Philosophisches Wörterbuch [4., unveränd. Aufl. Reprint 2019] 9783111364728, 9783111007557

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German Pages 260 Year 1953

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Table of contents :
a– Axiom
Bachofen, Johann Jacob– Buridans Esel
Campanella, Thomas– Cusanus, Nikolaus
Daimonion– Dysteleologie
e– extramundan
Fallazien– Funktion
Galilei, Galileo– Grundwissenschaft
Haeckel, Ernst– Hysteronproteron
i– Irritabilität
Jacobi, Friedr. Heinrich– Jung, C. G
Kabbala– Kyniker
Lagarde, Paul Anton de– lumen naturale
Mach, Ernst– Mythus
naiv– Nous
o– Ostwald, Wilhelm
Palingenesie– Pythagoras
Qualität– Quintessenz
rational– Rousseau
Schein– systematisch
tabula rasa– Typus
Ubersinnlich- Utopie
Vaihinger, Hans– Vorstellung
Wahrheit– Wundt, Wilhelm
Xenophanes
Yoga
Zeit– Zweiweltenlehre
Literatur
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Philosophisches Wörterbuch [4., unveränd. Aufl. Reprint 2019]
 9783111364728, 9783111007557

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S A M M L U N G G O S C H E N B A N D 1031

Philosophisches Wörterbuch Von

Dr. Max Apel

Vierte, unveränderte A u f l a g e

WALTER

DE G R U Y T E R & CO.

vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Triibner • Veit '& Comp. Berlin

1953

Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien u n d Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten

Copyright 1953 by

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. Berlin W 35, Genthiner Str. 13

Archiv-Nr. 111031 Druck von T h o r m a n n & Goetsch, Berlin Printed in Germany

a : in der Logik Zeichen für das allgemein bejahende Urteil: alle S sind P; hergenommen von dem lateinischen Wort affirmo (ich bejahe), i: partikulär bejahend. A = A : übliche Formel für den logischen Grundsatz der Identität: A ist A, jeder Begriff ist mit sich selbst identisch. AbSlard, P e t r u s (1079—1142): Im Universalienstreit Eklektiker. Universalia in rebus. In echt kritischem Geiste beginnt er mit dem Zweifel. Der Zweifel führt zur Forschung, die Forschung zur Wahrheit. Die Vernunft, d.s. die Dogmen der Kirche, beweisen, nicht Bibelsprüche und Wunder. Er fordert geistige Auslegung der Bibel. So bedeutet die Himmelfahrt die Erhebung der Seele zum Himmlischen. Die Vernunft weist örtlichen Himmel und örtliche Hölle ab. Abälard behandelt die Ethik unter dem Titel: Erkenne Dich selbst! Sie gründet sich auf die Gesinnung und das Gewissen des Einzelnen. Sünde wie Sittlichkeit bestehen vor allem in der Gesinnung. Abälard ist reich an Widersprüchen, trotzdem aber einer der bedeutendsten Denker des Mittelalters. Der Briefwechsel mit Heloise ist eine literarische Fiktion. Werke: Sic et non. Die Selbstbiographie „Historia calamitatum". Der „Dialog zwischen einem Philosophen, einem Juden und einem Christen". Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicherweise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt — es sei im Physischen oder Moralischen. (Kant, Streit d. Fak.). Dieser Glaube an übernatürliche Vorgänge ist in der Regel Überbleibsel überholter Naturauffassungen oder früherer Religionsformen und entspricht nicht mehr dem herrschenden Glauben. Zum Aberglauben rechnet man Alchemie, Astro.ogie, Chiromantie, Gespensterglauben, Zauberei und dergleichen mehr. [Vgl. Bächtold-Stäubli, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 10 Bände.] Abhängigkeit: Verhältnis zweier oder mehrerer Gegenstände, die sich gegenseitig bedingen. [Vgl. Funktion, Korrelation, Religion, Schleiermacher.] abnorm: regelwidrig, von der Regel abweichend. 1*

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absol ut—Abstraktion

absolut: losgelöst von jeder Bindung, Beziehung, Bedingung, Abhängigkeit, also uneingeschränkt, f ü r sich seiend, unbedingt, unabhängig, aus sich bestimmt. Das Absolute: der letzte U r g r u n d alles Seins. Eine absolute E r k e n n t n i s : eine Erkenntnis des an sich Wirklichen, der Dinge an sich. N e w t o n legte seiner Mechanik (1687) eine absolute, w a h r e und mathematische, gleichmäßig fließende Zeit und einen absoluten, stets gleichen und unbeweglichen Raum zugrunde. Nach K a n t haben Raum und Zeit keine absolute Realität, keine an sich seiende Wirklichkeit, sondern sind reine F o r m e n der Erscheinungswelt. — In S c h e l l i n g s Identitätssystem ist das Absolute, die absolute Vernunft, die Indifferenz von N a t u r und Geist, von O b j e k t und Subjekt. Die G e g e n s ä t z e von Subjekt und O b j e k t , Realem und Idealem, N a t u r und Geist lösen sich im Absoluten auf. Bei H e g e l ist das Absolute die sich selbst entwickelnde Vernunft, das einzig Seiende, das sich in die Welt auseinanderlegt und sich als Geist wieder mit sich selbst zusammenschließt. Philosophie ist danach u. a. Wissenschaft vom Absoluten. Absolutismus: Lehre vom Absoluten oder Lehre der absoluten Geltung der Wahrheit und Werte. — Staatsrechtlich: u n b e s c h r ä n k t e Gewalt des Staates oder der staatlichen Machthaber. Abstammungslehre: siehe Deszendenztheorie. abstrahieren: vom Besonderen, Zufälligen absehen zum Z w e c k e der H e r a u s h e b u n g des Allgemeinen und Wesentlichen. abstrakt: aus einem gegebenen Z u s a m m e n h a n g e herausgelöst und für sich allein betrachtet. So erhält abstrakt den Sinn von begrifflich, gedacht, im G e g e n s a t z zum anschaulich G e g e b e n e n . [Vgl. konkret.) Abstraktion: das logische Verfahren, durch W e g l a s s u n g von Merkmalen vom anschaulich G e g e b e n e n zur Allgemeinvorstellung und von einem g e g e b e n e n Begriffe zu einem allgemeineren aufzusteigen, etwa von „Eiche", „Birk e " usw. zum Begriffe „Baum". Die Abstraktion vermindert den Inhalt und erweitert den U m f a n g . — G e g e n s a t z : Determination. — L o t z e l e h r t : Abstraktion besteht nicht in Weglassung, sondern im „Ersatz der weggelassenen Merkmale durch ihr Allgemeines". S i g w a r t kritisiert die g e w ö h n liche Lehre, daß die Begriffe durch Abstraktion g e w o n n e n werden, d. h. durch einen P r o z e ß , in welchem die gemein-

abstrus—Achilleus

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schaftlichen Merkmale einzelner Objekte von dem sie unterscheidenden gesondert und jene zur Einheit zusammengeiaßt werden. Denn um ein vorgestelltes Objekt in seine einzelnen Merkmale aufzulösen, sind schon Urteile notwendig, deren Prädikat Begriffe sein müssen, die nicht durch Abstraktion erst gewonnen sind. Wer den Allgemeinbegriff Tier durch Aufsuchen der gemeinschaftlichen Merkmale aller Tiere finden wollte, müßte den Begriff Tier, den er sucht, in Wahrheit schon haben. Abstraktion sollte also allein die t r e n n e n d e Abstraktion heißen, vermöge der das in der Anschauung ungeteilte Oanze in Ding, Eigenschaft und Tätigkeit zerlegt und die aus ihrer konkreten Einheit losgerissenen abstrakten Vorstellungen gebildet werden, welche es allein möglich machen, konkret Verschiedenes nach allgemeinen Merkmalen zu vergleichen und es also gleich oder verschieden zu finden. abstrus: verworren, unverständlich. absurd: ungereimt, unsinnig denkwidrig; ad absurdum führen: durch Aufdeckung von Folgerungen, die notwendig zu Widersprüchen führen, widerlegen. Abulie: Willenlosigkeit. abundant: (überfließend), eine abundante Definition gibt überflüssigerweise abgeleitete Merkmale an, z. B. ein Viereck, dessen Gegenseiten parallel und gleich sind, heißt ein Parallelogramm. Die Gleichheit folgt aus der Parallelität. acervus: (Haufe), Haufenschluß, ein Trugschluß, der die Scheinhaftigkeit der sinnlichen Wahrnehmung zeigen soll: bei Z e n o n in der Form: 1 Weizenkorn macht beim Fallen kein Geräusch, folglich kann ein Haufe Weizenkörner auch kein Geräusch machen! Die Vielheit des Seienden ist Täuschung. Später in anderer Form bei dem Megariker E u b u l i d e s : 2 Weizenkörner bilden noch keinen Haufen, sondern eine bestimmte Zahl, auch nicht 3, 4 usw. Körner, also wir kommen durch Hinzufügung einer Einheit nie von wenigen Körnern zum Haufen, zur unbestimmten, nicht mit dem Blicke zahlenmäßig zu bestimmenden Menge. [Vgl. Kahlkopf, Sorites.] Achilleus: ein berühmter Beweis des Eleaten Z e n o n (um 450 v. Chr.) gegen die Möglichkeit der Bewegung: der schnellfüßige Achilles kann die langsame Schildkröte nicht einholen, die einen Vorsprung hat; denn er muß zuerst diesen Vorsprung einholen, inzwischen aber ist die Schildkröte eine kleine Strecke vorwärtsgekommen, wiederum

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Achtung—Adept

muß Achilles nun zuerst diesen Vorsprung durchlaufen, und wiederum hat inzwischen die Schildkröte einen Vorsprung erlangt, und dieses Spiel bricht nie ab, immer behält die Schildkröte einen, wenn auch stets kleiner werdenden Vorsprung. Die Sinne zeigen jedoch, daß Achilles in kurzer Zeit die Schildkröte überholt. So stehen Denkbetrachtung und Sinneswahrnehmung in schroffem Widerspruche, der nur dadurch überwunden werden kann, daß die Annahme der Bewegung überhaupt falsch ist. Es gibt also gar keine Bewegung! Sicherlich hat Z e n o n darin recht, daß die durch jene Betrachtungsweise gewonnene Reihe niemals abbricht. Aber die mathematische Zerlegbarkeit der Bewegung in eine solche unendliche Reihe darf nicht mit der stetigen Bewegung gleichgesetzt werden. Die Schildkröte habe einen Vorsprung von 100 m, in 1 Sekunde lege Achilles 10 m, die Schildkröte I m zurück; den Vorsprung von 100m hat Achilles in 10 Sekunden eingeholt, die Schildkröte hat in dieser Zeit einen neuen Vorsprung von 10 m gewonnen, diese 10 m durchläuft nun der Verfolger in 1 Sekunde, die der Schildkröte einen Weg von 1 m ermöglicht, usw. Wir erhalten so die Reihe: 100m + 1 0 m + l m + 0 , 1 m + 0 , 0 1 m - ) - • • . Diese Reihe hat unendlich viele Glieder, aber ihre Summe ist 111,111... = l l l V 9 m . Achilles holt also die Schildkröte nach Zurücklegung einer Strecke von lllVoin in lltyg Sekunden ein: 11'/»Sekunde = 1 0 + l + Vio+Vioo + . . . = 11,111... Achtung: Gefühl für das, was Wert an sich hat; d. i. für den sittlichen Wert, die Würde freier Wesen (Wert einer Persönlichkeit, einer Handlung, eines Gesetzes). actus purus: reine, von Stofflichkeit freie Wirklichkeit und Wirksamkeit; in der scholastischen Philosophie ist Gott actus purus, der keine Potentialität (bloß Möglichkeit) in sich hat. Auch L e i b n i z bezeichnet Gott, die höcnste Monade, als absolute Tätigkeit, als actus purus. Adaptation: Anpassung; in der Psychologie die Anpassung und Abstumpfung der Empfindungen bei andauerndem Fortbestehen der objektiven Reize. adäquat: angemessen, gleichkommend, genau entsprechend, übereinstimmend; eine adäquate Erkenntnis ist die mit dem Wesen der Sache übereinstimmende Erkenntnis. Adept: der Eingeweihte, der Meister der Alchemie, der

Adlaphoron—Ästhetik

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den Stein der Weisen, die Kunst der Verwandlung unedler Metalle in edle, gefunden hat. Adlaphoron: (Ununterschiedenes), Gleichgültiges; für die Kyniker und Stoiker waren alle äußeren Güter, wie Reichtum, Ehre, Gesundheit, selbst das Leben, gleichgültige Dinge, Adiaphora; als einziges wahres Gut gilt dem Weisen die Tugend, als einziges Übel das Laster. Aerobaten: Die spekulativen Philosophen nach Aristophanes. Ähnlichkeit: teilweise Gleichheit bei teilweiser Verschiedenheit. Sie spielt in der Naturforschung (Klassifikation) und in der Psychologie (Assoziation) eine wichtige Rolle. Aon: Ewigkeit, beständige Dauer. Der Gnostiker V a l e n t i n (um 150 n.Chr.) nennt den Urgrund der Dinge ( G o t t ) den vollkommenen Äon, aus dem dann dreißig niedere Ä o n e n (Geister) hervorgehen. Aquilibrismus: Gleichgewichtslehre; Lehre der Scholastik, daß Freiheit des Willens (arbitrium liberum) nur bei Gleichgewicht zweier gleichwertiger entgegengesetzter Motive bestehen kann. Aquipollenz: logische Gleichgeltung von Begriffen und Urteilen, die dasselbe, nur in verschiedener Form, aussagen. Äquipollent sind die Urteile: Jede Lüge ist verwerflich — es gibt keine Lüge, die nicht verwerflich wäre. Äquivalent: gleichwertig. Äquivalenz: Gleichwertigkeit. Der Satz von der Äquivalenz von Wärme und mechanischer Arbeit wurde 1842 von R o b e r t M a y e r entdeckt: die Arbeit, welche durch Hebung von 1 kg hoch senkrecht 427 m geleistet wird, ist gleichwertig der Wärmemenge, welche nötig ist, um 1 kg Wasser um 1 Grad (genauer: von 14,5° auf 15,5°) zu erwärmen. iqulvok: gleichlautend, doppelsinnig, zweideutig. Aqulvokatlon: die Verwendung doppelsinniger Worte. Ästhetik: wörtlich: Lehre von der sinnlichen Anschauung. In diesem Sinne nennt K a n t den ersten Teil seiner Kritik der reinen Vernunft „die transzendentale Ästhetik", „Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori", d. h. Untersuchung von Raum und Zeit in ihrer Bedeutung für die sinnliche Erkenntnis. — B a u m g a r t e n gebraucht den Namen Ästhetik im Sinne einer Anleitung zum richtigen Empfinden, einer Wissenschaft vom Schönen. Die moderne wissenschaftliche Ästhetik beginnt mit Kants

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Ästhetizismus—Affinität

Grundlegung des ästhetischen Urteils. In der Gegenwart stehen sich verschiedene Richtungen innerhalb der Ästhetik gegenüber, die sich vor allem nach der Gegenstandsauffassung des Ästhetischen unterscheiden. Während Kant lediglich in der Form des schönen O b j e k t s das Wesen des ästhetischen Urteils erblickt (formalistische Ästhetik), erblicken andere in der Kunst ein Phänomen der künstlerischen Darstellung inhaltlicher Lebenswerte. Das gilt vor allem von der idealistischen Ästhetik, die die Kunst als Ausdruck der Idee oder des Absoluten aufzufassen sucht ( H e g e l , S c h e l l i n g , S o l g e r , S c h o p e n h a u e r , v. H a r t m a n n). Neben dem ästhetischen Objektivismus, der das Schöne als reale Qualität des Gegenstandes versteht ( S t e p h a n W i t a s e k , M a x D e s s o i r ) , gibt es einen ästhetischen Subjektivismus, der im Kunstwerk eine Ursache für Lusterlebnisse ( F e c h n e r ) bzw. eine Äußerungsform des Spieltriebes ( K a r l G r o o s ) erblickt. Andere sehen im schönen Gegenstand eine Wertqualität, die durch Einfühlung erschlossen wird ( T h e o d . L i p p s , J o h . V o l k e l t ) . Ästhetizismus: Anschauung, daß das Ästhetische, die ästhetische Lebensgestaltung, den höchsten Wert besitzt. Ätiologie: Lehre von den Ursachen. Affekt: vorübergehende Gemütsbewegung, seelische Erschütterung. Nach den Stoikern sind Affekte vernunftlose, naturwidrige Gemütsbewegungen, die vom Weisen beherrscht und unterdrückt werden müssen. S p i n o z a unterscheidet drei Grundaffekte: Lust, Unlust und Begierde. — Nach der neueren Psychologie sind Affekte intensive gefühlsartige Erlebnisse mit lebhaften physiologischen Begleiterscheinungen. Nach W u n d t ist Affekt ein in sich geschlossener Verlauf von Gefühlen, die eine intensive Wirkung und Nachwirkung auf den Zusammenhang der psychischen V o r g ä n g e ausüben. Affekte wie Zorn, Freude, Begeisterung, die ein aktives seelisches und physiologisches Verhalten zeigen, heißen sthenisch (belebend, stärkend), lähmende, hemmende Affekte, wie Furcht, Trauer, S o r g e heißen asthenisch. Nach der J a m e s - L a n g e s c h e n Ansicht bedingt der körperliche Zustand die Gemütsbeweg u n g : wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen. Affektion: a) Zustandsänderung des Subjekts, Sinneserr e g u n g ; b ) Zuneigung, Neigung. Affinität: Verwandtschaft; K a n t nennt den objektiven

Affirmation—Akademie

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Grund aller Assoziation der Erscheinungen die Affinität der Erscheinungen. Affirmation: Bejahung, bejahende Aussage. affirmativ: bejahend; ein affirmatives Urteil hat die Form: S ist P. affizieren: einwirken, erregen, beeinflussen. Nach Kant wird unsere Vorstellungsfähigkeit von Gegenständen affiziert, so daß wir Empfindungen erhalten. Agens (Mehrzahl: Agentien): tätige, wirkende, treibende Kraft. Aggregat: Anhäufung von Teilen zu einem äußerlichen Zusammenhang. K a n t : Erfahrung (Erfahrungserkenntnis) ist kein bloßes Aggregat von Wahrnehmungen, keine bloß empirische Zusammensetzung der Wahrnehmungen, sondern ein auf Begriffen und Grundsätzen a priori beruhendes systematisches Ganzes. Agnosie: Unwissenheit, das Nichtwissen. Agnostizismus: ein erkenntnistheoretischer Standpunkt, der eine Unerkennbarkeit von allem über die Erfahrung hinausgehenden Übersinnlichen, Metaphysischen behauptet, ohne die Existenz des Absoluten und Transzendenten bestreiten zu wollen. Die Bezeichnung Agnostizismus wurde zuerst 1869 von dem englischen Naturforscher T h o m a s H u x l e y gebraucht. Agnostiker sind auch D a r w i n , der sich in metaphysischen, über die Erfahrung hinausgehenden Fragen des Urteils enthalten will; S p e n c e r der ein letztes „Unerkennbares" als unerforschliches Absolutes voraussetzt; C o m t e , der unter Ablehnung aller Metaphysik ein den Erscheinungen zugrunde liegendes unerkennbares Sein annimmt. Auch der moderne Positivismus kann der agnostizistischen Philosophie zugerechnet werden, soweit er ein Sein jenseits der Erfahrung zuläßt. Ahnung: das fühlende Innewerden oder Innehaben eines Nichtgewußten oder Nichtwißbaren, etwa ein dunkles Bewußtwerden von etwas, das schon geschehen ist oder noch geschehen wird. Ahrlman: der böse Geist in der Religion des Zoroaster. Siehe Zarathustra. Akademie: in der Nähe einer nach dem Heros Akademos benannten Turnstätte bei Athen erwarb P l a t o einen Garten, in dem er seine Schüler um sich versammelte: die platonische Akademie. Diese Akademie bestand fast ein Jahrtausend. Die unmittelbaren Nachfolger mit den ersten

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Akkommodation—Aktivität

Schulhäuptern S p e u s i p p und X e n o k r a t e s bilden die „ältere Akademie", die die pythagoreische Zahlenlehre ihrer Lehre zugrunde legt. Die „mittlere Akademie" schlägt eine skeptische Richtung ein (im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr.). Die „neuere Akademie" schließt sich an die Stoa an. Kaiser J u s t i n i a n hat 529 alle Philosophenschulen aufgehoben. Eine neue „platonische Akademie" erstand im 15. Jahrhundert n. Chr. in Florenz. Seit dem 18. Jahrhundert ist Akademie die übliche Bezeichnung für Institute, die der reinen Forschung gewidmet sind. Akkommodation: Anpassung, Anbequemung; physiologisch: die selbsttätige Anpassung des Auges an verschiedene Entfernungen der Gegenstände durch Wölbung der Augenlinse, sodaß die Lichtstrahlen auf die Netzhaut fallen. Akosmismus: Weltlosigkeit; Leugnung der Welt als selbständiger Existenz; nach H e g e l ist S p i n o z a s Pantheismus, bei dem der Welt der Einzeldinge keine Wirklichkeit neben Gott zukommt, ein Akosmismus. akroamatisch: (hörbar, zum Anhören bestimmt), Schriften des A r i s t o t e l e s , die aus zusammenhängenden Vorträgen entstanden waren, nannte man akroamatisch. Die akroamatische Methode ist im Gegensatz zur populären „erotematischen" die wissenschaftliche. Akts Handlung, Tätigkeit; in sich geschlossener seelischer Vorgang, ein Bewußtseinsinhalt, der auf etwas Gegenständliches außerhalb seiner selbst, gerichtet ist. B r e n t a n o unterscheidet Akt und Inhalt des Vorstellens; im Vorstellungsakt bezieht sich unser Bewußtsein auf etwas Gegenständliches. Nach H u s s e r l bedeutet der Akt ein intentionales Moment innerhalb der Erlebnisse; der Akt ist auf etwas gerichtet, „meint" einen Gegenstand. S c h e l e r erweitert Husserls logische Theorie der A. um eine Analyse der emotionalen, auf „Werte" bezogenen Akte. S p r a n g e r versteht unter einem geistigen Akt „die aus verschiedenen seelischen Funktionen strukturell zusammengewobene Tätigkeit des Ich, wodurch es eine geistige Leistung von überindividuellem Sinne hervorbringt". [Vgl. Intention.] aktiv: tätig, wirksam. Aktivismus: die Überzeugung, daß nur in die Tat umgesetztes Erkennen Leben und Kultur zweckvoll gestalten kann. Hauptvertreter J. G. F i c h t e . Aktivität: Tätigkeit, Selbständigkeit, Wirksamkeit.

Aktualismus—Alexandrinische Philosophie

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Aktualismus: Nach diesem Prinzip, das nicht nur in der Geologie und Biologie in Geltung ist, sondern auch in der Kultur- und Geistesgeschichte, sind die gegenwärtig wirksamen Kräfte und ihre Gesetzmäßigkeiten dieselben wie die in früheren Perioden der Erd- und Geistesgeschichte wirksamen. Aktualität: das unmittelbar auf eine gegebene Situation bezogene Wirklichsein. Aktualitätstheorie: die Lehre, daß alle Wirklichkeit, im Werden, Geschehen, Tun besteht. Diese metaphysische Anschauung ist in der Psychologie (W. W u n d t ) unter Anlehnung einer Seelensubstanz auf die Lehre von der Seele als einem Zusammenhang seelischer Vorgänge übertragen. [Vgl. Substantialitätstheorie.] aktuell: momentan wirklich, tatsächlich wirksam. [Vgl. potentiell.] akzidentiell: unwesentlich, zufällig, unselbständig. Akzidenz: 1. Unwesentliche, zufällige Eigenschaften der Dinge; Gegensatz: Essenz. 2. Wechselnde Zustände im Gegensatz zur beharrlichen Substanz. K a n t : Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anderes sind, als besondere Arten derselben zu existieren, heißen Akzidenzen. Albertus Magnus: Albert von Boilstädt (1193—1280), einer der bedeutendsten Scholastiker, Lehrer des Thomas von Aquino. Er gab unter dem Einfluß von Avicenna und Maimonides dem scholastischen Denken die aristotelische Wendung. Er hielt jedoch im Anschluß an Plato am „Sein an sich" der Begriffe fest. Er bewies einen für seine Zeit außergewöhnlichen Sinn für die Naturwissenschaften. So stellte er selbst Beobachtungen an und tauschte mit seinen Freunden Erfahrungen aus. „Wir haben nicht zu erforschen, wie Gottes freier Wille die Geschöpfe gebraucht zu Wundern, sondern was in den Naturdingen nach den natürlichen Ursachen auf natürliche Weise geschehen kann." d'Alembert (1717—1773): bedeutender Mathematiker, mit Diderot Herausgeber der franz. „Encyclopédie". Als Philosoph ist d'Alembert Sensualist, aber von der Existenz der Außenwelt überzeugt, religiös ist er Deist. Alexandrinische Philosophie: die im letzten vorchristlichen und im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Alexandria vertretene Philosophie, eine Mischung aus griechischer Philosophie und orientalischer, besonders jüdischer Mystik.

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Algorithmus—amoralisch

Algorithmus: Rechenbuch, Rechenkunst, nach dem Namen eines arabischen Mathematikers (9. Jahrh. n. Chr.); der logische Algorithmus ist der Versuch, die Logik in den Symbolen einer mathematischen Wissenschaft abzuhandeln. All, Allheit: Gesamtheit aller Dinge, das Universum. Die Gottheit ist nach X e n o p h a n e s das All-Eine, Iv Kai iräv ein und alles. Allbeseelung: Lehre, daß die Welt in allen ihren Teilen beseelt ist. [Vgl. Panpsychismus.] allgemein: für alle Gegenstände einer Art gültig; allgemeine Urteile: alle S sind P; kein S ist P. Alfreineinbegriff: ein Begriff, der auf eine Menge von Dingen anwendbar ist, die in bestimmten Eigenschaften übereinstimmen. So umfaßt der Begriff Metall alle einzelnen Metalle. Allgemeinheit: ausnahmslose Gültigkeit; strenge Allgemeinheit eines Urteils beruht auf einem „Vermögen des Erkenntnisses a priori" ( K a n t ) . Allgemeinvorstellung: eine Vorstellung, die das mehreren Einzelgegensiänden Gemeinsame gesondert und zusammentassend heraushebt, alogisch: nicht logisch, vernunftlos. als ob: siehe Fiktion. Alternative: die entscheidende Wahl zwischen zwei Möglichkeiten; alternative Urteile sind 1. zweigliedrige disjunktive Urteile: S ist entweder P oder Q; 2. Urteile, die miteinander vertauscht werden können, ohne daß der Sinn sich ändert, alternieren: miteinander abwechseln. Altruismus: ethische Lehre, die die Selbstlosigkeit als hauntsächliches Merkmal der Sittlichkeit bezeichnet und ein auf das Wohl anderer gerichtetes Handeln fordert; namentlich von englischen Moralphilosophen vertreten, so von L o c k e , H u m e , A d a m S m i t h , S h a f t e s b u r y , B e n t h a m , S p e n c e r . Der Ausdruck stammt von C o m t e (1708 —1857), der den Egoismus durch den Altruismus, die Selbstsucht durch altruistische, soziale Gefühle überwunden wissen will. Ambiguität: Zweideutigkeit infolge unklarer Begriffe. Amnesie: krankhafte Gedächtnisschwäche, amoralisch: eine Haltung und Gesinnung, die die Frage nach dem Moralischen ausschaltet; das Außersittliche.

Amphibolie—Analytik

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Amphibolie: Zweideutigkeit, Verwechslung. K a n t bezeichnet die L e i b n i z unterlaufene Verwechslung der reinen V e r s t a n d s o b j e k t e mit den Erscheinungen als eine transzendentale Amphibolie. So habe L e i b n i z in seinem Prinzip der „Einheit des nicht zu Unterscheidenden" Einerleiheit im Begriffe mit Einheit des G e g e n s t a n d e s verwechselt. Aber zwei Wasserstropfen, die begrifflich völlig gleich sind, sind doch zwei numerisch verschiedene G e g e n s t ä n d e im Kaum, in dem sie existieren. Anästhesie: Unempfindlichkeit, Gefühllosigkeit. analog: entsprechend, in bestimmter Beziehung gleich. Analogie: Ähnlichkeit, Übereinstimmung in bestimmten Verhältnissen; nach K a n t : eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen g a n z unähnlichen Dingen. Analogien der Erfahrung: bei K a n t Verstandesregeln, nach denen „aus W a h r n e h m u n g e n Einheit der E r f a h r u n g entspringen soll"; ihr allgemeiner G r u n d s a t z ist: „Alle Erf a h r u n g e n stehen ihrem Dasein nach a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in der Zeit." Die drei Analogien lauten: 1. G r u n d s a t z der Beharrlichkeit: „Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharret die Substanz, und das Q u a n t u m derselben wird in der Natur w e d e r vermehrt noch vermindert." 2. G r u n d s a t z der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der V e r k n ü p f u n g der Ursache und W i r k u n g . " 3. G r u n d s a t z des Zugleichseins nach dein Gesetze der W e c h s e l w i r k u n g o d e r G e m e i n s c h a f t : „Alle Substanzen, sofern sie im Räume als zugleich w a h r g e n o m m e n werden können, sind in d u r c h g ä n g i g e r Wechselw i r k u n g . " Diese drei G r u n d s ä t z e bedingen den Z u s a m m e n h a n g aller Erscheinungen in der Einheit der Natur. Analogieschluß: ein Schluß aus der Übereinstimmung o d e r Ähnlichkeit von G e g e n s t ä n d e n in einigen P u n k t e n auf ein gleiches oder ähnliches Verhalten auch in anderen P u n k t e n . So wird von der Tatsache der Beseelung der Menschen und der Ähnlichkeit von Menschen und Tieren auf die Beseeltheit auch der Tierwelt geschlossen. Mit abn e h m e n d e m G r a d e der Ähnlichkeit wird der Schluß immer unsicherer. Analogon: etwas Entsprechendes, Ähnliches. Analyse: Auflösung, Z e r l e g u n g eines Z u s a m m e n g e s e t z t e n in seine Bestandteile. Analytik: bei A r i s t o t e l e s die Kunst der G e d a n k e n z e r -

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analytisch—Anaxagaros

legung; sein logisches Giundwerk, die Lehre vom Schließen und Beweisen, nannte A r i s t o t e l e s Analytik, Zergliederung des Denkens. Die „transzendentale Analytik" des Kantischen Kritizismus ist die „Zergliederung unseres gesamten Erkenntnisses a priori in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis". Diese apriorischen Elemente sind die Begritfe (Kategorien) und Grundsätze des reinen Verstandes, die aller Erkenntnis zugrunde liegen. analytisch: auflösend, zergliedernd. Analytische Definitionen erklären den Begriff durch logische Zerlegung in seine Merkmale. Analytische Urteile sind nach K a n t solche Urteile, bei denen das Prädikat schon im Subjektsbegriffe enthalten ist, also durch Zergliederung des Subjekts gefunden wird. Analytische Urteile sind also bloße Erläuterungsurteile, weil sie uns nur Prädikate geben, die im Subjekt schon gedacht waren. Ein solches Urteil ist der Satz: alle Körper sind ausgedehnt; denn Körper sein, heißt im Räume sein, also ausgedehnt sein. Analytische Urteile setzen die Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs voraus. — Die analytische Methode ist allgemein das Verfahren, das als Ganzes angenommene Untersuchungsobjekt in seine Bestandteile zu zerlegen. Das wichtigste Hilfsmittel des analytischen Verfahrens ist das Experiment. K a n t nennt seine in den Prolegomenen befolgte Methode analytisch (regressiv), indem er „von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich". [Vgl. synthetisch.] Anamnese (Anamnesis): Wiedererinnerung. P l a t o führt die Erkenntnis der Ideen auf die Anamnese zurück: die menschliche Seele hat im Zustande der Präexistenz in der übersinnlichen Welt die Ideen geschaut und erinnert sich jetzt beim Anblick der einzelnen Erscheinungen an ihre einst geschauten Urbilder, die Ideen; alles Lernen ist also Wiedererinnerung. Auch Begriff der Medizin. Anarchismus: Gesellschaftsordnung vollkommener Herrschaftslosigkeit bei größter Autonomie der Individuen, die insbesondere den Staat verneint. Wichtige Vertreter Bakunin, Elisée, Reclus u. a. Die neueste Phase des europäischen Anarchismus ist der revolutionäre Syndikalismus. Anaxagaros: um 500 v. Chr. in Klazomenä geboren. Anaxagaros spielt im Geistesleben Athens eine hervorragende Rolle. Euripides ist von seinen Ideen stark beeinflußt. „Und alles, was sich da mischte und absonderte und voneinander

Anaximander—animalisch

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schied, kannte der Geist (6 voüs). Und alles ordnete der Geist an (voOs TRDCVRA 8IEKÖCTHT|CTEV), wie es in Zukunft werden soll, wie es vordem war und wie es gegenwärtig ist" (Diels, Vorsokratiker). Anaximander (600 V. Chr.): unter den ionischen Naturphilosophen der bedeutendste. Er setzte als Urprinzip des Seins TÖ ¿brcipov: das Unbegrenzte, das Unendliche, das Unbestimmte. Aus dem Apeiron, das der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung unzugänglich ist, entsteht die Welt der unterscheidbaren Dinge durch Ausscheidung in Gegensätzen. angeboren: im wörtlichen Sinne: mit der Geburt vorhanden; im weiteren Sinne: nur als Anlage vorhanden. Man verstand P i a t o s Lehre von der Anamnese falsch im Sinne angeborener Begriffe und Wahrheiten. Auch C i c e r o spricht von notiones innatae, angeborenen Begriffen, wie dem Gottesbegriff. D e s c a r t e s gründet die wahre Erkenntnis auf ideae innatae (eigentlich „eingeborene" Ideen), aber er versteht unter diesem Angeborensein nicht ein psychologisches, sondern ein logisches Zugehören zu der Grundausrüstung unseres Geistes, wodurch ein Erkennen durch die bloße Vernunft möglich wird. So erklärt er die ganze Mathematik für angeboren, d. h. auf Vernunft, nicht auf Sinneswahrnehmung gegründet. Ähnlich nimmt L e i b n i z nur ein potentielles oder virtuelles Angeborensein der Anlage nach an, das sich dann erst in der Erkenntnis entfaltet. Auch K a n t kennt keine angeborenen Vorstellungen, sondern schließt sich L o c k e an, der schon 1690 in seinem „Versuch über den menschlichen Verstand" das psychologische Angeborensein als unhaltbar zurückgewiesen hat. Eine Art Vermittlung zeigt H e r b e r t S p e n c e r : es gibt in den Individuen durch Vererbung Angeborenes, das aber von der Gattung empirisch erworben ist. [Vgl. a priori.] angenehm: das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt. Es unterscheidet sich grundsätzlich vom Guten und vom Schönen; denn es ist pathologisch bedingt und bloß auf die Person des Urteilenden beschränkt. Triebfeder der Begierden (Kant, Kritik der Urteilskraft). Angleichung: Ein Prinzip der Massenpsychologie, nach welchem der Einzelne sich dem Denken der Mehrheit anpaßt und deren Meinung zu der seinigen zu machen strebt. animalisch: den Tieren eigentümlich. Man unterscheidet animalische und vegetative Funktionen. Diese dienen der

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Animismus—Anschauung

Ernährung und dem Wachstum, jene der Empfindung und Bewegung. Animismus: 1. Glaube an die Beseeltheit der Natur und der Naturkräfte; als Seelenglaube die Auffassung der primitiven Weltanschauung, daß ein selbsttätiges Wesen den Körper des Menschen bewohne, und Ausdehnung dieses Seelenglaubens auf Geister in der Natur; 2. Lehre, daß die Seele das Prinzip des Lebens ist. Anlage: Eine in den Keimzellen vorgebildete, noch unentwickelte potentielle Funktion des Organismus, die die künftige Entwicklung bestimmt. Anomalie: Abweichung von einer Regel oder- einem Gesetz. Anpassung: 1. b i o l o g i s c h : die Gestaltung eines Lebewesens, insotern als sie sich in Rücksicht auf die gegebenen Lebensbedingungen der Umgebung und im Einklang mit diesen aktiv vollzieht; 2. l o g i s c h : Anpassung der Gedanken an die Tatsachen. Diese Gedankenanpassung vollzieht sich unbewußt und unwillkürlich in der Erfahrung der sinnlichen Tatsachen und absichtlich in den Methoden wissenschaftlicher Forschung (so E r n s t M a c h ) . anschaulich: unmittelbar, konkret wirklich oder phantasiemäßig gegeben, zugleich in Gegensatz zum abstrakt und begrifflich Gedachten. Anschauung: das unmittelbare Gewahrwerden, Innewerden, Erfassen eines äußeren Gegenständlichen oder eines inneren Vorgangs oder Zustandes. K a n t : „Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände g e g e b e n , und sie allein liefert uns A n s c h a u u n g e n ; durch den Verstand aber werden sie g e d a c h t und von ihm entspringen B e g r i f f e . " Alles Denken bezieht sich auf Anschauungen. Die empirische Anschauung bezieht sich immer auf wirklich gegebene Gegenstände der Sinne oder Empfindungen. Aber die empirische Anschauung ist nur durch die reine Anschauung des Raumes und der Zeit möglich. Raum und Zeit sind Anschauungsformen a priori, sind selbst „reine Anschauungen", die der empirischen zugrunde liegen. — Eine „intellektuelle" Anschauung bedeutet eine übersinnliche Erfassung des absoluten Wesens der Dinge, eine rein geistige Anschauung ohne Vermittlung der Erfahrungserkenntnis. Nach K a n t ist diese intellektuelle Anschauung eine ursprüngliche, schöpferische Anschauung, durch die das Dasein der Dinge unmittelbar gegeben wird, die als

Anschauungsformen—Anthropologie

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solche allein dem Urwesen, niemals aber einem seinem Dasein sowohl als seiner Anschauung nach abhängigen Wesen zukommen kann. F i c h t e : „Dieses dem Philosophen angemutete Anschauen seiner selbst im Vollziehen des Aktes, wodurch ihm das Ich entsteht, nenne ich i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g . Sie ist das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle und was ich handle: sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue." Solches Vermögen der intellektuellen Anschauung läßt sich nicht durch Begriffe demonstrieren, jeder muß es unmittelbar in sich selbst finden. S e h e H i n g sieht in der intellektuellen Anschauung ein geheimes wunderbares Vermögen, „uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes, von allem, was von außen her hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige anzuschauen." S c h o p e n h a u e r nennt unsere empirische Anschauung in erkenntnistheoretischem Sinne intellektual, weil diese Anschauung nur durch Anwendung der Verstandesfunktion der Kausalität auf die Sinnesempfindung zustande kommt. [Vgl. Wesen: Wesenschauung, Phänomenologie.] Anschauungsformen s die sinnlichen Anschauungen vollziehen sich in den Formen Raum und Zeit, die nach Kant nicht selbst etwas Sinnliches sind, sondern als Ordnungsformen der Empfindungen a priori gegeben sind. Anselm von Canterbury (1033—1109): Sein credo, ut intelligam besagt: Der Glaube muß der Erkenntnis vorausgehen, er muß zu ihr hinstreben. Anselm ist Realist: die Sinne erkennen das Einzelne, der Geist das Allgemeine, das etwas Wirkliches ist. Von Anselm von Canterbury stammt der ontologische Beweis für das Dasein Gottes. [Vgl. Gottesbeweis, ontologischer.] an sich: für sich selbst betrachtet, unabhängig vom wahrnehmenden Subjekt. Antagonismus: Widerstreit. Antecedenz: das Vorhergehende, im Geschehen die Ursache, im Urteil das Subjekt, im Beweis der Beweisgrund, im Schluß der Obersatz. [Vgl. Konsequenz.] Anthropismus: Vermenschlichung (siehe Anthropomorphismus). Anthropogenie: Entwicklungsgeschichte des Menschen. Anthropolatrie: Vergöttlichung des Menschen. Anthropologie: Wissenschaft von Menschen, besonders vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus. F r i e s grünA p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Anthropologismus—Antinomie

det die Erkenntnis auf eine philosophische oder psychische Anthropologie. F e u e r b a c h : Alle Theologie ist Anthropologie, denn der Mensch erzeugt selbst den Begriff Gottes aus dem Bedürfnis des eigenen Herzens; alle Religion ist Selbstvergötterung des Menschen. „Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der Natur als seiner Basis zum höchsten und alleinigen Gegenstande der Philosophie und demnach die Anthropologie zur Universalwissenschaft." In der neuesten Philosophie wird die A. besonders fortgeführt, erneuert und entwickelt von S c h e l e r , im Anschluß an diesen von G e h l e n , P l e ß n e r u. a. Anthropologismus: Zurückführung auf Anthropologie. Anthropomorphismus: Vermenschlichung, Betrachtung vom Standpunkte des Menschen aus, Deutung in Analogie zur menschlichen Natur. Alle Wirklichkeit, Erkenntnis, Wertung wird dabei vom menschlichen Wesen aus beurteilt und abgeleitet. Der religiöse Anthropomorphismus denkt die Gottesvorstellung nach dem Menschenbilde, vermenschlicht die Götter. Dagegen schon X e n o p h a n e s (um 550 v. Chr.): „Gott ist Menschen nicht ähnlich, weder an Gestalt noch an Gedanken." G o e t h e : „Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphistisch er ist." Anthroposophie: Weisheit vom Menschen; die „Geistwissenschaft" R u d o l f S t e i n e r s , die durch innere Schauungen ein Wissen vom Übersinnlichen erlangen will und auf dem Wege methodischer Schulung das übersinnliche Wesen des Menschen und der Welt zu erkennen vorgibt. Entstanden ist die anthroposophische Bewegung aus der Theosophie. [Vgl. Theosophie.] anthropozentrisch: auf den Menschen als Mittelpunkt bezogen. Die anthropozentrische Weltanschauung sieht im Menschen Zweck und Ziel aller Wirklichkeit: Die Kirschen reifen im Sommer, damit der Mensch seinen Durst stillen kann, antike Philosophie: griechische Philosophie. Antilogie: Widerspruch, Widerstreit der Gründe, antilogisch: in sich widersprechend. Antinomie: Widerstreit zweier entgegengesetzter Sätze, von denen keiner als unwahr widerlegt werden kann. K a n t versteht unter Antinomien „Widersprüche, in die sich die Vernunft bei ihrem Streben, das Unbedingte zu denken, mit Notwendigkeit verwickelt, Widersprüche der Vernunft mit sich selbst". Es gibt vier solcher Antinomien: 1. Die

Antipsychologismus—Antithetik

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Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Räume nach in Grenzen eingeschlossen. — Die Welt ist sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich. 2. Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen. — Es existiert überhaupt nichts Einfaches in der Welt. 3. Es gibt Willensfreiheit. — Alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. 4. Es gibt ein schlechthin notwendiges Wesen. — Es existiert kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt noch außer der Welt, als ihre Ursache. Diesen Widerstreit zwischen Thesis (Satz) und Antithesis (Gegensatz) löst K a n t dadurch, daß er zeigt, wie beide Sätze über die Erfahrung hinausgreifen. (Durch seine Unterscheidung von „Ding an sich" und Erscheinung, indem er die Erkenntnis auf die Erfahrung begrenzt und ihre Gültigkeit für das Ding an sich leugnet). Den beiden ersten Antinomien liegt ein widersprechender Begriff zugrunde, da sie von der Welt als einem gegebenen Dinge an sich sprechen und doch auf ihn Raum und Zeit anwenden, die nur für die Erscheinungen Gültigkeit besitzen. Daher sind bei beiden Antinomien sowohl Thesis wie Antithesis falsch. Bei der dritten und vierten Antinomie können Thesis und Antithesis alle beide wahr sein, wenn man die Thesis auf Dinge an sich und die Antithesis auf Erscheinungen bezieht. [Vgl. „intelligibeler Charakter".] Antipsychologismus: eine Richtung der Erkenntnistheorie, die bestreitet, daß die logische Gültigkeit des wissenschaftlichen Erkennens durch eine psychologische Untersuchung des Ursprungs und der Entwicklung der Denkprozesse begründet werden kann. Hauptsächlich von Husserl und seiner phaenomenologischen Schule gegen Sigwart geltend gemacht. Antisthenes (444—366 v. Chr.): griech. Philosoph, Stifter der kynischen Philosophenschule. Als Philosophie gilt ihm einzig die Ethik. Ziel des Weisen ist die Glückseligkeit. Zu ihr führt nicht Wissen, sondern allein die Tugend. Tugend ist für Antisthenes Bedürfnislosigkeit. Die Volksreligion verwarf er zugunsten eines reinen Monotheismus. Antithese, Antithesis: Gegensatz, Verneinung einer Behauptung. Antithetik: bei K a n t Widerstreit der dem Scheine nach dogmatischen Erkenntnisse, die gleiches Recht beanspru2*

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Antizipation—Aphasie

chen. Die transzendentale Antithetik ist eine U n t e r s u c h u n g über die Antinomik der Vernunft. Antizipation: V o r w e g n a h m e . K a n t : „Man kann alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, w a s zur empirischen Erkenntnis g e h ö r t , a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation nennen." So kann man die reinen Bestimmungen im Räume und in der Zeit Antizipationen der Erscheinungen nennen, weil sie dasjenige a priori vorstellen, was auch immer a posteriori in der E r f a h r u n g g e g e b e n werden m a g . Die E m p f i n d u n g selbst kann nicht antizipiert w e r d e n , sondern ist immer empirisch, in der W a h r n e h m u n g a posteriori g e g e b e n . Aber es gibt doch auch Antizipationen der W a h r n e h m u n g , denn die Eigenschaft aller Empfindungen, daß sie eine intensive G r ö ß e , einen G r a d haben, kann a priori erkannt, also antizipiert w e r d e n . Aoristie: Prinzip der älteren Skeptiker, nach dem alles ungewiß und unentschieden ist. Apagoge: bei A r i s t o t e l e s ein Schluß aus einem gültigen O b e r s a t z und einem Untersatz, dessen Gültigkeit zwar nicht sicher, aber mindestens ebenso g e w i ß ist wie die Folgerung. apagogisch: ein apagogischer Beweis besteht in dem indirekten Beweisverfahren, daß ein Satz durch Widerleg u n g seines kontradiktorischen Gegenteils erwiesen wird. Apathie: Unempfindlichkeit, Gefühllosigkeit. Die stoische Philosophie fordert vom Weisen völlige Ausschaltung der Gefühle, Freiheit von den Leidenschaften, die als unv e r n ü n f t i g zu b e k ä m p f e n sind, um dadurch Freiheit von Leiden zu gewinnen. Apeiron: das U n b e g r e n z t e , Unendliche. Aus einem unbegrenzten Urstoff, dem Apeiron (TÖ ccrreipov), läßt A n a x i m a n d e r (um 600 v . C h r . ) alle Dinge durch Ausscheih dung hervorgehen. Aperçu: geistreiche B e o b a c h t u n g in formvollendeter Art, z. B. bei G o e t h e die Erkenntnis der U r p h a e n o m e n e . Aphasie: Sprachlosigkeit. 1. Die Skeptiker lehrten eine Aphasie als Enthaltung von Urteilen und Aussagen über die Dinge, da eine bestimmte und sichere Erkenntnis unmöglich sei. 2. Pathologisch: Sprechstörungen. Die motorische Aphasie besteht in einer A u f h e b u n g der Sprechfähigkeit, die sensorische Aphasie ist die W o r t t a u b h e i t , der Kranke versteht auch bei nicht g e s t ö r t e m G e h ö r nicht das zu ihm Gesprochene.

Apodeiktik—Apprehension

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Apodelktik: Die Lehre von der Gewißheit der Erkenntnis ( A r i s t o t e l e s ) . apodiktisch: unbedingt geltend, notwendig, schlechthin gewiß, unwiderleglich. Das apodiktische Urteil drückt logische Notwendigkeit aus: S muß notwendig P sein. Apologet: Verteidiger einer Lehre; insbesondere nennt man so die Verteidiger des Christentums gegen die Angriffe und Vorwürfe von Seiten heidnischer Schriftsteller im 2. und 3. Jahrhundert n . C h r . Apologeten: J u s t i n der Märtyrer, I r e n ä u s , T e r t u l l i a n , M i n u c i u s F e l i x u . a . Apologie: Verteidigung. Apologie des Sokrates durch Piaton in dem so benannten Dialog. Aporem: logische Schwierigkeit. Aporetiker: Zweifler, Skeptiker. Aporie: im Gegenstand des Denkens begründeter logischer Zweifel, Denkschwierigkeit, Einwand. a posteriori: wörtlich: vom Späteren h e r ; in der mittelalterlichen, scholastischen, auf A r i s t o t e l e s zurückgehenden Philosophie: Erkenntnis aus den Wirkungen. Bei K a n t : durch Erfahrung gegeben, auf Erfahrung b e r u h e n d ; Erkenntnisse a posteriori sind empirische Erkenntnisse, die ihre Quelle in der Erfahrung haben. Die Empfindungen sind a posteriori gegeben. [Vgl. a priori.] Apperzeption: Auffassung; die mit Aufmerksamkeit verbundene Aufnahme eines Vorstellungsinhaltes ins Bewußtsein. Bei L e i b n i z : Erhebung einer Vorstellung ins Selbstbewußtsein. K a n t versteht unter empirischer Apperzeption „das Bewußtsein seiner selbst nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren W a h r n e h m u n g " , also eine psychische Tätigkeit. Aber allem empirischen Bewußtsein liegt die reine, transzendentale Apperzeption (das „Ich denke") zugrunde als höchste Einheitsfunktion f ü r alle apriorischen Erkenntnisbedingungen und damit f ü r alle Erkenntnis. Bei H e r b a r t : Aufnahme und Aneignung neuer Vorstellungen durch Angliederung an die schon vorhandenen. Für W u n d t ist die Apperzeption eine innere Willenshandlung der Seele, die Heraushebung einzelner Eindrücke aus dem Blickfelde in den engeren Blickpunkt des Bewußtseins. apperzipieren: eine Vorstellung klar und deutlich ins Bewußtsein aufnehmen. ' Apprehension: Auffassung eines Bewußtseinsinhalts; Kant versteht unter Synthesis der Apprehension die Zu-

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a priori—Apriorismus

sammenfassung des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen zur Einheit der Anschauung. Auch die Vorstellungen des Raumes und der Zeit werden durch solche Synthesis der Apprehension erzeugt. a priori: vom Früheren her; in der mittelalterlichen Philosophie bedeutet a priori eine Erkenntnis aus den Ursachen oder Gründen. In der neueren Philosophie ( H u m e , L e i b n i z ) bezeichnete man die begriffliche Erkenntnis als a priori im Gegensatz zur Erfahrungserkenntnis a posteriori. K a n t versteht unter dem a priori dasjenige in unserer Erkenntnis, was unabhängig von der Erfahrung und von allen Sinneseindrücken möglicher Ursprung von Erkenntnissen ist. Notwendigkeit und strenge Allgemeingültigkeit sind die sicheren Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, denn Erfahrung gibt nur zufällige und besondere Erkenntnisse. Nehmen wir aus unseren Erfahrungserkenntnissen alles weg, was den Sinnen angehört, so bleiben gewisse ursprüngliche, apriorische Anschauungsformen und Begriffe und aus ihnen erzeugte Urteile übrig. Solche sind die Anschauungsformen Raum und Zeit, die aller sinnlichen Erkenntnis zugrunde liegen, und die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien, die sich als Handlungen des reinen Denkens a priori auf Gegenstände bezieheii und so als Bedingungen a priori aller Erkenntnis von Gegenständen zugrunde liegen. Urteile a priori sind die mathematischen Sätze und die Grundsätze des reinen Verstandes, wie z. B. das Kausalgesetz „alles, was geschieht, hat eine Ursache". Der Begriff a priori darf nicht psychologisch als angeboren mißverstanden werden. „Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle an"; aber die apriorischen Begriffe und Sätze haben eine von der Erfahrung unabhängige notwendige und allgemeine G e l t u n g . — H e r b e r t S p e n c e r nimmt Grundbegriffe an, wie Materie, Bewegung, Raum, Zeit, die für das Individuum apriorisch geworden sind, also durch Vererbung angeboren, aber von der Gattung empirisch erworben wurden. [Vgl. angeboren, Rationalismus.] Apriorismus: 1. erkenntnistheoretisch die Lehre vom a priori als Grundlage der Erkenntnis; 2. ethisch die Lehre von der Begründung des Sittlichen auf Vernunft; als formaler Apriorismus die Ethik K a n t s : „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das S i t t e n g e s e t z nennen."

arabische (islamitische) Philosophie—Argutien

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arabische (islamitische) Philosophie: Bei den Arabern (besonders am Hofe der Abbassiden zu Bagdad) reges Interesse f ü r die naturwissenschaftlichen und metaphysischen Schriften des Aristoteles. Ihre Philosophie ist Aristotelismus. Sie übermitteln die Schriften des Aristoteles an die Scholastiker. Hauptvertreter der arabischen Philosophie: AI Kendi (gest. um 880), Alfarabi (gest. um 950), Avicenna (980—1037), Algazel (gest. um 1100), Avempace (gest. 1138), Averroes (1126—1198). (Siehe De Boer, Geschichte der Philosophie im Islam.) Arbeit: „jede einen äußeren Effekt auslösende Betätigung körperlicher oder geistiger K r a f t " — gleichgültig, o b die Betätigung zweckbewußt (Mensch) oder unbewußt (Tier) oder mechanisch ist. In der Physik: Arbeit = Kraft mal Weg (in Richtung der Kraft). In der Nationalökonomie: wirtschaftliche Arbeit ist jede auf Bedarfsdeckung oder Erw e r b gerichtete zweckmäßige Betätigung des Menschen. Arbeitshypothese: nur als vorläufig angenommene Hypothese, die f ü r die Forschung fruchtbar ist, indem sie ihr Anregung zu weiterem Fragen und Suchen in bestimmter Richtung gibt, eine probeweise Annahme, die Hilfsmittel der induktiven Forschung ist. Arbeitsteilung: Teilung der menschlichen Arbeit in Teilfunktionen und Übernahme derselben von besonderen Arbeitern, damit durch zweckmäßiges Ineinandergreifen die größte Oesamtwirkung erzielt wird. Jede Arbeitsteilung setzt einen sinnvollen Zusammenhang der einzelnen Funktionen in und zu einem Ganzen voraus. arbitrium liberum: Willensfreiheit, Wahlfreiheit. Archetyp: Urbild, Muster. — In der analytischen Psychologie von C. G. J u n g werden die in der unbewußten Region der Seele liegenden Kollektivbilder als Archetypen bezeichnet. — [Vgl. Ectypus.] Archeus: (Herrscher); bei P a r a c e l s u s das jedem Wesen innewohnende Lebensprinzip. Archigonie: Urzeugung. Architektonik: Baukunst. K a n t : Kunst der Systeme, in systematischer Einheit wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem zweckvollen Ganzen zusammenzufassen. Argument: Beweisgrund. Argumentation: Beweisführung. argumentieren: beweisen, begründen. Argutien: Spitzfindigkeiten.

