Platons "Parmenides" 9783110810837, 9783110149104


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German Pages 182 [184] Year 1995

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Table of contents :
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Zur Stellung des Dialogs im Werk Platons
1.2 Probleme der Interpretation
2 Der erste Teil (126a1-137c3)
2.1 Die Rahmenerzählung (126a1-127d5)
2.2 Sokrates’ Kritik an Zenon (127d6-130a2)
2.3 Parmenides’ Kritik an den Ansichten von Sokrates über Ideen (130a3-135b4)
2.4 Überleitung zum 2. Teil (134e9-137c3)
2.5 Rückblick auf den 1. Teil
3 Der zweite Teil (137c4-166c5)
3.1 Einleitung
3.2 Die 1. Hypothese (137c4-142a8)
3.3 Die 2. Hypothese (142b1-157b5)
3.4 Die 3. Hypothese (157b6-159b1)
3.5 Die 4. Hypothese (159b2-160b4)
3.6 Die 5. Hypothese (160b5-163b6)
3.7 Die 6. Hypothese (163b7-164b4)
3.8 Die 7. Hypothese (164b5-165e1)
3.9 Die 8. Hypothese (165e2-166c2)
3.10 Die Zusammenfassung (166c2-5)
4 Rückblick
4.1 Der Inhalt des zweiten Teils
4.2 Die Einheit des Dialogs
4.3 Charakter und Rang des Dialogs
4.4 Probleme unserer Interpretation
5 Erläuterungen zur Mereologie
5.1 Elementare Mereologie
5.2 Vollständige Mereologie
5.3 Indefinite Objekte
5.4 Mereologie und Prädikationstheorie
5.5 Eudoxos
Literatur
Prinzipien und Definitionen
Namen
Stichwörter
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Platons "Parmenides"
 9783110810837, 9783110149104

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de Gruyter Studienbuch

Franz von Kutschera

Platons Parmenides

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kutscher a, Franz von: Platons „Parmenides" / Franz von Kutschera. - Berlin, New York: deGruyter, 1995 (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-014557-X brosch. ISBN 3-11-014910-9 Gb. © Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: , Dortmund Druck: Gerike, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Inhalt Vorwort

IX

l

Einleitung

l

l. l 1 .2

Zur Stellung des Dialogs im Werk Platons Probleme der Interpretation

l 2

2

Der erste Teil (\26a\-137c3)

15

2.1 2.2 2.2.1

Die Rahmenerzählung (126al-127d5) Sokrates' Kritik an Zenon (127d6-130a2) Sokrates charakterisiert den Inhalt der Schrift Zenons (127d6-128e4) Sokrates' Antwort und seine Herausforderung (128e5-130a2) Parmenides' Kritik an den Ansichten von Sokrates über Ideen (130a3-135b4) Von was gibt es Ideen? (130a3-e4) MethexisalsTeil-Habe(130e4-131e7) Der dritte Mensch (131e7-132b2) Ideen als Gedanken (132b3-cll) Methexis als Ähnlichkeit (132cl2-133a7) Die beiden Welten (133a8-134e8) Überleitung zum 2.Teil (134e9-137c3) Die Annahme von Ideen ist unverzichtbar (134e9-135c4) Das methodische Programm des Parmenides (135c5-137c3) Rückblick auf den 1.Teil

15 16

2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5

16 17 22 22 24 29 35 37 40 44 44 45 48

VI

Inhalt

3

Der zweite Teil (137c4-166c5)

50

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2

Einleitung Die acht Hypothesen Ansätze zum Verständnis des zweiten Teils Teilhabe als mereologische Relation Die 1. Hypothese (137c4-142a8) Das Eine hat keine Teile (137c4-d3) Das Eine hat weder Ausdehnung noch Ort (137d4-138b6) Das Eine ist weder wandelbar noch unwandelbar (138b7-139b3) Identität und Verschiedenheit (139b4-e6) Ähnlichkeit und Gleichheit (139e7-140d8) Das Eine ist nicht in der Zeit (140el-141d6) Das Eine existiert weder, noch ist es eins (141d7-142a8) Rückblick auf die I.Hypothese Die 2. Hypothese (142bl-157b5) Das Eine als unbegrenzte Vielheit - I.Argument (142bl-143a3) Das Eine als unbegrenzte Vielheit - 2. Argument (143a4-144e7) Gestalt und Ort des Einen (144e8-145e6) Bewegung und Ruhe (145e7-146a8) Identität und Nichtidentität (146a9-147b8) Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Gleichheit und Ungleichheit (147cl-151e2) Das Eine in der Zeit (151e3-155e3) Der Wandel des Einen (155e4-157b5) Rückblick auf die 2. Hypothese Die3. Hypothese(157b6-159bl) Die Anderen sind Ganze (l57b6 - 158b4)

50 50 52 58 64 64

3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.4 3.4.1

67 69 70 72 73 74 77 78 78 83 87 90 90 95 100 103 106 108 108

Inhalt 3.4.2

VII

3.4.4 3.5 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.7 3.8 3.9 3.10

Die Anderen sind begrenzt und unbegrenzt (158b5-d8) Die Anderen haben „inkonsistente" Eigenschaften (158el-159bl) Rückblick auf die 3. Hypothese Die 4. Hypothese (159b2-160b4) Die 5. Hypothese (160b5-163b6) Das Eine ist etwas Bestimmtes (160b5-161a5) Ähnlichkeit und Gleichheit (l61 a6-e2) DasEinehatTeilamSein(161e3-162b8) Wandel und Konstanz des Einen (162b9-163b6) .... Rückblick auf die 5. Hypothese Die 6. Hypothese (163b7-164b4) Die 7. Hypothese (164b5-165el) Die 8. Hypothese (165e2-166c2) Die Zusammenfassung (l66c2-5)

112 113 114 116 116 117 117 120 121 121 122 124 125

4

Rückblick

127

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.3 4.4

Der Inhalt des zweiten Teils Die Mereologie der Ideen Die Verbindung der Ideen Einheit und Vielheit der Ideen Weitere Themen Die Einheit des Dialogs Charakter und Rang des Dialogs Probleme unserer Interpretation

127 127 132 133 135 137 140 145

.5

Erläuterungen zur Mereologie

149

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Elementare Mereologie Vollständige Mereologie Indefinite Objekte Mereologie und Prädikationstheorie Eudoxos

