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German Pages 245 [246] Year 2014
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 316 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Andreas Botthof
Perspektiven der Minderjährigenadoption
Mohr Siebeck
Andreas Botthof, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaft in Marburg; seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht an der Universität Marburg; 2014 Promotion; derzeit Rechtsreferendar am Kammergericht.
e-ISBN 978-3-16-153484-3 ISBN 978-3-16-153458-4 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen und mit dem Klemens Pleyer-Preis ausgezeichnet. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Privatrechtsvergleichung von Prof. Dr. Tobias Helms in Marburg. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Mai 2014 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Tobias Helms. Er regte das Thema an, gab mir wertvolle Hinweise und unterstützte die Arbeit jederzeit durch kritischen Rat. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Voit danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern der „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ sei für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe gedankt. Ein herzlicher Dank gilt Herrn Wolfgang Weitzel, dem Leiter der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption im Bundesamt für Justiz. Er gab mir im persönlichen Gespräch einen fundierten Einblick in die Arbeit der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption, deren Jahresberichte er mir zur Verfügung stellte. Ferner ermöglichte er mir die Teilnahme an einer Richtertagung der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption (2012) sowie an der Tagung mit den Zentralen Adoptionsstellen der Landesjugendämter und den zugelassenen Adoptionsvermittlungsstellen (2013). Für zahlreiche hilfreiche Ratschläge bin ich Herrn Rolf Behrentin, Anwalt für Adoptionsrecht, verpflichtet. Er bot mir einen direkten Einblick in die Zusammenhänge der Adoptionspraxis. Herrn Christian Braun, LL.M. (Dublin), Richter am Amtsgericht Frankfurt am Main, danke ich für einen Eindruck von der gerichtlichen Praxis bei der Anerkennung von Auslandsadoptionen. Weiterhin danke ich für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts meinen Freunden Reinhard Forst, Dr. Roger Pierenkemper, Katharina Bednasch, Hannah Hufnagel und Dir, Sophia Stappel. Eure Anregungen waren mir eine große Hilfe. Dem Cusanuswerk e.V. bin ich für die Förderung meines Studiums und der sich daran anschließenden Promotion verpflichtet.
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Vorwort
Schließlich danke ich meinen Eltern sowie meiner ganzen Familie für die großherzige Unterstützung in all den Jahren des Studiums. Ich widme dieses Buch Dir, Sophia. Berlin, im Mai 2014
Andreas Botthof
Inhaltsverzeichnis Vorwort ..........................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... XI Kapitel 1: Einführung ................................................................................ 1 Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht ... 4 A. Ausgangssituation .................................................................................... 4 B. Voraussetzungen der Adoption ........................................................... 8 I. Vetorecht der Mutter ...................................................................... 9 1. De lege lata ................................................................................ 9 2. De lege ferenda ........................................................................ 14 II. Vetorecht des (biologischen) Vaters ............................................. 15 1. De lege lata .............................................................................. 15 2. Problemlagen ........................................................................... 17 a) Präklusionsgefahr ..................................................................... 17 b) Umgangs- und Auskunftsrecht des biologischen Vaters trotz Adoption? ................................................................... 21 c) Unterschiedliche Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Vätern .............................................................. 22 3. De lege ferenda ........................................................................ 23 C. Wirkungen der Adoption ................................................................... 27 I. Geöffnete Adoptionsformen in der sozialwissenschaftlichen Diskussion .......................................................................................... 29 II. Umgang de lege lata ..................................................................... 38 1. Umgangsrechte nach erfolgter Adoption de lege lata ................ 39 a) Streitstand in Bezug auf die leiblichen Eltern ...................... 39
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Inhaltsverzeichnis
b) Umgangsberechtigung der leiblichen Großeltern und Geschwister ...................................................................... 45 c) Plädoyer für ein maßgeschneidertes Umgangsrecht ........... 46 2. Umgangskontaktvereinbarungen ............................................ 49 a) Adoptionspraxis ................................................................ 49 b) Postadoption contact agreements: US-amerikanisches und britisches Recht ................................................................. 52 c) Lösungsansätze im deutschen Recht de lege ferenda .......... 58 aa) Typische Umgangskontaktvereinbarung...................... 59 bb) Informelle oder erzwingbare Lösung? ....................... 60 cc) Umsetzungsperspektive für erzwingbare Vereinbarungen: Gerichtlich gebilligter Vergleich .... 61 (1) Verfahrensausgestaltung de lege ferenda............. 63 (2) Bindung gerichtlich gebilligter Umgangskontaktvereinbarung ............................. 66 (3) Kollision mit dem elterlichen Umgangsbestimmungsrecht? ............................... 67 (4) Vermittlungsverfahren ........................................ 69 dd) Ausblick ................................................................... 70 III. Auskunft .................................................................................... 71 1. Auskunftsrechte ..................................................................... 72 a) Auskunftsrechte leiblicher Eltern nach erfolgter Adoption de lege lata ........................................................................ 72 b) Stellungnahme................................................................... 73 2. Auskunftsvereinbarungen ....................................................... 76 IV. Inkognitoadoption und Adoptionsgeheimnis de lege ferenda ...... 76 D. Pflegekindschaft und Adoption ......................................................... 78 I. Problemstellung ......................................................................... 78 II. Historische Lösungsansätze ....................................................... 82 1. Einführung der Zwangsadoption ............................................ 82 2. Gesetzliche Erleichterungen der Zwangsadoption .................. 85 a) Überblick .......................................................................... 85 b) Stellungnahme................................................................... 89 3. Kritik an einer restriktiven Zwangsadoption........................... 91 III. Pflegekindschaft und Adoption de lege ferenda ......................... 92 1. Erleichterte Zwangsadoption aufgrund von Kindesinteressen ................................................................... 92 2. Alternative Lösungsansätze.................................................... 96 3. Geöffnete Adoptionen ............................................................ 97
Inhaltsverzeichnis
IX
E. Gedanken zu künftigen Adoptionskonstellationen ........................... 101 I. Ausgangssituation .................................................................... 101 II. Gemeinschaftliche Fremdkindadoption durch eingetragene Lebenspartner de lege ferenda? .................................................... 103 1. Rechtspolitische Perspektive ................................................ 103 2. Gleichstellung in der Vermittlungspraxis ............................. 106 III. Fremdkindadoption durch nichteheliche Paare de lege ferenda? ....................................................................... 108
Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht ...................................... 113 A. Ausgangslage ................................................................................. 113 B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen ........ 117 I. Anerkennungsregeln ................................................................ 117 II. Typische Probleme bei der Anerkennung von ausländischen Adoptionen ............................................................ 123 1. Unbegleitete Auslandsadoptionen ........................................ 123 a) Vertragsstaaten ................................................................ 123 b) Nichtvertragsstaaten ........................................................ 131 2. Mangelhafte Kindeswohlprüfung und Begutachtung der Elterneignung ...................................................................... 134 3. Verdeckte Einwanderung ..................................................... 137 4. Adoptionen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen .............. 139 III. Anerkennungsrechtlicher ordre public...................................... 142 1. Wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts: Allgemeines ........................................................................ 142 2. Ordre-public-Verstoß und Anerkennungszeitpunkt............... 143 a) Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren .............. 144 b) Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention ............................................. 147 c) Anerkennungsrechtlicher Kindeswohlmaßstab ................. 151 d) Zeitliche Dimension des ordre public .............................. 156 C. Anerkennungsverfahren .................................................................. 157 I. Problemstellung ....................................................................... 157 II. Stellungnahme: Verfahrensklassifizierung ............................... 161 III. Ergebnis: Angemessene Verfahrensregeln ............................... 163 D. Tatsächliche Anerkennungspraxis in Deutschland .......................... 166
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Inhaltsverzeichnis
E. Lösung der Einzelfragen ................................................................. 169 I. Unbegleitete Auslandsadoptionen ............................................ 170 II. Mangelhafte Kindeswohlprüfung und Begutachtung der Elterneignung .......................................................................... 176 III. Verdeckte Einwanderung ......................................................... 182 IV. Adoptionen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen .................. 183 F. Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick .......................... 185 G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland ................. 187 I.
Denkbare Sanktionen ............................................................... 187 1. Strafrechtliche Sanktionen oder Geldbuße? .......................... 187 2. Trennung des Kindes von den Adoptiveltern ........................ 189 a) Lösungen ausländischer Rechtsordnungen ....................... 189 b) Lösung für Deutschland? ................................................. 191 II. Ausweg: Inländische Vermittlungsstruktur .............................. 192
Kapitel 4: Zusammenfassung und Ergebnis ................................... 199 Literaturverzeichnis ............................................................................... 203 Sachregister .............................................................................................. 229
Abkürzungsverzeichnis a.A. abl. Abs. AdÜbAG AdVermiG AdWirkG a.E. a.F. AG a.M. Anm. ann. Art. AufenthG Aufl. AVR BayObLG BeckOK Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE cons. crt. DÄBl. dass. DAVorm ders. dies. DJT DNotZ dom. DRiZ DStR
anderer Ansicht ablehnend Absatz Adoptionsübereinkommens-Ausführungsgesetz Adoptionsvermittlungsgesetz Adoptionswirkungsgesetz am Ende alte Fassung Amtsgericht am Main Anmerkung annotated Artikel Aufenthaltsgesetz Auflage Archiv des Völkerrechts Bayerisches Oberstes Landesgericht Beck’scher Online-Kommentar Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts consolidated court Deutsches Ärzteblatt dasselbe Der Amtsvormund derselbe dieselbe(n) Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift domestic Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht
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Abkürzungsverzeichnis
EGBGB EGMR / EuGHMR Einl. EMRK et al. f. / ff. fam. F(am)GB FamFG
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention et alii (und andere) folgende; fortfolgende family Familiengesetzbuch Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familienrecht und Familienverfahrensrecht Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Die Praxis des Familienrechts Familien-Rechtsberater Familien-Rechtsberater international Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Forum Familienrecht Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Fußnote Familie, Partnerschaft, Recht Frankfurter Rundschau Festschrift Familie und Recht Vormundschaftsgesetzbuch general Grundgesetz Charta der Grundrechte der Europäischen Union Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption Handbuch Pflegekinderhilfe des Deutschen Jugendinstituts; Kindler, Heinz / Helming, Elisabeth / Meysen, Thomas / Jurczyk, Karin (Hrsg.) Handkommentar Adoptionsrecht; Reinhardt, Jörg / Kemper, Rainer / Weitzel, Wolfgang (Hrsg.) Herausgeber institutions Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts Das Jugendamt Katholische Zeitschrift für Kinder- und Jugendfürsorge Juris Praxiskommentar Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Juristenzeitung Kammergericht
FamFR FamGKG FamPra.ch FamRB FamRBint FamRZ FAS FAZ FF FGG Fn. FPR FR FS FuR FVGB gen. GG GRCh HAÜ
Hb-Pflegekinderhilfe
HK-AdoptionsR Hrsg. inst. IPR IPRax IPRG IPRspr. JAmt Jugendwohl Juris-PK JVKostO JZ KG
Abkürzungsverzeichnis krit. KritV LG lit. LPartG m. MDR MittBayNot Mot. Münch.Komm. m.w.N. NDV n.F. NJOZ NJW NJW-RR Nomos-Komm. Nr. / No(s). NZZ OLG OVG PFAD PStG r. EAÜ rel. rev. Rn. RNotZ RPflG S. SchlHA serv. SGB VIII soc. sog. StAG stat. StAZ StGB tit. u.a. UN-KRK US USA VG vgl. Vorbem.
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kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Buchstabe Lebenspartnerschaftsgesetz mit Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Nomos-Kommentar Nummer(n) Neue Zürcher Zeitung Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Fachzeitschrift für die Pflege- und Adoptivkinderhilfe Personenstandsgesetz Revidiertes Europäisches Adoptionsübereinkommen relations revised Randnummer(n) Rheinische Notar-Zeitschrift Rechtspflegergesetz Satz; Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen services Achtes Buch Sozialgesetzbuch social sogenannt Staatsangehörigkeitsgesetz statute(s) Das Standesamt Strafgesetzbuch title und andere UN-Kinderrechtskonvention United States Vereinigte Staaten von Amerika Verwaltungsgericht vergleiche Vorbemerkung
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Abkürzungsverzeichnis
welf. ZAR ZBlJugR ZfJ ZGB zit. ZKJ ZKM ZPO ZRP ZSR ZVW
welfare Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zentralblatt für Jugendrecht Zivilgesetzbuch zitiert Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für Konfliktmanagement Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Vormundschaftswesen
Kapitel 1
Einführung Die Perspektiven des Rechts der Annahme Minderjähriger leiten sich aus den Anforderungen des Kindeswohls ab. „Die Annahme als Kind ist zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient“ – so steht es am Anfang des Adoptionsrechts in § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB. Beim Kindeswohl handelt es sich um das Leitmotiv des Kindschaftsrechts, in seiner konkreten Bedeutung für das Adoptionsrecht folgt aus diesem Maßstab: Die Adoption muss dem Kind ein gesichertes Familienumfeld verschaffen und dessen Lebensbedingungen spürbar verbessern.1 Doch was besagt das konkret? Die Bestimmungen des Adoptionsrechts geben Anhaltspunkte dafür, wie diese Prognoseentscheidung zu treffen sein soll. So lautet der zweite Teil des § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB: „[…] und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein ElternKind-Verhältnis entsteht.“ Gemeint ist damit eine Verbindung, die einer durchschnittlichen Beziehung zwischen leiblichen Eltern und ihrem Kind entspricht.2 An dieser Definition lässt sich zeigen, auf welchem Kindeswohlverständnis das Adoptionsrecht beruht. Es orientiert sich an einer Vorstellung „leiblicher“ Elternschaft und impliziert, für das Wohl des adoptierten Kindes sei entscheidend, eine neue, nunmehr intakte Familie zu erhalten. Diese zentralen Wertungen mögen im Jahr 1976 – zur Zeit der letzten umfassenden Reform des Adoptionsrechts3 – dem damals aktuellen Verständnis einer kindeswohlgerechten Adoption entsprochen haben. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass eine differenziertere Betrachtungsweise notwendig ist, die berücksichtigt, dass jedes Adoptivkind eine Ursprungsfamilie hat, wodurch es sich von Kindern aus leiblichen ElternKind-Familien unterscheidet. Mit der Entwicklung des Rechts des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG wurde das Bewusstsein dafür geschaffen, dass das Wissen um die eigenen biologischen Wurzeln ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Identität ist.4 Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung schlug die erste Brücke zur Herkunfts1
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1741 Rn. 26 m.w.N. 3 Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 4 ff. 4 Vgl. BVerfG 31.1.1989, BVerfGE 79, 256 ff.; Helms, S. 44 ff. 2
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Kapitel 1: Einführung
familie, weshalb beispielsweise anonyme Samenspenden5 der Vergangenheit angehören und sogenannte Babyklappen teilweise scharf kritisiert werden.6 Über dieses bloße Informationsrecht hinaus spricht das Wohl des adoptierten Kindes aber für eine noch stärkere Integration der Herkunftsfamilie in das Leben des adoptierten Kindes. Es hat sich nämlich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass familiäre Beziehungen aufrechterhalten und die (kulturellen) Wurzeln des Kindes bewahrt werden sollten.7 Im nationalen Adoptionskontext rückt verstärkt ins Bewusstsein, dass jedes angenommene Kind eine eigene Adoptionsbiografie aufweist, die sich nicht durch einen Rechtsakt bereinigen lässt. Kindesbelange erfordern daher, dass pluralisierte Beziehungsmuster nicht durch die Adoption verloren gehen. Auch suchen viele Adoptivkinder im Laufe ihres Lebens nach Informations- oder Kontaktmöglichkeiten zur Ursprungsfamilie, um den Akt der Adoption zu bewältigen. Konkret haben sie oftmals ein Interesse daran, bestehende Bindungen zu leiblichen Eltern, Geschwistern oder anderen Bezugspersonen auch nach der Adoption fortzusetzen. Diese fallen bislang dem Klarstellungsstreben des geltenden Adoptionsmodells zum Opfer, das darauf abzielt, dass das Kind in seiner neuen Familie „wiedergeboren“ wird. Bei zeitgemäßer Deutung der Kindeswohlformel muss daher die gesamte Lebensspanne des Adoptivkindes berücksichtigt werden, das meist als Heranwachsender ein Interesse an seiner Ursprungsfamilie entwickelt. Damit wird die Frage aufgeworfen, welche historischen Wertungen des Adoptionsrechts – das in seinen Voraussetzungen und Wirkungen dem Zeitenwandel unterworfen ist – sich überlebt haben.8 Die Untersuchung richtet ihren Fokus auf die Annahme eines familienfremden Kindes. Hier geht es im Gegensatz zu Stiefkind- und Verwandtenadoptionen darum, ein Kind durch einen Rechtsakt in eine neue Familie einzugliedern, ohne dass im Vorfeld der Adoption bereits eine Familieneinheit bestanden hätte.9
5
OLG Hamm 6.2.2013, FamRZ 2013, 637 ff. Vgl. Frank, StAZ 2012, 289, 293 f. Es gibt außerdem einen Plan, die vertrauliche Geburt einzuführen, wobei aber kontrovers diskutiert wird, ob gleichzeitig auch Babyklappen verboten werden sollen vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 13.3.2013 (Stand 13.12.2013); vgl. EuGHMR 13.2.2003, FamRZ 2003, 1367 ff. – Odièvre/Frankreich; 25.9.2012, FamRZ 2012, 1935 – Godelli/ Italien m. Anm. Henrich, FamRZ 2012, 1935. 7 EuGHMR 13.2.2003, FamRZ 1367 ff. – Odièvre/Frankreich; 26.2.2004, FamRZ 2004, 1456, 1459 – Görgülü/Deutschland; 13.7.2006, FamRZ 2006, 1354 f. – Jäggi/ Schweiz; BVerfG 14.10.2007, FamRZ 2010, 1622; 29.11.2012, FamRZ 2013, 361, 362. 8 Vgl. Frank, S. 16. 9 Frank, S. 20. 6
Kapitel 1: Einführung
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Auch im Bereich der internationalen Adoption Minderjähriger hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Reformprozess vollzogen. Durch das Haager Adoptionsübereinkommen aus dem Jahre 1993 wurde ein neuer Rechtsrahmen geschaffen, um die globale Adoptionspraxis neu zu ordnen. Die vielschichtigen Ziele dieses Abkommens sind ehrgeizig, wobei die praktische Umsetzung nach wie vor Schwierigkeiten bereitet. Auch bei internationalen Kindesannahmen soll das Kindeswohl oberste Richtschnur sein (Art. 1 HAÜ), doch wird der materielle Gehalt dieses Maßstabs weltweit unterschiedlich definiert. Die Folge ist, dass die vielschichtigen Anforderungen des Kindeswohls bei Auslandsadoptionen häufig unbeachtet bleiben. Wenn nun aber im Ausland eine Adoption stattgefunden hat, die von den inländischen Kindeswohlkriterien abweicht, führt das zu einem Konflikt, sobald die ausländische Annahmeentscheidung in Deutschland anerkannt werden soll. Welche Anforderungen sind an eine kindeswohlgerechte Anerkennungsentscheidung zu stellen? Hier kann nicht der gleiche Kindeswohlmaßstab gelten, der angelegt werden müsste, wenn das Kind im Inland adoptiert würde, denn an dem Faktum, dass das Kind im Ausland bereits angenommen wurde, ist nicht vorbeizukommen. Die Kindeswohlformel ist somit mehrdeutig, steckt aber im nationalen und internationalen Kontext die Perspektiven für die Minderjährigenadoption ab.
Kapitel 2
Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht A. Ausgangssituation Das geltende Recht der Annahme Minderjähriger (§§ 1741–1766 BGB) beruht auf der sozialpolitischen Prämisse, dass idealerweise jedes Kind in einer (kompletten) Familie heranwachsen sollte.1 Aus der Sicht des deutschen Adoptionsrechts ist dieses Leitbild2 verwirklicht, sobald zwischen einem fürsorgebedürftigen Kind und den Annehmenden – bevorzugt einem heterosexuellen Ehepaar (vgl. § 9 Abs. 6 LPartG3) – durch Beschluss des Familiengerichts eine neue Familie konstituiert wurde (vgl. §§ 1752 Abs. 1, 1754 Abs. 1 BGB). In erster Linie muss eine Adoption dem Wohl des Kindes dienen und eine positive Prognose dafür bestehen, dass ein Eltern-Kind-Verhältnis begründet wird (§ 1741 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Belange des Kindes in den Mittelpunkt der Adoption zu rücken, ist in der Entwicklung des Bürgerlichen Gesetzbuches eine relativ junge Errungenschaft. Erst im Zuge der Gesamtreform des deutschen Adoptionsrechts (1976)4 wurde aus der „Annahme an Kindesstatt“ lapidar die „Annahme als Kind“. Nicht länger sollte kinderlosen Paaren zu einem Kind verholfen werden, damit deren Eheglück gefestigt, ihnen eine Lebensaufgabe verschafft wird oder sie einen Erben und Namensnachfolger erhalten.5 Vielmehr sollte eine Familie für ein fürsorgebedürftiges Kind gefunden werden. Diese unterschiedlichen Konzeptionen haben sich auch im Gesetzestext niedergeschlagen. Während die erste Bestimmung (§ 1741 BGB a.F.) des alten Adoptionsrechts schlicht lautete: „Wer keine Abkömmlinge hat, kann durch Vertrag mit einem anderen diesen an Kindesstatt annehmen“, erwähnt § 1741 Abs. 1 1
BT-Drucks. 7/3061, S. 15; Neukirchen, S. 121 f. Krit. Platon, S. 393, 401 f.; Marx/Engels, S. 13 f., 16; Orwell, S. 83; dagegen: Popper, S. 59 f., 123 f. 3 Die gemeinschaftliche Fremdkindadoption ist eingetragenen Lebenspartnern versagt: BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847 ff.; vgl. 2. Kapitel E. 4 BGBl. I 1976, 1749. 5 Mot. IV, 953. An zweiter Stelle sollten durch die Annahme an Kindes statt die Kindesentwicklung gefördert und bedürftigen Kindern ein Familienleben geboten werden (Mot. IV, 953). 2
A. Ausgangssituation
5
S. 1 BGB an erster Stelle das Kindeswohl: „Die Annahme als Kind ist zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient“. Der fürsorgeorientierte Konzeptwandel im Adoptionsrecht wird ferner besonders daran deutlich, dass das Mindestalter der Annehmenden auf fünfundzwanzig Jahre abgesenkt wurde, während Adoptiveltern ursprünglich (§ 1744 BGB a.F.) sogar mindestens fünfzig Jahre alt sein mussten,6 wobei der Wert des Mindestalters im Hinblick auf eine kindeswohldienliche Adoption generell bezweifelt werden darf. Jedenfalls kinderpsychologisch lässt sich kein Mindestalter für Eltern begründen; insofern konsequent, verzichtet ein Großteil ausländischer Rechtsordnungen auf dieses Kriterium.7 Zusätzlich wurde eine „Probezeit“ vor der Adoption eingeführt, in der die Adoptionsbewerber das Kind in Pflege nehmen sollen.8 Wobei die Adoptionspflegezeit expressis verbis eine Regelanordnung ist (§ 1744 BGB). Auch das gesetzlich normierte Mindestalter der Annehmenden (§ 1743 BGB) soll dazu dienen, den Fürsorgeanspruch zu verwirklichen. Außerdem wurde die Adoption im Zuge der Reform von 1976 erstmalig von der Einwilligung des Kindes abhängig gemacht (§ 1746 BGB), wodurch erkennbar wird, dass der Ausspruch der Adoption im Interesse des Kindes – nicht der Eltern – erfolgt.9 Auch die Aufhebung der Adoption ist ausgeschlossen, wenn dadurch das Kindeswohl erheblich gefährdet würde (§ 1761 Abs. 2 BGB). Der Auslöser für diesen sozialpolitisch motivierten Paradigmenwechsel im Adoptionsrecht war ein konkreter historischer Missstand: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurden hilfsbedürftige Kinder überwiegend in Heimen untergebracht. Diese Praxis kritisierte der dritte Jugendbericht der Bundesregierung (1972). Er griff erstmals die sozialwissenschaftliche Erkenntnis auf, dass bei längeren Heimaufenthalten die Gesamtentwicklung der betroffenen Kinder eine zumeist irreparable Schädigung erfährt (Deprivationssyndrom).10 Da außerdem die Kosten für die Heimerziehung rasant stiegen und die öffentlichen Haushalte erheblich belasteten, suchte man Alternativen.11 Die Suche nach einer Lösung für dieses politisch brisante Problem mündete in die Gesamtreform des deutschen Adoptionsrechts, das am 1.1.1977 in seiner neuen Fassung12 in Kraft trat. Per Federstrich allein veränderte sich das Adoptionsrecht indes nicht zum Fürsorgeinstrument. Das Spannungsverhältnis zwischen den Interes6
BT-Drucks. 7/3061, S. 31 f. Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8. 8 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1744 Rn. 1 f. 9 Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Frank, in: Staudinger, BGB, § 1746 Rn. 1. 10 BT-Drucks. 6/3170, S. 64. 11 Zenz, Gutachten, S. A 15. 12 BGBl. I 1976, 1749. 7
6
Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
sen der Annehmenden und denen des Kindes besteht weiter. Der Gesetzgeber der großen Adoptionsrechtsreform unterstrich allerdings nachdrücklich, dass über das Zustandekommen einer Adoption nur das Kindeswohl entscheiden soll.13 Das Konzept der Fürsorgeadoption liegt mittlerweile auch den meisten ausländischen Rechtsordnungen zugrunde, wobei darauf hinzuweisen ist, dass nahezu sämtliche islamischen Sachrechte die Adoption verbieten.14 Der geltenden Form der Kindesannahme liegt ein besonderes sozialwissenschaftliches Konzept zugrunde, das in den Gesetzesmaterialien angedeutet wird. Es basiert auf der Vorstellung, dass den Interessen eines Adoptivkindes am meisten gedient sei, wenn es als eheliches Kind bei Vater und Mutter aufwächst.15 Diese Auffassung ist selbst ein Kind ihrer Zeit: Eine familienrechtliche Beziehung außerhalb einer ehelichen Partnerschaft wurde in den 1970er Jahren erst allmählich zu einem gesellschaftspolitischen Thema.16 Bis zur Reform des Nichtehelichenrechts im Jahre 1970 war ein nichtehelicher Vater nicht einmal mit seinem Kind verwandt; ab 1977 musste er immerhin erklären, ob er sein Kind selbst adoptieren oder es für ehelich erklären wollte.17 Seine Einwilligung ist allerdings erst seit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998, das den Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern abschaffte, Voraussetzung für eine Adoption.18 Die Wertschätzung für bestehende familiäre Verhältnisse außerhalb der Ehe war demnach gering, als das Adoptionsrecht reformiert wurde. So wurde gerade die Adoption als Mittel angesehen, um „uneheliche“ Geburten zu verbergen und nichteheliche Kinder in eheliche Familien zu integrieren.19 Viele Fremdadoptionen betrafen schließlich nichteheliche Kinder.20 Leitbild für das Familien- und Kindschaftsrecht war das Primat der Ehe, wie es auch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts von 197621 unterstrich, das vorrangig die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung der Geschlechter auch im Rahmen der Ehe – insbesondere im Scheidungs(folgen)recht – verwirklichen sollte. Es schaffte zwar die „Hausfrauenehe“ ab, wonach allein die Ehefrau für Haushaltsführung und Kindererziehung verantwortlich war, so galt fortan das Partnerschaftsprinzip, das keine gesetzliche Aufgabenzuweisung mehr festlegte, doch sollten 13
BT-Drucks. 7/3061, S. 17; Gernhuber, FamRZ 1973, 229, 235. Frank, FamRZ 2007, 1693, 1696 (Ausnahmen: Türkei, Indonesien und Tunesien). 15 BT-Drucks. 7/3061, S. 15, 17. 16 Vgl. Helms/Wanitzek, FamRZ 2007, 685, 686 m.w.N. 17 Baer, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 7, 14. 18 Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 15; Neukirchen, S. 12. 19 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 52. 20 Vgl. BT-Drucks. 7/3061, S. 20 f., 36 f. 21 BGBl. I 1976, 1421. 14
A. Ausgangssituation
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Kinder nach damaligem – rechtlichem und gesellschaftlichem – Verständnis möglichst Teil einer kompletten ehelichen Familie sein.22 Das Streben nach „Eindeutigkeit“ der familiären Beziehungen wird erkennbar, wenn man die Regeln für die Verteilung der elterlichen Sorge nach der Scheidung betrachtet, wie sie im Jahr 1976 eingeführt worden waren: Eine gerichtliche Sorgerechtsentscheidung sollte sich am Kindeswohl orientieren, worunter der damalige Gesetzgeber aber verstand, die elterliche Gewalt im Regelfall einem Elternteil – meist der Mutter – zu übertragen.23 Im Jahr 1980 wurde durch das Sorgerechtsänderungsgesetz24 die Alleinsorge nach Trennung und Scheidung trotz heftiger Kritik sogar gesetzlich verbindlich. Hierbei war es ein zentrales Motiv des Gesetzgebers, die Scheidung so unattraktiv wie möglich auszugestalten, um umgekehrt die Ehe zu schützen, da nach dem gesetzlichen Konzept immerhin ein Ehepartner seine Sorgerechtsstellung im Scheidungsfall verlor.25 Auch im sonstigen Kindschaftsrecht – namentlich im Umgangsrecht – orientierten sich die gesetzlichen Regeln an ehelichen Familienverhältnissen. Erst 1998, im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform,26 wurde gesetzlich klargestellt, dass der Umgang des Kindes mit beiden Eltern sowie weiteren Bezugspersonen (§§ 1684 f. BGB) ein zentraler Faktor für eine gedeihliche kindliche Entwicklung darstellt und insofern teilweise der elterlichen Disposition entzogen ist. Bis dahin entschieden vorrangig die Eltern, mit wem das Kind Umgang pflegte.27 Vor allem in den Adoptionswirkungen, die seit dem Jahr 1976 unverändert geblieben sind, spiegelt sich dieses zeitgebundene Familienkonzept wider, das nach eindeutigen Familien- und Eheverhältnissen strebt:28 So delegiert die Volladoption nicht nur den Elternstatus mitsamt seinen Rechten und Pflichten an die Adoptiveltern (§ 1754 BGB), sie versucht darüber hinaus, die Adoptivfamilie als Abbild einer natürlichen Familie zu konstituieren und dabei die Tatsache der Adoption möglichst auszublenden.29 Insbesondere die gesetzlich favorisierte Inkognitoadoption (§ 1747Abs. 2 S. 2 BGB), bei der weder Name noch Anschrift der Adoptivfamilie preisgegeben werden, sowie das Adoptionsgeheimnis (§ 1758 BGB), das die nachträgliche Offenlegung verbietet, drängen die leiblichen Eltern gezielt aus dem Leben des Adoptivkindes. Rechtlich und tatsächlich werden im 22
Vgl. BT-Drucks. 7/650, S. 6 ff. Limbach/Willutzki, in: Nave-Herz (Hrsg.), S. 7, 33. 24 BGBl. I 1979, 1061. 25 Limbach/Willutzki, in: Nave-Herz (Hrsg.), S. 7, 33. 26 BGBl. I 1997, 2942. 27 Limbach/Willutzki, in: Nave-Herz (Hrsg.), S. 7, 37. 28 Vgl. Frank, S. 249. 29 Vgl. BT-Drucks. 7/3061, S. 15 ff.; zur parallelen Rechtsentwicklung in der Schweiz: Cottier, Information & Recht 2002, 31, 34 f. m.w.N. 23
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Verhältnis zur Herkunftsfamilie grundsätzlich sämtliche Beziehungen gekappt. Insbesondere ist es im geltenden Adoptionsrecht nicht vorgesehen, dass ehemalige Bezugspersonen des Adoptivkindes, insbesondere die leiblichen Eltern, nach einer Adoption den Umgang mit dem Adoptivkind fortsetzen. Für die leiblichen Eltern soll gerade das Gegenteil gelten: Sobald sie in die Fremdadoption ihres Kindes eingewilligt haben, soll eine Zäsur erfolgen, die eine reibungslose Integration des Kindes in die Adoptivfamilie ermöglicht. Hierzu soll der Verlust des elterlichen Umgangsrechts (§ 1684 Abs. 1 BGB) ab Einwilligung in die Adoption (§ 1751 Abs. 1 S. 1 BGB) beitragen.30 Zwar geht das Umgangsrecht formal erst mit Ausspruch der Adoption auf die Adoptiveltern über (§ 1755 Abs. 1 BGB),31 doch wird durch § 1751 Abs. 1 S. 1 BGB diese Übertragung faktisch auf den Beginn des Adoptionsverfahrens vorverlagert.32 Nach dem Verständnis des geltenden Adoptionsrechts ist eine Kontaktsperre die bestmögliche Lösung. Die Inkognitoadoption hat eine neue „Normalfamilie“ geschaffen und verhindert jede Intervention durch die leiblichen Eltern. Das Gesetz geht davon aus, dass weitere Kontakte des Adoptivkindes zu seiner Ursprungsfamilie per se dem Kindeswohl widersprächen, da sie dessen zügige Integration in die Adoptivfamilie beeinträchtigten.33 Da die gesetzlichen Wertungen des geltenden Adoptionsrechts zeitgebunden sind, sollten sie nach nunmehr beinahe vierzigjähriger Geltung einer gründlichen Prüfung unterzogen werden. Diesen Abgleich versucht die vorliegende Arbeit zu leisten. Auf dieser Grundlage werden denkbare Reformansätze diskutiert, die das Recht der Kindesannahme in zeitgemäße sozialwissenschaftliche und rechtliche Konzepte integrieren.
B. Voraussetzungen der Adoption Damit eine Adoption überhaupt zustande kommen kann, müssen entweder die rechtlichen Eltern – in der erforderlichen Form – einwilligen (§ 1747 Abs. 1 S. 1, 1750 BGB) oder die Einwilligung muss gerichtlich ersetzt werden (§ 1748 BGB) beziehungsweise entbehrlich sein (§ 1747 Abs. 4 BGB). Dieser Mechanismus bildet in der Sache das Herzstück des Adoptionsrechts. Gegen den Willen der rechtlichen Eltern findet eine Adoption 30
Vgl. BayObLG 2.3.1990, StAZ 1990, 479, 480; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1751 Rn. 9. 31 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1755 Rn. 9; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7. 32 Heiderhoff, in: Juris-PK, BGB, § 1751 Rn. 6 f. 33 BT-Drucks. 7/3061, S. 19, 40; OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1866; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1751 Rn. 9; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1755 Rn. 1; Saar, in: Erman, BGB, § 1755 Rn. 3.
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nur ausnahmsweise statt. Dabei betrifft die sogenannte Zwangsadoption Fälle von schwerwiegendem, meist schuldhaftem Erziehungsversagen (vgl. § 1748 Abs. 1–3 BGB). Statistisch gesehen ist die Einwilligung der Eltern bei einer Adoption der ganz im Vordergrund stehende Regelfall. So wurden in Deutschland im Zeitraum von 1992 bis 2005 nur circa 7 % der elterlichen Einwilligungen nach § 1748 BGB ersetzt.34 Diese Anzahl ist nahezu konstant geblieben: Im Jahr 2012 wurden bei 3.886 Adoptionen 255 Ersetzungen vorgenommen, was einem Anteil von circa 7 % entspricht; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060: 256 ≈ 6 %; (2010) 4.021: 248 ≈ 6 %; (2009) 3.888: 313 ≈ 8 %; (2008) 4.201: 304 ≈ 7 %; (2007) 4.509: 345 ≈ 8 %.35 Das Einwilligungsrecht der Eltern verdeutlicht, dass grundsätzlich sie es sind, die über das Zustandekommen und die Modalitäten einer Adoption entscheiden.36 Als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) beruht es im Ansatz einerseits „auf der durch Zeugung und Geburt vermittelten verwandtschaftlichen Beziehung“37. Andererseits liefert die natürliche Abstammung nicht die tragende Begründung des Einwilligungsrechts, da Eltern sonst auch in die Adoption ihres volljährigen Kindes einwilligen müssten – eine Annahme, die schon der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs verwarf, weil sie der selbstständigen Stellung des erwachsenen Kindes widerspreche.38 Das elterliche Einwilligungsrecht nach § 1747 BGB folgt vielmehr aus dem Recht und der Verantwortlichkeit der Eltern, ihre Kinder zu erziehen.39 Durch ihre Adoptionsfreigabe üben sie ihre Elternverantwortung aus, weshalb die Einwilligung der Eltern grundsätzlich ein gutes Indiz für eine kindeswohldienliche Adoption ist. Die verschiedenen Einwilligungsrechte des § 1747 BGB sind in der Realität allerdings unterschiedlich bedeutsam. I. Vetorecht der Mutter 1. De lege lata Nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB müssen beide Eltern in die Adoption ihres Kindes einwilligen. Eltern im Sinne von § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB sind ausschließlich die rechtlichen Eltern nach §§ 1591, 1592, 1593 BGB. Für § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB ist die biologische Elternschaft dagegen ohne Belang. Ist dem Kind aber von Rechts wegen kein Vater zugeordnet, ist auch 34
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 1. Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. 36 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 136. 37 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 136. 38 Mot. IV, 964 f. 39 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 136 f. 35
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der sogenannte Vaterschaftsprätendent zur Einwilligung berufen (§ 1747 Abs. 1 S. 2 BGB), das ist der Mann, der glaubhaft machen kann, der Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt zu haben (§§ 1592 Abs. 3, 1600d BGB). Rechtstatsächlich ist es meist die Mutter, die im Vorfeld der Adoption die zentrale Rolle spielt: Ungefähr jeder zweite Minderjährige, der zur Adoption freigegeben wird, wird von ledigen Eltern oder einem ledigen Elternteil abgegeben.40 In der Praxis betreffen viele Adoptionsfreigaben somit Kinder, denen von vornherein rechtlich nur ein Elternteil – die häufig alleinerziehende Mutter – zugeordnet ist.41 Deren Einwilligungsbereitschaft öffnet oder versperrt damit die Tür zur Kindesannahme. Wenn überhaupt, ist regelmäßig sie es, die im Vorfeld oder nach der Geburt des Kindes den Weg zum Jugendamt sucht und so die Adoptionsvermittlung nach § 7 Abs. 1 S. 1 AdVermiG einleitet.42 Formal kann sie ihre Einwilligung erst erteilen, wenn das Kind acht Wochen alt ist (§ 1747 Abs. 2 S. 1 BGB).43 Sollte sie sich in den ersten Lebenswochen des Kindes weigern, es zu betreuen, wird es bei Dritten untergebracht – unabhängig von § 1747 Abs. 2 S. 1 BGB. Mit dem Ausspruch der Adoption (§ 1752 Abs. 1 BGB) geht der Elternstatus in toto auf die Annehmenden über.44 Dass die einwilligende Mutter durch die Adoptionsfreigabe ihre gesamte Elternverantwortung (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) auf (einen) Dritte(n) delegieren kann, ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Die freiwillige, irreversible Übertragung des verfassungsrechtlichen Elternstatus (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) ist ein Alleinstellungsmerkmal der Adoption. Sie bildet einen Fremdkörper im System des Familienrechts. Während das Bürgerliche Gesetzbuch an vielen Stellen gerade umgekehrt die für das Elternrecht konstitutive treuhänderische Pflichtenbindung zum Ausdruck bringt,45 entlässt nur die Adoption die Eltern auf eigenen Wunsch aus der Verantwortung für ihr Kind. Das ist konsequent, wenn man mit der herrschenden Meinung das Einwilligungsrecht (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) der Eltern als Teil des verfassungsrechtlichen Elternrechts 40 Im Jahr 2012 waren bei insgesamt 3.886 Minderjährigenadoptionen 2.317 Kinder vor Beginn des Adoptionsverfahrens bei ledigen Eltern oder einem ledigen Elternteil untergebracht; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060: 2.218; (2010) 4.021: 2.189; (2009) 3.888: 2.050; (2008) 4.201: 2.113; (2007) 4.509: 2.195 (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012). 41 Vgl. Helming/Kindler/Thrum, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 262 f.; Dettenborn/Walter, S. 269. 42 Oberloskamp/Hoffmann, S. 234 f. 43 Vgl. EuGHMR 13.1.2009, Nr. 33932/06 – Todorova/Italy. 44 BVerfG 9.4.2003, BVerfGE 108, 82, 103. 45 Vgl. Lipp, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 121, 127.
B. Voraussetzungen der Adoption
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(Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) ansieht.46 Die Gegenansichten, die das Einwilligungsrecht als akzessorischen Teil des elterlichen Sorgerechts47 oder der Vertretungsbefugnis für das Kind (§§ 1626 Abs. 1, 1629 BGB)48 auffassen, überzeugen schon einfachgesetzlich nicht. Weder setzt die Einwilligungsbefugnis nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB die Inhaberschaft der elterlichen Sorge voraus noch wird bei der Einwilligung nach § 1747 BGB das Kind vertreten, was sich aus § 1746 BGB ergibt. Unabhängig von der Frage, ob die Substanz des Elternrechts zwischen Privatpersonen übertragbar ist,49 ist das Einwilligungsrecht vor allem eine rechtspolitische Konzession: Geben Eltern freiwillig ihren gesamten Elternstatus auf, stößt das Recht angesichts der „normativen Kraft des Faktischen“50 an seine Grenzen und muss die elterliche Entscheidung akzeptieren. Das Gesetz zollt den tatsächlichen Gegebenheiten Tribut und stellt mit der Adoption ein einzigartiges Instrument bereit. Hierdurch ist es möglich, den verfassungsrechtlichen Elternstatus auf die Adoptiveltern zu übertragen. Nicht die Abgabeentscheidung, die sich in der Einwilligung manifestiert, sondern die dadurch indizierte Elternlosigkeit des Kindes zwingt den Staat, kraft seines Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG), Ersatzeltern für das Kind zu finden.51 Mit der Delegation des Elternrechts an die Adoptiveltern, bei denen nun (einfachrechtlicher) Elternstatus und (verfassungsrechtliche) Elternverantwortung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zusammenfallen, begnügt sich das Adoptionsrecht de lege lata aber nicht. Insbesondere der gesetzlich intendierte Regelfall der Inkognitovolladoption (§§ 1747 Abs. 2 S. 2, 1755 Abs. 1 BGB) und das Adoptionsgeheimnis (§ 1758 Abs. 1 BGB) schließen die leiblichen Eltern, respektive die leibliche Mutter, endgültig und umfassend aus dem Leben des Adoptivkindes aus. Nicht zuletzt diese folgenschweren Wirkungen verleihen der elterlichen Einwilligungsentscheidung ihr herausragendes Gewicht. Deshalb ist es umgekehrt auch zwingend, eine freiwillige mütterliche Einwilligung zu fordern, die voraussetzt, dass der Freigabeentschluss auf einer autonomen Entscheidung der leiblichen Mutter beruht.52 In tatsächlicher Hinsicht basiert der Abgabeentschluss bei familienfremden Adoptio46
BT-Drucks. 7/3061, S. 36; OLG Karlsruhe 5.4.1983, FamRZ 1983, 1058, 1059; BayObLG 25.4.1984, FamRZ 1984, 937, 939; 13.2.1990, FamRZ 1990, 799; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 10; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 2. 47 BayObLG 5.4.1983, FamRZ 1983, 1058, 1059; 10.9.2003, FamRZ 2004, 397; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 10. 48 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 2. 49 Darstellung des Streitstandes bei: Frank, S. 151 ff. 50 Jellinek, S. 338 ff. 51 Frank, S. 155. 52 Vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 2 r. EAÜ: „The consent must have been given freely“.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
nen jedoch regelmäßig auf einem Bündel von Motiven, welche die Abgabeentscheidung einer Mutter maßgeblich beeinflussen: wirtschaftliche und persönliche Gründe, wie unbewältigte Partnerschafts- oder Lebensprobleme oder familiärer Druck.53 Diese Erkenntnisse sind das Ergebnis großangelegter empirischer Forschungsstudien, die in Deutschland – vor allem durch die Befragung betroffener Mütter – seit Ende der 1970er Jahre erhoben wurden.54 Es ragt die Erhebung von Napp-Peters heraus, die in einer empirischen Untersuchung aus dem Jahr 1978 die Freigabegründe von 1362 leiblichen Müttern anhand der Akten der Jugendämter untersucht hat.55 Dabei fand sie heraus, dass über 80 % der Freigaben mit wirtschaftlichen oder persönlichen Problemen der abgebenden Mütter korrespondierten. Angesichts der typischerweise schwierigen Lebenssituation von leiblichen Müttern ist die Annahme des Vorliegens einer selbstbestimmten Freigabeentscheidung deshalb keine Selbstverständlichkeit. Zwar soll vorrangig Hilfe bei der Bewältigung persönlicher Problemlagen geleistet werden und eine Adoption nur dann stattfinden, wenn trotz Hilfeleistung der Abgabeentschluss fortbesteht,56 gesetzlich festgelegt ist dieses Subsidiaritätsverhältnis indes nicht. Dass es in Deutschland statistisch gesehen nur relativ wenige Fälle der Adoption familienfremder deutscher Kinder gibt,57 kann allenfalls als Indiz dafür gewertet werden, dass versucht wird, diese Vorgabe möglichst umzusetzen.58 In der Adoptionsrealität sind die betroffenen Kinder vor Beginn des Adoptionsverfahrens im Fall einer familienfremden Adoption allerdings typischerweise in einem Heim, Krankenhaus oder in einer Pflegefamilie untergebracht.59
53
Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 22; Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 50 f. m.w.N.; Kelly, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 245; vgl. Klose/Schug/Gärtner, in: Smentek (Hrsg.), S. 21, 22; Dettenborn/Walter, S. 269; Pfaffinger, S. 210 ff.; dies., FamPra.ch 2008, 1, 15. 54 Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 50 f. m.w.N. 55 Napp-Peters, S. 261 f. 56 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 22. 57 In Deutschland wurden im Jahr 2012 bei insgesamt 1.543 familienfremden Minderjährigenadoptionen 1.128 deutsche Kinder adoptiert; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 1.690: 1.165; (2010) 1.669: 1.165; (2009) 1.692: 1.121; (2008) 1.919: 1.255; (2007) 2.038: 1.260 (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012). 58 Oberloskamp/Hoffmann, S. 234. 59 Bei im Jahr 2012 insgesamt 1.543 familienfremden Minderjährigenadoptionen waren vor Beginn des Adoptionsverfahrens 1.405 Kinder in einem Heim, einer Pflegefamilie oder einem Krankenhaus untergebracht; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 1.690: 1.515; (2010) 1.669: 1.497; (2009) 1.692: 1.442; (2008) 1.919: 1.673; (2007) 2.038: 1.803 (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012).
B. Voraussetzungen der Adoption
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Rechtlich ist eine Fremdbestimmung abgebender Eltern ausschließlich dann relevant, wenn die (hohe) Schwelle des § 1760 Abs. 2 BGB überschritten wird. Es wäre auch „illusorisch“, wollte man versuchen, die Wirksamkeit der mütterlichen Einwilligung von einer – im psychologischen Sinne verstandenen – Freiwilligkeit abhängig zu machen, da es für diese Unterscheidung an tauglichen juristischen Abgrenzungskriterien fehlt.60 Im Falle einer Auslandsadoption dürften ökonomische Zwänge die Abgabeentscheidung in einem noch stärkeren Maße determinieren als bei einer Inlandsadoption. Hier sind die Freigabe-Motive ausländischer Mütter aber empirisch nur unzureichend erforscht, weil es an aussagekräftigen Studien in den Herkunftsländern fehlt.61 Vor allem nach verheerenden Naturkatastrophen oder in Situationen gravierender Armut ist die Freiwilligkeit der Kinderabgabe beziehungsweise der Waisenstatus des Kindes besonders kritisch zu hinterfragen.62 Art. 4 lit. c Nr. 3 HAÜ sieht hier nur vor, dass eine Auslandsadoption bloß dann nicht stattfinden darf, wenn die mütterliche Zustimmung unmittelbar durch eine Geldzahlung oder sonstige Gegenleistung erwirkt wurde. Andere äußere Umstände, die mittelbar Einfluss auf die elterliche Zustimmung nehmen können, sind demgegenüber irrelevant. Aber nicht nur äußere Zwänge und persönliche Lebensumstände beeinflussen die Freigabeentscheidung. Oftmals stellt sich der Entschluss für oder gegen die Freigabe auch aus anderen Gründen nicht als Ergebnis eines rationalen Abwägungsvorgangs dar.63 Dies gilt besonders unter dem Gesichtspunkt, dass die Freigabe eine in aller Regel irreversible Entscheidung ist, die rechtlich und tatsächlich zur vollkommenen Trennung zwischen Adoptivkind und Herkunftsfamilie führt. Diese weitreichenden Adoptionswirkungen erschweren den Prozess der Entscheidungsfindung. Insbesondere Mütter scheuen vielfach die freiwillige Einwilligung in die Fremdadoption, weil sie dadurch jede – im Einzelfall noch so theoretische – Chance verlieren, eine Beziehung zu ihrem Kind zu erhalten oder aufzubauen, sobald etwa ihre persönliche Krise überwunden ist.64 Deshalb geben viele Mütter im Zweifel ihr Kind nicht ab. Die Folge ist, dass statistisch wenigen Adoptionsfreigaben eine große Anzahl von Kindern in Dauerpflege gegenübersteht.65 Doch je länger das Kind in einer Pflegefamilie unter60
Salgo, S. 84 f. m.w.N. Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 49 f.; Pfaffinger, S. 210. 62 Vgl. Selman, Adoption & Fostering 4/2011, 41, 47; Davies, Adoption & Fostering 4/2011, 50 ff.; Kelley, Bioethics 7/2010, 373, 379 f. 63 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20; Dettenborn/Walter, S. 269; Paulitz, S. 41 f. 64 Oberloskamp/Hoffmann, S. 181 f. 65 Vgl. 2. Kapitel D. I. 61
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
gebracht ist, desto weniger können die rechtlichen Eltern auch tatsächliche Erziehungsverantwortung wahrnehmen (vgl. § 1632 Abs. 4 BGB). Umgekehrt sinken für ältere Kinder die Chancen, Adoptiveltern zu finden, sollten sich die leiblichen Eltern erst spät zur Adoptionsfreigabe entschließen. 2. De lege ferenda Im praktischen Regelfall ist die mütterliche Entscheidung für oder gegen die Abgabe durch äußere Zwänge motiviert und subjektiv meist nicht nüchtern durchdacht. Die inneren Zweifel und widersprüchlichen Emotionen, die einer Freigabeentscheidung oftmals zugrunde liegen, könnten jedoch ein Stück weit gemildert werden, wenn die tatsächliche Tragweite der Abgabeentscheidung reduziert würde. Diesen Effekt erzeugen sogenannte geöffnete Adoptionsformen, die – entgegen dem Modell des § 1747 Abs. 2 S. 2 BGB – versuchen, individuell angepasste Kontakte zwischen leiblichen Eltern, Adoptivkind und Adoptivfamilie zu etablieren. Unter den Oberbegriff „geöffnete Adoptionen“ lassen sich eine Vielzahl von Adoptionsarrangements zwischen Herkunfts- und Ursprungsfamilie einordnen, die sich nur theoretisch klar voneinander abgrenzen lassen: So spricht man von „teiloffenen Adoptionen“, wenn mittels Austausch von Bildern oder Briefen ein gewisser Kontakt zwischen den Familien bestehen bleibt, wobei die Adoptivfamilie auch anonym bleiben kann.66 Demgegenüber besteht bei sogenannten „offenen Adoptionen“ ein unmittelbarer Austausch zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern, aus dem sich ein persönlicher Umgangskontakt entwickeln soll.67 Diese Praxis entspricht typischerweise dem Willen von leiblichen Müttern, die trotz Freigabeentscheidung regelmäßig den Wunsch nach fortgesetzter Zuneigung und gegenseitigem Umgang artikulieren, wie es einige sozialwissenschaftliche Befragungen abgebender Mütter belegen.68 Etwa die Studie von Swientek aus dem Jahr 2001, in der von 75 befragten leiblichen Müttern, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben hatten, 73 nach der Adoption angaben, dass sie ihre Kinder wiederfinden wollten.69 Eine geöffnete Adoptionspraxis würde auch besser dem Gestaltungsanspruch der Eltern entsprechen, der nach geltendem Recht seinen Niederschlag nur in ihrem Einwilligungsrecht des § 1747 Abs. 1 BGB findet. Doch sollte nicht die rechtliche und tatsächliche Aufgabe des Kindes im Vordergrund stehen, sondern die Gestaltung des Adoptionsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Eine kooperative Einwilligung findet sich nicht nur in der geöffneten Adoptionspraxis wieder, sondern prägt gegenwärtig 66
Vgl. Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 216. Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 21. 68 Pfaffinger, S. 34 ff. m.w.N. 69 Swientek, S. 173; vgl. dies., FPR 2001, 353, 355. 67
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vor allem die Pflegepraxis:70 Trotz des faktischen Verlusts der Elternverantwortung überantworten insbesondere viele Mütter ihre Kinder freiwillig fremder Pflege und gestehen so ihre temporäre Erziehungsunfähigkeit ein. Von den betroffenen Kindern befindet sich rund die Hälfte aufgrund freiwilligen Entschlusses der Eltern (langfristig) in (fremder) Familienpflege.71 Dieser Befund zeigt, dass hilfsbedürftige Eltern zu einem großen Teil von sich aus daran interessiert sind, die (familienfremde) Fürsorge ihres Kindes sicherzustellen. Hierfür nehmen sie auch eine bedingte tatsächliche Abgabe des Kindes in Kauf. Solange das gesetzliche Adoptionsmodell indes auf eine unbedingte rechtliche und tatsächliche Abgabe des Kindes abzielt (vgl. §§ 1747 Abs. 2 S. 2, 1758 Abs. 1 BGB), bietet es Eltern keine Perspektive – das Einwilligungsrecht ist deshalb überwiegend nicht Gestaltungs-, sondern Blockaderecht. Da gegen den Willen sich verweigernder Mütter kaum Adoptionen zustande kommen (§ 1748 BGB), ist der Zugang zur Adoption oftmals blockiert. De lege ferenda sollte das Recht der Kindesannahme die Einwilligung (§ 1747 Abs. 1 BGB) daher als Gestaltungs-, nicht als Abgaberecht begreifen. Dann würde es zu einer realistischen Fürsorgemöglichkeit für Eltern, die ihr Kind nicht bloß abgeben, sondern dessen Zukunft gestalten wollen. Die Pflichtbindung dieser Eltern (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und das starke Vetorecht von leiblichen Müttern ernst zu nehmen erfordert, einen entsprechenden Gestaltungsspielraum im Adoptionsrecht zu schaffen. Hierauf wird noch ausführlich zurückzukommen sein.72 II. Vetorecht des (biologischen) Vaters 1. De lege lata Das Einwilligungsrecht nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB ist ein gemeinsames Recht der Eltern. Zusammen mit der Mutter muss grundsätzlich auch der rechtliche Vater im Sinne von §§ 1592, 1593 BGB in die Adoption seines Kindes einwilligen. In den Augen des Gesetzes ist rechtlicher Vater der Mann, welcher zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet war (§ 1592 Nr. 1 BGB), die Vaterschaft anerkannt hat (§§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB) oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist (§§ 1592 Nr. 3, 1600d BGB). Die biologische Abstammung ist für das Einwilligungsrecht nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB somit nur mittelbar relevant. Fallen rechtlicher und biologischer Vater zusammen, handelt es sich um ein Vetorecht des biologischen und rechtlichen Vaters.
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Vgl. BT-Drucks. 11/5948, S. 73; Hoffmann, JAmt 2011, 10, 13 f. Salgo, ZfJ 2003, 361 f.; ders., FPR 2004, 419, 421. 72 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. 71
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
Die gesetzliche Parität des Einwilligungsrechts beider Elternteile (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) darf jedoch nicht den Blick auf die Adoptionsrealität verstellen. Es ist selten, dass verheiratete, zusammenlebende Eltern gemeinsam ein Kind zur Adoption durch Familienfremde freigeben: Im Jahr 2012 waren bei insgesamt 3.886 Minderjährigenadoptionen nur 120 Kinder vor Beginn des Adoptionsverfahrens bei verheirateten, zusammenlebenden Eltern untergebracht; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060: 165; (2010) 4.021: 175; (2009) 3.888: 276; (2008) 4.201: 313; (2007) 4.509: 302.73 Insofern entsprechen sich die Herkunftsfamilien von Adoptiv- und Pflegekindern: Sie bestehen überwiegend aus alleinerziehenden Müttern mit Kindern, die sich in einer prekären Lebenssituation befinden.74 In rund einem Viertel aller Adoptionen Minderjähriger waren die Eltern zwar ursprünglich einmal miteinander verheiratet, zum Zeitpunkt der Adoptionsfreigabe jedoch geschieden. In diesen Konstellationen erfolgt dann zumeist eine Stiefkindadoption durch den neuen Lebenspartner der Mutter.75 Ansonsten geben überwiegend ledige Eltern oder ledige Elternteile ihre Kinder zur Adoption frei.76 Folglich willigen – wenn überhaupt – regelmäßig Väter im Sinne von § 1592 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB, das heißt Väter nichtehelicher Kinder, in eine familienfremde Adoption ihres Kindes einwilligen. Innerhalb dieser Gruppe dürften diejenigen Väter, die durch Vaterschaftsanerkennung ihren Status erhalten haben, gegenüber denen überwiegen, die gerichtlich als Vater festgestellt wurden.77 Für die betroffenen Väter insgesamt gilt, dass sie im Vorfeld des Adoptionsverfahrens regelmäßig nicht (mehr) mit ihrem Kind zusammenleben;78 vielmehr nehmen
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Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. Helming/Kindler/Thrum, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 262 ff. Bundesweit waren im Jahr 2009 rund 40 % der Kinder Alleinerziehender armutsgefährdet, Pressemitteilung Statistisches Bundesamt vom 27.8.2010 (Stand 13.3.2013); Salgo, S. 87 f. 75 Bei im Jahr 2012 insgesamt 3.886 Minderjährigenadoptionen – hiervon waren 2.215 Stiefkindadoptionen – waren in 900 Fällen die Eltern vor Beginn des Adoptionsverfahrens geschieden; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060 (1.003): 1.108; (2010) 4.021 (940): 1.031; (2009) 3.888 (824): 942; (2008) 4.201 (952): 1.086; (2007) 4.509 (1.178): 1.311 (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012). 76 Vgl. 2. Kapitel B. I. 1. 77 Vgl. Wellenhofer, in: Münch.Komm., BGB, § 1594 Rn. 2. 78 Schleiffer, in: Krolzik (Hrsg.), S. 161, 162. Bei insgesamt 3.886 Minderjährigenadoptionen im Jahr 2012 waren nur 43 Kinder vor Beginn des Adoptionsverfahrens bei ihren leiblichen Eltern untergebracht; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060: 51; (2010) 4.021: 21; (2009) 3.888: 45; (2008) 4.201: 56; (2007) 4.509: 59 (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012). 74
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sie häufig die Rolle eines bloßen Zahlvaters ein.79 Fehlt es an einer räumlichen Gemeinschaft zwischen Vater, Kind und Mutter, ist der Vater keineswegs automatisch über die Adoptionsbestrebungen im Bilde; zumal Adoptionsfreigaben vor allem mit der Einwilligungsbereitschaft der Mutter stehen und fallen.80 Allerdings wirft es in der Praxis keine Probleme auf, den rechtlichen Vater und dessen Einwilligungsbereitschaft festzustellen (vgl. § 44 PStG).81 2. Problemlagen a) Präklusionsgefahr Für das Adoptionsrecht ist ausschließlich die rechtliche Vaterschaft von Belang.82 Ein biologischer, aber nicht rechtlicher Vater ist hingegen grundsätzlich nicht einwilligungsberechtigt. Deshalb besteht die Gefahr, dass er die Adoption selbst dann nicht rechtzeitig verhindern kann, wenn er bereit wäre, die rechtliche Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Diese Ausschlussgefahr ist problematisch, da die Adoption regelmäßig eine irreversible Entscheidung darstellt. Der (durch die wirksame Adoption seines Kindes) „präkludierte“ Vater verliert dauerhaft jede Möglichkeit, eine rechtliche Beziehung zu seinem Kind aufzubauen. Zwei Konstellationen sind hierbei zu unterscheiden. Existiert ein rechtlicher Vater, der nicht zugleich auch der biologische Vater ist, so ist allein der rechtliche Vater nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB einwilligungsberechtigt. Neben ihm schenkt jedenfalls das Adoptionsrecht de lege lata dem biologischen Vater keine Beachtung; vielmehr verweist es auf das Abstammungsrecht: Ein biologischer Vater, der die Adoption seines Kindes verhindern will und mit einem rechtlichen Vater konkurriert, muss dessen Vaterschaft erfolgreich anfechten (§§ 1600 Abs. 1 Nr. 2, 1600a Abs. 2 S. 1 BGB) und anschließend seine eigene Vaterschaft etablieren. Erst dann ist er selbst als rechtlicher Vater nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB einwilligungsberechtigt. Ob ihm die Anfechtung gelingt, ist jedoch höchst ungewiss, da er insbesondere die Hürde des § 1600 Abs. 2 BGB überwinden muss.83 Hiernach ist eine Anfechtung gesperrt, wenn der rechtliche Vater zu seinem Kind eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1600 Abs. 4 BGB aufweist oder eine solche zum Zeitpunkt seines Todes bestand. Eine sozialfamiliären Beziehung wird vermutet, wenn nach § 1600 Abs. 4 S. 1 Fall 2 79
Krit. Meyer, S. 76 f., 87 f. Vgl. 2. Kapitel B. I. 1. 81 Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1592 Rn. 59 f. 82 Vgl. 2. Kapitel B. II. 1. 83 Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1600 Rn. 40. 80
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BGB der Vater (jemals) tatsächliche Verantwortung für das Kind getragen hat. Es reicht in der Regel aus, dass er entweder mit der Mutter verheiratet war (§ 1600 Abs. 4 S. 2 Fall 1 BGB) oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft lebte (§ 1600 Abs. 4 S. 2 Fall 2 BGB). Zur Adoption durch Familienfremde werden in der Regel Kinder lediger Eltern freigegeben. Deshalb entscheidet vorrangig die zufällige häusliche Gemeinschaft zwischen rechtlichem Vater und dessen Kind über den Erfolg der Vaterschaftsanfechtung und damit über das Einwilligungsrecht nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB. Daher ist im Adoptionsfall nicht gewährleistet, dass der biologische Vater rechtzeitig – vor Abschluss des Adoptionsverfahrens – erfolgreich die Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft betreiben kann. Nachdem das Familiengericht die Adoption ausgesprochen hat (§ 1752 Abs. 1 BGB), ist zweifelhaft, ob eine Vaterschaftsanfechtung weiterhin zulässig ist;84 auf die Wirksamkeit der Adoption hat sie jedenfalls keinen Einfluss. In der Adoptionspraxis wesentlich häufiger kommen jedoch die Fälle vor, in denen ein rechtlicher Vater (noch) nicht existiert. Hier muss an und für sich nur die Mutter in die Kindesannahme einwilligen (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB). Soweit noch keine Vaterschaftsanerkennung erfolgt ist, die im Übrigen auch die Zustimmung der Mutter voraussetzt (§ 1595 Abs. 1 BGB), und die Vaterschaft des biologischen Vaters auch nicht gerichtlich festgestellt worden ist (§ 1592 Nr. 3 BGB), wird nach Einleitung des Adoptionsverfahrens die Vaterschaft in der Regel nicht mehr etabliert. Zwar ist für den biologischen Vater nach herrschender Meinung auch nach erfolgter Adoption die Vaterschaftsfeststellung ausnahmsweise noch möglich,85 zu einer rückwirkenden Auflösung des Annahmeverhältnisses führt dies aber ebenfalls nicht. Allerdings kann sich der biologische Vater auf das besondere Einwilligungsrecht des § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB berufen: Existiert kein rechtlicher Vater, ist hiernach (ausnahmsweise) einwilligungsberechtigt, wer glaubhaft versichert, der Mutter während der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt zu haben. Zwar ist zuzugeben, dass auch in dieser Fallgestaltung biologische Väter überwiegend weder ein Interesse daran haben, rechtlicher Vater zu werden, noch die Adoption zu verhindern, doch gibt es in der Praxis auch einzelne Ausnahmen. Die wohl berühmteste ist der Fall „Görgülü“ aus dem Jahr 2004, in dem ein biologischer Vater über Jahre versuchte, die elterliche Sorge und den Umgang mit seinem Sohn gerichtlich zu erstreiten, nachdem die Mutter diesen ohne seine Zustimmung zur Adoption frei84
Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1755 Rn. 24; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 18 m.w.N. 85 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 15 m.w.N.
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gegeben hatte.86 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde mit diesem Fall befasst und stellte in einer grundlegenden Entscheidung fest, dass es einem biologischen Vater wegen Art. 8 Abs. 1 EMRK ermöglicht werden müsse, die bestehende Beziehung zu seinem Kind auszubauen oder überhaupt erst aufzubauen, obwohl er bislang nie mit seinem Kind zusammengelebt habe; insbesondere dürfe ein künftiger Beziehungsaufbau nicht durch die Pflegekindschaft faktisch infolge bloßen Zeitablaufs ausgeschlossen werden.87 Für Görgülü endete der Rechtsstreit erst, als er im Jahr 2008 das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn erhielt, der seitdem bei seinem Vater lebt.88 Diese Ausführungen zeigen, dass aus Sicht des (biologischen) Vaters das geltende Adoptionsrecht noch keine befriedigende Antwort auf die Frage gibt, wie bestehende Bindungen zwischen Kind und biologischem Vater (vgl. Art. 8 Abs. 1 EMRK) geschützt werden können, wenn der Vater nicht rechtzeitig Kenntnis vom Adoptionsverfahren erlangt, um es zu verhindern.89 In diesen – zugegebenermaßen seltenen Fällen – besteht für einen an seinem Kind interessierten Vater nach wie vor die Gefahr, dass die (Inkognito-)Adoption Erfolg hat und ihn insbesondere jeder späteren Kontaktchance beraubt (vgl. § 1758 Abs. 1 BGB). Dass die Wahrung seiner berechtigten Interessen gefährdet ist, liegt manchmal daran, dass die leiblichen Mütter ein Interesse an einem reibungslosen Ablauf des Adoptionsverfahrens haben, ohne dass der rechtliche Vater durch sein Veto (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) blockiert. Deshalb verweigern die zur Abgabe entschlossenen leiblichen Mütter im Adoptionskontext nicht selten ihre Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung (§ 1595 Abs. 1 BGB), während die Zustimmung im Allgemeinen regelmäßig erteilt wird.90 Ebenso wenig haben sie ein Interesse daran, dass der biologische Vater ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren durchführt, das nach herrschender Meinung grundsätzlich zur Aussetzung des Adoptionsverfahrens führt.91 Hierdurch erhielte er ein aus ihrer Sicht unerwünschtes Blockaderecht nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB. Das gilt entsprechend für ein Einwilligungsrecht nach § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB. Das effektivste Mittel, um eine Einflussnahme des Vaters auf das Adoptions-
86 EuGHMR 26.2.2004, FamRZ 2004, 1456 ff. – Görgülü/Deutschland; umfassende Darstellung vgl. Klein, S. 43 ff.; Meyer, S. 55 ff. 87 EuGHMR 26.2.2004, FamRZ 2004, 1456, 1459, Rn. 45 – Görgülü/Deutschland. 88 Klein, S. 277 ff.; Schulze, S. 92 f. 89 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 16. 90 Nickel, in: Juris-PK, BGB, § 1595 Rn. 5. 91 LG Stuttgart 24.10.1977, FamRZ 1978, 147 f.; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 15; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 9, 13; Meyer, S. 245 f.; Maurer, FPR 2005, 196, 199.
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verfahren zu verhindern, ist es jedoch, ihm die Geburt des Kindes und möglichst auch die Adoption zu verschweigen. Für abgabebereite Mütter ist es somit insgesamt, aber vor allem bei einer bevorstehenden Stiefkindadoption, von Vorteil, den biologischen Vater aus dem Adoptionsgeschehen herauszuhalten.92 Daher stellt sich die Frage: Wie kann diese Präklusionsgefahr effektiv gebannt werden, ohne das Kindeswohl zu verletzen? Die herrschende Meinung vertritt die Ansicht, dass das Familiengericht den (potenziellen) biologischen Vater von Amts wegen zu ermitteln hat.93 Umstritten ist, wann eine Ermittlungspflicht besteht und zu welchen Nachforschungen sie das Gericht verpflichtet.94 Bis ins Jahr 2011 war man sich allerdings einig, dass eine Mutter nicht durch Zwangsmittel dazu gezwungen werden kann, den (potenziellen) Erzeuger des Kindes zu benennen.95 Das ist seither außerhalb des Adoptionsrechts nicht mehr ausgeschlossen: Der Bundesgerichtshof gewährt mittlerweile dem Scheinvater einen Auskunftsanspruch gegen die Mutter über die Person des mutmaßlichen Vaters ihres Kindes, wenn diese Auskunft erforderlich ist, um vom biologischen Vater Unterhaltsregress verlangen zu können.96 In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist es jedenfalls nicht länger undenkbar, auch im Adoptionsverfahren eine Mutter zu zwingen, den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes zu benennen. Freilich sind die Fallgestaltungen nicht ganz vergleichbar. Alternativ wird erwogen, ob nicht das Kind gegen seine Mutter einen Anspruch auf Auskunft über die Person des leiblichen Vaters hat, den im Adoptionsverfahren das Jugendamt für das Kind durchsetzen könne.97 Doch selbst wenn man einen derartigen Auskunftsanspruch bejaht,98 ist damit das Problem der Präklusionsgefahr nicht umfassend gebannt: Es bleiben die Fälle, in denen die Mutter den biologischen Vater nicht kennt, seine Identität im Adoptionsverfahren verschleiert oder sein Aufenthalt nicht (rechtzeitig) ermittelt werden kann. 92
Exemplarisch: OLG Köln 15.6.1998, DAVorm 1998, 936; OLG Hamm 3.11.1999, FamRZ 2000, 695; LG Stuttgart 3.3.1992, FamRZ 1992, 1469; LG Lübeck 8.8.1997, SchlHA 1997, 214; LG Freiburg 28.5.2002, FamRZ 2002, 1647; AG TempelhofKreuzberg 31.3.2004, FamRZ 2005, 302; Maurer, FPR 2005, 196, 198. 93 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 14; Maurer, FPR 2005, 196, 198; einschränkend: Helms, JAmt (DAVorm) 2001, 57, 60 m.w.N.; Meyer, S. 228 f. 94 Vgl. LG Stuttgart 3.3.1992, FamRZ 1992, 1469; LG Freiburg 28.5.2002, FamRZ 2002, 1647; AG Tempelhof-Kreuzberg 5.4.2004, FamRZ 2005, 302; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 15; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 4; Meyer, S. 328 ff.; Helms, JAmt (DAVorm) 2001, 57, 60. 95 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 15. 96 BGH 9.11.2011, FamRZ 2012, 200 ff. 97 Meyer, S. 304 ff. 98 Meyer, S. 322 ff.
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b) Umgangs- und Auskunftsrecht des biologischen Vaters trotz Adoption? Wird ein biologischer Vater im Rahmen eines Adoptionsverfahrens übergangen, kann eine bemerkenswerte gesetzliche Friktion auftreten, seitdem § 1686a BGB am 13.7.201399 in Kraft getreten ist. Hiernach hat der biologische Vater, der nicht zugleich auch rechtlicher Vater ist, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, sofern dieser dem Kindeswohl dient (§ 1686a Abs. 1 BGB), sowie einen Anspruch auf Auskunft, soweit dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Weitere Voraussetzungen sind ferner, dass dem Kind ein anderer als rechtlicher Vater zugeordnet ist und der leibliche Vater ein nachhaltiges Interesse an seinem Kind gezeigt (§ 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB) beziehungsweise ein berechtigtes Interesse an der Auskunftserteilung hat (§ 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Diese Umgangs- und Auskunftsrechte des interessierten biologischen Vaters nach § 1686a BGB gehen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurück,100 der die Rechte (mutmaßlicher) biologischer Väter stärkte, sofern die leiblichen Väter – unverschuldet – keine Chance hatten, eine sozial-familiäre Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen.101 Auch in Adoptionskonstellationen kann § 1686a BGB relevant werden: Hatte ein leiblicher, aber nicht rechtlicher Vater wegen der Adoption keine Gelegenheit, ein Familienleben zu seinem Kind aufzubauen, dürfte er sich grundsätzlich auf die Rechte nach § 1686a BGB berufen. Hiergegen lässt sich insbesondere nicht einwenden, dass die Konzeption des geltenden Adoptionsrechts keine Umgangs- oder Auskunftskontakte zwischen leiblichen Eltern und dem Adoptivkind vorsieht. Nach § 1751 Abs. 1 S. 1 BGB darf die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind nicht ausgeübt werden, wenn Eltern in die Adoption ihres Kindes eingewilligt haben. Das Kind soll ungestört eine neue Beziehung zu den Annehmenden aufbauen können.102 Der präkludierte biologische Vater hat aber gerade nicht in die Adoption seines Kindes eingewilligt, sondern beruft sich auf seine unverschuldete Verdrängung, die § 1686a BGB erfasst. Deshalb kann ihm eine Berufung auf § 1686a BGB nicht mit der Begründung verwehrt werden, dass er kein schützenswertes Interesse am Umgang habe, weil er die Adoption mittels seines Vetos nach § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB hätte verhindern können.103 Diese Auffassung verkennt, dass der präkludierte (biologische) Vater eben nicht die Möglichkeit hatte, ein eigenes Einwilligungsrecht 99
BGBl. I 2013, 2176 f. Vgl. BT-Drucks. 17/12163, S. 8 f.; Balzer, StAZ 2012, 364, 365. 101 EuGHMR 21.12.2010, FamRZ 2011, 269 ff. – Anayo/Deutschland m. Anm. Rixe, FamRZ 2011, 1363; EuGHMR 15.9.2011, FamRZ 2011, 1715 ff. – Schneider/Deutschland m. Anm. Helms, FamRZ 2011, 1717. 102 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1751 Rn. 9. 103 Fröschle, Sorge und Umgang, Rn. 1278 (S. 271). 100
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
rechtzeitig geltend zu machen, um die Adoption seines Kindes zu verhindern.104 Umgekehrt kann sich aber der biologische Vater, der in die Adoption seines Kindes eingewilligt hat, de lege lata wohl nicht auf § 1686a BGB berufen.105 Mit seiner Freigabe hat er in Kauf genommen, dass er keine Beziehung zu seinem Kind aufbauen kann. Das unterscheidet ihn vom unverschuldet ausgeschlossenen Vater und rechtfertigt seinen späteren Umgangs- oder Auskunftsausschluss. Weil das Konzept des Adoptionsrechts aber insgesamt auf der Prämisse aufbaut, der Umgang von leiblichen Eltern mit dem Adoptivkind schade der kindlichen Entwicklung,106 dürfte es dem unverschuldet präkludierten biologischen Vater in der Praxis allerdings mitunter schwerfallen, insbesondere die Kindeswohldienlichkeit des beabsichtigten Umgangs nachzuweisen. Auch dürfte er Probleme haben, die Rechte aus § 1686a BGB durchzusetzen, wenn er die Identität der Annehmenden nicht kennt. Diese tatsächlichen Hürden ändern aber nichts an der Tatsache, dass das gesetzliche Konzept der Kindesannahme durch die aktuelle Rechtsentwicklung im Umgangs- und Auskunftsrecht erheblich infrage gestellt wird. c) Unterschiedliche Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Vätern Ebenfalls als äußerst problematisch erweist es sich, dass das geltende Adoptionsrecht der Sache nach immer noch zwischen ehelichen und nichtehelichen Vätern unterscheidet. Um eine Blockade des Adoptionsverfahrens durch das Vetorecht nichtehelicher Väter möglichst zu verhindern, wurde vom Gesetzgeber durch § 1748 Abs. 4 BGB nämlich eine erleichterte Ersetzungsmöglichkeit geschaffen.107 Danach ist die Einwilligung eines nichtsorgeberechtigen Elternteils zu ersetzen, wenn das Unterbleiben der Adoption ein unverhältnismäßiger Nachteil für das Kind wäre. Dieser Ersetzungstatbestand bezieht sich zwar nicht generell, aber typischerweise auf nichteheliche Väter, weil diese oftmals kein Sorgerecht besitzen.108 Die Begründung des Gesetzgebers lautete: „Das neu begründete Einwilligungsrecht des Vaters […] erfährt mit dem neuen Absatz 4 [des § 1748 BGB] die erforderliche Einschränkung“109. Deutlicher konnte der historische Gesetzgeber kaum zum Ausdruck bringen, welchen Stellenwert der nichteheliche, rechtliche Vater im Adoptionsverfahren einnehmen sollte. Und das, obwohl § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB allein an den Status anknüpft. Dabei muss 104
Vgl. 2. Kapitel B. II. 2. a). BT-Drucks. 17/12163, S. 12. 106 Vgl. 2. Kapitel A. 107 Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (BGBl. I 1997, 2942). 108 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 6. 109 BT-Drucks. 13/4899, S. 114. 105
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bedacht werden, dass gerade überwiegend nichteheliche Kinder durch Familienfremde adoptiert werden.110 Mit dem besonderen Diskriminierungsverbot des Art. 6 Abs. 5 GG dürfte das kaum vereinbar sein. Damit zeigt sich, dass Väter nichtehelicher Kinder vom Gesetzgeber nach wie vor als Störfaktoren angesehen werden, die einen zügigen und reibungslosen Ablauf des Adoptionsverfahrens gefährden.111 Deshalb besteht die Zielsetzung, nichtehelichen Vätern kein zu starkes Mitspracherecht einzuräumen, damit sie eine mütterliche Abgabeentscheidung nicht blockieren oder verzögern. Diesem Zweck dienen unter anderem die Sonderregelungen der §§ 1747 Abs. 3 Nr. 1, 2, 1747 Abs. 3, 1748 Abs. 4 BGB, die ebenfalls typischerweise nichteheliche Väter betreffen.112 Nach § 1747 Abs. 3 Nr. 1 BGB kann ein nicht sorgeberechtigter Vater – im Gegensatz zur Mutter – seine Einwilligung bereits vor der Geburt des Kindes erteilen. Außerdem kann er darauf verzichten, die Übertragung der Sorge zu beantragen (§ 1747 Abs. 3 Nr. 2 BGB), was andernfalls die Annahme sperren würde, bis über seinen Sorgerechtsantrag entschieden worden wäre. In diese Reihe gehört auch die de lege lata erleichterte Möglichkeit zur Ersetzung der Einwilligung eines Vaters, der zu keiner Zeit sorgerechtliche Verantwortung für sein Kind getragen hat (§ 1748 Abs. 4 BGB).113 Diese Ausnahmen zeigen deutlich, dass der Gesetzgeber den nichtehelichen, aber rechtlichen Vater in das Adoptionsrecht nicht vorbehaltlos integrieren wollte.114 3. De lege ferenda De lege ferenda sollte davon abgesehen werden, das Einwilligungsrecht der Eltern einzuschränken, soweit einem Elternteil das Sorgerecht nicht zusteht. Da das Einwilligungsrecht nach herrschender Meinung allein aus dem Elternstatus folgt, ist insbesondere die Verteilung des elterlichen Sorgerechts kein sachgemäßer Maßstab für Relativierungen, wie sie in § 1747 Abs. 3 BGB angelegt sind. Betroffen sind hiervon fast ausschließlich die leiblichen Väter, weil den Müttern automatisch mit der rechtlichen Elternstellung auch die elterliche Sorge zukommt. Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, erhalten sie nach § 1626a Abs. 1 BGB nur dann ein gemeinsames Sorgerecht, wenn sie beide Sorgerechtser-
110
Vgl. 2. Kapitel B. II. 1. Vgl. BT-Drucks. 7/3061, S. 37. 112 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 3, 14; vgl. Willutzki, ZKJ 2007, 18, 26. 113 Vgl. 2. Kapitel D. II. 2. a). 114 Dies ist aber ein erklärtes Ziel des revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommens, welches die Bundesrepublik Deutschland bislang nicht ratifiziert hat vgl. (Stand 10.11.2013). 111
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
klärungen abgeben, einander heiraten oder das Familiengericht ihnen die elterliche Sorge (gemeinsam) überträgt. Praktisch mag das fragwürdige Differenzierungssystem, das § 1747 Abs. 3 BGB zugrunde liegt, die Anzahl von Annahmeverfahren erhöhen – rechtlich ist es hingegen unsachgemäß.115 Auch das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 2008 (r. EAÜ),116 das am 1.9.2011 in Kraft getreten ist, aber bislang von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert wurde,117 sieht vor, dass beide rechtlichen Eltern in die Adoption ihres Kindes einwilligen müssen, unabhängig davon, ob sie sorgeberechtigt sind oder nicht (vgl. Art. 5 Abs. 1 r. EAÜ). Hiervon können die Vertragsstaaten zwar in Bezug auf nicht sorgeberechtigte Väter abweichen (Art. 5 Abs. 4 r. EAÜ), es handelt sich hierbei aber um eine anachronistische Möglichkeit. Diese ist ein politisches Zugeständnis an die europäischen Rechtsordnungen, welche de lege lata eine erleichterte Einwilligung für nicht sorgeberechtigte Väter vorsehen.118 Ein eigenes Einwilligungsrecht des biologischen Vaters ist im Übrigen auch im revidierten Übereinkommen nicht vorgesehen. Allerdings sei er über das Adoptionsverfahren zu informieren.119 Im Zuge der letzten Sorgerechtsreform, die einem nichtehelichen Vater das Recht einräumt, auch gegen den Willen der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht durchzusetzen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 2 S. 1 BGB), hielt der Gesetzgeber indes bewusst an §§ 1747 Abs. 3, 1748 Abs. 4 BGB fest und passte diese Vorschriften bloß an das veränderte Sorgerechtsmodell an.120 Das Ergebnis ist ein komplexes Regel-Ausnahme-System, wonach die Einwilligung des Vaters grundsätzlich bereits vor der Geburt erteilt werden kann, wenn die Eltern unverheiratet und nicht gemeinsam sorgeberechtigt sind (§ 1747 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Der nichteheliche Vater kann allerdings auch die Übertragung der Sorge beantragen (§ 1747 Abs. 3 Nr. 2 BGB), wodurch ein Annahmever115 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 25 m.w.N.; Liermann, in: Soergel, BGB, § 1747 Rn. 17; Deutscher Familiengerichtstag, FamRZ 1997, 337, 341; Finger, ZfJ 2000, 183, 187; Graf von Kielmansegg, AVR 3/2008, 273, 295. 116 Das Übereinkommen findet sich unter: (Stand 21.10.2013); Überblick über die Entstehungsgeschichte bei: Horgan/Martin, International Family Law 2008, 155 f. 117 Bislang wurde es ratifiziert von Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Norwegen, Rumänien, Spanien und der Ukraine: (Stand 10.10.2013). 118 Explanatory Report zum revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen (Nr. 36) (Stand 1.11.2013). 119 Explanatory Report zum revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen (Nr. 36) (Stand 1.11.2013); Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481, 1485. 120 BT-Drucks. 17/11048, S. 8, 22; krit. Meyer, S. 88, 291 ff.
