesellschaftlichen Fortschritts wie in Modernisierungstheorien können Gesellschaft fundieren. Stattdessen müssen in mühseligen und häufig heftig umkämpften Prozessen instabile Differenzbeziehungen durch sich selbst stabilisiert werden. Dies führt uns zu den Parallelen zwischen einer in erster Linie an künstlerischen Werken interessierten Analyse von Sinnprozessen und der Analyse sozialer Differenzen zurück. Beide sind mit Problemen des Scheiterns verhängt – wobei freilich ganz unterschiedliche Strategien des Umgangs mit dem Scheitern von Sinn zu beobachten sind. Genau an dieser Stelle findet sich der Ausgangspunkt für eine poststrukturalistisch informierte Soziologie: Welche Bedeutung haben Sinnbrüche für soziale Phänomene? Wie kann die Soziologie theoretisch mit dem umgehen, was ihre begrifflichen Schemata durcheinander zu bringen droht? Und wie kann sie sich für die anfangs erwähnte Doppel-Geste öffnen und ein selbstreflexives Schreiben entwickeln, das den Zusammenbruch der Allgegenwart von Sinn sowohl analysieren wie auch in der Analyse bewahren könnte?4 Gerade der

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letzte Punkt stellt für soziologisches Arbeiten ein unlösbares Problem dar. Auch dieser Einführungstext ist damit konfrontiert, versucht er doch möglichst geordnet in das einzuführen, was »ein Element der Störung, der Unordnung oder des irreduziblen Durcheinanders [. . .], das heißt ein Prinzip der Dislozierung« (Derrida 1997: 43) in die Soziologie trägt. Poststrukturalistische Ansätze lassen sich zudem nicht einfach auf die Soziologie anwenden – das »Prinzip der Dislozierung« muss von der Soziologie selbst stammen. Das Interesse an ›Unordnung‹ und ›Dislokation‹ wird häufig mit dem Stichwort ›Postmoderne‹ verbunden. Ich spreche hier allerdings bewusst von ›poststrukturalistischen Soziologien‹ und nicht von einer ›postmodernen Soziologie‹ oder einer ›Soziologie der Postmoderne‹.5 Denn im Folgenden geht es nicht darum, eine neue Epoche oder Gesellschaftsformation zu beschreiben, welche die Moderne ablöst, und Entwürfe einer entsprechenden Soziologie vorzustellen. Nicht eine historische Linie der Abfolge von Gesellschaftsformationen interessiert uns hier, sondern die theoretische Unordnung, welche durch im weitesten Sinne poststrukturalistische Ansätze angerichtet wird. Gerade diese systematische Unordnung, die keinesfalls mit einem beliebigen anything goes zu verwechseln ist, verunmöglicht die handliche Kategorisierung von (Welt-)Gesellschaften in eine moderne oder postmoderne, globalisierte Epoche. Dem ›soziologistischen Missverständnis‹ der Postmodernedebatte möchte diese Einführung entgehen, indem sie sich nur insoweit für die Postmoderne interessiert, als diese ein Redigieren des modernen Denkens ist (vgl. Lyotard 1994) – ein Redigieren, das an die Traumarbeit gemahnt, indem es in »gleichschwebender Aufmerksamkeit« sich selbstreflexiv der Moderne zuwendet. Dies geschieht durch einen Prozess der Durcharbeitung, der »das bedenkt, was uns vom Ereignis und seinem Sinn konstitutiv verborgen ist« (ebd.: 206). ›Poststrukturalistische Soziologien‹ verzichten also auf die Frage nach epochalen Umbrüchen der Moderne zur Postmoderne, weil sie das Vertrauen in totalisierende Begriffe verloren haben. Sie verabschieden sich damit aber nicht einfach von Totalitätskategorien und anderen wichtigen Begriffen der Soziologie, sondern unterminieren Kernannahmen der Soziologie, um die dekonstruierten Begriffe weiter verwenden zu können. Dies geschieht nicht mit dem Ziel der De-

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struktion der Soziologie, sondern als Dekonstruktion, d. h. als Ineinander von Subversion und Theoriebildung, und als Genealogie, d. h. als Untersuchung der Kontingenz von sozialen Verhältnissen und der damit verbundenen Machtkämpfe. In diesem Sinne lassen die hier vorgestellten Denkhaltungen die modernen Sozialtheorien nicht hinter sich zurück,6 sondern schreiben sie fort, indem sie diese umschreiben. Gegenüber einer solchen ›Umschrift‹ hat sich die Soziologie bisher als sehr resistent erwiesen. Der Triumphzug des Dekonstruktivismus durch die literaturwissenschaftlichen Institute in den USA und Großbritannien hat die Soziologie bestenfalls gestreift, keineswegs aber zur Etablierung einer dekonstruktiven oder diskurstheoretischen Soziologie als dominantes Paradigma geführt. Ein Grund dafür liegt sicherlich in der häufigen Identifizierung des Poststrukturalismus mit in erster Linie ästhetischen Praktiken und seiner Gleichsetzung mit der Analyse von Texten. Während der literaturwissenschaftliche Poststrukturalismus an ästhetische Avantgarden und Formexperimente anschließen konnte, konstituierte sich die Soziologie innerhalb melioristischer und emanzipatorischer Gesellschaftsprojekte. Die Soziologie als moderne Wissenschaft beruht auf einem Fortschrittsglauben, der soziologisches Wissen v. a. hinsichtlich seiner Verwertbarkeit für Planungs- und Kontrollprozesse oder der Konstitution politischer Handlungsfähigkeit behandelte. Auf theoretischer Ebene offenbart sich dieser Fortschrittsglaube v. a. in Modernisierungs-, Differenzierungs- und Rationalisierungstheorien. Ein gutes Beispiel ist dafür Jürgen Habermas’ (1981) Projekt einer Kritischen Theorie der Moderne, die davon ausgeht, dass einmal erreichte Rationalitätssteigerungen nicht mehr unterschritten werden können (Sperrklinkeneffekt). Nicht das selbstreferentielle Spiel mit Formen ist Gegenstand der klassischen Sozialtheorien, sondern die Aufarbeitung, Katalogisierung und Erklärung dessen, was durch die Veränderungen der Modernisierung nach neuen Kategorien sucht (vgl. Friese / Wagner 1999). Die Soziologie konstituiert Gesellschaft als einen Gegenstand, dessen Geschichtlichkeit meist anhand der erwähnten Fortschritts- und zuweilen auch Verfallsnarrative erfasst wird. Zu analysieren sind entsprechend Probleme, die sich aus diesen Prozessen ergeben. Damit dies auf genuin soziologische Weise geschehen kann, entwirft die Soziologie

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scharfe Abgrenzungen zu anderen Sozial- und Kulturwissenschaften. Soziales darf nicht auf Psychisches zurückgeführt werden, es lässt sich nicht mit Texten gleichsetzen und kann auch nicht auf die Kosten-Nutzen-Kalküle des homo oeconomicus reduziert werden. Die Soziologie ist seit ihrer ›Gründung‹ damit beschäftigt, diese Grenzziehung aufrechtzuerhalten. Man könnte mit anderen Worten sagen, dass die Soziologie letztlich auf der Instituierung und Auflösung ihrer eigenen Tautologie, Soziales nur aus Sozialem zu erklären, beruht.7 Tautologien dienen zum einen als Schließungsbewegungen, um Fachidentität herzustellen: Soziologie ist das, was SoziologInnen tun; oder kurz: Die Soziologie ist die Soziologie. Gleichzeitig aber sind Tautologien von einer paradoxalen Struktur (Luhmann 1992: 491): Eine Unterscheidung wird getroffen, ohne dass die beiden Seiten der Unterscheidung sich voneinander unterscheiden. Die tautologische Selbstbegründung der Soziologie verweist wiederum auf den post-foundationalism eines differenztheoretischen Ansatzes, lautete doch die differenztheoretische These, dass Differenzen nicht von einer tieferliegenden Identität abgeleitet werden können. Mit diesem Mangel einer unabhängigen Fundierung gehen verschiedene theoretische Entparadoxierungsstrategien einher – zu den wichtigsten gehört die Objektivierung des wissenschaftlichen Gegenstandes, so dass dessen Konstruiertheit aus dem Auge gerät. Im Gegensatz zu dieser Strategie lässt sich aber auch die Paradoxie, dass Soziologie sich immer auf sich selbst beziehen muss, als Paradoxie konzeptualisieren. An dieser Stelle lässt sich – wenn auch nur sehr formal – der Einsatzpunkt des Gespenstes einer ›poststrukturalistischen Soziologie‹ recht genau benennen: Immer an jenen Orten, wo die paradoxale Struktur eines Schließungsversuchs offensichtlich wird, zeigt sich etwas, das herkömmlichen Begriffen entgleitet. ›Poststrukturalistische Soziologien‹ lassen sich am besten als theoretische Interventionsweisen beschreiben, die sich in den Paradoxien und Tautologien der Soziologie einnisten. Die konstitutive Paradoxie der Soziologie ist immer schon eine doppelte: zum einen die tautologische Grundlegung des Faches selbst, zum anderen aber die unlösbare Frage nach der Genese oder der Konstitution des Sozialen. Die meisten Soziologien setzen ihren Gegenstand

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als soziale Totalität oder soziale Struktur voraus: Dies ist z. B. die klassische Ausgangsbewegung des Strukturfunktionalismus und des Strukturalismus – ein Gestus, der allerdings von avancierten Positionen innerhalb der Soziologie zunehmend angegriffen wird (vgl. z. B. Niklas Luhmanns [1927–1998] Systemtheorie und die Ethnomethodologie). Mit der Setzung des Gegenstandes geht oft dessen repräsentationale Konstruktion einher, was zu seiner Stabilisierung führt. Die soziologische Repräsentation der Gesellschaft oder von sozialen Problemen versucht, eine objektive Tatsache möglichst adäquat abzubilden. Repräsentation meint hier also die Annahme, dass sich die Darstellung von Gesellschaft vom Gegenstand der Gesellschaft ableiten lässt und diesen – auf welch verzerrte Weise auch immer – widerspiegelt. Zwar verstehen sich heute weite Teile der Sozialtheorie als konstruktivistisch und vermeiden so eine objektivistische Konzeption von Gesellschaft. Dennoch sind diese Konstruktionen in sich häufig gemäß repräsentationalen Mustern gebaut. Man denke hier nur an die Unterscheidung von Basis und Überbau, dem Sozialen und der Kultur oder von Gesellschaftsstruktur und Semantik. Stets wird angenommen, dass der nachgeordnete Begriff etwas ausdrückt und repräsentiert, was nicht zu ihm selbst gehört, sondern das Wesen des ersten Begriffs ausdrückt: Sei es, dass sich die ökonomische Struktur einer Gesellschaft an ihren kulturellen Produkten entziffern lässt oder eine soziale Identität sich in ihren Ausdrucksformen wiederfindet (indem man etwa vom ›schwarzen Film‹ oder einem ›weiblichen Schreiben‹ spricht). Eine repräsentationale Gegenstandskonstitution benutzt Figuren der Kausalität und Ableitungsverhältnisse, um ihren Gegenstand letztlich hierarchisch zu strukturieren. So soll die konstitutive Paradoxie der Soziologie, dass sie den Gegenstand, den sie repräsentieren möchte, selbst setzen muss, entschärft werden. Poststrukturalistische Soziologien versuchen, auf ein solches repräsentationales Denken zu verzichten, um die rhetorischen Konstitutionsbedingungen des Sozialen – und damit auch des Schreibens über das Soziale – untersuchen zu können. Als Vorbild kann hier die Studie von Hayden White (1991) zur Rhetorik universalhistorischer Diskurse dienen, welche diese nicht so sehr auf ihre ›inhaltlichen‹ Aspekte hin liest, sondern deren rhetorische Figuren in den Vordergrund

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stellt. Das Interesse an Rhetorizität ist also zum einen ein Interesse an der Funktionsweise des soziologischen Diskurses selbst.8 Die oben erwähnte repräsentationale Struktur vieler soziologischer Gesellschaftsbegriffe wurde aus einer solchen Sichtweise zu einem rhetorischen Effekt. In einer konsequent selbstreflexiven Wendung gerät hier nicht nur die Problematisierung und Relativierung der eigenen Beobachterperspektive in den Vordergrund (wie z. B. in Luhmanns Systemtheorie), sondern gerade auch die Medialität soziologischen Schreibens (vgl. z. B. Game / Metcalfe 1996). Dies hat in der gegenwärtigen Wissenssoziologie zu neuen Formen der Darstellung soziologischen Wissens geführt, indem narrative und fiktive Mittel eingesetzt werden, um so einen selbstreflexiven Umgang mit dem eigenen Schreiben zu ermöglichen. Ähnliche Verfahrensweisen finden sich auch in der Actor-Network-Theory, die mit Vorliebe ihre Netzwerkanalysen in die Form kleiner Geschichten kleidet, um so die Position des soziologischen Autors zu relativieren.9 Nur so kann die Soziologie die Gewalt der von ihr erzählten Geschichten reflektieren: »Sociology, we might say, has yet to discover its theatre of cruelty in the way that some of the other disciplines that we mention have« (Hetherington / Law 1998). Die Krise der Repräsentation bedeutet aber nicht nur, dass die Soziologie zu einem Gegenstand wird, der sich nur unter Mithilfe rhetorischer Verfahrensweisen analysieren lässt, sondern verweist gleichzeitig darauf, dass das Soziale selbst hinsichtlich seiner Rhetorizität zu analysieren ist (vgl. Brown 1987). Wie noch aufzuzeigen sein wird, bedeutet die Unmöglichkeit einer reinen Repräsentation keineswegs, dass überhaupt keine Repräsentation möglich ist. Was sich verändert, ist der Status von Repräsentation: Repräsentation ist nun nicht mehr der passive Ausdruck von etwas, das bereits besteht, sondern wird selbst zu einer sozialen Praktik, die an der Herstellung des von ihr Repräsentierten mitbeteiligt ist. Dieses Forschungsprogramm schließt an die zu Beginn erwähnten diskurstheoretischen Ansätze an, indem es diskursive Techniken mit Hilfe rhetorischer Begriffe analysiert. Ein poststrukturalistisches soziologisches Denken verabschiedet sich von objektivistischen Denkweisen: Soziale Tatsachen und Probleme werden nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern hinsichtlich ihrer rhetorischen und diskursi-

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ven Konstitutionsweise untersucht. Damit wird nicht einfach der Diskurs oder die Kultur zu einer stärker zu berücksichtigenden Dimension des Sozialen, sondern mit der Prominenz dieser Begrifflichkeiten ist gleichzeitig das Problem der Grundlosigkeit des Sozialen impliziert. Möchte man die Herausforderung poststrukturalistischen Denkens an die Soziologie zusammenfassen, dann findet man diese in einer Haltung, die Grundlosigkeit von Differenz auszuhalten. Poststrukturalistische Soziologien finden einen ihrer Abgrenzungspunkte in einem starren und allumfassenden Strukturbegriff, der keinen Raum für Abweichungen, Verschiebungen und Brüche lässt. Um diese Abgrenzung zu verdeutlichen, wird zunächst eine kurze Übersicht über den ›Strukturalismus‹ gegeben, der das Terrain für die Entstehung von ›Poststrukturalismen‹ vorbereitet hat. Behandelt werden dabei v. a. Ferdinand de Saussure (1857–1913), der Genfer Begründer der strukturalistischen Linguistik, sowie der Anthropologe Claude Lévi-Strauss, der die sprachwissenschaftlichen strukturalistischen Methoden für die Anthropologie fruchtbar gemacht hat. ›Poststrukturalistisch‹ bedeutet nicht einfach, dass hier ein weiterer Theoriefortschritt nach dem Strukturalismus zu beobachten ist; auch handelt es sich nicht um eine bloße Neuauflage des Strukturalismus (wie z. B. das Wort ›Neostrukturalismus‹ suggeriert), sondern um eine Implosion des Strukturalismus, um ein Durcharbeiten des Strukturalismus, das mit und gegen den Strukturalismus dessen ›Struktur‹ verändert (Kapitel 2). Daran anschließend möchte ich versuchen, einige dieser parasitären Interventionsstrategien darzustellen und aufzuzeigen, was das Aufkommen dieser Strategien für die soziologische Theorie bedeuten könnte. Es geht nicht darum, eine ›poststrukturalistische Soziologie‹ zu entwerfen, sondern poststrukturalistische Perspektiven auf das Soziale zu verdeutlichen. Eine ›poststrukturalistische Soziologie‹ entzieht sich nicht zuletzt deshalb einer einführenden Darstellung, weil es sie als solche nicht gibt – und als einheitliches Theoriegebäude auch nicht geben kann. Exemplarisch werden stattdessen zwei unterschiedliche Formen der Konstitution des Sozialen und der Gesellschaft diskutiert. Die Gesellschaft und / oder das Soziale als Gegenstand der Soziologie werden aus beiden Perspektiven zu höchst problematischen Begriffen, da sie eine Totalität implizieren, die einem Den-

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ken der Differenz entgegensteht. Inwiefern, so stellt sich die Ausgangsfrage, ist Soziologie noch möglich, wenn wir von einer »Unmöglichkeit der Gesellschaft« (Laclau 1990) ausgehen (Kapitel 3)? Neben die Dekonstruktion des Gesellschaftsbegriffs tritt der Verlust großer soziologischer historischer Erzählungen (z. B. Rationalisierung, Modernisierung, Ausdifferenzierung). Lyotards Kritik moderner Meta-Narrative und Foucaults Genealogie werden kurz skizziert, um aufzuzeigen, wie sich der Blick auf das Soziale durch den Verzicht auf lineare Fortschrittsnarrative verändert (Kapitel 4). Mit dem Zusammenbrechen der großen soziologischen Leiterzählungen verändert sich auch die damit verbundene Subjektkonzeption. Aus poststrukturalistischer Perspektive verlieren Einheitsgaranten wie das Proletariat im Marxismus, aber auch der frei handelnde Akteur oder das selbstreflexive Subjekt ihren gesicherten Status. Der für die soziologische Theorie zentrale Dualismus von Struktur / Handlung (agency) wird nun ersetzt durch ein Interesse an Subjektivierungstechniken, heterogenen Subjektivitäten und das Fehlschlagen von Identifikationsprozessen (Kapitel 5). Da es keine poststrukturalistische Soziologie gibt, sondern diese gemäß einer ›spektralen Logik‹ – d. h. einer Logik des Gespenstes (spectres) im Sinne einer unentscheidbaren Zwischenposition (vgl. Derrida 1996) – in der Soziologie spukt, soll im letzten Teil eine Landkarte dieses Spuks entworfen werden. Wo zeigt sich die Soziologie für das Gespenst des Poststrukturalismus empfänglich (Kapitel 6)?

Die Einheit der Struktur und ihre Dezentrierung Verschiedene Formen des Strukturalismus haben das theoretische Terrain konfiguriert, auf dem sich der Poststrukturalismus entfalten konnte. Ihnen gemeinsam ist die Faszination durch einen universalistischen und rationalen theoretischen Ansatz, der in sich über Differenzen organisiert ist, aber dennoch wiederum in Identitätsbegriffen verankert ist. Es ist genau diese Gleichzeitigkeit von Identitäts- und Differenzdenken, welche den Strukturalismus zu einem so fruchtbaren Feld für die Interventionen der Dekonstruktion, aber auch von Foucaults Diskursanalytik macht. Da die Struktur des Strukturalismus in de Saussures Linguistik am

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deutlichsten sichtbar wird, sollen einige seiner Begriffe eingeführt werden, welche auch für andere Disziplinen wichtig geworden sind. Obwohl der Strukturalismus über disziplinäre Wurzeln in der Linguistik verfügt, ist es gerade die Verallgemeinerbarkeit eines relationalen Sprachmodells, die ihn zum Vorreiter einer transdisziplinären Perspektive macht. An die Darstellung von de Saussures Linguistik schließt eine sehr selektive Diskussion des Anthropologen Claude LéviStrauss an. Diese interessiert sich bereits für jene Elemente, die für die poststrukturalistische De-Zentrierung des Strukturbegriffs wichtig werden.