149 152 153 156 158

3.4.3

Literatur

111

163

VIII Prinzipien und Definitionen Namen Stichwörter

Inhalt 166 168 170

Vorwort Unter Platons Dialogen ist der Parmenides derjenige, zu dem man am schwersten Zugang findet. Das gilt vor allem für den zweiten Teil, die Übung des Parmenides. Mit ihr will er dem jungen Sokrates jene Kompetenzen vermitteln, die erforderlich sind, um mit den Schwierigkeiten der Ideenlehre fertig zu werden, die im ersten Teil aufgewiesen wurden. Da die Übung aus einem dichten Netz von Widersprüchen besteht, die zudem oft mit absurden Argumenten abgeleitet werden, sieht man aber nicht, wie sie ihren angeblichen Zweck erfüllen kann. Die Ratlosigkeit des Lesers spiegelt sich in der Vielzahl ganz heterogener Interpretationen, die seit der Antike vorgeschlagen wurden. Die Übung soll danach entweder ein bloßer Witz sein oder eine Karikatur eleatischer Argumentationen, eine Formulierung von ernsthaften Problemen, für die Platon selbst keine Lösung hatte, eine Vorwegnahme von Gedanken des Neuplatonismus oder der Hegeischen Dialektik, oder eine bloß oberflächlich paradoxe, bei richtiger Lesart hingegen konsistente Darstellung tiefer philosophischer Einsichten, die dann freilich wiederum ganz unterschiedlich gedeutet wurden. Soweit ich sehe, haben auch die zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Jahre über den Parmenides keine befriedigende Interpretation ergeben. Der wichtigste Grund dafür scheint mir darin zu liegen, daß es in der Übung vor allem um logische Fragen geht. Im Verlauf meiner Beschäftigung mit dem Parmenides bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß Platon in diesem Dialog eine außerordentlich leistungsfähige Logik verwendet. Wegen ihrer Formulierung als Mereologie, d.h. der Darstellung von Begriffsverhältnissen mit der Relation Teil-Ganzes, ist das auf den ersten Blick nicht deutlich, zumal Platon die logische Deutung dieser Relation immer wieder durch den Übergang zu einer physischen Auffassung von Teilen und Ganzen verschleiert. Die Annahme, er habe über eine

X

Vorwort

derart starke Logik verfügt, ist aufgrund unseres bisherigen Bildes von der Geschichte der Logik zunächst sicher sehr unwahrscheinlich, gilt doch danach erst Aristoteles als Begründer der Logik. Ich werde aber versuchen zu zeigen, daß die Annahme Licht in den zweiten Teil des Dialogs bringt. Wenn mir das gelingt, ist es zwar kein Beweis für meine Hypothese, angesichts des gegenwärtigen Mangels an Alternativen, die dasselbe leisten, jedoch im Sinn eines Schlusses auf die beste Erklärung ein gewichtiges Argument. Ich gehe im folgenden erstens davon aus, daß der Leser den griechischen Text zur Hand hat, um meine Interpretationen überprüfen zu können. Da die Schwierigkeiten des Dialogs nicht im sprachlichen Bereich liegen, genügen Schulkenntnisse des Griechischen. Ich zitiere nach der verbreiteten Ausgabe von J.Burnet in den Oxford Classical Texts und gehe nicht auf textkritische Fragen ein; wir haben einen gut gesicherten Text und meine Interpretation stützt sich nicht auf irgendwelche exotischen Varianten. Fragmente der Vorsokratiker werden nach Diels-Kranz zitiert. Ich setze zweitens aber auch voraus, daß der Leser über logische Grundkenntnisse verfügt, also jedenfalls mit der elementaren Prädikatenlogik vertraut ist. Der erforderliche Rest wird im 5. Kapitel erläutert, das die Funktion eines Anhangs hat. Logische Formeln dienen dazu, logische Sachverhalte klar und einfach darzustellen. Sie sind also Hilfen, nicht Hindernisse für das Verständnis. Daher habe ich mich der modischen Devise „Ja keine Formeln!" nicht gebeugt. Im übrigen werden die wichtigsten Formeln umgangssprachlich paraphrasiert. Wer mit der elementaren Logik vertraut ist, hat mit ihnen ohnehin keine Schwierigkeiten. Im Wintersemester 1993/94 haben Ernst Heitsch und ich ein Seminar über den Parmenides gehalten, an dem auch Peter Staudacher und Uwe Meixner teilnahmen. Ihnen habe ich für wertvolle Hinweise und Kritik zu danken. Das gilt insbesondere für Ernst Heitsch: Seine Auffassung von der Zielsetzung der Platonischen Dialoge, wie sie in seinem Buch „Wege zu Platon" dargestellt ist, war mir bei meiner Beschäftigung mit dem Parmenides außerordentlich hilfreich, und durch seine kritischen Anmerkungen hat er mir manche Verbesserungen an dieser Arbeit ermöglicht. Für Irrtümer bin ich natürlich allein verantwortlich.

Vorwort

XI

Dank schulde ich endlich auch meinen Sekretärinnen, Frau Brigitte Weininger und Frau Gabriele Hauptfleisch, für das Entziffern und geduldige Schreiben immer neuer Versionen meines Manuskripts. Juli 1994