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fahren so lange gesperrt ist, bis über seinen Sorgerechtsantrag entschieden wurde. Nach § 1747 Abs. 3 Nr. 3 BGB kann er theoretisch auch abschließend darauf verzichten, die Übertragung der Sorge auf sich zu beantragen, was für den Vater allerdings keinen Sinn ergibt.121 Für Väter nichtehelicher Kinder, die nicht Inhaber der elterlichen Sorge sind und es auch nie waren, gilt zudem eine erleichterte Möglichkeit der Ersetzung ihrer Einwilligung nach § 1748 Abs. 4 BGB, welche die Adoption ermöglichen soll, wenn dem Kind ohne Adoption ein unverhältnismäßiger Nachteil entstünde.122 Diese Sonderregelungen, die typischerweise den Fall einer nichtehelichen Geburt betreffen,123 wird der Gesetzgeber offenbar erst dann aufgegeben, wenn eines Tages nicht miteinander verheiratete Eltern mit der Geburt ihres Kindes ipso iure ein gemeinsames Sorgerecht erhalten.124 Erst dann hätte der rechtliche Vater ohne Einschränkungen eine gleichberechtigte Stellung im Adoptionsrecht erlangt und das Anliegen der Kindschaftsrechtsreform aus dem Jahr 1997 wäre uneingeschränkt verwirklicht. Nachdem ursprünglich nur eheliche Väter einwilligungsberechtigt waren, wäre dann einzig die rechtliche Elternschaft für das Adoptionsrecht von Belang. In der Adoptionsrealität geht die Initiative zur Abgabe des Kindes in der Regel von der Mutter aus, während der Vater diese Entscheidung oftmals bloß nachvollzieht.125 Nicht die Verantwortungsübernahme durch den rechtlichen (nichtehelichen) Vater, sondern die alleinige Abgabeentscheidung der Mutter ist die strukturelle Konsequenz.126 Diese faktischen Gegebenheiten führen zu einer eher negativen Bewertung des väterlichen Einwilligungsrechts (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB). Es wird vom Gesetzgeber in erster Linie als Blockade-, nicht als Gestaltungsrecht wahrgenommen. Indessen gilt auch für den Vater, dass ihm Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine pflichtgebundene Elternverantwortung auferlegt. Sie strebt regelmäßig nicht nach einer Möglichkeit erleichterter Kindesabgabe (vgl. § 1747 Abs. 3 BGB), sondern nach väterlicher Verantwortungsübernahme. Wie schwierig die Umsetzung dieses theoretischen Anspruchs ist, zeigt sich, wenn man die Rechtsstellung des nicht rechtlichen, aber biologischen Vaters im Adoptionsrecht betrachtet. Für das Adoptionsrecht dürfte ein Vetorecht allein aufgrund genetischer Abstammung keine Option sein. Das würde zu einer pauschalen Verzögerung von Annahmeverfahren führen, 121
Heiderhoff, in: Juris-PK, BGB, § 1747 Rn. 12. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 58 ff. 123 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 3. 124 Vgl. Meyer, S. 256, 267 ff., 291 ff., 342 f., die für die Streichung der §§ 1747 Abs. 3 Nr. 1, 3, 1748 Abs. 4 BGB plädiert. 125 Vgl. 2. Kapitel B. I. 1. 126 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 23, Fn. 70. 122
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die regelmäßig nicht im Interesse der Kinder liegt. Schließlich gilt, dass der positive Einfluss einer Adoption auf die weitere Entwicklung des Kindes umso größer ist, je früher das Kind eine sichere Familienbasis erhält.127 Eine schwedische Landesstudie aus dem Jahr 2011 bestätigte dieses Ergebnis, indem sie die Entwicklung von 900 inländischen Adoptierten mit der von 3.100 Pflegekindern verglich: Insgesamt waren adoptierte Kinder im Vorteil, wobei ihnen die Schule im Alter von 15 Jahren leichter fiel als vergleichbaren Pflegekindern, sie als Volljährige kognitiv weiter entwickelt und mit Mitte Zwanzig allgemein bildungs- sowie selbstsicherer waren.128 Damit eine sichere Familienbasis möglichst früh gelegt wird, ist eine Verlängerung des Annahmeverfahrens nur im Einzelfall dann angemessen, wenn ein Adoptionsverfahren mit einem abstammungsrechtlichen Verfahren konkurriert und es wahrscheinlich ist, dass die Adoption letztlich ausbleibt, weil ein biologischer Elternteil zur rechtlichen und tatsächlichen Verantwortungsübernahme bereit ist.129 In diesem Fall hätte regelmäßig eine Adoption durch Familienfremde auszuscheiden. Den biologischen Vater nicht zwingend ins Adoptionsverfahren zu integrieren, entspricht insofern der Adoptionsrealität, weil biologische, nichteheliche Väter im Regelfall gar keine oder allenfalls lose Verbindungen zu ihren Kindern und zur Kindesmutter pflegen.130 Die grundsätzliche Anknüpfung des Einwilligungsrechts (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) an den rechtlichen Elternstatus ist auch verfassungsrechtlich zulässig und geboten, da die bloße genetische Verwandtschaft grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfaltet.131 Erst ihre abstammungsrechtliche Anerkennung löst einen rechtserheblichen Status aus. Einzig die rechtliche Verantwortungsübernahme für sein Kind legitimiert einen biologischen Vater, als rechtlicher Vater nach § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB zu intervenieren. In diesem System hat das bloße Vetorecht des Vaterschaftsprätendenten nach § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB keinen Platz,132 da es allenfalls eine Adoption verhindert, aber nicht für Ersatzeltern sorgt. Hierdurch entsteht die Gefahr, dass das Kind dauerhaft ohne Eltern aufwächst, welche ihre Elternverantwortung wahrnehmen, zumal praktisch kein Fall ersichtlich ist, in dem § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB jemals zur Anwendung gelangt wäre. Bislang ist § 1747 Abs. 1 S. 2 BGB international wohl einzigartig und dies nicht 127
Simmonds, in: Schofield/Simmonds (Hrsg.), S. 220, 237; Steck, in: Schwenzer (Hrsg.), S. 1, 6 m.w.N.; Vinnerljung/Hjern, Children and Youth Services Review 10/2011, 1902, 1909. 128 Vinnerljung/Hjern, Children and Youth Services Review 10/2011, 1902 ff. 129 Vgl. EuGHMR 10.4.2012, Nr. 59819/08 – KAB/Spanien. 130 Vgl. 2. Kapitel B. II. 1. 131 Vgl. BVerfG 7.3.1995, BVerfGE 92, 158, 178. 132 Meyer, S. 298.
C. Wirkungen der Adoption
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ohne Grund: Dieses exklusive Kuriosum des deutschen Adoptionsrechts hat seine Existenzberechtigung bisher nicht unter Beweis stellen können. Es wird in der Adoptionspraxis immer seltene Härtefälle geben, in denen es einem biologischen Vater nicht gelingt, die Adoption rechtzeitig zu verhindern. Sämtliche Erwägungen, den verantwortungsbereiten biologischen, aber nicht rechtlichen Vater rechtzeitig in das Adoptionsverfahren zu integrieren, gleichen dem Versuch, einen gordischen Knoten zu durchschlagen. Praktisch ist das im Vorfeld der Adoption nicht zuverlässig möglich. Das gilt selbst dann, wenn man einen erzwingbaren Auskunftsanspruch gegen die Mutter für möglich erachtet.133 Es werden immer (seltene) Fälle verbleiben, in denen der Erzeuger keine Chance erhält, eine Adoption zu verhindern, aber nach der Adoption zumindest Umgang mit dem Kind wünscht. Diese Ausnahmefälle, in denen es einem biologischen, aber nicht rechtlichen Vater unverschuldet nicht möglich war, die Fremdadoption seines Kindes zu verhindern, sollten im Adoptionsrecht de lege ferenda Beachtung finden und sich nicht auf § 1686a BGB beschränken.134 Insbesondere für Väter, die (ehemals) eine soziale Beziehung zum Adoptivkind (Art. 6 Abs. 1 GG) pflegten, an deren Aufrechterhaltung oder Wiederbelebung sie durch die Adoption (vgl. § 1758 Abs. 1 BGB) gehindert sind, muss das Adoptionsrecht einen Lösungsansatz entwickeln. Hier bietet das Einwilligungsrecht nicht für sämtliche Lebenskonstellationen eine adäquate Lösung. Der Blick richtet sich deshalb auf die Wirkungen der Adoption.
C. Wirkungen der Adoption „Total ist im Grundsatz das Ende, total ist auch der Anfang.“135
Diese pointierten Worte Gernhubers beziehen sich auf die geltenden Adoptionswirkungen, die in Teilen vehementen Angriffen insbesondere aufgrund einer sich wandelnden Adoptionsrealität ausgesetzt sind. Die Volladoption bezweckt eine umfassende rechtliche Integration des Adoptivkindes in seine Adoptivfamilie. Sofern man das international weitgehend anerkannte Institut der Adoption als solches akzeptiert, ist es konsequent, die (Adoptiv-)Eltern mit sämtlichen Elternrechten auszustatten und ihnen alle Pflichten aufzuerlegen. Das ist der spezifische Vorteil der Adoption im Vergleich zu sonstigen Zwischenlösungen: Das Adoptivkind erhält endgültig neue Eltern und mit ihnen eine gesicherte Lebensperspek133
Meyer, S. 319 ff.; vgl. 2. Kapitel B. II. 2. a). Vgl. 2. Kapitel B. II. 2. b). 135 Gernhuber/Coester-Waltjen, § 68 IX Rn. 111 (S. 900). 134
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tive – es kann auf der Grundlage dieser festen rechtlichen Basis stabile Bindungen zu seinen neuen Bezugspersonen entwickeln.136 Diese unmittelbare Wirkung der Volladoption ist nicht in Zweifel zu ziehen.137 Insofern dürfte es nicht berechtigt sein, de lege ferenda die Einführung eines schwachen Adoptionstyps zu fordern,138 der im Gegensatz zur Volladoption einzelne Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Ursprungs- und Adoptivfamilie aufrechterhält. Hierin erschöpft sich das Adoptionsrecht de lege lata jedoch nicht. Vielmehr verfolgt es bei der Annahme Minderjähriger das Ziel, die Ursprungsfamilie rechtlich und tatsächlich umfassend zu verdrängen, um gewissermaßen eine (isolierte) Idealfamilie neu zu konstruieren.139 Diesem Zweck dienen etwa die uneingeschränkt zulässige, gesetzlich intendierte Inkognitoadoption (§ 1747 Abs. 2 S. 2 BGB)140 sowie das Adoptionsgeheimnis (§ 1758 Abs. 1 BGB), sofern es sich gegen die Ursprungsfamilie und nicht gegen Dritte richtet. Der Gesetzgeber wollte insbesondere die leiblichen Eltern aus der weiteren Entwicklung des Kindes ausklammern: Sie seien ein potenzieller Störfaktor bei der späteren Entwicklung des Adoptivkindes.141 Im deutschen Rechtsdiskurs wurde diese generalisierende Prämisse bislang nicht verworfen, wie es die angelsächsische Adoptionsforschung be-
136 Vgl. BT-Drucks. 7/3061, S. 15; BT-Drucks. 11/5948, S. 73; BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 149; 14.4.1987, BVerfGE 75, 201, 219 f.; 12.10.1988, BVerfGE 79, 51, 65; 16.1.2002, FamRZ 2002, 535, 536; 19.2.2013, NJW 2013, 847, 852 f., Rn. 73, 77, 83; OLG Hamm 16.2.1977, FamRZ 1977, 415, 420; OLG Karlsruhe 11.5.1999, FamRZ 1999, 1686, 1688; OLG Braunschweig 30.1.1995, FamRZ 1997, 513, 514; OLG Stuttgart 14.12.2004, FamRZ 2005, 542, 545 f.; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 42 m.w.N.; Coester, in: Staudinger, BGB, § 1666 Rn. 210 m.w.N.; Pause, in: Evers/Friedemann (Hrsg.), S. 115, 139, 142; Biehal, in: Vierte schweizerische Tagung zur internationalen Adoption, 2012, S. 36, 38; Bundesministerium der Justiz, Abschlussbericht, S. 42 ff.; Goldstein/Freud/Solnit, Jenseits des Kindeswohls, S. 33 f.; Salgo, S. 370 f.; Longino, S. 26 f.; Gräfin von Schlieffen, S. 116 ff.; Pfaffinger, S. 122, 233; Jayme, FamRZ 1969, 527, 529; Lakies, ZfJ 1998, 129, 133; Röchling, ZfJ 2000, 214, 216; Salgo, KritV 2000, 344, 357; ders., ZfJ 2004, 410, 411; Jordan, FPR 2004, 468, 469; Willutzki, ZKJ 2007, 18, 28. 137 Anders in Bezug auf die namensrechtlichen Wirkungen vgl. Löhnig, FamRZ 2012, 679 ff. 138 Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 885; Reinhardt, JAmt 2013, 499, 501. 139 BT-Drucks. 7/3061, S. 15; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 4 f., 7 ff.; zum Einfluss des Europäischen Adoptionsübereinkommens von 1967 auf diese Prämisse vgl. Horgan/ Martin, International Family Law 2008, 155. 140 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38. 141 BT-Drucks. 7/3061, S. 21, 38, 46 (Nr. 2).
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reits vor Jahrzehnten getan hat.142 Allenfalls die Anerkennung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung kann als Schritt in diese Richtung gewertet werden.143 I. Geöffnete Adoptionsformen in der sozialwissenschaftlichen Diskussion Demgegenüber folgt die deutsche Adoptionspraxis mehr und mehr den Erkenntnissen der angloamerikanischen Adoptionsforschung. Mittlerweile werden Kinder nicht nur im Rahmen geschlossener Inkognitoadoptionen vermittelt, sondern verstärkt in geöffneten Adoptionsformen. Hierunter fällt eine Vielzahl von Adoptionstypen, die sich nur theoretisch in ein Schema einordnen lassen:144 Als teiloffen bezeichnet man Adoptionen, die insbesondere auf einen Informationsaustausch – beispielsweise durch Telefonkontakt, Bilder oder Briefe – zwischen Ursprungsfamilie, Adoptivfamilie und Adoptivkind abzielen, aus dem sich ein (stetiger) persönlicher Kontakt ergeben kann.145 Der Informationsaustausch kann über die Vermittlungsstelle erfolgen, sodass diese Adoptionsform auch im Rahmen einer Inkognitoadoption praktiziert werden kann (sogenanntes LetterboxSystem).146 Der Übergang zu offenen Adoptionen ist fließend. Diese sehen meist zunächst ein persönliches Kennenlernen der leiblichen Eltern und der Adoptiveltern vor, aus dem sich dann unter Umständen ein persönlicher Umgangskontakt zwischen den Beteiligten entwickeln kann.147 Hierbei sind in erster Linie die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern dazu berufen, einen für das Kind angemessenen Modus Vivendi im gegenseitigen Umgangskontakt zu finden. Sie müssen sich auf ein Kontaktmodell für die Zeit nach der Adoption einigen. Ziel dieser Vereinbarung ist nicht die Herstellung eines regelmäßigen (persönlichen) Umgangs, sondern die Etablie142
Hoksbergen/ter Laak, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 27, 30 ff., 44; Hayden/ Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 119; Marx, S. 54 f.; Finley, Adoption Quarterly 1/2003, 1, 3 f.; Jones/Hackett, Adoption Quarterly 3–4/2007, 157. 143 Jayme, in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms (Hrsg.), S. 447, 449, 451; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 7. 144 Die künstliche Unterscheidung verschiedener geöffneter Adoptionstypen geht zurück auf: McRoy/Grotevant/White, S. 78 ff., 122 f.; vgl. Grotevant/Perry/McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167, 172 f., 181 f. 145 Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 216; Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 152; Loy, S. 60 f.; vgl. Frasch/Brooks/Barth, Family Relations 4/2000, 435, 443. 146 Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 46, 53 ff.; im angelsächsischen Rechtsraum wird ein Letterbox-System mitunter sogar nach Zwangsadoptionen eingesetzt vgl. Young/Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 85, 101 f. 147 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 21; Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 216.
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rung von dauerhaften Umgangskontakten per Brief, Telefon, durch persönliche Besuche et cetera, die der jeweiligen Lebenssituation und Entwicklung des Kindes entsprechen.148 Die Art und Intensität der Kontakte variieren stark. Positive Interaktionen stabilisieren regelmäßig das Kontaktniveau, während problematische Arrangements das Beziehungsgeflecht tendenziell destabilisieren.149 Teiloffene und offene Kindesannahmen lassen sich unter dem Oberbegriff „geöffnete Adoptionen“ zusammenfassen. Gemeinsam ist allen geöffneten Adoptionsformen, dass sie nicht darauf abzielen, eine in sich abgeschlossene Idealfamilie zu formen, sondern möglichst umfassend das pluralisierte Eltern-Kind-Verhältnis abbilden wollen, das jeder Adoption zugrunde liegt. Deshalb versuchen sie, individuell dynamische Auskunftspflichten und Umgangskontakte nach erfolgter Adoption zu etablieren, die das geltende Adoptionsrecht nicht vorsieht. Sie versetzen die Beteiligten in die Lage, die gesetzlich vorgesehene pauschale Zäsur zu korrigieren.150 Wollte man diese Adoptionsformen de lege ferenda stärken, wäre kein zweiter Adoptionstyp, sondern eine Volladoption nötig, die einen Umgangs- und Informationsaustausch zwischen Herkunfts- und Adoptivfamilie ermöglicht.151 Geöffneten Adoptionsformen wird hierzulande erst seit einigen Jahrzehnten verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt. Sie werden in der rechtswissenschaftlichen Rezeption bislang entsprechend kontrovers diskutiert. Weil diese Adoptionsformen keine uneingeschränkte tatsächliche Zäsur zwischen Ursprungs- und Adoptivfamilie herbeiführen, werden sie teilweise (noch) skeptisch betrachtet.152 Diese Sorge mag vor allem im Bereich der Pflegeverhältnisse berechtigt sein. Dort führen Umgangskontakte der Eltern mit dem Pflegekind regelmäßig zu Ambivalenzkonflikten. Diese fallen umso deutlicher aus, je nachdrücklicher die Ursprungseltern ihre Elternstellung (vgl. § 1684 Abs. 1 BGB) reklamieren und je weniger die Pflegeeltern einen sicheren Elternstatus besitzen.153 Da man aber selbst bei Pflegeverhältnissen davon ausgeht, dass eine Art doppelte Elternschaft
148 OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1866; Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 21; Kuhn-Thorn/Hamm, in: Smentek (Hrsg.), S. 16 ff.; Hoffmann, JAmt 2003, 453, 455. 149 Grotevant, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 295, 300 ff. 150 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1751 Rn. 9. 151 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38 ff.; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1697 f.; Muscheler, FPR 2008, 496, 498. 152 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1747 Rn. 36; Rose, S. 28 m.w.N.; Quinton/Rushton/Dance/Mayes, Clinical Child Psychology and Psychiatry 3/1997, 393, 403, 405 f.; weniger krit. Ryburn, Clinical Child Psychology and Psychiatry 4/1999, 505 f. 153 Zenz, Gutachten, S. A 37 f.; Schorn, S. 72 f., 89; Salgo, FamRZ 2013, 343, 344 f.
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gelingen kann,154 dürfte eine ergänzende Einbeziehung der leiblichen Eltern in das Leben des Adoptivkindes erst recht gelingen, trifft doch die Adoption eine verbindliche Statuszuordnung, welche diesbezüglich keine Konflikte mehr zulässt. Allgemein gilt, dass ein Kind durchaus zu mehreren Familien positive Beziehungen aufbauen kann, sofern die Statusfrage geklärt ist, aus der ansonsten zahlreiche Spannungen erwachsen können.155 Diesen vorsichtig optimistischen Befund teilt mittlerweile auch die Forschung zu geöffneten Adoptionsformen, die maßgeblich im Rahmen des Minnesota-Texas Adoption Research Project156 und der California LongRange Adoption Study157 angestoßen wurde – hierbei handelt es sich um großangelegte Längsstudien, die sich auf mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte erstrecken und seit den 1980er Jahren untersuchen, wie sich verschiedene Öffnungsgrade der Adoption auf die Beteiligten auswirken, wobei vor allem entwicklungspsychologische Parameter erforscht werden. Während in älteren Veröffentlichungen gegen diese Formen etwa eingewandt wurde, sie verlängerten den Trauerprozess der leiblichen Eltern, verunsicherten die Adoptiveltern und gefährdeten die Bindungssicherheit des Adoptivkindes,158 haben sich diese Hypothesen in den umfassenden neueren Studien nicht bestätigt. Zwar ist die Gefahr von Loyalitätskonflikten des betroffenen Adoptivkindes angesichts pluralisierter Elternkonstellationen auch bei geöffneten Adoptionsformen nicht gänzlich auszuschließen, insgesamt überwiegen aber wohl die positiven Effekte geöffneter Adoptionsarrangements.159 154 Vgl. Kötter, in: Krolzik (Hrsg.), S. 61, 79 f.; Cappenberg, in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), S. 69, 91; krit. in Bezug auf Dauerpflegeverhältnisse: Westermann, in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), S. 153, 158 f.; allgemein zu den Konzepten „Ersatz- vs. Ergänzungsfamilie“ im Kontext der Familienpflege fremder Kinder: Henne, S. 117 ff. m.w.N. 155 Vgl. BT-Drucks. 11/5948, S. 73; EuGHMR 19.3.2002, FamRZ 2002, 1393, 1397, Rn. 79 – Kutzner/Deutschland. 156 Ausführlich: Grotevant/Perry/McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167 ff.; Miller Wrobel/Grotevant/Berge/Mendenhall/McRoy, Adoption & Fostering 1/2003, 57 ff. 157 Ausführlich: Crea/Barth, Family Relations 5/2009, 607, 609 f. 158 Cocozzelli, Child Welfare 1/1989, 33 ff.; Kraft/Palombo/Mitchell/Woods/Schmidt, Child and Adolescent Social Work 1/1985, 13 ff.; dies., Child and Adolescent Social Work 2/1985, 69 ff.; Kraft/Palombo/Mitchell/Woods/Schmidt/Tucker, Child and Adolescent Social Work 3/1985, 139 ff.; Byrd, Public Welfare 4/1988, 20, 22 f. 159 Grotevant, in: Stolley/Bullough (Hrsg.), S. 441, 443 f.; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275 ff. m.w.N.; Brodzinsky/Pinderhughes, in: Bornstein (Hrsg.), S. 279, 303 f.; Palacios/Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 257, 264 f. m.w.N.; Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 219 m.w.N.; Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 147 m.w.N.; Bridge/Swindells, S. 75 ff.; Grotevant/McRoy, S. 196 f.; Triseliotis/Shireman/Hundleby, S. 68 ff.; Schreiner, S. 131 ff.; Pfaffinger, S. 193 ff.; von Beyme, Familiendynamik 18/1993, 371, 384; Lindley, Child and Family Law Quarterly 9/1997, 115 ff.; Casey/Gibberd, Family Law 2001,
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
Innerhalb geöffneter Adoptionsformen sind es vor allem die sekundären Effekte, welche ein Kontaktarrangement mit sich bringt, die von großem Wert für die Entwicklung des Adoptivkindes sind – weniger der Umgangsoder Informationskontakt als solcher.160 Geöffnete Adoptionsarrangements bewirken nämlich regelmäßig, dass sämtliche Eltern die Tatsache der Adoption mit größerer Empathie behandeln und insgesamt bestrebt sind, die spezifische Situation des Adoptivkindes in dessen Interesse zu bewältigen.161 Ein positiver Kontakt zur Ursprungsfamilie stabilisiert die Adoptivfamilie und hilft Adoptiveltern, ihre Rolle sicher einzunehmen; das erleichtert ihnen die Aufklärung des Kindes über seine Adoption, weil sie nicht mit ablehnenden Reaktionen rechnen müssen.162 Umgekehrt eröffnet sich hierdurch für die leiblichen Eltern die Chance, die eigene – oft ambivalente – Abgabeentscheidung mehr und mehr zu akzeptieren und den Verlust des Kindes abgemildert zu erleben.163 Die leiblichen Mütter verarbeiten die mit der Trennung verbundenen Verlustängste umso schlechter, je deutlicher die Zäsur der Adoption ausfällt.164 Andererseits kann ein fortbestehender Kontakt im Rahmen geöffneter Adoptionen insbesondere für die leiblichen Mütter zu einer Belastung werden, wie eine Befragung ergab, die zunächst im Zeitraum von vier bis zwölf Jahren nach der Adoption unter 169 abgebenden Müttern erhoben wurde, während die zweite Gruppe 127 leibliche Mütter betraf, die vor zwölf bis zwanzig Jahren ihr Kind abgegeben hatten.165 Hieraus wurde die Schlussfolgerung ge39 f.; Cottier, Information & Recht 2002, 31, 40 f.; Logan/Smith, British Journal of Social Work 1/2005, 3, 7 ff.; Jones/Hackett, Adoption Quarterly 3–4/2007, 157, 159; Brown/Ryan/Pushkal, Adoption Quarterly 3–4/2007, 179, 181 m.w.N.; Beckett et al., Adoption & Fostering 1/2008, 29 ff.; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 13 ff. 160 OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1866 f.; Bach, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 210, 221 ff.; Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 149 ff.; Gräfin von Schlieffen, S. 91; Logan/Smith, British Journal of Social Work 1/2005, 3, 31 f.; Sutter, PFAD 1/2005, 18, 19; Paulitz, ZKJ 2009, 266, 267. 161 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20 f.; Betsch/Opländer, in: Smentek (Hrsg.), S. 27 ff.; Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 46, 61 f.; Grotevant/McRoy/Ayers-Lopez, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 7, 20 ff.; Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 152; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 288 f.; Pfaffinger, S. 225; Brodzinsky, Adoption Quarterly 4/2006, 1, 12 ff.; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 11; Paulitz, ZKJ 2009, 266, 267 f. 162 Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 280, 288 je m.w.N. 163 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 291 f.; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 15 f. 164 Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 55; Paulitz, S. 43 ff.; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 279 m.w.N.; Henney/AyersLopez/McRoy/Grotevant, Journal of Social and Personal Relationships 6/2007, 875, 877 m.w.N. 165 Henney/Ayers-Lopez/McRoy/Grotevant, Journal of Social and Personal Relationships 6/2007, 875 ff.
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zogen, dass das Informations- oder Kontaktniveau variabel gehandhabt werden sollte.166 Für das Kind bietet ein geöffnetes Kontaktmodell die Aussicht, aktiv nachvollziehen zu können, warum es zur Adoption freigegeben wurde – ein entwicklungspsychologisch unschätzbares Wissen, selbst wenn das Kind erfahren sollte, dass es von seinen ursprünglichen Eltern abgelehnt und deshalb zur Adoption freigegeben wurde.167 In geöffneten Adoptionsformen interessiert sich das Adoptivkind verstärkt für seine Biografie, was gegenüber geschlossenen Formen eine intensivere Suche nach seinen Wurzeln hervorruft.168 So verbessert sich die kindliche Identitätsentwicklung, da eine Ursprungsfamilie weder erfunden noch tabuisiert werden kann. Es wird ein realistisches Bild der leiblichen Eltern vermittelt, das den Umgang mit der eigenen Biografie erheblich erleichtert.169 Fühlt sich ein Kind sicher aufgehoben, kann es mehrere Elternfiguren in verschiedenen Rollen akzeptieren,170 wobei es zu seinen biologischen Eltern regelmäßig eine Beziehung aufbaut, die der von nahen Verwandten ähnelt.171 Langfristig führt diese Sicherheit zu einem angemessenen Selbstwertgefühl des Adoptierten, wie Interviews mit insgesamt 162 Erwachsenen ergaben, wobei 122 von ihnen international und 40 national adoptiert worden waren.172 Für Adoptiveltern ist die Verlockung reduziert, die trügerische Fassade einer „normalen“ Familie aufzubauen, wodurch auf lange Sicht ihre Beziehung zum Adoptivkind gefährdet werden kann.173 Es wird zugleich einem potenziellen Grund für ein Scheitern des Adoptionsverhältnisses vorge166
Henney/Ayers-Lopez/McRoy/Grotevant, Journal of Social and Personal Relationships 6/2007, 875, 887. 167 Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 286; Schleiffer, in: Krolzik (Hrsg.), S. 161, 177; Goldstein/Freud/Solnit, Diesseits des Kindeswohls, S. 41; Ryburn, Clinical Child Psychology and Psychiatry 4/1999, 505, 506 f.; Knobbe, FPR 2001, 309, 315 f. 168 Grotevant/Perry/McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167, 176 f.; Miller Wrobel/Kohler/Grotevant/McRoy, Journal of Applied Developmental Psychology 4/1998, 641, 651; Miller Wrobel/Grotevant/McRoy, Journal of Adolescent Research 1/2004, 132, 145; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 9 m.w.N.; Brooke/Miller Wrobel/Grotevant/von Korff, Journal of Family Communication 3/2011, 181, 183 ff., 192. 169 Grotevant/Perry/McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167, 178 f.; Offe, in: Fabian/Nowara (Hrsg.), S. 105, 110 ff.; Paulitz, S. 37 ff.; von Beyme, Familiendynamik 18/1993, 371, 383; Walter, FPR 2004, 415, 417; von Korff/Grotevant/McRoy, Journal of Family Psychology 3/2006, 531, 534; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 19; von Korff/Grotevant, Journal of Family Psychology 3/2011, 393, 400 m.w.N. 170 Vgl. Schorn, S. 72. 171 Triseliotis/Shireman/Hundleby, S. 68 ff.; vgl. Salgo, FamRZ 2013, 343, 344 f. 172 Hawkins et al., Adoption Quarterly 3–4/2007, 131, 153. 173 Schütt-Baeschlin, S. 72; Hoffmann-Riem, S. 83 ff.; Knobbe, FPR 2001, 309, 315 m.w.N.; Cottier, Information & Recht 2002, 31, 34 f.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
beugt: der für Adoptivkinder fehlenden Gelegenheit, ihre Kindschaft unter doppelter Elternschaft zu akzeptieren.174 Es wurde gemutmaßt, dass die sekundären Effekte der geöffneten Adoption theoretisch auch im Rahmen der Inkognitoadoption zu erzielen seien, da sie in erster Linie eine intrinsische Haltung der Beteiligten bedingten.175 Diese Hypothese scheint sich jedoch nicht zu bestätigen: Neben der kommunikativen ist auch eine strukturelle Offenheit, das heißt ein tatsächlicher Kontakt zwischen den Beteiligten vonnöten, der oftmals deren wünschenswerte innere Haltung erst hervorruft.176 Die positiven Effekte der geöffneten Adoption setzen somit ein strukturell möglichst offenes Arrangement voraus. Aufgrund dieser Vorteile geöffneter Adoptionsformen verwundert es nicht, dass sie vor allem dann zu großer Zufriedenheit der Beteiligten führen und überwiegend positive Verlaufstendenzen aufweisen, wenn fortlaufende unmittelbare Umgangskontakte zwischen leiblichen Eltern und dem Adoptivkind nach der Adoption erfolgen.177 Ein Nebeneffekt ist ferner, dass im Rahmen der gerichtlichen Adoptionsentscheidung (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) bestehende Bindungen nicht gegen die Adoption abgewogen werden müssen, wie es de lege lata der Fall ist – zumal vor allem bei älteren Kindern der Erhalt bisheriger Bezugspersonen einer kappenden Zäsur überwiegend vorzuziehen ist.178 Je später ein Adoptivkind in einer fremden Familie untergebracht wird, desto eher sind Bindungen zur Herkunftsfamilie vorhanden, was die Integration in die neue Familie erschwert, weil ein Kontaktabbruch von älteren Kin174
Kunze, FPR 2001, 339, 344. Diese Hypothese hat Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 149, 151, aufgestellt; sie wurde von Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 232 aufgegriffen: Eine offene Adoption sei nicht zwingende Voraussetzung, sondern „hilfreicher Wegbereiter“ um eine erwünschte Familienbeziehung herzustellen. 176 Brodzinsky, Adoption Quarterly 4/2006, 1, 13, der seine Hypothese (Nachweis in Fn. 175) mittlerweile revidiert hat und anerkennt, dass ein Zusammenhang zwischen struktureller und kommunikativer Offenheit in Adoptionskonstellationen besteht; Neil, British Journal of Social Work 1/2009, 5, 14; Grotevant/Rueter/von Korff/Gonzalez, Journal of Child Psychology and Psychiatry 5/2011, 529, 534; MacDonald/McSherry, Adoption & Fostering 3/2011, 4, 12. 177 Logan/Smith, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 105, 119 f.; Grotevant/Perry/McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167, 174 m.w.N.; Kelly, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 245, 247; Baumann, Child and Adolescent Social Work Journal 5/1997, 313, 322 ff.; Mendenhall/Berge/Miller Wrobel/Grotevant/McRoy, Child and Adolescent Social Work Journal 2/2004, 175, 186 f.; Berge/Mendenhall/Miller Wrobel/Grotevant/McRoy, Child Welfare 6/2006, 1011, 1036 f.; Grotevant et al., Adoption Quarterly 3–4/2007, 79, 93 f.; Crea/Barth, Family Relations 5/2009, 607, 617; Le Mare/Audet, Adoption Quarterly 3/2011, 199, 211; vgl. Rieser, DÄBl. 23/2001, 376 ff.; Knobbe, FPR 2001, 309, 317. 178 Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 277, 281 m.w.N. 175
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dern schwerer verarbeitet werden kann.179 Mittlerweile werden vor allem ältere Kinder familienfremd vermittelt.180 Deshalb besteht ein zunehmendes Bedürfnis danach, bestehende Bindungen über die Adoption hinaus zu schützen, statt sie pauschal zu kappen. Trotz der Spannbreite an geöffneten Adoptionsformen sind sie nicht für jede Adoptionskonstellation geeignet.181 Wann eine geöffnete Adoption nicht angebracht ist, beantwortet die Adoptionsforschung bislang aber nur im Ansatz. Zunächst dürfte sie nicht angezeigt sein, wenn insbesondere die leibliche Mutter nachdrücklich einen zukünftigen Kontakt mit dem Adoptivkind ablehnt.182 Bei den Müttern, die im Zeitpunkt der Abgabe unter gesundheitlichen oder psychologischen Problemen leiden, ist hingegen nicht zwangsläufig eine Inkognitoadoption vonnöten. Leider sind viele Adoptivkinder traumatisiert oder gesundheitlich geschädigt, bevor sie adoptiert werden, sei es durch eine erhöhte Stressbelastung des Embryos in den Fällen einer ungewollten Geburt oder eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit der Mutter, was die neuen Eltern vor immense Herausforderungen stellt.183 Zwar gelingt es den Müttern, die vor der Adoptionsfreigabe gesundheitlich oder seelisch angeschlagen sind, aus eigener Kraft kaum, unmittelbar nach der Abgabe einen regelmäßigen Kontakt zum Adoptivkind aufrechtzuerhalten,184 doch zwingt dieser Umstand nicht zu einem kategorischen Ausschluss einer geöffneten Adoptionsform. Jedenfalls dort, wo das Adoptivkind von seinen leiblichen Eltern sexuell missbraucht oder schwer misshandelt wurde, haben Kontakte zur Herkunftsfamilie indessen zu unterbleiben, da bei einem späteren Kontakt die Gefahr einer ReTraumatisierung des Kindes besteht.185 Bei einem Kind, das eine Depriva-
179
Longino, S. 23 f., 32 f. Im Jahr 2012 betrug die Anzahl familienfremder Minderjährigenadoptionen 1.543, wobei circa 65 % der Kinder älter als 3 Jahre waren, als sie adoptiert wurden; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 1.690 ≈ 36 %; (2010) 1.669 ≈ 37 %; (2009) 1.692 ≈ 41 %; (2008) 1.919 ≈ 41 %; (2007) 2.038 ≈ 41 % (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012); vgl. Paulitz, S. 50. 181 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20 f.; Kuhn-Thorn/Hamm, in: Smentek (Hrsg.), S. 16 f.; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 283 m.w.N.; Maldonado, Capital University Law Review 2/2008, 321, 329. 182 Howe/Steele, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 203 ff.; von Beyme, Familiendynamik 18/1993, 371, 382. 183 Otto, DIE ZEIT 20.6.2013, 33 f. 184 Vgl. Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 65, 80. 185 Howe/Steele, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 203, 220; Pfaffinger, S. 205 f.; vgl. Zwernemann, in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), S. 235, 273 ff.; Henne, S. 183 f.; Schorn, S. 70 f.; Salgo, FPR 2004, 419, 421 ff.; krit. Diouani, in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), S. 171, 187; Maldonado, Capital University Law Review 2/2008, 321, 329. 180
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tionsstörung186 oder Parentifizierung (Rollenumkehrung) aufweist, dürfte eine geöffnete Adoption ebenfalls ausgeschlossen sein.187 Bei wie viel Prozent der Adoptionen familienfremder Minderjähriger es sich in Deutschland um geöffnete Adoptionen handelt, lässt sich nicht ermitteln188 – insofern besteht Erhebungsbedarf. Geöffnete Adoptionsformen breiteten sich zunächst im angloamerikanischen Rechtsraum aus, bevor diese Entwicklung auf Kontinentaleuropa übergesprungen ist.189 Ein zentraler Grund für ihr Aufkommen ist der soziale Wandel des klassischen Familienkonzepts.190 Doch auch im Ausland konnte lange Zeit bloß gemutmaßt werden, wie verbreitet geöffnete Adoptionsformen191 in der Praxis tatsächlich sind.192 In den USA wurde diese Erhebungslücke im Jahr 2007 durch eine repräsentative Studie geschlossen, die erstmals Auskunft über die Verbreitung geöffneter Adoptionsformen gibt:193 Die US-amerikanische Studie bezog sich ausschließlich auf familienfremde Adoptionen. 186
Ausführlich: Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 42 ff. Walter, FPR 2004, 415, 416; Kindler, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 596 ff.; ders./Lillig, Praxis der Rechtspsychologie 2/2004, 368, 381 f. 188 Vgl. die einzige, nicht repräsentative deutsche Studie aus dem Jahr 1990: Textor, Studie, S. 74 f. (aus den Angaben 117 bayerischer Adoptionsvermittler ergab sich, dass vor allem von halboffenen Adoptionsformen „relativ häufig Gebrauch gemacht wird“). Ansonsten werden über die gegenwärtige geöffnete Adoptionspraxis in Deutschland bloß Mutmaßungen aufgestellt: Hoffmann, JAmt 2003, 453, 455; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365; Pfaffinger, ZSR 2011, 417, 433. 189 Vgl. zum ab den 1980er Jahren einsetzenden Wandel hin zur geöffneten Adoptionspraxis im angelsächsischen Rechtsraum: Brodzinsky/Pinderhughes, in: Bornstein (Hrsg.), S. 279, 303; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275 ff.; Katz, in: Katz/Eekelaar/MacLean (Hrsg.), S. 279, 303 ff.; Bridge/Swindells, S. 73; Blyth, Adoption & Fostering 1/1999, 49; Lewis, International Journal of Law, Policy and the Family 2/2004, 235, 251; Wolfgram, Social Work 2/2008, 133 f.; Turkington/Taylor, Child Care in Practice 1/2009, 21, 23; Jones/Hackett, British Journal of Social Work 2/2012, 283 ff. 190 Grotevant, in: Inhorn (Hrsg.), S. 122, 137; ders./McRoy, in: McCartney/Weinberg (Hrsg.), S. 224. 191 Helms, S. 177, weist darauf hin, dass sich die statistische Relevanz geöffneter Adoptionsformen bereits deswegen schwer bestimmen lasse, weil sie höchst unterschiedliche Arrangements in sich vereinten; ebenso Pfaffinger, S. 174 f.; dies., FamPra.ch 2008, 1, 11. 192 Vgl. zu den USA: Brooks/Simmel/Wind/Barth, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 1, 15; Hoksbergen/ter Laak, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 27, 43; Frasch/ Brooks/Barth, Family Relations 4/2000, 435, 438; Roby/Wyatt/Pettys, Adoption Quarterly 3/2005, 47, 48 ff.; Grotevant et al., Adoption Quarterly 3–4/2007, 79, 80; Appell, Western New England Law Review 1/2010, 1, 4; zu Großbritannien: Cabinet Office, S. 47; Neil, Adoption Quarterly 3–4/2007, 3, 4; Logan, Child and Family Social Work 3/2010, 315, 316. 193 Vandivere/Malm/Radel, in: United States Department of Health and Human Services (Hrsg.), S. 45, 77. 187
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Im Vorfeld der privaten Adoption (Pflegekindadoption) hatten 67 % (32 %) der Beteiligten eine Vereinbarung über ein geöffnetes Kontaktarrangement getroffen. Nach der Adoption bestand in 68 % (39 %) der Fälle ein Kontakt zwischen Herkunfts- und Adoptivfamilie. Obwohl die Studie nicht weiter hinsichtlich des Öffnungsgrades differenziert, spiegelt die hohe Verbreitung geöffneter Adoptionsformen eine Erkenntnis wider, die sich jedenfalls in Westeuropa, Neuseeland, Australien und den USA – und mittlerweile auch in Deutschland – durchgesetzt hat:194 Geöffnete Adoptionen stellen gegenüber der Inkognitoadoption in vielen Fällen die bessere Lösung dar, weil überwiegend die Prämisse geteilt wird, ein positiver (persönlicher) Umgangskontakt im Rahmen einer geöffneten Adoptionsform sei für die Entwicklung des Adoptivkindes von großem Nutzen.195 Eine Adoption müsse versuchen, die bestehenden Eltern-Kind-Verhältnisse abzubilden, die einer Kindesannahme zugrunde liegen.196 Diese Erkenntnis und die veränderte Adoptionsrealität fordern dazu auf, de lege ferenda die Adoptionswirkungen vor allem dort zu überdenken, wo sie bislang auf einen rigorosen Kontaktabbruch zwischen Ursprungsfamilie und Adoptivkind ausgerichtet sind. In erster Linie ist die Reichweite des Adoptionsgeheimnisses (§ 1758 Abs. 1 BGB) infrage zu stellen; und es sollte darüber nachgedacht werden, wie die Interessen im Adoptionsviereck etwa im Bereich des Umgangskontakts zwischen Herkunftsfamilie und Adoptivkind neu justiert werden können.197 Teilt man die Hypothese, dass die Rechtsordnung Regeln für die personale und soziale Wirklichkeit bereithalten muss, die sie vorfindet, und nicht versuchen soll, mittels einer „perfekten“ Regelung die Realität selbst zu gestalten,198 müssten die Adoptionswirkungen de lege ferenda individuelle Lösungen ermöglichen. Sie sollten in der Lage sein, die pluralisierten 194
Frank, FamRZ 2007, 1693, 1698 m.w.N.; Reinhardt, JAmt 2013, 499, 501; zur Schweiz, in der eine ähnliche Rechtsentwicklung stattfand: Cottier, Information & Recht 2002, 31, 34, 41; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 2, 9; zur langen Rechtstradition offener Adoptionen in Ungarn: Weiss, FamRZ 2004, 1438, 1440 f.; zu Neuseeland und Australien vgl. Bridge/Swindells, S. 83 f. 195 Hoksbergen/ter Laak, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 27, 43; Palacios/Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 257, 264; Miller Wrobel/Kohler/Grotevant/McRoy, Adoption Quarterly 2/2003, 53 f.; krit. Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 232; vgl. aber Brodzinsky, Adoption Quarterly 4/2006, 1, 13; Neil, British Journal of Social Work 1/2009, 5, 14; Grotevant/Rueter/von Korff/Gonzalez, Journal of Child Psychology and Psychiatry 5/2011, 529, 534. 196 Vgl. Pfaffinger, S. 173 f. 197 Maurer, in: Münch.Komm., Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1697 f. 198 Schwab, Gutachten, S. A 66; vgl. Frank, in: 40 Jahre Grundgesetz, S. 113, 116, 136; ders., StAZ 2004, 330 ff.
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Adoptionsfamilienverhältnisse möglichst differenziert abzubilden.199 Die Adoption nach geltendem Recht stellt hingegen keineswegs für jedes fürsorgebedürftige Kind die „Ideallösung“200 dar, indem pauschal „intakte“ Familienverhältnisse fingiert werden.201 Das Ziel eines reformierten Adoptionsrechts muss deshalb vor allem das alte Paradigma der künstlichen Imitation einer „normalen“ Familie ablösen. II. Umgang de lege lata „Post-adoption contact is currently a key element of professional activity in adoption work.“202
Im Rahmen der geöffneten Adoptionspraxis spielt der Umgangskontakt zwischen Herkunftsfamilie und Adoptivkind eine zentrale Rolle. Im geltenden Adoptionsrecht steht hingegen der Kontaktabbruch im Vordergrund: Die als gesetzlicher Regelfall vorgesehene Inkognito(voll)adoption (§§ 1747 Abs. 2 S. 2, 1758 Abs. 1 BGB) ist auf die rechtliche und tatsächliche Kappung bestehender Umgangsbeziehungen angelegt. Insbesondere die leiblichen Mütter sollen nicht imstande sein, die Entwicklung der Adoptivfamilie durch ihre Präsenz zu beeinträchtigen.203 Die entgegengesetzte Prämisse, dass prinzipiell ein geöffnetes Adoptionsarrangement den Interessen des Kindes am ehesten entsprechen kann,204 ist den realen Familienverhältnissen geschuldet. Regelmäßig existieren mehr oder weniger intensive sozial-familiäre Beziehungen des Adoptivkindes zu seinen leiblichen Eltern, bisherigen Verwandten, früheren Pflegeeltern, ehemaligen Betreuern oder sonstigen Bezugspersonen. Die familienfremde Kleinkindadoption, bei der das Kind unmittelbar nach der Geburt zur Adoption freigegeben wird, ist statistisch die Ausnahme.205 Die 199
Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 40 m.w.N.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38; Frank, in: 40 Jahre Grundgesetz, S. 113, 132; Dunbar et al., Family Process 4/2006, 449, 463; vgl. Seibert, FamRZ 1995, 1457, 1463; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1699: „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Adoption auch bei der Annahme familienfremder Minderjähriger immer die erstrebenswerte Ideallösung darstellt“. 200 Frank, FamRZ 2007, 1693, 1699. 201 Vgl. Grotevant/McRoy/Ayers-Lopez, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 7, 19; Zenz, Gutachten, S. A 18; Goldstein/Freud/Solnit, Diesseits des Kindeswohls, S. 50; Loy, S. 40 f. 202 Bridge/Swindells, S. 79. 203 BT-Drucks. 7/3061, S. 19, 21, 38, 46. 204 Frank, FamRZ 2007, 1693, 1698. 205 Im Jahr 2012 wurden bei insgesamt 1.543 familienfremden Minderjährigenadoptionen nur 42 Kinder (≈ 3 %) im Alter von unter einem Jahr adoptiert; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 1.690: 47 ≈ 3 %; (2010) 1.669: 34 ≈ 2 %; (2009) 1.692: 49 ≈ 3 %; (2008) 1.919: 67 ≈ 3,5 %; (2007) 2.038: 57 ≈ 3 % (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012).
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Mehrzahl der betroffenen Kinder wird erst zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr adoptiert.206 Bis dahin sind bereits Bindungen entstanden, die – positiv wie negativ – das weitere Leben des Adoptivkindes prägen. Darüber hinaus kollidiert das adoptionsrechtliche Trennungsparadigma mittlerweile mit den Wertungen der §§ 1685 Abs. 2, 1686a BGB. Bis ins Jahr 2004 kam für die leiblichen Eltern allenfalls in außergewöhnlichen Konstellationen ein Umgangsrecht mit dem adoptierten Kind gemäß § 1666 Abs. 1 BGB in Betracht, weil sie nicht unter den in § 1685 Abs. 2 BGB a.F. aufgezählten Personenkreis fielen.207 Seither ist die Beschränkung der potenziell Umgangsberechtigten in § 1685 Abs. 2 BGB aufgehoben.208 Nach § 1685 Abs. 2 BGB soll (allen) engen Bezugspersonen der Umgang mit dem Kind möglich sein, wenn zwischen ihnen und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestand und der Umgang dem Wohl des Kindes dient (§ 1685 Abs. 1, 2 BGB). Seitdem dieses Umgangsrecht Dritter existiert, stellt sich die Frage, ob sich auch die leiblichen Eltern nach erfolgter Adoption hierauf berufen können. Virulent wurde diese Streitfrage, nachdem in der Praxis einige leibliche Mütter über § 1685 Abs. 2 BGB versucht hatten, nach erfolgter (Inkognito-)Adoption einen Umgang mit dem Adoptivkind zu erhalten. Dabei versuchen sie wohl oftmals mittels des Umgangs, eigene Verlustgefühle zu kompensieren.209 1. Umgangsrechte nach erfolgter Adoption de lege lata a) Streitstand in Bezug auf die leiblichen Eltern Die wohl überwiegende Ansicht verneint ein Umgangsrecht der leiblichen Eltern gemäß § 1685 Abs. 2 BGB nach der Adoption ihres Kindes.210 Der 206 Im Jahr 2012 wurden bei insgesamt 1.543 familienfremden Minderjährigenadoptionen 951 Kinder (≈ 62 %) im Alter zwischen einem und drei Jahren adoptiert; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 1.690: 1.030 ≈ 61 %; (2010) 1.669: 1.010 ≈ 61 %; (2009) 1.692: 944 ≈ 55 %; (2008) 1.919: 1.060 ≈ 55 %; (2007) 2.038: 1.153 ≈ 57 % (Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007– 2012). 207 Vgl. OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057; AG Reinbek 21.7.2003, FamRZ 2004, 55. 208 BT-Drucks. 15/2253, S. 16; Bauer, in: Juris-PK, BGB, § 1685 Rn. 1; Schwab, S. 368 f. (Rn. 805); Höfelmann, FamRZ 2004, 745, 750 f. 209 Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 52 f. 210 OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057 (zu § 1685 Abs. 2 BGB a.F.); OLG Rostock 30.10.2004, FamRZ 2005, 744; AG Reinbek 21. und 28.7.2003, FamRZ 2004, 55 f. (zu § 1685 Abs. 2 BGB a.F.); Friederici, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 1755 Rn. 2; Saar, in: Erman, BGB, § 1755 Rn. 3; Heiderhoff, in: Juris-PK, BGB, § 1755 Rn. 3; Enders, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1755 Rn. 9; Jaeger, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 1685 BGB Rn. 3c; grundsätzlich ebenso: Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7; Fröschle, Sorge und Umgang, Rn. 1060 (S. 228); Enders,
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maßgebliche Grund für diese Haltung liegt in der Konzeption des geltenden Adoptionsrechts: Nach § 1751 Abs. 1 S. 1 BGB darf ab Einwilligung in die Adoption die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind nicht mehr ausgeübt werden. Hierdurch soll es dem Kind ermöglicht werden, ungestört eine neue Beziehung zu den Annehmenden aufzubauen, während das bisherige Eltern-Kind-Verhältnis getrennt wird.211 Wird die Kindesannahme ausgesprochen, verlieren die Eltern ihr Umgangsrecht kraft Elternschaft nach § 1684 Abs. 1 BGB, das auf die Adoptiveltern übergeht.212 Weil die leiblichen Eltern in diesen Verlust ihres Umgangs mit dem Kind einwilligen, sei ihnen die anschließende Berufung auf ein von der Elternstellung losgelöstes Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB zu verweigern.213 Das gelte de lege lata selbst für den Fall, dass die leiblichen Eltern explizit einer geöffneten (Inkognito-)Adoption zugestimmt haben, die den Erhalt von Umgangskontakten zwischen den Beteiligten vorsieht. Ein geöffnetes Adoptionsarrangement ist nach geltendem Recht wohl ein bloßes gentlemen’s agreement.214 Dieser Tatsache seien sich die leiblichen Eltern bewusst, wenn sie eine geöffnete Adoption vereinbarten. Wenn Adoptiveltern den leiblichen Eltern allerdings auf freiwilliger Basis im Rahmen geöffneter Adoptionsformen Umgang(skontakte) mit dem Adoptivkind gewähren,215 müsste eigentlich die im Adoptionsrecht angelegte „Umgangskappung“ obsolet sein. Deshalb gestehen manche Autoren den leiblichen Eltern speziell in dieser Konstellation ein Umgangsrecht zu: Für sie komme ausnahmsweise ein Umgangsrecht in Betracht, wenn die Annehmenden über einen längeren Zeitraum einen Umgang geduldet oder einer geöffneten Adoption zugestimmt hätten.216 FPR 2004, 60, 63; a.A. wohl Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 10e; Hennemann, in: Münch.Komm., BGB, § 1685 Rn. 7; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 34, 47; Götz, in: Palandt, BGB, § 1685 Rn. 8; Büte, S. 150 (Rn. 227); Oberloskamp, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 101, 103 f.; Oberloskamp/Hoffmann, S. 181 f. (Umgangsrecht zumindest bei Stiefkindadoptionen); Hoffmann, JAmt 2003, 453, 454; Motzner, FamRB 2004, 231, 234; Oberloskamp, ZKJ 2008, 484, 490; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365; offen gelassen von OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1866. 211 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1751 Rn. 9. 212 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7. 213 OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057 (zu § 1685 Abs. 2 BGB a.F.); AG Reinbek 21.7.2003, FamRZ 2004, 55 f. (zu § 1685 Abs. 2 BGB a.F.); vgl. Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 10e. 214 Vgl. Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365. 215 Heiderhoff, in: Juris-PK, BGB, § 1755 Rn. 3; Enders, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1755 Rn. 9. 216 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7; vgl. Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 288; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 66 IV Rn. 20 f. (S. 861 f.).
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Außerhalb dieser besonderen Fallgestaltung plädiert eine andere Auffassung grundsätzlich für ein Umgangsrecht der leiblichen Eltern nach der Adoption gemäß § 1685 Abs. 2 BGB, das aber im Falle einer Inkognitoadoption (§ 1747 Abs. 2 S. 2 BGB) an den tatsächlichen Gegebenheiten scheitere.217 Diese Ansicht argumentiert vorrangig umgangsrechtlich und verweist auf die Gesetzgebungsgeschichte zu § 1685 Abs. 2 BGB: Zwar spreche die Intention des historischen Adoptionsrechtsgesetzgebers dafür, die leiblichen Eltern aus dem Kreis späterer Umgangsberechtigter auszuschließen, da die Volladoption auch im Tatsächlichen sämtliche Bindungen zur Ursprungsfamilie kappen sollte (vgl. § 1751 Abs. 1 S. 1 BGB).218 Allerdings sei nicht ersichtlich, dass sich der Reformgesetzgeber des Jahres 2004 in Bezug auf § 1685 Abs. 2 BGB diese Sichtweise uneingeschränkt zu eigen gemacht habe, der die Beschränkung des Personenkreises in dieser Norm aufhob.219 Aus seinem Schweigen werde insbesondere im systematischen Vergleich zu §§ 1684 Abs. 1, 1754 Abs. 1 oder 2 BGB nicht zwingend ein „beredtes Schweigen“. Zwar habe er an der Volladoption festgehalten, aber keine Aussage dahingehend getroffen, dass ausgerechnet die leiblichen Eltern von § 1685 Abs. 2 BGB nach erfolgter Adoption kategorisch ausgeschlossen seien. Die Ausübungssperre des § 1751 Abs. 1 S. 1 BGB und der Übergang des elterlichen Umgangsrechts (§ 1684 BGB) präjudizierten nicht die Frage, ob die leiblichen Eltern gleichwohl nach erfolgter Adoption einen Umgang mit dem Adoptivkind erstreiten können.220 Näher als deren Ausschluss läge die Annahme, dass nach § 1685 Abs. 2 BGB n.F. uneingeschränkt jede Person, und somit prinzipiell auch die ehemals rechtlichen Eltern des Adoptivkindes, Umgang erlangen können, sofern sie in der Vergangenheit enge Bezugspersonen des Kindes waren.221 Schließlich sei es dem Gesetzgeber im Interesse des Kindes in erster Linie darum gegangen, dessen schutzwürdige Bindungen zu erhalten.222 Hierbei spiele nach der neuen Fassung der Vorschrift die verwandtschaftliche Beziehung zu dem Kind überhaupt keine Rolle mehr.223
217 Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 288; Gernhuber/CoesterWaltjen, § 66 IV Rn. 20 f. (S. 861 f.). 218 Vgl. 2. Kapitel A. 219 Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 2. Der Vorschlag des Bundesrates (BTDrucks. 15/2253, S. 15 f.), der die Aufzählung von Personengruppen beibehalten wollte, wurde nicht Gesetz (BT-Drucks. 15/2253, S. 21). 220 Motzner, FamRB 2004, 231, 234; Oberloskamp, ZKJ 2008, 484, 490; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365. 221 Vgl. BGH 9.2.2005, FamRZ 2005, 705, 706. 222 Vgl. BT-Drucks. 15/2253, S. 15 f. 223 BT-Drucks. 15/2253, S. 16.
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Nach dieser Ansicht ist das Umgangsrecht jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht durchsetzbar, wenn eine Inkognitoadoption stattgefunden hat.224 Umgangsberechtigte im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB, die nach der Kindesannahme Umgang mit dem Adoptivkind begehren, stehen nach einer Inkognitoadoption vor einer praktischen Hürde, sofern ihnen die Identität der Annehmenden unbekannt ist (vgl. § 1747 Abs. 2 S. 2 BGB). Dann steht schon das Adoptionsgeheimnis nach § 1758 Abs. 1 BGB, wonach keine Tatsachen preisgegeben werden dürfen, welche die Adoption aufdecken könnten, einem erfolgreichen Umgangsantrag im Wege. Das Adoptionsgeheimnis gilt allgemein gegenüber Dritten,225 richtet sich aber insbesondere auch gegen die leiblichen Eltern des Kindes.226 Damit Umgang beim zuständigen Familiengericht beantragt werden könnte, müssen die leiblichen Eltern beispielsweise zunächst den gewöhnlichen Aufenthalt des Adoptivkindes kennen. Für den Antrag ist nämlich örtlich ausschließlich das Familiengericht zuständig, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.227 Dieser dürfte den leiblichen Eltern im Falle einer Inkognitoadoption aber regelmäßig nicht bekannt sein. Gleiches gilt wohl auch in Bezug auf die neue Identität des Kindes, sodass sie im Antrag überhaupt nicht benennen könnten, mit welchem Kind sie Umgang begehren. Sie können demnach regelmäßig kein Umgangsverfahren einleiten. Demgegenüber ließe sich im Umgangsverfahren selbst das Inkognito – zumindest während der Dauer des Verfahrens – durchaus wahren.228 Die erforderlichen Auskünfte könnten die leiblichen Eltern freilich von dem Jugendamt erlangen, welches die Adoption vermittelt hat (§ 9a AdVermiG). Dort werden die Vermittlungsakten aufbewahrt (§ 9b Abs. 1 AdVermiG). Anhand der Akten werden in der Regel der momentane Aufenthalt und die Identität des Adoptivkindes zu ermitteln sein. Welches Jugendamt die Adoption vermittelt hat, ist den leiblichen Eltern wohl oftmals 224
Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 288; Gernhuber/CoesterWaltjen, § 66 IV Rn. 20 f. (S. 861 f.). 225 Dass gegenüber Dritten die Adoptivkindschaft grundsätzlich verborgen ist, folgt verfassungsrechtlich bereits aus dem Recht zur Selbstbestimmung über die Darstellung des eigenen Lebens als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) vgl. BVerfG 5.6.1973, BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach. Das Adoptionsgeheimnis (§ 1758 BGB) ist eine einfachgesetzliche Klarstellung der verfassungsrechtlichen Vorgaben: Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 3; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 68 IX Rn. 121 f. (S. 903 f.). 226 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1758 Rn. 4; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 6. 227 Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 152 Rn. 13 ff.; Jaeger, FPR 2006, 410, 411. 228 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 20.
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bekannt oder für sie in Erfahrung zu bringen. Eine andere Frage ist, inwieweit das Jugendamt ihnen gegenüber zur Auskunft verpflichtet (beziehungsweise berechtigt) ist. § 9b Abs. 2 AdVermiG regelt ausschließlich im Hinblick auf das Kind oder dessen gesetzlichen Vertreter, in welchen Fällen die Vermittlungsakten eingesehen werden können. Gegenüber Dritten steht die Auskunft des Jugendamtes im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, das sich nach § 1758 Abs. 1 BGB richtet.229 Schließlich versetzt schon die Information, in welchem Gerichtsbezirk das Adoptivkind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, den Umgangsinteressierten in die Lage, aussichtsreiche Nachforschungen über die Identität der Adoptivfamilie anzustellen. Umstände, die geeignet sind, die Annahme aufzudecken, unterliegen aber dem Offenbarungsverbot des § 1758 Abs. 1 BGB.230 Sie dürfen entweder nur mit Zustimmung des Annehmenden und des Kindes oder aus besonderen Gründen des öffentlichen Interesses preisgegeben werden (§ 1758 Abs. 1 BGB). Weil Annehmende und Kind dem Auskunftsersuchen regelmäßig nicht kumulativ zustimmen dürften, ist eine Zwangsoffenbarung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes samt dessen Identität nur aus besonderen Gründen des öffentlichen Interesses möglich (§ 1758 Abs. 1 Fall 2 BGB). In der Praxis waren Auskunftsersuchen der leiblichen Eltern bislang überwiegend erfolglos.231 Sie wurden vor allem angestrengt, um die Aufhebung der Adoption betreiben zu können. Der Nachweis, dass aus besonderen Gründen des öffentlichen Interesses das Adoptionsgeheimnis gelüftet werden müsse (§ 1758 Abs. 1 Fall 2 BGB), konnte in diesen Fällen in der Regel nicht erbracht werden. Wann Gründe des öffentlichen Interesses (§ 1758 Abs. 1 Fall 2 BGB) vorliegen, die eine Offenbarung ausnahmsweise rechtfertigen, lässt sich nicht abschließend bestimmen.232 Wenn es einem Dritten ohne Auskunft nicht möglich ist, sein privates Recht zu verfolgen, soll es prinzipiell als
229 OVG Münster 20.6.1984, FamRZ 1985, 204, 205 m. Anm. Happe, Jugendwohl 1985, 388 f.; OVG Lüneburg 9.3.1994, NJW 1994, 2634, 2635; VG Saarland 11.3.1991, DAVorm 1991, 682, 683; VG Würzburg 3.11.1993, FamRZ 1994, 1201 f.; vgl. OVG Saarland 13.5.1991, DAVorm 1991, 685 f. 230 OVG Münster 20.6.1984, FamRZ 1985, 204, 205. 231 Vgl. OVG Münster 20.6.1984, FamRZ 1985, 204, 205; OVG Lüneburg 9.3.1994, NJW 1994, 2634, 2635; OLG Karlsruhe 27.2.1996, DAVorm 1996, 390, 391; VG Würzburg 3.11.1993, FamRZ 1994, 1201 f.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1758 Rn. 4; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 14. 232 Fallgruppen bei Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1758 Rn. 4; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 13 f.
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privates Interesse von § 1758 Abs. 1 Fall 2 BGB erfasst sein.233 Hieraus kann allerdings nicht pauschal gefolgert werden, dass generell auch die Durchführung eines Umgangsverfahrens ein anerkanntes privates Interesse im Sinne von § 1758 Abs. 1 Fall 2 BGB darstellt.234 Eine solche Pauschalisierung würde Wirkweise und Zweck des § 1758 Abs. 1 BGB verkennen: Nicht jedes Rechtsverfolgungsinteresse hebt automatisch das Inkognito auf.235 Vielmehr sind in jedem Einzelfall die Notwendigkeit der Aufdeckung und die mit ihr verbundenen Konsequenzen gegeneinander abzuwägen. Eine Aufdeckung ist hiernach nur dann gerechtfertigt, wenn nur so das angestrebte Ziel – unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – erreicht werden kann.236 Um diese Abwägung vornehmen zu können, muss zunächst klar sein, in welchem Umfang das Inkognito aufgehoben werden müsste, um ein Umgangsverfahren beantragen und durchführen zu können. Im Adoptionskontext ein Umgangsverfahren zu betreiben erfordert Kenntnis vom gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sowie die Offenlegung seiner Identität. Damit ist das Adoptionsgeheimnis irreversibel offenbart – es büßt seine präventive Schutzfunktion237 endgültig ein. Die Durchführung des Umgangsverfahrens nach § 1685 Abs. 2 BGB müsste somit im Ergebnis nichts weniger rechtfertigen als das Adoptionsgeheimnis aufzugeben. Da aber die Erfolgschancen des Umgangsverfahrens für das Jugendamt nicht absehbar sind, wird es keinesfalls automatisch das Adoptionsgeheimnis offenbaren. Zumal nur das Gericht von Amts wegen zu ermitteln hat (§ 26 FamFG), ob der Umgang dem Wohl des Kindes dient. Den Umgangsberechtigten trifft dabei allein die Feststellungslast.238 Dies bedeutet aber, dass die Durchsetzung des Umgangsrechts nicht in der Hand der leiblichen Eltern liegt und im Einzelfall höchst unsicher ist. Das Jugendamt wird im Zweifel ferner darauf hinweisen, dass es allein Aufgabe der Adoptiveltern ist, das Kind über seine Herkunft aufzuklären.239 Würde es das Inkognito demgegenüber im Hinblick auf das Um233
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 14; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1758 Rn. 4; Saar, in: Erman, BGB, § 1758 Rn. 5; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 68 IX Rn. 122 (S. 904). 234 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 14. 235 Gernhuber/Coester-Waltjen, § 68 IX Rn. 122 (S. 904). 236 OVG Münster 20.6.1984, FamRZ 1985, 204, 205; OVG Lüneburg 9.3.1994, NJW 1994, 2634, 2635; VG Würzburg 3.11.1993, FamRZ 1994, 1201 f.; Liermann, in: Soergel, BGB, § 1758 Rn. 7; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 12; Gernhuber/CoesterWaltjen, § 68 IX Rn. 122 (S. 904). 237 BT-Drucks. 7/3061, S. 46. 238 OLG Koblenz 29.9.1999, FamRZ 2000, 1111; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 18; ders., FamRZ 1998, 329, 337; Liermann, FamRZ 2001, 704 f.; Luthin, FamRZ 2005, 2011. 239 BT-Drucks. 7/3061, S. 46; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 23.
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gangsverfahrens aufheben, bestünde die Gefahr der Aufklärung durch Dritte, die schwere psychische Störungen des Kindes nach sich ziehen kann.240 Deshalb erkennen selbst diejenigen, die den leiblichen Eltern nach einer Adoption grundsätzlich ein Umgangsrecht gemäß § 1685 Abs. 2 BGB zugestehen, an, dass es bei einer Inkognitoadoption im Regelfall241 tatsächlich eine bloß theoretische Umgangschance ist. b) Umgangsberechtigung der leiblichen Großeltern und Geschwister Auch zwischen den leiblichen Großeltern oder Geschwistern und dem Adoptivkind erlischt im Zuge der Volladoption grundsätzlich das Verwandtschaftsverhältnis (§ 1755 Abs. 1 BGB). Deshalb sind frühere Großeltern oder Geschwister weder potenziell nach § 1685 Abs. 1 BGB zum Umgang mit dem Adoptivkind berechtigt noch verbleibt ihnen ein nach § 1685 Abs. 1 BGB bestehendes Umgangsrecht.242 Allerdings ist es für sie im Grundsatz möglich, nach der Adoption Umgang mit dem Adoptivkind über § 1685 Abs. 2 BGB zu erstreiten, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind: sie müssen eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufweisen und der Umgang muss dem Wohl des Kindes dienen.243 Indes gilt auch für dieses Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB, dass es im Falle einer Inkognitoadoption kaum durchsetzbar ist, sofern die Identität der Annehmenden verborgen bleibt.244 Damit befinden sich Großeltern und Geschwister im Ergebnis in einer ähnlichen Position wie der leibliche, nicht rechtliche Vater, dem – wie oben bereits dargelegt wurde – ein Umgangsrecht nach § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB zustehen kann, wenn er die Adoption seines Kindes unverschuldet nicht verhindern konnte.245
240
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1758 Rn. 23 m.w.N.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1758 Rn. 9; Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 66 f.; Frank, FamRZ 1988, 113, 117; Stalinski, FamRZ 2005, 856. 241 Vgl. zu den „Lücken“ im Inkognito der Adoptiveltern: Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 16; Stalinski, FamRZ 2005, 856, 861. 242 OLG Rostock 30.10.2004, FamRZ 2005, 744; OLG Dresden 12.10.2011, ZKJ 2012, 69 f.; Saar, in: Erman, BGB, § 1755 Rn. 3; Heiderhoff, in: Juris-PK, BGB, § 1755 Rn. 3; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7; Götz, in: Palandt, BGB, § 1755 Rn. 3; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1755 Rn. 6; Enders, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1755 Rn. 9; a.A. Friederici, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 1755 Rn. 2; Finger, in: Nomos-Komm., BGB, § 1755 Rn. 6; Saar, in: Erman, BGB, § 1755 Rn. 3. 243 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 7; Fröschle, Sorge und Umgang, Rn. 1252 (S. 266); Hoffmann, JAmt 2003, 453, 459; a.A. Enders, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1755 Rn. 9. 244 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. a). 245 Vgl. 2. Kapitel B. II. 2. b).