De Saussures zeichentheoretisches Modell Das Modell strukturalistischen Denkens wird in der Linguistik von Ferdinand de Saussure besonders deutlich. Seine posthum veröffentlichten Vorlesungsmitschriften (1905–1910) Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (de Saussure 1967) avancierten in den sechziger Jahren zum ›Gründungstext‹ für ein neues differenztheoretisches Denken. Auch wenn es sich hierbei um einen sprachwissenschaftlichen Text handelt, ist er durch seinen Modellcharakter für eine neue Sichtweise nicht nur der Sprache, sondern auch von Kultur und Gesellschaft für das soziologische Denken höchst bedeutsam. Worin besteht nun die paradigmatische Bedeutung von de Saussure? Mit de Saussure wird Sprache nicht mehr als Abbildung einer bereits bestehenden Wirklichkeit gedacht, sondern die Arbitrarität von Zeichen hervorgehoben. Zeichen bestehen aus einem Signifikat (dem Bedeuteten) und einem Signifikanten (dem Bedeutenden). Letzteres ist z. B. das gesprochene oder geschriebene Wort ›Frau‹, das auf das Konzept ›Frau‹ verweist. De Saussure stellt nun die These auf, dass kein notwendiger Zusammenhang zwischen Signifikat und Signifikant besteht, vielmehr handelt es sich stets um eine arbiträre (beliebige) Beziehung. Das geschriebene oder gesprochene Wort ›Frau‹ könnte sich, betrachtet man es isoliert, ebenso auf das Konzept ›Mann‹ beziehen. Arbitrarität heißt nun aber keineswegs, dass jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft einen Signifikanten beliebig interpretieren kann: Wenn nicht mehr feststeht, mit welcher Bedeu-

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tung das rote Ampellicht verbunden ist, dann ist ein entsprechendes Verkehrschaos leicht vorstellbar. Arbitrarität besagt hier nur, dass mit der roten Farbe des Ampellichts das Konzept ›Anhalten‹ vorgegeben ist. Damit es diese spezifische Bedeutung erhält, bedarf es gesellschaftlicher Konventionen. Zeichensysteme, seien sie sprachlicher oder nichtsprachlicher Art, sind deshalb stets soziale Gebilde, die den Zeichengebrauch regulieren.10 Die Pointe von de Saussures Argumentation besteht darin, nicht die Bedeutung eines isolierten, einzelnen Zeichens festzulegen, sondern Zeichen immer innerhalb von Zeichensystemen zu konzipieren. Dieser relationale Ansatz erklärt das Sprachsystem (langue) nicht aus den Eigenschaften der einzelnen Elemente, sondern aus den Beziehungen zwischen einzelnen Elementen. De Saussure (1967: 105) vergleicht die Sprache mit einem Schachspiel: »Der Wert der einzelnen Figur hängt von ihrer jeweiligen Stellung auf dem Schachbrett ab, ebenso wie in der Sprache jedes Glied seinen Wert durch sein Stellungsverhältnis zu anderen Gliedern hat.« Es kommt nicht auf die besondere Beschaffenheit der einzelnen Figur an (z. B. Holz oder Elfenbein), sondern nur auf ihre Position innerhalb eines Differenzsystems.11 Damit benennt de Saussure einen wichtigen Grundgedanken des strukturalistischen Denkens: Es geht nicht um die partikulare Besonderheit eines Analysegegenstandes, sondern um dessen Stellung innerhalb eines umfassenden Systems. Wie die Position ausgefüllt wird, spielt dabei eine untergeordnete Rolle – genauso wenig wie sich z. B. die strukturalistische Soziologie dafür interessiert, wer auf welche Weise seine Rollenerwartungen erfüllt. Diese Struktur beruht auf einem vorgegebenen, kontinuierlichen Raum und stabilen, konstanten Spielregeln, welche die möglichen Spielzüge vorschreiben. Die ›Freiheit‹ des Spielers besteht in der Kombination unterschiedlicher möglicher Spielzüge, nicht aber in der Veränderung und Neu-Interpretation der Spielregeln. Diese Logik lässt sich, wie viele NachfolgerInnen von de Saussure aus ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen gezeigt haben, mit großem Gewinn auf völlig unterschiedliche soziale Phänomene beziehen: seien es z. B. Verwandtschaftssysteme und Mythen (Claude Lévi-Strauss) oder die Werbung und die Mode (Roland Barthes).12 Um überhaupt von einem Sprachsystem sprechen zu

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können, musste de Saussure eine weitere wichtige Unterscheidung treffen. Denn nicht die unübersichtliche Vielfalt von alltäglichen Sprachverwendungen, d. h. des Sprechens (parole), verfügt über den Status eines Systems, sondern nur die vom konkreten Sprechen zu abstrahierende langue. Hiermit taucht in de Saussures Strukturalismus ein Problem auf, das auch weite Teile der soziologischen Theorie bis zum heutigen Tag interessiert: Wie kann das Verhältnis von System (oder Struktur) und individuellem Handeln gedacht werden? De Saussures Interesse gilt dem Regelsystem der langue, der Sprache also, die unabhängig vom einzelnen Individuum ist. Zwar benutzen die einzelnen Mitglieder die Sprache, aber sie können sie nicht nach ihrem Belieben verändern. Auch de Saussure geht nicht davon aus, dass die Sprache unveränderlich sei, aber diese Veränderungen können nicht auf die Intentionen von einzelnen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft zurückgeführt werden. Mit de Saussures strukturalistischer Linguistik wurden zusammenfassend drei wichtige Grundprinzipien etabliert, welche die verschiedenen Poststrukturalismen immer wieder beschäftigen werden: Erstens wird Sprache als ein Differenzsystem definiert, in dem die einzelnen Elemente erst durch ihre Stellung im Beziehungsgeflecht ihre Bedeutung erhalten. Damit ist eine Position gegen die Verabsolutierung von Einzelelementen gewonnen. Sozialtheoretisch gewendet bedeutet dies, dass Gesellschaft nicht aus Elementen wie Individuen besteht und auch nicht aus einzelnen Handlungen, sondern aus Relationsgefügen, die sich über gegenseitige Differenz bestimmen. Zweitens kann zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat keine notwendige Beziehung hergestellt werden, vielmehr ist diese grundsätzlich arbiträr. Auch diese Position finden wir in sozialtheoretischen Entwürfen unter dem Etikett des Konstruktivismus wieder, der ebenfalls davon ausgeht, dass soziale Konstruktionen nicht durch eine gegebene ›objektive‹ Wirklichkeit (wie z. B. das biologische Geschlecht) vorgegeben sind. Drittens wird strikt zwischen der Sprache als System (langue) und der individuellen Sprachverwendung unterschieden (parole). Forschungsziel ist dabei die Analyse der abstrakten Regelstrukturen der langue; die einzelnen Sprechakte der parole sind nur insofern von Interesse, als dass durch diese tieferliegende Regeln abgeleitet werden können. Dieses Problem taucht

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als der Dualismus von Struktur und Handlung im sozialtheoretischen Denken auf (vgl. hier S. 58ff.)

Der anthropologische Strukturalismus von Lévi-Strauss: Strukturen und Nullwert Die einflussreichste Ausweitung von de Saussures Linguistik auf das Feld des Sozialen stammt von dem französischen Anthropologen Claude Lévi-Strauss. Lévi-Strauss’ umfangreiche Feldforschungen etwa im brasilianischen Regenwald oder in Australien beschäftigen sich mit Verwandtschaftssystemen, Mythen und dem Totemismus. Seine Arbeiten nehmen für die Fragestellung der Verbindung von ›Poststrukturalismus‹ und ›Soziologie‹ eine zentrale Position ein. Zum einen kann Lévi-Strauss als eine Auseinandersetzung mit der DurkheimSchule gelesen werden (vgl. Badcock 1975) und steht somit in der Traditionslinie eines der wichtigsten soziologischen Klassikers, zum anderen kündigen aber gerade auch LéviStrauss’ Arbeiten eine Weiterführung des Strukturalismus an. Statt hier eine Übersicht über das Werk Lévi-Strauss’ zu geben, sei nur ein Moment hervorgehoben, das für die Erschütterung des Strukturbegriffs wichtig werden wird. Ausgangspunkt von Lévi-Strauss’ Strukturbegriff ist de Saussures Einsicht, dass Systeme nicht aus isolierbaren Elementen bestehen, sondern in erster Linie aus Beziehungen. Nicht die Identität einzelner Elemente interessiert, sondern die Differenz zwischen ihnen, welche es erst ermöglicht, dass eine Identität entsteht. Lévi-Strauss (1981) entwirft auf der Grundlage umfassender empirischer Forschung basale Regeln, die das System der Verwandtschaftsbeziehungen regulieren. Zentraler Code dieses Systems ist die Unterscheidung zwischen möglichen Gatten und verbotenen Gatten. Die Relationen zwischen verschiedenen Verwandtschaftspositionen werden als Tauschvorgänge gefasst. Entsprechend schreiben diese Regeln vor, wer mit wem was austauschen darf. Am bedeutendsten ist hier das Inzesttabu, das kategorisch ausschließt, dass die Tochter innerhalb der eigenen Familie getauscht werden kann. Dadurch werden Allianzen mit anderen Familien möglich – das Inzesttabu ist somit gesellschaftskonstituierend und nimmt eine fundierende Rolle im Verwandtschaftssystem ein.

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Wie aber soll nun der Tausch, welcher als grundlegendes Element des Sozialen verstanden wird, konzipiert werden? Lévi-Strauss (1973: 693) kritisiert Marcel Mauss’ (1872–1950) Versuch, den Tausch in Einzelelemente – Geben, Empfangen, Wiedergeben – zu zerlegen, da man so die Struktur des Tausches aus dem Auge verlöre. Was verbindet die drei Elemente des Tausches? Nach Lévi-Strauss besteht das Problem darin, dass die Einheit des Tauschaktes nicht dadurch gedacht werden kann, dass man diese drei Elemente bloß zusammenfügt. Stattdessen ist es notwendig, das zu theoretisieren, was im Tausch zirkuliert und den Tausch als einheitlichen Vorgang erst möglich macht. Bedeutsam werden hier Worte wie das lateinamerikanische mana, eine eigentümliche, gefährliche Substanz, welche Objekte umhüllt, die aber letztlich nicht definierbar ist. Für Lévi-Strauss zeigt sich hier eine universale Invariante – ein Begriff, der selbst über keine feste Bedeutung verfügt. Ähnliche Worte finden sich auch in der europäischen Gegenwartskultur – man denke an das französische truc oder an das deutsche Dings oder das amerikanische oomph: Immer wird ein Wort verwendet, um etwas zu bezeichnen, für das die Worte gerade fehlen. In fast mathematischer Weise beschreibt Lévi-Strauss die theoretische Funktion dieser Ausdrücke: »Immer und überall jedoch treten Begriffe dieses Typs ein, um nahezu wie algebraische Symbole einen unbestimmten Signifikationswert zu repräsentieren, der in sich selber sinnleer und deswegen geeignet ist, jeden beliebigen Sinn anzunehmen – mit der einzigen Funktion, eine Kluft zwischen Signifikant und Signifikat zu schließen« (1950: XLIV; Übers. U. S.). Mana als ein flottierender Signifikant verweist darauf, dass jeder Tauschvorgang und jede Bedeutung eines Zeichens auf der Voraussetzung eines Nullwertes beruht, auf etwas, das nicht einfach ein Einzelelement ist, sondern als notwendige Voraussetzung erst Einzelelemente möglich macht. Im Tausch zirkuliert mit dem flottierenden Signifikanten nicht nur ein beliebiges Einzelteil, das noch nicht bestimmt ist, sondern es wird so der Horizont aufgespannt, in dem erst Tauschakte stattfinden können. In diesem Sinne sind die flottierenden Signifikanten ein ›Reflex der Totalität‹ des Tausches, der dessen drei Elemente miteinander verbindet und zu einer Einheit verschmilzt. Solche Nullwerte erst machen den Tausch als einheitliche Struktur

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möglich, unterscheiden sich aber gleichzeitig wesentlich von anderen strukturellen Elementen, da sie einer anderen logischen Ordnung angehören. Sie lassen sich nicht an einer bestimmten Position der Struktur verorten, sondern zirkulieren durch diese, halten sie in Bewegung und fügen sie so erst zu einer Totalität zusammen. So wird der Strukturalismus nicht zuletzt über ein eigenartiges Element definiert, das in sein rationalistisches Herz eine Spur von Un-Sinn einlässt: »Kein Strukturalismus ohne diesen Nullpunkt« (Deleuze 1992: 45). Lévi-Strauss macht deutlich, dass es sich hier auch um eine zentrale soziologische Problemstellung handelt: »Dieses Problem besteht in dem Vorhandensein von Institutionen ohne allen Sinn, es sei denn den, der Gesellschaft, die sie besitzt, einen zu geben« (1967: 177). Mit anderen Worten: Eine Gesellschaft kann sich nur als Ganze beobachten, wenn sie einen Nullwert wie das Mana oder eine sinnlose Institution voraussetzt, von der aus sie sich als Ganzheit konstituiert.13

Die Dekonstruktion der Struktur Die These des Nullwertes14 ist Ausgangspunkt für Jacques Derridas (1972) dekonstruktive Lektüre von Lévi-Strauss. Derridas Bedeutung liegt in unserem Zusammenhang in der Etablierung einer dekonstruktiven Lektürestrategie, die sich für die Instabilität und das Scheitern von Unterscheidungen interessiert. Derridas Lektüren der Klassiker modernen Denkens (etwa von Husserl, Hegel, Heidegger oder Rousseau) sind nie einfach Destruktionen oder Umkehrungen, sondern vielmehr Versuche, deren notwendige Paradoxien herauszustellen. Dies geschieht nicht zum Selbstzweck, sondern um den Text zu öffnen und sichtbar zu machen, auf welchen ethisch-politischen Entscheidungen eine bestimmte Textstruktur beruht.15 Denn gerade dann, wenn die Struktur eines Textes nicht einer Notwendigkeit entspringt, werden jene Momente wichtig, in denen der Text auch eine andere Wendung hätte nehmen können. Diese Lektürestrategie findet sich auch in Derridas Dekonstruktion von Lévi-Strauss, die den Nullpunkt als ihren Ausgangspunkt nimmt. Für Lévi-Strauss besetzt der Nullwert eine in erster Linie ermöglichende und totalisierende

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Funktion: Durch ihn kann eine Institution oder die Gesellschaft sich als Ganze konstituieren. Letztlich wird so eine Struktur jedoch als ein stabiles Gleichgewichtssystem gedacht, das durch den Nullwert eine Grundlage erhält, die nicht markiert wird, von der aber alle Bedeutungen im System abhängen. Die dekonstruktive Intervention Derridas besteht nun darin aufzuzeigen, auf welchen prekären Bedingungen eine solche Struktur aufruht. Der Nullwert bedeutet für Derrida, dass der Struktur ein Zentrum fehlt, welches das Spiel der Differenzen kontrollieren könnte: »[D]ieses Feld ist in der Tat das eines Spiels, das heißt unendlicher Substitutionen in der Abgeschlossenheit (clôture) eines begrenzten Ganzen.« Jede Besetzung des leeren Zentrums »bleibt flottierend, weil sie die Funktion der Stellvertretung, der Supplementierung eines Mangels auf seiten des Signifikats erfüllt« (Derrida 1972: 437). Religiöse Strukturen lassen sich z. B. nicht mehr durch den Bezug auf Gott schließen oder politische Strukturen durch die Begründung im Willen des Königs. Diese Letztgaranten sind in die Krise geraten und geben Aussicht auf das Modell einer dezentrierten Struktur. Die theoretische Bedeutung von Mana sieht Derrida darin, dass sie einen Überschuss von Signifikanten und ihr Spiel bezeichnet – einen Überschuss, der dadurch entsteht, dass das Zentrum der Struktur nicht mehr besetzt werden kann. Eine dekonstruktive Lektüre liest somit dieses Nicht-Fassbare, das mit Mana umschrieben worden ist, auf ganz andere Weise. Es verweist auf die Gestalt einer zentrumslosen Struktur, die sich »in der Gestalt der Nicht-Gestalt, in der unförmigen, stummen, embryonalen und schreckenerregenden Form der Monstrosität« ankündigt (ebd.: 442). Eine Dekonstruktion entspricht also keineswegs der Zerstörung des Lévi-Strauss’schen Strukturalismus, sondern wird zur Radikalisierung des Null-Wertes oder des flottierenden Signifikanten – eine Radikalisierung, die es ausschließt, von geschlossenen, stabilen Totalitäten auszugehen. Der Nullwert verliert damit nicht seine ermöglichende Funktion, er nimmt nun aber gleichzeitig eine verunmöglichende Rolle ein. Auch für Derrida gibt es noch Systeme, ihr Funktionieren wird aber immer wieder durch eine Selbst-Kontamination unterbrochen. Nur eine Struktur oder ein System ohne Außen könnte diesem Zwang zum Scheitern entgehen. Gerade ein derartiger Systembegriff ist aber

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aus dekonstruktiver Perspektive unmöglich, da selbst Versuche, ein solch totales System zu etablieren, sich stets von einem Anderen abgrenzen müssen. Es ist diese Spur des Anderen – die Spur von etwas, das sich nicht der Logik des Systems unterordnen lässt, aber dennoch an den Rändern des Systems auftaucht – welche die alten Totalitätsbegriffe scheitern lässt.16 Mit dem Begriff des Spiels deutet Derrida an, dass ein dekonstruierter Strukturbegriff keineswegs statisch ist, sondern unendlichen Austauschverhältnissen Platz macht. Im Gegensatz zum beschränkten Spiel, das im Strukturalismus denkbar ist, verfügt eine dekonstruierte Struktur über kein Fundament, das dem Spiel der Differenzen enthoben wäre. Der Spielbegriff verweist bereits auf einen Gedanken, der für Derridas weitere Arbeiten und deren sozialtheoretische Weiterentwicklung wichtig werden wird. Wenn eine Struktur nicht mehr stabil gegeben ist, dann bedarf diese Struktur einer ständigen Wiederholung. Gleichzeitig gibt es aber keinen Garanten mehr (wie das abhanden gekommene Zentrum), das eine völlig identische Wiederholung erlauben würde. Derrida entwickelt den Begriff der Iterabilität, um eine Wiederholung denken zu können, die das Wiederholte nicht intakt lässt, sondern dieses stets auch verändert: »[I]ter, ›von neuem‹, kommt von itara, anders im Sanskrit, und alles Folgende kann als die Ausbeutung jener Logik gelesen werden, welche die Wiederholung mit der Andersheit verbindet« (Derrida 1988b: 298). Alle Diskurse beruhen für Derrida auf dieser Logik der Iterabilität, die sowohl der Charakterisierung von Diskursen als Spiel von Differenzen wie auch ihrem grundlosen Status gerecht wird. Es ist wichtig zu sehen, dass Derrida damit Strukturen nicht in Beliebigkeit auflöst, sondern ihre Dynamik stets durch die Gleichzeitigkeit einer gewissen Schließung wie auch Öffnung konzipiert. Freilich lassen sich die ständig notwendigen Wiederholungen, die Derrida auch als Zitationen von Zitationen beschreibt, nicht auf ein Feld begrenzen. Immer sind Abweichungen, unerwartete Verknüpfungen, die nicht durch die Logik des Sinns geleitet sind, möglich.17 Die notwendige Iterabilität von Strukturen lässt es nicht mehr zu, dass trennscharf zwischen verschiedenen Sphären oder Systemen der Gesellschaft unterschieden werden kann, ist doch die Abweichung bereits in die Möglich-

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keitsbedingung einer jeden Signifikation und Kommunikation eingelassen. Die Begründung für dieses ständige Durchbrechen der Schließungsversuche eines Diskurses liefert Derrida mit dem Begriff des konstitutiven Außen. Jeder Diskurs grenzt sich von einem unverfügbaren Außen ab, auf das er aber angewiesen ist, um überhaupt eine begrenzte Totalisierung und Schließung zustande zu bringen. Mit dem konstitutiven Außen ist also nicht alles, was sich außerhalb eines Diskurses befindet, gemeint, sondern nur das, was notwendigerweise ausgeschlossen werden muss, damit seine innere ›Reinheit‹ nicht verletzt wird. So findet sich in rassistischen Diskursen gerade die Faszination durch ein fremdes Anderes, das als Negation alldessen fungiert, was die eigene ethnische Identität ausmacht, an prominenter Stelle. Allerdings ist die räumliche Metaphorik von ›innen‹ und ›außen‹ hier irreführend. Das Außen liegt immer auch innerhalb des Diskurses18 – dieses Argument führt uns zurück zur Dekonstruktion der Struktur. Das Außen ist letztlich gerade das, was die vollständige Schließung des Diskurses verhindert und den Diskurs zu immer wieder neuen Ausschlussversuchen führt. Wenn Derrida oben statt vom Zentrum einer Struktur von einem Supplement gesprochen hat, dann ist genau diese ständige Bewegung und Verunreinigung des Diskurses gemeint. Judith Butler (1997a) hat z. B. gezeigt, dass selbst zunächst eindeutig rassistische und sexistische Worte wie Nigger oder Bitch re-signifiziert werden können, indem sie in einem anderen Kontext wiederholt werden. Dies verweist auf eine generelle Funktionsweise von Diskursen. In der spielerischen Wiederholung des Diskurses machen sich die Spuren des Anderen immer wieder bemerkbar: sei es als zunächst harmlos wirkende Zusätze (Supplemente)19, sei es als Sinnbruch im Diskurs oder als groteske Resignifizierung des Ausgeschlossenen. Mit der Verschachtelung von innen und außen im Begriff des konstitutiven Außen wie auch der Verknotung von Selbigkeit und Andersheit im Begriff der Iterabilität wird in beiden Fällen exemplarisch die Doppel-Geste dekonstruktiven Denkens benannt. Das, was eine Struktur ermöglicht, ist gleichzeitig gerade auch das, was deren Konstitution verhindert. Während diese Argumente auf einer ›quasi-transzendentalen‹ Ebene angesiedelt sind, muss es Aufgabe einer

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sozial- und politiktheoretischen Analyse sein darzustellen, welche historischen Konfigurationen dieser Gleichzeitigkeit von Schließung und Offenheit bestehen. Allerdings würde man Derridas Arbeiten missverstehen, wenn man diese begrifflichen Abstraktionen auf einer ahistorischen Ebene situieren würde, gewinnt er diese doch stets durch eine sorgfältige Lektüre historisch konkret zu situierender Texte. Für eine poststrukturalistisch orientierte Sozialtheorie ergeben sich aus dem Gesagten zahlreiche Problemstellungen: Was bedeutet das Konzept einer zentrumslosen Struktur für soziologische Gegenstände? Wie lässt sich die These des Nullwerts sozialtheoretisch weiterentwickeln? Die letzte Frage führt uns zu unserem Ausgangspunkt zurück: Kann es eine ›monströse‹ oder ›spektrale‹ (gespensterhafte) Soziologie geben, d. h. eine Soziologie, die sich für das interessiert, was sich nicht mühelos in die sozialen Sinnzusammenhänge einfügt bzw. sich nicht vollständig in Sinn auflösen lässt?