Franz von Kutschera

l

Einleitung

1.1 Zur Stellung des Dialogs im Werk Platons Platons Dialoge werden meist in drei Gruppen eingeteilt: die frühen, die mittleren und die späten Dialoge. Der Parmenides gehört zur letzten Gruppe. Ihm gehen also insbesondere Phaidon, Symposion und Republik voraus. Der Dialog ist in den 60er Jahren des 4. Jahrhunderts v.Chr. geschrieben, vermutlich eher am Anfang dieses Jahrzehnts. Die Reihenfolge der Dialoge in den drei Gruppen ist unsicher. Da im Tbeätet (183e) und Sophistes (217c) aber auf das Gespräch im Parmenides Bezug genommen wird, die Unterredung im Sophistes sich als Fortsetzung jener im Theätet gibt, und der Sophistes der erste Teil einer geplanten Trilogie ist mit dem Politikos als zweiten Teil - den Philosophos hat Platon nicht geschrieben -, ergibt sich in den späten Dialogen die Abfolge Parmenides - Theätet — Sophistes — Politikos. Diese Dialoge sind wohl alle den 60er Jahren zuzuordnen. Der Philebos folgt vielleicht in dieser Reihe vor Timaios und Kritias. Der letzte Dialog Platons sind die Gesetze. Unklar ist insbesondere, wo Phaidros und Kratylos einzuordnen sind. Da sie nur wenige inhaltliche Bezüge zum Parmenides aufweisen, ist es für das folgende aber auch nicht wichtig, ob man sie vor diesen Dialog setzt oder danach. Welche Bedeutung man dem Parmenides im Werk Platons zuordnet, hängt natürlich von seiner Interpretation ab. Weitgehend unabhängig davon kann man aber doch sagen, daß der Dialog den Beginn einer neuen Thematik im Werk Platons markiert, eine Wende zu stärker formalen Untersuchungen, zu einem vertieften Interesse an den logischen Aspekten der Ideenlehre, die zumindest bis zum Politikos deutlich ist. Die Dialektik wird sowohl im Phaidon und im Staat wie auch im Sophistes als zentrales Thema der Philosophie bezeichnet, erfährt aber nun eine Umdeutung in eine

2

l

Einleitung

Art von Begriffswissenschaft.1 Diese Wende zeigt sich auch äußerlich darin, daß anstelle von Sokrates eleatische Gesprächsführer auftreten: im 2.Teil unseres Dialogs Parmenides, im Sophistes und Politikos ein Fremder aus Elea. Da die Eleaten als Begründer der Dialektik, also der späteren Logik, galten, scheinen sie für formale Untersuchungen eher zuständig zu sein als der uns aus früheren Dialogen vertraute Sokrates. Da es endlich auch viele inhaltliche Bezüge zwischen dem Parmenides und den nachfolgenden Dialogen gibt, bis hin zum Philebos, kommt ihm schon nach äußeren Kriterien eine wichtige Stellung im Werk Platons zu.

l .2 Probleme der Interpretation Kein anderer Dialog Platons konfrontiert den Leser mit einer so geballten Ladung von fragwürdigen Argumenten und Widersprüchen wie der Parmenides. Das gilt primär für dessen zweiten Teil, der aber mit 29 von 40 Stephanus-Seiten den Hauptteil ausmacht. Es gibt viele aporetische Dialoge - aus dem Umkreis des Parmenides z.B. den Theätet und den Kratylos -, die den Leser mit einem Problem allein lassen, aber hier weiß er zunächst nicht einmal, worum es überhaupt geht, was das Ganze soll. Kein anderer Dialog zerfällt auch in zwei derart heterogene Teile. Das gilt schon für den Stil: Im ersten Teil findet ein Gespräch zwischen Sokrates, Zenon und Parmenides in gewohnter Manier statt, der zweite Teil ist eine dialektische Argumentation im Stil Zenons, vorgeführt von Parmenides mit Aristoteles als Sparringspartner. Dieser bringt nirgends eigene Meinungen oder Zweifel zum Ausdruck, sondern stellt nur Verständnisfragen und stimmt im übrigen allem zu. Während ferner das Gespräch im ersten Teil und in der Überleitung in indirekter Rede berichtet wird, geht der zweite Teil unvermittelt zur direkten Rede über. Auch inhaltlich scheint eine Diskrepanz zu bestehen, denn man sieht zunächst nicht, was die Erörterungen im zweiten Teil zu den im ersten Teil aufgeworfe1

Vgl. Phaidon, 101c-e, Staat, 511a-e, 531e-535a, 538b-539d und Sophistes, 253c-e.

l .2 Probleme der Interpretation

3

nen Problemen beitragen sollen. So hat man z.T. vermutet, die beiden Teile seien ursprünglich separate Abhandlungen gewesen und erst später zusammengefügt worden.2 Der Parmenides ist neben dem Timaios - wenn auch aus ganz anderen Gründen - sicher jener Dialog, der am schwierigsten zu verstehen ist. Das zeigt sich schon in den völlig heterogenen Interpretationen, insbesondere des zweiten Teils. Der Dialog zerfällt in zwei Hauptteile: Der I.Teil (127d6-137c3) beginnt nach der Rahmenerzählung (126al-127d5). In ihm behauptet der junge Sokrates, Zenons Paradoxien ließen sich auflösen, wenn man Ideen von ihren empirischen Instanzen unterschiede. Daraufhin bringt Parmenides Einwände gegen die Annahme von Ideen und einer Teilhabe empirischer Dinge an Ideen vor, die Sokrates zunächst ratlos lassen. Da er jedoch selbst die Annahme von Ideen für unverzichtbar hält, gibt er Sokrates den Rat - das ist die Überleitung zum 2.Teil (135c5-137c3) -, sich noch gründlich in der Philosophie zu üben. Als geeignete Gymnastik schlägt er jene Methode vor, mit der Zenon in seiner Schrift Hypothesen durch die Herleitung von Folgerungen aus ihnen geprüft hat. Auf Bitten von Sokrates führt Parmenides dann im 2.Teil (137c4-166c5) eine solche dialektische Übung am Beispiel des Einen vor. Er leitet sowohl aus der Annahme, das Eine existiere, wie aus der, es existiere nicht, eine Kette von Widersprüchen ab und kommt zum Ergebnis (166c2-5): „So sei denn dies gesagt und auch, daß anscheinend, ob das Eine nun ist oder nicht ist, gilt: Es selbst wie die anderen sind, sowohl für sich wie in Beziehung aufeinander, alles auf alle Weise und sind es nicht, und scheinen es zu sein und scheinen es nicht zu sein." Das Hauptproblem bei der Interpretation des I.Teils besteht darin, ob die von Parmenides aufgezeigten Schwierigkeiten der Ideenlehre Platons eigene frühere Konzeptionen betreffen oder Ansichten anderer, ob sich Platon also hier von früheren Gedan2

So z.B. noch G.Ryle im Addendum von 1963 zu seinem Aufsatz von 1939.