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c) Plädoyer für ein maßgeschneidertes Umgangsrecht Kann es richtig sein, dass die Großeltern oder der unverschuldet ausgeschlossene biologische Vater246 nach der Adoption Umgangsrechte geltend machen können, nicht aber die leiblichen Eltern? Diese Unterscheidung überzeugt nicht. Weder die Adoptionsfreigabe noch der Ausspruch der Adoption als solcher können es rechtfertigen, den leiblichen Eltern das Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB abzusprechen, denn dieses beruht nicht auf ihrer Elternstellung und wird auch nicht dadurch „verwirkt“, dass sie in eine Adoption des Kindes eingewilligt haben, zumal dieser Schritt für das Kind – in der gegebenen Situation – die beste Lösung gewesen sein kann. Doch ist nicht daran vorbeizukommen, dass das Umgangsrecht dann nicht durchgesetzt werden kann, wenn eine Inkognitoadoption vollzogen wurde. Das Adoptionsgeheimnis gibt dann eine Wertung verbindlich vor, die nicht durch das Umgangsrecht wieder infrage gestellt werden kann. Faktisch kann das Umgangsrecht demnach bei der Vermittlung familienfremder Kinder nur im Fall einer geöffneten Adoption durchgesetzt werden. Allerdings ist für diese Konstellationen ein Umgangsrecht gemäß § 1685 Abs. 2 BGB der falsche Ansatz. Im Rahmen der geöffneten Adoptionspraxis werden individuell angepasste Arrangements zwischen den Adoptiveltern, dem Adoptivkind und den leiblichen Eltern getroffen, die im Interesse des Kindes unterschiedliche Interaktionsmodelle vorsehen.247 Sobald diese Vereinbarung an Akzeptanz verliert, entsteht Ratlosigkeit. Hatten sich die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern etwa auf gegenseitige Umgangskontakte verständigt, welche die Adoptiveltern später ablehnen, löst das Adoptionsrecht diesen Konflikt nicht auf – es ignoriert geöffnete Adoptionen. Derartige Umgangskontaktvereinbarungen besitzen nämlich weder eine gesetzliche Basis noch wird ihnen von der Rechtsprechung Verbindlichkeit beigemessen.248 Die geöffnete Adoptionspraxis versucht, außerhalb des Adoptionsrechts die personalen Beziehungen zu entwickeln, ohne dass das Adoptionsrecht diese Entwicklung steuert oder unterstützt.249 Die Folge ist, dass die leiblichen Eltern auf anderen Wegen versuchen, Umgang mit ihrem Kind zu erhalten. Dabei können sie nur auf den „Notnagel“ des § 1685 Abs. 2 BGB zurückgreifen, der ihnen in der Praxis jedoch in aller Regel nicht weiterhilft.250 246
Vgl. 2. Kapitel B. II. 2. b) und 2. Kapitel C. II. 1. b). Vgl. 2. Kapitel C. I. 248 Muscheler, FPR 2008, 496, 498; Hoffmann, JAmt 2011, 10, 11, 14; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365. 249 Vgl. Schwab, Gutachten, S. A 112. 250 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. a). 247
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So ist die Rechtsfolge des § 1685 Abs. 1 BGB auf einen Umgang mit dem Kind gerichtet. Geöffnete Adoptionen zielen jedoch regelmäßig auf ein geringeres Kontaktniveau ab, auf sogenannte Umgangskontakte, wie zum Beispiel regelmäßige telefonische Kontakte oder vereinzelte Besuche.251 Folglich verschiebt § 1685 Abs. 2 BGB den Prüfungsmaßstab: Nicht die Angemessenheit des ursprünglichen Arrangements der Beteiligten entscheidet darüber, ob der Umgangswunsch realisiert wird, vielmehr gelten die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1685 Abs. 2 BGB. Diese sind jedoch mit Blick auf ein „normales“ Umgangsrecht gewählt, nicht mit Blick auf ein reduziertes Umgangskontaktniveau. Nicht sachgerecht ist es außerdem, wenn das Umgangsrecht der leiblichen Eltern davon abhängen soll, ob eine sozial-familiäre Beziehung zum Adoptivkind bestand (§ 1685 Abs. 2 BGB) und die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs positiv nachgewiesen wird (§ 1685 Abs. 1 BGB). Entscheidend für das Vorliegen der sozial-familiären Beziehung ist, ob die leiblichen Eltern mit dem Kind entweder längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt (§ 1685 Abs. 2 S. 2 BGB) oder zumindest regelmäßigen Kontakt zu ihm hatten. Hierbei ist die erforderliche Kontaktfrequenz nicht absolut bestimmbar.252 Das ist typischerweise ein Stolperstein, da viele der leiblichen Eltern im Vorfeld der Adoption nicht mit dem Kind zusammenleben.253 Die positiv festzustellende Kindeswohldienlichkeit (§ 1685 Abs. 1, 2 BGB) dürfte ebenfalls eine erhebliche Hürde sein. Trotz der Adoption und des Zeitablaufs darf zwischen den leiblichen Eltern und dem Adoptivkind bislang keine Entfremdung eingetreten sein, vielmehr müsste ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis fortbestehen, da abgebrochene Bindungen über § 1685 Abs. 2 BGB nicht reanimiert werden sollen.254 Die Zäsur der Adoption führt indes regelmäßig zu einer Entfremdung. Erschwerend käme hinzu, dass die Adoptiveltern oftmals den Umgang mit dem Adoptivkind verweigern,255 das heißt, jede Umgangsregelung kann auf deren Widerstand stoßen. Die Hal251
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. BT-Drucks. 15/2253, S. 11; OLG Düsseldorf 15.9.2003, FamRZ 2004, 290; OLG Koblenz 17.9.2008, FamRZ 2009, 1229, 1230; OLG Hamm, 9.11.2010, MDR 2011, 545, 546; AG Potsdam 15.11.2002, FamRZ 2003, 1955; Motzer, FamRB 2004, 231, 232; Luthin, FamRZ 2005, 706; Büte, FPR 2005, 5, 6; selbst eine mehrere Jahre zurückliegende, mittlerweile beendete sozial-familiäre Beziehung fällt unter § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB vgl. BGH 9.2.2005, FamRZ 2005, 705, 706; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 9b. 253 Vgl. 2. Kapitel B. I. 1.; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365. 254 BVerfG 11.11.1999, FamRZ 2000, 413, 414; OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1866; OLG Köln 2.4.2008, FamRZ 2008, 2147; Götz, in: Palandt, BGB, § 1685 Rn. 10; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 23a; Hennemann, in: Münch.Komm., BGB, § 1685 Rn. 14; a.A. OLG Koblenz 17.9.2008, FamRZ 2009, 1229, 1230. 255 Schwab/Wagenitz, FamRZ 1997, 1377, 1381. 252
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
tung der rechtlichen Eltern hat bei der Anwendung von § 1685 BGB aber einen relativen Vorrang gegenüber einem Umgangswunsch,256 weil im Fall erzwungenen Umgangs starke Loyalitätskonflikte des betroffenen Kindes zu befürchten sind.257 Im Konfliktfall dürfte die Einhaltung des vereinbarten Umgangs damit kaum auf der Basis des § 1685 BGB erzwingbar sein. Außerdem ist bereits der Ausgangspunkt eines konfrontativen Umgangsrechts problematisch. Es ist auf einseitige gerichtliche Intervention angelegt. Zwar wird auch im gerichtlichen Umgangsverfahren zunächst versucht, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, bevor das Gericht den Streit entscheidet. Diese Lösung beruht jedoch nicht auf einer ursprünglichen Übereinkunft der Beteiligten. Bei geöffneten Adoptionen, die von Anfang an mit der Vereinbarung von Umgangskontakten einhergingen, waren sich die Beteiligten zumindest ursprünglich einig, dass die Vereinbarung im Sinne des Kindes geschlossen wird. An diesem grundsätzlichen Einvernehmen fehlt es, wenn eine Seite versucht, ihr Umgangsrecht durchzusetzen. Hier wendet die (gerichtliche) Einigung bloß die Entscheidung durch das Gericht ab, ist aber nicht von der Vorstellung getragen, dass die ursprünglich gemeinsam für gut befundene Umgangsvereinbarung nun angepasst wird. Im Adoptionsrecht verdienen solche im Ansatz kooperativen Lösungen aber den Vorzug vor konfrontativen, weil sie eine realistische Fürsorgeperspektive eröffnen, welche die faktischen Familienverhältnisse anerkennt.258 Immer dann, wenn eine Adoption stattfindet, sollte die Frage beantwortet werden, wie familiäre Bindungen im Rahmen der Kindesannahme aufrechterhalten werden können – Adoption und Bindungserhalt sind keine Gegensätze.259 Diese Wertung ist zentral, weshalb vor allem nach dem Vorbild des angloamerikanischen Rechts mittlerweile auch in einigen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bei jeder Adoption individuell überlegt wird, ob etwa zwischen den leiblichen Eltern, den Geschwistern oder den Großeltern und dem Adoptivkind ein Umgangskontakt auch nach der Adoption fortbestehen soll.260 Damit dürfte deutlich geworden sein, dass nicht das Interventionsrecht des § 1685 Abs. 2 BGB in den Fokus der Diskussion zu stellen ist. Viel256
Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1685 Rn. 19 f. Hennemann, in: Münch.Komm., BGB, § 1685 Rn. 14; Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 283; Salgo, FPR 2004, 419 f., 423. 258 Vgl. Herring, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 89, 112; Masson, Child and Family Law Quarterly 1/2000, 15 ff. 259 Vgl. 2. Kapitel C. I. 260 Beispielsweise kann in den Niederlanden die Adoption ausgesprochen und gleichzeitig angeordnet werden, dass der Elternteil, der bisher Umgang mit dem Kind hatte, zum Umgang berechtigt bleibt (Art. 229 Abs. 4 niederländisches BGB); ebenso in Norwegen vgl. Dethloff, § 13 Rn. 266. 257
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mehr muss dort, wo durch ein geöffnetes Adoptionsarrangement individuell eine einvernehmliche Kontaktlösung gefunden wurde, erwogen werden, inwieweit sich aus dieser Vereinbarung ein (erzwingbares) Umgangskontaktrecht ableiten lässt.261 Insgesamt sollte das Adoptionsrecht de lege ferenda von vornherein darauf bedacht sein, nicht nur einen Statuswechsel zu vollziehen, sondern auch bestehende Bindungen rechtsverbindlich zu schützen, statt in § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB im Ergebnis eine Entweder-Oder-Entscheidung zu fällen.262 Für Zwischenlösungen bietet das Adoptionsrecht – noch – keinen Rechtsrahmen. Der anzustrebende Schutz multipler Bindungen, wie sie in Adoptionskonstellationen typischerweise bestehen,263 lässt sich außerhalb des Adoptionsrechts nicht angemessen bewirken. Eine umgangsrechtliche Lösung über § 1685 BGB bleibt eine Notlösung. Notwendig ist ein stringenter adoptionsrechtlicher Reformansatz. 2. Umgangskontaktvereinbarungen a) Adoptionspraxis Zwischen dem geltenden Adoptionsrecht und den modernen Anforderungen der Adoptionspraxis klafft eine Lücke. Nirgends tritt dies so deutlich zutage, wie in der apriorischen Annahme, der Kontakt des Adoptivkindes mit seiner Herkunftsfamilie stünde dessen gedeihlicher Entwicklung per se im Weg.264 In der Adoptionsforschung und -praxis musste dieses pauschale Urteil bereits einer differenzierteren Betrachtung weichen.265 Die Adoptionsvermittlungspraxis versucht jedenfalls, mittels geöffneter Adoptionsformen Ursprungs- und Adoptivfamilie miteinander zu verschränken. Dazu treffen vor allem die leiblichen Mütter266 und die Adoptiveltern Vereinbarungen darüber, wie sie die konkrete Adoption durchführen wollen. Insbesondere verständigen sie sich im Rahmen geöffneter Adoptionen darauf, wann und in welchem Zeitintervall sie Umgangskontakte, zum Beispiel Briefverkehr, Telefonate, gelegentliche Besuche et cetera, zwischen der Ursprungsfamilie, der Adoptivfamilie und dem Adoptivkind ermöglichen wollen.267 Nach der Adoption sind die Fachkräfte der Vermittlungsstellen
261
Vgl. Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 43. Vgl. Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1364. 263 Vaskovics, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 11, 19. 264 Vgl. 2. Kapitel A. 265 Vgl. 2. Kapitel C. I. 266 Schleiffer, in: Krolzik (Hrsg.), S. 161, 162; vgl. Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 216. 267 Vgl. 2. Kapitel C. I. 262
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nach § 9 Abs. 1 AdVermiG mittlerweile sogar gesetzlich verpflichtet, diese Kontakte fachlich zu begleiten und zu fördern.268 Dieser kooperative Ansatz hat mehrere Vorteile: Für die leiblichen Mütter ist die Mitgestaltung des künftigen Adoptionsverhältnisses zunächst eine Hilfe, die den bevorstehenden Trauerprozess erleichtert.269 Vor allem fördert er die gegenseitige Akzeptanz der Beteiligten und dient dadurch den Interessen des Kindes.270 An die Stelle der pauschalisierenden rechtlichen Wertung „Kontaktabbruch“ treten flexible, individuelle Fürsorgearrangements, die auf einem Einvernehmen der Beteiligten beruhen. Konsensuale Umgangskontaktvereinbarungen minimieren das Risiko späterer Loyalitätskonflikte zwischen den Eltern, da sie Konflikte vor Beginn der Adoption thematisieren und arrangieren.271 Sie erhöhen die Stabilität der Vereinbarungen.272 Der ursprüngliche Konsens der Beteiligten wird zum Fundament, auf dem aus Umgangskontakten eine Beziehung erwachsen kann.273 Auch im Bereich des Pflegekinderwesens ist der Abschluss von Umgangsvereinbarungen bereits gängige Praxis, ohne dass es dort eine besondere gesetzliche Basis dafür gibt. Zwar müssen auch in diesem Kontext auftretende Konflikte notfalls gerichtlich entschieden werden, doch ist die hohe Anzahl freiwilliger Kindesabgaben in der Familienpflege ein Indiz dafür, dass ein Großteil der betroffenen Eltern versucht, ihrer Verantwortung (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) gerecht zu werden und im Interesse des fürsorgebedürftigen Kindes zu handeln. Außerdem beruhen auch diese freiwilligen Pflegevereinbarungen grundsätzlich auf einem Konsens darüber, dass die beteiligten Eltern gemeinsam Lösungen für das Kind erarbeiten, wenn ein Streit aufkommt, was die gerichtliche Einigung erleichtert. Die Mitgestaltung des pädagogischen Prozesses durch die Beteiligten ist im Rahmen der Jugendhilfe mittlerweile ein allgemeingültiges materielles Prinzip, um möglichst beständige Fürsorgelösungen hervorzubringen.274 Das geltende Adoptionsrecht bietet insofern keine Alternative – es fehlen verbindliche Gestaltungsspielräume. Statt fürsorgebedürftigen Kindern eine dauerhafte Elternperspektive zu erschließen (vgl. §§ 36 Abs. 1 S. 2, 37 Abs. 1 S. 4 SGB VIII), versucht das geltende Adoptionsrecht nach wie vor, die leiblichen Eltern möglichst aus 268
Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdVermiG, § 9 Rn. 10 ff. von Beyme, Familiendynamik 18/1993, 371, 383. 270 Vgl. 2. Kapitel C. I. 271 von Beyme, Familiendynamik 18/1993, 371, 383 f. 272 Vigers, International Family Law 2010, 118, 119 f. 273 Herring, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 89 f. m.w.N.; vgl. Neil, Adoption & Fostering 1/2002, 25, 36 f.; Cottier, Information & Recht 2002, 31, 55. 274 Schmidt-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, § 36 Rn. 9 ff.; Gläss, JAmt 2013, 174, 177. 269
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dem Leben des Adoptivkindes zu verdrängen.275 Erst wenn man diese Wertung relativiert, kann die Adoption als Fürsorgeinstrument nennenswerte Bedeutung erlangen. Bislang ist die Angst der Eltern vor einer irreversiblen tatsächlichen Trennung von ihrem Kind ein zentrales Hemmnis, es zur Adoption freizugeben, wie einzelne qualitative Studien belegt haben.276 Gerade die leiblichen Mütter sind aber an geöffneten Adoptionsformen interessiert und mit der Adoption umso zufriedener, je weiter das Adoptionsarrangement geöffnet ist.277 Im Unterschied zu Umgangsvereinbarungen in Pflegeverhältnissen zielen die Umgangskontaktvereinbarungen im Adoptionskontext auf einen weniger intensiven Kontakt ab. Da Adoptiveltern im Gegensatz zu Pflegeeltern einen sicheren Elternstatus innehaben, sind sie tendenziell auch eher bereit, derartige Arrangements einzugehen, wie eine empirische Auswertung der britischen Abschlusspraxis nahelegt.278 In internationalen Adoptionsfällen ist der Abschluss von Umgangskontaktvereinbarungen zwar nicht generell ausgeschlossen – ein regelmäßiger persönlicher Umgangskontakt dürfte aber die Ausnahme sein, da er kaum realisierbar ist.279 Unterhalb dieses Kontaktniveaus sind aber durchaus Konstellationen denkbar, in denen moderne Telekommunikation, beispielsweise soziale Netzwerke, Internettelefonie oder E-Mail, einen regelmäßigen Austausch über Ländergrenzen hinweg ermöglichen. Seit Beginn der 2000er Jahre verstärkt sich vor allem in den USA der Trend, dass auch bei Auslandsadoptionen geöffnete Adoptionsformen gewählt und realisiert werden, wie die Auslandsadoptionen in die USA von den Marshallinseln belegen.280 Die zentrale Herausforderung, die sich angesichts solcher Vereinbarungen stellt, ergibt sich aus der dynamischen Natur einer Umgangskontaktvereinbarung.281 Wird sie zum Zeitpunkt der Adoption abgeschlossen, muss sie einerseits an die Kindesentwicklung angepasst werden können, andererseits darf es insbesondere den Adoptiveltern nicht möglich sein, die Vereinbarung nach erfolgter Adoption ohne Weiteres einseitig aufzukün275
Vgl. 2. Kapitel A. Paulitz/Baer, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 191, 199; Young/Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 85, 100; Baumann, Child and Adolescent Social Work Journal 5/1997, 313, 319; Knobbe, FPR 2001, 309, 312. 277 Kelly, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 245, 247 f., 265; Ayers-Lopez/Henney/McRoy/Hanna/Grotevant, Families in Society 4/2008, 551, 559 f. 278 Smith/Logan, Child and Family Law Quarterly 3/2002, 281 ff. 279 Vgl. Shefts, Family Law Quarterly 2/2002, 303 ff. (zu Kontaktmöglichkeiten über weite Entfernungen: sogenannte virtual visitation); Gottfried, Family Law Quarterly 3/2002, 475 ff.; Hawkins et al., Adoption & Fostering 4/2007, 5, 14. 280 Roby/Wyatt/Pettys, Adoption Quarterly 3/2005, 47, 48 f., 64 ff. 281 Vgl. Schwab, in: Hofer/Schwab/Henrich (Hrsg.), S. 35, 53. 276
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digen. Hierzu sind sie de lege lata aber außerstande: Vereinbarungen im Rahmen geöffneter Adoptionsarrangements genießen rechtlich keinen Schutz. Die Adoptiveltern können sich jederzeit von ihnen lösen, indem sie sich auf ihr Umgangsbestimmungsrecht berufen. Ob dies mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist, unterliegt im Wesentlichen ihrer Einschätzungsprärogative. Das ist bedenklich, weil Adoptiveltern strukturell dazu neigen, ihr neues Kind gegenüber den leiblichen Eltern abzuschotten.282 In dieser rechtlichen Unverbindlichkeit liegt der größte Nachteil derartiger Vereinbarungen,283 der ihre praktische Attraktivität immens schmälert. Auch das Adoptivkind kann sich weder darauf verlassen, dass die vereinbarten Kontakte aufrechterhalten werden, noch dass im Konfliktfall die Vereinbarung an seine Bedürfnisse angepasst wird. Vielmehr droht die Gefahr, dass seine Adoptiveltern vorschnell einen Kontaktabbruch zu den leiblichen Eltern herbeiführen, der aber möglicherweise nur den Wünschen und Interessen der Adoptiveltern entspricht. Teilt man die Prämisse, dass konsensuale Umgangskontaktvereinbarungen der beste Weg sein dürften, um sozial-familiäre Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und dem Adoptivkind zu erhalten, da sie eine strukturelle Vielfalt an Fürsorgelösungen ermöglichen, bedürfen sie de lege ferenda eines Rechtsrahmens.284 b) Postadoption contact agreements: US-amerikanisches und britisches Recht Im US-amerikanischen Recht sind freiwillige Umgangskontaktvereinbarungen zwischen Ursprungs- und Adoptivfamilie bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten in zahlreichen Bundesstaaten rechtlich reglementiert.285 Es besteht zwar nach wie vor für die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern die Möglichkeit, formlose Adoptionsarrangements abzuschließen,286 aber eine große Gruppe von Bundesstaaten hat mittlerweile formgebundene postadoption contact agreements, die mitunter auch als cooperative adoption oder open adoption agreements bezeichnet werden,287 in ihre Rechtsordnungen aufgenommen, die gerichtlich vollstreckbar sind.288 Von ihnen 282
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. Eekelaar, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 253, 255. 284 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 75 f.; Baer, ZfJ 1996, 123, 125; Knobbe, FPR 2001, 309, 312; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1697 f.; Hoffmann, JAmt 2011, 10, 16; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365; für die Schweiz: Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 20 ff. 285 Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 82; dies., Children’s Legal Rights Journal 4/1998, 24, 25 ff.; vgl. Widner, San Diego Law Review 2007, 355, 358 f. 286 U. S. Department, Agreements, S. 1 f. 287 U. S. Department, Agreements, S. 1; Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 88. 288 Alaska: Alaska Stat. §§ 25.23.180(k), (l), 47.10.089(f), (g); Arizona: Rev. Stat. Ann. § 8–116.01; Californien: Fam. Code § 8616.5, Welf. & Inst. Code § 366.29; Connecticut: Gen. Stat. § 45a–715(j), (m); Indiana: Ann. Code §§ 31–19–16–4, 31–19–16–6, 283
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können sich Adoptiveltern nicht kraft ihres Umgangsbestimmungsrechts einseitig lösen. Vielmehr können sie dazu gezwungen werden, die Vereinbarung einzuhalten. Formalisierte postadoption contact agreements wurden im Rahmen einer umfassenden Reform des amerikanischen Adoptionsrechts eingeführt. Die Gesamtreform erfolgte, um für die in der Praxis dominierenden geöffneten Adoptionsformen die erforderlichen gesetzlichen Strukturen zu schaffen.289 Das zentrale Reformanliegen war, die positiven Effekte geöffneter Adoptionsformen zu verstärken: „Agreements for post-adoption contact increased the likelihood of contact with the child’s birth family.“290 Einige Bundesstaaten verbanden mit der Einführung von erzwingbaren postadoption contact agreements auch die Hoffnung, die Anzahl von Adoptionsfreigaben möge steigen, um so die zunehmende Nachfrage nach Adoptivkindern zu befriedigen, was jedenfalls in Bezug auf Pflegekinderadoptionen auch eingetreten ist.291 Eine eher kleine Gruppe US-amerikanischer Bundesstaaten erlaubt postadoption contact agreements zwar ausdrücklich, versieht sie aber nicht mit erzwingbarer Wirkung.292 Im Einzelfall kann aber im Interesse des Kindes auch in den Bundesstaaten, die an sich keine erzwingbaren Vereinbarungen vorsehen, eine gerichtliche Vollstreckung angeordnet werden.293 In sämtlichen Staaten, die postadoption contact agreements in ihren Rechtsordnungen vorsehen, können jedenfalls die leiblichen und die Adoptiveltern im Vorfeld oder bei der Adoption eine Vereinbarung treffen; diese enthält Umgangs- und/oder Informationsregelungen.294 Nur ausnahmsweise sind contact agreements etwa auf Stiefkindadoptionen beschränkt.295
31–19–16.5–4, 31–19–16.5–5; Louisiana: Children’s Code Art. 1269.6; Maryland: Fam. Law § 5–308; Minnesota: Ann. Stat. § 259.58; Montana: Ann. Code § 42–5–301; Nebraska: Rev. Stat. §§ 43–160, 43–162, 43–165; Nevada: Rev. Stat. §§ 127.187, 127.1885; New Mexico: Ann. Stat. § 32A–5–35; New York: Soc. Serv. Law § 383–c(2)(b), Dom. Rel. Law § 112–b; Fam. Crt. Act § 1055–a; Oklahoma: Ann. Stat. Tit. 10, § 7505–1.5; Oregon: Rev. Stat. § 109.305; Pennsylvania: Cons. Stat. Tit. 23, §§ 2734(b), 2738, 2736; Rhode Island: Gen. Laws § 15–7–14.1; Texas: Fam. Code § 161.2061; Vermont: Ann. Stat. Tit. 15A, §§ 1–109, 4–112; Virginia: Ann. Code §§ 63.2–1228.1, 63.2–1220.3, 63.2–1220.4; Washington: Rev. Code § 26.33.295; West Virginia: Ann. Code § 48–22– 704 (nach: U. S. Department, Agreements, S. 6 ff.). 289 Appell, Adoption Quarterly 4/2003, 75, 79. 290 Faulkner/Madden, Adoption Quarterly 1/2012, 35, 49. 291 Vgl. Appell, Adoption Quarterly 4/2003, 75, 79, 84. 292 Delaware, District of Columbia, Florida, Missouri, North Carolina, Ohio, South Carolina, South Dakota und Tennessee (U. S. Department, Agreements, S. 6 ff.). 293 Katz, in: Katz/Eekelaar/MacLean (Hrsg.), S. 279, 290. 294 Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 83. 295 Exemplarisch: Vermont (Ann. Stat. Tit. 15A, § 4–112).
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Einige Staaten erweitern sogar den Kreis derjenigen, die ein postadoption contact agreement schließen können auch auf bisherige Verwandte.296 Regelmäßig muss ein postadoption contact agreement entweder auf einer schriftlichen Vereinbarung, die gerichtlich bestätigt wurde, oder einem Gerichtsurteil beruhen, um vollstreckbar zu sein.297 Eine schriftliche Fixierung erfolgt in den USA laut einer repräsentativen Studie in rund einem Drittel der inländischen Adoptionen.298 Eine gerichtliche Genehmigung einer Vereinbarung kann überwiegend nur dann erteilt werden, wenn sie nach Ansicht des Gerichts dem Kindeswohl entspricht.299 Soll das postadoption contact agreement formal geändert oder vollstreckt werden, bildet das Kindeswohl hierfür den zentralen Entscheidungsmaßstab.300 Soll es nachträglich angepasst werden, existieren hierfür im Wesentlichen zwei Modelle: Einige Rechtsordnungen sehen vor, dass eine Modifikation nur zulässig ist, wenn sie mit dem Kindeswohl in Einklang steht und aufgrund einer (außergewöhnlichen) Änderung der Umstände geboten ist.301 Teilweise müssen die Adoptiveltern dabei die Veränderung der Umstände nachweisen.302 In anderen Staaten ermittelt das zuständige Gericht und unterbreitet gegebenenfalls einen Änderungsvor296 Frühere Verwandte: Alaska (Alaska Stat. §§ 25.23.130[c], 47.10.089[d]), Californien (Fam. Code § 8616.5, Welf. & Inst. Code § 366.29), District of Columbia (Ann. Code § 4–361), Florida (Ann. Stat. § 63.0427), Maryland (Fam. Law §§ 5–308, 5–525.2), Minnesota (Ann. Stat. § 259.58), New Mexico (Ann. Stat. § 32A–5–35), Oklahoma (Ann. Stat. Tit. 10, § 7505–1.5), Oregon (Rev. Stat. § 109.305), Pennsylvania (Cons. Stat. Tit. 23, §§ 2733, 2734), Vermont (Ann. Stat. Tit. 15A, § 4–112 ) und Wisconsin (Ann. Stat. § 48.925[1]). Bisherige Großeltern: Louisiana (Children’s Code Art. 1264, 1269.2). Biologische Geschwister: New York (Soc. Serv. Law § 383–c[2][b], Dom. Rel. Law § 112– b). 297 U. S. Department, Agreements, S. 4; Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 83 f. 298 Faulkner/Madden, Adoption Quarterly 1/2012, 35, 49; auch in Großbritannien dominieren schriftliche Vereinbarungen mittlerweile die Adoptionspraxis vgl. MacAskill, S. 39. 299 U. S. Department, Agreements, S. 4. In Arizona, Californien, Connecticut, Indiana, Massachusetts, Pennsylvania und auf Rhode Island müssen die Interessen des Adoptivkindes berücksichtigt werden oder es muss der Vereinbarung zustimmen, wenn es über 12 Jahre alt ist – in New Hampshire, Oregon, Virginia und Vermont, wenn es älter als 14 Jahre ist (U. S. Department, Agreements, S. 4). Zusätzlich ist in Arizona, Connecticut, Massachusetts, Minnesota, auf Rhode Island und in Vermont die Mitwirkung oder Zustimmung einer Adoptionsvermittlungsstelle nötig, wobei mitunter entscheidend ist, ob das betroffene Kind in Pflege ist (Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 85 f.). 300 U. S. Department, Agreements, S. 4; vgl. Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 84. 301 Arizona, Californien, Louisiana, Maryland, Massachusetts, Minnesota, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Mexico, Oklahoma, Oregon, Vermont, Virginia und Washington (U. S. Department, Agreements, S. 6 ff.). 302 Exemplarisch: Alaska: Alaska Stat. §§ 25.23.180(k), (l), 47.10.089(f), (g).
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schlag.303 Dieses Modell lässt eine Änderung schon dann zu, wenn sie allein durch das Kindeswohl indiziert ist, ohne dass es darauf ankäme, ob sich die Lebensumstände des Adoptivkindes tatsächlich geändert haben.304 Vollstreckbar ist das postadoption contact agreement in den meisten Staaten dann, wenn es keinen Grund für eine Änderung gibt.305 Der Vollstreckung oder Änderung des agreements wird in einigen Staaten eine Anhörung306 oder ein Mediationsverfahren307 vorgeschaltet. Allgemein gilt, dass das Scheitern eines postadoption contact agreements niemals dazu führt, dass die Adoption aufgehoben werden kann.308 In drei Bundesstaaten kann zwar das agreement nicht vollstreckt werden, aber das zuständige Gericht kann eine eigene Umgangsregelung erlassen, losgelöst von der ursprünglichen Vereinbarung, wenn das agreement nicht befolgt wird.309 Gegenüber den Staaten, welche die gerichtliche Modifikation oder Vollstreckung eines postadoption contact agreements zulassen, ist diese gerichtliche Umgangskontaktregelung eine stärkere Interventionsmöglichkeit, die eine größere Entscheidungsvarianz zur Folge hat.310 Ähnlich verhält es sich dort, wo ehemalige Bezugspersonen des Adoptivkindes ein Umgangsrecht für sich erstreiten können, das unabhängig von einer früheren Vereinbarung gegen den Willen der Adoptiveltern ausgesprochen und vollstreckt werden kann. Die Möglichkeit, dass ein Gericht ehemaligen Großeltern, Geschwistern oder bisherigen Verwandten nach der Adoption ein Umgangsrecht mit dem Adoptivkind zubilligt, wenn es dessen Wohl entspricht, sehen beinahe sämtliche amerikanischen Bundesstaaten vor.311 Im gesamten angelsächsischen Rechtsraum wird seit Langem angestrebt, insbesondere den persönlichen Umgangskontakt zwi-
303
Beispielsweise: Arizona (Rev. Stat. Ann. § 8–116.01) und Californien (Fam. Code § 8616.5, Welf. & Inst. Code § 366.29). 304 Alaska, Connecticut, District of Columbia, Florida, Indiana, Pennsylvania und Rhode Island (U. S. Department, Agreements, S. 6 ff.). 305 Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 84. 306 Etwa in Alaska gemäß Alaska Stat. §§ 25.23.180(k), (l), 47.10.089(f), (g). 307 Arizona, Californien, Connecticut, Louisiana, Minnesota, New Hampshire, Oklahoma, Oregon und Texas (U. S. Department, Agreements, S. 4). 308 Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 83, 87; dies., Adoption Quarterly 4/2003, 75. 309 Massachusetts: Gen. Laws Ann. Ch. 210, §§ 6C, 6D; New Hampshire: Rev. Stat. § 170–B:14; Wisconsin: Ann. Stat. § 48.925(4), (nach: U. S. Department, Agreements, S. 6 ff.); vgl. hierzu: Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101 ff. 310 Appell, Children’s Legal Rights Journal 4/1998, 24, 27; dies., Adoption Quarterly 2/2000, 101. 311 Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101, 102 f.; vgl. auch EuGHMR 10.4.2012, Nr. 19554/09 – Pontes/Portugal.
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schen Geschwistern auch nach einer erfolgten Adoption möglichst aufrechtzuerhalten.312 Im Vergleich zu postadoption contact agreements wird die einseitige gerichtliche Festlegung eines Umgangs im US-amerikanischen Rechtsdiskurs überwiegend kritisch bewertet: Sie stoße regelmäßig auf den Widerstand der Adoptiveltern, wodurch ihr Erfolg erheblich gefährdet sei.313 Solange nicht eine besondere Situation vorliege, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen verhindert, dass ein agreement geschlossen wird, sei dieses einem vor Gericht erstrittenen Umgang prinzipiell vorzuziehen.314 Außerdem spreche für postadoption contact agreements, dass in erster Linie die Eltern – nicht staatliche Institutionen – die Verantwortung für das Kind tragen und grundsätzlich vermutet werden kann, dass Eltern hierzu auch in der Lage sind.315 Ähnlich ist die Rechtslage in England und Wales, wo es grundsätzlich Aufgabe des zuständigen Gerichts ist, schon im Rahmen des Adoptionsverfahrens eine (erzwingbare) contact order auszusprechen (Section 26 des Adoption and Children Act 2002316 oder Section 8 oder 34 des Children Act 1989). Diese kann etwa für die leiblichen Eltern eine (detaillierte) Umgangsregelung mit dem Adoptivkind enthalten.317 Die Frage, ob eine contact order zu ergehen hat, ist mittlerweile aus der gerichtlichen Adoptionsrealität Großbritanniens nicht mehr wegzudenken und stellt sich jedem Richter, bevor er eine adoption order erlässt.318 Hierbei beachtet das Gericht gemäß Section 27(4) und 46(6) des Adoption and Children Act 2002 bestehende private Umgangsvereinbarungen – die meist von den Vermittlungsagenturen erstellt werden319 – sowie die Wünsche der Beteiligten.320 Die Gerichte sträubten sich zunächst vehement, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und private Umgangskontaktvereinbarungen als con-
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Vgl. MacAskill, S. 49 ff. Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101, 105 f. 314 Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101, 106; dies., Western New England Law Review 1/2010, 1, 9; vgl. Neil, Adoption & Fostering 1/1999, 59 f. 315 Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101, 105; vgl. aber Lack, S. 22 ff., 39 f. 316 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Adoption and Children Act 2002: Choudhry, Child and Family Law Quarterly 2/2003, 119, 120 ff. 317 Hayden/Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 100 ff.; Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 318; Ball, Adoption & Fostering 2/2005, 6, 12. 318 Lowe, in: Katz/Eekelaar/MacLean (Hrsg.), S. 307, 329 f.; McFarlane/Reardon, S. 163 ff.; Ball, Adoption & Fostering 2/2005, 6, 12; Triseliotis, Adoption & Fostering 3/2010, 59 ff. 319 Sellick, Adoption & Fostering 4/2007, 17, 21 f.; krit. Logan, Child and Family Social Work 3/2010, 315, 317. 320 Ausführlich: Bridge/Swindells, S. 232 ff. 313
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tact order zu erlassen und so eine Vollstreckungsgrundlage zu schaffen.321 Insbesondere herrschte wohl lange Zeit eine erhebliche Unsicherheit darüber, ob geöffnete Adoptionsformen überhaupt dem Kindeswohl entsprächen.322 Seitdem im britischen Adoptionsrecht aber klargestellt wurde, dass bei der Kindeswohlprognose das Wohl des Kindes über seine gesamte Lebensspanne berücksichtigt werden muss,323 zerstreuen sich die Bedenken gegenüber geöffneten Adoptionsformen nach und nach.324 Indem Section 1(2) des Adoption and Children Act 2002 bestimmt „the paramount consideration of the court or adoption agency must be the child’s welfare, throughout his life“325, unterstreicht es einen wichtigen Aspekt, der im deutschen Recht nicht so deutlich angelegt ist. In Großbritannien muss das Kindeswohl im Rahmen einer Adoptionsentscheidung im Hinblick auf das gesamte Leben des Adoptierten und nicht nur bis zu dessen Volljährigkeit berücksichtigt werden.326 Im deutschen Recht bezieht sich die Adoptionsprognose hingegen vornehmlich auf die wahrscheinliche Entwicklung des minderjährigen Adoptivkindes.327 Dabei stellt die Bewältigung der eigenen Adoptionsbiografie vor allem (junge) Erwachsene vor eine mitunter schwierige Herausforderung, wobei eine bestehende Beziehung zur Herkunftsfamilie hilfreich sein kann.328 So wird wohl mittlerweile in der angelsächsischen Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass fortgesetzter Kontakt in der Regel langfristig dem Interesse des Adoptivkindes entspricht.329 Deshalb wurde – vor allem für Altfälle – ein adoption contact register eingerichtet,330 in das sich der Adoptierte und die leiblichen Verwandten eines Adoptierten freiwillig eintragen können, um so ihr Interesse oder Desinteresse daran zu bekunden, ihre Ursprungsfamilie wiederfinden zu wollen. Gleichwohl gab es gegen die Vorstellung fortgesetzten Umgangs zwischen der Herkunftsfamilie und dem Adoptivkind auch in Großbritannien ursprünglich einigen Widerstand, der auf mehreren Faktoren beruhte: Exis321
Harris-Short, Child and Family Law Quarterly 4/2001, 405, 417 m.w.N.; Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 319 f.; vgl. aber auch Jones/Hackett, British Journal of Social Work 2/2012, 283, 298. 322 Triseliotis, Adoption & Fostering 3/2010, 59; vgl. aber auch Salgo, S. 122 ff., zum custodianship. 323 McFarlane/Reardon, S. 134; vgl. Grotevant/McRoy, S. 198 f. 324 Vgl. EuGHMR 31.5.2011, Nr. 35348/06 – R und H/Großbritannien. 325 Kursivsetzung durch den Verfasser. 326 Woelke, in: Rieck (Hrsg.), England und Wales, Stand: Mai 2012, Rn. 64. 327 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1741 Rn. 16. 328 Guelich, S. 43 f.; vgl. 2. Kapitel C. I. 329 Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 322 m.w.N.; Triseliotis, Adoption & Fostering 3/2010, 59, 60. 330 McFarlane/Reardon, S. 152 f.; Bridge/Swindells, S. 245 ff.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
tierte keine private Vereinbarung, erschien ein Eingriff in das Umgangsbestimmungsrecht der Adoptiveltern durch gerichtliche contact order wenig hilfreich, um das Interesse des Adoptivkindes am Erhalt der Beziehung zur Herkunftsfamilie zu schützen.331 Die gerichtliche Intervention stößt in diesem Fall regelmäßig auf den Widerstand der Adoptiveltern, was einen kindeswohldienlichen Umgangskontakt zwischen dem Adoptivkind und der Ursprungsfamilie infrage stellt. Ob in den Fällen, in denen eine private Vereinbarung existiert, diese zwangsläufig als contact order zu erlassen ist, damit sie im Zweifel gerichtlich vollstreckbar wird, oder, ob es mit einem informellen Übereinkommen sein Bewenden haben soll, ist in Großbritannien bislang noch umstritten.332 Ein Lösungsansatz verweist in diesem Zusammenhang auf das USamerikanische Modell der vollstreckbaren postadoption contact agreements, deren maßgebliche Intention es sei, die Einhaltung der Vereinbarung zu fördern, nicht gerichtliche Sanktionen auszusprechen.333 c) Lösungsansätze im deutschen Recht de lege ferenda Die deutsche Vermittlungspraxis wirkt regelmäßig darauf hin, dass zwischen den leiblichen Eltern und der Adoptivfamilie individuelle Adoptionsarrangements getroffen werden.334 Welche Bindungswirkung diese informellen Absprachen im Konfliktfall entfalten, ist jedoch höchst unsicher. Das gilt schon allgemein in Bezug auf private Umgangsvereinbarungen, wie sie typischerweise im Rahmen von Scheidungsfolgenvereinbarungen geschlossen werden. Hierbei ist umstritten, ob und inwiefern Eltern sowie das Familiengericht an eine solche informelle Vereinbarung gebunden sind.335 Daher besteht auch bezüglich der Umgangskontaktvereinbarungen, die im Rahmen der geöffneten Adoptionspraxis geschlossen werden, erhebliche Rechtsunsicherheit. Insbesondere die leiblichen Eltern können die Umsetzung oder die spätere Anpassung der Vereinbarung nicht erzwingen. Mit Blick auf die typischen Vorteile von Umgangskontaktvereinbarungen sowie die internationale Rechtsentwicklung336 ist zu erwägen, ob Um331
Casey/Gibberd, Family Law 2001, 39, 40 f.; Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 320 ff.; Ball, Adoption & Fostering 2/2005, 6, 13. 332 Bridge/Swindells, S. 80, 235; Masson, Child and Family Law Quarterly 1/2000, 15, 28; Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 323 ff. 333 Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315, 328 f. 334 Vgl. 2. Kapitel C. I. 335 Vgl. BGH 11.5.2005, FamRZ 2005, 1471, 1473 m. Anm. Hammer, FamRZ 2005, 1474, der auch private Umgangsvereinbarungen für bindend erachtet; in diese Richtung auch: OLG Köln 29.7.1982, FamRZ 1982, 1237; Finger, in: Münch.Komm., BGB, § 1684 Rn. 14; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1684 Rn. 118 a.E., 128; ausführlich: Hammer, S. 1 ff.; ders., FamRZ 2005, 1209. 336 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b).
C. Wirkungen der Adoption
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gangskontaktvereinbarungen im Rahmen geöffneter Adoptionsformen de lege ferenda zu formalisieren sind. aa) Typische Umgangskontaktvereinbarung Bevor eine Reformperspektive skizziert wird, soll zunächst eine typische Umgangskontaktvereinbarung vorgestellt werden, wie sie oftmals zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern geschlossen wird: Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darüber, dass es nicht einen geöffneten Adoptionstyp, ein standardisiertes Arrangement gibt, das auf alle Kindesannahmen Anwendung findet.337 Der Inhalt der Vereinbarung richtet sich vielmehr im Einzelfall etwa nach dem Alter und der biografischen Vergangenheit des Kindes, den Wünschen der leiblichen Eltern, der Bereitschaft der Adoptionsbewerber, sich auf eine geöffnete Adoption einzulassen, sowie der Einschätzung der jeweiligen Vermittlungsstelle. Die deutsche Praxis befürwortet derzeit insbesondere solche Modelle, in denen eine teilweise Öffnung erfolgt und vermittelte Kontakte stattfinden, zum Beispiel durch einen Briefwechsel, den Austausch von Fotos und Videos oder mittels persönlicher Begegnungen, wobei teilweise ein Inkognito der Annehmenden aufrechterhalten wird.338 Obwohl sich konkrete Umgangskontaktvereinbarungen von Fall zu Fall unterscheiden, beruhen sie im Ausgangspunkt auf einem grundsätzlich verallgemeinerungsfähigen Muster: Sollen Umgangskontakte etabliert werden, wird zunächst – vor allem in Abhängigkeit vom Kindesalter – eine Konsolidierungsphase vereinbart, in der das Kind die nötige Sicherheit im Umgang mit den Adoptiveltern aufbaut,339 umgekehrt also nur geringen bis keinen Kontakt etwa mit den leiblichen Eltern pflegt.340 Eine sichere Integration in eine neue Familienstruktur schließt nicht aus, dass Umgangskontakte zu den ehemaligen Bezugspersonen – insbesondere zu den leiblichen Eltern – erhalten bleiben. Das setzt indes voraus, dass die leiblichen Eltern eine Integration des Adoptivkindes nicht unterminieren.341 Durch die Übereinkunft der beteiligten Eltern soll diese Gefahr allerdings möglichst 337
Grotevant/McRoy, in: McCartney/Weinberg/Scarr (Hrsg.), S. 204 f.; Young/Neil, in: Schofield/Simmonds (Hrsg.), S. 241, 248 ff.; Neil/Howe, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 224, 234 ff.; Grotevant/McRoy, S. 197; Miller Wrobel/Grotevant/Berge/Mendenhall/McRoy, Adoption & Fostering 1/2003, 57, 65 f.; Clapton, Adoption & Fostering 4/2006, 53, 60 ff. 338 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 21. 339 Vgl. Schorn, S. 56 f., 71. 340 Neil, in: Neil/Howe (Hrsg.), S. 65, 80; Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 232; Neil, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 275, 278 ff., 283; Büte, S. 150 (Rn. 227); Peschel-Gutzeit, Praxis der Rechtspsychologie 2/2008, 174, 182; Paulitz, ZKJ 2009, 266. 341 Walter, FPR 2004, 415, 418.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
gebannt werden. Außerdem schließt sich an die vereinbarte Konsolidierungsphase die tunlichst detaillierte Festlegung an, in welchen Zeitabständen welcher Umgangskontakt stattfinden soll.342 Der Öffnungsgrad des Arrangements hängt vor allem von den Beteiligten ab: Je eher sie in der Lage sind, die geöffnete Adoption zu akzeptieren, desto mehr (persönliche) Interaktion wird angestrebt.343 In geöffneten Adoptionsformen scheint sich auf lange Sicht im Allgemeinen ein moderates Kontaktniveau einzustellen,344 was vor allem das Minnesota-Texas Adoption Research Project nachgewiesen hat, eine auf Jahrzehnte angelegte Längsstudie, in deren Verlauf ab den 1980er Jahren 190 Adoptivväter und -mütter, 171 adoptierte Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren und 169 abgebende Mütter im Abstand mehrerer Jahre regelmäßig interviewt wurden.345 Eine im Vorfeld der Adoption geschlossene Umgangskontaktvereinbarung ist vorrangig ein Entwurf. In ihr manifestiert sich die Bereitschaft der beteiligten Eltern, das Fürsorgeverhältnis im Interesse des Kindes in Zukunft gemeinsam gestalten zu wollen. Insbesondere veränderte Lebensumstände erfordern eine flexible Anpassung der ursprünglichen Übereinkunft – ihr notwendigerweise dynamischer Charakter ist damit evident.346 bb) Informelle oder erzwingbare Lösung? Der dynamische Anpassungsbedarf von Umgangskontaktvereinbarungen bildet die zentrale Herausforderung, sollten sie de lege ferenda formalisiert werden. Gegenwärtig werden sie in der deutschen Vermittlungspraxis ausschließlich als informelle Absprachen eingesetzt, ohne dass sie erzwingbare Rechtswirkungen entfalten. Würde man private Umgangskontaktvereinbarungen gesetzlich ausdrücklich erlauben, ohne dass sie gerichtlich erzwingbar wären, würde sich am informellen Charakter der Vereinbarung nichts ändern. Eine andere Option bestünde darin, sie als Vollstreckungsgrundlage auszugestalten. Der Blick in die angloamerikanischen Rechtsordnungen zeigt, dass beide Möglichkeiten bestehen.347 Da sie sich insbesondere gegenseitig nicht ausschließen, liegt keine Notwendigkeit vor, sich 342 Vgl. allgemein zur rechtsgeschäftlichen Gestaltung: Hammer, FamRB 2006, 275 ff.; ders., FamRB 2006, 311 ff.; Bergschneider, Formularbuch, S. 127 f.; Oelkers/ Oelkers, FPR 2000, 250 ff. 343 Neil, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 269, 289 ff. 344 Grotevant, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 295, 300 ff.; MacAskill, S. 49 ff., 137; Hollenstein/Leve/Scaramella/Milfort/Neiderhiser, Adoption Quarterly 1/2003, 43, 49. 345 Vgl. 2. Kapitel C. I.; Grotevant/McRoy, Applied Developmental Science 4/1997, 168 ff. 346 Vgl. Knobbe, FPR 2001, 309, 310. 347 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b).
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normativ exklusiv auf ein Modell festzulegen.348 Vielmehr existiert etwa in den USA und in Großbritannien weiterhin ein praktisches Bedürfnis nach beiden Vereinbarungstypen,349 zumal in länderübergreifenden Familienkonstellationen offenbar nur erzwingbare Vereinbarungen einen realen Effekt aufweisen, sofern man den einschlägigen Erfahrungen der internationalen Familienmediation Glauben schenken darf.350 cc) Umsetzungsperspektive für erzwingbare Vereinbarungen: Gerichtlich gebilligter Vergleich Ein gegen den Willen der Eltern erzwungener Umgang mit ihrem Kind ist generell problematisch.351 Mit diesem Vorbehalt müsste sich jede Reform auseinandersetzen, soweit man in Erwägung zieht, erzwingbare Umgangskontaktvereinbarungen speziell für das Adoptionsrecht einzuführen.352 Umgangsvereinbarungen sind im deutschen Recht allerdings nur vollstreckbar (§§ 88 ff. FamFG), wenn sie in der Form eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 S. 1 FamFG) geschlossen werden.353 Hierbei handelt es sich um eine Umgangsvereinbarung, die familiengerichtlich bestätigt wurde.354 Die Bestätigung erfolgt, sofern die Vereinbarung dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 152 Abs. 2 S. 2 FamFG).355 Die Einschätzungsprärogative, wann ein Umgangskontakt nach erfolgter Adoption dem Kindeswohl dient, läge somit primär bei den beteiligten Eltern, nicht im Ermessen des Gerichts.356 Hierin bestünde ein Unterschied zur überwiegend vorgesehenen Genehmigung von postadoption contact agreements nach US-amerikanischem Recht. Dort muss das zuständige Gericht die Kindeswohldienlichkeit der Vereinbarung positiv feststellen, bevor die Vereinbarung genehmigt werden kann.357 Im Vergleich zu einer solchen 348
Faulkner/Madden, Adoption Quarterly 1/2012, 35, 49. Vgl. Appell, Adoption Quarterly 4/2003, 75, 83; Logan/Smith, British Journal of Social Work 1/2005, 3, 15. 350 Vigers, International Family Law 2010, 118, 121. 351 Vgl. Schwab, S. 370 (Rn. 807); Walter, FPR 2004, 415, 419; zuversichtlicher: Kindler, ZKJ 2009, 110, 113. 352 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 51. 353 OLG Frankfurt 2.11.2011, FamRZ 2012, 573, 574 m.w.N.; Hammer, in: Prütting/ Helms, FamFG, § 156 Rn. 5; Lack, S. 329 ff.; Schlünder, FamRZ 2012, 9, 14. 354 Finger, in: Münch.Komm., BGB, § 1684 Rn. 83; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1684 Rn. 122 m.w.N.; a.A. Schael, FamRZ 2011, 865 ff. 355 OLG Frankfurt 28.5.2002, FamRZ 2003, 250 f. (zur Rechtslage vor § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG); Götz, in: Palandt, BGB, § 1684 Rn. 40; Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 156 Rn. 58; krit. Hammer, FamRZ 2011, 1268, 1269 f. 356 Vgl. Hammer, FamRZ 2011, 1268, 1270, der darauf hinweist, dass sich praktisch kaum ein Richter einer einvernehmlichen Regelung widersetzt. 357 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 349
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umfassenden gerichtlichen Prüfungskompetenz358 ist im Rahmen des § 156 Abs. 2 FamFG nur eine negative Kindeswohlprüfung vorgesehen – eine Einschränkung, welche die Parteiautonomie aufwertet, aber zugleich dem staatlichen Wächteramt aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG Rechnung trägt. Damit eine Umgangsregelung im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG vollstreckt werden kann (§ 86 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), muss sie bestimmbar sein.359 Im Kontext adoptionsrechtlicher Umgangskontaktvereinbarungen ist die Vollstreckbarkeit als Ultima Ratio in erster Linie Mittel zum Zweck: Eine drohende Vollstreckung soll verhindern, dass insbesondere die Adoptiveltern die Vereinbarung nach der Annahme des Kindes einseitig aufkündigen. Entstehen im Laufe der Zeit Konflikte oder Anpassungsbedarf hinsichtlich der verabredeten Umgangskontakte, unterliegen die Ursprungs- und die Adoptivfamilie einem Zwang zur einvernehmlichen Lösung. Die Erfahrungen der ausländischen Vermittlungspraxis legen nahe, dass in diesen Fällen eine Konfliktbeilegung überwiegend möglich ist, weil die ursprüngliche Absprache gerade auf einem Konsens der Beteiligten beruhte.360 Prozessual können einen gerichtlich gebilligten Vergleich diejenigen Personen schließen, die Beteiligte im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG sind. An Umgangsverfahren nach § 151 Nr. 2 FamFG zu beteiligen – und damit zugleich Beteiligte im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG – sind prinzipiell alle Personen, deren Rechte unmittelbar materiell betroffen sind (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), sowie die nach § 1685 BGB Umgangsberechtigten.361 Unter § 1685 Abs. 2 BGB fallen insbesondere die leiblichen Eltern.362 Gleichermaßen trifft das unter anderem auf die leiblichen Geschwister oder die Großeltern zu.363 Dieser Aspekt der deutschen Rechtslage ähnelt dem Recht der US-amerikanischen Bundesstaaten, in denen erzwingbare postadoption contact agreements von den leiblichen Eltern und ehemaligen Verwandten des Adoptivkindes geschlossen werden können.364 Daneben sind beide Adoptiveltern zu beteiligen (vgl. § 1687 Abs. 1 BGB). Das Kind muss einer Vereinbarung nach § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG 358
Krit. Appell, Children’s Legal Rights Journal 4/1998, 24, 34; vgl. dies., Adoption Quarterly 1/2000, 81, 87. 359 BGH 1.2.2012, FamRZ 2012, 533, 534 f.; OLG Celle 16.12.2005, FamRZ 2006, 556; Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 156 Rn. 61 ff. 360 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 361 Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 151 Rn. 54 ff.; Büte, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 151 FamFG Rn. 3; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1684 Rn. 370 und § 1685 Rn. 30; Oelkers/Oelkers, FPR 2000, 250, 253; Hammer, FamRZ 2011, 1268, 1269. 362 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. a). 363 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. b). 364 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b).
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zustimmen.365 Es kann diese Zustimmung selbst abgeben, wenn es über 14 Jahre alt ist und mit dem Antrag seiner Eltern übereinstimmt (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG).366 Ein jüngeres Kind wird hingegen im Regelfall von seinen sorgeberechtigten Eltern vertreten.367 Besteht ein erheblicher Interessengegensatz zwischem dem Willen des Kindes und dem seiner Eltern, kommt die Bestellung eines Verfahrensbeistands nach § 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in Betracht.368 Wird die Zustimmung verweigert, kommt der Vergleich nicht zustande.369 Die Beteiligung des Jugendamtes ist auf seinen Antrag hin möglich (§ 162 Abs. 2 S. 2 FamFG).370 Das eigene Interventionsrecht des Kindes unterstreicht die allgemeine Tendenz hin zur Stärkung von Kinderrechten. Diese verlangt im Adoptionskontext, dass der Wille des betroffenen Kindes entsprechend seiner Entwicklung maßgeblich zu berücksichtigen ist.371 Praktisch umsetzbar ist eine adoptionsrechtliche Kontaktvereinbarung im Vorfeld einer Adoption de lege lata allerdings nicht. Welche Beschränkungen ihr nach geltendem Recht im Weg stehen, wird im Folgenden untersucht. (1) Verfahrensausgestaltung de lege ferenda Die leiblichen Eltern haben das Bedürfnis, Umgangskontaktvereinbarungen zu treffen, bevor sie die Adoptionsfreigabe erteilen. Haben sie die Freigabe erst einmal erklärt, laufen sie Gefahr, dass ihr Kind von Adoptionsbewerbern adoptiert wird, die einen Umgang des Kindes mit seiner Herkunftsfamilie gänzlich ablehnen. Bis zum Adoptionsbeschluss (§ 197 Abs. 1 FamFG) sind die Adoptiveltern in spe aber bloße Adoptionsbewerber und als solche nicht in der Lage, eine Umgangsvereinbarung wirksam abzuschließen. Auf der anderen Seite können die leiblichen Eltern nicht eine lediglich bedingte Einwilligung in die Adoption erteilen (§ 1750 Abs. 2 S. 1 BGB).372 Eine Adoptionsfreigabe wäre unwirksam, würde sie davon abhängig gemacht, dass künftige Adoptiveltern eine (bestimmte) Umgangskontaktvereinbarung abschließen, sobald die Adoption erfolgt ist. Wären 365 BT-Drucks. 16/6308, S. 237; Schumann, in: Münch.Komm., ZPO, § 156 FamFG Rn. 17, 22 f.; Heiter, FamRZ 2009, 85, 89. 366 Schumann, in: Münch.Komm., ZPO, § 156 FamFG Rn. 22. 367 AG Ludwigslust 19.11.2009, FamRZ 2010, 488, 489. 368 BGH 7.9.2011, FamRZ 2011, 1788, 1789 ff.; vgl. Lack/Salgo, FPR 2012, 353 ff.; Prenzlow, FPR 2012, 366 ff.; Sommer, FPR 2012, 374 ff. 369 Heiter, FamRZ 2009, 85, 89. 370 Vgl. Schlünder, FamRZ 2012, 9, 11 f. 371 Vgl. zum revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen: (Stand 11.1.2014). 372 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 40.
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sie dazu imstande, ihre Einwilligung an den Abschluss einer Umgangskontaktvereinbarung zu koppeln, hätten sie gegenüber den Adoptionsbewerbern außerdem ein erhebliches Druckmittel in der Hand. Sie könnten den Inhalt der Vereinbarung einseitig diktieren.373 Dies widerspräche dem konsensualen Charakter der Vereinbarung, welche auf die Akzeptanz der Adoptiveltern angewiesen ist. Erstrebenswert ist eine möglichst paritätische Verhandlungssituation zwischen den leiblichen Eltern und den künftigen Adoptiveltern. Sie läge vor, wenn die leiblichen Eltern eine unbedingte Einwilligung exklusiv gegenüber einem Adoptionsbewerberpaar erteilten, das seine Bereitschaft für eine geöffnete Adoptionsform bekundet hat. Würden sich die Adoptionsbewerber im Laufe des Adoptionsverfahrens unvermittelt einer Vereinbarung widersetzen, dürfte die Annahme regelmäßig nicht dem Wohl des Kindes dienen.374 Ein Adoptionsbeschluss hätte zu unterbleiben. Da die Adoptionsfreigabe aber unwiderruflich erteilt worden wäre, müssten neue Bewerber ins Auge gefasst werden. Mit diesen müssten die leiblichen Eltern nun eine einvernehmliche Regelung erzielen, ohne dass eine Partei einseitig den Inhalt der Vereinbarung diktieren könnte. Hierdurch würde insbesondere auch die Gefahr einer „Kommerzialisierung“ des Kindesumgangs gebannt,375 also einer Adoptionsfreigabe im Gegenzug für die Einräumung eines Umgangsrechts. De lege lata kann eine Adoptionssache allerdings mit anderen Verfahren grundsätzlich nicht verbunden werden (§ 196 FamFG). Eine Ausnahme besteht insbesondere nicht für Umgangsverfahren, die einen gerichtlich gebilligten Vergleich im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG zum Ziel haben.376 Diese strikte Trennung müsste de lege ferenda gelockert werden. In einer Adoptionssache müsste es möglich sein, eine Umgangskontaktvereinbarung abzuschließen. Als gerichtlich gebilligter Vergleich im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG kann sie freilich erst eine juristische Sekunde nach dem Ausspruch der Adoption ergehen. Erst ab diesem Zeitpunkt sind die Adoptiveltern als rechtliche Eltern des Kindes imstande, wirksam eine Vereinbarung abzuschließen. Alternativ wäre zu erwägen, ob sie als Teil eines Adoptionsbeschlusses ergehen könnte. Das ist de lege lata nach § 197 Abs. 1 FamFG nicht möglich.377 Es entspräche der Rechtslage in 373
Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 22. Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 17; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1741 Rn. 9; Longino, S. 51 ff. 375 BGH 23.5.1984, FamRZ 1984, 778; OLG Frankfurt 12.3.1986, FamRZ 1986, 596; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1684 Rn. 48; Jaeger, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 1684 BGB Rn. 13. 376 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., ZPO, § 196 FamFG Rn. 4. 377 Krause, in: Prütting/Helms, FamFG, § 197 Rn. 36 ff. 374
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einigen US-amerikanischen Bundesstaaten, in denen ein postadoption contact agreement zusammen mit dem Adoptionsbeschluss ergeht.378 Ein derartiger Lösungsansatz könnte sich freilich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, er übe Druck auf die Adoptionsbewerber aus, ausschließlich geöffnete Adoptionsarrangements zu akzeptieren. Angesichts des Missverhältnisses zwischen der hohen Zahl an Adoptionsbewerbern und den wenigen Adoptivkindern379 ist dieser Einwand nicht leichtfertig von der Hand zu weisen. Es erhöht die Gefahr, dass sich Adoptionsbewerber zu geöffneten Adoptionen bereit erklären, obwohl sie von deren Sinnhaftigkeit nicht überzeugt und von den Schwierigkeiten, die mit ihrer Durchführung verbunden sind, möglicherweise überfordert sind.380 Allerdings ist in der Vermittlungspraxis die Bereitschaft zu einem geöffneten Adoptionsarrangement mittlerweile ohnehin eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung.381 Die praktische Bedeutung der aufgezeigten Problematik sollte folglich nicht überschätzt werden. In den USA führte die Einführung erzwingbarer postadoption contact agreements dazu, dass Adoptionsbewerber, welche sich kategorisch einem agreement widersetzen, als Adoptiveltern grundsätzlich nicht mehr ausgewählt werden.382 Die leiblichen Eltern bestimmen in zunehmendem Maße die Modalitäten der Adoptionsgestaltung.383 Teilweise wird die Rolle der leiblichen Eltern im Adoptionsprozess bewusst gestärkt, um ihre Freigabebereitschaft zu fördern, woran zahlreiche US-amerikanische Adoptionsvermittler im harten Wettbewerb um wenige Adoptivkinder interessiert sind.384
378
Appell, Western New England Law Review 1/2010, 1, 7 m.w.N. Seit der Wiedervereinigung bemühen sich zwar immer weniger Paare um ein Adoptivkind, gegenwärtig entfallen auf einen zur Adoption vorgemerkten Minderjährigen aber immer noch sechs Adoptionsbewerberpaare: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 26.7.2013 (Stand 5.12.2013). 380 Bridge/Swindells, S. 78 f.; Berry, Children and Youth Services Review 5–6/1991, 379, 380 f. 381 Vgl. das Zitat der Leiterin einer zentralen Adoptionsvermittlungsstelle bei Frank, FamRZ 2007, 1693, 1699: „Wenn Sie als künftige Adoptiveltern auf einer Inkognitoadoption bestehen sollten, obwohl eine andere Lösung möglich ist, würden wir Ihnen kein Kind vermitteln“. 382 Maldonado, Capital University Law Review 2/2008, 321, 349. 383 Vgl. Pfaffinger, S. 217. 384 Vgl. Sittenfeld, Time Magazine 10.1.2011, 32 ff., zum Phänomen des „extreme recruitement“, bei dem vor allem Pflegekinder im Schnellverfahren – vergleichbar einem „Speed-Dating“ – mit mehreren Adoptionsbewerbern bekannt gemacht werden und die besten „Treffer“ jeweils eine Adoption anstreben, krit. Schmitz, in: Schwenzer (Hrsg.), S. 47, 48 ff. Eine weitere Vermittlungsalternative ist die sogenannte „subsidized adopti379
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
(2) Bindung gerichtlich gebilligter Umgangskontaktvereinbarung Die gerichtlich gebilligte Umgangskontaktvereinbarung bildet den Ausgangspunkt für spätere Änderungen oder Ergänzungen. Bedarf ergibt sich insofern zwangsläufig, weil sich weder die Wechselfälle der kindlichen Entwicklung noch das Verhalten der Beteiligten prognostizieren lassen.385 Veränderte (Lebens-)Umstände sollen grundsätzlich nicht dazu führen, dass bestehende Kontakte unvermittelt eingestellt werden. Vielmehr muss das vorrangige Ziel darin bestehen, die Lebensverhältnisse des Kindes zu stabilisieren.386 Deshalb kommt es in diesen kritischen Phasen darauf an, das Adoptionsarrangement neu am Interesse des Kindes auszurichten. Ändern die Beteiligten die Umgangskontaktvereinbarung einvernehmlich, tauchen grundsätzlich keine Probleme auf.387 Sie können die Anpassung entweder rein tatsächlich vollziehen oder darüber hinaus auch formell klarstellen (§ 166 Abs. 1 FamFG, § 1696 Abs. 1 BGB).388 Schwierigkeiten entstehen, sobald ein Beteiligter eine Änderung verweigert oder von der getroffenen Umgangskontaktvereinbarung einseitig abweicht. Dann stellt sich die Frage nach der Bindungswirkung des gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 S. 1 FamFG). Eine gerichtliche Abänderung erfolgt grundsätzlich unter den Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 FamFG und des § 1696 Abs. 1 BGB. Eine Anpassungspflicht des Gerichts besteht, „wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist“ (§ 1696 Abs. 1 S. 1 BGB). Es handelt sich um einen strengen Maßstab, der über das allgemeine Kindeswohlerfordernis hinausgeht.389 Er soll verhindern, dass
on“, eine staatlich subventionierte Adoption, um die Anzahl der Kindesannahmen zu steigern vgl. hierzu Salgo, S. 170 ff. 385 Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 154 f.; Grotevant/Perry/ McRoy, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 167, 175 f.; Hollenstein/Leve/Scaramella/ Milfort/Neiderhiser, Adoption Quarterly 1/2003, 43, 49; Grotevant et al., Adoption Quarterly 3–4/2007, 79, 97 f.; Miller Wrobel/Kohler/Grotevant/McRoy, Adoption Quarterly 2/2003, 53, 64 ff., entwickeln ein typisiertes Kommunikationsmodell für geöffnete Adoptionsarrangements („Family Adoption Communication Model“); Henney/Ayers-Lopez/ McRoy/Grotevant, Journal of Social and Personal Relationships 6/2007, 875, 887. 386 Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 166 Rn. 4; Coester, in: Staudinger, BGB, § 1696 Rn. 47, 50 f. 387 Nach Rushton, Clinical Child Psychology and Psychiatry 1/2004, 89, 99, deuten erste Studien darauf hin, dass Umgangskontaktvereinbarungen insbesondere dann eingehalten und einvernehmlich geändert werden, wenn abgebende Mütter an deren Zustandekommen mitwirken; vgl. Frasch/Brooks/Barth, Family Relations 4/2000, 435, 443 f. 388 Fröschle, Sorge und Umgang, Rn. 1174 (S. 249), geht davon aus, dass eine (einvernehmliche) außergerichtliche Änderung eines gerichtlich gebilligten Vergleichs nicht möglich ist. 389 Götz, in: Palandt, BGB, § 1696 Rn. 9.
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abgeschlossene Umgangsverfahren beliebig infrage gestellt werden.390 Ein einseitiger Modifikationswunsch der Adoptiveltern würde als solcher nicht als triftiger Grund im Sinne von § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht kommen. Anders wäre es, wenn das – nicht mehr ganz so kleine – Kind nachdrücklich einen Änderungswunsch äußert oder sich die Beziehungen der Beteiligten insgesamt verschlechtert haben.391 Ebenso wären schwerwiegende Änderungen der Lebensumstände relevant.392 Ist demgegenüber die Schwelle des § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB nicht erreicht, gilt im Grundsatz die gerichtlich gebilligte Umgangskontaktvereinbarung, sofern sie die strittige Frage regelt. Das Gericht darf wegen § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB die Vereinbarung grundsätzlich nicht ändern. Allerdings kann es sein, dass zwar die Änderungsschwelle des § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB nicht erreicht ist, aber die ursprüngliche Umgangskontaktvereinbarung keine (aktuelle) Bestimmung im Hinblick auf die strittige Umgangsfrage enthält. Inwieweit die gerichtlich gebilligte Umgangskontaktvereinbarung in diesem Fall zu berücksichtigen – und vom Gericht gegebenenfalls sinngemäß fortzuschreiben – ist, hängt wesentlich von ihrem Alter, den Modalitäten ihres Abschlusses und vom Grad der Veränderung der Lebenssituation des Kindes ab.393 Insgesamt lässt sich folgender Grundsatz entwickeln: Je eigenmächtiger die Vereinbarung aufgekündigt oder von ihr abgewichen wurde, desto stärker muss sich das Gericht an der Regelung orientieren und ihr zur Durchsetzung verhelfen. Im Ergebnis würden gerichtlich gebilligte Umgangskontaktvereinbarungen im Adoptionskontext sowohl die Beteiligten als auch die Gerichte in hohem Maße binden, ohne dass es an einem ausreichenden Spielraum fehlen würde, sie im Interesse des Kindes einvernehmlich oder einseitig gerichtlich anzupassen. (3) Kollision mit dem elterlichen Umgangsbestimmungsrecht? Eine vollstreckbare Umgangskontaktvereinbarung im Sinne von § 156 Abs. 2 FamFG könnte im Adoptionskontext auch materiellen Bedenken begegnen. Grundsätzlich müssen die Eltern bestimmen, ob und inwieweit ihr Kind mit Dritten Umgang unterhält (§ 1626 Abs. 3 S. 2 BGB). Das Umgangsbestimmungsrecht ist ein zentrales Element der elterlichen Perso390
BT-Drucks. 13/4899, S. 109. BGH 16.6.1986, FamRZ 1986, 895, 896; 14.10.1992, FamRZ 1993, 314, 315; Coester, in: Staudinger, BGB, § 1696 Rn. 51; Olzen, in: Münch.Komm., BGB, § 1696 Rn. 36 f. 392 Götz, in: Palandt, BGB, § 1696 Rn. 11 ff. 393 Hammer, FamRZ 2005, 1209, 1214; vgl. KG Berlin 29.8.1980, FamRZ 1980, 1156, 1157; OLG Frankfurt 27.11.2001, FamRZ 2002, 978, 979; OLG Sachsen-Anhalt 22.3.2005, JAmt 2005, 529, 530; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1684 Rn. 132. 391
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nensorge (§§ 1626 Abs. 3 S. 2, 1632 Abs. 2 BGB) und damit zugleich Kernbestand des verfassungsrechtlichen Elternstatus.394 Eltern üben dieses Recht meist aus, indem sie Umgang faktisch zulassen und einem Dritten den Kontakt zum Kind gestatten oder verweigern. In ihrer Entscheidung sind sie grundsätzlich frei, wobei ein bestehender Kontakt zwischen Kind und Drittem nur zum Wohle des Kindes unterbrochen werden sollte (§§ 1626 Abs. 3 S. 2, 1627, 1632 Abs. 2 BGB).395 Legen sich jedoch die Adoptiveltern gegenüber den leiblichen Eltern nach dem Modell des § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG auf einen erzwingbaren Kontakt fest, ist ihre Widerrufsmöglichkeit eingeschränkt – sie unterliegen einer gesetzlichen Bindung.396 Im Extremfall könnten die leiblichen Eltern eine Umgangskontaktvereinbarung, die gerichtlich gebilligt wurde, gegen den Willen der Adoptiveltern zwangsweise durchsetzen – eine de lege lata eher ungewöhnliche Vorstellung. In der US-amerikanischen Diskussion wurde rechtspolitisch lange Zeit der Vorschlag bekämpft, gegen den Willen der Adoptiveltern eine Umgangskontaktvereinbarung gerichtlich vollstrecken zu können.397 Allerdings hat sich in großen Teilen der US-amerikanischen Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass der Umgang mit ehemaligen Bezugspersonen – vor allem langfristig – im Interesse des Kindeswohls liegen kann, sodass sich in dieser speziellen Situation der vereinbarte Umgang im Zweifel gegen das elterliche Umgangsbestimmungsrecht durchzusetzen vermag.398 Dem deutschen Recht steht eine vergleichbare Kontroverse noch bevor. Allerdings relativiert auch das geltende Recht das elterliche Umgangsbestimmungsrecht. Erstens ist es de lege lata möglich, dass sich Eltern gegenüber umgangsberechtigen Dritten nach § 1685 BGB auf eine gerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung festlegen und so ihren Entscheidungsprimat einschränken.399 Zweitens ist das Umgangsbestimmungsrecht der Eltern aus sich heraus bereits limitiert, wie seine Interdependenz mit dem Alter des Kindes zeigt: Je älter das Kind ist, desto weniger Entscheidungsfreiheit besitzen die Eltern in Fragen des Umgangs.400 Drittens wird in die Ausübung des Umgangsbestimmungsrechts spätestens dann 394 BT-Drucks. 8/2788, S. 51; AG Bad Säckingen 7.6.2001, FamRZ 2002, 689 f.; Salgo, in: Staudinger, BGB, § 1632 Rn. 20; Huber, in: Münch.Komm., BGB, § 1632 Rn. 63; Schwab, S. 322 f. (Rn. 696 f.). 395 Huber, in: Münch.Komm., BGB, § 1632 Rn. 66 f.; Salgo, in: Staudinger, BGB, § 1632 Rn. 23 f. 396 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) cc) (2). 397 Smith, Journal of Social Welfare and Family Law 3–4/2005, 315 ff.; so auch in der Schweiz vgl. Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 21. 398 Vgl. Maldonado, Capital University Law Review 2/2008, 321, 351 ff. 399 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) cc) (2). 400 Salgo, in: Staudinger, BGB, § 1632 Rn. 24.
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von staatlicher Seite eingegriffen, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls besteht (§ 1666 BGB).401 Vor diesem Hintergrund wäre es keineswegs systemwidrig oder gar verfassungswidrig, wenn sich Adoptiveltern de lege ferenda durch eine (gerichtlich bestätigte) Umgangskontaktvereinbarung im aufgezeigten Umfang402 binden dürften. Insbesondere können sie nach wie vor auf eine gerichtliche Änderung der Umgangskontaktvereinbarung hinwirken. Die Ausübung ihres Umgangsbestimmungsrechts ist hierdurch verkürzt, aber nicht ausgeschlossen. Letztlich ist das Umgangsbestimmungsrecht ein treuhänderisches Recht, das im Interesse des Kindes auszuüben ist. Ein geöffnetes Adoptionsarrangement dient diesen besonderen Interessen, weil dadurch dem Kind ermöglicht wird, bei einem Wechsel der rechtlichen Elternschaft seine Beziehung zur Herkunftsfamilie nicht gänzlich einbüßen zu müssen. (4) Vermittlungsverfahren Treten Konflikte im Zusammenhang mit einer elterlichen Umgangsvereinbarung auf, besteht die Möglichkeit, unverzüglich ein Vermittlungsverfahren durchzuführen (§ 165 Abs. 1, 2 FamFG). Diese Option steht de lege lata jedoch nur den rechtlichen Eltern eines Kindes offen.403 Warum Umgangsberechtigte im Sinne von § 1685 BGB kein Antragsrecht auf Eröffnung des Vermittlungsverfahrens haben,404 ließ der Reformgesetzgeber des FamFG offen.405 De lege ferenda ist diese Beschränkung zu überdenken.406 Gerade in geöffneten Adoptionsarrangements ist ein Mediationsverfahren im Konfliktfall oft hilfreich, folgt man einer US-amerikanischen qualitativen Studie aus dem Jahr 2005, bei der 15 leibliche, 21 Adoptiveltern und 47 Kinder interviewt wurden.407 Für die Stärkung konsensorientierter Verfahrenselemente spricht zudem, dass sie einige ausländische Rechtsordnungen im vorliegenden Zusammenhang ausdrücklich vorsehen.408 Weil die Beteilig401 Salgo, in: Staudinger, BGB, § 1632 Rn. 21 ff.; Huber, in: Münch.Komm., BGB, § 1632 Rn. 65 ff. 402 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) cc) (2). 403 BT-Drucks. 13/4899, S. 133; Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 165 Rn. 4. 404 Hammer, in: Prütting/Helms, FamFG, § 165 Rn. 4. 405 § 165 FamFG übernahm und erweiterte § 52a FGG (BT-Drucks. 16/6308, S. 242), der seit 1.7.1998 galt (BGBl. I 1997, 2942). Obwohl § 52a FGG zeitgleich mit § 1685 BGB eingeführt wurde (BGBl. I 1997, 2942), beschränkte der Gesetzgeber das Vermittlungsverfahren auf umgangsberechtigte Eltern, ohne hierfür eine Erklärung anzubieten (BT-Drucks. 13/4899, S. 133). 406 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 51. 407 Maynard, Child Welfare 4/2005, 507, 513 f., 519 f. 408 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b).
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ten nicht ohne Weiteres in der Lage sind, sich von einer erzwingbaren Umgangskontaktvereinbarung im Sinne von § 156 Abs. 2 S. 1 FamFG loszusagen,409 stehen sie unter Einigungszwang. Zwang ist allerdings prinzipiell eine problematische Grundlage für eine einvernehmliche Streitbeilegung. Deshalb ist es im Rahmen der außergerichtlichen Mediation umstritten, inwiefern sie auf der Freiwilligkeit der Beteiligten beruhen muss.410 Auch die Familienmediation ist insofern unentschieden.411 Die überwiegende US-amerikanische Rechtspraxis scheint diese grundlegenden Bedenken überwunden zu haben, sofern sie im Kontext geöffneter Adoptionen auf mediative Vermittlungsverfahren zurückgreift.412 Die fachliche Beratung und Begleitung durch Vermittlungsstellen spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle.413 Die Postadoptionsbegleitung ist auch in Deutschland mittlerweile ein integraler Teil der Vermittlungsarbeit, der gesetzlich in § 9 Abs. 1 AdVermiG verankert ist.414 Sieht man von einigen Sonderkonstellationen ab,415 unterstreichen die Erfahrungen, die man mit der Mediation gemacht hat, eindrücklich, dass insbesondere in Familiensachen die eigenverantwortliche, einvernehmliche Regelung von besonderer Bedeutung ist.416 Im Ergebnis sollte daher zumindest das Vermittlungsverfahren nach § 165 FamFG de lege ferenda auch für den – einvernehmlich vereinbarten – Umgang mit den leiblichen Eltern eröffnet werden und dabei auch über die Einführung weiterer mediativer Verfahrenselemente speziell für den vorliegenden Kontext nachgedacht werden. dd) Ausblick Sollte sich der Gesetzgeber dazu entschließen, vollstreckbare Umgangskontaktvereinbarungen im Adoptionsrecht einzuführen, wäre es unerlässlich, dass deren Rechtsfolgen den Beteiligten klar sind. Andernfalls scheint das Risiko nachträglicher Rechtsstreitigkeiten erhöht, wie die US-amerika-
409
Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) cc) (2). Vgl. Althammer, JZ 2006, 69, 71 f.; Vogel, FamRZ 2010, 1870 ff.; Marx, ZKM 2010, 132, 133 ff.; Keydel, ZKM 2010, 61 f.; Balloff, FPR 2012, 216, 219 f. 411 Vgl. Zurmühl/Kiesewetter, ZKM 2008, 107 ff.; Proksch, ZKM 2011, 173 ff. 412 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 413 Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 164 f.; Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 232; Neil/Cossar/Jones/Lorgelly/Young, S. 297 ff.; Jones/Hackett, Adoption Quarterly 3–4/2007, 157, 175 ff. 414 Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdVermiG, § 9 Rn. 10 ff. 415 Vgl. zu den Schwierigkeiten grenzüberschreitender Mediation: Vigers, International Family Law 2010, 118, 123; optimistischer ist Carl, International Family Law 2012, 56 ff. 416 BT-Drucks. 17/5335, S. 22. 410
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nische Erfahrung lehrt.417 Um dieser Gefahr vorzubeugen, werden etwa Betroffenen in den USA zahlreiche Hilfestellungen angeboten: Die Bandbreite reicht von kurzen Hinweisbroschüren bis hin zu staatlichen Programmen, die bei der Erstellung von postadoption contact agreements behilflich sind.418 Die rechtliche Formalisierung und Aufwertung von derartigen Kooperationsübereinkommen scheint die Zunahme geöffneter Adoptionsformen zusätzlich zu beschleunigen, da eine Struktur geschaffen wird, an der sich die Vermittlungspraxis orientieren kann. Dies ergab eine Auswertung aus dem Jahr 2001, die sich auf die Vermittlungspraxis im USBundesstaat Nevada bezog.419 Es konnte gezeigt werden, dass im deutschen Recht die Instrumente für eine entsprechende Reform im Grunde bereits vorhanden sind und nur noch ihre Bereitstellung speziell auch für die vorliegende Konstellation angeordnet werden muss. III. Auskunft Seitdem die Adoptionspraxis die Prämisse verworfen hat, die leiblichen Eltern müssten möglichst umfassend aus dem Leben des Adoptivkindes verbannt werden,420 spielt neben den Umgangskontakten auch der Informationsaustausch zwischen den leiblichen und den Adoptiveltern eine zentrale Rolle.421 Nicht in jedem Fall lassen sich offene Adoptionsarrangements treffen, die unmittelbar darauf abzielen, einen Umgangskontakt zwischen den Familien herzustellen. In der Vermittlungspraxis werden vielfach teiloffene Modelle gewählt, die einen Mittelweg zwischen völliger Öffnung der Adoption und einer Inkognitoadoptionen darstellen.422 Hier erklären sich die Adoptiveltern bereit, die leiblichen Eltern regelmäßig per E-Mail, Brief, Foto- und Videoaustausch oder in persönlichen Begegnungen über die Entwicklung des Kindes zu informieren. Bei einem anonymisierten Informationsaustausch, etwa über die Vermittlungsstelle, kann das Inkognito der Adoptivfamilie sogar gewahrt werden. In wie vielen Fällen auch unmittelbare Umgangskontakte vereinbart werden, lässt sich für die deutsche Adoptionspraxis – etwa im Gegensatz zu den USA – nicht aufschlüsseln, da eine statistische Erfassung nicht erfolgt und aussagekräftige sozialwissenschaftliche Untersuchungen ebenfalls fehlen.423 417 Appell, Adoption Quarterly 2/2000, 101, 106; dies., Western New England Law Review 1/2010, 1, 10 ff. 418 Appell, Adoption Quarterly 4/2003, 75, 80 f. 419 Appell, Adoption Quarterly 4/2003, 75, 81, 83 f.; dies., Western New England Law Review 1/2010, 1, 26. 420 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20 ff.; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1698 f. 421 Vgl. 2. Kapitel C. I. 422 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 21. 423 Vgl. 2. Kapitel C. I.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
Wird bei einer Inkognitoadoption ein Informationsaustausch vereinbart, den die Adoptiveltern später dann boykottieren, können sich die leiblichen Eltern hiergegen allerdings von vornherein nicht zur Wehr setzen. Das geltende Adoptionsgeheimnis steht ihnen im Weg (§ 1758 Abs. 1 BGB).424 Kennen sie indessen die Identität der Adoptiveltern, können sie versuchen, die Informationspreisgabe zu erzwingen. Fraglich ist allerdings, ob die leiblichen Eltern de lege lata nach erfolgter Adoption Inhaber eines Auskunftsrechts sind. 1. Auskunftsrechte a) Auskunftsrechte leiblicher Eltern nach erfolgter Adoption de lege lata Nach § 1686 BGB kann „jeder Elternteil“ vom „anderen Elternteil“ Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes verlangen. Dieses Auskunftsrecht steht nach herrschender Meinung den leiblichen Eltern nach erfolgter Adoption nicht zu.425 Unmittelbar betrifft § 1686 BGB nach seinem klaren Wortlaut nur Auskunftsansprüche rechtlicher Elternteile untereinander. § 1686 BGB soll bezwecken, dass derjenige Elternteil, dem das Kind nicht anvertraut ist, vom betreuenden Elternteil zumindest darüber informiert wird, wie sich das Kind entwickelt.426 Der Gesetzgeber konzipierte das Auskunftsrecht nach § 1686 BGB als Umgangsrechtsersatz explizit für rechtliche Eltern.427 Es sei verfassungsrechtlich zulässig, Dritte nicht wie rechtliche Eltern zu behandeln, weil der Auskunftsanspruch nach § 1686 BGB auf dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) beruhe.428 Da die leiblichen Eltern durch die Adoption das Recht aus § 1686 BGB mitsamt
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Vgl. 2. Kapitel C. IV. OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057, 1058; AG Reinbek 28.7.2003, FamRZ 2004, 55 f.; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1686 Rn. 4; Finger, in: Münch.Komm., BGB, § 1686 Rn. 4; Veit, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1686 Rn. 2; Büte, S. 152 (Rn. 229); Peschel-Gutzeit, in: Nomos-Komm., BGB, § 1686 Rn. 4; Jaeger, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 1686 BGB Rn. 1; Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 68; a.A. wohl OLG Brandenburg 17.1.2007, NJOZ 2007, 5611, 5612 f.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 41; Götz, in: Palandt, BGB, § 1686 Rn. 2; Kasenbacher, NJW-Spezial 2012, 4, 5; vgl. Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365 f.; offengelassen von OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1867. 426 BT-Drucks. 8/2788, S. 55; BT-Drucks. 13/4899, S. 107. 427 BT-Drucks. 8/2788, S. 55; BayObLG 12.7.1983, FamRZ 1983, 1169, 1170; 7.12.1992, FamRZ 1993, 1487, 1488; OLG Hamm 10.1.1995, FamRZ 1995, 1288, 1289 f. 428 AG Reinbek 28.7.2003, FamRZ 2004, 55, 56 unter Berufung auf BVerfG 9.4.2003, FamRZ 2003, 816; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1686 Rn. 4; Veit, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1686 Rn. 2; Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 68. 425
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ihres Elternstatus (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) verlieren, hätten sie unmittelbar aus § 1686 BGB keinen Auskunftsanspruch.429 Die leiblichen Eltern sind nach der Adoption zwar nicht länger rechtliche Eltern des Kindes, aber nach zutreffender Ansicht Umgangsberechtige im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB.430 Deshalb wird erwogen, ob sie aufgrund verfassungskonformer Auslegung des § 1686 BGB auskunftsberechtigt sind.431 Soweit man ihnen nämlich ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB zugesteht, kann man ihnen das Auskunftsrecht (§ 1686 BGB) „als Minus“ zum Umgangsrecht schwerlich vorenthalten.432 Hiergegen wird eher formal eingewandt, dass das Auskunftsrecht gerade nicht die sozial-familiäre Beziehung zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind betreffe, sondern hiervon losgelöst sei.433 Diejenigen, die einen Auskunftsanspruch der leiblichen Eltern nach § 1686 BGB befürworten, widersprechen dieser Argumentation: Letztlich diene auch das Auskunftsrecht dazu, eine bestehende sozial-familiäre Beziehung zwischen der Herkunftsfamilie und dem Adoptivkind zu erhalten.434 b) Stellungnahme De lege lata scheint sich für das Adoptionsrecht die Frage nach einem Auskunftsrecht der leiblichen Eltern überhaupt nicht zu stellen, da das Kind vollständig aus seiner bisherigen Familie herausgelöst und in eine komplett neue Familie integriert wird. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass selbst die Volladoption des geltenden Rechts (§ 1755 Abs. 1 BGB) nicht sämtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Adoptivkind und den leiblichen Eltern abbricht.435 So hat das Kind etwa das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).436 Außerdem besteht nach herrschender Meinung trotz der Adoption die Möglichkeit fort, die Vaterschaft festzustellen, wenn sie bislang nicht fest-
429
OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057, 1058; AG Reinbek 28.7.2003, FamRZ 2004, 55 f.; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1686 Rn. 4; Veit, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1686 Rn. 2; Rauscher, FamRZ 1998, 329, 338 f. 430 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. a). 431 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 41; a.A. Fröschle, Sorge und Umgang, Rn. 1312 (S. 279). 432 OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1867 (im Ergebnis offen gelassen); a.A. OLG Schleswig 30.1.2004, FamRZ 2004, 1057, 1058 (zu § 1685 BGB a.F.); AG Reinbek 28.7.2003, FamRZ 2004, 55, 56. 433 OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865, 1867. 434 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu § 1741 ff. Rn. 41; Rixe, FamRZ 2011, 1363, 1365 f. 435 Frank, FamRZ 2007, 1693, 1698. 436 BVerfG 31.1.1989, BVerfGE 79, 256 ff.; Helms, S. 44 ff.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
stand.437 Wird eine Adoption aufgehoben (§§ 1759 ff. BGB), leben sogar die rechtlichen Beziehungen zu den leiblichen Eltern wieder auf.438 Seitdem die Adoptionspraxis die pauschale Verdrängung der Ursprungsfamilie aus dem Leben des Kindes verworfen hat und versucht, die Eltern-KindVerhältnisse möglichst real abzubilden, wird die rechtliche Trennung zwar nicht infrage gestellt, die tatsächliche indes mehr und mehr. Vor allem deshalb drängt sich die Frage nach einem Auskunftsrecht der leiblichen Eltern zunehmend auf. Bislang wird in Deutschland die Antwort auf diese Frage außerhalb des Adoptionsrechts gesucht. Wenn zwischen dem Adoptivkind und seinen leiblichen Eltern eine sozial-familiäre Beziehung (Art. 6 Abs. 1 GG) bestand, wird teilweise mithilfe einer umgangsrechtlichen Argumentation ein Auskunftsrecht nach § 1686 BGB konstruiert: Soweit den leiblichen Eltern kraft ehemaliger Verantwortungsübernahme ein Umgangsrecht zugesprochen wird (§ 1685 Abs. 2 BGB), sollen sie ausnahmsweise als Dritte zur Auskunft nach § 1686 BGB berechtigt sein. Doch sind Dritte nach § 1686 BGB eigentlich gerade nicht auskunftsberechtigt. Nur für den biologischen Vater, der unverschuldet keine Möglichkeit hatte, eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, gilt nunmehr nach § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB eine Ausnahme.439 Die Ableitung des Auskunftsanspruchs aus § 1686 BGB reibt sich zwangsläufig am gesetzlichen Adoptionsmodell, das grundsätzlich ein fortbestehendes Umgangsrecht der leiblichen Eltern nicht vorsieht. Insofern bildet § 1686 BGB einen unglücklichen Ausgangspunkt. Ob vor dem Hintergrund der sich wandelnden Adoptionsrealität die Herkunftseltern de lege ferenda ein dem § 1686 BGB inhaltlich vergleichbares Auskunftsrecht erhalten sollen, fordert eine allgemeine Lösung. Dabei kann wertungsmäßig sicherlich in mancher Hinsicht auf die Überlegungen zu § 1686 BGB zurückgegriffen werden. Ein spezieller Auskunftsanspruch der leiblichen Eltern könnte in seiner Struktur den Voraussetzungen nachempfunden werden, die für einen allgemeinen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB gelten. Erstens müsste zwischen den leiblichen Eltern und dem Adoptivkind eine besondere Rechtsbeziehung bestehen.440 Die genetische Verwandtschaft dürfte hierfür nicht ausreichen, da die Abstammung allenfalls ein tatsächliches Element eines 437
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1755 Rn. 18; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1755 Rn. 17; Saar, in: Erman, BGB, § 1755 Rn. 7. 438 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1764 Rn. 10. 439 Vgl. 2. Kapitel B. II. 2. b); Hennemann, in: Münch.Komm., BGB, § 1686 Rn. 4; Götz, in: Palandt, BGB, § 1686 Rn. 2; Jaeger, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 1686 BGB Rn. 1. 440 Vgl. BGH 9.11.2011, FamRZ 2012, 200, 201 ff.; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 601 m.w.N.