Die Soziologie und ihre Gegenstände »Das Ende des Sozialen« und »Die Unmöglichkeit der Gesellschaft« Die Frage nach den soziologischen Konsequenzen einer zentrumslosen Struktur stellt uns vor das Problem, ob und wie sich der Gegenstand der Soziologie jenseits der etablierten zentrierten Strukturbegriffe denken lässt. Damit sind einerseits Modelle gemeint, die Gesellschaft durch einen sie organisierenden Teilbereich konzipieren – so kann z. B. die Ökonomie eine derartige Rolle einnehmen, wenn man annimmt, dass letztlich alle sozialen Beziehungen durch diese bestimmt werden. Ganz ähnlich lässt sich das Argument auf staatszentrierte Vorstellungen von Gesellschaft übertragen, in welchen die Steuerungsfunktion des Staates das Zentrum der Gesellschaft einnimmt, durch das alle anderen sozialen Bereiche reguliert werden. Die Kritik an einem zentrierten Strukturbegriff erschöpft sich jedoch nicht in der Forderung, die Vielfältigkeit sozialer Verhältnisse mitzubedenken und diese nicht auf eine Letztinstanz zu reduzieren. Die Kritik der Dekonstruktion reicht weiter, bezieht sie sich doch auch auf den erkenntnistheoretischen Status ihres Gegenstands Gesellschaft und darauf, wie Gesellschaft konstruiert ist. Ich möchte hier zunächst auf die epistemologische (er-

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kenntnistheoretische) Situierung eines dezentrierten Gesellschaftsbegriffs eingehen. Die konzeptuelle Zentrierung von Gesellschaft geschieht nicht einfach durch die Vorherrschaft einer gesellschaftlichen Sphäre oder eines bestimmten sozialen Systems, sondern durch die erkenntnistheoretische Verankerung des Gesellschaftsbegriffs. Damit ist zunächst auf die konstruktive Weise der wissenschaftlichen Gegenstandserzeugung hingewiesen. Zu untersuchen sind deshalb die sozio-diskursiven Existenzbedingungen von Gesellschaft, welche die Konstruktion von Gesellschaft als soziologischen Gegenstand erlauben. Die Soziologie hat sich ›die Gesellschaft‹ oder ›das Soziale‹ als reichlich abstrakten Gegenstand in Abgrenzung von anderen Wissenschaften geschaffen. Diese These setzt bereits zwei (post-)strukturalistische Einsichten voraus: Zum einen erhalten die Gegenstände einer Wissenschaft ihre Bedeutung durch ihre Relation zu anderen wissenschaftlichen Gegenständen; zum anderen müssen diese Gegenstände von der jeweiligen Fachdisziplin selbst konstruiert werden. Eine solche Frageperspektive orientiert sich deutlich an Michel Foucaults Archäologie des Wissens (1973: 61ff.), indem sie explizit darauf verzichtet, die Gegenstände der Soziologie als unabhängige, immer schon gegebene Wirklichkeit vorauszusetzen: »[D]er Gegenstand wartet nicht in der Vorhölle auf die Ordnung, die ihn befreien und ihm gestatten wird, in einer sichtbaren und beredten Objektivität Gestalt anzunehmen [. . .] Er existiert unter den positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen« (Foucault 1973: 68). Einige soziologische Theorien haben genau die von Foucault verworfene Auffassung des soziologischen Gegenstandes vertreten. Hierzu zählen auch interpretative Positionen einer ›doppelten Hermeneutik‹ (vgl. z. B. Giddens 1984), die davon ausgehen, dass der soziologische Gegenstand im Alltagswissen oder common sense bereits vorhanden ist und ›nur noch‹ durch Systematisierungs- und Ordnungsleistungen der Soziologie vereinheitlicht werden muss. Die diskurstheoretische Perspektive verzichtet auf derartige objektivistische Setzungen des Gegenstandes und problematisiert stattdessen Verfahrens- und Formationsweisen, die das Soziale und die Gesellschaft als soziologischen Gegenstand konstituieren.20 Wenn der Gegenstand der Soziologie nicht mehr außerhalb des soziologischen Diskurses verortet wer-

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den kann, dann hat dies auch Konsequenzen für das Wahrheitsverständnis der Soziologie. Die Wahrheit des Gesellschaftsbegriffs kann nicht mehr dadurch bestimmt werden, dass nachgemessen wird, ob soziologische Begriffe und Theorien dem Gegenstand gerecht werden oder ihm entsprechen. Vielmehr ist die Konstruktion von Gesellschaft selbst in Machtkämpfe und widersprüchliche Artikulationsweisen eingelassen.21 Eine diskursanalytische Untersuchung der Konstitution des soziologischen Gegenstandes würde umfangreiche Arbeiten erfordern, die leider (im Gegensatz zu Diskursanalysen von anderen Wissenschaften) noch nicht vorliegen. Zur konstruktivistischen Anlage des Gesellschaftsbegriffs im Rahmen einer diskurstheoretischen Analyse tritt ein zweiter Aspekt hinzu. Auch ›poststrukturalistische Soziologien‹ setzen sich inhaltlich mit dem Gesellschaftsbegriff auseinander – selbst dann, wenn sie ihn letztlich verwerfen. Ich möchte im Folgenden zwei theoretische Interventionen22 vorstellen, die sich beide auf poststrukturalistische Argumente stützen, dennoch aber völlig unterschiedliche Ideen des Sozialen und von Gesellschaft verfolgen. Konfrontiert werden soll Jean Baudrillards These vom »Ende des Sozialen« mit Ernesto Laclaus Konzept der »Unmöglichkeit der Gesellschaft«. In den beiden letztlich sehr unterschiedlichen Konzeptionen wird deutlich, dass ein poststrukturalistischer Gesellschaftsbegriff über den soziologischen Konstruktivismus hinausgeht. Denn mit einer konstruktivistischen Position alleine ist noch nichts darüber ausgesagt, inwiefern der Gesellschaftsbegriff auf die poststrukturalistische Dekonstruktion von Sinn eingeht.

Das Ende des Sozialen (Baudrillard) Der französische Soziologe Jean Baudrillard gehört zu den wenigen Vertretern seiner Disziplin, die sich schon früh mit dem Poststrukturalismus auseinandergesetzt haben. Seine ersten Arbeiten entwickeln eine zeichentheoretische Reformulierung von Marx’ Kritik der politischen Ökonomie (Baudrillard 1991; franz. 1970). Die Waren treten bei ihm in ihrer Eigenschaft als Zeichen, die zur Konstruktion von sozialen Identitäten dienen, in den Vordergrund, womit Baudrillard

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bereits in den siebziger Jahren wichtige Impulse der heutigen soziologischen Konsumforschung vorweggenommen hat. Mit der zunehmenden ›Entrealisierung‹ und Selbstreferenz der Waren gehe die Auflösung des Sozialen einher – Baudrillard spitzte diese Auffassung zur provokanten These vom »Ende des Sozialen« zu. Baudrillard (1982: 77ff.) zufolge fügt sich der Auflösungsprozess des Sozialen in ein dreistufiges historisches Modell unterschiedlicher Simulakren ein, das er anhand des jeweils verschiedenen Status von Zeichen gliedert. Mit Simulakren ist die Beziehung von Zeichen zur sozialen Wirklichkeit gemeint: entweder als Imitation der Wirklichkeit, als ihre Reproduktion oder gar als ihr Modell. Mit der Renaissance setzt eine Auflösung von Stände- und Kastengesellschaften ein, wodurch die erste Ordnung der Simulakren eröffnet wird: das Zeitalter der Imitation. Damit ist ein erster wichtiger Einschnitt im Gegensatz zu prämodernen Gesellschaften angezeigt, denn das Zeichen verliert seine unmittelbare Bindung an die gesellschaftliche Schicht- und Klassenstruktur. Das Zeichen ist von seiner Fundierung in einer Ständeordnung befreit worden, in der es stets den Status des Zeichenträgers mittransportierte, und steht nun den Konkurrenzkämpfen und Moden offen. Nicht die ›eigentliche‹ Bedeutung eines Zeichens interessiert, sondern die Verwendung von Zeichen zu Distinktionszwecken.23 Paradigmatisch für die nun flexibel einsetzbaren Zeichen ist das Phänomen des Stucks, der eine problemlose Imitation von allen denkbaren Formen und Materialien möglich macht. Die Industrialisierung setzt dieser ersten Ordnung der Simulakren ein Ende. Die Rolle der Imitation wird nun von jener der Produktion übernommen. Während die Logik des Stucks auf Analogien beruhte – Dinge werden ähnlich gestaltet, aber es gibt einen wie auch immer gearteten minimalen Unterschied zum Realen –, setzt sich nun eine reine Logik der Reproduzierbarkeit durch. Die Maschine erlaubt die Produktion einzelner Produkte, die in der Massenproduktion gefertigt werden und voneinander ununterscheidbar sind. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird dieses Zeitalter durch eine neue Epoche abgelöst, die durch das Simulakrum dritter Ordnung, die Simulation, gekennzeichnet ist. Auch in der gegenwärtigen Simulationsgesellschaft ist die Reproduzierbarkeit noch bedeutend, sie wird jedoch durch das neue Phänomen des Modells radi-

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kalisiert. Das Modell ist immer schon hinsichtlich seiner Reproduzierbarkeit produziert – das Ziel des Reproduktionsprozesses hat sich an dessen Anfang gesetzt: »Nichts geht mehr einem Ziel entsprechend vor, alles geht aus dem Modell hervor, dem Referenz-Signifikanten, auf den sich alles bezieht, der eine Art von vorweggenommener Finalität und die einzige Wahrscheinlichkeit hat« (Baudrillard 1982: 89). Die gegenwärtige Gesellschaft ist beherrscht vom Modell, dessen Funktionsweise sich gut an den Massenmedien ablesen lässt. Medien konstruieren ein Modellpublikum und testen ihre Zuschauer, die in ihrem so konstruierten Verhalten immer schon ihrem Modell entsprechen. Das Publikum wird nicht mehr manipuliert, sondern entsteht erst als Reproduktion eines Modellpublikums. Das in Soap Operas eingeblendete Gelächter ist immer schon da und steht als Modell für die eigene Reaktionsweise zur Verfügung. Die Ordnung der Simulation verändert den Realitätsbegriff auf tiefgreifende Weise. Die Hyperrealität tritt als »exakte Verdoppelung des Realen« auf (ebd.: 113). Während das Reale noch dadurch bestimmt werden konnte, dass man von ihm eine Imitation oder ein Äquivalent herstellen konnte, hat das Hyperreale diese Bestimmbarkeit verloren. Hyperreal ist wie das Modell das, »was immer schon reproduziert ist« (ebd.: 116). Beispiele dafür sind für Baudrillard Erlebnisparks wie Disneyland, Medienereignisse wie der Golfkrieg oder die Unmöglichkeit, mit dem Jahr 2000 zu beginnen (vgl. Baudrillard 1994, 1995). Trotz ihrer Unterschiedlichkeit verweisen diese Fälle auf eine gemeinsame Struktur: Da alles immer schon in Modelle gefasst ist, kann sich die Wirklichkeit selbst nicht mehr ereignen. Das Jahr 2000 hat zwar begonnen, die Jahrtausendwende konnte aber dennoch nicht stattfinden, da alle möglichen Reaktionsmuster bereits vor dem Jahreswechsel vorhanden waren. Die Feier reproduziert nur Modelle, die man etwa in speziellen Ratgeberbüchern, die Empfehlungen für die richtige Feier des ›Ereignisses‹ abgeben, nachlesen kann. Das »Ende des Sozialen« ist für Baudrillard mit der hyperrealen Ordnung der Simulation erreicht, in der das Modell jeglichen Realitätsbezug ersetzt hat. Entsprechend dunkel sind auch die Zukunftsperspektiven für die Soziologie: »Die Hypothese vom Tode des Sozialen ist gleichzeitig die Hypothese ihres eigenen Todes« (Baudrillard 1979: 18). Die uner-

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müdliche Produktion neuer Zeichen anhand von Modellen lässt keinen Raum mehr für eine soziale Realität, die mit diesen Modellen bezeichnet werden könnte: Weder Klassen oder soziale Bewegungen noch Individuen können diese Rolle einnehmen. Statt eine Analytik des Sozialen zu entwerfen, reiht auch die Soziologie sich in die Logik der Simulationsgesellschaft ein, indem sie etwa durch ihre Umfragetechniken immer neue Modelle für soziales Verhalten schafft. Der Tod des Sozialen ist gleichzeitig die Geburt der Massen. Die Massen sind schlicht indifferent gegenüber der medialen Massage (sic!) (vgl. McLuhan 1967); sie gleichen »schwarzen Löchern«, in welchen jeglicher Sinn verschwindet: »Die Masse ist ohne Attribut, ohne Prädikat, ohne Qualität, ohne Referenz« (Baudrillard 1979: 19). Baudrillards katastrophischer Perspektive auf das Ende des Sozialen bleibt nichts anderes übrig, als in der Indifferenz der Masse die einzige Form von Subversion zu erblicken. Nicht eine Kritik der Kulturindustrie oder die Sozialisation zu kommunikativ kompetenten MediennutzerInnen zeichnet sich als Ausweg ab, sondern der exzessive Gebrauch von Medien, d. h. die Übersteigerung der Simulation durch ihren forcierten Einsatz. Das Ende des Sozialen ist damit auch das Ende etablierter Modi der Politik (Klassenkampf, Parteienkonkurrenz) und von Identitätspolitiken jeglicher Art (z. B. neue soziale Bewegungen). Was aber ist mit dem Begriff des Sozialen gemeint? Sind denn nicht auch die Massen soziale Phänomene? Der schillernde Begriff des Sozialen lässt sich bei Baudrillard nicht festlegen, passt sich sein Schreibstil doch dem Überschuss von Signifikanten an. Soziologische Theorie wird von Baudrillard nicht produziert, sondern vielmehr simuliert. Dennoch ist es interessant zu sehen, von was sich diese Simulation abgrenzt. Am deutlichsten wird dieses Gegenbild in Der symbolische Tausch und der Tod dargestellt (1982; franz. 1976). Es ist der symbolische Tausch, welcher für Baudrillard den Kern einer weitgehend verschwundenen Sozialität ausmacht. Auch hier spielt eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Tauschbegriff, wie wir ihn bereits bei Mauss und LéviStrauss angetroffen haben, eine wichtige Rolle. Das Symbolische ist schlechthin das Prinzip von Gabe und Gegengabe, d. h. eines Austausches, der jede Einseitigkeit ausschließt. Denn der einseitige Tausch ist immer auch eine Machtstruktur: Der Beschenkte unterwirft sich dem Schenkenden.

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Das Prinzip der Gegenseitigkeit geht nicht in eine ökonomische Vernunft auf, die letztlich ein Gleichgewichtssystem erzeugt, wie wir etwa bei Lévi-Strauss beobachten konnten. Vielmehr wird hier der Begriff der Verschwendung wichtig, den Baudrillard dem Werk des Philosophen, Dichters und Anthropologen Georges Bataille (1897–1962) entleiht (vgl. Bataille 1975). Der symbolische Tausch entwickelt eine Dynamik, die enorme Opfer verlangt und selbst den Einsatz des eigenen Lebens erfordert. Gerade der Tod ist für Bataille und Baudrillard der absolute Exzess des Lebens, ein Rausch und eine Ekstase, die sich nicht mehr in die Sinnökonomie einfügen. Die Trennung des Todes vom Leben, wie Baudrillard sie für die Simulationsgesellschaft feststellt, führt zur stumpfen Wiederholung des Bestehenden: »Den Tod vom Leben zu trennen, eben darin besteht die Operation des Ökonomischen – übrig bleibt ein residuales Leben, das nunmehr in den operationellen Kalkül- und Wertausdrücken lesbar ist« (Baudrillard 1982: 205). Der Tod ist für Baudrillard eine Grenzfigur, die sich der Idee geschlossener Systeme – wie z. B. im Strukturalismus oder auch der Kybernetik – entgegenstellt: eine Bedrohung des Systems an den Grenzen des Systems (ebd.: 13). Es ist diese Figur (bzw. besser: Form) des Todes, die sich mit einem uneingeschränkten Exzess und einer sinnlosen Verausgabung verbindet, welche sich am ehesten mit Baudrillards Vorstellung des Sozialen deckt; eines Sozialen, das in der hyperrealen Simulationsgesellschaft zugrunde gegangen ist. Damit entwirft Baudrillard nicht eine Todesmetaphysik, sondern er interessiert sich für eine Relationierung von Leben und Tod. Dieser Verweisungszusammenhang von Leben und Tod im symbolischen Tausch ist ersetzt worden durch hyperreale Inszenierungen des Todes. Während der symbolische Tausch durch Reversibilität (Umkehrbarkeit) geprägt ist, verkörpern die Massenmedien für Baudrillard das Prinzip der Einseitigkeit, des einseitigen Testens von Reaktionen. Man mag einwenden, dass es sich hierbei um eine stark vereinfachte Auffassung der Wirkungsweise von Medien handelt, gerade wenn man an die rezeptionsorientierten Studien aus dem Umkreis der englischen Cultural Studies zur aktiven Sinnherstellung durch ZuschauerInnen denkt. Wichtiger als diese – für seinen ›theoretischen Terrorismus‹ typische – Vereinseitigung ist aber, dass Baudrillard

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mit dem so verstandenen Sozialen implizit – und auf ganz andere Weise als Derrida – ebenfalls auf die Position des Nullwertes im Tausch anspielt. Denn auch mit dem Tod ist eine Instanz gegeben, welche Baudrillards Ideal des auf Gegenseitigkeit beruhenden symbolischen Tauschs erst möglich macht, indem der Tod selbst in den Tausch miteinbezogen wird: etwa durch Initiationsriten oder durch den Opfertod. Gleichzeitig wird so unsere alltägliche Vorstellung des Tausches konterkariert, da die maßlose Verschwendung und das Opfer nun gerade nicht ausgeschlossen sind. Mit dem Verlust dieser Vorstellung des Sozialen in der hyperrealen Simulationsgesellschaft scheint zwar der Gegenstand der Soziologie gefährdet zu sein, aber nicht jegliche Möglichkeit von Sozialtheorie verworfen: Zum einen bleibt immer noch Baudrillards Simulation von Theorie, zum anderen bezieht sich aber auch sein katastrophischer Tonfall auf eine ganz bestimmte Vorstellung des Sozialen, die sich am Ideal des exzessiven und reversiblen Tausches orientiert. In diesem Sinne etabliert Baudrillard für seine eigene Theorie ein Fundament, das indirekt die Position beschreibt, von der unsere heutige hyperreale Ordnung der Simulation nicht nur beschreibbar, sondern auch angreifbar wird. Diese Angreifbarkeit kann keine Kritik sein, gehört sie doch keinem dialektischen Geschichtsbild mehr an, sie kann aber Strategien der Übersteigerung und der Verführung entwickeln. Auch wenn man Baudrillards letztlich nostalgischem Begriff des Sozialen nicht folgen möchte, so findet sich hier doch ein Entwurf, der mit großer Konsequenz tautologische Begründungsfiguren der Soziologie und des Sozialen radikalisiert und damit zum Implodieren bringt. Es ist die Implosion – und nicht mehr die revolutionäre Explosion –, welche dieses nostalgische Denken kennzeichnet.

Die Unmöglichkeit der Gesellschaft (Laclau / Mouffe) Auf Grundlage der poststrukturalistischen Kritik des Zeichens (wie es von de Saussure konzipiert worden ist) lassen sich ganz unterschiedliche sozialtheoretische Konsequenzen ziehen. Bei Baudrillard bleibt nur noch die zur Implosion getriebene Tautologie der medialen Simulationsgesellschaft; allenfalls in der Apathie und Indifferenz der Massen sieht

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Baudrillard Punkte, oder besser ›Löcher‹, die über die bestehende Gesellschaftsformation hinausweisen. Auch für die beiden SozialtheoretikerInnen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe hat die Gesellschaft als universaler Horizont sozialwissenschaftlichen Denkens versagt. Laclau / Mouffe (1991; engl. 1984) haben durch eine dekonstruktive Lektüre des Marxismus einen der anspruchsvollsten Versuche unternommen, poststrukturalistische Theoriefiguren für sozialund politiktheoretisches Denken fruchtbar zu machen.24 Ihre Dekonstruktion des Marxismus sorgte im angelsächsischen Sprachraum für große Aufregung, fühlten sich doch sowohl marxistische Theoretiker (z. B. Geras 1987) wie auch Vertreter der soziologischen Theorie (z. B. Mouzelis 1990) durch eine derart radikalisierte Diskurstheorie provoziert. Denn es wurde nicht nur die Vorstellung dekonstruiert, dass Klassen aus ihrer sozialen Position zu erklären seien, sondern auch jegliche Vorstellungen, welche Diskurse von einer tieferliegenden Sozialstruktur ableiten. Grund für diese Dekonstruktion von herkömmlichen Gesellschaftsmodellen ist nicht ein historischer Auflösungsprozess der Gesellschaft, sondern die Krise des Totalitätsbegriffs selbst, für den die Gesellschaft das beste Exempel darstellt. Die Unmöglichkeit von Gesellschaft bedeutet letztlich, dass Gesellschaft immer auf einem Außen beruht, das sich in ihr als Dislokation und Bruch zeigt. Damit nehmen Laclau / Mouffe Derridas Begriff des konstitutiven Außen, den wir oben diskutiert haben, auf und entwickeln dessen Konsequenzen für den Begriff der Gesellschaft. Für Laclau / Mouffe zerfällt die Gesellschaft nicht in einzelne Fragmente oder diskursive Streuungsverhältnisse, sondern Gesellschaft besteht immer nur aus fehlschlagenden Versuchen, sich selbst als universalen und hegemonialen Horizont zu etablieren. Die Gesellschaft versucht, sich selbst als geschlossene Einheit zu etablieren – etwa als weltgesellschaftlicher Horizont, der kein soziales Außen mehr denkbar macht. Das Fehlschlagen dieser Totalisierungsversuche ist die Konsequenz aus der Paradoxie (und nicht der Tautologie), welche Gesellschaft ›begründet‹: eine Differenz zu sein, die sich gleichzeitig als Identität zu totalisieren versucht und so ihr konstitutives Außen zu vergessen trachtet. Während Baudrillard sich vom Sozialen verabschiedet hat, aber nicht ausschließt, dass es Gesellschaften ohne

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Soziales gibt, findet sich bei Ernesto Laclau und Chantal Mouffe schon fast die umgekehrte Ausgangslage. Unmöglich geworden ist Gesellschaft als geschlossene Totalität, nicht aber das Soziale, welches ein Gemenge und eine Serie von unterschiedlichen diskursiven Praktiken bezeichnet. Das Soziale wird von Laclau / Mouffe als das Diskursive schlechthin konzipiert: »Unter dem ›Diskursiven‹ verstehe ich nichts, was sich im engen Sinne auf Texte bezieht, sondern das Ensemble gesellschaftlicher Sinnproduktion, das eine Gesellschaft als solche begründet. Hier geht es nicht darum, das Diskursive als Ebene oder eine Dimension des Sozialen aufzufassen, sondern als gleichbedeutend mit dem Sozialen als solchem« (Laclau 1981: 176). Die Umstellung auf den Diskursbegriff ist nicht einfach ein neuer Name für ein bekanntes Phänomen, sondern verändert auch die Sichtweise auf das ›Soziale‹: »The social is that which is always already there, as a possibility and a terrain for the constitution of differences« (Laclau 1983: 39). Die Aufgabe der Diskurstheorie besteht nun darin, vielfältige De- / Konstruktionsprozesse von Differenzen zu analysieren. Nicht das Wesen des Sozialen steht im Vordergrund, sondern Wie-Fragen werden von zentraler Bedeutung: Wie wird das Soziale über Sinnprozesse hergestellt? Welche Sinntechniken werden verwendet? Und wie wird mit Sinnzusammenbrüchen umgegangen? Die Diskurstheorie analysiert, wie auf diesem unsteten Terrain des Sozialen Versuche der Konstruktion von Gesellschaft stattfinden, indem Bedeutungen fixiert werden. Eine endgültige Fixierung von Sinn ist jedoch unmöglich, verweist doch eine Bedeutung stets wieder auf eine andere Bedeutung. Nur in starren strukturalistischen Modellen wäre es möglich, einen bestimmten Sinn festzulegen. Die These der Unmöglichkeit der Gesellschaft bedeutet allerdings auch nicht, dass keine Versuche der Fixierung von Sinn stattfinden. Wäre dem so, würde man letztlich in einem psychotischen Universum leben, in dem nichts wiederholbar wäre und in dem es weder Diskurse (wie z. B. das Recht oder die Ökonomie), noch Identitäten (wie z. B. gender) gäbe. Unmöglich ist Gesellschaft nur in dem präzisen Sinne eines »unitary and intelligible object which grounds its own partial processes« (Laclau 1990: 90). Mit anderen Worten: Gesellschaft existiert nur als Versuch, ein solch einheitliches Ob-