4

l

Einleitung

ken kritisch distanziert oder sie zumindest hinterfragt, oder ob er nur Einwände gegen Mißdeutungen seiner eigenen Theorien oder gegen Theorien anderer vorbringt. Das ist im folgenden zu prüfen, die herrschende Meinung ist aber, daß die Probleme jedenfalls z.T. Platons eigene frühere Aussagen betreffen und daß er sich veranlaßt sah, die Ideenlehre zu vertiefen oder zu modifizieren. Daß Ideen auch in späteren Dialogen wie dem Sophistes und 37maios eine wichtige Rolle spielen, zeigt jedenfalls, daß er sie nicht etwa als unbrauchbare Fiktionen verworfen hat. Die zentralen Schwierigkeiten des Dialogs betreffen aber den 2.Teil. Die Frage ist zunächst einfach: „Was soll die Übung? Was wollte Platon damit dem Leser vermitteln?" Nach der Überleitung zum 2.Teil erwartet man, daß sie deutlich macht, wie den Problemen zu begegnen ist. Statt dessen wird aber das Ende - dessen Fazit gerade zitiert wurde - nicht mit dem Anfang verbunden. Sokrates sagt nicht: „Aha, ich sehe nun, wie ich die Sache besser machen kann". Wie er auf die Übung reagiert, wird gar nicht erzählt; er kommt nicht mehr zu Wort, und der Leser sieht zunächst nicht, was diese Kette von Paradoxien zur Lösung irgendwelcher Probleme beitragen könnte. Die Schwierigkeiten des 2.Teils zeigen sich in der Vielfalt der Deutungsansätze, die im Lauf der fast zweieinhalb Jahrtausende langen Interpretationsgeschichte vertreten worden sind und auch heute vertreten werden. Das folgende ist nur ein kurzer Überblick:

1)

Die Parodie-Hypothese

Danach ist der 2.Teil - wie schon das methodische Programm des Parmenides — eine Karrikatur eleatischer Argumentationen, speziell jener von Zenon. Platon würde also auf die Einwände gegen seine Ideenlehre damit reagieren, daß er die eleatische Dialektik lächerlich macht. Das ist insofern die radikalste Deutung, als der 2.Teil danach keine positiven Einsichten vermittelt, sondern bloß ein Spaß ist.3 So z.B. J.Burnet in (1924) und A.E.Taylor in (1934).

1.2 Probleme der Interpretation

5

Dagegen spricht, wie Francis M.Cornford sagt, da diese Deutung „charges the prince of philosophers with the most wearisome joke in all literature" .4 In der Tat, ein blo er Witz, der ber 29 Stephanus-Seiten breitgetreten wird, entspricht nicht dem, was wir sonst an Platonischer Ironie kennen. Gegen diese Deutung spricht ferner die respektvolle Art, mit der Parmenides im Dialog charakterisiert wird und die Weise, in der im The tet (183e-184a) und im Sopbistes (217c) auf das Gespr ch Bezug genommen wird. Dort sagt Sokrates, damals habe er Parmenides als von einer ganz seltenen (geistigen) Tiefe erlebt, und dieser habe ganz treffliche Argumente (λόγους πάγκαλους) vorgebracht. Platon war mathematisch auch viel zu gebildet, um die Paradoxien von Zenon zu untersch tzen. Die Bezeichnung Zenons als „eleatischer Palamedes" im Phaidros (261 d) ist nicht als negativ anzusehen. Da der Parmenides des Dialogs auch anders argumentiert als der historische, w rde er zudem von der Karrikatur nicht getroffen. Endlich m te im Sinn einer Einheit des Dialogs gezeigt werden, da im 2. Teil jene Pr missen oder Argumentationen l cherlich gemacht werden, die im l. Teil f r die Einw nde gegen die Ideenlehre verwendet werden. Es ist aber z.B. nicht ersichtlich, wo die f r den „Dritten Menschen" wichtigen Annahmen der Selbstpr dikation und der Nichtidentit t von Idee und Instanz verspottet werden (vgl. 2.3.3).

2)

Die Gymnastik-Hypothese

Danach ist der 2. Teil eine Sammlung von Problemen f r dialektische bungen in der Akademie.5 Das Stichwort zu dieser Deutung gibt im Dialog Parmenides selbst durch die Bezeichnung seiner Er rterungen im 2. Teil als γυμνάσια. Die Mitglieder der Akade-

4 5

Cornford (1939), S.VII. So z.B. R.Robinson in (1953) und G.E.L. Owen in (1971). Robinson nennt dort (S.265) George Grote (Plato and the Other Companions of Socrates, London 1865) als Urheber dieser These.

6

l

Einleitung

mie sollten sich an diesen Problemen schulen, ebenso wie der junge Sokrates. Ob Platon selbst eine Lösung für sie hatte, kann danach offen bleiben - Robinson meint z.B., das sei vermutlich nicht der Fall gewesen, da er in den späteren Dialogen keine angibt. Richtig ist sicher, daß der 2. Teil eine Übung darstellt, und vermutlich auch, daß der Dialog sich vor allem an Mitglieder der Akademie richtete, da er mathematische Kenntnisse voraussetzt, die von ihnen wohl am ehesten zu erwarten waren - wir gehen darauf in 3.1.2 ein. Gegen die Hypothese spricht aber, daß nach ihr von einer Einheit des Dialogs keine Rede sein könnte. Platon hat im übrigen solche eristischen Übungen als Selbstzweck abgelehnt.6 Die Konstruktion von Paradoxien war für ihn nur ein Mittel, dem Leser auf indirekte Weise Einsichten zu vermitteln, ihn zu einer kritischen Prüfung der Voraussetzungen aufzufordern, um ihn durch die Erkenntnis der Falschheit einer Prämisse zu einer positiven Einsicht zu führen. Hinter der Übung stehen also sicher Theorien Platons, insbesondere eine Logik, die eine Unterscheidung richtiger und falscher Argumente erlaubt, und die muß eine Interpretation aufweisen. Zur Gymnastik-Hypothese kann man insbesondere auch die Auffassung rechnen, der 2. Teil sei Ausdruck einer echten Aporie, in der sich Platon selbst befand.7 Meist werden dann schon die Einwände im 1. Teil, wie z.B. das Argument vom Dritten Menschen, so verstanden, daß Platon sie selbst als stichhaltig ansah und - jedenfalls zunächst - keine Antwort darauf hatte.8 Der 2. Teil würde also die Bedenken im 1. Teil gegen die Ideenlehre weiter ausführen. Wenn damit die Einheit des Dialogs auch gewahrt bleibt, entspricht diese Deutung doch nicht dem Zweck, den Parmenides der Übung zuschreibt: Sie soll die Probleme nicht weiter vertiefen, sondern Sokrates helfen, sie zu überwinden. Es ist auch wenig wahrscheinlich, daß Platon in einer so kunstvollen Komposition nur seine Schwierigkeiten dargelegt hat. Das hätte er über-

