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German Pages XXV, 175 [185] Year 2020
Melanie Nagel · Patrick Kenis Philip Leifeld Hans-Jörg Schmedes Hrsg.
Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke Festschrift für Volker Schneider
Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke
Melanie Nagel · Patrick Kenis · Philip Leifeld · Hans-Jörg Schmedes (Hrsg.)
Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke Festschrift für Volker Schneider
Hrsg. Melanie Nagel Tübingen, Deutschland
Patrick Kenis Tilburg, Niederlande
Philip Leifeld Colchester, UK
Hans-Jörg Schmedes Berlin, Deutschland
ISBN 978-3-658-30913-8 ISBN 978-3-658-30914-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Volker Schneider 1998 nach Antritt seiner Professur. Quelle: privates Foto von Gabi Feistner-Schneider
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Vorwort: Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke
Eine Festschrift für Volker Schneider! Zum Anlass von Volker Schneiders Emeritierung an der Universität Konstanz im Sommer 2020 haben wir einige seiner Mitstreiterinnen und Wegbegleiterinnen sowie Mitstreiter und Wegbegleiter um Beiträge gebeten, die seine Karriere würdigen und ihm neue Forschungsideen für die Zeit nach dem aktiven Dienst mit auf den Weg geben mögen. Die vorliegende Festschrift besteht aus 20 Essays zu den Themen Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, seinen Hauptforschungsinteressen. Volker Schneider widmete seine Dissertation am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz unter der Betreung von Philippe C. Schmitter und Rudolf Wildenmann der deutschen Chemikalienkontrolle aus politikwissenschaftlicher Perspektive (Schneider 1988). Bereits in dieser Arbeit vereinte er seine Interessen an Netzwerkanalyse, Politikfeldanalyse, Governance und staatlicher Regulierung in Demokratien. Nach seiner Promotion im Jahr 1986 begann er seine akademische Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Unter der Leitung von Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf beschäftigte er sich dort elf Jahre lang mit der Governance technischer Innovationen und Infrastrukturen, mit politischer Komplexität und Politiknetzwerken – Themen, die sich bis heute als roter Faden durch sein akademisches Wirken ziehen und bereits damals seinen Ruf als „Pionier der Policy-Netzwerkforschung“ (Seibel 2018, S. 41) begründeten. Nach einer Monografie zur Entwicklung und Durchsetzung des Bildschirmtexts (Schneider 1989) war sein drittes großes Werk seine von Franz Urban Pappi an der Universität Mannheim begleitete Habilitationsschrift im Jahr 1995 zur Evolution von Institutionen in der Telekommunikationspolitik, veröffentlicht in zwei Monographien (Schneider 1999; 2001). Auch hier waren Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke VII
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Hauptankerpunkte seines wissenschaftlichen Ansatzes. Im Jahr 1997 übernahm Volker Schneider die C4-Professur für Materielle Staatstheorie an der damaligen Fakultät für Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz als Nachfolger von Gerhard Lehmbruch. Hier erweiterte sich seine Perspektive um theoretische Perspektiven der Demokratieforschung und Staatstheorie; er verfeinerte zudem seine theoretischen Zugänge zur Komplexitätsforschung (Kybernetik, komplexe adaptive Systeme). In den letzten zehn Jahren vor seiner Verabschiedung weitete er auch das Spektrum der Politikfelder aus, denen er Beachtung schenkte – hinzu kamen etwa Klima-, Energie- und Umweltpolitik aus der Perspektive von Policy-Netzwerken und Akteurspräferenzen. In seiner Zeit als aktiver Professor an der Universität Konstanz übernahm Volker Schneider mehrfach Führungsrollen in der akademischen Selbstverwaltung und inneruniversitären Politik, zunächst als Dekan der damaligen Fakultät für Verwaltungswissenschaft, später (und gleich zweimal) als Sprecher des Fachbereichs für Politik- und Verwaltungswissenschaft und schließlich für fünf Jahre als Dekan der Sektion Politik – Recht – Wirtschaft. Zwischen diesen Ämtern verbrachte er wissenschaftliche Aufenthalte an der University of Southern California und an der Harvard University und organisierte seit dem Jahr 2001 POLNET, die Sommerschule für die Analyse politischer Netzwerke. Am Ende seiner aktiven Dienstzeit kann er neben diesen beeindruckenden Stationen auf mehr als 7.000 Zitationen, mehrere Lehrbücher und dutzende begutachtete Zeitschriftenartikel in Fachzeitschriften wie dem American Journal of Political Science, Comparative Political Studies und dem European Journal of Political Research zurückblicken. In dem vorliegenden Band haben wir einigen seiner Mitstreiterinnen und Mitstreitern sowie Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit eröffnet, zu seinen Hauptforschungsinteressen, die titelgebend für diese Festschrift geworden sind, und benachbarten Themen Essays beizutragen, in denen wir ihm kollektiv eine an seine bestehenden Interessen anknüpfende Forschungsagenda für die Zeit nach seiner Emeritierung vorschlagen.
Eine Festschrift für Volker Schneider! Warum? Es gibt im Allgemeinen sowohl praktische wie auch inhaltliche Argumente gegen Festschriften, wie etwa Markus Steinmayr (2005) in einer Rezension zu Werner Zilligs im Jahr 2004 erschienenen Roman „Die Festschrift“ hervorhebt. Zu den praktischen Herausforderungen gehören etwa die notwendigen Geheimniskrämereien am Lehrstuhl, da der Ordinarius oder die Ordinaria auf gar keinen Fall Wind davon bekommen darf, dass eine Festschrift herausgegeben werden soll.
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Eine Liste möglicher Autorinnen und Autoren wird erstellt, die sorgfältig zu prüfen ist, da sachliche Unvereinbarkeiten und methodische Grabenkämpfe oder gar persönliche Zerwürfnisse zu berücksichtigen sind. Ein Verlag muss gesucht und gefunden werden, der bereit ist, ein solches gemischtes Allerlei herauszubringen, da die thematische Kohärenz der Aufsätze oft nur ansatzweise gegeben ist, wie Steinmayr hervorhebt. Haben alle Autorinnen und Autoren endlich mehr oder weniger zeitgerecht ihre Beiträge abgegeben und ist das Konvolut gedruckt, stellt sich die Frage der Überreichung der Festschrift. Darüber können im Herausgeberteam sehr unterschiedliche Meinungen vorherrschen: Wie festlich und akademisch muss es sein, wie informell darf es sein? So treten die eigentliche Festschrift und ihr Inhalt bald in den Hintergrund, und diese und ähnliche Überlegungen und Schwierigkeiten treten in den Vordergrund. Dann gibt es auch noch inhaltliche Argumente gegen die Festschrift. Als Kritik werden fehlende Selektivität und starke Heterogenität der Beiträge angeführt. Manche Autorinnen und Autoren „recyclen“ beispielsweise Aufsätze, die zuvor von Zeitschriftenredaktionen abgelehnt worden sind. Ferner wird kritisiert, dass Fachzeitschriften Aufsätze entzogen würden, was angeblich zur Folge hätte, dass diese Aufsätze in Bibliotheken schlechter verfügbar seien (vgl. Schulze-Fielitz 2000, S. 1262).
Eine Festschrift für Volker Schneider! Darum! Abgesehen von der problematischen Geheimniskrämerei (siehe auch den Beitrag von Wolfgang Seibel in dieser Festschrift) treffen keine der oben genannten Gegenargumente auf diese Festschrift zu. Es war nicht nur einfach, sondern auch eine Freude, eine Liste möglicher Autorinnen und Autoren von Beiträgen zu erstellen. Eine ehemalige Kollegin und drei ehemalige Kollegen von Volker Schneider, die zuvor nicht zusammengearbeitet hatten, haben sich für das Zustandekommen dieser Festschrift engagiert – und sich zunächst mit diesem Projekt, dadurch aber bald auch miteinander stark verbunden gefühlt. Da sie Volker Schneider in verschiedenen Perioden seiner Laufbahn kennengelernt haben und auch inhaltlich aus verschiedensten Windrichtungen kommen, war es einfach, die verschiedenen Segmente seines wissenschaftlichen Netzwerks mit einzubeziehen. Patrick kennt Volker Schneider seit 1984, wo sie sich während des Stöberns in der Bibliothek am European University Institute (EUI) in Florenz begegnet waren und bald entschieden, zusammen einen Aufsatz zu schreiben (Kenis und Schneider 1987). IX
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Hans-Jörg wurde im Juli 1998 zu Beginn seines zweiten Studiensemesters studentischer Mitarbeiter an Volker Schneiders Lehrstuhl und blieb dies auch während der restlichen Zeit seines Studiums in Konstanz. Seine Diplomarbeit über Wirtschaftsverbände der US-amerikanischen Chemieindustrie war thematisch im DFG-Forschungsprojekt von Volker Schneider und Philippe C. Schmitter über den organisatorischen Wandel in sektoralen Wirtschaftsverbänden verortet. Auch seine sich daran anschließende, im April 2007 abgeschlossene Promotion über Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbände im EU-Mehrebenensystem wurde von Volker Schneider betreut und begutachtet. Melanie lernte Volker Schneider 1998 als Studentin der Politik- und Verwaltungswissenschaften in seiner Vorlesung „Deutsches Regierungs- und Verwaltungssystem“ kennen. Ein paar Semester später wurde – ausgelöst durch seine Netzwerkanalyse-Seminare – ihr Interesse für Netzwerkforschung geweckt. Neugier und Begeisterung an Netzwerkforschung ziehen sich weiter über zwei Jahrzehnte mit der ersten POLNET Summer School in Tilburg 2001, als Diplomandin und Doktorandin an seinem Lehrstuhl und auch später als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Postdoktorandin in Lehre und Forschung bis Februar 2020. In den letzten Jahren der POLNET School zusammen mit Volker Schneider und dem inzwischen internationalen POLNET-Dozenten-Team wurde diese Faszination für Netzwerkforschung internationalen Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weitergegeben. Zuletzt fand die POLNET Winter School erfolgreich am IBEI Institut Barcelona d´Estudis Internacionals in Barcelona (Februar 2020) statt. Philip lernte Volker Schneider 2005 als Diplom-Student in dessen Seminaren „Politiknetzwerke“ und „Netzwerkanalyse“ kennen und fing bald darauf als studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Materielle Staatstheorie an, anschließend als Diplomand, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter, als Doktorand und schließlich bis 2012 als Postdoc. Aus ihrer Zusammenarbeit haben sich ein Buch, mehrere Kapitel und ein Zeitschriftenartikel ergeben. Alle vier konnten aus dem Kreise (früherer) Kolleginnen und Kollegen von Volker Schneider sowie seiner (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viele für eine Mitarbeit an der Festschrift und die Formulierung eines persönlichen Beitrags gewinnen. Das erforderte wenig Überzeugungskraft; fast alle sagten schnell zu. Persönliche Zerwürfnisse, sachliche Unvereinbarkeiten und methodische Grabenkämpfe mussten erst gar nicht überwunden werden, da Volker Schneider selber die Pluralität von Ansichten und theoretischen Ansätzen verkörpert (siehe z.B. die Anmerkungen der Autoren Jeff Broadbent und David Tindall in der Festschrift). Dank der Mobilisierung einer eindrucksvollen Liste national wie international renommierter Kolleginnen und Kollegen wurde auch schnell ein Verlag gefunden, der
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das Buch verlegen wollte. Dies gelang wohl auch, da sich die thematische Kohärenz der Festschrift eindeutig mehr als nur erahnen lässt. Einige Themen ergeben sich ganz klar; diese sind unverkennbar miteinander verbunden bzw. ergänzen einander deutlich. Wir werden diese thematische Kohärenz später noch erläutern, wenn wir in die Cluster der einzelnen Beiträge einleiten werden. Die letzte oben genannte praktische Schwierigkeit, wie denn die Festschrift überreicht werden müsste, hat sich bei dieser Festschrift leider quasi von selbst erledigt. Durch die Coronavirus-Krise musste Volker Schneiders für Juli 2020 geplante Abschiedsveranstaltung in Konstanz verschoben werden. Die Festschrift wird im Sommer 2020 erscheinen und vom Verlag beworben werden, bevor sie dem Adressaten bei einem feierlichen Anlass überreicht werden kann, doch wir sind optimistisch, das Überreichen im Frühjahr 2021 ebenso feierlich nachholen zu können. Zusammenfassend kann man also sagen, dass beim Erstellen dieser Festschrift der eigentliche Gegenstand, nämlich die Festschrift selbst, immer im Vordergrund geblieben ist. Das bringt uns zu den inhaltlichen Argumenten gegen Festschriften. Diese Festschrift ist keine Recyclingfabrik für von etwaigen Zeitschriftenredaktionen abgelehnte Aufsätze. Wir haben die Autorinnen und Autoren gebeten, ein kurzes Essay über eine innovative und kreative, vielleicht auch eine ein bisschen verrückte Forschungsidee vorzustellen, die als mögliches Forschungsprojekt im Bereich Komplexität, Netzwerke, Innovation und Zukunft dienen könnte. Wir haben Ideen für kreative Forschungsdesigns und die Beschreibung von Forschungsideen gesammelt, die wir Volker Schneider mit in den Ruhestand geben wollen und die darüber hinaus auch für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessant sein dürften. Es handelt sich also ausschließlich um originelle Beiträge, die noch nie einer Zeitschriftenredaktion angeboten worden sind und dadurch auch nicht der Kommodifizierungsmaschine oder dem stahlharten Gehäuse wissenschaftlicher Zeitschriften unterworfen sind. Es bleibt den geschätzten Leserinnen und Lesern überlassen zu beurteilen, ob dies ein Vor- oder Nachteil ist. Soweit zum Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte dieser Festschrift. Im Folgenden wollen wir uns kurz dem Inhalt der Festschrift widmen. Die Festschrift beinhaltet eine Reihe von Themen, denen sich Volker Schneider im Laufe seiner Karriere immer wieder gewidmet hat, und die irgendwie miteinander verbunden sind (so wie es einem Netzwerkforscher gebührt). Das zentrale Herzstück in Volker Schneiders Arbeit sind Policy-Netzwerke, Policy-Systeme, und soziotechnische Systeme, die heute auch oft als Governance bezeichnet werden. Dieses übergreifende Thema findet sich in all seinen Monographien wieder (Schneider 1988; 1989; 1999; 2001). Die Beiträge in dieser Festschrift knüpfen daran an und fordern uns auf, unseren Blick auf komplexe Zusammenhänge zu richten und dabei verschiedene Aspekte von Politik als untrennbar zu XI
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begreifen (wie z.B. Policy-Making und Strukturdynamiken). Seine Arbeit selbst kann ja in gewisser Weise auch als eine „organized complexity“ beschrieben werden, von Todd LaPorte (1975, zitiert nach Franz [1991, S. 470]) als „an increased number of components, their relative variety and differentiation, and the degree of interdependence among them“ charakterisiert. Trotz großer Überschneidungen und Querverbindungen teilen wir die Beiträge in vier thematische Cluster ein, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
1. Governance von komplexen Systemen Die erste Gruppe von Beiträgen widmet sich der Governance von komplexen Systemen, also der Steuerung und Kybernetik von Systemen, die nicht auf einfache Regeln reduzierbar sind. Renate Mayntz erörtert im ersten Beitrag, welche Auswirkungen das Internet als ein komplexes technisches System mit politischer Innovationskraft auf politische Beteiligung und Proteste hat. Jeff Broadbent bettet im zweiten Beitrag Volker Schneiders Forschung zu Policy-Netzwerken und politischer Governance in die Literatur zur Systemtheorie ein. Im dritten Kapitel führt uns Karsten Ronit in die Biogeographie ein. Hier werden politische Akteure und Institutionen in ihren jeweiligen kulturellen und biologischen Kontexten in einer politischen Ökologie erfasst, um der Komplexität und Diversität von Governanceprozessen Rechnung zu tragen. Philip Leifeld untersucht im vierten Beitrag aus einer kybernetischen Perspektive, wie eine Art „Weltregierung“ im Gegensatz zu heutigen Global-Governance-Regimen mit komplexen globalen Problemen und Krisen wie etwa Klimawandel und Pandemien umgehen würde. Zentral sind hierbei die Informations- und Kontrollflüsse sowie die Grenzen kollektiver Handlungsfähigkeit in den jeweils untersuchten institutionellen Szenarien. Der fünfte Beitrag von Patrick Kenis und Jörg Raab wagt einen Blick zurück auf fünf von Volker Schneider in seiner Antrittsvorlesung im Jahr 1998 aufgestellte Thesen zum multiplexen demokratischen Staat als Antwort auf Komplexität und Unsicherheit. Sie ziehen nach nunmehr 22 Jahren eine erste Bilanz.
2. Demokratie, Interessenvertretung und Institutionen Die zweite Gruppe von Beiträgen untersucht den Themenkomplex Demokratie, Interessenvertretung und Institutionen. Hierzu gehören der akteurszentrierte Institutionalismus, die Repräsentation von privaten Interessen in demokratischen Prozessen und die Einbettung zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure in komplexe politische Prozesse in entwickelten Industrienationen. Im Gegensatz zum ersten Themenblock wird hierbei nicht prinzipiell die systemische Perspektive von Komplexität behandelt, sondern der Fokus verlagert sich auf die Rolle einzelner Akteurstypen und Institutionen in solchen komplexen Systemen. Den Auftakt macht
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Adrian Vatter mit seinem Kapitel, darin diskutiert er die Möglichkeit eines durch Los bestellten Minderheiten- und Zukunftsrats als Zweite Parlamentskammer, um gesellschaftliche Repräsentationsdefizite auszugleichen, kulturelle Minderheiten zu schützen und die politischen Reform- und Steuerungskapazitäten zu stärken. Der zweite Beitrag von Bill Dutton stellt Bloggerinnen und Blogger sowie andere inhaltsgenerierende Nutzerinnen und Nutzer des Internets als Fünfte Gewalt in liberalen Demokratien dar, diskutiert Gefahren für diese Gewalt und schlägt neue Forschungsdesigns zu deren Messung über die Zeit vor. Ulrik Brandes schließt daran an, indem er in normativer Hinsicht und mit Referenz auf Diskussionen mit Volker Schneider die Rolle von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Politik erörtert – sollten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler politisch weniger neutral verhalten? Arthur Benz fragt, unter welchen Bedingungen in komplexen, demokratischen Mehrebenensystemen innovative Ideen oder Projekte generiert sowie durchgesetzt werden können. Im letzten Beitrag dieses Clusters behandelt Hans-Jörg Schmedes das Miteinander staatlicher und privater Akteure in der Politikformulierung. Fragen wie die Legitimität und Transparenz von Aushandlungsprozessen und die Rolle von Eigeninteressen gegenüber dem Gemeinwohl sowie deren Regulierung werden hierbei erörtert.
3. Policy-Prozesse, Politikfelder und Politiksektoren Der dritte Themenbereich führt ein wenig weg von institutionellen und demokratietheoretischen Aspekten und lenkt den Fokus stattdessen auf die Politikfeldanalyse und Policy-Prozesse und schenkt bestimmten Politikfeldern und -sektoren Beachtung. Auch hier spielt die Komplexität von Akteurskonstellationen und Prozessen sowie die Einbettung in einen institutionellen Rahmen eine Rolle; jedoch geht es nur nachrangig um eine systemtheoretische Perspektive oder die Einbettung bestimmter Akteurstypen in die Politik. Einleitend stellt Karin Ingold einen prominenten akteursbasierten Ansatz in der Policy-Prozesstheorie, das Advocacy Coalition Framework, auf den Prüfstand und schlägt eine Reihe von offenen Forschungsfragen hierzu vor. Der zweite Beitrag von Christoph Knill behandelt das Problem der Politikakkumulation, der beständig wachsenden Anzahl an Policies und Regelungen in Demokratien. Simon Fink beschäftigt sich mit einem bestimmten Politikfeld, der Infrastrukturpolitik, und beleuchtet hier insbesondere die zunehmende Bürgerbeteiligung an der politischen Planung – ist diese machbar, sinnvoll und wünschenswert? Der letzte Beitrag von Thomas Malang widmet sich ebenfalls einem Politikproblem: den Mustern und Erklärungen musikalischer Zensur in Deutschland. Der Beitrag schlägt eine Reihe von Hypothesen vor und bettet diese in vergleichende Untersuchungsstrategien ein. XIII
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4. Akteure und Diskurse in Policy-Netzwerken Die letzte Gruppe von Kapiteln widmet sich Akteuren und Diskursen in Policy-Netzwerken. Abschließend soll es also um ganz konkrete Netzwerkanalysen von Akteuren gehen, im Gegensatz zu den vorher behandelten Governance-Systemen, Institutionen, Repräsentation von Akteursarten oder Politikfeldern. Unterschiedliche Arten von Netzwerkrelationen stehen im Fokus: Neben klassischen Policy-Netzwerken geht es um Protestnetzwerke und um Diskursnetzwerke – die Verbindung von Akteuren über inhaltliche, diskursive Konzepte. Zuerst diskutiert David Tindall die Nützlichkeit von idiographischen Forschungsdesigns in der Untersuchung von Umweltaktivismus in der kanadischen Provinz British Columbia, in Anlehnung an wissenschaftstheoretische Diskussionen mit Volker Schneider. Burkard Eberlein und Adrian Rinscheid schlagen vor, das Instrumentarium der Diskursnetzwerkanalyse einzusetzen, um die politische Rolle von Konzernen und das Thema der Corporate Social Responsibility zu analysieren. Das dritte Kapitel dieser Themengruppe von Wolfgang Seibel bringt persönliche Integrität und Verantwortungsethik von Akteuren als neues Element in die administrative Netzwerkforschung ein und nutzt den Duisburger Loveparade-Fall als empirisches Beispiel. Die Vorschläge von Achim Lang wollen die Akzeptanz von Energietechniken mit Hilfe von Feldexperimenten in Kleingemeinden messen und so einen Beitrag zur Erforschung von Technikakzeptanz leisten. Anschließend soll wiederum die Diskursnetzwerkanalyse in einem Beitrag von Boris Holzer, Sebastian Koos, Michael Stürmer und Rüdiger Wilhelmi zum Einsatz kommen, um die diskursiven Netzwerke im Bezug auf transnationale Lieferketten, Globalisierung und die Verantwortung multinationaler Unternehmen offenzulegen und über einen Zeitraum von 20 Jahren zu dokumentieren. Im letzten Beitrag schlagen Melanie Nagel und Keiichi Satoh vor, eine Weltkarte politischer Ideen und Diskurse zu erheben und zu untersuchen, ob es im Zeitverlauf zu einer Zunahme der weltpolitischen Polarisierung kommt. Hierfür machen sie ganz konkrete empirische Forschungsvorschläge unter Zuhilfenahme quantitativer Textanalyseverfahren.
Persönliches Volker Schneider ist nicht nur ein herausragender Politikwissenschaftler mit internationalem Renommee, er ist darüber hinaus ein großartiges Vorbild für Generationen von Studierenden und jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und verkörpert den Idealtypus eines Professors – stets mit offenem Ohr für Fragen und Wünsche der Studierenden und zudem immer wertschätzend, interessiert und
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offen für Neues. Er schafft damit den Spagat zwischen neuester wissenschaftlicher Erkenntnis und ansprechender Vermittlung komplexer Inhalte. Wir alle kennen seine amüsanten Anekdoten und sein schwäbisches Naturell (sparsam mit Lob) sowie seine Technikaffinität und Reiselust (bei Dienstreisen stand auch immer der touristische Aspekt der jeweiligen Destinationen im Fokus) – diese Kombination von besonderen Eigenschaften machen Volker Schneider zu einem beliebten und hoch geschätzten Professor, Doktorvater und Kollegen. Die jährlichen Weihnachtsfeiern des Lehrstuhls im Hause Schneider sind Ausdruck seiner Wertschätzung und Gastfreundschaft – zusammen mit seiner Frau Gabi Feistner-Schneider sind diese Feiern mit Musik (Keiichi und Mizuki Satoh am Klavier oder Volker Schneider mit der Gitarre) und kulinarischen Leckereien immer unvergesslich schön. Wir danken Volker Schneider von ganzem Herzen dafür – für seine Unterstützung und Zusammenarbeit im Namen der Studierenden des Fachbereichs Politik- und Verwaltungswissenschaft, im Namen seiner Doktorandinnen und Doktoranden und seiner Kolleginnen und Kollegen. Unser besonderer Dank gilt auch seiner Frau Gabi Feistner-Schneider und seinen Kindern und Enkeln, die ihn zum einen unterstützt und bei seiner Arbeit bestärkt haben und zum anderen seinen Blick darauf geweitet haben, dass neben der Wissenschaft auch andere Aspekte im Leben von Bedeutung sind. Im April 2020 Melanie Nagel, Patrick Kenis, Philip Leifeld und Hans-Jörg Schmedes
Literatur Franz, Hans-Jürgen. 1991. Interorganizational Policy Coordination. Arrangements of Shared Government. In: The Public Sector. Challenge for Coordination and Learing. Ed. FranzXaver Kaufmann, 469–499. Berlin/New York: de Gruyter. Kenis, Patrick and Volker Schneider. 1987. The EC as an International Corporate Actor: Two Case Studies in Economic Diplomacy. European Journal of Political Research 15(4):437–457. LaPorte, Todd R. 1975. Complexity and Uncertainty: Challenge to Action. In: Organized Social Complexity. Challenge to Politics and Policy, Ed. id., 332–356. Princeton, NJ: Princeton University Press. Seibel, Wolfgang. 2018. Resilienz und robustes Handeln: Die nicht selbstverständliche Erfolgsgeschichte der Konstanzer Politik- und Verwaltungswissenschaft. In: Brüchige Erfolge. Eine Biografie der Konstanzer Politik- und Verwaltungswissenschaft, Hrsg. Gerald Schneider, Volker Schneider und Wolfgang Seibel, 17–68. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.
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Schneider, Volker. 1988. Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle. Eine Analyse einer transnationalen Politikentwicklung. Berlin/New York: de Gruyter. Schneider, Volker. 1989. Technikentwicklung zwischen Politik und Markt: Der Fall Bildschirmtext. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Schneider, Volker. 1995. Institutionelle Evolution als politischer Prozeß: Die Entwicklung der Telekommunikation im historischen und internationalen Vergleich. Habilitationsschrift an der Universität Mannheim. Schneider, Volker. 1999. Staat und technische Kommunikation. Die politische Entwicklung der Telekommunikation in den USA, Japan, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien. Opladen: Westdeutscher Verlag. Schneider, Volker. 2001. Die Transformation der Telekommunikation. Vom Staatsmonopol zum globalen Markt (1800–2000). Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag. Schulze-Fielitz, Helmuth. 2000. Festschriften im Dienst der Wissenschaft. Deutsches Verwaltungsblatt 17, 1260–1266. Steinmayr, Markus. 2005. Akademische Rituale. Werner Zilligs Roman „Die Festschrift“. https://literaturkritik.de/id/8388f. Zugegriffen: 26. April 2020.
Volker Schneider 2020 vor seiner Verabschiedung Quelle: privates Foto von Gabi Feistner-Schneider
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Teil I Governance von komplexen Systemen Internet und politische Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Renate Mayntz Systems, Configurations and Fields: Contexts for Policy Networks . . . . . . . . . . . 9 Jeffrey Broadbent The Study of Political Actors and their Environments: The Lessons of Biogeography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Karsten Ronit World Government and Global Governance from a Cybernetic Perspective . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Philip Leifeld The Multiplex Democratic State as a Response to Complexity and Uncertainty? A Discussion in five Propositions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Patrick Kenis and Jörg Raab
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Inhalt
Teil II Demokratie, Interessenvertretung und Institutionen Ein durch Los bestellter Minderheiten- und Zukunftsrat als Zweite Parlamentskammer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Adrian Vatter The Fifth Estate: Canaries in the Institutions of Liberal Democracies . . . . . . . . 59 William H. Dutton Should Scientists act more Politically? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Ulrik Brandes Adaption und Innovation in Multilevel Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Arthur Benz Das Miteinander staatlicher und privater Akteure in der Politikformulierung – Anmerkungen zur Diskussion um mehr Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Hans-Jörg Schmedes Teil III Policy-Prozesse, Politikfelder und Politiksektoren Unbeantwortete Fragen im Advocacy Coalition Framework . . . . . . . . . . . . . . . 91 Karin Ingold Unbegrenztes Wachstum? Überlegungen zu den Ursachen und Folgen von Politikakkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Christoph Knill Input-Legitimität in der Infrastrukturpolitik – Machbar, sinnvoll, wünschenswert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Simon Fink Muster und Erklärungen musikalischer Zensur in Deutschland . . . . . . . . . . . 113 Thomas Malang
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Teil IV Akteure und Diskurse in Policy-Netzwerken Patterns Versus Details: Nomothetic Versus Idiographic Approaches to Studying Ego-Networks and Environmental Activism . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 David B. Tindall Building Bridges: How Discourse Network Analysis (DNA) can help CSR Research to investigate the ‘New’ Political Role of Corporations . . . . . . 139 Burkard Eberlein and Adrian Rinscheid Netzwerke, Integrität und Verantwortungsethik – Bemerkungen zu einem evidenten, aber unterforschten Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Wolfgang Seibel Technologieakzeptanz und nachhaltiges Verbraucherverhalten: Ein experimentelles Design zum Einfluss von sozialen Strukturen . . . . . . . . . 153 Achim Lang Transnationale Lieferketten und die Verantwortung multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Boris Holzer, Sebastian Koos, Michael Stürner und Rüdiger Wilhelmi Weltpolitische Dynamik und polarisierte Diskurse: Eine Analyse von Makrostrukturen der Kulturen durch eine „Global Map of Ideas“ . . . . . . . . . 169 Melanie Nagel und Keiichi Satoh
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Arthur Benz ist Professor für Politikwissenschaft (im Ruhestand) am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Ulrik Brandes ist Professor für Soziale Netzwerke im Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften an der ETH Zürich. Jeffrey Broadbent ist Professor im Department of Sociology und Fellow am Institute on the Environment an der University of Minnesota. William H. Dutton ist ehemaliger Direktor des Oxford Internet Institute und Emeritus-Professor an der University of Southern California, Fellow am OII und an der Oxford Martin School. Burkard Eberlein ist Full Professor of Public Policy and Strategic Management an der Schulich School of Business, York University, in Toronto. Simon Fink ist Professor für das politische System der BRD am Institut für Politik wissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Boris Holzer ist Professor für Allgemeine Soziologie und Makrosoziologie an der Universität Konstanz. Karin Ingold ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern und leitet die Gruppe für Policy Analysis and Environmental Governance an der Eawag und der Universität Bern.
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Verzeichnis der der Autorinnen und Autoren
Patrick Kenis ist Professor Public Governance an der School of Economics and Management, Tilburg University. Christoph Knill ist Professor für Empirische Theorien der Politik am GeschwisterScholl-Institut für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sebastian Koos ist Juniorprofessor in der Arbeitsgruppe Corporate Social Responsibility am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. Achim Lang ist Leiter der Fachstelle Public Networks and Service Delivery am Institut für Verwaltungs-Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Philip Leifeld ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft im Department of Government an der Universität von Essex. Thomas Malang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. Renate Mayntz ist ehemalige Direktorin des Max-Planck-Instituts für Gesellschafts forschung (MPIfG) in Köln. Melanie Nagel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Jörg Raab ist Associate Professor an der Tilburg School of Social and Behavioral Sciences, Department of Organization Studies, Tilburg University. Adrian Rinscheid ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St.Gallen (IWÖ-HSG). Karsten Ronit ist Associate Professor am Department of Political Science an der University of Copenhagen.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Keiichi Satoh ist Postdoktorand an der Faculty of Social Sciences an der University of Helsinki. Hans-Jörg Schmedes ist Honorarprofessor am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und Referatsleiter in der Senatskanzlei des Landes Berlin. Wolfgang Seibel ist Professor für Innenpolitik und öffentliche Verwaltung am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. Michael Stürner ist Professor für Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz und Richter am OLG Karlsruhe. David Tindall ist Professor am Department of Sociology an der University of British Columbia in Vancouver. Adrian Vatter ist Professor für Schweizer Politik am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern. Rüdiger Wilhelmi ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz.
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Teil I Governance von komplexen Systemen
Internet und politische Beteiligung Renate Mayntz
Mit Ausnahme des Marxismus spielt die Technik in den wichtigsten sozialwissenschaftlichen Ansätzen keine zentrale begriffliche Rolle. Für einen Politikwissenschaftler eher ungewöhnlich, hat Volker Schneider sich am Beginn seiner beruflichen Karriere mit dem Bildschirmtext bzw. dem Videotext beschäftigt (Schneider 1989), einem neuen technischen Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sein Interesse an Technik ging über Bildschirmtext bzw. Videotext hinaus (Schneider 2001). Hier kann man ansetzen, um eine neue Idee für Herrn Schneiders sozialwissenschaftliches Interesse zu entwickeln – ein Interesse, das ihm auch nach der Emeritierung bleibt. Bildschirmtext, eine in der ursprünglichen Form inzwischen überholte Technik, bildet ein Zwischenglied in einer historischen Kette von Leitmedien öffentlicher Kommunikation. Diese Kette beginnt mit der direkten Sprache und ist über die erste Schriftwelt, die Welt gedruckter Werke, die Welt der öffentlichen Presse, des Radios und Fernsehens schließlich in der Onlinewelt der modernen IT-Medien angekommen, wo sie der Kommunikation zwischen einzelnen Personen, in Gruppen und bei der Massenkommunikation dient. Die Digitalisierung wird seit kurzer Zeit lebhaft diskutiert. Einerseits werden die Auswirkungen auf das kognitive Verhalten von IT-Nutzern angesprochen, wie in dem Buch Digitale Demenz (Spitzer 2012), andererseits geht es um die Beeinflussung von individuellen Präferenzen, nicht zuletzt von Präferenzen ökonomischer und politischer Art. Dass die Kommunikationen mit Hilfe der heutigen IT-Dienste eine Quelle umfassenden sozialen Wandels sind, wird auch in den Sozialwissenschaften berührt; man denke an das Buch von Dolata und Schrape (2018). Zu den ökonomischen Folgen der Nutzung des Internets gehört neben der zielgerechten Werbung die Verschiebung des Warenkaufs in die Online-Welt. Die „Plattformökonomie“ ist bereits zu einem bekannten Schlagwort geworden. Das Einkaufen verlagert sich in den Online-Handel, Großanbieter und Lieferdienste © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_1
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wachsen, und in den Innenstädten werden Geschäftslokale leer; die Politik unterstützt diesen Prozess, indem sie das kostenfreie Retournieren nicht abgenommener Angebote duldet. Hier entsteht eine technisch motivierte Innovation, die sich auf eine ökonomische Verhaltensbereitschaft der Käufer und ein verändertes Angebotsverhalten auf der Seite der Anbieter stützt. Das Ergebnis ist eine Veränderung im Funktionieren der Warenwelt. Dieser Prozess ist ein gutes Thema für einen Wirtschaftssoziologen; Herrn Schneider kann man fragen, ob es im Bereich politischer Dynamik einen ähnlichen Prozess gibt, bei dem das Internet, also eine neue Technik, eine zentrale Rolle spielt. Der Digitalisierung wird generell eine Erweiterung politischer Beteiligung zugeschrieben. Die Online-Welt der IT-Medien bietet einen ständigen Strom unterstützender und kritischer politischer Meinungen an, die im Sinne der Massenkommunikation einer anonymen Leserschaft, aber fallweise auch der gezielten Beeinflussung ausgewählter Adressaten dienen; ein bekannter Fall war die versuchte Beeinflussung amerikanischer Wähler bei der Wahl von Trump. Eine weitere Form der Online-Kommunikation führt zur Bildung von lockeren Gruppen, die sich in kollektiven Versammlungen und Demonstrationen politisch äußern. Als Beispiele eines Verhaltens, bei dessen Genese die Nutzung des Internets eine Rolle gespielt hat, können die jüngsten Versammlungen vor Kohlekraftwerken in Deutschland, die französischen Gelbwesten, neuere Proteste in der Türkei oder Polen oder etwas weiter zurückliegend die sogenannte arabische Revolution gelten. Diese in den Medien breit diskutierten Fälle zeigen eine neue Art politisch handlungsfähiger sozialer Gruppen, deren Handeln oft die Grenze berührt, an der politischer Protest in Gewalt übergeht. Spontan erscheinende kollektive Protestaktionen gibt es seit Jahrhunderten; heute treten sie vermehrt im Zusammenhang mit der IT-Kommunikation auf, und man könnte Herrn Schneider fragen, ob es sich hier wie im Fall des Online-Kaufens um ein durch eine neue Technik vermitteltes neues Phänomen oder nur um eine nebensächliche Spielform eines alten Verhaltensmusters handelt. Die durch ein gemeinsames Ziel und eine darauf gerichtete kollektive Tätigkeit bestimmte Gruppenbildung berührt sich mit zwei bekannten Richtungen der Sozialforschung, der Netzwerkforschung und der Bewegungsforschung, weicht aber von ihren herkömmlichen Fragen ab. Herkömmlich werden soziale Netze durch Kommunikation zwischen als gleich behandelten Akteuren gebildet, wobei Individuen und Organisationen als Akteure gelten. Viele der im Internet gebildeten Gruppen haben zwar eine Netzwerkform, agieren aber nicht als Netze in einem Prozess ständiger Kommunikation. Die physische Ko-Präsenz der Gruppe bei kollektiven Akten fördert eine aus der Bewegungsforschung bekannte ad-hoc-Dynamik. Die Bewegungsforschung, die Phänomene von organisiertem Protest bis hin zur formellen Organisationsbildung behandelt, hat es aber eher mit NGOs und
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politischen Parteien als mit scheinbar ungeplant entstehenden Protestaktionen zu tun, die von einer durch die Online-Kommunikation hervorgerufenen, ephemeren Gruppe stammen. Betrachtet man das politische Verhalten dieser mit Hilfe der Online-Kommunikation gebildeten Gruppen, dann unterscheidet es sich deutlich vom individuellen Verhalten in Wahlen. Die sich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit versammelnden Gruppen scheinen das Ergebnis eines sich selbst verstärkenden Prozesses der Akkumulation von Teilnehmern zu sein, die sich gleicher Gesinnung fühlen. Während die Bewegungsforschung auch historisch zurückliegende Ereignisse umfasst, ist meines Wissens nicht systematisch untersucht worden, wie die jüngsten, IT-vermittelten Gruppenbildungen entstehen. Den Medienberichten lässt sich entnehmen, dass eher einzelne Aktivisten als zielbewusste Steuerungsimpulse formeller Organisationen eine zentrale Rolle dabei spielen; es wird jedoch selten etwas über die Aktivisten berichtet. Eine Ausnahme ist der Fall der „Youth for Future“, deren Anfang in den Medien beschrieben wurde. Die Aktivisten können Mitglieder von Organisationen sein, repräsentieren sie aber nicht; oft scheinen es selbst-definierte Influencer, Einzelne oder vielleicht eine kleine Gruppe zu sein, die die Chance wahrnehmen, sich über das Netz Gehör zu verschaffen. Was die Teilnehmer dieser Gruppen angeht, scheinen vor allem jüngere Nutzer der IT-Kommunikation zu dominieren; zumindest gilt das für die erste Generation von Teilnehmern. Schließlich ist die technisch bedingte mediale Erreichbarkeit im Internet auf die vom allzu jungen oder zu hohen Alter begrenzte Handy-Nutzung beschränkt. Ob es eine Selektivität nach Geschlecht gibt, wäre zu erforschen. Das soziale Profil der Beteiligten entstammt grundsätzlich einem durch die laufende IT-Präsenz bestimmten, verschiedene soziale Schichten umfassenden Publikum, kann aber mit dem Anlass des Handelns variieren; ein Beispiel wäre die anfangs 2020 in Deutschland gelaufene Trecker-Demonstration, über die mit zahlreichen Bildern berichtet wurde – ohne auf ihre Genese einzugehen. Eine zentrale Frage richtet sich auf die motivierenden Ziele dieser Kollektive, die sich als protestierende Gruppen äußern. Sie reagieren nicht auf Wahlprogramme von Parteien, sondern auf spezifische politische Entscheidungen bzw. Vorgänge. Offen ist, ob die Ziele der neueren Protestgruppen sich von früheren spontanen Protesten unterscheiden: Entsteht in den Protestaktionen, bei deren Genese das Internet eine wichtige Rolle spielt, eine neue Zielrichtung politischen Handelns? Ziel des Zusammenkommens der Protestgruppen ist auf jeden Fall ein öffentlich sichtbares, eindeutig politisches Handeln. Die Adressaten des Protests, die „Schuldigen“ der beklagten Probleme, werden oft nicht explizit genannt. Inhaltlich unterscheiden sich die Anlässe einer IT-vermittelten politischen Gruppenbildung. Wie im jüngsten Fall der Trecker-Demonstration kann eine politisch verantwortete Benachteiligung
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einer sozialen Gruppe der Anlass sein; hier ging es um die Preisgestaltung bei Nahrungsmitteln und damit die Kosten der Nahrungsmittelerzeugung durch Landwirte. Der Erzeuger des Preisproblems war das Fehlen einer politischen Intervention, die das auf billige Verkaufspreise zielende Verhalten von Händlern und Käufern hätte steuern können. Denkbar ist, dass neuerdings in einem weiten Sinn politisch-moralische Anliegen für die IT-vermittelte Bildung von Protestgruppen typisch sind; Beispiele wären Proteste gegen Kohlekraftwerke ebenso wie der in der Türkei nach dem Abschuss eines Zivilflugzeugs entstandene Protest. Dieser spontane Protest folgte schnell dem von der türkischen Regierung geförderten Protest gegen den Tod eines türkischen Generals durch eine amerikanische Drohne im Iran; diese Verdoppelung von Protesten weist auf eine fließende Grenze zwischen politisch geförderten und „spontanen“, aber IT-vermittelten Formen der Gruppenbildung hin. Die IT-vermittelte Bildung einer politischen Protestgruppe setzt eine besondere Handlungsbereitschaft in der Bevölkerung voraus. Bei den Veränderungen des Kaufverhaltens in der Warenwelt ging es um eine längerfristig in ihrer Ausdrucksform veränderte individuelle Nutzenpräferenz (kaufen zu Hause bei großer Auswahl). Im politischen Fall könnte die „neue Wut“ der Bevölkerung eine Rolle für ihre Handlungs- oder Reaktionsbereitschaft spielen. Da die Internetkommunikation tendenziell alle denkbaren Leser ihrer Nachrichten anspricht, werden herkömmliche Gruppenidentitäten wie die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse und eine damit zusammenhängende Prägung politischer Präferenzen schwächer. Der zu einer demokratischen Grundüberzeugung gehörende Glaube an die Berechtigung eines sichtbaren eigenen Protests trifft auf die technisch vermittelte Chance, ihn auszudrücken: Was früher „hingenommen“ wurde, wird jetzt Anlass zum Protest. In der Wahl zwischen Exit, Voice und Loyalty hat sich etwas geändert: Das Zeichen steht zunehmend auf Voice statt auf Loyalty. Bei allen spontan entstehenden Protesten reagieren Menschen, anders als bei politischen Wahlen, nicht auf generelle Programme, sondern auf eine spezielle, als problematisch empfundene Situation. Die direkte Willensäußerung ergänzt oder ersetzt sogar die Einflussnahme durch Beteiligung an offiziellen Wahlen; wir haben es hier mit zwei parallelen Prozessen der politischen Meinungsäußerung zu tun, und die Frage ist, ob die Online-Kommunikation diese Spaltung begünstigt. Die hier angedeuteten Hinweise auf Merkmale der neuen Protestgruppen ergeben kein klares Bild. Klar ist immerhin, dass eine durch die Online-Kommunikation ermöglichte Form der Bildung von politischen Protestgruppen die verfasste Demokratie beeinflusst. „Wählen“ in Form der Abstimmung über politische Programme bzw. den Bewerber für ein politisches Amt bekommt mit der Zunahme spontaner Proteste eine mindere Bedeutung. Es sind nicht nur die hohen Zahlen von Nicht-Wählern, die auf diesen Bedeutungsverlust des Wahlakts reagieren.