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Aristarch vo'n Samos—Aristoteles

Aristarch von Samos (250 v. Chr.): griechischer Astronom, der die Bewegung der Erde um ihre Achse und in einer Kreisbewegung um die Sonne lehrte. Seine Schriften sind verloren bis auf eine kleine: „Von der Größe und den Entfernungen der Sonne und des Mondes". Aristipp von Kyrene (435—355 v. Chr.): Gründer der Kyrenaischen Schule. Die Physik und die Logik treten bei ihm hinter der E t h i k zurück. Ausgangspunkt derselben die Lust- und Unlustgefühle des einzelnen (Hedoniker). „Tugend ist Genußfähigkeit". Herrschaft über den Genuß. „Ich suche mir die Dinge zu unterwerfen, statt mich ihnen". Aristoteles (384—322 v. Chr.): geboren in Stagira in Mazedonien (daher der Stagirite), war Arzt und ein Schüler des Plato. Er war der Erzieher Alexanders des Großen. Er gründete im Lykeion in Athen seine eigene philosophische Schule: die peripatetische. Der Name stammt teils von den Laubengängen (Peripatoi) des Gymnasiums, teils von der Angewohnheit des Aristoteles, im Auf- und Abgehen (tteptTraTslv ) zu lehren. Zwischen Alexander und Aristoteles kam es zum Zerwürfnis, weil Aristoteles dem König gegenüber seine nationalhellenische Gesinnung zu stark betonte. In Athen stieß er als Freund der Makedonen auf Mißtrauen und wurde schließlich wohl aus diesem Grunde der Gottlosigkeit (derAsebie) angeklagt. Aristoteles verließ Athen, um den Athenern nicht zum zweiten Mal Gelegenheit zu geben, sich an der Philosophie zu versündigen, und begab sich nach Chalkis auf Euböa, wo er 322 an einem Magenleiden starb. — Seine Schriften teilt man ein in exoterische und esoterische. Die exoterischen (zumeist in Dialogform verfaßt) wenden sich an ein weiteres Publikum, während die esoterischen die streng wissenschaftlichen sind. Ein weiterer Titel findet sich: Die akroamatischen Schriften. Sie enthalten die Ausarbeitungen mündlicher Vorträge. Die uns erhaltenen Lehrschriften umfassen das gesamte Gebiet des menschlichen Wissens mit Ausnahme der Mathematik. Das Auslassen der Mathematik ist bezeichnend für das hauptsächlich am organischen Leben orientierte Denken des A.; es erklärt auch das Mißverhältnis zu Piatos Ideenlehre. Neben der Metaphysik hat Aristoteles mehrere logische Schriften verfaßt, ferner eine über Rhetorik. Zahlreiche Schriften beziehen sich auf die Naturwissenschaften. Dazu rechnet auch seine Psychologie. Drei Ethiken gehen unter seinem Namen, von denen die Nikomachische von ihm

Aristoteles

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selbst, die Eudemische von seinem Freunde Eudemos verfaßt ist, während die dritte (Magna Moralia) einen Auszug aus den beiden ersten darstellt. Ferner sind von ihm erhalten eine Poetik und eine Politik. — Aristoteles hat ein abgeschlossenes System hinterlassen, das sich stützt auf die Überzeugung, daß sich das Sein auf allen Gebieten der Kultur schon restlos ausgesprochen hat. Überall, in der Metaphysik, der Physik und der Ethik, stoßen wir auf ein völlig abgeschlossenes, für sich bestehendes Sein. In der Natur gibt es von Ewigkeit zu Ewigkeit eine feste Zahl von Gattungen und Arten der Dinge und der Lebewesen. In der Ethik kommt es auf die Wiederholung und die dabei erzielte Gewöhnung an. In der Politik knüpft Aristoteles an die bestehenden Verhältnisse an, auch in der Überzeugung, daß auf diesem Gebiete Neues sich nicht bilden könne. — Plato hatte mit der Methode der Hypothesis auf die Problematik alles Wissens und Seins hingewiesen. In ihr entstand und bestand die objektive Natur. Diese Hypothesis (Grundlegung) wird bei Aristoteles wieder zum Hypokeimenon (zur Grundlage). Er tadelt es. an Plato, daß er die Ideen von den Dingen trenne. Aus dem Teilhaben der Erscheinungen am Sein der Ideen folgert er sowohl für die Ideen als auch für die Dinge gesonderte Existenz. Wenn einerseits die sinnliche Erscheinung des einzelnen Menschen, andererseits die Idee der Menschheit vorhanden ist, so soll das die Teilhabe vermittelnde Dritte der Mensch sein. Aristoteles übersieht dabei, daß die Unterscheidung von Idee und Erscheinung keine Trennung in substantieller Hinsicht bedeutet, sondern lediglich eine Trennung des Einzelfalles vom Gesetz. Aristoteles betont demgegenüber: Die Ideen sind nicht von den Dingen getrennt, sondern in ihnen mit ihrem fertigen, abgeschlossenen Dasein. Vom einzelnen, an sich seienden Ding geht Aristoteles aus. Das einzelne (t68e ti) ist das Seiende, die Substanz. Der Widerspruch zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen wird der Logik wie der Metaphysik des Aristoteles zum Verhängnis. Das Einzelding bringt seine Wesenheit nicht von vornherein mit, sondern verdankt sie dem Begriff, d. h. dem Allgemeinen. Genau genommen gibt es bei Aristoteles sogar 3 Arten des Substanzbegriffes: 1. den Stoff (zugleich Prinzip der Individuation); 2. die Form oder den Begriff, d . h . das Allgemeine, das sich im Stoff verwirklicht; 3. das Einzelding, d. h. den im Stoff verwirklichten Begriff.

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Die Materie existiert immer nur in der Form eines bestimmten Begriffes. Aristoteles setzt Materie und Substanz gleich. Dadurch kommt die Materie unter die Kompetenz der Bewegung. Das System des Aristoteles wird von einer Reihe von Oegensatzpaaren getragen. Die wichtigsten sind: Begriff und Materie, Möglichkeit und Wirklichkeit, Stoff und Form, Ursache und Zweck. Alle diese Gegensatzpaare sprechen im Gründe denselben Gedanken aus. Die Materie ist in bezug auf den verwirklichten Begriff zunächst reine Möglichkeit. Die Verwirklichung des Begriffs in der Materie geschieht nicht durch die Materie, sondern durch den in ihr angelegten Begriff. Der Same einer Pflanze ist der Möglichkeit nach die Pflanze. Die Verwirklichung geschieht nicht durch die Einwirkung innerer und äußerer kausaler Kräfte, sondern durch den Begriff selbst, der als SOvams wirksam ist. Die vollendete Pflanze bildet den Zweck und das Ziel dieser Entwicklung. Da der Begriff den Prozeß des Werdens in Gang brinj^, ist er also Ziel, Zweck und bewegende Ursache zugleich. Das Ganze, d. h. z. B. die Pflanze, ist nach Aristoteles demnach früher als der Anfang. Die Begriffe der Dynamis, der Energie und der Entelechie sollen dies verdeutlichen. Während Dynamis die Möglichkeit der Materie, begrifflich bestimmtes Sein zu werden, bedeutet, begründet sich in der Energie der Prozeß der Verwirklichung des Begriffes. Der verwirklichte Begriff ist die Entelechie. — wenn die neuere Zeit Aristoteles bekämpfte, so richtete sich dieser Kampf gegen die einseitige Lehre vom zugleich begrifflichen und kausalen Charakter des Zweckes, wie sie über anderthalb tausend Jahre von Aristoteles ab die Wissenschaft beherrschte. Der Zweck ist logisches und ontologisches Prinzip der Wirklichkeit. Diese Teleologie hat keinen Zusammenhang mit der Kausalität der Mechanik. Der Zweck als das logische Erste ist gerichtet auf den ersten Beweger oder den gottlichen voOs. Aristoteles macht im Zweck den ersten Beweger zum Prinzip der Bewegung. Das Prinzip der Bewegung wird zur Gottheit. Aristoteles baut die Biologie aus. Sein philosophisches Interesse konzentriert sich auf die Entwicklung. In der Biologie, in der beschreibenden organischen Naturwissenschaft, hat die Zweckmäßigkeit ihre Stelle. Durch die ungeheure Zahl seiner Beobachtungen, durch einen vorbildlichen Tatsachensinn begründete Aristoteles die Forschung im Bereiche der Naturwissenschaf-

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ten bis in die Zeiten des Galilei. .Begriffe, Gattungs- und Artbegriffe sind das erzeugende und formgebende Prinzip. Dabei berücksichtigte er vor allem den teleologischen Gesichtspunkt. Wenn eine Übereinstimmung zwischen Federn, Haaren und Schuppen oder zwischen Kiemen und Lungen als Merkmal bestimmter Gattungen usw. besteht, dann sind diese von der Natur zu dem Zweck geschaffen, daß es solche Gattungen und Arten gibt. Ohne diese Übereinstimmung gäbe es nur Individuen. Der Gattungsbegriff steckt im Individuum. Man muß, gemäß dem aristotelischen Prinzip der Induktion, das Analoge zu einem Individuum an andern aufsuchen, um ihn zu finden. Aristoteles lehrt eine Stufenfolge der Wesen in der Natur, die durch ein einziges Band verbunden sind, in einer Stufenfolge von Formen, von denen jeweils die niedere der höheren gegenüber als Stoff oder Potentialität erscheint. — Die Ethik des Aristoteles ist Tugendlehre. Er unterscheidet zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden. Die ethischen ergeben sich aus dem Verhältnis der praktischen Vernunft zum Begehren, die dianoetischen sind reine Denktugenden wie Weisheit, Verstand und Klugheit. Das Endziel des sittlichen Handelns sieht er in der Glückseligkeit, die nicht gleichbedeutend ist mit der Lust, die er streng abweist. Die höchsten Tugenden für den Menschen sind die dianoetischen. Die praktische Tugend ist die rechte Mitte zwischen zwei Extremen. Mut ist die Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit. Zur Glückseligkeit gehört jedoch für Aristoteles mehr als ein tugendhaftes Leben. Man muß gesund, edel geboren, frei und im Besitze eines gewissen Reichtums sein. — Da er das Wirkliche als vernünftig ansah, mußte Aristoteles die Sklaverei und die Unterordnung der Frau für berechtigt halten und verteidigen. Jedem kommt im Staat nur soviel an politischem Recht und Besitztum zu, als er seiner sittlichen Würde nach verdient. Sklaven, Handwerker und Frauen sind daher bei ihm politisch ohne Rechte. — Über die allgemeinen Grundbegriffe der Ästhetik ist wenig von Aristoteles auf uns gekommen. Schönheit ist ihm nicht nur Wohlgeordnetheit, sondern vor allem wird auch hier das richtige Maß betont. Berühmtheit hat vor allem die Definition der Tragödie erlangt: als nachahmende Darstellung einer würdigen und in sich abgeschlossenen Handlung an einer fest umrissenen Ausdehnung durch das verschönte Wort, und zwar derart,

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Art—asomatisch

daß die verschiedenen Arten der Verschönerung des Wortes in den verschiedenen Teilen des Ganzen gesondert angewandt werden und die Personen selbsttätig handelnd auftreten und nicht nur von ihnen berichtet wird, so daß dadurch die Affekte Furcht und Mitleid erregt und gereinigt werden. Die Komödie stellt minderwertige Charaktere dar, jedoch nicht direkt schlechte, sondern solche, die durch ihre Häßlichkeit Lachen erregen. Während Aristoteles selbst seine Forschungen als Icrroplai bezeichnet, wird die Geschichte selbst, wiewohl er den Thukydides kannte, nur gering eingeschätzt. Die Geschichte berichtet nur, was geschehen ist, die Tragödie, was geschehen mußte. Diese Bestimmung bildet gleichsam eine Korrektur zur „nachahmenden Darstellung". Die Tragödie soll typische Charaktere darstellen. Die Entelechie, die das Wesen des Helden ausmacht, bildet den Charakter desselben. Sie ist nicht nur das Gesetz der Entwicklung dieses einzelnen Helden, sondern man muß ihn, um ihn völlig zu bestimmen, als Artbegriff einer Gattung kennen. Zum Individualbegriff Orestes muß der Gattungsbegriff Muttermörder hinzutreten. — L e s s i n g s Konflikt mit der Kunstlehre der Franzosen betraf die Frage der drei Einheiten und der Katharsis, der Reinigung der Affekte bei Aristoteles. Lessing hatte die Erregung von „Schrecken und Mitleid", wie die Franzosen übersetzten, in „Furcht und Mitleid" richtiggestellt. Art: 1. b i o l o g i s c h die unterste Gruppe, die nur noch in Unterarten und Individuen zerfällt; 2. l o g i s c h : der Artbegriff ist einem höheren, dem Gattungsbegriff, untergeordnet, kann aber selbst wieder Gattungsbegriff der ihm untergeordneten Arten sein. — Die moderne Biologie nimmt an, daß unter dem Einfluß äußerer Faktoren (Kampf ums Dasein usw.) eine allmähliche Wandlung der A. eintritt. Asebie: Gottlosigkeit. AseitSt: wörtlich: das Von-sich-aus-sein; unbedingte Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Allgenügsamkeit, z. B. Gottes (bei den Scholastikern), der Substanz ( S p i n o z a ) , des Willens ( S c h o p e n h a u e r ) . Askese: Übung; enthaltsame, bis zur Abtötung aller sinnlichen Begierden gehende Lebensweise als Mittel zur Läuterung der Seele. asomatisch: unkörperlich; a. sind nach der Lehre der Stoiker nur das Leere, die Zeit und die Denkobjekte.

assertorisch—Astrologie

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assertorisch: b e h a u p t e n d ; ein assertorisches Urteil hat die Form einer einfachen B e h a u p t u n g : S ist P, S ist nicht P. Assimilation: Verähnlichung, Angleichung, U m w a n d l u n g ; 1. b i o l o g i s c h : Stoffwechselprozeß, der in einer A u f n a h m e und U m w a n d l u n g der N a h r u n g in lebende Substanz bes t e h t ; 2. p s y c h o l o g i s c h : der Vorgang, daß durch Assoziation zu einem E m p f i n d u n g s k o m p l e x ältere Vorstellungen hinzutreten und mit ihm zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen ( W u n d t ) . Assoziation: Vergesellschaftung, V e r k n ü p f u n g der Vorstellungen, sodaß eine Vorstellung, wenn sie geweckt wird, mechanisch eine andere nach sich zieht. Diese Vorstellungsb e w e g u n g wird von vier Prinzipien b e h e r r s c h t : es verknüpfen sich g e g e n w ä r t i g e Vorstellungen mit f r ü h e r e n ähnlichen, gegensätzlichen, räumlich v e r b u n d e n e n , zeitlich zugleich oder nacheinander erlebten Vorstellungen. So haben wir die vier Assoziationsgesetze der Ähnlichkeit, des Kontrastes, des räumlichen Zusammenseins, der zeitlichen Aufeinanderfolge. Diese schon von A r i s t o t e l e s e r w ä h n t e n Beziehungen wurden von H a r t l e y und H u m e weiter ausgef ü h r t und der Erkenntnis des Seelenlebens z u g r u n d e gelegt. W u n d t hebt hervor, daß die gewöhnlich so genannten Assoziationen (die sukzessiven) nur einzelne, und zwar die losesten unter diesen V e r b i n d u n g s p r o d u k t e n sind; außerdem müssen aber noch simultane (gleichzeitige) Assoziationen a n g e n o m m e n werden. Assoziationspsychologie: die von H a r t l e y und H u m e b e g r ü n d e t e Richtung d e Psychologie, die alle Seelenvorg ä n g e bloß auf den Mechanismus der Assoziationen ohne M i t w i r k u n g einer aktiven Seite des Geistes z u r ü c k f ü h r e n will. [Vgl. Gestaltspsychologie.] Astralgeister: Gestirngeister, Geister der beseelt gedachten H i m m e l s k ö r p e r ; mittelalterlicher Glaube, daß Gestirngeister gefallene Engel oder Seelen Verstorbener seien. Astralleib: Annahme eines ätherischen Körpers, der den materiellen Leib durchdringt und dessen Form wiederholt, zugleich auf den irdischen Leib einwirkt ( P a r a c e l s u s ) . Die Annahme eines Astralleibs wird in den „Geheiinwiss e n s c h a f t e n " zur E r k l ä r u n g von Halluzinationen, Fernsehen und dergleichen h e r a n g e z o g e n . Astrologie: ursprünglich als S t e r n k u n d e gleich Astronomie; daneben die Lehre von der Abhängigkeit alles Irdi-

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Ataraxie—Atom

sehen und damit auch des Schicksals jedes Menschen von Stellung und Lauf der Gestirne. Ataraxie: Unerschütterlichkeit des Gemüts, Seelenruhe, das höchste Ziel des Lebens bei den Epikureern und Skeptikern. Atavismus: Rückschlag, Wiederauftreten von Merkmalen und Eigenschaften, die einer früheren Entwicklungsstufe angehörten. Athanasie: Unsterblichkeit. Atheismus: Gottlosigkeit; Verneinung der Existenz der Götter oder Gottes oder überhaupt eines Urgrundes der Welt. Atman: in der indischen Lehre das Göttliche, All-Eine; das eigentliche Selbst der Seele hat am Atman teil. Atom: das Unteilbare; die Atomistik ist begründet von L e u k i p p und D e m o k r i t (im 5. Jahrh. v. Chr.); die Atome sind die letzten, unteilbaren Massenteilchen, alle stofflich gleichartig, nur an Gestalt und Größe verschieden. Sie bewegen sich im leeren Raum und bilden durch mechanische Vereinigung und Trennung alle Dinge, auch das ganze Universum. Dieser Atomismus ist im Altertum von E p i k u r und seiner Schule übernommen, in der Neuzeit im 17. Jahrhundert von dem Wittenberger Professor S e n n e r t und dem französischen Geistlichen und Naturforscher G a s s e n d i erneuert und von dem englischen Physiker R o b e r t B o y l e zur Grundlage der Chemie gemacht worden. Dem Engländer D a l t o n gelangen dann unter Zugrundelegung der Atomhypothese zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Entdeckung des Grundgesetzes der multiplen Proportionen und die Bestimmung der Atomgewichte. Vorher, im 18. Jahrhundert, hatte schon B o s c o v i c h eine Umbildung des Atombegriffs vorgenommen, indem er in Anlehnung an die Newtonsche Physik anziehende und abstoßende Atomkräfte annahm und so die Annahme besonders gestalteter, mit Zacken und Vertiefungen versehener Atome überflüssig machte. In neuester Zeit hat die Atomphysik ganz neue Anschauungen entwickelt: die Atome aller chemischen Elemente bestehen danach aus einem positiv geladenen Kern, der der Träger der Atommasse ist, und einer Anzahl negativ geladener Elektronen, die mit großer Geschwindigkeit um den Kern nach Art der Planeten herumkreisen (das R u t h e r f o r d - B o h r s c h e Atommodell). R u t h e r f o r d

Attraktion—Augustinus

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ist es auch gelungen, Atomzertrümmerungen zu beobachten. [Vgl. Element.] Attraktion: Anziehung. Attribut: wörtlich „das Beigelegte"; Grundeigenschaft der Substanz. Substanz und Attriout gehören kategorial zusammen. Durch das Attribut wird die Substanz näher bestimmbar. Nach D e s c a r t e s ist das Denken Attribut der Seele, die Ausdehnung Attribut des Körpers. Nach S p i n o za kommen der unendlichen Substanz unendlich viele Attribute zu, von denen wir nur zwei kennen: Denken und Ausdehnung, die das Wesen der göttlichen Substanz ausmachen. Aufklärung: das Streben, sich vom bloß Hergebrachten und Überlieferten frei zu machen und in eigenem Denken und Prüfen zu allen Fragen Stellung zu nehmen. Solche Haltung nahmen in Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. die Sophisten ein, indem sie Wissenschaft, Religion, Sitte und Staat der Kritik unterzogen. Das neuere Zeitalter der Aufklärung hat seine Hauptvertreter zuerst in England in L o c k e , Höhepunkt H u m e , in Frankreich in V o l t a i r e , in Deutschland in W o l f f , F r i e d r i c h d e m G r o ß e n , L e s s i n g . K a n t in seiner „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" 1784: „Aufklärung ist der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sapere aude! Habe Mut, dich deines e i g e n e n Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Aufmerksamkeit: die Aufmerksamkeit besteht in einer absichtlichen wachen Sammlung des beobachtenden Denkens. Sie kann allgemeinen Charakter haben, also nicht auf spezielle Gegenstände gerichtet sein, oder sich besonderen Objekten zuwenden. In diesem Fall bewirkt sie ein lebhaftes Hervortreten und Wirksamwerden einzelner seelischer Gebilde auf Kosten anderer, also eine Einschränkung oder Konzentration der Seele auf eine verengte Gruppe seelischer Vorgänge. Diese Auswahl, die in dem aufmerkenden Bewußtsein aus den Erlebnisinhalten getroffen wird, hängt ab von der größeren Stärke der auf die Seele einwirkenden Motive, vom Gefühlswert der Eindrücke, von der Übung (bei Beobachtungen). Augustinus, A u r e l i u s (354—430): Er ist der größte unter den katholischen Kirchenvätern. Sein Einfluß erstreckt sich bis in die Gegenwart. Die Lehre des Augustinus beherrschte die europäische Kultur 1200 Jahre hin-

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Außenwelt—Automat

durch. Insbesondere seine Oesellschaftslehre, die auch den staatsrechtlichen Primat der Kirche begründete, ist grundlegend für die katholisch-christliche Welt. Auch Luther ist von Augustinus auf das stärkste beeinflußt. Sein philosophischer Ausgangspunkt ist die Selbstgewißheit der inneren Erfahrung. Außer der sinnlichen Empfindung ist für die Erkenntnis die höhere Fähigkeit des Denkens wichtig, das ist das Vermögen der Anschauung unkörperlicher Wahrheiten, die für alle denkenden Wesen gelten. Diese „ I d e e n " ruhen in Oott. Augustinus läßt die menschliche Willensfreiheit insoweit gelten, als der Mensch fähig ist, sich aus eigener Kraft, seiner erbsündigen Uranlage folgend, dem Bösen zuzuwenden. Er vermag dagegen nicht, ohne göttliche Beihilfe den W e g zum Guten zu finden. Darüber, ob ein Mensch zum Heil gelangen soll oder nicht, entscheidet Gottes unbekannter Wille (Prädestination). — Neuplatonisches Gedankengut verbindet sich bei Augustinus eng mit den Lehren des Alten und Neuen Testamentes. S o wird der Grund gelegt für die Universalität der katholisch-christlichen Kultur. — Das W e r k „ D e civitate D e i " enthält seine Geschichtsphilosophie. Die göttliche Führung des Menschengeschlechts erfolgt gemäß einem göttlichen Erziehungsplan in sechs Perioden. Letztes Ziel ist: Seliges Anschauen Gottes im Jenseits. Augustinus fordert für das Diesseits konsequent sittliches Handeln. Seine Ethik knüpft an die platonischen Kardinaltugenden an und ergänzt sie in christlichem Sinne durch Glaube, Hoffnung und Liebe. Außenwelt: die Welt im Räume, die Welt des physikalischen Geschehens im Gegensatz zur Innenwelt des Seelischen. In engerem Sinne: die Welt außerhalb des Leibes, des leiblichen Ich. Erkenntnistheoretisch bedeutet das Außen ein vom erkennenden Subjekt Unabhängiges. Autarkie: die Selbstgenügsamkeit des stoischen Weisen, dem allein die Tugend Glückseligkeit bedeutet. Automat: ein funktionsfähiger körperlicher Mechanismus, der so eingerichtet ist, daß er zur Ausübung seiner Funktionen nur einen äußeren Anstoß, aber keine fortwährenden äußeren Impulse braucht, solange die ihm zuerteilte Kraft wirken kann. D e s c a r t e s betrachtet die T i e r e als seelenlose Automaten. Im 18. Jahrhundert erregten die mechanischen Konstruktionen eines V a u c a n s o n : ein automatischer Flötenspieler und eine künstliche

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autonom—Avicenna

Ente, sowie der beiden D r o z , Vater und Sohn, mit dem Automaten eines Kindes, einer Klavierspielerin usw. größtes Aufsehen. — S p i n o z a und L e i b n i z bezeichnen die Seele als geistigen Automaten. K a n t : Der Mensch, allein vom Standpunkte der mechanischen Naturbetrachtung aus gesehen, wäre ein denkender Automat, gezimmert und aufgezogen von dem obersten Meister aller Kunstwerke. autonom: sich selbst Gesetze gebend; sich selbst bestimmend. Autonomie: Selbstgesetzgebung; Selbstbestimmung. Autonomie des Willens ist nach K a n t „die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist". Autosuggestion: Selbstsuggestion. [Vgl. Suggestion.] Avenarius, R i c h a r d (1843—1896): Begründer des Empiriokritizismus oder der Philosophie der reinen Erfahrung. Er geht aus von einer unaufhebbaren Korrelation zwischen Subjekt und Objekt. Die Kritik der reinen Erfahrung hat die Aufgabe, aus der naiven Erfahrung durch Ausschaltung aller bloß individuellen, logisch unhaltbaren Elemente die „reine Erfahrung" herzustellen. So soll nach und nach ein natürlicher Weltbegriff entstehen, der das Gemeinsame aller möglichen individuellen Erfahrungen umfaßt. Alle qualitative Veränderung ist auf quantitative, das Psychische auf Physisches zurückzuführen. So erhält der Empiriokritizismus eine materialistische Färbung. Werke: Kritik der reine" Erfahrung, 2 Bde., 1888—1891. — Petzoldt: Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung 1899. Averrogs (1126—1198): berühmter arabischer Philosoph in Spanien und Kommentator des Aristoteles. Fügt sein umfassendes Naturwissen philosophisch in das System des Aristoteles ein. Seine philosophiegeschichtliche Bedeutung besteht darin, daß er in Frankreich und Italien naturwissenschaftliche Erkenntnisse vermittelte und für Aufklärung im Sinne einer natürlichen Religion (Wesenseinheit der Vernunft und Verzicht auf individuelle Unsterblichkeit) wirkte. Avicenna (Ibn Sina) (980—1037): der bedeutendste der morgenländischen arabischen Philosophen. Sein „Kanon der Medizin" war jahrhundertelang Grundlage des medizinischen Unterrichts. Welt und Materie gelten ihm als ewig und strengen Gesetzen unterworfen. A p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Axiologie—Bachofen

Axiologie: Wertlehre. Axiom: Grundsatz; Sätze, die unmittelbar einleuchten, keines Beweises fähig noch bedürftig sind, aber zur Grundlage alles Beweisens dienen, heißen Axiome. Logische Axiome sind: der Satz der Identität, der Satz des Widerspruchs u . a . Mathematische Axiome: Jede G r ö ß e ist sich selbst gleich; zwischen zwei Punkten ist die Gerade der kürzeste W e g ; durch einen Punkt läßt sich in einer Ebene zu einer Geraden nur eine Parallele ziehen (das Parallelenaxiom) u . a . K a n t hebt den anschaulichen Charakter der geometrischen Axiome hervor. Die neue axiomatische Methode der Mathematik sucht die Berufung auf die Anschauung auszuschalten ( D a v i d H i l b e r t ) . Bachofen, J o h a n n J a c o b (1815—1887): Die mythische Überlieferung ist für ihn, dem an einem phantasievollen Bild der Überlieferung mehr liegt als einer streng methodischen Einzeluntersuchung mit historisch-kritischer Grundeinstellung, die beste Geschichtsquelle. So entwirft er ein Bild vom lykischen Volk, von seiner Demokratie, seiner allgemeinen Brüderlichkeit, das er dann im Volk der Schweizer in vielem wiederfindet, während sich nach Eduard Meyer auf den lykischen Inschriften überhaupt keinerlei Zeugnis für mutterrechtliche Zustände findet. Auf diesem Boden des Mythus entwirft Bachofen seine Bilder vom Matriarchat, die von der historischen Forschung fast durchw e g abgelehnt werden. Die moderne Mythenforschung hat sich entwickelt, ohne auf Bachofens Schriften Rücksicht zu nehmen (besonders Robertson, Smith, Marett, James). Im Mutterschoß der Erde ist der Urgrund des ewigen Werdens und Vergehens. Menschliches Tun und kosmisches Werden verbinden sich miteinander und treten füreinander ein. Bachofen stellt (in der Vorrede zum „Mutterrecht") eine Abhängigkeit der menschlichen Entwicklung von kosmischen Mächten fest. Sie ist ihm objektive Wahrheit, eine geoffenbarte Philosophie. Die griechische Geschichte konnte ihn belehren, daß der Mythus sich lediglich als Rohstoff erwiesen hat. Von ihm aus hätte man weder zum Epos noch zum Drama gelangen können. Die griechische T r a g ö d i e schafft den Menschen zur selbsttätigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit um. Vieles, was Bachofen auf Grund mühseliger Kleinforschung und emsiger Durchforschung zahlreicher Museen über die Symbole, den Kult und andere Probleme der Religionswissenschaft geäußert

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Baco von Verulam—Bayle

hat, wurde später von der Fachwissenschaft bestätigt und sichert ihm eine bleibende Anerkennung, auch wenn man seine Orundthesen ablehnt. Baco von Verulam (1561—1626): Er kann nicht wie Galilei, Kepler und Lionardo zu den Begründern der neueren Wissenschaft gerechnet werden. Er steht vielmehr in einer Reihe mit den Naturphilosophen der Renaissance: Telesio, Bruno, Sanchez. Aber er hat das richtige Empfinden für die umwälzende Kraft, mit der die Naturwissenschaft die Kulturideale der Zeit umgestaltete, und er trat für diese Umbildung ein. Sein Hauptwerk ist das „Novum Organum scientiarum". Er fordert vom Naturforscher, daß er sich zunächst von allen Vorurteilen („Idolen") frei mache. Für die Philosophie sind am gefährlichsten die idola theatri. Er richtet nun Angriffe gegen Aristoteles, Plato, Pythagoras, Gilbert. Auch Kopernikus und Galilei gehören zu denen, die alles Mögliche erdichten, wenn es nur in Rechnungen aufgeht. Seine Methode ist die der „Induktion" oder der Instanzen. Auf sehr umständliche Weise — über 27 Arten (von den isolierten bis zu den magischen Eigenschaften) erhält er schließlich die „Form" eines Dinges und seine Definition. Die Form der Wärme besteht z. B. in dem, was sich überall findet, wo Wärme ist, nirgends, wo Wärme fehlt, was s t ä r k e r oder schwächer vorhanden ist, je nachdem mehr oder weniger Wärme da ist. Die Wärme wird von ihm definiert als eine schnelle Expansivbewegung der aufwärts strebenden kleinsten Teilchen. Daß Induktion nicht möglich ist ohne Deduktion, bleibt ihm fremd. Die Mathematik ist ihm Magd der Naturwissenschaft, nicht wie bei Galilei das einzige Objektivierungsmittel der Natur. In der Ethik stellt er Musterbilder auf und zeigt in feinen und geistvollen Essays, die an Montaigne erinnern, wie man sich diesen Vorbildern nähern kann. Er hat zwar stets die Macht des Wissens betont; die neue Methode der naturwissenschaftlichen Forschung ist jedoch von anderen geschaffen und von ihm direkt nicht gefördert worden. Bayle, P i e r r e (1647—1706): Wegbereiter der französischen Aufklärung (und z. T. der deutschen). Sein Hauptwerk, das große Dictionnaire historique et critique, legt Zeugnis ab für den Scharfsinn und die unübertreffliche Klarheit seiner Kritik. Sein Stil ist stets lebendig, schlagfertig und geistreich. Er kämpft gegen allen Dogmatismus, betont den Widerspruch zwischen Offenbarung (Religion) 3*

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Bedeutung—Begriff

und Vernunft (Wissenschaft), die Unabhängigkeit der Sittlichkeit des Menschen von seinen religiösen Meinungen und fordert zum ersten Male unbedingte Toleranz auch gegen Atheisten. Bedeutung: Wort und Begriff sind nicht dasselbe. Ein Wort ist ein Lautkomplex oder ein geschriebenes Zeichen für etwas Unsinnliches. Dieses Unsinnliche ist die Bed e u t u n g des Wortes und macht das Wort zur Darstellung eines B e g r i f f s . Die Bedeutung ist ein Problem sowohl für die L o g i k als auch für die S p r a c h p h i l o s o p h i e . Die Bedeutung, welche wir-mit einem Wort verbinden, kann sich nämlich verändern, ohne daß sich das Wort verändert. Und so kann ein Wort mehrere Bedeutungen besitzen. Man spricht im ersteren Falle von B e d e u t u n g s w a n d e l . Für die Logik hat G o m p e r z den Bedeutungsbegriff ausführlich untersucht, auch H u s s e r l in seiner „Phänomenologie" unternimmt Bedeutungsanalysen. Nach O o m p e r z ist die Relation der Bedeutung von der Relation der Bezeichnung streng zu unterscheiden. Bedeutung ,,hat" überhaupt nicht der Lautkomplex, sondern die Aussage, die sinnvolle Rede. So führt das Bedeutungsproblem zur Frage nach dem „Sinn" und dem „Verstehen" [Vgl. Verstehen], Bedingung: ein Umstand, der etwas anderes ermöglicht. Die logische Bedingung ist der Grund, das so Bedingte die Folge; die reale Bedingung ist die Ursache, das so Bedingte die Wirkung. Begriff: das Wesentliche des logischen Begriffs besteht „in der Konstanz und allseitigen Unterscheidung eines mit einem bestimmten Worte bezeichneten Vorstellungsgehalts" ( S i g w a r t ) . Der Inhalt eines Begriffs besteht aus einem Inbegriff von Merkmalen, die notwendig, wesentlich oder nur möglich, unwesentlich sind. Der Inbegriff der Arten, auf die sich der Begriff bezieht, ist sein Umfang. Je reicher der Inhalt ist, um so ärmer ist der Umfang, und umgekehrt: je ärmer der Inhalt, um so reicher der Umfang. Der Inhalt des Begriffs „gelbes Metall" ist reicher, der Umfang aber ärmer als vom Begriff Metall. K a n t unterscheidet empirische, auf Erfahrung beruhende Begriffe und reine Begriffe a priori, Kategorien als Handlungen des reinen Denkens. Es gibt aber keine gegenständliche Erkenntnis aus bloBen Begriffen; es ist ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d. i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen) als seine Anschauungen

Behaviorismus—Bergson

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sich verständlich zu machen (d. i. sie unter Begriffe zu bringen): „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind." Nach H e g e l ist der Begriff das Wesen des Dinges selbst und das System der Begriffe das System der Wirklichkeit. Behaviorismus: Verhaltenspsychologie, eine besonders von amerikanischen Forschern vertretene Richtung, die die Psychologie unter Verzicht auf Selbstbeobachtung auf die Beschreibung des jedem zugänglichen äußeren Verhaltens von Lebewesen bei bestimmten Umständen beschränken will. Die Psychologie ist also Wissenschaft vom Verhalten der Lebewesen, ist eine Naturwissenschaft wie jede andere; sie unterscheidet sich von der Physiologie dadurch, daß sie stets das Verhalten des ganzen Individuums ins Auge faßt, nicht die Funktion einzelner Organe. Hauptvertreter: die Amerikaner J. B. W a t s o n und E. L. T h o r n d i k e . Bentham, J e r e m i a s (1748—1832): Hauptvertreter der „NützIichkeits"-Philosophie (Utilitarismus). Sein ethisches und rechtsphilosophisches Grundprinzip lautet: „Größtmögliches Glück der größtmöglichen Zahl". Es ist töricht, von einer Tugend um der Tugend willen zu sprechen. In unserem wohlverstandenen Interesse liegt es, auch an unseren Nächsten zu denken: Harmonie der wohlverstandenen Interessen. Bentham ist mehr Philanthrop als Philosoph. Beobachtung: aufmerksame Betrachtung von Gegenständen oder Vorgängen, wie sie gegeben sind, also ohne sie zu verändern. K a n t : Erfahrung methodisch anstellen, heißt beobachten. Bergson, H e n r y (1859—1941), französischer Philosoph, Vertreter einer spiritualistischen Metaphysik, die auf Intuition beruht. Bergson schreibt den durch Intuition erfaßten Bewußtseinszuständen eine rein qualitative Intensität zu, eine sich stetig verändernde unräumliche „Dauer" (durée) und damit Freiheit. Die zum Wesen der Welt gemachte durée zeigt sich als eine immerwährende schöpferische Entwicklung, als ein Lebensschwung (élan vital), der sich seine Ziele in freien Schöpfungen weder in mechanischer noch teleologischer Ordnung setzt. Dem freien Geist gegenüber soll das menschliche Gehirn nur ein automatisches Werkzeug des Handelns sein. — Bergson hat mit dieser Metaphysik Einfluß auf die europäische Lebensphilosophie des 20. Jahrhunderts ausgeübt. Werke : Essais sur les données

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Berkeley—Beweis

immédiates de la conscience, 1880. — Matière et mémoire, 1896. — Le rire, 1900. — L'évolution créatrice, 1907. Berkeley, G e o r g e (1684—1753): englischer Philosoph und Theologe. Er bildet den Empirismus Lockes in einen subjektiven Immaterialismus um. Seine W e r k e sind in schöner und anschaulicher Sprache geschrieben. Seine erste Schrift: Versuch einer neuen T h e o r i e des Sehens, ist bedeutend, da sie die Elemente der modernen Sinnesphysiologie enthält. Wir nehmen nur Licht und Farben w a h r ; Körper sehen wir erst durch Verbindung des Gesichtssinnes mit dem Tastsinn. Berkeley bestreitet Wirklichkeitsgeltung der abstrakten Ideen. Wir können uns rote und gelbe Dinge vorstellen, aber nicht die Farbe im allgemeinen. Alle sog. äußeren Dinge bestehen nur in unserer Vorstellung. Sein ist = Wahrgenommen werden (esse = percipi) oder = Erkannt werden. Real ist nur, was sinnlich wahrgenommen wird. Berkeley will nicht die Wirklichkeit der Dinge bestreiten, nur das, was die Philosophen körperliche Substanz oder Materie nennen. Es gibt jedoch ein eigentlich Existierendes, das ist: Das Ich, die Seele oder der Geist. Sein Wesen ist nicht percipi „wahrgenommen werden", sondern percipere „wahrnehmen". Wenn sich Berkeley auch mit den Problemen der modernen Naturwissenschaft beschäftigt hat, so fehlt ihm doch die Einsicht in den Wert physikalischer Grundbegriffe, wie Materie, Bewegung, ja, er tadelt die Infinitesimal-Rechnung von Newton und Leibniz als seltsame und nutzlose Spekulation. Er gibt demgemäß der teleologischen Weltanschauung vor der mechanischen den Vorzug und will nicht die natürlich wirkenden Ursachen, sondern die Zweckursachen der Dinge aufsuchen. — Hauptwerk: Treatise concerning the principles of human knowledge, 1710. B e s c h r e i b u n g : die Darlegung der in der Wahrnehmung gegebenen Merkmale, Beziehungen, Vorgänge bei Dingen und Ereignissen. Der Physiker K i r c h h o f f stellte der Mechanik die Aufgabe, „die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben". Diese vollständige Beschreibung soll dabei die ursächliche Erklärung ersetzen. B e w e g g r u n d : siehe MotivB e w e i s : Aufzeigen der Gültigkeit einer Behauptung, sei es durch unmittelbare Demonstration des behaupteten Zusammenhanges usw.. sei es durch Ahleitung eines Satzes

Bewußtsein—Biologie

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aus anderen Sätzen, die als gewiß und notwendig vorausgesetzt sind. Die Beweiskraft richtet sich nach der Gültigkeit der Beweisgründe. Ein Beweis ist falsch, wenn einer der Beweisgründe falsch ist (materialer Fehlschluß) oder wenn die Ableitung aus den Prämissen ungültig ist (formaler Fehlschluß). Enthalten Begründungen solche Fehlschlüsse, so begeht man Beweisfehler: der Zirkelbeweis (circulus vitiosus) benutzt den zu beweisenden Satz schon als Beweisgrund; die Erschleichung (petitio principii) setzt einen noch unbewiesenen Satz als Beweisgrund voraus. Bewußtsein: das Wissen von den seelischen Vorgängen, die wir unmittelbar im Vorstellen, Fühlen, Wollen erleben, also der Gesamtinhalt unserer unmittelbaren Erfahrung. K a n t : Das empirische Bewußtsein ist „das Bewußtsein seiner selbst nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren Wahrnehmung"; das „transzendentale Bewußtsein" oder das „Bewußtsein überhaupt" ist nichts Psychologisches, sondern das Prinzip der objektiven Erkenntnis. Die Immanenzphilosophie beschränkt die Erkenntnismöglichkeit auf die im'Bewußtsein gegebenen Erscheinungen. biogenetisches Grundgesetz: „Die Keimesgeschichte ist ein Auszug der Stammesgeschichte" ( H a e c k e 1); die Entwicklung des Individuums ist eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung der Entwicklung des zugehörigen Stammes. Es reproduziert dabei typische Erscheinungsstufen der Vorfahren, welche die Ahnenkette des betreffenden Individuums bilden. Schon L o r e n z O k e n (1779—1851) hatte gemeint, daß die Entwicklungsgeschichte im Ei nichts anderes sei als eine Wiederholung der Schöpfungsgeschichte der Tierklassen. Biologie: Wissenschaft vom Leben, umfaßt als allgemeine Biologie die Theorie der Besonderheit der belebten gegenüber der unbelebten Natur. Besondere Fachrichtungen der B. sind: Zoologie, Botanik, Physiologie. Entscheidend für die Begründung der B. als einer eigentümlichen Erkenntnisweise ist es, ob und in welcher Weise die biologische Wissenschaft sich gegenüber der „mechanistischen" Naturwissenschaft abgrenzen kann, ob es eigentümliche Prinzipien etwa ganzheitlicher Art neben der Kausalität gibt usw. (s. Vitalismus, Neovitalismus). Die Quantenbiologie wendet die Erkenntnisse der neuesten

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Brahman—Buddhismus

A t o m f o r s c h u n g aus der Quantentheorie auf die Lebenserscheinungen an. Brahman: in der indischen Lehre die Weltseele, identisch mit dem A t m a n ; zugleich personifiziert der oberste Gott. Breysig, K u r t (1866—1940): Auf der G r u n d l a g e von Übersichten über die Menschheitsgeschichte in ihrem Insgesamt und die A u f d e c k u n g von dessen Gesetzlichkeit (Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte, 1905) errichtet Breysig seine nicht mehr chronologisch, sondern theoretisch a n g e o r d n e t e Geschichtslehre. Immer neue Sichten über den Gesamtverlauf der Menschheitsgeschichte verfolgen je eine einzige, von den Anfängen bis zur Gegenwart dominierende Fragestellung (Vom Sein u n d Erkennen geschichtlicher Dinge 1—IV, 1935—1944). Die geschichtlichen Urbestandteile des Naturgeschehens, insbesondere in Physik und Astronomie aufsuchend, deutet Breysig a u c h das außermenschliche Weltgeschehen als im inneren Sinne geschichtlich (Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte, 1933). Das Hinüberfließen des Naturgeschehens in u n t e r b e w u ß t e s und b e w u ß t e s menschliches T u n wird verfolgt, der T a t k e r n allen T u n s als Urgeschehen, die Abspieglung der Welt im Geist, Entstehung und Schicksal eines menschlichen Weltbildes als Geistgeschehen und die W e g e wahl der Menschheit als Regelgeschehen w e r d e n dargestellt (Der W e r d e g a n g der Menschheit vom Naturgeschehen zum Geistgeschehen, 1935). Breysigs Sittenlehre g r ü n d e t sich auf diese Weltsicht. (Der Wille der Welt an unserem Tun, 1942; Das Recht auf Persönlichkeit und seine Grenzen, 1944). Bruno, G i o r d a n o (1548—1600): Naturphilosoph der Renaissance, f ü h r t e ein unstetes Wanderleben, das ihn durch Italien, Frankreich, England und Deutschland reisen ließ. Er fiel nach seiner R ü c k k e h r nach Italien in die H ä n d e der Inquisition und w u r d e in Rom öffentlich verbrannt. Bruno ist ein glühender Verehrer des Kopernikus, dessen Lehre er mit Dichterphantasie zu einem g r o ß a r t i g e n Weltbilde gestaltet. Er ist besonders stark beeinflußt von dem Gedankengut des N i k o l a u s C u s a n u s . Buddhismus: indische Erlösungsreligion Buddhas (um 500 v . C h r . ) : die Welt ist Leiden, Leben ist Leiden; die Ursache dieses Leidens ist der Durst, die Begierde, das

Buridans Esel—Carus

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Streben nach Lust, der Wille zum Leben; das Ziel ist Läuterung der Seele, Aufgehen in das Nirwana, das Nichts. Buridans Esel: ein nach dem scholastischen Philosophen B u r i d a n (im 14. Jahrhundert) benanntes Beispiel für die Unmöglichkeit der Willensfreiheit: ein Esel, genau in die Mitte zwischen zwei ganz gleichen Heubündeln gestellt, muß verhungern, da keine Ursache vorhanden ist, die ihn eher zum linken als zum rechten Bündel greifen ließe, und ursachloses Handeln ausgeschlossen ist. Campanella, T h o m a s (1568—1639): Kirchlich gesinnt, jedoch, wahrscheinlich seiner politischen Anschauungen wegen, von der Kirche verfolgt, verbrachte etwa 30 Jahre seines Lebens im Kerker. Er lebte zuletzt in Paris. Campanella nimmt eine doppelte Erkenntnisquelle an: den Glauben für die Theologie und die Wahrnehmung für die Philosophie. Er unterscheidet den codex scriptus der Offenbarung und den codex vivus der Natur, auf deren eifriges Studium er als Gegner des Aristoteles und Schüler des Telesio drängt. — Bedeutsam ist seine politische Philosophie. Er entwirft in seinem „Sonnenstaat" einen sozialistischen Zukunftsstaat, der von Priesterphilosophen geleitet wird. Carnotsches Prinzip (nach dem französichen Physiker Carnot): In der Natur ist kein Vorgang möglich, dessen Gesamtwirkung Wärmeübergang von niederer zu höherer Temperatur wäre. Dieser Satz wird mit einer Richtigstellung von C l a u s i u s , wonach ein Teil der Wärme, indem er eine ihm äquivalente Arbeitsmenge erzeugt, als Wärme verschwindet, während der andere Teil der zugeführten Wärme als solche in den kälteren Körper übergeht, der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie genannt. Carus, K a r l G u s t a v (1789—1869): Vertreter einer Lebensphilosophie, stand unter dem Einfluß der Schellingschen Naturphilosophie. Er hat Interesse für alles Irrationale. C. betont die Bedeutung des Unbewußten im Seelenleben und legt den Grund für die Charakterologie, indem er in romantischem Geist alles Leibliche als Ausdruck seelischer Wesenszüge und Kräfte auslegt. Hauptwerke: Denkschrift zum 100jährigen Geburtstagsfeste Goethes. — Ober ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwicklung, 1849. — Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele, 1846. — Über Le-

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causa—Chamberlain

bensmagnetismus, 1857. (In der Einleitung zu dieser Schrift wird das Unbewußte als Schlüssel für das Verständnis des Bewußten angegeben.) — Über Qrund und Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand in verschiedenen Personen, 1846. — Symbolik der menschlichen Oestalt, 1852. — Vergleichende Psychologie oder Geschichte der Seele in der Reihenfolge der Tierwelt, 1866. — Über die typisch gewordenen Abbildungen menschlicher Kopfformen, 1863. — Carus ist als Philosoph des Unbewußten von der neuromantischen Richtung der neueren Philosophie (L. Klages), die das Magische und Mystische in den Vordergrund rückt, wiederentdeckt worden. „ J e höher die Intelligenz sich entwickelt, je weiter die Fackel der Wissenschaft leuchtet, um so mehr zieht sich das Reich des Wunderbaren, des Magischen zusammen". Die Einheit der Welt wird durch das wissenschaftliche Bewußtsein gespalten, und so erlebt der Mensch die Welt in zweierlei W e i s e : unbewußt (intuitiv) und bewußt. Carus vertritt daher auf seine Weise auch eine Lehre von der doppelten Wahrheit. Er unterscheidet die durch das physikalische Experiment und den mathematischen Beweis erlangte von -der, „welche unmittelbar im Gefühl erkannt wird und gleichsam als Blüte der gesamten seelischen Anschauungen hervortritt". causa: U r s a c h e ; causa cognoscendi: Erkenntnisgrund; causa efficiens: wirkende U r s a c h e ; causa essendi: Seinsgrund; causa finalis: Zweckursache; causa formalis: gestaltende Ursache; causa materialis: Stoffursache; causa sufficiens: zureichender G r u n d ; causa occasionalis: G e legenheitsursache; causa sui: Ursache seiner selbst. S p i n o z a : unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesenheit die Existenz in sich schließt, d. i. die unendliche Substanz Gott. Causa aequat effectum: die Ursache ist der Wirkung gleich, lautet die alte Fassung des Kausalprinzips. Chamberlain, H o u s t o n S t e w a r t (1855—1927). Hauptw e r k : Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 1899. Den „Angelpunkt" dieses Buches, das eine Deutung der G e schichte vom rassischen Standpunkt aus gibt, bildet „das Erwachen der Germanen zu ihrer welthistorischen Bestimmung als Begründer einer durchaus neuen Zivilisation und einer durchaus neuen Kultur". Er sieht es als „unw a h r " an, „daß unsere Kultur eine Wiedergeburt der hellenischen und römischen ist". „Dieses rinascimento wirkte

