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German Pages 248 [256] Year 1933
C A R L
V E R I N G
PLATONS DIALOGE in
freier
Darstellung
ZWEITE
REIHE
1933 W A L T E R
DE
G R U Y T E R
&
CO.
vormals G. J. GÖschen'schc Ycrlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Heimer — Karl J. T r ü b n e r — Veit & Comp.
BERLIN
und
LEIPZIG
Archiv-Xr. 42 19 33
INHALT VORWORT
Seite
1
THEAETET
Seite
3
DER SOPHIST
Seite 41
DER STAATSMANN
Seite
PARMENIDES
Seite 101
PHILEBOS
Seite 129
TIMAEOS
Seite 161
KRITIAS
Seite 209
ANMERKUNGEN
Seite 219
REGISTER
Seite 243
74
VORWORT
I
m Vorwort der im Jahre 1929 erschienenen ersten Reihe der Dialoge Piatons hatte ich den Plan des Werkes und die Gründe erläutert, die mich zu dem Versuch einer freien, von den einengenden Fesseln des Textes losgelösten Wiedergabe dieser Dialoge veranlaßt haben. Dieser Band enthält die Alterswerke des Philosophen und den Theaetet, der nicht allein durch die von Piaton geschaffenen äußerlichen Zusammenhänge, sondern auch inhaltlich zu den Dialogen seiner Alterszeit überleitet. Das posthume W e r k Piatons, die Gesetze, ist bereits in einer Sonderausgabe erschienen. Die Dialoge dieses Buches enthalten, abgesehen von den beiden letzten, dem Philebos und Timaeos, in der Hauptsache die Platonische Logik und Dialektik. In dem ersten Bande der Dialoge hatte ich aus den dort angegebenen Gründen die rein dialektischen Abschnitte zumeist in abgekürzter Form vorgetragen, dagegen war es hier die Aufgabe, den Wegen dieser vielumstrittenen Dialektik auch in ihren Einzelheiten zu folgen. Ich habe mich bemüht, das Verständnis der im Urtext wie in den Übersetzungen sehr schwer zugänglichen Gedankengänge durch ein leicht lesbares Deutsch nach Möglichkeit zu erleichtern. Die beigegebenen Einführungen und Anmerkungen sollen ebenfalls nur diesem Zwecke dienen und dem Leser die Möglichkeit geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Den Anspruch, die „einzig möglichen" Deutungen zu sein, erheben meine Erläuterungen nicht. Viele Fragen werden noch immer streitig bleiben, und es würde mich freuen, wenn es mir gelungen wäre, einige Anregungen zu deren Klärung beizutragen.
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I
THEAETET VORBEMERKUNGEN
P
laton hat diesen Dialog dem Andenken eines teuren Freundes gewidmet.
Der Mathematiker T h e a e t e t w a r im Jahre 369 mit dem athenischen Heere ausgezogen, das bei Korinth von den Thebanern geschlagen wurde. Schwerverwundet kehrte der Tapfere aus dem Gefecht zurück, und es gelang nicht, ihm das Leben zu erhalten. Nach dieser Vorgeschichte scheint es hier einmal möglich zu sein, das Erscheinungsjahr eines Platonischen Dialoges fast genau zu bestimmen, denn zwei J a h r e später begab sich Platon nach Sizilien. Daß das umfangreiche, zum Teil schwierige Werk auf dieser Reise geschrieben worden sei, ist nicht anzunehmen, und an eine spätere Zeit ist noch weniger zu denken. Gleichwohl haben einige Erklärer mit guten Gründen darauf hingewiesen, daß der Dialog seinem Inhalt nach nicht in diese Schaffensperiode Piatons fallen könne, vielmehr nicht viel später als der Gorgias zu datieren sei. Nun ist zwar der Hinweis darauf, daß auch im J a h r e 394 ein athenisches Heer auf dem Isthmos gekämpft habe, und daß Theaetet schon damals gefallen sein könne, mit Entschiedenheit abzuweisen. Denn aus der Erzählung Piatons im ersten und letzten Kapitel ist zu entnehmen, daß Theaetet im Todesjahre des Sokrates, also im Jahre 399, noch kaum dem Knabenalter entwachsen w a r 2 ) und daß er als gereifter Mann aus dem Leben schied. E r kann deshalb nicht schon fünf Jahre nach dem Tode des Sokrates gestorben sein. Dagegen darf man sich unbedenklich für die Annahme entscheiden, daß Platon dem Dialoge zwar erst nach der zweiten Schlacht bei Korinth Form und Gestalt gegeben, aber dessen Inhalt aus älteren, unveröffentlichten Aufzeichnungen zusammengestellt habe. Diese Annahme wird durch die Eigenart des Werkes fast zur Gewißheit erhoben. Alle anderen Hauptwerke Piatons unterscheiden sich vom Theaetet durch die architektonische Planmäßigkeit ihres Aufbaues und durch die geschlossene Form ihrer Durchführung. Die