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Wenn der bekannte Veranlasser eines Protests etwa eine Gewerkschaft wäre, kämen Verhandlungen mit der Regierung und den Arbeitgebern in Frage. Wie die Politik auf (zunächst) legitime Proteste reagiert, gegebenenfalls mit der Polizei, ist bekannt; gibt es eine Besonderheit, wenn es sich um IT-vermittelte spontane Protestgruppen handelt? Der französische Präsident Macron begann einen gezielten Dialog mit den Gelbwesten. Dabei wurde sichtbar, dass ein Verhandeln mit einer protestierenden Gruppe mit der Art ihres Zustandekommens zusammenhängt: wenn es sich um eine ephemere Gruppenbildung handelt, ist Verhandeln schwierig. Anders als im Fall der durch das Internet bedingten Veränderung in der Warenwelt, bei der das Angebot einer neuen technischen Form der Interaktion zwischen Käufern und Verkäufern die Triebkraft des Geschehens ist, könnte die Technik bei den von der Online-Kommunikation gestützten Protesten für die politische Dynamik eine weniger entscheidende Rolle spielen: Die Technik ermöglicht hier ein Handeln, ist aber keine Triebkraft des Geschehens. Damit verschiebt sich im Fall politisch aktiver, IT-vermittelter Gruppen die zentrale Erklärung auf Veränderungen in der institutionell geprägten Reaktionsbereitschaft der Bevölkerung. Diese Frage geht weit über den hier gesteckten Horizont hinaus; sie verweist auf einen gesellschaftlichen Prozess, der in westlichen Demokratien auch zu politischen Parteien mit „populistischen“ Zielen geführt hat. Die Gruppenbildungen, bei denen das Internet eine wichtige Rolle spielt, könnten eine mögliche Ausdrucksform eines gesellschaftlichen Wandels sein, mit dem wir gegenwärtig konfrontiert werden.
Literatur Dolata, Ulrich und Jan-Felix Schrape. 2018. Collectivity and Power on the Internet. A Sociological Perspective. Wiesbaden: Springer. Schneider, Volker. 1989. Technikentwicklung zwischen Politik und Markt: Der Fall Bildschirmtext. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag. Schneider, Volker. 2001. Die Transformation der Telekommunikation. Vom Staatsmonopol zum globalen Markt (1800–2000). Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag. Spitzer, Manfred. 2012. Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. München: Droemer.
Systems, Configurations and Fields: Contexts for Policy Networks Jeffrey Broadbent
This essay summarizes and comments on some of the recent contributions to theories of complex governance and the varieties of democracy made by Volker Schneider. Building on his empirical research agenda using the policy network approach, Schneider has greatly expanded our theoretical concepts for understanding political systems. He has taught us to appreciate the complexity of macro-level political governance systems and the wide variation in the meso-level inter-organizational networks that contribute to those systems (Schneider 2015). Political science has tended to focus on the rational goals of actors and how formal political institutions constrain or facilitate their goal-seeking behavior. The concept of governance, though, as Schneider explains, expands our attention beyond the power of the state, formal political institutions and rational actors constrained by them. The governance perspective includes all the politically-relevant actors in both state and society and recognizes the potential for a wide distribution of influence among them, all of which may bear upon decisions by the formal authorities. Influence may be exercised by informal relationships that affect the decisions of authorities. In a word, the concept of governance expands the focus of political science from formal politics towards the inclusion of society. It moves toward considering a variety of power-sharing arrangements. In doing so, use of the governance perspective forces a deeper consideration of the complexity of politics. Complexity increases as a function of the number of actors, which exponentially magnifies the number of potential influences flowing into the system. The multiplicity of feedback loops and uncertainty about their effects makes system behavior and outcomes increasingly unpredictable (Schneider 2012). Policy networks are calculated based on (data about) the multiple types of resource transfer and other relations among the organizational actors in a policy domain (an issue-specific set of actors). Such relations consist of the transfer of vital information, public political support, mutually-acknowledged long-term © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_2
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reciprocity, frequent collaboration, performing work for another organization, and others. The amount of influence an actor is perceived as exercising in the policy-making system may be correlated with its location in one or more of these networks. Different relations may contribute distinctly to the amount of perceived influence attributed to an organization. Taken together, the relative centralization of influence in a few hands or its dispersal into many hands helps define the power structure of the political society. A power structure can be relatively hierarchical and unequal or relatively horizontal, pluralist and participatory (Schneider 2015). Policy network data allow us to investigate empirically the degree of verticality versus horizontality in a given political system. The greater degree of investigative capacity afforded by the policy network approach pushes the comparative researcher to move beyond received typologies and categories. In a very insightful way, Schneider moves us from the original vertical/ horizontal power sharing typology of Lijphart to differentiation along three types of horizontal aspects and three types of vertical dimensions of power dispersal. The three horizontal dimensions include degrees of the following factors: an autonomous, participatory civil society, the dispersal of power among institutions within the government, the importance of organizations specialized in knowledge production. The three vertical degree factors include: distribution of power between individuals and organizations, between territorial levels and units, between domestic and international actors (Schneider 2015, p.276). More recently, moving beyond distinguishing the different patterns of power-dispersal or concentration that can be discovered using policy network analysis, Schneider has begun to consider the larger societal context within which these different patterns arise. He wants to bring back in more consideration of “structural differentiation at the macro level” as a context for the analysis of political systems and network patterns of political actors. To understand how different political systems cope with problems such as climate change, it is of importance to consider their embeddedness in economic, technical, scientific, media and other substantive systems as identified by Luhmann. This embeddedness influences the perception and communication of the problem and its translation into policy proposals (Schneider 2020, S. 42). Schneider reviews 24 different theories that purport to explain policy processes and outcomes and finds that most of them do not explicitly consider the embeddedness of politics in the differentiated macro-societal systems. He recommends the new theoretical agenda of linking policy systems and policy networks with the differentiated macro-societal systems in which they are embedded. For this purpose, compared to the narrower range of four systems identified by the Parsonsian AGIL framework, Schneider finds the wider range of substantive systems identified by Luhmann to be more relevant to complex democracies. However, he
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finds Luhmann’s idea of systems too restrictive because each system is self-contained and influences other systems only through communication (information exchange, not material exchange). Schneider proposes that these systems are linked with each other by actors that inhabit more than one system, such as companies that inhabit both the economic and the scientific systems (Schneider 2020, p.58). This exciting theoretical perspective opens up many possibilities for further research and ways to explain the different policy network patterns discovered by comparative researchers. In the remainder of this essay, I would like to comment and expand upon some of the important themes raised by Schneider by bringing in some more ideas from sociological theory and political sociology. In particular, I would like to raise some questions concerning the ontological status of the theoretical concept of systems, to argue that the pattern-variables underlying the AGIL systems framework can be used to identify different aspects of social action and larger configurations, and to propose that the extension of polity analysis to include actors in the society could benefit by going further and extending more knowingly into the realm of culture. On the first point, I would like to propose that the concept of “system” in the social sciences might be no more and no less than a heuristic analytical construction. This means that the concept lacks a real referent in societal existence. A system is something that exhibits recursive feedback loops, so that a change in A produces a change in B, which then ultimately through intermediate connections feeds back to produce a change in A (Meadows 2008). Parsons himself defines a system as having an interdependence of parts in a determinate relationship (Parsons 2001). We should judge the existence of systems by this standard. When social scientific scholars use the term system (or sub-system), as in political system, media system, or social system, they imply a high degree of coupled integration among the parts. Parsons for instance thought of society as a “living system” with close analogy to a biological system (Parsons 1975). That analogy forces the expectation that, in order for such a system to survive, its parts would need to be tightly integrated (positively responsive to signals from each other). Parsons thought that, as a living system, society would need to solve four basic functional problems in order to survive: adapting to its material environment (A), adopting collective goals (G), insuring that people and groups sufficiently integrate and cooperate with each other (I), having enough of an underlying (latent) common set of symbols, language and motivation to enable that cooperation (L). Parsons conceived of these four as basic sub-systems of society. In this view, at the societal level, the adaptive sub-system corresponds to the economy, the goal-setting sub-system to the polity, the integrative sub-system the forms of social relations (in the more specific sense of knowing and cooperating), and the symbolic motivation sub-system the culture. In this way, Parsons implies that the social system and its sub-systems, as “living
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systems,” have real existence as social units. Luhmann imputes this kind of real existence ontological status to his self-organizing, autopoietic systems such as law, media, science and so forth that populate his concept of society. But at the same time, to his use of the term systems Parsons constantly added the prefix analytical. What is an analytical system? In a word, this means the system is not real. It differs from a really existing system. In general, the term analytical refers to component aspects that are recognized in and extracted or isolated from a complex reality. Indeed Parsons says that the qualities of systems are “inferred” from studying actual behavior (Parsons 2001). Further bolstering that lack of reality, Parsons distinguished actual empirical behavior from analytical systems. He recognized that real behavior might deviate from the behavior described by a sub-system (Parsons 2001). Accordingly, this leads to the conclusion that for Parsons, true to his strong Weberian influence, an analytical system is a basically an ideal-type. It is a concept put together out of bits and pieces of reality that the analyst thinks have some affinity with each other. It is a conceptual standard against which the researcher should compare findings from the empirical reality, in order to clarify the real composition. This side of Parsons’ notion of the ontological status of the concept “system” stands in stark contrast to his other side, where, like Luhmann, Parsons thinks of social systems and sub-systems as real entities. Therefore, I think that Parsons’ use of the term analytical for his concept of system reveals a basic unresolved ambiguity in his work between systems as real things and systems as ideal-typical analytical thought constructions. In my opinion, human society is not in itself a “living system” nor do its specialized activities and operations organize by functional or autopoietic principles at the societal level. Parsons often evinced fear of the “fallacy or misplaced concreteness,” a concept he got from the philosopher of science A. N. Whitehead. I think his positing of social reality as “systems” exemplifies just such a fallacy. Rather, the evidence indicates that our notions of social systems as such are our own analytical, ideal-typical thought constructions. Systems may exist in the real social world, but this is an empirical question. We have to investigate the degree of systemicness possessed by any form of social organization. When we investigate the political organization or power structure of a particular policy domain, its competing actors may exhibit a rather high degree of mutual reactiveness and hence have systemic qualities. Hence the attractiveness of the term political system. Often, at the macro-level, though, and in less intentional domains, the parts are not tightly coupled. Many impulses dissipate without any effect, and in complexity, effects come from outside the known factors, as in the butterfly effect. Random behavior by agents may give rise to totally unpredicted regular patterns at the macro level of organization, as described by chaos theory (Brown 1995). Accordingly, we should not readily
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jump from the system concept to presumptions about how society actually works. What we call a social system or cultural system, then, or in Luhmann’s terms a political, legal or media system, often are imputed such qualities by theorists. The theorists draw upon aspects of how people behave, relate, take on roles, think and produce or manifest larger patterns. Theorists patch these aspects together and think of them as systems. Certainly, though, trans-individual collective specialized patterns of activity and thought do arise and have increasingly differentiated over historical time. Durkheim called these social facts. These activity and thought patterns have parts that do sometimes more or less relate and react to each other, forming quasi-systemic operations. In societies, collective macro-organizational activity and thought patterns manifest in a wide range of shapes and contents, and these patterns get repeated over time or institutionalized. These institutionalized patterns deeply socialize the new generations and thus reproduce themselves. These macro-patterns in specialized profusion do arise somehow. So, if not systems, what are we to call them? And how exactly do they arise and how much do they control and shape their members and alternately, how much do their members control and shape them? In a way, we are back here to the old, classic problem of the causes of social order, also known as the micro-macro or the structure-agency problem. In thinking about the order of society, the classic debate has been whether to build it up from the micro-level (the individual) or to bring it down from the macro-level (the system or structure) (Alexander et al. 1987; Hechter 1983; Huber 1991). It is evident that, far from being functional or autopoietic, these institutionalized patterns are generated by and monitored by substantive human beings, sometimes acting alone and more often acting collectively or in reaction to each other. Society qua society does not have its own purpose or drive to survive. Such drives are entirely provided by the living human individuals that constitute the society. Those individual drives, however, are not reducible to rational selfish interest as posited by economic theory. To varying degrees, the individual motivations reflect the larger norms and values of the society; motivation is also enmeshed in social relations and roles with sanctions. At the same time, intelligent humans do sometimes perceive the wider functional consequences of their social arrangements, as evinced by debates about the public good, what it is, and how to enhance it. But the degree of consensus and abidance is highly variable and fraught with individual deviation. Within society individuals and groups constantly argue and sometimes struggle over the most “functional” way to run the society -- whom and what should the “function” benefit? Through such disagreements, societies can generate change, sometimes even choosing wrong turns that lead to their own degradation or extinction. Through these collective processes, societies fail or succeed (Diamond 2005).
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One way out of this dilemma, used by the network approach, is to posit the relational dyad, not the individual unit-act, as the fundamental unit of society (Abbott 2007; Emirbayer 1997). Policy networks are one example. These relational dyads link up into larger network patterns. One good term for such relational patterns is the figuration (Elias 1978) or configuration, adding the prefix dynamic when studying process. The concept of configuration implies a pattern of relationships among actors without necessary systemic coherence. One could then talk about the macro-configurations around given tasks, such as politics, science, media and so forth. This conceptualization would connect to larger macro-social institutions without falling into systems language. One could then extract different aspects of those relational patterns and from that, infer the macro-patterns. Policy network analysts embark on this approach when they measure different kinds of exchange media, such as information, support and collaboration. This approach is also what Parsons claims to be taking, before he makes the leap into a whole new ontological level, that of functionalist systems analysis. Before Parsons thought of the four function AGIL subsystems framework, he first started from an analysis of the unit-act and of dyadic interaction. He thought of the relational dyad as the basic unit of society, and inferred the presence of larger “systems” from there. He said that individual action, including toward another actor, had to choose among five basic polarized dimensions called the pattern variables (Parsons 2001). Network analysts could apply these pattern variables to the relational dyad. The first pattern-variable is individualist-collectivist. Other pattern-variables include affectivity-affective neutral, universalism-particularism, ascription-achievement, and specificity-diffuseness. Parsons assumed that these behavioral, relational variables, with their particular contents or actor “choices” of how to relate, constituted the basis of his entire theory of social action. Parsons also distinguishes four different generalized media of exchange: power (domination), money, influence (persuasion), and activation of commitments (Münch 2010). Bringing both these types of relational distinctions into the specification of different types of network exchange media would help us characterize the qualities of larger patterns. Policy network (and more micro social network) research has already begun to define and measure different qualities of relationships, up to now including information, public political support, reciprocity, collaborate with, conflict with and perform work for. The pattern variables and generalized exchange media indicate that much more refinement is possible in defining and measuring the many types of relationships that constitute the meso-level networks among organizational actors. Schneider has identified three relational types that bear a lot of promise: exchange, communication and communitarian (Schneider 2020). In addition, if we treat the AGIL framework as describing truly analytical factors that can exist in
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mixed form at different levels of social organization, we can look for their presence in the network relations. A more recent summary and extension of Parsons’ theories shows how the different AGIL aspects interpenetrate and exist in mixed form in actual empirical relationships (Münch 2010). This multi-dimensional approach can also be a guide for empirically-based explanation of the different policy styles that characterize environmental regulation in four countries (Münch et al. 2001). Nonetheless, how far will this inference process get us? Will it really show us the larger macro-societal context that Schneider wants us to embed our network analyses within? How do we define that larger context without reference to substantive differentiated systems as posited by Parsons and Luhmann? Ideally, by cross-national comparison and better survey design, we can endlessly refine our measurement and description of the subtle and diverse relational qualities that compose political configurations. Or even scientific, legal, military or other configurations. But will such refined analyses really show us the contextual factors that shaped and produced those particular network configurations? It seems that the inference process will provide at best hints at larger shaping causal contexts, but will not conceptualize and theorize them per se. The Oxford Handbook of Contextual Political Analysis lists a host of causal contextual factors including philosophy, psychology, ideas, culture, history, place, population and technology (Goodin and Tilly 2006). Interestingly, it does not include institutions. In any case, these contextual factors are clearly human products, conceived of and maintained by elites and leaders, sometimes in response to demands welling up from interested populations, and sometimes for their own purposes of rule and exploitation. But at the same time, these contextual factors may also sometimes take on a life of their own; they may exhibit certain self-organizing impulses that manifest organization and change not under the control of anyone. A new technical idea such as the steam engine can spread through purposeful adoption by entrepreneurs around the world, consequently forcing the transformation of many other societal patterns. This process includes autopoeitic aspects. Up to now, policy network analyses have substantially stopped at the level of describing the different network forms, without attempt to explain their presence. They treat the dynamics within the policy domain in effect as sui generis, giving at best brief mention to the underlying or macro-societal conditions that gave rise to those dynamics. To explain policy networks, if we cannot infer their causes from their own particular qualities, we need to leap to another level of social formation, but not a systems concept. Here we can bring in Bourdieu. Bourdieu criticizes network analysis for its lack of attention to underlying causal factors or structures. “In network analysis, the study of these underlying structures has been sacrificed to the particular linkages
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… and flows … through which they become visible” (Bourdieu and Wacquant 1992, p.114). He argued that they tended to take the network itself as the ultimate reality and ignore the underlying field of power. The field of power as “a space of objective relations between positions” … “is different from the more or less lasting networks through which it manifests itself” (Bourdieu and Wacquant 1992, p.114). Bourdieu provides us with an explanatory concept about macro-societal factors which he terms the field of power. Bourdieu argues that policy networks arise out of an underlying and generative field of power. Bourdieu’s field of power consists of relationships among positions (Mahoney et al. 2009) in which “agents and institutions … confront each other …” (Bourdieu 1998). This generative field of power consists of longer-standing institutions composed of cultural meanings, social habits, norms, roles and relationships. Bourdieu terms these qualities as habitus, dispositions, behavioral practices, and structuring institutions (Bourdieu 1999). To this I would add strategic resource differentials. In positing the field of power composed of habitus, Bourdieu was trying to overcome the agency-structure dilemma that plagues much social theory by showing how agents and structures implicate each other. For Bourdieu, the underlying generative field of power, like a “force field,” shapes the emergence of active fields such as evinced by policy networks (Bourdieu 1990, p.87; Wacquant 1998). Martin likens this effect to a magnetic field that shuffles iron filings into ordered lines (Martin 2003). In the same way, the field of power generates active relations around particular and specific problems. Bourdieu’s analysis focuses mainly on the French case. When viewed in a cross-national and historical perspective, though, it becomes apparent that these specific field qualities are shaped by differential cultural, normative and legal rules (informal and formal institutional) factors. The different factors mix in a “kind of balancing or arbitrage” that determines their relative value and specific field of power peculiar to a given society (Loyal 2017, p.267). One could add to Bourdieu’s field of power the various aspects such as technology, science, and media posited by Luhmann and Parsons’ AGIL macro-factors, thinking of them as all as different institutions. Other scholars also recognize a mixed, multi-institutional or multi-dimensional composition to the formative background here called the contextual field of power (Armstrong and Bernstein 2008; Broadbent 2003). Developing this concept, the composition of the generative field varies greatly across national societies. And within any one such society, it transforms over historical time at paces from gradual to sudden pushed by unintentional to highly purposeful actions. Formed in this way through the historical process, the generative field of power produces responses specific to the many different types of overt and specifically-contested issues that arise on a more immediate basis.
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Bourdieu’s concept provides a different way of thinking about the causal context that brings about the patterns and qualities of policy networks. These causal factors include culture – the forest of symbols and web of meaning. The state can exercise symbolic violence as well as physical violence in its control of the populace (Bourdieu 1989). A certain distribution of orientations toward the exercise of state and elite power, including typical lines of antagonism, are embedded in the cultural values and modal personalities of a national populace. Elaborating this insight, the modal popular orientations may range from naïve acceptance of state and elite power to profound cynicism and distrust. Alternately, political culture may range across different civic cultures, wherein citizens see themselves as either participants, subjects or by-standers (Almond and Verba 1963). Widespread ethnic orientations, when perceived as threatened, can be used by politicians to mobilize the populace toward radical change. Alternately, deep-seated prejudices can gradually be transformed toward greater acceptance of others through the suasion of social movements. At the same time, as Gramsci says, certain visions of rule and dominance may characterize elites who hold them implicitly. Such elites hold much more than average influence over the levers of power, giving them capacity to shape politics and other fields according to those beliefs (Eisenstadt 1987, p.17; Gramsci et al. 1972). Especially at times of sudden change, but continuing through more normal times, elites make their beliefs into reality. They build basic institutions that guide the operating modalities of the polity, economy, social relations and culture following those principles. For instance, the national Constitution and codes of laws sanction specific modes of behavior. The ideal of a certain state-economy relationship may prompt expert ministerial bureaucrats to exert leverage toward certain national goals over businesses investment decisions, or conversely, to let the market operate on its own. Likewise, the ideal of a certain state-society relationship may operate similarly. Rather than fostering citizen activism, the state and other elites may try to impose institutions that incorporate the ordinary people as “subjects” under ideological hegemony or “soft social control.” Similarly, those elites can project other categories upon society, such as definitions of national identity or racial and status divisions, a form of control Bourdieu refers to as symbolic violence. On the other hand, it is possible for state administrative officials and elected politicians to be highly responsive to citizen demands or legal requirements and to work selflessly toward realization of the greatest public good. Along with the effect of cultural orientations, Bourdieu’s generative field of power is also shaped by divisions in the control over the obdurate realities of coercive and economic resources and their productive institutions. Extending this recognition, at the extreme, these can produce harsh social inequities. For instance, officials of
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the state (bureaucrats or politicians) may be able to exercise their authority in an arbitrary manner without fear of sanction by negative feedback. They may use this arbitrary power to extract “rent” from their position—that is, the corrupt demand for bribes. Likewise, owners of business enterprises may be able to extract massive profits by paying their workers very little, while using coercion to prevent the formation of labor unions. Their accumulated wealth may enable business owners to “buy” politicians and get them to pass laws that support continued business exploitation of workers. This situation produces in the generative field the antagonistic division of economic classes that tends to characterize capitalist societies. While outcomes may be unpredictable, yet when viewed in cross-national comparison, certain distinct features of different configurations and formations become evident. It is possible to trace some of the causal effects of these distinct features. In Bourdieu’s terms, the underlying field of power manifests through the interaction of political, economic, social, cultural and other actors and institutions. Accordingly, Bourdieu’s field of power provides a conceptual device for conceiving of the factors that contextualize and bring about policy networks. In summary, building upon the path-breaking advances by Schneider, this essay proposes, as a way to characterize the macro-features of society and politics, replacing the concept of systems with that of specialized configurations arising around different media of transference between organizational actors. In analyzing the qualities of the component relations that build up these configurations, it is useful to take hints from the breadth of the pattern variable and AGIL set of factors and explicitly include the cultural aspects of relationships. And as the basis for explaining the configurations and the networks that compose them, Bourdieu’s notion of the field of power with its distinct compositions depending on the society and policy domain in question provides a useful conceptual tool. It merges nicely with an emergence of differentiated operations in society through quasi-autopoeitic, semi-controlled proceses that build upon historical precedents in forms of social organization and cultural meaning.
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The Study of Political Actors and their Environments: The Lessons of Biogeography Karsten Ronit The Study of Political Actors and their Environments
In recent decades, the study of politics has undergone crucial changes and become increasingly professionalized and internationalized, but it cannot be denied that a range of unfortunate developments has accompanied this process. Today, there is a growing risk that theories, approaches and concepts attuned to observe and analyze the very diverse communities of national actors and institutions involved in politics are sidelined, and increasingly replaced by research that either claims or takes for granted some kind of generic value. On closer inspection, however, many of these latter theories, approaches and concepts in research tend to build on experiences from the cultures and countries in which they were originally fostered, and, consequently, they are not sufficiently sensitive to analyzing conditions elsewhere and appreciate national and local phenomena (Schmitter 2002). In other words, the emergence of dominant research communities in specific countries and regions of the world, and I am here referring to what is called the Anglosphere, is therefore a challenge. In this situation, it useful to consult research traditions whose hallmark is the careful consideration of diversity, and whose ambition is the application of a neutral conceptual language to capture different kinds of spatial variation. As a discipline in biology, biogeography offers rich opportunities for inspiration and guidance, and in many ways it is useful when scrutinizing the huge institutional variation in the life of politics we meet across the globe. Indeed, the word “biogeography” stresses that it is a science linking and uniting species and environment. In what follows, I will provide a very brief introduction to the discipline of biogeography with a view to highlight features that can be useful in the study of various political actors and their environments. In a next step, I discuss some barriers in the translation and application of biogeographical thinking because we must proceed with caution, as theory transfer is in no way straightforward. Finally, I point to some scholarly barriers in political science. Given the dominance of certain communities © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_3
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in the discipline, researchers are sometimes compelled to follow issues and agendas that are probably relevant in some contexts, but not necessarily in others, and this conformity may complicate the transfer of ideas from the study of biogeography where emphasis is on the recognition of spatial diversity.
Biogeography: An Extremely Brief Presentation Based on the conscientious material study of animals and plants, biogeography is an old discipline within biology (Cox et al. 2016). Much older, of course, are the objects under scrutiny, the living world. These sources of information enable researchers to study both past and present biogeography and examine the geographic distribution of animals and plants in different environments and investigate many and complex lineages. The evolution of the discipline has been gradual. It began with the collecting and cataloging of naturalists, but significant progress was made in the 19th century when researchers began to systematically examine and understand the distribution of species across the world. In developing a scientific tradition and achieving a greater understanding of biogeography, travel was essential. Profound knowledge was gained in the intimate meeting with the local fauna and flora, and experience was not least passed on by native people with profound insight into local conditions. Pioneers in the study of biogeography were also important in scientific advancement: Alexander von Humboldt ([1814] 1995) spent five years in Latin America and experienced a varied topography; Charles Darwin (1859) traveled five years on board the “Beagle” and visited several continents; Henry Walter Bates (1873) lived eleven years in the Amazonas and discovered a range of fascinating species; and Alfred Russell Wallace (1869) explored Malaya and adjacent islands for a period of seven years. Obviously, such studies could only be accomplished “on the ground”. Thus, von Humboldt’s major objective was “to find out how the forces of nature interact upon one another and how the geographic environment influences plant and animal life. I must find out about the unity of nature” (von Humboldt [1814] 1995: ix). As a result of their studies, explorers found a range of species not present in their home countries, and species which existed there did not exist in the countries visited. Some were known but more abundant in foreign lands, and vice versa. Some new species were closely related to but not identical with familiar ones, and they came in different variations. To make scientific advances, general theories and strong concepts were indispensable, but obviously these could not just be modelled on the
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basis of experiences from the explorers’ home country and implanted elsewhere. Instead, very broad experiences had to be gathered, and they could go into a joint pool of knowledge and form the basis for the formulation of theories. Biogeography documents that the distribution of species is unequal around the world, although a few tend to be universal. This variation is related to such factors as geology, climate, vegetation and elevation, and thus there are important barriers to the distribution of species, overall conditions that have historically led to a proliferation of highly diverse ecologies composed of multiple species interacting in complex environments. These patterns display strong stability, yet are characterized by gradual changes, for instance manifested in the extinction of species and the emergence of new species. Indeed, the general loss of biodiversity is one of the key perils of our time and a primary concern in conservation.
Barriers of Translation to Political Science Biology and political science seem far apart. Even after important caveats are added, the translation of ideas is not easy, and a number of key areas in biology may seem irrelevant or at least have to be reformulated completely to connect with political science. Indeed, we face a number of limitations and can only extract and translate some ideas. Still, however, there are interesting parallels that enable us to transfer and adapt certain approaches and concepts in biology, and more particularly in biogeography, to political science. Let us take a look at a few of these challenges by addressing the different units of analysis, the place of these units in the broader environment and the collection of data. First, we find different units of analysis in the two disciplines. The units we observe in biology (organisms/species) and in politics (actors) are not identical, and some choices have to be made. Unlike biology, where all kinds of organisms, including human beings, are the essential units of analysis, the relevant units in the social and political sciences are definitely not all organisms. Only human beings and their behavior are the relevant actors. Moreover, highly aggregated units of analysis, displaying increasingly complex organizations of collective action, take a central role in politics and must be included as key units of analysis. In a further perspective, we need to distinguish between entities rooted in civil society, market and state. Whereas biology obviously has much to say about human activity, although not necessarily political engagement, biology and its many sub-disciplines, such a biogeography, do not embrace the many different organizations that are involved in politics. Therefore, ideas have to be translated to approach these different units.
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Second, the broader environments of the units we observe are not the same either, and the translation of ideas from biogeography is not straightforward. As a matter of fact, we find a range of autonomous political actors who have their own specific properties, and they are embedded in political environments with different attributes and histories. Indeed, there are many ways of organizing political systems in the world, and we may characterize these different political actors and their broader environments as constituting a variety of “political ecologies” (Ronit and Schneider 1997). We can clearly say that geography has a significant role to play in the distribution of political actors and in the constitution of environments. Indeed, we find certain kinds of actors, interactions and systems in some countries, whereas they are completely missing in other countries. Although certain groups of actors are present in multiple countries and regions, they are not equally numerous, and if they exist in these different geographical environments they are not always identical but display important variation, factors that are also essential in examining how they adapt to different environments over time. Third, data must be collected on a rich variety of actors engaged in politics, and they need to be identified, classified and analyzed in minute detail. We can approach these different political species learning from how naturalists and biologists approach the living world with both innate curiosity and trained precision, and thus combine field work with theoretical thinking (Mayr 2004: 171–193). It is necessary to have unified theories and concepts for studying this political diversity and for establishing solid taxonomies. As in the study of biogeography, however, theories and concepts cannot be created using experiences from only some countries and regions. If limited by such factors, we would fail in our attempt to capture the diversity of political species and their environments, and therefore not learn from the study of biogeography and its key concern for spatial variation.
Barriers within the Scholarly Community Biogeography, as strange as it may sound to those have no or only vague ideas about this sub-discipline in biology, offers interesting prospects for guiding the study of political actors and their environments. Yet, there are many challenges to overcome in the scientific community. Let us briefly address the disciplinary, the linguistic and the social barriers. First, most scholars rarely seek strong inspiration beyond their own discipline, and, if they do, primarily in neighboring disciplines. Where political science begins and ends in relation to the other social sciences is not always clear and, to varying
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degrees, relevant ideas are borrowed from these disciplines. In some areas, inspiration is also sought in the humanities. Consulting the different branches of biology may, however, be problematic for many scholars and can be accompanied by an instant fear of surrendering to “social Darwinism”. If properly considered, however, the drawing on key insights from biology, and more particularly biogeography, does not have such implications, neither for the study of individual behavior, nor for the study of political actors and their environments. A number of prejudices prevail but the best way to challenge them is simply to become better acquainted with biogeography and understand its theories and field practices. This may take time but is rewarding. Second, politics, as it organized in different societies, is understood and conceptualized through language, but no single language can satisfactorily be used to name, describe and analyze all political actors in all kinds of societies. However, languages can absorb experiences from other cultures and try to accommodate these in the formulation of general theories and concepts but this is complicated. In current political science, an increasing amount of studies is being published in English. However, this language, as any other language, is not in a position to meaningfully identify, categorize and analyze all relevant aspects of politics in cultures whose native language is different (Wierzbicka 2013). With such a linguistic straitjacket, there are, for instance, risks that certain political phenomena are neglected, underestimated or overrated and interpreted in ways that do not correspond with their actual role and context. In biogeography, there is a great awareness that observation in nature, collection of specimens and laboratory work have absolute priority, and that these activities must form an edifice for the formulation of theories and concepts. These activities must always honor the diverse conditions in nature and, hence, research cannot be guided by experiences from selected countries and cultures. This lesson is equally important in the study of politics. Third, various social processes in the scholarly community pose important barriers. Obviously, large communities in the Anglosphere – of course with strong variation – are today dominant in political science. Although we here find many critical or moderate voices, there is a tendency to perceive or perhaps even flag research done in these parts of the world as having general and generic value and therefore valid in all other parts of the world. However, this is only one side of the challenge. Many research communities beyond the Anglosphere also tend to see and erroneously take for granted the universal character of many theories, approaches and concepts developed in the English-speaking world. In this context, we must bear in mind that a number of scholars also tend to be regarded as a kind of Wunderrabbis. When publishing in the same language, scholars from other countries are also inclined to follow a range of expectations, notions and standards originating
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in the Anglosphere, perhaps assuming that these are always neutral, modern and display a higher degree of professionalization. In sum, various disciplinary, linguistic and social barriers in the scholarly community tend to block inspiration from biogeography. The principles and practices of biogeography, a science highly committed to studying nature, can, however, be a useful guidance and help us recognize the genuine diversity of political actors and their environments, and with this guidance we can also reach a better understanding of the historical evolution behind them. Important work remains to be done to translate and adapt this work to the study of politics.
Literature Bates, Henry Walter. 1873. The Naturalist on the River Amazon. London: John Murray. Cox, C. Barry, Peter D. Moore and Richard J. Ladle. 2016. Biogeography: An Ecological and Evolutionary Approach. 9th ed. Oxford: Wiley. Darwin, Charles. 1859. On the Origin of Species. London: John Murray. von Humboldt, Alexander. [1814] 1995. Personal Narrative of a Journey to the Equinoctial Regions of the New Continent. London: Penguin. First published in French as: Relation historique du Voyage aux regions équinoxiales du Nouveau Continent. Paris: F. Schoell. Mayr, Ernst. 2004. What Makes Biology Unique? Considerations on the Autonomy of a Scientific Discipline. Cambridge: Cambridge University Press. Ronit, Karsten and Volker Schneider. 1997. Organisierte Interessen in nationalen und Supranationalen Politökologien: Ein Vergleich der G7-Länder mit der Europäischen Union. In Verbände in vergleichender Perspektive. Beiträge zu einem vernachlässigten Feld, Hrsg. Ulrich von Aleman and Bernhard Weßels, 29–63. Berlin: Edition Sigma. Schmitter, Philippe C. 2002. Seven (Disputable) Theses Concerning the Future of “Transatlanticised” or “Globalized” Political Science. European Political Science 1(2): 23–40. Wallace, Alfred Russell. 1869. The Malay Archipelago. The Land of the Orangutan and the Bird of Paradise. London: MacMillan & Co. Wierzbicka, Anna. 2013. Imprisoned in English. The Hazards of English as a Default Language, Oxford: Oxford University Press.
World Government and Global Governance from a Cybernetic Perspective Philip Leifeld World Government and Global Governance from a Cybernetic …
In this contribution, I will examine from a cybernetics perspective how the installation of a world government would deal with global problems and crises. At the present time, this is a merely hypothetical endeavour as the prospect of a unitary world state is akin to science fiction. Yet, both scholars and practitioners have argued that the future emergence of a global government would be both likely and desirable.
A World Government as a Final Equilibrium State? In his influential piece “Why a world state is inevitable”, Wendt (2003) posited a natural progression through five stages, culminating in a world state – the transfer of state sovereignty to the global level. The first stage, a “system of states”, is characterised by the desire of states for recognition in a global anarchy. Nations strive for recognition by other nations and hence initiate relations with other nations. This leads to the second stage, a “society of states”, with a complex network of international recognition and intergovernmental relations. The struggle for recognition continues and leads to more and more intense coupling of nation states through the emergence of common norms, culture, global experiences, and supranational institutions, characterised as a “world society” (Stage 3). Once in this stage, nations frequently collaborate to tackle common problems, such as resolving international crises through global military alliances or developing global institutions in the pursuit of collective goals. Following this stage, states will eventually not want to give up on their security and instead establish a “collective security” system (Stage 4) that rules out mutual attacks among nations and rests, to some degree, on the mutual trust established over time through the tighter cultural, institutional, economic, and military coupling. This will therefore culminate in Stage 5, the “world state”, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_4
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in which regional individualism may be retained, but sovereignty is handed over to a collective global level to avoid anarchy. The two driving mechanisms in this account are the strive for recognition and the strive for security. This theoretical account seems at least compatible with evolutionary anthropological accounts of the formation of hierarchies in human societies. For example, Rosenberg (2009) argues that hierarchies in groups come about by group selection processes, in which groups of individuals can successfully compete with other groups – and shield their members from external conflict (i. e., through security provision) – by developing hierarchical forms of organisation. Hierarchical subsystems are therefore the product of group-level evolution. By extension, it is conceivable that group selection extends to the co-optation of competing groups (and eventually states in the international anarchy) in a pursuit to provide internal security through hierarchy. In equilibrium, this would eventually lead to the same prediction as Wendt’s world state. Either way, prominent scholars have argued that, while far from imminent, the emergence of a world government cannot be ruled out in some distant future. But what about the relevance of a world government in present times?
Calls for a World Government during the COVID-19 Crisis Most recently, the world has been dealing with the COVID-19 pandemic, causing many thousands of deaths and economic collapse around the globe. During this crisis, nation states attempted individual policy solutions, with policy responses ranging from mere ignorance to herd immunity and “flattening the (cumulative infection) curve”, voluntary social distancing, large-scale quarantine, and pre-emptive population-scale infection testing. With increasing intensity of the outbreak, more commentators called for global collaboration and a collective response strategy. The former British Prime Minister Gordon Brown called for a world government, underwritten by the G20, that should simultaneously develop and deploy vaccines, treatments, consumables, and equipment across the globe in all nations; build a global stockpile and workforce; abolish “tariffs and other protectionist barriers” and promote mass production without borders; and use existing international organisations like the World Health Organisation and the International Monetary Fund as an executive (Brown 2020). This line of thinking reflects the recognition that we may already be in the third stage of a “world society” as outlined by Wendt (2003), resting on common problem perceptions and security needs. This world society is characterised by an
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international institutional architecture and manifold complex interdependencies, which imply a tight coupling through trade, alliances, and global information flows, but also lead to collective vulnerability through systemic risk and the diffusion of biological and economic threats. In this vein, Brown (2020) concluded: “Out of this crisis must come reforms to the international architecture and a whole new level of global co-operation. This is an urgently needed public good for a world beginning to understand that it is more interdependent and fragile than ever before”. Normatively, what are we to make of a world government that unites all nations under a sovereign roof? If implemented as a lasting sovereign institution with enforceable power and sufficient input legitimacy as in Wendt’s Stage 5 of a world state (assuming this were possible), what kinds of problems could be solved more effectively? Are there problems that may be resolved more effectively by nation states?
Global Governance and Types of Global Problems To answer this question, different kinds of global problems must be distinguished. Global governance is concerned with the resolution of problems that affect all, or nearly all, states in the world. This excludes problems about excludable goods, such as local natural monopolies like natural resources and other goods that may cause localised conflict. Hence, global governance is primarily concerned with non-excludable goods, such as the global environment, the global economy, global health, and so on. Two types of non-excludable global goods can be distinguished: public goods and common pool resources. Public goods are things like the avoidance of pandemics or the global non-proliferation of arms, where there is no rivalry in the consumption of the good among states. For example, if one state were to willingly lower the containment and isolation rules during a pandemic, it would likely be the most affected state by this decision. Hence there is no rivalry in the sense that one state could benefit from free-riding on the policies of other states (which is of course not to deny that there may be spill-over effects of effective policies). Common pool resources, in contrast, are things like an intact ozone layer or the absence of climate change, where there is rivalry among states in the sense that the overconsumption of the environment by one state requires more abstinence by another state to reach a common goal. Global governance tries to tackle both kinds of problems, those evolving around public goods and those related to common resources.
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A second, relevant distinction must be made between slow-moving challenges, such as climate change, and fast-paced crises, such as a pandemic. Slow-moving problems can be characterised by long inaction of governments, both due to intense free-riding behaviour in the face of a long time horizon and due to the initial inability to perceive the problem and its likely consequences until it is almost too late (Schneider, Leifeld and Malang 2013). Fast-paced problems with a high problem pressure command immediate attention and do not permit states to experiment with different policies to the same extent as slow-moving problems.
Global Governance and the World Society as a Polycentric System Global governance as a normative perspective acknowledges, and promotes, the strong interdependence between states and creation of global institutions that can tackle global problems. These are not just existing international organisations like the United Nations Organisation and its agencies, including the World Health Organisation and the United Nations Development Programme. These are also scientific membership organisations, often endorsed or funded by the United Nations, like the Millennium Ecosystem Assessment (Leifeld and Fisher 2017), which seek to provide a common knowledge base for the national governments in order to overcome collective action problems and facilitate quick and adequate policy responses. The system of nations, supported by this common infrastructure, therefore acts as a global polycentric governance system (Ostrom 2014; Fisher and Leifeld 2019), where different centres (states) work on local crisis responses and collaborate through information sharing and other means of cooperation to overcome collective action problems. These institutional arrangements are commensurate with Stage 3 of the progression towards a world state in the sense of Wendt (2003). What would the implications for global problems be if we reached Stage 5, the world state? I will discuss this question after establishing a connection to the field of cybernetics, which will inform my analysis.
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Cybernetics and the Nerves of (Global) Government States have differential capacities to anticipate, perceive, and act upon global problems. The reason is that societies differ in the ways they collect and use information and feed it back into the political process. These “nerves of government” (Deutsch 1963) can lead to different outcomes of the governance process, sometimes resulting in more and sometimes in less effective policy responses to crises, as well as faster or slower policy responsiveness (Schneider, Leifeld and Malang 2013). Especially “complex democracies” have “vertically and horizontally differentiated communication systems, in which different organizational levels (intermediary organizations) and different forms of interest intermediations interact” (Schneider and Eberlein 2015). Policy networks (Kenis and Schneider 1991) with different shapes and communication topologies (Leifeld and Schneider 2012) bring about contrasting national policy outcomes. Schneider and Eberlein (2015) posit that “besides the electoral channel of territorial interest intermediation, there are multiple channels of functional intermediation in which organized actors and other private interests are incorporated into policy-making.” This complex configuration of information, control, and feedback differs somewhat by country. In Stage 3 of the progression towards a world state, this permits polycentric “policy experimentation”: States adopt different initial policies and update each other through the existing global communication channels and institutions on the success of their policies. In the words of Ostrom (2014), “a polycentric approach has the main advantage of encouraging experimental efforts at multiple levels, leading to the development of methods for assessing the benefits and costs of particular strategies adopted in one type of ecosystem and compared to results obtained in other ecosystems”. Successful policies are adopted by those states that are previously relatively unsuccessful in tackling a problem. This mechanism is a combination of policy experimentation, where different decentralised policies in an anarchic world system can be contrasted like in an experimental research design, and policy diffusion, where states subsequently abandon their unsuccessful approaches in favour of approaches deemed more successful by means of international integration. In such a loosely coupled system of nodes (states), feedback is passed through the global system to update other nodes like in a neural network. Perhaps more fittingly, one could compare this decentralised updating to particle swarm optimisation, where individual particles (states) move around in search for an optimal solution to a problem and thereby take into account not just their own local trajectory of success, including random changes (“local exploration”), but also the success of other particles (“global exploitation”), when deciding in which direction to move,
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which eventually leads to an optimal global response through collective (swarm) movements. Most recently, this approach could be observed during the COVID-19 pandemic. States initially followed their own national logics, based on their own nerves of government. For example, the United Kingdom followed a strategy of herd immunity while Spain and Germany attempted curfews. The UK later gave up the herd immunity strategy and adopted the curfew strategy. Meanwhile Germany discussed following South Korea’s example of pre-emptive testing to get ahead of the virus and then implement localised quarantines. The localised policy experimentation due to national differences (the local nerves of government) was complemented by a global information backbone through the World Health Organisation, a global science community, and international media, which facilitated the diffusion of strategies (the global nerves of government). It is important to acknowledge that the COVID-19 pandemic was a fast-paced problem and its mitigation and containment were a global public good. This localised policy experimentation through the nerves of national governments coupled with a global, polycentric infrastructure works considerably less well when problems are long-term and hard to perceive and/or characterised by rivalry among states, i. e., incentives to free-ride on each other’s contributions. Take the difficulty states are facing in overcoming collective action problems around climate change, where the possibility of overconsumption of environmental goods by other states lowers individual states’ incentives to contribute to the collective good. In this situation, the collective nerves of society do little in the absence of a global enforcer to mitigate free-riding or speed up concerted policy action. In sum, decentralised policy experimentation coupled with a global infrastructure works reasonably well to tackle fast-paced public goods problems, but is expected to work less well with long-term common-resource problems.