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Rechtsverhältnisses sein kann.441 Jedenfalls dort, wo zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Adoptivkind eine sozial-familiäre Beziehung (Art. 6 Abs. 1 GG) bestand oder ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben vorlag, dürfte diese Rechtsbeziehung als Grundlage des Auskunftsanspruchs infrage kommen. Ein Auskunftsanspruch kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Auskunft nicht anstelle eines Umgangs erfolgen soll. Aus teiloffenen Adoptionsformen, die vor allem einen Informationstransfer installieren, soll sich grundsätzlich ein persönlicher Kontakt zwischen den leiblichen Eltern und dem Adoptivkind entwickeln können;442 nicht der Informationskontakt als solcher, sondern dessen tendenziell positiver Beziehungseffekt steht im Vordergrund.443 Das ermöglicht dynamische Kontaktlösungen je nach der Entwicklung des Kindes. Insbesondere in der ersten Eingewöhnungsphase oder in internationalen Adoptionsfällen bildet ein Auskunftsanspruch die einzige Möglichkeit, um spätere Kontaktaufnahmen zu erleichtern. Dass er ebenso die Verlustgefühle bisheriger Eltern lindern und ihre Freigabebereitschaft erhöhen dürfte, sind bloß zusätzliche (positive) Effekte. Grundsätzlich wäre die Informationspreisgabe von der Kindeswohldienlichkeit abhängig zu machen, die allerdings den Besonderheiten von Auskunftsansprüchen im Adoptionskontext Rechnung tragen müsste. Ob deren positiver Nachweis (vgl. § 1686 BGB) zu fordern wäre, ist fraglich. Die Informationspreisgabe – etwa die Übersendung eines aktuellen Fotos des Adoptivkindes, die Mitteilung des Ausbildungsstandes und des allgemeinen Gesundheitszustandes des Kindes, gegebenenfalls ein grober Abriss über die persönliche Entwicklung444 – müsste den Adoptiveltern etwa im Hinblick auf Umfang und Häufigkeit auch zumutbar sein.445 Würde man den leiblichen Eltern de lege ferenda adoptionsrechtlich ein Auskunftsrecht einräumen, müsste es im Konfliktfall freilich auch erzwingbar sein. Sollte im Falle einer teiloffenen Adoption das örtliche Jugendamt für die Vermittlung der Informationen zuständig sein, wäre dies allerdings ein personell erheblicher Mehraufwand, der erst finanziert werden müsste. 441
EuGHMR 13.2.2003, FamRZ 2003, 1367, 1368 – Odièvre/Frankreich m. Anm. Henrich, FamRZ 2003, 1370; Helms, FuR 1996, 178, 188. 442 Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 211, 216. 443 OLG Stuttgart 21.3.2006, FamRZ 2006, 1865 ff.; Bach, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 210, 221 ff.; Brodzinsky, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 145, 149 ff.; Gräfin von Schlieffen, S. 91; Sutter, PFAD 1/2005, 18, 19; Paulitz, ZKJ 2009, 266, 267. 444 So zu § 1686 BGB: OLG Brandenburg 26.7.2007, FamRZ 2008, 638, 639; OLG Hamm 13.5.2003, FamRZ 2003, 1583; OLG Koblenz 17.10.2001, FamRZ 2002, 980 f.; Rauscher, in: Staudinger, BGB, § 1686 Rn. 14; Kasenbacher, NJW-Spezial 2012, 4 f. 445 Vgl. allgemein: BGH 6.2.2007, NJW 2007, 1806, 1808; 9.11.2011, FamRZ 2012, 200, 201 ff.; Krüger, in: Münch.Komm., BGB, § 260 Rn. 18, 20; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 601.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
2. Auskunftsvereinbarungen In der gegenwärtigen geöffneten Adoptionsrealität, die einen (anonymen) Informationsaustausch zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptiveltern etabliert, steht nicht die Frage nach einem separaten Auskunftsrecht im Vordergrund. Für die leiblichen Eltern ist dort vielmehr von Interesse, ob sie kraft der Vereinbarung, die der teiloffenen Adoption zugrunde liegt, die beschlossene Informationspreisgabe durch die Adoptiveltern erzwingen können. Ob sie also ein Auskunftsrecht kraft getroffener Vereinbarung besitzen.446 Ein erzwingbares Auskunftsrecht käme nur dort in Betracht, wo sie ihre Vereinbarung als vollstreckbaren gerichtlich gebilligten Vergleich im Sinne von § 156 Abs. 2 FamFG schließen würden. Hierin lassen sich auch Bestimmungen aufnehmen, die die Beteiligten dazu verpflichten, sich gegenseitig in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung des Kindes, zum Beispiel über dessen Schulnoten, zu informieren.447 Wäre es de lege ferenda möglich, dass etwa die leiblichen Eltern und die Adoptiveltern ihr Adoptionsarrangement als Vergleich im Sinne von § 156 Abs. 2 FamFG schließen können, könnten die leiblichen Eltern die Vollstreckung der Auskunftsvereinbarung anstreben, sollten sich die Adoptiveltern über diese Verpflichtung hinwegsetzen.448 Rechtlich abgesicherte individuelle Auskunftsvereinbarungen würden erzwingbare Umgangskontaktvereinbarungen ergänzen: Sie wären ein weiterer Schritt hin auf dem Weg zu einem reformierten, flexiblen Adoptionsfürsorgerecht. IV. Inkognitoadoption und Adoptionsgeheimnis de lege ferenda Nach geltendem Recht ist die Inkognitoadoption, bei der die Ursprungsfamilie weder Name noch Anschrift der Adoptiveltern kennt, der gesetzlich intendierte Regelfall (§ 1747 Abs. 2 S. 2 BGB), der durch das Adoptionsgeheimnis (§ 1758 Abs. 1 BGB) abgesichert wird.449 Allerdings ist die Inkognitoadoption fakultativ, weshalb auch geöffnete Adoptionsformen möglich sind, deren Umsetzung aber im Einzelfall mit den §§ 1747 Abs. 2 S. 2, 1758 Abs. 1 BGB kollidiert.450 Dieser Befund verwundert nicht, schließlich haben sich die zugrundeliegenden Wertungen gewandelt. Wäh446 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 51; für das schweizerische Recht: Cottier, Information & Recht 2002, 31, 50 m.w.N. 447 Hammer, S. 319; Bergschneider, Familiensachen, Rn. 271 ff. (S. 87 f.); Krenzler, S. 9 ff., 22; Oelkers/Oelkers, FPR 2000, 250, 253. 448 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) cc) (2). 449 Vgl. 2. Kapitel A. 450 Vgl. 2. Kapitel C. II. 1. a).
C. Wirkungen der Adoption
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rend die Inkognitoadoption mithilfe des Adoptionsgeheimnisses auf den tatsächlichen Beziehungsabbruch abzielt, wurde diese pauschale Prämisse mittlerweile verworfen: Im Rahmen der modernen Adoptionsforschung und der geöffneten Vermittlungspraxis steht die Einbeziehung ehemaliger Bezugspersonen in die Adoptivfamilie, nicht deren Verdrängung, im Vordergrund.451 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung erscheint es äußerst fraglich, ob an der voraussetzungslosen Inkognitoadoption festzuhalten ist.452 Ebenso ist es an der Zeit, die Einseitigkeit und Reichweite des Adoptionsgeheimnisses (§ 1758 Abs. 1 BGB) zu hinterfragen.453 De lege ferenda ist zu bedenken, dass die gesetzliche Festlegung auf eine Adoptionsform problematisch ist. Ein gesetzlicher Adoptionstyp ist außerstande, die vielfältigen Fürsorgekonstellationen angemessen zu bewältigen. Die Inkognitoadoption ist eine Adoptionsform neben anderen. Dieser Pluralismus wird durch das geltende Leitbild der Inkognitoadoption verzerrt. Sie hat exklusiv dort ihre Berechtigung, wo eine geöffnete Adoptionsform nicht infrage kommt. Insbesondere in den Fällen, in denen die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung für das Adoptivkind bei Kontakten mit der Herkunftsfamilie droht, ist der einseitige Schutz der Adoptivfamilie geboten.454 Auf diesen Anwendungsbereich ist die Inkognitoadoption de lege lata aber nicht beschränkt. Vielmehr ließ der Gesetzgeber sie unabhängig von besonderen Voraussetzungen zu (§ 1747 Abs. 2 S. 2 BGB).455 Eine Reformlösung müsste erwägen, den Anwendungsbereich der Inkognitoadoption rechtlich einzugrenzen.456 Geöffnete Adoptionsformen sollten der gesetzlich intendierte Regelfall werden,457 was teiloffene und offene Adoptionsformen einschließt, die bloß theoretisch abgrenzbare Unterkategorien „geöffneter“ Adoptionen bilden.458 451
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1747 Rn. 17, Fn. 2 und Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38 ff. m.w.N.; Bach, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 210, 221 f.; Textor, in: Hoksbergen/Textor (Hrsg.), S. 35 f., 44 ff.; Baumann-Zipplies/Donnert, in: Smentek (Hrsg.), S. 79 ff.; Gräfin von Schlieffen, S. 134; Rose, S. 1; Schreiner, S. 131 ff.; Roth, ZfJ 1986, 258; Textor, NDV 1991, 107 ff.; Sutter, PFAD 1/2005, 18, 19; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1696 ff.; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 32 f.; Paulitz, ZKJ 2009, 266, 267. 453 Vgl. Maurer, in: Münch.Komm., Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 51; Frank, FamRZ 2007, 1693, 1698. 454 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 20. 455 BT-Drucks. 7/3061, S. 21. 456 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 43; wohl auch Bach, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 210, 221 f.; so für die Schweiz: Cottier, Information & Recht 2002, 31, 55; Pfaffinger, FamPra.ch 2008, 1, 43 ff.; vgl. die Rechtslage in Tschechien bei Westphalova, FamRZ 2012, 1459, 1461. 457 Vgl. Paulitz, S. 168; so für Großbritannien: Eekelaar, in: Bainham/Lindley/Richards/Trinder (Hrsg.), S. 253, 266. 458 Vgl. 2. Kapitel C. I. 452
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
Eine Inkognitoadoption dürfte hingegen nur ausnahmsweise dann gewählt werden, wenn ein legitimer Grund dafür besteht, das Kind vor seiner Herkunftsfamilie abzuschotten. Hier ist insbesondere an Konstellationen zu denken, in denen die Herkunftseltern den Kontakt mit dem Adoptivkind verweigern, er die Gefahr einer Re-Traumatisierung des Kindes in sich birgt oder das Kind eine erhebliche Bindungsstörung (Deprivation) aufweist, bei der fortgesetzter Kontakt eine sichere Bindung an die Adoptivfamilie vereiteln würde.459 Diese Grenzen geöffneter Adoptionen sind allerdings bislang nur im Ansatz sozialwissenschaftlich untersucht, weshalb insofern Erhebungsbedarf besteht.460 Auf diese Fallgestaltungen würde sich auch der innerfamiliäre Anwendungsbereich des Offenbarungsverbots (§ 1758 Abs. 1 BGB) beschränken, der im Zuge der geöffneten Adoptionspraxis faktisch bereits zurückgedrängt wurde. Gegenüber Dritten behielte das Adoptionsgeheimnis seine Geltung. Ein reformiertes Adoptionsrecht sollte die Flexibilisierung der Adoptionsformen abbilden, die sich in der Praxis durchgesetzt hat.461 Soll im Regelfall eine geöffnete Adoption stattfinden, die insbesondere die Identität beider Elternpaare offenlegt, sind gegenläufige Grundsatzwertungen des Gesetzes nicht angebracht. Das geltende Adoptionsrecht sendet insofern ein falsches Signal, indem es den Beziehungsabbruch nahelegt. Angesichts dieser gesetzlichen Weichenstellung verwundert der Vorwurf an einzelne deutsche Jugendämter nicht, sie würden strukturell darauf hinwirken, bestehende Kindesbindungen zu kappen statt zu erhalten.462 Hier sollte das Recht steuernd eingreifen und unterstreichen, dass ehemalige Bezugspersonen des Kindes grundsätzlich auch nach der Adoption ein entscheidender Teil der spezifischen Adoptionsbiografie sind.
D. Pflegekindschaft und Adoption I. Problemstellung Das moderne Adoptionsrecht steht vor einem Dilemma. Grundsätzlich soll es jedem dauerhaft hilfsbedürftigen Kind ermöglichen, in einer Adoptivfamilie aufzuwachsen.463 Ob dieser Anspruch verwirklicht werden kann, hängt aber in erster Linie vom Willen der Mutter des betroffenen Kindes 459
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. 2. Kapitel C. I. 461 Muscheler, FPR 2008, 496, 498. 462 Vgl. BT-Drucks. 17/12200, S. 344; Petitionsausschuss, Arbeitsdokument, S. 3 ff.; ders., Zusammenfassung, S. 2 ff.; Hummel, FAZ 24.11.2011, 6; dies., FAZ 26.11.2011, 3. 463 BT-Drucks. 7/3061, S. 15. 460
D. Pflegekindschaft und Adoption
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ab; das Einwilligungsrecht ist eben in erster Linie ein Blockaderecht.464 Die mütterliche Entscheidungshoheit (§ 1747 Abs. 1 S. 1 BGB) zu respektieren und gleichzeitig den proklamierten Fürsorgeanspruch konsequent umzusetzen, ist dem geltenden Adoptionsrecht nur sehr eingeschränkt gelungen. Der Adoption kommt als Mittel der Kinder- und Jugendhilfe nur eine untergeordnete Bedeutung zu: Im Jahr 2012 wurden 3.886 minderjährige Kinder adoptiert; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060; (2010) 4.021; (2009) 3.888; (2008) 4.201; (2007) 4.509.465 Diese Zahl wird zusätzlich geschmälert, differenziert man nach den verschiedenen Adoptionsarten: Regelmäßig stellt bloß die Adoption eines familienfremden Minderjährigen eine Fürsorgemaßnahme dar, während insbesondere die Stiefkindadoption eine tatsächlich bestehende Lebensgemeinschaft des Kindes rechtlich nachvollzieht, ohne dabei ein Pflege- oder Erziehungsdefizit zu beseitigen.466 In der Praxis dominieren in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Minderjährigenadoptionen mittlerweile aber Stiefkind- und Verwandtenadoptionen (zusammen circa 60 %), während Fürsorgeadoptionen familienfremder Kinder (rund 40 %) eher rückläufig sind: Im Jahr 2007 fanden 2.038 Minderjährigenadoptionen durch Familienfremde statt; die entsprechenden Zahlen für die nachfolgenden Jahre sehen wie folgt aus: (2008) 1.919; (2009) 1.692; (2010) 1.669; (2011) 1.690; (2012) 1.543.467 Hilfsbedürftige Kinder befinden sich deshalb überwiegend entweder in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) oder in Fremdunterbringung (vgl. § 34 SGB VIII). In Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII befanden sich im Jahr 2012 64.851 Kinder, wobei rund 75 % von ihnen in einer Fremdfamilie untergebracht waren; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 61.894; (2010) 60.451; (2009) 57.452; (2008) 54.429; (2007) 49.673.468 In Heimen oder betreuten Wohnformen (§ 34 SGB VIII) lebten im Jahr 2012 hingegen 66.711 Kinder; auch deren Zahl nahm im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren zu: (2011) 65.367; (2010) 63.191; (2009) 60.902; (2008) 58.690; (2007) 52.793.469 Statistisch nicht erfasst ist die Zahl inoffizieller Pflegeverhältnisse, die auf der Grundlage des Mikrozensus 1991, 1995 und 2000 allerdings auf 125.000 Fälle 464
Vgl. 2. Kapitel B. I. 2. Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. Ungefähr einem Drittel familienfremder Minderjährigenadoptionen geht eine Vollzeitpflege voraus (vgl. Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2010, S. 7); die Adoption vollzieht hier die tatsächlichen Verhältnisse rechtlich bloß nach. 466 Frank, S. 21 f.; ders., StAZ 2010, 324 ff.; FamRZ 2007, 1693, 1695 f. 467 Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. 468 Statistisches Bundesamt, Vollzeitpflege 2007–2012. 469 Statistisches Bundesamt, Heimerziehung 2007–2011; dass., Vollzeitpflege 2012. 465
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
geschätzt wurden; 0,89 % aller Minderjährigen lebten demnach in einem Pflegeverhältnis.470 Hätten Pflegekindschaft und Fremdunterbringung einerseits sowie die familienfremde Minderjährigenadoption andererseits verschiedene Anwendungsbereiche, wäre deren unterschiedliche Verteilung nachvollziehbar. In Bezug auf eine zentrale Fürsorgekonstellation ist dies jedoch nicht der Fall: Ein Minderjähriger, der dauerhaft ohne Eltern(teil) aufwächst, kann sich prinzipiell in sämtlichen Hilfeleistungsverhältnissen wiederfinden,471 die sich in ihren rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen erheblich voneinander unterscheiden. Mindestens 30 % der Minderjährigen,472 die sich in Vollzeitpflege befinden, verbleiben dort dauerhaft (§ 33 S. 1 SGB VIII), ohne nach einer vorübergehenden Betreuung in ihre Herkunftsfamilie zurückzukehren: Betroffen waren demnach – bezogen auf das Jahr 2012 – mindestens 20.000 Kinder.473 Eine statistische Erfassung der Anzahl von Kindern in Dauerpflege erfolgt nicht und wäre auch schwierig, weil der Begriff „Dauerpflege“ keiner exakten Definition zugänglich ist. Ab wann ein Kind „dauerhaft“ von seiner Herkunftsfamilie getrennt ist, entscheidet in erster Linie das kindliche Zeitempfinden. Während bei Kleinkindern in aller Regel bereits nach kurzer Zeit eine endgültige Trennung von den ehemaligen Bezugspersonen erfolgt, dauert es bei Heranwachsenden Monate oder gar Jahre, bis sie sich ihrer Ursprungsfamilie endgültig entfremden.474 Geht man davon aus, dass sogar rund 60 % der Kinder in Vollzeitpflege dauerhaft dort verbleiben,475 wären im Jahr 2012 entsprechend ungefähr 40.000 Minderjährige betroffen gewesen.476 Für Kinder, deren Eltern langfristig als Erziehungsverantwortliche ausscheiden, ist jedoch eigentlich oftmals die Adoption der Dauerpflege vorzuziehen: Die Adoptiveltern erhalten den rechtlichen Elternstatus, der für das Kind eine verlässliche Entwicklungsperspektive schafft.477 Fallen 470
Kindler/Scheurer-Englisch/Gabler/Köckeritz, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 128, 130 m.w.N. 471 Krit., wenn Kinder von Familie zu Familie weitergereicht werden: BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 852, Rn. 77. 472 Kindler/Scheurer-Englisch/Gabler/Köckeritz, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 128, 130 (circa 40 % sehr lange in Dauerpflege); Jordan, FPR 2004, 468 m.w.N. (Dauerpflege treffe 30–40 % der Kinder in Vollzeitpflege); ähnlich Späth, in: Krolzik (Hrsg.), S. 45, 55. 473 Insgesamt befanden sich im Jahr 2012 64.851 Kinder in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII (Statistisches Bundesamt, Vollzeitpflege 2012). 474 Schorn, S. 56 f.; vgl. Salgo, FamRZ 2013, 343, 344 f. 475 Salgo, in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), S. 36, 37; ders., S. 368; ders., FPR 2004, 419, 422. 476 Im Jahr 2012 befanden sich 64.851 Kinder in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII (Statistisches Bundesamt, Vollzeitpflege 2012). 477 Vgl. 2. Kapitel C. I.
D. Pflegekindschaft und Adoption
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rechtlicher und sozialer Elternstatus auf lange Sicht auseinander, wird dieser Umstand als kindeswohlwidrig eingestuft.478 Entwicklungspsychologisch erfordern stabile Bindungen zwischen einem Kind und seinen unmittelbaren Bezugspersonen eine verlässliche Basis, damit die kindliche Identitätsbildung gelingt.479 In diesem Sinne ist es auch verfassungsrechtlich konsequent, das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) an die Wahrnehmung der Elternpflicht zu koppeln.480 Trotz dieses wünschenswerten Effekts der Kindesannahme ist die Minderjährigenadoption de lege lata keine realistische Möglichkeit, um das Gros der Dauerpflegeverhältnisse zu beenden.481 Das ändert auch der Auftrag der §§ 36 Abs. 1 S. 2, 37 Abs. 1 S. 4 SGB VIII nicht, der vorsieht, dass langfristige Pflegeverhältnisse möglichst in Adoptionen überführt werden sollen. Um den Fürsorgeauftrag aber nicht gänzlich vom Elternwillen abhängig zu machen, existiert § 1748 BGB: Danach kann die Kindesannahme in besonderen Ausnahmefällen auch gegen den Willen der einwilligungsberechtigten Eltern ermöglicht werden – sogenannte Zwangsadoption. Die elterliche Einwilligung wird gerichtlich grundsätzlich erst dann ersetzt, wenn Eltern ihre Verantwortung gegenüber dem Kind schuldhaft verletzt haben (§ 1748 Abs. 1 und 2 BGB). Nur ausnahmsweise ist nach § 1748 Abs. 3 BGB die Ersetzung auch ohne schuldhaftes Elternverhalten zulässig, wenn ein Elternteil wegen einer besonders schweren psychischen Krankheit oder einer besonders schweren geistigen oder seelischen Behinderung zur Pflege und Erziehung des Kindes dauernd nicht in der Lage ist und das Kind ohne Adoption in seiner Entwicklung schwer gefährdet wäre.482 Die Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung dient dem Zweck, fürsorgebedürftigen Kindern das Aufwachsen in einer Adoptivfamilie gegen den Willen ihrer bisherigen Eltern zu ermöglichen.483 Praktisch erfüllt § 1748 BGB diesen Anspruch aber nur selten: Im Jahr 2012 wurden bei 3.886 Adoptionen nur 255 Ersetzungen vorgenommen; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 4.060: 256; (2010) 4.021: 248; (2009) 3.888: 313; (2008) 4.201: 478
Vgl. Schorn, S. 64 f.; Jordan, FPR 2004, 468, 469. Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 41 ff.; Hoksbergen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 46, 63; Schorn, 65 f. 480 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 143. 481 BT-Drucks. 17/12200, S. 344; Bundesministerium der Justiz, Abschlussbericht, S. 44 f.; Kindler/Scheurer-Englisch/Gabler/Köckeritz, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 128, 136 m.w.N. 482 Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 884 f.; Hoffmann, JAmt 2003, 453, 456. 483 BT-Drucks. 7/421, S. 5; BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 122; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 1; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1748 Rn. 1. 479
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
304; (2007) 4.509: 345.484 Der Grund hierfür ist kein Mangel an langfristig fürsorgebedürftigen Kindern. Die Ursache liegt vielmehr darin, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1748 BGB verschuldensabhängig sind. Demgegenüber befindet sich ein Großteil der auf Dauer bei Pflegeeltern untergebrachten Kinder dort, ohne dass dies auf ein schuldhaftes Versagen der Eltern zurückzuführen ist. Kinder, deren Eltern langfristig aus ihrer treuhänderischen Elternverantwortung ausscheiden, finden gegen deren Willen regelmäßig über § 1666 Abs. 1 BGB den Weg in fremde Obhut. Danach ist das Gericht ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um eine Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. Kraft Zeitablaufs entstehen mit fortschreitender Dauer der Fremdplatzierung neue Lebensbedingungen für das Kind, die sich – in Abhängigkeit vom Alter des betroffenen Minderjährigen – kaum mehr revidieren lassen (vgl. § 1632 Abs. 4 BGB).485 Deshalb fällt bei den Kindern, die in einer Pflegefamilie eine neue soziale Familie finden, die soziale und rechtliche Elternschaft dauerhaft auseinander, ohne dass § 1748 BGB daran etwas ändern könnte.486 Der bestehende Dualismus verschiedener Kinderschutzsysteme wird de lege lata schon jahrzehntelang kritisiert, weil die Adoption aufgrund ihrer sicheren Statuszuordnung gegenüber Formen dauerhafter Familienpflege zwar grundsätzlich vorzugswürdig ist, aber praktisch kaum zum Zug kommt.487 Um diese erstrebenswerte Adoptionswirkung notfalls auch gegen den Willen der Eltern herbeizuführen, wurden bislang im Wesentlichen nur Lösungsvorschläge unterbreitet, die den Anwendungsbereich des § 1748 BGB erweitern wollten. II. Historische Lösungsansätze 1. Einführung der Zwangsadoption Dass die elterliche Einwilligung in die Adoption nach § 1748 BGB gerichtlich ersetzt werden kann, ist – historisch gesehen – keine Selbstverständlichkeit. In der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gab es keine solche Ersetzungsmöglichkeit. Das erklärt sich aus dem historischen Zweck der Adoption: Sie war in erster Linie ein Institut, das den Interessen der Annehmenden diente.488 Deren Motive, wie Erb- oder Namensnachfolge, hätten eine Zwangsadoption niemals gerechtfertigt. Vielmehr wurden allgemeine gerichtliche Kindesschutzmaßnahmen ergriffen 484
Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 47 ff. 486 Vgl. Coester, FamRZ 1991, 253, 259 f.; Salgo, ZfJ 2004, 410, 412. 487 Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 38 ff. m.w.N. 488 Vgl. Mot. IV, 953. 485
D. Pflegekindschaft und Adoption
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(vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG), wenn Eltern trotz defizitärer Erziehungssituation mit einer – aus Sicht des Kindeswohls eigentlich gebotenen – Adoption nicht einverstanden waren. Insbesondere dann, wenn eine Mutter ihre Einwilligung in eine Adoption dauerhaft nicht erteilte, obwohl damit ein unverhältnismäßiger Nachteil für das Kind verbunden war, wurde das Kind der traditionell ohnehin bevorzugten Heimerziehung anvertraut. Die Einführung der Zwangsadoption geht maßgeblich auf die Initiative der Jugendämter als Adoptionsvermittlungsstellen zurück. Die Vormundschaftsgerichte sind dem Vorstoß der Jugendämter gefolgt: Obwohl bis ins Jahr 1961 formal eine Adoption jedenfalls gegen den Willen der Mutter grundsätzlich nicht erfolgen konnte (§ 1747 Abs. 1 BGB a.F.), bestätigten einige Gerichte den Kindesannahmevertrag nach § 1741 S. 2 BGB a.F. selbst dann, wenn die Mutter ihre Einwilligung in die Adoption verweigert hatte.489 Dies sollte dort möglich sein, wo nach Auffassung der Rechtsprechung die Verweigerung der Einwilligung aus unsachlichen Gründen in missbräuchlicher Weise erfolgte.490 Ob die gesetzlich nicht vorgesehene Ersetzung der elterlichen Einwilligung zulässig war, ließ der Bundesgerichtshof demgegenüber ausdrücklich offen, gleichzeitig forderte er den Gesetzgeber zur Klarstellung auf.491 Dieser ermöglichte dann mit Gesetz vom 11.8.1961492 im Ausnahmefall die gerichtliche Ersetzung der elterlichen Einwilligung (§ 1747 Abs. 3 BGB a.F.), wenn ein Elternteil „seine Pflichten gegenüber dem Kind dauernd gröblich verletzt oder die elterliche Gewalt verwirkt hat, und wenn er die Einwilligung böswillig verweigert und das Unterbleiben der Annahme an Kindes Statt dem Kinde zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde“. Hierbei standen dem Gesetzgeber exakt diejenigen Fallkonstellationen vor Augen, die zuvor in der Rechtspraxis abweichend vom geltenden Recht entschieden worden waren.493 Die Neuregelung sollte das Elternrecht und das kindliche Schutzbedürfnis zum Ausgleich bringen – die Adoption galt fortan als Kindesschutzmaßnahme.494 Die ursprüngliche Adoption des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde nach und nach zu einer Fürsorgemaßnahme umkonstruiert, wozu die Ersetzungsbefugnis des § 1747 Abs. 3 BGB a.F. den Grundstein legte. Bald nach Einführung der Zwangsadoption kamen Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit auf. Schon 1963 strengte das Oberlandesgericht Stutt489 Engler, in: Staudinger, BGB, 10./11. Aufl. 1969, § 1747 Rn. 37; Willutzki, ZKJ 2007, 18 f. 490 Vgl. Engler, in: Staudinger, BGB, 10./11. Aufl. 1969, § 1747 Rn. 37. 491 BGH 18.4.1958, BGHZ 27, 126, 131. 492 BGBl. I 1961, 1221. 493 BT-Drucks. 3/530, S. 21. 494 Vgl. BT-Drucks. 3/530, S. 21 f.
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gart eine konkrete Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht an, weil es § 1747 Abs. 3 BGB a.F. nicht mit Art. 6 Abs. 2, 3 GG für vereinbar hielt.495 Die Richter stützten ihre Überzeugung im Wesentlichen auf zwei Überlegungen: Zunächst nahmen sie an, dass der Ausnahmecharakter der Regelung nicht gewahrt sei, da unbestimmte Rechtsbegriffe gewählt worden seien.496 Das tragende Argument aber war, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ein Elternrecht gewährleiste, das nicht unwiederbringlich entzogen werden dürfe. Das sei aber bei der Adoption der Fall, weil sie nur ausnahmsweise aufgehoben werden könne. Nur der Entzug der „tatsächlichen Ausübung“, nicht aber der Verlust des Elternrechts an sich, sei mit dem Grundgesetz vereinbar.497 Dieser Auffassung ist das Verfassungsgericht nicht gefolgt. Es erklärte vielmehr die Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung nach § 1747 Abs. 3 BGB a.F. für verfassungskonform.498 Dass die damals gesetzlich vorgesehene schwache Adoption aufgrund der Praxis der Inkognitoadoption faktisch die Rechtswirkungen einer Volladoption entfaltete, war dem Bundesverfassungsgericht durchaus bewusst, als es über die Ersetzungsmöglichkeit judizierte.499 Zunächst stellte das Bundesverfassungsgericht klar, welche Bestimmung des Art. 6 GG vorrangig von der Regelung des § 1747 Abs. 3 BGB a.F. betroffen war: Weil die damaligen Wirkungen der schwachen Adoption erst mit Bestätigung des Annahmevertrages eintraten (§§ 1741 S. 2, 1754 Abs. 1 BGB a.F.), sei nicht die rechtliche Zugehörigkeit des Kindes (Art. 6 Abs. 1 GG), sondern die Eltern-Kind-Beziehung (Art. 6 Abs. 2, 3 GG) durch die Ersetzungsmöglichkeit betroffen.500 Da die Eltern bei einer Adoptionsfreigabe ihres Kindes hauptsächlich darin einwilligten, dass die elterliche Gewalt auf die Annehmenden übergehe (§ 1765 Abs. 1 BGB a.F.), sei in erster Linie das Eltern-Kind-Verhältnis von einer Ersetzung der elterlichen Einwilligung berührt.501 Art. 6 Abs. 3 GG sei hingegen nicht angetastet. Die Adoption führe zu keiner tatsächlichen Trennung, da die Wegnahme des Kindes regelmäßig bereits im Vorfeld der Adoption zum Zwecke einer Fremdunterbringung des Kindes erfolgt sei, etwa aufgrund des Entzugs der elterlichen Sorge (§ 1666 BGB), des Personensorgeoder Aufenthaltsbestimmungsrechts.502 495
OLG Stuttgart 8.11.1963, FamRZ 1964, 51. OLG Stuttgart 8.11.1963, FamRZ 1964, 51, 54. 497 OLG Stuttgart 8.11.1963, FamRZ 1964, 51, 52 f. 498 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119 (Leitsatz 5a). 499 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 153. 500 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 136. 501 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 137 f. 502 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 139. 496
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Art. 6 Abs. 2 GG gewährleiste kein unantastbares Elternrecht kraft biologischer Abstammung, sondern nur ein Recht auf Pflege und Erziehung.503 Dieses begrenzte Recht könne dort verwirkt werden, wo es zum Nachteil des Kindes ausgeübt werde; das verdeutliche seine Gewährleistung als Pflicht.504 Eltern, die ihrem Erziehungsauftrag nicht nachkämen, stünde das „natürliche“ Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG nicht länger zu, da sie den Namen Eltern nicht mehr „verdienten“.505 Wobei nur diejenigen Eltern ihre elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 GG an den Staat verlieren, die derart versagt haben, dass das prinzipiell vorrangige Elternrecht in verhältnismäßiger Art und Weise zum Schutz des Kindes entzogen werden müsse.506 Der Staat übe sein Wächteramt dadurch aus, dass er das betroffene Kind an Dritte vermittele. Da eine längere Heimunterbringung aber zu Entwicklungsstörungen des Kindes führe, und notwendige stabile Beziehungen nur in einer Adoptivfamilie gebildet werden könnten, sei in einem solchen Fall die Adoption das einzig geeignete Reaktionsmittel.507 § 1747 Abs. 3 BGB a.F. trage als eng begrenzte Ausnahmevorschrift für Zwangsadoptionen diesem Anspruch insbesondere dadurch angemessen Rechnung, dass im Einzelfall eine individuelle Prüfung erfolge und kein schematischer Entzug des Kindes möglich sei.508 Formal konnte fortan eine Annahme an Kindes statt gegen den Willen der Eltern durchgeführt werden. Rechtlich war damit ein irreversibler Verlust des elterlichen Sorge- und Umgangsrechts verbunden sowie vorrangige Unterhaltspflichten der Annehmenden. Faktisch jedoch waren die Wirkungen weitreichender: Aufgrund der überwiegend praktizierten Inkognitoadoption wurden sämtliche Beziehungen zur alten Familie gekappt. Die neu geschaffene Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung hatte sich als verfassungsgemäß durchgesetzt und ist seitdem ein fest etablierter Bestandteil im deutschen Adoptionsrecht. 2. Gesetzliche Erleichterungen der Zwangsadoption a) Überblick Die Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung wurde später mehrfach erweitert.509 In der Praxis bot sie nämlich oft keine ausreichende Handhabe, um Adoptionen gegen den Willen der betroffenen Eltern durch503
BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 142 f. BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 143 f. 505 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 150. 506 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 144 f. 507 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 148. 508 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 151. 509 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 3 ff. 504
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zusetzen.510 Vor allem eine Fallgestaltung trat zunächst auf, die in der Regel nicht zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung berechtigte: Es ging um Fälle, in denen ein Kind, dessen Eltern über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt mehr mit ihm gepflegt hatten, in einem Heim oder einer Pflegefamilie untergebracht war. Gleichzeitig verweigerten die Eltern aber die Einwilligung in eine Adoption. Um in dieser Konstellation die Durchführung einer Zwangsadoption zu erleichtern, wurden die Anforderungen des § 1747 Abs. 3 BGB a.F. bereits im Jahr 1973 – im Rahmen einer Vorwegnahme der Gesamtreform – abgeschwächt.511 Die erweiterte Möglichkeit zur Ersetzung nach § 1747a Abs. 3 BGB a.F. war ausschließlich an enge objektive Voraussetzungen geknüpft; das frühere subjektive Erfordernis der „Böswilligkeit“ wurde ersatzlos gestrichen, da es in der Praxis das Haupthindernis war, eine Einwilligung zu ersetzen.512 Die Ersetzung der elterlichen Einwilligung war nunmehr gemäß § 1747a Abs. 1 S. 1 BGB a.F. schon dann möglich, wenn ein Elternteil „seine Pflichten gegenüber dem Kinde anhaltend gröblich verletzt hat oder durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist, und wenn die Annahme an Kindes Statt dem Kinde zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde“513. Anstelle einer anhaltenden Pflichtverletzung war nach § 1747a Abs. 1 S. 2 BGB a.F. auch ein einmaliges, aber besonders schweres Fehlverhalten ausreichend, damit die Einwilligung auf Antrag des Kindes ersetzt werden konnte, wenn das Kind infolge des Fehlverhaltens dauerhaft nicht mehr bei seinen Eltern leben konnte. Erstmals wurde die Ersetzung der Einwilligung ermöglicht, weil ein Elternteil „wegen besonders schwerer geistiger Gebrechen zur Pflege und Erziehung des Kindes dauernd unfähig ist“ (§ 1747a Abs. 3 BGB a.F.).514 Die abgemilderte Neufassung des § 1747 Abs. 3 BGB a.F. stieß in der Literatur auf Kritik:515 Auch sie könne dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt sein. Schließlich dehne die anstehende Gesamtreform die Wirkungen der Adoption erheblich aus. Das Bundesverfassungsgericht habe die Ersetzung der elterlichen Einwilligung aber gerade mit Blick auf die vielen fortbestehenden Beziehungen zwischen Kind und Ursprungsfamilie gebilligt. Diese Bedenken griffen im Ergebnis jedoch nicht durch. Zwar wurde formal die schwache Adoption erst im Zuge der Gesamtreform im Jahr 1976 durch die Volladoption abgelöst, aufgrund der herrschenden Inkog510
Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 4; Oberloskamp, FamRZ 1973, 286, 288 f. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Adoptionsrechts (BGBl. I 1973, 1013). 512 Vgl. BT-Drucks. 7/421, S. 9. 513 Kursivsetzung durch den Verfasser. 514 BT-Drucks. 7/421, S. 11; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 4. 515 Jayme, FamRZ 1973, 14, 16; Gernhuber, FamRZ 1973, 229, 240. 511
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nitopraxis fand faktisch jedoch keine Änderung des bisherigen Rechtszustands statt.516 Auch der Reformgesetzgeber des Jahres 1976 teilte die erhobenen Bedenken nicht. Er habe bereits im Rahmen der Vorabnovelle berücksichtigt, dass die Volladoption eingeführt werde, insofern sei die Ersetzungsmöglichkeit verfassungskonform ausgestaltet worden.517 Folglich übernahm er unter bloßen redaktionellen Änderungen die im Jahr 1973 geschaffene gerichtliche Ersetzungsmöglichkeit als § 1748 BGB a.F., dessen Abs. 1 mit § 1748 Abs. 1–Abs. 3 BGB weitgehend übereinstimmt.518 § 1748 Abs. 1 S. 1 BGB, der eine gröbliche Verletzung, Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind und einen unverhältnismäßigen Nachteil bei Ausbleiben der Adoption verlangt, ist in den seltenen Fällen einer Ersetzung der Einwilligung wohl der häufigste Ersetzungsgrund.519 Obwohl die Voraussetzungen der Zwangsadoption abgesenkt worden sind, wurde die Anzahl von Fürsorgeadoptionen nicht signifikant erhöht. Dieses Ziel hat auch die jüngste Erweiterungsnovelle verfehlt: Im Zuge des Kindschaftsrechtsreformgesetzes aus dem Jahr 1997520 wurde § 1748 Abs. 4 BGB eingeführt, der erstmalig eine Möglichkeit zur Ersetzung der Einwilligung des rechtlichen Vaters vorsieht, der nie sorgeberechtigt war, „wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde“.521 In der Adoptionspraxis bestand ein Bedürfnis für eine derartige Regelung, da typischerweise nichteheliche Kinder von der Adoption betroffen sind,522 deren Väter oft unter § 1748 Abs. 4 BGB fallen.523 Mit der Einführung dieses Tatbestandes war die nächste Etappe der Erweiterung der gerichtlichen Ersetzungsmöglichkeit abgeschlossen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Adoptionsrechts zieht.524 Auch die expressis verbis verschuldensunabhängige Sonderersetzungsbefugnis nach § 1748 Abs. 4 BGB, wonach die Einwilligung eines nicht sorgeberechtigen Vaters ersetzt werden kann, wenn das Unterbleiben der Adoption für das Kind ein unverhältnismäßiger Nachteil wäre, war von
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Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 8 m.w.N. BT-Drucks. 7/3061, S. 20. 518 Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (BGBl. I 1976, 1749); zur redaktionellen Änderung des § 1748 Abs. 2 BGB vgl. Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 871. 519 Vgl. Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 870, 884; dies., ZBlJugR 1980, 581, 583 f. 520 BGBl. I 1997, 2942. 521 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 6. 522 Vgl. 2. Kapitel B. II. 1. 523 Vgl. aber Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 6. 524 Ausführlich zur Geschichte des § 1748 BGB vgl. Longino, S. 60 ff. 517
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Anfang an verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.525 Das geschah nicht zu Unrecht, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2005 zeigte, in dem sich die Karlsruher Richter dem Bundesgerichtshof anschlossen, der bereits zuvor eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung gefordert hatte.526 Seither kann nach § 1748 Abs. 4 BGB die Einwilligung des rechtlichen, nicht sorgeberechtigten Vaters nur dann ersetzt werden, wenn er schuldhaft kein Verhältnis zu seinem Kind aufgebaut hat und die Adoption einen derart immensen Vorteil böte, dass sich ihr ein besonnener Elternteil nicht verweigern würde.527 Die Hürde, die aufgrund der verfassungskonformen Auslegung aufgebaut wurde, ist hoch.528 Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts wurde keine Entscheidung mehr veröffentlicht, die aufgrund von § 1748 Abs. 4 BGB eine Einwilligung ersetzt hätte. Zwar lässt sich noch mehr oder weniger sicher feststellen,529 ob der nichtsorgeberechtigte Vater unverschuldet keine Beziehung zu seinem Kind aufbauen konnte, doch scheidet der erhebliche Vorteil, den die Adoption gegenüber dem Status quo für das Kind bieten muss, oftmals aus; insbesondere sobald eine Stiefkindadoption im Raum steht.530 In dem Fall, über den das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte, lebte der Vater noch zwei Jahre nach der Geburt des Kindes mit der Kindesmutter in einem gemeinsamen Haushalt und pflegte auch nach dem Beziehungsende noch Kontakt mit seinem Kind. Dieser riss ab, als die Kindesmutter einen anderen Mann heiratete. In der Folge beantragte das Ehepaar die Stiefkindadoption durch den Ehemann der Mutter.531 Stiefkindadoptionen ändern aber grundsätzlich nichts an der tatsächlichen Situation des Kindes und dienen keineswegs zwangsläufig seinem Wohl.532 Sie erfolgen regelmäßig nicht, um einem fürsorgebedürftigen
525 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 59 m.w.N.; ders., FamRZ 1998, 393, 394; a.A. Liermann, FamRZ 2003, 1523, 1525. 526 BGH 23.3.2005, BGHZ 162, 357 ff. 527 BVerfG 29.11.2005, FamRZ 2006, 94, 95; BVerfG 27.4.2006, FamRZ 2006, 1355 f.; OLG Köln 22.12.2011, FamRZ 1153; vgl. aber Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16. 528 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 59; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1748 Rn. 16; Meyer, S. 284 f.; Rösler/Reimann, FamRZ 2006, 1356, 1357; Weber, NJW 2006, 3039, 3045; Peschel-Gutzeit, NJW 2005, 3324, 3325 f.; Grziwotz, FamFR 2012, 167. 529 Zweifelnd: Maurer, FamRZ 2006, 96, 97. 530 BVerfG 29.11.2005, FamRZ 2006, 94, 95. 531 BVerfG 29.11.2005, FamRZ 2006, 94. 532 BVerfG 29.11.2005, FamRZ 2006, 94, 95; OLG Köln 20.12.2011, FamFR 2012, 167.
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Kind zum Aufwachsen in einer Familie zu verhelfen.533 Vielmehr konstruieren sie – aufgrund häufig problematischer Motivation534 – eine rechtliche Familie, die sozial längst besteht, ohne ein Mehr an Fürsorge herbeizuführen.535 Oftmals ist das Gegenteil der Fall: Überwiegend erwachsen aus diesem höchst problematischen Familienkonstrukt zusätzliche Probleme für das Kind, weil ein (biologischer) Elternteil mittels der Stiefkindadoption verdrängt wird.536 Der jüngste Versuch zur Erweiterung der gerichtlichen Ersetzungsmöglichkeit (§ 1748 Abs. 4 BGB) ist somit ebenfalls kein wirksames Mittel, um dauerhaft indizierte Fürsorgeadoptionen notfalls gegen den Willen der Eltern zu ermöglichen.537 Allenfalls in seltenen Ausnahmen fungiert § 1748 BGB als Fürsorgeinstrument. Das erkannte schon der historische Gesetzgeber, als er die Möglichkeit zur Ersetzung der Einwilligung im Jahr 1973 erweiterte: „Die Ersetzung […] wird immer die Ausnahme bleiben“538. Die regelmäßig lange Dauer der Verfahren nach § 1748 BGB verstärkt diesen Effekt zusätzlich.539 Die Erweiterung der gerichtlichen Ersetzungsmöglichkeit vermochte es nicht, die Adoption als Kinderfürsorgeinstrument zu etablieren. b) Stellungnahme Vor diesem Hintergrund scheint sich § 1748 Abs. 4 BGB überlebt zu haben. Eine erleichterte Ersetzung der Einwilligung an die Verteilung des Sorgerechts zu knüpfen, verquickt zwei inhaltlich unterschiedliche Sachfragen.540 Solange der nicht sorgeberechtige Vater gegen den Willen der Mutter keine Chance hatte, ein Sorgerecht für sich zu erstreiten (§ 1626a Abs. 2 BGB a.F.), war er doppelt benachteiligt.541 Zum einen erhielt er kein Sorgerecht, musste aber andererseits eine Ersetzung seiner Einwil533
Frank, S. 68 ff.; ders., StAZ 2010, 324 f.; krit. Peschel-Gutzeit, NJW 2005, 3324, 3326 f. 534 Oberloskamp, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 101, 116; Griebel/Fthenakis, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 120 ff., 136 f. 535 Frank, S. 72 f.; ders., StAZ 2010, 324, 325 f.; Muscheler, Frühe Kindheit 5/2004, 27 ff.; Bach, ZfJ 1995, 471, 472 ff. 536 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 44; ders., S. 74 ff.; ders., StAZ 2010, 324, 325 f. 537 Vgl. Meyer, S. 291 ff., die mit gewichtigen Gründen für eine Streichung des § 1748 Abs. 4 BGB plädiert. In der Praxis wird teilweise versucht, über § 1747 Abs. 4 BGB eine aussichtslose Ersetzung (§ 1748 BGB) zu umgehen, krit. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 36. 538 BT-Drucks. 7/421, S. 6. 539 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1748 Rn. 15; Bach, ZfJ 1995, 471, 473. 540 Lipp, JZ 2006, 96, 97; Frank, FamRZ 1998, 393, 394 f. 541 Lipp, JZ 2006, 96, 97.
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ligung nach § 1748 Abs. 4 BGB dulden. Diese Härte ist zwar abgemildert, seitdem dieser Absatz wie oben geschildert restriktiv auszulegen ist,542 doch ist es fragwürdig, in § 1748 BGB zwischen sorgeberechtigen und nicht sorgeberechtigen Vätern zu differenzieren. Die gerichtliche Ersetzung der Einwilligung entscheidet in erster Linie über das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), nicht über die Verteilung des Sorgerechts. § 1748 BGB muss die Frage beantworten, welches (Fehl-)Verhalten einen unfreiwilligen Verlust der Elternstellung rechtfertigt. De lege lata haben Väter nichtehelicher Kinder zwar die Möglichkeit, auch gegen den Willen der sorgeberechtigen Mutter ein geteiltes Sorgerecht zu erstreiten (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB).543 Dieser Streit präjudiziert aber nicht die Frage, ob eine Zwangsadoption (eher) gerechtfertigt ist. Trotz dieser systemwidrigen Verknüpfung und der praktischen Bedeutungslosigkeit des § 1748 Abs. 4 BGB dürfte der Gesetzgeber die Norm wohl erst aufgeben, wenn nicht verheiratete Eltern grundsätzlich gemeinsam sorgeberechtigt sind.544 Eine Ersetzung, der kein schuldhaftes Fehlverhalten der Eltern zugrunde liegt, ist nach geltendem Adoptionsrecht die absolute Ausnahme. Auch die aus Art. 8 Abs. 1 EMRK abgeleiteten Vorgaben betonen den Ausnahmecharakter jeder Zwangsadoption.545 Dies zeigt auch die problematische Härtefallregelung des § 1748 Abs. 3 BGB,546 die praktisch leerläuft.547 Eine Zwangsadoption ist nach diesem Tatbestand ausgeschlossen, wenn das Kind dauerhaft in einer fremden Pflegefamilie aufwächst – nach herrschender Meinung fehlt es insoweit an einer Kindeswohlgefährdung.548 Ob das wirklich zutrifft, ist jedoch zweifelhaft. In diesen Konstellationen erzeugt das dauerhafte Auseinanderfallen von tatsächlicher und rechtlicher Elternschaft regelmäßig Spannungen, die – trotz §§ 1630 Abs. 3, 1632 Abs. 4, 1688 Abs. 1 BGB – für das Kind nachteilig sein dürften (vgl. §§ 36 542
Vgl. 2. Kapitel D. II. 2. a). BT-Drucks. 17/11048, S. 7 ff.; EuGHMR 3.12.2009, FamRZ 2010, 103 ff. – Zaunegger/Deutschland; BVerfG 21.7.2010, BVerfGE 127, 132 ff. 544 Vgl. Schumann, FF 2010, 222, 231. 545 Brötel, S. 427 f. 546 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 54 ff. 547 Vgl. Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 870; eine Ausnahme bildet: OLG Saarbrücken 21.3.2013, ZKJ 2013, 305 ff. 548 BGH 15.10.1996, FamRZ 1997, 85, 85 f.; BayObLG 15.7.1999, FamRZ 1999, 1688, 1690; OLG Schleswig 24.1.2001, FamRZ 2003, 1042; AG Melsungen 21.6.1995, FamRZ 1996, 53, 55; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1748 Rn. 22; a.A. OLG Karlsruhe 15.9.1989, FamRZ 1990, 94, 95 f.; anders im Rahmen des § 1748 Abs. 1 BGB vgl. BGH 5.2.1986, FamRZ 1986, 460, 462; OLG Braunschweig 30.1.1995, FamRZ 1997, 513, 514; OLG Karlsruhe 11.5.1999, FamRZ 1999, 1686, 1687 f.; OLG Frankfurt 23.7.2007, FamRZ 2008, 296, 298. 543
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Abs. 1 S. 2, 37 Abs. 1 S. 4 SGB VIII). 549 § 1748 BGB schützt recht einseitig das Elternrecht und scheut einen Statuswechsel gegen den elterlichen Willen.550 Der Elternstatus beschränkt sich in Dauerpflegefällen regelmäßig darauf, verwandtschaftliche, erbrechtliche und unterhaltsrechtliche Beziehungen sowie eventuell gelegentliche Besuchskontakte zu vermitteln; die Elternverantwortung ist allerdings längst auf die faktischen Eltern übergegangen. Allein aufgrund von Kindeswohlbelangen kann eine Ersetzung der Einwilligung nach § 1748 BGB nicht vorgenommen werden – im Gegensatz zur Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB, die nur auf diesen Maßstab rekurriert. 3. Kritik an einer restriktiven Zwangsadoption Obwohl die Bilanz der historischen Entwicklung ernüchternd ausfällt, wird vereinzelt immer noch gefordert, die Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung auszuweiten, um den sozialpolitischen Anspruch des Adoptionsrechts gegenüber dem elterlichen Entscheidungsprimat zu stärken.551 In diesem Sinne befürwortete jüngst Longino für die Pflegekinderadoption, die bestehenden Ersetzungstatbestände auszudehnen und um einen zusätzlichen Tatbestand zu ergänzen. Dieser soll die Ersetzung nach zwei Jahren Familienpflege ermöglichen, wenn für das Kind eine Perspektive allein in der Pflegefamilie besteht und ihm ohne Adoption ein unverhältnismäßiger Nachteil entstünde.552 Er greift damit eine Kritik an § 1748 BGB auf, die ursprünglich von Schwab formuliert wurde.553 Unbestritten ist, dass eine Adoption in dauerhaften faktischen ElternKind-Verhältnissen auf lange Sicht die beste Stabilisierungsoption darstellt. Nur die Volladoption überträgt die Elternverantwortung mit sämtli549
Coester, in: Staudinger, BGB, § 1666 Rn. 227 m.w.N.; Schwab, Gutachten, S. A 133 m.w.N.; vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 42; Schorn, S. 64 f.; Salgo, S. 90 ff.; ders., ZfJ 2004, 410, 411. Ob auch Pflegeeltern Inhaber des verfassungsrechtlichen Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) sind, wurde ausdrücklich offengelassen von BVerfG 18.5.1993, NJW 1994, 183 f.; abl. wohl noch BVerfG 12.10.1988, BVerfGE 79, 51, 60; krit. Zenz, Gutachten, S. A 44 f. Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt hingegen das sich aus einer familienähnlichen Beziehung ergebende Familienleben von Pflegeeltern mit dem Pflegekind, EuGHMR 17.1.2012, FamRZ 2012, 429 f. (Leitsatz 1) – Kopf und Liberda/Österreich m. Anm. Wendenburg, FamRZ 2012, 430 f.; Grabenwarter/Pabel, S. 237 (Rn. 18). 550 Vgl. Oberloskamp, in: FS Schwab, 2005, S. 869, 885; Lakies, ZfJ 1998, 129, 131. 551 Vgl. exemplarisch: Gawlitta, FamRZ 1988, 807, 808; Peschel-Gutzeit, NJW 2005, 3324, 3328. 552 Longino, S. 88, 106; zur Verfassungsmäßigkeit einer Ersetzungsmöglichkeit kraft Zeitablaufs im Rahmen der geltenden Volladoption: ders., S. 93 ff. 553 Schwab, Gutachten, S. A 133, S. A 138 (Vorschlag 8); ebenso Salgo, S. 246 ff., 377 ff.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
chen Rechten und Pflichten auf die Adoptiveltern und schafft somit eine sichere Perspektive für das Kind.554 Dass diese Rechtswirkung der Volladoption mittlerweile zumindest europäisches Gemeingut ist, zeigt sich auch im revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 2008, das die Volladoption ausdrücklich zur Regelform erklärt (Art. 11 Abs. 1 r. EAÜ).555 In der Fürsorgerealität kommt die Volladoption in diesen Fällen aber regelmäßig nicht zum Zug. Dem Kind werden in Dauerpflegefällen seine Eltern zwar berechtigterweise tatsächlich genommen (§ 1666 BGB), ihm zugleich aber wegen § 1748 BGB neue Eltern verwehrt.556 Der historisch gewachsene Dualismus von Adoption und allgemeinem Kindesschutz (§§ 1666 f. BGB) akzeptiert in Dauerpflegefällen langfristig kindeswohlwidrige Zustände, weil er sich in aller Regel nicht über das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) hinwegsetzen kann. Dies erkennt auch der Gesetzgeber, wenn er feststellt: „Eine umfassende Reform des Pflegekinderwesens steht […] bislang aus“557. Eine erzwungene formelle Statusübertragung scheitert regelmäßig an den strengen Voraussetzungen des § 1748 Abs. 1–Abs. 3 BGB, die de lege lata aber notwendig sind, weil die gesamte Elternverantwortung (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) praktisch irreversibel auf die Adoptiveltern übertragen wird und dadurch bestehende Bindungen gekappt werden, die Art. 6 Abs. 1 GG schützt. Letztlich wird über die Kindesschutznorm des § 1666 Abs. 1 BGB eine faktische Adoptionssituation herbeigeführt, obwohl für eine Zwangsadoption der Maßstab des § 1748 BGB gilt.558 Die Konsequenz sind unsichere rechtliche Rahmenbedingungen für zahlreiche Pflegekinder, die auf eine Reformlösung warten.559 III. Pflegekindschaft und Adoption de lege ferenda 1. Erleichterte Zwangsadoption aufgrund von Kindesinteressen Das moderne Kindschaftsrecht akzeptiert immer weniger ein Elternrecht, das sich massiv über Kindeswohlbelange hinwegsetzt.560 So ist es etwa in 554
Schwab, Gutachten, S. A 67, A 132. Horgan/Martin, International Family Law 2008, 155, 161. 556 Coester, in: Staudinger, BGB, § 1666 Rn. 227 m.w.N.; Gawlitta, FamRZ 1988, 807, 808; Salgo, FamRZ 2013, 343, 344. 557 BT-Drucks. 11/5948, S. 71. 558 § 1748 BGB kann als Ultima Ratio – im Gegensatz zu § 1666 Abs. 1 BGB – die zahlreichen Fallgestaltungen fürsorgebedürftiger Kinder von vornherein nicht erfassen (BT-Drucks. 7/421, S. 7; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1748 Rn. 12). 559 Bundesministerium der Justiz, Abschlussbericht, S. 44 f.; Schorn, S. 86 ff.; Salgo, FamRZ 2013, 343, 345. 560 Vgl. EuGHMR 19.3.2002, FamRZ 2002, 1393, 1396, Rn. 66 – Kutzner/Deutschland; 13.3.2012, Nr. 4547/10 – YC/Großbritannien; BVerfG 17.10.1984, FamRZ 1985, 555
D. Pflegekindschaft und Adoption
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Großbritannien deshalb nach geltendem Recht möglich, eine Zwangsadoption allein aufgrund von Kindeswohlbelangen auszusprechen, wenn eine Rückkehr des Kindes in die Ursprungsfamilie ausgeschlossen ist.561 In Italien soll dieses Konzept ebenfalls Gesetz werden.562 Damit soll in vielen Fällen eine Zwangsadoption von Pflegekindern ermöglicht und – positiv gewendet – für die betroffenen Kinder eine gesicherte Zuordnung und neue Lebensgrundlage geschaffen werden.563 Dem britischen Recht ist es durch eine etappenweise Reform seit dem Jahr 2000 gelungen, die Anzahl von (Pflegekind-)Adoptionen spürbar zu erhöhen.564 Ab wann eine Rückkehr in die Ursprungsfamilie definitiv ausgeschlossen und eine Übertragung des Elternrechts wünschenswert ist, lässt sich abstrakt kaum festlegen.565 Dieser point of no return566 wäre allenfalls im Einzelfall – vor allem in Abhängigkeit vom Alter des Kindes und der Situation in der Ursprungsfamilie – bestimmbar.567 Allerdings liefert die Rechtsprechung zu § 1632 Abs. 4 BGB insofern einen Anhaltspunkt, wonach jedenfalls bei Pflegeverhältnissen von über zweijähriger Dauer eine Rückkehr des Kindes in die Ursprungsfamilie – unabhängig von dessen Alter – in aller Regel gesperrt ist.568 Man beachte dabei, dass knapp 44 % der Kinder in Vollzeitpflege (§ 33 SBG VIII) dort durchschnittlich länger als zwei Jahre verbleiben.569 Jedenfalls in diesen Fällen würde eine Ersetzung der elterlichen Einwilligung, die tatbestandlich voraussetzt, dass keine Rückkehroption besteht und die Adoption im Interesse des Kindes liegt, darauf hinauslaufen, (schuldlos) erziehungsunfähigen Eltern im Wesentlichen kraft Zeitablaufs
39, 41; 29.11.2012, FamRZ 2013, 361, 362 m.w.N.; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 112; Salgo, S. 49; ders., FamRZ 2013, 343, 343 f.; vgl. Art. 3 UNKRK, der Kindeswohlgesichtspunkten einen überragenden Rang innerhalb sämtlicher staatlicher Kinderfürsorgemaßnahmen zuweist; die UN-Kinderrechtskonvention gilt seit dem 15.7.2010 auch in Deutschland vorbehaltlos, hierzu: Cremer, S. 15. 561 McFarlane/Reardon, S. 8, 144 ff. 562 Wiedemann, FamRZ 2012, 1442, 1445. 563 In diese Richtung: Longino, S. 88, 106; Gawlitta, FamRZ 1988, 807, 808. 564 Subramaniam, S. 45 ff., 288 f. 565 So für die Übertragung des gesamten Sorgerechts auf Pflegeeltern kraft Zeitablaufs: Schwab, Gutachten, S. A 120 f.; ders., S. A 133 (Erwägung: Zwangspflegekinderadoption kraft Zeitablaufs). 566 Vgl. Kafka, S. 17 (5. Aphorismus). 567 A.A. Goldstein/Freud/Solnit, Diesseits des Kindeswohls, S. 44 ff. 568 Vgl. OLG Köln 6.11.2008, FamRZ 2009, 989 f.; Salgo, in: Staudinger, BGB, § 1632 Rn. 71 m.w.N.; Henne, S. 225; Zenz, Gutachten, S. A 37; Lakies, ZfJ 1998, 129, 132; Kindler/Lillig, Praxis der Rechtspsychologie 2/2004, 368, 370; für eine kürzere Zeitspanne vgl. Schorn, S. 92 ff.; Salgo, S. 141 ff. 569 BT-Drucks. 17/12200, S. 346.
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
ihre Elternverantwortung irreversibel zu nehmen.570 Diese Vorstellung ist dem deutschen Recht (bislang) fremd. Bildet doch die zwangsweise Übertragung des Elternrechts eine „radikale“ staatliche Intervention, die aber zu berücksichtigen hat, dass der Erhalt eines unsicheren Status quo für das Kind mitunter eine weniger angemessene Maßnahme darstellt.571 Trotzdem erscheint die erleichterte Zwangsadoption aufgrund von Kindeswohlbelangen aus mehreren Gründen bedenklich. Bei einer konsequenten Ausrichtung von § 1748 BGB auf das Kindeswohl läuft man Gefahr, den Elternstatus zugunsten einer optimalen Erziehung zur Disposition zu stellen.572 Das wäre angesichts von Art. 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 GG problematisch: Zwar ist das verfassungsrechtliche Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG am Kindeswohl ausgerichtet, weshalb das Elternrecht dem Kindeswohl treuhänderisch dient, doch verliert es dadurch nicht seinen eigenständigen Charakter als Recht der Eltern.573 Diese Lesart des verfassungsrechtlichen Elternrechts bedeutet zugleich, dass das Elternrecht erst beschränkt werden darf, wenn eine Gefährdung (vgl. § 1666 BGB) des Kindeswohls eingetreten ist, ihm bis zu dieser Schwelle aber keine Kindesrechte „entgegengehalten werden [können]“574. In diesem Sinne ist die durch Zeugung und Geburt vermittelte Elternschaft für das Kind zunächst einmal Schicksal.575 Der Staat darf die Elternstellung nicht allein deshalb zur Disposition stellen, weil es Personen gibt, die als Eltern besser geeignet wären oder weil die Eltern des Kindes (unverschuldet) versagen.576 Insbesondere darf kein schematischer Entzug des Kindes durch Zwangsadoption möglich sein. Immerhin führt die Adoption zu einer Veränderung der statusrechtlichen Zuordnung und damit zu einem Wechsel der rechtlichen Elternschaft.577 Doch bestünde die Gefahr eines schablonenhaften Entzugs der Elternstellung, wenn die Möglichkeit zur Ersetzung der elterlichen Einwilligung nur erforderte, dass keine Rückkehroption des 570
In diese Richtung wohl: Reinhardt, JAmt 2013, 499, 501. Goldstein/Freud/Solnit, Diesseits des Kindeswohls, S. 43 f.; Salgo, S. 380; ders., KritV 2000, 344, 357; ders., ZfJ 2004, 410, 412; Walter, FPR 2004, 415, 418. 572 Frank, in: 40 Jahre Grundgesetz, S. 113, 124; ders., S. 246; Gernhuber, FamRZ 1973, 229, 236; vgl. OLG Frankfurt 4.9.2002, FamRZ 2003, 1316 f. 573 BT-Drucks. 7/421, S. 7; BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 143; 9.2.1982, BVerfGE 59, 360, 377; 3.11.1982, BVerfGE 61, 358, 372; 17.10.1984, BVerfGE 68, 176, 189 f.; 29.10.1998, BVerfGE 99, 145, 156; 16.1.2003, BVerfGE 107, 104, 121; 19.2.2013, NJW 2013, 847, 849, Rn. 49; ausführlich: Frank, in: 40 Jahre Grundgesetz, S. 113, 124 f.; Lipp, in: Schwab/Vaskovics (Hrsg.), S. 121, 127; Schwab, Gutachten, S. A 112 f.; Salgo, KritV 2000, 344, 348 ff.; Jestaedt, JAmt/ZKJ Sonderheft 2010, 32, 33. 574 Jestaedt, JAmt/ZKJ Sonderheft 2010, 32, 33. 575 Vgl. BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 136. 576 Schwab, S. 243 f. (Rn. 524). 577 BVerfG 29.7.1968, BVerfGE 24, 119, 151. 571
D. Pflegekindschaft und Adoption
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bei Pflegeeltern untergebrachten Kindes in die Ursprungsfamilie mehr besteht. Das Pflegeverhältnis würde gewissermaßen zwangsläufig in eine Zwangsadoption münden, sobald sich das soziale Familienverhältnis des Pflegekindes ausreichend verdichtet hat. Auflösen ließe sich dieser Konflikt wohl nur, wenn sich die Interpretation des verfassungsrechtlichen Elternrechts (weiter) wandelte. Das deutet sich zumindest bereits an:578 Das treuhänderische Elternrecht wird mittlerweile vereinzelt so verstanden, dass es ein Recht des Kindes darstellt, das der Staat notfalls gegen die Eltern kraft seines Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) verteidigen muss, wenn Kindeswohlbelange dies erfordern.579 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner (2013) erstmals aus Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 1 GG eine Gewährleistungspflicht abgeleitet, wonach der Staat sicherstellen müsse, dass die Elternverantwortung am Kindeswohl ausgerichtet ist.580 Hierbei handele es sich um ein „subjektives Gewährleistungsrecht des Kindes gegenüber dem Staat“.581 Der Grund für diese kindeswohlorientierte Akzentverschiebung ist wohl vor allem ein gesellschaftspolitischer Wandel des (ehelichen) Familienbegriffs, der die Bedeutung des Elternrechts abschwächt und versucht, Kindeswohlbelange präventiv zu schützen.582 Trotz dieser zusätzlichen Schutzdimension verliert das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht seinen eigenständigen Rechtscharakter: Allein die verfassungsgerichtliche Festlegung, dass „das Elternrecht ein Recht im Interesse des Kindes [ist]“583, setzt es nicht mit Kindeswohlinteressen gleich, die nicht die Eltern, sondern (staatliche) Dritte definieren würden. Vielmehr muss der Gesetzgeber bestimmen, „wie einerseits das Recht des Kindes auf Erziehung und Pflege durch seine Eltern zu seinem Wohl zu wahren ist und wann und unter welchen Voraussetzungen er andererseits der freien Ausübung des Elternrechts um des Kindes willen Grenzen setzt“584. Weil das Elternrecht demnach seine eigenständige Berechtigung behält, kann der Elternstatus nicht zwangsweise „nur“ deshalb übertragen werden, weil eine Adoption durch Dritte im Interesse des Kindes läge und 578
Jestaedt, JAmt/ZKJ Sonderheft 2010, 32, 33 f. m.w.N. BVerfG 6.2.2001, BVerfGE 103, 89, 107; 21.11.2007, BVerfGE 121, 69, 92 ff.; BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 43; krit. Jestaedt, JAmt/ZKJ Sonderheft 2010, 32, 34 f. 580 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 43. 581 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 43. 582 Frank, in: 40 Jahre Grundgesetz, S. 113, 124 f.; vgl. Lack, S. 4 ff.; Jestaedt, JAmt/ZKJ Sonderheft 2010, 32 f. 583 BVerfG 21.11.2007, BVerfGE 121, 69, 92. 584 BVerfG 21.11.2007, BVerfGE 121, 69, 94; vgl. auch BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 45. 579
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das Kind absehbar nicht mehr zu seinen leiblichen Eltern zurückkehren kann. Insofern wird deutlich, dass sich die Adoption nicht uneingeschränkt in den Instrumentenkasten des (normalen) Kindesschutzrechts einordnen lässt.585 Einerseits hat sie sich bei der letzten Reform des Adoptionsrechts in 1976 zu einer Maßnahme des Kindesschutzes entwickelt, andererseits betrifft sie die Statuszuordnung des Kindes und die (verfassungsrechtliche) Elternstellung. Es bleibt somit die Frage vorerst offen: Kann das Adoptionsrecht trotzdem eine Hilfe sein, um Kinder davor zu bewahren, dass die soziale und die rechtliche Elternschaft dauerhaft auseinanderfallen? 2. Alternative Lösungsansätze Sucht man nach einem rechtlichen Mittel, um langfristig fürsorgebedürftigen Kindern zu helfen, liegt möglicherweise der Fokus nicht auf einer grundsätzlichen Entscheidung zwischen der Adoption und dem allgemeinen Kindeswohlschutz. So erwägt etwa Frank, langfristige Pflegeverhältnisse Minderjähriger de lege ferenda rechtlich mit fortschreitendem Zeitablauf verstärkt abzusichern.586 Ob ein gefestigtes Rechtsverhältnis als Pflegekindschaft oder Adoption zu bezeichnen wäre, sei dann letztlich eine bloß terminologische Frage.587 Dass darüber nachgedacht wird, die Pflegekindschaft rechtlich stärker zu verfestigen, anstatt eine (verschuldensunabhängige) Zwangsadoption kraft Zeitablaufs einzuführen, überrascht nicht, wenn man die Schwächen des geltenden Adoptionskonzepts berücksichtigt. Schließlich bietet die Kindesannahme nach den §§ 1741 ff. BGB keineswegs die beste Lösung für sämtliche Fürsorgesituationen. Sie strebt – historisch begründet – eine bestimmte Familienform an,588 blendet insbesondere aber die Herkunftsfamilie aus dem Leben des Adoptivkindes aus.589 Diese besonderen Adoptionswirkungen sind nicht mehr zeitgemäß, weshalb sie in der Praxis von geöffneten Adoptionsformen abgelöst werden.590 Schon aufgrund dieser konzeptionellen Schwächen ist die geltende Adoption keine per se geeignete Maßnahme des Kindesschutzes. Die entscheidende Frage lautet in diesem Zusammenhang: Von welcher Qualität müsste die rechtliche Absicherung der Pflegekindschaft de lege ferenda sein? Schwab etwa erteilte rein vertraglichen Lösungsansätzen eine klare Absage und zog in Erwägung, das Sorgerecht – unter bestimmten 585
Vgl. 2. Kapitel D. I. Frank, FamRZ 2007, 1693, 1696. 587 Frank, FamRZ 2007, 1693, 1696; Salgo, S. 373 f., 401. 588 Vgl. 2. Kapitel A. 589 Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 40; ders., FamRZ 2007, 1693, 1699. 590 Vgl. 2. Kapitel C. I. 586
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Voraussetzungen – in toto irreversibel auf die Pflegeeltern zu übertragen.591 Das wäre ein Rechtsinstitut vergleichbar dem britischen special guardianship, das in Pflegekonstellationen zwar die Verwandtschaft zwischen einem fremdbetreuten Kind und seiner leiblichen Familie aufrechterhält, aber den Pflegeeltern (special guardian) umfangreiche Sorgebefugnisse einräumt.592 Diese Sorgerechtslösung erscheint nicht zwingend als bestmögliche Lösung, wie es die Kritik am special guardianship nahelegt, die – nachdem eine Studie die Anwendung des special guardianships seit seiner Einführung im Jahr 2005 untersucht hat – darauf verweist, dass er nicht von der Notwendigkeit enthebt, bestehende Ansätze zur dauerhaften Kindesunterbringung (einschließlich der Adoption) in eine Reformlösung aufzunehmen.593 Insofern sind zwei Einwände zu beachten: Ein für das Kind unschätzbarer Vorteil der Adoption ist der klar zugewiesene Elternstatus, aus dem es die notwendige Sicherheit schöpft, um eine stabile soziale Eltern-Kind-Bindung zu entwickeln.594 Sollen Dauerpflegeverhältnisse rechtlich stabilisiert werden, müsste ein Rechtsrahmen letztlich eine solche Verbindlichkeit besitzen und solche weitgehenden Befugnisse vermitteln, wie sie auch das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) gewährt. Das liefe allerdings auf eine Übertragung des Elternrechts hinaus. Gegen sorgerechtliche Zwischenlösungen unterhalb dieser Grenze spricht demgegenüber vor allem, dass sie auf lange Sicht einen substanzlosen Elternstatus akzeptieren würden, den die Praxis zwar in vielen Dauerpflegeverhältnissen duldet, der aber dogmatisch äußerst zweifelhaft ist. Insofern ist die Volladoption gegenüber jeder Zwischenlösung vorzugswürdig, was der Gesetzgeber erkennt, wenn er formuliert: „[Es] dürfte kaum möglich sein, unterhalb des Status eines Adoptivkindes einen eigenständigen Status des Pflegekindes zu schaffen, der den verschiedenen Konstellationen gerecht wird“595. Akzeptiert man den Vorrang der Volladoption fällt man allerdings auf das Grundproblem zurück: Die Adoption ist keine Maßnahme des Kindesschutzes, bei der man allein aufgrund von Kindeswohlbelangen eine neue Statuszuordnung vornehmen und über das Elternrecht disponieren kann. 3. Geöffnete Adoptionen Auch im US-amerikanischen Recht konnten Kinder, die langfristig bei Pflegeeltern untergebracht waren, bis zur Einführung geöffneter Adoptio591
Schwab, Gutachten, S. A 120 f.; vgl. Salgo, S. 275 ff. Ausführlich: Mitchell, S. 147 ff. 593 Vgl. Hall, Child and Family Law Quarterly 3/2008, 359, 376 ff. 594 Vgl. BT-Drucks. 11/5948, S. 71; Pfaffinger, S. 235 ff.; Frank, S. 240; Longino, S. 27 ff.; Paulitz, S. 168; Gawlitta, FamRZ 1988, 807, 808; Hoffmann, FamRZ 2002, 1276 f.; Veit, FF 2008, 358, 364 f. 595 BT-Drucks. 11/5948, S. 71. 592
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
nen gegen den Willen ihrer Eltern nicht adoptiert werden, weil die damaligen umfassenden Adoptionswirkungen eine Entscheidung zwischen Ursprungs- und Pflegefamilie verlangten und eine verschuldensunabhängige Zwangsadoption kaum möglich war.596 Die Situation ähnelte insofern der aktuellen deutschen Rechtslage. Auch in den Vereinigten Staaten wurde dieser Zustand als kindeswohlwidrig eingestuft und nach Wegen gesucht, um eine Entweder-Oder-Entscheidung zwischen beiden Familien möglichst zu vermeiden. Daher wurde das Adoptionsrecht derart modifiziert, dass etwa über postadoption contact agreements die Verbindung des Kindes zur Herkunftsfamilie auch nach der Adoption aufrechterhalten werden kann.597 Indem die Adoptionswirkungen abgesenkt wurden – die leiblichen Eltern etwa Umgangs- oder Auskunftsrechte mit dem Ausspruch der Adoption zugesprochen bekamen – ließ sich umgekehrt die Schwelle für Zwangsadoptionen herabsetzen. So wurde dieser geöffnete Adoptionstyp für Pflegekinder unabhängig von einem schuldhaften elterlichen Erziehungsversagen erlaubt; die betroffenen Kinder mussten in mindestens 15 der letzen 22 Monate in fremder Pflege gewesen sein.598 Möglichst frühzeitig langfristige Pflegekindschaften in dauerhafte Familienverhältnisse zu überführen, war ein wesentliches Ziel des Adoption and Safe Families Act, der in den USA im Jahr 1997 ergangen ist. Diese Hoffnung hat sich weitgehend erfüllt.599 Entscheidender Ansatzpunkt dafür war, dass das Gesetz Pflegekinderadoptionen von einem elterlichen Einverständnis abkoppelte. Vielmehr können die Gerichte mittels einer termination of parental rights nunmehr eine zwangsweise Pflegekindadoption aussprechen, die im Wesentlichen nur aufgrund von Kindeswohlbelangen und der bisherigen Pflegedauer ergeht.600 Ein nicht unerheblicher Nebeneffekt dieser Reform war, dass sich die Kosten für staatliche Pflegemaßnahmen reduzierten,601 weil der Anspruch auf Pflegegeld, welches für Pflegekinder gezahlt wird, erlischt, wenn die Adoption ausgesprochen wird. Die Kosten für die Vollzeitpflege sind auch in Deutschland immens und steigen kontinuierlich an: Im Jahr 2010 beliefen sie sich bundesweit auf 850 Millionen Euro.602 Allerdings ist in den USA im Jahr 2008 The Fostering Connections to Success and Increasing Adoptions Act of 2008 in Kraft getreten, der es dem Bund unter anderem erlaubt, den Bundesstaaten immense Finanzmittel zur Verfügung 596
Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 82. Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 82 f.; vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 598 Appell, Adoption Quarterly 1/2000, 81, 82. 599 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 600 Vgl. Monck/Reynolds/Wigfall, Adoption Quarterly 1/2005, 13, 14; Hoffmann, JAmt 2011, 10, 12 f. 601 Vgl. Salgo, S. 175. 602 BT-Drucks. 17/12200, S. 346. 597
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zu stellen, um Pflegefamilien zu begünstigen und die – staatlich subventionierte – Adoption (subsidized adoption) zu fördern, bei der die Annehmenden vom Staat finanziell unterstützt werden.603 Dadurch fällt das ursprünglich intendierte Einsparpotenzial der US-amerikanischen Reformgesetzgebung selbstverständlich geringer aus. Von diesen Entwicklungen im US-amerikanischen Recht wurde die deutsche Forschung in weiten Teilen inspiriert, soweit sie geöffnete Adoptionen als Lösungsalternative für die Entscheidung zwischen Pflegekindschaft und (Inkognito-)Adoption vorschlägt.604 Würde man im deutschen Recht de lege ferenda diesem Vorbild folgen und bei geöffneten Adoptionen vor allem für Pflegekinder die Ersetzung der elterlichen Einwilligung unter erleichterten Voraussetzungen zulassen, so hätte das folgende Effekte: Es ließe sich dann mit dem Ausspruch der Adoption gerichtlich regeln, welche Rechte etwa die leiblichen Eltern behalten, obwohl ihr Status auf die Adoptiveltern übergeht. Durch die Aufrechterhaltung gewisser umgangsrechtlicher Beziehungen zwischen dem Kind und der Ursprungsfamilie, würde der Statusverlust zwar nicht kompensiert werden, es wäre aber der Versuch unternommen, die pluralisierten Eltern-Kind-Konstellationen angemessen rechtlich abzubilden. Die bisherigen Eltern, die ihr Kind nur gelegentlich besuchen, würden aus ihrer Elternverantwortung entlassen, zugunsten der faktischen Eltern, den Pflegeeltern. Das entspräche den realen Verhältnissen. Auf diese Weise ließe sich – im Interesse des Kindeswohls – das bestehende Beziehungsgeflecht des Kindes aufrechterhalten und erzieherische Kontinuität gewährleisten.605 In der Praxis müsste organisatorisch und institutionell sichergestellt werden, dass Pflegeeltern, soweit nicht klare Anhaltspunkte für eine bloße Kurzzeitpflege bestehen, zur Adoption bereit sind oder von vornherein nur adoptionswillige Eltern die Pflege übernehmen.606 Dies ist eine lösbare staatliche Vermittlungsaufgabe, deren praktische Umsetzung indes Zeit erfordert. Es existieren ausreichend Adoptionsbewerber,607 wohingegen Pflegeeltern fehlen.608 Die persönlichen Anforderungen an beide Gruppen
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Courtney, Social Policy Report 1/2009, 3, 10. Frank, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 1741 ff. Rn. 40; Salgo, S. 134 ff.; Wolf, Adoption & Fostering 1/2012, 40, 41. 605 Coester, S. 330; Zenz, Gutachten, S. A 38 f.; vgl. BVerfG 12.10.1988, BVerfGE 79, 51, 64; Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16; Motzer, in: Schwab (Hrsg.), Scheidungsrecht, III Rn. 153 f.; Longino, S. 27. 606 Vgl. Schwab, Gutachten, S. A 134; Hoffmann, JAmt 2011, 10, 15. 607 Vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 26.7.2012 (Stand 21.12.2013). 608 Helming/Eschelbach/Spangler/Bovenschen, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 398, 399. 604
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
unterscheiden sich aber kaum mehr voneinander.609 Im Einzelfall mag die Prognose über den individuellen Verlauf der Fremdpflege zwar unsicher sein, generell bestehen jedoch Erfahrungssätze dafür, wann eine Kurzzeitpflege und wann ein langfristiges Pflegeverhältnis entstehen wird.610 Außerdem müsste die Pflegepraxis so ausgestaltet werden, dass kein schematischer Entzug des Kindes allein kraft Zeitablaufs stattfinden kann (klare Rückführungsfristen, Überprüfungsmöglichkeiten et cetera). Allerdings ist unsicher, ob im geltenden deutschen Recht eine dem angloamerikanischen Recht vergleichbare Lösung überhaupt möglich ist.611 Insbesondere das verfassungsrechtliche Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG könnte einer vergleichbaren Reformlösung entgegenstehen. Der irreversible Verlust des Elternstatus ist im deutschen Recht612 an enge Voraussetzungen geknüpft: namentlich an ein konkretes (schweres) Fehlverhalten der Eltern, wohingegen es nicht ausreicht, dass objektiv auf längere Sicht von ihrer Erziehungsunfähigkeit auszugehen ist.613 Insbesondere ist fraglich, ob diese Eingriffsschwelle dadurch herabgesetzt werden könnte, indem man die Rechtsposition verdrängter Eltern aufwertet.614 Selbst wenn in Zukunft der treuhänderische Charakter des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) noch stärker betont würde,615 wäre damit nicht automatisch der Weg für eine erleichterte Zwangsadoption geebnet. Die Adoption ist keine bloße Maßnahme des Kindesschutzes. Sie berührt zugleich die (rechtliche) Abstammung des Kindes, die jedoch nicht beliebig manipulierbar sein sollte. Gerade im Adoptionskontext ist die Abstammung ein sensibler Faktor, weil die rechtliche Rekonstruktion der Lebens609 Helming/Kindler/Küfner/Sandmeir/Thrum/Blüml/Gabler, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 15; Helming/Eschelbach/Spangler/Bovenschen, in: Hb-Pflegekinderhilfe, S. 398, 399 ff.; Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27 ff.; die steigenden Anforderungen an Pflegeeltern sind kein exklusiv deutsches Phänomen vgl. Warren, Adoption & Fostering 2/1999, 48, 49. 610 Hoffmann, JAmt 2011, 10, 15. 611 Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. b). 612 Zu den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention: Kopper-Reifenberg, S. 349 ff. 613 Schwab, Gutachten, S. A 114, weist darauf hin, dass Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG keinen staatlichen Seismografen dafür bietet, den Grad der „wirklichen“ Elternschaft zu bestimmen und daraufhin zu intervenieren; gleichzeitig sei aber eine faktische Elternschaft das Ergebnis einer anerkennenswerten Entwicklung, die das Elternsein im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG substanzlos werden lasse. 614 Vgl. Salgo, ZfJ 2004, 410, 412; Hoffmann, JAmt 2011, 10 f.; so für das schweizerische Recht: Pfaffinger, ZSR 2011, 417, 446. Der 54. Deutsche Juristentag beschloss mit deutlicher Mehrheit, dass zwar die Dauerpflege rechtlich abzusichern, gleichzeitig aber leiblichen Eltern insbesondere die Möglichkeit einzuräumen sei, die Beziehung zu ihrem Kind aufrechtzuerhalten (54. DJT, Beschlüsse, S. I 201 – angenommen: 36: 7: 4). 615 Vgl. 2. Kapitel D. III. 1.; Stuchtey, FAS 14.4.2013, 15.