6 7 8

Vgl. z.B. Sophistes, 259b-d. So z.B. Ross in (1951), Runciman in (1959) und M.Schofield in (1977). Für G.Vlastos in (1954) und P.T.Geach in (1956) ist dieses Argument ein „report of honest perplexity".

l .2 Probleme der Interpretation

7

zeugender tun können, wenn er sich auf die wesentlichen Probleme konzentriert hätte, denn manches im 2. Teil ist ohne direkte Relevanz für die Ideenlehre. Die Hypothesen (1) und (2) werden daher im folgenden nicht in Betracht gezogen. Man muß vielmehr wohl von der Annahme ausgehen, daß Platon im 2.Teil auf irgendeine Weise, sei es direkt, sei es mäeutisch, irgendwelche positiven Einsichten vermitteln wollte.

3)

Die Eleaten-Kritik-Hypothese

Danach ist der 2.Teil eine ernst gemeinte Kritik an eleatischen Annahmen oder Argumentationen. Parmenides würde also, nachdem er die Ideenlehre kritisiert hat, nun selbst eleatische Thesen oder Argumente destruieren, indem er zeigt, daß sie zu Widersprüchen führen.9 Auch das überzeugt zunächst nicht recht. Da die eleatischen Lehren keineswegs die einzige Alternative zur Ideenlehre sind, bliebe offen, was der 2.Teil zur Lösung der Probleme des ersten beitragen soll. Die Einheit des Dialogs würde also wieder preisgegeben. Für eine Kritik - des Inhalts etwa, daß die Konzeption des Einen beim historischen Parmenides inkonsistent ist - müßten ferner die Argumente korrekt sein, und das sind sie nicht. Es sind auch nicht alle falschen Prämissen und Schlußweisen eleatischen Ursprungs. Gegen diese Interpretation spricht zudem, daß die Paradoxien nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorwiegend mit eleatischen Prinzipien abgeleitet werden. Es ist auch nicht sehr plausibel, daß Parmenides selbst eleatische Lehren destruiert, daß der Vater der Eleaten von Platon zu deren Kritiker umfunktioniert wird. Endlich hat Platon den Rang der eleatischen Philosophie durchaus anerkannt: Im Sopbistes und im Politikos ist ein Fremder aus Elea der Gesprächsführer, und hinter seinen Darlegungen steht offensichtlich Platon selbst. Für den Ansatz spricht nur, daß die Übung von Parmenides selbst als eine Untersuchung nach der So z.B. Cherniss in (1932), Shorey in (1933) sowie teilweise Cornford in (1939).

8

l

Einleitung

Art Zenons charakterisiert wird, daß die verwendeten Begriffspaare Eines - Vieles, Gleich — Ungleich, Endlich - Unendlich, Ruhend - Bewegt etc. aus Zenons Schrift übernommen sind, und daß gelegentlich auch eleatische Prämissen verwendet werden. Die Eleaten-Kritik-Hypothese läßt sich daher nicht von vornherein verwerfen. Wir sind leider nicht in der Lage, die Bezüge im Parmenides auf Zenon im einzelnen zu verfolgen, da dessen Schrift verloren ist Platon konnte ihre Kenntnis wohl bei seinen Lesern voraussetzen. Uns sind nur vier Fragmente erhalten. Die Berichte, z.B. bei Aristoteles, bieten keinen vollwertigen Ersatz, da es auch auf die genaue Formulierung ankäme. Ein gewisser Ausgleich liegt darin, daß man auf Fragmente von Melissos und Berichte über ihn zurückgreifen kann, da er sich in seiner Schrift Über die Natur oder das Seiende offenbar an Zenon orientiert hat.10 Geht man von der Einheit unseres Dialogs aus - die ist natürlich auch eine Frage der Interpretation, zunächst aber jedenfalls eine naheliegende Anfangshypothese -, so wird man annehmen, daß Platon im 2.Teil Einsichten vermitteln will, die für die Ideenlehre relevant sind. Aber welche Gedanken will er vermitteln und wie will er sie durch z.T. offensichtlich falsche Argumente und Widersprüche vermitteln? Wichtig sind zunächst einmal die unterschiedlichen Auffassungen von der Art und Weise der Vermittlung der Inhalte. Hier gibt es im wesentlichen zwei Auffassungen:

10

Melissos aus Samos war ein etwas jüngerer Zeitgenosse von Zenon, ein samischer Staatsmann und Admiral, der 441 v.Chr. der Athenischen Flotte eine schwere Niederlage beibrachte. Ob er bei Parmenides oder Zenon hörte, ist ungewiß. Er wird zwar als Schüler von Parmenides bezeichnet, aber das erklärt sich schon aus der Übernahme eleatischer Lehren. Von seiner Schrift sind 10 Fragmente erhalten. Aristoteles setzt sich sehr kritisch mit ihm auseinander in Über Melissos, Xenophanes, Gorgias, sowie in Metaphysik 1,986b25, und Physik 185a32,213&12 und den Sophistischen Widerlegungen, 167bl3. Von Interesse ist auch Gorgias Gegenschrift Über das Nichtsein und die Natur. Darüber berichtet Sextus Empiricus in Adversns Mathematicos VII, 65ff.