World Government: Positive and Negative Implications from a Cybernetic Perspective If the world moved from this Stage 3 of a world society to the final Stage 5 of a world state, nations would confer their sovereign power to the global level, perhaps with the G20 or the United Nations as core executive and legislative institutions. In this utopian world, this central government would act as a global “enforcer” of binding rules in the Ostromian sense (Ostrom 1990). An enforcer is necessary to ensure collectively agreed rules, such as CO2 emission limits, in the face of free-rid-
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ing incentives. Without a global enforcer, agreed-upon cooperation will break down almost inevitably. This is what we are seeing with the repeated violations of agreed-upon emission targets. States are in a power vacuum – the anarchy of nations – and thus fail to reach collective goals. A world government, in contrast, might exert punishment for the violation of collectively agreed targets. This would be effective if exit was not an option for individual member regions (former states) due to prospective punishment for secession, either directly or through the threat of a stark power imbalance between the world state and the secessionist state. Thus, a central authority may be an effective way to solve common pool resource problems like global warming. However, this assertion must be qualified. An enforcer like a world government can only be effective if the process by which the rules have come about is transparent. If there are no collective, effective nerves of government, nodes in the system might agree on the wrong targets altogether or agree on injust allocations as a consequence of a lack of institutionalised communication among nodes. The result would be a suboptimal or injust solution of the common pool resource problem. Moreover, the world state would have to be a federal state, rather than a centralised state. If it were a centralised state, the outcomes would likely be suboptimal because the system would rely on the nerves of only a single central entity. A world state must retain the character of a decentralised, polycentric system with separate nerves of government to work as intended. Yet it must add the central government as a binding enforcer of agreements in order to be more effective than the global governance solution without the enforcer, as in Stage 3. With these caveats in mind, would a world government be guaranteed to be a superior solution? This depends on the type of problem. While possibly superior for the resolution of common pool resource problems like climate change, a world government would be rather inefficient or suboptimal at solving public goods problems. One reason is that such problems do not require a central enforcer because the individual goals and the collective goal are congruent anyway. For example, when responding to a pandemic crisis, everybody wants to contain the virus, both locally and globally. There is no equilibrium in individual deviations from the global optimum. A second reason is that a central authority would at best add overhead and in the worst-case scenario block effective policy experimentation. Why is that the case? Cai and Treisman (2009) argue that central governments (as in Stage 5) are better than decoupled states (as in Stage 3) at policy experimentation as they can centrally plan which state is implementing which policy. Yet, in crisis situations where a suboptimal decision can cost numerous lives, a central government would likely refrain from policy experimentation in order not to be electorally punished. In Stage 3, individual national governments can follow an erratic path of subop-
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timal solutions for a while without severe electoral punishment because they can credibly claim that no better information was available to them at the time of making the decision. In contrast, a central authority that allocates some regions to one treatment group and other regions to another treatment group does not have this excuse and is electorally more vulnerable when lives are at stake. Hence, policy experimentation in a global governance regime of a world society is likely less constrained and more efficient and consistent. It is therefore fair to conclude that, while common pool resource issues may be resolved more effectively under a central government (with transparent nerves of government and in a federalist system with relative autonomy), public goods issues can be resolved more effectively under a polycentric global governance regime without central government, through international networks as the nerves of the global system. Furthermore, it may be worth considering two additional threats a world government would bring about. First, if the central government went rogue and turned authoritarian, there would be no external correcting force. In Stages 1–3, a rogue state can be overthrown externally, as happened many times throughout history, including the victory of allied forces over Nazi Germany in 1945. If it were possible to overthrow the central government from within, it would not be able to act effectively as a central enforcer to solve collective action problems in the first place. Second, the looser the coupling between parts of a system, the lower the systemic risk through contagion. As the world progresses through Stages 1–5, the increased integration of states leads to higher collective vulnerability precisely through the infrastructure that forms the nerves of government. Complex systems research has established that decoupled systems are more resilient because threats cannot easily transcend parts of the network, even more so when centrality is evenly distributed among parts of a network and there are no “hubs”. Recent crises have illustrated how, for instance, the subprime mortgage crisis in the United States led to systemic global risk due to tight financial coupling (Hellwig 2009) or how COVID-19 spread quickly to all parts of the globe through the international air traffic network. It is yet unknown whether the coupling among regions would be even closer in a world state or if the current world society has reached a nearly saturated state of integration already.
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Conclusion This contribution has made the case that a world government would have positive effects on the resolution of global common pool resource problems through the presence of a contract enforcer, but that the positive effects would only hold if the system was characterised by transparency and relative autonomy through federalism. Furthermore, a world government would have negative effects on the resolution of global public goods-type problems because of electoral incentives against effective localised policy experimentation and would potentially have negative effects more generally due to the absence of exogenous corrective forces and lower resilience due to tighter coupling among parts of the system. From a cybernetic perspective, the move towards a world government would likely curb the particle swarm optimisation that is taking place through a combination of each state’s individual “nerves of government” (local “exploration”) and a collective “nervous system” that connects the different states (collective “exploitation”). Future research should subsume global challenges under this framework and describe their properties through the combined lens of polycentricity, cybernetics, and complex systems theory. This should facilitate predictions of whether and how our world society can cope with new global challenges.
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The Multiplex Democratic State as a Response to Complexity and Uncertainty? A Discussion in five Propositions Patrick Kenis and Jörg Raab The Multiplex Democratic State as a Response to Complexity …
When we first thought about the contribution to this compendium in February 2020, we intended to look at Volker Schneider’s inauguration speech in 1998 at the University of Konstanz, when he accepted his Lehrstuhl für Materielle Staatstheorie and reflect on how the empirical reality has developed during the last 22 years with regard to his main discussion points. Alas, our world and how we looked at markets, networks and states and their interlinkages turned upside down in just a few days in March 2020. The Covid-19 pandemic, caused by a new Corona Virus, that first appeared in China in December 2019 hit the European states and societies heavily and by complete surprise. Even though, Italy had been very seriously affected two weeks before, the speed of the developments and the European states’ reactions were breathtaking. In a few days, nation states completely took control over markets, social organizations and networks, issued travel restrictions, closed borders and suspended several basic civil rights with very little discussion. In addition, economies and firms were bailed out on a previously inconceivable and unprecedented scale. Germany put a 750 billion Euro aid package in place, the one in the U.S. amounted to 2 trillion US$. Due to contact restrictions and lock downs, major parts of the economy have been put in hibernation and are kept on life support by socializing the costs with uncertain time horizons. There is even a large possibility that major companies like airlines will be nationalized, something that was completely unthinkable and forbidden within the European common market until a few days ago. In addition, it has become apparent now for the third time in the first 20 years of the 21st century after 9/11, the financial crisis in 2008 and now the Corona pandemic, that markets cannot survive without states in times of crisis. The pandemic therefore has ended three decades of neo-liberal thinking and the priority that has been given to cost-efficiency and markets that were supposed to be as unregulated as possible. Suddenly, we saw again that organizations and governance systems that were downsized in the last decades did not have any © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_5
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slack and were unable to respond to such a crisis on their own. Vital supply chains trimmed for cost efficiency and just in time production for medical equipment and other vital products needed in the crisis disintegrated within a few days. From a governance perspective it is demonstrated more than ever that markets, state and organizational hierarchies as well as networks are actually closely intertwined and interdependent, a point we will return to at the end of our discussion. Our analysis in which we wanted to focus on complexity, networks, democratic decision making and legitimacy as the major themes of Volker’s inauguration speech therefore had to be adjusted in some way. But the current situation also offers an excellent platform for developing interesting insights. Like under a magnifying glass, many things become more pronounced in a time of crisis, and we will demonstrate that the general concepts, Volker used in his inauguration speech are surprisingly relevant in the current situation. In addition, if history provides a blueprint, there is a high probability that societal systems will bounce back but that developments that had started before the crisis will be accelerated and deepened. It is with this perspective that we will look back at Volker’s inauguration speech and analyze what we have learnt in the last two decades about how governance concepts can help us understand and give guidance in the current situation and about what we might expect in the near future. On the basis of the inauguration speech, we constructed four propositions which were implicit in Volker’s speech and will discuss them in what follows. It is not our intent to criticize these but rather discuss how the empirical reality has developed with regard to these crucial points and what they might teach us as we move forward during the Corona pandemic and beyond. We therefore first formulate the basic proposition implicit in Volker’s speech and discuss it with a retrospective view on the developments in the last twenty years, then turn to what we see in the current crisis and conclude with what we might expect in the future (post-corona adapted proposition). Volker’s implicit proposition 1: Representative parliamentary democracy is the dominant and uncontested form of rule in Western industrialized countries. Threats to its legitimacy and functioning come mainly from within the system of complex governance through the creeping loss of leeway and influence of parliaments. After the fall of the Berlin wall and the demise of the Soviet Union, the 1990s saw an unprecedented advance of liberal democracy throughout the world. Francis Fukuyama (2006) talked about the end of history, in the sense that liberal democracy and free markets had become dominant and pretty much uncontested if
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not immediately in empirical reality then surely in the political discourse. Volker Schneider’s inauguration speech reflected that sentiment and train of thought at the time. Europe being united at last and the nationalist demons of the past being held at bay by the European Union and the Euro as a joint currency at the horizon left little doubt that there were no real threats to liberal parliamentary democracy. Scholars worried most about the inner threat of intransparent decision-making in complex networks which frequently span multiple levels of government that often leave little more to parliaments than to ratify the decisions that executive actors have been preparing with powerful societal and economic organizations in the decision making process beforehand. Consequently, the search was directed towards reconciling representative parliamentary democracy with the negotiating democracy (Verhandlungsdemokratie) and strengthening the position of parliaments and their individual members. “In my opinion, however, more interesting than the references to external dangers are the internal dissolution tendencies that Guéhenno has outlined for democratic systems. In this regard, the phenomenon of increasing connectedness and network formation, which undermines the conventional pyramid-shaped power structure of societies, is particularly emphasized. His observation is that decisions are no longer made in a linear mode in which each institutional body has a well-defined competence; instead, this power structure disintegrates. Politics would be increasingly fragmented today and the separation between public and private spheres, a central pillar of liberal democracy, would be increasingly questioned ….“ (own translation from German original, Schneider 1998, p. 1).
and “How could modern networked political arrangements be reconciled with the normative expectations of democratic theory? Or are these pathologies incurable and ultimately point to the end of democracy – or at least to the possible transition to post-parliamentary forms? With this question, I am right in the middle of the last point of my lecture: How could the democratic deficits of networks be eliminated or at least ameliorated?“ (own translation from German original, Schneider 1998, p. 17).
In the 2010s, the discussion did not get much farther in solving this dilemma. However, some scholars argued that networks constitute a different type of democracy and could be organized democratically, if the various interests could be represented in an adequate form (input legitimacy) and if networks could provide solutions for societal problems, that otherwise were not possible (output legitimacy). Especially, a high output legitimacy was seen as a compensation for a low throughput legitimacy. That school of thought, that broadly figured under the label “ from government to governance” came abruptly to an end when Brexit and the election of Trump in
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the U.S. in 2016 signaled the successful rise of populist movements and parties in Western liberal democracies. Populism with its “three elements of political practice: anti-elitism, anti-pluralism and direct representation …” (Stoker 2020, p. 7) represents both a challenge for representative democracy and for the governance paradigm alike. Populism gives a “special role to the leader who can express the viewpoint of the ‘people’” (Stoker 2020, p. 8) and directly communicates with them. In such a perspective there is no room for specialized knowledge and a variety of interests on the basis of which actors have to negotiate compromises and adequate solutions for problems. With its focus on problem solution, (network) governance is associated with de-politicization and a preference for technocratic decision making (Stoker 2020, p.13) and the TINA principle (There is no alternative). Populism pushes that aside and claims that also radically different policy responses are possible and are even regarded as desirable as they represent the true will of ‘the people’. One also has to critically admit that both representative democracy and network governance regimes prior to the advent of populist parties were not able to recognize and process the rising inequalities between different societal groups (cities and countryside, highly educated people working in service industries and lower skilled production workers) and a deep seated resentment in large parts of the population against rapid cultural changes due to immigration and globalization. Where populist parties have come to power and have gained significant influence in the political discourse, countries tend to close and start to favor seemingly simple policy responses to very complex problems, i. e. build a wall against immigration. In addition, once populists are in power, major pillars of democratic constitutions are attacked, like independent government watchdogs and courts as well as the free press. The Corona crisis has at least in its first phase since the beginning of March led to an unprecedented power accumulation in the executive branch, which on the basis of infectious disease response laws rapidly and drastically suspended major civil rights and limited personal freedom. It also led to a suspension of network decision making and the eradication of veto positions of powerful societal actors that was unthinkable just a month before. In countries, where government uses the situation to change the constitution and put measures in place that concentrate power even more without time limits as has happened in Hungary, liberal democracy is in real danger. Parliaments approved the drastic measure to curb the spread of the virus mostly without much discussion. Hungary might be an extreme case where liberal democracy was under pressure before the crisis (and where the crisis, cynically spoken, even seems to arrive as a gift) but even in countries like Germany or the Netherlands, that are generally regarded as stable democracies, there is a real danger that surveillance techniques and measures as well as the concentration of power in
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the executive branch to deal with the public health threat will not be moved back to the situation before the crisis and therefore form a threat to liberal democracy. With regard to the suspension of governance networks, we assume that they are likely to bounce back, since the complexity of the situation will even more increase the longer the crisis will last and governments alone will not be able to mobilize and integrate the expertise, knowledge and resources to implement an exit from the lock down state or switch between opening and closing public and economic life. In fact, we assume that those countries which manage to develop flexible and dynamic governance mechanisms that can quickly adjust to new situations will likely come out of the crisis better than countries which will continue with a high concentration of power in the executive branch and an exclusive top down governance approach (see also the discussion on Proposition 4 below). For the near future, we agree with Stoker (2020) that network governance in a democratic state has to acknowledge that people should be able to change things they do not like, i. e. “governance procedures need to be promoted as open to revision backed by a recognition that they can develop faults – networks can become too closed and markets can become too controlled by a narrow set of interests. To be open to revision is a better answer to claims of dissatisfaction with political processes than a dubious claim of having achieved smartness. Networks and markets as forms of governing need to be defended not as stable parts of the governing system but as constantly open to revision through sunset clauses, periodic reviews and stringent accountability” (Stoker 2020, p. 16). Post-corona adapted proposition 1: Populism and the measures taken in the Corona crisis form a threat to liberal democracy. In the latter case, this is especially the case if there is no clear perspective when and how restrictive measures will be lifted again. Given the complexity of current problems, networks are needed for their solution, but they present a tension with principles of parliamentary representative democracy. One way to cope with this tension is that governance procedures have to be seen and constructed as constantly open to revision through sunset clauses, periodic reviews and stringent accountability. Volker’s implicit proposition 2:The state is increasingly dependent on powerful international, economic and societal actors within and outside its borders and unilateral top down action by national governments therefore becomes more and more rare. This proposition reflects Volker’s ideas about the general tendency in the 1990s and 2000s that due to a series of technological and political developments, the inter-
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connectivity of the world increased dramatically and with it the interdependencies between state, societal and economic actors. Raab and Kenis (2009) thus proposed to frame this as the development of a “society of networks”. The breakthrough of the internet and digitalization leading to cheap global communication, liberalization of trade and global financial markets, ease of travel and the development of the European internal market with free movement of people, finances and goods with a further increasing integration of European states lead to the idea that the classic European nation states of the 19th and 20th century were on the retreat and would remain at best the first among equal actors or even merge into a European multi-level governance. “Hierarchy or government command and control was not an entirely abandoned tool and its shadow was seen as ever present […] but there was a shift in focus from strong forms of regulation to more soft-law or enabling practices that relied on voluntary cooperation from relevant stakeholders rather than direct enforcement by government …” (Stoker 2020, p. 5).
In the area of public safety, state actors kept a clear dominant position that was further strengthened with the wave of terrorist attacks in the 2000s and 2010s. But even in this area nation states had to closely cooperate with other states to match the international dimension of Islamic and later right wing terrorism. Also in case of dealing with the financial crisis in 2008, nation states regained somewhat of a dominant role in rescuing the banks and stabilizing the financial and economic system. However, even in this case, global and very strong European cooperation and coordination in multi-lateral settings and by international organizations was essential which limited the leeway of national institutions again. As a consequence, unilateral top down action by individual nation states was seen as increasingly rare and counterproductive. The dominant school of thought was that governance had replaced government, i. e. governments were a part of larger governance systems in which they were supposed to concentrate on steering rather than rowing themselves (Peters and Pierre 1998). Joint decision making with other state actors beyond one’s own borders, with international organizations and powerful economic and societal actors both nationally and internationally was seen as the norm rather than the exception. The current Corona crisis falsifies these assumptions to a great extent. Within days, all Western democracies unilaterally introduced sweeping measures to slow down the spread of the virus that greatly restrict public life, their citizens’ private lives, travel and also international supply chains. Leviathan is back with a vengeance, networks and markets are on the back seat. There are at least three reasons for this development. First, public health has remained a genuine competence of nation
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states, neither the EU nor the WHO has significant competences, resources and personnel independent of individual nation states in that policy area. Second, the absence of leadership by the U.S. on the global level and by France and Germany within the EU (which in both instances had been an issue already before the crisis) left individual national governments no choice but to act unilaterally. With early and strong leadership by these countries, there probably would have been a chance to at least come to a more coordinated multilateral response. However, when push came to shove most of the international institutional arrangements and internal networks were suspended. Third, it turns out (but should not have surprised us) that in times of an existential crisis, citizens see their own nation state as their primary protector and are therefore also largely willing to accept (often voluntarily) the restrictions and limitations of their personal lives. What happens in later stages of and after the crisis is very much up in the air, however. In principle, it can go both ways. The complex (global) interconnections are not gone, they have even been laid bare by the rapid spread of the Corona virus. After the initial shock, citizens might recognize that in the end, they are all in this together in one world and what happens on a market in Wuhan, China can potentially have enormous consequences for their lives. As a consequence, they might be willing to accept more powerful international institutions that can mitigate these risks. In addition, climate change as an existential threat demands joint global action and joint societal action within countries in the coming years. Therefore, one might expect a return and a further push towards the governance paradigm; for example, by greatly strengthening the World Health Organization and constructing a European public health system. However, it could also go in the other direction, i. e. that we see a strong de-globalization and a re-emergence of the nation state with a realistic possibility that the EU will break apart. This might especially be a likely option, if the EU does not manage to significantly contribute to limiting the economic damage and fails to help the hardest hit countries and to stimulate the economic recovery. In that case, states and citizens would have to pay a hefty price for going against the social and economic interdependencies caused by a rapidly increasing division of labor both within and between nation states that have been developing in the last three decades and have lead to a significant increase in overall wealth. But, as we have seen with Brexit, a majority of citizens might be willing to pay that price, if they have the impression that everybody is on his own, and if they feel that it is only the nation state that can somewhat protect them. Given the current atmosphere and actions by nation states, the second scenario seems more likely at this point. All this illustrates that we are confronted with a huge dilemma. On the one hand, we see that the better the public infrastructure of nation states (public health
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provision, public education, public labor market instruments, monetary policy, etc.) the better a state can cope with a crisis while we know at the same time that it has been proven very hard, if not impossible to transfer these infrastructures to a European let alone to a global level so far (see also the contribution by Philip Leifeld in this volume on this topic). Post-corona adapted proposition: The state is still dependent on powerful international, economic and societal actors within and outside its borders but unilateral top down action in and after the current crisis is highly likely. Volker’s implicit proposition 3: (Policy) Networks are a functional and appropriate governance response to the increasing economic and societal complexity Volker Schneider’s inauguration speech expressed the dominant thought among social science scholars at the time, that networks as a third form of governance next to markets and hierarchies/states (Powell 1990) is a functional and effective institutional response to the increasing economic and societal complexity. However, it soon turned out, that networks are not a panacea but that they are actually quite a complex organizational form in and of themselves. Despite considerable efforts to develop a theory of network effectiveness (Provan and Milward 1995 in a first attempt and agenda setting; Provan and Kenis 2008 with a further conceptualization of network governance and Raab et al. 2015 with a configurational approach), empirical evidence is still relatively sketchy under which conditions networks really work, i. e. the link between network characteristics, contingencies and effectiveness is still underdeveloped. Even more, next to success stories that are documented, anecdotal evidence suggests that many networks fail or are not sustainable. To find out which networks are successful (and others not) and why this is the case is related to the difficulty to conduct comparative studies with a large number of networks. Therefore, the picture remains mixed at best. The question then arises, what possible governance alternatives we have to deal with complex problems with high (international) interdependencies of actors, a question that we will turn to at the end of this contribution. As discussed above, in the current crisis, at least in the first phase, it seems that hierarchical governance is clearly dominant and that networks have been suspended or disrupted on the national and international level. Interestingly, the contrary is true on the local and community level, where we see all sorts of new relations and networks both between organizations, state actors and individual citizens come into being forming a response to new challenges in the current crisis. In a letter to The Economist (April 2, 2020) one of us suggested the term “physical distancing”
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should be used rather than the commonly used term “social distancing” since it was remarkable how “many ways people have [found to] overcome social distancing while having to keep a physical distance”. What happens in later stages of and after the crisis is unclear at this point. It is likely that the current hierarchical governance will continue and that at least as long as there is a (perceived) threat to public health, national state actors will continue to amass power and will be tempted to act relatively unilaterally. This is even more the case, since the state is currently holding large parts of the economy on life support and economic and societal actors therefore have become dependent on it. From a normative and functional perspective, we deem this to be highly undesirable. As Kenis et al. (2019) showed in a recent study on governance responses to infectious disease outbreaks, in situations of high complexity with strong knowledge needs, a large scope of an outbreak and a high prominence in perception by the public, a core periphery network governance mode is likely to be the most appropriate governance response. In such networks, the competences, skills, knowledge and resources from state and a large variety of economic and societal actors have to be brought together to prepare difficult decisions in which trade-offs have to be made between public health, and the needs to get societal and economic sectors back on track. Obviously, decisions about any major measures influencing citizens’ lives have to be formally taken by government and/or parliament and controlled by parliament. Post-corona adapted proposition 3: The link between network characteristics, contingencies and effectiveness is still relatively weak in the literature. However, states, which will manage to switch to a more flexible governance system that can combine and intelligently use different governance modes according to the type of problem and situation especially also in the current crisis will achieve higher overall welfare effects. Proposition 4: Volker did not directly address this but the academic field tends to discuss the different modes of governance rather separately, with a focus on the one which is trendy at a certain point in time. As a consequence, the theoretical perspective of the field has remained relatively static. Assuming that previous approaches do not disappear when new approaches emerge (both as empirical phenomena and as theoretical paradigms) we should be able to deal with the simultaneous presence of different latent and manifest modes. Generally speaking, the development of the governance mode literature can be visualized as in the figure below.
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Fig. 1
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Sequential development of governance modes
Source: own drawing
Here we picture the development of the discussion on governance modes as one developing from traditional Public Administration (red), New Public Administration (blue), Network Governance (grey), to Societal Resilience (green). Like other scientific fields, also the field of governance modes is characterized by the shift of paradigms and statements about why the previous paradigm does not adequately represent current developments. The Traditional Public Administration paradigm, also known as Old Public Administration (J. Q. Wilson 1989), is the classic perspective of government as a traditional bureaucracy. Here the role of government is centered on legality, the rule of law, the political process, and the separation between a representative political system and the civil service. The New Public Administration perspective or NPM (Osborne and Gaebler 1992) emerged in the early 1990s and focusses on the efficient and effective delivery of output by public organizations. NPM represented a turn in the debate about governance, disapproving what is seen as widespread “waste” in traditional governmental bureaucracy. The Network Governance perspective focuses on the collaboration of government organizations and societal actors and points to the displacement of government as the central actor (Hanf and Scharpf 1978). This is often related to the move from government to governance, and the solving of so-called wicked problems that thus require cross-institutional action. The Societal Resilience perspective or “societal self-organization” has recently gained increasing attention in academia and practice (van der Steen et al. 2018). This perspective centers the production of public value on a self-reliant citizenry. Societal actors produce public value for their own reasons, and are guided by their own preferences and priorities. Citizens can undertake this independently, as well as through self-organized networks and cooperatives.
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This is not the place to go into great detail about these different modes of governance but what we would like to point to here is that with the advancement of a new perspective, earlier perspectives do not become obsolete; there is no evidence that one of these perspectives is the best way to govern; even a contingency theory does not apply to this situation, i. e. that a certain governance mode might be a better fit to certain types of policy challenges. What we see today is that policy challenges often cannot be dissected in different discrete parts. This has become clear during the recent Corona crisis. All perspectives are, more or less and dependent from country to country and the stage of the crisis, latently or manifestly present during the crisis response. During the Corona-crisis one sees, for example, a dominance of Traditional Public Administration (although more legitimated by infectious disease experts of all sorts than by parliament) in combination with the Societal Resilience approach (in order to deal with the effects of the lock-down). Moreover, these responses are interdependent in the sense that policy measures of one perspective influence the effects of the measures taken based on another perspective. For example, decentralized public service organizations trimmed for cost efficiency in the new public management paradigm made a rapid, centrally coordinated response in the traditional public administration paradigm to the crisis difficult. Seen from such a viewpoint governance at a specific point in time is the combination of and interaction between different perspectives. This situation is visualized in the following figure.
Fig. 2
Multiplex governance as plate tectonics
Source: own drawing and https://nl.wikipedia.org/wiki/Platentektoniek
In order to label this situation we would like to introduce the concept Multiplex governance (similar to a system of plate tectonics). Multiplex governance is different from multi-level governance in that it does not point to the simultaneous presence of different administrative levels but rather to the simultaneous presence of different governance perspectives. This is not a new perspective as such but new in that it
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focuses on the simultaneous presence of the different existing and probably future (visualized in the figure by the white space) governance perspectives. For example, seen from this perspective, it becomes clear that during the current Corona-crisis the Red plate is repressing the other plates which does, however, not mean that they are completely gone. The question then is when and how the other plates are (re-) activated and re-emerging as part of the overall system. This seems to us a more realistic depiction of what is going on in modern states and thus points to research needed to understand the configuration and dynamics of the different perspectives. This is not just a great challenge for comparative empirical research but will also pose a great number of theoretical puzzles. Just to name one, which is also vital in Volker Schneider’s thinking: what about the democratic legitimacy of multiplex governance? Different lines of thinking are possible here. One could think of output legitimacy, i. e. the effectiveness of policy outcomes for people our input legitimacy, the responsiveness to citizens’ concerns as a result of participation by the people (Scharpf 2003). One of the characteristics of multiplex governance is, however, that it is so complex (given its interdependent and dynamic nature) that existing input, output or even throughput legitimacy (Schmidt 2013) as ways of assessing these types of situations are inadequate and we thus need other ways of thinking about democratic legitimacy for these situations. One approach might come from a scholar with which Volker was connected through a love-hate relationship, Niklas Luhamnn. In 1989, one of the authors published an article in Economic and Industrial Democracy (Kenis 1989) which he wrote while being at the European University Institute in Florence and which was heavily influenced by the extensive Badia lunches with Volker. The topic of discussion was the consolidation of democracy and complexity. The Luhmannian perspective described in the paper might still be an interesting starting point for the discussion on democracy and multiplex governance. For Luhmann, democracy means “Erhaltung der Komplexität trotz laufender Entscheidungsarbeit” [maintaining complexity in the face of ongoing decision-making] (1969, p. 315), i. e. maintaining the widest possible range for continuous new and alternative decisions. For Luhmann, not tension exists between democracy and complexity, rather the other way around, “(das) Erreichen höherer Komplexität im politischen System hat Demokratie zum universell gültigen normativen Postulat (…) werden lassen” [(the) very attainment of a higher degree of complexity in the political system has elevated democracy to the rank of universal normative postulate] (1969, p. 318), i. e. complexity is desirable for the existence and development of democracy. That also means that institutional arrangements that preserve societal and political complexity can be regarded as democratic. Thus leading to our final post Corona propositions 4 and 5:
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Those countries applying a multiplex governance approach by flexibly using the different government modes appropriate to the specific situation, will be more effective building their post-corona future in terms of minimizing collateral damages while at the same time maximizing collateral advantages. The democratic dilemma between networks and parliamentary representative democracy is not solvable. One way to cope with this dilemma conceptually lies in Luhman’s idea of preserving complexity (and democracy) by a flexible institutional arrangement encompassing a variety of (latent) governance modes that maintains the widest possible range for continuous new and alternative decisions. Whether and how precisely the multiplex democratic state is able to achieve that even – or better especially – in times of crisis opens up an interesting and we believe extremely relevant research agenda for the field of “materielle Staatstheorie”. We thank Volker very much that his work in combination with the current Corona crisis has put this agenda on the plate of the younger generation of public administration and governance scholars or provide Volker with a research program for the time to come. Alternatively, he could choose an answer like one of his (once) highly admired theoreticians: „Die Dame des Hauses, wohlvertraut mit der Lebensweise wie der Theorien des Gastes, fragte Karl Marx am Ende des Abends, an dem man sich darüber gestritten hatte, wer im Zukunftsstaat denn die niederen Arbeiten verrichten solle: ‚Ich kann mir Sie auch nicht in einer nivellierenden Zeit denken, da Sie durchaus aristokratische Neigungen und Gewohnheiten haben.‘ ‚Ich auch nicht‘, antwortete Marx. ‚Diese Zeiten werden kommen, aber wir müssen dann fort sein.‘“ (Raddatz 1983)
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Patrick Kenis and Jörg Raab
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Teil II Demokratie, Interessenvertretung und Institutionen
Ein durch Los bestellter Minderheiten- und Zukunftsrat als Zweite Parlamentskammer? Adrian Vatter Ein durch Los bestellter Minderheiten- und Zukunftsrat … ?
In Zeiten eines raschen gesellschaftlichen Wandels stellt sich die grundlegende Frage nach alternativen Repräsentationsgrundlagen für Zweite Kammern (Leunig 2009; Riescher et al. 2010; Schüttemeyer und Sturm 1992).1 Greift man auf die strukturellen Defizite heutiger Demokratien vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Akteuren und Netzwerken zurück (Schneider und Janning 2006), so stehen insbesondere zwei spezifische Repräsentationsfunktionen im Vordergrund: erstens der Schutz von gesellschaftlich schlecht organisierten Minderheiten und zweitens die Wahrung längerfristiger Zukunftsinteressen einer Gesellschaft. Beide Funktionen stehen in enger Beziehung zu den klassischen Zielkatalogen von Zweiten Kammern. Sowohl der Minderheitenschutz als auch die ursprüngliche Idee einer „chambre de réflexion“ zur besonderen Berücksichtigung langfristiger Interessen bilden zentrale Argumente zur Begründung bikameraler Systeme (Riker 1992; Uhr 2006). Insbesondere die potenziell negativen Auswirkungen der staatlichen Gesetzgebung auf die Lebensgrundlagen späterer Generationen erfordern gemäss zahlreichen Kritikern politische Institutionen, die die Interessen der Nachgeborenen und Nichtorganisierten auf gesichertem Weg in die Gesetzgebung einbringen können (Saladin und Zenger 1988). Durch die Repräsentation von Minderheiten- und Zukunftsinteressen würde sich eine Zweite Kammer auf eine grundlegend andere Repräsentationsbasis stützen sowie funktional eine Alternative zur reinen Mehrheitsherrschaft und zur Dominanz kurzfristiger Entscheidungshorizonte in der Ersten Kammer anbieten. Als wichtiges Element der Gewaltenteilung könnte sie zudem als Fürsprecher künftiger Generationen andersartige Erfahrungen in den Gesetzgebungsprozess einbringen, gesellschaftlich relevante, aber politisch schwach organisierte Minderheiten integrieren und generell die Legitimation der Politik
1 Der Beitrag ist eine stark überarbeitete und gekürzte Fassung von Vatter (2020). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_6
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verbreitern. Zusätzlich würde sie die Funktion eines Sicherheitsventils übernehmen, indem Themen diskutiert würden, die aufgrund ihrer fehlenden Repräsentation in der Ersten Kammer oder aufgrund der herkömmlichen kurzfristig orientierten Arbeitsweise nicht behandelt werden, die aber für Teile der Bevölkerung wichtig sind. Zukunftsräte2 als Ersatz für auf überholten Repräsentationsprinzipien beruhende Zweite Kammern haben insbesondere im Zuge der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte an Bedeutung gewonnen und bieten gemäss ihren Befürwortern eine institutionelle Variante zur Behebung offensichtlicher funktionaler Defizite demokratisch verfasster Industriestaaten an (Gesang 2017; Stiftung Zukunftsrat 2017; Unteregger 1998).3 Aus einer bundesstaatlichen Perspektive besitzt das vorgestellte Modell mit der Ausklammerung der föderalen Interessenwahrung allerdings eine zentrale Schwäche: So sieht dieses grundlegende Alternativkonzept keine spezifische Vertretung föderaler Anliegen vor und widerspricht damit diametral den Grundprinzipien der Bundesstaatsidee. Aus einer demokratietheoretischen Perspektive unbefriedigend gelöst ist hingegen die zentrale Frage, wie die Mitglieder des Zukunftsrates konkret ausgewählt werden. Hier setzt die Idee des Losverfahrens an. Das Losverfahren geht zurück auf die antiken Griechen, die diese Methode zur Bestimmung ihrer Parlamentarier, Richter und Stadträte angewendet haben (Ober 2008). Damit soll die Macht in den Händen des Volks bleiben und dem eigennützigen Streben und den kurzfristigen Wiederwahlinteressen der politischen Elite einen Riegel geschoben werden. Diese Idee hat in jüngster Zeit sowohl in der politischen Praxis als auch in der politikwissenschaftlichen Forschung wieder Auftrieb erhalten. So sprach sich etwa der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, für die Wiedereinführung der griechischen Methode des Losverfahrens aus. Damit hätten alle Bürgerinnen und Bürger die gleiche Chance, ins Parlament gewählt zu werden, ohne dass Kampagnenfinanzen, Charisma und mediale Berichterstattung über die Wahl entscheiden würden (Gastil und Wright 2018: 304ff.). Das Losverfahren führe zudem dazu, dass das Prinzip der politischen Gleichheit viel besser respektiert 2
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Dass es sich bei der Idee des Zukunftsrates nicht um eine abstrakte Utopie handelt, zeigt die Tatsache, dass in zahlreichen Schweizer Gemeinden und Regionen Strukturen im Stil lokaler Zukunftsräte im Aufbau begriffen oder schon aktiv sind, die von der schweizerischen Stiftung Zukunftsrat aktiv unterstützt werden (Stiftung Zukunftsrat 2017). Ein konkretes Beispiel bildet der 1999 von der Stiftung Zukunftsrat initiierte Zukunftsrat Waadt 2002, der Eingang in die neue Kantonsverfassung gefunden und 2008 in Form einer Kommission seine Arbeit aufgenommen hat. Für föderalistische Staaten schlägt Posner (1990) das Modell eines Dreikammersystems vor: Neben der demokratischen (Volkskammer) und räumlichen (Länderkammer) käme mit einer Zukunftskammer neu auch die zeitliche Repräsentanz hinzu.
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und der sachliche Diskurs unabhängig von politischem Profilierungsdrang und Interessenkonflikten gefördert werde. In der Schweiz fordert die im Mai 2018 lancierte «Justizinitiative» die Bestimmung der Bundesrichter im Losverfahren. Auch in der neuesten Forschungsliteratur zum Bikameralismus wird das Losverfahren als Reformalternative für Zweikammersysteme vorgeschlagen (Gastil and Wright 2018, 2019; Vandamme et al. 2018). Gastil und Wright (2018) argumentieren zur Einführung des Losverfahrens in bikameralen Systemen, dass die eine Kammer nach wie vor auf dem Wahlverfahren beruhen soll, während die Mitglieder der anderen Kammer ausgelost werden sollen. Übertragen beispielsweise auf etablierte Bundesstaaten eine plausible Folgerung, das Losverfahren für die Bestellung der Zweiten Parlamentskammer einzuführen, denn diese Methode könnte die Repräsentationsdefizite spezifischer Minderheiten ausgleichen, was längerfristig zur Stärkung der Legitimation von Zweiten Kammern beiträgt (Riescher et al. 2010; Parameswaran 2018; Vatter 2005, 2018). Gleichzeitig würde die repräsentative Vertretung der verschiedenen politischen Kräfte an Bedeutung verlieren, da die gelosten Mitglieder in der Regel weder einer Partei noch einer Interessengruppe angehören. Damit würde eine Abschwächung der parteipolitischen Polarisierung einhergehen. Eine positive Auswirkung wäre in Bezug auf die soziostrukturelle Repräsentation zu erwarten. Da gerade die Frauen im Vergleich zu den Männern in Zweiten Kammern deutlich untervertreten sind, würde das Losverfahren die Gleichstellung der Geschlechter stärken. Dieselbe ausgleichende Wirkung würde auch für die verschiedenen Alterskohorten und Berufsgruppen zutreffen. Auf der soziokulturellen Ebene würde die katholische und protestantische Bevölkerung mit ihrer bisherigen Überrepräsentation zu den Verlierern des Losverfahrens gehören, während andere Konfessionen und die Konfessionslosen davon profitieren würden. Hingegen ist nicht davon auszugehen, dass die föderale Interessenvertretung besonders gewährleistet wäre, da das Losverfahren hierzu nicht besondere Anreize für die ausgelosten Räte bereitstellt. Wie aber Gastil und Wright betonen (2018), liegt das Potential der gelosten Kammer vor allem in der Erarbeitung von neuen, kreativen und nachhaltigen Lösungsideen, die losgelöst vom Druck der Parteien und der Wiederwahl entstehen können. Dies käme ohne Zweifel der Zweiten Kammer in seiner Funktion als «chambre de réflexion» zugute. Den verschiedenen Vorteilen des Losprinzips steht aber auch ein gewichtiger Nachteil gegenüber (Malkopoulou 2015). So fehlt den durch das Losverfahren ausgewählten Vertreter nicht nur eine eigene demokratische Legitimation und Akzeptanz, sondern sie können im Gegensatz zu den auf eine befristete Zeit durch demokratische Wahlen Gewählten für ihr Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Mit anderen Worten: die ausgelosten Räte müssen für ihre Entscheidungen keine öffentliche Verantwortung übernehmen und die allfälligen Konsequenzen einer Nichtwahl
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tragen. Längerfristig sinken damit auch die Anreize für die Bürger, sich politisch zu beteiligen, was aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich ist. Gleichzeitig überzeugt der visionäre Vorschlag eines durch Losverfahren bestellten Minderheiten- bzw. Zukunftsrates durch seinen gezielten Ausgleich der gesellschaftlichen Repräsentationsdefizite, den Schutz kultureller Minderheiten, die spezifische Stärkung der politischen Reform- und Steuerungskapazitäten sowie die zukunftsorientierte Umsetzung der Idee einer „chambre de réflexion.“ Ebenfalls gut schneidet das Losverfahren in Bezug auf den Ausgleich der Repräsentationsdefizite ab, welches zudem genau dort ansetzt, wo das Modell des Zukunftsrates eine demokratietheoretische Schwäche besitzt, nämlich bei der konkreten Auswahl seiner Mitglieder. Fasst man langfristig einen grundlegenden Umbau von Zweiten Kammern in föderalen Staaten ins Auge, ohne dabei nach der kurzfristigen Machbarkeit und Akzeptanz zu fragen, so spricht vieles für eine sinnvolle Kombination verschiedener Organisationsmodelle. Während das deutsche „Bundesratsmodell“ im internationalen Vergleich zur wirkungsvollsten Stärkung des föderativen Elementes führt (Vatter et al. 2017), gleicht das „Minderheitenratsmodell“ gezielt die gesellschaftlichen und kulturellen Vertretungslücken der Ersten Kammer in Demokratien aus. Die Ergänzung der Volkskammer als klassische Legislative durch eine „föderative Antizipative“ stellt angesichts der hohen Akzeptanz und der nach wie vor unbestritten vorhandenen Stärken bestehender Zweiter Kammern kein kurzfristig zu realisierender Reformvorschlag dar. Vielmehr rückt dieses Reformmodell als langfristig angelegtes Gedankenexperiment den prinzipiellen Ausgleich grundlegender struktureller und repräsentationsspezifischer Schwächen etablierter Demokratien in den Mittelpunkt der Analyse. Mit der Verbreiterung des Repräsentationsgedankens, indem neben der demokratischen auch eine räumliche und zeitliche Repräsentanz berücksichtigt wird, handelt es sich um ein zukunftsträchtiges institutionelles Arrangement zur Erhöhung der Legitimation von Politik, zur Verbesserung der staatlichen Steuerungs- und Konfliktbearbeitungsfähigkeiten und für eine zeitgemässe Umsetzung der Integration von alten und neuen Minderheiten.
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The Fifth Estate: Canaries in the Institutions of Liberal Democracies William H. Dutton
The popular story of coal miners bringing a canary deep into the coal mines to warn of dangerous levels of poisonous gases might have a modern day parallel. Liberal democracies across the world saw the diffusion of the Internet in the twenty-first century giving rise to a Fifth Estate – a collectivity of networked individuals who could use the Internet to hold institutions across all sectors of society more accountable (Dutton 2009). Might the rise of a Fifth Estate have been a sign of the vitality and openness of liberal democratic institutions to the Internet? Likewise, might the demise of the Fifth Estate signal dangerous risks to open access to information and to freedom of expression and assembly so central to liberal democracies? If so, can its vitality be empirically monitored?