E. Gedanken zu künftigen Adoptionskonstellationen
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wirklichkeit mit darüber entscheidet, ob die Kindesannahme vom Adoptivkind bewältigt werden kann (vgl. eher geschlossene oder geöffnete Adoptionsformen).616 Immerhin akzeptiert das deutsche Recht in Dauerpflegefällen seit Jahrzehnten einen Elternstatus (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), der zwar fest an die biologische Elternschaft gekoppelt, aber faktisch – aufgrund der Eingliederung des Kindes in die Pflegefamilie – auf einzelne Teilrechte reduziert ist.617 Dadurch setzt es sich zwar nicht dem Einwand aus, ohne Not ein natürliches durch ein künstliches Eltern-Kind-Verhältnis zu ersetzen,618 doch beschränkt das Adoptionsrecht andererseits seinen Fürsorgeanspruch auf wenige einvernehmliche Kindesannahmen. Wenn im deutschen Recht die Einwilligung der Eltern allerdings diesen besonderen Stellenwert genießt, sollten geöffnete Adoptionen vor allem dazu genutzt werden, um präventiv möglichst zu verhindern, dass überhaupt Langzeitpflegeverhältnisse entstehen, in denen die soziale und die rechtliche Elternschaft dauerhaft auseinanderfallen. Daher wird man wohl vorrangig die Hoffnung darauf richten müssen, dass die Einführung eines rechtsicheren Rahmens für geöffnete Adoptionen dieses Institut für abgebende Eltern so attraktiv macht, dass sie vermehrt dazu bereit sind, freiwillig ihre Einwilligung in die Adoption zu erklären.
E. Gedanken zu künftigen Adoptionskonstellationen I. Ausgangssituation In Deutschland ist ein rechtspolitischer Diskurs darüber entbrannt, welche Paare ein fremdes Kind gemeinschaftlich adoptieren dürfen. Die gemeinschaftliche Fremdkindadoption ist nach geltendem Recht Eheleuten vorbehalten (§ 1741 Abs. 2 S. 2 BGB). Da das geltende Recht in weiten Teilen auf die Adoptionsrechtsreform aus dem Jahre 1976 zurückgeht, ist diese Fokussierung wenig überraschend.619 Allerdings ist diese historische Wertung zunehmend heftigen Angriffen ausgesetzt. So können mittlerweile seit einer Reform aus dem Jahre 2005 eingetragene Lebenspartner nach § 9 Abs. 7 LPartG das leibliche Kind des anderen Lebenspartners adoptieren (Stiefkindadoption). Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht eingetragenen Lebenspartnern die Möglichkeit eröffnet, das bereits vom anderen Lebenspartner an616
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. AG Nidda 27.2.2007, FamRZ 2007, 2005 f., das eine Pflegekindadoption verweigerte, damit die Eltern „wenigstens formal die Elternrolle behalten können“, wenngleich dem Elternrecht damit bloß „symbolische Bedeutung“ zukäme. 618 Frank, FamRZ 2007, 1693, 1696. 619 Vgl. 2. Kapitel A. 617
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genommene Kind zu adoptieren (Sukzessivadoption). Die Sukzessivadoption war nach geschriebenem Recht für eingetragene Lebenspartner nicht möglich. Das wurde zwar einhellig kritisiert,620 aber vom Bundesverfassungsgericht erst im Jahr 2013 als verfassungswidrig verworfen:621 Das Verbot der Sukzessivadoption für eingetragene Lebenspartner verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.622 Eheleuten sei die Kettenadoption erlaubt, eingetragenen Lebenspartnern demgegenüber nur die Stiefkindadoption. Das benachteilige Kinder, die von einem Lebenspartner angenommen worden seien. Diese hätten keine Chance auf einen zweiten Elternteil. Zwar sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet, jede faktische Familiengemeinschaft zu schützen, indem er ihr die Möglichkeit eröffne, das gemeinsame Elternrecht durch Adoption zu erlangen,623 doch könne den betroffenen Kindern nicht der stabilisierende Effekt der Adoption vorenthalten werden,624 der in vergleichbaren Fällen bei Ehegatten gewährt werde. Ohne Sukzessivadoption könne insbesondere das Sorgerecht nicht im Interesse des Kindes angemessen geregelt werden, sofern die Lebenspartnerschaft scheitere. Bereits im Vorfeld der verfassungsgerichtlichen Entscheidung wurde vom Bundesministerium der Justiz eine repräsentative Querschnittsstudie in Auftrag gegebenen, die unter anderem feststellen sollte, inwieweit Lebenspartner als Adoptiveltern geeignet sind.625 Sie gelangte durch (telefonische) Befragung von „Regenbogenfamilien“ zu dem Ergebnis, dass das Kindeswohl nicht beeinträchtigt sei, wenn das Kind in einer faktischen Verantwortungsgemeinschaft aufwächst, deren Kern eine homosexuelle Partnerschaft bildet,626 was vor allem angloamerikanische Forschungen bestätigen.627 Ebenfalls ließ sich empirisch nicht belegen, dass Kinder homosexueller Eltern gesellschaftlich stigmatisiert werden.628 Vor diesem Hintergrund überraschte die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oh620
Schlütter, FF 2005, 234 ff.; Rupp, FPR 2010, 185, 187; Grünberger, FPR 2010, 203, 207 f.; Dethloff, FPR 2010, 208, 210; Beck, FPR 2010, 220, 222; Muscheler, FPR 2010, 227, 231 f. 621 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847 ff.; vgl. OLG Hamburg 22.12.2010, FamRZ 2011, 1312 ff.; a.A. OLG Hamm 1.12.2009, FamRZ 2010, 1259 f. m. Anm. Frank, ZKJ 2010, 197 f.; Gärditz, JZ 2011, 930, 935. 622 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847 ff. 623 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851, Rn. 70; a.A. Grehl, S. 152 ff. 624 Vgl. 2. Kapitel D. I. 625 Vgl. BT-Drucks. 16/7642, S. 2.; krit. Kusicke, FAZ 11.6.2013, 3; dies., FAZ 22.11.2013, 10. 626 Rupp/Bergold, in: Rupp (Hrsg.), S. 281, 303. 627 Fthenakis, in: Basedow/Hopt/Kötz/Dopffel (Hrsg.), S. 351, 378 ff.; JänteräJareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 105; Dethloff, FPR 2010, 208, 209 f. m.w.N. 628 Vgl. Coester, in: FS Pintens, 2012, S. 313, 320 f.
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ne Abweichung umgesetzt, indem der Bundestag am 22.5.2014 einen von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf629 verabschiedete. II. Gemeinschaftliche Fremdkindadoption durch eingetragene Lebenspartner de lege ferenda? 1. Rechtspolitische Perspektive Mittels Sukzessivadoption können eingetragene Lebenspartner nun zwar auf einem Umweg gemeinsam Eltern werden – die unmittelbare gemeinschaftliche Fremdadoption bleibt ihnen aber nach wie vor verwehrt.630 Dieser Ausschluss ist nicht unerheblich, da in der Vermittlungspraxis die gemeinschaftliche Kindesannahme überwiegt.631 Für eingetragene Lebenspartner folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption allerdings im Grunde zwangsläufig, dass ihnen auch die gemeinsame Fremdkindadoption offen stehen muss.632 Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG kann der Gesetzgeber zwar grundsätzlich auch entscheiden, eine bestimmte Adoptionsmöglichkeit nicht zu gewähren,633 jedoch schränkt der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) den Entscheidungsspielraum ein: Eine Ungleichbehandlung – vor allem aus Gründen der sexuellen Orientierung – bedarf der besonderen Rechtfertigung.634 Kindeswohlbelange scheiden als Rechtfertigungsgründe aus, um eingetragenen Lebenspartnern – im Gegensatz zu Eheleuten – die gemeinschaftliche Fremdkindadoption zu verwehren. Es schadet einem Kind nicht, bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufzuwachsen, vielmehr gilt das Gegenteil: „Die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft [können] das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern wie die einer Ehe“635. Andere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, die in Betracht kämen, um eingetragenen Lebenspartnern weiterhin die gemeinschaftliche Fremdkindadoption zu versagen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung steht im Einklang mit der europäischen Rechtsentwicklung, die maßgeblich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beeinflusst wurde.636 Dieser konstatierte 629
BT-Drucks. 18/1285. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 854, Rn. 92. 631 Bubrowski, FAZ 22.2.2013, 4. 632 Maurer, FamRZ 2013, 752, 758; Reimer/Jestaedt, JZ 2013, 468, 472; Beck, DRiZ 2013, 128; Brosius-Gersdorf, FamFR 2013, 169 ff.; Roßmann, FuR 2013, 241; a.A. Mayer, DRiZ 2013, 129; Reinhardt, JAmt 2013, 499, 500. 633 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851, Rn. 68 ff.; Mayer, DRiZ 2013, 129. 634 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851 f., Rn. 72; 7.5.2013, DStR 2013, 1228, 1232, Rn. 77. 635 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 852, Rn. 80. 636 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851, Rn. 66. 630
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zwar noch im Jahr 2002, dass in Europa Uneinigkeit über die Zulässigkeit einer Minderjährigenadoption durch Homosexuelle herrsche, sodass insofern dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum zukomme,637 doch schon im Jahr 2008 vollzog er eine deutliche Kehrtwende. Die soziale Realität habe sich derart gewandelt, dass es nicht länger legitim sei, die Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner zu untersagen.638 Das Straßburger Verfahren betraf eine unverheiratete französische Staatsangehörige, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebte und ein Kind adoptieren wollte, der aber die für die Adoption erforderliche Genehmigung unter anderem wegen ihrer sexuellen Orientierung verwehrt wurde.639 Hierin erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK; das Privatleben schütze auch das Recht, soziale Beziehungen herzustellen.640 Sofern auf die Homosexualität der Adoptionsbewerberin verwiesen wurde, sei dies eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung im Sinne von Art. 14 EMRK, weil das französische Recht die Adoption durch Unverheiratete gestatte – dies schließe homosexuelle Unverheiratete ein.641 Wenn die Einzeladoption nach nationalem Recht erlaubt ist, darf sie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur aufgrund besonders überzeugender und gewichtiger Gründe (particularly convincing and weighty reasons) von der sexuellen Orientierung des Annehmenden abhängig gemacht werden.642 Reformbedarf ergab sich aufgrund dieser Rechtsprechung etwa in Frankreich,643 Griechenland644 und Kroatien;645 mittlerweile ist auch in diesen Ländern die Annahme durch eine homosexuelle Einzelperson erlaubt. In Europa wächst außerdem die Zahl der Staaten, welche die gemeinschaftliche Adoption durch homosexuelle Paare erlauben.646 Aus637
EuGHMR 26.2.2002, FamRZ 2003, 149, 150, Rn. 40 f. – Fretté/Frankreich; vgl. schon EuGHMR 21.12.1999, Nr. 33290/96 – Salgueiro da Silva Mouta/Portugal. 638 EuGHMR 22.1.2008, NJW 2009, 3637, 3641, Rn. 92 – E. B./Frankreich; vgl. zum Wandel des Familienbegriffs gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK: Wiemann, S. 169 f. 639 EuGHMR 22.1.2008, NJW 2009, 3637, 3638 – E. B./Frankreich. 640 EuGHMR 22.1.2008, NJW 2009, 3637, 3638 f., Rn. 43, 49 – E. B./Frankreich. 641 EuGHMR 22.1.2008, NJW 2009, 3637, 3641, Rn. 91 ff. – E. B./Frankreich. 642 EuGHMR 22.1.2008, NJW 2009, 3637, 3641, Rn. 91 – E. B./Frankreich; 19.2.2013, FamRZ 2013, 763, 765, Rn. 135 – X u.a./Österreich; vgl. aber auch EuGHMR 15.3.2012, Nr. 25951/07 – Gas und Dubois/Frankreich. 643 Eber-Arampatsi, in: Rieck (Hrsg.), Frankreich, Stand: Oktober 2011, Rn. 47; Ferrand/Francoz-Terminal, FamRZ 2008, 1692, 1693; Sperling, StAZ 2010, 330. 644 von Huebner/Vlachopoulos, in: Rieck (Hrsg.), Griechenland, Stand: Oktober 2011, Rn. 35. 645 Jelic, in: Rieck (Hrsg.), Kroatien, Stand: Mai 2012, Rn. 38 (Ausnahmefälle sind denkbar). 646 Überblick bei: Dethloff, in: Rupp (Hrsg.), S. 41, 43 ff.
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drücklich zugelassen ist sie in den Niederlanden (2001),647 Großbritannien (2002),648 Schweden (2003),649 Spanien (2005),650 Belgien (2006),651 Island (2006),652 Norwegen (2009)653 und Dänemark (2010).654 In Italien ist eine entsprechende Gesetzesreform mittelfristig sehr wahrscheinlich.655 An der These, die gemeinschaftliche Fremdkindadoption durch homosexuelle Partner sei sozial anerkannt, lässt sich allerdings trefflich zweifeln, schaut man etwa nach Frankreich. Dort ist eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung darüber entbrannt, ob Homosexuelle auch im Adoptionsrecht ehelichen Paaren gleichzustellen sind.656 Eine knappe Bevölkerungsmehrheit spricht sich in Frankreich gegen die adoptionsrechtliche Gleichstellung aus,657 trotzdem wurde sie im Jahr 2013 Gesetz.658 Sollte sich der deutsche Gesetzgeber nicht entschließen, eingetragenen Lebenspartnern die gemeinschaftliche Fremdkindadoption zu gestatten, ist damit zu rechnen, dass das Verbot mittelfristig verfassungsrechtlich angegriffen werden wird.659 Beim Bundesverfassungsgericht sind die ersten Überprüfungsverfahren anhängig.660 Spätestens, wenn die Bundesrepublik Deutschland das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen (2008) ratifizieren sollte, ist zu entscheiden, welche Paare als Annehmende in Betracht kommen.661 Nach Art. 7 Abs. 2 r. EAÜ bleibt es den Vertragsstaaten überlassen, die gemeinsame Adoption durch homosexuelle (eingetragene)
647
Henrich, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu Art. 22 ff. EGBGB Rn. 5. Woelke, in: Rieck (Hrsg.), England und Wales, Stand: Mai 2012, Rn. 65. 649 Jänterä-Jareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 104. 650 Daum, in: Bergmann/Ferid/Henrich (Hrsg.), Spanien, Stand: 9.1.2012, S. 60 f.; vgl. Martin Casals/Ribot, FamRZ 2004, 1433; Ferrer i Riba, FamRZ 2013, 1464, 1465 f. 651 Pintens, FamRZ 2004, 1420; ders., FamRZ 2006, 1312. 652 Jänterä-Jareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 105. 653 Jänterä-Jareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 105. 654 Lund-Andersen, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 3, 6. 655 Bremer, FAZ 23.1.2013, 5; ders., FAZ 4.2.2013, 5. 656 Vgl. Wiegel, FAZ 11.12.2012, 3; dies., FAZ 14.1.2013, 6; dies., FAZ 15.1.2013, 6; dies., FAZ 17.1.2013, 8; dies., FAZ 25.1.2013, 4; dies., FAZ 4.2.2013, 5. 657 Wiegel, FAZ 31.1.2013, 5. 658 Ferrand/Francoz-Terminal, FamRZ 2013, 1448, 1449 f.; Wiegel, FAZ 12.2.2013, 5; dies., FAZ 13.2.2013, 1. 659 Coester, in: FS Pintens, 2012, S. 313, 314; Schmidt, FAZ 19.12.2012, 4; vgl. Müller, FAZ 14.2.2013, 8. 660 AG Schöneberg 11.3.2013, NJW 2013, 1840; vgl. hierzu aber BVerfG 23.1.2014, FamRZ 2014, 537 f. 661 Vgl. Müller, FF 2011, 56 ff. 648
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Partner zu gestatten.662 Das Übereinkommen trifft diesbezüglich keine Vorgabe, weil auf europäischer Ebene kein Konsens zu erzielen war.663 Da die Ratifikation des revidierten Übereinkommens indessen erst beabsichtigt ist, sobald die verfassungsgerichtlichen Verfahren zu § 9 Abs. 7 LPartG abgeschlossen sind,664 ist zu befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht auch mit dem Verbot der gemeinschaftlichen Fremdkindadoption für eingetragene Lebenspartner befasst wird, bevor eine umfassende gesetzliche Gleichstellung erfolgt. 2. Gleichstellung in der Vermittlungspraxis Im Hinblick auf die praktische Adoptionsvermittlung ist die rechtliche Angleichung von homosexuellen Bewerbern allerdings keine „self-fulfilling prophecy“665: Die sexuelle Orientierung der Adoptionsbewerber ist in der Adoptionspraxis erst dann nicht mehr von Belang, wenn eine entsprechende rechtliche Vorgabe von der Vermittlungspraxis auch vorbehaltlos umgesetzt wird.666 Das erfordert regelmäßig eine gewisse Übergangszeit, wie beispielsweise die Erfahrungen aus Großbritannien zeigen. Nachdem dort die Fremdkindadoption durch gleichgeschlechtliche Partner möglich wurde, wurde unter anderem gemutmaßt, dass in der Praxis nach wie vor heterosexuelle Adoptionsbewerber bevorzugt würden.667 Die britische Adoptionspraxis widerlegte diese Annahme erst nach und nach: Zunächst adoptierten homosexuelle Paare vornehmlich Kinder, die aufgrund von Alter oder Behinderung schwer zu platzieren waren.668 Erst langsam wurden sie integraler Bestandteil des Bewerberpools.669 Auslöser für diese Entwicklung war ein signifikanter Rückgang der Adoptionsbewerber insgesamt. Viele Wunscheltern realisieren ihren Kinderwunsch zunehmend mittels Reproduktionsmedizin oder über eine Leihmutterschaft, sodass sie als potenzielle Adoptiveltern ausscheiden. Daher sah sich der britische Gesetz662 Vgl. Horgan/Martin, International Family Law 2008, 155, 158 und (Stand 1.1.2014). 663 Explanatory Report zum revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen (Nr. 45 ff.), unter: (Stand 11.12.2013); zur Vorgeschichte des revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommens aus 2008 vgl. Hayden/Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 132; Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481, 1485. 664 BT-Drucks. 17/8248, S. 5; vgl. Müller, FAZ 14.2.2013, 8. 665 Merton, Antioch Review 2/1948, 193 ff. 666 Kreß, ZRP 2012, 234, 236; vgl. Eggen/Rupp, in: Rupp (Hrsg.), S. 23, 35; Steffens/Jonas, in: Rupp (Hrsg.), S. 205 ff. 667 Hayden/Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 133. 668 Ähnlich verhält es sich in Deutschland in Bezug auf die Einzeladoption durch einen eingetragenen Lebenspartner vgl. Bubrowski, FAZ 22.2.2013, 4. 669 Hayden/Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 137 f., 144.
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geber gezwungen, die Bewerberzahlen zu steigern, indem er die Rekrutierung auf homosexuelle (unverheiratete) Partner ausweitete.670 Zumindest an geeigneten Pflegeeltern herrscht mittlerweile auch in Deutschland Mangel.671 Die Erfahrungen aus Großbritannien lassen sich verallgemeinern. Auch in den USA verläuft die Integration homosexueller Paare in den Pool der Adoptionsbewerber nur schrittweise und ist in der gegenwärtigen Vermittlungspraxis keineswegs abgeschlossen.672 In Schweden fand seit der Liberalisierung keine einzige gemeinschaftliche Adoption eines fremden Kindes durch homosexuelle Partner statt – in der Vermittlungspraxis herrscht also offenbar bis dato keine Gleichstellung.673 Außerdem haben die leiblichen Eltern faktisch nach wie vor die Möglichkeit, ihr Kind ausschließlich an heterosexuelle Adoptiveltern zu überantworten, indem sie nur einer Adoption durch ein (verschiedengeschlechtliches) Ehepaar zustimmen.674 Gerade die Öffnung der Adoptionspraxis führt dazu, dass die Möglichkeit abgebender Eltern steigt, bei der Auswahl der Adoptiveltern entscheidenden Einfluss zu nehmen.675 Das ist letztlich auch gewollt und legitim, weil die Einwilligung Teil des verfassungsrechtlichen Elternrechts ist.676 Allerdings ist es nicht nur diese Hürde, die eine umfassende Gleichstellung von Eheleuten und eingetragenen Lebenspartnern im Adoptionsrecht erschweren wird. Die Eröffnung der gemeinschaftlichen Fremdkindadoption für eingetragene Lebenspartner hat auch Auswirkungen auf internationale Adoptionen, die in der Praxis für homosexuelle Paare oftmals die einzige Chance sind, ihren Adoptionswunsch zu realisieren.677 Viele Heimatstaaten ausländischer Adoptivkinder verweigern die Vermittlung von Kindern in Aufnahmestaaten, in denen es (theoretisch) von einem homosexuellen Paar adoptiert werden kann. Um diesem drohenden „Abgabeboykott“ zu entgehen, verschweigen deutsche Vermittlungsstellen vereinzelt die sexuelle Ausrichtung des Adoptionsbewerbers im Rahmen einer Auslandsadoption.678 Keine Aussicht auf Erfolg wird diese Strategie jedoch mehr haben, wenn das deutsche Recht die gemeinsame Fremd670
Hayden/Allman/Greenan/Nhinda-Latvio/Penna, S. 122, 125. BT-Drucks. 17/12200, S. 346; Coester, in: FS Pintens, 2012, S. 313, 323. 672 Brodzinsky/Patterson/Vaziri, Adoption Quarterly 3/2002, 5, 17 ff. 673 Jänterä-Jareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 106 f. 674 Kreß, ZRP 2012, 234, 236. 675 Vgl. 2. Kapitel D. III. 3. 676 Vgl. 2. Kapitel B. I. 1. 677 Vgl. Maurer, FamRZ 2013, 752, 754. 678 Bubrowski, FAZ 22.2.2013, 4; vgl. zur „Umgehungsgefahr“ des Verbots der gemeinsamen Fremdkindadoption durch eingetragene Lebenspartner mittels Sukzessivadoption: BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 854, Rn. 92 f. 671
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kindadoption durch eingetragene Lebenspartner – ganz offiziell – ermöglicht. Vor diesem Hintergrund war in den Niederlanden bis 2009 homosexuellen Partnern ausschließlich die gemeinsame Inlandsadoption eines fremden Kindes gestattet.679 Eine vergleichbare Beschränkung wäre in Deutschland hingegen wohl kaum zu rechtfertigen, bloß um dadurch die internationale Kinderfreigabe ins Inland nicht zu gefährden.680 Die niederländische Einschränkung ist mittlerweile abgeschafft: Seit 2009 können gleichgeschlechtliche Partner auch eine Auslandsadoption gemeinsam durchführen, wenn sie der Heimatstaat des Kindes gestattet. Das ist allerdings bislang ein rein theoretisches Szenario.681 Hier macht sich der Einfluss der Heimatstaaten auf die internationale Adoptionspolitik bemerkbar. Auch diese Implikationen unterstreichen, dass eine rechtliche Gleichstellung durch soziale Realitäten und die Haltung ausländischer Rechtsordnungen begrenzt wird.682 Das deutsche Recht stößt hier an seine territorialen Grenzen, die es aus sich heraus nicht überwinden kann. Insgesamt wird deutlich, dass die Diskussion um die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Adoptivelternschaft noch nicht abgeschlossen ist. III. Fremdkindadoption durch nichteheliche Paare de lege ferenda? Eine unverheiratete Person kann ein Kind ausschließlich alleine adoptieren (§ 1741 Abs. 2 S. 1 BGB). Nach geltendem Recht ist es nicht vorgesehen, dass nichteheliche Paare gemeinsam ein Kind annehmen können. Jedoch verlangt das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 2008 diesbezüglich eine politische Entscheidung: Die Vertragsstaaten können nach Art. 7 Abs. 2 r. EAÜ auch unverheirateten Paaren, gleich welcher sexuellen Orientierung, erlauben, gemeinsam ein familienfremdes Kind zu adoptieren, sofern sie in einer dauerhaften Beziehung (stable relationship) leben.683 Wann eine dauerhafte Beziehung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 r. EAÜ vorliegt, ist von den Vertragsstaaten zu definieren.684 Wie bereits erwähnt, hat Deutschland das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen zwar noch nicht ratifiziert, doch wird der deutsche Gesetzgeber auch ohne einen solchen Schritt über kurz oder lang an einer Grundsatzentscheidung nicht vorbeikommen.
679
Mom, FamRZ 2009, 1551, 1553. Muscheler, FPR 2010, 227, 231. 681 Mom, FamRZ 2009, 1551, 1553. 682 Jänterä-Jareborg, in: Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), S. 91, 107 f. 683 Horgan/Martin, International Family Law 2008, 155, 156 f. 684 Explanatory Report zum revidierten Europäischen Adoptionsübereinkommen (Nr. 47) (Stand 1.11.2013). 680
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Vorgegeben wäre eine Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften dann, wenn sie aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zwingend geboten wäre. Im Grundsatz ist der Staat nach Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass fürsorgebedürftige Kinder möglichst in elterlicher Obhut aufwachsen.685 Der Gesetzgeber kann sich aber grundsätzlich frei entscheiden, welchen Paaren er die (gemeinschaftliche) Kindesannahme gestattet.686 Doch könnte es gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, dass das deutsche Recht die gemeinschaftliche Kindesannahme ausschließlich Eheleuten (§ 1741 Abs. 2 BGB) und – in Zukunft wohl auch – eingetragenen Lebenspartnern vorbehält.687 Dass nur Eheleute ein fremdes Kind gemeinsam annehmen dürfen, erklärt sich aus den historischen Entstehungsbedingungen des Adoptionsrechts. Das geltende Adoptionskonzept stammt aus dem Jahr 1976 und basiert auf der Vorstellung, dass den Interessen eines (Adoptiv-)Kindes (nur) dadurch entsprochen wird, wenn es als eheliches Kind bei Vater und Mutter aufwächst.688 Familienbeziehungen außerhalb einer ehelichen Partnerschaft wurden damals erst nach und nach stärker wahrgenommen.689 Doch stellen die historischen Entstehungsbedingungen keinen tauglichen Rechtfertigungsgrund im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dar. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber dazu berechtigt, die Ehe, die nach Art. 6 Abs. 1 GG „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ steht, gegenüber auf Dauer angelegten nichtehelichen Partnerschaften zu bevorzugen.690 Dieser generelle Differenzierungsgrund ist in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG jedoch dann kein ausreichender Rechtfertigungsgrund, wenn durch das Eheprivileg andere Lebensformen benachteiligt werden, die hinsichtlich ihrer rechtlichen Struktur mit der Ehe vergleichbar sind.691 Grundsätzlich ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft jedoch eine Partnerschaft, die eine vollkommen andere rechtliche Struktur aufweist und zwischen den Partnern deutlich weniger Rechte und Pflichten begründet als die Ehe, weshalb eine pauschale Besserstellung der Ehe aufgrund des
685
BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 44 ff. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851, Rn. 69. 687 Vgl. 2. Kapitel E. II. 1.; BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851 f., Rn. 72. 688 Vgl. 2. Kapitel A. 689 Vgl. Schwenzer/Bachofner, in: Schwenzer (Hrsg.), S. 77, 93 ff. 690 BVerfG 28.2.2007, FamRZ 2007, 529, 531; 19.6.2012, FamRZ 2012, 1472, 1474, Rn. 66 f. m.w.N.; 19.2.2013, NJW 2013, 847, 854, Rn. 98; Helms/Wanitzek, FamRZ 2007, 685, 686. 691 BVerfG 19.6.2012, FamRZ 2012, 1472, 1474, Rn. 68; 19.2.2013, NJW 2013, 847, 854, Rn. 98. 686
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Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich möglich erscheint.692 Der Grad der Verrechtlichung einer Partnerschaft dürfte auch ein tauglicher Indikator dafür sein, wie stabil die betreffende Lebensgemeinschaft – typischerweise – sein wird.693 Doch speziell im Adoptionsrecht ist diese Schlussfolgerung deutlich zu relativieren. In abstammungsrechtlicher Hinsicht bewirkt die Adoption durch Ehegatten, dass das adoptierte Kind gemeinsames Kind der Eheleute wird (§ 1754 Abs. 1 BGB). Das Rechtsverhältnis zwischen dem Kind und seinen (neuen) rechtlichen Eltern richtet sich inbesondere in unterhalts-, kindschafts- und erbrechtlicher Hinsicht nach den allgemeinen Vorschriften.694 Eheleute erhalten kraft Adoption außerdem die gemeinsame elterliche Sorge für ihr Adoptivkind, was § 1754 Abs. 3 BGB klarstellt.695 Die Rechtswirkungen einer gemeinschaftlichen Kindesannahme nach §§ 1754 ff. BGB würden auch für die gemeinschaftliche Adoption durch nichteheliche Partner gelten. Daher bietet die Adoption durch nichteheliche Lebenspartner dem Kind in rechtlicher Hinsicht die gleiche Absicherung wie eine Adoption durch Eheleute.696 Ein von nichtehelichen Partnern gemeinschaftlich adoptiertes Kind erhielte somit zwei rechtlich „vollwertige“ Eltern, was das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich für wünschenswert anzusehen scheint.697 Schon der Gesetzgeber des Jahres 1976 unterstrich, dass Adoptivkinder möglichst nicht in unvollständigen Familien aufwachsen sollten: Die Adoption durch eine unverheiratete Einzelperson (§ 1741 Abs. 2 S. 1 BGB) war überhaupt nur im Hinblick auf besondere (innerfamiliäre) Ausnahmesituationen gestattet worden.698 Das Argument, dass Ehen soziologisch gesehen typischerweise die stabilere Form des Zusammenlebens darstellen als nichteheliche Lebensgemeinschaften und daher die bessere Gewähr dafür bieten, dass das Kind auch tatsächlich in einer vollständigen Familie aufwächst, besitzt im Adoptionskontext nur sehr eingeschränkte Überzeugungskraft. Zwar ist gerade für Adoptivkinder eine möglichst gesicherte Partnerschaft der Adoptiveltern von zentraler Bedeutung, da ihr ohnehin oftmals gestörtes Bindungskonzept mit einer Trennung der Adoptivfamilie besonders starken Belastungen ausgesetzt wird,699 trotzdem verfängt der pauschale Hinweis auf die höhere Stabilität von Ehen nicht. Denn Adoptionsbewerber durch692 BVerfG 28.2.2007, FamRZ 2007, 529, 531; 19.6.2012, FamRZ 2012, 1472, 1474, Rn. 68. 693 Helms/Wanitzek, FamRZ 2007, 685, 687. 694 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1754 Rn. 9. 695 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1754 Rn. 9. 696 BVerfG 28.2.2007, FamRZ 2007, 529, 531. 697 BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 853, Rn. 83. 698 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 50. 699 Vgl. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 853, Rn. 83.
E. Gedanken zu künftigen Adoptionskonstellationen
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laufen einen umfassenden, mehrstufigen Überprüfungsprozess, der im Ergebnis erweisen muss, dass sie geeignete (Adoptiv-)Eltern sind, bevor sie ein Kind adoptieren dürfen (vgl. § 7 f. AdVermiG).700 Auch das Familiengericht spricht die Annahme erst dann aus, wenn es davon überzeugt ist, dass sie dem Wohl des Kindes dient (§ 1741 Abs. 1 S. 1 BGB). Dieses adoptionsspezifische Überprüfungsverfahren relativiert den Unterschied zwischen Eheleuten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Schließlich genügt auch der „Ehestatus“ als solcher keineswegs, um ein geeigneter Adoptionsbewerber zu sein. Vielmehr entscheiden vorrangig die Persönlichkeitsstruktur, das Alter, die Gesundheit, Lebensziele, Stabilität der Partnerschaft, das soziale Umfeld und die wirtschaftliche Situation der Bewerber über deren Eignung.701 Im Adoptionsverfahren kann somit im Einzelfall überprüft werden, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft gleichermaßen auf Dauer angelegt und verbindlich ist, wie eine idealtypische Ehe. Die Adoption durch verheiratete Partner mag pauschal eine erhöhte Stabilitätsgewähr bieten, jedoch wird im Rahmen einer Kindesannahme grundsätzlich im Einzelnen geprüft, ob die Partnerschaft der Bewerber ausreichend gesichert erscheint, um die Belastung einer Kindesannahme schultern zu können.702 Da für die konkreten Adoptionsbewerber, die ohnehin in einer dauerhaften Beziehung (Art. 7 Abs. 2 r. EAÜ) leben müssen, eine individuelle Stabilitätsprognose erstellt wird, ist der Rückgriff auf verallgemeinernde Vergleichsmaßstäbe versperrt.703 Eine pauschale Versagung der Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Adoption lässt sich vor diesem Hintergrund nicht rechtfertigen. Außerdem nimmt es der Gesetzgeber bereits de leg lata in Kauf, dass Adoptivkinder faktisch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsen können, wenn er gemäß § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB die Einzeladoption durch einen Unverheirateten gestattet, sofern der Annehmende in einer dauerhaften (nichtehelichen) Partnerschaft lebt.704 In der Praxis sind Anträge auf eine Einzeladoption nach § 1741 Abs. 2 S. 1 BGB zwar allenfalls bei Auslandsadoptionen relevant, hingegen im Inland in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle aussichtslos, doch greifen vor allem homosexuelle – nichteingetragene – Partner verstärkt auf sie zurück, um ein Kind zu adoptieren.705 Mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach einem Adoptivkind möglichst zwei Elternteile zuzuordnen 700
Vgl. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 854, Rn. 91. Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27 ff. 702 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 29. 703 Vgl. BVerfG 28.2.2007, FamRZ 2007, 529, 531. 704 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 51. 705 Vgl. 2. Kapitel E. II. 2. 701
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Kapitel 2: Die Minderjährigenadoption nach deutschem Recht
sind, ist dieser Zustand bedenklich,706 denn diesen Kindern wird es verwehrt, dass ihre faktischen Familienverhältnisse durch eine gemeinschaftliche Adoption beider Partner rechtlich abgesichert werden, woraus ein entwicklungspsychologisch stabilisierender Effekt erwächst.707 Insbesondere bei der Auflösung der Lebensgemeinschaft ist das nur von einem nichtehelichen Lebenspartner adoptierte Kind (materiell) schlechter gestellt als im Falle der gemeinschaftlichen Adoption. Trennt sich ein solches nichteheliches Paar, ist auch sorge- und umgangsrechtlich nicht immer eine kindeswohlkonforme Regelung möglich.708 Friktionen und Wertungswidersprüche vermeiden demgegenüber die europäischen Staaten, die unverheirateten Paaren die gemeinsame Adoption durch Familienfremde gestatten.709 So ist in Großbritannien die Adoption Minderjähriger weder von dem Partnerschaftsstatus noch vom Geschlecht der Adoptionsbewerber abhängig. Im Falle einer gemeinschaftlichen Adoption ist allerdings erforderlich, dass die Partner in einer dauerhaften familiären Beziehung leben (enduring family relationship), die nicht zeitlich, sondern durch die Intensität der Verbindung definiert ist.710 Ähnliche Regelungen gelten etwa in Portugal,711 Spanien712 und Belgien.713 In der Schweiz ist geplant, gleichgeschlechtlichen Partnern, die in Familiengemeinschaft leben, lediglich eine Stiefkindadoption zu ermöglichen.714 Gerade auch vor diesem rechtsvergleichenden Hintergrund erscheint es sehr zweifelhaft, adoptionswillige Eheleute und nichteheliche Adoptionsbewerberpaare a priori ungleich zu behandeln, ohne auf die konkrete Lebenssituation zu schauen. Stellt man das Wohl des betroffenen Kindes in das Zentrum, dürfte der rechtliche Paarstatus der Adoptionsbewerber von untergeordneter Bedeutung sein. Über kurz oder lang wird sich daher die Rechtsordnung einer gemeinschaftlichen Adoption durch unverheiratete Paare nicht länger verschließen können.715
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Vgl. BT-Drucks. 15/3445, S. 15. Vgl. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 852 ff. 708 Vgl. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 853, Rn. 84 ff. 709 Vgl. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 36 m.w.N. 710 McFarlane/Reardon, S. 130; Angell, International Family Law 2012, 422, 429. 711 Schäfer, in: Rieck (Hrsg.), Portugal, Stand: Oktober 2011, Rn. 47. 712 Dopffel/Kötz/Scherpe, in: Basedow/Hopt/Kötz/Dopffel (Hrsg.), S. 393, 406. 713 Markus, in: Rieck (Hrsg.), Belgien, Stand: Januar 2006, Rn. 40. 714 Vgl. Häfliger, NZZ 14.12.2012, 9; Hausheer, FamRZ 2011, 1465, 1466. 715 Vgl. Dethloff, ZKJ 2009, 141, 144 f.; Maurer, FamRZ 2013, 752, 753. 707
Kapitel 3
Internationales Adoptionsrecht A. Ausgangslage Eine internationale Minderjährigenadoption ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Kind im Zusammenhang mit einer Adoption seinen gewöhnlichen Aufenthalt von einem Staat in einen anderen verlegt: Es kann entweder im Heimatstaat von Personen adoptiert werden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat haben (Aufnahmestaat), oder es wurde bereits zum Zwecke einer Adoption in den Aufnahmestaat verbracht (Art. 2 Abs. 1 HAÜ). Nur dieser spezifische Aufenthaltswechsel des adoptierten Kindes von einem Staat in einen anderen kennzeichnet eine internationale Adoption, was sich in der englischen Bezeichnung intercountry adoption treffend widerspiegelt. Andere Faktoren, wie etwa die Staatsangehörigkeit des Adoptivkindes oder der Annehmenden, das angewandte Recht oder der Ort der Adoption haben keinen Einfluss auf diese Zuordnung. Während interne Minderjährigenadoptionen – bei denen kein grenzüberschreitender Aufenthaltswechsel des Kindes stattfindet – als Mittel der Sozialpolitik verstanden werden, um fürsorgebedürftigen Kindern das Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen,1 gilt diese Zielsetzung für Auslandsadoptionen nur eingeschränkt. Noch vor einigen Jahrzehnten existierte überhaupt kein umfassendes (internationales) Recht für Auslandsadoptionen. Erst das Haager Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 1993, das die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 20012 ratifiziert hat,3 bildet für die internationale Adoptionspraxis eine allgemeine und verbindliche Richtschnur, da sich insgesamt 93 Staaten4 dem Übereinkommen unterworfen haben. Dem Haager Adptionsübereinkommen unterliegen internationale Kindesannahmen dann, wenn Heimat- und Aufnahmestaat des betroffenen Kindes (vgl. Art. 3 HAÜ) das Übereinkommen ratifiziert haben. Das Adoptionsübereinkommen beruht auf einer Initiative der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht und geht auf die Kinderrechtskonven1
Frank, S. 17; vgl. 2. Kapitel A. BGBl. II 2001, 1034. 3 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des HAÜ: Lange, FPR 2001, 327 ff. 4 Die aktuellen Vertragsstaaten: (Stand 6.1.2014). 2
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
tion der Vereinten Nationen zurück (vgl. Art. 21 lit. e UN-KRK). Es ist der Versuch, zahlreiche Missstände im Zusammenhang mit Auslandsadoptionen einzudämmen,5 die sich vor allem ab Mitte der 1970er Jahre eingestellt hatten, als die Auslandsadoption in dem Maße an Bedeutung gewann, in dem umgekehrt die Anzahl potenzieller inländischer Adoptivkinder abnahm.6 Für die weltweite Konkurrenz um adoptierbare Kinder findet terre des hommes drastische Worte: „Wo die Nachfrage immer drängender wird, steigt die Versuchung, mit kriminellen Methoden künstlich für den einträglichen Nachschub an adoptierbaren Kindern zu sorgen. Zwar geschieht der Kauf oder Diebstahl von Kindern, die gezielte Fehlinformation der Mütter, die Fälschung von Identitäten und Papieren in vielen Fällen sicherlich ohne Wissen und Zustimmung der einzelnen ausländischen Vermittlungsstelle. Dennoch sind solche Vorkommnisse ohne das übergroße Interesse der Aufnahmestaaten, das in der massiven internationalen Konkurrenz vor Ort zum Ausdruck kommt, kaum denkbar.“7 So wurden in einzelnen Fällen etwa Kinder, die keine Waisen waren, formal als elternlos eingestuft, ihren Familien abgekauft oder Frauen dafür bezahlt, dass sie ein Kind zur Welt brachten, das von einem ausländischen Paar adoptiert werden konnte.8 Vereinzelt täuschten kriminelle Kinderhändler Müttern unmittelbar in der Geburtsklinik vor, dass ihr Kind kurz nach der Geburt gestorben sei und meldeten das Kind dann unter einer vorgetäuschten Identität beim Geburtenregister an.9 In den Heimatländern wurden regelmäßig besonders „adoptionsfreundliche“ Gerichte aufgesucht und von den Annehmenden von Seiten der Waisenhäuser teilweise hohe Geldbeträge verlangt – angeblich, um das gewünschte Adoptivkind bis zum erfolgreichen Ausspruch der Adoption zu pflegen.10 Ein besonders krasser Fall von Kindesentführung fand laut UNICEF in Honduras statt: „[Dort] wurde 1992 eine Gruppe überführt, die Kinder aus armen Stadtvierteln entführt und anschließend regelrecht „ge5
Hague Conference on Private International Law, Outline, S. 1 f. In den 1970er Jahren war es insbesondere dem steigenden Einfluss von Schwangerschaftsverhütung, Abtreibung sowie gesellschaftlich zunehmend akzeptierten alleinerziehenden Haushaltsgemeinschaften geschuldet, dass in Nordamerika und Europa die Anzahl an Inlandsadoptivkindern zurückging vgl. Hoksbergen/ter Laak, in: Brodzinsky/ Palacios (Hrsg.), S. 27, 33 f. und Marx, S. 17; umgekehrt hat die verstärkte Nachfrage nach Adoptivkindern dazu geführt, dass mittlerweile weltweit die unterschiedlichsten Kinder adoptiert werden, ohne dass sich Auslandsadoptionen in Nordamerika und Westeuropa auf westliche Kleinkinder beschränken (Finley, Adoption Quarterly 1/2003, 1, 3). 7 terre des hommes, abrufbar: (14.10.2013); vgl. auch Siebert-Michalak, FPR 2001, 332, 333. 8 UNICEF, abrufbar unter: (Stand 15.12.2013). 9 Evers/Friedemann, in: Evers/Friedemann (Hrsg.), S. 145, 174 f. 10 Magnus/Münzel, StAZ 1977, 65, 67. 6
A. Ausgangslage
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mästet“ hatte, um sie dann für 5.000 Dollar je Kind an ausländische Paare zu verkaufen. Bei den Tätern handelte es sich um hochrangige Behördenund Regierungsmitarbeiter.“11 Kriminelle (Privat-)Mittelsmänner und dubiose Vermittlungsstrukturen12 sind der wesentliche Grund, warum der internationalen Adoptionspraxis nach wie vor tendenziell große Skepsis entgegengebracht wird.13 Das Haager Adoptionsübereinkommen sollte auf die Missstände reagieren. Ihm liegt deshalb ein ordnungsrechtlicher Ansatz zugrunde, der darauf abzielt, bei Auslandsadoptionen das Kindeswohl ganz in den Vordergrund zu stellen (vgl. Art. 1 lit. a HAÜ; Art. 21 UN-KRK).14 Da das Kindeswohl aber weltweit höchst unterschiedlich definiert wird, begnügt sich das Adoptionsübereinkommen nicht mit der Aufstellung eines pauschalen Postulats, sondern verfolgt konkrete Ziele. An erster Stelle ist dabei das Subsidiaritätsprinzip zu nennen (vgl. Art. 4 lit. b HAÜ; Art. 21 lit. b UNKRK),15 wonach eine Auslandsadoption erst dann erfolgen darf, wenn die Annahme des Kindes im Heimatstaat nicht durchführbar ist. Hierdurch soll die kulturelle Identität des Kindes möglichst gewahrt werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Einführung eines ausgefeilten zwischenstaatlichen Kooperationssystems, durch das kriminellen Vermittlungsstrukturen ein Riegel vorgeschoben werden soll. Die Vertragsstaaten richten nach Art. 6 HAÜ zu diesem Zweck zentrale Behörden ein, die darauf achten, dass jede Vertragsstaatenadoption ein standardisiertes Verfahren durchläuft. Im Heimatstaat des Kindes muss die zentrale Behörde feststellen, ob ein Kind adoptiert werden kann, sie muss das Subsidiaritätsprinzip wahren und bescheinigen, dass die erforderlichen Zustimmungen zur Adoption wirksam erteilt worden sind (Art. 4 HAÜ). Die zentrale Behörde des Aufnahmestaates entscheidet, ob die potenziellen Adoptiveltern geeignet sind, klärt ab, ob die Eltern beraten worden sind, und legt fest, dass das Kind einreisen darf (Art. 5 HAÜ). Beide zentralen Behörden tauschen ihre Beurteilungen aus (Art. 15 f. HAÜ), bevor sie gemeinsam entscheiden, ob eine Adoption des betroffenen Kindes zustande kommt (Art. 17 lit. c HAÜ).
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UNICEF, abrufbar unter: (Stand 15.12.2013). 12 Vgl. Marx, S. 25 ff.; Lima Marques, S. 131 ff.; Magnus/Münzel, StAZ 1977, 65, 68. 13 Vgl. VG Hamburg 1.12.2005, JAmt 2006, 367 ff.; Fendrich, ZfJ 2005, 283, 286; Baum-Breuer, Der österreichische Amtsvormund 2007, 235 ff.; Paulitz, ZKJ 2009, 266, 268; Meyer, Spiegel 21/2001, 60 ff. 14 Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 21 Rn. 15; Hague Conference on Private International Law, Outline, S. 1. 15 Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 21 Rn. 21 f.; Hague Conference on Private International Law, Outline, S. 1 f.; Lima Marques, S. 37 ff., 294 ff.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Eine dritte Säule im Haager Adoptionsübereinkommen ist das automatische Anerkennungssystem des Art. 23 Abs. 1 HAÜ. Danach ist die Anerkennung einer Adoption ex lege in sämtlichen Vertragsstaaten vorgesehen, wenn die internationale Adoption die Vorgaben des Übereinkommens erfüllt. So sollen nationale Anerkennungsverfahren oder Wiederholungsadoptionen überflüssig und dem Kind zu größerer Statussicherheit verholfen werden.16 Die Anerkennung ausländischer Adoptionen spielt in Deutschland deswegen eine so große Rolle, weil bei den meisten Auslandsadoptionen die betroffenen Kinder erst dann ausreisen dürfen, wenn sie in ihrem Heimatstaat nach dortigem Recht angenommen worden sind.17 Dies gilt beispielsweise für Kinder aus so bedeutsamen Herkunftsstaaten wie:18 Russische Föderation,19 Kasachstan,20 Ukraine,21 Thailand,22 Haiti,23 Kolumbien24 und Polen.25 Eine Ausnahme bildet in gewisser Weise die Türkei. Bei der Adoption eines türkischen Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Türkei durch Adoptionsbewerber aus Deutschland ist es denkbar, dass die Adoption auch in Deutschland ausgesprochen wird.26 In der Praxis wählen die Adoptionsbewerber ihren Wohnsitz aber oftmals so, dass ein türkisches Gericht über die Adoption entscheidet.
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Hague Conference on Private International Law, Outline, S. 2; Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 394, 398. 17 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701. 18 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701; Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007– 2012, unveröffentlicht. 19 Nichtvertragsstaat. Soll ein russisches Kind adoptiert werden, ist das Adoptionsverfahren in der Russischen Föderation durchzuführen, bevor das Kind ausreisen darf (vgl. Art. 124 f. Russiches FGB). Es werden nach Art. 165 Nr. 1 Russisches FGB sowohl Teile des materiellen russischen Sachrechts auf die Adoption angewandt als auch das Recht des Staates berücksichtigt, dem die Annehmenden angehören. 20 Vertragsstaat. Auch in Kasachstan muss im Falle einer Auslandsadoption durch ausländische Staatsangehörige die Adoption gemäß Art. 209 Abs. 1 Kasachisches FamGB nach kasachischem Recht vollzogen werden, bevor das Kind ausreisen darf. 21 Nichtvertragsstaat. Auch in der Ukraine muss das Kind erst von den ausländischen Annehmenden adoptiert werden, bevor es ausreisen darf (vgl. Art. 283 FamGB), ausführlich: Debryckyi, in: Rieck (Hrsg.), Ukraine, Stand: August 2007, Rn. 34. 22 Vertragsstaat; vgl. König-Tumpiya, in: Bergmann/Ferid/Henrich (Hrsg.), Thailand, Stand: 1.7.2009, S. 28 f. 23 Nichtvertragsstaat; zur Adoptionsvermittlung haitianischer Kinder: Weitzel, JAmt 2009, 421 ff.; vgl. Hoffmann, ZKJ 2006, 542 ff. 24 Vertragsstaat; vgl. Art. 104 ff. Kolumbianisches Minderjährigengesetzbuch. 25 Vertragsstaat; vgl. Art. 117 § 1 Polnisches FVGB, Blümel, in: Rieck (Hrsg.), Polen, Stand: Mai 2012, Rn. 38. 26 Vertragsstaat. Nach Art. 315 Türkisches ZGB entscheidet das Gericht am Wohnsitz eines der Adoptierenden über die Adoption (Grassinger, StAZ 2005, 129, 137).
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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Der Grund für diese weit verbreitete Praxis liegt darin, dass die betroffenen Heimatstaaten der Überzeugung sind, dass sich nur auf diese Weise der internationale Kinderhandel bekämpfen lässt.27 Aus Sicht der deutschen Rechtsordnung hat dies zur Konsequenz, dass das nationale Kollisionsrecht der Minderjährigenannahme praktisch bedeutungslos geworden ist – weshalb bezweifelt werden darf, ob an den Wertungen der Art. 22, 23 EGBGB festzuhalten ist28 – und umgekehrt das Anerkennungsrecht enorm an Bedeutung gewonnen hat.29
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen I. Anerkennungsregeln Nach § 108 Abs. 1 FamFG werden ausländische Adoptionsentscheidungen in Deutschland grundsätzlich anerkannt, ohne dass ein besonderes Verfahren durchlaufen werden müsste.30 Ausnahmsweise findet gemäß § 109 Abs. 1 FamFG keine Anerkennung statt, wenn die ausländische Behörde international nicht zuständig war (Nr. 1), das rechtliche Gehör verletzt hat (Nr. 2), eine Kollision mit einer inländischen (rechtskräftigen) Entscheidung besteht (Nr. 3) oder der ordre public (Nr. 4) verletzt wurde. In der Praxis steht die Frage nach dem Vorliegen eines Ordre-public-Verstoßes nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ganz im Vordergrund. Bevor das Haager Adoptionsübereinkommen im Jahr 2002 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist, liefen ausländische Adoptionsentscheide hierzulande allenfalls dann Gefahr, gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public (§ 16a Nr. 4 FGG) zu verstoßen und deshalb nicht anerkannt zu werden, wenn die Wirkungen der ausländischen Adoption erheblich von denen einer deutschen Volladoption abwichen.31 Rechtsvergleichend betrachtet gibt es nämlich ganz verschiedene Adoptionstypen, die sich in ihren Wirkungen voneinander unterscheiden – die Volladoption oder die schwache Adoption existieren nicht.32 Alle Adoptionsrechtsverhältnisse zielen zwar darauf ab, ein dauerhaftes Eltern-KindVerhältnis zu begründen, gliedern das Kind aber unterschiedlich stark in 27
Frank, in: Lowe/Douglas (Hrsg.), S. 591. Vgl. Helms, in: FS Hahne, 2012, S. 69 ff.; ders., in: FS Pintens, 2012, S. 681, 698 f. 29 Benicke, S. 176; Ludwig, RNotZ 2002, 354, 358. 30 Umstritten ist, ob im Anwendungsbereich des Haager Adoptionsübereinkommens ein Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht (§§ 108 f. FamFG) möglich ist, da für Vertragsstaatenadoptionen bereits nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ die Anerkennung ex lege vorgesehen ist vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 31 Exemplarisch: Zimmermann, in: Keidel, FGG, 14. Aufl. 1999, § 16a Rn. 2 m.w.N. 32 Steiger, DNotZ 2002, 184, 187; Frank, StAZ 2003, 257, 260. 28
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
die Adoptivfamilie ein. In Nordamerika und Europa sind Annahmeverhältnisse beinahe länderübergreifend – wie im deutschen Recht – so ausgestaltet, dass das Adoptivkind die Stellung eines leiblichen Kindes der Eltern erhält und die Rechtsverhältnisse zur Ursprungsfamilie (vollständig) erlöschen (sogenannte Volladoption). Dagegen bleiben namentlich in einigen afrikanischen Heimatländern vereinzelte Rechtsbeziehungen – etwa Unterhalts- oder Erbrechte – zwischen Kind und Ursprungsfamilie bestehen: die Adoption hat nur begrenzte – schwache – Wirkungen. Weltweit ist die Volladoption allerdings auf dem Vormarsch. Seither büßt das formale Kriterium der Adoptionswirkungen seine Bedeutung als Anerkennungshindernis mehr und mehr ein. An dessen Stelle sind Kindeswohlerwägungen getreten, die im Rahmen des § 16a Nr. 4 FGG eine bloß untergeordnete Rolle spielten.33 Das deutsche Recht galt insbesondere im Bereich ausländischer Adoptionen als anerkennungsfreundlich.34 Im gerichtlichen Anerkennungsverfahren wurde grundsätzlich vermutet, dass die ausländische Adoptionsentscheidung zum Wohle des Kindes ergangen sei, solange keine Anhaltspunkte vorlagen, welche diese Annahme erschütterten.35 Nachdem die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaat des Haager Adoptionsübereinkommens geworden war, das eine Reaktion auf die Schattenseiten der internationalen Adoptionspraxis darstellte, wandelte sich die überaus anerkennungsfreundliche Ausrichtung des deutschen Rechts merklich.36 An dieser Tendenz änderte sich auch dann nichts, als im Jahr 2009 § 109 Abs. 1 FamFG an die Stelle des § 16a FGG trat, wobei es eigentlich das dezidierte Ziel des Gesetzgebers war, durch die Neuregelung die anerkennungsfreundliche Prägung des deutschen Rechts zu bewahren.37 Von der grundsätzlichen Akzeptanz ausländischer Adoptionsentscheidungen und der Vermutung, dass auch ausländische Richter zum Wohl des Kindes entscheiden, ist in der heutigen Praxis manchmal nicht mehr viel zu spüren. Teilweise wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis geradezu umgekehrt und die Anerkennung nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG verweigert, wenn den Adoptiveltern nicht der Nachweis gelingt, ob und inwiefern Kindesinteressen im ausländischen Verfahren ausreichend berücksichtigt wurden.38 Die – mehr oder weniger routinemäßige – Überprüfung der aus33
Vgl. Zimmermann, in: Keidel, FGG, 14. Aufl. 1999, § 16a Rn. 2. Hohnerlein, S. 50 f., 59 (zu § 16a FGG); Hoffmann, ZKJ 2006, 542 f. 35 Vgl. so noch BayObLG 21.6.2000, StAZ 2000, 300, 302 m.w.N.; OLG Düsseldorf 19.8.2008, StAZ 2009, 335, 336; Rauscher, in: Münch.Komm., ZPO, § 109 FamFG Rn. 41; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, § 109 Rn. 23. 36 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 554. 37 BT-Drucks. 16/6308, S. 222. 38 Exemplarisch: KG Berlin 23.12.2011, IPRspr. 2011 Nr. 139, 336, 337 f.; LG Dresden 11.7.2011, 2 T 1046/08, Rn. 16 ff. (juris); LG Frankfurt 28.3.2012, 2-09 T 490/10, 34
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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ländischen Adoptionsentscheidung anhand des Kindeswohlmaßstabs ist auf jeden Fall fester Bestandteil des anerkennungsrechtlichen ordre public geworden. Die allgemeinen Regeln für die Anerkennung von Entscheidungen werden bei Auslandsadoptionen allerdings ergänzt durch das Adoptionswirkungsgesetz, das im Jahr 2002 in Kraft getreten ist. Nach § 2 AdWirkG besteht die Möglichkeit, in einem gesonderten Verfahren gerichtlich feststellen zu lassen, ob eine im Ausland erfolgte Dekretadoption im Inland anzuerkennen ist.39 Ein Anerkennungsbeschluss stellt insbesondere fest, ob infolge der ausländischen Annahme das Eltern-Kind-Verhältnis zu den bisherigen Eltern vollständig erloschen ist (§ 2 Abs. 1, 2 Nr. 1 AdWirkG). Ist das der Fall, handelt es sich um eine Volladoption, die einer nach den deutschen Sachvorschriften begründeten Adoption entspricht.40 Diese Feststellung ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Bei der Anwendung des deutschen Rechts stellt sich oftmals die Frage, ob das Kind nach unseren Maßstäben wirksam adoptiert worden ist (sogenannte Substitutionsfrage).41 Diese Frage ist mit Rechtskraft des Anerkennungsbeschlusses für das deutsche Recht bindend beantwortet, weil der Beschluss – mit Ausnahme der leiblichen Eltern (§ 4 Abs. 2 S. 2 AdWirkG42) – gegen jedermann wirkt (§ 4 Abs. 2 S. 1 AdWirkG).43 Er erzeugt Rechtssicherheit, indem er unterschiedliche (behördliche) Entscheidungen in verschiedenen Anschlussfragen verhindert.44 Typischerweise handelt es sich um Angelegenheiten des Kindesaufenthalts, des Erhalts einer deutschen Geburtsurkunde, der Krankenversicherung des Kindes oder der Bewilligung von Kindergeld. Die Eltern können ohne (deutsche) Geburtsurkunde insbesondere nicht ihre Elternschaft nachweisen (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 4 PStG). Von besonderem Interesse ist für Eltern in diesem Zusammenhang auch, dass das Adoptivkind die deutsche Staatsangehörigkeit nur erlangt (vgl. § 6 StAG), wenn die ausländische Adoption anerkennungsfähig ist. Rn. 8 (juris); AG Celle 28.3.2011, IPRspr. 2011 Nr. 128, 307, 308 ff.; vgl. allgemein: OLG Celle 10.5.2011, IPRspr. 2011 Nr. 130, 318, 318 f. 39 Vgl. zur Wirksamkeitsfestellung im Falle einer Vertragsadoption: Bornhofen, StAZ 2002, 1, 6. 40 Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 79; Benicke, in: NomosKomm., BGB, Anhang I zu Art. 22 EGBGB Rn. 17 f. 41 Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Anhang I zu Art. 22 EGBGB Rn. 17. 42 Vgl. aber § 4 Abs. 2 S. 2–4 AdWirkG. 43 Frank, StAZ 2003, 257, 261 f.; Staudinger/Winkelsträter, FamRBint 2006, 10, 12 m.w.N. 44 BT-Drucks. 14/5437, S. 24; OVG Berlin-Brandenburg 17.11.2011, FamRZ 2012, 747 f.; Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Anhang I zu Art. 22 EGBGB Rn. 7; Lorenz, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 497, 511; Hohnerlein, S. 141 f.; Dietz, S. 90 f.; Steiger, DNotZ 2002, 184, 196; Ludwig, RNotZ 2002, 354, 355.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Bevor das Verfahren auf Anerkennung nach § 2 AdWirkG eingeführt worden war, entschied jede Behörde die Substitutionsfrage selbstständig, weshalb enorme Rechtsunsicherheit bestand. Diese Situation sollte beseitigt werden, als der Gesetzgeber das fakultative gerichtliche Anerkennungsverfahren nach § 2 AdWirkG schuf.45 Dieses Verfahren wird von Adoptiveltern mittlerweile selbst dann gewählt, wenn sie in einem HAÜ-Vertragsstaat adoptiert haben, obwohl das Haager Adoptionsübereinkommen die Anerkennung einer ausländischen Adoption in sämtlichen Vertragsstaaten ex lege vorsieht. Voraussetzung dafür ist lediglich eine behördliche Bescheinigung, die das ordnungsgemäße Zustandekommen der Adoption attestiert, aus dem Staat, in dem die Adoption durchgeführt wurde (Art. 23 Abs. 1 HAÜ; §§ 8 f. AdÜbAG). Da die Adoptionsentscheidung regelmäßig in den Heimatländern stattfindet, erhalten deutsche Adoptiveltern in aller Regel ausländische Konformitätsbescheinigungen nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ. Deren Echtheit kann in Deutschland durch die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption bestätigt werden (§ 9 S. 1 AdÜbAG). Weil die Bescheinigung nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ aber voraussetzt, dass die Bestimmungen des Übereinkommens eingehalten wurden, steht diese Option – wie noch zu zeigen sein wird – von vornherein nur einigen Adoptiveltern offen.46 Doch selbst Eltern, die a) ein Kind aus einem HAÜ-Vertragsstaat adoptiert und b) alle Vorgaben des Übereinkommens im Verfahren eingehalten haben, verlassen sich in der Praxis im Grunde nie allein auf die Anerkennung ex lege. Das mag schon damit zusammenhängen, dass die Echtheitsbestätigung nach § 9 AdÜbAG kostenpflichtig ist,47 während die Inanspruchnahme des gerichtlichen Anerkennungsverfahrens mittlerweile48 zwar nach § 3 Abs. 2 FamGKG in Verbindung mit Nr. 1714 der Anlage 1 zum FamGKG grundsätzlich gebührenpflichtig ist, allerdings oftmals keine – oder nur vergleichsweise geringe – Gebühren erhoben werden.49 Vor allem aber vermag ein Zertifikat nach § 9 AdÜbAG nicht die gleiche Rechtssicherheit zu schaffen wie ein gerichtlicher Anerkennungsbeschluss. Nicht jede Behörde akzeptiert die Echtheitsbescheinigung, und im Gegensatz zu § 2 Abs. 2 AdWirkG ist ihr insbesondere nicht zu entnehmen, welche Wirkungen die ausländische Adoptionsentscheidung entfaltet, die auch 45
Hohnerlein, S. 157 ff.; Winkelsträter, S. 177 f.; Busch, JAmt (DAVorm) 2001, 581,
582.
46
Vgl. 3. Kapitel D. Nr. 206 JVKostO (BGBl. I 2001, 3426), Anlage (zu § 2 Abs. 1), Gebührenverzeichnis. 48 Vgl. zur (umstrittenen) früheren Rechtslage: Maurer, in: Münch.Komm., AdWirkG, § 5 Rn. 15; Hölzel, StAZ 2003, 289, 292 f.; a.A. AG Frankfurt 22.6.2012, StAZ 2013, 23, 24; Braun, ZKJ 2012, 216 ff. 49 Vgl. AG Frankfurt 21.2.2013, 470 F 16069/12 AD, Rn. 7 (juris). 47
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
121
den Eltern häufig unbekannt sind.50 Die ursprüngliche Hoffnung, dass neben einer Bescheinigung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 HAÜ ein separates Anerkennungsverfahren überflüssig sei,51 erwies sich somit als Trugschluss. Der Anerkennungsmechanismus des Haager Adoptionsübereinkommens wird seinem Namen nicht gerecht. Die überwältigende Mehrheit der Adoptiveltern, die mit ihrem im Ausland adoptierten Kind in Deutschland leben (wollen), streben die gerichtliche Anerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung nach § 2 AdWirkG an. In der Praxis greifen sie sogar dann auf das Anerkennungsverfahren zurück, wenn es ihnen in der Sache darum geht, einen deutschen Pass für das Kind zu erlangen. Das Anerkennungsverfahren erlangt in der Realität somit gewissermaßen obligatorische Bedeutung und ist für viele behördliche Verwaltungsverfahren faktisch zur notwendigen Vorstufe geworden.52 Das widerspricht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers des Adoptionswirkungsgesetzes, der es ausdrücklich als fakultatives Verfahren eingeführt hatte.53 Wie viele internationale Adoptionen die Bundesrepublik Deutschland jährlich betreffen, lässt sich nicht ermitteln. Das Statistische Bundesamt weist zwar die Staatsangehörigkeit der gemeldeten Adoptivkinder aus, wonach bei knapp einem Drittel der Adoptionen familienfremder Kinder in Deutschland das Adoptivkind eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt. So wurden im Jahr 2012 insgesamt 415 Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit durch Familienfremde adoptiert (gemeldet); die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 525; (2010) 504; (2009) 571; (2008) 664; (2007) 778.54 Auch gibt das Statistische Bundesamt an, wie viele ausländische Kinder und Jugendliche offiziell zum Zweck der Adoption ins Inland geholt wurden: Im Jahr 2012 wurden insgesamt 352 ausländische Kinder und Jugendliche zum Zweck der Adoption in die Bundesrepublik Deutschland verbracht, davon betrafen 280 familienfremde Adoptionen; auch hier die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre: (2011) 448: 386; (2010) 464: 382; (2009) 521: 412; (2008) 612: 497; (2007) 709: 567.55 Diese Zahlen geben jedoch keine Auskunft über den grenzüberschreitenden Aufenthaltswechsel des adoptierten Kindes, der eine internationale Adoption kennzeichnet. Zwar sind nach § 2a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und S. 2 AdVermiG die deutschen 50 Frank, StAZ 2003, 257, 262; Weitzel, NJW 2008, 186, 188; Emmerling de Oliviera, MittBayNot 2010, 429, 433. 51 Maurer, FamRZ 2003, 1337, 1339; vgl. Dietz, S. 86; Marx, StAZ 1995, 315, 320; Busch, IPRax 2003, 13, 14 ff. 52 Vgl. LG Frankfurt 21.2.2013, 470 F 16069/12 AD, Rn. 5 f. (juris); Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 504 f. 53 BT-Drucks. 14/6011, S. 32. 54 Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012. 55 Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2007–2012.
122
Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Auslandsvermittlungsstellen verpflichtet, der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption jährlich zu melden, wie viele Vermittlungsverfahren abgeschlossen wurden: Gemeldet wurden im Jahr 2012 410 beendete Auslandsadoptionen; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 610; (2010) 518; (2009) 651; (2008) 843; (2007) 972.56 Da allerdings nicht alle internationalen Adoptionen vermittelt zustande kommen, bilden auch die Abschlussmeldungen keine verlässliche Statistik. Dass erheblich mehr adoptierte Kinder nach Deutschland verbracht als gemeldet wurden, offenbart die Anzahl inländischer Anerkennungsverfahren nach § 2 AdWirkG, welche die Zahl offiziell gemeldeter Auslandsadoptionen deutlich übersteigt: In 2012 war die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption an 772 Anerkennungsverfahren nach § 5 Abs. 3 S. 4 AdWirkG obligatorisch beteiligt; auch hier die Zahlen der vorhergehenden Jahre zum Vergleich: (2011) 843; (2010) 898; (2009) 958; (2008) 987; (2007) 1053.57 Da das in der Praxis bedeutsame Anerkennungsverfahren aber de lege lata fakultativ ist, bietet die Anzahl der Anerkennungsverfahren ebenfalls keine zuverlässige Erfassungsgrundlage. Dieser statistische Missstand ist der Grund, warum sich empirische Aussagen über Auslandsadoptionen in Deutschland kaum treffen lassen.58 Einige Charakteristika von Auslandsadoptionen, die den Aufnahmestaat Bundesrepublik Deutschland betreffen, lassen sich trotzdem – mit der gebotenen Vorsicht – identifizieren: Rund ein Viertel von ihnen dürfte auf Stiefkind- und Verwandtenadoptionen entfallen.59 Diese relativ große Gruppe ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens stellen Stiefkind- und Verwandtenadoptionen in aller Regel keine klassischen Fürsorgeadoptionen dar.60 Zweitens fungieren vor allem Verwandtenadoptionen typischerweise als rechtlicher Notbehelf. Da ausländerrechtlich ein Familiennachzug von verwandten Kindern oder Stiefkindern praktisch oft nicht
56
Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. 58 Schlauss, FamRZ 2007, 1699. 59 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701: (2005) 28 %; (2006) 27 %. Für die folgenden Jahre lauten die Zahlen wie folgt: (2007) 25 %; (2008) 7 %; (2009) 7 %; (2010) 23 %; (2011) 13 %; (2012) 12 % Stiefkind- beziehungsweise in (2010) 7 %; (2011) 7 %; (2012) 8 % Verwandtenadoptionen, wobei als Erhebungsgrundlage die Anerkennungsverfahren dienten, an denen die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption beteiligt ist (§ 5 Abs. 3 S. 4 AdWirkG), oder die Abschlussmeldungen vermittelter Adoptionen, welche die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption nach § 2a Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 AdVermiG erhält, die allerdings beide keine vollständige statistische Erfassung ermöglichen (Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht). In der Schweiz betreffen internationale Adoptionen überwiegend Stiefkinder vgl. Jametti Greiner, ZVW 1997, 171, 174. 60 Vgl. 2. Kapitel D. I. 57
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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realisierbar ist (vgl. 36 Abs. 2 AufenthG),61 werden internationale Stiefkind- und Verwandtenadoptionen häufig gewählt, damit die betroffenen Kinder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen können (sogenannte verdeckte Einwanderung).62 Zahlenmäßig weitgehend ausgeglichen scheint das Verhältnis zwischen Adoptionen von Kindern aus Staaten zu sein, die dem Haager Adoptionsübereinkommen angehören und solchen, welche die Konvention nicht ratifiziert haben.63 Für beide Arten internationaler Adoptionen stellt sich die Anerkennungsfrage. Sie wird in unterschiedlicher Weise von der ausgefeilten Systematik des Haager Adoptionsübereinkommens beeinflusst: zum einen für Adoptionen im Anwendungsbereich der Konvention, aber mittelbar auch in Bezug auf Auslandsadoptionen, die nicht unter das Adoptionsübereinkommen fallen. II. Typische Probleme bei der Anerkennung von ausländischen Adoptionen Im Zentrum der Anerkennungsfrage steht die Reichweite des anerkennungsrechtlichen ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG). Die Anerkennung ist nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das grundlegenden Prinzipien des deutschen Rechts offensichtlich widerspricht. Seitdem das Haager Adoptionsübereinkommen in Kraft getreten ist, tauchen immer wieder einige typische Konstellationen auf, bei denen sich die Frage stellt, ob eine ausländische Adoption mit den grundlegenden inländischen Wertvorstellungen im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vereinbar ist.64 1. Unbegleitete Auslandsadoptionen a) Vertragsstaaten Das Haager Adoptionsübereinkommen verlangt, dass die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eingeschaltet werden, damit eine internationale Adoption aus einem Vertragsstaat erfolgen darf. Die zentrale Behörde des Heimatstaates soll feststellen, ob ein Kind adoptiert werden kann, und gewährleisten, dass das Subsidiaritätsprinzip eingehalten wird und die erforderlichen Zustimmungen zur Adoption wirksam erteilt werden (Art. 4 HAÜ). Die zentrale Behörde des Aufnahmestaates hingegen muss entscheiden, ob die potenziellen Adoptiveltern geeignet sind, abklären, ob die 61 Vgl. Göbel-Zimmermann, in: Huber, AufenthG, § 36 Rn. 6; Maor, in: Kluth/Hund/ Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 807 ff.; Huber/Göbel-Zimmermann, Rn. 829. 62 Vgl. BT-Drucks. 16/12247, S. 36. 63 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701; Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007– 2012, unveröffentlicht. 64 Vgl. BT-Drucks. 16/12247, S. 36.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Eltern ausreichend beraten worden sind, und dafür Sorge tragen, dass das Kind einreisen darf (Art. 5 HAÜ). Das Adoptionsübereinkommen selbst schreibt nicht vor, dass eine Vertragsstaatenadoption von einer Vermittlungsstelle begleitet werden muss. Wer allerdings in Deutschland international adoptieren will, hat jedenfalls im Fall einer Vertragsstaatenadoption nach überwiegender Ansicht grundsätzlich eine Adoptionsvermittlungsstelle im Sinne von § 2a Abs. 3 AdVermiG zu beteiligen (vgl. Art. 21 lit. a UN-KRK).65 Der Grund dafür ist, dass sich das nach dem Haager Adoptionsübereinkommen vorgesehene Behördenverfahren in Deutschland nicht einhalten lässt, ohne dass eine Adoptionsvermittlungsstelle beteiligt wird.66 Bewerber für eine internationale Adoption mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland richten ihre Bewerbung zunächst an eine zuständige Vermittlungsstelle im Inland. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Stelle der Landesjugendämter, gegebenenfalls die Adoptionsvermittlungsstellen der örtlichen Jugendämter oder staatlich anerkannte Auslandsvermittlungsstellen in freier Trägerschaft (§ 4 Abs. 1 AdÜbAG). Während der gewöhnliche Aufenthalt der Bewerber die örtliche Zuständigkeit der staatlichen Vermittlungsstellen bestimmt, können die Adoptionsbewerber unter den in Deutschland anerkannten Auslandsadoptionsvermittlungsstellen freier Träger wählen.67 Diese Wahlmöglichkeit ist für den Erfolg einer internationalen Adoption nicht unerheblich. Anerkannte Vermittlungsstellen in freier Trägerschaft leisten hierzulande zwischen 80 bis 90 % der Auslandsvermittlungsarbeit, wobei sich auch innerhalb dieser Gruppe das Gros der Vermittlungsfälle auf wenige Stellen konzentriert.68 Ausländische Agenturen können zwar in einem konkreten Fall mit der Adoptionsvermittlung betraut werden, wenn dies die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption gestattet (§ 2a Abs. 3 Nr. 4 AdVermiG). In der Praxis wurde von dieser Option allerdings bislang kein Gebrauch gemacht.69 Der Grund hierfür dürfte in der Skepsis gegenüber sogenannten Drittstaatenadoptionen liegen. Hier übernimmt typischerweise eine Adoptionsvermittlungsstelle mit Sitz im Ausland das Vermittlungsverfahren für Bewer-
65 BVerwG 26.10.2010, BVerwGE 138, 77, 81 ff.; 10.3.2011, FamRZ 2011, 888, 890, Rn. 13 ff.; Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdVermiG, § 2a Rn. 27 m.w.N.; Bundeszentralstelle, Internationale Adoption, S. 17; Antwort der Bundesrepublik Deutschland (S. 11) auf die Umfrage des Ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (2010), abrufbar unter: (Stand 8.11.2013). 66 Maywald, FPR 2008, 499, 501. 67 Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, § 4 Rn. 4. 68 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 547; Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. 69 Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht.
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
125
ber mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland.70 An dieser Vorgehensweise wird kritisiert, dass ausländische Stellen weder die Eignung der Bewerber noch das Adoptionsbedürfnis des Kindes vor Ort prüfen und deshalb nicht umfassend beurteilen könnten; die Adoption sei infolgedessen einem erhöhten Risiko zu scheitern ausgesetzt.71 Empirisch dürfte sich diese Behauptung jedoch kaum belegen lassen.72 Nach dem Adoptionsübereinkommens-Ausführungsgesetz müssen deutsche Bewerber eine inländische Fachstelle aufsuchen und sich allgemein um ein Adoptivkind bewerben, wobei sie nur einen potenziellen Heimatstaat angeben dürfen (§ 4 Abs. 2 AdÜbAG).73 Dass sich die Bewerbung nicht ebenso gut auf ein bestimmtes ausländisches Adoptivkind beziehen darf, das den Adoptionsbewerbern bereits bekannt ist, ist innerhalb der Konventionsstaaten indes keineswegs Allgemeingut. Vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Behördenbeteiligung nach Art. 14 ff. HAÜ einer konkreten Bewerbung für ein bereits bekanntes Kind nicht im Wege stehe, was bei Verwandten- oder Stiefkindadoptionen, die auch unter das Haager Adoptionsübereinkommen fallen, regelmäßig der Fall sei.74 In Deutschland bewerben sich Wunscheltern demgegenüber stets allgemein als Adoptiveltern und erhalten – eine positive Ermessensprüfung vorausgesetzt – unter anderem einen (kostenpflichtigen) Sozialbericht75 (sogenannte home study), der ihnen bescheinigt, für eine internationale Adoption geeignet zu sein (§ 4 Abs. 4 AdÜbAG; § 7 Abs. 3 AdVermiG). Eine der home study vergleichbare Adoptionserlaubnis ist auch in nahezu sämtlichen anderen HAÜ-Rechtsordnungen Voraussetzung, um eine Auslandsadoption durchführen zu dürfen. Eine Besonderheit liegt in Deutschland jedoch darin, dass Adoptionsbewerber einen Sozialbericht nur dann erhalten, wenn die Auslandsadoption von einer Adoptionsvermittlungsstelle begleitet wird. Führen Eltern demgegenüber eine Auslandsadoption durch, ohne auf eine Adoptionsvermittlungsstelle nach § 2a Abs. 3 AdVermiG zurückzugreifen, nimmt das zuständige Jugendamt demgegenüber keine Eignungsprüfung der Bewerber gemäß § 7 Abs. 3 AdVermiG vor: Denn ein Sozialbericht wird in Deutschland nur an eine Adoptionsvermittlungs-
70
Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, § 4 Rn. 6. Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, § 4 Rn. 6; vgl. Radke, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 299, 304 f.; krit. Kunze, FPR 2001, 339 ff. 72 Vgl. Katz, in: Katz/Eekelaar/MacLean (Hrsg.), S. 279, 286; Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 294. 73 Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, § 4 Rn. 11 ff. 74 Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 294 ff.; a.A. (Schweiz) Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 30 m.w.N. 75 Ausführlich: Maurer, FamRZ 2003, 1337, 1348 f. 71
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
stelle, nicht an die Bewerber persönlich ausgehändigt.76 Fand eine internationale Adoption ohne anerkannte Adoptionsvermittlung statt, spricht man von einer sogenannten unbegleiteten oder auch freihändigen Adoption77 beziehungsweise von einer Privat- oder Selbstbeschaffungsadoption,78 die im englischen Sprachraum auch independent,79 privat oder wild adoption80 genannt wird. Halten sich die Bewerber an das vorgesehene Verfahren, werden die Bewerbungsunterlagen zusammen mit einem Bericht über die Adoptiveltern an die zentrale Behörde des Heimatstaates gesendet (§ 4 Abs. 5 S. 1 AdÜbAG), die nun ihrerseits die Vorgaben des Art. 4 HAÜ prüft, sofern überhaupt ein Kind für eine Auslandsadoption zur Verfügung steht. Es ist grundsätzlich allein die Sache der Heimatstaaten zu prüfen, ob das Kind adoptionsfähig ist und das Subsidiaritätsprinzip beachtet wurde, sowie die erforderlichen Zustimmung(en) zur Adoption einzuholen (vgl. Art. 4 HAÜ). Allerdings können nach dem Haager Adoptionsübereinkommen die zentralen Behörden der Heimatstaaten die internationale Adoption nicht selbstständig abschließen. Nach Art. 17 lit. c HAÜ (§ 5 Abs. 1 S. 1 AdÜbAG) müssen die zentralen Behörden beider Staaten in die Fortsetzung des Adoptionsverfahrens einwilligen (sogenanntes matching). Diese beiderseitige Zustimmung hat im System der Konvention überragende Bedeutung, weil eine Adoption in sämtlichen Vertragsstaaten nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ ex lege anzuerkennen ist, wenn ihr bescheinigt wurde, dass sie gemäß dem Übereinkommen erfolgt ist. Das setzt voraus, dass die zentralen Behörden beider Staaten ihre Zustimmung nach Art. 17 lit. c HAÜ erklärt haben.81 In der Theorie mag das gegenseitige Zustimmungserfordernis nach Art. 17 lit. c HAÜ den „Dreh- und Angelpunkt des zwischenstaatlichen Kindesschutzes auf dem Gebiet der internationalen Adoption [bilden]“82, da durch dieses Kooperationsverfahren unterschiedliche nationale Vorstellungen über die Kindeswohldienlichkeit einer konkreten Adoption aufeinander abgestimmt werden.83 Insbesondere wird auf diese Weise die zentrale Behörde des Aufnahmestaates in die Lage versetzt, eine ab76
Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 121 m.w.N.; Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 114; ders., in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 549; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 245. 77 Maywald, FPR 2008, 499, 501. 78 Vgl. zur Begrifflichkeit: Lima Marques, S. 135 f.; Reinhardt, ZRP 2006, 244; Paulitz, ZKJ 2007, 346. 79 Bullough, in: Stolley/Bullough (Hrsg.), S. 305 f. 80 Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 11. 81 Weitzel, NJW 2008, 186, 187 f. 82 Weitzel, NJW 2008, 186, 187. 83 Winkelsträter, S. 192; Jametti Greiner, ZVW 1997, 171, 180; Weitzel, NJW 2008, 186, 187.