1.2 Probleme der Interpretation

4)

9

Der Rejektionismus1l

Danach sind die abgeleiteten Widersprüche als Widersprüche gemeint. Der 2.Teil hat also - wie schon der erste - aporetischen Charakter. Die Paradoxien sollen den Leser auf Fehler in den Argumenten oder in deren impliziten Prämissen hinweisen. Macht man sich klar, warum die Argumente oder Prämissen falsch sind, so hat man zugleich die Mittel, den Schwierigkeiten der Ideenlehre zu begegnen.12 Zum Rejektionismus könnte man auch die EleatenKritik-Hypothese rechnen, da diese Kritik sich ja in der Ableitung von Widersprüchen aus eleatischen Prämissen vollziehen würde. Diese rejektionistische Deutung hat ihre Schwierigkeiten. C. Meinwald zählt u.a. folgende auf:13 i) Im Unterschied zu anderen aporetischen Dialogen zeigen die Gesprächspartner keine Unzufriedenheit mit den Resultaten; sie nehmen keinen Anstoß daran. ' sagt Aristoteles am Schluß. ii) Es werden keine Hinweise gegeben, was Platon als falsch ansah. Daher kommen die Rejektionisten zu ganz unterschiedlichen Interpretationen. iii) Mindestens die Hälfte aller Argumente muß falsch sein, iv) Es bleibt unverständlich, wieso die Wiederholung der Übung empfohlen wird. Hinzu kommt das Bedenken, daß Platon das Ziel, die Fragwürdigkeit mancher Prämissen oder Schlußfolgerungen deutlich zu machen, einfacher und kürzer hätte erreichen können. Es kommen auch Fehler vor, die mit den Problemen der Ideenlehre offenbar 11

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Die Bezeichnungen „Rejektionismus" und „Kompatibilismus" verwendet Meinwald in (1991), die Bezeichnungen „Parodie-Hypothese" und „Gymnastische Hypothese" gebraucht R.Robinson in (1953). So z.B. Allen in (1983) und Miller in (1986). Rejektionisten sind auch G.Ryle, für den in (1939) der 2.Teil „the first essay in the theory of types" ist, Crombie (1963) und Moravscik (1982). Nach diesem geht es urn die Einsicht, daß es keine Ideen gibt, die in dem Sinn einfach sind, daß sich über sie nichts aussagen läßt. Das ist zwar richtig, aber doch etwas trivial. Vgl. Meinwald (1991), S. 21f.

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l Einleitung

nichts zu tun haben, wie z.B.: „Was sich ver ndert, wird ein anderes" . Endlich stellt sich die Frage, welche Fehler Platon absichtlich gemacht hat. Wir k nnen nicht annehmen, da er ber unsere heutigen logischen Einsichten verf gt hat. Sowohl im Parmenides selbst wie im Sophistes finden sich Fehler, die sich wohl nicht durch eine geschickte Interpretation beseitigen lassen. Wie kann man also begr nden, da eine bestimmte falsche Annahme oder Schlu folgerung von Platon (bzw. Parmenides) absichtlich zu m eutischen Zwecken verwendet wurde? Teilweise kann man sich auf andere Dialoge st tzen, eine eindeutige Entscheidung ist aber nicht immer m glich.

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Der Kompatibilismus

Die Widerspr che sind nur scheinbar. Sie verschwinden, wenn man beachtet, da Schl sselterme wie „das Eine", „die anderen", „sein" oder „nicht sein" in den verschiedenen Hypothesen (den acht Abschnitten des 2. Teils) in verschiedenem Sinn verwendet werden. Nach Cornford (1939) ist z.B. vom „Einen" in verschiedenen Bedeutungen die Rede, nach ihm k nnte man den 2. Teil mit το εν και το δν πολλαχως λέγεται berschreiben. Nach C.Meinwald (1991) geht es in den Abschnitten, in denen das jeweilige Subjekt (das Eine oder die anderen) f r sich (προς εαυτό) untersucht wird, um eine andere Form der Pr dikation als in den Abschnitten, in denen es in Bezug auf anderes (προς το άλλο) betrachtet wird.14 Auf solche Bedeutungsunterschiede will also Platon - durch Parmenides - hinweisen, und er vermittelt damit indirekt begriffliche Unterscheidungen, die helfen, mit den Problemen der Ideenlehre fertig zu werden. Richtig gelesen sind die Argumente im 2.Teil korrekt, bzw. Platon hat sie als korrekt angesehen. Der Dialog ist also nur oberfl chlich betrachtet aporetisch. Auch der kompatibilistische Ansatz hat seine Schwierigkeiten: 14

Kompatibilisten sind auch Sayre (1978) sowie die neuplatonischen Interpreten. Cornford vertritt eine Mischung aus Rejektionismus und Kompatibilismus.

1.2 Probleme der Interpretation

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i) Der Unterschied in der Betrachtung des Einen bzw. der anderen für sich und in Beziehung zu anderem ist zwar sicher zu beachten, der Ansatz übersieht jedoch, daß auch die Ergebnisse unter den einzelnen Hypothesen in sich widersprüchlich sind: In den Jn Beziehung auf anderes"-Abschnitten werden dem Subjekt konträre Eigenschaften zugesprochen, in den J^ür sich"-Abschnitten werden dem Subjekt jeweils beide Eigenschaften aus derselben Liste konträrer Attribute sehr hoher Allgemeinheitsstufe abgesprochen. Im letzteren Fall könnte man z.B. hoffen, mit der Annahme durchzukommen, daß nicht von Eigenschaften die Rede ist, sondern von Merkmalen, im ersteren Fall geht das aber nicht. Nimmt man hingegen in den Argumenten ein und derselben Hypothese unterschiedliche Deutungen derselben Terme an, so sind das Schlußfehler, und der Ansatz unterscheidet sich dann kaum mehr vom rejektionistischen. Für viele fehlerhaften Argumente bietet sich zudem keine Korrektur durch Bedeutungsunterscheidungen an. ii) Mit Ausnahme von Cornford, der aber kein reiner Kompatibilist ist, gehen die Kompatibilisten kaum auf eine Analyse der einzelnen Argumente ein, sondern beschränken sich auf die Ergebnisse der Hypothesen. iii) Eine größere Einigkeit als unter den Rejektionisten ist auch unter den Kompatibilisten nicht festzustellen. Bedeutungsunterschiede bzw. begriffliche Distinktionen hätte Platon dem Leser endlich ebenfalls kürzer nahebringen können. Bzgl. der Thematik stehen sich seit der Antike zwei Interpretationstypen gegenüber:15 a) Die metaphysische. Das Thema des 2.Teils sind danach Gedanken Platons zur Metaphysik, wie sie auch im Philebos und im 77maios erörtert werden. Das ist - historisch gesehen - die Hauptströmung in der Parmenides-Interpretation, die vor allem neuplatonische Quellen hat.16

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Vgl. dazu das Vorwort von Cornford (1939). Vgl. dazu auch Sayre (1983), Brumbaugh (1961), und z.T. Cornford (1939).