Chaos—Charakter

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mindestens ebenso hemmend wie fördernd und warf uns auf lange Zeit aus unserer gesunden Bahn heraus. Die mächtigsten Schöpfer jener Epoche — ein Shakespeare, ein Michelangelo — konnten ja kein Wort griechisch oder lateinisch". „Der größte aller Irrtümer ist aber die Annahme, daß unsere Zivilisation und Kultur der Ausdruck eines allgemeinen F o r t s c h r i t t e s d e r M e n s c h h e i t sei." Chaos: ungeordneter Urzustand der Welt, ein mythischer Begriff. Charakter: Gepräge; die bestimmte feste Eigenart eines Dinges oder Vorganges; im moralischen Sinn die beständige Sinnesart. Im weitesten Sinn bedeutet Ch. jede Form, in der eine Bedeutung, ein Sinn oder ein Wesen sich ausprägt. Diese Wortbedeutung entspricht der Herkunft des Begriffs von dem griechischen Wort xapctcaw, ich ritze ein. So gibt es aesthetische Charaktere, die gedanklich vertieft zum Symbol werden. K a n t unterscheidet den empirischen und den intelligiblen Charakter des Menschen. Der Mensch als Teil der Sinnenwelt, als Glied der Erscheinungswelt hat einen empirischen Charakter, der in die Kette der Naturursachen verflochten ist, sodaB alle seine Handlungen naturgesetzlich bedingt sind wie alles sonstige Naturgeschehen. Der Mensch als zur Welt der Dinge an sich gehörend betrachtet, hat einen intelligiblen Charakter, der nicht unter den Bedingungen der sinnlichen Welt steht, nicht dem Kausalgesetz unterworfen ist, also als frei handelnd betrachtet werden kann. Eine Handlung aus dem empirischen Charakter hergeleitet, ist naturnotwendig, auf den intelligiblen Charakter bezogen, frei. Der Verstand erkennt das notwendige natürliche Geschehen, die Vernunft beurteilt das freie sittliche Sollen. In seiner „Anthropologie" erklärt K a n t : „Einen Charakter schlechthin zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach welcher das Subjekt sich selbst an bestimmte praktische Prinzipien bindet, die es sich auch durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat." Ein solcher Charakter „hat einen inneren Wert und ist über allen Preis erhaben". — Nach S c h o p e n h a u e r ist der individuelle Charakter angeboren und unveränderlich. Der intelligible Charakter ist Teil des Weltwillens, unveränderlich und unzerstörbar. H e r b a r t in seiner „Allgemeinen Pädagogik": Der Wille ist der Sitz des Charakters; „was überhaupt am Menschen als vernünftigem Wesen charak-

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Charakterologie—Cohen

t e r f ä h i g ist: das ist d e r W i l l e ; " „ d e r C h a r a k t e r ist die G e stalt des Willens." D a s H a n d e l n ist d a s P r i n z i p d e s C h a r a k t e r s . [Vgl. Willensfreiheit.) Charakterologie: L e h r e vorn W e s e n u n d v o n der Entw i c k l u n g des C h a r a k t e r s ; P e r s ö n l i c h k e i t s f o r s c h u n g , insofern sie die w i c h t i g s t e n individuellen U n t e r s c h i e d e u n t e r s u c h t u n d durch A u f w e i s e n von k o n s t i t u t i o n e l l b e d i n g t e n oder geistig geformten Wesenszügen, sowie durch Zus a m m e n f a s s u n g des g l e i c h a r t i g e n Einzelnen z u r Aufstell u n g von T y p e n g e l a n g t . Chrysipp (etwa 280—205 v . C h r . ) : gilt als z w e i t e r Beg r ü n d e r d e r stoischen Schule. Cicero, M. T u l l i u s (106—43 v . C h r . ) : r ö m i s c h e r Staatsm a n n , P h i l o s o p h u n d R e d n e r . Er hat d a s V e r d i e n s t , die R ö m e r mit den A u s l ä u f e r n d e r g r i e c h i s c h e n P h i l o s o p h i e b e k a n n t g e m a c h t zu h a b e n u n d d e r S c h ö p f e r d e r philos o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e f ü r die R ö m e r g e w o r d e n zu sein. Er ist d a d u r c h n e b e n Aristoteles d e r w i c h t i g s t e p h i l o s o p h i sche L e h r e r des Mittelalters g e w o r d e n . Sein Lieblingsg e b i e t ist die p o p u l ä r e E t h i k im Sinne d e r Stoa, w o b e i er sich auf den c o n s e n s u s g e n t i u m u n d die a n g e b o r e n e n Beg r i f f e b e r u f t . Er v e r t e i d i g t die göttliche V o r s e h u n g , die U n s t e r b l i c h k e i t d e r Seele u n d die W i l l e n s f r e i h e i t . Circulus in probando, circulus vitiosus: Z i r k e l s c h l u ß ; ein F e h l b e w e i s , d e r das, w a s b e w i e s e n w e r d e n soll, schon im Beweisgrund voraussetzt. cogito, e r g o s u m : Ich d e n k e , ich h a b e B e w u ß t s e i n , also bin ich. Nach D e s c a r t e s in ä h n l i c h e r W e i s e wie in d e r P h i l o s o p h i e A u g u s t i n s d e r sichere A u s g a n g s p u n k t aller E r k e n n t n i s , d e r a r c h i m e d i s c h e P u n k t von u n e r s c h ü t t e r l i c h e r G e w i ß h e i t ; d e r Satz b e d e u t e t k e i n e n Schluß, s o n d e r n die u n m i t t e l b a r e S e l b s t g e w i ß h e i t des eigenen g e i s t i g e n Seins. W e n n m a n auch an allem zweifelt, s o k a n n m a n nicht z w e i f e l n , d a ß man zweifelt, u n d als Z w e i f e l n d e r existiert m a n . Der E i n w a n d G a s s e n d i s , m a n k ö n n e aus j e d e r b e liebigen T ä t i g k e i t auf die Existenz schließen, v e r f e h l t d e n e n t s c h e i d e n d e n P u n k t . Der S a t z : ich g e h e s p a z i e r e n , also bin ich, b e s a g t nichts, da das S p a z i e r e n g e h e n als k ö r p e r liche B e w e g u n g d e m allgemeinen Z w e i f e l u n t e r l i e g t . Es m u ß h e i ß e n : ich bin mir b e w u ß t , ( d a ß ich s p a z i e r e n g e h e , ) also bin ich. Cohen, H e r m a n n (1842—1918) z u s a m m e n mit Paul Nat o r p : G r ü n d e r d e r „ M a r b u r g e r S c h u l e " . 1871 „Kants The-

coincidentia oppositorum—Comte

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orie der Erfahrung", ein epochemachendes Werk für das Verständnis Kants und die Wiederbelebung des Kantianismus. In „Kants Begründung der Ethik" wirr? die soziale Bedeutung des kategorischen Imperativs betont. Von „Kants Begründung der Ästhetik" urteilt Gottfr. Kelter: „Dies Buch wälzt eine Last von den Künstlern." Cohens System: Logik der reinen Erkenntnis, 1902; Ethik des reinen Willens, 1907; Ästhetik des reinen Gefühls, 1912. coincidentia oppositorum: Zusammenfall der Gegensätze. N i k o l a u s C u s a n u s (1401—1464): Gott faßt alles in sich, auch alles Gegensätzliche; in Gott fallen alle Gegensätze zusammen. Comenius, J o h . A r n o s , mit seinem tschechischen Namen Komenski (1592—1670): gehört der böhmischen Brudergemeinde an. Philosophisch ist er von Baco von Verulam beeinflußt. Von ihm hat er gelernt, daß ein tätige« Leben besser ist als ein beschauliches. Diese Gesinnung hat er in einem Leben, das reich ist an Verfolgungen, bewährt. Er ist voll Liebe zur Menschheit und konsequenter Vertreter der Humanitätsidee. Philosophisch vertritt er eine „Pansophie", eine Allweisheitslehre, in der Renaissancegedanken und enzyklopädische Ideen miteinander verbunden sind. Seine Hauptbedeutung liegt auf dem Gebiete der Pädagogik. Er ist einer der Väter der modernen Didaktik. Sein Wahlspruch war: „Alles verlaufe naturgemäß, fern bleibe den Dingen aller Zwang." Hauptwerk: Didactica magna seu omnes omnia docendi artificium, 1657. Die Didaktik und die Pansophie sollten alles lehren, was die Menschen zu wissen, zu tun, zu glauben und zu hoffen hätten. Common sense: gemeiner (gesunder) Menschenverstand. Die schottische Schule des gesunden Menschenverstandes ( T h o m a s R e i d , B e a t t i e , O s w a l d , S t e w a r t ) glaubte die von L o c k e , B e r k e l e y und namentlich von H u r a e aufgeworfenen Probleme der Gültigkeit des Denkens in Hinsicht auf die Erfahrung durch Berufung auf den common sense entscheiden zu können. Comte, A u g u s t e (1798—1857): aus Montpellier, französischer Begründer des Positivismus und der modernen Soziologie, der er den Namen gegeben hat. Er verwirft jede Metaphysik. Nach seiner an Turzot anknüpfenden geschichtsphilosophischen Lehre durchläuft der menschliche Geist drei Stadien: das theologische, das metaphysi-

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Condillac

sehe und das positive. Im theologischen Stadium erklärt der Mensch die Natur aus einem besonderen Willen der Dinge oder übernatürlicher Wesen (Stufen des Fetischismus, des Polytheismus und des Monotheismus). Im zweiten Stadium aus abstrakten Ursachen, aus Ideen und Kräften; im dritten, dem positivistischen, spürt der Mensch durch Beobachtung und Experimente die Zusammenhänge der Erscheinungen auf und spricht die konstanten Zusammenhänge in Oesetzen aus. In diesem Stadium, in dem der Gelehrte und der Industrielle herrschen, vollzieht sich die'Vereinigung von Theorie und Praxis. Der einzige Glaubenssatz in der dritten Periode soll die Unwandelbarkeit der Naturgesetze sein. Die einzelnen Wissenschaften treten jedoch nicht gleichzeitig in das positive Stadium ein, sondern in einer Reihenfolge, die zugleich eine Entwicklung und Rangordnung (Hierarchie) bedeutet. Es folgen sich: 1. Mathematik, 2. Astronomie, 3. Physik, 4. Chemie, 5. Biologie, 6. Soziologie. Die Soziologie gilt es, in das positive Stadium zu bringen. Sie umfaßt nicht nur die gesamte Nationalökonomie, sondern auch die Psychologie, die Ethik und die Geschichtsphilosophie. Zwischen Proletariern und positiven Denkern besteht Übereinstimmung über das Ziel ihres Strebens, allen Gelegenheit zu geistiger Entwicklung und das Recht auf Arbeit zu verschaffen. Der Gemeinschaftsgedanke ist die Quelle des Pflichtbegriffs. Hieran schließt sich von selbst die Religion der Humanität. Sie ist eine Religion ohne Gott, Gegenstand ihrer Verehrung das „Grand Etre" der Menschheit. Das „große Wesen" der Menschheit umfaßt alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Menschen, die für das Wohl der Gesamtheit gewirkt haben, wirken und noch wirken werden. Die Generalformel von Comtes Religion lautet: Liebe als Prinzip, Ordnung als Grundlage, Fortschritt als Ziel. Den Sinn der Wissenschaft faßt er in der Formel zusammen: „Wissen, um vorauszusehen, voraussehen, um zu können" (savoir pour prévoir, prévoir pour pouvoir). Werke: Plan des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société, 1822, — Cours de philosophie positive, 1830—1842. Condillac, E t i e n n e d e (1715—1780): französischer Aufklärer. Er ist reiner Sensualist; einzige Erkenntnisquelle ist ihm die Empfindung, die sinnliche Wahrnehmung. Aufmerksamkeit z. B. besteht in der Hingabe an eine Empfin-

consensus gentium—Dämonen

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dung, Erinnerung in ihrer Nachwirkung. Die Ethik wird in ähnlicher Weise auf ein Gefühl der Lust und Unlust gegründet. Gut ist das, was uns Lust gewährt. Als guter Katholik nimmt er seiner Erkenntnislehre zum T r o t z die Zeit vor dem Sündenfalle und nach unserem T o d e aus. Er erkennt Gott als unseren Gesetzgeber und das Sittengesetz als allgemeinverpflichtend an. consensus gentium: Übereinstimmung der V ö l k e r ; allgemeine Übereinstimmung in den Auffassungen als vermeintlicher Grund für ihre Wahrheit. S o C i c e r o in Anlehnung an die stoische Philosophie. contradictio: Widerspruch; contradictio in adjecto: Widerspruch im Beiwort, wie z. B. hölzernes Eisen. cornutus: Fangschluß des E u b u l i d e s : W a s du nicht verloren hast, hast du noch. Hörner hast du nicht verloren. Also hast du Horner. Cusanus, N i k o l a u s (1401—1464): eigentlich Nikolaus Chryffs oder Krebs aus Kues an der Mosel, gehört dem Mittelalter und der Neuzeit, der Theologie und der Philosophie an. Er schätzt besonders Plato, die Pythagoreer und die Neuplatoniker; er schätzt Mathematik und Naturwissenschaften sehr hoch, lehrt schon vor Kopernikus die Kugelgestalt und die Achsendrehung der Erde. Nihil certi habemus in nostra scientia nisi mathematicam. (Die einzig sichere Wissenschaft ist die Mathematik). Seine Erkenntnislehre lehrt einen Aufbau des Wissens in vier Stufen. Diese bestehen in: 1. dem Sinn, der nur verworrene Bilder liefert, 2. dem Verstand, 3. der spekulativen Vernunft, 4. der mystischen Anschauung, die in der Vereinigung der Seele mit Gott besteht. In Gott, den der Mensch nie ganz zu erfassen vermag (docta ignorantia), fallen alle Gegensätze zusammen (coincidentia oppositorum). Er hat in vielfacher Hinsicht der Naturphilosophie des 16. Jahrhunderts vorgearbeitet. Daimonion: eine Art innerer, göttlicher Stimme, die S o k r a t e s als Abmahnung und Warnung in sich spürte und der er F o l g e leistete. Vgl. auch die christliche Lehre vom Gewissen. Dämonen: G e i s t e r ; Mittelwesen zwischen der Gottheit und den Menschen. Der Dämonenglaube ist der animistischen Naturauffassung verwandt, wird aber auch philosophisch verwertet, so im Anschluß an X e n o k r a t e s in der stoischen Philosophie, in der die Dämonen als Schutzgeister

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Darwinismus—Deduktion

der Menschen heilig gehalten wurden, während später im Christentum die Dämonen als böse Geister galten. Darwinismus: die von D a r w i n 1859 in seinem Werke „Über den Ursprung der Arten durch natürliche Auslese" begründete Abstammungslehre: die einzelnen Lebewesen einer Art sind nie völlig gleich, sondern weichen etwas voneinander ab, so daß sie den Lebensbedingungen mehr oder weniger angepaßt sind. Im Kampf ums Dasein setzt sich das besser Geeignete in langen Zeiträumen durch und überträgt in immer steigendem Maße die vorteilhaften Eigenschaften durch Vererbung auf die weiteren Generationen, so daß allmählich immer größere Abänderungen in der organischen Welt auftreten, die bis zur Bildung neuer Arten führen können. Dieses Zuchtwahlprinzip der Erhaltung der begünstigsten Rassen im Kampf ums Dasein soll eine mechanische Erklärung für die Umwandlung und Entwicklung der Lebewesen abgeben. Der Darwinismus ist im weiteren Sinne einer allgemeinen Entwicklungs- und Abstammungslehre eine wesentliche Annahme der Wissenschaft. Deduktion: Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen. Die deduktive Methode leitet in der Mathematik aus Definitionen und Axiomen Sätze ab und stellt einen sich immer erweiternden Zusammenhang neuer Einsichten her. Die Physik sucht allgemeine Gesetze zu gewinnen, aus denen Folgerungen gezogen werden, die dann mit der Erfahrung verglichen werden, aber auch gestatten, Hypothesen zu bilden und neue Erscheinungen und Gesetzlichkeiten vorauszusagen und zu entdecken. So war das periodische Gesetz der Elemente imstande, neue unbekannte Elemente mit ihren Eigenschaften im voraus zu bestimmen. Die Deduktion ist in der modernen Wissenschaft im Gegensatz zu der von Aristoteles bestimmten Scholastik kein Verfahren der Erkenntnis, denn es ist nicht möglich, neue Erkenntnisinhalte aus allgemeinen Sätzen abzuleiten, die mit diesen nicht schon gegeben wären. Dagegen wird sie geübt, uns vorliegende Erkenntnisse in einen geschlossenen Zusammenhang zu bringen, sie nach ihren Inhalten voneinander abzuleiten und so ein geschlossenes System zu bilden. Speziell die mathematischen Naturwissenschaften sehen in dem deduktiven Verfahren ihr Ziel, da es in diesen Wissenschaften darauf ankommt, beobachtete Phänomene auf Gesetze zurückzuführen, die dann in ihrem Zusammen-

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Definition—Deismus

hang miteinander in möglichst strenger deduktiver Form ausgesprochen werden müssen. [Vgl. Induktion,Hypothese]. Nach Kant zeigt die empirische Deduktion die Art an, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben ist; die metaphysische Deduktion gibt die Ableitung der Kategorien aus den Urteilsfunktionen, die transzendentale Deduktion macht die objektive Gültigkeit der Begriffe a priori begreiflich. Definition: Begriffsbestimmung, die vollständige Angabe der in einem Begriff gedachten Merkmale eines Vorstellungsinhalts. R e g e l : eine Definition geschieht durch Angabe der nächst höheren Gattung und des artbildenden Unterschieds (per genus proximum et per differentiam specificam), etwa: ein Parallelogramm ist ein Viereck mit parallelen Seiten. Fehler der Definition: die Zirkeldefinition enthält schon den zu definierenden Begriff in der Definition selbst; die abundante Definition gibt außer den wesentlichen auch unwesentliche Merkmale an; die zu weite Definition gibt zuviel, die zu enge zu wenig wesentliche Merkmale a n ; die Definition darf nicht lediglich negativ sein, w o sie positiv sein kann. Im Gegensatz zu dieser „klassischen" Auffassung lehrt die moderne Logik die genetische D. als Verleihung eines begrifflichen Gegenstands durch sein Entstehen. Beispiel: Ein Kreis entsteht, indem ein Punkt in gleichem Abstand um einen anderen Punkt bewegt wird. [Vgl. Nominal- und Realdefinition, implizit]. Deismus: Vernunftglaube an G o t t ; eine auf die gemeinsame Menschenvernunft sich gründende natürliche philosophische Religion von wesentlich moralischem Inhalt. Die Welt ist danach von Gott erschaffen, aber ihr gesetzmäßiger Verlauf nach den einmal von Gott g e g e b e nen Bedingungen ist unabänderlich und bleibt unabhängig von einem weiteren Einwirken des Weltschöpfers, das für die Wirklichkeit nicht notwendig ist. Der erste Vertreter der deistischen Vernunftreligion, H e r b e r t v o n C h e r b u r y (1581—1648), stellt fünf Glaubensartikel auf: 1. es gibt ein höchstes Wesen, 2. die Pflicht, dieses höchste Wesen zu verehren, 3. den wichtigsten Teil dieser Verehrung bildet Tugend im Verein mit Frömmigkeit, 4. die Forderung der Reue über Vergehen, 5. Belohnung oder Strafe in diesem oder dem jenseitigen Leben. Weitere Deisten im 18. Jahrhundert: T o l a n d , C o l l i n s , T i n d a l . V o l t a i r e , die Philosophen der Aufklärung. Dagegen H u m e in seiner „NaA p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Demiurg—Demokrit

turgeschichte der Religion" (1755): Religion stammt nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Gefühls- und Triebleben des Menschen. Nicht logisch, sondern psychologisch lassen sich die religiösen Vorstellungen erklären. [Vgl. Theismus]. Demiurg: Werkmeister, Weltbildner; bei P l a t o der weltbildende Gott, der die Welt im Hinblick auf die Ideen schuf und gestaltete. Der zu den Neupythagoreern zählende N u m e n i o s (im 2. Jahrh. n.Chr.) sieht im Demiurg den die Materie gestaltenden zweiten Gott zwischen dem höchsten übersinnlichen ersten Gott und dem dritten, der Welt selbst. Bei den Gnostikern (im 2. Jahrh. n. Chr.), die die christliche Religion gegen die jüdische scharf abgrenzen wollen, ist der Gott des Alten Testaments der Demiurg als Bildner der Sinnenwelt, der selbst der Erlösung durch den höchsten in Christus geoffenbarten Gott bedürftig ist. Demokrit (geb. um 460 in Abdera in Thrakien): griechischer Naturphilosoph. Bedeutend seine Lehre von den Atomen, die zum Fundament der mechanischen Physik geworden ist. Die Atome sind letzte kleinste unteilbare (¿n-opa) Teilchen, aus denen sich die physische Wirklichkeit zusammensetzt. Sie haben weder Farbe, noch besondere Gestalt und sind insofern ohne sinnliche Qualität, d. h. also nicht wahrnehmbar und nur erdacht. Er nennt sie Formen und Gestalten. Die Atomistik Demokrits ist für die moderne Naturwissenschaft von grundlegender Bedeutung geworden. Die Gesetze des Schalles, des Lichtes, der Wärme und die Veränderungen in der Chemie wurden zuerst auf Gruna der atomistischen Lehre gefunden. Die Atomistik erklärt das Zustandekommen der physischen Wirklichkeit aus der Bewegung der Atome, also streng mechanisch. Jeder Zufall und jede nach bewußten Zwecken handelnde Gottheit sind ausgeschlossen. Gleichwohl kann man Demokrits System nicht als Materialismus oder Sensualismus ansprechen. Um die Bewegung zu erklären, nahm er den leeren Raum der Eleaten an (tö uf) öv). Von diesem Nichtseienden berichtet Sextus Empiricus: „Die Atome und das Leere sind das wahrhaft Seiende". Im Gegensatz zu dem wahrhaft. Seienden steht das Sein der Satzung, d.i. der Sinnesempfindung, dessen Subjektivität und Relativität Demokrit betont. Alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten gehört zu dieser unebenbürtigen oder dunklen Erkenntnis. Von Demokrit sind 230 ethische Fragmente (zu-

Demonstration—Denkgesetze

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meist kurze Sittensprüche) erhalten, mit einer Fülle edler Oedanken. Er geht zwar von Lust und Unlust aus; das Ziel bilden aber die Wohlgemutheit, die Wohlbestalltheit und die Unerschütterlichkeit. Das Sittliche liegt in der Oesinnung und hängt von der Einsicht ab. „Out ist nicht das Nicht-Unrechttun, sondern das nicht einmal UnrechttunWollen." „Wer Unrecht tut, ist unseliger, als wer Unrecht leidet." „Eine gute Staatsleitung soll man für das Wichtigste von allem halten." „Dem Weisen steht jedes Land offen, denn die Heimat einer edlen Seele ist die ganze Welt." Demonstration: Beweis, Beweisführung. Demoralisation: Entsittlichung, Sittenlosigkeit. denken: im weitesten Sinne jedes bewußte Vorstellen, jeder seelische Vorgang im Unterschiede vom Fühlen, Empfinden und allen ¡sinnlichen Funktionen. So unterschied D e s c a r t e s Denken im Sinne der Bewußtheit des seelischen Wesens und Ausdehnung (Körperliches). Die ältere Psychologie nimmt meist eine Dreiteilung des Seelenlebens vor: Denken (in engerem Sinne), Fühlen, Wollen (so S u l z e r und T e t e n s ) . Die Denkpsychologie hat die Aufgabe, Ursprung und Verlauf der Denkprozesse in ihrem Zusammenhange mit dem gesamten Seelenleben zu untersuchen und festzustellen. Die Logik ist Wissenschaft von den allgemeinen Formen, Normen und Gesetzen des Denkens. Als charakteristische Funktionen werden hervorgehoben: das Verbinden, Trennen, Unterscheiden, Vergleichen. Die Grundfunktion des Denkens ist das Urteil. Die Kantische Erkenntnistheorie stellt Anschauen und Denken einander g e g e n ü b e r : „Die Sache der Sinne ist, anzuschauen; die des Verstandes, zu denken. Denken aber ist: Vorstellungen in einem Bewußtsein zu vereinigen". Aber dieses Denken in Begriffen (Kategorien) erhält die Bedeutung des Erkennens erst durch Beziehung auf gegebene Anschauung: „wir können uns keinen Gegenstand d e n k e n ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand e r k e n n e n ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen." Hauptproblem der kritischen Erkenntnistheorie: „wie s u b j e k t i v e B e d i n g u n g e n d e s D e n k e n s sollten o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t haben". H e g e l entwickelt auf der Annahme einer Identität von Denken und Sein sein System des absoluten Idealismus. Denkgesetze: 1. p s y c h o l o g i s c h die Gesetzlichkeit, nach der die wirklichen Denk Vorgänge ablaufen; 2. l o 4*

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Denkökonomie—Descartes

g i s c h Grundgesetze (Normen) für alles richtige Urteilen und Schließen: a) der Satz der Identität (A ist A), b) der Satz des Widerspruchs (A ist nicht von A), c) der Satz des ausgeschlossenen Dritten (von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen A ist B und A ist nicht B, muß das eine wahr sein), d) der Satz vom zureichenden Grunde: mit dem Grunde ist die Folge notwendig gesetzt. (Wenn A gilt, dann gilt auch B.) Denkökonomie: die Lehre des modernen Positivismus von der ökonomischen Denkweise der Wissenschaft: Gedankenökonomie als Ersparnis an Denkmitteln und Arbeit ist der Leitfaden für den Vollzug der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Methode der Naturwissenschaft hat zum Ziel den sparsamsten, einfachsten begrifflichen Ausdruck der Tatsachen. Physik ist ökonomisch geordnete Erfahrung. Das Lichtbrechungsgesetz gestattet es, ohne weitere Erfahrung jeden beliebigen Fall der Brechung ohne Schwierigkeit in Gedanken nachzubilden und zu ergänzen. So E r n s t Mach. [Vgl. Ökonomie.] Dependenz: Abhängigkeit. Logische Dependenz bedeutet Abhängen der Gültigkeit eines Urteils von einem anderen, sachliche D. die eines Faktums von einem anderen, z. B. der Folge von dem Eingetretensein der Ursache. Descartes, René (geb. 15Q6 in der Touraine, gest. 1650 zu Stockholm) : Mit seinen regulae ad directionern ingenii beginnt nach bisheriger Auffassung die moderne Methodenlehre der Wissenschaften in einem kritizistischen Sinn. Hier wird die Erkenntnis aller Dinge von der Erkenntnis des Verstandes abhängig gemacht. Was ist menschliche Erkenntnis und wie weit erstreckt sie sich? Er fragt nicht (wie Mittelalter und Renaissance) nach den verborgenen Qualitäten der Dinge, wie viele das tun, ohne gefragt zu haben, „ob dazu die menschliche Vernunft überhaupt zureicht". Wenn man die Wahrheit erforschen will, muß man zunächst seinen eigenen Intellekt prüfen. „Nichts Nützlicheres gibt es hier zu erforschen, als was die menschliche Erkenntnis sei und wie weit sie sich erstrecke." Die Kraft der Erkenntnis liegt in ihrer Methode, Einheit zu stiften. Die Erkenntnis bleibt eine und dieselbe bei aller Verschiedenheit der Gegenstände. Das Universum des Geistes enthält die Erkenntnis des Universums der Dinge in sich. Die Meditationen beginnen mit einer Kritik der Erkenntnisbedeutung der sinnlichen Vorstellungen. Der Begriff des Kör-

Deskription—Deszendenztheorie

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pers als eines sinnlich Gegebenen wird abgewiesen. Hierbei ist die Mathematik, die aus reinen, durch die Intuition gewonnenen Begriffen ihre Schlüsse zieht, das Urbild der Wissenschaft. Die Intuition berührt sich, obwohl das wechselnde Zeugnis der Sinne abgelehnt wird, mit dem Begriff der Evidenz. Von ersten Elementen der begrifflichen Erfassung ausgehend, erschafft die Deduktion ein System von Erkenntnissen. Im Discours, in den Meditationen und den Prinzipien der Philosophie, sowie in seinen mathematischen Schriften geht Descartes von dem Gedanken aus, man müsse im Leben einmal alle überkommenen Lehrmeinungen bezweifeln und auf einem neuen Grunde aufbauen. Dieses Fundament bildet das Selbstbewußtsein. Absolut gewiß ist nur, daß ich denke. Das ist zunächst erkenntnistheoretisch gemeint, erhält aber dann eine metaphysische Bedeutung. Das Ich ist eine Substanz, die denkt, und die von der Erkenntnis unabhängige Welt des Daseienden erscheint wieder. In der Ideenlehre unterscheidet D. die eingeborenen Ideen (wie Ding, Wahrheit, Bewußtsein), die von außen gekommenen und die von mir selbst gemachten. Zu den eingeborenen rechnet er die Gottes-Idee. Als endliches Wesen kann ich nicht selbst „Ursache" dieser eingeborenen Idee Gottes sein. Damit ist Gott als Ursache bewiesen. Eine Ethik hat der Philosoph nicht begründet. Was er in dieser Hinsicht äußert, erinnert an die Stoa. La générosité ist ihm der Schlüssel aller Tugenden. Amor intellectualis zu Gott ist das edelste aller Gefühle. Die rationale philosophische Haltung des D., sein prinzipieller Zweifel an allem, was nicht klar beweisbar ist, ist ein wesentlicher Grundzug des Denkens im modernen Frankreich geworden. Sie hat über die fachlich = philosophischen Fragen hinaus eine große kulturelle Wirkung in Europa geübt, indem sie die scholastische Denkweise ersetzte, wobei Descartes im Inhalt der Überzeugungen, die er festhielt, im übrigen noch stark an das Mittelalter gebunden blieb. Deskription: Beschreibung; deskriptive Wissenschaften: beschreibende Wissenschaften. Deszendenztheorie: Abstammungslehre. Alle verschiedenen, jetzt oder früher lebenden Organismen stammen von einer einzigen oder von wenigen einfachen Urformen ab, die sich in stetigem Zusammenhang fortentwickelt haben. {Vgl. Darwinismus.]

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Determination —Dialektik

Determination: Begrenzung, Bestimmung; logisch: die Hinzufügung eines besonderen, begrenzenden Merkmals zu einem allgemeineren Begriff, dessen Inhalt dadurch reicher, dessen Umfang eingeschränkt wird, z. B. der Begriff Haus, zu dem die nähere Bestimmung „für gottesdienstlichen Zweck" kommt, wodurch der dem Inhalt nach bestimmtere, dem Geltungsbereich nach begrenztere Begriff „Kirche" erfaßt wird. Gegenteil: Abstraktion. S p i n o z a s Satz „omnis determinatio est negatio", jede Determination ist Verneinung, bedeutet: jede einschränkende Bestimmung ist eine Einschränkung der absoluten Wesensfülle der umfassenden Einheit der Substanz. Logisch ausgelegt bedeutet dieser lange vor Spinoza formulierte Satz, daß jede weitergehende Bestimmung eines Gegenstandes oder Begriffs zugleich andere Bestimmungen ausschließt. Beispiel: indem ich ein Blatt „farbig" nenne, schließe ich aus, daß es auch weiß sein kann. Indem ich die Farbe als „grün" bestimme, verneine ich, daß es etwa auch rot sein könnte. Determinismus: das Bestimmt- und Bedingtsein durch Ursachen, besonders die Behauptung der ursächlichen Bestimmtheit der Willenshandlungen im Gegensatz zur Annahme der Willensfreiheit, zum Indeterminismus. [Vgl. Willensfreiheit.] Dialektik: Unterredungskunst. Bei den Eleaten ( Z e n o n ) die Methode des indirekten Beweises; bei den Sophisten die Kunst, durch Scheinbeweise zu glänzen. P l a t o nennt Dialektik die Wissenschaft von den Ideen, wie sie in der Unterredung mit anderen oder auch im Zwiegespräch mit sich selbst durch methodische Entwicklung und Ordnung der Begriffe erzeugt wird. A r i s t o t e l e s bezeichnet mit Dialektik die auf das induktive Verfahren gerichtete Denktätigkeit, von den Tatsachen der Erfahrung zu allgemeinen begrifflichen Bestimmungen aufzusteigen. K a n t nennt Dialektik die Kunst, mit den Mitteln der formalen Logik scheinbar gegenständliche Erkenntnis zu entwickeln und so die allgemeine Logik zum Blendwerk von objektiven Behauptungen zu mißbrauchen. Diesen dialektischen Schein hat die Logik aufzudecken. Die „transzendentale Dialektik" ist „eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs", eine Kritik „metalysischer Gaukelwerke", die den Schein transzendenter

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rteile aufdeckt. Freilich ist es „eine natürliche und un-

Diallele—Diderot

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vermeidliche Dialektik der reinen Vernunft", subjektive Grundsätze als objektive unterzuschieben und so die Illusion einer Erkenntnis des Unbedingten zu haben. H e g e l entwickelt das dialektische Verfahren des Geistes, sich in Gegensätze zu entzweien, die aber in einem höheren dritten Begriff ausgeglichen, „aufgehoben" werden. In einer solchen Selbstbewegung der Begriffe unter der treibenden Kraft des Widerspruchs vollendet sich das System der Philosophie und auch der Weltentwicklung. Die Dialektik ist so das metaphysische Weltgesetz, denn alles Sein ist nur Verwirklichung der Vernunft. Bei S c h l e i e r m a c h e r ist Dialektik die „Darlegung der Grundsätze für die kunstgemäße Gesprächsführung im Gebiete des reinen Denkens", eine Kunstlehre des Denkens, die Kunst des Begründens; sie umfaßt Metaphysik und Logik. — M a r x und E n g e l s nehmen die Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hinein. Nach ihnen ist Dialektik „die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung sowohl der äußeren Welt wie des menschlichen Denkens". An die Stelle der objektiven oder subjektiven Dialektik der Ideen tritt bei ihnen eine in der Entwicklung der materiellen Produktionsverhältnisse begründete Dialektik. — Eine „Realdialektik", die Schopenhauers und Hegels philosophische Auffassungen verbindet, entwickelt Julius Bahnsen. [Vgl. Synthesis.) Diallele: Gegenseitig = wechselweise Bestimmtheit. Führt logisch zu nichtssagenden Behauptungen. (Die Armut kommt von der pauvreté.) dianoëtisch: A r i s t o t e l e s unterscheidet dianoëtische und ethische Tugenden, Denk- und Charaktertugenden. Die ersteren sind die höheren, denn in ihnen entfaltet sich die Vernunft in der theoretischen und praktischen Einsicht und führt so zur höchsten Lust des Wissens. Diätetik: Lebenskunst, Lehre von der richtigen Lebensweise. Dichotomie: Zweiteilung, zweigliedrige Einteilung. Von Bedeutung für ein systematisch-deduktives Denken. A ist entweder B oder C. Wenn A B ist, dann . . . , wenn A C ist, dann . . . Diderot, D e n i s (1713—1784): französischer Enzyklopädist. Er ging von Locke aus, schloß sich dann den Freidenkern an und landete schließlich bei den Materialisten. Hauptwerk: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des

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differentia spezifica—Dilthey

sciences* des arts et des métiers, 1751—1766. D'Alembert, Voltaire, Rousseau, Holbach waren Mitarbeiter. Bahnbrechend hat Diderot als Ästhetiker gewirkt. Lessing verdankt ihm viel. Auch Qoethe fühlte sich von ihm angezogen und übersetzte mehrere seiner Werke. Diderot kämpft für eine neue Kunstrichtung gegen die klassizistische Verbildung der Natur und die Geschraubtheit der höfischen Kunst und fordert größere Nähe zur Natur. Er tritt für das zu seiner Zeit aufkommende bürgerliche Schauspiel ein. Diderot ist im Grunde Rationalist. differentia specifica: artbildender Unterschied. [Vgl. Definition.] différentielle Psychologie: während die allgemeine Psychologie das den verschiedenen Individuen Gemeinsame gesetzmäßig zu erfassen sucht, will die Psychologie der individuellen Differenzen individuelle Abweichungen in ihrer Gesetzmäßigkeit feststellen und untersuchen, „wie sich das Bild einer tatsächlich vorhandenen Individualität aus der Fülle ihrer Merkmale, und wie sich die Struktur der Individualität aus den Beziehungen der Merkmale untereinander darstellen läßt" (W. S t e r n ) . Differenzierung: Herausbildung von Besonderem aus einem gleichartigen Ganzen. Dilemma: zweiteilige Annahme; logisch ein Schluß nach dem Schema: wenn A wäre, so müßte entweder B oder C sein, nun ist weder B noch C, also ist A nicht. — Das Altertum hat viel beachtete Dilemmen aufgestellt, Gedankenverknüpfungen, aus denen entgegengesetzte Folgen gleich notwendig und gleich unmöglich fließen. [Vgl. Lügner und Krokodilschluß]. In allgemeinerem Sinne bedeutet Dilemma eine schwierige Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Dilthey, W i l h e l m (1833—1911): Historiker der Philosophie und Forscher auf dem Gebiet der allgemeinen Geistesgeschichte. Sein Hauptwerk ist die „Einleitung in die Geisteswissenschaften", 1883. Es soll eine Kritik der historischen Vernunft geben. Sein Denken geht davon aus, dem Philosophieren die Erfahrung in ihrer Ganzheit zugrunde zu legen, wobei er unter „Erfahrung" das Erlebnis versteht. Die philosophische Theorie muß die ganze Wirklichkeit umfassen und ist daher der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit an Würde überlegen. Methodisches Nacherleben ist Verstehen. Wenn wir so in das Verständnis fremder Lebensäußerungen eindringen, tun wir es an der Hand

Dimension—Ding an sich

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gegebener kategorialer Bestimmungen, der Strukturen. Die „Strukturpsychologie" wird von Dilthey in scharfen Gegensatz gestellt zu der naturwissenschaftlichen Psychologie, die er Elementenpsychologie nennt, womit er vor allem die Assoziationspsychologie meint. Die Strukturpsychologie wird für D. zum Instrument der Geisteswissenschaften. Sie beschreibt innere Erfahrungen. Dimension: Ausmessung; räumliche Ausdehnung nach Länge, Breite, Höhe: den drei Dimensionen. Mathematisch hat man den Begriff einer n-fachen Dimension gebildet. Ding: Kategorie der gegenständlichen Wirklichkeit. Zum Dingbegriff gehört notwendigerweise der der „Eigenschaft". Es kann kein Ding geben ohne Eigenschaften, aber auch keine Eigenschaften, die in der körperlichen Wirklichkeit nicht Eigenschaften eines Dinges sein müßten. H e r b a r t findet einen Widerspruch in dem Verhältnis von Ding und Eigenschaften. Was ist ein Ding? Wir antworten durch Aufzählung der uns bekannten Eigenschaften. Aber „die Mehrheit der Eigenschaften verträgt sich schlechterdings nicht mit der Einheit des Gegenstandes". Wir erkennen nur die Eigenschaften, die das Ding h a t , nicht, was das Ding i s t ; das Ding selbst, der Besitzer jener Kennzeichen, bleibt unbekannt. H e r b a r t löst den Widerspruch auf durch seine Bearbeitung der Begriffe: es existiert eine Mehrheit von Realen (Dingen) mit je einer einfachen Eigenschaft, aus deren Zusammen der Schein des einen Dinges mit vielen Eigenschaften entsteht. Mach erklärt: „Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Z u s a m m e n h a n g e der Elemente, der Farben, Töne usw., außer den sogenannten Merkmalen." Das vielgestaltige vermeintliche philosophische Problem von dem e i n e n Ding mit seinen v i e l e n Merkmalen entsteht durch das Verkennen des Umstandes, daß übersichtliches Zusammenfassen und sorgfältiges Trennen nicht auf e i n m a l geübt werden können. V a i h i n g e r rechnet den Begriff des Dinges zu den Fiktionen. Ding an sich: Das D i n g an s i c h ist bei den empirischpsychologischen Philosophen jenes unbekannte Etwas, welches übrigbleibt, wenn man die sekundären und primären Qualitäten vom „Ding" abgezogen hat. Bei d ' A l e m b e r t heißt es: „wir können auch nicht einmal klar angeben, was unter der Natur eines Dinges an sich selbst zu verstehen sein soll". Kant gebraucht zunächst

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Ding an sich

vor allem noch in der „Dissertation" von 1770, aber noch gelegentlich in den älteren Partien der transzendentalen Ästhetik den Begriff des Dinges an sich im hergebrachten Sinn. Aber es gewinnt bei ihm einen neuen Inhalt. „Was versteht man denn", so fragt Kant, „wenn man von einem der Erkenntnis korrespondierenden, mithin davon unterschiedenen Gegenstand r e d e t ? " „Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = x gedacht werden müsse, weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegenübersetzen können". Der Gegenstand wird noch näher als bloßer „Grenz"begriff bestimmt. Erkenntnis eines Gegenstandes kommt nach Kant dadurch zustande, daß die synthetische Einheit der Kategorie das Mannigfaltige des Raumes und der Zeit zur Einheit des Objekts zusammenfaßt. Ein „Ding an sich", ein rein begriffliches Wesen in positivem Sinne, das unabhängig von der Erkenntnis irgendwie g e g e b e n wäre, anzunehmen ist sinnlos. Die Dinge heißen Erscheinungen (Phaenomena), weil sie von der Art der wissenschaftlichen Voraussetzungen abhängen, insbesondere von Raum und Zeit, in denen sie „erscheinen", und die so erst zu ihrer Erkenntnis verhelfen. Sie sind so ihrer Absolutheit entkleidet. Der Gedanke des Humeschen Empirismus, die Dinge seien zwar absolut gegeben, wir könnten aber nicht zu ihnen vordringen, hat Tür den kritischen Kant keine Bedeutung mehr. Ebenso aber ist mit der transzendentalen „Dialektik" die Position des dogmatischen Rationalismus überwunden, wonach, wie es noch 1770 bei Kant hieß, die Sinnlichkeit die Dinge erkennt, wie sie erscheinen, der Verstand „wie sie sind". Der Gedanke einer voraus, v o r der Erkenntnis und unabhängig von ihr gegebenen, absoluten „ W e l t " ist auf der Höhe der kritischen Philosophie überwunden; aus der Welt-„Substanz" ist die Welt-„Idee" geworden, die nicht mehr „konstitutive", sondern nur „regulative" Bedeutung hat, d. h. dazu dient, ins Unendliche (in indefinitum) die Erforschung der Naturerscheinungen zu vereinheitlichen. Gerade in dieser Hinsicht ist Kant als Kritiker der dogmatischen Metaphysik ein Erfolg beschieden gewesen, während die ihm folgenden Philosophen teils den Begriff des „Dinges" an sich vollends kritisch auflösten (Fichte), teils zu dem Gedanken einer Erkenntnis (materiell) an sich bestehender Dinge zurückkehrten, so-

Diogenes von Sinope—Disposition

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daß der dogmatische Empirismus heute noch unter den Einzelforschern zahlreiche Anhänger zählt. „Wenn die Klagen", sagt die Kritik der reinen Vernunft, „wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, soviel bedeuten sollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen . . . soll. Ins Innere der Natur dringt B e o b a c h t u n g und Z e r g l i e d e r u n g d e r E r s c h e i n u n g e n , und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde". (Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., S. 333.) Daneben entwickelt Kant den Gedanken, daß wir zwar die Dinge an sich nicht gegenständlich erkennen können, daß wir aber unserer selbst als des intelligiblen Charakters zugleich als eines Dinges an sich inne werden können. Hieran anknüpfend lehrt Schopenhauer das metaphysische Weltwirken als das hinter allen Erscheinungen stehende absolute Ding an sich. Diogenes von Sinope: Kynischer Philosoph (412—323 v. Chr.), setzte die Lehre des Antisthenes in die Praxis des Lebens um. Disintegration: bei H e r b e r t S p e n c e r der Prozeß der Zerteilung, Auflösung des Stoffes. [Vgl. Integration.] disjunkt: (geschieden) disjunkte Begriffe sind unterschiedene Artbegriffe bei demselben Gattungsbegriff: rechtwinkliges und schiefwinkliges Dreieck. Disjunktion: logische Entgegensetzung, disjunktiv: gegensätzlich, entgegengesetzt; in disjunktiven Urteilen werden einem Subjekt verschiedene, einander ausschließende Prädikate zugeordnet: eine ganze Zahl ist entweder gerade oder ungerade; oder es wird verschiedenen einander ausschließenden Subjekten dasselbe Prädikat zugeordnet: entweder der Kläger oder der Angeklagte hat gelogen. Ein disjunktiver Schluß enthält in seinem Obersatz ein disjunktives Urteil. Diskrepanz: Mißton, Unvereinbarkeit, Abweichung, diskursiv: (auseinanderlaufend) das Denken wird als diskursiv bezeichnet, weil es in einem Durchlaufen und Vereinigen der verschiedenen Vorstellungen besteht. Diskursiv bedeutet daher begrifflich: im Gegensatz zu anschaulich. disparat: getrennt, unvereinbar, disparat heißen Begriffe, die kein Merkmal gemein haben, wie z.B. Verstand—Tisch. Disposition: l o g i s c h : planmäßige Anordnung von Oe-

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Dissimilation—Dogmatismus

danken; p h y s i o l o g i s c h u n d p s y c h o l o g i s c h : ererbte oder erworbene Anlage, Fähigkeit; auch Gemütsstimmung, seelische Verfassung. Dissimilation: Auflösung, Abbau der lebendigen Substanz. Dissipation: Zerstreuung; physikalisch der Vorgang der Zerstreuung der Energie infolge der Tatsache r daß die im Weltall enthaltene Energie immer mehr in Wärme übergeht, die sich nach allen Seiten verbreitet und die Temperaturunterschiede ausgleicht. [Vgl. Entropie.] distinkt: unterschieden, deutlich. Division: Einteilung eines Begriffs in die ihm untergeordneten Artbegriffe; ein divisives Urteil verknüpft ein Subjekt mit verschiedenen Prädikaten, die aber den ganzen Umfang des Subjektsbegriffes umfassen müssen: Körper sind ihrem Aggregatzustande nach teils fest, teils flüssig, teils gasförmig. docta ignorantia: gelehrte Unwissenheit, Wissen des Nichtwissens. Ursprünglich Ausdruck der mystischen Theologie ( A u g u s t i n , D i o n y s i u s A r e o p a g i t a u.a.). Von N i k o l a u s C u s a n u s zur Bezeichnung seiner Lehre von der überrationalen, auf scharfsinnigen mathematischen Grenzbetrachtungen beruhenden Erkenntnis des Absoluten verwendet: „in der docta ignorantia umfassen wir das Unbegreifliche auf unbegreifliche Weise." Dogma: Lehrsatz; Annahme ohne Beweis; theologisch: Glaubenssatz. Dogmatisch ist ein Denken, das auf Erfahrungserkenntnis und Erfahrungsbeweise verzichtet und die Ableitung seiner Überzeugung von Glaubenssätzen für hinreichend beweiskräftig hält. Dogmatismus: das Verfahren, aus vorausgesetzten Grunasätzen streng methodisch Sätze abzuleiten, in erkenntnistheoretischem Sinne die unkritische Voraussetzung einer möglichen Erkenntnis der Dinge an sich. Der Dogmatiker glaubt, in den Begriffen und Grundsätzen a priori metaphysisches Wissen zu besitzen, aus reiner Vernunft das Obersinnliche erkennen zu können, indem er die Vernunftprinzipien für Beweise metaphysischer Sätze (von der Fortdauer der Seele nach dem Tode, von der Freiheit des Willens, vom Dasein Gottes) hält. Kant ist nach seinem eigenen Bericht erst durch die Lehre D a v i d H u m e s in seinem „dogmatischen Schlummer" unterbrochen worden, denn noch 1770 behauptete K a n t , daß die intellektuellen Begriffe „die innere und ab-

Doktrin—Dualismus

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solute Eigenschaft der Objekte ausdrücken", daß die intellektuelle Erkenntnis die Dinge vorstellt, „wie sie sind". Dieser Dogmatismus ist die „Anmaßung, mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen . . . allein fortzukommen. Dogmatismus ist also das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft o h n e v o r a n g e h e n d e K r i t i k i h r e s e i g e n e n V e r m ö g e n s " . Aber „die Kritik ist nicht dem d o g m a t i s c h e n V e r f a h r e n der Vernunft in ihrer reinen Erkenntnis als Wissenschaft entgegengesetzt" (denn diese muß jederzeit dogmatisch, d. i. aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend sein). Hier bedeutet also dogmatisch streng-systematisch, mithin schulgerecht (nicht populär). In diesem Sinne ist W o l f f der größte unter allen deutschen dogmatischen Philosophen. — Dogmatisch ist nicht nur der, der alles, auch Übersinnliches, beweisen will, sondern auch der, der alles Übersinnliche verneint, denn beide überschreiten die Grenzen aller menschlichen Einsicht. Doktrin: Lehre; die Doktrin der Urteilskraft untersucht die Möglichkeit der objektiven Gültigkeit der Begriffe und Grundsätze des Verstandes ( K a n t ) . Dominante: In der Naturphilosophie R e i n k e s bedeutet Dominante eine Oberkraft, die über den Energien steht und sie lenkt, aber selbst keine Energie ist; sie wirkt richtend, bestimmend auf die Naturkräfte ein, kann aber ohne diese nichts hervorbringen. Dominanten sind richtende Triebkräfte in Pflanze und Tier. Die Arbeitsdominanten „sind die verborgenen Chemiker der Zellen, wie die Gestaltungsdominanten die unsichtbaren Baumeister der Pflanzen und Tiere". Für die Soziologie unterscheidet v. Gölte Dominanten als oberste richtungbestimmende Ziele des Willens von Determinanten als Bedingungen der Verwirklichung. Doppel-Ich, Doppelbewußtsein: eine krankhafte Spaltung des Ich in zwei Persönlichkeiten, die in verschiedenen Perioden des Lebens ein verschiedenes, nicht durch Erinnerung verknüpftes Dasein führen. (Max Dessoir, Das Doppel-Ich.) Dualismus: Zweiheitslehre; allgemein eine Aufstellung zweier entgegengesetzter Prinzipien, wie gut und böse, Licht und Finsternis, Gott und Teufel u. a. Der metaphysische Dualismus P i a t o s stellt der vergänglichen Erscheinungswelt das Urbild der ewigen Ideenwelt gegenüber. A r i s t o t e l e s unterscheidet den Stoff, die Materie als das

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Dualität—Duns Scotus

bloß der Möglichkeit nach Seiende und die Form, das gestaltende Prinzip, das aus der Möglichkeit zur Verwirklichung führt; alles Wirkliche ist geformter, zweckvoll gestalteter Stoff. D e s c a r t e s ist der Hauptvertreter des modernen Dualismus durch seine Lehre von den beiden geschaffenen Substanzen: der res cogitans, der denkenden Substanz, der Seele, und der res extensa, der ausgedehnten Substanz, der Materie. Indem er zwischen der seelischen und der körperlichen Welt schroff unterscheidet und die ganze räumliche Natur als für sich bestehend ansieht, begründet er seine mechanische Naturauffassung, die auch die organische Natur, die Tierwelt, einschließt. In engerem Sinne dualistisch ist D e s c a r t e s ' Lehre von Leib und Seele. Im Menschen sind Leib und Seele, die an sich verschiedene Substanzen sind, durch Wechselwirkung in der Zirbeldrüse verknüpft. Nach K a n t gilt der Dualismus von Materie und Seele nur „im empirischen Verstände", d. h. im Zusammenhang der gesamten Erfahrung ist wirklich Materie dem äußeren Sinne (Raum) wie das denkende Ich vor dem inneren Sinne (Zeit) gegeben. Aber dieser Dualismus darf nicht die Erscheinung mit Dingen an sich gleichsetzen und so den erfahrungsmäßigen Dualismus in einen absoluten, metaphysischen verwandeln. [Vgl. Wechselwirkung.] (Vgl. A. Vierkandt, Der Dualismus im modernen Weltbild.) Dualität: Zweiheit, Zweigliederung. Dühring, E u g e n (1833—1921): Er nennt seine Philosophie Wirklichkeitsphilosophie. Sein Ausgangspunkt ist idealistisch: Zwischen den Oesetzen des Denkens und der Wirklichkeit besteht Identität. Später ist die Wirklichkeit, wie sie uns vorliegt, das allein Reale und schlechthin Vernünftige. Er lehnt Pessimismus und Egoismus ab und sieht in den sympathischen Instinkten der Menschen die Keime zur Moral. Eine Entwicklung der Einzelpersönlichkeit hält er erst in der freien Gesellschaft der Zukunft für möglich, wenn das Lohnsystem beseitigt und alle Menschen gleichberechtigte Glieder der menschlichen Gesellschaft sind. Gegen Dührings Philosophie wendet sich Friedrich Engels mit seiner Schrift „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft". Duns Scotus (1270—1308): scholastischer Philosoph, Gegner von Thomas von Aquino. Während Glauben und Wissen sich bei Thomas ergänzen, stehen sie bei Duns im Ge-