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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weichende Einschätzung der ausländischen zentralen Behörde hinsichtlich des Kindeswohls zu korrigieren und die internationale Adoption notfalls zu stoppen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2b AdÜbAG),84 etwa wenn im Ausland die Adoption aus rein monetären Überlegungen befürwortet wird. Doch wurde in der Praxis der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption die Zustimmung nach Art. 17 lit. c HAÜ im konkreten Verfahren nur selten nicht erteilt. Wenn nämlich die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption mehrfach internationale Adoptionen in diesem weit fortgeschrittenen Vermittlungsstadium torpedieren würde, indem sie ihre Zustimmung nach Art. 17 lit. c HAÜ verweigert, dürfte die angestrebte Kooperation mit den betroffenen ausländischen zentralen Behörden nachhaltig gestört werden. Die zentralen Behörden der Heimatstaaten würden auf vermehrte Kritik an ihrer Definition der Kindeswohldienlichkeit mit angepassten Begründungen reagieren, ohne dass sich ein einheitlicher Standard durchgesetzt hätte. Das hier skizzierte Verfahren wird in der Adoptionsrealität in vielen Fällen nicht eingehalten. Viele Annehmende ziehen vielmehr auf eigene Faust los, um ein Kind zu adoptieren. Sie schalten weder eine inländische Adoptionsvermittlungsstelle (§ 2a Abs. 3 AdVermiG) ein noch werden – trotz Vorliegens einer Vertragsstaatenadoption – die zentralen Behörden des Heimatstaates beteiligt. Exakte Zahlen hinsichtlich der Häufigkeit unbegleiteter Adoptionen existieren nicht. Die Anerkennungsverfahren, an denen die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption stets zu beteiligen ist (§ 5 Abs. 3 S. 4 AdWirkG), vermitteln allerdings einen groben Überblick. Sie wurden von Schlauss85 erstmals im Jahr 2007 ausgewertet und beziehen sich auf die Verfahren in den Jahren 2005 und 2006. Für den in Rede stehenden Zeitraum konnte auf dieser Grundlage ermittelt werden, dass eine deutsche Adoptionsvermittlungsstelle im Vorfeld einer Vertragsstaatenadoption nur in circa der Hälfte aller Fälle beteiligt war.86 Eine Erklärung für diese hohe Anzahl abweichender Verfahren liegt in den internationalen Stiefkind- und Verwandtenadoptionen. Hier stehen Adoptierende und Adoptierter ohnehin fest, sodass auf eine Vermittlung verzichtet wird.87 Inwieweit ausländische Vermittlungsstellen in unbegleitete Verfahren involviert sind, ist nicht erfasst.88 In der Praxis ist dies aber wohl überwiegend der Fall.89 Den Kontakt zum Adoptivkind stellen die „Verfahrensabweichler“ regelmäßig über eine – meist US-amerikanische – Agen84
Vgl. Bienentreu, JAmt 2008, 57, 58 f. FamRZ 2007, 1699 ff. 86 BT-Drucks. 16/12247, S. 35; Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701 (Vertragsstaatenadoptionen ohne Auslandsadoptionsvermittlungsstelle in 2005: 56 % und 2006: 50 %). 87 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701. 88 BT-Drucks. 16/12247, S. 35. 89 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 549. 85
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
tur oder mittels privater Vermittlung her.90 US-amerikanische Agenturen sind für einige Bewerber vor allem deshalb attraktiv, weil sie Adoptivkinder unkompliziert und schnell via Internet vermitteln.91 Der Anteil von Vertragsstaatenadoptionen, an denen keine deutsche Vermittlungsstelle beteiligt ist, scheint in den letzten Jahren rückläufig zu sein. Die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption gibt auf der Grundlage der Anerkennungsverfahren, an denen sie beteiligt ist, ihren Anteil für das Jahr 2010 mit 27 % an; die entsprechenden Zahlen für die nachfolgenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 22 %; (2012) 18 %.92 Ein Grund für den Rückgang könnte sein, dass eine zunehmend restriktive Anerkennungspraxis davor abschreckt, eine Auslandsadoption auf eigene Faust durchzuführen. In der Literatur, aber vor allem in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, ist höchst umstritten, ob unbegleitete Adoptionen aus Vertragsstaaten anerkannt werden können. Zunächst ist fraglich, ob die Anerkennungsregeln der §§ 108 f. FamFG überhaupt auf ausländische Adoptionsentscheidungen anwendbar sind, die unter die Konvention fallen und in einem anderen Vertragsstaat ausgesprochen wurden. Ihrer Anwendung wird vereinzelt entgegengehalten, dass im Geltungsbereich des Haager Adoptionsübereinkommens eine ausländische Adoptionsentscheidung nur dann anerkannt werden könne, wenn die Konformitätsbescheinigung nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ vorläge; im Anwendungsbereich des Abkommens sei ein Rückgriff auf innerstaatliches Anerkennungsrecht gesperrt.93 Eine andere Auffassung schließt zwar grundsätzlich den Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht im Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht aus, nimmt aber einen Verstoß gegen den nationalen ordre public an, wenn inhaltliche (nicht bloße Form-)Vorschriften des Adoptionsübereinkommens missachtet worden sind: Jedenfalls die inhaltlichen Vor-
90
Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 549; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 245. Reinhardt, ZRP 2006, 244 f.; ders., JAmt 2006, 325, 327; Weitzel, JAmt 2006, 333, 336. Beispiele bei: Freundlich/Gerstenzang/Holtan, Adoption & Fostering 2/2007, 6 ff.; O´Reilly, Adoption & Fostering 2/2007, 17 ff.; Chou/Browne/Kirkaldy, Adoption & Fostering 2/2007, 22, 25, 28 ff. 92 Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2010–2012, unveröffentlicht. 93 OLG Düsseldorf 31.5.2012, I-25 Wx 61/11, Rn. 17 (juris); OLG Schleswig 25.9.2013, FamRZ 2014, 498, 500 f.; LG Berlin 1.9.2009, JAmt 2010, 85 f.; LG Düsseldorf 29.9.2011, 25 T 242/11, Rn. 10 (juris); Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 80; Henrich, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu Art. 22 ff. EGBGB Rn. 46; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 13, 64; Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 86; so wohl auch Fuchs, IPRax 2006, 316; Emmerling de Oliviera, MittBayNot 2010, 429, 434. 91
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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gaben der Konvention seien Teil des nationalen ordre public.94 Zu diesen Richtlinien werden beispielweise Art. 4 f., 17 lit. c HAÜ gezählt, wonach die zentralen Behörden des Abgabestaates zu prüfen haben, ob überhaupt ein Kind international adoptiert werden kann, hierbei das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleibt und die erforderlichen Einwilligungen vorliegen, während die zentrale Behörde im Aufnahmestaat die Eignung der Adoptionsbewerber und die Einreise des Kindes bestätigen muss, bevor ein matching beider Behörden erfolgen kann. Diese Auffassung inkorporiert die inhaltlichen Vorgaben des Haager Adoptionsübereinkommens gewissermaßen in den anerkennungsrechtlichen ordre public. Sie dürfte regelmäßig zu den gleichen Ergebnissen führen, wie die Auffassung, die einen Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht per se ausschließt. Freilich wird auch der Inkorporationslösung widersprochen und ein Rückgriff auf §§ 108 f. FamFG befürwortet, ohne dass der ordre public mit den inhaltlichen Vorgaben des Übereinkommens gleichgesetzt werden dürfe.95 Auch die überwiegende gerichtliche Praxis hält im Anwendungsbereich des Haager Adoptionsübereinkommens einen Rückgriff auf das nationale Anerkennungsrecht, das heißt §§ 108 f. FamFG für ausländische Dekretadoptionen,96 für zulässig, wenn eine Anerkennung ex lege nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ scheitert.97 Für den Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht sprechen mehrere Gründe, denen zunächst aber ein grundsätzlicher Einwand begegnet: HAÜ-widrige Adoptionen, die trotzdem von einem Vertragsstaat anerkannt werden, stellen grundsätzlich die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Übereinkommens infrage.98 Dieser Vertragsverstoß wurde zwar schon in den Beratungen zum Haager Adoptionsübereinkommen als solcher benannt, gleichzeitig wurde aber darauf verwiesen, dass die Frage der Anerkennung HAÜ-widriger Adoptionen in die Zuständig94
Weitzel, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, § 2 Rn. 7; ders., JAmt 2006, 333, 334; ders., NJW 2008, 186, 188 f.; ders., JAmt 2010, 86, 87; ders., JAmt 2013, 507, 509; vgl. Bienentreu, JAmt 2008, 57, 60. 95 Staudinger, FamRBint 2007, 42 ff. 96 Eine Dekretadoption unterscheidet sich von einer Vertragsadoption vorrangig dadurch, dass sie auf einem gerichtlichen beziehungsweise behördlichen Akt beruht vgl. Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 98. Dekretadoptionen müssen nicht gemäß unserem Kollisionsrecht (Art. 22 f. EGBGB) zustande gekommen sein, damit sie in Deutschland anerkannt werden können; sie unterliegen nur der verfahrensrechtlichen Anerkennung gemäß §§ 108 f. FamFG. Demgegenüber beurteilt sich die Wirksamkeit einer ausländischen Vertragsadoption nach Art. 22 f. EGBGB (vgl. hierzu Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 93). 97 Exemplarisch: OLG München 2.8.2013, JAmt 2013, 531; LG Frankfurt 28.3.2012, 2-09 T 490/10, Rn. 4 ff. (juris); 3.4.2012, 2-09 T 594/07, Rn. 10 (juris); LG Karlsruhe 13.4.2012, 11 T 83/12, Rn. 7 (juris); AG Köln 10.2.2012, 302 F 311/10, Rn. 12 (juris); Staudinger/Winkelsträter, FamRBint 2006, 10, 11 f. 98 BT-Drucks. 14/5437, S. 62 (Rn. 411); Weitzel, NJW 2008, 186, 189.
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keit der Vertragsstaaten falle, die ihr Anerkennungsregime am Kindeswohl zu orientieren hätten.99 Aufgrund dieser Historie verbietet das Übereinkommen den Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht nicht, sofern Adoptionen betroffen sind, die seinen Vorgaben unterliegen, diese aber (teilweise) missachten.100 Vielmehr verweigert es lediglich die automatische Anerkennung nach Art. 23 Abs. 1 HAÜ, wenn seine Vorgaben nicht beachtet wurden, darüber hinaus versagt es aber den Rückgriff auf das nationale Anerkennungsregime nicht.101 Weil die Konvention kein Anerkennungsverbot enthält, greifen die im internationalen Verfahrensrecht allgemein anerkannten Grundsätze. Zu ihnen zählt das völkerrechtliche Günstigkeitsprinzip, wonach der Rückgriff auf das nationale Anerkennungsregime erlaubt ist, wenn dadurch das Kindeswohl umfassender geschützt wird.102 In der gerichtlichen Praxis umstritten ist aber, ob die materiellen Grundsätze der Konvention – insbesondere die Kooperation der zentralen Behörden nach Art. 4 f., 17 HAÜ – zugleich wesentliche Säulen des deutschen Rechts und damit Teil des nationalen ordre public sind. Von manchen Gerichten wird dies bejaht,103 andere lehnen diese Gleichsetzung mit dem ordre public jedoch ab.104 Bewertet man die nach dem Haager Adoptionsübereinkommen vorgesehene Behördenbeteiligung im Fall einer Vertragsstaatenadoption als unverzichtbaren Teil der deutschen öffentlichen Ordnung, verletzen unbegleitete Vertragsstaatenadoptionen die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG), da in Deutschland nur vermittelte Adoptionen die Behördenbeteiligung gewährleisten. Bevor eine Antwort auf diese Frage gegeben wird, sollen zunächst die weiteren Problemfälle skizziert und die allgemein anerkannten Grundsätze für die Konkretisierung des ordre public entwickelt werden.105 99
BT-Drucks. 14/5437, S. 62 (Rn. 411). Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 123. 101 Staudinger, FamRBint 2007, 42, 46; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 61. 102 Vgl. AG Hamm 21.6.2011, StAZ 2012, 54, 55; Maurer, in: Münch.Komm., AdWirkG, § 2 Rn. 6 m.w.N.; Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 100, 123; Andrae, S. 504 ff. (§ 7 Rn. 70 f.); Staudinger, FamRBint 2007, 42, 45 f. m.w.N.; Botthof, StAZ 2014, 74, 75 ff.; a.A. OLG Schleswig 25.9.2013, FamRZ 2014, 498, 499, 500 f. 103 LG Flensburg 23.2.2009, JAmt 2009, 192 ff.; AG Hamm 28.2.2011, IPRspr. 2011 Nr. 125, 298, 299 ff.; AG Köln 10.2.2012, 302 F 311/10, Rn. 16 (juris); vgl. OLG München 5.12.2011, IPRspr. 2011 Nr. 120, 284, 285 ff.; Weitzel, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, § 2 Rn. 7. 104 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607, 1608; 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 341 f.; OLG Düsseldorf 22.6.2010, StAZ 2012, 175, 177; OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227; LG Stuttgart 18.4.2011, IPRspr. 2011 Nr. 129, 314, 315 ff.; AG Hamm 21.6.2011, StAZ 2012, 54, 55; Botthof, StAZ 2014, 74, 78 f. 105 Vgl. 3. Kapitel B. II. 2.–4. und 3. Kapitel B. III. 100
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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b) Nichtvertragsstaaten Unbegleitete Adoptionen können auch einen Nichtvertragsstaat betreffen. Auch dann stellt sich im Anerkennungsverfahren – wie noch dargelegt werden wird – regelmäßig die Frage, ob die betreffende Adoption mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) vereinbar ist. In Deutschland dürfte das Verhältnis von internationalen Adoptionen aus Vertragsstaaten zu Nichtvertragsstaatenadoptionen ungefähr ausgeglichen sein.106 Zwar sind mittlerweile 93 Staaten dem Haager Adoptionsübereinkommen beigetreten,107 daraus folgt umgekehrt aber nicht, dass mit jeder weiteren Ratifikation des Übereinkommens die Bedeutung von Nichtvertragsstaatenadoptionen für Deutschland kontinuierlich abnimmt. Der Grund hierfür ist leicht erklärbar: Im Zeitraum der Jahre 2008 bis 2012 stammte in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland ein Großteil international adoptierter Kinder aus folgenden Heimatstaaten, die das Übereinkommen bislang nicht ratifiziert haben: Russische Föderation, Äthiopien, Haiti, Kosovo, Ukraine, Taiwan, Kamerun, Nigeria, Nepal und Kongo.108 Solange die Ratifikation der Konvention durch typische Heimatstaaten ausbleibt, ist der vermeintliche Siegeszug des Haager Adoptionsübereinkommens lediglich relativ. Dies gilt in erster Linie für die Russische Föderation,109 die in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland wohl das bedeutendste Herkunftsland ist,110 aber auch international als Abgabestaat einen Spitzenplatz einnimmt.111 Die international herausragende Stellung der Russischen Föderation als Heimatland potenzieller Adoptivkinder fußt vor allem auf der 106
Im Jahr 2012 gibt die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption auf der Grundlage der Abschlussmeldungen der Vermittlungsstellen das Verhältnis mit 38 % Vertrags- und 62 % Nichtvertagsstaatenadoptionen an; die entsprechenden Zahlen für die vorhergehenden Jahre sehen wie folgt aus: (2011) 38 %, 62 %; (2010) 51 %, 49 %; (2009) 45 %, 55 %; (2008) 45 %, 55 %; (2007) 49 %, 51 %. Auf der Grundlage der Verfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz stellt sich die Relation ähnlich dar: Im Jahr 2012 stehen 45 % Vertrags- 55 % Nichtvertragsstaatenadoptionen gegenüber; auch hier die Zahlen für die vorhergehenden Jahre: (2011) 50 %, 50 %; (2010) 47 %, 53 %; (2009) 43 %, 57 %; (2008) 35 %, 65 %; (2007) 37 %, 63 % (Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht). 107 Die je aktuellen Vertragsstaaten: (Stand 6.1.2014). 108 Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2008–2012, unveröffentlicht, die allerdings keine exakte statistische Erfassung darstellen. 109 Die Russische Föderation hat das Haager Adoptionsübereinkommen bereits am 7.9.2000 gezeichnet, aber bislang nicht ratifiziert: (Stand 27.12.2013). 110 Vgl. Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. 111 McGuinness/Robinson, Journal of Psychosocial Nursing 6/2011, 17 f.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
schier unerschöpflichen Anzahl russischer Waisenkinder. Angeblich wachsen in Russland gegenwärtig rund 660.000 Kinder ohne Eltern auf.112 Sie sind überwiegend institutionell untergebracht, weil Familienpflege in der Russischen Föderation nicht in nennenswertem Umfang existiert.113 Russische Waisenkinder, die im Rahmen einer Auslandsadoption angenommen wurden, weisen im Erwachsenenalter überdurchschnittlich häufig starke Verhaltensauffälligkeiten auf.114 Diese sollen unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass bei ihnen, wie bei Adoptivkindern aus Osteuropa generell, überdurchschnittlich oft ein fetales Alkoholsyndrom besteht, das durch pränatalen Alkoholabusus der Mutter ausgelöst wird.115 Adoptivkinder aus Osteuropa scheinen im Vergleich zu anderen international adoptierten Kindern allgemein eine unterdurchschnittliche Entwicklungskompetenz aufzuweisen.116 Möglicherweise ist eine weitere Ursache für diese Diagnose, dass viele institutionell betreute Kinder systematisch vernachlässigt werden und ihre Entwicklung nicht adäquat gefördert wird.117 Trotz dieses bedenklichen Hintergrundes ist die Russische Föderation nach wie vor auch für deutsche Wunscheltern das wohl beliebteste Ziel, um ein Adoptivkind zu finden, was unter anderem an der hohen Vermittlungsquote liegt. Zwar gilt auch in der Russischen Föderation theoretisch das Subsidiaritätsprinzip, wonach drei russische Familien die Adoption des betroffenen Kindes ablehnen müssen, bevor es international adoptiert werden darf.118 In der Praxis genügt es indes, wenn das Kind seit sechs Monaten zur Adoption freigegeben ist.119 Hier offenbart sich, dass es vorrangig in den Händen der Heimatstaaten liegt, sachgerechte Standards einzuführen und durchzusetzen.120 Internationale Adoptionen aus Nichtvertragsstaaten, bei denen die adoptierten Kinder mit ihren Eltern in Deutschland leben (sollen), werden vom Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht erfasst und müssen sich 112
Holm, FAZ 22.1.2013, 34. Miller, S. 54. 114 Hawk/McCall, Developmental Psychology 3/2011, 732, 738. 115 Miller, S. 89 ff. Wobei generell zu gelten scheint, dass ausländische Adoptivkinder im Vorfeld der Adoption überdurchschnittlich häufig psychische und physische Krankheiten aufweisen vgl. Gunnar/Kertes, in: Brodzinsky/Palacios (Hrsg.), S. 47 ff.; Pomerleau et al., International Journal of Behavioral Development 5/2005, 445 ff.; McGuinness/Robinson, Journal of Psychosocial Nursing 6/2011, 17, 18 f. 116 Welsh/Viana, Adoption Quarterly 4/2012, 241, 257. 117 Human Rights Watch (Hrsg.), S. 2 ff.; vgl. St. Petersburg – USA Orphanage Research Team, Journal of Applied Developmental Psychology 5/2005, 477, 499 ff.; dass., Monographs of the Society for Research in Child Development 3/2008, 1, 24 ff.; Holm, FAZ 22.1.2013, 34. 118 Vgl. Boy, FAZ 20.12.2012, 3. 119 Miller, S. 54. 120 Vgl. Varnis, Society 2/2001, 39, 42 ff. 113
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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damit grundsätzlich auch nicht nach seinen Vorgaben richten.121 Ist bei Vertragsstaatenadoptionen etwa die Subsidiarität der Auslandsadoption (Art. 4 lit. b HAÜ) oder das Kontaktverbot zwischen den Adoptionsbewerbern und den leiblichen Eltern (Art. 29 HAÜ) zu beachten und muss beispielsweise die Elterneignung zwingend festgestellt werden (Art. 5 lit. a HAÜ), legen in den übrigen Fällen in erster Linie die Heimatstaaten fest, welche materiellen Anforderungen für eine Auslandsadoption gelten. Sie sind es auch, die überwiegend zunächst eine inländische Annahme des Kindes vorschreiben, bevor sie eine Ausreise des Kindes gestatten, sodass ihr Adoptions(verfahrens)recht darüber entscheidet, welche (Verfahrens-) Vorgaben für eine internationale Kindesannahme bestehen.122 In Deutschland existiert in Bezug auf Nichtvertragsstaaten keine Behördenkooperation, wie sie das Haager Adoptionsübereinkommen vorsieht. Einige anerkannte inländische Auslandsvermittlungsstellen (§ 2a Abs. 3 AdVermiG) bieten allerdings die Begleitung einer Nichtvertragsstaatenadoption an, wobei jede Vermittlungsstelle in freier Trägerschaft nur in einigen ausgewählten (Nichtvertrags-)Staaten tätig werden darf.123 Auslandsadoptionen außerhalb des Haager Adoptionsübereinkommens können in Deutschland de lege lata aber durchgeführt werden, ohne dass eine deutsche Vermittlungsstelle im Sinne von § 2a Abs. 3 AdVermiG zu beteiligen ist.124 Praktisch ist das auch in über der Hälfte der Nichtvertragsstaatenadoptionen der Fall.125 Weil die Beteiligung einer Vermittlungsstelle im Falle einer Nichtvertragsstaatenadoption gesetzlich nicht vorgesehen ist und die Kooperationsvorgaben des Übereinkommens außerhalb seines Anwendungsbereichs nicht einschlägig sind,126 wird allein die fehlende Beteiligung einer Adoptionsvermittlungsstelle bislang überwiegend nicht als Ordre-publicVerstoß angesehen.127 In diesen Fällen wird aber (mittlerweile) regelmäßig das Vorliegen einer ausreichenden Prüfung der Elterneignung (pauschal) angezweifelt.
121
Vgl. Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, Einl. Rn. 12. Vgl. 3. Kapitel A. 123 Vgl. Übersicht der anerkannten Vermittlungsstellen in freier Trägerschaft inklusive der Staaten, in denen ihre Tätigkeit zugelassen ist: (Stand 23.12.2013). 124 Antwort der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Umfrage des Ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (2010): (Stand 8.11.2013). 125 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701. 126 Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 122. 127 Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 122 m.w.N. 122
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
2. Mangelhafte Kindeswohlprüfung und Begutachtung der Elterneignung Nach dem Haager Adoptionsübereinkommen ist es eine zentrale Voraussetzung, dass die zuständige Behörde des Aufnahmestaates feststellt, ob die Adoptiveltern geeignet sind, bevor eine internationale Adoption durchgeführt werden kann (Art. 5 lit. a, b HAÜ). Diese Wertung beeinflusst auch den Gehalt der nationalen Vorbehaltsklausel (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG). Nachdem die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaat des Haager Adoptionsübereinkommens geworden war, setzte sich nämlich zunehmend die Auffassung durch, dass eine ausreichende Berücksichtigung des Kindeswohls stets voraussetze, dass die Elterneignung der Adoptionsbewerber angemessen begutachtet worden sei.128 Nach überwiegender Auffassung genügt es nicht, dass irgendeine Beurteilung der Adoptiveltern im Ausland erfolgt, um dem anerkennungsrechtlichen ordre public Rechnung zu tragen. Vielmehr entspreche bei Bewerbern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland regelmäßig nur die Eignungsprüfung durch eine inländische Fachstelle dem Kindeswohl und zugleich den Anforderungen des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, weil am Lebensmittelpunkt der Annehmenden eher ein zutreffender Sozialbericht erstellt werden könne als andernorts. Soweit diese Anforderungen nicht erfüllt sind, soll nach dieser Auffassung in aller Regel die Nichtanerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG die Konsequenz sein.129 Dies wird teils sowohl für Vertragsstaaten- als auch für Nichtvertragsstaatenadoptionen angenommen,130 obwohl bei letzteren Art. 5 lit. a, b HAÜ nicht gilt, wonach die zentrale Behörde des Aufnahmestaates die Eignung der Adoptiveltern feststellen muss, teilweise wird diese Forderung jedoch auch auf Vertragsstaatenadoptionen beschränkt.131 Das Erfordernis eines obligatorischen inländischen Sozial128
Zimmermann, in: Keidel, FGG, 15. Aufl. 2003, § 16a Rn. 8. OLG Hamburg 24.10.2011, 2 Wx 25/11, Rn. 15 (juris); OLG München 2.8.2013, JAmt 2013, 531; OLG Hamm 24.9.2013, II-11 UF 59/13, Rn. 23 (juris); OLG Dresden 29.10.2013, ZKJ 2014, 164, 164 ff.; LG Stuttgart 26.9.2007, JAmt 2008, 102 ff.; LG Flensburg 28.3.2011, IPRspr. 2011 Nr. 127, 304, 305 ff.; LG Düsseldorf 31.5.2011, 25 T 262/10, 25 T 379/11, 25 T 380/11, Rn. 14 (juris); LG Karlsruhe 13.4.2012, 11 T 83/12, Rn. 8 (juris); LG Frankfurt 3.4.2012, 2-09 T 594/07, Rn. 12 (juris); AG Celle 18.3.2004, JAmt 2004, 377 f.; AG Stuttgart 8.2.2011, IPRspr. 2011 Nr. 122, 292, 293 f.; AG Karlsruhe 9.9.2011, 6 XVI 96/2008 B 8, Rn. 8 (juris); Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 95; Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 106; wohl auch Maurer, in: Münch.Komm., AdWirkG, § 2 Rn. 9; Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 556; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 246 f.; ders., JAmt 2006, 325, 326 ff.; Busch/Bienentreu, StAZ 2001, 12; a.A. Staudinger, FamRBint 2007, 42, 44 ff. 130 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607 ff. 131 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227; vgl. AG Düsseldorf 18.1.2011, 94 XVI 3/09, Rn. 7 (juris); AG Hamm 28.2.2011, IPRspr. 2011 Nr. 125, 298, 299 ff. 129
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berichts entspricht der US-amerikanischen Adoptionstradition. Sämtliche Bundesstaaten der USA sehen im Falle einer intercountry adoption zwingend das Erfordernis einer home study vor, welche die Elterneignung bestätigt.132 Im Gegensatz zu Deutschland ist die Erstellung einer home study in den USA allerdings möglich, ohne dass die internationale Adoption selbst von einer anerkannten Vermittlungsstelle begleitet werden muss. In Deutschland erhalten Adoptionsbewerber einen Sozialbericht jedoch – wie bereits dargelegt wurde – bloß dann, wenn sie eine begleitete Auslandsadoption durchführen.133 Wer also für den anerkennungsrechtlichen ordre public fordert, Bewerber mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland müssten stets durch eine inländische Fachstelle überprüft werden, lehnt damit im Ergebnis die Anerkennung unbegleiteter Auslandsadoptionen ab, insbesondere solcher „unbegleiteter“ Adoptionen, bei denen eine ausländische Fachstelle die Eignung der Adoptiveltern mittels home study festgestellt und die Adoption begleitet hat. Diese Auffassung leistet dem rechtspolitischen Bestreben Vorschub, Standards des Haager Übereinkommens – vor allem mithilfe des Anerkennungsrechts – auch gegenüber Nichtvertragsstaaten durchzusetzen.134 Nichtvertragsstaatenadoptionen könnten nicht hinter den Schutzstandards der Konvention zurückbleiben, da es sich hierbei um international überwiegend anerkannte Regeln handele, die gewissermaßen universelle Geltung beanspruchten.135 In diesem Sinne fordert das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht die Vertragsstaaten dazu auf, unbegleitete Adoptionen de lege ferenda gesetzlich zu verbieten, ohne dieses Verbot ausdrücklich auf Vertragsstaatenadoptionen zu beschränken.136 Das entspricht der von Den Haag grundsätzlich vertretenen Politik, die Prinzipien des Haager Adoptionsübereinkommens möglichst auch gegenüber Nichtvertragsstaaten anzuwenden.137 Diese restriktive Interpretation der deutschen Anerkennungsregeln beruft sich auf den historischen Gesetzgeber, der im Zuge der FamFGNovelle geäußert hat, dass sich die Lebensumstände der Annehmenden am besten durch eine Fachstelle in deren Heimatstaat erfassen ließen.138 Aller132
U. S. Department, Checks, S. 8 ff. Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 134 Vgl. Benicke, in: Nomos-Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 114; ders., in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 557 ff.; Reinhardt, ZRP 2006, 244 ff., ist aber skeptisch, ob § 16a Nr. 4 FGG (jetzt § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) diese Sanktion gestattet; ders., JAmt 2006, 325, 328; Weitzel, IPRax 2007, 308 ff.; ähnlich Bienentreu, JAmt 2008, 57, 60. 135 Vgl. Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, Einl. Rn. 12; a.A. Schmahl, UNKinderrechtskonvention, Art. 21 Rn. 23. 136 Permanent Bureau, Conclusions, S. 7 f., 21 f. 137 Hague Conference on Private International Law, Guide No. 1, S. 134 f. 138 BT-Drucks. 14/6011, S. 29. 133
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dings sah der deutsche Gesetzgeber hierin bloß eine Regelanforderung, die ausländische Adoptionen erfüllen sollten, um nicht mit § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zu kollidieren: Wenn „eine derartige fachlich fundierte Prüfung nicht stattgefunden hat, so begründet dies Zweifel an der Vereinbarkeit der ausländischen Adoptionsentscheidung mit dem deutschen ordre public.“139 Diese Formulierung deutet bereits darauf hin, dass Ordre-public-Verstöße nicht pauschal davon abhängig gemacht werden können, ob eine inländische Fachstelle die Eignung deutscher Adoptionsbewerber festgestellt hat. Es verwundert somit nicht, dass diese relativ neue Auslegungstendenz (noch) kein Allgemeingut ist, sondern teilweise eingeschränkt wird: Der anerkennungsrechtliche ordre public erfordere entweder eine Eignungsprüfung durch eine deutsche oder eine nach deutschem Maßstab gleichwertige ausländische (Fach-)Stelle.140 Konkret hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe am 6.12.2012141 beispielsweise einen Fall zu entscheiden, bei dem am 1.10.2010 kosovarische Eheleute im Kosovo ihre sechsjährige Cousine adoptiert hatten. Die leibliche Mutter des Kindes war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das damals fünfjährige Mädchen lebte bis zur Adoption bei ihrem leiblichen Vater, der in die Adoption seiner Tochter eingewilligt hatte. Eine deutsche Fachstelle war am kosovarischen Adoptionsverfahren nicht beteiligt gewesen, obwohl die Annehmenden ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hatten. Gleichwohl hat nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe im kosovarischen Verfahren eine den deutschen Maßstäben durchaus vergleichbare (ausländische) Eignungsüberprüfung der Adoptiveltern stattgefunden. Die Annehmenden seien vom kosovarischen Gericht ausführlich angehört worden, und eine vom Gericht hinzugezogene Pädagogin habe den Eltern bescheinigt, dass sie zur Adoption geeignet seien. Die annehmenden Eheleute hätten ausreichende pädagogische Fähigkeiten, um die Erziehungsverantwortung für das traumatisierte Kind zu übernehmen. Ihre Erziehungseignung hätten sie bereits bei ihren beiden leiblichen Söhnen unter Beweis gestellt, die ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen, aber mittlerweile gut integriert seien. Die wirtschaftliche Lage der Annehmenden sei durch aktuelle Lohnabrechnungen bestätigt worden. Die sozialen Verhältnisse der Annehmenden in Deutschland seien ebenfalls überprüft worden, indem das kosovarische Gericht den Mietvertrag der Eheleute eingesehen, das Fehlen von Vorstrafen sowie ihren Gesundheitszustand berücksichtigt habe. Außerdem lag dem Gericht eine schriftliche Stellungnahme des Zentrums für Sozialarbeit vor, welche die Adoption ebenfalls befürwortet hatte. Soweit die umfangreiche kosovarische Eignungsprüfung punktuell hinter den Anforderungen zurückgeblieben sei, die in Deutschland für eine
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BT-Drucks. 14/6011, S. 29. OLG Celle 5.12.2007, FamRZ 2008, 1109, 1110; 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227; 15.11.2011, IPRspr. 2011 Nr. 123, 294, 295 ff.; 15.5.2013, FamRZ 2014, 501; OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607, 1608; OLG Düsseldorf 22.6.2010, StAZ 2012, 175, 177; OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 716; LG Frankfurt 28.3.2012, 209 T 490/10, Rn. 7 (juris); LG Köln 31.1.2013, FamRZ 2013, 1498, 1499; AG Hamm 18.3.2004, JAmt 2004, 375 ff.; AG Köln 10.2.2012, 302 F 311/10, Rn. 14 (juris); Zimmermann, in: Keidel, FamFG, § 109 Rn. 23; Beyer, JAmt 2006, 329, 331 f. 141 FamRZ 2013, 715 ff. 140
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Begutachtung der Annehmenden gegolten hätten, sei es im Anerkennungsverfahren zulässig gewesen, ergänzende Nachermittlungen durchzuführen.
Ob eine angemessene Eignungsprüfung der Adoptiveltern erfolgt ist, kann nach dieser Ansicht nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall beurteilt werden. Allein die Tatsache, dass inländische Bewerber nicht an ihrem Lebensmittelpunkt auf ihre Eignung hin begutachtet worden sind, rechtfertigt es hiernach nicht, der ausländischen Adoptionsentscheidung eine mangelhafte Kindeswohlprüfung zu unterstellen. Schließlich könne im Einzelfall auch im Ausland eine fachliche Eignungsprüfung der Annehmenden stattgefunden haben, die deutschen Standards entspreche. 3. Verdeckte Einwanderung Unter dem Stichwort „verdeckte Einwanderung“ firmieren im internationalen Adoptionsrecht Konstellationen, in denen eine ausländische Adoption (auch) stattfindet, damit das betroffene Kind ins Inland einreisen kann. Ohne Adoption wäre dies aufenthaltsrechtlich jedenfalls problematisch, wenn nicht gar aussichtslos gewesen (vgl. §§ 32, 36 Abs. 2 AufenthG).142 In diesen Fällen wird gegenüber den ausländischen Adoptionsstellen oft der Anschein erweckt, dass eine reine Inlandsannahme stattfinde – der internationale Charakter der Adoption bleibt regelmäßig verborgen. So etwa in einem Fall, den das Oberlandesgericht Celle am 12.10.2011143 entschieden hat: Eine in Deutschland lebende Frau adoptierte ihren zehnjährigen Enkel in der Russischen Föderation. Der Junge war in Russland aufgewachsen. Sein Vater war im Jahr 2006 verstorben, seine Mutter am 6.12.2009. Die Annehmende hatte die Adoption unmittelbar nach dem Tod ihrer Tochter beim zuständigen russischen Gericht beantragt, ohne jedoch ihre deutsche Adresse anzugeben. Vielmehr teilte sie dem Gericht die russische Anschrift ihrer verstorbenen Tochter mit, da sie dort für die Dauer des überraschend kurzen Adoptionsverfahrens lebte. Nach der Adoption kehrte sie alsbald mit ihrem Adoptivkind nach Deutschland zurück. Das russische Gericht ging bei seiner Elterneignungsprüfung allerdings wohl davon aus, dass die Annehmende (dauerhaft) in Russland lebe, folglich war eine deutsche Fachstelle am Verfahren nicht beteiligt. Ihre Eignung wurde festgestellt, indem im Wesentlichen ihre russischen Vermögensverhältnisse ermittelt und Auskünfte über ihr dortiges Vorstrafenregister eingeholt wurden. Außerdem fand eine Überprüfung durch eine örtliche Sozialbehörde statt.
Auslandsadoptionen zum Zwecke „verdeckter Einwanderung“ betreffen – wie im Fallbeispiel – oftmals internationale Stiefkind- oder Verwandtenadoptionen,144 die einen beträchtlichen Teil unbegleiteter Auslandsadoptionen ausmachen.145 Im Anwendungsbereich des Haager Adoptionsüber142
Vgl. BT-Drucks. 16/12247, S. 36. FamRZ 2012, 1226 ff. 144 Bienentreu/Busch, JAmt 2003, 273, 277. 145 Vgl. 3. Kapitel B. I. 143
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
einkommens fallen sie unter die Bestimmungen der Konvention.146 Der Familiennachzug scheitert bei diesen Konstellationen in der Praxis in aller Regel daran, dass der Lebensunterhalt des Kindes allein durch den ausländischen Ehegatten nicht sichergestellt werden kann (vgl. § 2 Abs. 3 AufenthG). Diese Hürde wird häufig mithilfe einer internationalen Adoption des Kindes umgangen. Grundsätzlich ist es unbedenklich, wenn eine Adoption erfolgt, um einen Zuzug zu Stiefeltern oder Verwandten zu ermöglichen. Würde es sich bei der Adoption allerdings um eine Scheinadoption handeln, worunter man eine (ausländische) Adoptionsentscheidung versteht, die allein dazu dient, die Einreise des Kindes nach Deutschland zu ermöglichen, würde sie einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG berühren.147 Zentrale Voraussetzung für eine Adotion ist nämlich stets, dass durch die Annahme ein Eltern-Kind-Verhältnis begründet wird (vgl. §§ 1741 Abs. 1 S. 1, 1767 Abs. 1 BGB).148 Scheinadoptionen, die nicht darauf abzielen, ein Eltern-Kind-Verhältnis herzustellen, sind zudem nach § 1763 Abs. 1 BGB aufhebbar149 und verhindern auch ausländerrechtlich nicht die Ausweisung des Anzunehmenden.150 Eine reine Scheinadoption eines Minderjährigen ist in der internationalen Adoptionspraxis aber die Ausnahme. In der Regel findet die ausländische Adoption nicht ausschließlich statt, damit das Kind einreisen kann, sondern überwiegend ist auch der Aufbau eines Eltern-Kind-Verhältnisses beabsichtigt. Das ist vor allem in Stiefkind- und Verwandtenkonstellationen der Fall. Hier sind adoptionsfremde Motive mit dem erwünschten Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung untrennbar verquickt.151 In diesen Konstellationen ist es daher fraglich, ob wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) verletzt werden. Dem ausländischen Richter ist bei der Kindeswohlprüfung im Rahmen der Adoptionsentscheidung – aufgrund der Angaben der Adoptionsbewerber – oft nicht
146 BT-Drucks. 14/6011, S. 20; BVerwG 26.10.2010, BVerwGE 138, 77, 81 f., Rn. 13; Winkelsträter, S. 191; Frank, StAZ 2003, 257, 258; Hölzel, StAZ 2003, 289, 290; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 245; Weitzel, NJW 2008, 186, 187. Deutschland vertrat zu Beginn der HAÜ-Verhandlungen die gegenteilige Auffassung, hat diese Position aber aufgegeben, um innerfamiliärem Missbrauch entgegenzuwirken vgl. BT-Drucks. 14/5437, S. 38 (Rn. 92). 147 Winkelsträter, S. 214 m.w.N. 148 Vgl. Spickhoff, S. 274 m.w.N. (zur Konkretisierung des ordre public durch nationale Rechtsgrundsätze); zur Nichtanerkennung ausländischer Scheinadoptionen im schweizerischen Recht: Siehr, in: Zürcher Kommentar, IPRG, Art. 78 Rn. 11. 149 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1763 Rn. 10 m.w.N. 150 Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 39 m.w.N. 151 Siehr, in: Zürcher Kommentar, IPRG, Art. 78 Rn. 11.
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bewusst, dass eine internationale Adoption vorliegt.152 Im Beispielsfall konnte das russische Gericht nicht berücksichtigen, wie sich der Wechsel des sozialen Lebensumfeldes in einen fremden Sprach- und Kulturkreis auf das Adoptivkind auswirkt.153 Die Adoptionsentscheidung beruht insofern auf einer verkürzten Prüfung der konkreten Kindesinteressen. Eine – aus deutscher Sicht – unzureichende Kindeswohlprüfung im ausländischen Adoptionsverfahren verstößt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle gegen den zentralen Grundsatz (vgl. § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG), dass sich eine Adoptionsentscheidung am Kindeswohl auszurichten hat.154 Das Oberlandesgericht setzt die Verletzung eines wesentlichen Grundsatzes des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) aber nicht mit einem Ordre-public-Verstoß gleich. Vielmehr prüft es zusätzlich, ob die mangelhafte Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren geheilt werden kann oder die Nichtanerkennung Grundrechte des Kindes verletzen würde, was es allerdings beides im Ergebnis verneint.155 Weder könne das Anerkennungsgericht eine ursprünglich fehlerhafte Kindeswohlprüfung nachholen, das sei nur im Rahmen einer Wiederholungsadoption möglich, noch seien Grundrechte des Kindes aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK verletzt: denn wenn das Kindeswohl es mittlerweile gebiete, dass das Kind bei seinen Eltern verbleibe, so stehe ihnen eine inländische Wiederholungsadoption offen, welche die Kindesinteressen umfassend zu berücksichtigen habe.156 Damit sind zentrale Fragen des anerkennungsrechtlichen ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) angesprochen. Sie müssen grundsätzlich beantwortet werden, bevor man entscheiden kann, ob Adoptionen anerkannt werden können, obwohl das ausländische Gericht ihren internationalen Charakter nicht (umfassend) berücksichtigt hat. 4. Adoptionen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen Vergleichbare Fragen stellen sich, wenn bei der ausländischen Adoptionsentscheidung wirtschaftliche Interessen des Kindes in den Vordergrund 152
Vgl. OLG Düsseldorf 22.6.2010, StAZ 2012, 175 ff.; 31.5.2012, I-25 Wx 61/11, Rn. 18 ff. (juris); 27.7.2012, StAZ 2013, 82, 82 f.; OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226 ff.; 15.5.2013, FamRZ 2014, 501, 501 f.; 27.1.2014, 17 UF 230/13, Rn. 8 (juris); OLG München 5.12.2011, IPRspr. 2011 Nr. 120, 284, 285 ff.; OLG Hamm 24.1.2012, NJW-RR 2012, 582 f.; 21.1.2014, 11 UF 127/13, Rn. 18 ff. (juris); OLG Karlsruhe 25.9.2012, 2 UF 44/12, Rn. 28 f. (juris); OLG Dresden 29.10.2013, ZKJ 2014, 164, 164 ff.; OLG Bamberg 20.2.2014, 2 UF 10/22, Rn. 19 (juris); AG Karlsruhe 12.7.2011, XVI 239/2007, Rn. 18 (juris). 153 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228. 154 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227. 155 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228 f. 156 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228.
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gerückt werden. Auch bei einer Adoption in Deutschland gehört es zu einer umfassenden Kindeswohlprüfung, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Adoptionsbewerber zu prüfen.157 Der ökonomische Hintergrund der Annehmenden ist allerdings nur ein leitendes Kriterium bei der Adoptionsentscheidung – im Vordergrund der gerichtlichen Adoptionsprüfung steht nach deutschem Rechtsverständnis das emotional-psychische Wohlbefinden des Kindes.158 International herrschen indessen unterschiedliche Vorstellungen darüber, inwieweit materielle Gesichtspunkte eine Adoption legitimieren dürfen. Zu beobachten ist bei einigen ausländischen Gerichten, dass sie Auslandsadoptionen vereinzelt bereits dann zulassen, wenn dadurch die (wirtschaftlichen) Lebensbedingungen des Kindes verbessert werden. Betroffen sind häufig Adoptionsentscheidungen türkischer Gerichte, wie in einem Fall des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 15.1.2013.159 Nichte und Neffe wurden von ihrer kinderlosen Tante, die deutsche Staatsangehörige ist und in Deutschland lebt, in der Türkei adoptiert, ohne dass deutsche Fachstellen eingebunden wurden. Die Kinder wuchsen in der Türkei ursprünglich zusammen mit anderen (Stief-)Geschwistern bei ihrem leiblichen Vater auf, dessen wirtschaftliche Situation aber sehr schlecht war. Die Tante mietete eine Wohnung an, in der die Kinder im Vorfeld der Adoption lebten. Dort wurden sie abwechselnd von ihren (verschiedenen) leiblichen Müttern betreut und regelmäßig von ihrer Tante besucht. Aus Sicht des deutschen Anerkennungsverfahrens beruht die ergangene türkische Adoptionsentscheidung maßgeblich auf einem Untersuchungsbericht einer türkischen Behörde, welche die Kindeswohldienlichkeit der Adoption beurteilen sollte. Er enthält eine positive Adoptionsbewertung, die sich vor allem darauf stützt, dass der Lebensunterhalt der Kinder in Deutschland gesichert sei, sie dort eine Schulausbildung erhielten und mit ihrer Tante leben wollten. Gesundheitliche Hinderungsgründe oder Vorstrafen der Annehmenden bestünden ebenfalls nicht. Nicht ersichtlich ist im deutschen Anerkennungsverfahren, ob das türkische Gericht auch die zu erwartende Persönlichkeitsentwicklung der Adoptivkinder berücksichtigt hat, als es die Annahme aussprach. Aus deutscher Sicht scheint es so, als wäre diese Dimension des Kindeswohls hinter einen wirtschaftlichen Vergleich der Lebensumstände zurückgetreten.
In einem deutschen Adoptionsverfahren wäre es undenkbar, in vergleichbarer Weise ökonomische Faktoren in den Vordergrund zu rücken, wenn darüber zu entscheiden ist, ob eine Adoption dem Kindeswohl dient (vgl. § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB). Wurde die ausländische Adoptionsentscheidung maßgeblich aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen gefällt, stellt dies in
157
Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1741 Rn. 22; Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 30; Bach, FPR 2001, 318, 320. 158 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16. 159 7 W 92/11 (juris); Sachverhalt bei: LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11 (juris).
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der gegenwärtigen Gerichtspraxis deshalb mitunter ein weiteres Anerkennungshindernis dar.160 Im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens ist es nun aber oftmals kaum zu rekonstruieren, ob eine ausländische Adoptionsentscheidung ausschließlich auf materiellen Erwägungen beruht und somit einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Adoptionsrechts verletzt. Dies gilt sogar, obwohl die obligatorische Beteiligung der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption am Anerkennungsverfahren dazu geführt hat, dass die Gerichte mittlerweile einen tieferen Einblick erhalten, aufgrund welcher Umstände die ausländische Adoptionsentscheidung zustande gekommen ist. Möglichst alle Tatsachen, auf denen die ausländische Adoption beruht, recherchiert die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption, bevor sie im gerichtlichen Anerkennungsverfahren eine eigene Stellungnahme abgibt, bei der sie das inländische und ausländische Sachrecht berücksichtigt. Freilich sind trotz dieses Erfahrungswissens auch die „Rekonstruktionsfähigkeiten“ der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption – allein aufgrund der eingereichten Unterlagen – begrenzt. Von daher lassen sich im Anerkennungsverfahren oftmals nicht alle Zweifel im Hinblick auf die ausländische Adoptionsentscheidung ausräumen. Dennoch bahnt sich teilweise eine bedenkliche Entwicklung an: Es ist zu beobachten, dass manche deutsche Gerichte ausländische Adoptionsentscheide mittlerweile sogar inhaltlich kontrollieren,161 wodurch sie in die Nähe einer nach § 109 Abs. 5 FamFG unzulässigen rechtlichen und tatsächlichen Nachprüfung (révision au fond) rücken. Zu nennen ist beispielsweise ein Anerkennungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle vom 12.10.2011, das die Verwandtenadoption eines russischen Waisenkindes durch seine in Deutschland lebende Großmutter betraf.162 Die deutschen Richter stellten hier wörtlich fest: „In diesem Fall dürfte das russische Gericht sein Verfahren unter grober Missachtung des eigenen Rechts geführt haben.“163 Beleg für diese Feststellung ist dem 160 Vgl. OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2010, 49, 50; OLG Düsseldorf 18.1.2011, FamRZ 2011, 1522, 1524; OLG Celle 15.11.2011, IPRspr. 2011 Nr. 123, 294, 295 ff.; OLG Braunschweig 15.1.2013, 7 W 92/11 (juris); OLG Karlsruhe 2.9.2013, FamRZ 2014, 582, 583; LG Flensburg 28.3.2011, IPRspr. 2011 Nr. 127, 304, 305 ff.; LG Stuttgart 18.4.2011, IPRspr. 2011 Nr. 129, 314, 315 ff.; LG Karlsruhe 5.1.2012, 11 T 318/11, Rn. 14 (juris); LG Düsseldorf 4.5.2012, 25 T 546/11, Rn. 41 (juris); AG Karlsruhe 12.7.2011, XVI 239/2007, Rn. 13 (juris); 9.9.2011, 6 XVI 96/2008 B 8, Rn. 8 (juris); AG Köln 10.2.2012, 302 F 311/10, Rn. 16 (juris); krit. Hohnerlein, S. 65. 161 Vgl. OLG Celle 11.4.2008, 17 W 3/08, Rn. 8 (juris); 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228; OLG Braunschweig 15.1.2013, 7 W 92/11, Rn. 8 (juris); LG Nürnberg-Fürth 12.1.2011, IPRspr. 2011 Nr. 120, 284, 285 ff.; LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11, Rn. 30 (juris); AG Karlsruhe 12.7.2011, XVI 239/2007, Rn. 14 ff. (juris); eine bemerkenswerte Ausnahme bildet insofern: AG Hamm 21.6.2011, StAZ 2012, 54, 55. 162 FamRZ 2012, 1226 ff. 163 FamRZ 2012, 1226, 1228.
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Oberlandesgericht eine Auslegung des russischen Rechts, das – wie das deutsche – eine Adoptionsentscheidung an das Kindeswohl koppelt. Hiernach seien insbesondere die Lebensumstände des Kindes vor und nach der Annahme zu berücksichtigen. Das russische Gericht hätte deshalb die Folgen des Staatenwechsels für das adoptierte Kind beurteilen müssen – andernfalls dürfte sein Urteil den russischen Rechtsgrundsätzen widersprechen.
Auch diese Fallkonstellationen kann nur angemessen lösen, wer sich über die Anforderungen im Klaren ist, die der anerkennungsrechtliche ordre public (§ 109 Abs.1 Nr. 4 FamFG) stellt. Bevor also die aufgeworfenen Einzelfragen ihren jeweiligen Lösungen zugeführt werden können, richtet sich zunächst der Blick auf die materiellen Grundlagen des Anerkennungs(verfahrens)rechts. III. Anerkennungsrechtlicher ordre public 1. Wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts: Allgemeines Vor allem die aufgezeigten Fallgestaltungen sind es, die dazu geführt haben, dass in den letzten Jahren im Anerkennungsrecht verstärkt um den Gehalt der anerkennungsrechtlichen Vorbehaltsklausel (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) gerungen wird. Nicht anerkannt wird eine ausländische Adoptionsentscheidung gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, wenn die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts – insbesondere Grundrechte – offensichtlich verstößt.164 Der Tatbestand weist einen Doppelcharakter auf: Einerseits muss ein gewichtiger Verstoß vorliegen, andererseits kommt es auf das Ergebnis der Anerkennung an. Die Feststellung eines Ordre-public-Verstoßes ist eine Einzelfallentscheidung par excellence. Trotzdem lassen sich die materiellen Vorgaben des anerkennungsrechtlichen ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) abstrakt bestimmen. Was den „offensichtlichen Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts“ (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) betrifft, so lassen sich die zentralen Anforderungen, die das deutsche Recht an eine Adoption stellt, dem deutschen materiellen Adoptionsrecht entnehmen. Zu nennen sind hier insbesondere das Erfordernis einer Einwilligung der leiblichen Eltern in die Adoption, die Beteiligung des Kindes sowie vor allem die Kindeswohldienlichkeit der Annahme.165 Dabei ist die Ausrichtung der Adoption auf das Wohl des Kindes nicht nur nach dem einfachen Familienrecht geboten, sondern folgt auch aus dem Grundgesetz. Ein Kind hat aus Art. 2 164 Rauscher, in: Münch.Komm., ZPO, § 109 FamFG Rn. 35; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 46; Gomille, in: Haußleiter, FamFG, § 109 Rn. 20; Bumiller/Harders, in: Bumiller/Harders, FamFG, § 109 Rn. 9. 165 Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 66 m.w.N.
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Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ein subjektives (Gewährleistungs-)Recht darauf, dass der Staat sicherstellen muss, dass die Elternverantwortung am Kindeswohl ausgerichtet ist.166 Eine anerkennungsfähige (ausländische) Adoption muss deshalb stets das Kindeswohl berücksichtigen. Das deutsche Adoptionsrecht beurteilt die Kindeswohldienlichkeit anhand des Maßstabes von § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB, der sich in viele Einzelaspekte aufgliedert. Beispielhaft seien genannt:167 Sind wirtschaftliche Faktoren oder familiäre Probleme die Ursache für die Adoptionsfreigabe? Dann ist vorrangig auf die Unterstützung der Ursprungsfamilie hinzuwirken. Wird das Kind infolge der Annahme von Geschwistern oder sonstigen Bezugspersonen getrennt? Auf Seiten der Annehmenden muss sichergestellt sein, dass sie ausreichend Zeit, finanzielle Mittel und den nötigen Gesundheitszustand aufweisen, um das Kind zu betreuen. Außerdem muss ihr Kinderwunsch reflektiert sein. Längere Haftstrafen dürfen sie nicht verbüßt haben. Diese Gesichtspunkte sind aber nur Teilaspekte der beiden zentralen Elemente des Kindeswohlbegriffs: Trägt die Adoption dem Kontinuitätsbedürfnis des Kindes angemessen Rechnung und führt sie dazu, dass durch die Annahme eine „merklich bessere Persönlichkeitsentwicklung zu erwarten ist“?168 Hierbei dürfte es sich um den „Kernbestand“169 des deutschen Adoptionsrechts handeln. Doch lässt sich nie abstrakt feststellen, ob eine ausländische Adoptionsentscheidung diese wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts verletzt. Vielmehr muss gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG konkret gefragt werden, ob die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Für die Klärung der aufgeworfenen Einzelfragen bedeutet das einen notwendigen Zweischritt: Erst ist zu beurteilen, ob sie allgemein wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts antastet. Ob sie diese auch verletzt, kann nachfolgend ausschließlich individuell durch Betrachtung der konkreten Anerkennungsfolgen beantwortet werden. 2. Ordre-public-Verstoß und Anerkennungszeitpunkt Selbst eine ausländische Adoptionsentscheidung, die offensichtlich von wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts abweicht, kann anerkannt werden. Entscheidend ist nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG nämlich allein das Resultat der Anerkennung. Zu betonen ist außerdem, dass bei § 109 166
BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 848, Rn. 43. Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 17 ff.; Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27 ff. 168 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16. 169 BT-Drucks. 10/504, S. 42. 167
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Abs. 1 Nr. 4 FamFG im Vergleich zum kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB) ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist, da im Anerkennungsrecht eine ausländische Entscheidung betroffen ist, welche die Rechtsverhältnisse des Kindes bereits verändert hat; das Kind ist nach ausländischem Recht bereits (wirksam) adoptiert.170 Deshalb ist es beispielsweise relevant, ob das Kind mittlerweile in Deutschland lebt oder noch aktive Beziehungen in seine Heimat hat.171 Im adoptionsrechtlichen Kontext ist es allerdings derzeit äußerst umstritten, inwieweit bei der Anerkennung bloß die (fehlerhafte) ausländische Adoptionsentscheidung am Maßstab des ordre public zu überprüfen ist oder ob auch später offenbar gewordene Tatsachen und später eingetretene Entwicklungen berücksichtigt werden müssen. Inhaltlich wird dieses Problem in die Frage gekleidet, ob im Anerkennungsverfahren eine eigenständige Kindeswohlprüfung vorgenommen werden dürfe, wenn sie im (ausländischen) Adoptionsverfahren nach deutschen Grundsätzen mangelhaft war. Der Streit kreist dabei zunächst um die Frage des relevanten Anerkennungszeitpunkts.172 a) Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren Dass im Anerkennungsverfahren eine (eigenständige) Kindeswohlprüfung vorzunehmen ist, wurde lange Zeit nicht infrage gestellt. Es entspricht nämlich ganz herrschender Meinung, dass bei der Anerkennung der Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem über die Anerkennung zu entscheiden ist: Deshalb ist es grundsätzlich konsequent, auch die Entwicklung zu berücksichtigen, die zwischen Ausgangsentscheidung und Anerkennungsentscheidung stattgefunden hat – eine Kindeswohlprüfung ist demnach im Anerkennungsverfahren prinzipiell nachholbar.173 Diese Auffassung wird
170 BGH 15.5.1986, BGHZ 98, 70, 73; Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 115; Baetge, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, § 109 Rn. 19. 171 Vgl. LG Potsdam 11.11.2010, IPRspr. 2010 Nr. 149, 366, 367 ff.; Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 99 m.w.N. 172 Vgl. Botthof, StAZ 2013, 77, 78. 173 KG Berlin 4.4.2006, FamRZ 2006, 1405, 1407; OLG Celle 13.7.2007, 17 W 27/07, Rn. 16 (juris); OLG Hamm 19.12.2013, II-11 UF 24/13, Rn. 25 (juris); LG Köln 31.1.2013, FamRZ 2013, 1498, 1499; AG Hamm 13.1.2006, IPRax 2007, 326 ff.; 21.6.2011, StAZ 2012, 54, 55; Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 95; Bumiller/Harders, in: Bumiller/Harders, FamFG, § 109 Rn. 6, 9; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, § 109 Rn. 23; Gomille, in: Haußleiter, FamFG, § 109 Rn. 20; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 47; Rauscher, in: Münch.Komm., ZPO, §109 FamFG Rn. 36; Baetge, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, § 109 Rn. 19; Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 116; Emmerling de Oliveira, in: Müller/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira (Hrsg.), Rn. 294; Andrae, S. 507, 509 f. (§ 7 Rn. 75, 78);
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auch durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988 bestätigt.174 Darin urteilte der Bundesgerichtshof, dass es für die Frage, ob eine ausländische Entscheidung gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public verstößt, maßgeblich auf die Lage im Zeitpunkt der Anerkennung ankommt.175 Immerhin habe die ausländische Entscheidung bereits die Rechtsverhältnisse des Kindes verändert, was bei der Beurteilung des anerkennungsrechtlichen ordre public – im Gegensatz zu Art. 6 EGBGB – berücksichtigt werden müsse (sogenannter effet attenué des anerkennungsrechtlichen ordre public).176 Mittlerweile ist diese Auffassung aber Angriffen aus Literatur und Rechtsprechung ausgesetzt. Zwar beantworten diese – sofern sie sich insofern überhaupt festlegen – die Frage des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts uneinheitlich, sind sich aber in einem Punkt einig: In Anerkennungsverfahren nach § 2 Abs. 1 AdWirkG könne keine eigenständige Kindeswohlprüfung stattfinden.177 Diese strikte Haltung wird jedoch teilweise auch abgemildert: Das Anerkennungsgericht dürfe zwischenzeitlich eingetretene Lebensumstände allenfalls in einem Maße berücksichtigen, dass Winkelsträter, S. 218; Ludwig, RNotZ 2002, 354, 362; Staudinger, FamRBint 2007, 42, 44. 174 BGH 14.12.1988, FamRZ 1989, 378 ff. 175 BGH 14.12.1988, FamRZ 1989, 378, 381 (unter Verweis auf BGH 13.7.1983, BGHZ 88, 113, 128). 176 KG Berlin 11.12.2012, FamRZ 2013, 717, 717 f.; Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 551. 177 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607 ff.; 17.10.2012, II-4 UF 171/12, Rn. 7 (juris); OLG Karlsruhe 8.7.2010, StAZ 2011, 210, 212; 25.9.2012, 2 UF 44/12, Rn. 30 (juris); OLG Hamm 12.8.2010, FamRZ 2011, 310, 311; OLG Frankfurt 6.5.2009, FamRZ 2009, 1605, 1606; 22.12.2011, StAZ 2012, 268, 269; 19.1.2012, StAZ 2012, 241 ff.; KG Berlin 23.12.2011, FamRZ 2012, 1234; OLG Düsseldorf 19.8.2008, FamRZ 2009, 1078 f.; 22.6.2010, StAZ 2012, 175, 177 m.w.N.; OLG München 3.5.2011, IPRspr. 2011 Nr. 117, 268, 269 ff.; OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227 f.; 15.11.2011, IPRspr. 2011 Nr. 123, 294, 295 ff.; 5.12.2011, IPRspr. 2011 Nr. 120, 284, 285 ff.; 15.5.2013, FamRZ 2014, 501; OLG Braunschweig 15.1.2013, 7 W 92/11, Rn. 8 (juris); LG Dresden 26.1.2006, JAmt 2006, 360; LG Potsdam 4.10.2007, FamRZ 2008, 1108 f.; LG Karlsruhe 13.4.2010, 11 T 83/12, Rn. 10 (juris); LG Flensburg 28.3.2011, IPRspr. 2011 Nr. 127, 304, 305 ff.; LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11, Rn. 24 (juris); LG Frankfurt 31.10.2008, 2-9 T 295/08, Rn. 31 (juris); 28.3.2012, 2-09 T 490/10, Rn. 9 (juris); LG Düsseldorf 4.5.2012, 25 T 546/11, Rn. 42 (juris); AG Karlsruhe 3.2.2011, 5 F 23/10, Rn. 33 (juris); AG Braunschweig 25.2.2011, 35d XVI 18/09, 35d XV119/09, Rn. 12 (juris); AG Celle 28.3.2011, IPRspr. 2011 Nr. 128, 307, 308 ff.; Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 95; Sieghörtner, in: BeckOK, FamFG, § 109 Rn. 40; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 109 FamFG Rn. 32; Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 558; Weitzel, JAmt 2006, 333, 336; Reinhardt, JAmt 2007, 122, 124; Weitzel, IPRax 2007, 308, 311 ff.; Friederici, FamFR 2012, 215; einschränkend: Hölzel, StAZ 2003, 289, 294.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
nicht das Niveau einer inländischen Wiederholungsadoption erreicht werde.178 Diesen beiden unterschiedlichen Auffassungen liegt ein Streit über die Funktion der gerichtlichen Anerkennung zugrunde. Die erste Ansicht definiert das Telos des Anerkennungsverfahrens dahingehend, möglichst jede ausländische Adoptionsentscheidung anzuerkennen. Gegebenenfalls sei auch eine Kindeswohlprüfung nachzuholen, wenn auf diesem Weg eine positive Entscheidung herbeigeführt werden könne, da so Rechtssicherheit geschaffen und eine Wiederholungsadoption überflüssig werde.179 Hiergegen wendet die Gegenauffassung ein, dass faktisch eine Wiederholungsadoption – keine Anerkennung – stattfinde, wenn im Anerkennungsverfahren eine inzidente Kindeswohlprüfung erfolge.180 Nach dem Willen des Gesetzgebers dürfe das Anerkennungsverfahren aber nicht den Umfang einer Wiederholungsadoption annehmen.181 Sinn und Zweck des Anerkennungsverfahrens sei nicht, das fehlerhafte ausländische Adoptionsverfahren nachzuholen oder anstelle der ausländischen eine eigene Kindeswohlentscheidung zu treffen – insofern sei das Anerkennungsverfahren sachfremd.182 Deswegen könne im Anerkennungszeitpunkt auch nicht berücksichtigt werden, ob sich das Eltern-Kind-Verhältnis positiv oder negativ entwickelt habe.183 Vielmehr könne bloß darüber geurteilt werden, ob nach deutschem Recht die ausländische Adoptionsentscheidung anzuerkennen sei – das Anerkennungsverfahren biete keinen Raum für eine Wiederholungsadoption, die aber im Falle einer Nichtanerkennung nachträglich beantragt werden könne.184
178 OLG Düsseldorf 22.6.2010, StAZ 2012, 175, 177; 18.1.2011, FamRZ 2011, 1522, 1525; OLG Köln 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 341 f.; AG Hamm 13.1.2006, IPRax 2007, 326 ff.; 21.6.2011, StAZ 2012, 54, 55; Kemper, in: HK-AdoptionsR, FamFG, § 109 Rn. 25. 179 Beyer, JAmt 2006, 329, 331 f.; Emmerling de Oliviera, MittBayNot 2010, 429, 433. 180 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 558; Weitzel, JAmt 2006, 333, 336. 181 BT-Drucks. 14/6011, S. 28. 182 BT-Drucks. 14/6011, S. 32; OLG Frankfurt 6.5.2009, FamRZ 2009, 1605, 1606; 19.1.2012, FamFR 2012, 215; OLG Karlsruhe 8.7.2010, StAZ 2011, 210, 212; 25.9.2012, 2 UF 44/12, Rn. 30 (juris); OLG Hamm 12.8.2010, FamRZ 2011, 310, 311; 21.1.2014, 11 UF 127/13, Rn. 24 (juris); OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227 f.; OLG Düsseldorf 23.12.2011, FamRZ 2012, 1229; OLG Köln 17.10.2012, II-4 UF 171/12, Rn. 7 (juris); KG Berlin 23.12.2011, IPRspr. 2011 Nr. 139, 336, 337 f.; OLG Dresden 29.10.2013, ZKJ 2014, 164, 164 ff.; OLG Bamberg 20.2.2014, 2 UF 10/22, Rn. 21 (juris); LG Frankfurt 28.3.2012, 2-09 T 490/10, Rn. 9 (juris); Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 556; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 247; Friederici, FamFR 2012, 215. 183 Weitzel, IPRax 2007, 308, 311 ff.; ders., JAmt 2013, 238, 239 f. 184 OLG Schleswig 25.9.2013, FamRZ 2014, 498, 501; Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 113 m.w.N.; a.A. wohl Steiger, DNotZ 2002, 184, 206.
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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Erhoben wird dieser Einwand erst, seitdem das Adoptionswirkungsgesetz in Kraft getreten ist. Zuvor konnte die Anerkennung einer ausländischen Adoptionsentscheidung nach § 16a FGG beantragt werden.185 Dass im Rahmen der Anerkennungsentscheidung auch die veränderten Lebensumstände des Kindes zu berücksichtigen seien, wurde nicht infrage gestellt. Doch hat sich – trotz zwischenzeitlichen Inkrafttretens des FamFG – an den materiellen Anerkennungsmaßstäben seitdem nichts geändert. Die Kindesinteressen im Anerkennungsverfahren nicht oder bloß verkürzt zu prüfen, begegnet schwerwiegenden Bedenken. Diese resultieren nicht zuletzt aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention. b) Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention Sofern Zweifel an der Ordre-public-Vereinbarkeit der in Rede stehenden ausländischen Adoptionsentscheidung auftreten, ist in Anerkennungsverfahren eine umfassende Kindeswohlprüfung durchzuführen, die sämtliche Lebensumstände des Kindes berücksichtigt – sonst droht ein Konflikt mit Art. 8 Abs. 1 EMRK.186 Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistet ein Recht auf Achtung des Familienlebens, das sich insbesondere auf faktische Familiengemeinschaften erstreckt,187 vorausgesetzt, deren Mitglieder haben ausreichend enge persönliche Bindungen zueinander geknüpft, wofür das Zusammenleben ein Indiz ist.188 In internationalen Adoptionsfällen ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgrund faktisch bestehender Familienbande regelmäßig eröffnet, sobald ein Verfahren auf Anerkennung nach § 2 Abs. 1 AdWirkG stattfindet. Oftmals leben die Adoptiveltern gemeinsam mit ihrem Kind im In- oder Ausland, sodass eine tatsächliche Familiengemeinschaft existiert. Auch die im Ausland durch Adoption begründete Familie fällt grundsätzlich unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK.189 In einigen Fällen stellt sich die Konstellation aber wie folgt dar: Nach der Adoption im Heimatstaat ist es den Adoptiveltern nicht gelungen, gemeinsam mit dem Kind in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Die Einreise setzt entweder voraus, dass das adoptierte Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erworben oder als ausländischer Staatsbürger ein Einreisevisum für 185
Weitzel, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, Einl. Rn. 2. Botthof, StAZ 2013, 77 ff. 187 Vgl. zum Schutz tatsächlicher Familiengemeinschaften mittels Art. 6 Abs. 1 GG: BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 850 f., Rn. 62 ff.; Eichenhofer, ZAR 2013, 89, 92 f. 188 EuGHMR 17.1.2012, FamRZ 2012, 429, Rn. 35 m.w.N. – Kopf und Liberda/Österreich; Grabenwarter/Pabel, S. 235 f. (Rn. 16); Wellenhofer, FamRZ 2012, 828, 829; Jarass, FamRZ 2012, 1181, 1182 f. 189 Botthof, StAZ 2013, 77, 79 m.w.N.; Jarass, FamRZ 2012, 1181, 1183. 186
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Deutschland erhalten hat. In beiden Fällen muss die Anerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung in Deutschland wahrscheinlich sein.190 Die Anerkennung ist im Falle einer unbegleiteten Auslandsadoption jedoch unsicher, weshalb den betroffenen Kindern die Einreise grundsätzlich verwehrt wird.191 Ausnahmsweise gelingt es einigen Eltern trotzdem, mit dem Kind aus einem Staat nach Deutschland einzureisen, für den keine Visumspflicht nach §§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 6 AufenthG besteht.192 Manche Eltern versuchen sogar, das Kind mittels Besuchervisa oder in Begleitung seiner leiblichen Eltern nach Deutschland zu verbringen.193 Dass sich faktische Familienbande entwickeln, können auch verschärfte Einreisekontrollen nicht verhindern, wie sie das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht fordert.194 Selbst eine restriktive Einreisepolitik, die insbesondere auch Einreisen aus visumsfreien Staaten kontrolliert, wie das beispielsweise in den USA praktiziert wird,195 schließt nicht effektiv aus, dass zwischen Eltern und Kind (etwa im Ausland) von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte faktische Familienverhältnisse entstehen. In dieser Konstellation kommt es in der Praxis gelegentlich vor, dass ein Elternteil mit dem Kind im Ausland lebt, während der andere Elternteil in Deutschland seiner Arbeit nachgeht und seine Familie in regelmäßigen Abständen besucht. In Bezug auf den abwesenden Elternteil fehlt es zwar an einer faktischen Familiengemeinschaft im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK, jedoch ist der Schutzbereich auch dann eröffnet, wenn zum Beispiel lediglich Besuche stattfinden, die eine enge persönliche Bindung indizieren.196 Wird eine ausländische Adoption im Inland nicht anerkannt, greift diese Entscheidung somit in aller Regel in das Recht auf Achtung des Familienlebens ein.197 Insbesondere lässt sich eine Nichtanerkennung nicht ohne Weiteres damit rechtfertigen, dass die ausländische Adoptionsentscheidung nach nationalem Recht verboten war. Ein Nichtanerkennungsbeschluss, der 190
Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503 f. Selbst in vermittelten Auslandsadoptionen dürfen Kinder aus einigen Heimatländern solange nicht einreisen, bis ein Anerkennungsbeschluss vorliegt: Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 504 f. 192 Ausführlich: Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdÜbAG, § 6 Rn. 1 ff.; vgl. Reinhardt/Otto, JAmt 2011, 443 ff. 193 Vgl. Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, § 1 Rn. 7; Busch, DAVorm 1997, 659, 664 f.; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 246; ders./Otto, JAmt 2011, 443 ff. 194 Permanent Bureau, Conclusions, S. 22 (Rn. 57). 195 Vgl. hierzu ausführlich: (Stand 19.12.2013). 196 Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 51. 197 EuGHMR 28.6.2007, FamRZ 2007, 1529, 1530, Rn. 123 – Wagner und J. M. W. L./Luxemburg; Fischer, S. 116 (Rn. 276). 191
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sich über die soziale Realität hinwegsetzt, ohne sie im Rahmen einer individuellen Kindeswohlprüfung zu berücksichtigen, verstößt gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK.198 Prinzipiell gilt, dass ein bestehendes Familienleben im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich abzusichern ist, damit es sich entfalten kann.199 Dies gilt, obwohl die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf Adoption gewährleistet.200 Die Botschaft der Europäischen Menschenrechtskonvention ist aber deutlich: Adoptiveltern, die zuwarten und so soziale Fakten schaffen, können mitunter gesetzliche Vorgaben aushebeln.201 Insbesondere dürfen sich generalpräventive Erwägungen nicht über das konkrete Wohl des bereits adoptierten Kindes hinwegsetzen.202 So sah man sich beispielsweise in Großbritannien veranlasst, eine – nach den Maßstäben des englischen Rechts eigentlich unwirksame – hinduistische Adoption ausnahmsweise anzuerkennen, weil dies die tatsächlichen Familienbande (Art. 8 Abs. 1 EMRK) erforderten.203 Ähnliches galt in einem griechischen Verfahren: Nach US-amerikanischem Recht hatte ein orthodoxer Mönch griechischer Nationalität seinen Neffen adoptiert. Zwischen beiden bestand eine faktische Familienbeziehung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK. In Griechenland wurde die Anerkennung der ausländischen Adoption jedoch wegen Verstoßes gegen die guten Sitten verweigert. Hierin erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls einen ungerechtfertigten Konventionsverstoß, der die tatsächlichen Lebensumstände außer Acht lasse.204 Eine Nichtanerkennung sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie im Interesse des Kindes liege. Der mit einer Nichtanerkennung verbundene Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK wiegt schwer und unterliegt insbesondere dann einer erhöhten Rechtfertigungslast, wenn zusätzlich das tatsächliche Zusammenleben der
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EuGHMR 28.6.2007, FamRZ 2007, 1529, 1530 f. – Wagner und J. M. W. L./Luxemburg; Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 8 Rn. 54, 83; Fischer, S. 116 (Rn. 276). 199 Vgl. EuGHMR 13.12.2007, FamRZ 2008, 377 ff. – Emonet u.a./Schweiz; 19.2.2013, FamRZ 2013, 763, 766, Rn. 145 f. – X u.a./Österreich; Schilling, S. 124 f. (Rn. 274 ff.). 200 EuGHMR 26.2.2002, FamRZ 2003, 149, 150, Rn. 32 – Fretté/Frankreich; vgl. auch EuGHMR 10.6.2010, Nr. 25762/07 – Schwizgebel/Schweiz; Meyer-Ladewig, in: MeyerLadewig, EMRK, Art. 8 Rn. 61; Fischer, S. 55 (Rn. 108). 201 Schorn, S. 366; Henrich, FamRZ 2007, 1531; ders., FamRZ 2008, 379. 202 Vgl. LG Frankfurt 3.8.2012, NJW 2012, 3111 f.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 1741 Rn. 25; Heiderhoff, IPRax 2012, 523, 526; Botthof/Diel, StAZ 2013, 211, 215. 203 Court of Appeal, Pawandeep Singh Entry Clearance Officer, New Delhi, (2005) 2 WLR 325 (CA); Frank, in: FS Pintens, 2012, S. 607, 622. 204 EuGHMR 3.5.2011, Nr. 56759/08 – Negrepontis-Giannisis/Griechenland.
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Familienmitglieder beträchtlich erschwert wird.205 Hält sich das adoptierte Kind in Deutschland auf, bemühen sich die Eltern nach gescheiterter Anerkennung in aller Regel um eine inländische Wiederholungsadoption. Eine Umwandlung der ausländischen Adoptionsentscheidung nach § 3 AdWirkG ist ausgeschlossen, da die Umwandlung die Anerkennung voraussetzt (§ 3 Abs. 1 S. 1 AdWirkG). Bei der Wiederholungsadoption bereitet es aber regelmäßig Probleme, die Zustimmung der leiblichen Eltern erneut einzuholen, da diese nach ausländischem Sachrecht infolge der Adoption längst ihren Elternstatus verloren haben.206 Im Rahmen einer Wiederholungsadoption lässt sich insbesondere nicht das international vorgesehene Adoptionsverfahren nach dem Haager Adoptionsübereinkommen nachholen – etwa die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 4 lit. b HAÜ).207 In der Adoptionsrealität wurden nach einer Nichtanerkennung bislang nur in ganz seltenen Einzelfällen das Kind von der Adoptivfamilie getrennt, wenn diese gemeinsam in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Das Ergebnis einer inländischen Wiederholungsadoption ist aufgrund der mittlerweile meist gefestigten sozialen Beziehungen regelmäßig präjudiziert. Befindet sich das adoptierte Kind hingegen im Ausland und wird die Nichtanerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung ausgesprochen, ist die Durchführung einer inländischen Wiederholungsadoption in der Praxis keine realistische Alternative. Weder ist die grundsätzlich erforderliche persönliche Anhörung des Kindes (§ 192 Abs. 1 FamFG) wegen Abwesenheit ausnahmsweise entbehrlich (vgl. § 192 Abs. 3 FamFG) noch lässt sich abstrakt eine fachliche Begutachtung des Kindes vornehmen (§§ 189, 194 f. FamFG), da ein Einreisevisum zum Zweck der Adoption kaum erteilt wird.208 In diesen Fällen wird der Verstoß gegen den ordre public im Ergebnis durch ein Einreiseverbot sanktioniert. Das Kind verbleibt auf unbestimmte Zeit im Ausland. Der Anerkennungsbeschluss entscheidet hier letztlich eine ausländerrechtliche Frage. Wird bei einem Kind, das seinen Aufenthalt im Ausland hat, die Anerkennung verweigert, droht demnach die dauerhafte Trennung der Familie, 205 Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 59, 112; Jarass, FamRZ 2012, 1181, 1183; vgl. Marauhn/Thorn, in: Dörr/Grote/Marauhn, GG/EMRK, Art. 8 EMRK Rn. 99; Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 8 Rn. 120; Grabenwarter/Pabel, S. 238 (Rn. 19); vgl. BVerfG 19.2.2013, NJW 2013, 847, 851, Rn. 67 m.w.N. (zu Art. 6 Abs. 1 GG). 206 BT-Drucks. 14/6011, S. 28; Busch, IPRax 2003, 13, 14; vgl. Angell, Family Law 2010, 1125, 1126 f. 207 A.A. wohl Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 559; Reinhardt, JAmt 2007, 122, 125. 208 OVG Berlin-Brandenburg 21.4.2009, IPRspr. 2010 Nr. 124a, 276, 279 ff.; Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 98 m.w.N.