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jekt herzustellen – es gibt keine Begründung von Gesellschaft außerhalb ihrer selbst. Die Diskurstheorie interessiert sich nun gerade für das Fehlschlagen dieser Konstruktionsprozesse, für die Art und Weise des Scheiterns von Gesellschaft. Die These der ›Unmöglichkeit der Gesellschaft‹ bedeutet also nicht, dass die Sozialtheorie Maggie Thatcher folgt, die behauptet hat, dass es keine Gesellschaft, sondern nur Individuen gäbe. Was in Frage gestellt wird, ist auch hier wiederum ein spezifischer Begriff der Gesellschaft, der Gesellschaft als transparente und sich selbst reproduzierende Einheit denkt. Stattdessen schlagen Laclau / Mouffe eine Theorie der Gesellschaft vor, die auf dem Begriff des Antagonismus beruht. Im Antagonismus zeigt sich, dass Gesellschaft sich nicht vollständig vereinheitlichen lässt, dass die ›Naht‹ der Gesellschaft immer wieder aufreißt und auf diese Weise Unentscheidbarkeiten produziert. Laclau / Mouffe vollziehen damit eine mehrfache Frontstellung: Die Tatsache des Antagonismus bedeutet nicht einfach, dass in einer Gesellschaft mehrere Gruppen miteinander konkurrieren oder sich sogar bekämpfen. Auch geht es nicht um die marxistische Idee, dass es einen Grundwiderspruch (Kapital-Arbeit) gibt, welcher alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. Die antagonistische Konstitution von Gesellschaft wird von Laclau / Mouffe grundsätzlicher angesetzt: Nicht Konflikte innerhalb einer bereits bestehenden Gesellschaft, sondern die Konflikte, welche durch die stets scheiternden Versuche entstehen, Gesellschaft herzustellen, stehen im Vordergrund des theoretischen Interesses. Der Begriff des Antagonismus markiert die Grenze des Sozialen selbst und deren Artikulation in politischen Diskursen. Diskursanalytisch werden gerade jene rhetorischen Formen interessant, welche diese Grenze zu bezeichnen versuchen: seien es z. B. Vorstellungen des Anderen in rassistischen Diskursen, seien es Vorstellungen des absoluten Chaos, die eine bestehende Gesellschaftsformation bedrohen. Es ist wichtig zu sehen, dass die Formung von Antagonismen auf Mechanismen beruht, die zum einen eine Identifikation mit einem ›Wir‹ erlauben, zum anderen gleichzeitig die Abgrenzung von etwas, das nicht nur anders, sondern unvergleichbar und bedrohlich erscheint. Nur wenn diese Fassung des Antagonismus ernst genommen wird, kann eine poststrukturalistische Soziologie

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verhindern, zu einem bloßen Aufguss pluralistischer Positionen zu werden.25 Antagonismus bedeutet hier eine paradoxe Bewegung: Gerade dadurch, dass eine Gesellschaft sich zu totalisieren versucht, muss sie eine Grenze, welche sie von der NichtGesellschaft abgrenzt, konstruieren: »But antagonism is the disruption of a system of differences, of a symbolic universe, by an ›outside‹ which negates it – the Real, in the Lacanian sense – which impedes it from fully constituting itself« (Laclau 1990: 168). Hier bekommt die differenztheoretische Ausrichtung, die vielen poststrukturalistischen Ansätzen eigen ist, zentrale Bedeutung. Denn wenn Gesellschaft nicht als selbstgenügsame Totalität denkbar ist, sondern immer bereits auf Differenz beruht, dann wird das ›Außen‹ von Gesellschaft zum »konstitutiven Außen« (Derrida). Was ist damit gemeint? Nicht alles, was jenseits des Bereichs des Diskursiven fällt, ist konstitutiv für Gesellschaft, sondern nur das, wovon eine Gesellschaft sich abgrenzen muss, um überhaupt Gesellschaft sein zu können. Einmal mehr befinden wir uns in einer paradoxen Situation, die aber theoretisch und analytisch äußerst fruchtbar ist: Wenn Gesellschaft der Versuch ist, die Unterscheidung von Gesellschaft und NichtGesellschaft zu stabilisieren, dann kann nur das Auftauchen von Sinnbrüchen innerhalb der Gesellschaft auf dieses Außen verweisen. Das konstitutive Außen bezeichnet somit eine radikale Andersheit – etwas, das im Sinnhorizont einer Gesellschaft nicht gefasst werden kann und diesen trotzdem heimsucht und in ihm insistiert. Hier wird auch deutlich, dass die räumliche Metaphorik von Innen und Außen nur ein Einstiegspunkt in unsere Problematik ist. Denn die differenztheoretische Ausgangslage impliziert notwendigerweise, dass diese klare Trennung letztlich nicht aufrechterhalten werden kann. Es gibt nicht zwei voneinander unabhängige Bereiche, die man als das gesellschaftlich Sinnhafte und das ungesellschaftlich Sinnlose bezeichnen könnte. Stattdessen zeigt sich dieses Außen in den Versuchen, die konstitutive Differenz von Gesellschaft zu ›vergessen‹, d. h. in den Versuchen, Gesellschaft als verstehbares und transparentes Objekt herzustellen. Für Laclau / Mouffe bezeichnet der Mythos einer vollständigen Gesellschaft, einer ›idealen‹ und ›geordneten‹ Gesellschaft, nicht einfach ein utopisches und letztlich ›falsches Bewusst-

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sein‹, sondern eine Realität generierende Kraft. Das heißt keineswegs, dass dieser imaginäre Horizont je erreichbar oder wünschenswert wäre; ganz im Gegenteil, seine Unerreichbarkeit ist seine Triebkraft. Aber auch dieses Argument muss noch weiter differenziert werden, indem wir nach der Art dieser Unerreichbarkeit fragen. Es handelt sich hier nicht um den Kern der idealen Gesellschaft, dem man sich nur annähern kann, ohne ihn jemals erreichen zu können. Ein solches Modell wird z. B. von Jürgen Habermas vertreten, der die Grundstruktur von Kommunikation auf das regulative Ideal einer idealen Sprechsituation zurückführt, d. h. einer Situation, in der – unter Absehung von Kommunikationsverzerrungen und Machtverhältnissen – nur die Kraft des besseren Arguments entscheidet. Habermas geht zwar nicht davon aus, dass eine Gesellschaft je diesem Ideal gerecht werden könnte, benutzt es aber als Maßstab, um bestehende Gesellschaften kritisch beurteilen zu können. Für Laclau / Mouffe (1991) dagegen sind auch solche normativen Vorstellungen von Gesellschaft stets hegemoniale Projekte,26 die umkämpft sind und mit jedem Versuch ihrer Instituierung ein neues Außen produzieren. Zur Entwicklung ihres Hegemoniebegriffs benutzen sie die rhetorischen Figuren der Metapher (Verdichtung) und der Metonymie (Verschiebung). Die diskursanalytische Verwendung der beiden Begriffe beruht auf Freuds Traumanalyse, die sich weniger für die im Traum repräsentierten Inhalte interessiert als für die Techniken, mit denen Verdrängungs- und Ausschlussbewegungen arbeiten. Im Gegensatz zu marxistischen und politikwissenschaftlichen Vorstellungen von Hegemonie wird diese nicht mehr als die Vorherrschaft eines einzelnen Hegemons über andere verstanden, sondern als komplexes, diskursiv-materielles Geflecht. Eine hegemoniale Formation verfügt über kein Zentrum (es gibt keinen allmächtigen Hegemon), sondern ist auf die Einbindung immer neuer diskursiver Elemente angewiesen. Hegemonie funktioniert metonymisch, da sie stets neuer Elemente bedarf und somit den Bedeutungsüberschuss von Diskursen politisch verwendbar macht. So wird z. B. ein feministisches Projekt mit einem demokratischen artikulierbar, obwohl kein notwendiger Zusammenhang zwischen beiden Elementen besteht. Die Logik der Metonymie bewahrt die Hegemonie

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davor, zu einem essentialistischen Konzept zu werden, das nur noch den Sinn eines übergeordneten Elements entfaltet. In unserem Beispiel wäre dies eine Sichtweise, die im Begriff ›Demokratie‹ festmacht, was alles als demokratisch zu bezeichnen sei. Der hegemonietheoretische Ansatz legt sich nicht auf derartige Fundamente fest und zeigt stattdessen auf, wie sich ein Diskurs dennoch abzuschließen vermag. Eine Hegemonie kann nicht nur aus der mehr oder weniger beliebigen Herstellung kontingenter Verbindungen bestehen, sondern lässt diese auch in ein metaphorisches Substitutionsverhältnis ein. Im obigen Beispiel muss z. B. eine Gemeinsamkeit zwischen einem feministischen Projekt und einem demokratischen Projekt hergestellt werden. Mehr noch: Eine Stabilisierung dieses Verhältnisses wird notwendig, da nur so von einer hegemonialen Formation gesprochen werden kann. An dieser Stelle wird der Begriff der Metapher wichtig, der darauf verweist, dass ein Element für ein anderes stehen kann. Die Logik der Metapher ermöglicht es also, dass heterogene Elemente in einen hegemonialen Diskurs integriert werden können und dass ihr Sinn zeitweilig fixiert werden kann. Ein gutes Beispiel für ein hegemoniales Imaginäres, welches gegenwärtige sozial- und politiktheoretische Debatten bestimmt, ist der Mythos einer globalen Gesellschaft. Die These, dass mit der Globalisierung die Welt zu einem einzigen Ort geworden ist, arbeitet mit der Annahme einer imaginären Totalität. Aus diskurstheoretischer Perspektive wird der Mythos der globalen Gesellschaft zum umkämpften Versuch, dieses unmögliche Objekt ›Weltgesellschaft‹ zu konstruieren. Dabei kann es sich nur um einen partiellen und immer auch prekären Prozess handeln: Globale Gesellschaft kann nur in ihrem Scheitern den Ort dieses unmöglichen Objektes einnehmen und bleibt damit ein Hegemonialprojekt unter anderen. Eine Diskursanalyse der Globalisierung würde denn auch nicht danach fragen, was die globale Gesellschaft ist, sondern mit welchen diskursiven Praktiken und Techniken diese hergestellt wird (Tagg 1991) und wie sie sich von alternativen Hegemonieprojekten abgrenzt. Laclau / Mouffes vorrangiges Interesse an der Konstruktion von Hegemonieprojekten über die Verbindung metaphorischer und metonymischer Prozesse lässt die Katachrese allerdings als eine weitere rhetorische Figur, die aus de-

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konstruktiver Perspektive höchst bedeutsam ist, weitgehend unbeachtet. Die Katachrese ermöglicht ebenfalls die Etablierung von neuen diskursiven Verbindungen, jedoch geschieht dies nicht durch die Integration in einen imaginären Horizont, sondern durch das Springen von einem diskursiven Register in ein anderes. Die Katachrese wird denn auch in der Rhetorik als Fehlverwendung von Worten oder als Bildbruch definiert.27 Mit der Katachrese wird ein Entgleiten des Sinns – ein Umweg, der das ›Zuhause‹ selbst immer schon aufgespaltet haben wird – bezeichnet. Diese Figur ist von höchstem Interesse für die Reformulierung einiger zentraler soziologischer Probleme: Wie kann die Beziehung zwischen verschiedenen geschlossenen Instanzen (z. B. zwischen Diskursen, Subjekten oder Systemen) gedacht werden? Soziologisch erfolgreiche Lösungsangebote heben entweder die Möglichkeit von Intersubjektivität, bzw. einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt hervor oder entwerfen eine radikale Konzeption der Geschlossenheit wie etwa in der Theorie selbstreferentiell geschlossener Systeme. Aus der Perspektive einer poststrukturalistischen Soziologie sind beide Lösungsversuche unbefriedigend: Die These der Intersubjektivität suggeriert einen gemeinsamen Grund (oder sogar eine Fundierung des Sozialen), der durch die antifoundationalist-Stoßrichtung des Poststrukturalismus ausgeschlossen werden muss. Ein derartiger Grund würde die Heterogenität von Sprachspielen, die Vielfalt von Diskursen und Identitäten vernachlässigen. Aber auch die Luhmann’sche Lösung ist unbefriedigend, da sie die Offenheit von Systemen immer nur auf Grundlage ihrer operativen Schließung theoretisieren kann (vgl. Stäheli 2000). Ein diskurstheoretischer Blick auf das Soziale, der sich auch für dessen rhetorisches (Nicht-)Funktionieren interessiert, ermöglicht dagegen, das Entgleiten von Sinn – also jenes Moments, in dem heterogene und inkommensurable diskursive Register miteinander in Verbindung gebracht werden – als einen Prozess zu verstehen, der auf der Medialität oder Materialität von Sinnprozessen beruht. Mit Materialität ist jene Dimension von Kommunikation gemeint, welche diese erst mitteilbar und wiederholbar macht. Dazu gehört das Medium der Kommunikation (Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Visualität etc.), aber auch die materiellen Dispositive (z. B. Architektur, Städte etc.), in und mit denen Sinnprozesse stattfinden.

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Das hier kurz skizzierte Gesellschaftsmodell lässt sich in drei Annahmen zusammenfassen: 1. Die Identität von Gesellschaft ist nicht durch einen Unterbau (wie z. B. die Ökonomie oder die Sozialstruktur) gewährleistet, dem der Diskurs als Ideologie übergestülpt wäre. Vielmehr verwirft die Diskurstheorie die soziologische Unterscheidung zwischen Basis und Überbau oder zwischen Sozialstruktur und symbolischer Struktur. Eine Sozialstruktur ist selbst ein diskursives Phänomen und beruht deshalb auch auf diskursiven Stabilisierungsprozessen (vgl. Stäheli 1998). Aus diesem Grunde erhalten hegemoniale Kämpfe um Sinnfixierung eine zentrale Rolle für die diskurstheoretische Gesellschaftsanalyse. 2. Diese Kämpfe um Sinnfixierung können sich nicht auf ein Fundament der Gesellschaft berufen, sondern sind der Kontingenz von verschiedenen, sich widerstreitenden Sinnprozessen ausgesetzt. Es gibt keine Zentralinstanz, welche die unterschiedlichen diskursiven Konstruktionen vereinheitlicht, wiewohl es aber Versuche gibt, derartige Zentralinstanzen zu installieren. Man denke hier an die Konstruktion eines Imaginären28 wie z. B. globale Gesellschaft oder das Projekt einer radikal demokratischen Gesellschaft. 3. Das Scheitern von Sinnprozessen, das Anlass zu Konflikten und Kämpfen gibt, muss mittels sorgfältiger Diskursanalysen aufgezeigt werden.29 Hierzu reicht nicht aus, was häufig missverständlich unter dem Etikett ›Diskursanalyse‹ angeboten wird. Es geht nicht darum, nur eine Inhaltsanalyse von z. B. Dokumenten der Massenmedien vorzunehmen, sondern vielmehr muss deren rhetorische Struktur analysiert werden. Eine solche Analysestrategie liegt in einer der oben diskutierten basalen theoretischen Annahmen begründet: Das Reale zeigt sich in Diskursen als Moment des Scheiterns und Haperns, als Moment einer Offenheit, die sich etablierten Sinnangeboten entzieht; mehr noch, welches diese ent- und verstellt. Eine reine Inhaltsanalyse ist notwendigerweise blind gegenüber diesen Brüchen, da sie sich auf den ›hegemonialen‹ Sinn verlässt und etwaige Brüche meist homogenisiert bzw. als bloß fehlerhafte Abweichungen behandelt. Diskursanalyse bedeutet hier eine Analyse dieser Entstellungen, um die Unentscheidbarkeit des Diskurses aufzeigen zu können. Laclau / Mouffes These der »Unmöglichkeit der Gesell-

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schaft« unterscheidet sich also deutlich von Baudrillards apokalyptischer Endzeitvision. Der tautologischen Übersteigerung selbstreferentieller Systeme steht die Analyse der Brüche entgegen, die sich aus der paradoxen Konstitution von Gesellschaft ergeben. Während bei Baudrillard die Sinnlöcher zu Momenten der Indifferenz werden (was mit dem Bild der apathischen Masse illustriert wird), erweisen sich für Laclau / Mouffe sinnlose Dislokationen des Diskurses als Chance für die Etablierung politischer Handlungsfähigkeit. Baudrillard beklagt eine Sinnüberflutung, für die letztlich keine Nachfrage mehr geschaffen werden kann – eine wild gewordene Sinnvervielfältigung, die zum Zusammenbruch von Grenzen und Differenzierungen führt. Laclau / Mouffe gehen zwar auch von der grundsätzlichen Instabilität aller Grenzen aus, sie versuchen aber gerade das Wechselspiel zwischen der Dekonstruktion von Grenzen und ihrer politischen Re-Artikulation zu analysieren.

Geschichte und Modernität Das Ende der MetaNarrative und Genealogie Bereits zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich die ›poststrukturalistischen Soziologien‹ von einer ›Soziologie der Postmoderne‹ nicht zuletzt deshalb abgegrenzt, weil der Epochenbegriff selbst fraglich geworden ist. Im Zuge der Globalisierungsdiskussion ist eine Wiederbelebung und Auferstehung von Meta-Narrativen unterschiedlichster Provenienz zu beobachten, ganz so, als habe es eine tiefgreifende Kritik an einer totalisierenden Sozialtheorie nie gegeben. Diesem Gestus einer unhinterfragten Totalisierung stellen sich poststrukturalistisch informierte Soziologien deutlich entgegen. Dabei sind v. a. zwei Positionen für die Dekonstruktion universalisierender soziologischer Erzählungen wichtig geworden. Zum einen handelt es sich um Jean-François Lyotards (1993) bereits ›klassische‹ Schrift zum postmodernen Wissen, in der seine Kritik an den modernen MetaNarrativen am publikumswirksamsten formuliert worden ist (s. u. S. 43ff.).30 Zum anderen wird hier Michel Foucaults genealogische Perspektive wichtig, die es erlaubt, historische Diskurse in ihrer Singularität zu analysieren (s. u. S. 44ff.).

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Inkommensurable Sprachspiele Das moderne Wissen ist für Lyotard dadurch charakterisiert, dass es einzelne kleine Narrative einem Meta-Narrativ wie jenem der Wissenschaft unterwirft. ›Kleine‹ Wissensformen müssen sich diesem Meta-Narrativ unterordnen, um so anerkannt und legitimiert zu werden. Moderne wissenschaftliche Ideale wie Universalität, Homogenität oder auch Emanzipation dienen als Instanzen, um einzelnen Narrativen ihre Rechtmäßigkeit und Existenzberechtigung zu geben. Eine politische Bewegung mag sich z. B. dadurch legitimieren, dass sie sich auf Emanzipation oder universale Menschenrechte beruft, d. h. auf Werte, die außerhalb des eigenen Narrativs formuliert sind. Wenn Lyotard vom postmodernen Wissen spricht, dann ist damit die Krise dieses modernen Legitimationsdiskurses gemeint: Auch das Meta-Narrativ Wissenschaft kann keine privilegierte Stellung mehr einnehmen und wird zu einem kleinen Narrativ unter vielen anderen. Lyotard sieht darin eine Vervielfältigung von Sprachspielen, die sich nicht mehr automatisch einer vorgegebenen Rationalität unterordnen. Dieses Argument weitet Lyotard zu einem gesellschaftstheoretischen Argument aus. Nicht nur das Wissen vervielfältigt sich, sondern die Gesellschaft selbst wird zentrumslos und besteht nun aus einer Vielzahl von inkommensurablen Sprachspielen, die miteinander in einem ständigen Widerstreit stehen. Lyotard entleiht das Sprachspielkonzept Wittgenstein und bezeichnet damit ein Ensemble von Regeln, das mögliche Spielzüge vorschreibt, wobei die Regeln durch ihre Ausführung wiederum verändert werden. So werden z. B. Institutionen nicht als starr festgelegte Regelsysteme interpretiert, sondern auch diese sind ein stets vorläufiges Resultat verschiedener strategischer Spielzüge (Lyotard 1993: 61). Da der Gesellschaft ein in letzter Instanz bestimmender Bereich wie die Ökonomie oder Wissenschaft fehlt und sie sich stattdessen in eine kaum überblickbare Menge von Sprachspielen vervielfältigt, gibt Lyotard etablierte Vorstellungen von Gesellschaft auf: Sie ist weder eine normativ integrierte Totalität, noch eine in einen dualistischen Antagonismus gespaltene Einheit. Die Vielzahl der Sprachspiele erlaubt also nicht mehr, von einer epochalen Totalität auszugehen. Zu unterschiedlich, ja, zu unvergleichbar sind die verschiede-

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nen Sprachspiele. Was in dem einen Sprachspiel gesagt werden kann, lässt sich in kein anderes Sprachspiel übersetzen. Die verschiedenen Sprachspiele finden kein gemeinsames ›Dach‹, kein Meta-Narrativ, das fähig wäre, die verschiedenen Logiken miteinander zu integrieren und sie übersetzbar zu machen. Die sozialtheoretischen Konsequenzen gehen über das allgemeine Bild einer a-zentrischen Gesellschaft hinaus und verweisen auf das Postulat einer paralogischen Soziologie. Damit richtet sich Lyotard sowohl gegen eine Begründung der Gesellschaft in einem intersubjektiven Konsens (Habermas) oder einem Ideal wie Emanzipation, wie auch gegen funktionalistische Ansätze, die Erfolg am bloßen Funktionieren eines Systems bemessen. Eine paralogische Soziologie würde versuchen, der »Heteromorphie der Sprachspiele« (ebd.: 191) gerecht zu werden, wozu sie auf Sprachspiel übergreifende Vergleichsstandards verzichten müsste.31 Das bedeutet auch, dass sich nicht alle Sprachspiele einer einheitlichen Entwicklungsperspektive wie z. B. Ausdifferenzierung oder Rationalisierung unterordnen lassen, sondern einer auf Unentscheidbarkeiten und Konflikten beruhenden Evolution folgen, die »als diskontinuierlich, katastrophisch, nicht zu berichtigen, paradox« gefasst ist (ebd.: 173).