Dynamik—Egoismus

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gensatz. Er nimmt den Primat des Willens an: voluntas est superior intellectu. Die Vorstellung ist Dienerin des Willens. Der Wille steht zwar in Verbindung mit den Trieben, er vermag sich jedoch über sie zu erheben. Er steht außerhalb der kausalen Verbindungen, und Lust und Unlust zwingen ihn nicht. Sogar der göttliche Wille vermag ihn nicht zu nötigen. Wäre der Wille abhängig, dann gäbe es keine Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. Das Gute ist nicht deshalb gut, weil Gott es gebietet, sondern Gott gebietet es, weil es gut ist. Der menschliche Wille bestimmt grundsätzlich, was gut ist. Das Dasein Gottes ist nicht aus Begriffen, sondern aus seinen Werken zu beweisen. Gottes Wille ist die Urtatsache. Dynamik: die Lehre von der Bewegung mit besonderer Berücksichtigung der Kräfte, die die Bewegung hervorrufen. Begründer der Dynamik ist G a l i l e i . dynamisch: kraftartig, auf Kräften beruhend. Die dynamische Weltanschauung sieht in den Kräften das Wesen der Welt. So L e i b n i z , der den Kraftbegriff nicht nur seiner dynamischen Physik zugrunde legt, sondern ihn auch metaphysisch verwertet, indem er als Substanzen die Kräfte, krafterfüllte Einheiten hinstellt, die Monaden, seelische, unräumliche Krafteinheiten. Einen physikalischen Dynanismus begründete B o s c o v i c h (1711—1787), der die Materie aus punktuellen Zentren aufgebaut denkt, zwischen denen anziehende und abstoßende Kräfte wirken. Diese Punktatome selbst sind ausdehnungslos, das Wesen der Substanz besteht in Kräften. Auch K a n t entwickelt eine ähnliche dynamische Theorie der Materie in seinen „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft", 1786. Ebenso ist für S e h e H i n g Materie lediglich ein Verhältnis von Kräften. Ein einflußreicher Vertreter des Dynamismus in der neuesten Zeit ist Henry Bergson. [Vgl. Atom.] Dysteleologie: Unzweckmäßigkeitslehre. H a e c k e l weist daraut hin, daß in fast allen höheren Organismen sich auch zwecklose Körperteile finden, verkümmerte, entartete, rudimentäre Organe. e: Bezeichnung des allgemein verneinendes Urteils; hergenommen von nego, o teilweise verneinend. Ectypus: Abbild. Egoismus: Rückbeziehung aller Werte usw. auf das Ich, das eigene Selbst. Ethisch: Selbstsucht, eigennützige Gesinnung, die nur das eigene Wohl zum Ziele hat. Nach

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egozentrisch— Einfühlung

H o b b e s ist der Mensch im Naturzustande ein durchaus selbstsüchtiges Wesen, so daß ein „Krieg aller gegen alle" die Folge ist. „Ein Mensch ist dem Menschen ein Wolf". Aber der Selbsterhaltungstrieb führt dann allmählich zur Bildung des Staates, der Allmacht b e s i t z t . S c h o p e n h a u e r : „Die Haupt- und Grundtriebfeder im Menschen wie im Tier ist der Egoismus, d. h. der Drang zum Dasein und Wohlsein." S t i r n er vertritt in seinem Werk „Der Einzige und sein Eigentum" einen unbeschränkten Egoismus: nicht „der Mensch" als Gattung, sondern I c h bin das Maß aller Dinge. — Der theoretische, erkenntnistheoretische Egoismus ist ein Solipsismus, der nur das erkennende Ich für allein wirklich hält. egozentrisch ist ein Mensch eingestellt, der alles auf sich als Mittelpunkt bezieht und alles von sich aus betrachtet. eidetisch: auf die „Form", d. h. auf das Wesen, die „ideale Bedeutung" bezüglich ( H u s s e r l ) ; eidetische Wissenschaften sind „Wesenswissenschaften", die es nicht mit Tatsachen und Wirklichkeiten, sondern mit Wesenerkenntnis des Bewußtseins zu tun haben. [Vgl. Phänomenologie.] — Psychologisch ist die eidetische Anlage die Fähigkeit, Sinneseindrücke nach Aufhören der Reize deutlich als subjektive Anschauungsbilder wiederzuerleben. Individuen mit der Fähigkeit solcher „Anschauung" heißen Eidetiker. Die Eidetik ist besonders von E. R. J a e n s c h erforscht worden. Eidolologie: Bilderlehre, H e r b a r t s Bezeichnung für den Teil der Metaphysik, der die Vorstellungen, die geistigen Erscheinungen erklärt: „in der Eidolologie soll Rechenschaft gegeben werden von der Möglichkeit des Wissens." Eidos: die Idee als Gestalt, Form, das objektive Weltprinzip P i a t o s ; bei A r i s t o t e l e s die Form als Wesenheit der Substanz. [Vgl. Idee, Form.] Einbildungskraft: die Fähigkeit, gehabte Erlebnisse umzugestalten und schöpferisch Neues sinnvoll zu bilden. — K a n t nennt Einbildungskraft das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Von diesem psychologischen ist der erkenntnistheoretische Begriff der produktiven Einbildungskraft zu unterscheiden, die als synthetische Einheitsfunlction das Mannigfaltige der Anschauung zur anschaulichen Vereinigung bringt. Einfühlung: allgemein die Fähigkeit, sich in das Seelenleben anderer hineinzuversetzen und mitzufühlen. In je-

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Einheit—Ekstase

des O b j e k t kann sich das Ich nach L i p p s einfühlen, indem es alles mit seinen Strebungen, Kräften, Stimmungen erfüllt und sich in der Außenwelt spiegelt. Auf dieser Einfühlung beruht nach Lipps die ästhetische Wertung. Einheit: 1. im Sinne des numerisch Einen das Einzelne der Zahl nach; 2. die Zusammenfassung einer Mehrheit zur Einheit. Die „Einheit des Bewußtseins" als synthetische Einheit der Apperzeption ist die Bedingung der Einheit der Erfahrung (Kant). Einstein: A l b e r t (geb. 1879), Physiker, behauptet eine Relativität der Bewegungen für den Spezialfall der geradlinigen und gleichförmigen B e w e g u n g : Der Bewegungsbegriff hat nur relativ zu einem materiellen Bezugskörper einen physikalischen Sinn. Die Feststellung der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse an verschiedenen Orten führt zu verschiedenen Resultaten, wenn sie von Körpern vorgenommen wird, die sich zueinander b e w e g e n ; die Feststellung iit abhängig vom Bewegungszustande des Menschen. Die Dauer eines Ereignisses ist keine absolute G r ö ß e , sondern ebenfalls abhängig vom Bewegungszustande des Bezugskörpers, von dem aus sie gemessen wird. Die Masse ist relativ; sie hängt von der Geschwindigkeit ab. — W e r k e : Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, 1917. — Äther und Relativitätstheorie. 1920. — Geometrie und Erfahrung, 1921. Einteilung: logische Einteilung eines Begriffs besteht in der Aufführung der Arten, die ihm als Gattungsbegriff untergeordnet sind-. Das Merkmal, das der Einteilung zugrunde gelegt wird, heißt der Einteilungsgrund. Die Einteilung muß auf einem einzigen Einteilungsgrunde beruhen. S o kann man die Menschen nach der Hautfarbe oder nach einem anderen Merkmale einteilen. Eklektizismus: das Verfahren, sich durch Auswahl von Gedanken aus verschiedenen früheren Systemen ein eigenes zu bilden. Eklektiker im Altertum besonders C i c e r o , in der Neuzeit deutsche Philosophen im 18. Jahrhundert, die die strenge Methode W o l f f s verschmähen, wie C r u s i u s , F e d e r u. a. E k s t a s e : das Außer-sich-sein, das Entrücktsein; bei P h i l o n (im 1. Jahrh. n. Chr.) das gänzliche Aufgehen in Gott, die mystische Vereinigung mit dem göttlichen Wesen unter Hingabe der Individualität; bei P l o t i n (im 3. Jahrh. n. Chr.) die höchste Seligkeit der außerbewußten VerA p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Eleaten—Element

zückung im Einswerden mit der G o t t h e i t ; ein Schauen Gottes ähnlich bei den deutschen Mystikern, wie E c k h a r t , S u s o , T a u l e r , J a k o b B ö h m e u. a. Eleaten: eine griechische Philosophenschule, die ihren Sitz in Elea (Unter-Italien) hatte. Sie lehrten die Einheit und Unveränderlichkeit des Seins g e g e n ü b e r dem ewigen W e r d e n der Welt nach Heraklit. Das Sein ist und das Nicht-Sein bzw. das W e r d e n ist nicht. Das Denken, nicht die sinnliche Anschauung führt zur Erkenntnis der Dinge. Z u den Eleaten zählen Xenophanes, Parmenides, Z e n o aus Elea und Melissos aus Samos. Elektra: N a m e eines bekannten antiken Fangschlusses: f r a g t man Elektra, o b sie den fern von ihr h e r a n g e w a c h senen Bruder, der jetzt verhüllt als F r e m d e r vor ihr steht, kennt, so ist sowohl ihre B e j a h u n g als auch ihre Verneinung dieser F r a g e unrichtig, denn sie kennt ihn nicht, weil sie nicht weiß, daß der neben ihr Stehende Orestes ist; sie kennt ihn,.weil er als Orestes, ihr Bruder, ihr vertraut ist (ein leeres Wortspiel mit der Zweideutigkeit des Kennens). Element: die letzten, nicht weiter zerlegbaren Bestandteile der körperlichen Dinge. Als Begründer der Elementenlehre gilt E m p e d o k l e s (im 5. Jahrh. v . C h r . ) , der alle zusammengesetzten Dinge auf vier „Wurzeln", die später s o g e n a n n t e n vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser, Erde, zur ü c k f ü h r e n wollte, durch deren V e r b i n d u n g nach bestimmten Proportionen alle Dinge entstehen. Später kam bei den P y t h a g o r e e r n und bei A r i s t o t e l e s als f ü n f t e s Element, als quinta essentia, der Äther hinzu. In der C h e m i e der G e g e n w a r t k o m m t man auf 92 Elemente als G r u n d s t o f f e , die im Periodischen System ( M e y e r , M e n d e l e j e f f 1869) nach ihrer inneren V e r w a n d t s c h a f t im System der Elemente g e o r d n e t erscheinen. Schon der englische Arzt P r o u t machte 1815 die H y p o t h e s e , daß alle Elemente aus Wasserstoff als dem Urelement a u f g e b a u t seien. H e u t e ist man dieser F r a g e nach der Einheit des Stoffes wieder näherg e k o m m e n in dem Problem des elektrischen A u f b a u s der Materie. — Auch die Psychologie sucht das g e g e b e n e einheitliche Seelenleben in seine Elemente, in elementare Prozesse und einfachste seelische Gebilde zu zerlegen, etwa in Vorstellungen, G e f ü h l e , Willensakte. W u n d t : der Tatsache, daß die unmittelbare E r f a h r u n g zwei F a k t o r e n enthält, einen objektiven Erfahrungsinhalt und das e r f a h r e n d e

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Elenchus—Empedokles

Subjekt, entsprechen zwei Arten psychischer Elemente, die sich als P r o d u k t e der psychologischen Analyse e r g e b e n : Empfindungselemente und Gefühlselemente. — Nach M a c h bestehen Körperwelt und Ich, Materie und Seele aus Elementen, d. h. letzten Bestandteilen, die sich bisher nicht weiter zerlegen ließen: Farben, T ö n e , W ä r m e , Druck, Räume, Zeiten usw., an die Stimmungen, G e f ü h l e und Wille gebunden sind. „Nicht die Körper erzeugen E m p f i n d u n g e n , sondern E l e m e n t e n k o m p l e x e ( E m p f i n d u n g s k o m p l e x e ) bilden die Körper." Das Ich ist ebenso wie der Körper nur eine praktische Einheit von nur relativer Beständigkeit, da seine Elemente sich ständig langsam ändern. Elenchus: Widerlegung, G e g e n b e w e i s ; ignoratio elenchi: Unkenntnis des Widerspruchs zwischen zwei B e h a u p t u n g e n . E m a n a t i o n : Ausfluß; P l o t i n (205—270 n. Chr.) läßt die Welt aus dem Einen, der Gottheit, in der Art einer Emanation, eines Überquellens, einer Ausstrahlung in den Abs t u f u n g e n Geist, Seele, Körper h e r v o r g e h e n . E m o t i o n : G e m ü t s b e w e g u n g , Affekt. e m o t i o n a l : g e f ü h l s m ä ß i g , dem Gefühl, dem A f f e k t zugehörig. H e i n r i c h M a i e r stellt neben das e r k e n n e n d e , urteilende (kognitive) D e n k e n ein nichterkennendes, aus dem Gefühls- und Willensleben h e r v o r g e h e n d e s D e n k e n : das emotionale D e n k e n , bei dem ein affektives und ein volitives Denken zu unterscheiden ist. Das affektive Denken ist im ästhetischen Vorstellen und religiösen Glauben wirksam, das volitive D e n k e n hat es mit Begehrungsvorstellurlgen in Recht, Sitte, Ethik zu tun. Die emotionalen D e n k t u n k t i o n e n stellen sich als die zweite G r u n d f o r m neben das Urteil. Die G e g e n s t ä n d e der emotionalen D e n k funktionen sind durch Begehrungssätze (Wunsch-, Willensund G e b o t s ä t z e ) bezeichnet, die vom Urteil grundsätzlich verschieden sind. Das G e l t u n g s b e w u ß t s e i n bei den Urteilen ist das W a h r h e i t s b e w u ß t s e i n ; emotionale G e l t u n g ist nicht Wahrheit, aber doch logische Notwendigkeit. Nur der kognitiven Geltung, der Wahrheit der Urteilsfunktionen, korrespondiert d u r c h w e g ein wirkliches Sein der O b jekte. Dem kognitiv-realen Sein steht g e g e n ü b e r das emotional-imaginative, das Seinsollen der B e g e h r u n g s o b j e k t e und das eingebildete oder geglaubte. E m p e d o k l e s : (490—430 v . C h r . ) griechischer Philosoph und Arzt aus Agrigent. Verneint Entstehen und V e r g e h e n der Substanz, f ü h r t jede V e r ä n d e r u n g auf Mischung und 6*

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Empfindung—Empirismus

Entmischung zurück. Begründer der Elementenlehre. Annahme von unveränderlichen, unentstandenen und unvergänglichen Urstoffen, der vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser, Erde, die durch Liebe und Haß verbunden und getrennt werden. — Empedokles ist als Mystiker Anhänger des orphisch-pythagoreischen Seelenwanderungsglaubens. [Vgl. Element.] Empfindung: früher auch in der Bedeutung von Oefühl gebraucht, jetzt die durch Analyse sich ergebenden einfachsten Bestandteile der Sinneswahrnehmung: die Sinnesempfindungen des Gesichts, des Gehörs, der Temperatur, des Drucks, des Geruchs, dazu die (unästhetischen Empfindungen (Empfindungen von Lage, Bewegung der Gliedmaßen, von Widerstand und Anstrengung), der statische oder Gleichgewichtssinn im Ohr (Bogengänge und Otolithensäckchen), Organempfindungen (Hunger, Durst, Sättigung, Behagen, Unbehagen u. a.). Die Empfindungen oder Sinnesqualitäten werden als subjektiv angesehen (vgl. Qualität). Auch Räume und Zeiten werden von einigen zu den Empfindungen gerechnet, wie Farben oder Töne. Dinge, Körper, Materie sind nach M a c h Zusammenhänge von Empfindungen (Empfindungskomplexe). Empirie: Erfahrung. Empiriker: ein Forscher, der sich einseitig auf Beobachtung und Erfahrung stützt. Empiriokritizismus: eine von R i c h a r d A v e n a r i u s (1843—1896) begründete „Philosophie der reinen Erfahrung", die alle metaphysischen und apriorischen Bestandteile aus dem Erkennen ausscheiden und so eine „reine" Erfahrung herstellen will. Hauptwerke: Kritik der reinen Erfahrung, 1888—1891, und einfacher: Der menschliche Weltbegriff, 1891. empirisch: erfahrungsgemäß, auf Erfahrung beruhend. Empirische Begriffe, Anschauungen, Erkenntnisse sind auf Grund der Erfahrung gebildet. Empirismus: Erfahrungsphilosophie, eine philosophische Richtung der Erkenntnistheorie, die alle Erkenntnis auf Erfahrung zurückführt. So nahmen schon die Stoiker an, daß die Seele bei der Geburt einer unbeschriebenen Wachstafel zu vergleichen sei, in die sich die Außendinge abdrücken und so Vorstellungen bewirken. Auch die Epikureer lassen alle Erkenntnis aus sinnlichen Wahrnehmungen hervorgehen. In der Neuzeit sind vor allem die eng-

empiristisch—Energetik

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lischen Denker Empiristen: B a c o n , L o c k e , B e r k e l e y , H u m e , J. St. Mill. L o c k e mit seinem Werke „Ein Versuch über den menschlichen Verstand", 1690, kann als Hauptvertreter des Empirismus gelten: das gesamte Material für alles Denken und Erkennen stammt danach aus der Erfahrung, und zwar aus der äußeren Erfahrung, der Sensation, und der inneren Erfahrung, der Reflexion. „Alle jene erhabenen Gedanken, die über die Wolken emporragen und bis an den Himmel selbst dringen, haben hier ihren Ursprung und ihre Grundlage", in der Sinneswahrnehmung und der Wahrnehmung der geistigen Tätigkeiten. Freilich muß das aus den Wahrnehmungen gewonnene Material durch den Verstand bearbeitet werden. K a n t beginnt die 2. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft", 1787, mit den Worten: „Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel." Und auch mit den Begriffen a priori kann die Vernunft niemals über das Feld möglicher Erfahrung hinauskommen. Alle Erkenntnis des Wirklichen muß mit Wahrnehmungen zusammenhängen. [Vgl. Erfahrung.] empiristisch: Denkweise und Methode, die nur das auf Erfahrung gegründete Denken gelten lassen wollen. Endursache: eine Ursache, die ein Ziel eines Vorganges vorwegnimmt und durch die Richtung auf dieses Ziel hin wirkt. In der Eichel ist die Gestalt der Eiche nach dieser Denkweise schon enthalten, und sie wirkt in dem Wachstum des Baumes ursächlich auf das Ziel der Verwirklichung der Eiche hin. Energetik: zunächst „eine wissenschaftliche Gesamtauffassung, nach welcher der physikalische Begriff der Energie als derjenige angesehen wird, welcher zur Zeit die erfolgreichste und exakteste Zusammenfassung der physikalisch-chemischen Tatsachen und Gesetze gestattet" ( O s t w a l d ) . Das mechanistische Weltbild, das alle Naturgesetze auf Bewegungsgesetze von dinglichen Elementen zurückführen will, soll ersetzt werden durch ein energetisches Weltbild: alles Geschehen in der Welt besteht darin, daß die Energie aus einer Form in eine andere übergeht; Materie ist „nichts als eine räumlich zusammengeordnete Gruppe verschiedener Energien". Die Energie ist also die wahre Substanz, die allem zugrunde liegt. Dieses energetische Weltbild wird bei O s t w a l d zu einer energetischen

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Energie—Energie, spezifische

Weltanschauung erweitert: auch das Geistige und Kulturelle wird unter dem Gesichtspunkte der Energie behandelt. Der energetische Imperativ lautet: Vergeude keine Energie, sondern verwerte sie! Energie: bei A r i s t o t e l e s die Verwirklichung, die verwirklichende Kraft im Gegensatz zur bloßen Möglichkeit des Stoffes. — Den physikalischen Begriff der Energie hatte in einem auf die Mechanik eingeschränkten Sinne schon L e i b n i z entwickelt: bei allen rein mechanischen Vorgängen bleibt die Summe der lebendigen Kraft (der kinetischen Energie) und der Energie der Lage (der potentiellen Energie) konstant. Aber dieses mechanische Prinzip der lebendigen Kraft läßt sich zu einem im ganzen Bereiche der physikalischen und chemischen V o r g ä n g e gültigen Gesetz erweitern: dem Prinzip der Erhaltung der Energie. Der schwäbische Arzt J u l i u s R o b e r t M a y e r erkannte zuerst 1842, daß mechanische Arbeit, die anscheinend bei bestimmten P r o z e s s e n verloren geht, in Wirklichkeit in einer entsprechenden Menge von W ä r m e , die erzeugt wird, erhalten bleibt, und berechnete das mechanische Wärmeäquivalent, d . h . d i e Anzahl Arbeitseinheiten, die einer Wärmeeinheit (Kalorie) gleichwertig ist (nach späteren Ermittelungen ist 1 kcal = etwa 427 m k g ) . 1845 entwickelte Mayer in einer zweiten Schrift das allgemeine Prinzip: in der gesamten Natur ist ein gewisser Arbeitsvorrat vorhanden, der zum Teil in kinetischer, zum Teil in potentieller Energie besteht, aber als Gesamtenergie unverändert bleibt. „ E s gibt in Wahrheit nur eine einzige Kraft. In ewigem Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur; dort und hier kein Vorgang ohne Formänderung der Kraft." Da der Kraftbegriff schon in der Mechanik als Produkt von Masse und Beschleunigung festgelegt ist, führte R a n k i n e die Bezeichnung Energie ein. Energieformen sind Wärme, Licht, Elektrizität, chemische Verwandtschaft, Elastizität, mechanische Energie, die sich ineinander umwandeln. Energie, spezifische: jedes Sinnesorgan hat eine spezifische, ihm eigentümliche Art und Weise, auf Reize zu antworten. Der Sehnerv kann gereizt werden durch Ätherwellen, galvanischen Strom, D r u c k ; auf alle diese so verschiedenen Reize folgt eine Lichtempfindung. Die Empfindung ist also kein Abbild des objektiven Reizes, sondern eine rein subjektive Beantwortung des Reizes. Dieser

Energismus—Entelechie

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Satz wurde zuerst von J o h a n n e s M ü l l e r (1801—1858) aufgestellt; seine Deutung ist umstritten. Energismus: nach P a u l s e n die ethische Anschauung, die das höchste Ziel menschlichen Strebens in eine objektive Lebensgestaltung und Lebensbetätigung setzt: auf die Entwicklung und Betätigung der geistig-sittlichen Lebenskräfte ist der menschliche Wille seinem Wesen nach gerichtet. Enge des Bewußtseins: das Bewußtsein ist nur imstande, eine begrenzte Zahl von Vorstellungen gleichzeitig zu umfassen. Nach H e r b a r t können sich wegen der „Enge des Bewußtseins" immer nur sehr wenige Vorstellungen über der „Schwelle des Bewußtseins" befinden. Engels, F r i e d r i c h (1820—1895), wissenschaftlicher Theoretiker und Praktiker der Arbeiterbewegung, mit dem zusammen K a r l M a r x den d i a l e k t i s c h e n M a t e r i a l i s m u s begründete. Er dehnte die dialektische Betrachtung der Natur auf die Erforschung der oekonomischen und sozialen Geschichte aus und deckte Entwicklungsgesetze der Oesellschaft, insbesondere der modernen kapitalistischen Gesellschaft, auf. „Der große Grundgedanke, daß die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen Dinge nicht minder wie ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen." Karl Marx verfaßt mit ihm das „Kommunistische Manifest" (1848): „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen". — Werke: Die Lage der arbeitenden Klassen in England, 1845. — Kommunistisches Manifest, 1848. — Herrn E. Dührings Umwälzung der Wissenschaft, 4. Auflage, 1901. — Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, 1867. — Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, 8. Auflage, 1900. — Die Entwicklung des Socialismus von der Utopie zur Wissenschaft, 4. Auflage, 1891. [Vgl. Materialismus.] ens: das Seiende, Wesen; ens summum, perfectissimum. realissimum, das höchste, vollkommenste, allerrealste Wesen = Gott und ens a se = Gott; ens ab alio = alles, was erschaffen ist (in der Scholastik). Entelechie: bei A r i s t o t e l e s die zweckverwirklichende Kraft, Tätigkeit; so ist die Seele die Entelechie, das ge-

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Enthymem—Epagoge

staltende Prinzip des Leibes. D r i e s c h hat den aristotelischen Ausdruck wieder aufgenommen: die formbildenden Prozesse des Lebens sollen danach physikalisch nicht voll erklärbar, sondern durch einen unräumlichen Faktor, die Entelechie, bedingt sein. Dieser teleologisch wirkende Naturtaktor bezieht sich auf den Raum und gehört daher zur Natur; aber Entelechie ist nicht im Räume, sie wirkt nicht im Räume, sie wirkt in den Raum hinein. Enthymem: eine „im Geiste" festgehaltene Erkenntnis, die als Prämisse vorausgesetzt, aber nicht ausgesprochen ist; ein verkürzter Schluß: alle körperlichen Substanzen sind ausgedehnt, folglich zusammengesetzt. Hier ist der Obersatz „alles Ausgedehnte ist zusammengesetzt" ausgelassen. Entität: Wesenheit. Entropie: (Verwandlung) von C l a u s i u s 1865 in der Physik zur Bezeichnung eines von ihm entdeckten Naturverhaltens gebraucht. Während der erste Hauptsatz der Wärmetheorie besagt, daß niemals Schöpfung oder Vernichtung, sondern nur Umwandlung von Energie möglich ist, beschränkt der zweite Hauptsatz diese Umwandlung aut eine bestimmte 'Richtung: es gibt keine vollständig umkehrbaren (reversiblen) Vorgänge; es lassen sich wohl alle Energiearten in Wärme, aber nicht umgekehrt ohne weiteres Wärme in andere Energien umwandeln. So läßt sich die mechanische Arbeit der Reibung in Wärme, aber nicht umgekehrt-ohne weiteres Wärme in mechanische Arbeit überführen. Die Natur bevorzugt eine Richtung der Vorgänge: bei jeder Umsetzung von Energien geht ein Teil in Wärme über, die sich durch Temperaturausgleich im Räume zerstreut. So kommt C l a u s i u s zu dem Schlüsse, daß die Welt sich immer mehr einem Zustande völliger Temperaturgleichheit, dem Wärmetod, nähert. Entwicklung: siehe Evolution. Enzyklopädie: den ganzen Kreis der Bildung umfassende Unterweisung; ein Hauptwerk der französischen Aufklärung ist die von D i d e r o t und d ' A l e m b e r t 1751—1780 in 35 Bänden herausgegebene „Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Gewerbe". Zu den Enzyklopädisten zählen weiter: V o l t a i r e , T u r g o t , H o l b a c h , G r i m m und antangs auch R o u s s e a u . Epagoge: der Fortgang vom Einzelnen zum Allgemeinen, das logische Verfahren der Induktion.

Epigénesis— Epikur

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Epigénesis: die im Gegensatz zur Präformationstheorie von dem deutschen Naturforscher K a s p a r F r i e d r i c h W o l f f 1759 aufgestellte Theorie, daß ein Lebewesen durch Neubildung der im Keime nur als Anlage vorhandenen Organe entsteht. In übertragenem Sinne spricht K a n t von einem „System der Epigenesis der reinen Vernunft: daß nämlich die Kategorien von Seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten. Epiktet (um 50—138 n. Chr.): Sklave, dann Freigelassener. Er lebte als Lehrer der stoischen Philosophie in Rom und Nikopolis in Epirus. Werke: 7 Bücher „Unterhaltungen" von Arrian veröffentlicht und das „Handbüchlein". Er ist Sittenprediger im Geiste des Seneca. In volkstümlich packender Sprache predigt er Seelenreinheit und Mäßigkeit, Bruderliebe und Sanftmut, Barmherzigkeit und Geduld. Er verbietet Ehebruch und Schwören. Familie und Staat treten bei ihm zurück. Er kennt jedoch im Gegensatz zum Neuen Testament keine Offenbarung, sondern die Grundlage seiner Ethik ist die Vernunft. Von besonderer Bedeutung ist seine Unterscheidung von dem, was bei uns steht und was nicht bei uns steht. Jenes macht uns den tapferen Gebrauch der Freiheit unseres Willens zur Pflicht; während wir mit Würde tragen müssen, was nicht bei uns steht. Herakles, Sokrates und Diogenes werden bei ihm nach der Art der Stoa zu idealisierten Musterbildern. An eine Unsterblichkeit der Seele hat Epiktet im Gegensatz zu Seneca nicht geglaubt. Physik und Logik treten ganz zurück bei ihm. Epikur (341—270 v. Chr.): Er übernimmt das Sensualistische von Demokrit, läßt jedoch das Mathematische beiseite. Die sinnliche Wahrnehmung ist Maßstab der Wahrheit und Quelle der Vernunft. „Von Ewigkeit an existieren die Atome und der leere Raum" — nicht als Gedankendinge wie bei Demokrit. Epikur betont ihre Wirklichkeit. In der Ethik ist er Egoist. Sein Ideal ist die Gemütsstille, ein heiteres friedlich-stilles Leben. Ausgangspunkt ist die bleibende, nicht die augenblickliche Lust des Einzelnen. Die geistige Lust ist höher zu schätzen als die des Fleisches. Das höchste Gut ist die Einsicht («ppóvrio-is). Sie wertet die Lust. Sein Ideal des Weisen ähnelt dem stoischen. Epikur hat persönlich ein musterhaftes Leben geführt. Er ist zu Unrecht in den Ruf gekommen, Sinnenge-

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Epochs—Erfahrung

nuß gepredigt zu haben. Es fehlt bei ihm der Gedanke, daß der Einzelne sich dem Allgemeinen unterzuordnen habe. Bekannt ist sein Spruch: Lebe im Verborgenen! Für die edle Gesinnung Epikurs spricht, daß er Milde gegen die Sklaven und Wohlwollen gegen alle Menschen empfiehlt. Mit Epiktet teilt er die Abneigung gegen Eheschließung und Familie. Epoche: die Zurückhaltung des Urteils (skeptisches Verhalten) ; Grundbegriff der antiken Stoa und in der neueren Philosophie in der Phänomenologie H u s s e r l s . Erfahrung: das Auffassen von äußeren und inneren Vorgängen als wirklicher Geschehnisse. Grundbegriff des Empirismus. So fragt L o c k e : „woher hat der Geist das gesamte Material für sein Denken und Erkennen?" und antwortet „mit einem einzigen Wort: aus der Erfahrung". Unsere Beobachtung, die entweder auf äußere, sinnliche Objekte oder auf innere Bewußtseinsvorgänge gerichtet ist, liefert dem Verstände das gesamte Material des Denkens. Diese beiden Quellen der Erkenntnis werden Sensation (äußere Wahrnehmung) und Reflexion (innere Wahrnehmung) benannt. Aus der Erfahrung erwächst alles Erkennen und bleibt im Bereiche der Erfahrung eingeschlossen. K a n t hebt gleich am Beginne der „Kritik der reinen Vernunft" die Bedeutung der Erfahrung für die Erkenntnis hervor: „daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel", „der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle an". Aber die Erfahrungserkenntnis ist nicht ein bloßes Zusammensein und Ablaufen von Wahrnehmungen im Subjekt, sondern eine objektive Vereinigung, eine Beziehung der Wahrnehmungen auf ein Objekt. Begriffe a priori (Kategorien) und Grundsätze a priori erweisen sich als die Bedingungen aller möglichen Erfahrung; der Verstand ist so „Urheber der Erfahrung", d. h. ein Apriori liegt der Erfahrungserkenntnis zugrunde. Erfahrung enthält zwei sehr ungleichartige Elemente, „nämlich eine Materie zur Erkenntnis aus den Sinnen und eine gewisse Form, sie zu ordnen aus dem inneren Quell des reinen Anschauens und Denkens". Die reinen Verstandesbegriffe aber dienen dazu, „Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können", d. h. aus subjektiven Wahrnehmungen objektive Erkenntnis zu machen. In dieser Leistung des Verstandes liegt zugleich die Be-

Erfahrungsurteil—Eriugena

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grenzung des Erkennens auf den Bereich der Erfahrung: eine theoretische Erkenntnis des Übersinnlichen, der Dinge an sich, ist unmöglich, denn es fehlt die Beziehung auf G e g e b e n e s : „die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unseren Erkenntnissen a priori objektive Realität g i b t " . — Die Philosophie der „reinen Erfahrung" will alle Zutaten des Denkens ausmerzen und so den „natürlichen W e l t b e g r i f f " herstellen. So der Empiriokritizismus von Avenarius. Erfahrungsurteil: ein auf Erfahrung begründetes Urteil (Zucker schmeckt süß) im Unterschied von begrifflichen Urteilen oder Urteilen über Phantasiegebilde (Die Chimäre besteht aus Löwe, Ziege und Drachen). An der Unterscheidung von Wahrnehmungsurteil und Erfahrungsurteil erläutert K a n t in den Prolegomenen den Kern seiner Erkenntnislehre. Wahrnehmungsurteile sind Aussagen über Wahrnehmungen, subjektiv gültig, beziehen sich auf einen Zustand des wahrnehmenden S u b j e k t s ; Erfahrungsurteile sind durch den Verstand objektivierte, zur gegenständlichen Erkenntnis verknüpfte Wahrnehmungen von o b j e k tiver, allgemeiner, notwendiger Gültigkeit, beziehen sich auf ein „Bewußtsein überhaupt", d. h. drücken einen von allem Subjektiven befreiten Sachverhalt aus. Erinnerung: das Wiederauftreten früher dagewesener Erlebnisinhalte mit dem Bewußtsein ihres früheren Erlebtseins. E r i s t i k : Streitkunst, wissenschaftlich ausgebildet als Disputierkunst bei den Megarikern, einer sokratischen Schule. Berühmt waren die „Fangschlüsse" dieser „Eristiker". [Vgl. acervus, cornutus, Elektra, der Lügner, Sorites.] Eriugena, J o h a n n e s (810—877j. Hauptwerk: de divisione naturae, ein naturphilosophisches W e r k , das von großer Kühnheit des Denkens Zeugnis ablegt. Wahre Autorität und Vernunft stehen einander nicht entgegen. Wahre Autorität ist nichts anderes als die durch die Vernunft entdeckte Wahrheit. Wenn die heilige Schrift Gottes W o r t ist, kann sie nichts enthalten, was der Vernunft widerspricht. Als Neuplatoniker hält er alles Denken für ein Erzeugen. Er hält zwar am bestehenden Gott fest; andererseits ist ihm das absolute göttliche Sein als Erzeugnis des Denkens Endziel der Erkenntnis. Gott bedeutet als Ursein den Begriff der Vernunft selbst, das absolute Apriori aller Erkenntnis, ohne das ein Erkennen des Seins unmöglich ist. Indem die Welt wird, wird Gott selbst. Er erschafft

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Erkenntnistheorie

sich in der Schöpfung selbst. D i e menschliche Vernunft denkt die schon vorgedachten Gedanken Gottes nach. In dieser F o r m erkennen wir die platonische Anamnesis wieder. Eriugenas Vorstellungen von Hölle und Paradies sind geklärter, geistig-sittlicher Art. W o wird Judas gequält werden? In seinem Gewissen. Alle Wesen streben zu Gott. Dies Streben nennt Eriugena die Rückkehr aller Dinge zu G o t t , gleichsam eine rückläufige Schöpfung. Im Allgemeinmenschlichen und im Allgemeinvernünftigen spricht sich die Idee der Menschheit aus. „Kein Mensch ist mehr Mensch als ein anderer". Auch die Anfänge jenes Naturrechts, das die ewigen Rechte begründet, liegen bei ihm. Erkenntnistheorie: die philosophische Deutung des Sinnes, der Grenzen und der Gültigkeit der Erkenntnis und die entsprechende Auslegung der Erkennbarkeit des Seins. Eine psychologische Richtung sucht diese Aufgabe durch Zergliederung und Beschreibung der Erkenntnisvorgänge zu lösen, indem sie so die Entstehung und den Bestand des Erkennens erklärt. Die kritische Erkenntnistheorie will in erster Linie die Bedingungen objektiv gültiger Erkenntnis, die logischen Grundlagen des Erkennens aufzeigen. L o c k e in seinem grundlegenden W e r k „Versuch über den menschlichen Verstand", 1690, stellt sich die Aufgabe, „den Ursprung, die Gewißheit und den Umfang der menschlichen Erkenntnis zu untersuchen", K a n t in seiner „Kritik der reinen Vernunft", 1781, will „den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit" der Erkenntnisse a priori bestimmen. K a n t unterscheidet drei Standpunkte dem allgemeinen Problem einer Erkenntnistheorie gegenü b e r : der Dogmatismus glaubt, eine Prüfung des Erkennens entbehren zu können, da er ohne weiteres die Möglichkeit der Erkenntnis und sogar einer metaphysischen Erkenntnis voraussetzt; der Skeptizismus bezweifelt von vornherein jedes objektive Erkennen und ist so der Grundsatz einer kunstmäßigen Unwissenheit; der Kritizismus prüft die Möglichkeit des Erkennens durch eine Untersuchung des Erkenntnisvermögens, die Quellen, Umfang und Grenzen festsetzt. Man kann die Hauptrichtungen der Erkenntnistheorie nach den Antworten auf zwei Fragen unterscheiden. Auf die F r a g e nach dem Ursprünge der Erkenntnis antwortet der Rationalismus (Apriorismus), daß die Grundzüge der Erkenntnis in der Vernunft, in apriorischen Bedingungen begründet sind, der Empirismus,

Eros— Erscheinung

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daß alle Erkenntnis wesentlich durch Erfahrung gegeben ist. Die zweite Frage nach dem Werte, der Geltung der Erkenntnis beantwortet der Realismus mit der Annahme, daß das Erkennen ein vollständiges oder doch in gewissen Grenzen sich abspielendes Abbilden der Dinge ist, daß wir also die Dinge so erkennen, wie sie an sich sind, während der Idealismus oder Phänomenalismus behauptet, daß wir die Dinge nur so erkennen, wie sie uns erscheinen, also in den Formen unseres Erkenntnisvermögens. — Die Möglichkeit der Erkenntnistheorie überhaupt wird von H e g e l bestritten: „Ferner ist dabei die Forderung diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt. Wie man erkennen will, ohne zu erkennen, vor der Wahrheit das Wahre erfassen will, ist nicht zu sagen. Es ist die Geschichte, die vom Scholastikus erzählt wird, der nicht ins Wasser gehen wollte, als bis er schwimmen könne." In letzter Zeit hat L. N e l s o n die Erkenntnistheorie als „Begründung der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis" für unmöglich erklärt. Nach R e h m k e geht der Erkenntnistheorie die „Grundwissenschaft" voraus, die allein nur das „Gegebene" voraussetzt, noch nicht aber die Unterscheidung von Subjekt und Objekt. Eros: Liebe; bei P l a t o die Liebe zu den Ideen, der philosophische Trieb, der die Seele von der Liebe zum sinnlich gegebenen Schönen hinaufführt bis zur Schau des Urbilds aller Schönheit, der Idee des Schönen, und damit auch zur höchsten Idee des Guten. erotematisch: in Frageform entwickelt, ein Lehrverfahren in Frage und Antwort. Erscheinung: allgemein alles, was uns in der Sinneswahrnehmung gegeben ist. Einen metaphysischen Sinn erhält der Begrift Erscheinung, wenn Erscheinung eine Darstellung einer an sich seienden absoluten Wirklichkeit bedeuten soll. So sieht P l a t o in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen Erscheinungen der übersinnlichen Ideenwelt, der wahren Urbilder. Auch für L e i b n i z ist die räumliche Körperwelt eine „wohlbegründete Erscheinung" einer übersinnlichen geistigen Monadenwelt. Rein erkenntnisth'eoretisch bedeutet Erscheinung das in den Formen unserer Erkenntnisbedingungen gegebene Wirkliche, den Inbegriff der gesetzmäßig erfaßten Dinge. Bei K a n t ist Erscheinung der „unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung", Erscheinung mit Bewußtsein verbunden heißt Wahr-

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Erschleichung— Ethik

nehmung. Da aber diese Erscheinungen (Wahrnehmungen) durch die Formen des Anschauens und Denkens erfaßt und bestimmt werden, so gilt: „Alle Erscheinungen liegen also als mögliche Erfahrungen ebenso a priori im Verstände und erhalten ihre formale Möglichkeit von ihm, wie sie als bloße Anschauungen in der Sinnlichkeit Hegen und durch dieselbe der Form nach allein möglich sind." Aber „es folgt auch natürlicherweise aus dem Begriff einer Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprechen müsse, was an sich nicht Erscheinung ist", etwas, das wir zwar nicht erkennen, also ein x, nicht ein a, aber doch als Ding an sich müssen denken können; „denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint." Erschleichung: der Versuch, durch Täuschung die Gültigkeit einer Behauptung ¿u suggerieren; eine fehlerhafte, auf versteckte falsche Annahmen fußende Beweisführung. Eschatologie: theologische Lehre von den letzten Dingen, Sowohl des Einzelmenschen (Tod, Gericht, Himmel bzw. Verdammnis) als auch vom Weltende und der damit verbundenen Neugestaltung einer „sündlosen" Welt. esoterisch: (innerlich) esoterische Lehren und Schriften sind für einen engeren Kreis der Esoteriker, der Eingeweihten, bestimmt. [Vgl. exoterisch.] Essenz: Wesen, Wesenheit. Bei Gott fällt nach der Scholastik Essenz und Existenz zusammen. S p i n o z a s erste Definition: „Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Essenz die Existenz einschließt. Ethik: Wissenschaft vom Guten, vom sittlichen Verhalten und von sittlichen Werten. Der Name Ethik stammt von A r i s t o t e l e s , der der praktischen Philosophie die Bezeichnung Ethik gab und als höchstes Gut die vernunftgemäße geistige Betätigung erklärte. Der Name Moralphilosophie, philosophia moralis, geht auf S e n e c a zurück. Die verschiedenen ethischen Systeme unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Inhalts und der Begründung des Sittlichen. Für die griechische Ethik ist das Gute en verbunden mit dem Schönen (Kalokagathie). Sie hat einen aristokratischen Charakter. Der von dem Sokratesschüler A r i s t i p p zuerst scharf vertretene H e d a n i s m u s sieht dagegen in dem Streben nach Lust, nach Genuß das Ziel des menschlichen Handelns. Dieser Hedonismus ist eine extreme Abart des Eudämonismus, der Glückseligkeits-

Ethos—Eudämonismus

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theorie, die das Glücksstreben zum Mittelpunkte macht. Der m o d e r n e Utilitarismus ( B e n t h a m , J. S t . M i l l ) , die Nützlichkeitsphilosophie, k o m m t zu der Formel, erstrebenswert sei das g r ö ß t e Glück der größten Zahl und verbindet den Egoismus mit dem Altruismus, indem er das Interesse f ü r die anderen mit dem Interesse der eigenen Person verknüpft. Alle diese materialen Moralprinzipien, die nicht das Gute an sich zum Prinzip erheben, beruhen nach K a n t auf einer H e t e r o n o m i e ( F r e m d g e s e t z g e b u n g ) und verfehlen damit den Sinn des Moralischen. Das Moralische ist in der Autonomie, der S e l b s t g e s e t z g e b u n g der Vernunft, bestimmt. Die moderne Ethik strebt von dem puritanischen Formalismus der Kantischen Ethik fort und sucht inhaltliche Bestimmungen des Wertes und der Ziele des Handelns. N e b e n die Individualethik tritt in zunehm e n d e m Maße eine soziale Ethik. [Vgl. Imperativ, Egoismus, Altruismus, Eudämonismus.] Ethos: Sitte, G e m ü t s a r t , C h a r a k t e r . H e r a k l i t : dem Menschen ist sein Ethos sein D ä m o n . Eubulides: ein Megariker im 4. J a h r h u n d e r t v. Chr., nach ihm sind die Fangschlüsse Elektra, der Verhüllte usw. benannt. Eucken, R u d o l f (1846—1926) Nobelpreisträger. Bedeutend seine Geschichte der philosophischen Terminologie. Sein System, ein idealistischer Aktivismus, ist in zahlreichen W e r k e n niedergelegt: Die Lebensanschauungen der g r o ß e n Denker, 19. A. 1930. — H a u p t w e r k : Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und Tat der Menschheit, 1888, 2. Aufl. 1925. — Euckens Arbeit steht im Dienste der idealistisch-ethisch verstandenen Kultur. Erkenntnis ist f ü r ihn nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, um die Kultur zu verbessern und zu vertiefen. Seine Ideenwelt versucht der „ E u c k e n - B u n d " zu verbreiten. [Vgl. Noologie.] Eudämonie: Glückseligkeit, nach A r i s t o t e l e s das Ziel alles Handelns, aber nicht sinnliche Lust, sondern Vernunftbetätigung. Eudämonismus: eine Richtung der Ethik, die das Ziel menschlichen H a n d e l n s in der Glückseligkeit sieht. Je nach A u f f a s s u n g des Glücksbegriffs als sinnliche Lust o d e r geistige Befriedigung, individuelles W o h l b e h a g e n oder soziale W o h l f a h r t ergeben sich ganz verschiedene eudämonistische Lehren. Eudämonisten sind viele griechische Denker und die Aufklärungsphilosophen im 18. J a h r h u n d e r t ,

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Euthanasie— Evolution

Gegner des Eudämonismus ist K a n t : die allgemeine Glückseligkeit sich zum Objekt machen, kann zu keinem praktischen Sittengesetz führen, da Glückseligkeit einen von Mensch zu Mensch veränderlichen Inhalt hat; die eigene Glückseligkeit zum Bestimmungsgrunde des Willens machen, ist aber „das gerade Widerspiel des Prinzips der Sittlichkeit". Alle Menschen haben schon von selbst die mächtigste und innerste Neigung zur Glückseligkeit. „Glückseligkeit ist das Losungswort aller Welt. Aber sie findet sich nirgends in der Natur, die der Glückseligkeit und der Zufriedenheit mit dem vorhandenen Zustande nie empfänglich ist. Nur die Würdigkeit, glücklich zu sein, ist das, was der Mensch erreichen kann." [Vgl. Hedonismus.] Euthanasie: schöner Tod, schönes Sterben; die Kunst, gut zu sterben. Evidenz: Augenscheinlichkeit, unmittelbar einleuchtende Gewißheit, anschaulich oder logisch gesicherte Einsicht. Evolution: Entwicklung, ein Hervorgehen des Höheren aus dem Niederen, des Vollkommeneren aus dem Unvollkommenen, des Zusammengesetzten aus dem Einfacheren. Die Evolutionstheorie als biologische Entwicklungslehre ist schon in Ansätzen in der ältesten griechischen Philosophie (besonders bei E m p e d o k l e s ) vorhanden, auch von K a n t als Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft aller Lebewesen durch die stufenweise Annäherung einer Tiergattung zur anderen, vom Menschen bis zum Polyp, von diesem zu Moosen und Flechten und schließlich bis zur rohen Materie. Der Versuch einer Begründung der Entwicklungslehre geschah durch L a m a r c k und D a r w i n . [Vgl. Lamarckismus und Darwinismus.] Ein umfassendes Entwicklungssystem hat S p e n c e r entworfen, der Philosoph des Evolutionismus, der den Entwicklungsgedanken eines Überganges aus einem zusammenhangloseren in einen zusammenhängenderen Zustand auf Natur, Geist, Geschichte und Gesellschaft anwendet. — Auch für H e g e l ist die Wirklichkeit ein Entwicklungsprozeß, der sich aber in der logisch-dialektischen Form der Entfaltung der Vernunft, der Idee abspielt. H e g e l bestreitet eine reale zeitliche Entwicklung in der Natur. Die Natur hat keine Geschichte, nur der Geist hat Geschichte. Es sei eine ungeschickte Vorstellung der Naturphilosophie, die Fortbildung und den Übergang einer Naturform in eine höhere für

Ewigkeit—Experiment

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eine äußerlich wirkliche Produktion anzusehen. Natur sei immer die ewig gleiche, sie kenne keine zeitliche Aufeinanderfolge, sondern nur einen stufenweisen Fortschritt in dem Nebeneinander der Gebilde. Ewigkeit: nicht soviel wie unbegrenzte Dauer, sondern Zeitlosigkeit. Die höchste Erkenntnis ist nach S p i n o z a die Erkenntnis sub specie aeternitatis, unter der Form der Ewigkeit, der zeitlosen Schau des Wesens der Dinge. Nach L e i b n i z sind die ewigen Wahrheiten die denknotwendigen Vernunftwahrheiten, wie die mathematischen und logischen, die nicht von der Zeit abhängen, sondern zeitlose Geltung besitzen. exakt: genau; exakte Wissenschaften sind mathematischer Behandlung zugänglich, wie Astronomie, Physik, Chemie. Existenz: Dasein; Existentialurteile behaupten das Dasein eines Gegenstandes. Existenzphilosophie: In der christlich-mittelalterlichen Philosophie ist Existenz der Gegenbegriff zu Essenz. In der modernen Philosophie ist der Existenzbegriff zum Mittelpunkt der „Existenzphilosophie" geworden. Diese hat ihren Ursprung in Kierkegaards Protest gegen den metaphysischen Idealismus, der dem Ernst der Entscheidungen, in die der Mensch sich mit seinem ganzen Dasein gestellt sieht, nicht gerecht wird. In seiner an Husserls Phänomenologie anfänglich anknüpfenden Existentialphilosophie will Heidegger das „Dasein" von einer allgemeinen Seinslehre aus verstehen. Die wesenhafte Struktur des Seienden, „der Sinn des Seins des Seienden, das wir Dasein nennen", liegt in der Zeitlichkeit. Der neben Heidegger andere Existentialphilosoph Jaspers will in umgekehrter Weise im Dasein das Sein erfassen. „Existenzerhellung" ist wesentlich „Erhellung des Ich", „Seinsvergewisserung" unserer Existenz, die uns niemals als Objekt gegeben ist. exoterisch: nach außen hin; für die Außenstehenden, Nichteingeweihten, auch im Sinne von populär, nicht streng methodisch. [Vgl. esoterisch.] Experiment: Versuch. Im Experiment zwingt die Natur, auf ihr durch eine bestimmte Anordnung von Bedingungen gestellte Fragen zu antworten. Das Experiment besteht wesentlich in einer Herstellung von Bedingungen! die eine möglichst zahlenmäßig feststellbare Gesetzlichkeit erkennA p e l , Philosophisches Wörterbuch

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Explikation—Fechner

bar machen. O a l i l e i ist der Begründer der experimentellen M e t h o d e : das aus der Annahme der beschleunigten Bewegung errechnete Fallgesetz prüfte er durch Messung des Falls auf der schiefen Ebene. Explikation: Entfaltung, Erklärung. Exposition: Erörterung, Darlegung, extensiv: ausgedehnt. extramental: außerbewußt, außerhalb des Bewußtseins, extramundan: außerweltlich. Fallazien: Fehlschlüsse, Trugschlüsse. Fangschlüsse: Bezeichnung für gewisse Trugschlüsse der Eristiker (Streithähne) der megarischen Schule. [Vgl. acervus, Elektra, Lügner, Kahlkopf, Sorites.] Farbenblindheit: eine Abweichung vom gewöhnlichen F a r b e n s e h e n ; die etwa bei 3—4 o/o der männlichen Bevölkerung vorhandene Rotgrünblindheit, bei der die Gegenstände anstatt in Rot und Grün nur in den bunten Farben Blau und Gelb gesehen werden. Bei totaler Farbenblindheit fehlen alle bunten Farben und die Dinge erscheinen nur in den neutralen Farben Weiß, Grau, Schwarz. Fatalismus: ein Glaube, daß alles Geschehen vom Schicksal, Fatum, vorausbestimmt ist, so daß der menschliche Wille dem unabwendbaren Geschick gegenüber ohnmächtig ist. S o denken einige Stoiker und der Islam. Fechner, G u s t a v T h e o d o r (1801—1887): Seine Philosophie ist von Schelling ausgehender Panentheismus und Panpsychismus. Alles was existiert, ruht im Göttlichen, und alles ist beseelt. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gott und Welt, Unendlichem und Endlichem. Alle Seelen sind Teile der höchsten allumfassenden Weltse«le. Fechner baut auf dem Kausalgesetz die Idee Gottes auf. Das letzte Element der Körperwelt ist das Atom, das als Kräftezentrum angenommen wird; Ausdehnung besitzt es nicht mehr. — Fechner ist der Begründer der sog. Psychophysik und der experimentellen Psychologie. Die materielle Welt und das Psychische sind die äußere und die innere Seite des Universums. Für beide gilt das G e s e t z der Erhaltung der Energie. Die Empfindung wächst jedoch nicht so schnell wie der entsprechende Reiz, sondern im Verhältnis des Reizzuwachses zur vorhandenen Reizstärke. Fechner begründet eine Ästhetik „von u n t e n " auf Erfahrung und Induktion. In der Ethik ist Fechner Eudämonist. Er erhofft eine Moral-Religion, die „das Wort Lust wie-