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wenn nicht Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft im Ausland besteht. Führt die Nichtanerkennung einer Adoption aber dazu, dass die Familie getrennt wird, dürfte es in aller Regel nicht gelingen, diesen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK zu rechtfertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Familie auf längere Sicht sogar an dieser Situation zu zerbrechen droht.209 Selbst einwanderungsrechtliche Belange müssen mitunter zurücktreten, wenn eine familiäre Lebensgemeinschaft nur im Inland gelebt werden kann.210 Der Staat ist im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 EMRK sogar (positiv) verpflichtet, bestehendes Familienleben umfassend abzusichern.211 Diese staatliche Schutzfunktion kommt gerade dann zum Tragen, wenn die Adoptivfamilie in ihrem Bestand bedroht ist. Der Schutz faktischen Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) beschränkt sich nicht auf die Anerkennung ausländischer Adoptionen, sondern entspricht einer allgemeinen Rechtsentwicklung. So konstatiert Frank, dass international Rechtsfolgen vermehrt aus faktischen Familienbeziehungen abgeleitet werden, weniger aus formalen Anknüpfungskriterien.212 Gerade in internationalen Adoptionsfällen entsteht nach der Adoption des Kindes unversehens rasch ein faktisches Familienleben zwischen Kind und Eltern, das rechtliche Anschlussentscheidungen präjudiziert. Da deutsche Gerichte im Rahmen methodisch zulässiger Auslegung an die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention gebunden sind,213 ist die tatsächliche Lebenssituation des adoptierten Kindes im Anerkennungsverfahren uneingeschränkt zu berücksichtigen.214 c) Anerkennungsrechtlicher Kindeswohlmaßstab Die Ermittlung der tatsächlichen Familienverhältnisse ist für das Anerkennungsgericht dann problematisch, wenn das Kind im Ausland lebt und ihm die Einreise verweigert wird.215 Ausländische Behörden werden insofern keine entscheidende Hilfe leisten, da aus ihrer Sicht das Kind bereits adoptiert ist. Wie kann das Familiengericht in diesen Fällen trotzdem zur Über209 Vgl. Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 505 f.; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 59. 210 BVerfG 30.1.2002, FamRZ 601, 602; 8.12.2005, FamRZ 2006, 187, 188 ff.; Eichenhofer, ZAR 2013, 89, 93; krit. Busch, IPRax 2003, 13, 17; vgl. Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 71. 211 Vgl. Jarass, FamRZ 2012, 1181, 1183 f. 212 Frank, in: FS Pintens, 2012, S. 607, 622; ders., StAZ 2011, 236, 241. 213 BVerfG 26.3.1987, BVerfGE 74, 358, 370; 14.10.2004, BVerfGE 111, 307, 315 ff.; BVerwG 27.2.2014, 2 C 1/13, Rn. 52 ff. (juris); Helms, in: Gottwald/Henrich/Schwab (Hrsg.), S. 53, 67 ff. 214 Botthof, StAZ 2013, 77, 79 f. 215 Zum Aufenthaltsrecht bei bestehendem Familienleben im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK vgl. Eichenhofer, ZAR 2013, 89 ff.
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zeugung gelangen, dass die Anerkennung dem Kindeswohl nicht widerspricht? Eine Antwort muss die Funktion der Anerkennung nach § 2 AdWirkG in den Blick nehmen. Ein Anerkennungsverfahren betrifft nicht die Frage, ob Eltern ein Kind adoptieren sollten. Die (unzulängliche) Adoption ist längst in der Welt. Vielmehr erfordert die Anerkennung eine Abwägung. Sie muss fragen, ob der adoptionsrechtliche Kindeswohlmaßstab (vgl. § 1741 Abs. 1 BGB), den die ausländische Adoption in den geschilderten Problemkonstellationen nicht erfüllt, auch die rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen rechtfertigt, die aus einer Nichtanerkennung resultieren. Das unterscheidet eine „Kindeswohlprüfung“ in Verfahren nach § 2 AdWirkG von der Zulässigkeitsprüfung nach § 1741 Abs. 1 BGB. Die Frage, ob die Adoptiveltern nach deutschem Maßstab überhaupt hätten adoptieren dürfen, stellt sich im Anerkennungsverfahren nicht – der Kindeswohlmaßstab ist modifiziert. Die Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren dient vielmehr der Suche nach der für das Kind „am wenigsten schädlichen Alternative“216. Erforderlich ist hiernach eine Vorgehensweise, die es einem Kind – in Abhängigkeit von seinem kindlichen Zeitempfinden – ermöglicht, eine dauerhafte Eltern-Kind-Bindung zu seinen (absehbaren) psychologischen Eltern aufzubauen.217 Eine Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren muss abklären, ob dem Kontinuitätsbedürfnis des Kindes auch dann Rechnung getragen werden kann, wenn die Nichtanerkennung einer (mangelhaften) ausländischen Adoptionsentscheidung erfolgt. Dafür müssen die Lebensumstände des Kindes möglichst umfassend ermittelt werden. Es sollte festgestellt werden, von welcher Dauer und Intensität die bisherigen Bindungen des Kindes zu seiner Ursprungsfamilie sind oder waren. Lebt das Kind etwa trotz der Adoption nach wie vor in seinem bisherigen Lebensumfeld, dürfte es der geringste Eingriff in sein persönliches Beziehungsgeflecht sein, wenn es dort verbleiben kann.218 Das ist insbesondere bei internationalen Stiefkind- und Verwandtenadoptionen zu berücksichtigen, bei denen das Kind im Ausgangsstaat eine Familie hat. Gleichzeitig ist zu erwägen, welche Auswirkungen die dortige Adoption für das Kind hatte.
216
Goldstein/Freud/Solnit, Jenseits des Kindeswohls, S. 49 ff. Goldstein/Freud/Solnit, Jenseits des Kindeswohls, S. 33 ff., 49. 218 Vgl. OLG Hamm 28.9.2010, IPRspr. 2010 Nr. 125c, 287, 289; LG Dortmund 19.11.2009, IPRspr. 2010 Nr. 125b, 286, 287; AG Karlsruhe 5.11.2010, IPRspr. 2010 Nr. 148, 365, 365 f. 217
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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Hat das Kind im Herkunftsland keine langfristigen Bindungspersonen, verschiebt sich der Beurteilungsmaßstab.219 Es rückt die Prüfung in den Vordergrund, ob die Adoptiveltern in der Lage sind, eine stabile ElternKind-Beziehung einzugehen. Auch ein Teil der Rechtsprechung stellt bei der anerkennungsrechtlichen Ordre-public-Prüfung darauf ab, ob zu erwarten ist, dass ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht, wenn im ausländischen Verfahren eine fehlerhafte Kindeswohlprüfung stattgefunden hat.220 Entscheidende Prüfungsfrage ist, ob die Adoptiveltern eine gute Gewähr dafür bieten, dass sich langfristige und stabile Bindungen des Kindes zu seinen (neuen) Eltern entwickeln. Bei dieser Prognose sind verschiede Faktoren zu berücksichtigen, die nicht abschließend aufgezählt werden können, sondern im Einzelfall variieren: Die Beziehung der Adoptiveltern untereinander sollte ausreichend stabil sein, um dem Kind eine verlässliche Basis zu bieten. Die Art und Stärke der Bindungen innerhalb der Adoptivfamilie hängen außerdem davon ab, wie die Einstellung der Adoptiveltern gegenüber dem Kind ist beziehungsweise welches Interesse sie am Kind haben. Wollten sie mithilfe der Auslandsadoption in erster Linie ihren drängenden Kinderwunsch befriedigen, sind zumindest Zweifel angebracht, ob sie auch in der Lage sind, die Fürsorge für das Kind zu übernehmen. Adoptiveltern, die bereits (verlässliche) Bindungen zum Adoptivkind aufgebaut haben – beispielsweise, weil sie bereits längere Zeit mit diesem zusammenleben – bieten hingegen im Regelfall eine größere Gewähr dafür, dass sie auch in Zukunft die Elternrolle für das Kind beibehalten werden.221 Vorteilhaft ist es in aller Regel, wenn zwischen Kind und Eltern möglichst keine Sprachbarriere besteht. Ebenfalls hilfreich beim Aufbau einer dauerhaften Eltern-Kind-Beziehung ist eine Verbindung der Adoptiveltern zum kulturellen Hintergrund des Kindes. Problematisch ist es hingegen, wenn auf absehbare Zeit kein alltägliches Zusammenleben der Adoptivfamilie möglich ist. Insofern spielen die Lebensumstände der Eltern eine Rolle. Allerdings dürfen grundsätzlich nicht die Anforderungen an Einkommen, Betreuungssituation oder soziales Umfeld der Adoptiveltern gestellt werden, wie sie an die Eignung von Adoptionsbewerbern angelegt werden. Diese sind nur insoweit relevant, als sie einer stabilen und verlässlichen Eltern-Kind-Bindung nicht entgegenstehen. Die Bindung des Kindes an die Adoptiveltern hängt allerdings maß219
Vgl. LG Köln 31.1.2013, FamRZ 2013, 1498, 1499; LG Potsdam 11.11.2010, IPRspr. 2010 Nr. 149, 366, 369 f. 220 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607, 1609; 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 342; OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 717; OLG Hamm 19.12.2013, II-11 UF 24/13, Rn. 33 (juris); OLG Celle 20.1.2014, 17 UF 50/13, Rn. 24 (juris); LG Dortmund 20.4.2010, IPRspr. 2010 Nr. 137, 334, 335. 221 Vgl. KG Berlin 23.9.2010, IPRspr. 2010 Nr. 130b, 314, 318; OLG Hamm 19.12.2013, II-11 UF 24/13, Rn. 31 ff. (juris).
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
geblich davon ab, inwieweit das Adoptivkind traumatisiert ist. Die Adoptiveltern müssen in der Lage sein, ihrem (vorbelasteten) Kind langfristig Eltern zu sein. Das erfordert auf Seiten der Adoptiveltern eine hohe soziale Kompetenz. In Bezug auf diese Erziehungsvoraussetzung ist ihre „Eignung“ als Adoptiveltern auch im Rahmen einer anerkennungsrechtlichen Kindeswohlprüfung zu berücksichtigen. Gegenüber dem allgemeinen Eignungsmaßstab für Adoptionsbewerber sind „Eignungseinbußen“ im Anerkennungsverfahren aber um der kindlichen Kontinuität willen hinzunehmen, solange sie nicht derart gravierend sind, dass sie eine langfristige Eltern-Kind-Beziehung ausschließen und dadurch dem Kindeswohl schaden. Die Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren muss berücksichtigen, dass das im Ausland adoptierte Kind regelmäßig bereits „Opfer“ der Lebensumstände in seinem Heimatstaat geworden ist. In Abhängigkeit von seinem Alter kann insbesondere die Trennung von seiner Ursprungsfamilie eine erhebliche Belastung (gewesen) sein. Bieten die Adoptiveltern dem Kind eine langfristige Elternperspektive, darf das Anerkennungsverfahren dem Kind keine weitere Schädigung zufügen. Dies wäre aber der Fall, wenn es eine wahrscheinlich sichere Bindungsoption zu den Adoptiveltern behindert oder gar vereitelt. Gegen eine Beurteilung des Ordre-public-Verstoßes im Anerkennungszeitpunkt wird mitunter folgendes Argument angeführt, das die sozialen Verhältnisse des Kindes in den Blick nimmt: Würde man den Ordrepublic-Verstoß nach den Lebensverhältnissen im Anerkennungszeitpunkt bestimmen, müsse konsequenterweise auch eine negative Entwicklung des sozialen Eltern-Kind-Verhältnisses im Verfahren nach § 2 Abs. 1 AdWirkG berücksichtigt werden.222 Das könne bei gescheiterten Adoptionsverhältnissen, in denen das Beziehungsgeflecht im Anerkennungszeitpunkt drastisch zerrüttet ist und faktisch keine Adoptivfamilie mehr besteht, dazu führen, dass eine Anerkennung unterbleiben müsse. Diese pauschalisierende Sichtweise verkennt jedoch, dass sogar in einem faktisch gescheiterten Adoptionsverhältnis, bei dem zum Anerkennungszeitpunkt zwischen Eltern und Kind keine soziale Familieneinheit mehr besteht, im Regelfall die Anerkennung der Adoption die für das Kind am wenigsten schädliche Alternative sein dürfte. Zwar fehlt es in diesem Extremfall an einer langfristigen Perspektive des Kindes in seiner Adoptivfamilie, doch hat die Anerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung darüber hinaus „formale“ Vorteile für das betroffene Kind: Mit Ausnahme der leiblichen Eltern wirkt der Anerkennungsbeschluss im Inland gegenüber jedermann (§ 4 Abs. 2 S. 2 AdWirkG). Wann immer sich im deutschen Recht die Frage nach der Adoption des Kindes stellt, kann 222
Weitzel, IPRax 2007, 308, 311 ff.; ders., JAmt 2013, 238, 239 f.
B. Anerkennung von internationalen Minderjährigenadoptionen
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sich das Kind auf den Beschluss berufen, wodurch unterschiedliche (behördliche) Entscheidungen in den Anschlussfragen ausgeschlossen werden.223 Wurde die ausländische Adoption gerichtlich anerkannt, entspricht sie jedenfalls in Bezug auf die elterliche Sorge und die Unterhaltspflicht der Annehmenden einer deutschen Adoption (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AdWirkG). Für das Kind bedeutet das vor allem eine finanzielle Absicherung durch die Adoptiveltern, die dann eine erhebliche Rolle spielt, wenn das Kind mittlerweile in Deutschland lebt und aus seinen bisherigen sozialen Bezügen herausgetrennt wurde. Ist infolge der Adoption sogar das Eltern-KindVerhältnis zu den leiblichen Eltern erloschen, wird die ausländische Annahme einer inländischen Adoption gleichgesetzt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AdWirkG). Dann ist das Kind sogar erb- und pflichtteilsberechtigt gegenüber seinen Adoptiveltern. Auf den Aufenthalt des Kindes hat die (gerichtliche) Anerkennung erhebliche Auswirkungen. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit setzt insbesondere voraus, dass die ausländische Adoption aus Sicht des deutschen Rechts wirksam (anerkennungsfähig) ist.224 Liegt ein Anerkennungsbeschluss vor, ist jedenfalls diese Feststellung verbindlich getroffen. Wenn die sonstigen Voraussetzungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 6 StAG erfüllt sind,225 kann das Kind nach Deutschland einreisen und hier (dauerhaft) leben. Hat das im Ausland adoptierte Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, richtet sich seine Einreise nach Aufenthaltsrecht. Es benötigt ein Einreisevisum nach §§ 28, 36 Abs. 2 AufenthG, dessen Erteilung aber ebenfalls an die Bedingung gekoppelt ist, dass die ausländische Adoption in Deutschland anerkennungsfähig sein muss.226 Ein gerichtlicher Anerkennungsbeschluss hat also für das Kind auch die Wirkung, dass er dessen Aufenthalt in Deutschland maßgeblich steuert. Auch diese Dimension muss im Anerkennungsverfahren berücksichtigt werden, wenn es um die Frage geht, welche Perspektive dem Kind am wenigsten schadet. Für das Ergebnis einer Ordre-public-Prüfung (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) ist es somit von erheblicher Bedeutung, ob (erst) die Anerkennung dazu führt, dass eine getrennte Adoptivfamilie vereint leben kann, in der das Adoptivkind eine Chance auf den Aufbau langfristiger Bindungen hat.227 Die spezifisch anerkennungsrechtliche Kindeswohlprüfung nimmt demnach sowohl die faktischen Familienbeziehungen der Beteiligten als auch 223
Vgl. 3. Kapitel B. I. Klinkhardt, in: Münch.Komm., BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 48. 225 Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503 f. 226 Reinhardt/Otto, JAmt 2011, 443, 444; Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 504. 227 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. b). 224
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
die „formalen“ Auswirkungen eines Anerkennungsverfahrens in den Blick. Die bestehenden sozial-familiären Beziehungen des Kindes sind hierbei nur ein Kriterium, das im Rahmen der Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren zu berücksichtigen ist. Bei faktischen Missständen im Anerkennungszeitpunkt, wie etwa bei Zwistigkeiten zwischen den Adoptiveltern oder gar der Vernachlässigung des Kindes, greifen die allgemeinen Kindesschutzmaßnahmen ein. Schließlich können auch ausländische Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland den Kindesschutz nach der lex fori für sich beanspruchen.228 d) Zeitliche Dimension des ordre public Es dürfte deutlich geworden sein, dass Anerkennungsverfahren, bei denen ein Verstoß gegen „wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts“ (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) im Raum steht, eine mitunter aufwendige Ordrepublic-Prüfung erfordern. Ein Nichtanerkennungsbeschluss, der diese spezifische Kindeswohlprüfung missachtet, verletzt die Interessen des konkret betroffenen Kindes. Die Beurteilung des Kindeswohls im Anerkennungsverfahren muss die zeitliche Dimension des ordre public beachten. Den Vorgaben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, die insofern denen aus Art. 7 GRCh229 weitgehend entsprechen230 und auf Art. 6 Abs. 1 GG durchschlagen, wird diejenige Rechtsauffassung gerecht, die für die Beurteilung des Verstoßes gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public uneingeschränkt auf den Anerkennungszeitpunkt abstellt. Während für die Anerkennung nach § 108 Abs. 1 FamFG im Allgemeinen ein zeitlicher Aspekt irrelevant ist, erfordert die Beurteilung eines Ordre-public-Verstoßes eine Berücksichtigung der seit Erlass der ausländischen Entscheidung eingetretenen Entwicklung.231 Entscheidend ist expressis verbis ein Urteil über die Folgen der Anerkennung. Diese Entscheidung über das Ergebnis der Anerkennung ist jedoch unzulänglich, wenn es die faktische Entwicklung einschließlich des Status quo zum Anerkennungszeitpunkt außer Acht lässt. Die zeitliche Dimension des ordre public kommt auch in Art. 24 HAÜ treffend zum Ausdruck.232 Diese Vorschrift macht die Nichtanerkennung ebenfalls von einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung der Vertragsstaaten abhängig, „wobei [aber] das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist“ (Art. 24 HAÜ). Das Kindeswohl ist zeitabhängig: Es kann im Aner228 Coester, in: Münch.Komm., BGB, § 1666 Rn. 57, 162 ff., 313 ff.; Rauscher, NJW 2011, 2332 f.; Schwarz, JAmt 2011, 438 ff. 229 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2010 C 83/389, 30.3.2010). 230 Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 8 Rn. 2; ausführlich: Jarass, FamRZ 2012, 1181 ff. 231 Vgl. Frank, StAZ 2012, 129, 132. 232 Botthof, StAZ 2013, 77, 79.
C. Anerkennungsverfahren
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kennungszeitpunkt die Anerkennung nahelegen, während es bei Erlass der ausländischen Adoptionsentscheidung eine andere Beurteilung erfordert hätte.233 Hierbei kann das Gericht nicht zunächst einen Ordre-public-Verstoß bejahen, um ihn in einem zweiten Schritt zu „heilen“. Es ist also beispielsweise nicht möglich, dass ein Gericht zunächst feststellt, die Adoptiveltern seien nur unzureichend begutachtet worden – das verstoße gegen den ordre public – und in einem zweiten Schritt eine eigenständige Eignungsprüfung durchführt, die den Verstoß gewissermaßen aus der Welt schafft. Diese Möglichkeit ist im System der §§ 108 f. FamFG nicht vorgesehen. Entweder liegt ein Verstoß gegen § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vor, dann folgt zwingend die Nichtanerkennung, andernfalls ist die ausländische Entscheidung anzuerkennen. Insofern ist es irreführend, von der Nachholbarkeit einer Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren zu sprechen. Im Rahmen des Verfahrens nach §§ 108 f. FamFG ist keine Heilung unzulänglicher ausländischer Verfahren, aber zwingend eine Berücksichtigung der gegenwärtigen Umstände vorgesehen, um zu ermitteln, ob die Nichtanerkennung die am wenigsten schädliche Alternative für das Kind ist.
C. Anerkennungsverfahren I. Problemstellung Gegen eine eigenständige Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 AdWirkG wenden sich insbesondere Teile der (oberlandesgerichtlichen) Rechtsprechung mit dem Argument, diese könne im Anerkennungsverfahren schon deshalb nicht durchgeführt werden, da das Anerkennungsverfahren vom Gesetzgeber nicht als Wiederholungsadoption ausgestaltet worden sei.234 Konkret hat der historische Gesetzgeber des Adoptionswirkungsgesetzes in Bezug auf das Anerkennungsverfahren formuliert: „Damit ein solches Verfahren als Fortschritt in der Rechtsentwicklung bezeichnet werden kann, muss es im Vergleich zu einer Wiederholung der Annahme nach deutschem Recht einfacher zu handhaben sein.“235 Angesichts dieser Intention stellt sich die Frage, ob das Anerkennungsverfahren nach § 2 Abs. 1 AdWirkG überhaupt einen angemessenen Rahmen für die nach den hier entwickelten Maßstäben erforderliche Kindeswohlprüfung bietet.236 Die Regeln, nach denen das Anerkennungsverfahren 233
Vgl. Steiger, S. 33 (Rn. 101). Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. a). 235 BT-Drucks. 14/6011, S. 28. 236 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 234
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
abläuft, sind allerdings teilweise nicht ganz klar, weil die Klassifizierung des Verfahrens umstritten ist. Das Adoptionswirkungsgesetz stammt aus dem Jahr 2001237 und trat noch während der Geltung des FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) in Kraft. Als das FGG im Jahr 2009 novelliert und in das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) überführt wurde, traten eine Reihe verfahrensrechtlicher Fragen auf. An einigen Stellen bestehen Zweifel, wie sich das Anerkennungsverfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz in das System des FamFG einfügt. § 5 Abs. 3 S. 1 AdWirkG verweist insofern pauschal auf das „Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit“. Aufgrund dieses kursorischen Verweises ist insbesondere in der gerichtlichen Praxis umstritten, auf welche FamFG-Vorschriften im Anerkennungsverfahren zurückzugreifen ist. Die Klassifizierung des Anerkennungsverfahrens wurde ursprünglich anhand der Frage diskutiert, wie das Rechtsmittelverfahren für Anerkennungen nach dem Adoptionswirkungsgesetz ausgestaltet ist. Ein Teil der Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass ein Anerkennungsverfahren keine Familiensache sei.238 Diese Klassifizierung wird bestritten. Die Gegenauffassung stuft Anerkennungsverfahren als Familiensachen ein.239 Innerhalb der Gegenauffassung wird es teilweise als Adoptionssache nach §§ 111 Nr. 4, 186 ff. FamFG eingeordnet,240 vereinzelt auch als Familiensache sui generis241 oder als Familiensache kraft Sachzusammenhangs,242 für welche die allgemeinen Vorschriften der §§ 111–120 FamFG gelten. Keine Auswirkungen hat dieser Streit (mehr) auf die Frage nach der Beteiligung des Kindes und der Eltern am Anerkennungsverfahren: Die Beteiligtenstellung des adoptierten Kindes wird de lege lata überwiegend unter Rückgriff auf § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG bejaht.243 Inwieweit es von seinen Eltern zu vertreten ist, richtet sich nach Art. 21 EGBGB bezie237
BGBl. I 2001, 2953. OLG Hamm 24.1.2012, FamRZ 2012, 1230; OLG Köln 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 340 f.; 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234; 17.10.2012, II-4 UF 171/12, Rn. 3 (juris); OLG Dresden 29.10.2013, ZKJ 2014, 164, 164 ff.; Weitzel, FamRZ 2012, 1231; Keuter, FamRZ 2014, 518, 524. 239 OLG Düsseldorf 2.3.2012, FamRZ 2012, 1233; 27.7.2012, StAZ 2013, 82, 82 f.; AG Frankfurt 22.6.2012, StAZ 2013, 23, 24; offengelassen von OLG Karlsruhe 6.2.2012, 2 UF 85/11, Rn. 25 (juris). 240 OLG Düsseldorf 2.3.2012, FamRZ 2012, 1233; 27.7.2012, StAZ 2013, 82, 82 f.; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 2; ders., FamRZ 2013, 90, 92, 94. 241 OLG Schleswig 25.9.2013, FamRZ 2014, 498, 498 f.; Braun, FamRZ 2011, 81, 82. 242 AG Frankfurt 22.6.2012, StAZ 2013, 23, 24; Braun, ZKJ 2012, 216, 217. 243 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226 f.; OLG Düsseldorf 23.12.2011, FamRZ 2012, 1229; OLG Hamm 24.1.2012, FamRZ 2012, 1230 f.; OLG Köln 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234; Weitzel, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, § 5 Rn. 5; a.A. Maurer, FamRZ 2013, 90, 93 (§ 188 Abs. 1 Nr. 1 lit. a FamFG). 238
C. Anerkennungsverfahren
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hungsweise nach dem nunmehr vorrangig anwendbaren Art. 15 KSÜ.244 Aus der Beteiligtenstellung folgt im Falle eines Minderjährigen nicht zwangsläufig, dass er auch persönlich anzuhören ist.245 Der Gesetzgeber hatte die Frage der Anhörung des adoptierten Kindes im Anerkennungsverfahren unter Geltung des FGG aber ausdrücklich geregelt: Damals verwies § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG a.F. auf §§ 50a, 50b FGG (was heute §§ 159, 160 Abs. 1 S. , Abs. 2–4 FamFG entspricht), doch wurden die entsprechenden Vorschriften im Zuge der Anpassung des § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG a.F. an das FamFG redaktionell verwechselt.246 Dieses Versehen wurde per Gesetz vom 23.1.2013 korrigiert.247 Nunmehr bestimmt § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG ausdrücklich, dass die §§ 159, 160 Abs. 1 S. 1, Abs. 2–4 FamFG entsprechend anzuwenden sind. Die abweichende Auffassung, welche die Anhörung des Kindes ins Ermessen des Gerichts (§§ 32 f. FamFG) stellt,248 ist aufzugeben, da die §§ 159 f. FamFG gegenüber §§ 32 f. FamFG lege speciali sind.249 Das Kind muss nach § 159 Abs. 1 S. 1 FamFG persönlich angehört werden, wenn es das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat. Unter dieser Altersgrenze ist das Kind dann anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (§ 159 Abs. 2 FamFG). Eine persönliche Anhörung darf nur aus schwerwiegenden Gründen unterbleiben (§ 159 Abs. 3 S. 1 FamFG). Das wäre etwa der Fall, wenn die Anhörung zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung des Kindes führen würde.250 Die überwiegende gerichtliche Praxis verzichtet auf eine Anhörung des Kindes, wenn sich das adoptierte Kind noch im Ausland befindet.251 Das ist zweifelhaft, weil sich das Absehen von einer persönlichen Anhörung ausschließlich nach § 159 Abs. 3 S. 1 FamFG beurteilt. Allein die Tatsache, dass die Ausländerbehörden oftmals eine Einreise des adoptierten Kindes zwecks Anhörung verweigern, ist kaum ein „schwerwiegender Grund“ im Sinne von § 159 Abs. 3 S. 1 FamFG. Notfalls hat das Gericht 244
OLG Düsseldorf 23.12.2011, FamRZ 2012, 1229; OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715; a.A. OLG Köln 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234. 245 Braun, ZKJ 2012, 216, 218. 246 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 2, 10; Benicke, in: NomosKomm., BGB, Anhang I zu Art. 22 EGBGB Rn. 11; Braun, ZKJ 2012, 216, 218. 247 BGBl. I 2013, 101. 248 OLG Hamm 24.1.2012, FamRZ 2012, 1230, 1231, zust. Weitzel, FamRZ 2012, 1231, 1232. 249 Braun, ZKJ 2012, 216, 218. 250 BT-Drucks. 16/6308, S. 428. 251 Weitzel, in: HK-AdoptionsR, AdWirkG, § 5 Rn. 5; ders., FamRZ 2012, 1231, 1232.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
das persönliche Erscheinen des Kindes nach § 33 Abs. 1 S. 1 FamFG anzuordnen. Wird die Einreise des Kindes trotzdem verweigert, muss versucht werden, die Einreise verwaltungsgerichtlich durchzusetzen.252 Ob die Adoptiveltern oder das Kind die Ausländerbehörde erfolgreich veranlassen können, ein Visum zu erteilen, ist in unbegleiteten Auslandsadoptionen unsicher. Setzt doch die Visumserteilung nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich ein positiv abgeschlossenes Adoptionsvermittlungsverfahren voraus.253 Die Anhörung der Eltern richtet sich nach § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG in Verbindung mit § 160 Abs. 1 S. 1, Abs. 2–4 FamFG. Hiernach soll das Gericht die Eltern persönlich anhören (§ 160 Abs. 1 S. 1 FamFG) und darf nur aus schwerwiegenden Gründen von einer Anhörung absehen (§ 160 Abs. 3 FamFG), worunter eine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung des Elternteils oder dessen nicht ermittelbarer Aufenthalt fällt.254 Die Anhörung ist auch bei Gefahr im Verzug verzichtbar, muss in diesem Fall aber unverzüglich nachgeholt werden (§ 160 Abs. 4 FamFG). Steht einem Elternteil die elterliche Sorge nicht zu, kann das Gericht von dessen Anhörung absehen, wenn sie keine Aufklärung verspricht (§ 160 Abs. 2 FamFG). Angesichts dieser strikten Anhörungsvorgaben überrascht es, dass die gerichtliche Praxis aber bislang überwiegend selbst dann von einer Anhörung des Kindes und der Eltern absieht, wenn sich die Nichtanerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung abzeichnet.255 Für einige andere Folgefragen hat die Klassifizierung des Anerkennungsverfahrens nach wie vor Bedeutung. Je nachdem, welche Vorschriften des FamFG auf das Anerkennungsverfahren angewandt werden, gelten andere Regeln für die Beteiligung des (Landes-)Jugendamtes, einer Adoptionsvermittlungsstelle und die Bestellung eines Verfahrensbeistands. Würde man das Anerkennungsverfahren als Adoptionssache im Sinne der §§ 186 ff. FamFG einstufen, wäre in jedem Anerkennungsverfahren eine Adoptionsvermittlungsstelle zu beteiligen und anzuhören (§§ 189 S. 1, 194, 195 FamFG).256 Ein Verfahrensbeistand wäre dem Kind nach § 191 S. 1 FamFG zu bestellen, sofern dies zur Wahrung der Kindesinteressen erforderlich ist. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Interesse des Kindes dem seiner gesetzlichen Vertreter erheblich widerspricht (§§ 191 S. 2, 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG). 252
Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 98 m.w.N. BVerwG 26.10.2010, BVerwGE 138, 77, 83, Rn. 15; 10.3.2011, FamRZ 2011, 888, 890, Rn. 15 ff.; OVG Berlin-Brandenburg 21.4.2009, IPRspr. 2010 Nr. 124a, 276, 280 f.; VG Berlin 24.1.2014, 29 K 18.12 V, Rn. 20 f. (juris); Reinhardt, JAmt 2011, 180, 185. 254 Büte, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 160 FamFG Rn. 4. 255 Weitzel, FamRZ 2012, 1231, 1232. 256 Weitzel, FamRZ 2012, 1231. 253
C. Anerkennungsverfahren
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Würde man stattdessen auf Anerkennungsverfahren bloß die allgemeinen Vorschriften des FamFG anwenden,257 entfiele insbesondere die obligatorische Beteiligung des (Landes-)Jugendamtes nach §§ 189 S. 1, 194, 195 FamFG. Ob dem adoptierten Kind ein Verfahrensbeistand beizuordnen ist, ist nach geltender Rechtslage unsicher, sofern die Qualifikation des Anerkennungsverfahrens als Adoptionssache (§§ 186 ff. FamFG) abgelehnt wird. Das Adoptionswirkungsgesetz trifft insofern keine (ausdrückliche) Regelung. Lehnt man die Klassifizierung des Anerkennungsverfahrens als Familiensache ab, wäre kein Rückgriff auf die allgemeine Regel für den Verfahrensbeistand (§ 158 FamFG) möglich. Trotzdem wird in der Anerkennungspraxis vereinzelt die Bestellung eines Verfahrensbeistands unter Rückgriff auf die Wertung des § 191 S. 1 FamFG erwogen.258 II. Stellungnahme: Verfahrensklassifizierung Eine Klassifizierung des Verfahrens nach dem Adoptionswirkungsgesetz aufgrund systematischer Erwägungen erweist sich als wenig stichhaltig. Insbesondere unterliegen diejenigen einem Trugschluss, die argumentieren, Anerkennungsverfahren seien keine Familien- oder Adoptionssachen, weil sie in den §§ 111, 186 FamFG nicht aufgezählt seien.259 Aus einem Anpassungsfehler des Gesetzgebers im Rahmen der FamFG-Novelle folgt keine neue systematische Einordnung. Im Kern handelt es sich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers, entstanden bei der Anpassung des Adoptionswirkungsgesetzes an das FamFG.260 Insofern lässt sich auch aus § 199 FamFG, wonach die Vorschriften des Adoptionswirkungsgesetzes unberührt bleiben, weder ableiten, dass der Gesetzgeber die Anerkennungssachen grundsätzlich als Adoptionssachen nach §§ 186 ff. FamFG einstuft261 noch folgt hieraus zwingend die gegenteilige Ansicht, die annimmt, der Hinweis in § 199 FamFG zeige, dass der Gesetzgeber sie gerade nicht als Adoptionssachen aufgefasst habe.262 Gegen eine Klassifizierung als Adoptionssachen spricht, dass der Gesetzgeber im Adoptionswirkungsgesetz die Beteiligung des Kindes und der Eltern ausdrücklich geregelt hat, die von der Regelung der §§ 186 ff. FamFG abweicht. Deswegen ließen sich bei einer Qualifizierung von 257
OLG Köln 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234; 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 340. OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1227. 259 OLG Hamm 24.1.2012, FamRZ 2012, 1230; OLG Köln 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234; Weitzel, FamRZ 2012, 1231. 260 Braun, ZKJ 2012, 216, 218. 261 OLG Düsseldorf 2.3.2012, FamRZ 2012, 1233; Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 2; ders., FamRZ 2013, 90, 91 f., 94. 262 OLG Hamm 24.1.2012, FamRZ 2012, 1230, 1231; OLG Köln 30.3.2012, FamRZ 2012, 1234. 258
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Anerkennungsverfahren als Adpoptionssachen die §§ 186 ff. FamFG jedenfalls nicht pauschal anwenden.263 Das käme allenfalls in Bezug auf einzelne Vorgaben der §§ 186 ff. FamFG in Betracht.264 Auch in anderen Gesetzen sucht man eine eindeutige Einordnung vergebens: Anerkennungsverfahren werden in anderen Zusammenhängen teilweise als „Familiensachen“ (FamGKG) und teilweise als „Kindschafts- und Adoptionssachen“ (RPflG) tituliert, wobei ein Indiz für eine Verortung als Familiensache ist, dass für sie das Familiengericht sachlich zuständig ist (§ 5 Abs. 1 S. 1 AdWirkG).265 Eine inhaltliche Einordnung des Anerkennungsverfahrens lässt sich aber wohl der Entscheidung des Gesetzgebers in Bezug auf die Frage des Abhilfeverfahrens im Beschwerdeverfahren entnehmen. Als das Adoptionswirkungsgesetz noch neben dem FGG existierte, war ausdrücklich normiert, dass der Beschluss nach § 2 Abs. 1 AdWirkG der „sofortigen Beschwerde“ nach § 567 Abs. 1 ZPO a.F. unterliegt.266 Im Rahmen des § 567 Abs. 1 ZPO a.F. fand kein Abhilfeverfahren statt. Das FamFG schaffte zwar das Institut der sofortigen Beschwerde ab und führte stattdessen eine generelle Abhilfebefugnis des Gerichts erster Instanz ein (§ 68 Abs. 1 S. 1 FamFG),267 es bestehen indes keine Anhaltspunkte dafür, dass der Reformgesetzgeber an seiner bisherigen inhaltlichen Wertung – bei Anerkennungsverfahren findet kein Abhilfeverfahren statt – nicht auch unter Geltung des FamFG festhalten wollte. Nach § 68 Abs. 1 S. 2 FamFG findet ein Abhilfeverfahren allerdings nur dann nicht statt, wenn eine Endentscheidung in Familiensachen betroffen ist.268 Damit sind Anerkennungsverfahren jedenfalls als Familiensachen (kraft Sachzusammenhangs) einzustufen, wie es de lege lata bereits mit zahlreichen anderen Verfahren geschieht, die nicht ausdrücklich in § 111 FamFG genannt werden.269 Das ist sachgerecht, denn im Gegensatz etwa zu Register- oder Grundbuchsachen haben Anerkennungsverfahren familienrechtlich geregelte Rechtsverhältnisse zum Gegenstand, die im Zuge der 263 OLG Düsseldorf 2.3.2012, FamRZ 2012, 1233; 27.7.2012, StAZ 2013, 82, 82 f.; grundsätzlich so: Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 2; ders., FamRZ 2013, 90, 94. 264 Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 2; ders., FamRZ 2003, 1337, 1341; Weitzel, FamRZ 2012, 1231. 265 Braun, ZKJ 2012, 216, 217; Maurer, FamRZ 2013, 90, 93. 266 BT-Drucks. 14/6011, S. 49. 267 BT-Drucks. 16/6308, S. 207. 268 Das entspricht dem Rechtsstand vor Inkraftreten des FamFG vgl. BTDrucks. 16/6308, S. 207; Sternal, in: Keidel, FamFG, § 68 Rn. 2, 24. 269 Vgl. Beispiele bei: Helms, in: Prütting/Helms, FamFG, § 111 Rn. 27 ff.; Fischer, in: Münch.Komm., ZPO, § 111 FamFG Rn. 23 ff.; Weber, in: Keidel, FamFG, § 111 Rn. 9 ff.
C. Anerkennungsverfahren
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FamFG-Novelle grundsätzlich als Familiensachen eingestuft werden sollten.270 Diese Weichenstellung hat für die aufgeworfenen Zweifelsfragen folgende Konsequenzen: Im Anerkennungsverfahren findet keine obligatorische Beteiligung eines (Landes-)Jugendamtes nach §§ 189 S. 1, 194, 195 FamFG statt. Ob dem adoptierten Kind ein Verfahrensbeistand beizuordnen ist, richtet sich nach der allgemeinen Regel des § 158 FamFG. Er ist zu bestellen, wenn dies zur Wahrung der Kindesinteressen erforderlich ist, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn sie den Absichten des gesetzlichen Vertreters widersprechen. III. Ergebnis: Angemessene Verfahrensregeln Nachdem das Anerkennungsverfahren gemäß Adoptionswirkungsgesetz klassifiziert und seine Regularien benannt sind, kann nun beurteilt werden, ob es seinem Doppelcharakter gerecht wird. Einerseits muss es grundsätzlich, wenn keine Ordre-public-Berührung besteht, ein zügiges Gerichtsverfahren ermöglichen, aber andererseits, sobald wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts im Sinne von § 109 Abs.1 Nr. 4 FamFG angetastet sind, eine ausreichende Handhabe bieten, um die beschriebene Kindeswohlprüfung vorzunehmen.271 Bestehen keine Bedenken bezüglich der Anerkennung, ist ein möglichst reduzierter Verfahrensaufwand wünschenswert. Insbesondere eine obligatorische Beteiligung von Fachbehörden – wie sie in Adoptionssachen vorgesehen ist (vgl. §§ 188 ff. FamFG) – wäre hier eine unzweckmäßige Verfahrenslast. Wären beispielsweise in jedes Anerkennungsverfahren die Adoptionsvermittlungsstelle sowie das Jugendamt einzubinden, würden Anerkennungsverfahren pauschal verzögert. Das widerspräche der Intention des Gesetzgebers, der sich durch Einführung der speziellen Anerkennungsverfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz eine Beschleunigung im Vergleich zur Durchführung einer inländischen Wiederholungsadoption versprach.272 Eine generelle Verfahrensverzögerung würde tendenziell auch dazu führen, dass das Wohl des betroffenen Kindes missachtet wird. Das im Ausland adoptierte Kind hat ein Interesse an einer raschen Entscheidung, insbesondere dann, wenn seine Einreise von der Anerkennungsentscheidung abhängt.273 Ein langwieriges Anerkennungsverfahren – dessen Ausgang unsicher ist – birgt die Gefahr, dass die Eltern-KindBeziehung vorläufig und ungewiss bleibt. Solange die Eltern damit rechnen müssen, ihr Kind zu verlieren, vermeiden sie oftmals eine endgültige 270
Vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 168 f. Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 272 BT-Drucks. 14/6011, S. 28. 273 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. b). 271
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Bindung an das Kind. Das dürfte aber häufig der Suche nach der am wenigsten schädlichen Alternative widersprechen, die in erster Linie eine dauerhafte Familienlösung anstrebt.274 Vor allem für jüngere Adoptivkinder sind schwebende Anerkennungsverfahren deshalb schwere Hypotheken, da ihr kindliches Zeitempfinden besonders sensibel auf unklare Umstände reagiert. Bei den familienfremd angenommenen ausländischen Adoptivkindern handelt es sich wohl überwiegend um Säuglinge und Kleinkinder.275 Anerkennungsverfahren müssen in ihrem Interesse in erster Linie zügig durchgeführt werden (können). Dies gilt auch für die Fälle, in denen Anerkennungsverfahren den ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG betreffen. Zwar ist hier eine Kindeswohlprüfung erforderlich, die aber nur so komplex ausfallen darf, wie es der Einzelfall erfordert. Das Gericht muss in den Fällen, in denen die „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“ (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) berührt sind, in der Lage sein zu prüfen, ob die Anerkennung die für das betroffene Kind am wenigsten schädliche Lösung ist.276 Das erfordert, dass die Lebensumstände des Kindes möglichst umfassend ermittelt werden. Außerdem ist eine Aussage über die (voraussichtliche) ElternKind-Bindung erforderlich, welche dem kindlichen Kontinuitätsbedürfnis dient. Notwendig ist eine Auseinandersetzung mit dem Bindungsverhalten des Kindes und dem der Adoptiveltern. In eingeschränktem Maße sind auch die Lebensumstände der Annehmenden relevant, die dem (traumatisierten) Kind eine langfristige – möglichst stabile – Elternperspektive gewährleisten müssen. Als Verfahrensinstrumente stehen dem Gericht vorrangig die Anhörung des Kindes und der Annehmenden zur Verfügung (§ 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG; §§ 159 f. FamFG).277 Denkbar ist beispielsweise auch die Einbeziehung eines Sachverständigen, der nicht nur eingesetzt werden kann, um die Qualität der entstandenen Eltern-Kind-Beziehung einzuschätzen, sondern etwa auch den Verlauf des ausländischen Adoptionsverfahrens bewerten und erläutern kann. Auf diese Möglichkeit griff das Oberlandesgericht Köln278 zurück: Ein iranisch-deutsches Ehepaar mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland hatte im Iran ein Kind adoptiert, ohne dass eine deutsche Fachstelle eingebunden gewesen wäre. Die Adoptivmutter besaß die deutsche und iranische Staatsangehörigkeit. Sie wünschte sich ein Kind aus ihrem Heimatkulturkreis, weshalb sich die Eheleute in Teheran um ein Adoptivkind bewarben. Nachdem sie dort ein Kind adoptiert hatten, wollten sie die ausländische Annahmeentscheidung in Deutschland anerkennen lassen. 274
Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. 276 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 277 Vgl. OLG Hamm 19.12.2013, II-11 UF 24/13, Rn. 31 ff. (juris). 278 24.4.2012, StAZ 2012, 339 ff. 275
C. Anerkennungsverfahren
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Die Kölner Richter äußerten aber Bedenken, da die Elterneignung nicht am Lebensmittelpunkt des Paares – in Deutschland – festgestellt worden sei. Eine fachliche Begutachtung und erschöpfende Kindeswohlprüfung sei aber notwendig, damit die Adoption anerkannt werden könne. Sie stellten sich die Frage, ob die Elterneignung nicht bereits durch das ausländische Adoptionsverfahren ausreichend nachgewiesen worden sei, das die Bewerber durchlaufen hatten. Um dies zu prüfen, ließ sich der Senat von einer Sachverständigen das absolvierte iranische Adoptionsverfahren erläutern. Nach den Angaben dieser Sachverständigen folgt das Adoptionsverfahren im Iran einem mehrstufigen Ablauf und begann mit einem generellen Eignungstest der Bewerber, in dem formelle Kriterien, wie Gesundheit, Vorstrafen, Einkommen et cetera geprüft wurden. In den folgenden persönlichen Gesprächen mussten die Bewerber ihren Adoptionswunsch und ihre Ehe reflektieren. Geführt wurden sie von Adoptionsfachleuten, Psychologen und Sozialpädagogen. Sodann fanden erste beaufsichtigte Kontakte mit dem Kind statt, an die sich eine sechsmonatige Probezeit in Teheran anschloss. Während dieser Zeit wurde das Zusammenleben der Familie mehrfach kontrolliert und begutachtet. Bevor die Adoption ausgesprochen wurde, erstellte die staatliche Jugendbehörde einen abschließenden Bericht. Die Angaben der Sachverständigen deckten sich mit dem von den Eltern geschilderten Verfahrensablauf. Nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Köln war somit die Eignung der Eltern ausreichend erwiesen – die iranische Kindeswohlprüfung umfassend.
Die aufgezeigten Verfahrensinstrumente werden im Regelfall ausreichend sein, um die Elterneignung festzustellen oder zu prognostizieren, wo die langfristige Lebensperspektive des adoptierten Kindes liegt. Will das Gericht darüber hinaus weitere fachliche Expertise einholen, sollte das nur fakultativ möglich sein. Jugendamt oder Adoptionsvermittlungsstelle sind nicht zwingend am Verfahren zu beteiligen, sondern allenfalls dann, wenn es das Gericht für erforderlich erachtet. Werden sie beteiligt, nähert sich das Anerkennungsverfahren einem Adoptionsverfahren an. Dies hat der historische Gesetzgeber durchaus beabsichtigt. Die Anerkennung nach dem Adoptionswirkungsgesetz sollte nämlich eine inländische Wiederholungsadoption ersetzen, wodurch sie einer Adoptionssache nahekommt.279 In problematischen Anerkennungsverfahren findet allerdings nur eine spezifische Kindeswohlprüfung statt, die sich von der Kindeswohlprüfung im Adoptionsverfahren unterscheidet; im Anerkennungsverfahren ist der Kindeswohlmaßstab abgewandelt.280 So erfordert die anerkennungsrechtliche Kindeswohlprüfung keinen Eignungsnachweis (Sozialbericht) der Adoptiveltern, wie er für Adoptionsbewerber zu erstellen ist.281 Vielmehr ist ihre Eignung nur insofern relevant, als dies Auswirkungen auf die Frage hat, ob die Adoptiveltern dem Kind eine dauerhafte Familie bieten können. Im bereits zuvor erwähnten Beispielsfall,282 in dem kosovarische Eheleute ihre sechsjährige Cousine adoptiert hatten, deren Mutter bei einem Verkehrsunfall verstorben war, hat 279
Maurer, FamRZ 2013, 90, 93 f. Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 281 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 282 Vgl. 3. Kapitel B. II. 2. 280
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
das Oberlandesgericht Karlsruhe im Anerkennungsverfahren etwa einen leiblichen Sohn der Adoptiveltern angehört. Auf diese Weise sollte die spezifisch erforderliche Erziehungseignung der Adoptiveltern bestätigt werden, die im Kosovo eine Pädagogin bescheinigt hatte – keine deutsche Fachstelle.283 Die Anhörung vermittelte zunächst den Eindruck, dass die Eltern in der Lage sind, ein Kind zu erziehen und in Deutschland zu integrieren. Dies hätten sie bei ihrem leiblichen Sohn unter Beweis gestellt. Außerdem seien sie dazu fähig, die zeitintensive Betreuung des traumatisierten Mädchens zu leisten. Sie nähmen an einer Traumatherapie teil, die ihnen im Kosovo nicht zur Verfügung gestanden hätte. Das Kind hielte ferner per „Skype“ Kontakt zu seinen Verwandten im Kosovo. Der Senat war deshalb davon überzeugt, dass die Adoptiveltern geeignet seien, dem Kind eine dauerhafte Familie zu bieten. Im Beschluss heißt es ausdrücklich: „Diese Feststellungen lassen sich im Anerkennungsverfahren treffen, auch ohne dass eine deutsche Fachstelle die Elterneignung begutachtet hat.“284
Weil ein Sozialbericht im Anerkennungsverfahren nicht erforderlich ist, muss die Adoptionsvermittlungsstelle im Anerkennungsverfahren auch nicht (kostenlos) tätig werden (§ 189 S. 3 FamFG), während sie den Sozialbericht im regulären Vermittlungsverfahren nur gegen Gebühr erstellt hätte. Dadurch ist freilich nicht die Gefahr gebannt, dass das Anerkennungsverfahren im Einzelfall günstiger – und insofern attraktiver – ist als eine reguläre Adoptionsvermittlung. In generalpräventiver Hinsicht ist die Wirkung des Anerkennungsverfahrens stark begrenzt285 – es erfüllt eine dienende Funktion. Im Zentrum des individuellen Anerkennungsverfahrens steht das Wohl des konkret betroffenen Kindes, das vor (weiteren) Schädigungen zu bewahren ist. Wie gezeigt wurde, kann dieses materielle Ziel auch mittels der zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Instrumentarien erreicht werden.
D. Tatsächliche Anerkennungspraxis in Deutschland In der tatsächlichen Anerkennungspraxis in Deutschland zeigt sich, dass zwischen der herrschenden restriktiven Deutung der „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“ im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG und der gerichtlichen Praxis – vor allem innerhalb der erstinstanzlichen Gerichte – in weiten Teilen eine erhebliche Diskrepanz besteht. Angesichts der skizzierten Auffassungen in der Literatur und vor allem einiger Oberlandesgerichte wäre anzunehmen, dass der Großteil international unbegleiteter Adoptionen, und damit ein beträchtlicher Teil sämtlicher internationaler Adoptionen in Deutschland, gerichtlich nicht anerkannt wird. Die Folge wäre, dass hinkende Adoptionsverhältnisse entstünden. Das ist aber prak283
OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 716 f. OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 717. 285 Botthof, StAZ 2013, 77, 80. 284
D. Tatsächliche Anerkennungspraxis in Deutschland
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tisch selten der Fall: In der deutschen Praxis werden insbesondere auch unbegleitete Adoptionen im Regelfall anerkannt. Auch insofern fehlt es an einer statistischen Erfassung.286 Auf der Grundlage der Anerkennungsverfahren, an denen die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption obligatorisch beteiligt ist (§ 5 Abs. 3 S. 4 AdWirkG), lässt sich aber eine Schätzung vornehmen. Hiernach ergab sich für 2005 und 2006 eine Nichtanerkennungsquote von nur circa 4 %, was ungefähr dem prozentualen Anteil ablehnender Stellungnahmen der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption entsprach, obwohl in rund der Hälfte aller Vertragsstaatenadoptionen die Vorgaben des Adoptionsübereinkommens (teilweise) missachtet wurden.287 Die Quote beträgt für den in Rede stehenden Zeitraum immer noch circa 10 %, selbst wenn man auch die Verfahren als „Nichtanerkennung“ zählt, bei denen der Antrag auf Anerkennung zurückgenommen wurde.288 Diese anerkennungsfreundliche Tendenz prägt auch gegenwärtig nach wie vor die Rechtsprechung, wobei die Ablehnungsrate im Jahr 2012 leicht anstieg: Im Jahr 2010 wurden rund 3 % der Anerkennungsanträge nach § 2 AdWirkG zurückgewiesen; die entsprechenden Zahlen für die nachfolgenden Jahren sehen wie folgt aus: (2011) 4 %; (2012) 8 %.289 Mitverantwortlich für die überraschend hohe Anerkennungsquote könnten einige (sekundäre) Rahmenbedingungen sein. So muss eine Anerkennung im Gegensatz zur Nichtanerkennung von den zuständigen Familiengerichten (§ 5 Abs. 1 S. 1 AdWirkG) in aller Regel nicht begründet werden.290 Außerdem unterliegt eine Anerkennung nicht der Beschwerde durch die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption.291 Zentral ist aber sicherlich, dass die Reichweite des Ordre-public-Vorbehalts von den erstinstanzlichen Gerichten äußerst unterschiedlich beurteilt wird.292 Dieser Effekt kann sich noch verstärken, wenn die eingehenden Anerkennungsverfahren an den zuständigen Familiengerichten (§ 5 Abs. 1 S. 1 AdWirkG) – nach dem Geschäftsverteilungsplan – auf unterschiedliche Richter verteilt werden. Teilt das Anerkennungsgericht die Auffassung, eine unbegleitete Adoption verstoße stets gegen § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, wirken einige Gerichte gar darauf hin, dass der Antrag auf Aner286
BT-Drucks. 16/12247, S. 36. Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1701 f. 288 Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1702. 289 Bundeszentralstelle, Jahresbericht 2012, unveröffentlicht. 290 KG Berlin 11.12.2012, FamRZ 2013, 717, 717 f.; Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 101 ff.; a.A. Maurer, in: Münch.Komm., BGB, § 5 AdWirkG Rn. 11. De lege ferenda sollte insofern eine Klarstellung durch den Gesetzgeber erfolgen. 291 Hölzel, StAZ 2003, 289, 292. 292 Staudinger, FamRBint 2007, 42, 43; Hölzel, StAZ 2003, 289, 290, plädiert sogar für einen je nach Heimatstaat unterschiedlichen Prüfungsmaßstab im Anerkennungsverfahren. 287
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
kennung zurückgenommen wird, anstatt die Nichtanerkennung auszusprechen.293 So verlieren die Adoptiveltern nicht jede Chance auf den Erhalt einer deutschen Geburtsurkunde. Dieses Vorgehen wird dadurch erleichtert, dass die Rücknahme eines Antrags auf Anerkennung einer ausländischen Adoption nach § 2 Abs. 1 AdWirkG de lege lata wegen § 22 Abs. 1 FamFG, § 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 3 AdWirkG oftmals auch dann noch möglich ist, wenn ein Nichtanerkennungsbeschluss schon ergangen, aber noch nicht rechtskräftig geworden ist. Auch hierdurch lässt sich die unerwünschte Nichtanerkennung vermeiden. Die Diskrepanz zwischen der Tendenz zur extensiven Auslegung des ordre public und einer liberalen (erstinstanzlichen) Anerkennungspraxis ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Gerichte dann, wenn sie zur Überzeugung gelangen, es liege wegen mangelhafter Kindeswohlprüfung ein Verstoß gegen § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vor, im Anerkennungsverfahren eine eigene (ergänzende) Kindeswohlprüfung durchführen, um auf diese Weise die Nichtanerkennungsentscheidung zu vermeiden.294 Auch der stillschweigende Übergang vom Anerkennungs- in ein deutsches Adoptionsverfahren mag in der Adoptionsrealität in diesen Konstellationen (theoretisch) vereinzelt ein Mittel sein, um die unerwünschte Nichtanerkennung zu vermeiden. Für den Erfolg eines Anerkennungsverfahrens kann in der Praxis außerdem der gewöhnliche Aufenthalt der Antragsteller (mit)entscheidend sein. Für Anerkennungsanträge sind nämlich die Familiengerichte bei den Oberlandesgerichten zuständig, wobei der Antrag nur in dem Oberlandesgerichtsbezirk gestellt werden kann, in dem der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 5 Abs. 1 AdWirkG). Während in den Bezirken der Oberlandesgerichte Oldenburg, Zweibrücken, Brandenburg, Dresden, Bremen, Jena, Saarbrücken, Rostock und Naumburg in den Jahren 2010 bis 2012 kein einziger Anerkennungsantrag abgelehnt wurde, wiesen die Bezirke von Frankfurt am Main, Hamm, Celle und Schleswig-Holstein im selben Zeitraum die höchsten Ablehnungsquoten auf.295 Diese regionalen Unterschiede sind – in seltenen Fällen – der Grund für ein außergewöhnliches forum shopping: Manche Antragsteller verlegen – so ist aus der Praxis zu hören – ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen „anerkennungssicheren“ Oberlandesgerichtsbezirk, damit ein anerkennungsfreundliches Gericht über ihren Antrag entscheidet. Hinzukommt, dass die Landesjugendämter in einigen Oberlandesgerichtsbezirken auch dann noch ein formelles internationales Vermittlungsverfahren durchführen, wenn die Auslandsadoption längst abge293
BT-Drucks. 16/12247, S. 36; Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1702. Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1702. 295 Bundeszentralstelle, Jahresbericht 2012, unveröffentlicht. 294
E. Lösung der Einzelfragen
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schlossen ist. Diese Praxis begegnet größten Bedenken. Jedenfalls in Bezug auf Nichtvertragsstaatenadoptionen besteht kein Rechtsanspruch auf nachträgliche Durchführung eines internationalen Vermittlungsverfahrens oder die Erstellung eines inländischen Sozialberichts.296 Grundsätzlich gilt, dass die gerichtliche Anerkennungspraxis zum Teil bemüht ist, sich zu entlasten, weshalb ihr ein anerkennungsfreundliches Recht entgegenkommt.297 Ein Grund für die hohe Anerkennungsquote trotz gegenläufiger Entwicklung in der rechtswissenschaftlichen Diskussion dürfte wohl auch die – stillschweigende – Überzeugung sein, dass eine hohe Anerkennungsquote grundsätzlich dem Schutz des Kindeswohls dient.298 Für Adoptivfamilien mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland stellt die Anerkennung vor allem eine praktische Erleichterung im nationalen Rechtsverkehr dar. Ist das Kind noch im Ausland, ermöglicht sie die Einreise. Versuche, unbegleiteten Adoptionen mit den Mitteln des Anerkennungsrechts entgegenzutreten, werden durch diese Praxis freilich konterkariert,299 da faktisch ein überschaubares „Anerkennungsrisiko“300 besteht. Es spricht demnach Vieles dafür, dass die tatsächliche Anerkennungspraxis – in Übereinstimmung mit den hier entwickelten Leitlinien – überwiegend darum bemüht ist, die für das konkret betroffene Kind am wenigsten schädliche Alternative zu suchen und dessen aktuelle Lebensumstände in den Blick zu nehmen. Das Anliegen, einen Verstoß gegen das Haager Adoptionsübereinkommen zu „sanktionieren“, tritt demgegenüber in den Hintergrund.
E. Lösung der Einzelfragen Zur Veranschaulichung des hier entwickelten Anerkennungsmaßstabs werden die zu Beginn des Kapitels vorgestellten Anerkennungsfragen einer Bewertung unterzogen. Beachtet man die zeitliche Dimension des ordre public und die damit verbundene modifizierte Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren, lassen sich viele der typischen Fragen beantworten, die gegenwärtig als Ordre-public-Verstoß diskutiert werden.301 Dabei muss – wie bereits hervorgehoben wurde – streng unterschieden werden 296
OVG Hamburg 18.6.2012, NJW-RR 2013, 2, 4 ff. Wagner, StAZ 2012, 133, 134. 298 Vgl. Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 551 f.; Andrae, S. 510 (§ 7 Rn. 78); Hohnerlein, S. 65; vgl. Fuchs, IPRax 2001, 116, 118; Bornhofen, StAZ 2002, 1, 7; Busch, IPRax 2003, 13, 17. 299 Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 11 f.; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 60. 300 Hohnerlein, S. 64. 301 Vgl. 3. Kapitel B. II. 297
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
zwischen einer (bloßen) Abweichung von „wesentlichen“ Grundsätzen des deutschen Rechts und dem letztendlichen Vorliegen eines Ordre-publicVerstoßes.302 Außerdem werden die vorgeschlagenen Kriterien mit den Überlegungen verglichen, welche für die jeweiligen Gerichte in den Anerkennungsverfahren ausschlaggebend waren. Im Einzelnen treten deutliche Abweichungen zu den von den Gerichten konkret gefundenen Ergebnissen hervor. Dadurch wird deutlich, dass es in der Anerkennungspraxis sehr schwierig ist, einen einheitlichen Anerkennungsmaßstab zu entwickeln, der die Vorgaben von Art. 8 Abs. 1 EMRK beachtet, gleichwohl dem Haager Adoptionsübereinkommen möglichst umfassend Rechnung trägt und bei alldem eine für das Adoptivkind ausgewogene Lösung bereithält. I. Unbegleitete Auslandsadoptionen Eine der wesentlichen Fragen in der Anerkennungspraxis lautet: Wie ist im Anerkennungsverfahren darauf zu reagieren, wenn Eltern mit Lebensmittelpunkt in Deutschland eine internationale Adoption durchführen, ohne dass hieran eine Adoptionsvermittlungsstelle im Sinne von § 2a Abs. 3 AdVermiG beteiligt wird? Regelmäßig stellt sich die Frage, ob die Elterneignung ausreichend begutachtet worden ist.303 Handelt es sich um eine Vertragsstaatenadoption wird in diesem Fall auch das im Haager Adoptionsübereinkommen vorgesehene Behördenverfahren missachtet, weil es sich in Deutschland grundsätzlich nicht einhalten lässt, ohne dass eine Adoptionsvermittlungsstelle beteiligt wird.304 Jedenfalls am Lebensmittelpunkt der Annehmenden dürfte in diesen Fällen nämlich keine Eignungsprüfung stattgefunden haben, da dies nur eine inländische Fachstelle leisten kann.305 Aus der Sicht der deutschen Gerichte fragt sich nun unter dem Aspekt des Kindeswohls, ob es die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) erfordern, dass eine internationale Adoption fachlich begleitet wird. Hierunter versteht man in Deutschland,306 dass die Bewerber zunächst über die Besonderheiten einer Auslandsadoption aufgeklärt werden. Dann muss nach § 7 Abs. 3 S. 1 AdVermiG ihre Eignung geprüft werden (sogenannter Sozialbericht). Dafür werden ihre persönlichen und familiären Umstände, ihre Gesundheit, ihr soziales Umfeld und ihre Adoptionsmotive untersucht, wobei feststehen muss, dass die Bewer302
Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. b). 304 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 305 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. b). 306 Überblick bei: Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 53 ff. 303
E. Lösung der Einzelfragen
171
ber den Anforderungen einer Auslandsadoption gewachsen sind.307 Der Sozialbericht wird in das von den Bewerbern ausgewählte Heimatland übersandt, aus dem entweder die Bewerber oder die Fachstelle einen Kindervorschlag erhalten. Dieser wird in jedem Fall von der Auslandsvermittlungsstelle überprüft, die den Abschluss der Adoption einleitet, indem sie etwa die Einreise des Kindes vorbereitet.308 Sobald das Kind in Deutschland ist, begutachtet die Vermittlungsstelle die Eingewöhnungsphase des Kindes – beispielsweise anhand von regelmäßigen Entwicklungsberichten, welche die Adoptiveltern verfassen.309 Ob die fachliche Begleitung von (Auslands-)Adoptionen – im gerade geschilderten Sinne – als tragende Säule des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) anzusehen ist, darf bezweifelt werden. Bei rein innerstaatlichen Adoptionen ist die fachliche Vermittlung Minderjähriger Aufgabe von Jugendamt und Landesjugendamt (§ 2 Abs. 1 S. 1 AdVermiG). Doch gilt deren Monopol bei Inlandssachverhalten nicht lückenlos: Zum einen wird es bei inländischen Verwandtenadoptionen durchbrochen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AdVermiG),310 zum anderen kommt nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 AdVermiG im Einzelfall eine private Adoptionsvermittlung in Betracht, wenn eine Person gegenüber dem Jugendamt unverzüglich die Gelegenheit nachweist, dass sie ein Kind annimmt oder annehmen lässt, sofern die Vermittlung unentgeltlich erfolgt. Bei internationalen Adoptionen stellt sich die Sachlage differenzierter dar. Im Fall einer Vertragsstaatenadoption ist nach ganz überwiegender Ansicht nach einfachem deutschen Recht eine Adoptionsvermittlungsstelle (§ 2a Abs. 3 AdVermiG) zwingend zu beteiligen.311 Ob dieses Erfordernis aber durch das Adoptionsübereinkommen vorgegeben ist, erscheint zweifelhaft: Nach der Konvention sind im Rahmen einer Vertragsstaatenadoption zwar zwingend die zentralen Behörden einzubeziehen, deren Beteiligung darf aber nicht mit einer fachlichen Begleitung der Auslandsadoption durch eine Adoptionsvermittlungsstelle gleichgesetzt werden.312 Die Konventionsstaaten selbst sind sich nicht einig, ob Vertragsstaatenadoptionen per se von (anerkannten) Vermittlungsstellen begleitet werden müssen. Dies förderte eine Umfrage des Ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht aus dem Jahre 2010 unter den Konventionsstaa-
307 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a); Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 54; vgl. Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdVermiG, § 9 Rn. 7. 308 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 57 f. 309 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 58 f. 310 Bach, FPR 2001, 318, 319. 311 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 312 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a).
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
ten zutage.313 Erbeten wurde unter anderem eine Antwort auf die Frage, ob private oder unbegleitete Adoptionen im jeweiligen Staat erlaubt seien, wobei diese zunächst zu definieren waren.314 Sofern die Frage inhaltlich überhaupt beantwortet wurde, fielen die Reaktionen höchst unterschiedlich aus:315 Einige Staaten gaben mehr oder weniger undifferenziert an, private/unbegleitete Adoptionen seien im Anwendungsbereich des Haager Adoptionsübereinkommens nicht verboten316 beziehungsweise nach wie vor zulässig.317 Die Mehrheit der Vertragsstaaten verneinte, wie auch die Bundesrepublik Deutschland,318 die Frage nach deren Zulässigkeit.319 Wiederum andere Staaten befürworten Kompromisslösungen: Australien und Italien etwa verbieten grundsätzlich private/unbegleitete Adoptionen von inländischen Bewerbern. Leben die potenziellen Adoptiveltern im Heimatland des Kindes, ist aber ausnahmsweise eine unbegleitete Adoption möglich. Ähnlich verhält es sich in Schweden. Dort müssen Auslandsadoptionen grundsätzlich von akkreditierten Vermittlungsstellen durchgeführt werden. Ist das nicht der Fall, ist jedoch eine unbegleitete Adoption ausnahmsweise zulässig, wenn es sich um eine Stiefkindadoption handelt oder bereits eine Verbindung zwischen Adoptionsbewerbern und potenziellem Adoptivkind oder auch nur zu einem bestimmten Herkunftsstaat besteht. Ein Beispiel für diese Ausnahme wäre etwa der Fall, dass ein in Schweden lebender Türke ein Kind in der Türkei adoptiert, nachdem er beruflich mehrere Jahre überwiegend in Istanbul gearbeitet hat.
Auch Dänemark und die Schweiz unterscheiden zwischen privaten und unbegleiteten Adoptionen. In Dänemark werden unter privaten Adoptionen nur solche verstanden, die ohne behördliche Genehmigung erfolgen – sie sind nicht erlaubt. Bei unbegleiteten Adoptionen wird demgegenüber die 313 Vgl. Umfrage des Ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (2010) unter sämtlichen Konventionsstaaten: Permanent Bureau, Questionnaire. 314 Permanent Bureau, Questionnaire, S. 5: „Are private or independent adoptions permittet by your State? Define what is meant in your State by „private“ or „independent“ adoptions“. 315 Die Antworten der Vertragsstaaten sind abrufbar unter: (Stand 30.11.2013). 316 Dominikanische Republik, Griechenland und Tschechische Republik. 317 So wohl in Burundi, Panama und Ungarn. 318 Die Antwort der Bundesrepublik Deutschland, abrufbar unter: (Stand 7.12.2013). 319 Albanien, Andorra, Belgien, Burkina Faso, Chile, Georgien, Guatemala, Kanada, Kolumbien, Lettland, Litauen, Malta, Norwegen, Peru, Philippinen, Portugal, Republik Südafrika („No. […] We do not have private or independent adoptions in South Africa“), Rumänien und Zypern (gesetzliches Verbot solle de lege ferenda erfolgen).
E. Lösung der Einzelfragen
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Eignung der Adoptionsbewerber von staatlicher Seite bestätigt, die Bewerber erhalten ausnahmsweise die Erlaubnis, eine Auslandsadoption durchzuführen, ohne eine zugelassene Vermittlungsstelle einzuschalten. Solche Adoptionen treten in ein bis zwei Fällen pro Jahr auf. Auch in der Schweiz sind unbegleitete Adoptionen320 möglich – private Adoptionen321 hingegen nicht. Eine vergleichbare Regelung existiert auch in Frankreich und Spanien, wo unbegleitete Adoptionen angeblich zwei Drittel aller Auslandsadoptionen ausmachen.322 Fragt man nach den Gründen für die unterschiedlichen Antworten der Vertragsstaaten, die doch alle demselben Verfahrensregime (Art. 4 ff. HAÜ) unterworfen sind, so dürfte zum einen die Unschärfe des Begriffs „unbegleitete Adoption“ eine Rolle spielen. Sie zeigt sich schon daran, dass kaum ein Vertragsstaat die Begrifflichkeiten „private“ oder „unbegleitete Adoption“ überhaupt definierte. Bereits als das Haager Adoptionsübereinkommen entstand, wurden äußerst verschiedene Praktiken als unbegleitete Adoption bezeichnet.323 Wenn beispielsweise im Explanatory Report zum Haager Adoptionsübereinkommen davon die Rede ist, dass die Konvention in begrenztem Umfang unbegleitete oder private Adoptionen erlaube, so bezieht sich dieser Hinweis darauf, dass spezielle Aufgaben der zentralen Behörde ausnahmsweise nach Art. 22 Abs. 2 HAÜ an fachkundige Einzelpersonen delegiert werden können.324 Abgesehen von diesem Sonderfall325 besteht aber 320
Eltern sind als geeignet bestätigt und werden ohne anerkannte Vermittlungsstelle
tätig.
321
Es fehlt an einer Eignungsbestätigung der Eltern. Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 12, 26. 323 Vgl. Hague Conference on Private International Law, Guide No. 1, S. 16; Lima Marques, S. 145. 324 Parra-Aranguren, Rn. 378: „Paragraph 2 of Article 22 […] admitting a limited possibility of „independent“ or „private“ adoptions and entitles any Contracting State to declare that the procedural functions assigned to the Central Authority under Articles 15 to 21 may also be performed, but only in that State, by persons or bodies other than the public authorities or bodies accredited according to Chapter III“; ders., Rn. 252: „Notwithstanding the fact that accreditation can only be granted to „bodies“, the second paragraph of Article 22 admits the possibility, by way of an option, under certain conditions, requiring a special declaration by a State, that persons or bodies not accredited may perform certain functions assigned to the Central Authority by Chapter IV. However, this provision aims to solve the delicate problem presented by the so-called „private“ or „independent“ adoptions“. 325 Parra-Aranguren, Rn. 373: „The so-called „private“ or „independent“ adoptions were fully discussed in the Special Commission, where the arguments in favour and against were examined at length (Report of the Special Commission, Nos 249–256) and the solution approved represents a reasonable compromise between antagonistic positions. On the one hand, it permits that some non-accredited bodies or individuals carry out the functions assigned to the Central Authorities under Articles 15 to 21 [as accepted 322
174
Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
mit Blick auf das Kontaktverbot des Art. 29 HAÜ weitgehend Einigkeit dahingehend, dass Auslandsadoptionen familienfremder Kinder gegen das Übereinkommen verstoßen, soweit die Wunsch- und die leiblichen Eltern unmittelbar untereinander die Adoption verabreden und nicht die Behörden im Heimatstaat die Adoption vermitteln (vgl. Art. 4 HAÜ).326 Der unmittelbare Kontakt der Beteiligten soll nämlich um jeden Preis vermieden werden. Er gilt als Quelle typischer Übel der Auslandsadoption: beispielsweise der unlauteren finanziellen Einflussnahme auf die leiblichen Eltern, der Korruption, Kindesentführung oder eines psychologisch nicht begleiteten Verfahrens.327 Das Bestreben, persönliche Kontakte zu vermeiden, entspricht der allgemeinen Tendenz, Auslandsadoptionen zusehends staatlicher Kontrolle und akkreditierter Begleitung zu unterwerfen.328 Allerdings finden internationale Adoptionen, bei denen ein Kontaktaustausch zwischen Ursprungs- und Adoptivfamilie auch nach der Adoption fortbesteht, wohl häufiger gerade dann statt, wenn die Adoption nicht professionell vermittelt wurde.329 Die Auswertung der Umfrage des Ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, die im Rahmen einer Special Commission im Jahre 2010 erfolgte, kommt zu folgendem Ergebnis: Mit dem Haager Adoptionsübereinkommen seien weder Auslandsadoptionen vereinbar, die unmittelbar zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptionsbewerbern zustande kommen, noch die Initiativsuche nach einem Kind ohne akkreditierte Stelle.330 Das Übereinkommen selbst sanktioniere unbegleitete Adoptionen jedoch nicht, deshalb sei es den Vertragsstaaten überlassen, inwiefern sie derartige Adoptionen anerkennen.331 Allerdings fordert das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht mittlerweile die Vertragsstaaten dazu auf, unbegleitete in the Convention], if they fulfil certain minimum standards before being allowed to act, but on the other hand, the Contracting States are not forced to accept the participation of non-accredited bodies or persons by making an express declaration in this sense. Therefore, Contracting States may assume the position they consider the best by remaining silent [indicating acceptance] or by declaring their objection to such participation“. 326 Hague Conference on Private International Law, Guide No. 1, S. 16; Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 11, 30; a.A. wohl Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 294 ff. 327 Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 11, 29; Lima Marques, S.138 ff. 328 Permanent Bureau, Draft, Rn. 36. 329 Crea/Barth, Family Relations 5/2009, 607, 616. 330 Permanent Bureau, Conclusions, S. 7 (Rn. 22 f.). 331 Vgl. BT-Drucks. 14/5437, S. 35 (Rn. 70), S. 62 (Rn. 411); Pfund, in: Academie de droit international (Hrsg.), Recuil des cours, 1994, S. 117 ff.; Rios-Kohn, Adoption Quarterly 4/1998, 3, 16 f.; Kales, George Washington International Law Review 2004, 477, 493; Weitzel, NJW 2008, 186, 187.