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Einleitung

b) Die logische. Danach geht es im 2.Teil - jedenfalls primär -um logische Einsichten und Distinktionen.17 Nun hat Platon sicher keine scharfe Grenze zwischen Metaphysik und Logik gezogen. Auch wir rechnen die formale Ontologie manchmal zur Metaphysik, manchmal zur Logik. Die Entscheidung zwischen (a) und (b) kann nur eine Analyse des Texts ergeben. Man tut aber wohl gut, nicht mehr Metaphysik zu bemühen als nötig ist. Soweit ich sehe, gibt es bisher keine wirklich befriedigende Interpretation des Parmenides. Angesichts des Spektrums heterogener Deutungsansätze empfiehlt sich, nicht vorschnell eine von ihnen zu akzeptieren, sondern zunächst einmal möglichst unbefangen an den Text selbst heranzugehen. Es ist auch zu betonen, daß sich die Ansätze (3) bis (5) nur dann widersprechen, wenn man sie einseitig verfolgt. Es kann durchaus sein, daß Platon im 2.Teil mehrere Absichten miteinander verbindet, also z.B. eine Kritik an eleatischen Vorstellungen mit der mäeutischen Absicht, dem Leser dabei zu Einsichten zu führen, die für die Ideenlehre relevant sind. Der Rejektionismus schließt ferner Mehrdeutigkeiten nicht aus, und der Kompatibilismus erkennt an, daß der 2. Teil zumindest oberflächlich aporetisch ist. Es kann also durchaus in jedem der angegebenen Ansätze ein Körnchen Wahrheit enthalten sein. Die Schwierigkeit einer Interpretation liegt vor allem darin, daß der Dialog aporetisch ist. Es war offensichtlich die Absicht Platons, beim Leser zunächst einmal eine totale Verwirrung zu erzeugen. Dabei scheut er sich gelegentlich auch nicht, simple sophistische Paradoxien zu verwenden. In der Zusammenfassung am Schluß werden die Unterschiede in der Betrachtung für sich und in Beziehung auf anderes ignoriert, die in den Erörterungen gemacht wurden, und vom Erscheinen und Nichterscheinen war nur in den

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So z.B. Ryle (1939), Moravscik (1982), Miller (1986) und Meinwald (1991). - Interpretationen, nach denen Platon hier eine Art hegelscher Dialektik entwickelt hat, rechnet man besser zu (a). Hegel hat den Parmenides besonders geschätzt. In ihm sah er das Meisterwerk antiker Dialektik, und in ihm fand er viele seiner eigenen Ideen wieder.

1.2 Probleme der Interpretation

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letzten Hypothesen die Rede; die Ergebnisse werden also im Fazit noch absurder dargestellt als sie es ohnehin schon waren. Ein positiver Gehalt, ob er nun durch eine bestimmte Lesart der Aussagen vermittelt wird, die erst zu entdecken ist, oder ob er vom Leser selbst durch die Kritik der Argumente zu finden ist, ist also unter der Oberfläche zu suchen. Ihn muß eine Interpretation herausarbeiten. Ihre Problematik liegt dann aber wie bei anderen aporetischen Dialogen darin, daß eine Auflösung durch den Text nicht eindeutig vorgezeichnet ist. Es gibt kaum klare Hinweise, und man ist immer im Zweifel, ob Platon (bzw. Parmenides) eine These oder ein Argument ernst gemeint hat oder nicht. Dazu kann man z.T. spätere Dialoge zu Rate ziehen, im übrigen kann man aber nur davon ausgehen, daß ein Mann wie Platon keine dummen Fehler gemacht hat. Die Schwierigkeit ist jedoch, daß man ihm wie gesagt nicht alle unsere logischen Kenntnisse zuschreiben kann. Manches, was wir als krassen Fehler ansehen, mag also Platon auch als korrekt erschienen sein. Das sollte man jedoch nur dann annehmen, wenn es unumgänglich scheint. Sicher scheint mir jedenfalls, daß Platon mehr von Logik verstand als viele seiner Interpreten. Platons Absicht war offensichtlich, daß sich nicht nur Sokrates der dialektischen Übung unterziehen sollte, sondern auch der Leser. Wie der Sokrates seiner anderen Dialoge war er nicht daran interessiert, dem Publikum seine Einsichten mitzuteilen, sondern es zum eigenen Nachdenken anzuregen. Eine gravierende Schwierigkeit bei der Interpretation Platonischer Texte ist endlich die Vagheit und Mehrdeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Sie ergibt sich erstens daraus, daß es zu Platons Zeiten noch keine philosophische Fachsprache gab, daß man die normale Sprache verwendete, die - wie Frege sagt -„nicht nach dem logischen Lineale" konstruiert ist und in der sich begriffliche Unterscheidungen oft nur schwer ausdrücken lassen. Den Grund zu einer Fachsprache hat erst Aristoteles gelegt. Zweitens ist das Griechische eine besonders plastische Sprache, sowohl in der Grammatik wie im Vokabular: Die Wörter haben oft eine Fülle von Bedeutungen, und die Grammatik ist derart biegsam, daß sich die Konstruktionen im Deutschen oft nicht nachbilden lassen. Drittens waren Platon terminologische Fragen und die Festlegung auf bestimmte Ausdrucksweisen für bestimmte Sachverhalte aber

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Einleitung

auch unwichtig (Theätet, 184c, Politikos, 261 e), obwohl er im Sophistes, 263c Denken als stilles Sprechen bezeichnet, sich also eigentlich hätte sagen müssen, daß ein klares Denken ohne klaren, eindeutigen sprachlichen Ausdruck schwierig ist.