Genealogie der Machtverhältnisse Michel Foucaults genealogische Methode stellt ähnliche Aspekte in den Vordergrund wie Lyotard. Beiden gemeinsam ist der Ausgangspunkt von der französischen Epistemologie, die sozialtheoretisch radikalisiert wird. Und genauso wie für Lyotard eine kommunikationstheoretische Analyse von Sprachspielen mit einer Analyse ihrer Agonalität (d. h. des Wettkampfes zwischen den Sprachspielen) verknüpft werden muss, interessiert sich die Genealogie für die Machtprozesse, durch welche Diskurse zustande kommen. Die Genealogie wird so zur Analyse unreiner und heterogener Ursprünge – sie stellt sich damit nicht nur der traditionellen Ideengeschichte entgegen, welche Ideen wiederum aus Ideen ableitet, sondern auch soziologischen Ansätzen, die gesellschaftsübergreifende Prozesse wie Modernisierung oder

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Rationalisierung annehmen.32 In der deutschen FoucaultRezeption (vgl. Eßbach 1991) wird gerade dieser Verzicht auf ein Meta-Narrativ als Bedrohung wahrgenommen: »[I]n dieser chaotischen Mannigfaltigkeit vergänglicher Diskursuniversen bleibt für irgendeinen übergreifenden Sinn kein Platz mehr« (Habermas 1985: 297). Statt aber die Vielfalt von dezentralen Machtverhältnissen doch wieder unter den einen Sinn – etwa der Rationalität oder einer Herrschaftslogik – zu stellen, versucht Foucaults Diskursanalyse gerade jenen Verästelungen nachzugehen, welche sich einem sinnstiftenden Meta-Narrativ nicht beugen. Die Gewissheit eines ›übergreifenden Sinns‹ wird ersetzt durch die häufig mühsame Analyse diskursiver Formationen, d. h. durch die Analyse der Auftretensbedingungen für bestimmte diskursive Aussagen. Die Genealogie versucht, die uneinheitliche Herkunft von diskursiven Aussagen aufzuzeigen und interessiert sich für die Machtkämpfe, mit welchen das kontingente Erscheinen neuer Aussagen verbunden ist: »[Die Geschichte] ist intelligibel und muss bis in ihr allerkleinstes Detail analysierbar sein: jedoch entsprechend der Intelligibilität der Kämpfe, der Strategien und der Taktik. Weder die Dialektik (als Logik des Widerspruchs) noch die Semiotik (als Kommunikationsstruktur) könnten klären, was die wirkliche Intelligibilität der Konfrontation ist« (Foucault 1978: 29). Eine derartige Genealogie mag auf den ersten Blick an Verfahren der Ideologiekritik erinnern, sucht sie doch nach Entstehungsbedingungen und zeichnet Herkunftslinien nach, die oft den offiziellen Erzählungen und Selbstbeschreibungen widersprechen. Gleichzeitig verorten sich die GenealogInnen aber nicht in einer Position besseren Wissens, da sie immer auch selbst in die zu beschreibenden Artikulationskämpfe verstrickt sind.

Sozialtheoretische Weiterführungen Bereits diese knappe Skizze von Lyotards paralogischer Sprachspielanalyse und Foucaults genealogischer Methode zeigt eine wichtige Gemeinsamkeit auf. Die Totalität von Gesellschaft zerbricht nicht nur in der im ersten Kapitel beschriebenen unmöglichen Totalität von Gesellschaft, sondern auch in ihrer historischen Dimension und stellt sich so

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sowohl optimistischen wie auch pessimistischen Kontinuitätsvorstellungen entgegen: Weder eine ständig zunehmende gesellschaftliche Rationalität (Habermas 1981) noch der katastrophische Zerfall der Rationalität (Horkheimer / Adorno 1969) leiten diese Analysen an. Dennoch sollten aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Positionen nicht unterschätzt werden. Während Lyotard eine Theorie geschlossener und inkommensurabler Sprachspiele entwickelt hat, erweisen sich Foucaults Diskurse als heterogener und keineswegs von festen Grenzen umrissen. Für Foucault erscheint Gesellschaft eher als Verknüpfung und Überlagerung heterogener Netzwerke, für Lyotard dagegen gleichen die Sprachspiele inselhaften Monaden, die von ihrer Außenwelt abgeschnitten sind. Beide Positionen haben wichtige gesellschaftstheoretische Weiterführungen erfahren und zu teils heftigen Debatten geführt. Bei Lyotard fasziniert v. a. der Blick auf die nicht mehr integrierbare Vielfalt sozialer Sprachspiele. Der Rechtstheoretiker James Tully (1995) benutzt ebenfalls eine an Wittgenstein orientierte Theorie der Sprachspiele, um eine Verfassungskonzeption zu entwerfen, die multiplen Differenzen gerecht wird. Obwohl Lyotards Sensibilität für die Heterogenität (post-)moderner Gesellschaften häufig positiv rezipiert wird, erscheint das Problem des Verhältnisses der verschiedenen Sprachspiele als letztlich ungeklärt. Der Kultursoziologe Zygmunt Bauman, der eine Soziologie der Postmoderne entwirft, wendet ein, dass die Unabhängigkeit der Sprachspiele sich nur einer Entkopplung der kommunikativen Sphäre von politisch-ökonomischen Strukturen verdankt und nur deshalb möglich wurde, weil Kultur für die Systemintegration verzichtbar geworden ist (vgl. Bauman 1988: 802). Eine derartige Soziologisierung von Lyotard verspielt aber gerade auch das radikale Potential seines a-zentrischen Denkens, denn es führt jenseits der kommunikativ funktionierenden Sprachspiele die Ökonomie und das politische System als vorgeordnete Sozialstruktur ein. Statt diese Bereiche wiederum an die Kategorien der klassischen Soziologie zu delegieren, bestünde die Herausforderung einer poststrukturalistischen Soziologie gerade darin, solche Bereiche ebenfalls gemäß diskursiver Logiken wie jene der Sprachspiele zu denken, indem z. B. die Ökonomie selbst als Sprachspiel analysiert wird.33

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Auch die Foucault’sche Genealogie hat eine breite sozialtheoretische Diskussion ausgelöst und in den letzten Jahren sogar einen geradezu unüberschaubaren Boom erlebt. Hier ist v. a. an die im anglo-amerikanischen Sprachraum entstandenen Analysen zur governmentality zu denken.34 Im Vordergrund stehen dabei Foucaults Überlegungen zu einer Analyse von Regierungstechniken, die sich nicht auf die Techniken des politischen Systems reduzieren lassen, sondern ein breites staatliches und nicht-staatliches Feld von Taktiken und Strategien bezeichnen, welche die Führung der Lebensführung organisieren. Mitchell Dean, einer der führenden Vertreter der governmentality-Perspektive, hat einen kompakten Definitionsvorschlag für den Begriff der Regierung gemacht: »Government is any more or less calculated and rational activity, undertaken by a multiplicity of authorities and agencies, employing a variety of techniques and forms of knowledge, that seeks to shape conduct by working through our desires, aspirations, interests and beliefs, for definite but shifting ends and with a diverse set of relatively unpredictable consequences, effects and outcomes« (1999: 11). Eine derart ›soziologisierte‹ Genealogie interessiert sich in erster Linie für Techniken und Technologien der Regulierung und Disziplinierung der Bevölkerung. Analysiert werden die Vielfalt unterschiedlichster Techniken, die Strategien und Taktiken, mit welchen diese untereinander verknüpft werden, wie auch die entsprechenden Modi der Subjektkonstitution.35 Der governmentality-Ansatz hat sich für historische und soziologische Diskursanalysen auf verschiedensten Gebieten der Soziologie (von der Kriminalsoziologie über die Organisationssoziologie bis zur Wirtschaftssoziologie) als sehr fruchtbar erwiesen,36 wobei die Klärung grundlagentheoretischer Fragen zu Gunsten historischer Konkretion etwas in den Hintergrund geraten ist.

Die Dekonstruktion des Subjekts So unterschiedlich poststrukturalistische Subjektkonzeptionen auch sein mögen, so ist ihnen doch gemeinsam, dass sie einen einheitlichen Subjektbegriff aufgegeben haben. Die radikalen poststrukturalistischen Kritiken des Subjekts ha-

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ben erbitterte Reaktionen hervorgerufen. Die Rede vom ›Tod des Subjekts‹ und vom ›Antihumanismus‹ gibt seit den sechziger Jahren zu heftigen und polemischen Debatten Anlass. Vorgeworfen wird poststrukturalistischen AutorInnen, sie verfügten weder über einen Subjektbegriff noch hätten sie die notwendigen Mittel, um – nicht zuletzt auch politische – Handlungsfähigkeit (agency) zu denken.37 Übersehen wurde von den Kritikern dabei häufig, dass es keineswegs um eine völlige Aufgabe des Subjekts geht, sondern um die Dekonstruktion der Annahme eines autonom handelnden und selbstidentischen Subjekts. Mit der poststrukturalistischen These der Dezentrierung des Subjekts sollte diese Kontinuität aufgesprengt werden: Die Identität des Subjekts kann nicht unabhängig von seiner Einschreibung in verschiedene diskursive Oberflächen und Dispositive gefasst werden. Das Subjekt wird erst durch den Diskurs als Ort seines Sprechens, Fühlens und Handelns geschaffen. Die Vielfältigkeit gesellschaftlicher Diskurse ist denn auch gleichzeitig die Vielfältigkeit des Subjekts. Selbst der Eigenname eines Subjekts kann nicht mehr garantieren, dass es sich bei den verschiedenen ›Aussagen‹ und ›Praktiken‹ des ›gleichen‹ Subjekts um eine kontinuierliche Menge handelt (Foucault 1988). Was etwa Bourdieu mit dem Begriff des Habitus noch voraussetzt, wird hier aufgegeben: ein vereinheitlichendes Prinzip, das die Praktiken eines Subjekts so aufeinander abstimmt, dass es nicht zum Stilbruch kommt. Dieses heterogene Ensemble von Orten, die als Positionen regulierter Redeweisen den Subjekten erst ermöglichen zu sprechen, wird von Foucault mit dem Begriff der Subjektpositionen belegt (1973: 75ff.). Wenn das Subjekt in Positionen des Sprechens, die diskursiv festgelegt sind, aufgelöst wird, mögen sich manche soziologische LeserInnen an das weitverbreitete soziologische Konzept der Rolle erinnert fühlen. Versucht die Soziologie nicht schon seit Jahrzehnten, die Pluralität von Rollen und die daraus entstehenden Rollenkonflikte zu analysieren? Selbst wenn es heute still um die Rollentheorie geworden ist, so scheint dies nur ein Zeichen dafür zu sein, dass sich ihre Begriffe auf unspektakuläre Weise in zahlreichen Theorien festgesetzt haben und in einer großen Menge empirischer Untersuchungen als Selbstverständlichkeit auftauchen. Worin unterscheidet sich also die häufig nur schwer

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verständliche poststrukturalistische Kritik des Subjekts von einer vergleichsweise übersichtlichen rollentheoretischen Perspektive? Mindestens drei wichtige Unterschiede zum traditionellen Konzept der Rolle lassen sich benennen (vgl. Calhoun 1994: 13): Die Rollentheorie analysiert erstens Handlungen gemäß ihrer (Nicht-)Erfüllung von Rollenerwartungen. Aus poststrukturalistischer Perspektive werden aber gerade die Maßstäbe, mit denen man die Angemessenheit des Rollenhandelns bewerten könnte, prekär, unterliegen doch diese ebenfalls diskursiven Auseinandersetzungen, in denen sie stets wieder von neuem festgelegt werden. Zweitens nimmt die Rollentheorie an, dass die Fragmentierung des Selbst durch unterschiedliche Rollenanforderungen ein unerwünschter Nebeneffekt von Rollendifferenzierung ist. Man mag z. B. an Konflikte denken, die mit der Rolle des Staatsbürgers und des Vaters verbunden sind: Soll man, wie z. B. in der Schweiz vor einigen Jahren in einer Volksabstimmung, gegen die Einführung einer weiteren Ferienwoche stimmen, da diese für die politische Gemeinschaft als Ganze schädlich ist, oder ist die zusätzliche Ferienwoche für das Glück des Einzelnen, z. B. als Vater, wichtiger? Poststrukturalistische Ansätze gehen von dieser konflikthaften Fragmentierung des Selbst als Normalfall aus – so dass das konsistente und selbstreflexive Individuum als analytische Kategorie (nicht aber als Hegemonialprojekt) abgedankt hat. Dies führt zum dritten Punkt der produktiven Erzeugung von Subjekten durch Identifikationsprozesse. Nicht nur geht die Idee eines einheitlichen Subjekts verloren, sondern einzelne Subjektpositionen erzeugen erst das Subjekt, welches sich mit den Positionen identifizieren wird. Die übliche Kausallogik wird damit zugunsten einer zirkulären Logik der Nachträglichkeit aufgegeben. Die beiden folgenden Abschnitte stellen das bereits erwähnte Konzept der Subjektposition sowie ein an der Lacan’schen Psychoanalyse orientiertes, alternatives Subjektverständnis dar.

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Subjektpositionen (Foucault) Das poststrukturalistische Gegenkonzept zum Rollenbegriff ist jenes der Identität – und wie hier bereits deutlich geworden ist, führt dies zu einer neuen Konfiguration des theoretischen Terrains. Statt objektiver Angemessenheitsstandards und individueller Kontinuität finden sich Unentscheidbarkeit, Diskontinuität und Machtprozesse. Das Subjekt ist hier keine Substanz mehr, die sich je nach Kontext etwas verändert, aber stets den gleichen Kern behält. Vielmehr wird es als eine Form konstituiert, die ganz unterschiedliche Arten der Selbstbeziehungen des Subjekts zu sich selbst erlaubt (vgl. Foucault 1977): Der citizen etabliert z. B. eine andere Selbstbeziehung als das Subjekt in einer sexuellen Beziehung. Das Problem des Individuums, das diese verschiedenen Selbstbeziehungen mit sich vereinen muss, verschwindet bei Foucault, da er nicht voraussetzt, dass es ein derartiges unproblematisches Subjekt gibt, sondern sich für jeweils partikulare Subjektivierungstechniken interessiert. Es gibt auch keinen gesellschaftlichen Bereich, der als die eigentliche Basis dienen könnte und so doch noch eine Einheit des Subjekts verbürgen würde: Weder die Position im Produktionsprozess, noch die im Sexualitätsdispositiv sind automatisch vorherrschend – vielmehr konstituiert sich das Subjekt über eine Vielzahl von Mikropraktiken in einem heterogenen Ensemble von Kontexten. Auch Foucault hat einen einheitlichen Gesellschaftsbegriff aufgegeben; im Gegensatz aber zur hyperrealen Simulationsgesellschaft von Baudrillard oder Laclaus These der Unmöglichkeit der Gesellschaft interessiert sich Foucault für Gesellschaft als einem Verhältnis unterschiedlicher Macht / Wissens-Konfigurationen. Nicht die große Totalität (und auch nicht deren Unmöglichkeit), sondern Diskurse und Machtpraktiken in unterschiedlichen Kontexten bilden den Gegenstand von Foucaults Arbeiten. Identitätsbildung durch die Einnahme von Subjektpositionen ist aus Foucaults diskursanalytischer Perspektive kein einmaliger und problemloser Vorgang. Vielmehr bedarf es ausgefeilter Machttechniken, um entsprechende Subjekte herzustellen. Foucault beruft sich auf die Doppelbedeutung von ›Subjekt‹ im Französischen: Einerseits bezieht es sich auf das uns bekannte handlungsfähige, autonome Subjekt,

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andererseits aber auf das Sub-jectum, d. h. dasjenige, das unterworfen ist. Eine fundamentale Paradoxie wird dadurch deutlich: Um handlungsfähiges Subjekt zu werden, muss man sich unterwerfen. Der theoretische Gewinn von Foucaults Theorie der Subjektpositionen liegt also gerade in der Einsicht, dass Diskurse nicht einfach machtvolle Strukturen sind, die Individuen nur noch Plätze als Subjekte zuweisen, sondern dass (u. U. auch widerständige) Subjekte erst durch ihre ›Unterwerfung‹ geschaffen werden. Mit dem Begriff der Disziplinierung beschreibt Foucault (1976) einige wichtige Subjektivierungstechniken, mit denen Subjekte hergestellt werden. Wichtig ist hier die Einsicht, dass Subjektivierung nicht nur an einigen Orten der Gesellschaft (wie z. B. Familie oder Schule) stattfindet, sondern sich wie ein Netzwerk über alle sozialen Felder ausbreitet. Das moderne Subjekt wird durch verschiedene Formen der Vereinzelung produziert: sei es durch eine bestimmte räumliche Anordnung (wie in der Fabrik, aber auch im Supermarkt) oder durch sich wiederholende Zeitpläne mit einem genauen Rhythmus. Macht ist immer auch ein Prozess, der sich auf die Körper selbst bezieht: etwa als Anordnung der Körper oder in dem Sinne, dass der Körper selbst durch Macht geformt wird.38 Diese durch Disziplinierung ausgeübte Macht verweist auf Foucaults berühmte These, dass Wissen und Macht ineinander verschränkt sind. Genauso wie die Zergliederung der Arbeitsschritte in der frühkapitalistischen Fabrik oder die Internierung von psychisch Kranken auf wissenschaftlichem Wissen beruhte, so ist auch die Anordnung der Waren und Regale im Supermarkt auf psychologisches und kultursoziologisches Wissen angewiesen. Foucaults Machtmodell unterscheidet sich deutlich vom ›juridischen‹ Modell der Macht – ein Modell, dem weite Teile der Soziologie anhängen. Diese Denkweise geht davon aus, dass Macht von einem zentralen Punkt ausgeübt wird (wie z. B. dem Staat, einer Klasse oder einem Geschlecht). Exemplarisch dafür ist die Figur des Königs, der als Machthaber konzipiert wird und seine Untertanen unterdrückt. Es ist diese anachronistische Figur, die viele soziologische Machtkonzepte noch immer dominiert. Die Theorie der MikroMacht und Disziplinierung löst sich von zwei Annahmen, die für den soziologischen common sense als selbstverständlich gelten. Erstens kann niemand Macht ›besitzen‹, weshalb die-

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se sich auch nicht auf einem Punkt oder einigen wenigen Punkten anhäufen lässt. Zweitens kann Macht nicht auf die Intention einzelner Personen zurückgeführt werden, wie es z. B. Max Weber in seiner Definition von Macht als Chance, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand Anderer durchzusetzen, bestimmt. Eine derartige Bestimmung von Macht verfehlt gerade den spezifischen Zusammenhang von Macht und Subjektivierung – machtausübende Subjekte können nicht vorausgesetzt werden, um Macht zu definieren. Vielmehr entspricht diese einem ›unpersönlichen‹ Prozess, der sich in der Organisationsweise von Diskursen und Dispositiven sowie der Verwendung bestimmter Machttechniken zeigt. Inwiefern lassen diese Machttechniken, mit denen Subjekte subjektiviert und so auch produziert werden, überhaupt noch Freiräume für Abweichungen zu – also für das, was man in traditionellen Begrifflichkeiten irreführend als autonomes Handeln beschreiben würde? Gerade Überwachen und Strafen (Foucault 1976) mag entsprechende Bedenken unterstützen, da Disziplinierung hier im Wesentlichen als Herstellung effektiver und effizienter Subjekte verstanden wird – die notwendige Verbindung zwischen Widerstand und Macht, die programmatisch in Sexualität und Wahrheit (Foucault 1977) ausgearbeitet wird, fehlt hier noch. Dennoch können nicht zuletzt Foucaults frühe Schriften Hinweise darauf geben, dass mit der Aufgabe des autonomen Subjekts der Strukturbegriff sich selbst verändert. Der Tod des einheitlichen Subjekts schafft Platz, d. h., es wird so möglich, diskursive Strukturen nicht als homogene und integrierte Gebilde zu verstehen. Sichtbar und analysierbar wird nun ein diskursiver Raum, in dem man der »Verteilung der Lücken und Risse« nachgehen kann (Foucault 1988: 15). Die Möglichkeit von Widerstand – und damit auch von agency – ist nicht als abstrakte, beinah fast dialektische Notwendigkeit mit dem Machtbegriff immer schon gegeben: etwa in dem Sinne, dass jede Machtpraktik ihre eigene Negation in sich trägt. Dies würde Foucaults letztlich anti-theoretische (wenn auch keineswegs un-theoretische!) Diskurs- und Machtanalytik überfrachten. Die Lücken und Risse, die sichtbar werden, sobald man sich von homogenisierenden Totalitätsbegriffen wie dem Subjekt (aber auch der Gesellschaft) verabschiedet hat, ergeben sich aus der Vielzahl von

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Mikro-Mächten und der Unvereinbarkeit von verschiedenen, gleichzeitig angewandten Machttechniken. Das Modell der gesellschaftlichen Totalität wird aufgelöst, weil die mächtigen Praktiken nicht mehr durch ein Kollektivsubjekt wie dem Staat koordiniert und vereinheitlicht werden (bzw. kein gesellschaftliches Imaginäres dies noch erfolgreich zu behaupten vermag). Gesellschaft wird nun zum Streuungsverhältnis diskursiver Regelmäßigkeiten und lokaler Wissen / Macht-Konfigurationen. Gerade in der Vielfältigkeit unterschiedlicher Machtverhältnisse, die sich nicht einer einheitlichen Herrschaftslogik unterordnen lassen, besteht auch die Möglichkeit von Widerstand. Widerstreitende Machttechniken und Subjektivierungsweisen können gegeneinander ausgespielt werden und zu Orten politischer Kämpfe werden. So ist denn gegen eine funktionalistische Leseweise Foucaults (vgl. z. B. Brenner 1994), die Foucault selbst zuweilen (besonders in vereinheitlichenden Begriffen wie jenem der Disziplinierungsgesellschaft) nahelegt, die Aufmerksamkeit für Risse und unterschiedliche Subjektivierungsweisen hervorzuheben. Foucaults Post-Strukturalismus – falls man derart strukturalistisch klassifizierend vorgehen möchte – beweist sich nicht darin, dass der Diskurs immer schon vorschreibt, was sagbar ist und das Subjekt so entmächtigt wird. Darin besteht denn auch ein augenfälliger Unterschied zu einer strukturalistischen Denkweise, die sich für Regelsysteme interessiert. Für Foucault stehen dagegen Regelmäßigkeiten im Vordergrund; nicht um das Auffinden a-historischer, universaler Gesetze geht es Foucault, sondern um stets historisch situierte Untersuchungen, die sich für die Auftretensbedingungen von bestimmten diskursiven Aussagen und Machtpraktiken interessieren. Ihre Sprengkraft erhält eine derartige Diskursanalyse nicht zuletzt dadurch, dass sie sich respektlos gegenüber tradierten diskursiven Einheiten und Machtformen zeigt. Genauso wie für Foucault der Kopf des Königs rollen muss, um eine Analyse von dezentralen und weitverzweigten Machtverhältnissen zu ermöglichen, muss es auch um den ›Tod des Autors‹ als Einheitsgarant von Wissen gehen. Beide Male werden einheitsstiftende Figuren zunächst zerstreut, um sie dann später als Machteffekte wiederum in den Blick zu bekommen. Dadurch gewinnt Foucault eine Perspektive, die hinter den vormals

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homogenen und einheitlichen Verhältnissen das Wechselspiel von Kontinuität und Diskontinuität wie auch vielfältige Mikro-Verhältnisse zu analysieren in der Lage ist.