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Theaetet:
Vorbemerkungen
einzelnen, zu Anfang oft nur flüchtig hingeworfenen Motive verschwinden und werden wieder aufgenommen; wie die Themen einer Symphonie durchziehen sie das Ganze und geben ihm die Einheit eines vollendeten Kunstwerkes. Zuweilen — zum Beispiel im Menon und im Phaedros — werden zwei Hauptthemen auf das kunstvollste miteinander verwoben. Diese Vorzüge fehlen dem Theaetet. Die beiden Teile des Dialoges — die Polemik gegen die Relativitätslehre des Protagoras und die Untersuchung des Verhältnisses des Wissens zur Meinung — werden durch das Hauptthema, die Frage nach dem Wesen des Wissens, nur lose zusammengehalten; beide sind vollständig in sich abgeschlossen. Im zweiten Teile kommt Piaton auch an den Stellen nicht auf den Inhalt des ersten zurück, wo es zwanglos möglich gewesen wäre; erst der kurze Schluß knüpft wieder an den Anfang an. Ferner hat Piaton in die Darstellung einen ganzen Abschnitt eingeschoben, der sich nach seinem Stil und seinem Gehalt, durch seine eigentümliche Schönheit, scharf und deutlich heraushebt. (Kap. 23—25.) Man hat ihn treffend „die Episode" genannt. Schließlich erwecken einige der vorgetragenen Beweise den Eindruck, als ob sie Piaton einer von ihm angelegten Sammlung sophistischer Kuriositäten entnommen habe, aus der er im Euthydemos weitere, noch drastischere Beispiele zum besten gibt. Auf den Inhalt des Dialoges näher einzugehen, scheint mir hier nicht der rechte Ort zu sein, ein klares Bild läßt sich nur aus der Darstellung selbst gewinnen. Ich habe versucht, dem Leser in meinen Anmerkungen einige Unterlagen für eine selbständige Beurteilung dieses vielumstrittenen Werkes zu geben. Damit folge ich dem Vorbilde Piatons: in keiner anderen Schrift — abgesehen von seinem Parmenides — fordert er so nachdrücklich zum Mitdenken auf, wie hier. Möge sich der Leser diese Mühe nicht verdrießen lassen, er wird reichen Gewinn daraus ziehen. Von den Personen der Handlung ist folgendes zu sagen: Neben den jungen Theaetet, dessen edle Persönlichkeit mit aller dramatischen Feinheit charakterisiert wird, stellt Piaton die Figur des gelehrten Mathematikers Theodoros aus Kyrene. Auch mit Theodoros war Piaton befreundet; er hatte ihn auf seinen Reisen in Kyrene kennengelernt und verdankte ihm einen Teil seiner mathematischen Kenntnisse. Zwei andere Freunde Piatons treten in der Einleitung des Dialoges auf: Eukleides undTerpsion aus Megara. Sie waren treue Anhänger des Sokrates gewesen; im Phaedon werden sie unter denen genannt, die am letzten Tage bei dem Meister weilten. Von Eukleides erzählt man, daß er den Weg zu Sokrates selbst dann nicht gescheut habe, als den Bürgern von Megara das Betreten des feindlichen Athen bei Todesstrafe untersagt worden
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Theaetet: Kapitel
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war. Trotz dieser Gefahr soll er sich nächtlich, als Frau verkleidet, nach Athen durchgeschlichen haben. Als Piaton nach dem Tode des Sokrates seine erste Zuflucht in Megara suchte, boten ihm die beiden Freunde eine gastliche Stätte. Eukleides begründete später die megarische — „eristische" — Philosophenschule. Bei seinen Auseinandersetzungen mit den „Streitkünatlern", die auch in diesem Dialoge erwähnt werden, mag Piaton des Freundes gedacht haben.