The Rise and Fall of Trust in the Internet The growing popularity of, and trust in, the Internet relative to other media has been one of the most important developments of the first decade of the twenty-first century. As early as 2009, for example, Internet users in Britain viewed the network as being more essential as a source of information than television or newspapers. Moreover, users trusted the information they could obtain online as much as they trusted broadcast news and more than they trusted what they read in the newspapers (Dutton et al. 2009: 31, 34). Over time, the value of the Internet became such a fact of life in liberal democratic states, certainly within relatively high-income countries, that it was increasingly taken for granted. The new thing was data, which transitioned from a problem, such as being overwhelmed in a data deluge, to a new resource for computational © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_7
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analytics in research, business and industry, as suggested by new conceptions around big data. During the second decade of the century, there were growing concerns expressed over the misuse of the Internet and personal data online, giving rise to greater data protection efforts by the European Commission, for example. With the advent of social media like Facebook, launched in 2004, concerns rose not only over the privacy of users but also a range of other harms that could be attributed to the new media. Alarms over WikiLeaks’ whistleblower, Julian Assange, and the Edward Snowden leaks in 2013 of classified information in the US, led to serious questions being raised about the unintended consequences of the Internet. I wrote myself then about a rise of an Internet “trust bubble” that could be burst by further problems (Dutton et al. 2013). Then, in 2016, with the Cambridge Analytica scandal, linked to the British European Union (Brexit) referendum and the election of Donald J. Trump as President of the US, the Internet, social media and data became an even greater focus of attention for those who feared that these results were a product of malicious users and disinformation sown online. Since 2016, there has been a continuing stream of dystopian concern expressed over the harms that could be attributed to the Internet, potentially undermining trust in these technologies and their use in everyday life. By 2019, legislative initiatives, such as the UK Online Harms White Paper, jointly composed by the UK Department of Digital, Culture, Media & Sport, and the Home Office (DCMS 2019), proposed major changes in policy and regulation designed to prevent harms attributed to the Internet. In addition to concerns over such issues as privacy, which are seen within the scope of existing regulatory bodies, the paper listed many harms that had not been regulated but were the consequence of the activities of “companies that allow users to share or discover user-generated content or interact with each other online”. Too many to list here, the harms included “child sexual exploitation and abuse online”, being exposed to “terrorist content online”, “the sale of opioids online”, and many more. The optimistic era of the Internet had appeared to come to a close, at least in Britain. In this dystopian context, in which the Internet and social media are frequently demonised as the cause of multiple harms, such as those enumerated in the White Paper, it is difficult to imagine the rise and sustainability of one of the most positive perspectives on the Internet since its inception – the idea of it fostering a Fifth Estate.
The Fifth Estate: Canaries in the Institutions of Liberal Democracies
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The Fifth Estate The strategic use of the Internet and related social media and data enables individuals to create and share content and network with others in ways that empowers them to hold other institutions more accountable (Dutton 2009; Dutton and Dubois 2015). The collectivity of individuals who use the Internet to hold institutions more accountable – the Fifth Estate – complements and competes with the traditional press, the Fourth Estate of one-to-many mass media. It also opens new ways of making government, media and other institutions more socially accountable. Protection of freedom of expression and open access to information on the Internet is therefore likely to be as central to democratic processes in the digital age as freedom of the press has been since the growth of the mass media. The concept of “estates of the realm” originally related to divisions in Irish feudal society between the clergy, nobility and the commons. Edmund Burke famously proclaimed during a 1787 parliamentary debate in Great Britain that the press in the gallery were the Fourth Estate, given their independence from the other estates and ability to influence public opinion. However, the idea of the Fourth Estate had even earlier roots in France through Montesquieu’s philosophical perspectives on the three powers – legislative, executive and judiciary, which became a basis for the US Constitution around the separation of powers. Coming from Burke or Montesquieu, the Fourth Estate became identified with an independent, free press and news media that could hold the other estates more accountable. In the digital age, there is an argument for the rise of a Fifth Estate, anchored in the digital media of the Internet, which enables networked individuals to create and share information and network locally and globally in ways that can hold the press and other estates more accountable. In such ways, the Fifth Estate is not simply an extension to the Fourth Estate. Unlike the original estates, it is not based on an institution but on a new “network of networks” arising in a virtual space, or digital platform. Institutions, like the press, can use these platforms to enhance their communicative power. In addition, members of the Fifth Estate can use them relatively independently of other estates to reconfigure their access locally and globally to information, people and other resources in ways that enable them to enhance their “communicative power” relative to institutions of the other estates, including the press. Bloggers have been viewed as the Fifth Estate (Cooper 2006), but they comprise only one aspect of a far larger collective of networked individuals. Also, while many bloggers are part of this collective, many are not, as they pursue other aims with no objective of sourcing their own information or holding institutions more accountable. They may gain the skills and capabilities to become a source of accountability, such
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as when witnessing an event, but as a more latent capacity. Networked individuals can actually become the source of news, such as posting video from the location of an event in progress. In fact, the Internet can enable the relationship between media producers, gatekeepers and consumers to change from passive audiences to active agents who generate and distribute their own blogs, tweets and posts, and provide alternative perspectives on news or any topic, from history to health and medical treatments, and climate change. The ability to hold other estates more socially accountable through the interplay between ever-changing networks of networks in the Fifth Estate does not mean the Internet inevitably empowers all its users. Instead, it supports access to online resources that both incorporate and go beyond the resources of more traditional institutions (e. g., local newspaper, library, university or government office). Individuals can then network with information and people in ways that enable them to enhance their communicative power relative to other individuals or more institutionalised centers of authority among the other estates.
Threats to the Fifth Estate Concern over the enhanced communicative power of networked individuals has generated efforts to censor and control the Fifth Estate, just as the Fourth Estate has and will continue to face efforts to limit its influence. And just as the Internet has opened doors to many user-generated innovations and content, it also provides the tools for enemies of the Fifth Estate to block online access, surveil users, and filter Internet content (Deibert et al. 2010), including efforts to virtually shut down the Internet – the so-called Internet “kill switch”. Notwithstanding this resistance, the Internet is being used even in repressive regimes by networked individuals to challenge such controls, such as by circumventing and exposing efforts to filter Internet traffic (Huan et al. 2013). However, the democratic implications of the Fifth Estate are broader than such parallels between the new and traditional media. Internet users increasingly go online as their first port of call when looking for information on all types of subjects (Dutton et al. 2009). Networked individuals can also mobilise political campaigns effectively, as social media were used to boost the election of President Obama in 2008, and has since been used increasingly in local and global campaigns and elections across the globe, such as the Extinction Rebellion (https://rebellion.earth). Comparable developments have arisen in nearly every sector of society, such as in access to medical and health information. Medical professionals can use the
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Internet to reach trusted online sources of information and services in their field of interest and not be limited to their local practice or organisation, such as by sharing information on Sermo (https://www.sermo.com). But patients can also go online for medical information to complement what they receive from their traditional providers. The Internet is often the first place people go to for health and medical information, a fact that is putting increased pressure on health and medical institutions to have stronger, more responsive, and trusted online services. Growing numbers of networked individuals are coming together online across geographical and organisational boundaries of their fields to create products and services, such as the online encyclopedia Wikipedia and open-source software products across nearly every sector of society (Dutton 2008).
Protecting the Fifth Estate Yet, tensions with other estates resulting from the Internet’s role in challenging traditional institutions could undermine the Fifth Estate. Threats emanate from each of the four estates. Public intellectuals, a contemporary equivalent of the clergy, have attacked the Fifth Estate as amateurs, not worthy of serious attention, and responsible for misinformation (Nichols 2017). However, the amateurs can complement and enlarge the public agenda since they are not part of the group responsible for “pack journalism” (Crouse 1972). Economic elites, today’s nobility, including the big tech companies, are generating wealth through the Internet, but are placing the Fifth Estate at risk in building monopolies and reducing transparency in ways that jeopardise trust in search and information sources (Zuboff 2019). Governments, representing the commons, are placing increasing controls on freedom of speech and information, such as out of concern for privacy, security and consumer protection, as illustrated by the UK’s Online Cyber Harms White Paper noted above. The democratising potential of the Fifth Estate could be lost if inappropriate forms of Internet regulation are introduced that restrict its content, openness and creativity. The Fourth Estate is emulating aspects of the Fifth Estate, but also seeking to co-opt its users and producers and paint networked individuals as the sources of disinformation. However, the contemporary problems with the quality and polarisation of mainstream media could be undermining trust and fostering more reliance on the Fifth Estate. Finally, among its wide base of users are malicious individuals, who might have been called “the Mob” in an earlier era. The activities of malicious users are among the key threats that have spurred efforts
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to impose greater control over Internet content and use. But even the malicious users can be the target of Fifth Estate accountability.
Conclusion: The Research Challenge The Fifth Estate is not dead. Take the incredible “Greta Thunberg Effect” since 2019, significantly launched by her Instagram posts, as but one clear example. But how might we systematically and empirically track the vitality of the Fifth Estate amidst multiple efforts to curtail its influence? Will it be possible to trace the rise and potential decline of the Fifth Estate? One approach would be to build on the strategies and tactics of the Fifth Estate to collect information on national and global trends. For instance, leaks are one important strategy, and it could be possible to trace the incidences of leaks, such as by mentions in major news sources. News and reports of arrests of whistleblowers could be another indirect indicator. Searching is another key tool, and surveys and data analytics could track any declines in the use of organic search. For instance, search could be diminished by greater reliance on mainstream news media or by increased confidence in stronger algorithms that decrease the propensity to search, such as by the growing prominence of mobile apps or voice search. Sourcing one’s own information online is another key Fifth Estate resource, so would it be possible to track mentions of Internet and social media sources cited in news coverage to detect any decline. Similarly, collective intelligence is a key strategy, and it would be possible to monitor the vitality of distributed intelligence, such as by tracking the growth or decline of sites, such as Wikipedia, or tools for networking distributed expertise, which is so central to collective intelligence. These are only a few suggestive ways in which empirical research could track the rise or fall of the Fifth Estate. It could be as important as efforts to track the fate of press freedom around the world – potentially more significant in this digital age. Arguably, the fate of the Fifth Estate will be one indicator of the fate of liberal democratic institutions – the proverbial canaries in the mine shaft. In an era in which pundits talk about the death of democracy, with the “broken” Internet being cited as a key driving force (Bartlett 2018), it is hard to propose a more important trend to empirically study in the digital age.
The Fifth Estate: Canaries in the Institutions of Liberal Democracies
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Literature Bartlett, Jamie. 2018. The People Vs Tech. How the Internet is Killing Democracy. London: Ebury Publishing. Cooper, Stephen D. 2006. Watching the Watchers: Bloggers as the Fifth Estate. Spokane, WA: Marguette Books. Crouse, Timothy. 1972. The Boys on the Bus. New York: Random House. DCMS, Secretary of State for Digital, Culture, Media & Sport and the Secretary of State for the Home Department. 2019. Online Harms White Paper. Westminster, UK: Her Majesty’s Stationery Office. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/ uploads/attachment_data/file/793360/Online_Harms_White_Paper.pdf. Accessed 28 March 2020. Deibert, Ronald, John Palfrey, Rafal Rohozinski and Jonathan Zittrain (eds.). 2008. Access Controlled. Cambridge, MA: MIT Press. Dutton, William H. 2008. The Wisdom of Collaborative Network Organizations: Capturing the Value of Networked Individuals. Prometheus 26(3): 211–30. doi: 10.1080/08109020802270182 Dutton, William H. 2009. The Fifth Estate Emerging Through the Network of Networks. Prometheus 27(1):1–15. doi: 10.1080/08109020802657453 Dutton, William H. and Elizabeth Dubois. 2015. The Fifth Estate: A Rising Force of Pluralistic Accountability. In Handbook of Digital Politics, eds. Stephen Coleman and Deen Freelon, 51- 66. Cheltenham, UK: Edward Elgar. Dutton, William H., Ellen J. Helsper and Monica M. Gerber. 2009. Oxford Internet Survey 2009 Report: The Internet in Britain. Oxford: Oxford Internet Institute, University of Oxford. https://oxis.oii.ox.ac.uk/reports/. Accessed: 28 March 2020. Dutton, William H., Ginette Law, Gillian Bolsover, and Soumitra Dutta. 2013. The Internet Trust Bubble: Global Values, Beliefs and Practices. Geneva: World Economic Forum. http://www3.weforum.org/docs/WEF_InternetTrustBubble_Report2_2014.pdf. Accessed 28 March 2020. Huan, Sun, William H. Dutton, and Weiwei Shen. 2013. The Semi-Sovereign Netizen: The Fifth Estate in China. In Politics and the Internet in Comparative Context, eds. Paul Nixon, Rajash Rawal and Dan Mercea, 43–58. London: Routledge. Nichols, Tom. 2017. The Death of Expertise. Oxford: Oxford University Press. Zuboff, Shoshana. 2019. The Age of Surveillance Capitalism. London: Profile Books.
Should Scientists act more Politically? Ulrik Brandes
The question whether scientists should act more politically has been addressed in various ways, and this contribution is not intended to add to the long list of answers that have been proposed. Instead, I will point out a few aspects of the question that would be fun to discuss with Volker Schneider. With his extensive scholarly and some first-hand practical expertise he could set my naivity straight, maybe over a dearly missed lunch in the university canteen.
Scientists Readers of this text likely hope that policies on issues such as climate, energy, or epidemics are informed by scientific knowledge. Among other things, this requires that the actors making decisions in the policy process place sufficient trust in the relevant science, and that they are willing to consider it in the first place. Oreskes (2019) makes a case of why (and when) to trust science. Her arguments are based on a view of science as a collective endeavor in which the exchange and scrutiny of ideas from diverse perspectives, and without confounding interests, have the best chances to lead to trustworthy knowledge. While it may seem that scientific consensus is rare, such assessment depends on the level of granularity at which it is made. For instance, there is no essential (scientific) disagreement on the reality of anthropogenic climate change. In the case of climate change and other examples discussed by Oreskes, however, consensus exists with respect to the origin or status of a problem. Scientific consensus is less commonly available to inform planning. Diverging opinions are all but guaranteed when novel solutions or detailed predictions about the efficacy © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_8
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of, say, interventions are required. The problem is exacerbated for social issues where contingencies abound. And with the loss of scientific consensus, the question is not only whether to trust science, but also which science? Unsettled debates move science closer to the policy process itself and bring both, science actors and their interests, back in. Scientists and scientific institutions alike compete for attention, recognition, funding, and citations, and to no small part these aspirations seem to take precedence over science proper. In the worst case, interest-driven scientific actors may indeed turn to enacting roles that are hardly distinguishable from lobbyism. An (even if only seemingly) unresolved state of inquiry, a (potential) presence of insincere science actors, and the difficulty of establishing the relative merit of scientific information with (potentially willfully ignorant) stakeholders all invite systematic undermining of scientific positions. Oreskes and Conway (2010) document shockingly pervasive efforts in multiple high-stakes cases. When scientific knowledge is relevant to a policy issue, the arena may already be filled to the roof by an ecosystem of scientific and science-speaking actors. What, then, are scientists to do that no one wants to listen to? Is it their civic duty to enter the arena and shift the allocation of their time from the scientific inquiry they are experts in to a competition they are utterly untrained for?
Society Involvement in political and societal processes may actually be not just a perceived civic duty but an expectation. Strohschneider (2014) asserts that there is a tendency to societalize science. A shrinking tolerance for the autonomy of science increases the pressure for legitimization, which also creates an incentive for exaggerated promises, and thus adds to the competitive side-effects already mentioned above. There are prime examples of service to society beyond the provisioning of scientific findings. Never has the German public lent its ear to expert virology more gratefully than during the daily NDR podcasts with Christian Drosten.1 It is anyone’s guess who will receive the next DFG Communicator Prize or similar awards. Science communication by universities and an increasing number of research groups, however, appears to be used mostly as a marketing tool. Is media training to blame for the lack of distinction between the ways academic and corporate research 1
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Corona-Podcast-Alle-Folgen-in-der- Uebersicht,podcastcoronavirus134.html [accessed 30 April 2020]
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present themselves? While creating awareness and releasing some of the legitimization pressure, the long-term effects of touting breakthroughs and floating great promises may be rather detrimental for institutions that rely on public funding. This is especially worrisome at a time when scientific expertise is constantly challenged by malicious, financially motivated, or simply careless misinformation. Among the greatest gifts and deepest flaws of social media is the possibility for many, too many, to have a voice. Artifacts (excuse the pun) spread faster and wider than actual facts (Vosoughi, Roy, and Aral 2018). The problem with sincere scientific inquiry is that it may irritate cherished beliefs. Parts of society, including the broad spectrum of populist anti-intellectualism, may distrust science, because it is easier to reject specific findings when the source has been discredited before. It has been diagnosed that science is increasingly politicized (e.g., Gauchat 2012), and possible explanations include information being at odds with institutional and psychological factors (Nisbet, Cooper, and Garrett 2015). It is no surprise that school curricula are debated hotly when half of the adult population in the United States rejects the concept of biological evolution (Pew Research Center 2019). Since, at least internally, the time of the scientific genius who convinces by authority may be past, one wonders whether reputation-based approaches such as Pughwash-style conferences can still have an impact on politics and society at large. Which mechanisms cause international differences in the trust societies place in their scientific institutions? Is activism for science (e.g., the now annual March for Science) or based on science (e.g., the Fridays for Future movement) increasing the standing of scientific institutions? Or is adherence to science only a distinctive habitus of certain social and political movements, further increasing fragmentation?
Politics Schneider (2004) identifies the structural dimension of actors and actor constellations as a crucial element in the conceptualization of governance. In any given state configuration, it provides the main entrance for scientists through which to engage in societal problem solution. For participation, seen as an intervention, to be effective, an understanding of the underlying mechanisms is required. Assuming, for instance, that information flow, and thus influence, is channeled through opportunity structures (Leifeld and Schneider 2012), the strategic placement of scientific or science-affine actors in
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policy networks is but the most straightforward attempt to impact the structural dimension. Playing and shaping constellations, scientific actors can attempt to deliberately influence belief formation rather than to insist on the relevancy of expert knowledge (Satoh, Nagel, and Schneider 2018). The scale of such tampering becomes enormous, however, when contextual factors are considered (Schneider 2020), and it is next to impossible in the context of fast-moving problems where previous investments can be harnessed at best. How much effort should be devoted to position science proxies in the political process and its underlying networks? How to identify and mandate them? Or is it solely in the responsibility of political actors to seek sufficiently broad expert policy advice? The Swiss government has just assembled a national science task force to inform its response to the ongoing COVID-19 pandemic and its aftermath; its composition and topical coverage are markedly different from the seemingly more compartmentalized approaches announced for Germany, where, on the other hand, broad recommendations are issued for instance on the initiative of the National Academy of Sciences Leopoldina. Scientific policy advice is necessarily confined by the expertise of the advisors, and may therefore fail to integrate values and beliefs outside of their disciplinary perspective. Are scientists entitling themselves when demanding that their advice be followed even if it may be based on a hierarchy of values skewed toward their domain?
Conclusion Is it even ethical to intervene in the interest of science, let alone by exploiting theoretical and empirical knowledge of policy processes? Does this lead to an arms race with other, potentially (even) more interest-driven groups? Since they may be doing it anyway, whose responsibility is it, if at all, to ensure that expert knowledge is solicited? Or are calls for politics to listen to scientists eventually leading to a technocracy driven by solutionism? Then again, are caution and scientific modesty tenable? What if others are not playing by the rules, either? Convenient redressing of arguments and outright lying are, one would hope, generally not a strength of scientific actors. All of this may be end up being academic when the dismemberment of government by hollowing out, or actually decapitating, administrative agencies and bureaucratic
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institutions is a very real specter in many countries. For the U.S. context, Lewis (2018) urgently describes the ignorant, interest-driven, program management of the Trump administration as an existential threat to society. When former industry lobbyists get to stifle scientific expertise in the agencies they are put in charge of, detailed analyses of international differences (Ylä-Anttila et al. 2018) become rather irrelevant. If none of the above sparks Volker Schneider’s interest, I am sure to save the discussion by asking what the late Mario Bunge might have thought.
Literature Gauchat, Gordon. 2012. “Politicization of Science in the Public Sphere: A Study of Public Trust in the United States, 1974 to 2010.” American Sociological Revue 77 (2): 167–87. Leifeld, Philip, and Volker Schneider. 2012. “Information Exchange in Policy Networks.” American Journal of Political Science 53 (3): 731–44. Lewis, Michael. 2018. The Fifth Risk. W. W. Norton & Company. Nisbet, Erik C., Kathryn E. Cooper, and R. Kelly Garrett. 2015. “The Partisan Brain: How Dissonant Science Messages Lead Conservatives and Liberals to (Dis)Trust Science.” The Annals of the American Academy of Political and Social Science 658 (1): 36–66. Oreskes, Naomi. 2019. Why Trust Science. Princeton University Press. Oreskes, Naomi, and Erik M. Conway. 2010. Merchants of Doubt. Bloomsbury Press. Pew Research Center. 2019. “The Evolution of Pew Research Center’s Survey Questions About the Origins and Development of Life on Earth.” February 6. Satoh, Keiichi, Melanie Nagel, and Volker Schneider. 2018. “Faith in Scientific Expertise and the Organizational Distribution of Knowledge: Climate Change Policy Networks in Germany and Japan.” Schneider, Volker. 2004. “State Theory, Governance and the Logic of Regulation and Administrative Control.” In Governance in Europe. the Role of Interest Groups, edited by Andreas Warntjen and Arndt Wonka, 25–41. Nomos. Schneider, Volker. 2020. “Bringing Society Back in: Actors, Networks, and Systems in Public Policy.” In Society as an Interaction Space, edited by Hanna Lehtimäki, Petri Uusikylä, and Anssi Smedlund, 41–65. Springer. Strohschneider, Peter. 2014. “Zur Politik der transformativen Wissenschaft.” In Die Verfassung des Politischen, edited by A. Brodocz, D. Herrmann, R. Schmidt, D. Schulz, and J. Schulze-Wessel, 175–92. Springer. Vosoughi, Soroush, Deb Roy, and Sinan Aral. 2018. “The Spread of True and False News Online.” Science 359 (6380): 1146–51. Ylä-Anttila, Tuomas, Antti Gronow, Mark C. J. Stoddart, Jeffrey Broadbent, Volker Schneider, and David B. Tindall. 2018. “Climate Change Policy Networks: Why and How to Compare Them Across Countries.” Energy Research & Social Science 45: 258–65.
Adaption und Innovation in Multilevel Governance Arthur Benz
Im modernen Staat findet Politik im Zusammenwirken organisierter Akteure statt. Organisation und Vernetzung sind also unvermeidliche Strukturbedingungen der Politik. Volker Schneider hat darauf in seinen Arbeiten immer wieder aufmerksam gemacht und die Folgen für die Staatstätigkeit und den Wandel des Staates untersucht. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Mehrebenensysteme der Politik innerhalb und jenseits des Staates. Akteure, die in diesen Strukturen interagieren, sind vor allem Regierungen und Verwaltungen, die selbst organisiert sind, zugleich aber im Kontext eines Regierungssystems der Kontrolle von Parlamenten und dem Einfluss von Parteien und Interessengruppen unterliegen. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind in diesem Organisationsgeflecht damit in zweifacher Weise beschränkt. Zum einen durch die wie auch immer gearteten Normen und Regeln der Koordination zwischen den Ebenen, zum anderen durch die Regeln des demokratischen Regierungssystems und die Macht von Parteien und Interessengruppen. Die Forschung zu Multilevel Governance analysierte diesen Zusammenhang auf der Basis von zwei theoretischen Ansätzen. Liesbet Hooge und Gary Marks verwendeten das Konzept, um Machtverlagerungen vom Nationalstaat auf die europäische (bzw. internationale) Ebene sowie auf die innerstaatlichen Regionen zu erklären. Fritz W. Scharpf dagegen interessierte sich für die Politikgestaltung unter den Bedingungen von Multilevel Governance. Ausgehend von seinem Konzept der Politikverflechtung (joint decision trap) erklärte er die Stagnation der Europäischen Integration und ihre begrenzten Problemlösungsfähigkeit jenseits marktschaffender Regulierung, erkannte dann aber auch die Anpassungsfähigkeit der verflochtenen Politik und Varianten von Multilevel Governance. Volker Schneiders Arbeiten sowie seine Sicht auf Governance lassen sich weder der einen noch der anderen Forschungsrichtung zuordnen, vielmehr fordern sie uns auf, komplexere Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, die Policy-making und Strukturdynamiken als zwei untrennbare Aspekte von Politik erfassen. Im Folgenden will ich diese © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_9
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Anregung aufgreifen und Überlegungen skizzieren, wie man Politikänderungen in Mehrebenensystemen erklären kann. Dass inkrementelle Anpassungen von Politik möglich sind, hatte schon Scharpf betont, der sich dabei auf Politikinhalte bezog. Die Politikverflechtungsfalle erzeugt ihre blockierende Wirkung demnach erst, wenn Politiker Institutionen ändern wollen, die weitreichende Reformen verhindern. Die postfunktionalistische Erklärung der Machtverlagerung zwischen Ebenen widerspricht dieser These nicht. Sie verweist auf Adaptionsprozesse, die die strukturellen Bedingungen von Politik verändern, bei genauer Betrachtung aber mit der Folge, dass die Koordinationsbedarfe zwischen Ebenen zunehmen und vielfach Politikverflechtung nach sich ziehen. Insofern war es konsequent, dass man in der Europaforschung angesichts der Reformdynamik in den 1990er Jahren nach Auswegen aus der Politikverflechtungsfalle suchte bzw. nach Möglichkeiten, die Restriktionen der Politikverflechtung zu umgehen. Die entsprechenden Arbeiten etwa von Adrienne Héritier und Gerda Falkner erklären die Anpassungsfähigkeit der Politik im europäischen Mehrebenensystem. Doch sie sprechen nicht dafür, dass sich dieses als besonders innovationsfähig erweist. Als Innovationen verstehe ich intendierte und signifikante Änderungen von Institutionen oder Politikinhalten, wobei letztere in der Regel mit institutionellem Wandel verbunden sind. Folgt man der organisationswissenschaftlichen Literatur, so sind sie zu erwarten, wenn Strukturen ein hohes Maß an Diversität aufweisen, wenn Promotoren oder „Change Agents“ Veränderungen vorantreiben und wenn diese nicht durch mächtige Akteure, die den Status quo verteidigen, gebremst werden. Mehrebenensysteme der Politik in staatlichen oder internationalen Kontexten sind per se strukturell differenziert, was Diversität begünstigt, aber sie zeichnen sich auch durch eine große Zahl von Vetospielern mit unterschiedlichen Interessen aus, die Innovationen verhindern können. Signifikante Veränderungen von Politikinhalten und Institutionen erscheinen daher als unwahrscheinlich. Nach der verbreiteten Auffassung, die durch die Theorie des historischen Institutionalismus gestützt wird, sind sie nur in Krisensituationen zu erwarten. Dementsprechend glauben auch viele, dass eine Konzentration von Macht erforderlich ist, um die Politik innovationsfähiger zu machen. Dabei kann Macht in sehr unterschiedlicher Weise konzentriert werden. Daher ist diese Forderung höchst fragwürdig, zumal eher unproblematische Varianten der Machtkonzentration wie die Einführung des Mehrheitswahlrechts oder die Entflechtung der Kompetenzen zwischen zentralen und dezentralen Einheiten gerade an der Macht von Vetospielern scheitern, während problematische Varianten wie Stärkung der Exekutive oder des Nationalstaats sich zumindest in Krisenzeiten durchsetzen könnten. Allein um solchen Vorstellungen entgegen zu wirken, lohnt es sich zu fragen, unter welchen besonderen Bedingungen in komplexen Mehrebenensystemen Politik nicht nur
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an eigendynamische Machtverhältnisse angepasst werden kann, sondern auch Innovationen möglich sind. Die Frage, unter welchen Bedingungen in Mehrebenensystemen innovative Ideen oder Projekte generiert werden können, lässt sich vergleichsweise leicht beantworten. Als begünstigend wirkt sich in erster Linie eine Struktur aus, die Wettbewerb zwischen dezentralen Einheiten fördert und experimentelle Politik ermöglicht. Innovation verspricht Wettbewerb aber nur, wenn er sich auf Policies oder öffentliche Aufgaben bezieht (sog. „yardstick competition“) und nicht durch den Markt erzwungen wird. Steuerwettbewerb führt nur zur Anpassung, nicht zur Innovation. Experimentelle Politik kann durch zentrale Steuerung in eine gewünschte Richtung gelenkt werden, wenn diese Ziele oder Standards setzt, Abweichungen von zentralen Regeln zulässt und Innovationen belohnt. Zum zweiten können neue Ideen durch Experten oder auch durch die Beteiligung von Interessengruppen in die Mehrebenenpolitik vermittelt werden. Da in Mehrebenensystemen Regierungen zusammentreffen, die in der Regel von konkurrierenden Parteien unterstützt werden, müssen sich neue Ideen nicht gegen die Ideologie einer Mehrheitsparteien durchsetzen, sondern treffen auf ein heterogenes, für neue Politiken offenes Meinungsspektrum. Drittens können Innovationen generiert werden, wenn bargaining zwischen Regierungen und Verwaltungen ergänzt wird durch deliberative Prozesse. Das dürfte insbesondere gelingen, wenn Verhandlungssysteme von Regierungen durch dauerhafte Beiräte ergänzt werden, deren Mitglieder nicht allein von den Regierungen bestimmt werden und die mithin keine Interessen verfolgen, sondern die Problemlösung als ihre Aufgaben betrachten. Doch wie lassen sich Innovationen in der Mehrebenenpolitik durchsetzen? Wie kann es gelingen, die strukturellen Restriktionen zu überwinden, die angesichts der Komplexität der Entscheidungsprozesse, der großen Zahl an Vetospielern, der Verantwortlichkeit der Regierungen gegenüber Parlamenten und Wählerschaften sowie dem Einfluss des Parteienwettbewerbs als erheblich zu betrachten sind? Wie lässt sich ohne die Zwänge von Krisen der Inkrementalismus der Politik umgehen, wenn signifikante Reformen notwendig sind? Die Chancen dafür hängen wesentlich von den institutionellen Bedingungen von Multilevel Governance ab. In dezentralisierten Systemen, in denen Interdependenzen primär wechselseitige Anpassung auslösen und damit Politik „von unten“ koordiniert wird, können Innovationen durch Diffusionsprozesse realisiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass Politikexperimente einer Regierung, die sich als erfolgreich erwiesen haben, von anderen Regierungen erkannt und im eigenen Zuständigkeitsbereich in den politischen Prozess eingespeist werden, wo sie dann Lernprozesse auslösen können. Ein solcher Prozess des „lesson drawing“ besteht allerdings nicht im einfachen Kopieren von Modellen, das eher Innovatio-
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nen verhindert. Er verlangt, dass bei der Übertragung von Ideen und gelungenen Praktiken die jeweiligen Kontextbedingungen berücksichtigt werden, die über den Erfolg oder Misserfolg von Innovation entscheiden können. Im Parteienwettbewerb sollte die Chance für solche Lernprozesse nicht überschätzt werden, weil dieser die Binnenorientierung der Politik verstärkt. Relevant scheint der Policytransfer vor allem in der Verfassungspolitik zu sein, weil der Rückgriff auf Vorbilder oder international anerkannte Prinzipien hilft, den für Verfassungsgebung oder -änderungen erforderlichen Konsens zu erreichen. In anderen Politikfeldern werden Ziele und Prinzipien oft von einer Zentralinstanz vorgegeben. Deren steuernder Eingriff in die Prozesse des Politiktransfers können von den dezentralen Regierungen oder Parlamenten als Eingriff in ihre Autonomie wahrgenommen werden, was die Bereitschaft zur Innovation nicht fördert. Die verbreitete These, dass sich dezentrale oder föderaler Systemen im Allgemeinen oder der Wettbewerbsföderalismus im Besonderen durch eine hohe Innovationsfähigkeit auszeichnen, ist also mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Politikinnovationen können des Weiteren durch „Advocacy Coalitions“ vorangetrieben werden. In Mehrebenensystemen gibt es zwar viele Vetospieler, aber es gibt auch viele Möglichkeiten von Koalitionsbildungen, die Machtverhältnisse so ändern können, dass signifikante Politikänderungen möglich werden. Parteien oder Interessengruppen können sich über die Grenzen zwischen Ebenen oder Territorien hinweg vernetzen und auf diese Weise Macht für Politikwandel kumulieren. Regierungen können durch Verhandlungen Reformkoalitionen bilden. Je nach Entscheidungsregeln können sich solche Koalitionen mit Mehrheit gegen die Verteidiger des Status quo durchsetzen. Auch können die beteiligten Regierungen sich darauf verständigen, in ihren Zuständigkeitsbereichen Reformen zu verwirklichen in der Erwartung, dass sich schrittweise andere Regierungen den Reformen anschließen. Die strukturelle Komplexität von Multilevel Governance kann sich aus einem weiteren Grund innovationsfördernd auswirken. Diese Komplexität zeigt sich nicht nur in der Heterogenität der Akteure oder der Vielzahl von Vetospielern, sondern auch in einer Differenzierung von Arenen, in denen politische Entscheidungen vorbereitet, ausgehandelt und getroffen werden. Neben der Interaktion der intergouvernemental konkurrierenden oder kooperierenden Regierungen gehören dazu innerhalb der Staaten oder Gebietskörperschaften die parlamentarischen bzw. legislativen Arenen, in denen die Exekutive Rechenschaft ablegen muss, sowie die Verwaltungen, die in die Mehrebenenkoordination einbezogen sind. Die strukturelle Komplexität wird oft durch die Einrichtung von Expertengremien, Ausschüssen oder Lenkungsgruppen erhöht. Zum Teil sind diese Arenen eng miteinander verzahnt, was etwa für das Zusammenspiel von intergouvernementalen Verhandlungssystemen und dem Parteienwettbewerb in parlamentarischen Regierungssystemen zutrifft.
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Vielfach sind sie aber nur lose gekoppelt. Dies bedeutet, dass die Arenen primär durch Informationsströme verbunden sind, und dass die in mehreren Arenen tätigen Akteure keinen Zwängen in Form von Verpflichtungen oder bindenden Mandaten unterworfen sind. Lose Kopplung zwischen Ebenen ermöglicht nicht nur freiwillige Kooperation, der sich einzelne Regierungen durch opt outs entziehen können, sondern auch die bedingte Intervention einer übergeordneten Instanz in dezentrale Koordination. Die funktionale Arbeitsteilung zwischen Regierungen und Fachverwaltungen, zwischen Generalisten und Spezialisten in der Verwaltung oder zwischen Politikern und unabhängigen Experten erlaubt es ebenfalls, durch institutionelle Zwänge drohende Entscheidungsblockaden aufzulösen, indem Beratungen und Verhandlungen in Arenen mit andere Akteurskonstellationen verlagert werden. Auch dies erhöht die Chancen für signifikante Politikänderungen. Multiple Arenen des Mehrebenensystemen bieten also Raum für Strategien, die Politikinnovation zum Durchbruch verhelfen können. Eine strategische Verlagerung von Politik zwischen Arenen kann allerdings auch zu einer schleichenden Machtverschiebung führen, die man als „authority migration“ zwischen Ebenen oder als Exekutivdominanz gegenüber Parlamenten beschrieben hat. Solche strukturellen Ungleichgewichte können die Anpassungsfähigkeit von Multilevel Governance unterminieren, ihre Ursachen liegen jedoch nicht in der Politikdynamik von Multilevel Governance, sondern in politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen, die destabilisierend wirken. Governance im Allgemeinen und Multilevel Governance im Besonderen zeichnen sich durch Komplexität aus. Volker Schneider hat daher dafür plädiert, die Komplexitätstheorie für die Analyse fruchtbar zu machen. Diese erklärt die Adaptionsfähigkeit von Governance. Komplexität kann aber auch – so meine These – die Innovationsfähigkeit von Politik fördern, sofern die differenzierten Entscheidungsarenen nicht eng, sondern lose gekoppelt sind. Dennoch wird man davon ausgehen müssen, dass sich Politik auch in solchen Konstellationen von Multilevel Governance überwiegend inkrementell wandelt. Auch dürfen wir den Status quo-Bias von bestehenden Institutionen und Policies nicht unterschätzen. In vertikal und horizontal differenzierten demokratischen Regierungssystemen sind unter normalen Umständen signifikante Politikänderungen selten. Der Ruf nach Reformen muss aber nicht mit der Forderung nach einer starken politischen Führung oder einer Machtkonzentration verbunden werden. Demokratische Formen von Multilevel Governance dürften bessere Bedingungen für Politikinnovation bieten, und sie gewährleisten zugleich die Fähigkeit der Politik, Regelungen und Leistungen an veränderte Problemlagen anzupassen und so die Notwendigkeit von tiefgreifenden Änderungen zu reduzieren. Unter welchen Bedingungen dies zutrifft, muss noch genauer erforscht werden.
Das Miteinander staatlicher und privater Akteure in der Politikformulierung Anmerkungen zur Diskussion um mehr Transparenz Hans-Jörg Schmedes1 Staatliche und private Akteure in der Politikformulierung
Die Vertretung und die Abwägung unterschiedlichster Interessen gehört ganz zwangsläufig zu demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. Parteien und organisierten Interessen fällt hierbei unter anderem die Aufgabe zu, die in der Gesellschaft existierenden Interessen aufzugreifen und in den politischen Entscheidungsprozess zu vermitteln. In zahlreichen politikwissenschaftlichen Darstellungen werden Verbände und ihre Beteiligung an der Formulierung und Durchsetzung staatlicher Steuerungsleistungen entsprechend positiv gewürdigt, verspricht man sich von ihrer aktiven Einbindung in den politischen Entscheidungsprozess und in die Umsetzung gemeinsam vereinbarter Regelungen durchaus eine Erhöhung der Input- wie der Output-Legitimität staatlichen Handelns (vgl. etwa Schmitter u. Lehmbruch 1979). Hinzu kommt zudem die Erkenntnis, dass öffentliche Akteure alleine nicht mehr in der Lage sind, politische Systeme zu steuern, sondern dass an gesellschaftlichen Steuerungsprozessen eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure in unterschiedlichen Arrangements beteiligt sind. Volker Schneider beschrieb im Jahr 2004 (S. 227–228) moderne Gesellschaften als „Organisationsgesellschaften, in denen die gesamtgesellschaftlichen Steuerungsund Regulierungsleistungen in arbeitsteiliger Weise über Kooperations- und Koordinationsbeziehungen zwischen staatlichen und privaten Organisationen erbracht werden“. Öffentliche Politik, so Volker Schneider (2000, S. 251) an anderer Stelle, sei „heute somit nur durch zielorientiertes Zusammenwirken staatlicher und gesellschaftlicher Organisationen möglich“.
1 Der Beitrag greift Überlegungen eines gemeinsam mit Heiko Kretschmer verfassten Beitrages aus dem Jahr 2014 (Schmedes u. Kretschmer 2014) auf und transportiert, sofern Meinungen in der Darstellung enthalten sind, ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_10
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Gleichwohl wird der weitgehend unregulierten und intransparenten Mitwirkung unterschiedlich organisierter Interessen an politischen Prozessen in der öffentlichen Debatte häufig mit Unbehagen begegnet, scheint diese doch geeignet zu sein, das allgemeine Vertrauen in den politischen Entscheidungsprozess und dessen Allgemeinwohlorientierung zu untergraben. Dem Begriff des Lobbyismus, unter den die Vertretung unterschiedlichster Interessen gemeinhin fällt, kommt in der Öffentlichkeit eine vorwiegend negative Konnotation zu, denn viele Menschen verbinden mit dem Begriff vor allem intransparente Aushandlungsprozesse mit dem Ziel einer illegitimen Einflussnahme auf politische Entscheidungen zugunsten partikularer Eigeninteressen und zu Lasten des Gemeinwohls (vgl. u. a. Ronit u. Schneider 1998, S. 559). Umfragen bestätigen dieses Bild seit vielen Jahren, wird Lobbyistinnen und Lobbyisten doch für gewöhnlich ein großer, in den Augen vieler Menschen gar ein deutlich zu großer Einfluss auf politische Entscheidungen zugeschrieben, der zugleich das Vertrauen in die Politik unterminiert. In jüngerer Zeit wird dies besonders deutlich: Einer Umfrage von infratest dimap (2019) im Auftrag von abgeordnetenwatch.de zufolge bewertete im April 2019 eine deutliche Mehrheit von 82 Prozent der Befragten in Deutschland den Einfluss von Lobbyistinnen und Lobbyisten auf die Politik als zu hoch (35 Prozent) oder gar viel zu hoch (47 Prozent), was – laut einer Studie aus dem Jahr 2019 von Frank Decker, Volker Best, Sandra Fischer und Anne Küppers im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (Frank Decker et al. 2019, S. 49) – von 68,6 Prozent der Menschen als großes (48 Prozent) oder gar sehr großes Problem (20,6 Prozent) der parlamentarischen Parteiendemokratie in Deutschland angesehen wird. Zweifellos ist dieser Umstand dazu geeignet, an der Glaubwürdigkeit von Politik zu nagen und die Legitimität parlamentarischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nachdrücklich zu beschädigen. Stellt man sich die Frage, wodurch sich dies ändern ließe, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Gesamtheit der Schnittstellen, an denen das Miteinander von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft virulent wird. Der Gesamtkomplex dieser Schnittstellen der Aktivitäten staatlicher und privater Akteure geht weit über das Lobbying im engeren Sinne, also der bloßen Vertretung von Interessen gegenüber der Öffentlichkeit, dem Parlament und der Regierung, hinaus. Vielmehr umfasst das kontinuierliche Miteinander von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eine Reihe von weiteren Aspekten, zu denen neben der klassischen Interessenvertretung auch der Berufswechsel zwischen Wirtschaft, Verbänden, Politik und Verwaltung, die temporäre Beschäftigung Externer, die externe Erstellung von Gesetzesentwürfen und anderen Dienstleistungen für behördliche Tätigkeiten, der Komplex der Parteienfinanzierung, das Sponsoring von Parteien und Behörden sowie (bezahlte) Nebentätigkeiten von Abgeordneten, Ministerialbeamtinnen und Ministerialbeamten gehören. Naturgemäß berühren diese Aspekte Schnittstellen
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unterschiedlich operierender gesellschaftlicher Bereiche und bergen für alle, die an diesen Schnittstellen tätig sind, auch das Risiko persönlicher Interessenkonflikte im Spannungsverhältnis zwischen legitimer Interessenartikulation und illegitimer Einflussnahme. Zwischen diesen Polen bewegt sich auch die öffentliche Debatte, wobei gerade populärwissenschaftliche Darstellungen gerne die vorwiegend anekdotische Evidenz einzelner Beispiele vermuteter oder tatsächlicher Durchsetzungserfolge von Partikularinteressen zum Anlass alarmierender Analysen nehmen. Letztlich sind auch derartige Analysen vor allem als Ausdruck des Unbehagens bezüglich vermeintlich illegitimer Einflussversuche zu sehen und dokumentieren das Misstrauen der Öffentlichkeit, dass dem Miteinander von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mittlerweile vielfach entgegengebracht wird. Dieses Misstrauen mag sicherlich eine Vielzahl von Gründen haben, das existierende Transparenzdefizit im Zusammenwirken staatlicher und privater Akteure dürfte sicherlich dazugehören. Wie aber lässt sich diesem entgegenwirken? Vorschläge und Initiativen mit dem Ziel, die Vertretung von Interessen durchsichtiger zu gestalten, haben in den vergangenen Jahren zunehmend Eingang in parteipolitische Diskussionen und parlamentarische Initiativen gefunden. SPD, Grüne und Linkspartei hatten bereits in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2009 jeweils einen Passus enthalten, der auf die Einrichtung eines Lobbyregisters beim Deutschen Bundestag abzielte (vgl. Schmedes 2009, S. 545–547). Im Deutschen Bundestag wurden seit der 16. Wahlperiode immer wieder Anträge mit entsprechenden Forderungen debattiert, ohne bislang jedoch eine Mehrheit hinter sich vereinen zu können. Auch in der aktuellen 19. Wahlperiode wurden in den Deutschen Bundestag entsprechende Anträge eingebracht, scheinen jedoch nach wie vor nicht mehrheitsfähig zu sein (vgl. Reuß 2019). Die Gegnerinnen und Gegner der Einführung weiterführender Transparenzregeln in der Interessenvertretung befürchten, wie beispielsweise in einer Debatte des Deutschen Bundestages am 22. Februar 20182 geäußert, einen übergroßen administrativen Aufwand der Offenlegung und Überprüfung möglicher Regelungen in diesem Bereich und zweifeln die Konformität derartiger Vorgaben mit dem Grundgesetz an. Auch wird die Frage nach Umgehungsmöglichkeiten von zu strikten Regelungen aufgeworfen. In der Tat scheinen manche Vorschläge, die von Befürworterinnen und Befürwortern stärkerer Transparenzvorgaben gemacht werden, nur auf den ersten Blick zur Erreichung des Ziels geeignet zu sein, dürften jedoch zu zahlreichen Umgehungsmöglichkeiten führen, die die Transparenzvorgaben im Ergebnis ins 2
Vgl. Plenarprotokoll der 14. Sitzung des Deutschen Bundestages in der 19. Wahlperiode, 22. Februar 2018, 1212–1221.