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Fehlschluß—Fichte

der zu Ehren bringt. Eine solche wird die Klöster schließen und das Leben ö f f n e n und die Kunst heiligen". W e r k e : Nanna oder ü b e r das Seelenleben der Pflanzen, 1848. — Zendavesta, 1851. — Elemente der Psychophysik, 1860.— Vorschule der Ästhetik, 1876. — Die Tagesansicht g e g e n ü b e r der Nachtansicht, 1879. Fehlschluß: ein formal unrichtiger Schluß, ein Verstoß gegen die Regeln des Schließens. Beispiele: alle Vögel fliegen, alle Maikäfer fliegen, also — sind Maikäfer V ö g e l ; o d e r : jeder w a h r e Christ ist ein guter Mensch, kein Heide ist ein w a h r e r Christ, also — ist kein Heide ein g u t e r Mensch. [Vgl. auch quaternio t e r m i n o r u m . j Fetischismus: der Glaube an Fetische, Zaubermittel, beliebige G e g e n s t ä n d e , denen Z a u b e r k r a f t zugeschrieben wird, die als Sitz eines Geistes verehrt w e r d e n ; die niederste Stufe der Religionsvorstellungen. Feuerbach, L u d w i g (1804—1872): „Mein erster Ged a n k e war Gott, mein zweiter die Vernunft, mein dritter und letzter der Mensch." Sein H a u p t w e r k : Das Wesen des Christentums, 1841. H o m o homini deus. Das göttliche Wesen ist das Wesen des Menschen selbst, und die G ö t t e r eines Volkes sind die Ideale desselben. Religion ist in Anthropologie aufzulösen. Die Liebe Gottes auch im Christentum ist nur die unendliche Liebe des Menschen, die ihre höchste B e w ä h r u n g im Leiden findet. In Gott wird die vollendete W ü r d e und Persönlichkeit des Menschen gedacht. — In der Erkenntnislehre ist Feuerbach reiner Sensualist. Der Satz: „Der Mensch ist, was er ißt" ist nicht materialistisch gemeint, wie aus dem Z u s a m m e n h a n g h e r v o r g e h t . Vor dem völligen Materialismus b e w a h r t e ihn das Ausgehen von der E m p f i n d u n g , die als „ F r a g e z e i c h e n " das reine Denken h e r b e i r u f t . — Als sensualistisch ist auch F e u e r b a c h s eudämonistische Ethik anzusehen. Sie beruht auf dem T r i e b nach Glückseligkeit. Sittlichkeit ohne Glückseligkeit hat für ihn keinen Sinn. — Feuerbach begeisterte die J u g e n d der vierziger J a h r e des vorigen J a h r h u n d e r t s , später auch Gottfried Keller, sowie das „junge E u r o p a " . Fichte, J o h a n n G o t t l i e b (1762—1814): Seine erste Schrift: Versuch einer Kritik aller O f f e n b a r u n g , 1792, legte er Kant persönlich vor. Von Zürich aus veröffentlichte er Schriften ü b e r die französische Revolution. 1794 w u r d e er als P r o f e s s o r der Philosophie nach Jena berufen, 1799 wegen des Atheismusstreites aus dem Staatsdienst entlassen. 6*

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Fichte

(Die Schrift, die Veranlassung dazu gab, hieß: Ober den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung). 1807/08 hielt er in Berlin die „Reden an die deutsche Nation", in denen er die gänzliche Erneuerung der Nation durch eine neue Erziehung fordert. Von 1814 bis 1824 war der Wiederabdruck der Reden verboten. Hauptwerke sind: Die Wissenschaftslehre, 1794. — System der Sittenlehre nach Prinzip der Wissenschaftslehre, 1798. — Die Bestimmung des Menschen, 1800. — Der geschlossene Handelsstaat, 1800. In etwas umgebildeter Form ist seine Philosophie im „Wesen des Gelehrten" und in den „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" dargestellt; auch in der „Anweisung zum seligen Leben" und in den „Tatsachen des Bewußtseins". — Fichte ist ein Revolutionär. Er will wirken, nicht nur denken. Charakteristisch für ihn der bekannte Ausspruch: „Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist." Er ist im Denken herrisch und will seine Leser zum Verstehen zwingen, wie aus der Überschrift des 1801 erschienenen „sonnenklaren Berichtes über das Wesen der neuesten Philosophie" zu ersehen ist. Fichte nimmt seinen Ausgang von Kant. Er will auf die Prinzipien, die Kant seinem System andeutungsweise zugrunde gelegt hat, eine Wissenschaftslehre aufbauen und so zu einem wirklichen System kommen, statt zu einer Kritik. Unter einem System versteht er: Ableitung aus dem absoluten Prinzip, und zwar dem des Selbstbewußtseins. Dieser absolute Idealismus hält sich nicht an den tatsächlichen Bestand der Wissenschaft, um die Bedingungen ihres Aufbaus zu entdecken, sondern er will die gesamte Erfahrung aus dem Selbstbewußtsein deduzieren. Die Welt soll aus dem schlechthin unbedingten Grundsatz: „Setze dein Ich" abgeleitet werden. Dieser Grundsatz ist keine Tatsache, sondern eine Forderung, eine Tathandlung. Er kommt so zu drei besonderen Grundsätzen: 1. Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Ich. 2. Dem Ich wird schlechthin ein Nicht-Ich entgegengesetzt. 3. Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. Unter dem Ich ist die Ichheit, die allgemeine Vernunft, nicht das individuelle Ich zu verstehen. Aus dem dritten Grundsatz folgt, daß sich Ich und Nicht-Ich gegenseitig bestimmen. „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich" ist die Grundlage der theoretischen Philosophie. „Das Ich setzt sich als bestim-

Fiktion

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mend gegenüber dem Nicht-Ich" ist die Grundlage der praktischen Philosophie. In der praktischen Philosophie liegt das Schwergewicht von Fichtes Denken. Das natürliche Sein ist ihm nur Material des sittlichen Willens. Die Begründung der Sittenlehre geschieht deduktiv. Ich finde mich selbst als mich selbst nur wollend. Die praktische Wissenschaftslehre ist auf einem Entschluß aufgebaut. Ich will selbständig sein, darum halte ich mich dafür. Fichtes Ethik geht also von einem Glauben aus. Der erste Glaubensartikel lautet: Ich. bin wirklich frei. Der Primat der praktischen Vernunft steht für ihn außer Frage. Die Vernunft bestimmt sich selbst und kann durch nichts außerhalb ihrer selbst bestimmt werden. Sittengesetz und wirkliche T a t werden vereinigt durch die Freiheit, die Sinnenwelt durch die intelligible zu bestimmen. Der Naturtrieb, dem der Mensch im gewissen Sinne verhaftet ist, ist das Mittelglied zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Aus der Verbindung des Naturtriebes mit dem reinen T r i e b nach der Freiheit ergibt sich die Sittenlehre. Der sittliche T r i e b hat vom Naturtrieb das Materiale, vom reinen die Form. Fichte hat auch einen kategorischen Imperativ. Er lautet: Handle stets nach bester Überzeugung von Deiner Pflicht! Handle nach Deinem G e w i s s e n ! — Der Endzweck der Sittenlehre ist die Realisierung der Vernunft in einer Gemeinschaft freier Wesen. Nicht das Volkswohl, sondern die Gerechtigkeit ist das höchste Gesetz. Von der Sittenlehre getrennt ist die Rechtslehre. Die Rechtsgemeinschaft fordert: Beschränke Deine Freiheit so, daß alle andern neben Dir auch frei sein können. — Um die Jahrhundertwende bekommt Fichtes Philosophie einen Zug ins Religiöse und Mystische. Er sucht Gott nicht mehr in der sittlichen Weltordnung, nicht mehr im sittlichen Handeln, sondern im absoluten Sein, im Gefühl, in der Liebe und in der Seligkeit. In dieser Zeit entwickelt er auch eine religiös gefärbte Geschichtsphilosophie. Ihr Endziel ist der Vernunftsstaat. Die Welt- und die Freiheitsgeschichte bestehen in der fortschreitenden Erziehung des Menschengeschlechts. F i k t i o n : Erdichtung, erdichtete oder doch ohne Rücksicht aut reale Gültigkeit gemachte Annahme. V a i h i n g e r hat in seiner „Philosophie des Als O b " ein System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit entwickelt: „Als eigentliche Fiktionen im strengsten

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Finalität— Formalismus

Sinne des Wortes stellen sich solche Vorstellungsgebilde dar, welche nicht nur der Wirklichkeit widersprechen, sondern auch in sich selbst widerspruchsvoll sind (z. B. der Begriff des Atoms, des Dinges an sich). Von ihnen zu unterscheiden sind solche Vorstellungsgebilde, welche nur der gegebenen Wirklichkeit widersprechen bzw. von ihr abweichen, ohne schon in sich selbst widerspruchsvoll zu sein (z. B. die künstliche Einteilung). Man kann die letzteren als Halbfiktionen, Semifiktionen bezeichnen." Finalität: zweckvolle Wirksamkeit, Zweckgeschehen; causa finalis, die Zweckursache. Folge: 1. zeitliche Aufeinanderfolge; 2. logische Abhängigkeit vom Grunde. [Vgl. Orund.] Form: bei A r i s t o t e l e s die zweckmäßig wirkende Kraft, die den Stoff zur Wirklichkeit gestaltet, die bloße Möglichkeit zur Verwirklichung bringt, so etwa aus dem Marmorblock die fertige Bildsäule durch die zwecktätige Arbeit des Künstlers herausgestaltet. Alles Wirkliche ist geformter Stoff. Die „reine Form" bedarf keines Stoffes, sie ist unmittelbar wirklich als vollkommenes Sein der Gottheit. Die sich an A r i s t o t e l e s anschließende Scholastik entwickelt eine Metaphysik der substantiellen (wesenhaften) Formen. Eine erkenntnistheoretische Bedeutung hat der Formbegriff bei K a n t : „In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die M a t e r i e derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinungen in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, nenne ich die F o r m der Erscheinung." Die Materie der Erscheinung wird in der Wahrnehmung, a posteriori, gegeben, die Form aber muß als formale Bedingung der empirischen Anschauung zugrunde liegen. Raum und Zeit sind die reinen Formen der sinnlichen Anschauung, sind Anschauungsformen a priori; die Kategorien sind Gedankenformen, um aus gegebenen Anschauungen Erkenntnisse zu machen; sie sind die intellektuellen Formen aller Erfahrung. formal: auf die Form, nicht den Inhalt bezüglich; die formale Logik ist Wissenschaft von den allgemeinen Formen des Denkens, die von einem besonderen und bestimmten Inhalt absieht. Formalismus: eine Betrachtungsweise, die lediglich auf die Form, das Formale gerichtet ist: logischer, ethischer, ästhetischer Formalismus.

Freidenker—Galilei

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Freidenker: eine aus dem englischen Deismus hervorgegangene Richtung, die für volle Denkfreiheit auch der Religion gegenüber eintrat und den positiven Dogmen eine allen Menschen gemeinsame natürliche Vernunftreligion gegenüberstellte. Hauptvertreter T o l a n d (1670—1722), C o l l i n s (1676—1729) und T i n d a l (1656—1733). Freiheit: Unabhängigkeit vom Zwange, Bestimmung durch das eigene Selbst. [Vgl. Willensfreiheit.] Fries, J a c o b , F r i e d r i c h , 1773—1843, Hauptwerk: „Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft, 1807", in der er sich gegen die Vernunftkritik Kants wandte. Funktion: Verrichtung, Leistung. P h y s i o l o g i s c h : Betätigungsweise von körperlichen Organen; m a t h e m a t i s c h : ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Größen, sodaß die Veränderung der einen Größe eine bestimmte Änderung der anderen zur Folge hat, y = f(x) bedeutet: y ist eine Funktion von x. E r n s t M a c h will die Begriffe Ursache und Wirkung durch den Funktionsbegriff ersetzen. [Vgl. Kausalität.] Ähnliche Bestrebungen bei manchen Vertretern des Neukantianismus (Cassirer, „Substanzbegriff und Funktionsbegriff"). Diese Art des „funktionalen" Denkens ist auch charakteristisch für die neueste Entwicklung der theoretischen Physik. Galilei, G a l i l e o (1564—1642): Wegbahner und Begründer der neueren Naturphilosophie. Hauptwerke: II saggiatore (1623), Dialog über die beiden Weltsysteme (1632). Als echter Gelehrter der Renaissance tritt er für den Gebrauch der Muttersprache ein und bekämpft Aristoteles. Statt der Zweckursachen sucht er die wahren Ursachen und findet sie im Gesetz formuliert. Die Wissenschaft nimmt dabei nicht die Logik, sondern die Mathematik in Anspruch; denn das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben. In den mathematischen Schriften reicht die menschliche Erkenntnis an die göttliche heran. Sie ist fähig, Notwendigkeit zu begreifen. Eine größere Gewißheit gibt es nicht für uns. Kraft, Substanz usw. erhalten erst einen wissenschaftlichen Sinn, wenn sie mathematischer Messung zugänglich werden. Damit werden die aristotelischen Formen, die Zweckursachen und die verborgenen Qualitäten hinfällig. Ein glänzendes Beispiel für die bedeutsame Rolle des Verstandes (gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung) beim Zustandekommen der wissenschaftlichen Erkenntnis erblickt er in Kopernikus. Galilei

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Ganzheit—Gassendi

dringt überall auf die mechanische Grundauffassung der Natur. Galilei war Mathematiker, Astronom, Physiker und Philosoph. Die Inquisition zwang ihn, sein Eintreten für Kopernikus zu widerrufen. Ganzheit: das die einzelnen Teile als Ganzes Umfassende, das also mehr als die bloße Summe der Teile ist. Das Ganze und die Teile sind durcheinander bedingt. Nach D r i e s c h ist Ganzheit eine echte Kategorie. Die Ganzheit ist „ein geordnetes Etwas, in dem jeder Teil seinen ganz bestimmten Beziehungsort" hat. In solchem Ganzen gibt es keinen Mechanismus, keine Gesetze, nur „Gleichheitszüge", Echte Entwicklung ist nichts äußerlich Bedingtes, sondern ein „Wesensganzes"; auch die Welt als Ganzes weist „Ganzheitszüge" auf. — D i l t h e y stellt den Begriff der Ganzheit, der „Totalität unseres Wesens" der Auffassung der atomistisch konstruierenden Assoziationspsychologie gegenüber. — H e i d e g g e r lehrt eine Totalität, Ganzheit des Daseins, eine „unzersplitterte" Ganzheit unseres Lebens, die uns an das Wesen der Sachen heranführt und aus dem Sinn stammt, unter dem das Ich von sich selbst als Ich erlebt werden kann. Zum Sinri des Ich gehört, daß dieses Ich nicht gedacht werden kann als aus Teilen, aus Teilgegenständen bestehend. — O. S p a n n bildet den Begriff der sozialen Ganzheiten; die Gesellschaft ist ein Ganzes. Der Universalismus betrachtet nach ihm den „sinnvollen Zusammenhang, die Gegenseitigkeit, kurz die G a n z h e i t als das Wesenhafte in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft". [Vgl. Gestaltpsychologie, Struktur.] Gassendi, P i e r r e (1592—1655): Physiker und Philosoph. Er kannte die Schriften des Kopernikus und des Galilei und war in den Naturwissenschaften wohl bewandert, aber ohne Verhältnis zur Mathematik. R. Boyle und Newton schätzten ihn. Er stellte ein atomistisches System auf, das nicht frei von Skeptizismus ist. Gegen Descartes' Satz „cogito, ergo sum" erhob er den Einwand, jede andere seelische oder körperliche Tätigkeit überzeuge uns ebenso von unserer Existenz wie das Denken. Er hat Descartes mißverstanden und nicht erkannt, daß die Einheit des Bewußtseins der Ausgangspunkt des cogito, ergo sum ist. Gassendi teilte in seinen Arbeiten über Epikur (de vita, moribus et doctrina Epicuri, 1647 — Syntagma philosophiae Epicuri, 1649) die erkenntnistheoretischen Anschauungen des Epikur. Er gibt dabei zu, daß er die Entstehung von Emp-

Gattung, Gattungsbegriff— Gefühlsphilosophie

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findung und Erkenntnis nicht zu erklären vermöge.. In seiner Auffassung von Raum und Zeit ist Oassendi Vorläufer von Newton und Kant. Raum und Zeit sind reale Wesen, aber nicht Dinge und auch nicht Eigenschaften von Dingen, sondern Voraussetzungen der Gegenständlichkeit. Im Gegensatz zu R. Boyle und der späteren Physik blieb Gassendi beim unteilbaren Atom stehen. Er hielt sich stets im Einklang mit der Lehre der Kirche und entschied sich aus diesem Grunde für Tycho Brahe, obwohl er das System des Kopernikus für das vernünftigste hielt. In seiner Naturerklärung vermeidet er jedoch den Gottesbegriff. Gattung, Gattungsbegriff: Begriffe, die eine Reihe wesentlicher Merkmale der untergeordneten Artbegriffe zu einer in sich zusammengehörenden gedanklichen Einheit zusammenfassen. — Gattung in konkretem Sinne ist die Gesamtheit der unter einen Gattungsbegriff fallenden Gegenstände. So ist die menschliche Gattung als die Gesamtheit aller existierenden Menschen zu unterscheiden vom Gattungsbegriff Mensch. Gedächtnis: die Fähigkeit, einmal aufgenommene Eindrücke im Geist zu bewahren und frühere Vorstellungen wieder ins Bewußtsein zu rufen. Ist das Bewußtsein vorhanden, daß die Vorstellungen schon früher erlebt waren, so spricht man von Erinnerung. Als Grundgesetz für die Gedächtnisleistung gilt das Gesetz, daß durch die Wiederkehr einiger Glieder eines früheren Vorstellungszusammenhangs auch andere Glieder dieses Zusammenhangs reproduziert werden. Der visuelle Typus bevorzugt Gesichtsvorstellungen, der auditive Gehörsvorstellungen, der motorische die von Bewegungen, besonders solchen der Sprachorgane, herrührenden Vorstellungen. Gefühle: die Erlebnisse von Lust und Unlust, von Wert und Unwert als Begleiterscheinungen von Empfindungen und Vorstellungen. Die Gefühle haben eine unmittelbare Beziehung auf das Wohl und Wehe des Organismus und der Seele. Geffihlsmoral: eine ethische Richtung, die die Sittlichkeit auf das Gefühl gründet; im Menschen lebt ein natürliches Gefühl für das Gute und Schöne. So S h a f t e s b u r y (1671—1713) und H u t c h e s o n (1694—1747). H u m e (1711—1776) und A d a m S m i t h (1723—1790) führen das sittliche Handeln auf die Gefühle der Sympathie zurück. Gefühlsphilosophie: eine Philosophie, die wesentlich im

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gegeben—Gegenstandstheorie

G e f ü h l ihre G r u n d l a g e hat und nicht im Denken. Gefühlsphilosophen sind R o u s s e a u , H a m a n n , F. H . J a c o b i , H e r d e r . Das religiöse G e f ü h l ist nach S c h l e i e r m a c h e r das „schlechthinnige A b h ä n g i g k e i t s g e f ü h l " . gegeben: Für die G r u n d w i s s e n s c h a f t R e h m k e s ist das „ G e g e b e n e " der G e g e n s t a n d der Philosophie überhaupt. Das G e g e b e n e ist der „ v o r g e f u n d e n e " G e g e n s t a n d , f ü r den noch ganz unentschieden ist, o b er wirklich oder unwirklich ist. U m g e k e h r t ist f ü r den Neukantianismus der M a r b u r g e r Schule das G e g e b e n e kein G e g e n s t a n d , sondern ein bloßes X, welches nur die Bedeutung hat, die empirische G r e n z e unseres E r k e n n e n s als eine v o r l ä u f i g e festzulegen. H e r m a n n S c h w a r z hat eine (Religions-) Philosophie des „ U n g e g e b e n e n " aufgestellt. [Vgl. Ding an sich.] Gegensatz: das Verhältnis zweier Begriffe oder Urteile, die sich gegenseitig ausschließen. Kontradiktorisch entg e g e n g e s e t z t sind Begriffe, von denen der eine die Verneinung des andern ist, wie schwarz, nicht s c h w a r z ; einen konträren G e g e n s a t z bilden Begriffe, die die äußersten Glieder einer Reihe bilden, wie weiß—schwarz, lieben—hassen. Gegenstandstheorie: Bezeichnung f ü r die, von B r e n t a n o nicht unbeeinflußte, der P h ä n o m e n o l o g i e verwandte, aus psychologischen Voraussetzungen entwickelte Erkenntnislehre M e i n o n g s und seiner Schule. Nach M e i n o n g sind die apriorischen Urteile keine D e n k f o r m e n , sondern in der N a t u r ihrer G e g e n s t ä n d e b e g r ü n d e t , und selbst die Reflexionsbegriffe haben es mit G e g e n s t ä n d e n , nämlich mit „idealen G e g e n s t ä n d e n höherer O r d n u n g " zu tun. Dabei ist zwischen Gegenständlichkeit und Wirklichkeit scharf zu unterscheiden. Jeder Denkinhalt kann als G e g e n s t a n d theoretisch behandelt werden, o b er „möglich" oder „unmöglich", o b er „wirklich" oder „ u n w i r k l i c h " ist. Es gibt nach M e i n o n g auch „unmögliche G e g e n s t ä n d e " . Wir müssen also beim Urteil unterscheiden zwischen seinem O b j e k t , als dem, w o r ü b e r geurteilt wird, und seinem O b j e k t i v , als dem, w a s geurteilt wird. Ein Urteil ist dann w a h r , wenn sein O b j e k t i v Tatsache ist. Ist die Gegenstandstheorie auf der einen Seite aprioristisch und s t r e n g objektivistisch, so ist sie auf der anderen Seite e m p i r i s t i s c h . Das unterscheidet sie besonders von der Phänomenologie. Die P s y c h o l o g i e M e i n o n g s ist ein Vor-

Gehelmwissenschaften—Geisteswissenschaft

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läufer der heutigen Gestaltpsychologie. [Vgl. Phänomenologie, Gestaltpsychologie.] Geheimwissenschaften: D e s s o i r unterscheidet in seiner Schrift „Vom Jenseits der Seele" Geheimwissenschaften im weiteren Sinne (Parapsychologie, Spiritismus) und im engeren Sinne (kabbalistische Denkweise, Theosophie). Geist: im allgemeinen wie Seele der Gegensatz zur Materie, zum Körper; in engerem Sinne das höhere Seelenleben. H e g e l entwickelte eine Philosophie des Geistes in drei Stufen: der subjektive individuelle Geist, der objektive Geist als Recht, Moralität, Sittlichkeit (Familie, Gesellschaft, Staat, Geschichte), der absolute Geist als Kunst, Religion, Philosophie. — Der Gegensatz zwischen Geist und Seele ist neuerdings lebhaft erörtert worden. Den Anstoß hierzu gaben die Arbeiten von L u d w i g K l a g e s , der den „Geist als den Widersacher der Seele" auffaßt. Alles Seelische pulst im Rhythmus des kosmischen Lebens, während der Geist in dieses Geschehen einbricht, die Polarität des ewigen Ein- und Ausatmens zerstört, den Leib entseelt und die Seele entleibt. Von Hegel her entwickelt die Philosophie Wilhelm Diltheys die Lehre von dem von allem Seelischen zu unterscheidenden Wesen des Geistes vor allem als „objektiven Geist". Nicolai Hartmann unterscheidet den personalen, den objektiven und den objektivierten Geist. (Das Problem des geistigen Seins, 2. Aufl. 1949.) Geisteswissenschaft: umfassende Begriffsbestimmung von E r i c h R o t h a c k e r : Die Wissenschaften, welche die O r d n u n g e n d e s L e b e n s in Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, Wirtschaft, Technik und die D e u t u n g e n d e r W e l t in Sprache, Mythos, Kunst, Religion, Philosophie und Wissenschaft zum Gegenstande haben, nennen wir G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n . Die eigene Bedeutung und Würde der Geisteswissenschaften wurde zur Geltung gebracht, vor allem durch die Philosophie H e g e l s . Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Terminus geprägt, D i l t h e y hat ihn durchgesetzt : Geisteswissenschaft ist „das Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstande haben"; ihre Aufgabe ist es, die Manifestation dieser Wirklichkeit „nachzuerleben und denkend zu erfassen". W i l h e l m W u n d t sieht die Aufgaben der Geisteswissenschaften überall da, „wo der Mensch als wollendes und denkendes

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Geltung, Gültigkeit

Subjekt ein wesentlicher Faktor der Erscheinungen ist". Alle Geisteswissenschaften haben zu ihrem Inhalt die unmittelbare Erfahrung, wie sie durch Wechselwirkung der Objekte mit erkennenden und handelnden Subjekten bestimmt wird. Sie bedienen sich daher nicht der Abstraktionen und der hypothetischen Hilfsbegriffe der Naturwissenschaften, sondern die Vorstellungsobjekte und die begleitenden subjektiven Regungen gelten ihnen als unmittelbare Wirklichkeit. Grundlage der Geisteswissenschaften soll die Psychologie sein. W i n d e l b a n d ersetzt den Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften durch die Unterscheidung von Gesetzes- und Ereigniswissenschaften (nomothetischen und idiographischen). Die Naturwissenschaft sucht Gesetze des Geschehens,. Naturgesetze, die Geisteswissenschaft, d.h. die Geschichte, will ein e i n z e l n e s Geschehen zu voller und erschöpfender Darstellung bringen. Die Naturforschung sucht Gesetze, die Geschichte Gestalten. In der Naturforschung dient das einzelne gegebene Objekt nur als Typus, als Spezialfall eines Gattungsbegriffs; für den Historiker besteht die Aufgabe, ein Gebiet der Vergangenheit in seiner individuellen Ausprägung zu ideeller Gegenwärtigkeit zu beleben. Das naturwissenschaftliche Denken neigt zur Abstraktion, das historische zur Anschaulichkeit. Auch für R i c k e r t ist Geschichte Geisteswissenschaft, indem sie hauptsächlich vom geistigen Sein handelt, wobei geistig nicht mit seelisch gleichzusetzen ist, sondern als Geistesleben eine Stellungnahme zu den Kulturwerten bedeutet. Geschichte ist individualisierende K u l t u r w i s s e n s c h a f t : es gilt, den geschichtlichen Gegenstand, eine Persönlichkeit, ein Volk, ein Zeitalter, eine wirtschaftliche, politische, religiöse, künstlerische Bewegung als Ganzes in seiner E i n m a l i g k e i t und nie wiederkehrenden I n d i v i d u a l i t ä t zu erfassen. Nach S p r a n g e r beschäftigt sich die Geisteswissenschaft 1. mit transsubjektiven und kollektiven Gebilden des geschichtlichen Lebens, die als überindividuelle Wirkungszusammenhänge dieses oder jenes Einzelsubjekt umfassen; 2. mit der geistigen Gesetzlichkeit, mit den Normen, nach deren Maß das Einzelsubjekt ein Geistiges in kritisch-objektivem Sinne aus sich heraus gestaltet oder adäquat verstehend in sich hineinnimmt. Geltung, Gültigkeit: im Urteil wird Gültigkeit, Wahrheit verlangt. Auch den Werten muß Gültigkeit oder Gel-

Gemeinempfindung,—generatio aequivoca

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tung zuerkannt werden. (Rickert, Windelband, Münsterberg.) Gemeinempfindung, Gemeingefflhl (Organ-, Vitalempfindung), wird verursacht durch Reize aus den Körperorganen. Wärme-, Kälte-, Schmerz- und Druckempfindung; dazu Empfindungen des Hungers, des Durstes, der Wollust, des Ekels, des Kitzels, des Schauderns u. a. m. Der Gesamteindruck der Organempfindungen erscheint als lust- oder unlustbetontes Gemeingefühl. Gemeinschaft, zuerst von Schleiermacher im Gegensatz zur „Gesellschaft" verstanden, wird von Ferdinand Tönnies gedeutet als ein Grundtyp sozialer Beziehung im Sinne des „organischen" Zusammenlebens einer Menschengruppe. (F. Tönnies, Gemeinschaft u. Gesellschaft, 1887; 8. Aufl. 1935.) Gemeinsinn, Gemeinschaftssinn: ist gemeinnütziges Empfinden. Bei Goethe: „Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen." Gemüt: die Gefühlsseite der Seele im Gegensatz zur rein intellektuellen. Generalisation: Verallgemeinerung, das logische Verfahren eines Schlusses von einem Teil auf die ganze Klasse. generatio aequivoca oder spontanes: Urzeugung, die Annahme, daß das Leben in seiner einfachsten Gestalt aus unorganischer Materie entstanden sei. A r i s t o t e l e s lehrte, daß aus Schlamm und faulenden Stoffen Insekten und sogar Fische von selbst entstehen, eine Anschauung, die bis ins 17. Jahrhundert hinein vorherrschte. Die Urzeugung bestritten dann S w a m m e r d a m und R e d i (17. Jahrhundert), die die Entstehung der Insekten auf Fortpflanzung durch Eier zurückführten. Die mit Hilfe des Mikroskops durch L e e u w e n h o e k 1675 erfolgte Entdeckung der Aufgußtierchen brachte der Annahme einer Urzeugung wieder Anhänger. O k e n (in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) meinte, daß alles Organische aus einem Urschleim, der sich im Laufe der Planetenentwicklung aus anorganischer Materie gebildet habe, hervorgegangen sei. P a s t e u r zeigte dann, daß in organischen Flüssigkeiten, die keimfrei gemacht und hermetisch gegen die Außenluft abgeschlossen waren, keinerlei Lebewesen auftreten. Damit war freilich die Möglichkeit der Urzeugung unter uns unbekannten Umständen nicht widerlegt. Vielmehr bleibt zur Erklärung der Tatsache, daß die Erde früher als Feuerball

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generlsch—geozentrisch

ohne Leben war, jetzt aber mit lebenden Organismen bedeckt ist, nur die Wahl zwischen Annahme der U r z e u g u n g oder der H y p o t h e s e der Panspermie. [Vgl. Panspermie!] generisch: die G a t t u n g betreffend, genetisch: die E n t s t e h u n g berücksichtigend. Die genetische M e t h o d e sucht das g e g e b e n e Wirkliche aus elementaren Bedingungen abzuleiten und aus seinem Entstehen und W e r d e n zu erklären und zu würdigen. So geben H u m e und F e u e r b a c h eine psychologische Genesis der Religion, eine Ableitung aus den praktischen Bedürfnissen des Menschen. Der genetische Gesichtspunkt ist m a ß g e bend in der Entwicklungsgeschichte der O r g a n i s m e n und ü b e r h a u p t in allen geschichtlichen Wissenschaften. Genie: eine im höchsten Sinne schöpferische Begabung. K a n t : „Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt". Originalität, Musterhaftigkeit, Herv o r b r i n g u n g durch E i n g e b u n g sind dem Genie eigentümlich. Genie ist ein Talent zur Kunst, nicht zur Wissenschaft. „Im Wissenschaftlichen also ist der g r ö ß t e Erfinder vom mühseligsten N a c h a h m e r und Lehrlinge nur dem G r a d e nach, d a g e g e n von dem, welchen die Natur f ü r die schöne Kunst begabt hat, spezifisch unterschieden". Nach S c h o p e n h a u e r ist die Kunst das W e r k des Genius. Genialität ist die Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten, sein Interesse, sein Wollen, seine Z w e c k e g a n z aus den Augen zu lassen, um „als rein e r k e n n e n d e m S u b j e k t , klares Weltauge ü b r i g zu bleiben". So „ist G e n i a l i t ä t nichts anderes als die vollkommenste O b j e k t i v i t ä t , in der durch reine Kontemplation die Ideen aufgefaßt w e r d e n " . L a v a t e r : Talent macht mit Leichtigkeit, w a s t a u s e n d andere nur mit äußerster Mühe machen können, Genie macht, w a s niemand sonst machen k a n n . Wichtig auch Nietzsches Lehre vom Genie (bes. in „Schopenhauer a l s . E r z i e h e r " ) : Den Gipfel der Kultur bildet dieser g a n z e Mensch, „welcher sich voll und unendlich fühlt im Erkennen und Lieben, im Schauen und Können, und mit aller seiner Ganzheit an und in der N a t u r h ä n g t " . genus proximum: die nächsthöhere, ü b e r g e o r d n e t e Gatt u n g . [Vgl. Definition.] geozentrisch: auf die Erde als Mittelpunkt b e z o g e n . Geozentrisch war das von P t o l e m ä u s (70—147 n . C h r . ) entwickelte und bis K o p e r n i k u s herrschende Weltsystem. [Vgl. heliozentrisch.]

Geschichtsphilosophie

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Geschichtsphilosophie: geschichtsphilosophischeBetracht u n g e n ü b e r den Gesamtsinn der Weltgeschichte vom Standr p u n k t e der christlichen Heilsgeschichte finden sich bei den Kirchenvätern, besonders bei A u g u s t in. O. B. V i c o gilt als Begründer der neueren Oeschichtsphilosophie mit seinem W e r k „Prinzipien einer neuen Wissenschaft von der gemeinsamen N a t u r der Völker", 1725, in dem er zu zeigen sucht, wie die Entwicklung der Völker nach einem allgemeinen Gesetz vor sich geht. V o l t a i r e g e b r a u c h t zum ersten Male die Bezeichnung „Philosophie der Geschichte'' (1765) im Sinne von allgemeinen Betrachtungen über Geschichte. Schon L e i b n i z hat im Z u s a m m e n h a n g e seines G e s a m t s y s t e m s den G e d a n k e n eines allmählichen Aufsteigens der Vernunft in stetigem Fortschritt vertreten. Lessing deutet die Geschichte unter der Idee einer göttlichen „ E r z i e h u n g des Menschengeschlechts". H e r d e r betrachtet in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", 1784—1791, die Geschichte der Menschheit in ihrer Entwicklung nach natürlichen Bedingungen und nach Fortschrittsgesetzen der N a t u r von den niedersten Anfängen bis hinauf zum Ideal der Humanität. Geschichte ist ihm „eine reine Naturgeschichte menschlicher Kräfte, Handlungen und T r i e b e nach O r t und Zeit". K a n t s Geschichtsauffassung ist durchdrungen vom Glauben an den Fortschritt der Menschheit als G a t t u n g . Aus dem Urzustände rein tierischer N a t u r ist der Mensch durch sittliche Arbeit der Vernunft zur Kultur aufgestiegen. „Man kann die Geschichte der M e n s c h e n g a t t u n g im großen als die Vollendung eines verborgenen Planes der Natur ansehen, um eine innerlich und zu diesem Z w e c k auch äußerlich vollkommenere Staatsverfassung zustande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit vollkommen entwickeln k a n n . " Menschengeschichte ist philosophisch nicht zu verstehen, wenn m a n nicht ihr Ziel kennt. J . G . F i c h t e macht das Verstehen der Geschichte abhängig von der V o r a u s s e t z u n g eines W e l t p l a n s , aus welchem die Hauptepochen des menschlichen Erdenlebens sich vollständig ableiten und in ihrem U r s p r ü n g e sowie in ihrem Z u s a m m e n h a n g e untereinander sich deutlich einsehen lassen. Der Z w e c k des Erdenlebens der Menschheit ist der, daß sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte. So e r g e b e n sich fünf G r u n d e p o c h e n des Erden-

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Geschichtsphilosophie

lebens: 1. die Epoche der unbedingten Herrschaft der Vernunft durch den Instinkt; 2. die Epoche, da der Vernunftinstinkt in eine äußerlich zwingende Autorität verwandelt ist; 3. die Epoche der Befreiung, unmittelbar von der gebietenden Autorität, mittelbar von der Botmäßigkeit des Vernunftinstinkts und der Vernunft überhaupt; 4. die Epoche der Vernunftwissenschaft, das Zeitalter, wo die Wahrheit als das Höchste anerkannt und geliebt wird; 5. die Epoche der Vernunftkunst, das Zeitalter, da die Menschheit mit sicherer und unfehlbarer Hand sich selber zum getroffenen Abdrucke der Vernunft aufbaut. — Nach H e g e l s „Philosophie der Weltgeschichte" ist die Weltgeschichte zu begreifen als die Entwicklung und Selbstverwirklichung des Weltgeistes, der absoluten Vernunft und somit als der „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Die Philosophie ist denkende Betrachtung der Geschichte. Der einzige Gedanke, den sie mitbringt, ist der einfache Gedanke, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei. Die einzelnen Völker, ihre Staaten und Kulturen sind nur die Stufen, die der allgemeine Weltgeist durchschreitet, jeder einzelne endliche Volksgeist ist bestimmt, nur eine Stufe auszufüllen: „Die Völkergeister stehen um den Thron des Weltgeistes als Vollbringer seiner Verwirklichung, als Zeugen und Zierate seiner Herrlichkeit." In vier großen Perioden verwirklicht sich der Weltgeist: in der orientalischen, griechischen, römischen und germanischen Welt. Der Orient wußte und weiß nur, daß e i n e r frei ist, die griechische und römische Welt, daß e i n i g e fröl sind, die germanische, daß a l l e frei sind. — Nach der materialistischen Geschichtsauffassung von M a r x und E n g e l s sollen nicht die Ideen, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse die eigentlichen Triebkräfte der geschichtlichen Wirklichkeit sein: die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bildet die „reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Oberbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt" ( M a r x ) . Nach diesem historischen Materialismus der materialistischen, ökonomischen

Gesetz—Gestaltpsychologie

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Geschichtsauffassung folgen „alle historischen Ereignisse und Vorstellungen, alle Politik, Philosophie, Religion aus den materiellen ökonomischen Lebensverhältnissen der fraglichen geschichtlichen Periode" ( E n g e l s ) . Später hat E n g e l s das ökonomische Moment nicht als das einzige, sondern nur als das die sozialgeschichtliche Entwicklung „in letzter Instanz" bestimmende Moment aufgefaßt und den ideologischen Faktoren eine gewisse selbständige Bedeutung und Einwirkung zuerkannt. — A u g u s t e C o m t e entwickelt im Anschluß an Turzot eine Geschichtsphilosophie der'drei Stadien der Menschheitsentwicklung: des theologischen (als Fetischismus, Polytheismus, Monotheismus), des metaphysischen und des positiven Stadiums. [Vgl. Positivismus. J — H. R i c k e r t setzt der Geschichtsphilosophie drei Aufgaben: sie hat als Universalgeschichte oder „Weltgeschichte" das von den historischen Einzelwissenschaften Gefundene zu einem einheitlichen Gesamtbilde, zu einer „allgemeinen Geschichte" zusammenzufassen; als Wissenschaft von den historischen Prinzipien hat sie nach dem allgemeinen „Sinn" oder nach den allgemeinen „Gesetzen" des geschichtlichen Lebens zu fragen; als Wissenschaft vom geschichtlichen Erkennen ist sie als Logik der Geschichtswissenschaft zu bezeichnen, Ausgangspunkt und Grundlage aller geschichtsphilosophischen Untersuchungen. Allgemeine Kulturwerte der Menschen und Völker leiten die Auswahl des Wesentlichen in der Geschichte. Die Produkte des generalisierenden Denkens und die allgemeinen Elemente der historischen Begriffe dienen immer nur einer Darstellung, die das historische Ganze individualisierend auffassen will. — N i e t z s c h e weist in seiner realistischen Geschichtsphilosophie auf die Völker als Krafteinheiten der Geschichte hin. Als Geistesphilosophie entwickelt N i c o l a i H a r t m a n n die Geschichtsphilosophie. (Das Problem des geistigen Seins, 2. Aufl. 1949.) [Vgl. Geisteswissenschaft.] Gesetz: r e c h t l i c h : eine staatliche Vorschrift für das bürgerliche Verhalten; m o r a l i s c h : ein Gebot der sittlichen Vernunft; n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h : ausnahmslose Regel für den Ablauf des Geschehens. Gestaltpsychologie: im Gegensatz zur Assoziationspsychologie, die die BewuBtseinserscheinungen aus psychischen Einzelheiten zusammengesetzt denkt, nehmen neuere Richtungen neben den Elementen mit ihren Eigenschaften A p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Geulincx—Glaube

und Beziehungen noch Ganzeigenschaften an, die nicht aus den einzelnen Elementen ableitbar sind, sondern dem Erlebnisganzen zugehören. So ist eine Melodie nicht die Summe der Einzeltöne, sondern ein einheitliches Ganzes, das auch bei geänderter Tonhöhe bestehenbleibt. A. M e i n o n g und seine Schule lehren, daß zu solcher Gesamtauffassung außer der Sinnestätigkeit noch der Vorgang der „Produktion", d. h. eine psychische Aktivität, ein intellektueller Vorgang gehört. C h r . v. E h r e n f e l s nannte diese nicht aus den Eigenschaften und Wirkungen der Teile sich ergebenden Zustände und Vorgänge „Gestalten". Gestalt bezieht sich nicht nur auf die äußere räumliche Form, sondern auch auf das einheitliche Besondere, das eine Mannigfaltigkeit von Teilen als ein Ganzes erscheinen läßt. Die inneren Strukturgesetze des Ganzen bestimmen das, was an einem Teil des Ganzen geschieht. Zu einer gänzlichen Ablehnung der Assoziationspsychologie kommt die Gestaltpsychologie der Schule W e r t h e i m e r , K ö h l e r , K o f f k a u. a. „Das Gegebene ist an sich in verschiedenem Grade „gestaltet". Gegeben sind mehr oder weniger durchstrukturierte, mehr oder weniger bestimmte Ganze und Ganzprozesse mit vielfach sehr konkreten Ganzeigenschaften, mit inneren Gesetzlichkeiten, charakteristischen Ganztendenzen, mit Ganzbedingtheiten für ihre Teile" ( W e r t h e i m e r ) . In seiner Schrift „Die physischen Gestalten", 1920, versucht K ö h l e r den Nachweis physikalischer Gestalten. Geulincx, A r n o l d (1624—1669): Professor in Löwen und Leiden. Er ist der Begründer des sog. Okkasionalismus. Sein Ausgangspunkt ist, daß wir das, dessen wir uns nicht bewußt sind, daß und wie wir es tun, nicht selbst verursachen, sodaß unser Wille nicht die wahre Ursache der Leibesbewegung ist, die durch Gott mit dem Willen in Verbindung gebracht wird. Seele und Leib verhalten sich wie zwei Uhren, die ständig miteinander in Obereinstimmung gebracht werden müssen (Ethica I. sect. II, § 2). Er unterscheidet zwei Arten von Ursachen: die Gelegenheitsursachen (causae occasionales) und die eigentlich wirkenden (causae efficientes). In abgewandter Form finden sich diese Gedanken bei Leibniz und Malebranche wieder. Glaube: psychologisch: im Gegensatz zum Wissen ein bloß subjektives Fürwahrhalten. Der religiöse Glaube umfaßt alle Abstufungen vom bloßen äußeren Autoritäts-

Glück, Glückseligkeit—Goethe

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und Wortglauben bis zur freien inneren Vertrauenshaltung gegenüber einem letzten Sinn des Daseins. Bei H u m e erhält der Begriff Glaube eine Bedeutung für die Erkenntnis: auf Glauben (belief) beruht die Überzeugung vom Dasein einer Außenwelt und von der Gesetzmäßigkeit des Geschehens. K a n t unterscheidet drei Stufen des Fürwahr.haltens: Meinen, Glauben, Wissen. „Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird zugleich für objektiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen." Alles theoretische, dogmatische Wissen vom Übersinnlichen ist unmöglich, es bleibt aber Raum für einen praktischen Vernunftglauben, der auf moralischer Gesinnung beruht: „Ich mußte also das W i s s e n aufheben, um zum G l a u b e n Platz zu bekommen." F. H. J a c o b i vertritt eine Glaubensphilosophie, die im unmittelbaren Gefühl Gewißheit der Erkenntnis, der Moral und Religion hat. Glück, Glückseligkeit: siehe Eudämonismus. Gnosis: Erkenntnis. Die Gnostiker, wie B a s i l i d e s und V a l e n t i n (im 2. Jahrhundert), versuchen den Glauben durch Erkenntnis zu ersetzen und durch eine „Vergeistigung" die christliche Religion in eine freilich sehr phantastische, metaphysische Entwicklungsgeschichte der Gottheit umzuwandeln. Goethe, J o h . W o l f g a n g (1749—1832): Seine Werke, insbes. der Faust, Wilh. Meister, Dichtung und Wahrheit, die naturwissenschaftlichen Abhandlungen, Maximen und Reflexionen, viele Gedichte vor allem der letzten Periode seines Schaffens, seine Gespräche und sein Briefwechsel sind Quellen tiefer philosophischer Weisheit. Es ist nicht die Philosophie eines Systems, die uns daraus entgegentritt. „Ich für mich kann bei den mannigfachen Richtungen meines Wesens nicht an e i n e r Denkweise genug haben." Bruno, Spinoza, den er oft im Sinne von Leibniz versteht, und Rousseau läßt er auf sich wirken und ist von einem schwärmerischen Pantheismus durchdrungen. Gottnatur wird der höchste Ausdruck seiner Weltanschauung. — Wenn er auch Spinoza verehrt, so hat doch der Pantheismus für seine ethische (und für seine ästhetische) Anschauung keinerlei Bedeutung, ja, er lehnt ihn entschieden ab. Unter Schillers und Kants Einfluß kommt er zu einer 7



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Goethe

mehr wissenschaftsbetonten Auffassung der Natur, wobei jedoch der Dichtergenius die Idee der Naturbeseelung nicht aufgibt. Insbesondere verdankt er der Kritik der Urteilskraft eine höchst frohe Lebensepoche. Kant hat sich ein grenzenloses Verdienst „um die Welt und auch um mich" erworben, daß er sie von den absurden Endursachen befreite. So will er auch das gewagte Abenteuer der Vernunft mutig bestehen und die mechanische Erklärungsweise auf die organische Natur ausdehnen. „Wie?, wann? und wo? die Götter bleiben stumm! Da halte dich ans Weil und frage nicht warum!" Für seine philosophische Urteilskraft aufschlußreich ist der geschichtliche Blick für die Bedeutung der kritischen Philosophie. (Vgl. Winckelmann und den Nachruf auf Wieland, ferner Weinhandl, Goethes Metaphysik.) Kant ist der vorzüglichste, weil seine Lehre sich fortwirkend erwiesen hat und in die deutsche Kultur am tiefsten eingedrungen ist. Kein Gelehrter kann ungestraft jene große philosophische Bewegung von sich abweisen, sich ihr widersetzen oder sie verachten. Mit Kant ist Goethe einig in der Ablehnung einer absoluten, dogmatischen Metaphysik. Die unauflöslichen Probleme sollen liegen bleiben. — Goethes Naturauffassung beruht auf 5 Begriffen: 1. Form, 2. Stetigkeit, 3. Entwicklung, 4. periodische Metamorphose oder Polarität, 5. Urphänome. Das Urphänomen ist der äußerste Punkt einer unendlichen Reihe. Es ist eine Idee, ein Unerforschliches, wie es dem Menschen wohl geziemt, es anzunehmen. Der Mensch ist zwar nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angehe und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten. Die unaufhörliche Problematik der Natur beginnt bei jedem Übergang der Erscheinung zur erklärenden mechanischen Hypothese. Solche Hypothesen läßt G. nur zu als bequeme Bilder, um sich die Anschauung des Ganzen zu erleichtern. Diese Auffassung der Hypothese wird heute auch von zahlreichen Forschern auf dem Gebiete der Physik vertreten. — Die Vernunft löst alles Seiende in Bewegung auf, wobei eine ursprüngliche Totalität, ein universelles Gesetz anerkannt wird, das sich beständig mit sich selbst identisch hält. Die Phänomene dürfen nicht in ihrer Vereinzelung genommen werden, da alle Naturdeutung auf einer Zusammenschau (Idee der Ganzheit) beruht. So bedarf es für das Labyrinth der Pflanzenformen

Goethe

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eines Führers, des „Modells" der Urpflanze. Sie ist die ideelle Grundform, die sich aus der Anschauung entwickelt und an ihr darstellt. Woran wäre zu erkennen, daß ein Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem „Muster" gebildet wären? — Goethe stimmt dem Urteil (in Dr. Heinroths Anthropologie) zu, daß sein Denken gegenständlich sei, daß es sich von den Gegenständen nicht sondere, daß sein Anschauen selbst Denken und sein Denken ein Anschauen sei. Der Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird. Es ist eine neue Auffassung des Allgemeinen, die uns hier entgegentritt. Es soll sich nicht vom Besonderen ablösen, sondern es in seiner Reinheit und Ganzheit festhalten. Allgemeines und Besonderes gehören zusammen wie Systole und Diastole, Einatmen und Ausatmen. Der Gegensatz zwischen Individualität und Totalität soll durch den Begriff der Kontinuität, der Stetigkeit, überwunden werden. G. ist der Verkünder einer durch das ganze Universum hindurchgehenden Entwicklung. Sie vollzieht sich durch die periodische Metamorphose oder die Polarität. Die Entwicklungshypothese hat G. auf alles Lebendige — gemäß seinem tiefen Interesse, überall Einheit zu stiften — angewandt. So entdeckte er auch den. Zwischenkieferknochen. Die Entdeckerfreude darüber, daß ein osteologischer Typus durch alle Geschöpfe hindurchgehe, bewegte ihm „alle Eingeweide". „Und es ist das ewig Eine, das sich vielfach offenbart." — Die Ganzheitsauffassung erstrebt G. nicht nur für die Morphologie der Pflanzen und Tiere, sondern auch für die Gestaltung menschlicher Charaktere, und so hat er die Eigenschaftspsychologie der Franzosen (der Geizige, Tartuffe, Misanthrop) zur Funktionspsychologie im Sinne von Leibniz umgebildet, wie Werther, Tasso, Wilh. Meister, die Wahlverwandtschaften und Faust zeigen, wo das Werden und der Wandel eines inneren Formgesetzes sich darstellen. — Goethes dichterische Phantasie bestimmt alle Richtungen seines Schaffens. Die Grundkraft seines Wesens ist die bildende, im Sinne der Eigengestaltung. Die höchsten Werte seiner Lebensphilosophie liegen im reinen Tun. „Und dein Streben sei's in Liebe, und dein Leben sei die Tat." Die wahrhafte Befreiung und Erlösung Fausts vollzieht sich nicht in der Welt der Schönheit, sondern in der Welt der Tat. Und Prometheus antwortet auf die

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Oorgias— Gottesbeweise

Frage: „wie vieles Ist denn dein?" „Der Kreis, den meine Wirksamkeit erfüllt. Nichts drunter und nichts drüber." Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit. Goethes Lebensphilosophie gipfelt in dem Gedanken, daß jeder auf seine Weise mit der Welt fertig werden muß. Die Philosophen bieten uns nur Lebensformen. Ob wir diesen den erforderlichen Gehalt zu geben vermögen, ist unsere eigene Sache. Bedenken wir dabei, daß alles Vergängliche nur ein Gleichnis, das Symbol eines Höheren ist. „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben." Gorgias (um 400 v . C h r . ) : wissenschaftlicher Nihilist. Sophist und Lehrer der Rhetorik in Leontini auf Sizilien. Jede Meinung ist falsch. Gorgias stellt drei Sätze auf: i. Es existiert nichts. 2. Wenn aber auch etwas existierte, es wäre für die Menschen nicht faßbar. 3. Wenn es auch faßbar wäre, so wäre es unaussprechbar und unmitteilbar. Görland, A l b e r t (geb. 1869): anfänglich Anhänger der „Marburger" kritischen Philosophie, später zu umfassenderem eigenen Standpunkt gelangt. Nach G. stellt die Philosophie als „systematische" die Bedingungen für die Einheit der Erfahrung aus der Mannigfaltigkeit der besonderen Erfahrungsgebiete, d. h. der spezifischen Wissenschaften und ermöglicht so die Totalität und Einheit der vollen Wirklichkeit. Prologik, Ethik, Ästhetik sind bei ihm von bedeutendem systematischem Wert. Bedeutend ist Görland auch als theoretischer Pädagoge, wo er Erziehung (Willensformung) und Bildung (Gefühlsgestaltung) scharf scheidet. Abschließendes Hauptwerk: Aesthetik. Kritische Philosophie des Stils. Marburg 1937. Gott: das höchste Wesen, der Urgrund aller Dinge, das höchste Gut. [Vgl. Atheismus, Deismus, Pantheismus, Theismus.] Gottesbeweise: 1. der k o s m o l o g i s c h e Gottesbeweis schließt vom Dasein der Welt auf Gott als letzte Ursache. So A r i s t o t e l e s : Gott als göttlicher Geist ist die letzte Ursache aller Bewegungen, der unbewegte Beweger. 2. Der t e l e o l o g i s c h e oder physikotheologische Gottesbeweis schließt von der Zweckmäßigkeit der Welt auf einen zwecksetzenden Weltschöpfer oder Weltbaumeister. So schon S o k r a t e s , P l a t o , A r i s t o t e l e s und die Stoiker, im 18. Jahrhundert dann die Aufklärungsphilosophen und Popularphilosophen, die die Zweckmäßigkeit und Harmonie des Weltganzen in