D
ie Einleitung des Dialoges versetzt uns nach Megara. Eukleides begrüßt seinen Freund Terpsion mit einer traurigen Nachricht: Theaetet ist aus einem Gefecht bei Korinth schwerverwundet nach Megara überführt worden. Sein Zustand ist um so bedenklicher, als seine Gesundheit durch die im athenischen Heerlager ausgebrochene Ruhr bereits heftig erschüttert war, und es besteht deshalb nur wenig Hoffnung auf die Erhaltung seines Lebens. Trotzdem hatte er sich nicht bewegen lassen, in Megara zu rasten, den Todwunden trieb es nach Hause. Eukleides gab ihm auf dem halben Wege nach Athen das Geleite und ist soeben heimgekehrt. — So ist dieser wunderbare Mann in Lebensgefahr! ruft Terpsion aus. — Wahrlich, ein edler, vortrefflicher Mensch, bekräftigt Eukleides; auch heute waren seine Kameraden des Lobes voll über sein Verhalten in der Schlacht. Auf dem Rückwege hierhin mußte ich mit Bewunderung der Sehergabe des Sokrates gedenken. Kurz vor seinem Tode war ihm unser Freund als ganz junger Mensch begegnet, und er hatte dem Jüngling damals eine glänzende Zukunft vorausgesagt. So tief war der Eindruck eines Gespräches gewesen, das er mit ihm geführt hatte. — Kannst du mir dessen Inhalt mitteilen ? — Nein, nicht aus dem Gedächtnis. Indessen habe ich alles, was Sokrates davon erzählte, sogleich niedergeschrieben und mir diese Aufzeichnungen später, so oft ich nach Athen kam, von ihm ergänzen und berichtigen lassen. Meine Handschrift gibt deshalb die ganze Unterredung nahezu vollständig wieder. — Ja, das ist mir bekannt, und es war immer schon mein Wunsch, sie einzusehen. Wollen wir sie jetzt miteinander lesen ? Ich komme gerade vom Lande und bedarf ein wenig der Ruhe. — Auch mich hat der weite Weg müde gemacht. So begleite mich nach meinem Hause; mein Schreiber soll uns die Schrift vorlesen. Hier ist sie! sagt Eukleides, als er es sich daheim mit seinem Freunde bequem gemacht hat. Ich habe die Unterredung nicht wörtlich so aufgezeicnet, wie sie Sokrates erzählte, sondern ihren Inhalt in direkter Rede wiedergegeben, um das beständige „sagte ich", „äußerte er" usw. zu vermeiden. Nun, Bursche, nimm das Buch und lies!
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Theaetet: Kapitel 2 Zu Anfang des Gespräches sind Sokrates und Theodoros allein. Sokrates beginnt: Wenn ich Neigung hätte, mich mit deiner Heimat Kyrene näher zu befassen, so würde ich dich fragen, was man dort t u t und treibt, insonderheit, ob sich eure Jugend ernstlich mit Mathematik oder anderen Wissenschaften beschäftigt. Aber ich hänge zu sehr an meiner Vaterstadt, und so achte ich nur auf das Streben unserer Jünglinge. Oft befrage ich die Männer, deren Umgang die jungen Leute suchen, ob sie unter ihnen eine hervorstechende Begabung entdeckt haben. Zu diesen Männern zählst auch du; als Mensch und als Mathematiker bist du hochgeehrt. Sage mir denn, ob du hier einen deiner Beachtung würdigen Jüngling antrafest. — Das ist der Fall, berichtet Theodoros. Ich fand einen jungen Menschen, der deine Aufmerksamkeit im hohen Grade verdient. Er ist nicht schön, und ich darf ihn deshalb rückhaltlos loben, ohne in den Verdacht zu geraten, daß ich in ihn verliebt sei. Vielmehr — nimm mir das nicht übel — sieht er dir ähnlich; seine aufgestülpte Nase und seine hervorquellenden Augen erinnern an dich, obschon diese Züge bei ihm noch nicht so ausgeprägt sind. Aber glaube mir: in der großen Schar der mir bekannten Jünglinge ist keiner so wunderbar begabt, wie er. Bei ihm