Das Insistieren des Unbewussten (Žižek) Das Subjekt löst sich nicht nur in eine Vielzahl von Subjektpositionen und Subjektivierungspraktiken auf, sondern – so die über Foucault hinausgehende psychoanalytische These einer an Lacan informierten Sozialtheorie (vgl. Žižek 1989) – es ist in sich selbst konstitutiv gespalten. Durch die Devise einer radikalen Freudlektüre, die sich Freud (1856–1939) aus der Perspektive der strukturalistischen Linguistik nähert, entwickelte der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan eine auch für die Sozialtheorie bedeutsame Subjekttheorie. Die Erschütterung des Subjekts durch die Psychoanalyse erweist sich bei Lacan als grundlegende Unmöglichkeit der Selbstidentität, die sich gerade an Prozessen der Sinngenese in Diskursen festmachen lässt. Die Spaltung des Subjekts – seine Heimatlosigkeit – verweist dieses immer auf ein Anderes. Denn da, wo das Subjekt spricht, spricht der große Andere – das Symbolische, welches die diskursive Organisation der Gesellschaft umfasst. Warum aber, so mag ein erster Einwand lauten, soll sich eine Sozialtheorie überhaupt mit psychoanalytischen Konzeptionen des Subjekts auseinandersetzen? Hat sich die Soziologie nicht gerade dadurch etabliert, dass sie das Psychische der Psychologie überlassen hat? Die Pointe der Lacan’schen Freudlektüre ist nun gerade, dass sie dieser soziologischen Einsicht weitgehend zustimmen würde und dennoch an der sozialen Relevanz des Unbewussten festhält. Wie wir noch sehen werden, wird so eine Perspektive eröffnet, eine Theorie des Subjekts zu entwickeln, ohne, wie in zahlreichen akteurtheoretisch ausgerichteten soziologischen Ansätzen, das Subjekt wieder als selbstreflexiven Akteur einzuführen. Das Unbewusste, so also die Lacan’sche Position, ist ein soziales Phänomen, das sich nicht auf den Innenbereich einzelner, außergesellschaftlicher psychischer Monaden reduzieren lässt. Das heißt aber auch, dass man sich von spontanen Vorstellungen des Unbewussten lösen muss. Mit Lacans strukturalistischer Freudlektüre wurde es möglich, das Un-

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bewusste nicht als brodelnden Untersatz zu verstehen, in dem unterdrückte Triebe und Vorstellungen oder auch universale Archetypen zu finden sind. Stattdessen zeigt Lacan (1978) auf, dass sich das Unbewusste in einer Systematik der Entstellungen, Verschiebungen und Kondensierungen der Diskurse finden lässt. Das Unbewusste ist nicht der Sprache vorgelagert, sondern zeigt sich als zentrale Struktur von Sprache in ihren spezifischen diskursiven Operationen. Das Unbewusste, so Lacan, ist genauso strukturiert wie die Sprache. Lacan nimmt hier auf de Saussures Sprachkonzeption Bezug, radikalisiert diese aber, da für ihn die Fixierung eines Signifikats (d. h. der Bedeutung eines Zeichens) unmöglich wird. Nicht von einem starr fixierten Sprachsystem wird ausgegangen, sondern von einer gleitenden Signifikantenkette, die sich nie völlig festlegen lässt. Das Unbewusste ist die Barre oder der Graben, welcher den Signifikanten von seinem Signifikat trennt und sich so einer endgültigen Bedeutung entgegensetzt. Eine Analyse des Unbewussten muss deshalb diesen Widerständen und Entstellungen der Sprache nachgehen, sie nachzeichnen und offenlegen. Freuds Traumdeutung (1973; orig. 1900) bildet den methodischen Ausgangspunkt für diese Konzeption des Unbewussten, werden hier doch die rhetorischen Prozesse beschrieben, in denen sich das Unbewusste zeigt: Insbesondere ist an Verdichtungsprozesse durch die Figur der Metapher und Verschiebungsprozesse durch die Figur der Metonymie zu denken, die auch für die oben beschriebene Hegemonietheorie von Laclau / Mouffe wichtig geworden ist. Eine konsequente sozialtheoretische Ausarbeitung von Lacans Subjekttheorie hat der slovenische Soziologe Slavoj Žižek (1989, 1998a) entwickelt.39 Ausgehend von Freuds und Lacans These, dass Identität stets als Identifikationsprozess zu denken ist, werden Diskurse als Identifikationsoberflächen aufgefasst. Während Foucault versucht hat, möglichst alle psychoanalytischen Anleihen aus seiner Diskurstheorie zu verbannen, konzentriert sich Žižeks Sozialtheorie ganz auf die Identifikationsfunktion von Diskursen. Das Grundproblem ist bei allen Identifikationsprozessen ähnlich gestaltet. Der Mangel des Subjekts wird ersetzt durch symbolische und imaginäre Angebote auf der Ebene von Diskursen.40 Dies führt dazu, dass das Subjekt sich nie dort befindet, wo es spricht. Sein Sprechen ist immer schon ein

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›enteignetes‹ Sprechen, welches das Subjekt nie erreichen kann. Das Subjekt selbst bleibt unfassbar – und es zeigt sich nur als Mangel in der symbolischen Struktur. Damit legt Žižek ein äußerst fruchtbares Konzept vor, mit dem in Diskursen vielfältige Weisen des Insistierens des Mangels verfolgt werden können. Was früher unter dem Begriff ›Ideologie‹ verhandelt worden ist, kann mit Žižeks Begriffsapparat als scheiternder Identifikationsprozess gelesen werden. Das Scheitern steht hier begrifflich von Anfang an fest, da das Subjekt, um sich als Subjekt konstituieren zu können, sich mit etwas identifizieren muss, das ihm äußerlich ist. Im Spiegelstadium sieht sich das Kleinkind plötzlich seinem eigenen Bild gegenüberstehen und bricht in ein jubilierendes Schreien aus (vgl. Lacan 1973). Die erste Erfahrung der eigenen Identität als Identität ist ein freudiges Ereignis und gleichzeitig die schmerzhafte Erfahrung, dass die eigene Einheit nur im Spiegelbild zu haben ist. Umgekehrt kann es vor diesem Bild keine Einheit und damit auch kein Subjekt geben – Identifikation und das Misslingen der Identifikation im Sinne einer unmöglichen Einheit sind in ein untrennbares, paradoxes Bedingungsverhältnis eingelassen. Bereits Lacan benutzte das Modell des Spiegelstadiums nicht im Sinne einer Stufe der Psychogenese eines Individuums. Vielmehr ist dieses von exemplarischem Wert, da imaginäre Identifikationsprozesse von andauernder Relevanz für jegliche Identitätsgenese sind. Der sozialtheoretisch ausgerichtete Lacanismus überträgt die Mechanismen der Identifikation auf die Konstruktion von sozialen Identitäten wie z. B. Ethnien, Nationen, gender und Ideologien. Diese Übertragung entspricht keineswegs einer Psychologisierung der Soziologie – auch wenn nun Begriffe wie Verdrängung oder das Unbewusste plötzlich zu Gegenständen der Soziologie werden. Da die Lacan’sche Psychoanalyse auch psychische Prozesse im Individuum immer schon als gesellschaftliche denkt, eignet sich dieser Ansatz für eine anspruchsvolle sozialtheoretische Erfassung der Subjektkonstitution. Im Vergleich zu Foucault fällt ein theoretischer Vorteil auf, der gleichzeitig mit einem Nachteil verbunden ist. Foucaults Theorie der Subjektivierungspraktiken kann zwar erklären, wie Subjektivierungstechniken funktionieren, lässt aber die Frage offen, warum Individuen

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sich überhaupt subjektivieren lassen. In diesem Sinne fragt die amerikanische Diskurstheoretikerin Judith Butler, die mit ihren Arbeiten zur Dekonstruktion von Geschlechtsidentität auch über akademische Kontexte hinaus bekannt geworden ist (Butler 1991), wie das »passionate attachment« an Identifikationsprozesse überhaupt funktionieren kann (1997b: 83ff.). Warum identifiziert sich ein Individuum überhaupt mit einem Identitätsangebot? Das Verdienst einer poststrukturalistischen Freudlektüre besteht nicht zuletzt darin, aufzuzeigen, dass es sich hier nicht um eine ›psychologische‹ Fragestellung handelt, sondern um die Rolle des Begehrens für soziale Prozesse. Sozialtheoretisch von besonderem Interesse ist Žižeks (1989: 85ff.) Weiterentwicklung der symbolischen und imaginären Identifikationsoberflächen. Ideologie ist danach nicht mehr ›falsches Bewusstsein‹, sondern ein soziales Phantasma. Diskurse werden daraufhin analysiert, wie sie den ›Mangel‹ durch Bilder und Vorstellungen einer idealen Fülle zu überwinden versuchen. Dabei interessieren v. a. Mechanismen wie ›Knotenpunkte‹, welche eine zeitweilige Stabilisierung der Signifikantenkette durch einen zentralen Signifikanten erlauben. Das Subjekt lässt sich von Einheit suggerierenden Institutionen und Ideologien deshalb verführen, weil diese ein Angebot machen, d. h. eine Projektionsfläche offerieren, die den ursprünglichen Mangel des Subjekts zu überbrücken in der Lage ist. Im Gegensatz zu Theorien ›falschen Bewusstseins‹, die auf eine Bewusstwerdung dieser projektiven Identität hoffen, handelt es sich hier um eine notwendige und realitätsmächtige ›Illusion‹, ohne die keine Identität möglich ist. Žižek, der sich selbst scharf von poststrukturalistischen Theorien abgrenzt, sieht gerade in dieser Instanz eines unüberwindbaren Mangels und in dem damit verbundenen Begehren, den Mangel zu überwinden, den Schlüssel zu einer Subjekt- und Diskurstheorie. Entsprechend wird Foucault ein mechanistisches Konzept der Subjektpositionen vorgeworfen (Žižek 1998b): Zwar könne Foucault heterogene und widersprüchliche Positionierungen des Subjekts erfassen, er bleibe aber blind hinsichtlich des grundlegenden Antagonismus, der sich in der scheiternden Subjektkonstitution selbst zeigt. Jede Identität ist für Žižek von einem Antagonismus beherrscht, von einem Insistieren des nicht-

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symbolisierbaren Realen, das die Schließungsversuche von Identität verunmöglicht. Denn immer taucht ein Moment des ›Haperns‹ auf – ein Moment, in dem die Vorstellung einer vollständigen Identität erschüttert wird. Diese Unmöglichkeit beruht darauf, dass sich das ›Reale‹ nicht ausschalten lässt, sondern als Mangel zu immer neuen Symbolisierungsversuchen führt. Eine vollständige Identität wäre daher die totalitäre Illusion der Überwindung des Realen – und damit der Tod des Subjekts.

Der Dualismus von Struktur / Handlung nach der Dekonstruktion des Subjekts Die beiden zuvor beschriebenen poststrukturalistischen Interventionen, die eine Neuschreibung des Subjekts erfordern, lassen auch gut etablierte soziologische Dualismen wie jenen zwischen Handlung und Struktur nicht unberührt. Ohne hier eine ausreichende Diskussion liefern zu können, sei nur kurz auf die Strukturierungstheorie des englischen Soziologen Anthony Giddens (1988) und die Praxistheorie von Pierre Bourdieu (1988) verwiesen. Beide versuchen sich daran, den Dualismus von Handlung und Struktur zu überwinden. Giddens (1988: 55ff.) unterscheidet zwischen praktischem (vorbewusstem) und diskursivem Wissen. Ein Großteil unserer Handlungen wird durch Routinen und Angewohnheiten ermöglicht, derer wir uns nicht bewusst sein müssen und die gerade durch ihre Selbstverständlichkeit die Reproduktion von Strukturen sicherstellen. Giddens entwickelt eine Strukturierungstheorie, in der neben der Bedeutung von Routinen die reflexiven Leistungen der Handelnden hervorgehoben werden. Während im psychoanalytischen Subjektbegriff das Unbewusste als Ver- und Entstellung von Diskursen in den Blick gerät, scheint dieses Problem des ›Haperns‹ von Diskursen bei Giddens immer schon durch den Einsatz von Routinen repariert. Hier findet eine soziologisierende Verschiebung der Theorie des Unbewussten statt, indem sie auf individuelle Motivationen reduziert wird, wodurch der konstitutive Riss des Subjekts verschwindet. Pierre Bourdieu arbeitet ebenfalls an einer Vermittlung von Struktur und Handlung, indem er den Begriff des Habi-

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tus entwickelt. Der Habitus ist ein System »dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren« (Bourdieu 1988: 98). Auf diese Weise wird der Habitus zu einem handlungsgenerierenden Prinzip, das selbst aber wiederum gesellschaftlich strukturiert ist durch die jeweilige Klassenposition. Der Habitus gewährleistet, dass die Handlungen eines Subjekts (bzw. einer Gruppe mit ähnlicher Position) eine gewisse Konsistenz aufweisen (z. B. ähnliche kulturelle Vorlieben). Die durch den Habitus gesteuerten Handlungen sind zu einem großen Teil praktische Handlungen, derer sich die Handelnden nicht bewusst sind: Ich muss z. B. nicht wissen, dass ich durch meine Vorliebe für bestimmte Nahrungsmittel eine Klassendifferenz markiere, um genau dies dennoch zu tun. Wie bei Giddens spielen vorbewusste Praktiken eine zentrale Rolle für die Strukturierung von Gesellschaft. So oberflächlich die Positionen von Giddens und Bourdieu hier auch skizziert sind, so wird doch deutlich, worin diese sich von einer poststrukturalistischen Subjektkonzeption unterscheiden. Letztere nehmen nicht nur eine wechselseitige Dynamik von Struktur und Handlung an, sondern Struktur und Handlung werden mit einem radikal Anderen konfrontiert, wodurch der Dualismus selbst unterminiert wird. Giddens’ Ziel, letztlich Handlungsfähigkeit über ein selbstreflexives Subjekt zu etablieren, wie auch Bourdieus Vereinheitlichung heterogener Subjektpositionen im Habitusbegriff implizieren aus poststrukturalistischer Perspektive nach wie vor zu essentialistische Identitätskonzepte. Was aber geschieht mit dem Gegensatz von Struktur und Handlung, wenn wir ihn durch eine poststrukturalistische Brille zu lesen versuchen? Hier können wir zwei bereits eingeführte Argumente zusammenführen. Strukturen sind, wie wir mit Derrida gesehen haben, stets de-zentriert, das Subjekt selbst zeichnet sich nicht durch eine eigene Essenz aus, sondern – wenn wir gewillt sind Žižek zu folgen – durch einen unüberwindbaren Mangel. Da es also keine vollständige Struktur geben kann, sondern Strukturen immer den Mangel ihrer Unabschließbarkeit in sich tragen, können diese auch nicht einfach mit einem handlungsfähigen Subjekt kontrastiert werden. Vielmehr konstituiert sich das Subjekt in jenen Momenten, in

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denen die Unentscheidbarkeiten einer Struktur offensichtlich werden: »The traditional debate as to the relationship between agent and structure thus appears fundamentally displaced: the issue is no longer a problem of autonomy, of determinism versus free will, in which two entities fully constituted as ›objectivities‹ mutually limit each other. On the contrary, the subject emerges as a result of the failure of substance in the process of its self-constitution« (Laclau in Žižek 1989: xv). Weil jede Struktur – sei es eine Organisation, ein ideologischer Diskurs oder das Imaginäre einer Gesellschaft – stets Unentscheidbarkeiten produziert, die aufgelöst werden müssen, wird das Moment der Entscheidung wichtig. Laclau verbindet hier dekonstruktive Figuren wie jene der Unentscheidbarkeit mit Lacans und Žižeks Überlegungen zur partiellen Fixierung von Identität. Im Gegensatz zu einem rein dekonstruktiven Vorgehen interessiert Laclau sich nicht nur für die unendliche Dekonstruierbarkeit von Unterscheidungen, sondern auch für Versuche, solche Unentscheidbarkeiten zumindest zeitweilig durch das Treffen einer Entscheidung aufzulösen. Es ist genau dies der theoretische Ort, an dem aus einem literaturtheoretischen Interesse an der Auflösung von Unterscheidungen ein sozialtheoretisches Interesse am Umgang mit Unentscheidbarkeiten wird. Während im literarischen Text Unentscheidbarkeiten häufig geradezu zelebriert werden, werden auf anderen gesellschaftlichen Feldern komplexe Techniken und Verfahrensweisen zur Entschärfung und Verschiebung von Unentscheidbarkeiten angewandt (wobei freilich auch literarische Texte über Verfahren der Sinnstabilisierung verfügen). Die Möglichkeit einer solchen zeitweiligen Fixierung sieht Laclau also in Entscheidungen, die versuchen, die aufgebrochene (›dislozierte‹) Totalität durch eine ideale Totalität zu ersetzen. Eine gesellschaftliche Krisensituation erschüttert z. B. bisher erfolgreiche Problemlösungsformen und führt zu Unsicherheiten und damit auch zu neuen Möglichkeiten, für die keine Lösungsroutinen bereitstehen. Die neue Entscheidung kann nicht von bestehenden Verfahren und Routinen abgeleitet werden, da in diesem Falle keine unentscheidbare Situation vorliegen würde. Eine unüberbrückbare Kluft trennt also die dislozierte, brüchige Totalität und die Entscheidung, welche diesen Zustand überwinden soll. Und gerade hier eröffnet sich der Raum für das Subjekt. Als Subjekt

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wird dieser Abstand zwischen Unentscheidbarkeit und Entscheidung bezeichnet, d. h., das Moment des Subjekts befindet sich logisch gesehen in dem, was eine Unentscheidbarkeit von ihrer Entscheidung trennt. Es ist wichtig, dieses Argument nicht auf bekannte subjekttheoretische Einsichten zurückzuführen. Die Pointe besteht darin, dass es keinen souveränen und autonomen Entscheider (wie z. B. in der rational choice-Theorie) gibt, sondern dass die Entscheidungsinstanz erst im Moment der Entscheidung geschaffen wird. Wir finden hier Žižeks Begriff des Subjekts als Mangel wieder, ist doch der Abstand zwischen Unentscheidbarkeit und Entscheidung eine nicht besetzbare Lücke oder Fissur im Diskurs. Eine derartige Auflösung des Struktur / Handlungs-Dualismus könnte man auch als seine Dekonstruktion bezeichnen, da beide Seiten der Unterscheidung nicht intakt bleiben, aber auch nicht völlig aufgegeben werden. Eine Struktur ist notwendigerweise stets unvollständig und nicht nur empirisch konflikthaft. Dies ist wiederum für das Subjektverständnis folgenreich. Das Subjekt ist nun weit davon entfernt, Giddens’ selbstreflexiven Akteuren oder Bourdieus durch den Habitus vereinheitlichtem Subjekt zu gleichen. Für die Soziologie ist dies eine provokante These: Während eine oberflächliche Lektüre der Theorie der Subjektpositionen noch Assoziationen an den Rollenbegriff hervorrufen konnte, liegt das Konzept des »Subjekts als Mangel« quer zu bestehenden soziologischen Kategorien.41 Es entspricht weder einer bestimmten Rolle noch einem einheitlichen Subjekt, in dem unterschiedliche Rollen zusammengeführt werden. Damit wird die Vorstellung aufgegeben, dass das Subjekt mit einem dauerhaften empirischen Referenten wie z. B. einem Individuum beschrieben werden könnte; vielmehr ist die Idee des Individuums, das verschiedene Rollen integriert, selbst nur eine mögliche Subjektposition, die insbesondere vom liberal-demokratischen Diskurs definiert ist (Game 1991). Statt das Subjekt also in einer stabilen Individualität zu verankern, die als Sammlungspunkt verschiedener gesellschaftlicher Anforderungen dient, wird nun die Möglichkeit des Subjekts abhängig von Momenten der Dislokation in einer Struktur. Deutlich wird dies in den Worten von Trinh T. Minh-ha, einer wichtigen Vertreterin des Postkolonialismus: »The reflexive question asked [. . .] is no lon-

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ger: Who am I? but when, where, how am I (so and so)? [. . .] Here the notion of displacement is also a place of identity: there is no real me to return to, no whole self that synthesizes the woman, the woman of color and the writer, are instead diverse recognitions of self through difference, and unfinished, contingent, arbitrary closures that make possible both politics and identity« (Minh-ha 1992: 157).