Grenzbegriff—Orotius

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eine platte, auf menschliche Glückseligkeit abgezweckte nützliche Einrichtung aller Dinge umdeuteten. 3. Der o n t o l o g i s c h e Oottesbeweis des A n s e l m v o n C a n t e r b u r y (um 1100): aus dem Begriffe Gottes als des höchsten und vollkommensten Wesens folgt auch die Existenz; denn ein Wesen, das nur im Geiste, nicht auch in Wirklichkeit existieren würde, würde der Existenz als einer wesentlichen Eigenschaft ermangeln, wäre also nicht das allervollkommenste. In der essentia, der Wesenheit Gottes, liegt die existentia, das Dasein, eingeschlossen. Ebenso schließen D e s c a r t e s , S p i n o z a , L e i b n i z , W o l f f u. a. Dagegen führt K a n t aus: Zum Begriff eines Dinges gehören Prädikate, wie beim Gottesbegriff Allmacht u . a . ; aber Existenz ist kein Bestandteil des Begriffs als solchen, sondern kommt dem ganzen Begriff von einem Gegenstande zu. „Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr als hundert mögliche", nämlich dem Begriffe nach, der ein und derselbe bleibt, ob die Taler existieren oder nicht. Aus einem Begriffe läßt sich das Dasein des ihm entsprechenden Gegenstandes nicht herausklauben, sondern muß besonders erwiesen werden. 4. Der m o r a l i s c h e oder ethiko-theologische Gottesbeweis verknüpft das Reich des Sittlichen mit dem Gottesbegriff. So K a n t : Das höchste Gut, die Obereinstimmung zwischen Glückseligkeit und Glückwürdigkeit, ist nur möglich, sofern ein höchstes moralisches Wesen angenommen wird, das diese Übereinstimmung herstellt. Dieses „Postulat der reinen praktischen Vernunft" vermittelt keine theoretische Erkenntnis einer metaphysischen göttlichen Substanz, sondern ist ein bloßer Vernunftglaube, eine moralische Notwendigkeit. Grenzbegriff: ein Begriff, der das Erkennen abgrenzt gegen das Niciiterkennbare; ein Begriff, der ein Transzendentes, ein jenseits der Erfahrung Liegendes bezeichnet, aber nicht in die Erfahrung hineinbezieht. So ist bei K a n t der Begriff eines Noumenon, eines Dinges an sich, „bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken", d. h. um unsere räumlich-zeitliche Erkenntnis als Erkenntnis lediglich der Erscheinungswelt zu kennzeichnen. Grotius, H u g o (1583—1645): niederländischer Staatsmann und Gelehrter. Begründer eines allgemeinen Staatsrechts und des Völkerrechts. Sein Hauptwerk: De jure

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Grund—Grundsatz

belli ac pacis, 1625. Bei ihm gewinnt das rationale Denken Selbständigkeit. „Was dem durch den Verstand geleiteten moralischen Urteil widerspricht, ist gegen das natürliche Recht. Solche Grundsätze sind wahr in sich selbst und können durch äußere Autorität weder gestützt noch aufgehoben werden". „Und dieses jetzt Gesagte w ü r d e stattfinden, wenn wir gleich zugeben wollten, was doch ohne die abscheulichste Sünde nicht geschehen kann, daß kein Gott sei, oder daß er auf die menschlichen Geschäfte nicht achthabe." Sein Einfluß im Sinne milderer und aufgeklärterer Rechtsanschauungen war g r o ß und wohltätig. Grund: als logische Begründung Voraussetzung, aus der ein neues Urteil folgt. Grundsatz der Logik: mit dem Grunde ist die Folge gesetzt, mit der Folge der G r u n d aufgehoben. L e i b n i z hat den von ihm sogenannten „Grundsatz des zureichenden oder bestimmenden G r u n d e s " als Denkgesetz neben den Grundsatz des Widerspruchs gestellt, und zwar in drei ganz verschiedenen F o r m e n : ein zureichender Grund muß sein, „damit ein Ding existiert, ein Ereignis geschieht, eine Wahrheit besteht"; nebeneinander stehen hier der metaphysische Realgrund des Seins, das Kausalgesetz oder der Realgrund des Geschehens, der logische Grund oder Erkenntnisgrund der Wahrheit. Gegen die Vermischung des logischen Grundes mit dem Kausalgesetz wenden sich C r u s i u s (1743) und K a n t (1755). S c h o p e n h a u e r unterscheidet in seiner Dissertation „Ober die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde", 1813, das principium essendi, fiendi, agendi, cognoscendi: Seinsgrund in der Mathematik, Grund des Werdens (Kausalgesetz), Grund des Handelns (Gesetz der Motivation), Erkenntnisgrund (Wahrheitsgrund). Der Satz vom zureichenden Grunde in seiner Allgemeinheit drückt aus, „daß alle unsere Vorstellungen untereinander in einer gesetzmäßigen und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung stehen, vermöge welcher nichts f ü r sich Bestehendes und Unabhängiges, auch nichts Einzelnes und Abgerissenes, O b j e k t f ü r uns werden kann". Grundsatz: [Vgl. Axiom, Prinzip.] Nach K a n t liegen aller Erkenntnis allgemeinste Grundsätze des Verstandes a priori zugrunde als Bedingungen aller möglichen Erfahrung. Diese Grundsätze sind: 1. Axiome der Anschauung: „Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive Größen". 2. Antizipationen der W a h r n e h m u n g : „Das Prin-

Grundwissenschaft—Haeckel

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zip derselben ist: In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen G r a d " . 3. Analogien der Erfahrung. [Vgl. Analogien.] 4. Postulate des empirischen Denkens. [Vgl. Postulat.] Grundwissenschaft: Nach J o h . R e h m k e wird Philosophie zur „Grundwissenschaft", indem sie es nur mit dem „Gegebenen überhaupt" zu tun h a t : „der Gegenstand der Philosophie als Grundwissenschaft ist das A l l g e m e i n s t e des Gegebenen überhaupt", „ihre Aufgabe ist aber, das mannigfaltige Allgemeinste des Gegebenen überhaupt zu fragloser Klarheit zu bringen". So ist Philosophie als Wissenschaft „bodenständige Philosophie". Alles Gegebene (Gewußte), sei es Wirkliches, sei es Nichtwirkliches, ist entweder ein Einziges oder Allgemeines, d. h. es findet sich entweder nur e i n m a l oder aber m e h r m a l im Gegebenen überhaupt. Dieser Gegensatz „Einziges — Allgemeines" ist der grundlegende für die Grundwissenschaft. Dazu kommen die Gegensätze: Einfaches — Einheit, Veränderliches — Unveränderliches, Wirkliches — Nichtwirkliches. [K. C h r . F r . K r a u s e hatte als Grundwissenschaft eine Betrachtung bezeichnet, die die Prinzipien aller Wissenschaft in sich faßt. Diese Grundwissenschaft entwickelt ihre Lehren in zwei, dem Inhalte nach gleichen, Lehrgängen: dem subjektiven, analytischen, der von der Selbstanschauung oder Grundanschauung Ich zu Gott oder Wesen „schlechthin" aufsteigt, und dem objektiven, synthetischen, der von der Wesenschauung synthetisch absteigt.] Haeckel, E r n s t (1834—1919): Professor der Zoologie in Jena. Haeckel hat durch zahlreiche Schriften die Verbreitung des Darwinismus und des Entwicklungsgedankens gefördert und ist bekanntgeworden durch seine Ablehnung des Supranaturalismus in der Wissenschaft. Größtes Aufsehen erregten seine „Welträtsel", 1899. Der darin entwickelte Monismus ist inkonsoquenter Materialismus — freilich poetisch, pantheistisch und daher anziehend. Mit seiner Lehre von der Beseelung alles Lebenden erneuert er den Hylozoismus der alten Griechen. Fruchtbar ist das von Haeckel aufgestellte biogenetische Grundgesetz, wonach die Entwicklung des Einzelwesens die abgekürzte Wiederholung der Stammesentwicklung ist. Dieses Gesetz gibt uns ein Mittel an die Hand, die Frage nach der Herkunft des Anlagesystems des Keimplasmas zu beantwor-

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Halluzination—Hamilton

ten. Dieses Anlagesystem hat den ganzen Weg der Phylogenese hinter sich und entsteht auf ihm. Auf ihm wird mit dem sichtbaren Formtypus der Arten gleichzeitig auch ihr zugehöriges Keimplasma gezüchtet ( M a x H a r t m a n n ) . Halluzination: eine Art krankhaften Empfindens: der Halluzinant hat Vorstellungen, wie Qesichtsbilder, Töne, bei denen die äußeren Reize fehlen, die aber völlig den Charakter einer wirklichen Wahrnehmung besitzen. [Vgl. Vision.] Hamann, J o h . G e o r g (1730—1788): Der Magus des Nordens. Packhofverwalter in Königsberg, befreundet mit Kant, Herder und Jacobi. Ein Glaubensphilosoph, originell, aber etwas wunderlich. Er ist jeglicher Abstraktion und jedem methodischen Philosophieren feind, das er Schulfuchserei und leeren Wortkram nennt. Er mißbilligt die Kantische Trennung von Sinnlichkeit und Verstand und findet darin einen Verstoß gegen die lebendige Wirklichkeit. In der Empfindung, der Tradition, der Offenbarung und der Sprache erblickt er die Grundelemente der Vernunft. Die höchste Erkenntnis findet er im Gefühl und im Glauben. Die Unsterblichkeit der Seele, an die man glaubt, bedarf keines Beweises; und was man unumstößlich bewiesen hat, braucht man deshalb noch nicht zu glauben. Sein Einfluß ist besonders groß auf Herder, reicht aber bis auf die Denker der Neuzeit, z. B. auf Dilthey. Auch Goethe schätzt ihn sehr hoch. Er ist der „hellste Kopf", von dem er sehr viel gelernt hat. Nach Hamann ist „die Poesie die Muttersprache des Menschengeschlechts". Die vorzügliche Rezension Hegels über Hamann liest Goethe wieder und wieder. In Hinsicht auf Hamann schreibt er: „Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich". Werke: Somatische Denkwürdigkeiten, 1759. — Golgatha und Scheblimini. 1784. Hamilton, W i l l i a m (1788—1856): Sein Ausgangspunkt Ist die Lehre des Schotten Reid vom gesunden Menschenverstand; außerdem von der Relativität der menschlichen Erkenntnis. Er kommt dadurch in nähere Beziehung zum Kritizismus. Das Unbedingte und das Unendliche sind Gegenstand des Glaubens. Von Interesse seine Logik, die er mathematisch zu behandeln versucht, indem er das Urteil

haptisch—Hartmann, Eduard von

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als Gleichung a u f f a ß t . W e r k : Lectures on Metaphysics and Logic. 1859/60. haptisch: auf den Tastsinn bezüglich. Harmonie: Z u s a m m e n f ü g u n g von Mannigfaltigem zur Einheit. Bei den P y t h a g o r e e r n sind alle Gegensätze zur H a r m o n i e ausgeglichen; die Welt ist Zahlenharmonie. Nach H e r a k l i t beruht die H a r m o n i e der Welt auf einer gegensätzlichen Spannung, wie die H a r m o n i e der Leier. Nach L e i b n i z besteht zwischen den Monaden das Verhältnis der prästabilierten Harmonie, d. h. einer von Gott eingesetzten Übereinstimmung, die unter Ausschluß der W e c h s e l w i r k u n g alle Monaden einheitlich aufeinander abgestimmt erscheinen läßt. So besteht auch zwischen Leib und Seele eine prästabilierte Harmonie, die die k ö r p e r lichen und die seelischen V o r g ä n g e genau entsprechend verlaufen läßt, ohne daß sie sich gegenseitig beeinflussen. Leib und Seele gleichen zwei Uhren, die stets vollkommen gleich gehen. Hartley, D a v i d (1705—1757): Englischer Assoziationspsychologe. H a u p t w e r k : Beobachtungen über den Menschen, seinen Bau, seine Pflicht und seine Aussichten, 1749. Darin f ü h r t er alle seelischen Erscheinungen auf die Assoziation einfachster Gehirnprozesse zurück. Der geistigen Assoziation der Vorstellungen entspricht die physiologische der Gehirnerscheinungen. Hartley nimmt zwischen beiden an sich inkommensurablen Reihen Parallelismus an. Hartmann, E d u a r d v o n (1842—1906): Philosophie des U n b e w u ß t e n , 1869. Seine Lehre versucht eine doppelte S y n t h e s e : Zwischen Naturwissenschaft und metaphysischer Spekulation, zwischen Schopenhauer und Hegel. Er sucht spekulative Resultate nach induktiver Methode. Die bewußte Vernunft ist nur negierend, kritisierend, kontrollierend, korrigierend, messend, vergleichend, kombinierend, ein- und u n t e r o r d n e n d , aber niemals schöpferisch, produktiv, niemals erfinderisch. Das ist vielmehr das W e r k des U n b e w u ß t e n . Es herrscht im menschlichen Geist, in der Sprache, im Denken, in der künstlerischen P r o d u k t i o n , im C h a r a k t e r , im G e f ü h l , im ästhetischen Urteil, ja, auch in der Geschichte. Aber auch die „Leiblichkeit", Instinkt, R e f l e x b e w e g u n g e n , Naturheilkraft und organische Gebilde werden von ihm beherrscht. Das U n b e w u ß t e ist ein allumfassendes unpersönliches Individuum, das nur nicht den N a m e n „ G o t t " trägt. — Bedeutender als die Metaphysik

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Hartmann, Nicolai

ist die Ethik und die Kategorienlehre E. v. Hartmanns. In der Kategorienlehre gibt er eine Begründung seines transzendentalen Realismus. Er nimmt die „reale Existenz" der „Dinge an sich" außerhalb unserer Vorstellung an, will sie jedoch den Formen der Erkenntnis unterordnen. Die Körper sind objektive Erscheinungen des Unbewußten, die Seele die Summe der auf einen Organismus gerichteten Tätigkeit des Unbewußten. Der Weltprozeß ist die Passionsgeschichte des in die Welt eingegangenen Unbewußten und zugleich der Weg zur Erlösung desselben und der Einzelwesen. Die Sittlichkeit wird bestimmt als die Hingabe der Individuen an diese objektive Teleologie des Weltprozesses. Seine Ethik mündet so in die Religionsphilosophie. Die Selbstentwicklung der Religion, die sich in der Geschichte der Religion vollzieht, ist das höchste. Glied in dem Entwicklungsprozeß der Welt. „Die religiöse Funktion ist die Betätigung der einheitlichen religiösen Anlage des Menschen in einem einheitlichen Akt von Vorstellung, Gefühl, Wille, in welchem die eine oder die andere dieser drei Seiten überwiegen kann". Dieser Akt heißt Glauben, das soviel wie Gelöbnis oder Vertrauen bedeutet. Hartmann, N i c o l a i , geb. 1882, geht von der Marburger Schule aus (Piatos Logik des Seins, 1909). Seine „Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis", 1921 (4. Aufl. 49) beginnen, im Gegensatz zum Idealismus Cohens und der Marburger Schule, mit der Feststellung, „daß Erkenntnis nicht ein Erschaffen, Erzeugen oder Hervorbringen des Gegenstandes ist, wie der Idealismus alten und neuen Fahrwassers uns belehren will, sondern ein Erfassen von etwas, das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von ihr vorhanden ist". Das Erkenntnisproblem ist ihm weder ein psychologisches noch ein logisches, sondern im Grunde ein metaphysisches Problem. Unter Metaphysik kann man nicht ausschließlich die Problemkomplexe von Gott, Welt und Seele verstehen; die kritische Metaphysik hat es vielmehr mit dem ewig rätselhaften Kern der Erkenntnis zu tun. Ohne Seiendes aber gibt es keine Erkenntnis, daher die Wendung Hartmanns zur O n t o l o g i e . Die Welt baut sich in verschiedenen Seinsschichten auf. Jede Seinsschicht hat ihre eigenen Kategorien. Der Schichtenbau der realen Welt ist das eigentliche Gerüst ihres Aufbaus (Zur Grundlegung der Ontologie, 1935; Möglichkeit und Wirklichkeit, 1938; Der Aufbau der realen Welt, 1940; von sämtlichen Bän-

Haufenschluß—Hegel

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den Neuauflagen 1949 bzw. 1950; in Vorbereitung „Philosophie der Natur"). Die Wertlehre bildet den Grundstock der Ethik (1926, 3. Aufl. 1949), die das Ziel verfolgt, den Menschen in den bewußten Besitz seines moralischen Vermögens zu bringen. Bedeutsam ist, was über Religion, Mythus, Recht, Politik und die Irrwege der philosophischen Ethik gesagt wird. Sittliche Grundwerte: das Gute, das Edle, die Fülle, die Reinheit. Spezielle sittliche Werte: Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit, Beherrschung, Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Treue, Vertrauen und Glaube, Bescheidenheit und Demut und Distanz. — „Das Problem des geistigen Seins", 1933 (2. Aufl. 1949) gibt eine Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften. — Historische Arbeiten liegen von N. Hartmann vor über Proklus Diadochus (1909), die Philosophie des deutschen Idealismus: I. Teil Fichte, Schelling und die Romantik (1923); II. Teil Hegel (1929), Aristoteles (1933, 1937, 1939), Leibniz (1946). [Vgl. Ontologie, Wert.] Haufenschluß: s. Sorites. Hedonismus: Lustlehre, eine von A r i s t i p p , einem Schüler des Sokrates, begründete hedonistische Philosophie, die die Lust (f]6ovii) als das einzige sittliche Ziel, als das höchste Gut hinstellt, wobei nur die Stärke der Lust, nicht ein Wertunterschied, maßgebend ist. Dieser Hedonismus schlägt bei H e g e s i a s , „dem Todesüberredner", in einen Pessimismus u m : da alles Streben nach Lust unbefriedigt bleibt, so ist Schmerzlosigkeit, die im Tode am sichersten eintritt, der beste Zustand. E p i k u r veredelt den Hedonismus, indem er die dauernde über die augenblickliche, die geistige über die körperliche Lust stellt. Hegel, G e o r g W i l h e l m F r i e d r i c h (1770—1831): Religiöse und theologische Grundfragin stehen von Anfang an im Mittelpunkt seines Interesses; daneben der Zusammenhang zwischen Einzelleben und Gesamtleben, das Verhältnis des Ich zum Staat. In Griechenland sieht er nicht das verlorene ästhetische, sondern das verlorene politische Paradies, weil sich der Grieche nicht nur seinesgleichen, sondern auch seinen Göttern gegenüber frei fühlte. Die vollkommenste Organisation, die die Vernunft verwirklichen kann, besteht in ihrer Selbstgestaltung zu einem Volk. Die Weltgeschichte bildet das Haupt-Thema der Hegeischen Philosophie. — Das Denken verläuft bei Hegel antino-

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Hegel

misch. Jeder Augenblick gewinnt sein Sein nur dadurch, d a ß er das Sein des v o r h e r g e h e n d e n vernichtet, indem er dessen Oehalt in sich a u f n i m m t . Im Setzen und A u f h e b e n des Widerspruchs v e r m a g das Denken Einheit herzustellen. In der Idee dieser Einheit gipfelt Hegels Religions-, Geschichts- und Staatsphilosophie, aber auch seine Logik und Methodenlehre. Man bezeichnet Hegels Philosophie auch als Panlogismus. Rein mit den Mitteln der Logik versucht er die Welt des Seienden aus dem Wesen des Begriffs herauszudeuten. Auch als Philosophie des Absoluten ist sie anzusehen. Das Absolute, im Sinne der von Ewigkeit her vorhandenen Idee ist der G r u n d der Welt. Das System der Philosophie zerfällt bei Hegel in Logik, Natur- und Geistesphilosophie. Die Wirklichkeit ist die Verwirklichung der sich entfaltenden V e r n u n f t . D a r a u s erhellt, welche zentrale B e d e u t u n g dem Begriff der Entwicklung bei Hegel z u k o m m t . Seine Fruchtbarkeit beweist er in der dialektischen Methode. Diese besagt, daß es im Wesen des Geistes liegt, sich selbst zu entzweien und wieder zur Einheit z u r ü c k z u k e h r e n . Der E n t w i c k l u n g s g a n g der Dinge ist die Selbsterscheinung des absoluten Geistes. Der Geist erhebt sich vom Standpunkt des gemeinen Bewußtseins bis zum philosophischen Standpunkt des absoluten Wissens. Das ist die „ P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes". Hegel unterscheidet sechs Stufen dieser Entwicklung: 1. Bewußtsein. 2. Selbstbewußtsein. 3. Vernunft. 4. Geist. 5. Religion. 6. Das absolute Wissen. Die Darstellung des absoluten Wissens ist die Philosophie. — Der Geist richtet sich zunächst auf sich selbst als subjektiven Geist. Die Lehre vom subjektiven Geist ist die Hegeische Psychologie, die in Anthropologie, P h ä n o m e n o l o g i e und Psychologie im eigentlichen Sinne zerfällt. Der objektive Geist entfaltet sich im Recht, in der Moralität und in der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit findet ihre Vollendung im Staat, der Verwirklichung der sittlichen Idee oder der Freiheit. „Allen Wert, den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit hat er allein durch den Staat, den er wie ein Irdisch-Göttliches verehren soll". Die volle Verwirklichung des objektiven Geistes vollzieht sich in der Weltgeschichte. Die Philosophie der Geschichte bildet einen der H ö h e p u n k t e d e r Hegelschen Philosophie. In den Schicksalen der Völker bringt sich der Weltgeist selbst hervor. Der Volksgeist der einzelnen Völker und die g r o ß e n Persönlichkeiten sind W e r k -

Hegemonikon—Heraklit

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zeuge in der H a n d des Weltgeistes. Die Weltgeschichte ist nichts anderes als die Entwicklung des Begriffes der Freiheit. Im Kunstschönen stellt sich die Einheit von Idee und Erscheinung dar. Die Kunst ist nicht die höchste F o r m des Geistes, sondern die Wissenschaft des Begriffs. Die Religion ist Vorstellung des Absoluten. Sie wird also nicht mit dem G e f ü h l erfaßt. Philosophie ist die höchste F o r m des absoluten Geistes. Sie ist die sich selbst begreifende Vern u n f t . [Vgl. Phänomenologie.] Hegemonikon: das H e r r s c h e n d e ; bei den Stoikern der leitende Teil der Seele; auch wird Gott das H e g e m o n i k o n der Welt genannt. Heidegger, M a r t i n (geb. 1889): Schüler H u s s e r l s und sein Nachfolger als H a u p t der phänomenologischen Schule. Er g e h t zur E r f o r s c h u n g der k o n k r e t e n Existenz des Menschen ü b e r und sucht den Sinn der menschlichen P h ä n o mene durch alle V e r d e c k u n g e n hindurch zu e r g r ü n d e n . H . f ü h r t die P h ä n o m e n o l o g i e zur Wissenschaft vom Sein des Seienden zur Ontologie. — W e r k e : Die Kategorien und Bedeutungslehre des Duns Scotus, 1916. — Sein und Zeit, 1927. — Vom Wesen des Grundes, 1929. — Kant und das Problem d e r Metaphysik, 1929. — W a s ist M e t a p h y s i k , 1930. — Hölderlin und das Wesen der Dichtung, 1936.— H o l z w e g e 1949. [Vgl. Existenzphilosophie, Ontologie.] heliozentrisch: das die Sonne als Mittelpunkt der Welt a n n e h m e n d e astronomische System des K o p e r n i k u s „De revolutionibus orbium coelestium" (Über die U m w ä l z u n gen der H i m m e l s k ö r p e r ) vom Jahre 1543 b e g r ü n d e t die heliozentrische W e l t a n s c h a u u n g im G e g e n s a t z zur g e o z e n trischen. — Eine „heliozentrische Philosophie" entwickelte A l f o n s B i l h a r z : „Der heliozentrische Standpunkt der Weltbetrachtung." Heraklit (544—483 v . C h r . ) : der Dunkle. Sein Stiel ist dunkel und feierlich, bilder- und gleichnisreich. Seine Philosophie b e f a ß t sich zum ersten Mal mit dem D e n k e n selbst. TrAvTa fei, alles fließt. Es gibt nichts, w a s beharrt. Alles ist im W e r d e n . Gut und böse, männlich und weiblich, Entstehen und V e r g e h e n : alles ist dasselbe. „Der Streit ist der Vater aller Dinge", lautet ein bekanntes Wort von ihm. Die Welt der G e g e n s ä t z e wird so zu einer großen H a r m o nie, indem sie in sich zurückkehrt gleich dem Bogen und der Leier. Diese eine O r d n u n g der Dinge bezeichnet er als Feuer, w a s jedoch nicht im Sinne eines U r s t o f f e s zu

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Herbart

verstehen ist, sondern gleichbedeutend ist mit dem Ursprung öder der Vielleicht auch dachte er an das Walten eines Weltgesetzes, das nach Maß und Zahl verfährt — wohl im Anschluß an Pythagoras. Im Felde der Ethik eifert er gegen die bildliche Darstellung der Götter und gegen blutige Opfer. Er lehrt: „Sein Sinn ist des Menschen D ä m o n " . „Für das G e s e t z muß das Volk kämpfen wie für eine M a u e r . " Herbart, J o h a n n F r i e d r i c h (1776—1841): Er nennt seine Philosophie Realismus. Hauptaufgabe der Metaphysik ist: Die Kritik des Inhalts der durch die Erfahrung gegebenen Begriffe. Die Erfahrung wird nach ihm dem gemeinen Bewußtsein in der Wahrnehmung gegenwärtig. Philosophie ist Bearbeitung der Begriffe. Der Begriff ist das einzelne Reale der Empfindung, der Vorstellung. „Leugne man alles Sein, so bleibt zum wenigsten das unleugbar Einfache der Empfindung. Aber das Zurückbleibende nach aufgehobenem Sein ist Schein. Dieser Schein, als Schein, ist das Wahre, hat Wahrheit. Soviel Schein, soviel Hindeutungen auf Sein. Herbart beruhigt sich nicht bei der unmittelbaren Wahrnehmung und jenen Begriffen, welche die „ E r f a h r u n g " mit ihrer Hilfe gibt, sondern er greift schließlich, wenn es sich um die F r a g e des Seins handelt, auf das Denken zurück. J e d e r Schluß vom Schein auf das Sein kann nur mit Hilfe des Denkens vollzogen werden. Und so verwandelt sich ihm die Empfindung ins Problematische und die Entscheidung ruht bei der Vernunft. Allerdings, was nach Herbart die Vernunft als Sein zu setzen hat, das ist das absolute Sein, die Realen. Sie sind im Grunde doch nur wieder sinnlich wahrnehmbare Dinge. Die Abkunft der Realen, die in der Philosophie des Leibniz zu suchen ist, hätte sie vor dieser Verknöcherung bewahren sollen. — In der Psychologie ähnelt seine Position der von Hume. Die Vorstellungen der Seele werden als Zustände der Realen, die aus deren Beisammensein sich ergeben, dargetan. Das Ich, das sittliche Selbst, wird dabei in die Endlichkeit des Vorstellungsverlaufes hineinezogen, und der Mensch ist in seinem Seelenleben dem chicksal und Treiben seiner Vorstellungen willenlos ausgeliefert und unterworfen. Herbart erstrebt eine mathematische Behandlung der Vorstellungen. Wertvoll sein Kampf gegen die sog. Seelenvermögen. — Unter Ästhetik versteht Herbart die philosophische Behandlung der künstlerischen

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Herder— Heteronomie

und der sittlichen Werte. Er unterscheidet fünf praktische Ideen (der individuellen Ethik): 1. innere Freiheit, 2. Vollkommenheit, 3. Wohlwollen, 4. Recht, 5. Billigkeit. Die fünf abgeleiteten Ideen der sozialen Ethik sind: 1. die Rechtsgesellschaft, 2. das Lohnsystem, 3. das Verwaltungssystem, 4. das Kultursystem, 5. beseelte Gesellschaft, Pädagogik. Herder, J o h . G o t t f r i e d (1744—1803): Hauptwerk: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784—91. „Humanität ist der Zweck der Menschennatur, und Gott hat unserem Geschlecht mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in die Hände gegeben". Der Mensch darf seine Bestimmung nicht außerhalb der Menschheit suchen. Der Begriff der Humanität schließt den Gedanken der friedlichen Vereinigung der Menschheit, der Teilnehmung und Mitempfindung aller Menschen untereinander in sich; und selbst Religion ist nur höchste Humanität. Die Einheit des Menschengeschlechts wird aufs stärkste betont und der Begriff der Rasse abgewiesen. „Die Gattung des Menschengeschlechts ist nur ein und dieselbe auf der ganzen Erde". Herder war ein außerordentlich vielseitiger und anregender Geist. In den Ideen wird zum ersten Male der Gedanke der historischen Entwicklung vertreten. Von seinen übrigen Werken sind zu erwähnen: Die Briefe zur Beförderung der Humanität, 1793—97; Gott, Gespräche über Spinozas Schriften, 1787. (Gott, die allgütige, allweise Urkraft existiert nicht außerhalb der Welt, sondern in ihr.) heterogen: andersgeartet, ungleichartig. Heterogonie der Zwecke: das Gesetz, daß „in dem ge. samten Umfange freier menschlicher Willenshandlungen die Betätigungen .des Willens immer in der Weise erfolgen, daß die Effekte der Handlungen mehr oder weniger weit über die ursprünglichen Willensmotive hinausreichen, und daß hierdurch für künftige Handlungen n e u e Motive entstehen, die abermals neue Effekte hervorbringen" ( W u n d t ) . Heteronomie: Fremdgesetzgebung, Abhängigkeit von fremden Gesetzen; K a n t : Bestimmung des Willens nicht durch die autonome, sich selbst das Gesetz gebende sittliche Vernunft, sondern durch außerhalb liegende Prinzipien, wie Glückseligkeit, Vollkommenheit, Willen Gottes. Diese Heteronomie des Willens ist „der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit." [Vgl. Autonomie.] A p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Heterothesis—Hobbes

Heterothesis: das „heterologische Prinzip", durch welches die Philosophie R i c k e r t s der H e g e i s c h e n Dialektik entgehen will, setzt an Stelle der „Antithesis" die „Heterothesis". Das Denken e r z e u g t nicht seinen Gegenstand als G e g e n s a t z , sondern es tritt dem Gegenstande entgegen: der Ansatz der Philosophie kann nicht monistisch, sondern nur d u a l i s t i s c h sein; sowie wir es mit Gegenständlichem zu tun haben, haben wir es bereits mit A l o g i s c h e m zu tun. Das hat R i c k e r t besonders an dem Begriffe der Z a h l entwickelt. Gleichheit (1 = 1) fordert Andersheit, die Identität ist kein Gegenstand, sondern nur „Moment" am Gegenstande. Das „Eine und das Andere" gehören immer zusammen, aber nicht so, daß das Andere aus dem Einen a b g e l e i t e t werden kann, sondern daß es ursprünglich n e b e n dem Einen steht. Durch seine Lehre vom heterologischen Prinzip sucht R i c k e r t den L o g i z i s m u s zurückzuweisen und das Recht gegenständlichen, an Gegenstände gebundenen Denkens zu wahren. Dementsprechend verneint auch die R i c k e r t sehe Philosophie in ihrem Resultat jede Möglichkeit, Wert und Wirklichkeit in einem (metaphysischen) Absoluten „aufzuheben". Heuristik: Erfindungskunst; ein heuristisches Prinzip ist eine Vermutung oder Annahme allgemeiner Art, die zur Auffindung neuer Einsichten dient. Das heuristische Verfahren zeigt, auf welchem Wege Erkenntnisse entdeckt und weitergeführt sind, es schildert so den Werdegang der Wissenschaft. Historismus: Betrachtung und Beurteilung vom Standpunkte der Geschichte, der geschichtlichen Entwicklung. Der H. steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des „historischen Bewußtseins" namentlich im IQ. Jahrh. Er betont im Gegensatz zu allem Denken, das die unbedingte Gültigkeit von Wahrheiten, Werten usw. behauptet, die zeitgeschichtliche Bedingtheit der Kultur in allen Formen und er erklärt diese durch das wechselnde Vorherrschen bestimmter Weltanschauungen, Menschentypen, Gesellschaftsformen usw. Eine wesentliche Quelle des Historismus ist die Philosophie der Romantik, sowie Hegels Geschichtsphilosophie. (Vgl. E. Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme.) Hobbes, T h o m a s (1588—1679): Leviathan ist der von der Kirche vollständig getrennte weltliche Staat. — De corpore, 1655, bekämpft die scholastische Metaphysik. H. tritt

Höhlengleichnis—Homöomerien

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als Mitbegründer der modernen Wissenschaft an die Seite der Kopernikus, Galilei, Kepler, Descartes, Gassendi, Harvey. Auf analytischem Wege kommt er zur Aufstellung folgender Prinzipien: mathematische Größenbestimmung, Kausalität, Masse und Bewegung. Jede Veränderung ist durch Kausalität bestimmte, quantitative Massenbewegung. Alle geistigen Vorgänge sind eine Art mathematisierter Empfindung. Das gilt auch für die Ethik, die so zur Willensmechanik wird. Ihr oberstes Gesetz ist der Selbsterhaltungstrieb. Da der Selbsterhaltungstrieb jedes einzelnen zu dem aller andern in natürlichem Gegensatz steht, kommt es zum bellum omnium contra omnes. Weil die Gegensätze ausgeglichen werden müssen, entsteht der Staat, der in stillschweigendem Vertrag anerkannt und dem absolute Gewalt eingeräumt wird. Der allmächtige Staat ist auf Vernunft aufgebaut, d. i. auf Gerechtigkeit, Bescheidenheit, Billigkeit, Treue und Menschlichkeit. Hauptwerke: De homine, 1618, — De cive, 1642. — Leviathan, 1651. Höhlengleichnis: im 7. Buch seines „Staat" schildert P l a t o , wie die Menschen gleichsam gefesselt in einer Höhle sitzen, in die nur die Schattenbilder der wirklichen Dinge hineinfallen können. Diese Schatten sehen sie für die Wirklichkeit an und halten es für die Aufgabe der Wissenschaft, diese Schatten zu erkennen. So stehen den in der bloßen Sinneserkenntnis gegebenen Abbildern oder Erscheinungen die Urbilder oder Ideen gegenüber, wie die Sonne dem in der „Höhle" brennenden Feuer. homogen: gleichartig; K a n t : das Vernunftprinzip der Homogenität ist das Prinzip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen; es führt als heuristischer Grundsatz zur Idee einer höchsten, alle mannigfaltigen Gattungen umfassenden einzigen obersten Gattung. Homologie: Einstimmigkeit des Handelns mit der Vernunft, mit der Natur (Stoa). homo-mensura-Satz: der Satz des Sophisten P r o t a g o r a s : aller Dinge Maß ist der Mensch, der seienden, daß sie sind, der nichtseienden, daß sie nicht sind. Homöomerien: gleichartige Teile; so bezeichnete A r i s t o t e l e s die von A n a x a g o r a s angenommenen Urbestandteile, Samen aller Dinge, die in unendlich verschiedener Mannigfaltigkeit vorhanden sind und durch Verbindung der gleichartigen Teilchen die gegebenen Dinge bilden: Fleischstoffe das Fleisch, Goldstoffe das Gold usf. 8*

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Humanismus—Humboldt

Humanismus: 1. die geistige Bewegung im Zeitalter der Renaissance, im Anschluß an das Studium der antiken griechischen Literatur das Ideal des freien Menschentums und der selbständigen Persönlichkeit lebendig zu machen. [Vgl. Renaissance.] 2. Der Neuhumanismus (18. und Beginn des IQ. Jahrhunderts) knüpft an die ursprünglichen humanistischen Ideen der Renaissance wieder an und macht dann das im Griechentum verwirklicht geglaubte Menschheitsideal einer allgemeinen menschlichen Geistesbildung zum Zielpunkt aller höheren Bildung. W i l h e l m v o n H u m b o l d t , ein Hauptvertreter dieser Bestrebungen, sucht mit diesem humanistischen Geist Universität und Gymnasium zu durchdringen. 3. Bezeichnung für die Philosophie des englischen Philosophen F. C. S. S c h i l l e r , der alle Wahrheit aus den menschlichen Bedürfnissen heraus bestimmt sein läßt und so die Wirklichkeit nach persönlicher Erfahrung erklärt wissen will. [Vgl. Pragmatismus.] Humanität: Menschlichkeit; die harmonische Entfaltung des wahren Wesens des Menschen zum Ideal edlen Menschentums. Als Ziel der geschichtlichen Entwicklung besonders von H e r d e r verkündet. Das Ideal der Humanität wird in klassischer Weise verkündet von G o e t h e s „Iphig e n i e " ; es wird von G o e t h e zusammengefaßt in dein W o r t : „Edel sei der Mensch, hilfreich und g u t " . Humboldt, W i l h e l m v o n (1767—1835): Kennzeichnend für Humboldts Geistesart ist der durch Humanität geläuterte Individualismus. Die „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen", 1792, sind eine Art Erklärung der Menschenrechte als Zweck und Grenzbestimmung der Macht des Staates. Das Originelle, spezifisch Individuelle und Persönliche im Menschen ist ihm das Wertvollste. Der Wert eines Menschen beruht auf dem besonderen Beitrag, den er zur Bereicherung und Vertiefung der Kultur geliefert hat. Ein Individuum wird um so größer, je mehr es vermag, das Individuelle in sich zum Allgemeingültigen, Gesetzlichen zu entfalten. Daraus f o l g t : nicht neben oder gar außerhalb des Staates, sondern nur innerhalb, desselben und nur in lebendiger Mitwirkung am politischen Organismus des Staates vermag sich das Individuum zur größten Höhe seiner sittlichen Individualität zu entwickeln. — Auf dem Gebiete der Ästhetik ist Humboldt ein Gesinnungsgenosse Schillers, indem er die strengen Vorschriften der Moral dem

Hume—Husserl

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Gemüt des Menschen durch die Mitwirkung des Gefühls des Erhabenen und des Schönen näher bringen möchte. — Humboldt ist bedeutend als Sprachphilosoph. [Vgl. Humanismus.] Hume, D a v i d (1711—1776): Alle Erkenntnis geht nach H. auf Sinneseindrücke zurück. Er sieht nicht (wie Locke) in den Empfindungen die Einwirkung substantieller Dinge. Wir haben kein Recht, von unseren Empfindungen auf derartige Dinge zu schließen; wir nehmen immer nur Farben, Töne, Gerüche usw. wahr. Die empfindende und vorstellende Seele besteht in nichts als in Komplexen von Empfindungen und Vorstellungen. Kausalität ist in der Erfahrung niemals gegeben. Wir nehmen wahr, daß B auf A folgt, aber nicht, daß es notwendig folgt. „Alle Folgerungen aus Erfahrung sind daher Wirkungen der Gewohnheit, nicht des Schließens". Kritik am Substanz- und Kausalbegriff steht im Mittelpunkt seiner Erkenntnislehre. Hume gibt eine Entwicklung der religiösen Vorstellungen aus kulturhistorischen Prinzipien von den Glaubensvorstellungen der Primitiven über den Polytheismus zum Monotheismus und versucht den Beweis zu erbringen, daß Religionen nicht gemacht werden, sondern notwendige Schöpfungen des menschlichen Geistes sind. — In der Ethik vertritt er eine Art Eudämonismus. Zweck aller menschlichen Tätigkeit ist das Glück. Maßstab der sittlichen Billigung ist die Lust. Das Gefühl der sittlichen Billigung empfinden wir auch bei Handlungen, die unserer Selbstliebe entgegengesetzt sind. Neben der Selbstliebe steht die Sympathie, die uns fremdes Leid und fremde Freude mitempfinden läßt. Hauptwerke: Treatise on human nature, London 1739. — An Enquiry concerning human understanding, 1748. Husserl, E d m u n d (1859—1928): Begründer der Phänomenologie, einer „Wesenswissenschaft", die in der Methode der „Wesensanschauung", der reinen Wesensschau, durch unmittelbare Intuition ihr Ziel erreichen will. Husserl geht von der Absicht aus, das Wesen des Logischen (Urteil, Schluß, Wahrheit usw.) zu trennen von den psychologischen Gegebenheiten, in denen es erscheint. Er schließt sich zunächst an die Philosophie von Brentano an, entwickelt dann aber, vor allem unter dem Vorbild der Mathematik, seine eigene Methode. Phänomenologie ist nicht Psychologie, nicht Erfahrungswissenschaft, sondern

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Hylozoismus—Hypothese

apriorische Wissenschaft. Alles Sein ist seinem Wesen nach Bewußt-Sein oder Inhalt eines „reinen" Bewußtseins, dessen wir uns u n a b h ä n g i g von seinem e r f a h r u n g s m ä ß i g e n Gegebensein unmittelbar b e w u ß t sein können. Nach „Eink l a m m e r u n g " aller e r f a h r u n g s m ä ß i g e n Tatsächlichkeit bleibt das apriorische Wesen des G e g e n s t a n d e s übrig, das durch Wesensschau unmittelbar e r f a ß t wird. W e r k e : Logische U n t e r s u c h u n g e n , 1900. — Ideen zu einer reinen P h ä nomenologie und phänomenologischen Philosophie, 1913. — J a h r b ü c h e r f ü r Philosophie und phänomenologische F o r s c h u n g (Band IX, 1928: Vorlesungen zur P h ä n o m e n o logie des inneren Zeitbewußtseins). [Vgl. P h ä n o m e n o logie.] Hylozoismus: S t o f f b e l e b u n g , S t o f f b e s e e l u n g ; die Annahme, die schon die alten griechischen Naturphilosophen machten und die auch in der neueren Philosophie mehrfach vertreten wurde, daß allem stofflichen Sein ein Lebensprinzip innewohnt. Hyperästhesie: Überempfindlichkeit, k r a n k h a f t gesteig e r t e E r r e g b a r k e i t der Sinne. hyperphysisch, hypophysisch: übernatürlich. Hypnose: Schlaf zustand, durch suggestive Einwirkung künstlich h e r b e i g e f ü h r t . Durch Einengung des Bewußtseins wird die Seele f ü r die vom Hypnotiseur a u s g e h e n d e n Einflüsse empfänglich. Auch durch eigene Beeinflussung ist der hypnotische Zustand zu erreichen (Autohypnose). h y p o s t a s i e r e n : ein besonderes Sein als eigene Wesenheit unterstellen, verdinglichen, zu einem selbständigen Ding, zur Substanz machen. Hypothese: z u g r u n d e gelegte A n n a h m e ; allgemein eine zunächst unbewiesene Annahme, durch die g e g e b e n e T a t sachen erklärt werden können. Wissenschaftliche Hypothesen müssen an Tatsachen als richtig erwiesen und auch, durch weitere neue Tatsachen ständig b e w ä h r t , verifiziert werden. Als Beispiel seien die H y p o t h e s e n über die optischen Erscheinungen a n g e f ü h r t : N e w t o n bildete die Emissionstheorie aus, nach der das Licht aus einem feinsten Stoff bestehen soll, dessen kleinste Teilchen von der Lichtquelle fortgeschleudert w e r d e n . H u y g h e n s vertrat die Undulationstheorie, die Wellentheorie des Lichts, nach der das Licht ebenso wie der Schall auf einer Wellenb e w e g u n g beruhe. Beide Theorien konnten die Erscheinungen der Reflexion und Brechung des Lichts richtig er-

hypothetisch—Ichdialektik, Ichprozeß

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klären. Erst F r e s n e l brachte (um 1818) durch den Nachweis der Interferenzerscheinungen des Lichts die Entscheidung für die Wellentheorie. Durch F a r a d a y und M a x w e l l ist dann die elektromagnetische Theorie des Lichts begründet worden, die von H e r t z experimentell bewiesen wurde. N e w t o n s berühmtes Wort „hypotheses non fingo", Hypothesen erdichte ich nicht, bezieht sich nur auf unwissenschaftliche Hypothesen, die nicht von den gegebenen Erscheinungen ausgehen, sondern willkürlich ausgedacht sind. Hypothese ist auch N e w t o n s Annahme der Schwerkraft. Hypothesen sind die allgemeinen Anschauungen von der Erklärung der organischen Entwicklung, von dem Aufbau der Materie. Ohne Hypothesen keine Tatsachenwissenschaft. [Vgl. Arbeitshypothese.] hypothetisch: bedingt angenommen; ein hypothetisches Urteil hat die Form: wenn A ist, ist B; wenn die Sonne scheint, wird der Stein warm. Hysteronproteron: Späteres — Früheres, ein Denkfehler, der die Reihenfolge umkehrt und einen Satz durch das beweisen will, was erst aus dem Satze selbst folgen würde. I: in der Logik Zeichen für das teilweis partikulär bejahende Urteil von der Form: einige S sind P. [Vgl. a.] Ich: Das psychische Ich erscheint als relativ beständiger Beziehungspunkt aller seelischen Vorgänge, die von einem Ich erlebt werden. Bisweilen wird auch der Leib in das Ich einbezogen und der übrigen Körperwelt gegenübergestellt. Indem E r n s t M a c h die Körperwelt, d . h . die Komplexe von Farben, Tönen usw., durch den Leib als mitbestimmt bezeichnet, kann er auch die Körperwelt in das Ich einbeziehen: „dem entsprechend kann das Ich so erweitert werden, daß es schließlich die ganze Welt umfaßt". — Das erkenntnistheoretische Ich K a n t s ist als synthetische Einheit des Bewußtseins, als synthetische Einheit der Apperzeption nichts anderes als der Verstand selbst als einheitlicher Inbegriff aller eine objektive Erkenntnis ermöglichenden Funktionen. Im Anschluß an diese Lehre K a n t s geht F i c h t e s Wissenschaftslehre von dem allgemeinen Ich als Ausdruck einer Tathandlung aus, als Grundprinzip der theoretischen und der praktischen Philosophie. [Vgl. Selbstbewußtsein, Seele.] Ichdialektik, Ichprozeß: wenn man das Ich als O b j e k t des Erkennens betrachtet, bemerkt man sofort, daß es sich

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Ichdialektik, Ichprozeß

von allen anderen O b j e k t e n dadurch unterscheidet, daß es zugleich S u b j e k t ist. S o bezeichnet schon F i c h t e und nach ihm die Identitätsphilosophie das Ich als S u b j e k t Objektivität. Doch kann nicht gesagt werden, daß das Ich, welches erkennt, mit dem zu erkennenden O b j e k t identisch ist, sondern nur, daß es mit ihm identisch s e i n s o l l . Denn es liegt im Wesen des Selbstbewußtseins, dem als O b j e k t bestimmten S u b j e k t stets wieder ein noch unbestimmtes S u b j e k t zugrunde zu legen. V o r der Reflexion zeigt sich so der Ichprozeß als ein p r o g r e s s u s in i n f i n i t u m . Von dieser Erwägung aus hat H e r b a r t in seiner „Eidolologie" das Ich als einen unmöglichen Begriff verw o r f e n : „Das Ich ist die ärgste aller Einbildungen." „Das Ich stellt vor Sich, d. h. sein Ich, d. h. sein Sich-vorstellen; d. h. sein Sich als Sich vorstellend vorstellen usw. Dies läuft ins Unendliche. Man erkläre jedesmal das S i c h durch s e i n I c h , und dieses I c h wiederum durch das S i c h - v o r s t e l l e n , so wird man eine unendliche Reihe erhalten, aber nimmermehr eine Antwort auf die vorgelegte F r a g e , die sich vielmehr bei jedem Schritte wiederholt. Das Ich ist also ein Vorstellen ohne Vorgestelltes; ein offenbarer Widerspruch." H e g e l nimmt diesen Wiederspruch bereits in die Definition des Ich auf, wenn er s a g t : „Ich ist der Inhalt der Beziehung (Subjekt-Objektbeziehung) und das Beziehen selbst; es ist es selbst gegen ein anderes und greift zugleich über dies andere über, das für es ebenso nur es selbst ist." Von neueren Denkern haben sich vor allem R i c k e r t und Julius B e r g m a n n um den Ichprozeß bemüht. Für R i c k e r t ergibt sich die ganze Fragestellung aus der Trennung des reinen vom empirischen Selbstbewußtsein. Das erkenntnistheoretische Subjekt oder Bewußtsein überhaupt kann nicht, wie der Solipsismus will, m e i n Bewußtsein sein, weil ich „ s e l b s t " (als empirisches Ich) Einheit von S u b j e k t und O b j e k t bin. S o wird das reine S u b j e k t zum Q r e n z b e g r i f f , und zwar, wenn wir vom psychophysischen S u b j e k t ausgehen, zum Grenzbegriff einer Reihe, in der wir uns das O b j e k t i v e immer kleiner werdend denken. Für J u l . B e r g m a n n liegt im Ich gleichfalls eine unendliche Reihe von Selbsthervorbringungen oder Selbstanschauungen, nur daß B e r g m a n n sich bemüht, den angeblichen W i d e r s p r u c h des Ich aufzulösen. Andere, wie S c h u p p e und Ö s t e r r e i c h , haben die ganze L e h r e von der Ichdialektik als sophistisch z u -

Ideal—Idealismus

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rückgewiesen bzw. sich mit der Unerklärlichkeit des Selbstbewußtseins begnügt. [Vgl. Solipsismus.] Ideal: Musterbild, höchste Vollkommenheit. Unter Ideal versteht K a n t die Idee als ein einzelnes, durch die Idee bestimmtes Ding. So ist der Weise des Stoikers ein Ideal, d. i. ein Mensch, der bloß in Gedanken existiert, aber mit der Idee der Weisheit völlig übereinstimmt, „und wir haben kein anderes Richtmaß unserer Handlungen als das Verhalten dieses göttlichen Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurteilen und dadurch uns bessern, obgleich wir es niemals erreichen können". Das transzendentale Ideal der reinen Vernunft ist die in einem Einzelwesen Gott verdinglichte Idee eines Alls der Realität; das Ideal des höchsten Gutes ist „die Idee einer solchen Intelligenz, in welcher der moralisch vollkommenste Wille mit der höchsten Seligkeit verbunden, die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt ist, sofern sie mit der Sittlichkeit (als der Würdigkeit glücklich zu sein) in genauem Verhältnis steht". In dem Ideal des Philosophen aber ist der Weltbegriff der Philosophie personifiziert und als Urbild dargestellt, d. h. der Philosoph ist der „Lehrer im Ideal", der alle Vernunfterkenntnisse als Werkzeuge ansetzt und nutzt, um die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu fördern. F. A. L a n g e entwickelt am Schluß seiner „Geschichte des Materialismus" den „Standpunkt des Ideals": der Mensch bedarf einer Ergänzung der Wirklichkeit, die aber doch keine absolute, sondern nur Erscheinung ist, durch eine von ihm selbst geschaffene Idealwelt. Diese freie Tat des Geistes darf aber nicht die Truggestalt einer beweisenden Wissenschaft annehmen wollen, da sie dann zur dogmatischen Metaphysik führt, die bei jedem Denker zu verschiedenen Konstruktionen führt und daher bloße „Begriffsdichtung" ist. S c h i l l e r hat in seinen Gedankendichtungen mit der edelsten Gedankenstrenge die höchste Erhebung über die Wirklichkeit verbunden und dem Ideal eine überwältigende Kraft verliehen. (Vgl. Schillers Gedicht: „Das Ideal und das Leben".) Ideal: 1. musterhaft, vorbildlich; 2. = ideell, nur gedacht, nur in der Idee wirklich, also unwirklich. Idealismus; 1. m e t a p h y s i s c h : die Anschauung, daß alles wahrhaft Wirkliche nur ideellen geistigen Wesens sei. Der platonische Idealismus stellt der veränderlichen Erscheinungswelt der wahrnehmenden Einzeldinge die un-