vereinigt sich ein scharfer Verstand und eine schnelle Auffassung mit größter Bescheidenheit, dazu ist er tapferen Mutes. Andere Knaben dieser Art werden leicht heftig, sie lassen sich von ihrem Hitzkopf fortreißen, wie der Wind ein Schiff ohne Ballast vor sich hertreibt. Und die Gemächlichen gehen ungern an die Arbeit, ihr träges Gedächtnis läßt sie überall im Stich. Dagegen schreitet er im Geistigen mühelos fort; wie rinnendes Öl fließt ihm das Nachdenken sanft und reibungslos dahin. Es ist erstaunlich, daß ein so junger Mensch schon eine solche Reife besitzt! — Das ist ja schön, wer ist denn der Jüngling ? — Sein Name ist mir entfallen. Doch siehe, da kommt er; er ist der mittelste von denen, die soeben eingetreten sind. Ich sah sie vorhin, wie sie sich in der äußeren Halle der Ringschule salbten. Kennst du ihn vielleicht ? — Ja. Er ist der Sohn des Euphronios aus Sunion, eines wackeren Mannes, auf den alles zutrifft, was du an dem Knaben rühmtest. Er starb in hohem Ansehen und hinterließ ein beträchtliches Vermögen. Des Namens seines Sohnes entsinne ich mich freilich nicht. — Aber mir fällt er gerade ein: er heißt Theaetet. Sein väterliches Vermögen haben ihm die Vormünder vergeudet, trotzdem hat er sich in Geldsachen eine vornehme Gesinnung bewahrt. — Das deutet auf einen edlen Charakter. Rufe ihn her und lasse ihn sich zu uns setzen. — Das geschieht. Sokrates betrachtet den Jüngling und stellt zunächst seine Bescheidenheit, die ihm Theodoros so warm gelobt hatte, auf die Probe.
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Theaetet: Kapitel 2 und 3 Ohne Schonung hält er ihm dessen Äußerung über die sokratische Häßlichkeit seiner Gesichtszüge vor, gewiß eine bittere Pille für einen griechischen Jüngling! Theaetet verrät indessen keine Spur von Empfindlichkeit: in einem kurzen Verhör, das Sokrates nach seiner Art mit ihm anstellt, antwortet er unbefangen und höflich. Sokrates gibt der etwas bedenklich begonnenen Unterhaltung geschickt eine freundliche Wendung. Er bedeutet den Jüngling, daß Theodoros kein Maler sei, und daß es deshalb auf sein Urteil über Schönheitsmängel und Ähnlichkeiten nicht ankomme. Aber er sei Astronom, Rechenmeister, Musiker und überhaupt ein bedeutender Mann, und deshalb sei ein Lobspruch aus seinem Munde sehr beachtenswert, wenn er den guten Eigenschaften einer Seele seine Anerkennung zolle. Sokrates fährt fort: Gestatte mir, mein lieber Theaetet, daß ich mich näher mit dir befasse, denn Theodoros hat mir noch niemanden so hoch gepriesen, wie dich. — Vielleicht war das nur Scherz ? wendet Theaetet ein. — Nein, das ist nicht seine Art. Du hast dir bei ihm einige Kenntnisse in der Geometrie und Astronomie, der Harmonielehre und Rechenkunst angeeignet ? — Ich habe mich darum bemüht. — Das ist recht, mein Sohn, auch ich lasse mich von guten Kennern gern in solchen Dingen belehren. Vielleicht habe ich auch einiges gelernt, aber etwas ist mir noch unklar geblieben, und das möchte ich mit dir und deinen jungen Freunden näher untersuchen. 