Poststrukturalistische Analysen von Identitäten Was bedeuten nun die oben skizzierten poststrukturalistischen Subjektkonzeptionen für soziologische und kulturwissenschaftliche Analysen? In den Vordergrund gerät der Begriff der Identität, der für breite Teile der anglo-amerikanischen Cultural Studies von zentraler Bedeutung ist. Hier werden verschiedene Formen der Identität (gender, sex, Ethnizität, Klasse etc.) in unterschiedlichen sozialen Feldern (z. B. jugendliche Subkulturen, Konsum, Massenmedien) untersucht.42 Dabei wird stets davon ausgegangen, dass Identität nicht eine vorgegebene Einheit ist, sondern ein umkämpfter und sich verändernder Prozess. Stuart Hall, einer der profiliertesten Vertreter der britischen Cultural Studies, fasst dies so: »I use ›identity‹ to refer to the meeting point, the point of suture, between on the one hand discourses and practices which attempt to ›interpellate‹, speak to us or hail us into place as the social subjects of particular discourses, and on the other hand, the processes which produce subjectivities, which construct us as subjects which can be ›spoken‹« (Hall 1996: 5f.).43 Die Analyse von Identitäten geht dabei meist so vor, dass nach der zentralen Differenz gesucht wird, welche Identität herstellt: z. B. männlich / weiblich, um weibliche Identität konstruieren zu können. Die zweite Seite (hier: weiblich) wird zum konstitutiven Außen der Identität, d. h. zu etwas, auf das die Identitätsbildung gleichzeitig angewiesen ist und was sie ausschließen muss. Da gleichzeitig davon ausgegangen wird, dass stabile Differenzsysteme (wie noch bei de Saussure) nicht mehr existieren, gerät die Grenze selbst in den Vordergrund. Unentscheidbarkeiten werden interessant, da hier sowohl subversive politische Handlungsmöglichkeiten entstehen wie auch ein policing, d. h. ein Regulieren der

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Grenze stattfindet. Es interessieren z. B. Transsexualität und Transvestismus (Runte 1996; Butler 1991) als Grenzfälle der männlich / weiblich-Unterscheidung; hybride MinderheitsIdentitäten, die sich im Zwischenbereich von etablierten kulturellen Identitäten einrichten und Hybridität zum politischen Programm machen (Bhabha 1994); der Zusammenbruch der Unterscheidung von Mensch und Maschine in den Arbeiten zu Cyborgs (Haraway 1991) oder von Mensch und Natur (Latour 1991, 1992). Trotz all ihrer Unterschiedlichkeit ist diesen Analysen und Konzepten dennoch gemeinsam, dass sie sich mit Grenzkonflikten von Identitätsbildung auseinandersetzen und diese nicht nur als ein philosophisches Problem behandeln (etwa: Das Selbst ist stets auf ein Anderes angewiesen), sondern dessen sozio-materielles (also in unserem Sinne diskursives!) Funktionieren aufzeigen. All diese Ansätze politisieren Grenzziehungsprozesse (vgl. policing); wichtigstes Mittel dazu sind Artikulationskämpfe. Der ursprünglich aus Freuds Traumanalysen stammende Begriff der Artikulation bezeichnet den grundlegenden Mechanismus, mit dem die Re-Produktion von Diskursen beschrieben werden kann.44 Da nichts mehr einer vorgegebenen Notwendigkeit folgt bzw. nichts mehr auf einem wesenhaften Fundament beruht, werden mögliche diskursive Verbindungen kontingent. Alles könnte auch anders sein – und mehr noch, das Anders-Sein selbst führt zu einer Destabilisierung der bestehenden ›Elemente‹, da diese selbst nie über eine festgefügte Bedeutung verfügen, sondern erst über die Verbindung mit einem anderen Element ihre Bedeutung erlangen. Wenn z. B. ein liberales Ideologem wie ›Freiheit‹ mit einem demokratischen Ideologem wie ›Mitbestimmung‹ verbunden wird, dann erhält ›Freiheit‹ eine aktive Bedeutung: die Freiheit, im Betrieb mitzubestimmen und nicht nur Anweisungsempfänger zu sein. Der Artikulationsbegriff beruht auf der Annahme, dass letztlich kein Element notwendig mit einem anderen verbunden werden muss, sondern deren Artikulation stets kontingent ist. Auch das, was ansonsten häufig als unverrückbar dargestellt wird, gerät nun in die Verwicklungen und Kämpfe um unterschiedliche Artikulationen. Exemplarisch deutlich wird dies in Judith Butlers Dekonstruktion des biologischen Körpers als Fundament für Geschlechtsidentität. Butler (1991) hat mit ihrem Werk Gender Trouble für große Auf-

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merksamkeit gesorgt, indem sie aufzeigte, dass die Unterscheidung zwischen gender (kulturelle Geschlechtsdefinition) und sex (biologisches Geschlecht) problematisch wird, wenn man sex als natürliche, biologische Grundlage für sozio-kulturell variable gender-Konstruktionen betrachtet. Stattdessen schlägt sie vor, in Foucaults diskurstheoretischer Tradition arbeitend, dass sex selbst als Materialitätseffekt von Diskursen aufzufassen sei. Also auch das scheinbar natürliche biologische Geschlecht ist nicht von sich aus ›natürlich‹ und ›materiell‹, sondern es bedarf spezifischer Diskurse, die das Natürliche erst zum Natürlichen machen. Gerade im deutschen Sprachraum wurde und wird Butler allerdings häufig missverstanden: Man wirft ihr vor, idealistisch und voluntaristisch zu argumentieren, da sie sogar den Körper in Diskurse auflöse. Die Kontingenz von gender-Konstruktionen wurde entsprechend im Rahmen eines ›feelgood-feminism‹ als persönlich verfügbare Palette unterschiedlicher Identitäten aufgefasst. Jede / r konstruiert sich nach Belieben das eigene Geschlecht. Spätestens mit Body Matters (1995; engl. 1993) und Excitable Speech (1997a) stößt eine derartige Lektüre aber auf beträchtliche Widerstände. Sexuelle Identität – aber auch andere Formen der Identität wie z. B. ethnische Identität – beruhen stets auf performativen Akten. Der Begriff der Performativität entstammt der linguistischen Sprechakttheorie und bezeichnet dort Sprechakte, die das tun, was sie sagen. Wenn ich z. B. sage, dass ich ein Schiff taufe, dann sage ich nicht nur diese Worte, sondern vollziehe damit auch eine Handlung. Performativität bedeutet aber nicht, dass jede / r beliebige Wirkungen erzielen kann, sondern unterliegt selbst wieder spezifischen Bedingungen, die durch Diskurse festgelegt werden: Es handelt sich nicht (unbedingt) um eine Schiffstaufe, wenn ein Betrunkener eine Flasche gegen den Bug eines Schiffs schleudert. Die performative Herstellung von Identitäten bedeutet also, dass diese immer innerhalb von Diskursen stattfinden, die über bestimmte Modi der Diskursverknappung verfügen, d. h. die den Bereich möglicher Praktiken einschränken. Gleichzeitig sind diese Diskurse aber keine starren Regelsysteme, sondern sie bestehen lediglich aus Wiederholungsketten performativer Akte. Der Begriff der Performativität verbindet die Wiederholbarkeit von Diskursen mit den damit einhergehenden Ausschlussakten: »Die normative Kraft der

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Performativität – ihre Macht, zu etablieren, was sich als ›Sein‹ qualifiziert – arbeitet nicht nur mit der ständigen Wiederholung, sondern ebenso mit dem Ausschluß« (Butler 1995: 251). Identitäten bestehen letztlich aus nichts anderem als solchen miteinander verknüpften Praktiken, welche stets wiederholt werden müssen, damit sie eine Identität erzeugen und aufrechterhalten können. Man könnte also z. B. von einem doing gender, einem girling oder racing sprechen. Damit wird die wichtige Dimension der Temporalisierung angesprochen, die für eine Überwindung häufig ahistorischer strukturalistischer Positionen wichtig wird. So sieht denn Butler in der Notwendigkeit einer sich stets auch wieder verschiebenden Wiederholung den poststrukturalistischen ›Kern‹ ihrer Arbeiten: »What is poststructural in my work is the fact that I want those subjectivating norms to be temporalized and open rather than fixed and determinated« (Butler 1999: 168). Was Butler hier auf den Identitätsbegriff bezieht, lässt sich aber auch als allgemeines Merkmal eines poststrukturalistischen Diskursbegriffs verstehen: Statt von festgelegten Strukturen auszugehen, interessieren gerade jene Prozesse, in denen Strukturen sich wiederholen. Einfache soziologische Modelle, die davon ausgehen, dass zuerst ein Konstitutionsprozess stattfindet und mit einer relativ stabilen Struktur vollendet wird, sind damit von vornherein ausgeschlossen. Struktur, so könnte man Butlers Position zusammenfassen, findet sich immer nur in Versuchen ihrer Konstitution, in vielfältigen Wiederholungsweisen, die immer auch Abweichungen und Alterierungen produzieren.45

Singularitäten und Differenzen Das dekonstruktive und auch das gewiss ganz anders gearbeitete Lacan’sche Konzept von Identität als unendlichem Prozess einer scheiternden Identifikation ist nicht zuletzt von an Deleuze / Guattari orientierten Autoren kritisiert worden. Müssen wir, so fragt etwa Lawrence Grossberg (1996), Identität notwendig gemäß eines dekonstruktiven Modells denken? Hierbei handelt es sich keineswegs ›nur‹ um eine philosophische Frage, sondern um ein sozialtheoretisch entscheidendes Problem. Viele der obigen Identitätskonzeptionen – mit der wichtigen Ausnahme von Foucault – haben ge-

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zeigt, dass die analytische Leitfrage stets auf ein ›konstitutives Außen‹ gerichtet ist. Dies führt dazu, dass selbst Identitäten, die in rigiden Differenzsystemen geschaffen werden (wie z. B. Apartheidsdiskurse), immer von einer diskursiven Überflutung durch ihr Außen destabilisiert werden (Norval 1996). So unterlag etwa in Südafrika die Definition der Coloureds tiefgehenden politischen Artikulationskämpfen, weil deren Bedeutung letztlich nicht festgeschrieben werden konnte. Im Gegensatz zu diesen Positionen, die sich gleichzeitig für die soziale Instituierung von Unterscheidungen und ihre Subversion interessieren, versucht eine von Deleuze / Guattari angeleitete Perspektive einen alternativen Blick auf das Soziale zu werfen. Hier steht nicht die eine konstitutive Differenz im Vordergrund, welche eine Identität durch ihr Anderes konstituiert. Stattdessen gilt es, ›Differenzierungsmaschinen‹ zu analysieren, durch welche erst ›Territorialisierungen‹ zustande kommen, die es erlauben, von einer Identität zu sprechen. Diese Organisationsprozesse spielen sich nicht nur auf der Ebene des Sinns ab, sondern gleichzeitig auch auf einer nicht-diskursiven Ebene von Kraftfeldern und -strömen. Gesellschaft wird aus einer solchen Perspektive die Gemengelage verschiedener Schichten, von denen die Organisation des Sinns nur eine (und nicht einmal die wichtigste) ist. Die oben erwähnte Metapher der ›Territorialisierung‹ ist keineswegs zufällig gewählt. Gegen die dekonstruktive Präferenz für temporale Aspekte bei der Analyse von Diskursen gilt es, deren Räumlichkeit ernst zu nehmen.46 Der Deleuze’sche Materialismus verbindet sich hier mit einem Interesse für die Herstellung von Orten und Räumen und deren Besetzung mit Körpern und Massen.47 Gerade dieser Aspekt ist von hoher sozialtheoretischer Relevanz und wird insbesondere von poststrukturalistischen Geographen wie Nigel Thrift (1996) sozialtheoretisch ausgearbeitet. Für die Soziologie könnte daraus eine effektvolle Umschreibung nicht nur ihres Identitätsbegriffs, sondern auch der Mikro / Makro-Unterscheidung resultieren. Während üblicherweise Mikro / Makro-Unterscheidungen an der ›Größe‹ oder Bedeutung von sozialen Gebilden festgemacht werden (z. B. ökonomische oder politische Strukturen auf der Makro-Ebene und individuelles Verhalten auf der Mikro-Ebene), wird

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nun der zu strukturierende Raum selbst bedeutsam. Deleuze / Guattari (1992) schlagen deshalb vor, Makro-Strukturen als Strukturen der Territorialisierung zu denken – also der Bildung von Räumen – und Mikro-Strukturen als Bewegungen der Entterritorialisierung. Die Mikro-Ebene ist nun die des Molekularen, der Herde oder der Vielheit der Masse. Damit gelingt Deleuze / Guattari nicht zuletzt die soziologische Pointe, den zu unrecht fast vergessenen Soziologen Gabriel Tarde (1843–1904) als Theoretiker der Makro-Ebene zu etablieren,48 interessiert dieser sich doch für die Art und Weise der Territorialisierung von Zeichenströmen, indem Imitationsprozesse zu einer Stabilisierung der Vielfalt führen. Das Interesse an Territorialisierungs- und Deterritorialisierungsprozessen führt dazu, dass Gesellschaft als eine komplexe Sammlung unterschiedlichster Strata und Netzwerke über eine rhizomatische Struktur verfügt: »[T]hat of the ›rhizome‹, the regime of pure multiplicities [. . .] the pattern of breaks in reality, in the social field, and in the field of economic, cosmic and other flows« (Guattari 1979: 65). Möchte man also Identitäten analysieren, dann muss gerade die Organisationsweise vielfältiger Ströme und Multiplizitäten in den Vordergrund der Analyse treten. Freilich geraten Deleuze / Guattari genau hier auch an die Grenzen eines differenztheoretischen Ansatzes, müssen sie doch die Multiplizität immer schon als »inexhaustible fullness of the world« voraussetzen (Badiou 1994: 65). An dieser Stelle wird die Frontlinie zwischen zwei wichtigen poststrukturalistischen Theorieoptionen offensichtlich: Entweder wird Differenz über ein ›konstitutives Außen‹ erfasst (sei es als der radikal Andere oder das notwendig Verworfene) oder Differenzen werden aus einem Prozess erklärt, dem eine immer schon gegebene Vielheit des Sozialen zu Grunde liegt.49 Wichtig ist aus der Deleuze’schen Perspektive der Plural von Differenzen, da beansprucht wird, nicht alle Differenzen auf einen bestimmten Typus von Differenzen zu reduzieren, sondern den Differenzbegriff selbst zu vervielfältigen.

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Konturen einer ›spektralen Soziologie‹ Eine oberflächliche Lektüre poststrukturalistischer Theoreme mag den Eindruck erwecken, dass viele der poststrukturalistischen Konzepte inzwischen zum common sense wichtiger soziologischer Theorien und Methodologien geworden seien. Man denke z. B. nur an einige Stichworte aus verschiedenen prominenten soziologischen Denkweisen: – Dezentrierung der Gesellschaft in der autopoietischen Systemtheorie von Niklas Luhmann – Konzeptionen des Subjekts zwischen autonomer Handlungsfähigkeit und sozialer Konstitution in Giddens’ Strukturierungstheorie – Konstruktion von sozialen und politischen Identitäten in Traditionen des symbolischen Interaktionismus Es ließen sich noch viele andere Positionen hinzufügen – dennoch wird bereits an diesen Beispielen eine Ambivalenz gegenwärtiger soziologischer Modelle deutlich. Zum einen finden begriffliche Umbauten statt – nicht zuletzt unter dem Druck des diskursiven Ereignisses einer immer weitere Bereiche umfassenden ›Globalisierung‹ –, zum anderen die Flexibilisierung allzu starrer Begriffsangebote. Dennoch scheint die Grenze der Soziologie in diesen Versuchen unproblematisch: Zwar wird auch die Soziologie relativiert und partikularisiert, ja geradezu zum Gegenstand der eigenen analytischen Bemühungen. Unsichtbar bleiben aber die Artikulationsweisen und -kämpfe um die eigene Grenze. Ausgeblendet wird so die ›Politik der Soziologie‹, die nicht nur Grenzreflexion ist, sondern gleichzeitig auch stets in Auseinandersetzungen um die eigene Grenzbestimmung verstrickt ist. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn es nicht nur um die Pluralisierung von Perspektiven, einen Kompromiss zwischen Handlung und Struktur oder die interaktive Konstitution eines Selbst geht, sondern um ein NeuDenken von Differenz und Grenzen, das diese nicht wiederum in Sinn aufgehen lässt. Poststrukturalistische Soziologien – damit ist also das lose Sprachspiel unterschiedlicher Sozialtheorien gemeint, die sich einem Denken der Identität entgegenstellen und alternative Denkfiguren entwerfen. Dies mögen Figuren der Streuung (Dispersion), der différance, des Widerstreits, des

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Rhizoms oder einer Paralogik sein. So abstrakt und ›unsoziologisch‹ diese Konzepte auch wirken, so fruchtbar haben sie sich für ein breites Feld von soziologischen Analysen erwiesen. Einige der wichtigsten und erfolgreichsten ›Anwendungsfelder‹ einer poststrukturalistischen Soziologie sind nachfolgend skizziert und fassen so auch einige wichtige Argumente der vorherigen Abschnitte zusammen: a) Psychoanalyse als Soziologie: An Lacan anschließende Arbeiten re-artikulieren den soziologischen Gegensatz von Individuum und Gesellschaft. Wichtig wird hier das Unbewusste, welches nicht als je privater Tiefenbereich brodelnder und verborgener Kräfte gedacht wird, sondern als Verschiebung, Hapern und Scheitern von Diskursen. Dies hat zur Folge, dass Modelle, die von einem intentional handelnden Akteur ausgehen, ersetzt werden durch eine Analyse des Subjekts als Mangel und die Untersuchung von unterschiedlichen Identifikationsprozessen (vgl. Žižek 1989, 1998a). b) Analyse unterschiedlichster Formen von Identität (z. B. gender, Klasse, ethnische, kulturelle, sexuelle etc.): Identität wird nicht mehr als ausschließlich individueller Begriff bestimmt, sondern im Rahmen diskursiver Identifikationsweisen konzipiert. Identität wird dadurch aufgelöst in einen prozesshaften Begriff, der sich immer für die Anwesenheit des durch eine Identität Verworfenen innerhalb dieser Identität interessiert. Dieses Analysefeld gehört zu den theoretisch und empirisch erfolgreichsten Gebieten der poststrukturalistischen Soziologie. Die meisten Studien beschäftigen sich hier mit der paradoxen Natur von Identitätsdiskursen und deren machtgestützter Stabilisierung. Damit ist bereits impliziert, dass diese Analyse der Konstitution von Identität sich stets auch als politisch versteht. Das Politische beschreibt hier kein soziales System oder eine eigene Sphäre des Sozialen, sondern verbindet sich mit dem Konstitutionsprozess von Identitäten (vgl. Mouffe 1993). Jede Identität wird über Exklusionsprozesse und Grenzziehungen hergestellt – und es ist gerade eine der Aufgaben poststrukturalistischer Analyse, die Spuren dieser Exklusionen nachzuzeichnen. In trivialisierten Versionen poststrukturalistischer politischer Korrektheit mag man dabei an eine Überwindbarkeit der exklusionsbasierten Herstellung von Identitäten glauben – und somit wiederum dem modernen Ideal einer Identität ohne Außen verfallen. Das kritische Potential

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der Analyse von Identitäten liegt aber nicht in der Forderung grenzenloser Identität, sondern im Aufweis unterschiedlicher Subjektivierungsweisen, die wiederum verschiedene Formen des Ausschlusses hervorbringen. Anstelle einer Abschaffung von Grenzen als theoretisches und politisches Ziel verfolgt eine diskurstheoretische Analyse von Identitäten Möglichkeiten alternativer und auch beweglicherer Grenzziehungen (vgl. Weibel 1997). Die Grenzziehung selbst wird, wie auch Arbeiten der Actor-Network-Theory belegen, zu einem performativen Akt, in dem ein verhandelbarer Zwischenraum erzeugt wird (Lee / Stenner 1999). c) Medialität / Materialität des Sozialen: Zwei wichtige Forschungsrichtungen sind hier voneinander zu unterscheiden. Zum einen wird die Grenze zwischen dem Sozialen und der Natur problematisiert. Exemplarisch hierzu sind die Arbeiten der Actor-Network-Theory, in denen auch materielle Instanzen als Akteure behandelt werden können und die Selbstverständlichkeit der Grenze zwischen materiellen und sozialen Akteuren suspendiert werden soll. Wichtig werden insbesondere Mischformen wie z. B. die von Donna Haraway beschriebenen Cyborgs als hybride Verschränkungen von Mensch, Maschine und Fiktion. Durch das Aufeinandertreffen von heterogenen Formen und Materialitäten entstehen diffractions. Es geht also um Interferenzzonen, die niemals nur die Überlagerung und Irritation unterschiedlicher Bedeutungsgehalte sind, sondern gerade auch aus völlig unterschiedlichen diskursiven Materialitäten bestehen (z. B. physische Körper, Science-Fiction-Narrative und kybernetische Maschinen).50 Medialität gerät zudem im Rahmen einer Theorie (neuer) Medien in den Blick. Dabei ist nicht nur an Arbeiten zu denken, die an Baudrillards These der Simulationsgesellschaft anschließen (z. B. Kroker 1997), sondern auch an diskurstheoretische Studien zu den neuen Medien. Mark Poster (1995) entwickelt gegen Baudrillards Nostalgie für das Symbolische eine Medientheorie, welche die Verschränkung von Subjekten und Medienapparaturen fokussiert. An Haraways Forschungen zu Cyborgs anschließend, werden neue Formen von dezentrierter Subjektivität, die durch neue Medientechnologien erzeugt werden, analysiert. Datenbanken werden z. B. zu einer wichtigen Apparatur, indem sie als Normalisierungsmaschinen funktionieren, welche wie ein Super-Pa-

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noptikum an der Herstellung und Regulierung dieser neuen Subjekte beteiligt sind. Stärker an Derrida und Lacan orientiert sind dagegen die Arbeiten der Kasseler Schule um Christoph Tholen (vgl. Schade / Tholen 1999). Während in diskurstheoretischen Analysen die medialen Apparaturen im Vordergrund stehen, wird nun das Mediale selbst als ein Nicht-Ort konzipiert. Angeschlossen wird hier an Derridas (1974) Arbeiten zur Schriftlichkeit, in welcher die Irreduzibilität des Mediums eine ideale Sinnübertragung stets verhindert. d) Diskurstheorien sozialer Felder: Während sich poststrukturalistisch informierte Ansätze für die Analyse unterschiedlichster Formen von Identität, von Diskursen (im engeren Sinne) wie auch medienkultureller Repräsentationspraktiken als besonders ertragreich erwiesen haben, sind in anderen Bereichen der Soziologie große Defizite festzustellen. Auffallend ist, dass am ehesten in stärker formalisierten Bereichen poststrukturalistische Ansätze entwickelt worden sind. V.a. auf dem Gebiet der Organisationssoziologie liegen unterdessen einige wichtige Studien vor, welche sich für Techniken der Mikro-Macht, die Rolle von Metaphern wie auch für Identifikationsprozesse in Organisationen interessieren (Hassard / Parker 1993). In der Rechtstheorie und -soziologie konnte sich ebenfalls eine dekonstruktive Theorieschule herausbilden, was wohl nicht zuletzt der Tradition hermeneutischer und exegetischer Verfahren zur Interpretation von Gesetzestexten zuzuschreiben ist (vgl. z. B. Fish 1980; Douzinas 1993; Goodrich 1987). Auch für die Wirtschaftssoziologie könnte sich eine poststrukturalistische Perspektive als äußerst ergiebig erweisen, indem so eine Genealogie der Ökonomie und des Marktes entworfen werden kann. Gerade für eine Soziologie der Ökonomie lassen sich diskurstheoretische Überlegungen zur Herstellung von Realitätseffekten besonders fruchtbar anwenden (vgl. Mitchell 1998). Auf dem Gebiet der politischen Soziologie können viele der oben erwähnten Studien zur Konstruktion und Dekonstruktion politischer Identitäten verortet werden; auffallend ist dabei aber, dass kaum Arbeiten zu dem, was in der Soziologie als politisches System bezeichnet wird, vorliegen. Eine wichtige Ausnahme bilden hier Arbeiten zur Theorie internationaler Beziehungen, die sich insbesondere für populärkulturelle Repräsentationen interessiert (vgl. Der Derian / Shapiro 1989; Albert 1996).

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Diese exemplarischen Forschungsfelder einer ›poststrukturalistischen Soziologie‹ zeigen auf, dass diese sich selbst in vielfältigen Verknüpfungen mit Nachbardisziplinen befindet und somit im Grenzbereich der Soziologie arbeitet. Diese Grenz-Orte sind selbst wiederum vielfältig und in ihrer Offenheit nicht zuletzt von den Konturen einer Soziologie à venir (d. h. einer noch zu kommenden Soziologie) geprägt. Unterschiedliche Gestalten dieser Grenze sind im Laufe der Argumentation sichtbar geworden: z. B. die exzessive Referenzlosigkeit der Simulakren Baudrillards, der Antagonismus als nicht dialektisierbares ›konstitutives Außen‹, die immer schon von einem radikal Anderen affizierte De-Konstruktion von Identität oder auch eine irreduzible Multiplizität als Voraussetzung von Identitätskonstitution bei Deleuze / Guattari. Diese verschiedenen Erkundungen und Dekonstruktionen von Grenzfiguren lassen sich nicht wiederum auf eine fixierte und feste Grenze begrenzen, sondern verweisen in ihrer Unterschiedlichkeit auf die Offenheit von poststrukturalistischen Soziologien. Poststrukturalistische Soziologien als Soziologien ihrer eigenen Grenzen arbeiten deshalb mit einem mehrstelligen Grenzbegriff: »The limit is not negative: it traces out an identity – and this tracing excludes itself from what it traces out, simultaneously carrying along with it the identity of the outside itself. There is no limit which is not both internal and external« (LacoueLabarthe / Nancy 1997: 5). Dieser Grenzbegriff macht deutlich, dass poststrukturalistische Soziologien sich in den Zwischenräumen der Soziologie verorten – oder besser und genauer, in diesen Zwischenräumen spuken. Solche ›spektralen Soziologien‹ (vgl. spectre, franz.: das Gespenst) bestimmen sich als das Un-Heimliche der Soziologie, als Sinnbruch in der Soziologie, ohne sich außerhalb der Soziologie zu positionieren. Man könnte diese Soziologien als differenztheoretische Soziologie beschreiben, wobei die Gestalt dieser Differenz nicht voreilig mit der Vervielfältigung von sozialen und kulturellen Differenzen gleichgesetzt werden sollte. Eine spektrale, differenztheoretische Soziologie beschäftigt sich mit dem nicht assimilierbaren ›Rest‹, welcher in der Arbeit der Differenz erzeugt wird.51 Also nicht die Idee einer postmodernen, multikulturellen und plurisystemischen Gesellschaft bestimmt die ›spektralen Soziologien‹, sondern vielmehr die

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Analyse des Zwischenzustands der Grenze. Die Frage nach der Zukunft poststrukturalistischer Soziologien ist somit gleichzeitig die Suche nach parasitären Interventionen – Interventionen, die sich dadurch als In(ter)vention beweisen, dass sie nicht nur eine Möglichkeit der Soziologie realisieren, sondern diese für das Vielleicht ihrer Zukunft öffnen: »Was geschehen wird, ist vielleicht nicht dies oder das; es ist letztlich der Gedanke des Vielleichts, das Vielleicht selbst« (Derrida 1997b: 29; Übersetzung U. S.).