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Der erste Teil (I26ai-i37c3)

2.1 Die Rahmenerzählung (I26al-I27d5) Berichtet wird ein Gespräch, das stattgefunden haben soll, als Parmenides etwa 65 und Zenon 40 Jahre alt war, während Sokrates noch sehr jung war. Danach ist es auf ca. 450 v.Chr. zu datieren. Das Zusammentreffen der drei ist zwar vermutlich eine Fiktion, aber wohl eine einigermaßen realistische Fiktion, so daß diese Angaben zusammen mit dem gut gesicherten Geburtsjahr 370/69 von Sokrates einen wichtigen Anhaltspunkt für die Lebensdaten von Parmenides (ca. 515-445) und Zenon (ca. 490-30) bilden. Der Dialog berichtet also über ein Gespräch, das schon bald 100 Jahre zurück liegt. Diese zeitliche Distanz betont auch der dreifach vermittelte Bericht: Kephalos erzählt, was er von Antiphon (Platons jüngerem Halbbruder) hörte, der sich die Erzählung des Pythodoros (eines athenischen Generals bei der Sizilischen Expedition von 427) sorgfältig eingeprägt hat. Pythodoros war beim Gespräch selbst anwesend. Der vierte Teilnehmer am Gespräch, Aristoteles, war 404-03 einer der 30 Oligarchen, die nach der Niederlage Athens von den Spartanern eingesetzt wurden.1 Alle namentlich genannten Personen waren zur Zeit der Abfassung des Dialogs schon tot. Der Charakter des Berichts bleibt aufgrund der fortlaufend indirekten Rede durch den ersten Teil hin präsent. Es kommt so weniger lebendige Präsenz auf als z.B. im Phaidros oder Theätet. Parmenides erscheint als eine Art zeitloser Vaterfigur der Philosophie. Nicht der historische Parmenides wird geschildert, sondern einer, der mit der Ideenlehre Platons vertraut ist. Durch die Aufhebung der historischen Abfolge wie durch den Abstand hat der erste Teil Zu den Personen macht Allen in (1983), S.64ff ausführliche Angaben.

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2 Der erste Teil

auch den Charakter eines in die zeitlose Sphäre philosophischer Gedanken entrückten denkwürdigen Gesprächs.2

2.2 Sokrates' Kritik an Zenon (127d6-130a2) 2.2.1 Sokrates charakterisiert den Inhalt der Schrift Zenons (127d6-128e4) Der Bericht beginnt, als die Vorlesung von Zenons Schrift gerade beendet ist. Von dieser Schrift sind uns nur vier kurze Fragmente erhalten. Da seine Paradoxien aber eine lang anhaltende Diskussion auslösten, an der sich z.B. auch Aristoteles beteiligte, können wir uns jedenfalls ein ungefähres Bild von ihrem Inhalt machen. Sokrates vergewissert sich zunächst, daß er Inhalt und Zielsetzung der Schrift richtig verstanden hat: Während Parmenides im „Weg der Wahrheit" die Annahme begründet hatte, das Sein bilde eine ungeteilte, unwandelbare Einheit - hier wird sie als formuliert -, will Zenon die widersprechende Annahme, es gebe Vieles, durch reductio ad absurdum widerlegen. Von Zenons Argumenten gegen diese Annahme erwähnt Sokrates lediglich ein ziemlich unbedeutendes: Gibt es viele Dinge, so sind sie einander sowohl ähnlich wie unähnlich, was absurd ist. Zenon unterstützt also die These des Parmenides indirekt durch „vielfache und lange Beweise" (127ell-12), daß es nicht Vieles gibt - die vielen und langen Beweise deuten schon auf den 2.Teil hin, einer Übung, wie Parmenides sagt, im Stile Zenons. Zenon bestätigt diese Charakterisierung, betont aber, seine Schrift sei ein frühes Werk, geprägt von jugendlichem Geltungsdrang - er spricht von (128d7), die der Haltung der So Allen in (1983). M.Miller sieht im Auftreten von Adeimantes und Glaukon, sowie im Namen „Kephalos" - der Erzähler des Parmenides ist freilich nicht dieselbe Person wie der Vater des Polemarchos - eine Erinnerung an den Staat. Vgl. (1986), S.lSff. Für ihn stellt der Parmenides eine Präzisierung der Ideenlehre im Staat dar, die dort nur in Bildern und Metaphern vorgetragen wurde.

2.2 Sokrates'Kritik an Zenon

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λοσοφία diametral entgegengesetzt ist, wie sie Sokrates in anderen Dialogen repr sentiert. In ihr wende er sich gegen die Leute, die aus der These des Parmenides alle m glichen l cherlichen Folgerungen abgeleitet haben - nach Cornford sind die Pythagoreer gemeint -, und habe zeigen wollen, da sich aus ihrer Annahme einer Vielheit noch absurdere Konsequenzen ergeben (128al,4-5). Auch das findet dann ein Echo im 2. Teil. Das und die Bemerkung, die Schrift sei ohne sein Zutun verbreitet worden, klingt so, als distanziere sich der reife Zenon ein wenig von ihr. Parmenides hat der Vorlesung nicht beigewohnt und er verteidigt Zenon auch nicht. Wie sich zeigen wird, h lt er die Annahme von Ideen f r unverzichtbar, so da als sein eigentlicher Erbe nicht Zenon, sondern Sokrates erscheint, wie M.Miller sagt.3 Es f llt auf, da Sokrates hier gar nicht auf das eingeht, was wir als Kern der Schrift von Zenon ansehen, die Paradoxien der Bewegung, erst recht nicht auf die mathematischen Hintergr nde dieser Paradoxien. Da Platon das nicht bersehen hat, ergibt sich aus dem 2.Teil des Parmenides, insbesondere der 2. Hypothese. Hier wird es zun chst so dargestellt, als hake der junge Sokrates dort ein, wo er am schnellsten seine eigenen Gedanken ins Spiel bringen kann — vielleicht erkennt er auch das Gewicht der Paradoxien noch nicht recht.

2.2.2 Sokrates' Antwort und seine Herausforderung (128e5-130a2) Sokrates nimmt eine Idee der hnlichkeit an, die an sich existiert (αυτό καύ'αύτό), und als ihren Gegensatz eine Idee der Un hnlichkeit. An diesen beiden Ideen k nnen empirische Dinge teilhaben (μετέχειν oder μεταλαμβάνειν), und zwar an beiden gleichzeitig. Dinge, die an der hnlichkeit teilhaben, werden hnlich im Ma e ihrer Teilhabe (129a5). Er sieht nichts Erstaunliches daran, da dasselbe Ding gegens tzliche Eigenschaften hat.

Vgl. Miller (1986), S.32f.

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2 Der erste Teil

Als Beispiele für die Harmlosigkeit gegensätzlicher Prädikationen verwendet Sokrates relationale Eigenschaften. Besteht zwischen zwei Dingen A und B z.B. die Relation: A ist kleiner als B symbolisch A-