3 ) Sage mir: Liegt das Wesen des Studiums darin, daß wir in dessen Gegenständen weiser werden ? — Freilich. — Die Weisheit macht also die Weisen weise ?4) — Ja. — Besteht hiernach ein Unterschied zwischen der Weisheit und dem Wissen, oder ist beides dasselbe? — Es ist dasselbe. — Eben das ist mir nicht klar. W a s i s t W i s s e n ? Habt ihr darüber schon nachgedacht? Wer von euch will zuerst eine Antwort wagen ? Aber seht euch vor! Wer fehlschlägt, kommt auf den Eselsplatz, wie die Kinder beim Ballspiel sagen. Aber wer das Rechte trifft, soll unser König sein und darf uns weitere Aufgaben stellen. Warum schweigt ihr? Gehe ich in meinem Eifer zu weit, Theodoros? Ich möchte doch nur eine freundschaftliche Unterhaltung anbahnen, damit wir vertraut miteinander werden! — Keineswegs gehst du zu weit, lieber Sokrates. Suche dir nur einen dieser Knaben aus, daß er dir antworte. Ich bin zu alt, um mich auf diese, mir ungewohnten Untersuchungen einzulassen; dagegen werden sie den Jünglingen frommen, denn die Jugend nimmt das Neue leicht in sich auf. Halte dich an Theaetet, das wird das Beste sein. — Nun Theaetet, du hörst, was Theodoros sagt. Erkläre mir darum kurz und g u t : was hältst du vom Wissen ? — Da ihr befehlt, muß ich gehorchen. Ihr werdet mich ja berichtigen,
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T h e a e t e t : K a p i t e l 3 bis 5 wenn ich etwas Falsches sage. — Wenn wir das können, soll es geschehen, verspricht ihm Sokrates. Theaetet erklärt darauf: Zu den Gegenständen des Wissens rechne ich nicht nur die Geometrie und das, was Theodoros sonst noch lehrt, sondern auch die Schuhmacherei und die anderen Handwerkskünste; sie sind insgesamt und einzeln nichts, als Wissen. — Du bist sehr freigebig, mein junger Freund! Ich bat dich nur um Eines, und du spendetest mir eine ganze Fülle ! 5 ) Sokrates macht ihm den Fehler ausführlich klar: Unter Schuhmacherei verstehst du das Wissen um die Anfertigung von Schuhwerk, unter dem Zimmermannsgewerbe das Wissen um die Bearbeitung von Hölzern. Ein Wissen muß also jeder Meister haben, und darum führt uns eine Aufzählung der Gegenstände des Wissens nicht weiter. Wir müssen zunächst feststellen, worin das Wesen des Wissens besteht, sonst können wir nicht verstehen, was es mit dem Wissen des Handwerkers und der anderen Meister auf sich hat. Wenn dich jemand fragte: „was ist Lehm?", so würdest du doch auch nicht antworten: „es gibt Lehm für die Töpferei, Lehm für die Ziegelei usw.", sondern du würdest einfach sagen: „Lehm ist eine Mischung von Erde und Wasser". Ich verstehe, was du meinst, erwidert Theaetet. Es erinnert mich an eine Betrachtung, die ich neulich mit meinem Freunde angestellt habe. Er sitzt hier bei uns und heißt auch Sokrates, wie du. 6 ) Theodoros hatte uns eine große Anzahl verschiedener Quadrate mit Seitenlängen von 3—17 Fuß aufgezeichnet und uns nachgewiesen, daß sie einem Quadrate von einem Fuß Seitenlänge nicht kommensurabel seien. Da besannen wir uns darauf, wie wir die verwirrende Menge unzähliger möglicher Quadrate auf ein gemeinsames Merkmal zurückführen und nach ihm das Wesen des Quadrates bestimmen könnten. — Nun, glückte euch das ? — Ich glaube, ja. Urteile selbst. Wir teilten alle Zahlen in zwei Klassen ein. Diejenigen, die sich aus der Multiplikation einer Grundzahl mit ihr selbst ergeben, nannten wir Quadratzahlen, weil sie dem Verhältnis entsprechen, das durch die gleich langen Seiten eines Quadrates dargestellt wird. Die zwischen diesen liegenden Zahlen, wie die Drei und die Fünf, 7 ) nebst denen, die aus der Multiplikation verschiedener Zahlen entstehen, bezeichneten wir als oblonge, denn sie erinnern an die ungleich langen Seiten eines Rechtecks. Darauf kehrten wir zu unsern Quadraten zurück. Alle Linien, die den als quadratische Flächen dargestellten kommensurablen Zahlen entsprechen, nannten wir Längen (ufjKos). Die ungleich langen Linien nannten wir Potenzen (5uv