E. Lösung der Einzelfragen
175
Adoptionen gesetzlich zu verbieten.332 Es kommt damit einer Forderung nach, die auch in Deutschland vereinzelt erhoben wird.333 Ob diese Initiative international allerdings erfolgreich sein wird, ist ungewiss. Politischer Widerstand ist insbesondere aus den USA zu erwarten, die dem Haager Adoptionsübereinkommen unter der Prämisse beitraten, dass independent adoptions grundsätzlich unverändert zulässig blieben.334 Bei internationalen Adoptionen aus Nichtvertragsstaaten ist die zwingende Beteiligung einer Adoptionsvermittlungsstelle demgegenüber nicht vorgesehen,335 obwohl unbegleitete Auslandsadoptionen aus fachlicher Sicht gravierende Risiken in sich bergen. So besteht eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit des Scheiterns der Adoption, wobei neben der mangelnden psychologischen Vorbereitung und Begleitung dafür oftmals fehlende Informationen über das Adoptivkind und seine Geschichte verantwortlich sind. Außerdem besteht die Gefahr, dass monetäre Zuwendungen an die leiblichen Eltern fließen, wodurch die Wunscheltern Gefahr laufen, sich wegen Kinderhandels strafbar zu machen.336 Für Bewerber mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, die eine Nichtvertragsstaatenadoption durchführen, genügt es, dass sie sich dem Adoptionsverfahren des Heimatstaates unterwerfen. Wer die begleitete (Auslands-)Adoption vor diesem Hintergrund trotzdem zu einem wesentlichen Grundpfeiler des deutschen Rechts erklären will, sollte zudem bedenken, dass die Tätigkeit der (anerkannten) Adoptionsvermittlungsstellen in Deutschland generell auf wenige Länder begrenzt und von einem weltweiten Vermittlungsnetz weit entfernt ist.337 Solange die internationale Adoptionsvermittlung in Deutschland aber nur lückenhaft gewährleistet ist, können viele Auslandsadoptionen von vornherein nicht begleitet werden. Hieran wird sich auch mittelfristig wenig ändern, weil keine staatlichen oder staatlich anerkannte Strukturen existieren, 332
Permanent Bureau, Conclusions, S. 7 f., 21 f. Permanent Bureau, Conclusions, S. 5 (Rn. 1 lit. g); Reinhardt, in: HKAdoptionsR, AdVermiG, § 2a Rn. 27 f. m.w.N.; ders., in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, S. 284, 297 f.; Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 29; Reinhardt, ZRP 2006, 244, 246 f.; ders., JAmt 2006, 325, 328; ders., JAmt 2013, 499, 502; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 60. 334 Pfund, in: Academie de droit international (Hrsg.), Recuil des cours, 1994, S. 119; Bach, FPR 2001, 318, 319; Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 301 f. 335 Behrentin, in: Juris-PK, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 121 f. 336 Reinhardt, in: HK-AdoptionsR, AdVermiG, § 2a Rn. 27; Marx, S. 25, 61 ff.; Lima Marques, S. 138 ff.; Kales, George Washington International Law Review 2004, 477, 481 f.; Reinhardt, ZRP 2006, 244 ff.; Schlauss, FamRZ 2007, 1699, 1700; krit. Katz, in: Katz/Eekelaar/MacLean (Hrsg.), S. 279, 286; Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 294. 337 Siebert-Michalak, FPR 2001, 332, 333; Botthof, StAZ 2014, 74, 78. 333
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
um ein Vermittlungsmonopol weltweit umzusetzen. Die gegenwärtige Tendenz läuft eher darauf hinaus, bestehende Vermittlungskapazitäten abzubauen.338 Eine fehlende leistungsfähige Auslandsvermittlung mag einer der Gründe sein, warum das deutsche Recht Adoptionen auf eigene Faust nicht per se verbietet.339 Ob ein solches Monopol allerdings überhaupt wünschenswert wäre, muss im Rahmen dieser Studie offen bleiben. Die Kritiker eines staatlichen Monopols weisen darauf hin, dass die offiziell kontrollierte Adoptionsvermittlung die optimale Verteilung von fürsorgebedürftigen Kindern auf die geeignetsten Bewerber keineswegs sicherstellt und jede staatliche Vermittlungsregulation zwangsläufig einen „Adoptionsschwarzmarkt“ nach sich zieht.340 Solange die internationale Adoptionsvermittlung nicht umfassend in die Hände staatlicher oder staatlich anerkannter Adoptionsvermittlungsstellen gelegt wird, dürfte die fachliche Begleitung internationaler Adoptionen durch inländische Vermittlungsstellen nicht zu einem Grundpfeiler der deutschen Rechtsordnung (vgl. § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) erklärt werden können. II. Mangelhafte Kindeswohlprüfung und Begutachtung der Elterneignung Adoptiveltern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland erhalten einen inländischen Sozialbericht – der ihre Elterneignung bescheinigt – nur dann, wenn sie eine begleitete Adoption durchführen.341 Umstritten ist nun, ob bei Durchführung einer Adoption im Ausland das Fehlen eines deutschen Sozialberichts zugleich einen Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) indiziert. Die eine Auffassung bejaht dies, weil sich die Eignung der Eltern umfassend allein an ihrem Lebensmittelpunkt überprüfen lasse; andernfalls sei die Kindeswohlprüfung der ausländischen Adoptionsentscheidung mangelhaft.342 Dieser Ansatz dürfte stark rechtspolitisch motiviert sein. Da unbegleitete Auslandsadoptionen oftmals die nach dem Haager Adoptionsübereinkommen vorgeschriebene Behördenbeteiligung ignorieren, sollen mithilfe dieser Auslegung die Beachtung des Übereinkommens erhöht und unbe338
Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 506 f. Vgl. Lima Marques, S. 144; Marx, StAZ 1995, 315, 319 f. 340 Landes/Posner, The Journal of Legal Studies 2/1978, 323, 324 f.; Palmer, International Review of Law and Economics 6/1986, 189, 200 ff.; Boudreaux, The Cato Journal 1/1995, 117, 133 ff.; Blackstone/Buck/Hakim, Children and Youth Services Review 11/2004, 1033, 1043 ff.; Blackstone/Buck/Hakim/Spiegel, International Review of Law and Economics 3/2008, 220, 225. 341 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 342 Vgl. 3. Kapitel B. II. 2. 339
E. Lösung der Einzelfragen
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gleitete Adoptionen zurückgedrängt werden. Denn nach Art. 5 lit. a HAÜ obliegt insbesondere die Elterneignungsprüfung in erster Linie den zuständigen Stellen der Aufnahmestaaten. Auf einfachrechtlicher Ebene stellt die fehlende inländische Elterneignungsprüfung im Rahmen einer Vertragsstaatenadoption außerdem einen Verstoß gegen § 4 AdÜbAG dar, der die Überprüfung von Adoptionsbewerbern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland durch inländische Behörden vorsieht. Maßgeblicher Grund für diese Aufgabenzuweisung waren aber weniger fachliche Überlegungen etwa dahingehend, dass die bestmögliche Begutachtung der neuen Lebensumstände des Kindes dort stattfinden sollte, wo das Kind nach der Adoption leben wird: am Lebensmittelpunkt der Bewerber. Vielmehr war es eine Folge des im Übereinkommen angelegten Systems kooperativer Aufgabenverteilung zwischen Heimat- und Aufnahmestaaten, wovon man sich eine effektivere Zusammenarbeit versprach, um Kinderhandel und ähnliche Praktiken zu bekämpfen.343 In der Praxis ist das vom Adoptionsübereinkommen vorgesehene Kooperationsniveau bislang jedoch nicht verwirklicht worden. In vielen Heimatstaaten werden Adoptionen ausgesprochen, ohne dass die Vorgaben der Konvention beachtet würden.344 Das trifft vor allem auf Auslandsadoptionen in süd- und ostafrikanischen Vertragsstaaten zu.345 Dieser Befund verwundert nicht. Dass die Ratifikation eines internationalen Abkommens keineswegs automatisch einen realen Effekt zeitigt, ist ein Phänomen, das aus dem Bereich internationaler Klimaabkommen hinlänglich bekannt und spieltheoretisch erprobt ist: Je größer der Kreis der Vertragsstaaten, desto geringer ist tendenziell die Effektivität des Abkommens.346 Abträglich sind insofern große kulturelle Unterschiede zwischen den Vertragsstaaten, das Fehlen eines Staates, der hinsichtlich der Umsetzung die Führungsrolle übernimmt, sowie einer internationalen Institution, welche die Einhaltung des Übereinkommens überwacht und eine grundlegende Unsicherheit darüber, ob sich die Umsetzung des Übereinkommens für den Unterzeichnerstaat – in absehbarer Zeit – lohnt.347 Diese Analyse trifft in weiten Teilen auch auf das Haager Adoptionsübereinkommen zu. Die anfängliche Skepsis, ob das Adoptionsübereinkommen den Erwartungen gerecht werden
343
BT-Drucks. 14/5437, S. 39 (Rn. 104, 106); Lange, FPR 2001, 327, 329. Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 549; vgl. Siehr, in: Zürcher Kommentar, IPRG, Art. 75 Rn. 1; ähnlich krit. Hohnerlein, S. 55; Kapstein, Foreign Affairs 2003, 115, 123 f. 345 Sloth-Nielsen/Mezmur/van Heerden, International Family Law 2010, 86, 95 f. 346 Perman/Ma/McGilvray/Common, S. 299 f.; Barrett, Oxford Economic Papers 1994, 878, 891 f.; vgl. Meyne, S. 52. 347 Perman/Ma/McGilvray/Common, S. 300; vgl. Barett, S. 306; Staudinger/Winkelsträter, FamRBint 2005, 84, 85. 344
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
könne,348 scheint nicht unberechtigt gewesen zu sein. Die Konsequenz dieses Umsetzungsdefizits ist: Das Recht der Heimatstaaten, die dem Übereinkommen angehören, sieht regelmäßig nicht vor, dass eine Adoptionsentscheidung, die Bewerber aus einem anderen Mitgliedstaat betrifft, nur ergehen kann, wenn die Bewerber ihre Eignung etwa durch einen Sozialbericht aus ihrem Heimatstaat nachweisen. Vielmehr führen die Heimatstaaten Vertragsstaatenadoptionen nach wie vor mittels inländischer Elterneignungsprüfung durch.349 In Nichtvertragsstaaten, aus denen unbegleitete Adoptionen de lege lata erlaubt sind,350 kann das ausländische Gericht im Falle einer nichtvermittelten Adoption die Elterneignung ohnehin nur losgelöst von einem deutschen Sozialbericht beurteilen. Hier erhalten ihn inländische Bewerber nämlich nicht.351 Allenfalls liegt eine ausländische home study vor, wenn die Bewerber eine ausländische Vermittlungsstelle in Anspruch genommen hatten. Wenn aber schon die begleitete Adoption kein wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts ist,352 wie kann dann für Bewerber, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ein inländischer Sozialbericht zwingender Bestandteil des deutschen Rechts im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG sein? Aus dem Haager Adoptionsübereinkommen ergibt sich diese Anforderung jedenfalls nicht. Die Eignungsprüfung ist nach dem Übereinkommen nicht die exklusive Pflicht der Aufnahmestaaten, obwohl sie von diesen nach Art. 5 lit. a HAÜ durchzuführen ist. Heimat- und Aufnahmestaat entscheiden vielmehr gemeinsam (Art. 17 lit. c HAÜ), ob die Eignung der Eltern erwiesen ist, und die Adoption vollzogen werden kann.353 Selbst wenn es an dieser beiderseitigen Zustimmung nach Art. 17 lit. c HAÜ fehlt, ist die Adoption aber grundsätzlich anzuerkennen.354 Die Anforderungen des Adoptionsübereinkommens, zu denen die Prüfungspflicht des Art. 5 lit. a HAÜ zählt, sind nicht en bloc als Teil des ordre public im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG anzusehen. Teilweise wird in diesem Zusammenhang begrifflich unscharf von einem internationalen ordre public gesprochen – die Vorbehaltsklausel könne unter anderem auch durch international anerkannte Wertungen geprägt werden.355 348
Lange, FPR 2001, 327, 331. Nach Bienentreu, JAmt 2008, 57, leidet die Eignungsprüfung der Eltern in zahlreichen Heimatstaaten unter erheblichen Mängeln. 350 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. b). 351 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 352 Vgl. 3. Kapitel E. I. 353 BT-Drucks. 14/5437, S. 45 (Rn. 181). 354 BT-Drucks. 14/5437, S. 62 (Rn. 412). 355 Vgl. Sonnenberger, in: Münch.Komm., BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 67 ff.; Voltz, in: Staudinger, BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 74 ff.; Kropholler, S. 248 ff. 349
E. Lösung der Einzelfragen
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Doch darf hieraus nicht abgeleitet werden, internationalen Abkommen komme automatisch eine höhere Wertigkeit zu, die Ordre-public-Gehalt besitze. Im Anwendungsbereich der Adoptionskonvention kommen allenfalls Einzelaspekte als Teil der unverzichtbaren deutschen öffentlichen Ordnung in Betracht: Beispielsweise die elterliche Einwilligung in die Adoption (Art. 4 lit. c Nr. 1 HAÜ),356 die Kindeswohldienlichkeit der Adoption (Art. 4 lit. b HAÜ)357 oder auch die Verpflichtung, das Kind dürfe nur geeignete Adoptiveltern erhalten (Art. 5 lit. a Alt. 2 HAÜ). Doch muss stets berücksichtigt werden, dass im Rahmen der Anerkennungsfrage die – gewissermaßen polizeirechtlichen – Ziele des Haager Adoptionsübereinkommens mit den Interessen des konkret betroffenen Kindes kollidieren können. Den Kindesinteressen ist aber im Konfliktfall stets Vorrang beizumessen (vgl. Art. 3 Abs. 1, 21 UN-KRK).358 Der Grund hierfür liegt in der besonderen Struktur des anerkennungsrechtlichen ordre public:359 So ist es ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, dass eine ausländische Adoptionsentscheidung nur dann anerkannt werden kann, wenn sie das Kindeswohl beachtet.360 Das ist nicht der Fall, wenn dem ausländischen Adoptionsentscheid überhaupt keine oder eine (grob) mangelhafte Elterneignungsprüfung zugrunde liegt – dann ist die hohe Schwelle des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG überschritten und ein wesentlicher Grundsatz des deutschen Rechts berührt.361 Das deutsche Recht selbst versucht diesen Anforderungen gerecht zu werden, indem es den Adoptionsbewerbern einen Sozialbericht abverlangt. Dieser enthält im Einzelnen die allgemeinen Daten der Bewerber, ihre persönlichen und familiären Umstände, ihren Gesundheitszustand, ihr soziales Umfeld und die Beweggründe für die Adoption.362 Nun ist aber nicht auszuschließen, dass ausländische Eignungsprüfungen den Anforderungen eines deutschen Sozialberichts entsprechen oder sie sogar übertreffen. Man erinnere sich etwa an den bereits vorgestellten Adoptionsfall aus Teheran, in dem die deutschen Bewerber das iranische Überprüfungsverfahren absolvieren mussten, das nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Köln 356
Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 91 m.w.N.; Botthof, StAZ 2014, 74, 78. 357 Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 65 m.w.N. 358 Vgl. 3. Kapitel A. 359 Vgl. 3. Kapitel B. III. 360 Vgl. 3. Kapitel B. III. 1. 361 Vgl. OLG Celle 5.12.2007, FamRZ 2008, 1109 f.; LG Stuttgart 26.9.2007, JAmt 2008, 102, 103; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 109 Rn. 65; Rauscher, in: Münch.Komm., ZPO, § 109 FamFG Rn. 41; Gomille, in: Haußleiter, FamFG, § 109 Rn. 21; Sieghörtner, in: BeckOK, FamFG, § 109 Rn. 40; Baetge, in: Schulte-Bunert/ Weinreich, FamFG, § 109 Rn. 22a. 362 Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27 ff.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
einem inländischen Adoptionsverfahren (mindestens) entsprach.363 Sobald die deutschen Standards im Ergebnis erfüllt sind, ist die Eignung der Eltern erwiesen. Dann sind keine wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG berührt. Bloß weil die Adoptiveltern keinen inländischen Sozialbericht vorlegen können, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen, dass dem adoptierten Kind ungeeignete Adoptiveltern zur Seite stehen. Deshalb hat der Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung des Adoptionsübereinkommens in nationales Recht die inländische Eignungsprüfung auch nur als Regelanforderung betrachtet.364 Fehlt es an einem inländischen Sozialbericht, ist daher eine „Untragbarkeitsprüfung“ notwendig. Diese muss ermitteln, ob die Eignungsstandards derart verschieden sind, dass sie „zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steh[en], dass es von uns für untragbar gehalten wird.“365 Henrich weist zu Recht darauf hin, dass dieser Maßstab über eine Gleichwertigkeitsabwägung hinausgeht, die bloß prüfen würde, ob sich die materiellen Adoptionsrechte in ihren Grundzügen entsprechen.366 Allein die Vorzüge, die eine inländische Prüfung deutscher Bewerber gegenüber einer Eignungskontrolle durch ausländische Vermittlungsstellen aufweist, dürfen nicht dazu verleiten, pauschal jedem ausländischen Verfahren „Untragbarkeit“ zu unterstellen.367 Auch im Beispiel der bereits erwähnten kosovarischen Verwandtenadoption368 hatte das ausländische Gericht die zukünftigen Lebensumstände des Kindes in Deutschland sehr umfassend ermittelt, indem es eine Pädagogin insbesondere hatte prüfen lassen, ob die Adoptiveltern geeignet waren, das traumatisierte Kind in Deutschland zu erziehen. Zu diesem Zweck wurden die Familiensituation (Geschwister) sowie die wirtschaftliche, gesundheitliche und soziale Lage der Annehmenden thematisiert. Doch hat das Oberlandesgericht Karlsruhe trotz „des Umfangs der durchgeführten Ermittlungen durch das kosovarische Gericht“ die Kindeswohlprüfung im Ausgangsverfahren als lückenhaft eingestuft.369
Zuzugeben ist, dass die kosovarische Eignungsprüfung in einzelnen Punkten hinter den Anforderungen zurückgeblieben ist, die in Deutschland gegolten hätten: Etwa fand kein Hausbesuch bei den Bewerbern statt, die
363
Vgl. 3. Kapitel C. III. Vgl. 3. Kapitel B. II. 2. 365 BGH 17.9.1968, BGHZ 50, 370, 376; OLG Hamm 19.12.2013, II-11 UF 24/13, Rn. 24 (juris); LG Köln 31.1.2013, FamRZ 2013, 1498; Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 88 m.w.N. 366 Henrich, in: Staudinger, BGB, Art. 22 EGBGB Rn. 88. 367 Vgl. BT-Drucks. 14/6011, S. 29. 368 Vgl. 3. Kapitel B. II. 2. 369 OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 717. 364
E. Lösung der Einzelfragen
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auch nicht an einem Adoptionsseminar teilgenommen hatten.370 Allerdings können diese Unterschiede wohl kaum dazu führen, das Ermittlungsergebnis des kosovarischen Gerichts in Zweifel zu ziehen. Die Prüfung beruhte auf einem Verfahren, das in seinen wesentlichen Grundzügen den deutschen Anforderungen entspricht. Deshalb liegt seine Klassifizierung als „untragbar“ eher fern. Sind die Defizite des ausländischen Verfahrens demgegenüber wirklich so „untragbar“, dass von einer mangelhaften Kindeswohlprüfung ausgegangen werden muss, folgt daraus allerdings nicht automatisch ein Ordrepublic-Verstoß im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, der die Nichtanerkennung zur Folge hätte.371 Vielmehr stellt sich die Frage, ob den Adoptiveltern im Rahmen der Anerkennungsentscheidung der „Gegenbeweis“ offenstehen muss, dass sie doch geeignet sind. Nachermittlungen im Anerkennungsverfahren, die klären sollen, ob die Adoptiveltern geeignet sind, werden – sofern sie überhaupt für zulässig erachtet werden – in der gegenwärtigen Praxis nur dann für möglich gehalten, wenn die soziale Lage der Bewerber in ihrem Heimatland nicht umfassend ermittelt worden ist.372 Sie sollen demgegenüber unzulässig sein, wenn eine dem deutschen Recht entsprechende Elternprüfung im ausländischen Verfahren gänzlich fehlt, weil im Anerkennungsverfahren keine eigenständige Kindeswohlprüfung vorgenommen werden dürfe, sondern diese einer Wiederholungsadoption vorbehalten sei.373 Doch ist es nach der hier entwickelten Ansicht nicht zulässig, die gerichtliche Nachermittlungspflicht in dieser Weise zu beschränken. Der Grund hierfür ist die im Anerkennungsverfahren obligatorische Kindeswohlprüfung, sobald ein Ordre-public-Verstoß im Raum steht. Diese Prüfung ist im Gegensatz zur Kindeswohlprüfung im Zusammenhang mit einer Adoptionsentscheidung modifiziert, weshalb keine Wiederholungsadoption im Gewand eines Anerkennungsverfahrens erfolgt. Die Eignung der Adoptiveltern ist nur unter dem Gesichtspunkt relevant: Sind sie geeignet, eine dauerhafte Eltern-Kind-Bindung zu ihrem Kind aufzubauen, und weisen sie hierfür die notwendigen Erziehungskompetenzen auf?374 Diese Fragen beantwortet ein inländischer Sozialbericht nicht, wie er im Vorfeld einer Kindesannahme für Adoptionsbewerber erstellt wird. Deshalb ist ein Sozialbericht im Anerkennungsverfahren grundsätzlich nicht 370
Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27 ff. Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. 372 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607, 1609; 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 342; OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 717. 373 OLG Köln 29.5.2009, FamRZ 2009, 1607, 1608; 24.4.2012, StAZ 2012, 339, 342; OLG Karlsruhe 6.12.2012, FamRZ 2013, 715, 716 f. 374 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). 371
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
erforderlich.375 Das Anerkennungsverfahren muss vielmehr die Frage klären, ob die Adoptiveltern die (am besten) geeignete Lebensperspektive für das Kind bieten. Das gilt insbesondere auch dann, wenn im ausländischen Adoptionsverfahren (gar) keine Eignungsprüfung stattgefunden hat. Nachermittlungen können sich deshalb nicht bloß auf Fälle beschränken, in denen – aus deutscher Sicht – zumindest mangelhafte Kindeswohlprüfungen erfolgt sind. Deswegen ist eine – in der Praxis ohnehin fragwürdige, weil kaum zuverlässig rekonstruierbare – Abgrenzung überflüssig, die zwischen ausländischen Adoptionsentscheidungen differenziert, welche auf keiner oder einer nur mangelhaften Kindeswohlprüfung beruhen. III. Verdeckte Einwanderung Internationale Adoptionen, bei denen das ausländische Gericht von einer Inlandsadoption ausgeht, leiden an einer unvollständigen Kindeswohlbeurteilung.376 Nicht in die Prüfung einbezogen werden kann in diesen Fällen die Frage, welche Folgen es für das Kind haben wird, in einen fremden Kulturraum verbracht zu werden. Wird seine kulturelle Identität trotzdem gewahrt? Was bedeutet die räumliche Trennung des Kindes von seinen bisherigen Geschwistern, Verwandten oder Freunden unter Kontinuitätsgesichtspunkten? Spricht das adoptierte Kind die Sprache des fremden Landes oder ist das Erlernen absehbar? Die Lebensbedingungen des Kindes bei den Adoptiveltern im Aufnahmestaat können ebenfalls nicht thematisiert werden, wenn der geplante Aufenthaltswechsel für das Gericht nicht erkennbar war. Das trifft beispielsweise auf den bereits erwähnten Fall zu, in dem die in Deutschland lebende Großmutter ihren Enkel in der Russischen Föderation adoptiert hatte.377 Das russische Gericht konnte nicht überprüfen, ob die Annehmende nach deutschem Recht vorbestraft war, wie sich die Wohnsituation an deren Lebensmittelpunkt darstellte, ob sie in Deutschland die zeitliche Betreuung des Kindes gewährleisten konnte oder ihre Vermögensverhältnisse einer Adoption entgegenstanden. Sprach- und kulturelle Barrieren waren ebenfalls kein Thema im Annahmeverfahren. Genauso wenig spielte eine Rolle, was es für den älteren Jungen bedeutete, sein soziales Umfeld in Russland hinter sich zu lassen.
Vor diesem Hintergrund konnte das ausländische Gericht keine möglichst zutreffende Prognose darüber anstellen, ob die Adoption eine bessere Persönlichkeitsentwicklung des Kindes erwarten ließ und ob dessen neue Lebensbedingungen stabil waren. Das ist für eine Adoptionsentscheidung nach § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB aber zentral.378 Weist eine ausländische An375
Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). Vgl. 3. Kapitel B. II. 3. 377 Vgl. 3. Kapitel B. II. 3. 378 Frank, in: Staudinger, BGB, § 1741 Rn. 16. 376
E. Lösung der Einzelfragen
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nahme insofern gravierende Defizite auf, verletzt sie die wesentliche Anforderung an eine kindeswohlgerechte Adoptionsprüfung. Dieser Auffassung war im konkreten Fall auch das Oberlandesgericht Celle379 und zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Adoption nicht anerkannt werden könne, weil es sich außerstande sah, die mangelhafte Kindeswohlprüfung im Anerkennungsverfahren zu „heilen“ – das bleibe einer Wiederholungsadoption vorbehalten.380. Hätte das Oberlandesgericht im Anerkennungsverfahren demgegenüber die Kindeswohlprüfung nach den hier entwickelten Maßstäben durchgeführt, hätte vor allem ein Grund für die Anerkennung gesprochen, den das Gericht selbst einräumt: Der Verbleib des Kindes bei seiner (Groß-)Mutter dürfte seinem Wohl eher entsprechen als die Rückkehr nach Russland.381 Dort scheint zum Zeitpunkt des Anerkennungsverfahrens eine alternative Familienperspektive für das Kind bei seinem Vater oder anderen Verwandten nicht (mehr) bestanden zu haben. Aus russischer Sicht dürfte außerdem an der Wirksamkeit der Adoption durch die Großmutter nicht zu rütteln sein, denn eine Aufhebung der russischen Annahmeentscheidung wäre nach Art. 141 russisches FGB nur im Interesse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Meinung möglich.382 Hätte das Oberlandesgericht den betroffenen (zwölfjährigen) Jungen angehört, wovon es ausdrücklich abgesehen hat,383 wäre die Frage zu beantworten gewesen, ob seine (Groß-)Mutter in der Lage ist, ihm – trotz des Wechsels der Generationenrolle – dauerhaft Elternteil zu sein. Hierfür wären die Lebenssituation der Annehmenden in Deutschland, ihre Partnerschaft, die kulturelle und sprachliche Integrationsfähigkeit und das über zweijährige Zusammenleben mit dem Kind zu analysieren gewesen. Ohne diese spezifische Kindeswohlprüfung lässt sich die Anerkennungsfrage im konkreten Fall nicht abschließend beantworten. Doch dürfte deutlich geworden sein, welcher Prüfungsmaßstab in Fällen „verdeckter Einwanderung“ nach der hier entwickelten Ansicht typischerweise anzulegen ist. IV. Adoptionen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen Abschließend ist noch der Frage nachzugehen, ab wann eine ausländische Annahmeentscheidung gegen den wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts verstößt, wonach wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht darüber ent-
379
Vgl. 3. Kapitel B. II. 3. OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228 f. 381 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1228; vgl. LG Dresden 25.8.2010, IPRspr. 2010 Nr. 144, 354, 356 f. 382 Jegutidse, in: Rieck (Hrsg.), Russische Föderation, Stand: April 2009, Rn. 36. 383 OLG Celle 12.10.2011, FamRZ 2012, 1226, 1229. 380
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
scheiden dürfen, ob eine Adoption stattfindet oder nicht.384 Vom theoretischen Standpunkt aus verläuft die Grenze dort, wo materielle Erwägungen den Ausschlag für die Adoption geben, während die psychologischen Kriterien einer adoptionsgerechten Kindeswohlprüfung (§ 1741 Abs. 1 S. 1 BGB) gar nicht oder nicht entscheidend berücksichtigt werden. Ist dies der Fall, so ist ein wesentlicher Rechtsgrundsatz im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG betroffen. Schwierigkeiten bereiten jedoch schon die Fälle, welche sich in dem Zwischenbereich abspielen: Das ausländische Gericht gewichtet materielle Gesichtspunkte stärker als es ein deutsches Gericht nach § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB dürfte. Sollte der anerkennungsrechtliche ordre public auch diese verschiedenen Akzentuierungen erfassen, obwohl er grundsätzlich bloß als Filter für eklatante Verstöße fungiert?385 Kann man die nationale Auslegung des § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB zum international verbindlichen Maßstab erklären, ungeachtet der Tatsache, dass im Rahmen des Adoptionsübereinkommens gerade keine Harmonisierung der Adoptionssachrechte stattfand? Hinzu kommt eine aus praktischer Sicht besondere Schwierigkeit. Diese besteht darin, dass sich im deutschen Anerkennungsverfahren niemals sicher rekonstruieren lässt, worauf die Adoptionsentscheidung des ausländischen Gerichts genau beruhte. Zwar mögen – wie im Fall der bereits angesprochenen türkischen Adoptionsentscheidung,386 welche die Annahme von Nichte und Neffe durch ihre Tante betraf – Anhaltspunkte dafür bestehen, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte eine tragende Rolle für das positive Adoptionsurteil gespielt haben. Ob sie allerdings die einzige tragende Säule des Annahmebeschlusses waren, lässt sich weder im konkreten Beispiel noch in sonst einem Einzelfall mit Sicherheit sagen. Dem Wortlaut der türkischen Entscheidung war zwar nicht zu entnehmen, ob die voraussichtliche Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses geprüft worden war und die Folgen der Herausnahme der Kinder aus ihrem Umfeld berücksichtigt worden waren.387 Das bedeutet aber nicht, dass sich das Gericht mit diesen Fragen nicht befasst hat. So hatte das türkische Gericht insbesondere die anzunehmenden Kinder und deren Eltern angehört, bevor es die Adoption aussprach.388 Diese hatten sich hierbei mit der Adoption und dem Lebenswechsel nach Deutschland einverstanden erklärt. Das AG Braunschweig verweigerte gleichwohl die Anerkennung, was im Ergebnis sowohl vom Land- als auch Oberlandesgericht bestätigt wurde.389 Für die Eltern sei kein inländischer Sozialbericht erstellt worden, der ihre Eignung bestätige. Daher sei unge384
Vgl. 3. Kapitel B. II. 4. Rauscher, in: Münch.Komm., ZPO, §109 FamFG Rn. 35. 386 Vgl. 3. Kapitel B. II. 4. 387 LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11, Rn. 28 (juris). 388 LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11, Rn. 5 (juris). 389 AG Braunschweig 25.2.2011, 35d XVI 18/09, Rn. 10 f. (juris); LG Braunschweig 14.12.2011, 8 T 320/11, Rn. 24 ff. (juris); OLG Braunschweig 15.1.2013, 7 W 92/11, Rn. 8 (juris). 385
F. Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick
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wiss, ob sie in der Lage seien, das Wohl des im Ausland adoptierten Kindes langfristig sicherzustellen. Dies verstoße gegen die Grundwertungen des deutschen Adoptionsrechts, weshalb eine Anerkennung nicht infrage komme.
Im Anerkennungsverfahren ist besondere Vorsicht geboten, bevor einem ausländischen Gericht eine nach deutschen Maßstäben mangelhafte Kindeswohlprüfung unterstellt werden kann. In jedem Fall sind auch die Anhaltspunkte zu berücksichtigen, die dafür sprechen, dass nicht ausschließlich materielle Gesichtspunkte erwogen worden sind.390 Hat das ausländische Gericht die Beteiligten – insbesondere das anzunehmende Kind – angehört,391 erscheint eine Interpretation der Adoptionsentscheidung dahingehend – sie sei einseitig durch wirtschaftliche Erwägungen motiviert – nur in sehr zurückhaltendem Maße möglich. Nur wenn ein Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts „offensichtlich“ ist, kann er im Rahmen des anerkennungsrechtlichen ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG berücksichtigt werden. Der untragbare Widerspruch zu Grundgedanken des inländischen Rechts muss gewissermaßen ins Auge fallen. Bestehen Zweifel daran, ob eine nicht hinnehmbare Abweichung gegenüber dem deutschen Recht vorliegt, genügt das nicht für die hohe Schwelle des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG. Selbst wenn das Anerkennungsgericht nun aber der Überzeugung ist, dass ein ausländisches Urteil „offensichtlich“ nur auf einer Abwägung materieller Interessen beruht, folgt hieraus keinesfalls automatisch eine Ordre-public-Verletzung.392 Vielmehr muss in diesen Fällen im Anerkennungsverfahren ebenfalls eine modifizierte Kindeswohlprüfung nach den aufgezeigten Maßstäben stattfinden.
F. Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick Im letzten Jahrzehnt war die Anerkennung ausländischer Adoptionsentscheidungen einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Als Sanktionssystem, um die Einhaltung der vom Haager Adoptionsübereinkommen entwickelten Maßstäbe internationaler Kooperation zu erzwingen, ist das Anerkennungsrecht allerdings grundsätzlich ungeeignet. Im Anerkennungsverfahren tritt dieses abstrakte Ziel hinter den konkreten Schutz des bereits adoptierten Kindes zurück. Aus diesem Grund enthält das Adoptionsübereinkommen selbst auch keine Sanktionen für den Fall, dass gegen das Abkommen verstoßen wurde. Es überlässt die Beurteilung rechtswidriger 390 Vgl. KG Berlin 23.9.2010, IPRspr. 2010 Nr. 130b, 314, 317; LG Köln 31.1.2013, FamRZ 2013, 1498, 1499; LG Zweibrücken 28.11.2013, 4 T 29/11, Rn. 7 f. (juris). 391 Vgl. LG München 6.5.2010, IPRspr. 2010 Nr. 140, 343, 345 f. 392 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Adoptionen den Vertragsstaaten, die sich bei der Frage der Anerkennung am Kindeswohl orientieren müssen.393 Ein kindeswohlorientiertes Anerkennungsrecht widerspricht der gegenwärtigen Tendenz, die Verschärfung der Prüfungsmaßstäbe im Anerkennungsverfahren unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Wiederholungsadoption zu rechtfertigen.394 Dieses Bestreben ist materiell unzulässig, da bereits das Anerkennungsverfahren die faktische Familiengemeinschaft (Art. 8 Abs. 1 EMRK) tangiert.395 Das gilt in besonderem Maße für adoptierte Kinder, die sich noch im Ausland aufhalten. Überdies war es gerade ein (rechtspolitisches) Ziel des Adoptionswirkungsgesetzes, Wiederholungsadoptionen zurückzudrängen, die bis dahin in der Praxis stark verbreitet waren.396 Diese Entwicklung würde konterkariert, wenn durch übertriebene Anerkennungsmaßstäbe die Wiederholungsadoption eine Renaissance erlebte.397 Die Betroffenen würden dann von einem Verfahren in das nächste überwiesen, wobei das Ergebnis einer Wiederholungsadoption oftmals absehbar sein dürfte,398 sollte diese überhaupt durchführbar sein. Eine „Flucht in die Wiederholungsadoption“ widerspricht in problematischen Anerkennungsfällen in der Regel sogar den Kindesinteressen, die eine rasche und klare Entscheidung verlangen. Das Anerkennungsverfahren bietet die Möglichkeit, die spezifisch anerkennungsrechtliche Kindeswohlprüfung durchzuführen, wenn ein Ordrepublic-Verstoß (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) im Raum steht. Eine Entscheidung muss auch aus diesem Grund nicht auf eine spätere Wiederholungsadoption vertagt werden. Allerdings darf man nicht die Augen davor verschließen, dass der hier vertretene Ansatz dazu führen kann, dass aufgrund der faktisch entstandenen Lebenslage des Kindes eine Auslandsadoption anzuerkennen ist, obwohl sie widerrechtlich zustande gekommen ist. Dies birgt die Gefahr in sich, dass die Verbindlichkeit des Haager Adoptionsübereinkommens beeinträchtigt wird und fachlich unbegleitete Auslandsadoptionen nicht sanktioniert werden. Deshalb bleibt die Frage, wie internationalen Adoptionspraktiken zu begegnen ist, die von geltenden (Verfahrens-)Vorgaben abweichen.399
393
Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a) und 3. Kapitel E. I. Vgl. Reinhardt, ZRP 2006, 244, 247. 395 Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. b). 396 BT-Drucks. 14/6011, S. 26, 28, 31. 397 Klinkhardt, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 443, 451. 398 Staudinger, FamRBint 2007, 42, 46. 399 Botthof, StAZ 2013, 77, 80. 394
G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland
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G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland In Deutschland konzentriert sich die rechtspolitische Diskussion hinsichtlich der Frage, wie unbegleitete Auslandsadoptionen möglichst zu verhindern und die Vorgaben des Adoptionsübereinkommens umzusetzen sind, im Wesentlichen auf das nationale Anerkennungsrecht. Die vorangehenden Ausführungen haben jedoch gezeigt, dass erstens das Anerkennungsrecht kein sachgerechtes Instrument zur Lösung dieser Frage ist und es diesem Ansatz zweitens angesichts der Anerkennungsrealität und der unverändert hohen Quote unbegleiteter internationaler Adoptionen an Effektivität mangelt.400 Fachliche Begleitung schützt bei internationalen Adoptionen grundsätzlich alle Betroffenen und damit insbesondere auch das Wohl des Kindes. Deshalb sollten Auslandsadoptionen vermittelt zustande kommen. Begleitete Auslandsadoptionen aus Vertragsstaaten achten regelmäßig die Vorgaben des Haager Adoptionsübereinkommens, welches dazu dient, das Kindeswohl als vorrangige Richtschnur bei der Vornahme internationaler Adoptionen zu etablieren (vgl. Art. 3 Abs. 1, 21 UN-KRK, Art. 1 lit. a HAÜ). Wie es allerdings erreicht werden kann, unbegleitete Auslandsadoptionen möglichst zu vermeiden – darüber herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. Schon seit Jahren ist die Forderung nach einem ausdrücklichen Verbot unbegleiteter Adoptionen de lege ferenda populär.401 Für terre des hommes gilt: „A restrictive policy – even the prohibition of private adoption […] – is much more in conformance with the Convention on the Rights of the Child and the Hague Convention.“402 Wer allerdings ein Verbot erlässt, muss auch die Mittel benennen, um es durchzusetzen.403 Ohne wirksame Sanktionen läuft ein Verbot demgegenüber ins Leere. I. Denkbare Sanktionen 1. Strafrechtliche Sanktionen oder Geldbuße? Kaum denkbar wäre es zunächst, Eltern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, die im Ausland ein Kind adoptiert haben, ohne eine deutsche Vermittlungsstelle zu beteiligen, strafrechtlich zu belangen. Vor allem eine Freiheitsstrafe, die Ultima Ratio ist, dürfte als Sanktionsfolge nicht in Betracht kommen. Auch eine Strafbarkeit nach § 236 StGB (Kinderhandel) 400
Vgl. 3. Kapitel D. Vgl. 3. Kapitel E. I. 402 Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 29. 403 Vgl. Pierenkemper, S. 204. 401
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
scheidet aufgrund fehlender subjektiver Tatbestandsvoraussetzungen regelmäßig aus, wenn die Adoptiveltern davon ausgingen, der „Handel“ sei die beste Lösung für das Kind gewesen.404 Allenfalls erwägenswert sind Geldbußen, um unbegleitete Auslandsadoptionen zu ahnden. Sie sind eine häufige Sanktionsfolge in ausländischen Rechtsordnungen, die unbegleitete Auslandsadoptionen verbieten.405 Die Geldbuße soll vor allem eine abschreckende generalpräventive Wirkung gegenüber Eltern entfalten, die sich mit dem Gedanken tragen, eine unbegleitete Adoption durchzuführen. Ihre Wirksamkeit wird jedoch ganz überwiegend kritisch beurteilt, was ein wesentlicher Grund dafür sein dürfte, warum sie vom deutschen Gesetzgeber als Sanktion bislang nicht eingeführt worden sind.406 Warum diese Skepsis berechtigt ist, wird deutlich, sobald man sich vor Augen führt, wie eine Geldbuße wirkt: Eine Geldbuße dient in erster Linie dazu, die Rechtstreue profitabler zu machen als den Gesetzesverstoß.407 Eltern, die eine unbegleitete Adoption durchführen, müssten die Kosten für den Verstoß in ihre finanzielle und strategische Kalkulation miteinbeziehen, da sie früher oder später mit der Aufdeckung ihres Verhaltens rechnen müssen. In Deutschland lässt sich die Tatsache der ausländischen Adoption sicherlich eine Zeit lang, aber nicht dauerhaft verbergen. Führt man sich vor Augen, welche Kosten für eine „offizielle“ Auslandsadoption ohnehin zu Buche schlagen, wird schnell deutlich, dass die Geldbuße eine immense Höhe erreichen müsste, soll sie nicht als bloß zusätzlicher Kostenfaktor in den Gesetzesvorstoß einkalkuliert werden. Der Grund hierfür ist, dass je nach Heimatland des Kindes und je nach Vermittlungsstelle eine Auslandsadoption die Adoptiveltern bereits mehrere tausend Euro kostet.408 Für eine Auslandsadoption etwa mithilfe einer US-amerikanischen Vermittlungsstelle zahlen deutsche Eltern allein für die Vermittlungsgebühren über 30.000 US-Dollar.409 Betrachtet man demgegenüber die Geldbußen, die nach § 14 Abs. 3 AdVermiG bislang in Fällen unerlaubter Adoptionsvermittlung (§ 14 Abs. 1 und 2 AdVermiG) verhängt werden (zehn- bis fünfzigtausend Deutsche Mark [sic]), dürften für rechtsuntreue Adoptiveltern allenfalls geringere Bußen in Betracht kommen. Diese dürften damit kaum geeignet sein, um potenzielle Adoptiv404
Vgl. Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 236 Rn. 9 m.w.N. Übersicht über die Länder, die unbegleitete Auslandsadoptionen verbieten vgl. 3. Kapitel E. I. 406 Reinhardt, ZRP 2006, 244, 246; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 61; weniger zurückhaltend: Weitzel, NJW 2008, 186, 190. 407 Vgl. Pierenkemper, S. 168; Wils, World Competition 2/2006, 183, 184. 408 Überblick bei: Bach, FPR 2001, 318, 319; vgl. auch Hague Conference on Private International Law, Guide No. 2, S. 73 ff. 409 U. S. Department, Costs, S. 5 f. 405
G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland
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eltern von einem Gesetzesverstoß abzuschrecken, die generell imstande und bereit sind, erhebliche finanzielle Ausgaben für eine Auslandsadoption zu tätigen. 2. Trennung des Kindes von den Adoptiveltern a) Lösungen ausländischer Rechtsordnungen In einigen Ländern besteht die Möglichkeit, das Adoptivkind von seinen Adoptiveltern zu trennen, wenn es in den Aufnahmestaat verbracht wurde, ohne dass die jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben für internationale Adoptionsverfahren eingehalten wurden. Theoretisch kann es sogar in sein Heimatland zurückgeschickt werden. Beispielsweise ist in den Niederlanden grundsätzlich eine ministerielle Erlaubnis erforderlich, wenn ein Kind zum Zweck der Adoption in die Niederlande verbracht werden soll (Art. 2 WOBKA410). Um eine ministerielle Aufnahmebewilligung zu erhalten, muss die Kindesschutzbehörde unter anderem davon überzeugt sein, dass die Adoptionsbewerber zur Aufnahme eines Kindes geeignet sind (Art. 5 Abs. 1 WOBKA). Darüber hinaus muss feststehen, dass eine anerkannte Fachstelle mit der Vermittlung des Adoptivkindes befasst ist, bevor die Zustimmung im Sinne von Art. 2 WOBKA erteilt wird. Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ohne ministerielle Erlaubnis ein Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat adoptieren, drohen in den Niederlanden gravierende Konsequenzen: Vom Vormundschaftsrichter kann nämlich eine Stiftung mit der vorläufigen Vormundschaft über den Minderjährigen betraut werden, sofern dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist (Art. 10 Abs. 1 S. 1 WOBKA). Wurde eine vorläufige Vormundschaft angeordnet, ist binnen sechs Wochen zu entscheiden, ob auch die elterliche Sorge auf den vorläufigen Vormund übertragen wird (Art. 10 Abs. 1 S. 1 WOBKA). Wird diesem Antrag entsprochen, ist es grundsätzlich sogar denkbar, dass das Kind bei geeigneten (anderen) Adoptionsbewerbern untergebracht oder in sein Herkunftsland zurückgebracht wird (Art. 10 Abs. 2 WOBKA). Sämtliche Kosten, die der Stiftung als vorläufigem Vormund entstehen, sowie gegebenenfalls die Rückreisekosten des Kindes gehen zu Lasten desjenigen, der den Minderjährigen ohne ministerielle Erlaubnis aufgenommen hat (Art. 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 10 Abs. 3 S. 1 WOBKA). Auch die Schweiz versucht mit ähnlichen Sanktionsinstrumenten sicherzustellen, dass die Vorgaben des Haager Adoptionsübereinkommens nicht missachtet werden. Für Vertragsstaatenadoptionen ist es in der Schweiz – anders als in Deutschland – nicht erforderlich, dass eine akkre410
Wet opneming buitenlandse kinderen ter adoptie 8.12.1988 (WOBKA).
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
ditierte Adoptionsvermittlungsstelle beteiligt wird – unbegleitete Adoptionen sind de lege lata (noch) zulässig.411 Allerdings müssen sie die Vorgaben des Adoptionsübereinkommens einhalten.412 Nach Ansicht des Schweizerischen Bundesrates kann eine Verletzung des Übereinkommens aus Gründen des Kindesschutzes nicht hingenommen werden.413 Adoptieren schweizerische Eltern eigenmächtig ein Kind aus einem Vertragsstaat, greift ein umfangreiches Sanktionssystem, wenn die Voraussetzungen für die Einreise des Kindes nach Art. 17 HAÜ (Art. 8 BG-HAÜ414) nicht vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen zählen, dass die Eignung der Adoptiveltern und die Einreise des Kindes in den Aufnahmestaat feststehen (Art. 17 lit. d HAÜ). Die zentrale Behörde des Heimatstaates muss überdies wissen, dass die künftigen Adoptiveltern mit der Adoption einverstanden sind (Art. 17 lit. a HAÜ). Außerdem müssen beide zentralen Behörden das Adoptionsverfahren nach Art. 17 lit. c HAÜ gebilligt haben (sogenanntes matching). Sind die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt und hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz, wird es gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 BG-HAÜ grundsätzlich unverzüglich in einer Pflegefamilie oder einem Heim untergebracht.415 Diese Intervention ist nach Ansicht des schweizerischen Gesetzgebers im Regelfall gerechtfertigt, weil Personen, die das vorgesehene Vorbereitungsverfahren umgangen haben, als Adoptiveltern grundsätzlich ungeeignet seien.416 Deshalb, und weil der Schutz aus Art. 8 Abs. 1 EMRK einzugreifen drohe, müsse ihnen das Kind rasch weggenommen werden.417 Der Zeitfaktor sei für ein effektives Schutzsystem äußerst entscheidend. Würde nicht schnell eingegriffen, stünden die Behörden letztlich vor vollendeten Tatsachen, die sie dann faktisch hinnehmen müssten.418 411
Nach Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 26, werden in der Schweiz weniger als die Hälfte der internationalen Adoptionen mithilfe einer zugelassenen Stelle abgewickelt. Gegen ein Verbot unbegleiteter Adoptionen sprach – als das Adoptionsübereinkommen in schweizerisches Recht umgesetzt wurde – neben institutionellen und organisatorischen Vorbehalten entscheidend, dass die Kontrollvorgaben des BG-HAÜ als ausreichend angesehen wurden, um die bestehende Missbrauchsgefahr effektiv zu senken vgl. Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5824 f.; Jametti Greiner, ZVW 1997, 171, 182 f. 412 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 11 f., 24; Jametti Greiner, ZVW 1997, 171, 182 f.; Urwyler, FamPra.ch 2004, 519, 531. 413 Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5834. 414 Bundesgesetz zum Haager Adoptionsübereinkommen und über Maßnahmen zum Schutz des Kindes bei internationalen Adoptionen 22.6.2001 (SR-Nummer 211.221.31). 415 Krit. Busch, DAVorm 1997, 659, 665. 416 Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5834. 417 Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5835. 418 Permanent Bureau, Conclusions, S. 22 (Rn. 57).
G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland
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Das Kindeswohl könne es allerdings ausnahmsweise gebieten, dass das betroffene Kind bei den Personen verbleibe, die es aufgenommen haben, ohne dass die Voraussetzungen für dessen Einreise vorgelegen hätten. Das sei vor allem dann der Fall, wenn das Kind schon längere Zeit in seiner Aufnahmefamilie verbracht habe.419 Dem trägt die Ausnahmeregelung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 BG-HAÜ Rechnung, wonach das Kind ausnahmsweise – und nur solange, bis eine Lösung gefunden wurde – in der Aufnahmefamilie verbleiben darf, wenn es das Kindeswohl erfordert. Darüber hinaus kann nach Art. 19 Abs. 3 S. 1 BG-HAÜ sogar angeordnet werden, dass das Kind in seinen Heimatstaat zurückverbracht wird, wenn dies dem Kindeswohl dient. Diese eher theoretische Rückkehroption kommt nach Ansicht des Bundesrates jedoch nur dann in Betracht, wenn die leiblichen Eltern der Abgabe des Kindes nicht oder nur unter rechtswidrigen Umständen zugestimmt haben.420 Wer das Kind ohne behördliche Bewilligung in die Schweiz verbringt, ist ihm gegenüber grundsätzlich unterhaltspflichtig, bis es von Dritten adoptiert oder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt ist (Art. 20 BG-HAÜ). b) Lösung für Deutschland? Eltern, die aus einem Vertragsstaat ein Kind adoptiert haben, ohne die Maßstäbe des Adoptionsübereinkommens einzuhalten, sollten daraus eigentlich keinen Vorteil ziehen können. Diese Überlegung ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen, um die polizeirechtlichen Zwecke des Adoptionsübereinkommens nicht preiszugeben. Nach überwiegender Auffassung müssen Vertragsstaatenadoptionen in Deutschland nicht nur die unmittelbar im Haager Adoptionsübereinkommen enthaltenen Vorgaben beachten, sondern auch von einer (anerkannten) Vermittlungsstelle begleitet werden.421 Wollte der Gesetzgeber alles daran setzen, potenzielle Adoptiveltern davon abzuhalten, eine unbegleitete Auslandsadoption (aus einem Vertragsstaat) durchzuführen, hätte ein Interventionssystem, das darauf abzielt, ihnen im Regelfall das Kind abzunehmen, sicherlich einen enormen (generalpräventiven) Abschreckungseffekt. Die Adoptiveltern würden dann Gefahr laufen, ihren Adoptionswunsch trotz Absolvierung eines langwierigen und oft kostspieligen Verfahrens im Ergebnis nicht realisieren zu können, wenn sie eine Auslandsadoption auf eigene Faust wählten. Potenzielle Adoptiveltern dürften – sofern man ihnen überhaupt einen rationalen Adoptionsentschluss unterstellt422 – von einer unbegleiteten Adoption von vornherein Abstand nehmen, wenn später der (dauerhafte) Kin419
Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5835 (kein „Umplatzierungsautomatismus“). Botschaft 19.5.1999 (98.075), S. 5835. 421 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. a). 422 Vgl. Towfigh/Petersen, S. 169 ff. 420
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
desentzug droht. Im Gegensatz zu einer Geldsanktion ließe sich die Wegnahme des Kindes nicht kompensieren. Da durch ein solches Sanktionssystem jedoch nicht nur die Adoptiveltern selbst, sondern auch das Kind berührt sind, findet es seine Grenze im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und damit letztlich im Wohl des konkret betroffenen Kindes. Selbst nach einer gesetzeswidrigen Auslandsadoption muss nach der für das Kind am wenigsten schädlichen Alternative gesucht werden, wobei in diesem Zusammenhang die bereits mehrfach skizzierten Aspekte zu berücksichtigen sind.423 Im Regelfall wird somit eine Familientrennung nicht infrage kommen. Das legt auch die bisherige deutsche Adoptionspraxis nahe: Nur in einzelnen Ausnahmefällen sind ausländische Adoptivkinder bislang aufgrund familiengerichtlicher Schutzmaßnahmen – insbesondere nach einem Nichtanerkennungsbeschluss (§ 2 Abs. 1 AdWirkG) – von ihren Adoptiveltern getrennt worden. An dieser Realität dürfte auch ein besonderes Interventionssystem – vergleichbar etwa dem niederländischen oder schweizerischen – de lege ferenda kaum etwas ändern. Lägen wirksame Sanktionen auf der Hand, hätte der deutsche Gesetzgeber wohl längst ein ausdrückliches Verbot erlassen, wie es von mancher Seite nun schon seit Jahren gefordert wird.424 II. Ausweg: Inländische Vermittlungsstruktur Wünschenswert wäre es demgegenüber, wenn alle diejenigen, die sich für die Durchführung einer internationalen Adoption interessieren, von vornherein auf ein vermitteltes Verfahren zurückgriffen, ohne dass man sie mit Sanktionen dazu zwingen müsste. Das geschieht in der Praxis aber vor allem aus folgenden Gründen nicht: Bei internationalen Stiefkind- oder Verwandtenadoptionen ist die Einschaltung einer Adoptionsvermittlungsstelle aus Sicht der Adoptionsbewerber regelmäßig überflüssig, da der Annehmende und das Adoptivkind bereits feststehen.425 Deshalb beachten sie stets weder den Subsidiaritätsgrundsatz426 noch die Verfahrensreihenfolge der Konvention: Im Heimatstaat wird die Eignung der verwandten Adoptionsbewerber festgestellt und die Adoptionsfreigabe erteilt, ohne dass ein matching gemäß Art. 17 lit. c HAÜ erfolgt.427 Die Behörde des Anerkennungsstaates vollzieht rechtlich gewissermaßen eine bestehende soziale Beziehung bloß nach, wenn sie ihre Zustimmung nach Art. 17 lit. c HAÜ erteilt.428 Deshalb wurde bereits 423
Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. c). Für ein „symbolisches“ Verbot: Reinhardt, JAmt 2013, 499, 502 m.w.N. 425 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545; Reinhardt, JAmt 2007, 122, 124. 426 Bienentreu/Busch, JAmt 2003, 273, 274; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 62. 427 Bienentreu, JAmt 2008, 57 f. 428 Hayes, International Journal of Law, Policy and the Family 3/2011, 288, 299. 424
G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland
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in den Beratungen zum Haager Adoptionsübereinkommen konstatiert, dass das matching auf diese Gruppe nur eingeschränkt passe.429 De lege ferenda wird aufgrund dieser Besonderheiten eine Reform erwogen, die für diese Gruppe von Auslandsadoptionen nur eine modifizierte Anwendung des Übereinkommens vorsieht, zum Beispiel die Möglichkeit, sich konkret um das verwandte (Stief-)Kind bewerben zu können.430 Das löst aber nicht das grundsätzliche Problem: Bei innerfamiliären Auslandsadoptionen müssen die Adoptiveltern davon überzeugt werden, dass fachliche Begleitung ein Gewinn ist. Hier könnte wohl allenfalls eine Reform des nationalen Adoptionsrechts einen Mentalitätswandel initiieren. Geöffnete Adoptionsformen, die auf individuell erarbeiteten Fürsorgelösungen basieren, erfordern eine konstante fachliche Prä- und Postadoptionsbegleitung.431 Würden sie zum Regelfall inländischer Minderjährigenadoptionen, dürfte auch bei Auslandsadoptionen der Sinn fachlicher Begleitung deutlicher zutage treten. Grundsätzlich sollte man sich aber in Erinnerung rufen, dass viele internationale Stiefkind- oder Verwandtenadoptionen nur deshalb gewählt werden, weil das Ausländerrecht eine Familienzusammenführung verwehrt.432 Diese Ursache sollte nicht aus den Augen verlieren, wer unvermittelte Auslandsadoptionen möglichst verhindern will. Das Problem unbegleiteter Auslandsannahmen würde insgesamt stark reduziert, wenn internationale Stiefkind- und Verwandtenadoptionen begleitet stattfänden. Sie machen wohl rund ein Viertel aller unbegleiteten Auslandsadoptionen aus, die Deutschland betreffen.433 Daneben existieren aber auch unbegleitete internationale Adoptionen familienfremder Kinder. Will man auch hier erreichen, dass sich die Adoptionsbewerber rechtstreu verhalten und eine begleitete Adoption durchführen, muss man die Gründe kennen, die sie zurzeit veranlassen, den Rechtsverstoß vorzuziehen. Aussagekräftige Untersuchungen fehlen insoweit. Deshalb lassen sich keine gesicherten Aussagen darüber treffen, weshalb das Vermittlungsverfahren für sie nicht in Betracht kommt.434 Die Adoptionspraxis lässt jedoch einige Rückschlüsse zu:
429
BT-Drucks. 14/6011, S. 20; vgl. auch Bienentreu/Busch, JAmt 2003, 273, 274 ff.; einschränkend: Bienentreu, JAmt 2008, 57. 430 Vgl. zu den schweizerischen Reformüberlegungen, de lege ferenda für internationale Stiefkind- und Verwandtenadoptionen Ausnahmen vom vorgesehenen HAÜVerfahren zuzulassen: Hegnauer, in: FS Heini, 1995, S. 179, 192; vgl. auch Lammerant, in: Dritte schweizerische Tagung zur internationalen Adoption, 2010, S. 123, 128 f. 431 Vgl. 2. Kapitel C. I. 2. c) cc) (4). 432 Vgl. 3. Kapitel B. II. 3. 433 Vgl. 3. Kapitel B. I. 434 Vgl. Maywald, FPR 2008, 499, 501 f.
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
Schon im nationalen Kontext standen Ende 2012 einem potenziellen Adoptivkind statistisch sechs Bewerbereltern gegenüber.435 Die Chancen auf ein Adoptivkind sind damit gering. Im Bereich der Auslandsadoption dürfte die Vermittlungsquote ähnlich niedrig sein. Deshalb ist für viele Bewerber von vornherein die (inländische) Adoptionsvermittlung unattraktiv.436 Hier ist die Frage, ob sich die geringe Vermittlungsquote anheben ließe, damit das begleitete Vermittlungsverfahren für Adoptionsbewerber allgemein attraktiver wird. Das setzte voraus, dass weltweit ausreichend potenzielle Adoptivkinder zur Verfügung stehen. Gesicherte Evaluationen existieren allerdings auch bezüglich dieser Frage nicht. Gegen eine ausreichende Verfügbarkeit spricht auf den ersten Blick, dass internationale Adoptionen seit dem Jahr 2006 weltweit kontinuierlich zurückgehen.437 Das ist zum Teil auf eine restriktivere Abgabepolitik – insbesondere der osteuropäischen Staaten und der Volksrepublik China – zurückzuführen.438 Auch das Haager Adoptionsübereinkommen dürfte für die Abnahme mitverantwortlich sein. Dessen Subsidiaritätsprinzip zielt gerade darauf ab, dass potenzielle Adoptivkinder möglichst in ihren leiblichen Familien bleiben können oder vorrangig in ihrem Heimatstaat untergebracht werden.439 Damit ist aber nicht zwangsläufig gesagt, dass die Kluft zwischen den Erwachsenen mit Adoptionswunsch und den tatsächlich für eine Adoption verfügbaren Kindern immer größer wird. Schon ein Blick auf die Situation in Deutschland widerlegt diese Hypothese: Im Jahr 2012 waren – je nach Schätzung – mindestens 20.000 fürsorgebedürftige Kinder in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft außerhalb ihrer Herkunftsfamilie untergebracht, die nicht adoptiert wurden, obwohl eine (geöffnete) Adoption für sie eigentlich die bessere Lösung gewesen wäre.440 Familienfremd adoptiert wurden im selben Jahr lediglich 1.543 Minderjährige.441 Legt man diese Zahlen zugrunde, übersteigt bereits in Deutschland die Anzahl potenzieller Adoptivkinder die der verfügbaren Adoptionsbewerber, die zudem seit Jahren weniger werden.442 Gründe für den Rückgang an Adoptionsbewerbern sind unter anderem die gestiegenen Anforde435
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 26.7.2013 (Stand 5.12.2013); vgl. Groth, FAZ 27.7.2012, 7. 436 Vgl. Lammerant/Hofstetter, in: terre des hommes (Hrsg.), S. 29; Reinhardt, ZRP 2006, 244 f.; Weitzel, JAmt 2006, 333, 336; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 60. 437 Reinhardt, JAmt 2013, 499 f. 438 Selman, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 41, 44, 61 f.; Young, Adoption & Fostering 2/2012, 67, 75 f. 439 Vgl. Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, Art. 21 Rn. 21. 440 Vgl. 2. Kapitel D. I. 441 Statistisches Bundesamt, Adoptionen 2012. 442 Reinhardt, JAmt 2013, 499, 500.
G. Lösungsansatz: Vermeidung unbegleiteter Adoptionen aus dem Ausland
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rungen an ihre Qualifikation, erweiterte Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin sowie die Zunahme von Leihmutterschaften. Würde man auch in Deutschland konsequent daran arbeiten, dass möglichst alle fürsorgebedürftigen Kinder adoptiert werden, für die eine Minderjährigenannahme infrage kommt, herrschte somit ein Mangel an geeigneten Adoptiveltern. Dieses Phänomen lässt sich etwa in den Vereinigten Staaten sowie in Großbritannien beobachten, die seit Jahren verstärkt versuchen, vor allem langfristige Pflegeverhältnisse mittels Adoptionen zu vermeiden.443 Das war auch der Grund, weshalb dort der Pool an Adoptionsbewerbern stetig erweitert und auch auf gleichgeschlechtliche Paare ausgedehnt wurde.444 Mangelt es aber schon im Inland nicht an potenziellen Adoptivkindern, dürfte dies auch weltweit grundsätzlich nicht anders sein. Hieran ändert insbesondere eine restriktivere Abgabepolitik einzelner Heimatstaaten nichts. Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass immer dann, wenn einzelne Länder die Anzahl von Auslandsadoptionen begrenzen, der internationale Strom adoptionsfähiger Kinder nicht abreißt, sondern sich verschiebt. Bislang sind immer neue Herkunftsstaaten „in die Lücke gesprungen“, wenn vormals beliebte Heimatländer eine restriktivere Abgabepolitik eingeführt haben. Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind insbesondere einige afrikanische Staaten als Herkunftsstaaten verstärkt auf den Plan getreten, wie beispielsweise Äthiopien, das zu einem zentralen Entsendestaat für ausländische Adoptivkinder avanciert ist.445 Die Erhöhung der Vermittlungsquote dürfte deshalb möglich sein, ohne dass das Subsidiaritätsprinzip bei Auslandsadoptionen verletzt wird. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn aussagekräftige Untersuchungen darüber vorlägen, in welchen Heimatstaaten wie viele hilfsbedürftige Kinder für eine internationale Adoption in Betracht kommen. Sollte auf diese Weise die Attraktivität einer begleiteten Auslandsadoption erhöht werden, setzte das aber voraus, dass in Deutschland eine bedarfsangemessene Adoptionsvermittlungsstruktur existiert. Ohne sie droht, was Marx bereits im Jahr 1995 feststellte, als das Haager Adoptionsübereinkommen in Kraft getreten war: „Ein wesentlicher Faktor für sog. Privatadoptionen und die Kontaktaufnahme Deutscher zu fachlich zweifelhaften Adoptionsvermittlern im Ausland sind […] die unzureichenden organisatorischen Kapazitäten im Bereich zwischenstaatlicher Adoption.“446 Auch in der Schweiz wurde ein Verbot unbegleiteter Auslandsadoptionen abge-
443
Vgl. 2. Kapitel E. II. 2. Vgl. 2. Kapitel E. II. 2. 445 Selman, in: Miller Wrobel/Neil (Hrsg.), S. 41, 61 f. 446 StAZ 1995, 315, 319 f. 444
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
lehnt, solange keine angemessenen (inländischen) Vermittlungskapazitäten bestehen.447 In Deutschland droht mittelfristig jedoch sogar ein Rückgang bestehender Kapazitäten:448 Viele Vermittlungsstellen in freier Trägerschaft sind in wirtschaftlicher Not. Vor allem steigen die Kosten für die gesetzlich geforderte Postadoptionsbegleitung in abgeschlossenen Vermittlungsverfahren (§ 9 Abs. 1 AdVermiG), die sich nicht aus den Einnahmen laufender Fälle refinanzieren lassen. Die zentralen Stellen der Landesjugendämter und die Adoptionsvermittlungsstellen der Jugendämter mit Einzelfallgestattung (§ 2a Abs. 3 Nr. 1, 2 AdVermiG) leisten ohnehin nur in sehr bescheidenem Umfang Vermittlungsarbeit, und diese ist in den letzten Jahren tendenziell sogar weiter rückläufig: Während im Jahr 2007 die staatlichen Ämter 195 Adoptionsvermittlungsverfahren der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption als abgeschlossen gemeldet haben, belief sich die Zahl bei den anerkannten Stellen in freier Trägerschaft im selben Jahr auf 777 Fälle; die entsprechenden Zahlen für die nachfolgenden Jahre sehen wie folgt aus: (2008) 187, 655; (2009) 92, 559; (2010) 66, 452; (2011) 48, 562; (2012) 42, 368.449 Ohne angemessene inländische Vermittlungsstruktur dürfte es insbesondere nicht möglich sein, auch bei Nichtvertragsstaatenadoptionen, die nur rund zur Hälfte fachlich begleitet werden,450 fachliche Standards zu verankern.451 Im Rahmen von Nichtvertragsstaatenadoptionen können nur die jeweiligen Kooperationspartner darauf dringen, dass inhaltliche Anforderungen des Haager Adoptionsübereinkommens möglichst universell angewendet werden. Eine Behördenstruktur, die sie hierbei überwacht, existiert außerhalb des Übereinkommens nicht.452 Ein wünschenswerter Nebeneffekt wäre es, dass Auslandsadoptionen aus Vertrags- und Nichtvertragsstaaten langfristig ähnlichen Standards unterlägen. Würde die Vermittlungsquote insgesamt steigen, würden allein dadurch allerdings keineswegs sämtliche unbegleitete Auslandsadoptionen vermieden. Sie bieten vor allem für die Bewerber die letzte Chance auf ein Kind, die etwa aufgrund ihres Alters oder Partnerschaftsmodells als geeignete Adoptiveltern nicht in Betracht gezogen werden. Die Altershürde spielt insofern eine zentrale Rolle. De lege lata gilt zwar keine offizielle Altersobergrenze für Adoptionsbewerber, in der Adoptionspraxis ist aber ein 447
Jametti Greiner, ZVW 1997, 171, 183; vgl. zu Österreich: Loy, S. 52. Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 506 f. 449 Benicke, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 545, 547; Bundeszentralstelle, Jahresberichte 2007–2012, unveröffentlicht. 450 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. b). 451 Botthof/Bienentreu/Behrentin, JAmt 2013, 503, 507; vgl. Reinhardt, in: HKAdoptionsR, AdVermiG, § 2a Rn. 9 m.w.N. 452 Vgl. 3. Kapitel B. II. 1. b). 448
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Altersabstand zwischen Bewerbern und Kind von maximal 40 Jahren und ein Höchstalter von 45 Jahren etabliert,453 obwohl insbesondere der Altersunterschied zum Kind keine starre Grenze, sondern nur eine Regelannahme ist.454 Da aber nach den Erfahrungen der Adoptionspraxis gerade die Bewerber, die allein aufgrund ihres Alters von jeglichen Vermittlungsbemühungen ausgeschlossen werden, anschließend überdurchschnittlich oft auf eigene Faust ein Kind adoptieren, sollte man den bloßen Regelaltersabstand in der Vermittlungspraxis ernst nehmen. Unter sämtlichen Adoptionswilligen können nur dann die geeignetsten als Adoptiveltern ausgewählt werden,455 wenn alle Bewerber umfassend begutachtet wurden. Deren Alter ist hier ein Kriterium neben anderen, das aufgrund fortschreitender reproduktionsmedizinischer Möglichkeiten ohnehin als „natürlicher“ Elternselektionsfaktor zusehends relativiert wird, obwohl es dort seine Berechtigung hat, wo die Gefahr besteht, dass Eltern versterben oder schwer erkranken, bevor das Adoptivkind selbstständig geworden ist. Auch das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 2008 eröffnet nach Art. 9 Abs. 2 lit. b r. EAÜ den Mitgliedsstaaten einen Gestaltungsspielraum in Bezug auf den Altersabstand zwischen Eltern und Adoptivkind, sodass jede Adoption individuell beurteilt werden kann, ohne dass starre Altersgrenzen festgelegt werden müssen.456 Das Übereinkommen stünde einer flexiblen Altershandhabung demnach nicht im Wege, sollte sich die Bundesrepublik Deutschland zur Zeichnung entscheiden, zumal auch europaweit kaum noch Altersobergrenzen oder maximale Altersunterschiede gesetzlich festgelegt werden.457 Vereinzelt sind im Ausland individuelle Gesundheitsprüfungen der Bewerber an die Stelle einer starren Altershürde getreten. Solche Lösungen berücksichtigen, dass die Adoption verstärkt mit den Möglichkeiten künstlicher Reproduktionsmedizin konkurriert, wenn es darum geht, geeignete Adoptiveltern zu werben. In Zukunft dürfte das Durchschnittsalter von Adoptionsbewerbern tendenziell eher steigen, da jüngere Paare vorrangig auf künstliche Fortpflanzungsmethoden zurückgreifen werden, die bei älteren Paaren weniger erfolgversprechend sind.458 Bei (älteren) Bewerbern, die aus nachvollziehbaren (medizinischen) Gründen abgewiesen werden, dürfte ein geringeres Risiko der eigenmächtigen Auslandsadoption bestehen als bei solchen, deren Adoptionswunsch
453
Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8. Bundesarbeitsgemeinschaft, S. 27; Reinhardt, JAmt 2013, 499, 500. 455 EuGHMR 26.2.2002, FamRZ 2003, 149, 150, Rn. 42 – Fretté/Frankreich. 456 Horgan/Martin, International Family Law 2008, 155, 161. 457 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Bericht, S. 8. 458 Gumus/Lee, S. 13. 454
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Kapitel 3: Internationales Adoptionsrecht
schon pauschal aus Altersgründen keiner näheren Prüfung unterzogen wird. Umgehungspraktiken sind nie gänzlich zu vermeiden. Trotzdem muss der Maßstab für mögliche Gegenmaßnahmen in erster Linie ihre Effektivität sein.459 Nationale Sanktionen sind insofern – zumal im internationalen Kontext – in ihrer sozialen Steuerungsfähigkeit limitiert. Will man erreichen, dass möglichst viele internationale Adoptionen familienfremder Kinder staatlich begleitet und überwacht werden, ist es rechtspolitisch wohl unerlässlich, die deutsche internationale Adoptionsvermittlungsstruktur zu reformieren.460 Erst dann erscheint es legitim, Adoptionen, die ohne eine anerkannte Vermittlungsstelle zustande kommen, de lege ferenda zu verbieten.461
459
Vgl. Pierenkemper, S. 204. Vgl. Maywald, FPR 2008, 499, 502. 461 Vgl. Marx, StAZ 1995, 315, 319 f.; Bienentreu, JAmt 2008, 57, 62. 460
Kapitel 4
Zusammenfassung und Ergebnis „Brauchen wir Adoption?“1
Die Adoption eines minderjährigen Kindes vermittelt diesem einen sicheren rechtlichen Status und scheint damit ein unverzichtbares Instrument des Kindesschutzes zu sein. Doch bei näherer Betrachtung offenbaren sich die Grenzen des gegenwärtigen Adoptionsparadigmas. Begreift man die Adoption – nach modernem Verständnis – als staatliches Fürsorgeinstrument, ist festzustellen, dass sie ihre Zielsetzung weitgehend verfehlt. Ihre Voraussetzungen sind auf Ausnahmefälle zugeschnitten, welche die typischen Lebenssituationen hilfsbedürftiger Kinder nicht erfassen.2 Der maßgebliche Grund ist eine unzeitgemäße Ausgestaltung der Kindesannahme als Interventionsmaßnahme. Demgegenüber sollte jedes gesetzliche Fürsorgeinstitut davon ausgehen, dass in erster Linie die Eltern über das Wohl und Wehe des Kindes entscheiden. Kinderfürsorge basiert grundsätzlich auf einem konsensualen Arrangement zwischen den Beteiligten. Auf diesem Verständnis beruhte die historische Annahme an Kindes statt. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs brachte in ihr besonders deutlich zum Ausdruck, dass die Adoption nicht in erster Linie eine sozialpolitische (Eingriffs-)Maßnahme, sondern vor allem ein Fürsorgeabkommen zwischen den Beteiligten ist.3 In der Praxis zeigt sich allerdings, dass das geltende Recht der Minderjährigenadoption lediglich in vernachlässigbarem Umfang staatliche Fürsorge im Interesse des Kindes gegen den Willen der Eltern zu leisten vermag.4 Die Folge ist ein in weiten Teilen unsachgemäßes Ungleichgewicht zwischen der weit verbreiteten Dauerpflegekindschaft und der verhältnismäßig seltenen Kindesannahme.5 Die Ursachen hierfür sind vor allem in den starren Adoptionswirkungen des geltenden Rechts zu suchen. Sie versuchen eine eindeutige Klarstellung der Familienverhältnisse zu bewirken, die jedoch der gesellschaftli1
Frank, FamRZ 2007, 1693. Vgl. 2. Kapitel D. I. 3 Vgl. Donner, Journal of Family Law 1996, 473, 535. 4 Vgl. 2. Kapitel D. I. 5 Vgl. 2. Kapitel D. I.; Salgo, S. 367 ff., 401. 2
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Kapitel 4: Zusammenfassung und Ergebnis
chen Realität immer weniger entspricht. So pluralisiert und unüberschaubar die modernen Eltern-Kind-Verhältnisse sind, so wenig flexibel sind die Wirkungen der Kindesannahme de lege lata. Das adoptionsrechtliche Wiedergeburtparadigma hat sich überlebt.6 Stattdessen gilt es de lege ferenda tatsächlich bestehende Familienstrukturen mithilfe geöffneter Adoptionsarrangements zu schützen. Pluralisieren sich die Familienkonstellationen, muss das Familienrecht diese Vielfalt widerspiegeln. Vor allem ein interfamiliär geöffnetes Adoptionsgeheimnis, formalisierte Umgangskontaktvereinbarungen zwischen den leiblichen Eltern und der Adoptivfamilie sowie Auskunftsrechte im Interesse der leiblichen Eltern sind naheliegende Reformansätze.7 Mit Blick auf das Zentralkriterium „Kindeswohl“ ist absehbar, dass die Minderjährigenadoption weiteren Familienkonstellationen de lege ferenda offen stehen wird.8 Zumal das Beharren auf einem formalen Status als Adoptionsvoraussetzung rechtsvergleichend betrachtet jedenfalls kein Allgemeingut mehr ist.9 Würde das Recht der Annahme Minderjähriger in diese Richtung reformiert, bestünde die Aussicht, dass faktische Eltern-Kind-Verhältnisse in Zukunft umfassender geschützt werden könnten. Für diesen Zweck wird ein flexibles Rechtsinstitut benötigt, das auch den Namen „Adoption“ tragen kann. Die Legitimität der internationalen Adoption ist weitaus fragwürdiger. Sie ist nach wie vor ein zentrales Mittel, um einen verhinderten Kinderwunsch zu erfüllen. Vor allem für Paare, die genetische Risikofaktoren aufweisen, bleibt sie eine wichtige Alternative.10 Daneben gewinnen aber auch die Methoden der künstlichen Reproduktion an Bedeutung, die mit der Möglichkeit zur Auslandsadoption verstärkt konkurrieren.11 Da sich Interessen aber im Allgemeinen umso schneller durchsetzen, je schwächer die moralischen Einwände sind, die sie im Zaum halten, wie beispielsweise dem Wunsch nach einem eigenen Kind,12 wird auch die internationale Adoptionspraxis auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Welchem Zweck das internationale Adoptionsrecht gegenwärtig dient, ist nicht eindeutig zu beantworten. Ein Verweis auf den Schutz des Kindeswohls greift als Antwort zu kurz. Verschiedene Zielrichtungen sind denkbar: Soll es unerwünschte Adoptionspraktiken verhindern oder ein international einheitliches Vermittlungsverfahren etablieren? Die Untersu6
Vgl. 2. Kapitel C. I. Vgl. 2. Kapitel C. II. 2. c) sowie 2. Kapitel C. III., IV. 8 Vgl. 2. Kapitel E. 9 Vgl. 2. Kapitel E. III. 10 Bundesärztekammer, S. 8; Hornstein/Holzhauer, DÄBl. 11/2001, A 674 ff. 11 Vgl. Gumus/Lee, S. 2 ff.; Schewe, FamRZ 2014, 90, 90 f. 12 Habermas, S. 243. 7
Kapitel 4: Zusammenfassung und Ergebnis
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chung hat auf jeden Fall gewichtige Anhaltspunkte dafür zu Tage gebracht, dass die Steuerungsfähigkeit des Rechts im Hinblick auf weltweite Realitäten begrenzt ist. Vor allem eignet sich das nationale Anerkennungsrecht nur in sehr begrenztem Umfang als Abwehrinstrument gegen rechtswidrige internationale Adoptionspraktiken.13 Der Schutz faktisch bestehender Familien aus Art. 8 Abs. 1 EMRK macht eine generalpräventive Ausrichtung des Rechts weitgehend unmöglich.14 Auch ausländische Rechtsordnungen haben mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen.15 Alternative Bekämpfungsstrategien, wie Verbote, strafrechtliche Sanktionen, Einreiseembargos, Trennung des Kindes von den Adoptiveltern et cetera, scheiden als effektive – und verhältnismäßige – Mittel ebenfalls weitgehend aus.16 Allein eine veränderte inländische Vermittlungsstruktur scheint im nationalen Rahmen als eine taugliche Möglichkeit in Betracht zu kommen, um unbegleitete Auslandsadoptionen möglichst effektiv zu verhindern.17 Damit kommt man aber auf die rechtspolitische Ausgangsfrage zurück: Soll das internationale Adoptionsrecht ein Rechtsrahmen sein, der Eltern hilft, ihren Kinderwunsch zu realisieren und fürsorgebedürftige Kinder zwischen Staaten und Kulturen vermittelt? Für diese Ausrichtung lässt sich jedenfalls das Haager Adoptionsübereinkommen nicht ins Feld führen, das als globaler (polizeirechtlicher) Ordnungsrahmen in erster Linie die weltweite Adoptionspraxis überwachen soll.18 Zumal bislang nicht zu ermessen ist, inwieweit im länderübergreifenden Kontext multiple Familienstrukturen tatsächlich gelebt werden können. In den USA werden erst in jüngster Zeit Versuche unternommen, auch bei internationalen Adoptionen vermehrt geöffnete Arrangements zu installieren.19 Es soll auch in internationalen Adoptionen gelten, was in inländischen US-amerikanischen Fürsorgekonstellationen längst Allgemeingut ist: Pluralisierte Eltern-Kind-Verhältnisse zwischen ausländischer Herkunftsfamilie und inländischer Adoptivfamilie sind im Interesse des Kindes möglichst zu erhalten; im Rahmen von Auslandsadoptionen vor allem, um den besonderen Anforderungen an die kulturelle Identität der Kinder gerecht zu werden.20 13
Vgl. 3. Kapitel F. Vgl. 3. Kapitel B. III. 2. b). 15 Vgl. 3. Kapitel G. I. 2. a). 16 Vgl. 3. Kapitel G. I. 17 Vgl. 3. Kapitel G. II. 18 Vgl. 3. Kapitel A. 19 Vgl. Vandivere/Malm/Radel, in: United States Department of Health and Human Services (Hrsg.), S. 45, 77; Roby/Wyatt/Pettys, Adoption Quarterly 3/2005, 47, 48 f., 64 ff.; Crea/Barth, Family Relations 5/2009, 607, 616. 20 Vgl. Klingenstein, S. 152 ff.; Bridge/Swindells, S. 74; Jayme, IPRax 1991, 204, 205. 14
202
Kapitel 4: Zusammenfassung und Ergebnis
Der Wandel insbesondere der internationalen Adoptionsrealität setzt sich fort. Welche Perspektiven sich daraus für die deutsche Rechtsordnung ergeben, versucht die Untersuchung aufzuzeigen. Der Reformbedarf wird deutlich. Sobald sich der Gesetzgeber entschließt, das revidierte Europäische Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 2008 zu ratifizieren, bietet sich eine Gelegenheit, das Adoptions- und Kollisionsrecht (Art. 22 f. EGBGB) an die heutige Zeit und Praxis anzupassen. Diese Chance ist mutig zu nutzen, um den gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte Rechnung zu tragen und ein Adoptionssystem zu schaffen, das auch international eine harmonische Rechtsentwicklung ermöglicht. Die Minderjährigenadoption würde fortan vorrangig als Schutzsystem bestehender Familienverhältnisse dienen. Das würde dem überragenden Ziel des Kindeswohlschutzes einen wichtigen Dienst erweisen.
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– wirtschaftliche Motive 139 ff., 183 ff. – Zeitpunkt, maßgeblicher 143 ff., 154 ff. Auskunft – Anspruch des Scheinvaters 20 – Recht auf A. der leiblichen Eltern nach einer Adoption 72 ff. – Vereinbarungen 76 Auslandsadoption, unbegleitete 123 ff., 170 ff., 176, 192 ff. – Anerkennung 128 ff. – Einreise 147 f., 150 f., 155 – Sanktionen 187 ff. – Stiefkind- und Verwandtenadoption 137, 192 f. – Verbot 174 f., 187, 192 California Long-Range Adoption Study 31 contact order 56 f. cooperative adoption, siehe postadoption contact agreement Deprivation 5, 35 f., 78 effet attenué 145 Einwanderung, verdeckte, siehe Anerkennung, verfahrensrechtliche, Einwanderung, verdeckte Einwilligung, elterliche, in die Adoption 8 ff., 15 ff., 23 ff. – biologischer Vater 15 ff., 25 ff. – Ersetzung, siehe Ersetzung der elterlichen Einwilligung in die Adoption – Familiensituation 16 f. – Freiwilligkeit 11 ff. – Gestaltungsrecht 14 f., 25 – kooperative 14 f., 48, 50, 62 f. – mütterliche 9 ff., 25 – Präklusion, biologischer Vater 17 ff. enduring family relationship 112
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Sachregister
Elterneignung 134 ff., 153, 165, 170 f., 176 ff. Eltern-Kind-Verhältnis, faktisches 146, 152, 164 Eltern, ledige 16, 18 Elternrecht, verfassungsrechtliches 9 f., 23, 26, 92 ff. 100 – treuhänderische Pflichtenbindung 10 f., 50, 80 f., 84, 92 f. – Übertragbarkeit 10 f., 92 ff. Elternschaft – doppelte 30 f. – soziale 80 f., 91 f. Ersetzung der elterlichen Einwilligung in die Adoption 9, 81 ff., 87, 89 f., 97 f. – kraft Zeitablaufs 92 ff. Familieneinheit, faktische 147 ff., 150 f. Familiennachzug 122 f., 137 f., 193 Familienpflege 79, 91, 132 Familientrennung, siehe Auslandsadoption, unbegleitete, Sanktionen geöffnete Adoption 14, 29 ff., 46, 49, 59, 71, 97 ff. – Grenzen 35 f. – Hintergrund, sozialwissenschaftlicher 29 ff. – Identitätsentwicklung, Adoptivkind 33 f. – Normierung, gesetzliche 77 – Offenheit, strukturelle 34 – Verbindlichkeit, rechtliche 40, 46, 51 f. – Verbreitung 36 f. Görgülu 18 f. Haager Adoptionsübereinkommen – Anerkennung, automatische 116, 120 f., 126, 129 f. – Behörden, zentrale 115, 123 f., 126, 129, 134 – Geltung, universelle 135, 196 – Hintergund 113 ff. – Kooperation, zwischenstaatliche 177 f. – matching 126, 129, 190 ff. – Stiefkind- und Verwandtenadoption 122 f., 125, 127, 137 f., 192 f. – Subsidiaritätsprinzip 115, 123, 126, 129, 150, 194 f. – Ziele 115 f.
Heimerziehung 5, 12, 79 Herkunftsstaat 116, 131 home study, siehe Sozialbericht independent adoption, siehe Auslandsadoption, unbegleitete Inkognitoadoption 7 f., 34 f., 42, 76 f. Kindeswohl – Adoleszenz 2, 57 – Lebensspanne 57 Kollisionsrecht, Annahme als Kind 117 Konsolidierungsphase 59 Kraft des Faktischen, normative 11 Lebensgemeinschaft, nichteheliche – Eignungsprüfung, individuelle 110 ff. – gemeinschaftliche Fremdkindadoption 108 ff. Lebenspartnerschaft, eingetragene 101 ff. – Auswirkungen auf die Auslandsadoption 107 f. – gemeinschaftliche Fremdkindadoption 103 ff. – Vermittlungspraxis, Gleichstellung 106 f., 195 matching, siehe Haager Adoptionsübereinkommen, matching Mindesaltersabstand zwischen den Adoptiveltern und dem Kind 196 f. Minnesota-Texas Adoption Research Project 31, 60 Mutter – alleinerziehende 10 – leibliche, Abgabemotive 11 ff. nichteheliche Lebensgemeinschaft, siehe Lebensgemeinschaft, nichteheliche offene Adoption, siehe geöffnete Adoption open adoption agreement, siehe postadoption contact agreement ordre public, siehe Anerkennung, verfahrensrechtliche, ordre public Partnerschaft, gleichgeschlechtliche, siehe Lebenspartnerschaft, eingetragene Pflegekind, Abgabe 15
Sachregister Pflegekindschaft – Dauerhaftigkeit 79 ff. – rechtliche Absicherung 27 f., 96 ff. postadoption contact agreement 52 ff., 61 f., 64 f., 70 f. – Änderung 54 – Bestätigung, gerichtliche 54 – Vollstreckbarkeit 54 f. Postadoptionsbegleitung 49 f., 195 f. Privatadoption, siehe Auslandsadoption, unbegleitete psychologische Elternschaft, siehe Elternschaft, soziale Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung 1, 29 Reform – Adoptionsrecht, siehe Adoptionsrecht, historischer Hintergrund – Eherecht 6 – Kindschaftsrecht 6 f., 87 – Nichtehelichenrecht 6 – Sorgerecht 7, 24 révision au fond 141 Russische Föderation 131 ff. Scheinadoption 138 schwache Adoption 28, 86, 117 Selbstbeschaffungsadoption, siehe Auslandsadoption, unbegleitete Sorgerecht, elterliches 23 ff., 89 f., 96 f. Sozialbericht 125, 134 f., 165, 170, 178 f. special guardianship 97 starke Adoption, siehe Volladoption Stiefkindadoption 79, 88 f. Subsidiaritätsprinzip, siehe Haager Adoptionsübereinkommen, Subsidiaritätsprinzip subsidized adoption 65, 99 Substitutionsfrage 119 teiloffene Adoption, siehe geöffnete Adoption termination of parental rights 98 Umgang – Kommerzialisierung 64 – Kontakt 29 f., 38, 46 f., 51 – Recht auf U. der leiblichen Eltern nach einer Adoption 39 ff.
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– Recht auf U. der leiblichen Geschwister nach einer Adoption 45 – Recht auf U. der leiblichen Großeltern nach einer Adoption 45 – Recht auf U. des biologischen Vaters nach einer Adoption 21 f. Umgangskontaktvereinbarung 49 ff. – Dynamik 51 – Form, typische 59 f. – informell 60 f. – Kollision, elterliches Sorgerecht 67 ff. – konsensual, siehe Einwilligung, elterliche, in die Adoption, kooperative – Mediation 69 f. – Verbindlichkeit, rechtliche 58, 66 f. – Verfahren, gerichtliches 63 ff. – Vergleich, gerichtlich gebilligter 61 ff. – Vollstreckbarkeit 61 ff. Umwandlung ausländische Adoptionsentscheidung 150 unbegleitete (Auslands-)Adoption, siehe Auslandsadoption, unbegleitete Vater, biologischer – Auskunfsrecht 21 f. – Umgangsrecht 21 f. Vaterschaft – Anfechtung 17 f. – Feststellung 19, 73 – Unterscheidung: nichtehelich-ehelich 22 f. Volladoption 7 f., 27 f., 30, 91, 117 f. Vollzeitpflege 79 f., 93, 98 Voraussetzungen, Adoption 8 ff. Wächteramt, staatliches 11, 62, 85, 95 Wiederholungsadoption, inländische 139, 146, 150, 165, 186 wild adoption, siehe Auslandsadoption, unbegleitete Wirkungen der Adoption 13, 15, 27 ff., 37 Zwangsadoption, siehe Ersetzung der elterlichen Einwilligung in die Adoption Zweitadoption, inländische, siehe Wiederholungsadoption, inländische