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Leere laufen ließen. Dies gilt beispielswiese für die Offenlegung von Gesprächen zwischen Vertreterinnen und Vertretern staatlicher und privater Institutionen. Der frühere US-amerikanische Präsident Barack Obama führte bei seinem Amtsantritt eine derartige Offenlegungspflicht für Gespräche seiner Beamtinnen und Beamten mit Lobbyistinnen und Lobbyisten ein, die im Weißen Haus geführt werden – mit dem Ergebnis, dass sich diese Art von Gesprächen zunehmend in die Cafés rund um das Weiße Haus verlagerten (vgl. Lichtblau 2010). Derartige Beispiele bedeuten jedoch nicht, dass man das Miteinander von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft nicht transparenter gestalten könnte. Man sollte sich jedoch bei dem Versuch, Licht in das bislang abgeschottete Miteinander zu bringen, von einigen Prämissen leiten lassen, um auch die Zielsetzung einer derart verbesserten Transparenz zu konkretisieren und entsprechend zu fokussieren. Die erste Prämisse legt nahe, bei der Konzipierung verstärkter Transparenzregelungen die existierenden Schnittstellen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und ihrer jeweiligen Wechselwirkungen untereinander zu betrachten, um nicht (nur) an einzelnen Bereichen anzusetzen, mögliche Umgehungstatbestände aus anderen Bereichen dabei jedoch außer Acht zu lassen. Auch hier hilft wieder ein Blick in die USA, wo mit dem Lobby Disclosure Act seit 1995 detaillierte Regelungen bei der Vertretung von Interessen gegenüber Politik und Regierung bestehen (vgl. etwa Holeman u. Luneburg 2012), der Komplex der Parteienfinanzierung jedoch weitgehend unreguliert ist. Die zweite Prämisse besteht in der Feststellung, dass Einfluss nicht messbar ist. Es lässt sich nicht abbilden oder gar kausal begründen, warum und auf wessen Betreiben hin eine politische Entscheidung auf welche Weise gefallen ist. Sicherlich können Politikergebnisse auf gesellschaftliche Interessensdispositionen zurückgeführt werden, doch kann alleine aufgrund einer vermeintlichen oder tatsächlichen Parallelität von Interessen und Positionen nicht auf die Kausalität des Zustandekommens von Politikergebnissen geschlossen werden. Zwar lassen sich Interaktionsformen unterschiedlichster Akteure abbilden, deren inhaltliche Positionen vergleichen und in Bezug zueinander setzen sowie individuelle Interessensdispositionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eines politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses abfragen, wie Volker Schneider (1986; 1988) dies beispielsweise in seiner Analyse des 1980 verabschiedeten deutschen Chemikaliengesetzes getan hat (vgl. hierzu auch Schneider u. Leifeld 2009). Aber die bloße Tatsache, dass sich das Ergebnis eines politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses als identisch mit den Zielen von Unternehmen und ihren Verbänden oder zivilgesellschaftlichen Akteuren herausstellt, lässt sich nicht zwangsläufig und schon gar nicht kausal auf deren politischen Einfluss auf die Politik zurückführen.
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An diesen Ausführungen ansetzend, räumt die dritte Prämisse mit einem immer noch weit verbreiteten Vorurteil auf und stellt klar, dass Zugang zu politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern und der Einfluss auf diese voneinander unterschieden werden müssen, denn Zugang und Einfluss sind nicht zwangsläufig das gleiche. Weder die Existenz noch die Häufigkeit von Kontakten sagt alleine etwas über die inhaltliche Nähe zwischen denjenigen aus, die ihre Positionen untereinander austauschen – obgleich genau dieser Zusammenhang in populärwissenschaftlichen Abhandlungen gerne gesehen wird. Es gehört sicherlich zum beruflichen Selbstverständnis vieler Politikerinnen und Politiker, sich innerhalb von Gesetzgebungsprozessen mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen auszutauschen und einzelne Regelungen zu diskutieren. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass hierbei inhaltlicher Einfluss genommen wird, auch wenn dies gerne suggeriert wird: Ende Mai 2019 wurde in der Süddeutschen Zeitung beispielsweise über eine Übersicht von Kontakten zwischen Mitgliedern der Bundesregierung sowie Vertreterinnen und Vertretern organisierter Interessen berichtet (vgl. Erbersdobler 2019). Insbesondere der für das Ressort Arbeit und Soziales verantwortliche Bundesminister Hubertus Heil spreche häufig mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, hob der Artikel mit Verweis auf eine Studie der Plattform abgeordnetenwatch.de hervor. Das vermeintlich Kritikwürdige am Verhalten des Ministers wurde im dem Artikel zwar nicht explizit gemacht, aber die Feststellung, dass insbesondere der für die Anliegen der Sozialpartner federführend verantwortliche Bundesminister sich regelmäßig mit den Sozialpartnern des Landes austauscht, dürfte weniger als öffentliches Lob für die Amtsführung von Hubertus Heil und sein Engagement gegenüber den gesellschaftlichen Anspruchsgruppen seines Ministeriums und deren Anliegen gemeint gewesen sein. Die vierte Prämisse wirbt für eine Differenzierung des Transparenzbegriffes. Vielfach bleibt in der politischen Diskussion unklar, worin genau Transparenz bestehen sollte, da dieser Begriff zumeist unbestimmt verwendet wird. Schaut man sich im Hinblick auf die Diskussion um Transparenz in der Interessenvertretung die unterschiedlichen Aspekte an, die hierbei eine Rolle spielen, lassen sich Strukturtransparenz, Prozesstransparenz und Inhaltstransparenz voneinander unterscheiden. Strukturtransparenz umfasst hierbei Auftragsverhältnisse, wirtschaftliche Abhängigkeiten, Mitgliedschaften und vergleichbare Verflechtungen, die auf ein Nähe- oder gar Abhängigkeitsverhältnis und hierüber auf mögliche Interessenkonflikte schließen lassen können, was die Einordnung von Interessenvertretung in ihren Gesamtkontext ermöglicht. Prozesstransparenz beinhaltet den Einblick in Abläufe und Aktivitäten, darunter beispielsweise Gesprächstermine und Teilnahmen an Anhörungen, während sich die Inhaltstransparenz auf die konkreten Inhalte eines Austausches bezieht und hierbei beispielsweise Themen,
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Inhalte und Ergebnisse von Gesprächen umfasst. Der größte Mehrwert im Bereich der Interessenvertretung dürfte im Bereich der Strukturtransparenz liegen, die an den finanziellen und organisatorischen Hintergründen der Vertreterinnen und Vertreter mehr oder weniger organisierter Interessen ansetzt. Dem hingegen dürfte ein Mehrwert bezüglich der Informiertheit der Beteiligten sowie der Öffentlichkeit durch eine verbesserte Prozess- und Inhaltstransparenz im Bereich der Interessenvertretung eher fraglich sein. Hinzu kommt, dass beide Formen der Transparenz in ihrer Erfassung einen vergleichsweisen großen Aufwand mit vielen Abgrenzungsschwierigkeiten und Umgehungsmöglichkeiten sowie einem kaum kontrollierbaren Graubereich mit sich bringen, dem kein entsprechender Erkenntnismehrwert gegenüberstehen dürfte. Betrachtet man diese vier Prämissen als gesetzt, lassen sich hiervon zwei Thesen zur Schaffung einer verbesserten Transparenz in der Interessenvertretung ableiten. Zunächst lässt sich, so die erste These, die Vertretung von Interessen in ihrer Substanz durch Gesetze nicht umfassend und abschließend normieren oder gar regulieren. Wenn Einfluss nicht messbar ist und man Zugang zu sowie Einfluss auf politische Entscheidungen voneinander unterscheiden muss, kann man weder Einfluss wirkungsvoll regulieren noch illegitimen Einfluss – was auch immer dies sein mag – effektiv unterbinden, obgleich dies in der öffentlichen Diskussion immer wieder gefordert wird. Hinzu kommt, dass zahlreiche Aspekte bei der Vertretung von Interessen in einem freiheitlichen Staatswesen unter das Grundrecht der freien Meinungsäußerung fallen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man an dem bisherigen Zustand nichts ändern kann. Vielmehr lässt sich, so die zweite These, Transparenz im Miteinander von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mit Hilfe eines einheitlichen Regelungsrahmens aus gesetzlichen wie untergesetzlichen, eng aufeinander abgestimmten Maßnahmen und Anreizen zur Selbstregulierung schaffen. Ein solcher Rahmen normiert gesetzliche Transparenzverpflichtungen bei der Vertretung von Interessen gegenüber Parlament und Regierung, verpflichtet die Verwaltung des Bundestages und die Bundesregierung auf die Einhaltung klarer Regeln im Umgang mit Externen und setzt Anreize zur grundsätzlich freiwilligen, aber sanktionsbewehrten Selbstregulierung von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern in der Ausübung ihrer Tätigkeit. Zielsetzung sollte es hierbei nicht sein, den Einfluss von Lobbyismus regulieren zu wollen, wohl aber, durch Strukturtransparenz und Verhaltensvorgaben mögliche Interessenkonflikte bei der Interessensvertretung aufzuzeigen und illegitime, weil intransparente Einflussversuche dadurch zumindest zu erschweren. Zusammensetzen könnte sich ein solcher Regelungsrahmen aus drei Elementen:
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1. Die Offenlegung der finanziellen wie organisatorischen Rahmenbedingungen der Interessenvertretung ließe sich durch ein verpflichtendes und sanktionsbewehrtes Lobbyregister realisieren, das die Definition von Interessenvertretung gegenüber Parlament und Regierung mit zeitlichen oder finanziellen Schwellenwerten verknüpft und Vorgaben zur Offenlegung klar definiert, ohne hierbei weitreichende Ausnahmetatbestände zu schaffen, die eine Umgehung der Offenlegungspflicht begünstigen könnten. 2. Eine anreizgestützte Verhaltensrichtlinie sollte Grundregeln für die Interessenvertreter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität aufstellen – und die Kontrolle und Sanktionierung dieser Regeln den bereits bestehenden berufsständischen Organen der Selbstkontrolle zuschreiben. Zwar kann die Unterwerfung unter eine solche Verhaltensrichtlinie nicht verpflichtend, sondern nur freiwillig erfolgen. Ein starker Anreiz hierfür dürfte jedoch darin bestehen, dass man sich bei Eintragung in das verpflichtende Lobbyregister öffentlich erklären sollen müsste, ob man die in der Verhaltensrichtlinie enthaltenen Grundregeln sowie die zugehörigen Überwachungs- und Sanktionierungsmechanismen für sich selbst annimmt oder nicht. 3. Der dritte Bestandteil eines Regelungsrahmens dürfte in gesetzlichen wie untergesetzlichen Verwaltungsvorschriften bestehen, mit denen der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung das Verhältnis beider Organe zu Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter normieren. Neben den bereits für Beamtinnen und Beamte sowie Ministerinnen und Minister existierenden Karenzregelungen gehören hierzu etwa Festlegungen zur Vergabe von Hausausweisen für die Liegenschaften des Bundestages, Vorgaben zur Mitarbeit Externer in Bundesbehörden und zur externen Erstellung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen sowie Vorschriften zur Offenlegung bezahlter Nebentätigkeiten, die immer wieder als verbesserungswürdig dargestellt werden. Die durch einen derartigen Regelungsrahmen erzielbare Transparenz im Miteinander von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft könnte nicht nur mögliche Interessenkonflikte aufzeigen und ihnen entgegenwirken, sondern zugleich das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Zustandekommen von Politik stärken. Gleichzeitig ließen sich hierüber Detaildiskussionen um die Abgrenzung zwischen legitimen wie illegitimen Formen der Interessenvertretung ersetzen, denn Versuche der politischen Einflussnahme könnten so lange als legitim betrachtet werden, wie sie mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit vereinbar sind. Das Spannungsverhältnis zwischen Interessen und ihren vielfältigen Abwägungs- und Vermittlungsprozessen bei politischen Entscheidungen wird sich in
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einem demokratischen Staatswesen nie vollständig auflösen lassen. Es gehört ganz wesentlich zu einer modernen Gesellschaft wie die dynamische Vielfalt der in ihr existierenden Interessen unterschiedlichster Art. Dies macht jedoch die Diskussion um die Legitimität dieser Interessen und die Art des Miteinanders zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht obsolet, gerade angesichts des mehrheitlich fehlenden Vertrauens in diesen Prozess. Auch muss das bestehende Transparenzdefizit dieses Miteinanders nicht weiter hingenommen werden. Vielmehr kann ein einheitlicher, möglichst einfach konzipierter Handlungsrahmen aus gesetzlichen wie untergesetzlichen Maßnahmen die Transparenz dieses Miteinanders auf effektive Weise erhöhen, ohne dabei der Illusion zu erliegen, den Einfluss von Lobbyismus regulieren oder illegitime Einflussnahme gar unterbinden zu wollen. Trotz zahlreicher Forderungen nach einer verbesserten Transparenz in der Interessenvertretung tritt die Debatte derzeit auf der Stelle – nicht zuletzt deshalb, weil sich die Regierungsfraktionen auf Bundesebene, wie schon in den zurückliegenden Wahlperioden, nicht auf entsprechende Regelungen einigen können. Bislang spielt ein einheitlicher Regelungsrahmen aus unterschiedlichen Maßnahmen in der öffentlichen Debatte ebenfalls keine Rolle. Weitere Forschungsanstrengungen wären wünschenswert, um einen solchen Regelungsrahmen weiter zu konkretisieren, nach Möglichkeit auch anhand eines Vergleichs bereits existierender Transparenzvorschriften in unterschiedlichen Ländern und ihrer Wirkungen.
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Reuß, Anna. 2019. Machtkontrolle: Liste der geheimen Zutaten. Süddeutsche Zeitung 20. März 2019. https://www.sueddeutsche.de/politik/machtkontrolle-liste-der-geheimen-zutaten-1.4375968. Zugegriffen 10. April 2020. Ronit, Karsten, and Volker Schneider. 1998. The Strange Case of Regulating Lobbying in Germany. Parliamentary Affairs 51 (4): 559–567. Schmedes, Hans-Jörg. 2009. Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag. Zeitschrift für Parlamentsfragen 40(3): 543–560. Schmedes, Hans-Jörg, und Heiko Kretschmer. 2014. Interessen, Transparenz und Vertrauen – und die Legitimität von Politik. Zur Notwendigkeit eines Regelungsrahmens für das Miteinander von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, in: Interessengruppen und Parlamente, Hrsg. Julia von Blumenthal und Thomas von Winter, 311–333. Wiesbaden: Springer VS. Schmitter, Philippe C., and Gerhard Lehmbruch. Eds. 1979. Trends Towards Corporatist Intermediation. Beverly Hills: Sage. Schneider, Volker. 1986. Tauschnetzwerke in der Politikentwicklung. Chemikalienkontrolle in der OECD, EG und der Bundesrepublik Deutschland. Journal für Sozialforschung 26 (4): 383–416. Schneider, Volker. 1988. Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle. Eine Analyse einer transnationalen Politikentwicklung. Berlin/ New York: de Gruyter. Schneider, Volker. 2000. Organisationsstaat und Verhandlungsdemokratie. In: Gesellschaftliche Komplexität und kollektive Handlungsfreiheit, Hrsg. Raimund Werle und Uwe Schimank, 243–269. Frankfurt: Campus. Schneider, Volker. 2004. Großfirmen in Politiknetzwerken. Zum Bedeutungsgewinn des „Corporate Lobbying“ im Kontext von Europäisierung und Internationalisierung. In: Interdisziplinäre Sozialforschung. Theorie und empirische Anwendungen, Hrsg. Christian H. C. A. Henning und Christian Melbeck, 225–244. Frankfurt: Campus. Schneider, Volker, und Philip Leifeld. 2009. Überzeugungssysteme, Diskursnetzwerke und politische Kommunikation: Ein zweiter Blick auf die deutsche Chemikalienkontrolle der 1980er Jahre. In: Politiknetzwerke. Modelle, Anwendungen und Visualisierungen, Hrsg. Volker Schneider, Frank Janning, Philip Leifeld und Thomas Malang, 139–158. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Teil III Policy-Prozesse, Politikfelder und Politiksektoren
Unbeantwortete Fragen im Advocacy Coalition Framework Karin Ingold
Glaubenssysteme beeinflussen Kollaboration? Das Advocacy Coalition Framework, entwickelt von Sabatier und Jenkins-Smith (1993), basiert auf der Annahme, dass Akteure, involviert in die Gestaltung von öffentlichen Politiken, sich gemeinsam koordinieren, weil sie ähnlich denken oder an das gleiche glauben. Es gibt unzählige Anwendungen des ACF, welche diese Annahme bestätigen: ein Grund, warum sich Akteure koordinieren, miteinander in Interaktionen geraten, ist, weil sie die gleiche Weltanschauung haben, ein gesellschaftliches Problem ähnlich oder gleich lösen möchten (siehe zum Beispiel Fischer und Ingold 2014; Gronow et al. 2020). Aber es gibt mindestens so viele Studien, die andere Treiber für Koordination oder Kollaboration zwischen Akteuren identifizieren (siehe Leifeld und Schneider 2012, Calanni et al. 2015). Die Literatur, welche sich für Sozialkapital in Gemeinschaften und Gesellschaften interessiert, kommt zum Schluss, dass Akteure basierend auf gegenseitigem Vertrauen beginnen, Kooperation zu etablieren und dann über die Zeit auch zu festigen (Berardo und Scholz 2010). Ein anderer Faktor, der nicht nur langfristige, sondern auch kurzfristige oder situationsbezogene Interaktionen hervorbringen kann, ist die Partizipation in gemeinsamen Foren (Fischer und Leifeld 2015). Diese Idee ist gerade in der Netzwerkliteratur relativ alt: dass gemeinsame Anlässe die Leute dazu bringen, auch sonst in Interaktion zu treten (Padgett und Ansell 1993). Obwohl die Teilnahme am gleichen Anlass noch lange nicht heißen muss, dass man an diesem Anlass direkt interagiert hat oder sich gar kennt, haben Studien gezeigt, dass die gemeinsame Partizipation auch andere Interaktionen bei der Gestaltung und Umsetzung von öffentlichen Politiken oder bei der Lösung von kollektiven Problemen nach sich ziehen können (Lubell 2013; Herzog und Ingold 2020). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_11
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Solche Anlässe oder Foren können angesehen werden wie formale oder auch informelle Institutionen. Die Literatur, welche sich institutionellen Faktoren, also Regeln und Normen, widmet, schließt aber auch strikte Regeln ein, so wie Gesetze oder Verordnungen, welche Interaktionen beeinflussen können. Es gibt durchaus Passagen in Gesetztestexten, in denen ziemlich genau steht, in welcher spezifischen Situation welcher Akteur mit welchem anderen Akteur in Interaktion geraten sollte. Es gibt mit wenigen Ausnahmen (siehe Olivier 2019) aber relativ wenig Forschung darüber, ob vorgeschriebene Interaktionen auch tatsächlich beobachtet werden können in der Realität. Ähnlich wie mit Institutionen, verstanden als Regeln, verhält es sich auch mit Macht: Macht kann auch angesehen werden als Treiber für Interaktion. Oder Macht ist selbst eine Form von Interaktion, wenn zum Beispiel Akteure sich gegenseitig Macht zusprechen (Ingold und Leifeld 2016). Doch wenn man nun versucht, Macht von Interaktion zu trennen, gibt es Evidenz dafür, dass als mächtig angesehene Akteure durchaus interessante Kollaborationspartner in einem Politikprozess sind (Ingold und Fischer 2014, Fischer und Sciarini 2015, Calanni et al. 2015). Verschiedene Studien haben also die wahrgenommene Macht von Akteuren angeschaut. Oder anders gesagt: wird jemand als machtvoll und einflussreich angesehen, hat er oder sie auch eine größere Chance, ein interessanter Kollaborationspartner oder eine interessante Kollaborationspartnerin zu werden. Aber nicht nur der Ruf, mächtig zu sein, ist ausschlaggebend. Auch formale Macht, also ob jemand Entscheidungskompetenz hat, ob jemand die Hoheit über ein Dossier hat oder federführend ist in einem Prozess, kann ausschlaggebend sein für seine oder ihre relationale Einbettung in einem Policy Netzwerk (Ingold und Leifeld 2016). Alles in Allem kann gesagt werden: ja, gemeinsame Glaubenssysteme können eine wichtige Grundlage sein, damit sich zwei oder mehrere Akteure auch in gemeinsamen Aktionen und Interaktionen engagieren, müssen aber nicht. Generell scheint der heutige Wissensstand zu sein, dass in Konflikt beladenen Prozessen Ideologien und Glaubenssysteme durchaus eine entscheidende Rolle spielen: Akteure, welche dieselben Präferenzen und Überzeugungen haben, haben auch eher die Tendenz, miteinander zu kollaborieren. In konsensgetriebenen Prozessen hingegen scheint Macht der wichtigere Treiber für Interaktion zu sein. Weshalb? Das ist eine spannende Frage: Oft, aber nicht immer, ist dies nicht unabhängig von dem Niveau, auf welchem sich der Prozess abspielt. Auf lokaler oder regionaler Ebene sind Akteure oft eher vom Problem gleichermaßen betroffen. Es besteht also Konsens über das Problem und wie – oder zumindest dass – es gelöst werden muss. Deshalb spielen ideologische Diskrepanzen in einem solchen Setting nicht eine allzu entscheidende Rolle, währenddessen charismatische, einflussreiche Akteure das Interaktionsnetzwerk bedeutend mitgestalten können (Calanni et al. 2015). Anders ist es bei
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konfliktiven Prozessen, die sich eher auf nationaler Ebene abspielen. Dort gibt es keine gleichmäßige Betroffenheit vom Problem; im Gegenteil, die verschiedenen potenziellen Zielgruppen und Begünstigten einer Politik sehen sich bei der einen Policy als Gewinner, bei der anderen als Verlierer. Das spaltet das Netzwerk in eine oder mehrere ideologische Koalition(en) (Ingold 2011; Henry 2011).
Bis anhin offene Fragen klären Mindestens drei offene Fragen habe ich bis jetzt unerklärt gelassen. Um welche Form der Interaktion geht es eigentlich? Was ist ein Policy Netzwerk? Was ist mit Akteuren gemeint, wer sind sie, wen schließen sie ein, und wen nicht? Bevor ich also auf neue Forschungsideen komme, wie diese ganze Frage rund um Koalitionen, ihre Interaktionen und vor allem der Grund für ihre Interaktionen neu gestellt werden könnte, versuche ich hier drei Elemente zu definieren oder wenigstens etwas klarer auszuformulieren. Wenn es um die Art von Interaktionen geht, dann ist die Netzwerkliteratur um Einiges präziser als die Policy-Literatur. In der Netzwerkanalyse unterscheidet man zwischen gerichteten und ungerichteten Verbindungen, zwischen direkten und indirekten Relationen zwischen den gleichen aber auch unterschiedlichen Knoten in einem Netzwerk usw. (siehe Wassermann und Faust 1994; Borgatti et al. 2013). Es wäre wohl nicht zielführend, all die verschiedenen Arten von Kanten in einem Netzwerk hier darzustellen. Viel eher interessiert es hier, welche Art von Interaktion im politischen Entscheidungsprozess relevant sein könnte. Auch da gibt es eine Vielzahl, wie zum Beispiel Informationsaustausch, Austausch von Ressourcen, Kollaboration, Kooperation oder Koordination usw. Gerade die drei letzten hier erwähnten werden im Zusammenhang der Politikformulierung oder -implementierung und auch im Zusammenhang mit Koalitionen sehr oft erwähnt. Diese verschiedenen Formen von Interaktion können sehr ähnlich sein: Koordination, Kooperation oder Zusammenarbeit/Kollaboration, aber sie müssen es nicht. Die Literatur rund um das von Ostrom entwickelten IAD oder auch dem SES Framework fokussiert sich eher auf Kooperation als interessante Interaktion des Problemlösens (Ostrom 1990; 2005), währenddessen sich viele Policy-Studien eher auf Koordination oder Zusammenarbeit stützen, um der eher strategischen Interaktion im politischen Entscheidungsprozess Aufmerksamkeit zu schenken (Kingdon 1984; Sabatier und Jenkins-Smith 1993; Baumgartner und Jones 2010). In den hier ausgeführten Gedanken werde ich keinen großen Unterschied zwischen diesen verschiedenen Typen von Interaktionen machen, bin mir aber bewusst, dass
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sie durchaus ähnliche oder ziemlich unterschiedliche Formen der gemeinsamen Aktion bedeuten können. Was ist ein Policy Netzwerk? Ich mache hier gerne den Unterschied zwischen politischem und Policy-Netzwerk. Ein politisches Netzwerk kann unterschiedliche Disziplinen der politischen Wissenschaft interessieren. Ein solches Netzwerk kann sowohl Handlungsbeziehungen oder Verträge zwischen Staaten beinhalten, Konfliktlösungsnetzwerke zwischen Akteuren involviert in einen Bürgerkrieg oder das Kommunikationsnetzwerk von politisch interessierten Jugendlichen. Ein Policy-Netzwerk ist Teil der politischen Netzwerkliteratur, also eine Form eines politischen Netzwerkes (Schneider 1993). Ein Policy-Netzwerk ist demnach etwas Spezifischeres (Kenis und Schneider 1991): Es schließt alle Akteure ein, welche auf irgendeine Art involviert sind, ein gesellschaftliches Problem, das es auf die politische Agenda geschafft hat, anhand einer Policy zu lösen. Eine Policy ist also eine öffentliche Politik (Knill und Tosun 2012). Und die Akteure sind involviert in den Entscheidungs- oder Umsetzungsprozess dieser Policy: weil sie Entscheidungsträger sind, weil sie vom Problem betroffen sind, die Lösung umsetzen müssen, ihr Verhalten anhand der Policy ändern müssen usw. Normalerweise schließt ein Policy-Netzwerk kollektive Akteure und nicht Individuen ein. Um eine öffentliche Politik, also ein Gesetz oder eine Verordnung, zu beeinflussen, braucht es Ressourcen und einen Organisationsgrad, welchen Individuen oft nicht aufweisen (Kenis und Schneider 1991; Knoke 1994). Aber es ist wahr, dass natürlich Individuen diese Organisationen ausmachen. Und gerade wenn man das Konzept der Glaubenssysteme operationalisieren möchte, bewegt man sich als Forschende(r) in einer Grauzone zwischen dem, was eine Person als Individuum oder als Vertreter(in) einer ganzen Organisation zu glauben vermag. Oder anders gesagt und gefragt: Wie einheitlich sind die Glaubenssysteme innerhalb eines kollektiven Akteurs? Dies bringt mich zu drei Grundsatzfragen oder neuen Ansätzen, welche getestet werden könnten oder sollten.
Grundsatzfragen und neue Ansätze Die erste Frage, die zu stellen ist beziehungsweise endlich empirisch zu erörtern ist: Auf welcher Ebene erfasst man Glaubenssysteme von Akteuren? Reicht es, der potenziellen Komplexität von Glaubenssystemen Rechnung zu tragen, wenn man einen Repräsentanten oder eine Repräsentantin pro kollektivem Akteur befragt? Wie kommen Glaubenssysteme in einer Organisation zustande und auf welcher
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Ebene – bei tiefen Ideologien oder bei materiellen Handlungen – stimmen die Glaubenssysteme innerhalb einer Organisation überein? Um diese Fragen akkurat beantworten zu können sollte eine Studie verschiedene Individuen pro Organisation zu ihren Glaubenssystemen befragen. Aber eigentlich vorgelagert ist die Frage: Warum interessieren uns Glaubenssysteme? Weil wir doch annehmen, dass sie entscheidend sind für das Gestalten einer öffentlichen Politik. Das mag aber auch so sein, wenn man alleine kämpft und sich nicht gemeinsam zusammenschließt. Oder anders gesagt: Ist es ein Standard in politischen Entscheidungsprozessen, sich mit Gleichgesinnten oder auch mit denen, welchen man vertraut, welche man als mächtig empfindet oder welche man aus Meetings kennt, zusammenzuarbeiten? Oder braucht es diese Zusammenarbeit in gewissen, aber nicht in anderen Situationen? Um diese Frage zu beantworten, sollte eine Netzwerkanalyse nicht nur zu einem, aber über mehrere Zeitpunkte im politischen Entscheidungsprozess durchgeführt werden. So kann gesehen werden, ob es stetige Einzelkämpfer(innen) gibt oder ob es Phasen im politischen Prozess gibt, in denen Koalitionsbildung mehr oder weniger Sinn macht. Denn man weiß, dass Koalitionen nicht immer aktiv und präsent sein müssen. Schließen möchte ich mit der noch kritischeren Frage, ob Koalitionszugehörigkeit wichtig ist oder gar nur ein Konstrukt der Policy Forschung. Um diese Frage zu beantworten, schlage ich vor, systematisch Policy-Akteure zu fragen, ob sie sich zugehörig zu einer Advocacy-Koalition fühlen und, wenn ja, zu welcher. Eine solche Frage mag vielleicht erst Sinn machen, wenn die Analyse eines politischen Subsystems abgeschlossen ist und man Akteure mit den Ergebnissen konfrontiert. „Erkennen Sie sich in der Koalitionsstruktur und dem Netzwerk wieder?“ Manche Forschenden mögen erstaunt sein ob der Reaktion von einigen Akteuren und ihrer Einschätzung unserer Einschätzung.
Literatur Baumgartner, Frank R. und Bryan D. Jones. 2010. Agendas and Instability in American Politics. Chicago, IL: University of Chicago Press. Berardo, Ramiro und John T. Scholz. 2010. Self-Organizing Policy Networks: Risk, Partner Selection, and Cooperation in Estuaries. American Journal of Political Science 54(3):632– 649. doi: 10.1111/j.1540-5907.2010.00451.x. Borgatti, Stephen P., Martin G. Everett und Jeffrey C. Johnson. 2013. Analyzing Social Networks. London: SAGE.
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Unbegrenztes Wachstum? Überlegungen zu den Ursachen und Folgen von Politikakkumulation Christoph Knill
Politikakkumulation und die demokratische Responsivitätsfalle Dass moderne Demokratien im Zeitalter von Globalisierung, Populismus und Autoritarismus vor fundamentalen Herausforderungen stehen, kann mittlerweile schon als Binsenweisheit gelten. Mit diesem Fokus auf „externe“ Bedrohungen der Demokratie wird jedoch eine weitere Gefahr übersehen, der sich Demokratien durch die jahrzehntelange Anhäufung politischer Maßnahmen selbst ausgesetzt haben. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Gesetzgeber jedes Jahr zusätzliche Maßnahmen erlässt, die unseren Alltag beeinflussen. Diese Entwicklung ist zunächst durchaus positiv zu bewerten. Demokratische Regierungen reagieren auf gesellschaftliche Anforderungen in der Regel mit der Verabschiedung neuer Policies. Weil es politisch jedoch ungleich schwieriger und weniger opportun ist, Etabliertes abzuschaffen als Neues einzuführen, wächst die Zahl von Policies im Zeitablauf beständig an. Politikakkumulation (Adam et al. 2019) und das beständige Wachstum rechtlicher Regeln (Jakobsen und Mortensen 2015) sind daher ein zentrales Merkmal moderner Demokratien. Andererseits ist die bloße Verabschiedung neuer Policies nichts anderes als symbolische Politik, solange diese Policies nicht auch die Probleme reduzieren, die sie lösen sollen. Die Wirksamkeit von Policies setzt – als Mindestanforderung – ausreichende Verwaltungskapazitäten für ihre Umsetzung voraus. Die Akkumulation von Politiken führt daher direkt zu einer Akkumulation von Umsetzungslasten. Zur Bewältigung steigender Belastungen sollte die Politikakkumulation daher – im Prinzip – mit einer parallelen Ausweitung der administrativen Ressourcen einhergehen. Solche Erweiterungen unterliegen jedoch in Zeiten globalisierter Finanzmärkte und Austeritätspolitik fiskalischen und ideologischen Restriktionen. In der Tat zeigen statistische Daten für den OECD-Raum, dass sich Politikakkumulation weder in © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_12
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einer Zunahme der Beschäftigung im öffentlichen Sektor niederschlägt (ILOSTAT 2018), noch mit einer sonstigen strukturellen oder organisatorischen Ausweitung bürokratischer Kapazitäten verbunden ist (Adam et al. 2017). Hieraus resultiert eine potenzielle Responsivitätsfalle (Adam et al. 2019): Je mehr Regierungen auf gesellschaftliche Anforderungen durch Politikakkumulation reagieren, desto größer ist die Gefahr eines „leeren Politikwachstums“, das aus einem zunehmenden Missverhältnis zwischen Umsetzungsaufwand und Umsetzungskapazitäten resultiert. Je größer dieses Missverhältnis wird, desto mehr stellt dies die Wirksamkeit von Policies und damit die Legitimation demokratischer Systeme insgesamt in Frage. Zwar ist Responsivität eine tragende Säule demokratischer Legitimität. Da diese Responsivität im politischen Alltag aber in der Regel zu Politikakkumulation führt, ist andererseits mit beachtlichen Nebenwirkungen für die Leistungsfähigkeit moderner Demokratien zu rechnen. Aktuell wissen wir freilich nicht genau, wie sehr sich Politikwachstum und vorhandene Kapazitäten für die Umsetzung dieser Politiken konkret entwickelt haben. Vor allem fehlt es an Konzepten, die es ermöglichen, diese Entwicklungen systematisch vergleichend zu erfassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass sich im Länder- und Sektorvergleich ein unterschiedlich exzessives Politikwachstum und damit eine potenziell unterschiedlich ausgeprägte Überlastung vorhandener Umsetzungskapazitäten beobachten lässt. Auf beide Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden.
Konzeptionelle Herausforderungen: Politikwandel und Implementation aus der Makroperspektive Die Policy-Forschung zeichnet sich generell durch eine dominante analytische Fokussierung auf die Veränderung einzelner Policies in bestimmten Ländern oder Sektoren aus (Howlett und Cashore 2009). Die Frage, wie sich solche Veränderungen auf das Gesamtbild aller in einem bestimmten Sektor relevanten Policies auswirken, bleibt weitgehend unbeachtet, sieht man von Ansätzen ab, welche die Staatsausgaben bzw. Budgetentwicklung in einzelnen Sektoren in den Blick nehmen. Letztere erlauben jedoch keinerlei Aussagen über die Veränderung der Anzahl von Policies und die von diesen Policies ausgehenden Implementationslasten. Gleiches gilt für die Implementationsforschung. Auch wird typischerweise die Umsetzung einzelner, ausgewählter Policies untersucht. Es mangelt jedoch an einer Aggregatperspektive, welche die sektorale Prävalenz von Implementationsdefiziten in den Blick nimmt (Adam und Knill 2018).
Unbegrenztes Wachstum?
Abb. 1
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Politikakkumulation für ausgewählte Politikbereiche in 15 westeuropäischen Staaten1 (Quelle: Knill et al. 2019)
Das Konzept der Politikakkumulation bietet eine Möglichkeit, das Wachstum von Policy-Outputs im Zeitablauf systematisch zu erfassen. Wenngleich die Begrenzung und der Abbau staatlicher Aktivitäten mittlerweile zu einem festen Bestandteil liberaler, konservativer und populistischer Rhetorik geworden sind, hinterlässt diese Rhetorik nur bedingt Spuren in der Realität demokratischen Regierens. Betrachtet man den legislativen Output in entwickelten Demokratien wie etwa der Bundesrepublik, zeigt sich ein kontinuierliches Wachstum, ungeachtet wie auch immer artikulierter politischer Bemühungen um Restriktion. So ist bereits seit den 1970er Jahren bekannt, dass es politischen Entscheidungsträgern kaum gelingt, Gesetze und politische Programme wieder abzuschaffen, nachdem diese erst einmal ins Leben gerufen worden sind (Bardach 1976; Bauer et al. 2012). Stattdessen besteht das Gros legislativer Tätigkeit aus der Verabschiedung neuer Gesetze sowie aus der Änderung bestehender Gesetze; letzteres häufig im Sinne einer Differenzie1
Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Spanien, Schweiz, Vereinigtes Königreich.
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rung der Anforderungen und des Geltungsbereichs des ursprünglichen Gesetzes (Rosanvallon 2016). Dieser Sachverhalt wurde aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert und mit verschiedenen Begriffen umschrieben. Doch egal, ob man diese Entwicklung als eine Ausweitung von Policy-Portfolios, als ein ausgeprägtes Regelwachstum (Adam et al. 2017; Kaufmann und van Witteloostuijn 2016) oder als sich steigernde Policy-Dichte (policy density) (Knill et al. 2012), oder etwa als Policy-Layering (Thelen 2004) beschreibt, erscheint das grundsätzliche Phänomen für uns alle intuitiv fassbar zu sein. Politikakkumulation ist insofern das Ergebnis eines kontinuierlichen Hinzufügens neuer politischer Elemente zu den bestehenden Politikportfolios ohne die kompensatorische Reduzierung bereits vorhandener politischer Elemente (Adam et al. 2019). Grundsätzlich liegt somit die Vermutung nahe, dass sich im Zuge der Ausdehnung und Ausdifferenzierung von Policy-Portfolios die Implementationslasten, die mit diesen Portfolios verbunden sind, tendenziell vergrößert haben. Im Gegensatz zum Bereich der Ministerialbürokratie, wo Gesetze erst einmal vom Tisch sind, sobald diese verabschiedet wurden, akkumulieren die damit verbundenen Implementationslasten bei denjenigen Verwaltungseinheiten, die für die regelmäßige Anwendung, Umsetzung, Überwachung und Kontrolle der Regelungen zuständig sind. Die bisherige – einzelfallorientierte – Implementationsforschung ist jedoch nicht darauf ausgerichtet, die durch Politikakkumulation potenziell induzierte Zunahme der Prävalenz von Implementationsdefiziten systematisch zu erfassen. Vielmehr bedarf es hierzu einer grundlegenden Neuausrichtung der Implementationsforschung auf die epidemiologische Betrachtung von Implementationsdefiziten. Mit Hilfe einer solchen epidemiologischen Perspektive wird sichtbar, ob und inwiefern sich – jenseits von konkreten Einzelfällen – mit dem Aufgabenwachstum der Baubehörden der Länder und Kommunen eine systematische Ausweitung von Implementationsproblemen einstellt oder nicht. Einzelfallorientierte Implementationsstudien sind dafür nicht ausgerichtet (Adam und Knill 2018).
Politikakkumulation: Erklärung von Varianz Während grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Responsivität ein zentrales Element demokratischen Regierens darstellt, so kann der Grad der Responsivität durchaus mit bestimmten Merkmalen unterschiedlicher Systeme variieren. Mit anderen Worten: Nicht alle demokratischen Systeme sind möglicherweise in
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gleichem Maße responsiv und damit in gleichem Maße anfällig für ausgeprägtes Politikwachstum.
Vertikale Integration des Policy-Prozesses Ein zentraler Faktor, der sich potenziell auf das Wachstum der Politikproduktion auswirken kann, ist der Grad der vertikalen Integration zwischen den jeweiligen Verwaltungseinheiten, die jeweils für die Formulierung und Implementation von Policies zuständig sind. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass diese beiden Arten von Bürokratie durch unterschiedliche Handlungslogiken geprägt sind. So ist die Ministerialbürokratie in erster Linie für die Ausarbeitung neuer Politiken als Reaktion auf politische oder gesellschaftliche Forderungen verantwortlich. Sobald eine entsprechende Policy verabschiedet ist, kann sich die Ministerialbürokratie neuen Aufgaben zuwenden und sich ungehemmt der Produktion weiterer Policies widmen. Im Gegensatz dazu stapeln sich diese Policies bei denjenigen Verwaltungen, die für deren Umsetzung zuständig sind, als Daueraufgabe. Was ein einmaliger Akt im Produktionsprozess ist, akkumuliert sich daher auf der Implementationsebene und trägt zum kontinuierlichen Wachstum der Implementationslast bei. Solange es keine institutionalisierten Rückkopplungs- und Austauschmechanismen zwischen Politikproduzenten und Umsetzern gibt, können wir mit einer immer größer werdenden Kluft zwischen den sich anhäufenden Umsetzungsbelastungen und den Umsetzungs- und Durchsetzungskapazitäten rechnen, da die Politikproduzenten die Kapazitätsbeschränkungen auf der „Street-Level-Ebene“ nicht ausreichend berücksichtigen. Im Vergleich zu einer Konstellation, in der bürokratische Entscheidungsträger und politische Entscheidungsträger in völliger Isolation voneinander arbeiten, sollte die Akkumulation von Politiken in Konstellationen, in denen es wirksame Mechanismen und verfügbare Ressourcen gibt, um den Informationsaustausch und die Koordination über verschiedene bürokratische Ebenen und Gremien hinweg zu gewährleisten, viel begrenzter sein. Je ausgeprägter die vertikale Integration des Policy-Prozesses, desto geringer sollte das Politikwachstum in einem Land oder Politiksektor ausgeprägt sein. Vertikale Integration manifestiert sich entlang zweier analytischer Dimensionen (Knill et al. 2020). Die erste Dimension (politische Integration) bezieht sich dabei auf die Frage, wie sehr das Policy-Wissen, Erfahrungen und Evaluationen, welche die Implementationsebene mit bestehenden Policies gemacht hat, koordiniert und systematisch bei der Formulierung neuer Policies berücksichtigt werden. Je ausgeprägter die Einbeziehung der Implementationsebene bei der Politikformulierung ist, desto besser ist potenziell das Design und damit die Wirksamkeit einer Policy. Gleichzeitig reduziert eine höhere Effektivität die Wahrscheinlichkeit für konstant
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erforderliche Ergänzungen ineffektiver Policies durch weitere Maßnahmen und damit exzessiver Politikakkumulation (Peters et al. 2018). Die zweite Dimension (administrative Integration) betrifft hingegen den Grad der rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Verantwortung der Politikformulierungsebene für die Umsetzung der jeweiligen Policies. Wie sehr müssen diejenigen Behörden, welche bestimmte Policies ausarbeiten, auch für deren effektive Umsetzung „geradestehen“? Es liegt auf der Hand, dass mit steigender administrativer Integration die Anreize zur konstanten Neuproduktion von Policies erheblich beschränkt werden. Knill et al. (2020) entwickeln auf dieser Basis einen Vertical Policy Process Index (VPI), der sowohl im Länder- als auch Sektorvergleich auf erhebliche Unterschiede verweist, die sich in unterschiedlichen Akkumulationsmustern niederschlagen.