Anmerkungen 1

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Gerade letztere Fehleinschätzung, die Dekonstruktion als Methode instrumentalisiert, kann man häufig bei trivialisierten soziologischen Lesarten der Dekonstruktion antreffen. Mit theory hat sich ein Ensemble von Theoriefiguren erfolgreich institutionalisiert und muss seitdem mit der paradoxen Frage kämpfen, was das für eine Theorie des Nicht-Institutionalisierbaren bedeutet (vgl. Johnson 1987). Der Diskursbegriff ist ein höchst umstrittener Begriff, der auch im Poststrukturalismus von unterschiedlichen Ansätzen auf verschiedene Weise verwendet wird. Während für Foucault (1973) der Diskursbegriff die Regelmäßigkeit von Aussagefeldern, welche regulieren, was gedacht, gesagt und getan werden kann, meint, wird dieser Begriff bei Derrida zu einem bodenlosen Spiel, das ständig zwischen Schließung und Offenheit oszilliert. Vgl. Williams (1999) für einen Überblick über verschiedene Diskursbegriffe. Diese Problemstellung eröffnet auch Verbindungspunkte zur ersten Generation der Frankfurter Schule, insbesondere zu Theodor W. Adornos Negativer Dialektik (1966). Vgl. v. a. Zygmunt Bauman (1988) für den Entwurf einer postmodernen Soziologie; hiervon zu unterscheiden sind wiederum Ansätze einer Soziologie der Postmoderne (z. B. Lash 1990; Jameson 1993). Vgl. als Gegenposition Richard Rortys Strategie, auf Dekonstruktionsarbeit zu verzichten und ein altes (theoretisches) Vokabular einfach durch ein neues zu ersetzen:

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»Meinen eigenen Prinzipien getreu, werde ich keine Argumente gegen das Vokabular, das ich ersetzen möchte, liefern. Stattdessen werde ich versuchen, das Vokabular, das ich favorisiere, attraktiv zu machen, indem ich zeige, daß es zur Beschreibung einer Vielfalt von Themen brauchbar sein kann« (1989: 31). Vgl. Luhmann (1991) zu den Konzepten der Paradoxie und Tautologie. Dieser Aufsatz ist gleichzeitig eine implizite Auseinandersetzung mit dekonstruktiven Denkweisen. Patricia Clough (1992) hat z. B. die realistische narrative Struktur von soziologischen Ethnographien herausgearbeitet. Vgl. z. B. die Beiträge von I. Moser, J. Law und A. Dugdale aus Law / Hassard (1999). Gerade dieser Aspekt wird in den pragmatischen Weiterführungen von de Saussures Strukturalismus aufgenommen. Eine ganz ähnliche Denkweise findet sich im Äquivalenzfunktionalismus, wo nicht der konkrete Inhalt einer Option interessiert, sondern nur ihre Funktion innerhalb eines Systems. Aus Platzgründen kann die semiotische Nachfolgediskussion hier nicht dargestellt werden. Sehr einflussreich für die sozial-, kommunikations- und kulturtheoretischen Weiterentwicklungen waren die Arbeiten des französischen Linguisten Emile Benveniste (1902–1976). Neben der strukturalistischen Linguistik de Saussures spielt in zeitgenössischen sozialtheoretischen Weiterführungen auch die pragmatische Semiotik von Charles Sanders Peirce (1839–1914) eine wichtige Rolle; vgl. auch Gottdiener (1995) für den Entwurf einer postmodernen Semiotik des Sozialen. Luhmanns beobachtungstheoretische Analysen zum Diabolischen sind ganz ähnlich gebaut: Auch hier geht es um Strategien, die eine Einheit beobachtbar machen sollen, die man eigentlich nicht beobachten kann (vgl. 1991: 63ff.). Vgl. Charles Lemerts (1997) Aufsatz zur Rolle des Nullwerts für den Poststrukturalismus. Eine systematische und gut lesbare Einführung bietet Rodolphe Gasché (1986).

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16 Stephen Cullenberg (1996) zeigt, an Louis Althusser anknüpfend und über diesen hinausgehend, sehr präzise auf, welche Rolle die Erschütterung des Totalitätsbegriffs für die Sozialtheorie spielt. 17 Vgl. in diesem Band meine Ausführungen zur Logik der Katachrese, S. 39ff.) 18 Vgl. Petra Gehrings (1994) systematische Darstellung der Verwendung der Innen / Außen-Unterscheidung bei verschiedenen poststrukturalistischen Denkern. 19 Genau diese Position nimmt die Schrift im Verhältnis zur Mündlichkeit im Werk von Rousseau ein (vgl. Derrida 1974). 20 In der an Foucault angelehnten governmentality-Schule (vgl. auch Dean 1999) interessiert gerade diese Konstitution des Sozialen: »›The social‹, that is to say, does not represent an eternal existential sphere of human sociality. Rather, within a limited geographical and temporal field, it set the terms for the way in which human intellectual, political and moral authorities, in certain places and contexts, thought about and acted upon their collective experience« (Rose 1996: 329). Vgl. Demirovic (1988) für eine diskurstheoretische Analyse des deutschen soziologischen Feldes. 21 Vgl. hier Kapitel 4 zum Genealogiebegriff. 22 Wenn hier von Interventionen die Rede ist, dann ist damit immer auch ein Eingriff gemeint, der buchstäblich dazwischen kommt. Gerade in dem Sinne zeigt sich poststrukturalistisches Denken nicht als bloß kontemplativer Kommentar, sondern als textuelle Praktik, die sich gegenüber hegemonialen Diskursen querstellt, indem sie deren eigene Unentscheidbarkeitszonen markiert und vertieft. 23 Es scheint fast, dass Pierre Bourdieus distinktionstheoretische Soziologie nach der Baudrillard’schen Lesart diesem ersten ›Zeitalter‹ der Simulakren zuzuordnen wäre bzw. einen Kompromiss zwischen der festen Fixierung von Zeichen und der imitativen Verwendung sucht. 24 Vgl. Stäheli (1999) für eine Einführung in Laclau / Mouffes Diskurstheorie und den von Oliver Marchart (1998) herausgegebenen Sammelband mit Beiträgen in Anschluss an Laclau / Mouffe.

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25 Hierzu gehört der Standardvorwurf gegen poststrukturalistisches Denken, dass dieses einem anything goes gleichkäme. Eine derartige Sichtweise verpasst freilich die theoretischen Pointen einer poststrukturalistischen Position (vgl. auch Game 1991: 24f.). Es geht gerade um ein Denken der Differenz, das diese nicht auf einen bunten multikulturellen Strauß reduziert, sondern Differenz als Unmöglichkeit reiner Identität begreift. 26 Angeknüpft wird hier an die Hegemonietheorie von Antonio Gramsci (1891–1937), dessen unorthodoxer Marxismus zu den Wegbereitern zahlreicher ›postmarxistischer‹ Ansätze gehört. 27 Vgl. Derrida (1988a) zu Metapher und Katachrese sowie Jürgen Link (1988) zu einer Theorie der Kollektivsymbolik, die auf »Katachresenmäandern« in Interdiskursen (d. h. Diskursen zwischen den Spezialdiskursen) aufbaut. 28 Der Begriff des Imaginären bezieht sich auf Lacans Psychoanalyse und hebt den Identifikationsprozess des Kindes mit seinem Spiegelbild im Spiegelstadium hervor. Das Imaginäre ist nicht notwendigerweise ein visueller Begriff, sondern bezeichnet eine notwendige Verkennung: Die Identifikation mit dem Spiegelbild suggeriert eine erfüllte Identität – eine Identität, welche ihre antagonistische Konstitution und ihre Brüche ›vergisst‹. Vgl. Weber 1990 (Kapitel 7). 29 Vgl. Williams (1999) für einen methodischen Überblick über verschiedene Formen der poststrukturalistischen Diskursanalyse. 30 Für eine theoretisch besser abgestützte Arbeit zum Sprachspielbegriff ist Lyotards Studie zum différend (1987) eine unentbehrliche Grundlage. 31 Hier besteht einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Luhmanns Systemtheorie und Lyotards Theorie sozialer Sprachspiele. Denn obwohl Luhmann wie auch Lyotard einen a-zentrischen, polykontexturalen Gesellschaftsbegriff entwickelt, verzichtet er nicht auf die Annahme der Vergleichbarkeit unterschiedlicher Funktionssysteme. Vielmehr ist die Systemtheorie schon durch ihre methodologische Anlage eine vergleichende Theorie, die in verschiedenen Systemen analoge Elemente auszumachen versucht (wie z. B. den Code oder die Funktion). Vgl.

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Luhmanns (1984: 83ff.) Ausführungen zum Äquivalenzfunktionalismus. Für eine prononcierte Lektüre Foucaults nicht als Kritiker der Moderne, sondern gerade wegen seiner Verwerfung universaler Entwicklungslinien als a-modern vgl. Stäheli / Tellmann (2000). Damit befinden sich das Programm der hier skizzierten Soziologien und Baumans Projekt einer Soziologie der Postmoderne schon fast in diametral entgegengesetzten Positionen. Bauman folgert: »This means that rather than seeking a new form of a postmodern sociology [. . .], sociologists should be engaged in developing a sociology of postmodernity« (1988: 812). Allerdings hat Bauman in seinen neueren Schriften eine Position entwickelt, die einige poststrukturalistische Theoriefiguren wie z. B. Derridas Begriff der Unentscheidbarkeit aufnimmt, um diese als bewusste Kontingenz zu einem ethisch-politischen Projekt zu machen (Bauman 1991). Vgl. aber auch Hannelore Bublitz’ (1999) gesellschaftstheoretische Lektüre von Foucault, die ihren Startpunkt vom ›archäologischen‹ Foucault nimmt. Siehe exemplarisch die Arbeiten von Nikolas Rose (1998), der in der governmentality-Debatte eine zentrale Position einnimmt und sich insbesondere für Techniken der Subjektkonstitution und für das politische System interessiert. Vgl. das Literaturverzeichnis bei Dean 1999; zahlreiche Beiträge zur governmentality-Debatte finden sich in der Zeitschrift Economy & Society. Vgl. die polemische Streitschrift von Ferry / Renaut (1987). Eine Radikalisierung und Weiterführung der letzten These wird in Judith Butlers (1991 u. a.) Arbeiten zur diskursiven Konstruktion von sex / gender entwickelt. Žižek wehrt sich allerdings gegen die Einordnung als Poststrukturalist, vielmehr sieht er seine Theorie als »radical break with ›post-structuralism‹« (Žižek 1989: 7). Žižek bezieht sich hier aber offensichtlich auf eine (an Habermas angelehnte) Leseweise des Dekonstruktivismus als einem rein ästhetischen Verfahren, das in der Unendlichkeit von Dekonstruktionen des Dekonstruierten ertrinkt. Vgl. aber das Vorwort von Laclau in Žižek

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(1989), wo die Komplementarität von Lacan’scher Psychoanalyse und Dekonstruktion hervorgehoben wird. Freilich darf man sich dies nicht in linearer Weise als die Auffüllung eines bestehenden Mangels denken. Der Mangel selbst besteht nicht vor seiner symbolischen Auffüllung, sondern wird erst durch diese geschaffen. Das wird auch in den Arbeiten von Dietmar Kamper, einem der wenigen deutschen Soziologen, die sich seit Jahrzehnten für die Rezeption poststrukturalistischer Theorien einsetzen, zum Projekt einer historischen Anthropologie deutlich. Zentral ist für Kamper der Begriff der »anthropologischen Differenz«, mit welchem das Andere des Bewusstseins (Körper, Wahrnehmung, Begehren etc.) wichtig wird (vgl. Kamper 1973 und die nachfolgenden Veröffentlichungen; insbesondere auch die mit Christian Wulf herausgegebenen Arbeiten zur historischen Anthropologie). Einen guten Überblick über das Spektrum der Cultural Studies bietet Grossberg (1992). Vgl. neuerdings auch den deutschsprachigen Reader zu den Cultural Studies (Hörning / Winter: 1999). Vgl. Hall (1996) für eine Einführung in die Identitätskonzepte, die in den theoretisch informierten Cultural Studies verwendet werden. Für die aktuelle Verwendung des Begriffs in den Cultural Studies findet sich v. a. bei Laclau, Hall und Grossberg dessen theoretische Konzeptualisierung. Vgl. Slack (1997) für einen kurzen Überblick. Freilich gehen auch viele soziologische Theorien von einem prozesshaften Strukturbegriff aus. Man denke hier etwa an Luhmanns (1984) Systemtheorie, welche die Konstitution von Systemen als temporalisierten Prozess versteht: Stets muss ein Anschlussereignis produziert werden, damit die Autopoiesis des Systems fortgesetzt werden kann. Allerdings sollte man auch hier einen wichtigen Unterschied zum Poststrukturalismus nicht übersehen. Bei Derrida und Butler öffnet sich die Wiederholung gerade auch für das Andere – etwa als unerwartbare Katachrese und als Mäandern des Sinns – während für Luhmann die Identität des Mediums stets gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Stäheli 2000). Wobei hier hinzugefügt werden muss, dass gerade

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Derridas Begriff der différance sowohl eine räumliche wie auch eine temporale Dimension umfasst, ohne die eine Dimension der anderen unterzuordnen. Ganz ähnlich schreibt Gumbrecht: »Macht ist die Möglichkeit, Räume mit Körpern (einschließlich seines eigenen Körpers) zu besetzen, und das heißt auch: Körper aus Räumen verdrängen und Körpern den Zugang zu den Räumen versperren zu können« (1999: 331). Für eine Deleuze’sche Lektüre von Tarde siehe Balke (1998) Die Debatte über die Verträglichkeit dieser beiden Perspektiven ist keineswegs beendet. Für einen Vergleich von Deleuze / Guattaris Schizoanalyse und Derridas Dekonstruktivismus siehe z. B. Todd May (1994) und Paul Patton (1996). Vgl. auch Bukatman (1993) zu Identitätskonstruktionen in Science-Fiction-Filmen. Zur »Arbeit der Differenz« vgl. die Beiträge in Hetherington (1997).

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87

Theresa Wobbe

Weltgesellschaft

Raimund Hasse Georg Krücken

Neo-Institutionalismus Weltgesellschaft, Weltsysteme, internationales System und

Der soziologische Neo-Institu-

Globalisierung – diese Begriffe

tionalismus hat seine Ursprün-

prägen gegenwärtige Analysen,

ge in der US-amerikanischen

ohne immer präzise vonein-

Organisationssoziologie. Im

ander abgegrenzt zu sein. Im

Vordergrund stehen Fragen

Anschluß an die Auseinander-

des institutionellen Wandels

setzung mit der Begrifflichkeit

und des gesellschaftlichen

bietet der vorliegende Band

Umgangs mit institutionellen

eine Einführung in die Kon-

Vorgaben. Dabei liegt ein

zepte der Weltgesellschaft von

besonderes Augenmerk auf

Peter Heintz, Niklas Luhmann

der gesellschaftlichen Durch-

und John Meyer. Diese zeich-

setzung und Einbettung

nen sich vor allem dadurch aus,

vorherrschender Grundüber-

daß Unterschiede in der

zeugungen rationalen

Weltgesellschaft als interne

Handelns. Die Insignien

Differenzierungen des welt-

moderner Rationalität werden

gesellschaftlichen Systems

in ganz unterschiedlichen

verstanden werden.

Handlungsbereichen auf-

Abschließend werden Differen-

gespürt.

zierungsprozesse in Politik und

Der vorliegende Beitrag führt

Recht dargestellt, die den

in die Grundlagen des Neo-

Wandel des globalen

Institutionalismus ein, er

Erwartungshorizonts in der

beschreibt die wichtigsten

Weltgesellschaft dokumen-

empirischen Ergebnisse und

tieren.

diskutiert theoretische Weiterentwicklungen.

Theresa Wobbe ist Professorin für Soziologie an der Staats-

Raimund Hasse ist wissenschaft-

wissenschaftlichen Fakultät der

licher Assistent an der RWTH

Universität Erfurt.

Aachen. Georg Krücken ist wissenschaftlicher Assistent an

Frühjahr 2000

der Universität Bielefeld.

ISBN 3-933127-13-0 Frühjahr 2000 ISBN 3-933127-28-9

Einsichten – das Programm bis 2002

Thomas Kurtz

Halle/Saale

André Kieserling

Berufssoziologie

Interaktion

Herbst 2001 ISBN 3-933127-50-5

Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-38-6

Günther Schlee

Halle/Saale

Klaus Eder

München

Berlin

Ethnizität

Klasse

Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-14-9

Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-20-3 Göttingen

Martin Kronauer

Bielefeld

Heinz Messmer

Exklusion/Underclass

Konflikt

Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-15-7

Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-21-1

Bettina Heintz Mainz/Zürich Theresa Wobbe Erfurt

Alois Hahn

Geschlechtersoziologie

Herbst 2002 ISBN 3-933127-22-X

Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-16-5

Jürgen Kaube

Gallina Tasheva

Gesellschaft Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-09-2

Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-23-8

Johannes Schmidt

Bielefeld

Liebe und Freundschaft Hagen

Gesellschaftliche Differenzierung

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Globalisierung

Habitus

Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-26-2

Ludger Pries

Winter 2000 ISBN 3-933127-17-3

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Migration Bielefeld

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Herbst 2001 ISBN 3-933127-19-X

Bielefeld

Medizinsoziologie

Darmstadt

Institution

Winter 2000 ISBN 3-933127-25-4

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Sommer 2000 ISBN 3-933127-10-6

Dresden

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Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-24-6

Rainer Winter

Frühjahr 1999 ISBN 3-933127-06-8

Beate Krais

Bielefeld

Lebenswelt

Berlin

Uwe Schimank Ute Volkmann

Trier

Kultur

Sommer 2000 ISBN 3-933127-27-0

Raimund Hasse Aachen Georg Krücken Bielefeld

Neo-Institutionalismus Herbst/Winter 1999/2000 ISBN 3-933127-28-9

Frank Welz

Freiburg

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Berlin

Stadtsoziologie

Frühjahr 2002 ISBN 3-933127-58-0

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Herbst 2001 ISBN 3-933127-33-5

Bielefeld

Organisationssoziologie Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-29-7

Urs Stäheli

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Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-34-3

Bielefeld

Poststrukturalistische Soziologien

Thomas Faist

Frühjahr 2000 ISBN 3-933127-11-4

Herbst 2001 ISBN 3-933127-35-1

Paul B. Hill

Bielefeld

Systemtheorie

Bremen

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Erfurt

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Aachen

Rational Choice Theory

Weltgesellschaft

Winter 2000 ISBN 3-933127-30-0

Frühjahr 2000 ISBN 3-933127-13-0

Martina Löw

Halle/Saale

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Witten/Herdecke

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Wirtschaftssoziologie

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Herbst 2000 ISBN 3-933127-36-X

Heidelberg

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Wissenschaftssoziologie

Sommer 1999 ISBN 3-933127-07-6

Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-37-8

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Bielefeld

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München

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Sommer 1999 ISBN 3-933127-08-4

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Soziale Probleme Frühjahr 2001 ISBN 3-933127-59-9 Osnabrück

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Soziologie des Körpers Winter 2000 ISBN 3-933127-53-X

Otthein Rammstedt

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Soziologiegeschichte 1870 – 1918 Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-32-7

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Staatsbürgerschaft Erscheinungstermin noch offen ISBN 3-933127-60-2

Soziologie und Philosophie in der Reihe »zur Einführung« Theodor W. Adorno

Max Horkheimer

Richard Rorty

von Gerhard Schweppenhäuser

von Rolf Wiggershaus

von Detlef Horster

Edmund Husserl

Georg Simmel

von Peter Prechtl

von Werner Jung

von Karl-Heinz Breier

William James

Leo Strauss

Roland Barthes

von Rainer DiazBone und Klaus Schubert

von Clemens Kauffmann

Hannah Arendt

von Gabriele Röttger-Denker

Georges Bataille

Kant

von Peter Wiechens

Jean Baudrillard

Jacques Lacan

von Markus Schwingel

Elias Canetti

von Ingeborg Breuer

Eric Voegelin von Michael Henkel

von Gerda Pagel

von Falko Blask

Pierre Bourdieu

Charles Taylor

von Jean Grondin

Emmanuel Lévinas

Michael Walzer

von Bernhard H.F. Taureck

von Skadi Krause und Karsten Malowitz

John Locke

Max Weber

von Walter Euchner

von Volker Heins

von Dagmar Barnouw

Niklas Luhmann

Ludwig Wittgenstein von Chris Bezzel

Ernst Cassirer

von Walter ReeseSchäfer

von Heinz Paetzold

Jacques Derrida

Jean-François Lyotard

Angewandte Ethik von Urs Thurnherr

von Heinz Kimmerle

von Walter ReeseSchäfer

Norbert Elias

Machiavelli

von Ralf Baumgart und Volker Eichener

von Quentin Skinner

von Walter ReeseSchäfer

Karl Mannheim

Feministische Theorien

Michel Foucault

von Wilhelm Hofmann

von Hinrich FinkEitel

Karl Marx

Hans-Georg Gadamer von Udo Tietz

Arnold Gehlen von Christian Thies

von Ossip K. Flechtheim und Hans-Martin Lohmann

George Herbert Mead von Harald Wenzel

Jürgen Habermas von Detlef Horster

Hegel von Herbert Schnädelbach

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Semiotik von Gerhard Schönrich Weitere 80 Einführungen sind lieferbar

Maurice MerleauPonty von Christian Bermes

Nietzsche von Wiebrecht Ries

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Thomas Hobbes von Wolfgang Kersting

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www.junius-verlag.de