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Idealismus

veränderliche, unräumliche, nur im Denken zu erfassende ewige Ideenwelt, eine geistige Welt, gegenüber. L e i b n i z erblickt die wahren Substanzen in seelischen, unräumlichen, .unkörperlichen Einheiten, den Monaden, deren jede ein Spiegel des Universums ist. Das wahre Sein ist so eine Stufenfolge von Monaden bis zur höchsten, der Monade der Monaden, der Zentralmonade Gott. B e r k e l e y verneint den Begriff der materiellen Substanz, da nur Wahrnehmungsinhalte unmittelbar gegeben seien, aber keine Materie; es gibt nach ihm nur geistige Substanzen, Seelen: eine Metaphysik des „Immaterialismus" oder Spiritualismus. F i c h t e , S c h e l l i n g , H e g e l entwickeln einen absoluten, spekulativen Idealismus, indem sie die Wirklichkeit aus dem schöpferischen Denken erzeugen, als System der Vernunft begreifen wollen. Da nach H e g e l Metaphysik und Logik zusammenfallen, so nennt man diese Lehre auch logischen Idealismus. — D i l t e y unterscheidet zwei Typen der idealistischen Weltanschauung: den objektiven Idealismus eines S p i n o z a , L e i b n i z , Shaftesbury, Goethe, Schelling, Schleiermacher, H e g e l und den Idealismus der Freiheit, vertreten durch P l a t o , K a n t , F i c h t e . Die Weltanschauung des objektiven Idealismus ist von der Verhaltungsweise des Gefühlslebens bestimmt, sie steht unter dem Gesichtspunkte der Werte der Dinge, der Lebenswerte, der Bedeutung und des Sinnes der Welt: die ganze Wirklichkeit erscheint dabei als der Ausdruck eines Innern, als die Entfaltung eines unbewußt oder bewußt wirkenden seelischen Zusammenhanges. Der Idealismus der Freiheit läßt die Weltauffassung durch das Willensverhalten bestimmen, und so entspringt das Schema der Unabhängigkeit des Geistes von der Natur. — 2. E r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h : die Lehre, daß die Erkenntnis sich nicht auf transzendente Dinge bezieht, sondern vom erkennenden Subjekt bedingt innerhalb der Denkinhalte bleibt. Der subjektive Idealismus betrachtet das Individuum als das erkennende Subjekt und erklärt alle Erkenntnis für subjektiv. B e r k e l e y löst alles Sein in Ideen, Wahrnehmungen auf und gilt so auch erkenntnistheoretisch als subjektiver Idealist. S c h o p e n h a u e r erklärt: die Welt ist meine Vorstellung, kein Objekt ohne Subjekt, kein Subjekt ohne Objekt. K a n t s transzendentaler (formaler, kritischer) Idealismus sieht in Raum und Zeit nur sinnliche Formen unserer Anschauung, nicht aber

Idealität—Idee

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Bestimmungen der O b j e k t e als Dinge an sich, so daß wir alle Erscheinungen als bloße Vorstellungen, nicht als Dinge an sich ansehen müssen. Dieser transzendentale Idealismus ist zugleich empirischer Realismus, denn er erkennt an, daß unseren äußeren Anschauungen etwas Wirkliches im Räume entspricht. Sieht man die H a u p t a u f g a b e des Kantisclicn Kritizismus in dem Herausarbeiten der die Erkenntnis bedingenden Begriffe und G r u n d s ä t z e a priori, so kann man diese Erkenntnistheorie transzendental-logischen oder methodischen Idealismus n e n n e n . — 3. E t h i s c h : die Überz e u g u n g vom ü b e r r a g e n d e n Werte des Sittlichen. So wird F i c h t e s Philosophie, f ü r die die Welt nur das „versinnlichte Material unserer Pflicht" ist, als ethischer Idealismus bezeichnet. Idealität: ideelles Sein, Sein im Bewußtsein, als Vorstellung. K a n t lehrt die transzendentale Idealität von Raum und Zeit: Raum und Zeit haben keine absolute Realität, wie N e w t o n und die mathematischen N a t u r f o r s c h e r behaupteten, sondern nur empirische Realität als F o r m e n der Erscheinungswelt, als Bedingungen aller möglichen Erfahrung, aber zugleich transzendentale Idealität, d. h. sie sind keine F o r m e n der Dinge an sich, sie haben keine Bedeut u n g f ü r ein metaphysisches Sein, da wir aus den F o r m e n unserer Anschauung nichts absolut Reales, aus Bedingungen der sinnlichen Erkenntnis nicht Dinge an sich machen dürfen. Ideal-Realismus: die Anschauung, d a ß das in der Vorstellung G e g e b e n e doch zugleich mit Wirklichem zusamm e n h ä n g t ; nach W u n d t die Überzeugung, „daß die idealen Prinzipien in der objektiven Realität sich wiederfinden". Ideation: Bildung von Ideen. Idee: Gestalt, Form. P l a t o versteht unter Ideen Allgemeinbegriffe, G a t t u n g s b e g r i f f e , die eine metaphysische, übersinnliche Existenz besitzen; sie sind die ewigen, unveränderlichen Urbilder der Erscheinungen, der Einzeldinge, welche nur Abbilder der Ideen sind. In der Stufenfolge der Ideen ist die Idee des G u t e n , die mit der G o t t heit zusammenfällt, die höchste Idee, die Sonne der Ideen. N e b e n dieser metaphysischen Bedeutung hat P l a t o auch einen erkenntnistheoretischen Sinn mit der Ideenlehre verb u n d e n : die Ideen sind V e r n u n f t g r ü n d e , Gesetze des Seins, Grundlagen zur E r f o r s c h u n g der Erscheinungen. A r i s t o t e l e s verwirft die T r e n n u n g von Idee und Erscheinung

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Idee

und verlegt die Ideen in die Einzeldinge als die zweckmäßig wirkenden, gestaltenden Kräfte. Bei den Neuplatonikern und A u g u s t i n werden die platonischen Ideen zu Gedanken Gottes. Ebenso werden im Mittelalter die Ideen zumeist als Urbilder im göttlichen Geist betrachtet, nach denen Gott die Dinge erschaffen hat. In der neueren Philosophie wird unter Idee ganz allgemein Vorstellung, Bewußtseinsinhalt verstanden, so bei D e s c a r t e s und L o c k e ; bei H u m e ist Idee (idea) das (abgeschwächte) Abbild einer Wahrnehmung. Eine neue Bewertung erhält der Begriff Idee bei K a n t : die Vernunft sucht zu der stets nur bedingten Erkenntnis des Verstandes das Unbedingte, die letzte Einheit der Erkenntnis und kommt so zu drei Klassen von Ideen: zur absoluten Einheit des denkenden Subjekts, zur absoluten Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinungen, zur absoluten Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt. Wir haben so die psychologische Idee der Seele, die kosmologische Idee des Weltganzen, die theologische Idee eines höchsten Wesens. Diesen Ideen kann kein kongruierender Gegenstand in der Sinnenwelt gegeben werden; sie sind, objektiv genommen, transzendent, d. h. übersteigen die Grenzen aller Erfahrung. Die Ideen gestatten also keinen konstitutiven Gebrauch, d. h. sie geben uns keine Begriffe von Gegenständen; ein solcher Gebrauch wäre transzendent und würde zu dem trüglichen Scheinwissen der Metaphysik führen. Dagegen haben die Ideen „einen vortrefflichen und unentbehrlichen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einen Punkt zusammenlaufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punkt ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz außerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausdehnung zu verschaffen". Die psychologische Idee der Seele dient dazu, die systematische Einheit in der Erklärung der Erscheinungen der Seele auszudrücken; die kosmologische Idee des Weltbegriffs dient zur Regel, die Bedingungen aller Naturerscheinungen in einer solchen nirgend zu vollendenden Untersuchung zu verfolgen, als ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein erstes und oberstes Glied sei. Die theologische Idee von Gott als der einen

Ideenassoziation— Identitätsphilosophie

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allgenugsamen Ursache bedeutet nur die Regel, systematische Einheit des Mannigfaltigen im Weltganzen und vermittels derselben den größtmöglichen empirischen Vernunftgebrauch möglich zumachen. Nach H e g e l entwickelt die Logik alle Formen des Seins und ist eine Entfaltung der alles in sich fassenden Idee. Dieses Reich der Ideen bildet bei H e g e l wie bei P l a t o den Grund und die Voraussetzung alles einzelnen Daseins. In allem Endlichen erkennen wir den Glanz der einen ewigen Idee, und so umflicht sich das Kreuz der endlichen Gegenwart mit den Rosen eines ewigen, unendlichen Sinnes. S c h o p e n h a u e r erblickt in den unwandelbaren Naturkräften die platonischen Ideen, in denen die Welt sich objektiviert. Diese Ideen, die zwischen den flüchtigen und vergänglichen Einzeldingen und dem Willen stehen, sind räum- und zeitlos und so eine „adäquate Objektivität des Willens." Die Kunst, als Werk des Genius, wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefaßten Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt. Ideenassoziation: s. Assoziation. Identität: Dieselbigkeit, völlige Gleichheit. Begriffe vom selben Inhalt sind identisch; jeder Begriff ist mit sich selbst identisch. Satz der Identität: A ist A, in mathematischer Form: jede Größe ist sich selbst gleich. — L e i b n i z stellte das logisch-metaphysische principium identitatis indiscernibilium, das Prinzip der Identität des Nichtzuunterscheidenden auf: zwei völlig gleiche, nicht unterscheidbare Dinge kann es nicht geben, sie wären sonst eins; es gibt nicht zwei Lindenblätter, die gleich sind. Zumindest sind sie durch verschiedenen Ort im Raum unterschieden. Alle Naturdinge, auch alle Monaden, sind voneinander verschiedene Einzelwesen. Identitätsphilosophie: eine metaphysische Einheitslehre. P a r m e n i d e s : dasselbe ist Denken und Sein. S p i n o z a behauptet, „daß die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz ein und dieselbe Substanz sind, die nur bald unter diesem, bald unter jenem Attribut aufgefaßt wird. Ebenso sind auch ein Modus der Ausdehnung und die Idee dieses Modus ein und dasselbe Ding, nur auf zwei verschiedene Weisen ausgedrückt." S c h e l l i n g : „Natur und Geist sind im Grunde dasselbe", „der Grund von Natur und Geist, das A b s o l u t e , ist die Identität des Realen und Idealen". Aller Dualismus ist vernichtet, alles soll ab-

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Ideologie—Idol

solut Eines werden: Objekt und Subjekt, Natur und Geist, Reales und Ideales fallen im Absoluten zusammen. In anderer Wendung lehrt F e c h n e r eine Identität von Geist und Körper, Physischem und Psychischem: was vom Standpunkte der inneren Wahrnehmung Seele ist, ist vom Standpunkte der äußeren Wahrnehmung Körper; aber beiden liegt kein Drittes zugrunde, das noch etwas für sich bedeutete. Ideologie: eigentlich Ideenlehre; allgemeine Bezeichnung für die von der französischen Revolution gebilligte Philosophie einer „Analyse der Empfindungen und Ideen". Der Name rührt her von D e s t u t t d e T r a c y , der neben anderen Ideologen auf Grund physiologischer und psychologischer Erkenntnis eine Reform von Erziehung, Ethik und Politik erstrebte. — Napoleon I. gab dem Begriff „Ideologie" den verächtlichen Sinn des schwärmerischen, politischen Idealisten. — Die „materialistische Geschichtsauffassung" versucht, alle politischen, philosophischen, religiösen Vorstellungen, überhaupt alles Geistige, aus den materiellen ökonomischen Lebensverhältnissen zu erklären und bezeichnet Moral, Religion, Philosophie als „Ideologie" ökonomischer Verhältnisse: „Jede Klasse gestaltet ihre Ideologie aus ihren materiellen Grundlagen heraus und aus den entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen"; „auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen" ( M a r x ) . [Vgl. Gescliichtsphilosophie.] idiographisch: das wissenschaftliche Denken, das das Einzelne in seiner einmaligen geschichtlichen Gestalt betrachtet, nennt W i n d e l b a n d idiographisch. [Vgl. Geisteswissenschaft.] Idol: Bild, Trugbild; B a c o n zählt vier Idole auf, von denen sich der menschliche Geist befreien muß, wenn er eine wahre Erkenntnis besitzen will: 1. idola tribus (die Trugbilder des Stammes, des Menschengeschlechts), die in der menschlichen Natur begründet sind, wie Sinnestäuschungen, das Suchen nach Zwecken, die Beziehung auf den Menschen statt auf das Universum; 2. idola specus (Trugbilder der Höhle), individuelle Vorurteile, jeder einzelne hat seine persönliche Höhle, die das Licht der Natur nur gebrochen und schlecht hinein läßt; 3. idola fori

ignava ratio—immanent

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(Trugbilder des Marktes), das sind Täuschungen durch Worte, die an Stelle der Dinge treten; 4. idola theatri (Trugbilder des Theaters), das sind die Irrtümer des blinden Autoritätsglaubens, des Fürwahrhaltens des Erdichteten, was auf der Bühne der Wissenschaften vorgespielt wird. Ignava ratio: „faule Vernunft" nannten die Stoiker die Meinung ihrer Gegner, daß aus der Leugnung der Willensfreiheit ein blinder Fatalismus folge, so daß die Vernunft überhaupt keinen Einfluß auf das Leben habe. K a n t will „jeden Grundsatz so nennen, welcher macht, daß man seine Naturuntersuchung, wo es auch sei, für schlechthin vollendet ansieht, und die Vernunft sich also zur Ruhe begibt, als ob sie ihr Geschäft völlig ausgerichtet habe". ignorabimus: wir werden nicht wissen. Seinen Vortrag „Ober die Grenzen des Naturerkennens", 1872, schloß du B o i s - R e y m o n d mit den Worten: Gegenüber dem Rätsel, was Materie und Kraft seien und wie sie zu denken vermögen, muß der Naturforscher ein für allemal zu dem Wahrspruch sich entschließen: „Ignorabimus". [Vgl. Welträtsel.] Ignoratio elenchi: Unkenntnis des Gegenbeweises, die sich im Übersehen des eigentlich zu Beweisenden bemerkbar macht. Illusion: Selbsttäuschung; falsche Auffassung von Wahrnehmungen. Nach K o n r a d L a n g e besteht das Wesen der Kunst in der Illusion, in der bewußten Selbsttäuschung. Illusionismus: Auflösung aller Wirklichkeit und aller Werte in Täuschung und Schein. Bezeichnung für eine idealistische Erkenntnistheorie, die die Welt als Illusion, als Phantasmagorie ansieht. Imagination: Einbildung, Phantasie; S p i n o z a nennt die unterste Stufe der Erkenntnis die imaginatio, die auf Sinneseindrücken beruhende Erkenntnis der Einzeldinge, die als verstümmelt, verworren, unzulänglich, inadäquat gekennzeichnet werden muß, während die ratio, die Vernunft, wahre, adäquate Erkenntnis des Seins vermittelt. immanent: innebleibend, innewohnend; 1. m e t a p h y s i s c h : Gott ist die causa immanens, die innewohnende Ursache aller Dinge, nicht ein transzendenter, jenseitiger Schöpfer; diese Immanenz Gottes besonders im Pantheismus G i o r d a n o B r u n o s und S p i n o z a s ; 2. e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h : innerhalb der Erfahrung bleibend. K a n t : „Wir wollen die Grundsätze, deren Anwendung sich ganz

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Immanenz— Imperativ

und gar in den Schranken möglicher Erfahrung hält, i m m a n e n t e , diejenigen aber, welche diese Grenze überfliegen sollen, t r a n s z e n d e n t e Grundsätze nennen." Immanenz: das Immanentsein; der Pantheismus lehrt eine Immanenz Gottes, ein Enthaltensein in der Welt, eine Innerweltlichkeit Gottes. Immanenzphilosophie: die I. lehrt, daß das Dasein und Sein der Wirklichkeit mit ihrer Erscheinungsweise im menschlichen Bewußtsein zusammenfällt; im-Ich ist die unendliche, in Raum und Zeit ausgedehnte Welt als Bewußtseinsinhalt zu denken; eine jenseits der Erfahrung liegende Welt der Dinge an sich, überhaupt ein das Bewußtsein transzendierendes Sein ist eine unbegründete metaphysische Annahme. Es werden „an Stelle des allgemeinen Seins die beiden einzig denkbaren Spezies gesetzt: das Sein, welches das Subjektsein oder Ichsein oder Denken ist, als der primäre Begriff des Seins, und dann das Sein, welches das Objektsein oder der Bewußtseinsinhalt ist, als ein zweiter Begriff des Seins, letzteres nach der sog. Realität und dem Grade der Gewißheit dem ersteren ganz gleich, in der Art aber von ihm unterschied e n " ( W i l h e l m S c h u p p e ) ; andere Vertreter ähnlicher Richtung: A. v. L e c l a i r , M a x K a u f m a n n . Immaterialismus: Nicht-Materialismus. B e r k e l e y gibt seiner Philosophie diesen Namen, um seinen Gegensatz gegen den Materialismus zu kennzeichnen, der die Materie, den Stoff als real, als Substanz voraussetzt, während er zu zeigen versucht, daß diese Annahme einer körperlichen Substanz unsinnig ist. immateriell: unkörperlich, stofflos. Immoralismus: Bekämpfung der herrschenden Moral oder Leugnung der Gültigkeit irgendeiner Moral. N i e t z s c h e bezeichnet seine eigene Lehre mit der Grundthese „jenseits von gut und böse" als Immoralismus und begründet eine neue Ethik, die im Übermenschen verkörpert ist. Imperativ: das Gebot; K a n t unterscheidet den hypothetischen und den kategorischen Imperativ; der hypothetische stellt die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem vor, der kategorische Imperativ der Sittlichkeit erklärt die Handlung ohne Beziehung auf einen andern Zweck für sich als notwendig: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zu-

implizit— Individualismus

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gleich als Prinzip einer allgemeinen G e s e t z g e b u n g gelten k ö n n e " ; in anderer F o r m : „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst." implizit: eingeschlossen, einbegriffen. Unter impliziter Definition versteht man eine Definition durch A x i o m e : die mathematischen G r u n d b e g r i f f e sollen dadurch definiert sein, d a ß sie den Axiomen g e n ü g e n ( D a v i d H i l b e r t ) . Impression: Eindruck, Sinneseindruck, E m p f i n d u n g ; Grundbegriff der Erkenntnistheorie H u m e s . Impressionen sind alle unmittelbaren seelischen Erlebnisse des Empfindens, der G e m ü t s b e w e g u n g , d e r Willenserregung; Ideen, Vorstellungen sind schwächere, u n g e n a u e Nachbilder der Impressionen. Aber keine Idee ohne Impression. inadäquat: u n a n g e m e s s e n ; die sinnliche Erkenntnis ist nach idealistischer A u f f a s s u n g inadäquat dem ideellen Sein, nach kritisch-realistischer A u f f a s s u n g ist das Denken und Vorstellen der Wirklichkeit an sich inadäquat, d. h. unangemessen. Indeterminismus: Lehre von der Willensfreiheit, der Nichtbestimmtheit des Willens durch Ursachen. [Vgl. Willensfreiheit.] Indifferentismus: 1. Gleichgültigkeit g e g e n ü b e r Anschauungen und Bestrebungen. 2. Ein Vermittlungsversuch in dem Universalienstreit der Scholastik, besonders vertreten von A d e l a r d v o n B a t h : das Einzelding ist das Wirkliche, aber in allen Individuen sei als Indifferentes (Nichtverschiedenes) eine Gemeinsamkeit von G a t t u n g s eigenschaften vorhanden. Indifferenz: Gleichgültigkeit, Unterschiedslosigkeit. S c h e l l i n g f a ß t e das Absolute, die Vernunft, als Indifferenz von Natur und Geist, O b j e k t und Subjekt, als Identität des Idealen und des Realen auf. Individualbegriff: ein Begriff, der sich auf ein bestimmtes. Einzelwesen bezieht. Individualethik: die Ethik, die nur das Individuum, den einzelnen handelnden Menschen, bei der B e g r ü n d u n g d e r Moral als m a ß g e b e n d e n Wert und als Ziel der sittlichen F ö r d e r u n g im Auge hat. In diesem Sinne lehrt Simmel ein „individuelles G e s e t z " f ü r jeden sittlichen Menschen. Individualismus: das Individuum ist ©ine für sich u n d um ihrer selbst willen bestehende Wirklichkeit. Es stellt A p e l , Philosophisches Wörterbuch

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Individualpsychologie

zugleich als die Einzelpersönlichkeit in ihrer Eigenart, ihrer Individualität den höchsten Wert im Gegensatz zu allen Formen und Forderungen der Mitwelt und der G e sellschaft dar. So empfanden die S o p h i s t e n als Philosophen der griechischen Aufklärung den einzelnen Menschen als Maß aller Dinge, alles Seins, Erkennens und Handelns; das starke Individuum ist nicht gebunden an Staatsgesetze, sondern folgt dem T r i e b e seiner eigenen Natur, dem Naturrecht der Stärke. Das Lebensgefühl der Renaissance schafft das Ideal der freien Persönlichkeit, des geistigen, selbständigen Individuums. Der deutsche Humanismus im Ausgange des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts vertritt in Dichtung, Philosophie und Pädagogik die Forderung der Bildung zur humanen, rein menschlichen sittlichen Persönlichkeit. S t i r n e r (Der Einzige und sein Eigentum) entwickelt einen übersteigerten Subjektivismus der selbstherrlichen Persönlichkeit, N i e t z s c h e einen aristokratischen Individualismus in seinem T y pus des Obermenschen als der großen machtvollen genialen Individualität. — Eine Metaphysik des Individualismus finden wir bei dem mittelalterlichen Nominalismus, der die Einzeldinge als das allein Wirkliche betrachtet, bei G i o r d a n o B r u n o , der seine universalistische Anschauung vom Weltganzen mit der Annahme der individuellen Existenz der körperlich-geistigen Monaden vereinigt, bei L e i b n i z , der in seinen rein geistigen Monaden mit ihrer auf sich allein beruhenden Selbsttätigkeit das individuelle Sein zum Wesen der Welt macht, wobei er den Individualismus freilich durch seine Lehre von der Kontinuität und der Gemeinschaft der Monaden von den niedrigsten Seinsformen bis zu Gott ergänzt. Individualpsychologie: Aufgabe der Individualpsychologie ist, das Einmalige im Individuum, die individuelle Bestimmtheit und Wesenheit, die ein Individuum vom anderen unterscheidet, zu erfassen. A l f r e d A d l e r s „Individualpsychologie" versucht, die einzelnen seelischen Vorgänge aus dem Wesen des Individuums und seines Erlebens heraus zu verstehen. Als Grundtrieb wird der Wille zur Macht, der Geltungstrieb, angenommen, der mit dem vielfach bei Kindern und Erwachsenen vorhandenen Minderwertigkeitsgefühl zu kämpfen hat, so daß mannigfache Seelenzustände, auch krankhafter Art, erklärt und durch geeignete Einwirkung beseitigt werden können.

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Individuation—Induktion

Individuation: Sonderung des Allgemeinen in Einzelwesen. In der Scholastik erhob sich das Problem der Individualität, die Frage nach dem Seinsgrund des Einzelwesens (principium individuationis). Nach D u n s S c o t u s ist die Einzelform, die Individualität, etwas Ursprüngliches, nicht weiter Ableitbares, eine in sich selbständige Wirklichkeit, also bedarf es keines besonderen Grundes für das Einzelne. T h o m a s v o n A q u i n o setzte als Grund dafür, daß 'dasselbe Allgemeine, die „Form" (etwa die Menschheit), sich in vielen verschiedenen Einzelwesen verwirklicht, die Fähigkeit der „Materie", sich in Raum und Zeit quantitativ verschieden zu bestimmen. — Nach S c h o p e n h a u e r sind Raum und Zeit das principium individuationis, das den von aller Vielheit freien Willen, das Ding an sich, in die unzähligen Erscheinungen gespalten erscheinen läßt. Induktion: Hinführung vom Einzelnen zum Allgemeinen. Der induktive Schluß leitet aus Einzelfällen ein allgemeines Gesetz ab. J. St. M i l l erklärt die Induktion für eine „Verstandesverrichtung, durch die wir das, was wir in einem besonderen Falle oder in besonderen Fällen als wahr erkannt haben, auch als wahr in allen Fällen erschließen, die den ersteren in gewissen bestimmbaren Beziehungen gleichen. Mit anderen Worten, die Induktion ist das Verfahren, vermöge dessen wir schließen, daß das, was von gewissen Individuen einer Klasse wahr ist, auch von der ganzen Klasse wahr ist, oder daß das, was zu gewissen Zeiten wahr ist, unter gleichen Umständen zu allen Zeiten wahr sein wird". Die Induktion ist also ein Schlußverfahren vom Bekannten aufs Unbekannte, eine Verallgemeinerung aus der Erfahrung. Das Grundprinzip und die Grundvoraussetzung aller Induktion ist der „Satz von der Gleichförmigkeit des Naturlaufs", also die Annahme, daß es in der Natur parallele Fälle gibt, daß das, was einmal geschieht, unter denselben Verhältnissen stets wieder geschehen wird. Das Kausalgesetz gilt demnach als Grundaxiom der Induktion. Beobachtung und Experiment sind die beiden Hauptbestandteile der induktiven Methode. — Als Begründer des induktiven Verfahrens gilt nach Aristoteles S o k r a t e s , insofern er aus Beispielen des praktischen Lebens Definitionen allgemeiner Begriffe zu gewinnen suchte. A r i s t o t e l e s gibt die erste logische Erörterung der Induktion. Sein Beispiel: Mensch, Pferd, 9*

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influxus physicus—Instinkt

Maulesel haben wenig Galle und sind langlebig, also schließen wir: alles, was wenig Galle hat, ist langlebig. Freilich ist dieser Schluß nur wahrscheinlich; streng, wissenschaftlich gültig ist nur die vollständige Induktion der Mathematik (Schluß von n auf n -f- 1)> das Beweisverfahren der Arithmetik. Als einzig fruchtbare Methode für alle Wissenschaften preist B a c o n zu Beginn der Neuzeit die Induktion, ohne freilich selbst etwas wissenschaftlich Beachtenswertes zu leisten. H u m e und M i l l haben dann die Induktionsmethode tiefer begründet. Nach dem Grade der Allgemeinheit unterscheidet W u n d t drei Stufen der Induktion: 1. die Auffindung empirischer Gesetze; 2. die Verbindung einzelner empirischer Gesetze zu allgemeineren Erfahrungsgesetzen; 3. die Ableitung von Kausalgesetzen und die logische Begründung der Tatsachen. [Vgl. Instanzen.] influxus physicus: physischer, körperlicher Einfluß (auf die Seele); im weiteren Sinne die von D e s c a r t e s begründete Lehre von der Wechselwirkung von Leib und Seele, nach der Seele und Leib in der Zirbeldrüse aufeinander einwirken. [Vgl. Wechselwirkung.] Inhalt: logisch: Inhalt eines Begriffs als Inbegriff aller das Wesen seines Gegenstandes bestimmenden Merkmale. Inhärenz: das Anhaften der Eigenschaften an Dingen als ihren Trägern, der Akzidentien an der Substanz. innerer Sinn: s. Sinn. Innervation: Nervenerregung, Nerventätigkeit. Inspiration: geistige Eingebung, übersinnliche Offenbarung. Instanzen: (Fälle); B a c o n s Induktionsmethode stützt sich auf 4 Instanzen: 1. die positiven Instanzen (z. B. Sammlung aller Fälle, in denen Wärme vorkommt), 2. negative Instanzen (Fälle, wo Wärme fehlt), 3. eine Tabelle der Abstufungen (Fälle von mehr oder weniger Wärme), 4. prärogative, besonders ausschlaggebende Instanzen. So findet er, daß Wärme eine ausdehnende Bewegung kleinster Teilchen ist. [Vgl. Bacon.] Instinkt: Naturtrieb; Instinkte sollen es erklären, daß bei Lebewesen Verhaltungsweisen und Handlungen regelmäßig vorkommen, die zweckmäßig sind, ohne daß ihr Ziel bekannt sein kann. Instinkthandlungen sind unabsichtlich zweckmäßige Handlungen, die im Dienste der Lebenserhaltung stehen. Instinkthandlungen vollziehen sich ohne

Instrumentalismus—intensiv

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Bewußtsein vom Ziel, geschehen aber nicht automatisch, sondern passen sich den Umständen an. InstruitientaHsmus: Lehre, daß die Wahrheit nur Mittel oder Werkzeug zur besseren Verwendbarkeit der Vorstellungen sei. [Vgl. Pragmatismus.] Integration: Wiederherstellung, Vereinigung, bei S p e n c e r die Vereinigung des zerstreuten Stoffes zu einem Ganzen. [Vgl. Disintegration.] intellectus agens: in der scholastischen Philosophie der tätige Geist im Unterschiede zum „intellectus. possibilis", durch den die Seele alles werden kann, während der intellectus agens alles tun kann und die Denkobjekte im Denken verwirklicht. Intellekt: Verstand, Denkkraft, Geist. [Vgl. Verstand.] Intellektualismus: allgemein die Anschauung, daß der Intellekt, das Denken, die maßgebende Kraft des Seelenlebens sei, nicht Gefühl oder Wille. Der Mensch als Vernunftwesen ist das Maß aller Dinge. S o k r a t e s begründet eine intellektualistische Ethik mit seiner Zurückführung des Handelns auf Wissen: Tugend ist Wissen und lehrbar, niemand ist freiwillig böse, nur wer die rechte Einsicht nicht besitzt, handelt unrecht, denn niemand will sich selbst schädigen. Ein Intellektualismus, der Welt- und Lebensanschauung wesentlich durch Einsicht, Denken bestimmt wissen will, herrscht in der Denkweise der Neuzeit vor. L e i b n i z und H e g e l sind die entschiedensten Intellektualisten, indem sie dem Intellektuellen eine metaphysisch grundlegende Bedeutung zuerkennen. [Vgl. Voluntarismus.] intellektuelle Anschauung: s. Anschauung. Intelligibel: nur dem Verstände erfaßbar, übersinnlich. Die übersinnliche Welt, mundus intelligibilis, steht gegenüber der sinnlichen Erscheinungswelt, mundus sensibilis. Intelligible Gegenstände hielt K a n t 1770 noch für den Verstand erkennbar. Nach der „Kritik der reinen Vernunft", 1781, ist ein Gegenstand intelligibel, der nicht Erscheinung, sondern ein Noumenon ist. Auf der Höhe der kritischen Philosophie ist die „intelligible Welt" ein bloßer Standpunkt der Betrachtung, die Idee des Unbedingten angewandt auf die Natur. [Uber den intelligiblen Charakter vgl. Charakter.] Intensität: Angespanntheit, Stärke, intensiv: angespannt, innerlich kraftvoll, stark. K a n t :

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Intention—Intuition, intuitiv

„In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad", d. h. jede Empfindung kann abnehmen und allmählich verschwinden. Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach extensive, ihrer Wahrnehmung nach intensive Größen. Intention: 1. Absicht; 2. das Gerichtetsein der Vorstellungen auf ein gemeintes Objekt. B r e n t a n o hatte auf den intentionalen Charakter alles Psychischen hingewiesen. Das Denken ist auf Gegenstände gerichtet; es meint etwas Objektives. „Das sich auf den Gegenstand Beziehen ist eine zum eigenen Wesensbestande des Akterlebnisses gehörige Eigentümlichkeit, und die Erlebnisse, die sie zeigen, heißen . . . intentionale Erlebnisse der Akte." In den intentionalen Erlebnissen ist ein Gegenstand gemeint, auf ihn ist abgezielt ( H u s s e r l ) . [Vgl. Akt.] Intermundien: Zwischenwelten; in als leere Räume zwischen den Weltkörpern gedachte Intermundien verlegt E p i k u r den Sitz der Götter, wo die Götter nun gleichsam auf ihrem Altenteil als selige Idealgestalten leben, ohne sich um Welt und Menschen zu kümmern. Intoleranz: Unduldsamkeit gegen Andersmeinende. [Vgl. Toleranz.1 Introjektion: Hineinlegung, Einlegung; R. A v e n a r i u s bezeichnet mit Introjektion den Grundirrtum, daß wir Bewußtsein, Wahrnehmungen in die Mitmenschen und in uns hineinverlegen und so die einheitliche Wirklichkeit in Innen- und Außenwelt, in Subjekt und Objekt spalten: „Diese Introjektion ist es, welche allgemein aus dem ,Vor mir' ein ,In mir' macht, aus dem ,Vorgefundenen' ein .Vorgestelltes', aus dem Bestandteil der (realen) Umgebung' einen .Bestandteil des (ideellen) Denkens', aus dem ,Baum' mit seinen mechanischen Energien eine .Erscheinung' aus jenem Stoff, aus welchem die Träume gewebt sind." Diese Introjektion wird durch die Selbstbesinnung ausgeschaltet, daß die psychischen Qualitäten etwas unmittelbar Gegebenes und Erlebtes sind. Introspektion: die Innenschau, Selbstbeobachtung, die introspektive Beobachtung der eigenen seelischen Enebnisse. Intuition, intuitiv: Anschauung, anschaulich; eine Erkenntnis durch Intuition oder eine intuitive Erkenntnis soll in einer geistigen Schau bestehen, die uns sicheres, unmittelbar erfaßtes Wissen gibt im Gegensatz zu dem erst

Ironie—James

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zu beweisenden begrifflichen Wissen. D e s c a r t e s und L o c k e sahen in der Intuition eine Quelle unmittelbar einleuchtender Wahrheiten, so des Satzes cogito, ergo sum; S p i n o z a stellte die scientia intuitiva als die höchste Stufe der Erkenntnis hin, die uns als anschauendes Wissen das Wesen der Dinge erschließt. Weit verbreitet ist heute die Meinung, auf Intuition die philosophische Erkenntnis zu gründen: „Philosophieren besteht darin, sich durch eine Aufbietung der Intuition in das Objekt selbst zu versetzen" ( B e r g s o n ) . Ironie: Verstellung, ein zum Spott das Gegenteil des eigentlich Gemeinten zum Ausdruck bringendes Verhalten. Die Sokratische Ironie besteht in der pädagogischen Methode, daß S o k r a t e s sich selbst unwissend stellte und dann den anderen durch Fragen zum Geständnis der gänzlichen Unwissenheit brachte, während er, Sokrates, doch wenigstens das wisse, daß er nichts wisse. So war der Boden geebnet, um ein wirkliches Wissen zu begründen. — Die romantische Ironie ist die Stimmung, „welche alles übersieht, sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigene Kunst, Tugend oder Genialität" (Fr. S c h l e g e l ) . Bedeutend ist Solgers Philosophie der Ironie. (Vgl. K i e r k e g a a r d s Werk „Ober den Begriff der Ironie".) Irrationalismus: eine Metaphysik des Irrationalen, die das Wesen der Welt für die Vernunft als unfaßbar erklärt, ja den absoluten Weltgrund als irrational, als Unvernunft bezeichnet. So der spätere S c h e l l i n g in seiner positiven Philosophie und S c h o p e n h a u e r in seiner Metaphysik des irrationalen Willens. Irritabilität: Reizbarkeit, Erregbarkeit. Jacobi, F r i e d r . H e i n r i c h (1743—1819): Begründer der deutschen Gefühls- und Glaubensphilosophie. Alle Begriffsphilosophie mündet notwendig in den Spinozismus. Darunter versteht er blinden Naturmechanismus, Materialismus. Jacobi ist Anhänger eines naiven Realismus in erkenntnistheoretischer Hinsicht. Vor dem Spinozismus kann nur der Glaube retten. Hauptwerke: Ober die Lehre des Spinoza in Briefen an Moses Mendelssohn, 1785. (Darin behauptet Jacobi, Lessing sei Spinozist gewesen.) — David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, 1787. — Von den göttlichen Dingen, 1811. James, W i l l i a m (1842—1910): nordamerikanischer Philosoph, Begründer des Pragmatismus. Denken ist ein Mit-

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Jaspers-Jung

tel im Dienste des Lebens oder im Kampf ums Dasein. „Diejenigen Vorstellungen sind wahr, die sich als Motive des zweckmäßigen, lebensfördernden Handelns erwiesen haben". „Als annehmbare Wahrheit gilt dem Pragmatismus einzig und allein das, was uns am besten führt, was für jeden Teil des Lebens am besten paßt, was sich mit der Gesamtheit der Erfahrungen am besten vereinigen läßt". Einwand gegen den Pragmatismus: Wie kommt es zur Begriffsbildung von wahr und falsch, neben lebensfördernd und schädlich? [Vgl. Pragmatismus.] Jaspers, K a r l (geb. 1883): Psychiater und Philosoph, unterscheidet bei den Geisteskrankheiten zwischen solchen, die noch verständliche psychische Vorgänge aufweisen, und solchen, bei denen dies nicht mehr der Fall ist. Vertritt die Existenzphilosophie'. „Existenzphilosophie ist das alle Sachkunde nutzende, aber überschreitende Denken, durch das der Mensch er selbst werden will". „Echte Existenzphilosophie ist das appellierende Fragen, in dem heute der Mensch wieder zu sich selbst kommen will." In seiner „Philosophie-", dem systematischen Hauptwerk, betrachtet Jaspers drei Weisen des Seins als voneinander untrennbar: Objektsein, Ichsein, Ansichsein oder anders ausgedrückt: wir ergreifen das Seiende in „philosophischer Weltorientierung", in „Existenzerhellung" und in der „Transzendenz". Als Philosophen der Gegenwart „philosophieren wir in dem Bewußtsein einer Situation, die wieder an die letzten Grenzen und Ursprünge des Menschseins führt". Werke: Allgemeine Psychopathologie, 1903. — Psychologie der Weltanschauungen, 1919. — Die geistige Situation der Zeit (Göschen), 1931. — Philosophie, 3 Bände, 1932. — Nietzsche, 1936. — Existenzphilosophie, 1938. — Von sämtlichen Werken sind Neuauflagen erschienen. In jüngster Zeit: Philosophische Logik (I. Band „Von der Wahrheit"), 1949. — Ursprung und Sinn der Geschichte, 1949. [Vgl. Existenzphilosophie, Verstehen.] Jung, C. G. (geb. 1875): Begründer der Züricher Psychoanalytischen Schule, die eine Abwandlung v o n F r e u d ' s Psychoanalyse vertritt. Der Mensch ist ein Aktions- und Reaktionsmittelpunkt in einem mit ihm wesenhaft verbundenen Felde, dem „Milieu". Jung setzt das Beziehungsgefüge des Ich im Kreise, in dem und aus dem er lebt, gegen die innere Einstellung zum Unbewußten: Maske und Seele, die sich zueinander komplementär verhalten

Kabbala—Kant

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sollen. Überwiegen eines der beiden Systeme ergibt die verschiedenen psychologischen Typen. Werke: Die Psychologie der unbewußten Prozesse, 1918. — Psychologische Typen, 1921. — Wandlungen und Symbole der Libido, 1925. — Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, 1928. — Seelenprobleme oder Gegenwart, 1931. — Wirklichkeit der Seele, 1934. [Vgl. Psychoanalyse.] Kabbala: Überlieferung; die neben dem schriftlichen Oesetz der Juden bestehende Überlieferung; im Mittelalter dann die aus der älteren Geheimlehre hervorgegangene mystische Religionsphilosophie. Kahlkopf: ein Fangschluß des Megarikers E u b u l i d e s : wer besitzt einen Kahlkopf? Nicht der, der 1, 2, 3 usw. Haare verloren hat; also führt schließlich kein Weg vom vollen Schopf zum Kahlkopf. [Vgl. Sorites.] Kairos (griechisch xocipös): das rechte Maß, überhaupt das rechte Verhältnis, besonders der rechte Zeitpunkt. Der Religionsphilosoph Paul T i l l ich führte diesen Terminus in die Religions- und Geschichtsphilosophie ein (Kairos, 1926 und 1929. — Zur Geisteslage und Geistesbewegung, 1926), wo damit der bedeutsame Augenblick bezeichnet wird, in welchem ein Mensch den Einbruch des Ewigen in die Gegenwart erfährt. Kanon: Richtschnur, Regel. Kant, I m m a n u e l (1724—1804): Begründer des transzendentalen Idealismus. Werke: Naturwissenschaftliche Schriften der vorkritischen Zeit, die ihn als Anhänger Newtons zeigen. Am bedeutendsten die Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, 1755, in der die sogenannte Kant-Laplacesche Theorie von der Entstehung unseres Sonnensystems entwickelt wird, sowie die auf Shaftesbury und Burke fußenden Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1764. 1766 erschienen die Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. Humes Schriften und Leibniz' Nouveaux essais hatten großen Einfluß auf Kant. Hume weckt ihn aus seinem dogmatischen Schlummer, wie er selbst erklärt. — 1781, Kritik der reinen Vernunft. Transzendental ist alle Erkenntnis, „die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt". Nicht die Erkenntnis muß sich nach den Gegenständen

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Kant

richten, sondern die Gegenstände nach der Erkenntnis. So vollzog Kant eine „Kopernikanische Drehung". Unter einer transzendentalen Erörterung versteht Kant die Erklärung eines Begriffs als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann. Die Kategorien sind „selbstgedachte erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis". Sie sollen als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung den objektiven Grund für diese Möglichkeit abgeben. Die transzendentale Methode verlangt, daß die Philosophie die Grundlagen des Seins in den Grundlegungen der Wissenschaften aufsucht und nachweist. Unabhängig von der wissenschaftlichen Erkenntnis gibt es keinen Gegenstand im theoretischen Sinne. Die Trennung Ich — Welt ist erkenntnistheoretisch nicht zulässig, da beide von der Erkenntnis abhängig sind. Die Gesetze bringen Einheit unter die Erscheinungen. Dabei wird betont, daß die Vernunft mit ihren Prinzipien in einer Hand und mit dem nach jenen ausgedachten Experiment in der anderen an die Natur herangehen soll. Unsere theoretische Erkenntnis bezweckt letzten Endes synthetische Erweiterungsurteile a priori. — Die Dinge richten sich nach der Erkenntnis. So sind die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind die die Gegenstände ermöglichenden Bedingungen. Ohne sie (die Begriffe von Zeit, Raum, Zahl usw.) ist überhaupt keine Aussage von Objekten möglich. Der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile fordert Gesetzlichkeit. — Kant fand seine Methode in der Beschäftigung mit Newtons „Philosophiae naturalis principia lnathematica". Auf den reinen synthetischen Grundsätzen, als dem „Hebel" der Erfahrung, beruht das ganze System der Erfahrung. Erfahrung ist stets bedingt. Die Vernunft dagegen sucht stets das Unbedingte und enthält in sich den Grund zu Ideen, deren Gegenstand in keiner Erfahrung adäquat gegeben werden kann. — Der leitende Gesichtspunkt, unter dem Gegenstände der beschreibenden Naturwissenschaft betrachtet werden, ist der Zweckgedanke. Naturformen werden als Naturzwecke vorgestellt. Die systematische Einheit der Natur ist ein logisches Prinzip, das in 3 Regeln zerfällt: 1. Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höhere Gattungen. 2. Varietät des Gleichartigen un-

Kardinaltugenden

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ter niedere Gattungen. 3. Affinität der Begriffe. Es handelt sich um drei regulative (nicht konstitutive) Prinzipien. — Kants E t h i k beruht auf der Idee der Freiheit. Er fand das Sittliche in einer Bestimmung des Willens, das allem Vernünfteln über seine Möglichkeit und allen Folgerungen, die daraus zu ziehen sind, vorhergeht. „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein .ein guter Wille". Alle materiale Ethik, mag sie sich auf das physische oder moralische Gefühl, auf den Willen Gottes oder das Prinzip der Vollkommenheit berufen, ist damit abgewehrt. „Man könnte der Sittlichkeit nicht übler raten, als wenn man sie von Beispielen entnehmen wollte". Das Sittengesetz ist das allgemeine Gesetz für den Menschen als Vernunftwesen. Mit der Vorstellung einer allgemeinen G e s e t z g e bung hängt die Idee der Menschheit zusammen, die der Einzelne als Urbild und Triebfeder seiner Handlungen in der Seele trägt. Der Mensch ist vermöge der Autonomie seines Willens Schöpfer des Sittengesetzes. Die Idee der Menschheit wird zur „Idee der Menschheit in mir", d. i. der Persönlichkeit. Der Mensch wird so zum Zweck an sich selbst. Das Sittengesetz lautet in der Form des kategorischen Imperativs: „Handle so, daß Du die Menschheit sowohl in Deiner Person als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst." — Das Vermögen, das weder Erkennen noch Wollen ist, ist das Gefühl. Die ästhetische Idee ist von anderer Art als die Idee der theoretischen Vernunft. Sie ist auf keine Begriffe zu bringen. Das Genie ist das Vermögen ästhetischer Ideen. Schöne Kunst ist die Kunst des Genies. Das Genie ist original und nicht wissenschaftlich. Seine Produkte sind exemplarisch. Nur von ihnen kann die Kunst ihre Regeln ableiten. Die wahre Propädeutik der schönen Kunst besteht in der Humanität als allgemeinem Teilnehmungsgefühl und dem Vermögen, sich innigst und allgemein mitteilen zu können. Die Griechen sind ewige Muster dieser Kunst. Weitere Hauptwerke: Prolegomena, 1783. — Kritik der praktischen Vernunft, 1788. — Kritik der Urteilskraft, 1790. — Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793. Kardinaltugenden: Grundtugenden; P l a t o bezeichnete vier, seiner Einteilung der Seele entsprechende Haupt-

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Karma—Kategorie

tugenden: die Tugend der Vernunft ist die Weisheit, dem mutvollen Willen entspricht die Tapferkeit, der Begierde die Selbstbeherrschung, und diese drei werden in Harmonie gehalten durch die Gerechtigkeit. Die Kardinaltugenden des Christentums sind Glaube, Hoffnung, Liebe. Karma: Tat, Werk; die Lehre des Buddhismus, daß das jeweilige Dasein durch die Taten früherer Daseinsformen bestimmt und für das künftige Schicksal in einer neuen Form maßgebend ist. Kasuistik: Betrachtung von Gewissensfällen, von Konflikten der Pflichten. Kategorie: A r i s t o t e l e s ordnet alle möglichen Denkbestimmungen der Dinge in 10 „Hauptgattungen der Aussagen über das Seiende", in 10 Kategorien oder Aussagearten: Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Lage, Haben, Tun, Leiden. Die Stoiker haben diese 10 auf 4 Kategorien zusammengezogen: Substanz, Eigenschaft, Beschaffenheit, Verhältnis. Diese Kategorien haben eine metaphysische Seinsbedeutung. Unter Bezugnahme auf A r i s t o t e l e s nennt K a n t die Verstandesbegriffe a priori Kategorien. Es sind Stammbegriffe des reinen Verstandes, die keineswegs angeboren sind, sondern sich bei Gelegenheitsursachen der Erfahrung im Bewußtsein erzeugen, aber als „Handlungen des reinen Denkens" einen Denkinhalt besitzen, der nicht durch Wahrnehmung bestimmt ist. Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellt. So kommt K a n t zu seiner Tafel der Kategorien: 1. der Quantität: Einheit, Vielheit, Allheit; 2. der Qualität: Realität, Negation, Limitation; 3. der Relation: der Subsistenz und Inhärenz (substantia et accidensj), der Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung), der Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden); 4. der Modalität: Möglichkeit — Unmöglichkeit, Dasein — Nichtsein, Notwendigkeit — Zufälligkeit. Das eigentliche neue Problem ist nun, zu untersuchen, wie diese „ s u b j e k t i v e n B e d i n g u n g e n d e s D e n k e n s sollten o b j e k t i v e G ü l t i g k e i t haben". Die Kategorien sind nicht subjektiv im Sinne der Psychologie, sondern sie sind als Bedingungen aller möglichen Erfahrung die objektivierenden Funktionen aller gegenständlichen Erkenntnis, also Entfaltungen des denkenden „Subjekts", und Objektivität

kategorisch—Kausalität

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muß in Beziehung gesetzt werden zum Subjektiven, d. h. zum Subjekt des Erkennens, zum Verstände als Inbegriff aller Erkenntnisfunktionen. Damit ist freilich alle theoretische apriorische Erkenntnis auf die Erscheinungswelt eingeschränkt. H e g e l dagegen geht wieder aus von einer Identität von Denken und Sein und setzt die Entfaltung der Vernunft in dem System der Kategorien mit der Wirklichkeit gleich; die Logik wird dabei zur Metaphysik. Durch die Ontologie N. Hartmanns ist die K a t e g o r i a l a n a l y s e zu einem bedeutenden Wissenschaftszweig der Philosophie erhoben worden. kategorisch: aussagend, behauptend; kategorische Urteile enthalten die einfache Aussage S ist P; kategorische Schlüsse haben als Obersatz kategorische Urteile. — Über den kategorischen (unbedingten) Imperativ s. Imperativ. Katharsis: Reinigung, Läuterung. Als Zweck der Tragödie erklärt A r i s t o t e l e s , durch Mitleid und Furcht die Reinigung dieser Affekte oder auch Befreiung von diesen Affekten zu bewirken. Jede Läuterung ist zugleich eine Befreiung. Kausalität: Ursächlichkeit, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung; das Prinzip der Kausalität findet sich zuerst bei den Atomisten L e u k i p p und D e m o k r i t so ausgesprochen: nichts geschieht von ungefähr, sondern allesaus einem Grunde und mit Notwendigkeit. Eine durchgängige allbefassende Kausalität, die auch die menschlichen Handlungen in den notwendigen Weltlauf einbezieht, ist Grundgesetz des Weltalls nach der stoischen Lehre, während E p i k u r eine metaphysische Willensfreiheit als Ursachlosigkeit zur Rettung der moralischen Verantwortlichkeit annahm. Der neuere Rationalismus setzt vielfach Ursächlichkeit gleich logischer Folge; so S p i n o z a : ex data causa determinata necessario sequitur effectus, aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt notwendig die Wirkung. H u m e erkannte, daß das Kausalgesetz die Voraussetzung aller Induktion, aller Erfahrungserkenntnis ist; er zeigte aber, daß Ursache und Wirkung nicht logisch verknüpft sind, sondern daß die Wahrnehmung uns nur eine regelmäßige Aufeinanderfolge der Vorgänge zeige, so daß nur die wiederholte Wahrnehmung des gleichförmigen Naturlaufs uns durch Gewohnheit bestimme, an einen tatsächlichen notwendigen Zusammenhang, also an Ursächlichkeit des Geschehens, zu glauben. Nach K,ant ist das Gesetz der

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Kausalnexus—Kierkegaard

Kausalität der Grundsatz a priori: „alle Veränderungen geschehen nach dem Oesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" oder auch: alles, was geschieht, hat eine Ursache. — Der Positivismus eines E r n s t M a c h sieht in dem Glauben an die geheimnisvolle Macht, Kausalität genannt, die Gedanken und Tatsachen in Übereinstimmung hält, einen starken Zug von Fetischismus und hofft, daß die künftige Naturwissenschaft die Begriffe Ursache und Wirkung völlig beseitigen wird. „Die alte, hergebrachte Vorstellung von der Kausalität ist etwas ungelenkig: einer Dosis Ursache folgt eine Dosis Wirkung. Es spricht sich hierin eine Art primitiver, pharmazeutischer Weltanschauung aus wie in der Lehre von den vier Elementen." Der Ursachebegriff muß durch den mathematischen Funktionsbegriff ersetzt werden. — Eine „Krise des Kausalitätsbegriffs" ergibt sich aus der Quantenmechanik H e i s e n b e r g s . [Vgl. Statistische Gesetzmäßigkeit.] Kausalnexus: ursächliche Verknüpfung von Ereignissen. Kepler, J o h . (1571—1630): Sein Jugendwerk: Mysterium cosmographicum bewegt sich noch ganz in neuplatonischpythagoreischen Gedankengängen. In seiner Apologie für den Astronomen Tycho de Brahe erörtert er den Begriff der Hypothese im platonischen Sinne und legt mit diesen erkenntnistheoretischen Erwägungen den Grund zu seiner berühmten Schrift über die Bewegung des Mars und zu seinem Hauptwerk über die Weltharmonie. Die innere Harmonie der Seele soll in der äußeren Harmonie des Weltalls verankert werden. Harmonie ist auch das Grundprinzip seiner politischen Weltanschauung. Die bewegende Kraft liegt nach ihm in einer Art Lebensgeist. Eine grundlegende Änderung seiner Weltanschauung bringt die Schrift über die Marsbewegung, 1609. Hier ist es nicht mehr die Weltseele, sondern die Sonne, die die Planeten bewegt. In dieser Schrift finden sich auch die beiden ersten Keplerschen Gesetze, in denen die Ellipsenbewegung der Planeten gelehrt wird. Kettenschluß: s. Sorites. Kierkegaard, S ö r e n (1813—1855): Er ist der eigentliche Begründer der Existenzphilosophie. Lange vergessen, wurde er kurz vor dem ersten Weltkrieg wieder entdeckt. Seine vornehmliche Wirkung entfaltet er erst in der Existenzphilosophie der Gegenwart. Der geniale Däne schuf