Parteipolitischer Wettbewerb Zweitens könnte die Akkumulation von Politiken durch die spezifischen politischen Präferenzen der Regierungen beeinflusst werden. In dieser Hinsicht beeinflusst die Parteiideologie nicht nur die Ausgestaltung von Policies, sondern auch wie viele Policies von einer Partei auf den Weg gebracht werden. Da die Sozialpolitik auf der Agenda linker Parteien einen höheren Stellenwert einnimmt (Jennings et al. 2005), sollten linke Regierungen in stärkerem Maße eine Politikakkumulation in der Sozialpolitik vorantreiben werden als konservative Regierungen. Ein ähnlicher Zusammenhang lässt sich für die Akkumulation im Bereich der Umweltpolitik und der Regierungsbeteiligung Grüner Parteien erwarten. Neben parteipolitischer Ideologie könnte auch der Grad des elektoralen Wettbewerbs, der ein politisches System charakterisiert, das Ausmaß der Politikakkumulation beeinflussen. Je eher eine Regierungspartei bei den nächsten Wahlen ihre Abwahl fürchten muss, umso ausgeprägter sollte ihre Responsivität gegenüber den vermuteten bzw. perzipierten Wählerpräferenzen sein. Anders formuliert: Je größer das „electoral risk“, definiert als „the expected probability that the plurality party in parliament loses its seats plurality in the next election“ (Kayser und Lindstädt 2015, S. 243), desto größer ist das Ausmaß politischer Responsivität und damit auch die generelle Wahrscheinlichkeit für Politikakkumulation. Dagegen ist es – im Gegensatz zu den bisherigen Darstellungen in der Literatur zum Politikwandel (Lijphart 1999) – fraglich, inwieweit sich institutionelle Restriktionen auf die langfristigen Muster der Politikakkumulation auswirken. Einerseits wird es für Regierungen mit geringen institutionellen Hürden leichter sein, neue Politiken einzuführen und damit die Politikakkumulation zu erleichtern. Andererseits wird es solchen Regierungen gleichzeitig auch leichter fallen, bestehende Politiken, die sie für unwirksam halten, zu beenden. In ähnlicher Weise könnten
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Regierungen mit hohen Einschränkungen in geringerem Maße akkumulieren, aber gleichzeitig weniger in der Lage sein, bestehende Politiken abzubauen.
Endogene Dynamiken der Politikakkumulation Drittens lässt sich vermuten, dass die Politikakkumulation aus endogenen Dynamiken oder Kaskadeneffekten entsteht („rules breed rules“ – March et al. 2000, S. 13). Auf der Grundlage der Literatur zur Organisationsökologie (Hannan und Freeman 1977) werden Legitimität und Wettbewerb als solche inhärenten Kräfte diskutiert. Es wird eine umgekehrte U-förmige Beziehung zwischen der Anzahl der vorhandenen politischen Elemente (Politikdichte) und der Rate der Politikakkumulation postuliert. Bis eine bestimmte Schwelle der Regeldichte erreicht ist, scheint das Politikwachstum ein sich selbst verstärkender Prozess zu sein. Die Existenz von mehr Politiken sollte jedoch auch Lernprozesse über und Wettbewerb zwischen verschiedenen Politiken auslösen. Diese Mechanismen werden daher das Politikwachstum tendenziell verlangsamen. Dies deutet darauf hin, dass die Politikakkumulation in den frühen Phasen der Entwicklung eines Politiksektors besonders stark ist. Nachdem ein bestimmter Reifegrad erreicht ist, sollten sich die Akkumulationsraten verlangsamen. Es impliziert auch, dass die Akkumulation von Land zu Land in Abhängigkeit von der Größe des nationalen Politikportfolios zu Beginn des Beobachtungszeitraums unterschiedlich stark ausgeprägt ist.
Schlussbetrachtung Im Kern der hier vorgestellten Überlegungen steht die Diagnose eines beständig wachsenden Policy-Bestandes in modernen Demokratien. Hieraus resultieren grundlegende Herausforderungen demokratischer Legitimation, wenn die Politikakkumulation nicht mit einer entsprechenden Ausweitung der Verwaltungskapazitäten für die Umsetzung dieser Policies einhergeht. Dieser zunehmenden Entkopplung von Policy-Outputs und Implementationskapazitäten könnte vor allem durch eine verbesserte vertikale Integration des Policy-Prozesses entgegengewirkt werden. Andere Faktoren, welche potenziell Prozesse der Politikakkumulation antreiben (insbesondere parteipolitischer Wettbewerb und endogene Wachstumsdynamiken) scheinen demgegenüber in geringerem Maße durch gezielte Steuerungsaktivitäten beeinflussbar.
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Input-Legitimität in der Infrastrukturpolitik Machbar, sinnvoll, wünschenswert? Simon Fink
Infrastrukturpolitik war lange eine Domäne korporatistischer Planung. Straßen, Stromleitungen und Bahnhöfe wurden vor allem von der Exekutive geplant, zumeist in enger Kooperation mit wenigen privilegierten und ressourcenstarken Stakeholdern, z. B. Energie- und Transportunternehmen, die sich oft auch noch (teilweise) im Staatsbesitz befanden. Mit anderen Worten: Infrastruktur war eine klassische Domäne des Staates (Schneider und Tenbücken 2004). Mit der Privatisierung und Liberalisierung vieler Infrastruktursektoren wandelte sich die Governance von Infrastrukturen hin zu einer Logik der Politiknetzwerke. Der Kreis der Stakeholder wurde etwas erweitert, Privatunternehmen als Erbringer von Infrastrukturleistungen – oftmals die privaten Nachfolger ehemaliger Staatsunternehmen (Schneider et al. 2005; Schneider und Häge 2008) – kamen hinzu und wurden in die Planung der Infrastrukturen mit einbezogen. Unabhängige Regulierungsbehörden wurden gegründet, um das Funktionieren der neu geschaffenen Märkte sicherzustellen (Ruffing 2014; Fink und Koch 2016). Die Legitimierung von Infrastrukturpolitik geschah aber weiterhin vor allem über die fachliche Angemessenheit der Policies (Output-Legitimation). Dann kam Stuttgart 21 und legte die Schwächen dieser Art des Policymaking offen. Bürgerproteste drohten, ein zentrales Infrastrukturprojekt zu verzögern oder sogar ganz zu verhindern. Ähnliche Proteste finden sich mittlerweile bei fast allen Versuchen, neue Infrastruktur zu bauen. Häufig gibt es Proteste von BürgerInnen gegen Infrastrukturprojekte, seien es Straßen, Bahnhöfe, Stromtrassen oder Flughäfen. Die Politik hat darauf reagiert, indem sie Instrumente der Bürgerbeteiligung eingeführt hat. Konsultationen, Antragskonferenzen und runde Tische gehören mittlerweile zum Standard-Instrumentarium der Governance von Infrastrukturen. Die Hoffnung ist, dass sich durch die Bürgerbeteiligung die Input-Legitimität von Infrastrukturprojekten steigern lässt. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_13
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Die Frage ist nur: Was bringen diese Formen der Bürgerbeteiligung? Diese Frage ist bisher vor allem aus der Perspektive der Einstellungsforschung beforscht worden: Viele Studien untersuchen, wie und ob die BürgerInnen durch diese Beteiligungsformate ihre Einstellung zu Infrastrukturprojekten ändern. Diese Frage ist bisher aber kaum aus der Sicht der Policy- und Governance-Forschung untersucht worden. Dabei haben wir hier einen instruktiven Testfall, der auch im historischen Längsschnitt viel über die Bedingungen und Formen erfolgreicher Governance lehren kann. Schließlich haben wir ein Politikfeld, in dem lange Zeit korporatistische Steuerung stattfand, die dann durch weiter gefasste Politiknetzwerke ersetzt wurde, die wiederum in jüngster Zeit durch Bürgerbeteiligung ergänzt wurden. Was für Auswirkungen haben diese Änderungen der Steuerungsmodi? Im Folgenden sollen einige Forschungsfragen und Forschungsdesigns skizziert werden, die ein solches Forschungsprogramm mit Leben erfüllen. Die erste Forschungsfrage ist ganz einfach eine der empirischen Deskription im Längsschnitt: Wie hat sich die Planung von Infrastrukturen in Deutschland über die Jahre und die Sektoren hinweg verändert? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gab es, welche Akteure mit welchen Interessen waren beteiligt? Die Ausgangsthese ist zwar weiterhin die einer schrittweisen Entwicklung von korporatistischer Planung über Politiknetzwerke hin zur Hinzufügung von Bürgerbeteiligung. Vermutlich war diese Entwicklung über verschiedene Sektoren hinweg aber höchst ungleichmäßig. In einem weiteren Schritt könnte man diese Frage auch ländervergleichend bearbeiten. Die Frage wäre immer: Wie wurden im Jahr 1980 Verkehrswege oder Stromtrassen geplant? Wie im Jahr 1990? Wie im Jahr 2000? In einem voll entwickelten Forschungsdesign hätte man somit drei Dimensionen des Vergleichs der Governance: Über Länder hinweg, über Sektoren hinweg, und über die Zeit hinweg. Die empirische Variation die sich vermutlich ergibt, bildet die unabhängige Variable für die zweite Forschungsfrage. Die zweite Forschungsfrage ist die Frage: So what? Ändert sich an den Politik-Outcomes der Infrastrukturplanung etwas dadurch, dass sich am Steuerungsmodus etwas ändert? Politik-Outcomes sind in diesem Design mehrere denkbar: Welche Standorte werden für Infrastruktur gewählt? Wie wird die Trassenführung bei Verkehrswegen oder Stromtrassen gewählt? Welche Kosten verursachen die Projekte? Bleiben die Projekte im vorher veranschlagten Kostenrahmen? Welche Sorte von Projekten wird bevorzugt (z. B. Verkehrswegetyp oder Energieträger)? Wie ist die Dauer der Planung von den ersten Vorschlägen bis zum fertigen Flughafen, Bahnhof, Kraftwerk? All diese Outcomes sind von großem politikwissenschaftlichen, aber auch steuerungspraktischen Interesse. Grob lassen sich zwei untersuchungsleitende Hypothesen bilden: H0 ist die Hypothese der technischen Determination. Sie besagt, dass Infrastrukturplanung
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sich nach technischen, physikalischen, geographischen, kurz: naturwissenschaftlich relativ genau feststellbaren Kriterien richtet. Dieser Hypothese zufolge würde es beispielsweise für einen Flughafen- oder Straßenbau keinen großen Unterschied machen, ob die Planung korporatistisch oder in einem Politiknetzwerk stattfindet, ob BürgerInnen beteiligt werden oder nicht. Die einzige Variable, die hier wirklich Variation in das Design einbringt, ist die technische Entwicklung, wenn beispielsweise Fortschritte in der Telekommunikationstechnik es erlauben, mehr Daten über Glasfaserkabel zu übermitteln und daher weniger Kabelstränge benötigt werden; oder wenn Digitalisierung des Bahnverkehrs es erlaubt, Schienenstränge effizienter auszunutzen und daher keine neuen Strecken gebaut werden müssen. Die politikwissenschaftlich interessantere Hypothese ist dagegen H1 mit ihren Unterhypothesen: Institutions matter. Diesen Hypothesen zufolge müssten wir Unterschiede in den oben genannten Outcomes finden, je nach dem, unter welcher Governance-Form Infrastruktur geplant wird. Denkbar sind beispielsweise folgende grobe Vermutungen: Wir könnten einen trade-off zwischen Größe des Teilnehmerkreises und den Kosten für Infrastrukturprojekte finden. Je mehr Akteure in die Planung einbezogen werden – in der Reihung korporatistische Planung – Politiknetzwerke – Bürgerbeteiligung –, desto mehr Sonderinteressen müssen berücksichtigt werden. Oft wird diese Berücksichtigung von weiteren Interessen den Bau von Infrastrukturen verteuern, z. B. durch Erdkabel oder Lärmschutzwände. Ein sinnvolles Unterprojekt könnte daher fragen: Werden Infrastrukturen teurer, je mehr Akteure in die Planung einbezogen werden? Die selbe Logik könnte für die Beziehung zwischen Steuerungsmodus und Dauer des Baus von Infrastruktur gelten. Je mehr Akteure einbezogen werden, desto länger dauert die Planung. Alternativ könnte aber auch die Logik gelten, dass die frühzeitige Einbeziehung möglichst vieler Stakeholder den Bau beschleunigt, da dadurch Proteste befriedet werden und der eigentliche Bau zügiger vonstattengehen kann. Eine vollkommen offene Frage ist die Beziehung zwischen Steuerungsmodus und dem Innovationsgrad der Infrastruktur. Eine gängige These ist die Vermutung, dass BürgerInnen konservativ sind und innovative Infrastruktur als bedrohlich empfinden (man denke an Magnetschwebebahnen, neuartige Kraftwerke etc.). Die Gegenthese ist, dass gerade durch die Verbreiterung des Teilnehmerkreises neue Ideen in die Planung einfließen können, und gerade um Proteste von BürgerInnen zu vermeiden innovative Lösungen gefunden werden müssen. Eine Gretchenfrage der Infrastrukturpolitik ist natürlich die Standortfrage. Hier ist die offenkundige Frage: Ändert sich an Standortentscheidungen etwas dadurch, dass sich der Teilnehmerkreis der Planung verändert? Eine NIMBY-These würde vermuten, dass Infrastrukturen systematisch dorthin gebaut werden, wo es nur
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wenige konfliktfähige BürgerInnen gibt, die sich dagegen wehren können. Dieses Ergebnis wäre natürlich normativ hoch problematisch. Mit der normativen Frage ist auch bereits die dritte Frage eines solchen Projektes angeschnitten: Die normative Bewertung der Veränderung des Steuerungsmodus. Hier müsste das Projekt auf grundlegende Standards der politischen Theorie zurückgreifen, um bewerten zu können, ob mehr Bürgerbeteiligung – oder allgemein eine Verbreiterung des Kreises der an der Planung Beteiligten – normativ immer wünschbar ist. Die Antwort auf diese Frage kann natürlich eng an die empirischen Ergebnisse rückgebunden werden, die die zweite Forschungsfrage zu erbringen verspricht: Macht die Veränderung der Steuerungs-Institutionen einen Unterschied für die Outcomes? In diesem Zusammenhang wäre auch zu fragen, wie sich die neuen Steuerungsformen für Infrastrukturplanung mit den etablierten Institutionen der repräsentativen Demokratie vereinbaren lassen. Haben wir es mit einem komplementären Verhältnis zu tun oder eher mit einer Konkurrenz verschiedener legitimatorischer Arenen (Fink und Ruffing 2019)? Wie ist das Verhältnis von Input- zu Output-Legitimität? Macht eine partizipatorische Planung die Infrastrukturprojekte besser? In der Summe liegt in der Beforschung von Infrastrukturpolitik ein interessantes Feld an der Schnittstelle von Technikpolitik und Demokratietheorie, das empirisch und theoretisch viel Stoff bietet und auch normativ und politikpraktisch von großer Bedeutung ist.
Literatur Fink, Simon und Felix J. Koch. 2016. Agiert die Bundesnetzagentur beim Netzausbau als Agent oder als Treuhänder? dms – der moderne staat 9(2):277–288. doi: 10.3224/dms.v9i2.26346. Fink, Simon und Eva Ruffing. 2019. Legitimation durch Kopplung legitimatorischer Arenen. In Legitimität in unsicheren Zeiten. Der demokratische Verfassungsstaat in der Krise?, Hrsg. Alexander Thiele, 193–219. Tübingen: Mohr Siebeck. Ruffing, Eva. 2014. How to Become an Independent Agency: The Creation of the German Federal Network Agency. German Politics 23(1–2):43–58. doi: 10.1080/09644008.2014.898268. Schneider, Volker, Simon Fink und Marc Tenbücken. 2005. Buying out the State: A Comparative Perspective on Privatization in Infrastructures. Comparative Political Studies 38(6):704–727. doi: 10.1177/0010414005274847. Schneider, Volker und Frank M. Häge. 2008. Europeanization and the Retreat of the State. Journal of European Public Policy 15(1):1–19. doi: 10.1080/13501760701702124. Schneider, Volker und Marc Tenbücken (Hrsg.). 2004: Der Staat auf dem Rückzug: Die Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen. Frankfurt am Main: Campus.
Muster und Erklärungen musikalischer Zensur in Deutschland Thomas Malang
Einleitung „Volker hör die Signale“, dieser leicht abgewandelte Aufruf der Internationalen soll als Ausgangspunkt für diesen Festbeitrag dienen. Er macht erstens klar, dass die Signale in diesem Band ganz deutlich auf „weitermachen“ stehen. Zweitens deutet er schon das Sujet meines Beitrags an: Es soll auf den nächsten Seiten um die Politisierung von Musik gehen. Diese ist im vorliegenden Fall nicht immer automatisch politisch wie in der Internationalen als Kampflied der Arbeiterklasse. Vielmehr wird in meinem beschriebenen Untersuchungsfall – der Zensur und Indizierung von Musik – der Musik eventuell erst nach Veröffentlichung ein politischer Gehalt zugeschrieben, da sie von der politischen Elite als „nicht angebracht“ klassifiziert wird und deshalb nicht weiterverbreitet werden darf. Relevant ist politikwissenschaftliche Forschung zu diesem Thema auf jeden Fall. Einerseits zeigt eine Vielzahl aktueller Fälle, wie vor allem Neonazis Musik auf Tonträgern und Konzerten benutzen, um jugendliche Anhänger zu gewinnen. Hierbei entsteht oft die Frage nach einem Verbot bestimmter Inhalte und Veranstaltungen. Andererseits stellt sich die Frage, ob musikalische Indizierung1 in Deutschland einem politischen Muster folgt. Dies wäre dann bedenklich, wenn zunehmend extreme Parteien Regierungs- und Handlungseinfluss gewinnen. Während die Zensur der deutschen Presse (Kampmann 1995), des Theaters (Höfele 2003), von Literatur (Brohm 2003, Lorenz 2009) und Film (Arnheim 2002) etablierte Forschungsfelder sind, gibt es im deutschsprachigen Raum kaum Forschung – und schon gar keine analytische – zum Thema Musikzensur (Malang 2016). Das vorgeschlagene Projekt betritt also politikwissenschaftliches Neuland.
1 Ich benutze im Folgenden „Indizierung“ und „Zensur“ synonym. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_14
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Die Auswahl des Themas für diesen Band begründet sich durch eine Vielzahl von Gesprächen, die ich mit Volker über Popmusik geführt habe. Neben seinem unschätzbaren Einfluss auf mich in den naheliegenden Gebieten Wissenschaftstheorie, Netzwerkanalyse und Governanceforschung (Schneider 2015; 2017; 2012) sind es gerade die Gespräche über etwa Bob Dylan und Leonhard Cohen, an die ich mich gerne zurückerinnere. Noch heute rege ich mich zum Beispiel darüber auf, in meiner Verteidigung nicht schlagfertig genug gewesen zu sein, als Volker mich fragte, was ich denn von Dylans Karriere für meine Veröffentlichungsstrategie lernen könnte (ein großes Album und mehrere Hitsingles, also ein Buch und mehrere Artikel zu veröffentlichen, wäre wohl die richtige Antwort gewesen). Passend zum Titel dieses Bandes gibt Leonhard Cohen in seinem Lied „The Future“ eine relativistische Prognose: „Things are going to slide, slide in all directions, won’t be nothing you can measure anymore“: Im Gegensatz hierzu werde ich auf den Schultern von Volker und Mario Bunge ein quantitatives Design präsentieren, das fest im Rationalismus ankert: Ich schlage im Folgenden eine quantitative Messung und einen Test der politischen Einflussfaktoren für musikalische Zensur in Deutschland vor.
Zensurforschung und Popzensur in Deutschland Die auf den deutschsprachigen Raum bezogene Zensurforschung ist gut hundert Jahre alt, Literaturwissenschaft und Geschichtsforschung sind ihre Paten (Siemann 1995). Der Zensurbegriff selbst hat sich hierbei in den letzten 30 Jahren stark gewandelt. Basierend auf den Arbeiten von Bourdieu (1991) wird Zensur nicht mehr nur abschätzig als „Obstruktion, Intoleranz, Repression“ bewertet, sondern als „Kulturphänomen“ betrachtet (Aulich 1988: 178). Das Zensurkonzept hat aufgrund dieser Erweiterung effektiv eine Neubewertung erfahren. Galt vordem die Gesellschaft, in der Zensur praktiziert wird, als Sonderfall, hat sich heute die Sichtweise durchgesetzt, dass Zensur in jeder Gesellschaft herrscht, und zwar nicht nur als mehr oder minder regelwidrige autoritäre Praxis, sondern als (konstitutiver) Teil komplexer gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse.2 Aus diesem Paradigmenwechsel heraus entspringt auch die breite Arbeitsdefinition von Zensur als jegliche Maßnahmen einer dritten Kraft zur autoritären Regelung des Zugangs eines Senders beziehungsweise seiner Botschaft zu einem öffentlichen Publikum 2 „To be for or against censorship as such is to assume a freedom no one has. Censorship IS. One can only discriminate among its more and less repressive effects“ (Holquist 1994: 16).
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(vgl. Müller 2003:6). Hiermit verortet sich Zensurpraxis in einem Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft, das auch Volker Schneider in seiner jüngsten Publikation wieder in den Mittelpunkt rückt (Schneider 2020). Eine gemeinhin verwendete Zensurtypologie unterscheidet zwischen Vorzensur und Nachzensur (oder Präventivzensur und Prohibitivzensur). Musik kann in Deutschland – vor allem aufgrund von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: „Eine Zensur findet nicht statt“ – nur der Nachzensur unterliegen. Diese Einschränkung der Distribution wird mit einer Kollision mit allgemeinen Gesetzen, dem Jugendschutz und dem Recht auf persönliche Ehre begründet. Ganz konkret wird in Deutschland Musik von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien3 (BPjM) zensiert. Die Bundesprüfstelle ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend untergeordnet. Bereits Ende 1949 regte der Bundestagsausschuss für Fragen der Jugendfürsorge die Vorlage eines Gesetzentwurfs über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften an.4 1953 trat das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ in Kraft, das sich in der Bundesprüfstelle materialisierte. Schon in dieser initialen Bundestagsdebatte wurde jedoch von der SPD auf die Möglichkeit der Kontextabhängigkeit von Zensur hingewiesen, mit der Befürchtung, die BPjS könnte als „kulturpolitisches Machtmittel“ missbraucht werden. Die Mitglieder der BPjS sind an keinerlei Anweisungen gebunden. Sie können nur auf Antrag tätig werden; antragsberechtigt sind nur die obersten Jugendbehörden, die Landesinnen- und Arbeitsministerien sowie das Bundesinnenministerium. Der konkrete Output der Prüfstelle ist eine monatlich aktualisierte Liste der jugendgefährdenden Medien, der berühmte Index. Die für Musikzensur relevanten Teile sind Teile A und B, wobei Teil A nur „jugendgefährdend“ bedeutet und B eine zusätzliche strafrechtliche Relevanz mit sich bringt. Aktuell befinden sich 1818 Musiktitel auf der Liste der indizierten Tonträger.5
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Bis 2003 „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ (BPjS). Die Begriffe werden hier synonym verwendet. 4 Der Antrag zur Ausarbeitung eines Bundesgesetzes „gegen Schmutz und Schund“ ging von der CDU/CSU aus und wurde von großer Mehrheit fraktionsübergreifend gefördert. 5 Stand 28.02.2020: https://www.bundespruefstelle.de/bpjm/service/statistiken. Zugegriffen: 29.03.2020.
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Die Politische Dimension von Musikzensur: Beschreibung und theoretischer Rahmen Das zu erklärende Phänomen der vorgeschlagenen Studie ist nicht die konkrete Zensurtätigkeit des BPjS, sondern die Vorschläge zur Indizierung durch die Landesbehörden. Diese bietet Varianz auf zwei Ebenen: (1) auf Ebene des Zensurbegründung und (2) auf Ebene des Initiators des Indizierungsgesuchs. Auf Ebene des Zensurgrunds bietet sich an, auf Basis eines Schemas von Cloonan und Garofalo (2001) zwischen politischen, kulturellen, moralischen, religiösen, sexuellen und ästhetischen Zensurgründen zu unterscheiden. Das politikwissenschaftliche Hauptinteresse liegt wahrscheinlich (1) auf einer Rechts-Links-Unterscheidung von politischen Gründen sowie (2) einer zusammengefassten Kategorie von moralischen, sexuellen, ästhetischen Gründen und kulturell/religiösen Dimension. „Rechte“ politische Zensurgründe sind jegliche Form von Leugnung des Holocaust, Nutzung von NS-Rhetorik und Ausländerfeindlichkeit. Demgegenüber stehen „linke“ zensierte Inhalte, die sich durch den Aufruf zur Anarchie, gewalttätigen Bekämpfung der Rechtsordnung und Unterstützung von linkem Terrorismus kennzeichnen. Die Kategorisierung ergibt sich meist aus den Liedtiteln oder ihren Texten (die fast zu 100 % im Internet zu finden sind). Bei Unsicherheit muss individuell die Begründung der BPjM herangezogen werden. Während eine Kategorisierung der zensierten Musik auf Basis einer Vollerhebung für Deutschland an sich einzigartig sein wird, gibt es darüber hinaus noch einen weiteren Nutzen: Die Liste enthält eine tagesgenaue Angabe über den Zeitpunkt der Zensur. Demgegenüber steht das Veröffentlichungsdatum des Liedes. Da die BPjM nur auf Antrag tätig wird, können sich zeitliche Varianzen in der Geschwindigkeit der Indizierung ergeben. So wurde z. B. das Lied „Bullenschweine“ der linken Punkband „Slime“ im Mai 2011 auf Antrag des Landeskriminalamts Brandenburg auf Teil B des Index gesetzt.6 Das Lied ist Teil der Platte „Slime I“, die 1980 erschien. Die zeitliche Differenz erlaubt es demnach, einen zusätzlichen Rückschluss auf die vorliegende gesellschaftliche oder politische Sensibilität über verschiedene Themen und Perioden hinweg zu analysieren. Das Beispiel der Slime-Indizierung zeigt auch die zweite Ebene der Varianz in der abhängigen Variablen auf. Wie schon beschrieben agiert die Bundesprüfstelle nicht in Eigenantrieb, vielmehr braucht es einen Impuls, der fast ausschließlich 6 Bundesprüfstellenleiterin Monssen-Engberding: „Durch die eindeutige Verächtlichmachung, Diskriminierung, Beschimpfung von Polizeibeamten und die Aufforderung, diese zu töten, ist nach Auffassung der Beisitzer das Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 1 StGB erfüllt.“
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von der Ebene der Bundesländer kommt. Fast alle Indizierungen werden von den Landesinnenministerien und den dazugehörigen Landeskriminalämtern und Polizeidirektionen vorgeschlagen. Hierbei entsteht große Varianz zwischen den Ländern. So schlug das Land Brandenburg zum Beispiel im Jahr 2015 63 Tonträger für eine Indizierung vor, während das Land Berlin nur einen Titel indiziert gesehen haben wollte. Auf Basis dieser Varianz stellt sich nun die Frage, ob politische Faktoren die Vorschläge zur Indizierung erklären können. Im Kern der Untersuchung steckt also die Frage, ob Musikzensur in Deutschland als politisch motivierter Akt gesehen werden kann. Während sich Zensur in Autokratien aktuell einem überbordenden Forschungsinteresse der internationalen Forschungsgemeinde erfreut,7 wird Zensurtätigkeit von Demokratien stiefmütterlich behandelt. Es können aus allgemeinen Herrschafts- und Repräsentationstheorien aber leicht konkrete Arbeitshypothesen für das vorgeschlagen Projekt gewonnen werden. Unter der Annahme, dass Politiker einer „policy seeking“ Rationalität unterliegen, lässt sich ableiten, dass gewählte Regierungen ihre Deutungshoheit nutzen um direkten Einfluss auf die Zensurtätigkeit der Bundesprüfstelle zu erlangen (Müller und Strøm 1999). Unter konservativen Landesregierungen sollte demnach deutlich mehr linksradikale Zensur zu beobachten sein, wohingegen linke Landesregierungen mehrheitlich rechtsradikale Titel für die Indizierung vorschlagen. Die Einflusshypothese lautet deshalb: H1 Die politische Richtung einer Landesregierung hat einen Einfluss auf die Art der vorgeschlagenen Indizierung.8 Ein zweiter politikwissenschaftlicher Forschungsstrang nimmt an, das Regierungen versuchen, so responsiv wie möglich zu sein, um ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen (Hobolt und Klemmensen 2008). Der vorgeschlagene Beitrag nutzt diese Forschung, um die GALT/TAN Dimension zu testen. Auf der „green, alternative, liberal“ Seite ist anzunehmen, dass Indizierung und Zensur generell nicht gewünscht wird. Der Gegenpol der „traditional, authoritarian, national“ Werte hingegen hat gemeinhin kein Problem mit einer stark zensierenden, eingreifenden Regierung. Unter der Annahme, dass Politiker versuchen, ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen
7 Siehe vor allem King et al. (2013) und die Frage nach Internetzensur in Autokratien. 8 Alle Hypothesen können immer für alle politischen Richtungen getestet werden. Der Einfachheit halber sind in diesem Beitrag die Hypothesen entweder offen oder nur in eine Richtung formuliert.
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und deshalb die aktuelle öffentliche Meinung repräsentieren (Soroka und Wlezien 2010), wird die Repräsentationshypothese formuliert: H2 Je liberaler die Einstellung der Öffentlichkeit, desto weniger Titel werden zur Indizierung vorgeschlagen. Unter der Annahme des historisch deutschen Kontexts der Bundesrepublik als „wehrhafte Demokratie“ bekommt das Wahlergebnis für radikale linke und rechte Parteien eine wichtige Funktion als gesellschaftlicher Stimmungsseismograph, im Sinne der Nerves of Government (Schneider et. al. 2013). Aufbauend auf der Responsiveness-Forschung wird für das Projekt angenommen, dass die Öffentlichkeit und politische Entscheider ihre Präferenzen dynamisch auf die Stärke von radikalen Parteien anpassen. Analog zur Thermostat-Hypothese von Wlezien (1995) wird für die Indizierungspräferenz gefolgert, dass je stärker eine extreme Partei wird, desto mehr geht die Präferenz der Mehrheit in Richtung Reduzierung dieses Extrems, im vorliegenden Fall also zu mehr Indizierung. Da rechter und linker antistaatlicher Populismus stärker bekämpft wird, je gefährlicher er eingeschätzt wird, ergibt sich die Thermostathypothese: H3 Je stärker radikale Parteien in einem Landtag, desto mehr Indizierungsvorschläge von Musikinhalten der gleichen politischen Richtung.
Outro Ich hoffe, das vorgeschlagene Projekt hat die Relevanz und mögliche Untersuchungsstrategien des Themas Musik und Zensur in Deutschland aufgezeigt. Statt einer Zusammenfassung in der Konklusion möchte ich noch einmal zu unseren Gesprächen über Leonard Cohen zurückkommen. Auf seinem letzten großen Live-Album begrüßt ein 75jähriger Cohen das Londoner Publikum mit den Worten „Excuse me for not dying“. Ich erinnere mich, wie mich Volker auf die Großartigkeit dieser Selbsteinführung hingewiesen hat. Ich wünsche mir, dass Volker einen ähnlich augenzwinkernden Weg findet, seine zukünftigen Vorträge aus dem Ruhestand heraus einzuleiten und diese noch lange halten kann.
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Teil IV Akteure und Diskurse in Policy-Netzwerken
Patterns Versus Details Nomothetic Versus Idiographic Approaches to Studying Ego-Networks and Environmental Activism David B. Tindall
Introduction I have been influenced by Professor Schneider in a number of ways. He is, of course, one of the pioneers of the policy network perspective (e. g., Schneider 1992; Kenis and Schneider 1991; Schneider, Dang-Nguyen and Werle 1994; Leifeld and Schneider 2012), and I have been influenced by his writings in this area. I have been collaborating with Professor Schneider (and others) on the COMPON Project. COMPON is an acronym for Comparing Climate Change Policy Networks, a multi-country comparative analysis project (see: www.compon.org). In this context, I have conversed with Professor Schneider about substantive, methodological, and theoretical issues. One topic that I have had stimulating debates with Professor Schneider about concerns the value of case studies (Yin 2017) and the difference between nomothetic and idiographic approaches to social science (Babbie 2014). Many social scientists (and scientists) make a distinction between nomothetic (general) and idiographic (specific) explanations. Nomothetic approaches involve theoretical explanations that are relatively general and utilise a relatively small number of variables to partially explain an outcome. As such, nomothetic/general explanations often apply in a variety of different locales and contexts. In recent years, a more sophisticated version of this approach within analytical sociology has focused on mechanisms (see Hedström and Petri 2010). Idiographic (specific) theoretical explanations, by contrast, examine the constellation of unique factors that are associated with a particular outcome. This latter type of approach is typically associated with historical explanations and qualitative research (though not necessarily so). Generally, I am a scholar who focuses upon nomothetic types of explanations (e. g., Tindall 2002; 2004; Tindall and Robinson 2017). However, over time Professor Schneider has convinced me of the power of idiographic explanations, especially in © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_15
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the context of comparative case analyses. The objective of this essay is to consider “both sides of this coin”, and, in this regard, I provide a bit of auto-critique of my own work. Instead of focusing on policy networks, I will discuss a longer-term research programme I have been involved with on social networks and social movement participation. I will start out by giving an example of a nomothetic model I have been working on and then suggest some unique aspects of my case – which may be of intrinsic substantive to some readers. I conclude by discussing some ways in which these models might operate in different ways in different locales or under different conditions, and some topics comparative researchers might consider.
A Model of Ego Networks and Social Movement Participation I have been working on developing a model of ego-network-based social movement participation. This has been developed from a synthesis of my own empirical research and findings from others. My work has focused primarily on the environmental movement in British Columbia and/or Canada. Below I describe some key elements of this theoretical argument. Some of the relationships I discuss are illustrated in Figure 1. Both academic and popular understandings of participation in social movements often highlight the importance of values, beliefs, and attitudes and stress the idea that people join or support a movement because they sympathize with the cause. It is argued that individuals become involved in an environmental movement because they are concerned about pollution or protecting animal habitat. At the same time, many structurally-oriented social movement scholars claim that while having a pro-movement ideological orientation might be a necessary condition for participation, it is not a sufficient one. For example, Klandermans and Oegema’s (1987) study of the peace movement in the Netherlands found that while the vast majority of respondents to a survey of the general public supported the ideals of the peace movement, only a very small proportion of the population became involved in movement activities. What mattered was whether individuals had ties to other movement participants and were asked to participate through these networks. Research reveals that while support for a movement’s goals is a necessary condition for participation, individuals also need to be structurally linked to other members of the movement through social network ties (Tindall 2015). (But see Jasper and Poulsent 1995 for an alternative point of view.)
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Fig. 1
A Network-Social Psychological Model of the Participation of Individuals in Low Cost/Risk Social Movement Activism. Dashed lines indicate paths of potential reciprocal influence. Dotted lines indicate processes continue over time.
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Social networks facilitate and/or constrain social processes. At the individual level, the more connected one is to other movement participants, the more opportunities there are to communicate about social issues. Communication is a key for several processes. Information is often diffused through informal interpersonal networks. As a result, people learn about issues and events and are likely to become more concerned about issues and to attend events. Influence shaped by social ties underlies relationships between networks and participation. Social networks are also important as vehicles through which individuals are targeted for recruitment for participation in events. Finally, where movements involve higher levels of risk and cost (McAdam 1986), networks can provide important sources of social and emotional support. Identification refers to the cognitive association a person has with particular groups. Some explanations consider movement identification to be a key explanatory variable for understanding participation. Identities tend to be associated with bundles of values, beliefs, normative expectations, and responsibilities. People who identify with particular social movements are more likely to participate in these movements. By acting, they are validating their identities. My research has developed and verified aspects of this theoretical model by using samples of environmental movement participants in the wilderness preservation movement based in Greater Victoria (Tindall 2002; 2004), in the context of a Canada-wide survey of members of environmental organisations (Tindall et al. 2014), and in a sample of members of Friends of Clayoquot Sound in British Columbia (Tindall and Robinson 2017). I have argued that we should expect reciprocal effects amongst some variables. In the literature on social networks, scholars distinguish between social influence and social selection (Snijders et al. 2010). The former effect occurs when people participate because of pressure from their network contacts. The latter would be illustrated by people choosing to form ties with those who attend environmental movement events (because of shared values). While activism in Time 1 arises in part from network embeddedness, at Time 2 network embeddedness arises partly from earlier participation in activism. Other reciprocal effects include that people who identify more strongly with the movement will form more ties with others in the movement; people who are more active will reflect on this and identify themselves more strongly as a member of the movement; people who identify more strongly with the movement will be motivated to communicate more about environmental issues with other people. Ties that form outside the movement – as a result of movement activities – can serve as a type of social capital (Diani 1997). Movement participants can utilize social capital for goals outside the movement, for example searching for a job or running for political office (Tindall et al. 2012). In a further extension of this
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idea, Georgia Piggot and I (Tindall and Piggot 2015) analysed nation-wide survey data collected on the general public to examine the extent to which there was a social influence effect as a result of members of the general public having ties to people belonging to environmental organisations. Results showed that members of the general public who did not belong to an environmental organisation were significantly more likely to have a plan to deal with climate change if they had ties to members of environmental organisations.
Considering Idiographic Aspects of the British Columbia Case My research has focused mostly on social networks and environmental social movement activism in British Columbia. My nomothetic theoretical model examines the relationship between variables such as ego-network centrality, strength of movement identification, and individual participation in the B.C. environmental movement. It also examines the roles of intervening processes, variables such as how often individuals talk about movement issues, and how often they receive encouragement to participate in movement events. I have largely assumed that my model is applicable to other substantive social movements, in other locales – at least those with similar conditions. For example, I would expect the model to work more or less similarly for the feminist movement in Italy or the anti-nuclear movement in Germany. But let us consider some unique aspects of my case from a more idiographic perspective.
Concern about Environmental Issues Evidence from various sources suggests that within the context of Canada, the population of British Columbia is somewhat more likely to be concerned about environmental issues and to support environmental organisations (Tindall et al. 2015; Tindall et al. 2018).
Focus on Wilderness Early waves of the environmental movement in British Columbia focused to a significant degree on “wilderness preservation”. To some extent, the movement borrowed ideas and tactics from related movement mobilisations in the United States (Dunlap and Mertig 2014). A reason the B.C. environmental movement focused on wilderness preservation is that there is more wilderness in British Columbia than in Europe and many
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other parts of the world (Tindall et al. 2015). There are several explanations for why there is more wilderness in B.C. One is that it was one of the latter parts of North America to be settled by Europeans. For example, today the population of Metropolitan Vancouver – British Columbia’s largest city – is approximately 2.5 million people. In 1901, less than 150 years ago, the population was about 26,000. While First Nations communities have lived in what is now called British Columbia for over 10,000 years (Chisholm 2013), Europeans (and people from other parts of the world) have lived there for only a relatively short period of time. Hence there has been a shorter period of industrial activity.
Mountainous Terrain Another factor that has shaped aspects of contemporary British Columbia is its extremely mountainous terrain. As any traveller who has flown across British Columbia on a sunny day will know British Columbia is literally made up of one mountain range after another (Cannings and Cannings 2015). British Columbia, one of ten provinces in Canada, is home to 34 distinct Indigenous languages and seven language families (Thompson n.d.). Together these account for more than 60 per cent of all Indigenous languages spoken in Canada. The mountainous geography of the province also plays an important role in this linguistic and cultural diversity.
Ancient Forests, Big Trees Other aspects of B.C.’s geography also plays a role in the characteristics of wilderness that exist, including the cool, wet climate. These factors play important roles in the existence of an ancient (or old growth) temperate rainforest along the coast of British Columbia, which has existed for over 10,000 years. The existence of old growth forests and the natural treasures they host, such as big trees, has been one of the prime concerns of environmentalists in the province. The longest living tree in British Columbia that has been identified so far was a yellow cedar, which was 1835 years old when it was cut, according to its rings (VIBT 2010). British Columbia’s largest tree, a western red cedar, is 18.34 m (60.2 ft) in circumference and 55.5 m (182 ft) in height (VIBT 2010). Currently, the tallest tree in Canada is a Sitka Spruce, about 96 metres high and roughly 600 years old, located in the Carmanah Valley on Vancouver Island (VIBT 2010). However, a Douglas fir tree, recorded in Kerrisdale in 1886, measured about 122 metres tall (Kurucz 2019). There are numerous other “giant trees” in B.C. that have been identified by environmentalists, biologists, and conservationists. Again, the fact that these giant trees all exist in British Columbia is not a coincidence. They are produced by the province’s geography and climate (Cannings and Cannings 2015). This combination
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of characteristics makes British Columbia’s natural landscape very different from Europe and most other parts of the world.
Changing Views about Wilderness Here it is useful to say a few words about wilderness. Until a little over the last 100 years in the West, wilderness was viewed very negatively. For example, in the literature it was seen as a place of darkness and danger. Such themes frequently appeared in children’s fairy tales, in particular. Wilderness was a habitat for dangerous animals. A place to be tamed and converted into pastureland. It was only in the 19th and 20th centuries that conceptions of wilderness changed, where it became thought of as untouched land where the “absence of men [sic] and the presence of wild animals is assumed” (Nash 2001: 3). This new conception has become a central component of North American environmentalism (Nash 2001: 3). In contemporary environmental thought, wilderness is often idealised as a place free from the degradations of industrial society. It offers a refuge from the rationalised rhythms and routines of modernity (Cannavo 2007). The Settler population (a term currently used for Europeans and, later, immigrants) grew substantially in British Columbia not long after conceptions of wilderness changed, and this also provides a different context for environmentalism in British Columbia compared to Europe and other jurisdictions.
British Columbia has been a Centre for Environmental Movement Activism and a Birthplace of Green politics in Canada Not only does British Columbia have a relatively unique natural landscape; within Canada at least, not entirely coincidentally, it has been an epicentre for environmental politics within Canada. The environmental organisation Greenpeace was created in Vancouver in 1970. It is perhaps the world’s most famous organisation for undertaking protest stunts in order to get publicity. Its activities in the early 1970s focused on anti-whaling and campaigning against nuclear weapons testing. But it was a key actor in the 1990s in protests around the clearcutting of ancient temperate rainforests in British Columbia. While the impact of the Green Party in politics in North America lags significantly behind Europe (largely because of different political systems), British Columbia has been a leader in terms Green Party politics in North America. In 2011, Canada’s first federal-level Green Party MP was elected in B.C. (Elizabeth May, who was also the leader of the Green Party and formerly a leader of the Sierra Club of Canada), and in 2013, Canada’s first Green provincial representative was elected in the province (Andrew Weaver, a climate scientist, who was also the leader of the provincial
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Green Party). Currently the only two federally elected Green party members of parliament are from British Columbia. (At the writing of this chapter, no Green Party politician has ever been elected to federal office in the United States, so this also makes B.C. relatively unique in the context of North America.) Currently there is a minority government in British Columbia. This government is headed by the New Democratic Party (NDP) – a social democratic party –, and the balance of power is held by the B.C. Green Party (for the first time in Canada’s political history), who are supporting the NDP. In Canada, environmentalist David Suzuki is very famous and was listed number five on the list of most influential Canadians of all time. He was born and raised in British Columbia. In 1993, over 850 people were arrested for blockading the logging roads into Clayoquot Sound, a large area of pristine temperate rainforests in British Columbia (Tindall and Robinson 2017). The protest – sparked by the government’s decision to allow logging in three-quarters of the area’s ancient rain forest – was the largest act of civil disobedience in Canadian history and a seminal event in the history of the environmental movement in the nation. Again, the fact that this happened in British Columbia is probably not entirely coincidental.
The Role of Indigenous Peoples in Environmental Politics Another aspect of environmental politics in British Columbia that makes it a relatively unique case is the role of indigenous peoples. Various indigenous groups, in one fashion or another, have been intertwined in environmental movement campaigns in B.C. (I have written about various aspects of these relationships in Robinson et al. 2007; Mabee et al. 2013; Pechlaner and Tindall 2013.) In British Columbia, the “Indian Land Question” is unresolved (Tennant 1990). Historically, the First Nations of British Columbia (as indigenous peoples are known) generally did not – with a few exceptions – give up their traditional territories through treaties. (Though there are now some contemporary treaty processes recently completed or underway.) Nor were First Nations conquered through war (as happened in parts of the U.S.). Instead, Europeans just moved in and claimed the land as their own. First Nations have resisted this occupation, in various ways, for many decades (Tennant 1990; Coulthard 2014). From the 1980s through the 2010s, the nature of alliances between various First Nations communities and environmental movement organisations and natural resource companies has been dynamic. Initially, First Nations tended to strategically ally themselves with environmental movement groups as they wanted to protect their land and their resources for their own use. However, they did not necessarily want to lock it up as “wilderness”, but in many cases wanted to use it,
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within the context of their own culture, for their own economic development and self-determination. In the 1990s, forest companies in British Columbia, and later other natural resource companies, started forming partnerships with particular First Nations communities in various natural resource joint ventures. These new relationships were often formed to the detriment of the environmental movement and their goals. Alliances have continued to shift, and today some First Nations are allied with Oil and Gas companies to build oil and gas pipelines and other fossil fuel projects, while other First Nations are allied with the environmental movement, to protect traditional territories and address climate change.
First Nations and Wilderness A thumbnail definition of wilderness is that: it refers to relatively large natural areas, where there is no (or very low) human population density and little to no impact of human activities on the landscape. In the 1980s and 1990s, environmental groups focused their campaigns on protecting wilderness. Critics, however, have pointed out that environmentalist conceptions of wilderness erased the presence of First Nations people, who often contemporaneously lived on the land designated as wilderness (Braun 2002), certainly historically lived in such areas, and often modified the land in various ways – so that what appears natural today is the result of human modification (Turner 2014). For example, on southern Vancouver Island in British Columbia, First Nations groups practiced “controlled burning” of forests, in order to promote the growth of berries and other plants and provide habitat for animals that they hunted. Further, much larger populations of First Nations lived in what are sometimes known today as wilderness areas, but their populations were decimated due to infectious diseases brought by Europeans that they had no defenses against. Early Europeans declared the land to be terra nullius, partly because it seemed to be empty. But this was misleading on several counts (Tennant 1990).
Social Networks: Interpreting Patterned Relations versus Interpreting Particular Nodes and Ties Typically, researchers in the social network literature (such as those published in top journals such as Social Networks) are interested in patterned relationships. For example, what is the relationship between a measure of point centrality and some outcome variable, or to what extent do certain structural forms appear (e. g.,
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transitive triads, structural balance)? Sometimes researchers really are interested in specific actors and ties (e. g., Kapferer 1969), but more often researchers are interested in understanding abstract patterns. Very often, whether one chooses an idiographic or nomothetic approach shapes one’s research question. As I have been working with one case for quite a long time, I have noticed some idiographic details that I would not have normally been interested in given my nomothetic approach and related research questions. I will touch upon a few of these. A quirk of my research approach is that I am usually quite “catholic” in my data collection – meaning that I collect more data than what I need to answer specific research questions or test particular hypotheses. For example, I have typically collected more data on socio-demographic characteristics than I need. One thing I learned about socio-demographic analyses of my early survey samples is that I had disproportionate numbers of people of “American” ancestry. Likely, many of these “Americans” were people who left the United States either directly or indirectly because of the Vietnam War in the 1960s and 1970s. In some cases, these individuals may have been involved in social movements in the U.S. in the 1960s and 1970s (such as the civil rights movement or anti-war movement) and transitioned to become participants in the B.C. environmental movement. (On the role of Draft Dodgers in Canada, see Hagan 2001; Rodgers 2014.) Thus, this immigration process likely played a role in the rise of the environmental movement in B.C. Immigration is a factor other researchers might also examine. As noted above, my research programme has tended to focus on patterned relationships – such as the correlation between personal network degree centrality and level of individual activism – and has paid less attention to specific actors and ties. However, as I have long been immersed in this research programme, I am nevertheless aware the role of individual actors over time. Indeed, a number of the key activists who organised the original Clayoquot protests have gone on to be involved in other organisations and are now key actors in mobilisations to battle the expansion of petroleum infrastructures in North America, such as the Northern Gateway Pipeline, the Transmountain Pipeline, and the Keystone XL Pipeline (Saxifrage 2012) as part of the environmental movement effort to combat anthropogenic climate change (Klein 2014). Indeed, there was a major protest in Burnaby (in Greater Vancouver) in 2014 called Clayoquot Day, where prominent activists from the Clayoquot campaign engaged in civil disobedience and were arrested by police (The Canadian Press 2014). Social movement researchers (e. g., McAdam et al. 1998) have noted that activists often move from one movement or campaign to another and that one of the best ways of recruiting people for participation in collective actions is to target those who
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have participated in past collective actions. Similarly, “repertoires of contention” (Tilly 2010) often get borrowed from one campaign or movement to another. My research questions have not focused on diffusion from one movement or campaign to another. But these observations show how examining idiographic details might help explain such processes.
Multiple Pathways Another challenge to nomothetic explanations is the notion that there are sometimes multiple pathways to particular outcomes. Amongst scholars who have studied micro-mobilisation, a number of variables have been shown to be important (e. g., network ties, level of identification with the movement, pro-movement values and attitudes, and various socio-demographic and class variables; McAdam 1986; Inglehart 1990; Diani 1995; Tindall 2002; 2015). Researchers often use regression techniques to assess the relative importance of different variables (McAdam 1989; Tindall 2005) on individual participation in social movements. In contrast, to the above nomothetic approach, Ragin (2009) has developed a set of approaches known as qualitative comparative analysis (QCA), which is a systematic approach for analysing cases. (A special version of this is referred to as fuzzy set QCA or fsQCA.) Ragin distinguishes between variable-centred approaches (e. g., regression) and case-centred approaches (e. g., QCA). An advantage of QCA is that rather than assigning different weights to variables for the average case, QCA considers the possibility that there are different pathways or different configurations of variables that lead to certain outcomes. For example, if a researcher was interested in the relative importance of virtual versus non-virtual social networks on individual activism, through QCA, one could examine the ego-networks of individuals and analyse the extent that micro-mobilisation happens without ego-network ties, with offline ego-network ties, with online ego-network ties, or with both. This would provide traction in trying to understand online/offline dynamics. Relatedly, using this approach with ego network data could yield more nuanced models of micro-mobilisation.
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Things a Researcher might Consider in Comparative Studies of Ego-Networks and Environmental Movement Activism In this concluding section, I will discuss some issues that comparative researchers might consider in studying ego-networks and environmental activism. Many of these suggestions are derived from considering some of the idiographic aspects of the British Columbia case discussed earlier.
High risk/cost activism versus low risk/cost activism Professor Schneider frequently reminds me that in undertaking comparative policy network analysis, one needs to consider the details of the political system of particular cases. To some extent, this would involve the formal political system, dominant cultural values, the importance given to the rule of law, freedom of speech, and the existence of free presses, amongst other things. Within the social movements literature, Doug McAdam (1986) has talked about the importance of distinguishing between high cost/risk activism and low cost/risk activism. High/low cost mean the amount of time or money that might be devoted to activism. High/low risk refers to the level of risk that individuals expose themselves to in undertaking activism. Risks might include the risk of being imprisoned, receiving physical harm, or being fired from a job. Different jurisdictions (at different times) might vary in terms of which particular activities might be considered high risk/cost or low risk/cost. For example, generally, attending a protest demonstration in western liberal democracies would be considered a low risk/cost proposition. However, in authoritarian regimes, the same actions might be quite different in terms of risk and cost. My research has tended to focus on low- to medium-risk/-cost activities. This might be another unique aspect of my case. Researchers should consider how this condition varies across cases. Social network researchers often distinguish between “weak ties” and “strong ties”. The cost and risk of activism probably interacts with tie strength. Under conditions of low cost/risk, weak ties may be sufficient for social network-based influence to elicit participation in social movement activities. But under conditions of high cost/risk, this is unlikely, and strong ties are probably more relevant for facilitating the participation of individuals in activism.
Environmental Characteristics I have talked about some of the environmental characteristics that make my British Columbia case relatively novel. The physical environment is also a factor that comparative researchers might focus upon. Indeed, there is a group of scholars known
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as the Naseberry group, who have undertaken a programme of research that often uses multi-mode-networks to understand socio-ecological systems (see Bodin and Crona 2009; Bodin, Crona and Ernston 2006; Bodin and Prell 2011). One mode consists of ties amongst social actors (such as the ego-networks I have studied), and another mode consists of ties from social actor to eco-system elements. It is possible that aspects of my ego-network model would need to be modified if this approach was taken, and important variation in ecosystem characteristics might be correlated with other variables in my model (such as strength or content of movement identification, for example).
Ties to key allies and the position of allies in the socio-political structure Political process theorists emphasise the interaction of a social movement with its context (Meyer 2004). According to this perspective, “‘exogenous factors’ enhance or inhibit a social movement’s prospects for (a) mobilising, (b) advancing particular claims rather than others, (c) cultivating some alliances rather than others, (d) employing particular political strategies and tactics rather than others, and (e) affecting mainstream institutional politics and policy” (Meyer 2004, S. 126). One aspect of this is relations with allies. I have noted that First Nations groups have had a complex and important role in environmental politics in British Columbia. They also have a relatively unique position in the Canadian social structure. Comparative researchers might consider ego-network ties to individuals from key allied groups. Relatedly, the position of such allies in the social structure might vary and should be considered. While I have focused in this essay on emphasising some of the idiographic elements that might have been considered in my British Columbia case and have made a few suggestions for factors that comparative researchers studying ego-networks and environmental activism might consider, I hope this narrative also suggests some possibilities for pivoting back and forth between nomothetic and idiographic approaches.
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Building bridges How Discourse Network Analysis (DNA) can help CSR Research to investigate the ‘New’ Political Role of Corporations Burkard Eberlein and Adrian Rinscheid
The political role of corporations has attracted scholarly attention in several disciplines, including political science, organizational and management studies, sociology, law, and economics. These literatures are interested in similar phenomena (including corporate political strategies and the political impacts of business mobilization). Yet, there are striking differences between their normative premises, conceptual repertoires, and methodological toolboxes (Baars and Spicer 2017). While an integration of these perspectives is a long-term endeavor, our aim here is to provide an example of a promising avenue to cross-pollinate different streams of literature dealing with the role of corporations in politics. We do so by using concepts and methods developed by Volker Schneider, whose work has advanced the policy networks literature over the past three decades and shaped the research community’s understanding of the role of business in politics by studying these phenomena from a network perspective. Political science has developed a variety of theoretical perspectives and approaches to conceptualize and understand the political role of business. The theoretical debate between pluralists like Dahl (1958) and elitists like Bachrach and Baratz (1962) revolved around the questions what power is, how it is exerted, and how politically powerful the business sector is in capitalist democracies. Lindblom’s (1977) famous dictum about business’ ‘privileged position’ in politics was challenged on the ground that it should be seen as simply one political actor among many (Vogel 1987). The more recent, theoretically and empirically eclectic research agenda in political science revolves around a bi-directional view of the business-government nexus, including work on questions such as: how do states impact the political role of corporations through regulatory and transparency initiatives (Holman and Luneburg 2012), how do political institutions influence corporate political behavior (Weiler and Brändli 2015), how do governments shape business preferences (Woll © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_16
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2008) and how, in turn, do businesses exert structural power strategically to put pressure on governments (Culpepper and Reinke 2014). The introduction of social network analysis marks an important theoretical and methodological advancement in this stream of research. Kenis and Schneider’s (1991) widely cited article laid the groundwork for three decades of work that investigated the relational aspects of the business-politics nexus. These works take account of the increasing complexity of modern democracies (Schneider and Eberlein 2015), and illuminate the relational embeddedness of corporations and other societal actors in today’s political economies (e. g., Daugbjerg 1998; Varone et al. 2017; and many others). Business scholarship has discussed the relationship between business and politics largely in isolation from these rich approaches in political science and public policy. Nor has it drawn much on a network perspective to elucidate the relational aspects of the business-politics nexus – notwithstanding the fact that social network analysis, mainly of sociological extraction, has informed business scholarship through research on phenomena such as corporate networks and interlocking directorates (e. g. Bond and Harrigan 2014; Mizruchi 1996). The International Business sub-discipline has the longest tradition of engaging with politics and governments, yet from a limited perspective of political risk of multinational enterprise investment in foreign jurisdictions. This risk approach dominates the larger so-called ‘nonmarket’ approach to politics (Baron 1995). It conceptualizes politics and society as non-market environment that business firms need to operate in. The stream of research that most directly engages with politics as key variable, Corporate Political Activity (CPA), also adopts an environmental risk perspective (Hillman et al. 2004). It analyses how firms seek to obtain benefits from the political system (e. g. favorable regulation) through influence strategies such as lobbying or donations, using rationalist assumptions about transactions between business firms and public officials. This instrumentalist perspective has been criticized as institutionally “thin” (Jackson and Deeg 2008, S. 541). This is because it pays little attention to the institutional and relational complexities of business-politics interactions, for example to the variable power dynamics between business and the state as evidenced in political science research (Vogel 1989). The bourgeoning Corporate Social Responsibility (CSR) research stream explores the responsibility of business firms, and their voluntary commitments, towards society, which is typically seen as represented by the stakeholders of the corporation (e. g. Wang et al. 2016). It is important to note that CSR research evolved in isolation from CPA, and from a different perspective, often ethical and philosophical. Politics or government was not of direct concern or seen as part of ‘society’. Yet, notwithstanding some contributions that advanced a more nuanced,
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institutionalist conceptualization of the nexus between business and politics or government (e. g. Campbell 2007; Matten and Moon 2008), the mainstream CSR research in business scholarship (e. g. Barnett and Salomon 2012) landed on a similar perspective: firm-centric, uni-directional and instrumental: CSR practices are scrutinized through the lens of how CSR, ultimately, furthers the financial interests of the firm, in a ‘business case for CSR’ perspective. It is only recently that a research stream under the label of Political CSR (PCSR) has called for a deeper understanding of the political role and responsibility of business firms, especially of powerful multinational corporations in a globalized economy (Crane et al. 2008; Scherer and Palazzo 2011). Different from the instrumentalist perspective, the question is not how business firms directly influence political decisions to their advantage. Rather, the focus is on how profit-seeking companies assume public roles and responsibilities, such as providing public goods. PCSR research has a sometimes-overlooked precursor in governance theory: in an important contribution, Karsten Ronit and Volker Schneider (1999) theorized and investigated the self-regulatory capacities of international business sectors, showing that the provision of transnational public goods can be a declared goal of corporations to improve or substitute markets through non-market institutions (Ronit and Schneider 1999). That corporations assume public responsibilities is particularly pertinent in a global setting where there is a governance gap, i. e. lack of government regulation, when it comes to addressing the social and environmental externalities of global production. The new PCSR perspective, on the one hand, is deeply problematic in that it purports a zero-sum relationship between state failure and business firms assuming orphaned public responsibilities; this ignores the inherent limits of corporate commitment to the public good in capitalist economies, and the empirical complexities of business-government interactions in transnational governance (Eberlein 2019; Eberlein et al. 2014). Yet, on the other hand, it raises new and important questions, for business scholarship, about the complex relationship between business and politics, beyond uni-directional influence strategies. An important advance of this new, ‘political’ line of reasoning is the notion of Corporate Political Responsibility (CPR, Lyon et al. 2018, S. 8) that proposes to extend the CSR focus on social and environmental commitments to “a firm’s disclosure of its political activities and advocacy of socially and environmentally beneficial public policies”. While disclosure can only be the first step, this conceptualization recognizes that in a world where the public interest continues to largely emanate from political processes anchored in government and public policies, CSR commitments to the public good need to entail a commitment to public policies that benefit the public good.
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This raises the question of how traditional influence strategies under CPA (lobbying, etc.) align or misalign with extended CSR, or corporate political commitments to the public good (den Hond et al. 2014; Favotto and Kollman 2019). An example: a company publicly signs on to the Paris climate targets while lobbying against government policies designed to implement those very targets but that hurt business interests. Things get even more complicated when considering the differentiation of CPA channels. Corporations lobby individually just as they operate through a complex web of collective lobbying entities (Schneider 2006). It may be the case that companies’ direct lobbying is rather well aligned with their extended CSR, while the trade associations that represent these companies push in other directions. These questions gain currency and urgency as large companies increasingly take political and public policy position on the public stage, often via social media. The phenomenon of ‘CEO activism’ – “the practice of CEOs taking public positions on environmental, social, and political issues not directly related to their business” (Chatterji and Toffel 2019; Larcker et al. 2018, S. 1) has gained significant ground. Major companies intervene in the public discourse about controversial public policy issues (climate change, immigration, diversity rights, etc.). It remains unclear how to interpret this phenomenon – is this CSR, CPR, CPA or simply PR? At this critical juncture in the business scholarship discussion, we feel that recent advances in the policy network literature can be very useful to grapple with the changing political role of business. To be sure, imports from the political science portfolio are not unheard of in the CSR world, as the use of the concept of citizenship (Crane et al. 2008, Matten and Crane 2005) attests. However, the PCSR stream, perhaps due to its origin in ethics and philosophy, has not developed tools to empirically investigate the notion that companies have become more politically active and take on more public roles and responsibilities. It remains for now an interesting claim, based on anecdotal evidence. And the CSR literature has shown more interest in addressing the normative challenges that arise from a political role, rather than to investigate empirically what that political role entails. While there is recognition that social network analysis could be fruitful for CSR research in revealing its relational aspects (Türker 2017), this potential remains vastly untapped (for an exception see Rowley 1997). In order to investigate the ‘new’ political role of corporations, we propose building bridges from relational perspectives advanced in Political Science to CSR research. Specifically, we call for research that uses a version of social network analysis, Discourse Network Analysis (DNA), to map and track the political and public policy positions that major corporations take on the public stage. Traditionally, CSR research has relied on content or textual analysis (Lock and Seele 2017), or broader, qualitative discourse analysis (Heikkinen et al 2017), to analyze company
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statements, drawing primarily on CSR reports as the source (for a recent example see Favotto and Kollman, 2019). By contrast, we propose to turn to the more rigorous DNA approach. This approach, which was developed by Philip Leifeld and Volker Schneider to align discourse analysis with relational perspectives in political science and policy studies (Janning et al. 2009; Leifeld 2017), combines qualitative content analysis with quantitative actor network analysis to systematically investigate political discourses and actor constellations over time. This method not only allows to systematically assess the structure of arguments, frames, narratives, or other concepts of interest, based on their appearance in a discourse, but also the evolution and potential reconfiguration of actor relationships over time (for an application see Rinscheid et al. 2019). Hence, DNA is also well suited to determine empirically how corporations relate to specific issues, and how they relate to each other (in discourse coalitions) with respect to certain political or public policy issues. A project that aims at advancing this research frontier could focus on a sample of major corporations (e. g. from S&P or Fortune 500) and establish, through the analysis of public statements in media outlets, if and how they have taken, over time, positions on a relevant set of high-profile political and public policy issues, covering environmental, social, and political domains (compare Larcker et al. 2018). Social media sources, especially Twitter, seem to be particularly relevant, as they have become a prominent platform for company and CEO positioning/activism. The resulting dataset would allow researchers to address the following questions that go beyond a firm-centric, strategic CSR perspective: is there a higher frequency of political statements over time (as suggested by the literature)? Where do these statements emanate from and who are the discursive pacesetters (e. g., a small group of large companies)? Do statements and companies cluster in specific ways? Which kind of discourse coalitions form in relation to specific issues? Taken together, this information should allow, for the first time, to make the notion of corporations being or becoming more ‘political’ more tangible, in the sense of measuring the degree to which companies express or claim support or opposition in relation to key political and public policy issues (CPR). And, interestingly, it would also allow to determine the extent to which there is unity or cohesion of the ‘corporate capitalist class’ around specific issues. In a second step, it would be important to investigate the degree of alignment or misalignment, for individual corporations and the entire set of companies, between their stated CPR and the influence strategies (CPA) that they pursue. The latter would require a different set of data sources, e. g. drawing on traditionally used measures such as campaign contributions and lobbying activities and expenses. Obviously, when it comes to covert, ‘back-stage’ attempts to effectively undo
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‘front-stage’ political commitments, this is harder to detect and demonstrate. Yet, the sketched idea goes to a core question: do CPR/CSR and CPA – as two types of non-market behavior – go hand in hand to ultimately serve the profit interests of the corporation (Bernhagen and Patsiurko 2015)? Or is there evidence for a new political role of the corporation, as a politically not only more active but also ‘responsible’ participant in public discourse and policy? In summary, the research frontier sketched here seeks to build a bridge by injecting insights and empirical approaches from recent policy network research, to which Volker Schneider has made crucial contributions, into CSR research. To be sure, this can only be a first step towards answering these larger questions, but an important one, nonetheless.
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Netzwerke, Integrität und Verantwortungsethik Bemerkungen zu einem evidenten, aber unterforschten Zusammenhang Wolfgang Seibel1
Jede empirische Methode in den Sozialwissenschaften macht bestimmte Segmente gesellschaftlicher Wirklichkeit sichtbar, während andere „ausgeblendet“, also implizit unsichtbar gemacht werden. Regressionsanalysen etwa bilden kausale Effekte ab, je größer dabei die Fallzahlen, umso besser, aber sie können keine kausalen Mechanismen nachweisen. Teilnehmende Beobachtung ermöglicht die vielzitierten „dichten Beschreibungen“, sie reicht aber schon aus forschungsökonomischen Gründen über wenige Fallstudien nicht hinaus und ist daher in ihrem Verallgemeinerungspotenzial begrenzt. Die Stärke der Netzwerkanalyse und der wichtigste Grund ihrer Karriere zunächst in der Soziologie und dann in der Politikwissenschaft und Organisationsforschung liegt darin, Beziehungen zwischen Akteuren sichtbar zu machen, die informeller Natur und daher normalerweise ‚unsichtbar‘ sind. Aber die Netzwerkanalyse ist strukturzentriert, sie macht Akteure als Knotenpunkte in Netzwerken sichtbar, Akteure in ihrer Rolle als tatsächliche Netzwerker blendet sie dagegen aus. Im 2017 erschienenen „Oxford Handbook of Political Networks“ etwa findet sich dazu kein einziger Beitrag. Was Netzwerker tatsächlich auszeichnet, was Menschen in die Lage versetzt, Netzwerke zusammenzuhalten oder sie überhaupt erst zustande zu bringen, ob es sich dabei um angeborene Persönlichkeitseigenschaften, um erworbenes Wissen oder antrainierte normative Maßstäbe handelt, ist nicht Gegenstand der konventionellen Netzwerkanalyse. Hinweise finden sich eher in der Literatur zum Zusammenhang von boundary spanning und social skills (etwa Fligstein 1997; neuerdings van Meerkerk und Edelenbos 2018) oder von tacit knowledge und den Fähigkeiten von Diplomaten in der Sicherheitspolitik (etwa Pouliot 2008). Hier steckt also Entwicklungspotential und das wiederum kann, wie immer, nur durch
1 Ich danke Jörg Raab und Philip Leifeld für sehr hilfreiche Hinweise. WS © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_17
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Wolfgang Seibel
methodenorientierten intellektuellen Austausch mobilisiert werden. Um welche normativen Probleme und analytischen Herausforderungen es dabei gehen kann, wird weiter unten an einem Beispiel aus der Welt der Verwaltung illustriert, bei dem es um das widersprüchliche und potentiell risikobehaftete Verhältnis von Networking und institutioneller Integrität geht. Dieses Spannungsverhältnis ist uns aus dem Alltagsleben geläufiger als aus der Forschungsliteratur. Etwa das berühmte Vitamin B, wenn es um die Bewerbung um einen Job oder um die Bewilligung eines Bauantrags geht. Es kann eine große Rolle spielen, wen man kennt, mit wem man gut kann und auch, welche Fähigkeiten man hat, informelle Beziehungen zum Beispiel über Mitgliedschaft in bestimmten Clubs oder Vereinen zu entwickeln und zu pflegen. Und es ist auch eine Binsenweisheit, dass dies im öffentlichen wie im privaten Sektor zu korrupten Zuständen führen kann. Nicht von ungefähr sind Firmen gut beraten, in ihrer Einkaufsabteilung Menschen zu beschäftigen, deren charakterliche Integrität über jeden Zweifel erhaben ist: Sie sollen unbestechlich sein, damit wirklich nur diejenigen Zulieferer den Zuschlag erhalten, die das nach Qualität und Preis beste Angebot machen. Und es darf, um ein Beispiel aus unserem eigenen Berufsleben zu nennen, auch keine Rolle spielen, dass die Mutter einer Studentin mit mir in der Yogagruppe turnt, wenn es um die Betreuung und Beurteilung der Bachelorarbeit der Tochter geht. In der wirklichen Welt von Politik und Verwaltung sind die Verhältnisse aber nicht immer so einfach wie in den eben genannten Beispielen. Gerade an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung kommt es oft genug auf quasi-unternehmerische Fähigkeiten an, auf die Fähigkeit, informelle Beziehungen zu erkennen und sie gegebenenfalls sogar zu erzeugen, um sie für die Zwecke von Politik und Verwaltung nutzen zu können. Die jüngere verwaltungswissenschaftliche Forschung hat zu diesen Phänomenen eine eher positive, um nicht zu sagen unkritisch-affirmative Einstellung. Zum einen ist es in deskriptiver Hinsicht tatsächlich ein Fortschritt, informelle, netzwerkartige Verwaltungsformen stärker in den Blick zu nehmen und in diesem Segment die Analyse interpersoneller und interorganisatorischer Netzwerke voranzutreiben. Und zum anderen werden Alternativen oder Gegenkräfte zum strukturellen Konservatismus der Bürokratie sowohl im wirklichen Leben als auch in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur positiv bewertet. Jüngstes Beispiel ist der Modebegriff der „Agilität“, die in die Verwaltung Einzug halten solle (für einen Überblick vgl. Mergel, Bertot und Gong 2018). Aktive Netzwerker sind hier unter normativen Gesichtspunkten eher positiv konnotiert. Dass auch dies eine „ausblendende“ Perspektive und dass daher auch die netzwerkanalytische Betrachtung der Schnittstelle von Politik und Verwaltung durchaus noch erweiterungsfähig ist, soll das folgende Beispiel verdeutlichen, in dem es um einen tragischen Fall missbräuchlicher Agilität des zentralen Akteurs in einem interorga-
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nisatorischen Netzwerk an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung geht (vgl. zum Folgenden Seibel, Klamann und Treis 2017, 23–112, mit Quellennachweisen). Als die Stadt Duisburg im Spätsommer des Jahres 2009 begann, die für Juli 2010 in der Stadt vorgesehene „Loveparade“, eine Techno-Musik Veranstaltung mit rollenden Wagen unter freiem Himmel, zu planen, wurden sehr bald unüberwindbare Sicherheitsprobleme deutlich. Anders als bei den bisherigen „Loveparades“, die überwiegend in Berlin stattgefunden hatten, sollte die Parade selbst mit ihren zahlreichen Veranstaltungswagen nicht auf einem offenen Straßenparcours stattfinden, sondern auf dem geschlossenen Gelände eines stillgelegten Güterbahnhofs. Dadurch wurde des Bauordnungsamtes der Stadt Duisburg für die Genehmigung der Veranstaltung zuständig. Dort stellte man fest, dass weder die auf einem geschlossenen Gelände zulässige Höchstzahl von Veranstaltungsbesuchern – zwei Personen pro Quadratmeter – noch die erforderliche Mindestbreite der Fluchtwege von aggregierten 450 m sichergestellt werden konnten. Die Veranstaltung hätte also abgesagt oder eine andere Route der „Loveparade“ festgelegt werden müssen. Nun aber trat ein kommunaler Netzwerker auf dem Plan in Gestalt des Leiters des Dezernats für Recht und Sicherheit (Dezernat II) der Duisburger Stadtverwaltung, der für die Genehmigung der Veranstaltung gar nicht zuständig war, jedoch die für die Planung der „Loveparade“ eingerichtete Arbeitsgruppe leitete. Er setzte in mehreren Besprechungsrunden die für die Genehmigung zuständigen Mitarbeiter des Bauordnungsamtes unter Druck mit dem Hinweis, dass die Veranstaltung politisch gewollt sei und unter allen Umständen durchgeführt werden müsse. Er stellte den Kontakt zu einem Sachverständigen her, ein Professor für physikalische Strömungstechnik, der ein Gutachten zu den zu erwartenden Besucherströmen erstellte und dafür im Rahmen eines freihändig vergebenen Auftrags ein Honorar von 20.000 € erhielt. Der Sachverständige schloss seinerseits einen Untervertrag ab mit einer Firma, die frühere Angehörige seines eigenen Lehrstuhls gegründet hatten. Die lieferten das Gutachten auch pünktlich ab, das der sachverständige Professor anschließend prüfte und mit einer Stellungnahme an den Leiter des Dezernats für Recht und Sicherheit weiterleitete. Die Stellungnahme enthielt eine Vielzahl von Relativierungen und salvatorischer Klauseln, die deutlich machten, dass der Sachverständige sich in der entscheidenden Frage der Sicherheit der Veranstaltungsbesucher nicht festlegen wollte. Auf die eindeutige Rechtslage als einzigem verbindlichem Maßstab der Genehmigungsentscheidung nahm das Gutachten gar nicht Bezug. Es war offenbar nur eingeholt worden, um einer rechtswidrigen Genehmigungsentscheidung Scheinlegitimität zu verleihen. In die internen Beratungen wurde noch ein weiterer Sachverständiger einbezogen, ebenfalls an der eigentlich zuständigen Genehmigungsbehörde vorbei. Der berichtete auf einer Planungssitzung über einen Anruf bei dem in fachlicher Hinsicht zustän-
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digen aber ansonsten mit der Sache nicht befassten Referatsleiter im zuständigen Ministerium. Der habe ihm die – bei Lichte besehen banale – Tatsache bestätigt, dass es bei Veranstaltungen wie der „Loveparade“ im Bühnenbereich auch zu einer höheren Verdichtung der Besucherströme als die nach der Rechtslage erlaubten zwei Personen pro Quadratmeter kommen könne, was also noch kein Grund für das Versagen der Veranstaltungsgenehmigung sei. Auch diese nichtssagende und damit auch gänzlich irrelevante Mitteilung, noch dazu einer Privatperson, hatte offenbar nur den Zweck einer Scheinrechtfertigung. Der Leiter des für die Genehmigung gar nicht zuständigen Dezernats für Rechtsunsicherheit hielt im Übrigen ständigen Kontakt zu dem privaten Veranstalter der „Loveparade“ und forderte die Mitarbeiter des Bauordnungsamts unter Umgehung des Dienstvorgesetzten dieser Mitarbeiter dazu auf, „konstruktiv“ mit dem privaten Veranstalter zusammenzuarbeiten. Auch das lief auf die Aufforderung hinaus, die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften schlicht zu ignorieren und die Genehmigung der „Loveparade“ unter allen Umständen zu erteilen. Das geschah dann auch ganze 24 Stunden vor Veranstaltungsbeginn, nachdem die Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde durch politischen Druck und informelle Netzwerke monatelang unter Dauerdruck gestanden hatten. Auf einer zum Veranstaltungsgelände führenden Rampe kam es am 24. Juli 2010 auf Grund des engen Raumes und fehlender Fluchtmöglichkeiten zu einer derartigen Verdichtung des Besucherstroms, dass 21 Menschen den Tod fanden, die meisten von ihnen durch Kompression des Brustkorbs und Ersticken. Der Fall „Loveparade“ verdeutlicht auf exemplarische Weise, dass an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung Netzwerke entstehen können, die funktional und effektiv sind, aber unter bestimmten Umständen illegitimen Charakter annehmen und für illegitime Zwecke missbraucht werden können. Von besonderem Interesse ist daher der Charakter ebenjener Umstände, unter denen es zu solchen Fehlentwicklungen kommt. Und hier hat allem Anschein nach die empirische Netzwerkforschung – wenn wir über das „Ausblenden“ sprechen – einen blinden Fleck. Aufschlussreich ist die Tatsache, dass jener Dezernatsleiter, der so souverän die formalen Zuständigkeiten mit Hilfe informeller Netzwerke aushebelte, als agiler policy entrepreneur mit wachem Sinn für politische Erfordernisse und die Effektivität interorganisatorischer und interpersoneller Netzwerke wirkte. Eigentlich als Beamter modernen Typs, wie man sich ihn nur wünschen kann. Wo lag also das Problem und was hat das mit der Netzwerkanalyse selbst zu tun? Das Problem war die fehlende Verantwortungsethik dieses Beamten, die zur Aufrechterhaltung seiner persönlichen Integrität und zum Schutz der institutionellen Integrität der Genehmigungsbehörde erforderlich gewesen wäre, weil diese wiederum dem Schutz Dritter verpflichtet war, nämlich dem Schutz physischer Sicherheit der
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Besucher einer Großveranstaltung unter freiem Himmel. Dieser Dezernatsleiter etablierte und nutzte aus nachvollziehbaren, aber illegitimen Gründen informelle Netzwerke, in denen er selbst mit Notwendigkeit der zentrale Akteur war, bei dem die Fäden zusammenliefen. Diese Stellung missbrauchte er zur Durchsetzung einer Genehmigungsentscheidung gegen den Widerstand der eigentlich zuständigen Fachbeamten, wodurch Leib und Leben tausender Veranstaltungsbesucher gefährdet wurde, die alles Recht hatten, auf die Kompetenz einer professionellen und gesetzestreuen Kommunalverwaltung zu vertrauen. Schon die Mobilisierung des Netzwerks selbst gegen den Sachverstand und den Amtsethos der zuständigen Fachbeamten hatte unethischen Charakter, erst recht aber die Mobilisierung des mit der Netzwerkbildung verbundenen informellen Einflusses für eine Entscheidung, die unkalkulierbare Sicherheitsrisiken für zahllose Menschen auslösen musste. Diese ethische Dimension fehlt in konventionellen Netzwerkanalysen schon deshalb, weil die Rolle der Persönlichkeit und des persönlichen Charakters mit unterschiedlichen Ausprägungen von Verantwortungsethik in einen strukturanalytischen Ansatz wie dem der Netzwerkanalyse nicht ohne Weiteres zu integrieren ist. Andererseits liegt es auf der Hand und wird in marginalen Beiträgen zur Netzwerkliteratur auch berücksichtigt, dass relative Zentralität für sich genommen über die tatsächliche Kontrollkapazität von Netzwerkakteuren noch nichts aussagt. Um effektiv zu sein, erfordern netzwerkartige Governance-Strukturen an zentraler Stelle Persönlichkeiten, die den Netzwerkcharakter als solchen begreifen und darüber hinaus nicht nur die Netzwerkstruktur selbst, sondern auch ihr eigenes Verhalten innerhalb dieser Strukturen unter Kontrolle halten können (vgl. Oh und Kilduff 2008 zur Bedeutung von self monitoring in sozialen Netzwerken). Das gilt übrigens für legale und für kriminelle Netzwerke gleichermaßen. Aber an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung unter demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen gehört zu dieser Selbstkontrolle die Fähigkeit, Folgen – positive wie negative – abzuschätzen und die Bereitschaft, sich diese Folgen zurechnen zu lassen. So die klassische Definition der Verantwortungsethik im Unterschied zur Gesinnungsethik in Max Webers „Politik als Beruf“ (1919, 56–57). Der normative Sinn dieser Anforderung liegt auf der Hand, er liegt im Erfordernis der Sicherung verantwortlichen Regierungs- und Verwaltungshandelns durch die Wahrung persönlicher und institutioneller Integrität. Informelle Netzwerke sind nun einmal besonders anfällig für die Verzerrung und Verschleierung von Verantwortung und damit generell für die Inkaufnahme von Risiken zulasten Dritter. Auch im Fall der „Loveparade“ hätte es keine Toten und Verletzten gegeben, wäre alles konventionell-bürokratisch zugegangen. Also altmodisch und rechtsstaatlich statt „agil“ und netzwerkbasiert.
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Die Anforderung an die empirische Netzwerkforschung liegt darin, Instrumente für die Beobachtung und Messung von Verantwortungsethik bei der Netzwerksteuerung zu entwickeln. In der Überlappungszone von Leadership-Forschung, Sozialpsychologie, Verhaltensökonomik und, eben, Netzwerkforschung könnte man hier fündig werden. Unabhängig von der offensichtlichen normativen Relevanz hätte es auch deskriptiv-analytischen Wert, die Bedingungen näher zu untersuchen, unter denen ‚gutartige‘ in ‚bösartige‘ Netzwerke „kippen“. Diese ontologische Perspektive, angedeutet in Milward’s Konzept „grauer“ Netzwerke (Milward 2018), wäre eine fruchtbare Ergänzung der analytischen Trennung regulärer und legitimer Netzwerke auf der einen Seite und illegaler „dunkler“ Netzwerke (Raab und Milward 2003; Milward und Raab 2006) in Form von Terrorismus und organisierter Kriminalität auf der anderen Seite.
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Technologieakzeptanz und nachhaltiges Verbraucherverhalten: Ein experimentelles Design zum Einfluss von sozialen Strukturen1 Achim Lang Technologieakzeptanz und nachhaltiges Verbraucherverhalten
1 Problemstellung Umwelt- und Gesellschaftsprobleme im Zusammenhang mit der Energienutzung haben die Entwicklung nachhaltiger Energietechnologien vorangetrieben. Die öffentliche Akzeptanz dieser Technologien ist entscheidend für ihre erfolgreiche Einführung in die Gesellschaft. Obwohl verschiedene Studien die Technologieakzeptanz untersucht haben, konzentrierten sich die meisten Studien auf technologische oder sozio-demographische Faktoren und vernachlässigten die Rolle von sozialen Netzwerken in der Entstehung von Technologieakzeptanz. Ein sparsamer Umgang mit Ressourcen kann durch soziale und technische Innovationen erreicht werden, welche die Energieeffizienz erhöhen sowie durch verändertes Investitions- und Verbraucherverhalten den Energieverbrauch reduzieren (Geller et al. 2006; Brohmann et al. 2011). Obschon weitreichende politische Steuerungsinterventionen bereits auf der internationalen und nationalen Ebene implementiert sind, bleiben doch beachtliche Spielräume auf kommunaler Ebene, welche die Nachhaltigkeit in der Gewinnung und dem Konsum von Energie steigern. Kommunen können z. B. den Anteil erneuerbare Energien erhöhen, Erzeugungsstrukturen dezentralisieren und eigenständige Maßnahmen lancieren, um den Energieverbrauch zu senken. Durch die vielfältigen Aktivitäten von Gemeinden sind solche kommunalen Nachhaltigkeitsstrategien in letzter Zeit auch verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt. Die meisten Arbeiten zu diesem Themengebiet 1 Dieses Forschungsdesign basiert auf einem Forschungsantrag, den Volker Schneider und ich im Jahr 2014 entwickelt haben. Darin ging es jedoch vornehmlich um politische Diskurse. Ich habe diesen Antrag sehr stark überarbeitet und v. a. die Positionierung im sozialen Netzwerk als politische Interventionsstrategie eingefügt. Zudem basiert das Forschungsdesign nun auf einer experimentellen Vorgehensweise. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_18
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haben, ebenso wie die lokalen Nachhaltigkeitsagenden selbst, eine techniklastige Schwerpunktsetzung. Hier geht es meist um technische System- und Potentialanalysen, in denen ein optimales Energiemodell gefunden werden soll. Dieser ingenieurswissenschaftliche Zugang stellt das erforderliche System- und auch Zielwissen bereit, ohne das eine erfolgreiche Transformation der lokalen Energieversorgung nicht möglich wäre. Jedoch birgt der Einsatz neuartiger Technologien auch ein erhebliches Akzeptanzrisiko von Seiten der Bürgerinnen und Bürger, das einen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen von Nachhaltigkeitsstrategien im Energiebereich hat.
2 Zielsetzung Das geplante Forschungsvorhaben setzt an der Gestaltungs- und Transformationsaufgabe an, die ein hohes Maß an „Transformative Literacy“ (Schneidewind 2013) erfordert. Diese „Transformative Literacy“ wird besonders in den lokalen Technologiediskursen deutlich, die der Akzeptanz oder der Ablehnung von Energietechniken zugrunde liegen. Die zentrale Annahme des Forschungsprojekts ist, dass sich die Wahrnehmung über den Nutzen, die Risiken und Probleme einer Technik erst im Laufe von sozialen Interaktionen bei den Bürgern verfestigen. Somit kommt diesen Prozessen eine erhebliche Bedeutung bei der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu. Auf der handlungsleitenden Ebene soll das Projekt soziale Netzwerkinterventionsstrategien identifizieren, die es ermöglichen die Technikakzeptanz2 der Bürgerinnen und Bürger in Kleingemeinden zu erhöhen und die Umsetzung einer lokalen Nachhaltigkeitsstrategie voranzutreiben.
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U. a. folgende Energietechniken stehen im Fokus der Studie: Solarthermischen Anlagen für die Warmwasserbereitung, Photovoltaische Anlagen zur Stromerzeugung, Elektromobilität und Pumpspeicherkraftwerke.