Klages—Kollision

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eine „Gegenphilosophie gegen Hegel". Er entwickelt, daß die Erkenntnis des Absoluten dem Menschen nicht möglich sei. Zwischen der auf Angst, Not und Tod brüchig genug erbauten Existenz der Menschen und der Existenz des absoluten Geistes gebe es keine direkte Verbindung. Moderne Theologen wie Karl Barth, Gogarten und Guardini und Philosophen wie Schrempf, Heidegger und Jaspers berufen sich auf ihn. [Vgl. Existenzphilosophie.] Klages, L u d w i g (geb. 1872): Klages ist der Kämpfer gegen den „Geist", in dem er den Hauptwidersacher der Seele sieht. Der Geist verursacht die Krankheit des Bewußtseins, und dies ist die fundamentale Krankheit der heutigen Kultur. Der Geist und insbesondere der Intellekt führen nach ihm zur „Entseelung"; sie sind Illusion. Der Typus des wahren Lebens ist der sich selbst vergessende Rausch, das „Dionysische". Die „Welt" ist für die vom „Geist" noch freie Seele eine Folge von Bildern, d. i. von Erscheinungen beseelter Mächte. Der Geist tötet diese lebendige Welt. Die Körperbewegungen sind der Ausdruck der „Sprache" der Seele, wobei zu berücksichtigen ist, daß fortschreitende seelisch-geistige Entwicklung einen größeren Reichtum an Ausdrucksbewegungen hervorruft. Klassifikation: Einteilung nach systematischen Gesichtspunkten, sodaß der ganze Umfang des Begriffs durch die Einteilungsglieder umfaßt wird; besonders in Zoologie, Botanik, Mineralogie ist die Klassifikation von Bedeutung. Koexistenz: das Zusammensein, Zugleichsein. Da die Wahrnehmung uns nur eine Koexistenz bestimmter Eigenschaften liefert, so muß nach H u m e der Begriff Substanz durch Vorstellung eines solchen Zusammenseins von Eigenschaften ersetzt werden. kognitiv: das kognitive Denken ist das erkennende, urteilende Denken, dem Wahrheit zukommt; nur der kognitiven Geltung, der Wahrheit der Urteilsfunktion, korrespondiert durchweg ein wirkliches Sein der Objekte ( H e i n r i c h M a i e r ) . [Vgl. emotional.] Koinzidenz: Zusammenfall. [Vgl. coincidentia oppositorum.] kollektiv: zusammenfassend, Kollektivbegriffe (Sammelbegriffe) bezeichnen die Zusammenfassung einer Anzahl von Dingen zu einem Ganzen, wie Regiment, Wald. Kollision: Zusammenstoß; man spricht von einer Kolli-

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komparativ—Kontemplation

sion der Pflichten, wenn scheinbar miteinander unverträgliche sittliche Forderungen zur Entscheidung stehen, komparativ: vergleichsweise, auf Vergleichung beruhend. Komplex: Z u s a m m e n f a s s u n g zu einem einheitlichen Ganzen. — Eine a f f e k t b e h a f t e t e Vorstellungsgruppe, die in das Unterbewußtsein verdrängt als Zwangsvorstellung das Seelenleben beeinflußt. [Vgl. Psychoanalyse.] Konditionismus, Konditionalismus: konditionale Betracht u n g s w e i s e soll nach V e r w o r n die kausale ersetzen. An Stelle d e r Ursache tritt die Summe aller Bedingungen. Konklusion: Schluß, Folgerung, der aus den Prämissen abgeleitete Schlußsatz. konkret: das unmittelbar anschaulich G e g e b e n e ; konkrete Begriffe bezeichnen Anschauliches, einzelne Gegenstände der Anschauung. konsekutiv: abgeleitet heißen Merkmale, die aus anderen folgen, aus dem Merkmal der Parallelität der Gegenseiten eines Parallélogrammes folgt die Gleichheit dieser Seiten. Konsequenz: Folgerichtigkeit, logische Folge, konstitutiv: b e s t i m m e n d ; Merkmale, die als wesentliche dem Begriffe n o t w e n d i g zukommen, den Begriff konstituieren, heißen konstitutive. — K a n t unterscheidet konstitutive und regulative Prinzipien. Die konstitutiven Prinzipien sind G r u n d s ä t z e des Verstandes, die die Erfahrungserkenntnis der G e g e n s t ä n d e ermöglichen und a priori bestimmen, w ä h r e n d die Ideen der Vernunft nicht als konstitutive Prinzipien der Erweiterung unserer Erkenntnis ü b e r die E r f a h r u n g hinaus mißbraucht werden dürfen, sondern als regulative Prinzipien der systematischen Einheit der Erkenntnis dienen. [Vgl. Idee.] Konstruktion: 1. m a t h e m a t i s c h : „einen Begriff konstruieren heißt: die ihm korrespondierende Anschaung a priori darstellen" ( K a n t ) ; 2. die p h i l o s o p h i s c h e Begriffskonstruktion ist das Verfahren, durch logische Entwicklung der Begriffe die Wirklichkeit zu bestimmen, konstruieren zu wollen. Konstruktive Denker sind besonders S c h e l l i n g und H e g e l . Konszientialismus: Lehre, daß es nur im Bewußtsein Wirkliches gibt; alles Sein ist Bewußtsein, kein Sein außerhalb des Bewußtseins. [Vgl. Immanenzphilosophie.] Kontemplation: Betrachtung, Beschaulichkeit, geistige Schau der Wahrheit, des Göttlichen durch V e r s e n k u n g in

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kontingent—kontradiktorisch

die Seele, besonders geübt in der Mystik. Das kontemplative, der Betrachtung geweihte Leben steht gegenüber dem aktiven, tätigen. — Der Zustand der „reinen Kontemplat i o n " wird als Bedingung der ästhetischen Betrachtungsweise von S c h o p e n h a u e r gefordert: Aufgehen in die Anschauung, Sichverlieren ins O b j e k t , Vergessen der Individualität, Erhebung des erkennenden Individuums zum reinen Subjekt des willenlosen Erkennens. kontingent: benachbart; lassen sich die Artbegriffe eines Gattungsbegriffs in eine Reihe mit konträren Endgliedern anordnen, so heißen die benachbarten Begriffe kontingent; kontingent auch = zufällig. [Vgl. Kontingenz.] Kontingenz: Zufälligkeit, Möglichkeit des Anders-seinkönnens. Kontingenz s t e h t ' zwischen Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Alles Endliche ist nach mittelalterlichen Denkern kontingent, ebenso sprach man von der Kontingenz der Willensfunktionen. Aus der Kontingenz der Welt wird der kosmologische Gottesbeweis geführt. Auch die einzelnen Naturgesetze werden, da sie nicht logisch notwendig sind, als Kontingenzgesetze betrachtet ( L e i b n i z , Boutroux). Kontinuität: Stetigkeit; als Grundgesetz betrachtete L e i b n i z die lex continui, das Gesetz der Stetigkeit. Alles existiert und vollzieht sich in kontinuierlichen, stetigen Übergängen ohne Sprung; auch die Monaden bilden eine stetige Stufenfolge. In der Natur gibt es keine Sprünge, alle Veränderungen folgen dem Gesetz der Kontinuität, da weder die Zeit noch die Erscheinungen in der Zeit aus kleinsten Teilen bestehen. — Die Kontinuitätshypothese der Physik vertritt im Gegensatz zur Atomistik die Annahme, daß der Raum stetig von Materie erfüllt ist. S o setzte D e s c a r t e s Raum und Materie gleich und ließ die Bewegungen sich von Punkt zu Punkt übertragen. Eine neue Kontinuitätshypothese wurde durch Lord K e l v i n und J . J . T h o m s o n , sowie auch durch H e l m h o l t z , zu einem Weltbild der Wirbelatome ausgestaltet, freilich ohne schließlich die Erfahrungstatsachen befriedigend erklären zu können. kontradiktorisch: widersprechend; zwei Begriffe stehen im kontradiktorischen Gegensatz, wenn die Setzung des einen die Verneinung des anderen b e s a g t : schwarz, nichtschwarz; zwei Urteile, die sich gegenseitig ausschließen, stehen in kontradiktorischem G e g e n s a t z : S ist entweder A p e 1, Philosophisches Wörterbuch

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Kontraposition—Koordination

P oder Nicht-P, der Angeklagte ist entweder schuldig oder nichtschuldig. Kontraposition: Qegensetzung; Umstellung der Glieder eines Urteils derart, daß das kontradiktorische Gegenteil des Prädikats zum Subjekt wird; aus dem Urteil: S ist P folgt durch Kontraposition: kein Nicht-P ist S, z.B. aus dem Urteil": alle Metalle sind Elemente folgt: kein NichtElement ist ein Metall. konträr: entgegengesetzt; in konträrem Gegensatz stehen zwei Begriffe, die sich zwar gegenseitig ausschließen, aber noch mit anderen Begriffen sich in den Umfang-des höheren Begriffs teilen; die am weitesten voneinander abstehenden Glieder solcher Reihe sind konträr entgegengesetzt, wie schwarz und weiß, lieben und hassen. Konträr entgegengesetzt sind solche Urteile, die den größtmöglichen Gegensatz bezeichnen, aber noch ein drittes Urteil als möglich erlauben; die beiden Urteile „alle Menschen sind aufrichtig" und „kein Mensch ist aufrichtig" lassen noch die Möglichkeit offen, daß einige Menschen aufrichtig sind. Kontrast: ein durch gegenseitiges Voneinander-Abheben bewirkter größerer Unterschied, etwa bei Farben oder Gefühlen, so daß diese als gegensätzlich empfunden werden. Konvention: Übereinkunft, eine Festlegung von Begriffen zum Zwecke der Naturerkenntnis, etwa der Zeitmessung durch Bestimmung der Rotation der Erde als Maß der Zeit. Konversion: Umkehrung; in einem Urteil die Vertauschung von Subjekt und Prädikat: aus dem Urteil: alle S sind P wird: einige P sind S; aus dem Urteil: alle Pudel sind Hunde folgt durch Konversion: einige Hunde sind Pudel. Konzeption: Begriffsbildung, Fassen des Gedankens. Konzeptualismus: eine philosophische Vermittlungsrichtung im Universalienstreit der Scholastik, die das Allgemeine weder als real wie der Realismus, noch als bloßes Wort wie der Nominalismus, sondern als allgemeinen Begriff (conceptus) auffaßte, der ein den Dingen gemeinsames zusammenfaßt. Hauptvertreter A b ä l a r d . {Vgl. Universalienstreit.] Koordination: Beiordnung; koordiniert sind Begriffe, die demselben nächsthöheren Gattungsbegriff untergeordnet sind.

Koordinationslehre— Kosmogonle

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Koordinationslehre: das Verhältnis von Leib und Seele ist danach weder durch W e c h s e l w i r k u n g noch durch den psychophysischen Parallelismus zu erklären, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis kann nur Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten von Tatsachen konstatieren (Lehre vertreten vom Positivismus). Kopernikus, N i k o l a u s (1473—1543), schrieb das W e r k De revolutionibus orbium caelestium, 1543. „Ich w a r der Meinung, daß es auch mir wohl erlaubt wäre, zu versuchen, o b unter Voraussetzung irgendeiner B e w e g u n g der Erde zuverlässigere Ableitungen f ü r die Kreisbewegungen der H i m m e l s k ö r p e r g e f u n d e n werden könnten als.bisher". Und so hat er den Kreislauf der Erde dem Kreislauf jedes Gestirns „ z u g r u n d e g e l e g t " . Er gebraucht diesen Begriff d e r platonischen Hypothesis in gleicher Weise wie Galilei und Kepler. Aus einer ästhetischen Liebe zur N a t u r g e w a n n e n diese drei Denker der Renaissance die theoretische Kraft, die 'Erscheinungen der Natur logisch zu erfassen. Kopernikus hat an der Beseelung der Gestirne festgehalten. Er war nicht T h e o l o g e , wie vielfach a n g e n o m m e n wird. Die H a u p t b e d e u t u n g seiner Schrift liegt nicht in den bald ü b e r holten Einzelergebnissen, sondern in der, wie Kant in der „ V e r n u n f t k r i t i k " sagt, durch ihn hervorgerufenen „Revolution der D e n k a r t " . Korollar: Folgesatz, Zusatz. Korpuskularphysik : die Auffassung, nach der die Materie aus Korpuskeln (Körperchen) besteht, die einen Raum einnehmen und vollständig ausfüllen. Sie sind (mathematisch) teilbar ins Unendliche. H a u p t v e r t r e t e r D e s c a r t e s . Korrelate: Wechselbegriffe, in wechselseitiger Beziehung s t e h e n d ; korrelative Begriffe sind U r s a c h e — W i r k u n g , Riese—Zwerg. Korrelation: Wechselbeziehung. Kosmogonie: W e l t e n t s t e h u n g ; eine Weltbildungslehre auf mechanischer G r u n d l a g e gab schon der Atomist D e m o k r i t (etwa 460—360 v . C h r . ) : die Atome stoßen in ihrer B e w e g u n g aufeinander und geraten in eine Wirbelbew e g u n g , die immer mehr A t o m k e t t e n e r f a ß t ; die g r ö ß e r e n Atome ballen sich zur Erde zusammen, w ä h r e n d die kleineren runden F e u e r a t o m e die Gestirnwelt bilden. D e s c a r t e s entwirft in seinen „Prinzipien der Philosophie", 1644, ein Weltsystem, das ebenfalls durch W i r b e l b e w e g u n g der den Raum vollständig erfüllenden Materie entstanden 10*

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Kosmologie—Kosmopolitismus

ist, indem jedes Sonnensystem aus einem ungefähr kugelförmigen Wirbel, der sich um eine Achse dreht, hervorgegangen sein soll. Auf N e w t o n s Mechanik gestützt macht K a n t 1755 einen neuen Versuch einer Kosmogonie in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt". Im Urzustände war der Grundstoff der Welt in einer allgemeinen Zerstreuung, aus der nach den Gesetzen der Anziehung und Abstoßung sich der gegenwärtige Weltbau ableiten läßt. Der französische Mathematiker und Physiker L a p l a c e nimmt in seiner „Darstellung des Weltsystems" 1796, die Rotation eines glühenden Gasballs als Ausgangspunkt seiner Betrachtung an. Es bilden sich dann Ringe, die um die Kernmasse kreisen, aus den zerfallenden Gasringen schließlich Kugeln, die sich zu Planeten zusammenballen. Kosmologie: eigentlich „Weltlehre", aber auch Lehre von der Weltentstehung. [Vgl. Kosmogonie.] Kosmologischer Gottesbeweis: aus der „Zufälligkeit" der Welt wird aut einen notwendigen Urgrund geschlossen. [Vgl. Gottesbeweise.] Kosmopolitismus: Weltbürgertum; begründet in der kosmopolitischen Ethik der Stoiker: da alle Menschen teilhaben an derselben Vernunft, so sind alle Menschen Brüder in dem gemeinsamen Vaterlande, der Welt. Eine weltbürgerliche Gesinnung beseelte auch den deutschen Humanismus um die Wende des 18. Jahrhunderts. K a n t : Die menschliche Gattung ist eine Menge von Personen, die das friedliche Beisammensein nicht entbehren und dabei dennoch einander beständig widerwärtig zu sein nicht vermeiden können; folglich durch wechselseitigen Zwang unter von ihnen selbst ausgehenden Gesetzen sich von der Natur zu einer weltbürgerlichen Gesellschaft bestimmt fühlen (die „gesellige Ungeselligkeit" oder der „Antagonismus" der Menschen). Aber dieses Ziel ist eine unerreichbare Idee, kein konstitutives Prinzip, so daß man schon jetzt bei den bestehenden Gegensätzen diesen Friedenszustand erwarten könnte, sondern ein regulatives Prinzip, das uns auffordert, dieser Idee als einer Bestimmung des Menschengeschlechts fleißig nachzugehen. F i c h t e erklärte als das „Vaterland des wahrhaft ausgebildeten Europäers — im allgemeinen Europa, insbesondere in jedem Zeit-

Kosmos—Krisis, Theologie der Krisis

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alter — denjenigen Staat, der auf der Höhe der Kultur steht". Kosmos: Schmuck, Zierde; Bezeichnung für Welt bei den Griechen. Kraft: der Ursprung des Kraftbegriffs liegt wohl in der Wahrnehmung der Muskelanstrengung, wenn wir einen schweren Körper in beschleunigte Bewegung versetzen. Die Mechanik versteht nach N e w t o n s Definition unter Kraft das Produkt aus Masse und Beschleunigung. In dem von R o b e r t M a y e r und H e l m h o l t z aufgestellten „Satz von der Erhaltung der Kraft" ist der hier irreführende Ausdruck Kraft später durch den Energiebegriff ersetzt worden. L e i b n i z erkannte schon das mechanische Prinzip der lebendigen Kraft, den Energiesatz der Mechanik: die gegen eine Kraft geleistete Arbeit ist gleich der Abnahme des halben Produktes aus Mässe und Geschwindigkeitsquadrat. — B o s c o v i c h und K a n t versuchten die Materie in Kräfte aufzulösen: anziehende und abstoßende Kräfte erklären die Eigenschaften der uns materiell erscheinenden Welt. [Vgl. Energie.] Kreatianismus: eine kirchlich-metaphysische Lehre, daß die von Gott geschaffene Seele bei der Zeugung mit dem Leibe vereinigt wird. Krisis, Theologie der Krisis (dialektische Theologie): Der spekulative Idealismus der Romantiker, der jede absolute Transzendenz aufhob, hatte auch den Begriff eines transzendenten G o t t e s und mit ihm überhaupt die Persönlichkeit Gottes aufgehoben. Für K a n t schon war Gott nur der Begriff des „Ideals der reinen Vernunft" bzw. ethisches Postulat; für F i c h t e fiel die Gottheit mit der moralischen Weltordnung zusammen, für S c h e l l i n g war Gott zwar das Absolute, aber das Absolute, welches die Welt einschloß, daher nicht selbst persönlich sein konnte. Diese ganze Richtung des spekulativen Idealismus mußte sich nach ihrem Zusammenbruche als A n t h r o p o l o g i s m u s entpuppen, und in der Tat hat L. F e u e r b a c h (wie auch schon D a v i d F r i e d r i c h S t r a u ß > die Grundauffassung der Romantik nur anders formuliert, wenn er die Gottheit zur Projektion des M e n s c h e n machte. Da auf diese Weise die eigentlich religiösen Lebensfragen leer ausgingen, übte als erster S ö r e n K i e r k e g a a r d vernichtende Kritik an dieser ganzen religionsfeindlichen Denkweise. Für ihn ist das entscheidende Problem das der

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Kriterium—Kyniker

Wirklichkeit oder E x i s t e n z ; und an Stelle der H e g e l schen Dialektik setzt er eine existenzielle Dialektik: im Glauben verhalte ich mich nicht betrachtend oder denkend, sondern e x i s t i e r e n d . Auf K i e r k e g a a r d greift nun die moderne Schule Karl B a r t h s , G o g a r t e n s und E. B r u n n e r s zurück, wenn sie lehrt, daß alle Antwort auf religiöse Fragen nicht aus dem Denken, sondern aus der O f f e n b a r u n g stamme. Kriterium: Kennzeichen, Merkmal, Prüfstein. Kritik: Beurteilung, Prüfung. Kritizismus: der von K a n t entwickelte philosophische Standpunkt, der im Gegensatz zum vorgeblichen metaphysischen Wissen des Dogmatismus und zum alles Erkennen in Zweifel ziehenden Skeptizismus durch eine „Kritik der reinen Vernunft" feststellen will, ob und inwieweit eine Vernunfterkenntnis möglich ist. Quellen, Umfang und Grenzen der Erkenntnis sind festzulegen, um so die wirkliche Erkenntnis vor dogmatischen leeren Behauptungen' zu behüten und gegen skeptische Angriffe zu sichern. Die kritische Methode der „Selbsterkenntnis" will nicht das psychologische Selbst in seinem Werden und Bestehen darstellen und erklären, sondern die logischen Bedingungen und Begründungen für alles Erkennen in dem Selbst der Vernunft als dem systematischen Quellpunkt wissenschaftlicher Welterkenntnis ausfindig machen; denn „nicht die Natur der Dinge, welche unerschöpflich ist, sondern der Verstand, der über die Natur der Dinge urteilt'", ist Gegenstand der kritischen Philosophie, der Verstand nicht als seelische Realität, sondern als logische Einheitsfunktion. Krokodilschluß: ein antikes Dilemma: ein Krokodil ergreift ein Kind, das einer Frau entfallen war. Der um Rückgabe bittenden Mutter sagt das Krokodil: ich werde dir dein Kind zurückgeben, wenn du mir die Wahrheit sagst, was ich tun werde. Die Frau sagte: Du wirst mir das Kind nicht wiedergeben. Hat sie richtig geraten, so muß das Krokodil das Kind zurückgeben, tut es dies, so hat die Frau nicht die Wahrheit gesagt, das Kind wird also nicht wiedergegeben. (Das Erraten einer zukünftigen Handlung, die selbst von diesem Erratenden abhängig sein soll, ist an sich unsinnig.) Külpe, O s w a l d (1863—1915), Hauptwerk: „Die Realisierung" (1912). Bedeutend auch als Psychologe. Kyniker: eine sokratische Schule, begründet von A n -

Lagarde—Legalität

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t i s t h e n e s : Tugend ist Bedürfnislosigkeit. Der Name stammt entweder von dem Versammlungsort im Gymnasium Kynosarges oder von dem griechischen Namen für Hund wegen der einfachen, als hündisch gescholtenen Lebensweise, wie sie in D i o g e n e s verkörpert ist. Durch ihre übertriebene Betonnung des Natürlichen auch im Geschlechtlichen gaben sie Anlaß zu der Auffassung des Zynischen als des Schamlosen. Lagarde, P a u l A n t o n d e (eigentlich Bötticher, nach der Mutter de L.), 1827—1891. Kulturkritiker. Er kämpfte für eine nationale Religion. In seinen philosophischen und pädagogischen Ideen ist er einer der wenigen selbständigen Fortbildner der Fichteschen Gedankengänge. Hauptwerk: Deutsche Schriften, 2 Bde., 1878—1891. Lamarckismus: L a m a r c k begründete in seiner „Philosophie zoologique", 1809, die Entwicklungslehre durch die Annahme, daß die Verschiedenheit in den Lebensbedingungen und vor allem der Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe verändernd auf den Organismus einwirken und so allmählich unter dem Einfluß der Vererbung die lebendige Natur umgestalten. Lebensanschauung: die Auffassung vom Sinn und Wert des Lebens im Zusammenhange mit dem Weltganzen. Lebensgeister: spiritus animales, nichts Geistiges, sondern im Blut gebildete feinste, gasartige Teilchen, die im Gehirn auf die Seele wirken. So besonders bei D e s c a r t e s . Lebensphilosophie: Im Widerstand gegen die Vorherrschaft des sogenannten „reinen" Geistes machte sich schon um die Jahrhundertwende eine Bewegung geltend, die das Leben in seiner Totalität zum Ausgang philosophischer Besinnung zu machen suchte. Besonders ist hier D i l t h e y zu nennen, der in der Dreiheit von Erleben— Ausdruck—Verstehen Grandkategorien des Lebens schaffen und der Kritik der reinen Vernunft eine auf erlebnismäßiger Grundlage ruhende Kritik der historischen Vernunft .entgegensetzen wollte. Gegen die Einseitigkeit einer solchen Philosophie des Lebens hat sich besonders R i k k e r t gewendet. Von Frankreich her hat B e r g s o n mit seiner Philosophie des élan vital im Sinne der Lebensphilosophie weithin gewirkt. Das Leben ist „schöpferische Dauer", reine Zeit, als räumliche Erscheinung zeigt es sich dem erkennenden Verstand in erstarrter Form. Legalität: Gesetzlichkeit; legal ist eine Handlung, wenn

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Leibniz

sie äußerlich mit dem vom sittlichen Oesetz Geforderten übereinstimmt; moralisch, wenn sie aus Achtung für das Sittengesetz geschieht ( K a n t ) . Leibniz, G o t t f r i e d W i l h e l m (1646—1716). Die Philosophie von Leibniz steht im engsten Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Forschung seiner Zeit. Nach der Art der Begründung der neueren Mechanik, die er mit Enthusiasmus aufnimmt, will er die Natur auf mechanische Weise erklären. Die Atome und das Leere gibt er auf, da die Prinzipien wahrer Einheit im Stoff allein nicht zu finden sind. Nur ein formales Atom kann zu wahrer Einheit führen. Auch die Metaphysik muß sich auf feste Beweise, ähnlich denen der Mathematik, stützen. Das metaphysische Grundproblem ist das der Substanz. Die Ausdehnung allein genügt nicht zur Konstitution dieses Begriffes; denn der physikalische Gegenstand enthält mehr als der mathematische: und zwar das unausgedehnte Intensive. — L. kommt durch die Aufstellung des Kraftbegriffs zur Dynamik. Jede Größe ist „un être capable d'action". Die Kraftträger (deren Vielheit er gegen Spinoza betont) nennt er Monaden. Sie sind ohne Gestalt und Ausdehnung. Nur durch ihre inneren Eigenschaften (Vorstellungen) unterscheiden sie sich voneinander. Jede Monade ist selbständig und ein lebendiger Spiegel des Universums. Es besteht eine Stufenfolge der Monaden von den niedrigsten bis zur ultima ratio rerum, d. i. Gott. Der Verstand Gottes ist die Region der ewigen Wahrheiten. Sie können aus der Induktion oder der Sinnlichkeit als bloß verworrener Erkenntnis nicht eingesehen werden. — Leibniz will Mechanismus und Teleologie verbinden. Die alleinige Berücksichtigung der bewirkenden Ursachen reicht zur Begründung der obersten Gesetze der Bewegung nicht aus. Die „Endzwecke" sind zu Hilfe zu nehmen. Der Gedanke der Entwicklung und der' Kontinuität wird aus dem Zweckprinzip abgeleitet. Der Mechanismus bleibt in voller Geltung, dient aber dazu, Z"wecke zu verwirklichen. Der Unterschied von Mechanismus und Teleologie tritt in dem Unterschied von Leib und Seele hervor: „Die Körper handeln nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder Bewegungen; die Seelen nach den Gesetzen der Zweckursachen durch Begehrungstriebe, Zwecke, Mittel. Die „prästabilierte Harmonie" lehrt, wie beide übereinstimmen und doch die Selbständigkeit beider gewahrt bleibt."

Lemma—Lipps

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In der Theodizee sucht Leibniz die Unvollkommenheit der Welt mit der höchsten Vollkommenheit und Güte ihres göttlichen Schöpfers in Einklang zu bringen. Hauptwerke: Meditationes de cogitatione, veritate et ideis. Acta Eruditorum, 1684. — Nova methodus de maximis et minimis, 1684. — Système nouveau de la nature et de la communication des substances. Paris 1695. — Nouveaux essais sur l'entendement humain, 1704. — Essai de la Theodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal, 1710. — La monadologie, 1714. Lemma: Lehrsatz; ein aus anderen Wissensgebieten übernommener Satz. Lenin, W l a d i m i r I l j i t s c h (1870—1924), Gründer der russischen Sowjetrepublik und Theoretiker des Bolschewismus. Theoretisch baut Lenin auf den Ideen von M a r x auf, doch enthält seine Stellungnahme zum Recht und zum Staat mannigfache Punkte, die in den Werken von M a r x nicht klar ausgesprochen sind. Werke u . a . : Wer sind die wahren Freunde des Volkes und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokratie?, 1894. — Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland, 1899. — Materialismus und Empiriokritizismus, 1908. — Staat und Revolution, 1917. — Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, 1917. — Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus, 1917. — Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht, 1918. — Die Diktatur des Proletariats und der Renegat K. Kautsky, 1918. Leonardo da Vinci (1452—1519) gehört zu den Begründern der modernen Naturwissenschaft. Die durch Versuche zu erzielende Wahrheit ist die Mutter aller Wissenschaft. Die Erfahrung muß sich mit dem exakten Denken verbinden, das nur in Mathematik und Mechanik, dem Paradies der mathematischen Wissenschaften, sicher ist. liberum arbitrium: der freie Wille, Willensfreiheit. [Vgl. Willensfreiheit.] Limitation: Einschränkung; nach K a n t eine Kategorie, die Realität mit Negation verbindet. Ein limitatives, von K a n t unendliches Urteil genannt, hat die Form S ist nicht-P. Sage ich: die Seele ist nicht-sterblich, so setze ich die Seele in den unbeschränkten Umfang der nichtsterbenden Wesen. Lipps, T h e o d o r (1851—1914): Unter starkem Einfluß von H u s s e r l . Lipps bestimmt die Philosophie als Wissen-

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Litt—Locke

Schaft der inneren Erfahrung im Gegensatz zur Naturwissenschaft als der der äußeren Erfahrung. Die Psychologie ist daher Grundlage aller übrigen philosophischen Wissenschaften. Ihr Gegenstand ist das Bewußtseinswirkliche, ihre Methode die Selbstbeobachtung. Lipps Hauptbedeutung liegt auf dem Gebiet der Ästhetik, wobei er dem Begriff der Einfühlung eine wesentliche Rolle zuweist. Werke: Grundtatsachen des Seelenlebens. 1883. — Ästhetik, 2 Bände, 1903—1006. — Psychologische Untersuchungen, 2 Bände, 1907—1912. [Vgl. Ästhetik, Einfühlung.] Litt, T h e o d o r (geb. 1880); Kulturphilosoph, der im Anschluß an D i l t h e y das „Verstehen" als ursprüngliches Verhältnis zwischen beseelten Seelen innerhalb einer Kultur auffaßt. Durch diese Einbeziehung des Kulturbegriffes wird das Verstehen einerseits ermöglicht, andererseits aber auch bedingt. Es muß mit dem Fortschreiten des Werdeprozesses Schritt halten, „sein Bild in demselben Flusse erhalten". Litt entwickelt das Verstehen aus seinem Grundbegriffe der „Reziprozität" der Perspektiven. Werke: Geschichte und Leben, Probleme und Ziele kulturwissenschaftlicher Bildung, 1918. — Individuum und Gemeinschaft,_ Grundfragen der sozialen Theorie und Ethik, 1919. — Berufsstudium und Allgemeinbildung auf der Universität, 1920. — Erkenntnis und Leben. Untersuchung über Gliederung, Methode und Beruf der Wissenschaft, 1923. — Die Philosophie der Gegenwart und ihr Einfluß auf das Bildungsideal, 1925. — Möglichkeiten und Grenzen der Pädagogik, 1926. — Ethik der Neuzeit, 1927. — Führen oder Wachsenlassen, eine Erörterung des pädagogischen Grundproblems, 1927. — Wissenschaft, Bildung, Weltanschauung, 1928. — Kant und Herder als Deuter der geistigen Welt, 1930. — Einleitung in die Philosophie, 1933. Locke, J o h n (1632—1704): Der Hauptvertreter des englischen Empirismus. Vorkämpfer für persönliche, wirtschaftliche, politische und religiöse Freiheit. In politischer Hinsicht ist er der Vater des Konstitutionalismus. Locke bekämpft (gegen Descartes und Herbert v. Cherbury) die Theorie von den angeborenen Ideen — nicht vom erkenntnistheroretischen, sondern vom psychologisch-entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus. Alle Erkenntnisse sind für ihn erworben. Für Descartes sind Dreiecke und astronomische Rechnungen idées innées. Locke fragt nicht nach der Gewißheit der Erkenntnis, sondern: Wie kommt

Logik

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der Mensch zu seinen Vorstellungen? Durch äußere und innere Beobachtung wird die Seele (ursprünglich tabula rasa) mit Erfahrung erfüllt. In der Seele wird die Empfindung (sensation) hervorgerufen und Vorstellungen geweckt, an denen sich der Geist übt (reflection) (im Glauben, Zweifeln, Schließen und Wollen). „Nihil est in intellectu, quod non antea fuerit in sensu". Locke geht von den Dingen außer uns aus. Er weist nachdrücklich auf den Beitrag der Empfindung hin. Er unterscheidet primäre und sekundäre Qualitäten. Jene sollen wirklich in den Körpern vorhanden sein, diese nur in unserer Vorstellung. Auch die Gottesvorstellung ist nicht angeboren. Hauptwerke: An essay concerning human understanding, 1680 bis 1690. — The reasonableness of Christianity, 1695. Logik: Denklehre; Wissenschaft von den Gesetzen des richtigen Denkens. Die Logik zerfällt in Elementarlehre und Methodenlehre. Die Elementajlehre beschäftigt sich mit den Elementen, den Formen des Denkens: mit Begriffen, Urteilen, Schlüssen. Die Methodenlehre zeigt, wie aus diesen Elementen das Ganze eines wissenschaftlichen Systems wird; sie betrachtet besonders das wissenschaftliche Untersuchungs- und Beweisverfahren. Der erste systematische Ausbau der Logik wird A r i s t o t e l e s verdankt, der in seinen logischen Schriften die Lehre vom Begriff, Urteil, Schluß, Beweis behandelt. Der Name Logik geht auf die Stoiker, wahrscheinlich auf Z e n o n zurück. Von der Logik rühmt K a n t , „daß sie seit dem A r i s t o t e l e s keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen" ( = brauchen), daß sie merkwürdigerweise auch „bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können". Von dieser formalen, nur die Form des Denkens betrachtenden Logik unterscheidet sich K a n t s Begriff der „transzendentalen Logik", die wesentlich mit der erkenntnistheoretischen Untersuchung über die Möglichkeit einer Erkenntnis a priori zusammenfällt : „Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit solcher Erkenntnisse, bestimmte, würde t r a n s z e n d e n t a l e L o g i k heißen müssen." Eine metaphysische Logik, die Sein und Denken in eins setzt, ist nach H e g e l die Grundwissenschaft. Den allgemein anerkannten Grundbestand an logischen Erkenntnissen stellen die Systeme der Logik von Drobisch und Sigwart dar. Die symbolische Logik heißt Logistik. Die Logik im Zusammenhang der Philosophie

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Logismus—Lotze

des Existentialismus entwickelt Karl Jaspers, Logik, Bd. I: Von der Wahrheit, 1948. Logismus: Vernunftschluß, Betrachtung vom logischen Standpunkte aus. Logos: Wort, Gedanke, Vernunft. H e r a k l i t hat zuerst den Namen des Logos für das Prinzip alles Seins eingeführt. Das allen Gemeinsame ist der Logos als Weltvernunft und Weltgesetz. In der pantheistischen Metaphysik der Stoa ist der Logos die göttliche Urkraft, die als „samenhafte" Vernunftkraft die Welt gestaltet. Nach P h i l o n von Alexandria ist der Logos der Mittler zwischen Gott und Welt, durch das „ W o r t " ist Gott Schöpfer der Welt, der Logos ist der erstgeborene Sohn Gottes, der zweite Gott. Der „Logos in u n s " erkennt die Schöpfung als Wirkung des heiligsten Wortes und damit das Wort selbst. Die christliche Theologie entwickelt dann den Logosbegrift als das in dem Gottessohn fleischgewordene Wort (Vgl. Johannesevangelium). Lokalisation: die Zuordnung der verschiedenen seelischen Tätigkeiten zu verschiedenen Stellen der Großhirnrinde. Lokalzeichen: nach L o t z e charakteristische Nebenbestimmungen des Inhalts der Empfindung, die dem Punkte entsprechen, in dem der Reiz die empfängliche Fläche des Organismus trifft. W u n d t : jedem Punkte des Tastorgans kommt eine eigentümliche, qualitative Färbung der Tastempfindung zu, die unabhängig von der Qualität des äußeren Eindrucks ist und von den von Punkt zu Punkt wechselnden Struktureigentümlichkeiten der Haut herrührt. Lotze, R u d o l f H e r m a n n (1817—1881): Er vertritt einen teleologischen Idealismus, indem er Glauben und Wissen zu versöhnen strebt. Er knüpft vornehmlich an Leibniz an, betont jedoch besonders die religiöse Seite der Monadenlehre. Er vertritt für die Naturwissenschaften den Standpunkt des Mechanismus und bekämpft den Begriff der „Lebenskraft". Der Mechanismus wird jedoch dem Sinn und Zweck der Welt untergeordnet. Dieser geistige Weltgrund ist absolute Persönlichkeit. Lotzes Metaphysik geht also in Religion und Ethik über. — Den eigentümlichen Charakter logischer Sätze und kultureller Werte bezeichnet Lotze mit „Gelten" und „Gültigkeit". Auf ihn geht die Heidelberger Richtung des Neukantianismus (Rickert, Windelband, Münsterberg) mit ihrer Theorie des

Lullische Kunst—Makrogesetze

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wirklichkeitsfreien Geltens der Kulturwerte zurück. Hauptwerk: Mikrokosmos, 1856—64. Lullische Kunst: die ars magna, die große Kunst des R a y m u n d L u l l u s (um 1300), eine Art Gedankenmaschine zu konstruieren, die alle möglichen Begriffe mechanisch miteinander kombiniert und so alle Wahrheiten auffinden läßt. lumen naturale: das natürliche Licht; im Mittelalter das natürliche Erkenntnisvermögen im Gegensatz zur übernatürlichen Offenbarung. In der neueren Philosophie (bei D e s c a r t e s u.a.) die Vernunfterkenntnis. Mach, E r n s t (1838—1916), vertritt eine induktive Philosophie : Wissenschaft ist Ökonomie des Denkens. Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung und Umbildung von Tatsachen in Gedanken. Die Erfahrungen werden mehr oder weniger vollkommen in einfachere, häufiger vorkommende Elemente zerlegt und zum Zweck der Mitteilung, stets mit einem Opfer an Genauigkeit, symbolisiert. Das „Ding" ist ein Gedankensymbol für einen Empfindungskomplex von relativer Stabilität. Urteile sind Ergänzungen und Korrekturen schon vorhandener Vorstellungen. Hauptwerke: Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 2. Aufl., 1000. — Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, 1904. — Erkenntnis und Irrtum, 1905. Mäeutik: Entbindungskunst nannte S o k r a t e s , dessen Mutter Hebamme war, sein Verfahren, durch methodisches Fragen die in der Seele vorhandenen Wahrheiten herauszufordern. Magie: Zauberkunst; der namentlich auch noch in dem Zeitalter der Renaissance herrschende Glaube, durch geheime Künste die Kräfte und Geister der Natur erkennen und dienstbar machen zu können. Maier, H e i n r i c h (1867—1933), begründete eine neue Wirklichkeitstheorie und gelangte zu einer Metaphysik der physischen und geistigen Wirklichkeit. Hauptwerke: Die Syllogistik des Aristoteles (1900), Sokrates (1913), Philosophie der Wirklichkeit (1926). Makrogesetze: „Gesetze, welche die Abhängigkeit der Naturprozesse voneinander über größere, wahrnehmbare und daher direkter Messung zugängliche Erstreckungen wiedergeben" ( S c h l i c k ) . Beispiele: das Coulombsche Ge-

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Makrokosmos—Marx

setz, das Newtonsche Gravitationsgesetz. [Vgl. Mikrogesetz.] Makrokosmos: die große Welt, das Weltganze, das Weltall. [Vgl. Mikrokosmos.] Malebranche s. Okkasionalismus. Manie: Wahn; ein krankhafter Seelenzustand von stark schwankender Stimmung, gesteigertem Selbstgefühl, beschleunigtem Ablauf der Vorstellungen und starkem Tätigkeits- und Bewegungsdrang. In weiterem Sinne bezeichnet Manie eine „Sucht". Manifestation: Sichtbarmachung, Offenbarung, Kundgebung. Mantik: Seherkunst (Mantie), Wahrsagung. Marx, K a r l (1818—1883), zunächst Bewunderer Hegels und dem Kreis der linken Hegelianer angehörend, dann unter starkem Einfluß von L u d w i g F e u e r b a c h , dessen „mechanischen" Materialismus er mit seiner Lehre des d i a l e k t i s c h e n oder h i s t o r i s c h e n M a t e r i a l i s m u s überwindet. Vor der dialektischen Philosophie besteht nichts Endgültiges, sie ist die „Wissenschaft von den allgemeinen Oesetzen, der Bewegung, sowohl der äußeren Welt wie des menschlichen Denkens." Marx sucht die Wissenschaft von der Oesellschaft mit der materialistischen Grundlage in Einklang zu bringen. „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein des Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Zusammen mit F r i e d r i c h E n g e l s verfaßte er das „ M a n i f e s t d e r k o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i " (1848): „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch. Ihr habt nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen." „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen." In seinem wichtigsten Werk „Das Kapital", will Marx „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft enthüllen." „Indem die Menschen ihre verschiedenartigen Produkte einander im Aus-

material—Materialisation

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tausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als Werte g l e i c h . " Als Werte sind alle Waren nur bestimmte Masse testgeronnener Arbeitszeit. Im Anschluß an die nationalökonomische T h e o r i e von Ricardo Einführung des Begriffes des Mehrwertes, der ausschließlich durch den Kauf der menschlichen Arbeitskraft durch das Kapital entsteht. Nach M a r x vergrößert der zum Kapital verwandelte Mehrwert nicht nur das variable Kapital, sondern auch die Produktionsmittel; diese aber beschleunigen die Verdrängung der Arbeiter durch die Maschine und erzeugen so den „ f r e i e n " Arbeiter, d. h. den Proletarier, der frei von allen Behinderungen nur vom Verkauf seiner Arbeitskraft leben muß, als G e genpol gegen die Kapitalisten. Die Entwicklung verläuft nach M a r x s o : „Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftlichung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit der kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt, die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt, und die Expropriateurs werden expropriiert." Die unvermeidliche Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die sozialistische leitet Marx ausschließlich aus dem ökonomischen Bewegungsgesetz ab. Der dabei entstehende Kampf zwischen Proletariat und Bourgoisie wird ein politischer, der auf die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat — „Diktatur des P r o l e t a r i a t s " — abzielt. Da für M a r x der Staat nur aus den Klassengegensätzen geschichtlich entstanden sein soll, führt der Sozialismus, der zur Aufhebung der Klassen führt, gleichzeitig zur Aufhebung des Staates. — W e r k e : Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, 1844. — Manifest der kommunistischen Partei (mit Engels), 1848. — Enthüllungen über den Kölner Kommunistenprozeß, 1853. — Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859. — Das Kapital, 1867—1894. [Vgl. G e schichtsphilosophie, Materialismus, Sozialismus.] material: inhaltlich, sachlich. Materialisation: nach spiritistischer Lehre soll sich aus dem Körper bestimmter Medien eine besondere Materie abscheiden, die sich durch seelische Kräfte zu den verschiedensten Gebilden umformt. Solche Materialisationsphänomene (Bildung von Händen, Füßen, ganzen Gestalten) bestehen nur kurze Zeit, es tritt Dematerialisation ein, die Substanz zieht sich wieder in das Medium zurück.

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Materialismus—Materie

Materialismus: eine Richtung der Metaphysik, die alles Seiende aus der Materie erklären, auf Stoff zurückführen will. Der ä q u a t i v e Materialismus setzt das Seelische dem Stofflichen gleich, der a t t r i b u t i v e erklärt es als Eigenschaft der Nerven, der k a u s a l e als Wirkung, Produkt der Nervenvorgänge. Begründet ist die materialistische Weltanschauung' von D e m o k r i t , der den Atomismus auch auf die Seele ausdehnt, indem er die Seele aus besonders feinen, runden, warmen Feueratomen bestehen läßt, die wir einatmen und die uns als Wärme durchziehen. Anhänger dieses Materialismus sind E p i k u r und seine Schule, besonders der Dichter L u k r e z mit seinem Lehrgedicht: de rerum natura, über die Natur der Dinge. Die Stoiker sind nur scheinbar Materialisten, denn der ganze Stoff der Welt ist nach ihnen durchwaltet von einer göttlichen Vernunft. Die Lehren D e m o k r i t s werden im 17. Jahrhundert erneuert durch G a s s e n d i . Eine Blütezeit erlebt der Materialismus im 18. Jahrhundert in den Werken „L'homme machine" des La M e t t r i e und „Système de la nature" des Baron H o l b a c h , die einen materialistischen und auch atheistischen Standpunkt vertreten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Deutschland eine materialistische Hochflut durch die Werke von V o g t , M o l e s c h o t t und L u d w i g B ü c h n e r , dessen „Kraft und Stoff" weiteste Verbreitung fand. — Von dem theoretischen, metaphysischen ist der praktische, e t h i s c h e Materialismus scharf zu scheiden, der den Sinnengenuß als höchstes Out und den Egoismus als Moralprinzip predigt. — Die „materialistische" Geschichtsauffassung von M a r x und E n g e l s lehrt: die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bildet die „reale Basis, worauf sich ein rechtlicher und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Materie: Stoff; 1. m e t a p h y s i s c h bei A r i s t o t e l e s das eine Grundprinzip alles Wirklichen neben der Form; die Materie oder der Stoff ist das bloß Mögliche, das erst nach Zwecken geformt wird, wie der Marmorblock als Stoff zur Bildsäule dient. Materie, Stoff tritt später in Gegensatz zu Geist, Seele; so im Dualismus des D e s c a r t e s . 2. E r -

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Maxime—Mechanismus

k e n n t n i s - t h e o r e t i s c h unterscheidet K a n t Form und Materie der Erscheinung: Materie ist das in der Erscheinung, was der Empfindung korrespondiert, Form ist das Ordnungsprinzip. Die Materie (Empfindung) wird durch Wahrnehmung gegeben; die Form liegt als allgemeines Prinzip a priori zugrunde; so macht der „Raum in Gedanken den physischen Raum, d.i. die Ausdehnung der Materie selbst möglich". Der metaphysische Begriff einer materiellen Substanz wird von B e r k e l e y und H u m e damit aufgehoben, daß die Wahrnehmung uns nur Empfindungszusammenhänge, aber kein substantielles Sein zeigt. E r n s t M a c h sieht in der Materie nur ein Gedankensymbol für einen relativ beständigen Komplex sinnlicher Elemente, ein festes Verbindungsgesetz der Empfindungen; Atome und Moleküle sind „ökonomische Symbolisierungen der p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e n Erfahrung". 3. N a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h haben wir sehr verschiedene Anschauungen über die Materie: a) die Atomhypothese, b) die dynamische Theorie der Materie von B o s c o v i c h , K a n t u.a., c) die Kontinuitätshypothese, d) die energetische Auffassung O s t w a l d s , e) die elektroatomistische Theorie vom Aufbau der Materie aus positiven und negativen Elementarladungen. [Vgl. Atom, Element, Form, dynamisch, Kontinuität, Energie.] Maxime: maxima propositio: höchster Grundsatz; Prinzip des Wollens, Prinzip zu handeln, welches sich die sittliche Persönlichkeit selbst zur Regel macht. Mechanik: die allgemeine Mechanik ist die Wissenschaft von den Naturvorgängen, soweit es sich ausschließlich um Bewegung von Körpern handelt. Die Mechanik zerfällt in die beiden Gebiete der Statik, der Lehre von den Oleichgewichtsbedingungen und der Dynamik, der allgemeinen Lehre von den Bewegungen. Während man früher glaubte, alle physikalischen Vorgänge der Mechanik einordnen zu können, legt man jetzt den Dualismus von Mechanik und Elektrodynamik zugrunde. Mechanismus: Zurückführung der Naturvorgänge auf Mechanik. Ein mechanisches Weltbild haben zuerst griechische Naturphilosophen, besonders L e u k i p p und D e m o k r i t , entworfen: durch Bewegung der Atome im leeren Räume haben sich alle Dinge und das Weltganze gebildet. Die mechanische Naturauffassung wurde zu Beginn der Neuzeit durch G a l i l e i , D e s c a r t e s , H o b b e s u . a . A p e l , Philosophisches Wörterbuch

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mechanistisch—Mendelssohn

erneuert. Dieser reine Mechanismus findet seinen umfassenden Ausdruck durch La p l a c e : die Welt ein System von Massenpunkten, zwischen denen anziehende und abstoßende Kräfte bestehen, so daß ein „Weltgeist" in einer allumfassenden Weltformel in derselben Weise wie der Astronom die Sonnen- und Mondfinsternisse den Gesamtverlauf des Weltgeschehens in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft berechnen könnte. Freilich müßte diese Betrachtung heute aus dem zu engen Rahmen einer reinen Mechanik herausgelöst werden. Der Mechanismus tritt in Gegensatz zur Teleologie und zum Vitalismus bei dem Problem der belebten organischen Natur. Der Mechanismus erstrebt, auch die Lebensvorgänge mechanisch, physikalisch-chemisch zu erklären, also biologische Gesetze auf streng physikalische zurückzuführen. L e i b n i z versuchte, die mechanische Naturauffassung mit einer teleologischen Weltanschauung zu versöhnen, indem er das gesamte mechanische Geschehen, das als solches undurchbrechbar bleibt, der Idee des Zweckes unterordnete, so daß der Mechanismus als Mittel zur Verwirklichung eines Gesamtzweckes einen tieferen metaphysischen Sinn erhält. K a n t erklärt: alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich, es kann keine eigentliche Naturforschung geben, ohne den Mechanismus der Natur zum Grunde der Nachforschung zu legen. Aber der teleologische Gesichtspunkt hat seine Bedeutung bei der Beurteilung des Organischen. [Vgl. Mechanik, Teleologie.] mechanistisch: vom Standpunkte der Mechanik aus, oft gleichbedeutend mit mechanisch. Meditation: Nachdenken, Nachsinnen, Betrachtung. Meinong, A l e x i u s (1853—1920): begründet die „Gegenstandstheorie." Diese beschäftigt sich mit dem „reinen" Gegenstande als solchem, ganz gleich, ob er gedacht werde oder nicht gedacht werde, wirklich, möglich oder unmöglich ist. Werke: Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, 1904. — Uber die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften, 1907. — Uber Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, 1915. — [Vgl. Gegenstandstheorie.] Mendelssohn, M o s e s (1729—1786): Vertreter der Aufklärung, lehnt Pantheismus und Atheismus ab, wirkt für die Gleichberechtigung der Juden. Werke: Phädon oder

Merkmal—Metaphysik

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über die Unsterblichkeit der Seele, 1767. — Morgenstunden, 1787. Merkmal: logisch: besonderer Inhalt des Begriffs; wesentliche Merkmale nennt man diejenigen, ohne die der Begriff nicht gedacht werden kann, die sein logisches Wesen bestimmen; unwesentliche Merkmale können dem Gegenstande zukommen, sind aber nicht notwendig. [Vgl. konsekutiv und konstitutiv.] Metabase: (uerAßccais et; äM.o yivos) der logische Sprung von einem Gebiete auf ein anderes, ein Beweisfehler, der darin besteht, daß nicht die Wahrheit des" zu Beweisenden begründet, sondern eine ganz verschiedene Behauptung bewiesen wird. Metalogik: nach S c h o p e n h a u e r ist das Metalogische „zur Grundlage der Logik gehörig": „endlich können auch die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen alles Denkens der Grund eines Urteils sein, dessen Wahrheit alsdann eine solche ist, die ich am besten zu bezeichnen glaube, wenn ich sie m e t a l o g i s c h e W a h r h e i t nenne". N. H a r t m a n n : metalogisch ist die aktuelle Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als solche, die weder seelischer Akt noch ideale Struktur ist. Gegensatz: Prologik (Görland). Metamorphose: Gestaltenwandel. Goethe: Metamorphose der Pflanzen. [Vgl. Metempsychose.] Metapher: Übertragung, Bild, bildlicher Ausdruck; metaphorisch: bildlich. Metaphysik: der Name verdankt seinen Ursprung einem äußerlichen Umstand. Im 1. Jahrhundert v. Chr. veranstaltete A n d r o n i k u s eine Herausgabe der aristotelischen Schriften in folgender Reihenfolge: zuerst kamen die logischen Schriften, dann die naturwissenschaftlichen (physischen), dahinter die „Erste Philosophie" (Wissenschaft vom Seienden, von den letzten Gründen und allgemeinen Begriffen des Seins), sodann die übrigen Werke. Aus dieser Anordnung -rä neTct t