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Erfassung der Akzeptanz von Energietechniken
Die Forschung zur Technologieakzeptanz befasst sich mit Fragen zur Nutzerakzeptanz von technischen Artefakten bis hin zur gesellschaftlichen Akzeptanz großtechnischer Systeme (Schäfer u. Keppler 2013). Schäfer und Keppler argumentieren, dass die aktuelle Technikakzeptanzforschung zwei Ziele verfolgt. Das analytische Ziel besteht in der „Analyse der Faktoren und Mechanismen, die die Entstehung von Akzeptanz fördern oder erschweren“ (Schäfer u. Keppler 2013, S. 9) während das transformative Ziel in der „Einführung und Durchsetzung von Technik sowie die technischen Innovationen selbst“ (Schäfer u. Keppler 2013, S. 9) liegt. Die Forschung zur Technologieakzeptanz geht somit von einer Einstellungsdimension und einer Handlungsdimension der Akzeptanz aus (Huijts et al. 2012). Die Einstellungsdimension der Technologieakzeptanz, d. h. die beabsichtigte oder tatsächliche Nutzung einer neuen Technik, wird zumeist unter Rückgriff auf das Technology Acceptance Model analysiert, das seit der Einführung in den 1980er Jahren eine stete Weiterentwicklung erfahren hat (Davis 1989; Venkatesh et al. 2003) und neuerdings auch im Bereich der erneuerbaren Energie eingesetzt wird (Huijts et al. 2012; Vastamäki et al. 2005). In der Unified Theory of Acceptance and Use of Technology, die auf einer Meta-Analyse von theoretische Modelle aus dem Bereich Technologieakzeptanz beruht, werden verschiedenen Faktoren einen Einfluss auf die Akzeptanz zugeschrieben (Venkatesh et al. 2003): der Faktor erwartete Leistungsfähigkeit umfasst die subjektive Bewertung über den Nutzen des technischen Systems. Der Faktor erwarteter Aufwand umfasst die Einfachheit des Erlernens und die Bedienung des technischen Systems. Der Faktor sozialer Einfluss umfasst den Einfluss des sozialen Umfeldes auf die Akzeptanz und die Nutzung des technischen Systems. Huijts et al. haben dieses Modell erweitert und auf die Akzeptanz von Technik im Bereich erneuerbare Energien ausgelegt. Dieses Modell soll als Basis der lokalen Technologieakzeptanz dienen. Huijts et al modellieren Technologieakzeptanz als abhängig von (1) der Einstellung zur Technik, welche durch die wahrgenommenen und vermuteten Kosten, Nutzen und Risiken der Technik beeinfluss wird; (2) dem erwarteten Aufwand bei der Umstellung auf die neue Technik; (3) sozialen und (4) persönlichen Normen. Unter sozialen Normen wird Einfluss aus dem sozialen Netzwerk einer Person verstanden. Das Forschungsdesign ist durch theoretische Debatten darüber motiviert, wie soziale Normen entstehen und innerhalb von sozialen Netzwerken weitergegeben werden (Prentice 2012; Banerjee et al. 2013; Paluck et al. 2016). Die Theorie legt nahe, dass die meisten Netzwerkmitglieder danach streben, die sozialen Normen innerhalb des Netzwerks zu verstehen und ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen (Cialdini u. Trost 1998). Wenn viele Einzelpersonen in einem Netzwerk
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eine ähnliche Norm wahrnehmen und ihr Verhalten anpassen, dann kann sich ein gemeinschaftsweites Verhaltensmuster herausbilden. Soziale Normen können den Netzwerkmitgliedern durch Erzählungen oder Ratschläge direkt vermittelt werden. Wissenschaftliche Experimente legen jedoch nahe, dass Einzelpersonen durch Beobachtung des Verhaltens anderer Netzwerkmitglieder oft darauf schließen, welche Verhaltensweisen typisch und wünschenswert sind (Cialdini u. Trost 1998; Paluck et al. 2016). Theorien der Normwahrnehmung sagen aus, dass Individuen soziale Gemeinschaftsnormen ableiten, indem sie das Verhalten von jenen Netzwerkmitgliedern beobachten, die viele Verbindungen innerhalb des sozialen Netzwerks der Gemeinschaft haben. Solche als soziale Bezugspersonen (Paluck et al. 2016) bezeichneten Einzelpersonen können für Gemeinschaftsmitglieder wichtige Quellen für normative Informationen sein, da ihre vielen Verbindungen ein vergleichsweise größeres Wissen über typische oder wünschenswerte Verhaltensmuster in der Gemeinschaft implizieren. Eine Interventionsstrategie besteht darin, in ein bestehendes soziales Netzwerk Personen zu integrieren, die erwünschte Verhaltensweisen und Technologieakzeptanz zeigen, um Prozesse der sozialen Einflussnahme auszulösen, die das erwünschte Verhalten über das persönliche Netzwerk verbreiten (Banerjee et al. 2013).
4 Methodik Inspiriert durch die Konzepte wie „Gesellschaft als Labor“ und „Realexperimente“ (Krohn u. Weyer 1989) ist das Zusammenspiel von Norm- und Wissensdiffusion unter überschaubaren Bedingungen als „Living Lab“ oder „Reallabor“ bezeichnet worden (Schneidewind und Scheck 2013). Wie im „Labor“ sei es „in diesen Settings von überschaubarem Ausmaß möglich, Veränderungsprozesse zu beobachten, in ihren Ursachen und Wirkungen besser zu verstehen, Probleme ggf. früh zu erkennen und gemeinsam mit den vor Ort Betroffenen Maßnahmen zu ihrer Lösung zu entwickeln.“ (Schneidewind u. Scheck 2013, S. 242) Im lokalen Rahmen ließen sich gesellschaftliche Entwicklungen faktisch wie „im Reagenzglas beobachten und Erkenntnisse auf höhere Ebenen skalieren“ (Schneidewind u. Scheck 2013, S. 242). Ziel des Forschungsvorhabens ist, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für nachhaltigen Energieverbrauch im ländlichen Raum zu untersuchen. In einem Reallabor-Experiment sollen vor allem die sozialen Netzwerkstrukturen der Technologieakzeptanz in Kleingemeinden beleuchtet werden, um Erkenntnisse für die politische Begleitung von ökologischen Transformationsprozessen in solchen Gemeinden zu gewinnen. Konkret geht es um die Akzeptanz und Nutzung energie-
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effizienter und regenerativer Energietechnik in deutschen Kleingemeinden. Unter Akzeptanz wird, in Anlehnung an Schäfer u. Keppler (2013), verstanden „dass jemand (bzw. ein näher zu definierendes Akzeptanzsubjekt) etwas (das Akzeptanzobjekt) innerhalb der jeweiligen Rahmen- oder Ausgangsbedingungen (Akzeptanzkontext) akzeptiert oder annimmt“ (Schäfer u. Keppler 2013, S. 243). Akzeptanzsubjekte sind die Bürgerinnen und Bürger von Kleingemeinden. Akzeptanzobjekte sind energiesparende Techniken, regenerative Energietechniken und energiesparendes Nutzungsverhalten sowie der Akzeptanz größerer Transformationen des lokalen Energiesystems (z. B. Pumpspeicherkraftwerk und Photovoltaische Freifeldanlagen). Das Forschungsdesign sieht eine experimentelle Intervention zur Förderung technikaffiner Normen und Verhaltensweisen bei der Bevölkerung von kleinen Gemeinden in Deutschland vor. Es soll getestet werden, ob das Verhalten und die Wahrnehmung der Bevölkerung in den Gemeinden durch das Verhalten von sozialen Bezugspersonen beeinflusset und dadurch die Technologieakzeptanz insgesamt verändert wird. In einem experimentellen Setting, das über mehrere Jahre durchgeführt werden sollte, würden 50 Kleingemeinden3 in Deutschland nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und zufällig der Interventions- und der Kontrollgruppe zugeteilt werden. Innerhalb der Interventionsgruppen-Gemeinden werden nach dem Zufallsprinzip Bürgerinnen und Bürger ausgewählt, die eine Weiterbildung in energieeffizientem Verhalten erhalten. Vor der Intervention durch die Weiterbildung soll noch für jede Gemeinde das soziale Netzwerk bestimmt werden, um den Grad der Einbettung der Bürgerinnen und Bürger zu bestimmen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen dabei angeben mit welchen Bürgerinnen und Bürger sie in den letzten Wochen Zeit verbracht haben. Diese Frage ist speziell darauf ausgerichtet, die Struktur im sozialen Netzwerk einer Gemeinde aufzudecken und Personen mit hohem Prestige zu identifizieren. Am Ende des Untersuchungszeitraums soll ermittelt werden, ob sich die Interventions- und Kontrollgemeinden hinsichtlich der Technologieakzeptanz unterscheiden. Zudem soll analysiert werden, ob die Einbettung der Personen, die eine Schulung in energiesparendem Verhalten bekommen haben, zu einem Unterschied bei der Akzeptanz geführt hat.
3 Alternativ könnten auch 2–4 Gemeinden nach dem Most-Similar-Systems-Prinzip ausgewählt werden.
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5 Fazit In einem experimentellen Design soll untersucht werden, ob durch zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die eine Schulung zu energiesparenden Techniken und energiesparendem Nutzungsverhalten bekommen, die Akzeptanz der Techniken in Kleingemeinden insgesamt zunimmt und das Nutzungsverhalten sich entsprechend verbessert. Zudem soll analysiert werden, welche Rolle die Einbettung der geschulten Bürgerinnen und Bürger in das soziale Netzwerk der Gemeinde bei der Verbreitung der sozialen Normen spielt. Aus den Resultaten der Studie können politische Interventionsstrategien zu energiesparenden Technologien in Zukunft zielgenau ausgestaltet werden. Durch die Identifikation von Bürgerinnen und Bürgern, die im Netzwerk der Gemeinde eine zentrale Position einnehmen, können sozialen Normen in einer Gemeinschaft gezielt verbreitet werden. Das Verhalten der Bezugspersonen und deren Wahrnehmung durch die Bevölkerung in den Gemeinden sollte die Technologieakzeptanz von neuen Technologien positiv verändern. Durch das experimentelle Design kann zudem ermittelt werden, welche Art der Netzwerkstruktur bzw. Positionierung der Bürgerinnen und Bürgern die Technologieakzeptanz besonders fördern. Dadurch ergeben sich auch generelle Hinweise, welche strukturellen Eigenschaften Multiplikatoren in einer Gemeinde haben müssen, um bestimmte (erwünschte) soziale Normen zu fördern.
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Transnationale Lieferketten und die Verantwortung multinationaler Unternehmen Boris Holzer, Sebastian Koos, Michael Stürner und Rüdiger Wilhelmi Transnationale Lieferketten und die Verantwortung …
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Weltweite Verflechtungen, weltweite Verpflichtungen?
Aus der Perspektive nationalstaatlicher Politik erschien die Globalisierung wirtschaftlichen Handelns von Beginn an als ein Prozess, der die vermeintliche „Abgeschlossenheit der einzelnen Nationalitäten“ untergräbt und seine Protagonisten „über die ganze Erdkugel“ jagt (Marx und Engels 1969, S. 465). Wenn man globale ökonomische Vernetzung als De- oder Transnationalisierung und damit als eine Form des „disembedding“ (Dicken 1998) begreift, liegt die Frage nach „Gegenbewegungen“ nahe: Unter diesem Titel werden seit Polanyi (1957) Formen der „(Selbst)Verteidigung der Gesellschaft“ gegen die Expansion der Marktwirtschaft diskutiert. Kritische Beobachter der zeitgenössischen Globalisierung suchen nach Äquivalenten – und werden mal mehr, mal weniger fündig (Birchfield 2005; Burawoy 2014; Silver und Arrighi 2016). In der politischen Theorie ebenso wie in der politischen Praxis laufen viele Überlegungen darauf hinaus, Nationalstaat und (wirtschaftliche) Globalisierung gegenüberzustellen. Die Einhegung des Marktes ist dann auch ein Problem der Kontrolle von Grenzen: „Verteidigung“ als Protektionismus. Die theoretischen und praktischen Probleme und Widersprüche, die sich aus dieser Gegenüberstellung von Staat und Globalisierung ergeben, sind bekannt und sollen hier nicht weiter vertieft werden. Statt (markt)wirtschaftliche und gesellschaftliche Kräfte als entgegengesetzt zu begreifen, basiert der im Folgenden geschilderte Forschungsansatz auf der Annahme, dass wirtschaftliche, soziale und diskursive Netzwerke sich wechselseitig bedingen und beeinflussen. Konkret gehen wir davon aus, dass wirtschaftliche Verknüpfungen, die durch die globale Arbeitsteilung und die daraus resultierenden transnationalen Lieferketten entstehen, den Boden bereiten für Debatten und Konflikte über Fragen globaler Ungleichheit und Gerechtigkeit: © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_19
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Wenn entfernte Orte durch Produktion und Konsum verbunden werden, nehmen auch die faktischen Anlässe und die guten Gründe für grenzüberschreitende soziale und moralische Beziehungen zu (Young 2006). Entsprechende Debatten entzünden sich häufig an konkreten Ereignissen und Krisen: so zum Beispiel im September 2012, als 260 Arbeiter bei einem Brand in einer pakistanischen Bekleidungsfabrik ums Leben kamen. Dass die Fabrik den deutschen Bekleidungseinzelhändler KiK belieferte, stieß eine öffentliche Debatte über die Verantwortung von Konzernen in derartigen Fällen an. Wenig später wurde die deutsche Firma von Überlebenden sowie Hinterbliebenen von Opfern des Brandes vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz verklagt. Sie argumentierten, KiK trüge die Verantwortung für die Sicherheitsmängel seines pakistanischen Lieferanten. Das Gericht bejahte zwar seine internationale Zuständigkeit für den Fall, entschied aber 2019, dass die Ansprüche, die wegen des engen räumlichen Bezugs zum Ort des Geschehens pakistanischem Recht unterstanden, verjährt seien. Trotz der dadurch ausbleibenden Entscheidung über die eigentliche rechtliche Fragestellung demonstriert das Verfahren, dass und wie Konzerne für die Handlungen ihrer ausländischen Lieferanten prinzipiell in Haftung genommen werden könnten. Ähnliche Verfahren wurden und werden in anderen westlichen Ländern angestrengt. Die Moralisierung, Politisierung und rechtliche Regulierung globaler Verflechtungen ist jedoch kein Automatismus. Trotz einer gewissen Aufmerksamkeit für Fragen globaler Ungleichheit sind diese nicht Gegenstand der institutionellen Problemwahrnehmung und -bearbeitung nationalstaatlicher Politik. Man könnte sogar sagen, dass globale Ungleichheit – im Unterschied zur Ungleichheit in nationalen Kontexten – durch den modernen Wohlfahrtsstaat „invisibilisiert“ wird (Stichweh 2000, S. 69). „Moralische Unternehmer“ stoßen in diese Lücke und greifen Themen auf, die weder von einzelnen Nationalstaaten noch von zwischenstaatlichen Institutionen systematisch bearbeitet werden (Keck und Sikkink 1998). Das geplante Forschungsprojekt soll die Bedingungen und Mechanismen beleuchten, die eine Thematisierung und Bearbeitung der Probleme transnationaler Lieferketten ermöglichen oder behindern. Entsprechende Prozesse werden in thematisch fokussierten Diskurs- und Verhandlungsnetzwerken vermutet, die angesichts der sachlich und geographisch verteilten Zuständigkeiten in Fragen transnationaler Regulierung verschiedene Fälle und politisch-rechtliche Systeme überbrücken und verbinden. Im Folgenden skizzieren wir kurz den allgemeinen Modus der politischen Problemverarbeitung, der auch die Thematisierung von Fragen globaler Ungleichheit bestimmt. Daraus ergibt sich die Frage nach den Besonderheiten der Problemartikulation und -bearbeitung bei der Zuschreibung von Verantwortung
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in transnationalen Lieferketten. Sie steht im Fokus einer geplanten empirischen Studie diskursiver und politisch-strategischer Netzwerke in diesem Politikfeld.
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Problemartikulation und bearbeitung
Ein Sensorium für neue politische Probleme ist zentraler Bestandteil des modernen politischen Systems. Informationen darüber, für welche gesellschaftlichen Anliegen politischer Entscheidungsbedarf besteht, erhält die Politik zum Beispiel über Wahlen. Doch diese finden zwar regelmäßig, aber nicht allzu häufig statt und können darüber hinaus nur relativ hoch aggregierte Entscheidungsprobleme zur Wahl stellen. Instruktiver ist die themenspezifische Artikulation von Problemen. Eine typische „Problemkarriere“ beginnt mit der Aggregation und Organisation von Anliegen durch Bürgerinitiativen, Interessengruppen und Parteien und setzt sich fort in der Thematisierung ausgewählter Probleme in der medialen Öffentlichkeit (vgl. Schneider 1988, 49ff.). Man kann diesen Modus der Problemverarbeitung als ein „System von Schleusen“ beschreiben, das zwischen dem Zentrum und der Peripherie des politischen Systems vermittelt (Habermas 1992, 429ff.; Peters 1993, 327ff.): Im Zentrum des politischen Systems sind Zuständigkeiten und Verfahren etabliert, die Entscheidungsmöglichkeiten für Probleme bereitstellen: also Verwaltungs- und Regierungsentscheidungen, aber auch die Verabschiedung neuer und die Anwendung bestehender Gesetze in Parlamenten und Gerichten. Themen müssen auf dem Weg von der Peripherie, die Probleme aufgreifen, aber nicht kollektiv bindend entscheiden kann, zum Zentrum des politischen Systems eine Reihe von Hürden überwinden. Diese betreffen einerseits ihre soziale Generalisierung, andererseits ihre institutionelle Kanalisierung: Erstens müssen Themen und Probleme ausreichende öffentliche Resonanz finden, wenn sie auf die Agenda politischer Entscheidungsfindung gelangen sollen; sie müssen also soweit aggregiert und generalisiert werden, dass sie nicht lediglich als individuelle Beschwerde, sondern als kollektives Anliegen plausibel werden. Zweitens stehen verschiedene Kanäle zur Verfügung, um auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen: Die parlamentarische Willensbildung kann über Parteien und die öffentliche Meinung beeinflusst werden; die Verwaltung kann unter bestimmten Umständen durch Protest und öffentlichen Druck beeindruckt werden; Gerichte schließlich können in Anspruch genommen werden, um Rechte gegenüber Politik und Verwaltung geltend zu machen oder um die Rechtsprechung selbst – und damit letztlich die Rechtsordnung – zu beeinflussen und zu verändern.
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Neue Probleme, die von den institutionalisierten Entscheidungsroutinen nicht oder nur unzureichend erfasst werden, müssen ausgehend von der Peripherie des politischen Systems nicht nur thematisiert, sondern auch wirksam problematisiert werden, damit sie an den „Schleusen demokratischer und rechtsstaatlicher Verfahren“ (Habermas 1992, S. 432) überhaupt Beachtung finden. Im Fall transnationaler Lieferketten zeigt der Begriff der „Peripherie“ nicht nur eine sachliche und soziale Distanz zwischen Problementstehung und Entscheidungskompetenz an, sondern auch eine räumliche: Als Reaktion auf unzureichende Entscheidungs- und Regulierungsmöglichkeiten an den Produktionsstätten (zumeist im Globalen Süden) „externalisieren“ Nichtregierungsorganisationen (NGOs) das Problem, indem sie sich primär an Konsumenten und Entscheider in den Absatzregionen wenden (Tarrow 2005). Die Zusammenarbeit (aber auch: Konkurrenz) transnationaler NGOs aus dem globalen Süden und aus dem globalen Norden ist bereits Gegenstand intensiver Forschung. Sie hat gezeigt, wie „Bumerang“-Effekte genutzt werden können, um Einfluss über nationale Grenzen hinweg zu gewinnen (Keck und Sikkink 1998), wie lokale Themen „externalisiert“ werden, um transnationale Aufmerksamkeit zu erlangen (Tarrow 2005) und dass NGOs aus dem globalen Norden eine zentrale Rolle bei der Auswahl von Themen und Fällen für eine strategische Mobilisierung spielen (Bob 2002, 2005). Im Hinblick auf globale Lieferketten wurden Fragen der Externalisierung vor allem im Hinblick auf die Mobilisierung ethischen und ökologisch orientieren Konsumenten und des entsprechenden „Framings“ von Themen und Ereignissen untersucht (Koos 2016; Stolle und Micheletti 2013). Vor diesem Hintergrund zielt unsere Forschung darauf ab, den Prozess des transnationalen Agenda-Settings zu analysieren. Dabei spielen sowohl die Einflussnahme auf politische Entscheidungen als auch die Inanspruchnahme von Gerichten eine Rolle. Das Forschungsvorhaben greift also insbesondere auf, dass das „Schleusenmodell“ nicht nur die diskursive Mobilisierung einer politischen Öffentlichkeit, sondern auch die Inanspruchnahme von Gerichten als einen Modus der Einflussnahme hervorhebt. Neben den aus der Forschung sozialer Bewegungen bekannten „politischen Opportunitätsstrukturen“ (McAdam et al. 1996) sollen deshalb „rechtliche Opportunitätsstrukturen“ in die Analyse einbezogen und entsprechende Konzepte entwickelt werden. Unterschiedliche gesetzliche Regelungen und Verfahrenswege schaffen spezifische Opportunitätsstrukturen für transnationalen Aktivismus. Dieser kann sich darauf richten, geltendes Recht und seine Anwendung zu ändern oder versuchen, Gerichtsverfahren und ihr öffentliches Echo primär zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu nutzen. Daran schließt sich die Frage an, ob und wie sich die öffentliche Thematisierung und die juristische Bearbeitung des Problems transnationaler Lieferketten zuein-
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ander verhalten und gegebenenfalls ergänzen. Beide sind verknüpft über die Frage nach der Verantwortung für Normverletzungen und Unfälle. Die gesellschaftliche Zuschreibung von Verantwortung auf der einen Seite und die rechtliche Definition von Haftung auf der anderen sind dynamisch und beeinflussen sich wechselseitig: Aktivisten betreiben die öffentliche Zuschreibung von Verantwortung in Form einer „Moralisierung“ wirtschaftlicher Entscheidungen (Holzer 2010). Dies geschieht teilweise in Anlehnung an rechtliche Normen der Verantwortungszurechnung, die zum Beispiel Ansprüche auf Unterlassung oder Schadenersatz begründen können (Wilhelmi 2012); teilweise gehen die moralischen Ansprüche aber auch über das hinaus, was rechtlich durchsetzbar ist. Die rechtliche Regelung der Haftung von Unternehmen muss den weiter reichenden Vorstellungen der Öffentlichkeit nicht entsprechen, doch Anpassungen und Veränderungen der Gesetzgebung ebenso wie der Rechtsprechung orientieren sich an gesellschaftlichen Konventionen der Verantwortungszurechnung in komplexen Handlungszusammenhängen, zu denen global organisierte Produktionsketten zweifellos gehören.
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Diskursive und strategische Netzwerke
Das Projekt zielt darauf ab, das Wechselspiel zwischen öffentlichem Diskurs, den Strategien von Aktivisten und der rechtlichen Regulierung transnationaler Lieferketten zu analysieren. Um der komplexen „Mehrebenenstruktur“ (Schneider 1998) des Forschungsgegenstands gerecht zu werden, kombiniert die methodische Herangehensweise unterschiedliche Datenquellen und Analyseverfahren. Es sollen einerseits die Diskurskonstellationen und koalitionen zur Frage der Verantwortung in und Regulierung von transnationalen Lieferketten in verschiedenen Ländern erhoben und verglichen werden; andererseits werden die Entwicklung der Rechtsetzung und Rechtsprechung anhand ausgewählter Fälle analysiert. Idealerweise wäre dieses Programm in umfassender vergleichender Perspektive umzusetzen, d. h. mit Blick auf ausgewählte Länder in Europa, Nordamerika und im Globalen Süden. Aus pragmatischen Gründen wird zunächst der Vergleich zwischen europäischen und US-amerikanischen Kontexten im Vordergrund stehen. Dieser ist von besonderem Interesse, da dadurch unterschiedliche politische Öffentlichkeiten, Rechtstraditionen und Unternehmensregime kontrastiert werden können. Die beiden Kontexte teilen darüber hinaus das Merkmal, dass NGOs in Abhängigkeit von den jeweiligen „legal opportunity structures“ versuchen, die Verantwortung multinationaler Unternehmen durch Klagen feststellen zu lassen. In den USA konnte an Präzedenzfälle angeknüpft werden, in denen beispielsweise die
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Nachfahren von Opfern des Holocaust Klagen gegen Deutschland und Österreich sowie gegen deutsche Unternehmen angestrengt hatten. Nachdem der US Supreme Court im Jahr 2013 anlässlich einer Klage gegen Royal Dutch/Shell das die „Human Rights Litigation“ durch eine ausgreifende internationale Zuständigkeit erst ermöglichende „Alien Tort Statute“ nunmehr deutlich restriktiver ausgelegt hat (Stürner 2014), sind vermehrt entsprechende Gelegenheitsstrukturen in Deutschland und anderen europäischen Ländern in den Blick der Aktivisten geraten. Die strategische Prozessführung („strategic litigation“) dient als Verbindungsglied zwischen der Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit und der Klärung und Weiterentwicklung gesetzlicher Haftungsnormen (Graser und Helmrich 2019; Hahn 2019). Sie ist in unterschiedlichen Bereichen – von Fragen des Arbeitsrechts über Diskriminierung bis hin zu Menschenrechten – zu einem wichtigen Element des „Repertoires“ sozialer Bewegungen und transnationaler NGOs geworden (Fuchs 2013). Strategische Prozessführung nutzt „rechtliche Gelegenheitsstrukturen“ in mindestens zwei Funktionen: Erstens, um durch die Berichterstattung über das Verfahren öffentliche Resonanz zu erzeugen; zweitens aber auch als einen zusätzlichen Kanal, um die Problembearbeitung im politisch-rechtlichen System anzustoßen. Aus beiden Gründen bietet strategische Prozessführung den Vorteil, dass auch negative Entscheidungen das eigene Anliegen fördern können: sei es durch öffentliche Empörung oder die Eröffnung weiterer Klage- und Revisionsmöglichkeiten. Ziel des Projekts ist es, die Entwicklung der öffentlichen Diskussion in ihren Auswirkungen auf neue Formen der Regulierung und auf die Rechtsprechung zu analysieren. Die öffentliche Debatte wird in komparativer Perspektive anhand der Entwicklung diskursiver Netzwerke zum Thema Verantwortung und Haftung multinationaler Unternehmen rekonstruiert. Mithilfe einer vergleichenden Diskursnetzwerkeanalyse (DNA) soll dazu die Veränderung der Themen und Akteurkonstellationen in der politischen Öffentlichkeit über einen Zeitraum von 20 Jahren nachgezeichnet werden (Leifeld 2016a, 2016b). Unterschiede in der Struktur und Positionierung der beteiligten Akteure sollen Aufschluss geben, ob und wie das Thema erfolgreich als Problem artikuliert und in die politischen und juristischen Entscheidungsverfahren transportiert werden konnte (vgl. Schneider 2014). Besondere Aufmerksamkeit gilt der Frage, inwieweit kritische Ereignisse (z. B. Unfälle oder auch Gerichtsentscheidungen) das diskursive Feld (re-)strukturiert haben. Dabei sind zum einen die Unterschiede interessant, die sich durch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der untersuchten Länder ergeben, zum anderen die Gemeinsamkeiten und Verbindungen, die vor allem durch die Aktivitäten transnationaler strategischer Netzwerke von NGOs bedingt sind. Fragen der Verantwortung und Haftung in transnationalen Lieferketten setzen nicht zwangsläufig eine „Gegenbewegung“ zur ökonomischen Globalisierung oder
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zum globalen Markt in Gang. Die Gesellschaft wird nicht verteidigt, sondern zuerst einmal artikuliert: Es geht nicht um die Verringerung oder Abwehr grenzüberschreitender Produktion, sondern darum, globale Verpflichtungen geltend zu machen. Dies setzt voraus, eine soziale Zurechnung von Verantwortung plausibel zu machen, die über rechtlich definierte Haftung hinausgeht bzw. Lücken nationaler Rechtsordnungen thematisiert. Diese Verantwortungszurechnung ist Folge einer transnationalen Vergesellschaftung, die ungleiche Standards und Regulierungen als problematisch erscheinen lässt. Die politischen Netzwerke, die diese Artikulation leisten, sind darauf gerichtet, administrative und rechtliche Entscheidungen zu beeinflussen und zu verändern. Das Forschungsvorhaben soll zeigen, ob dies gelingt und welche Diskurse und Strategien dabei eine Rolle spielen.
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Weltpolitische Dynamik und polarisierte Diskurse Eine Analyse von Makrostrukturen der Kulturen durch eine „Global Map of Ideas“ Melanie Nagel und Keiichi Satoh
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Problemstellung – Komplexität in einer zunehmend polarisierten Welt
Die Schlagzeilen in der internationalen Presse zum weltpolitischen Geschehen vermitteln den Eindruck, dass die Welt zunehmend polarisierter und konfliktgeladener wird. Es gibt viele Konfliktherde, wie beispielsweise im Nahen Osten oder in Europa (Ukraine). Dazu entsteht eine zunehmende Entfremdung von der Türkei und Russland. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stehen westlichen Werten unvereinbare Werte, kulturelle Muster und Traditionen gegenüber (Reckwitz 2018). Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington hatte vor 20 Jahren mit seinem Werk „Clash of Civilizations“ ein Schreckgespenst skizziert und prophezeite eine weltpolitische Entwicklung mit Glaubens- und Kulturkämpfen in gigantischem Ausmaß (Huntington 1993). Trotz starker Kritik (siehe z. B. Henderson und Tucker 2001; Fox 2002) könnte man annehmen, dass Huntington recht hatte und die Unvereinbarkeit der Kulturmuster zu einer Abwärtsspirale globaler Konflikte führen wird. Die durch Globalisierung verbreitete „Hyperkultur“, welche geprägt ist durch Kosmopolitismus, Diversität und Selbstentfaltung, steht einem durch religiöse fundamentalistische Bewegungen (innerhalb des Islam, Christentums und Judentums) geprägten „Kulturessenzialismus“ gegenüber, einem erstarkten Kulturnationalismus (Russland und China) und rechtspopulistischen und identitären Bewegungen (in Europa und Nordamerika) (Reckwitz 2018). Anders jedoch als bei Huntingtons klar abgetrennten Kulturkreisen, geht es hierbei primär um einen Konflikt der Kulturalisierung in den einzelnen nationalen Gesellschaften selbst, d. h. die Konfrontation findet nicht zwischen Gesellschaften, sondern auch inmitten einer jeden Gesellschaft statt. Das erschreckende Zukunftsszenario in Huntingtons „Clash of Civilizations“ ist umstritten und vermutlich nichtzutreffend. Jedoch sind konfliktgeladene kulturelle © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Nagel et al. (Hrsg.), Politische Komplexität, Governance von Innovationen und Policy-Netzwerke, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30914-5_20
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Strömungen erkennbar, welche derzeit zu sehr polarisierenden Entwicklungen in den verschiedenen Ländern führen und ein demokratisches und friedliches Weltgefüge bedrohen können. Durch das Internet werden Menschen häufig nicht mehr mit verschiedenen Meinungen konfrontiert, sondern bewegen sich gesteuert durch Algorithmen ausschließlich in Ihrer Community, wodurch die Meinungsvielfalt eingeschränkt wird. Social Bots und andere Möglichkeiten der Beeinflussung stehen im Verdacht, ganze politische Systeme und Wahlen zu manipulieren. Die Wertung von Gut und Böse hängt stark davon ab, welche Sichtweise, Werte und Normen vorherrschend sind. Daher muss eine Analyse von diesen kulturellen Einflüssen und Wertungen losgelöst und Sprache als neutrales Medium betrachtet werden. Wie können wir nun empirisch dieses komplexe Phänomen messbar machen? Welche Möglichkeiten bietet die empirische Sozialwissenschaft für die Analyse solcher globalen Entwicklungen auf einer kulturellen und ideellen Ebene? Diskurse bieten einen Zugang zu kulturellen Identitäten und Denkweisen im länderspezifischen Kontext und stehen bei unserer Analyse daher im Fokus.
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Forschungsvorhaben – die Erhebung von Makrostrukturen anhand einer „global map of ideas“
Unsere Forschungsfrage nimmt sich dieser komplexen Problematik an und verfolgt das Ziel, mit einer „Global Map of Ideas“ systematisch Diskurse zu erheben und zu untersuchen, ob es tatsächlich zu einer Zunahme der weltpolitischen Polarisierung kommt. Öffentliche Diskurse stehen im Mittelpunkt unserer Forschung. Dabei spielen Denksysteme, Normen, Werte und Ideen seit den alten Griechen bis zum Deutschen Idealismus und auch in der neueren Politikwissenschaft eine große Rolle (Schneider 2009). Öffentliche Diskurse sind dabei ein dynamisches Phänomen und müssen daher in der entsprechenden Zeitspanne betrachtet werden, um Veränderungen erkennen zu können (Hajer 2009). Theoretisch beziehen wir uns auf verschiedene Modelle der Mediensoziologie (vgl. Jäckel 2010), um unser Untersuchungsfeld näher zu spezifizieren, und fokussieren dabei auf das Zusammenspiel von öffentlichen Diskursen, Medien und Gesellschaft. Schon Luhmann (1995) betonte, dass wir das, was wir über die Welt wissen, durch die Massenmedien wüssten. Die zentrale Rolle von Kommunikation und Medien für den Fortbestand von Gesellschaften wird auch in Theorien sozialer Differenzierung betont (Jäckel 2010). Um zu begründen, warum die gewählte Operationalisierung sinnvoll ist, nehmen wir Bezug auf Modelle, die das Verhältnis zwischen Medien
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und Gesellschaft betrachten. Das Salience-Modell macht die Annahme, dass die Medienberichterstattung Einfluss auf die Beurteilung der Wichtigkeit von Themen nimmt (z. B. Chyi/McCombs 2004). Dadurch entsteht eine Hierarchisierung und Priorisierung der relevanten Themen. In diesem Prioritäten-Modell geht man davon aus, dass Medienagenda und Publikumsagenda in einem engen inhaltlichen und somit auch statistischen Zusammenhang zueinander stehen. Eine Thematisierung und zugleich auch Strukturierung von Themen wird beim Agenda-setting beobachtet (vgl. hierzu auch Schenk 2007; sowie McCombs und Reynolds 2002). Schließlich werden Medien als soziales Gedächtnis dargestellt und durch die Zunahme medienvermittelter Erfahrungen können zudem Annahmen über kollektive Identitäten generiert werden. Massenmedien können daher „[…] für die Moderne als funktionale Äquivalente zu den quasi-objektivierten Ritualen und Erzähl-Mythen segmentärer Gesellschaften und zu den schichtspezifischen Formen der Lebensführung in Standesgesellschaften“ (Jäckel 2010, S. 285) gesehen werden. Das Verhältnis von Medien und Macht wird bereits bei Habermas thematisiert, wenn er Öffentlichkeit als eine „vermachtete Arena“ (vgl. Habermas 1990 [zuerst 1962], S. 28) betrachtet. Auf Grundlage dieser Theorien können wir annehmen, dass Massenmedien einerseits die Ideenbildung in der Gesellschaft vorantreiben und andererseits die Kristallisation der Ideen darstellen, die durch den Interaktionsprozess in der Gesellschaft formuliert wurden. Die nächste Frage für die empirische Forschung ist daher, wie der Diskurs in den Massenmedien in verschiedenen Gesellschaften auf standardisierte Weise verglichen werden kann. Ein seit etwa einem Jahrzehnt verbreiteter Ansatz der Diskursnetzwerkanalyse greift diese Perspektive auf und ermöglicht es, Diskurse in Form von Textdaten zu erfassen, zu kodieren und dynamisch zu analysieren (Janning et al. 2009; Leifeld 2017). Der große zeitliche Aufwand der manuellen Kodierung ist jedoch eine Einschränkung, vor allem, wenn es um große Textmengen geht. Die Interpretation und Analyse von großen Textdaten im Zeitalter von Big Data ist jedoch in verschiedenen Bereichen der Forschung zunehmend von Bedeutung, weshalb Software Programme in Verbindung mit Machine Learning entwickelt werden, die nach verschiedenen Trainingsrunden und Probekodierungen in der Lage sind, Textmaterial automatisch zu kodieren. Die Nachfrage nach Analyseprogrammen für einen großen Textkorpus wächst stetig. Einer dieser Ansätze zur Analyse einer großen Menge von Textkorpora ist die Methode des Topic modeling, wobei es darum geht, basierend auf der Nähe zu verschiedenen Wörtern Themen zu identifizieren (Watanabe und Zhou 2020). Manchmal jedoch ist es problematisch, in einem bestehenden Theorierahmen diese Methode des unsupervised machine learning models anzuwenden. Um dieses Problem zu lösen, haben Watanabe und Zhou (2020) eine Reihe von Techniken entwickelt, die
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ein semisupervised machine learning model verwenden, um Dokumente effizient in vordefinierte Kategorien zu klassifizieren. Zunächst wird hierbei mit einem kleinen seed word dictonary gearbeitet, welches von den Forschern selbst bestimmt und definiert wird. Basierend auf diesen Startwörtern wird die Position von Wörtern und Phrasen in der jeweiligen Dimension berechnet (Watanabe und Zhou 2020). Quanteda1, welches von einem Forscherteam unter der Leitung von Kenneth Benoit entwickelt wurde, ist eines dieser Programme und ermöglicht es, große Mengen an Textdaten einzulesen und diese mit der oben beschriebenen flexiblen Methode zu kodieren (Benoit et al. 2018). Basierend auf diesem Programm kann ein Index entwickelt werden, welcher aus dem Textinhalt generiert wird und auf große Textmengen angewendet werden kann. Dieser Index spiegelt dann verschiedene Endpunkte eines Kontinuums wider, wie beispielsweise Technologie vs. Ökologie, Populismus vs. Elitismus, Jugend vs. Alter, Armut vs. Reichtum. In unserem Forschungsvorhaben sammeln wir in einem ersten Schritt weltweit Zeitungsartikel im Zeitraum von 1970 bis heute und wählen dabei besonders die Nachrichtenmedien aus, welche die nationalen Konfliktlinien wie progressive, konservative und wirtschaftliche, aber auch elitäre und populistische Werte im öffentlichen Diskurs widerspiegeln sowie auch ethnische und sprachliche Grenzen darstellen. Zweitens verwenden wir die oben beschriebene unbeaufsichtigte Methode der Themenmodellierung, um die Ähnlichkeit von Themen zwischen den Artikeln zu analysieren. Im dritten Schritt wenden wir das oben beschriebene semisupervised machine learning model an. Die Kodierung erfolgt auf Basis der Zeitungen in einem Land, und die jeweiligen Artikel werden zunächst manuell kodiert, um das Programm zu trainieren. Wörter, welche eine bestimmte Bedeutung oder einen Begriff assoziieren, werden definiert, woraufhin ein Korrelationskoeffizient berechnet werden kann. Wir werden uns hierbei auf verschiedene bipolare Dimensionen der Werte fokussieren. Eine erste Auflistung besteht aus den Werten, welche aus Sicht der westlichen Gesellschaft als universale Werte betrachtet werden, wie Liberalismus, freie Marktwirtschaft, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Individualismus (Huntington 1993). Eine weitere Dimension der Werte (post-) moderner Gesellschaften könnten wir aus der Diskussion über Post-Materialismus (Inglehart 1977) ableiten, wozu Gender-Gerechtigkeit, Antiautoritarismus, Partizipation und das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Materialismus zählen. Auch die Werte-Dimensionen aus der aktuellen Populismus Debatte könnten miteinbezogen werden, wie beispielsweise Sicherheit und nationale Interessen auf der einen und Wechselseitigkeit und Kooperation zwischen den Staaten auf der anderen Seite. Diese Erhebungen und Kodierungen können longitudinal analysiert 1 https://quanteda.io/
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werden, da wir annehmen, dass die Verbreitung und der Rückgang der Ideen und Werte dynamische Phänomene sind, welche jedoch einem bestimmten Muster in den verschiedenen Kulturen folgen. Mit unserem Forschungsvorhaben können wir die Huntington-Theorie sowie die Polarisationshypothese testen. Huntington argumentiert, dass es in der heutigen Welt acht Weltzivilisationsmuster gäbe, nämlich Sinisch (Kernstaat China), Japanisch, Hinduistisch (Indien), Islamisch, Slawisch-Orthodox (Russland), Westlich (USA und Europa), Lateinamerikanisch und Afrikanisch. Wenn diese Perspektive richtig ist, sollten wir die Themen- und Wertegruppen dieser Zivilisationsgruppen beobachten. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass wir auch herausfinden könnten, wie die Zunahme und der Rückzug der Themen und Werte entlang dieser Zivilisationsgruppen auftritt. Diese Hypothese wird durch die zwei anderen Gegenhypothesen in Frage gestellt, d. h. die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft und die Hypothese der Weltkultur. Die Polarisationshypothese würde behaupten, dass es keine starken Cluster zwischen den Gesellschaften gibt, sondern Cluster innerhalb der Gesellschaften. Der Unterschied der Ideen und Werte sollte innerhalb einer Gesellschaft größer sein als zwischen Gesellschaften. Wir gehen sogar davon aus, dass wir beobachten können, ob diese inner-gesellschaftliche Differenz größer geworden ist, vor allem nach der Verbreitung durch die Sozialen Medien. Die dritte Perspektive, die Weltkultur-Perspektive, würde argumentieren, dass sich die universalen Werte durch die Globalisierung verbreiten und die Weltwerte zu einem einheitlichen Muster zusammenwachsen würden. Nach dieser Perspektive sollten wir einen Rückgang der Differenzen zwischen den Gesellschaften beobachten können. Die geplante Analyse in unserem Forschungsvorhaben erfolgt daher in zwei Schritten: zunächst analysieren wir die erhobenen Daten deskriptiv, indem wir die oben genannten unterschiedlichen Clusterisierungsmethoden testen. Zweitens versuchen wir den Wandel der Werte und Ideen in den Gesellschaften mit einer Regressionsanalyse zu erklären. Wir werden die Veränderungen der Werte und Ideen als unabhängige Variable und Kulturmuster als Hauptvariable sowie ökonomisches Wachstum als Kontrollvariable einsetzen.
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Diskussion und Ausblick – eine (mögliche) Lösung liegt in der Gesellschaft
Samuel Huntingtons These und Prognose eines Kulturkampfes zwischen den Zivilisationen stellt für uns den Ausgangspunkt dar, um über moderne Gesellschaften in einer zunehmend polarisierten und komplexen Welt nachzudenken. Unser sozial-
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wissenschaftliches Experiment spannt den Bogen und versucht auf der diskursiven Ebene zu ergründen, wie sich Werte und Ideen in den verschiedenen Kulturen dieser Welt konstituieren und zu unterschiedlichen Realitäten zusammenfügen. Wir testen die Huntington-These sowie die Polarisierungsthese über die Analyse von Werte-Dimensionen öffentlicher Diskurse mit einer Textmodellierungsmethode, die in der Lage ist, große Textdaten zu analysieren. Über Clusterisierung und Regressionsanalysen können wir sowohl die Polarisierung als auch den Wandel von Werten in einer dynamischen und globalen Perspektive untersuchen. Theoretisch argumentieren wir, dass, ausgehend vom Salience-Modell, Mediendiskurse und Publikumsdiskurse in einem sich gegenseitig unterstützenden Verhältnis stehen und es durch Agenda-setting-Prozesse zugleich zu einer Strukturierung und Artikulierung der relevanten Themen kommt, und dass Medien als ein soziales Gedächtnis und Einfluss auf soziale Identitäten wahrgenommen werden können. Es gibt verschiedene Sichtweisen in den Sozialwissenschaften, wenn es um die Frage geht, wie Gesellschaft, Politik und Politikgestaltung betrachtet werden sollten, und wie Ursachen und Wirkungen staatlicher Intervention und gesellschaftliche Problemverarbeitung verstanden und erklärt werden können. Schneider (2020) beklagt dabei, dass in der vergangenen Zeit häufig eine mikrofundierte Perspektive eingenommen wurde, bei der man sich mit einer bottom-up und akteurszentrierten Sichtweise auf Akteure aus Politik und Gesellschaft fokussierte und weniger makrostrukturelle Erwägungen miteinbezogen wurden. Wir schließen uns dieser Sichtweise an, jedoch stellen wir auch fest, dass die empirische Operationalisierung dieser Perspektive nicht immer einfach ist. Wir argumentieren, dass unser Forschungsdesign jedoch eine Möglichkeit bietet, die Makroperspektive auf einer diskursiven Ebene zu untersuchen. Schließlich sollen Makrostrukturen und „society at large“ wieder mehr Beachtung finden und die gesellschaftliche Differenzierung sollte bei der Analyse von öffentlichen Politiken wieder stärker miteinbezogen werden (Schneider 2020).
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