Perspektiven der Bildungsberatung 9783666403644, 9783525403648, 9783647403649


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Perspektiven der Bildungsberatung
 9783666403644, 9783525403648, 9783647403649

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Adrian Jitschin / Alexander Brechtel / Katharina Dötzer (Hg.)

Perspektiven der Bildungsberatung

Vandenhoeck & Ruprecht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

Mit 7 Abbildungen und einer Tabelle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-40364-9 Umschlagabbildung: Chepko Danil Vitalevich/shutterstock.com © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Adrian Jitschin, Alexander Brechtel und Katharina Dötzer Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Barbara Lampe Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Theoretische Ansätze Verena Mager Berufswahlreife – empirische Befunde und Implikationen für die Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Alexander Brechtel Beschwerde- und Ideenmanagement an Hochschulen – eine Konzeptidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Kira Nierobisch Aktuelle gesellschaftliche Tendenzen im Bildungssystem und die Auswirkungen auf die Bildungsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Joachim Wenzel Chancen und Risiken Neuer Medien in der Bildungsberatung 89 Intermediäre Ansätze Barbara Sommer Methoden der Selbstfürsorge in der Beratung . . . . . . . . . . . . . . 104

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Inhalt

Adrian Jitschin Übertragung eines Qualitätsmanagements auf die fachbezogene Studienberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Meike Missler Studienabbruch und Bildungsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Kim Christin Moskopp Evaluation in der Bildungsberatung – erste Annäherungen

. 161

Praktische Ansätze Katharina Dötzer Spannungsfeld Information versus Beratung – ein Schulungsleitfaden für die Mitarbeiter einer Telefon-Hotline . 170 Annelie Schmidt Sich auf die Reise machen – ein Beratungskonzept für die Studienwahl in »Blanko«-Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Miriam Macak Umgang mit Dritten in der Beratung – Besonderheiten und Lösungsoptionen bei der Beratung von Migrantinnen und Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

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Adrian Jitschin, Alexander Brechtel und Katharina Dötzer

Vorwort

»Guter Rat ist teuer«, sagt der Volksmund. Dies gilt insbesondere für die Berufswahl. Man verbringt einen Großteil seines Lebens bei der Arbeit, sie ist Grundlage für Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung. Umso erstaunlicher ist deshalb die Unbedarftheit, mit der viele Menschen einen Beruf »wählen«. Ihre sogenannte »Wahl« ist häufig lediglich eine Abfolge von Zufällen und spontanen Assoziationen, nicht ein explizit reflektierter und bewusst gesteuerter Prozess. Immer noch konzentrieren sich mehr als drei Viertel aller Auszubildenden auf eine geringe Anzahl besonders beliebter Berufe. Dabei erkennen sie mitunter nicht alle Nachteile ihres gewählten Tätigkeitsfeldes und nehmen geeignetere berufliche Optionen nicht wahr. Dies führt zu Unglück – gesundheitliche und private Probleme, Überforderung im Wissenserwerb, Beschäftigung in befristeten, schlecht dotierten Stellen und Neuorientierung in fortgeschrittenem Alter sind nur einige Folgen einer verfehlten Berufswahl. Bildungsberaterinnen und -berater werden oft erst zu Rate gezogen, wenn ein Scheitern bereits stattgefunden hat. Sie sollen für eine Schadensbegrenzung sorgen und eine Berufsbiografie »retten«. Umso wichtiger ist es dann, dass sie professionell agieren. Es geht nicht bloß um Informationsvermittlung, sondern um Sensibilität für besondere psychische und soziale Bedingungen des Beratenen oder der Beratenen. Eine gute Bildungsberatung verkauft nichts – sie weist auf Entwicklungsmöglichkeiten und Optionen hin, zeigt eine neue Richtung auf und öffnet im Idealfall neue Türen. So individuell wie die Menschen sind, die eine Beratung aufsuchen, sind auch die Anforderungen an die Bildungsberatung. Auf der einen Seite des sozialen Spektrums arbeitet sie mit Langzeitarbeitslosen und bietet Strafgefangenen die Möglichkeit zur Wie© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Adrian Jitschin, Alexander Brechtel und Katharina Dötzer

dereingliederung. Auf der anderen Seite des Spektrums findet sie Weiterbildungsstudiengänge für hochbezahlte Akademikerinnen und Akademiker. Dazwischen liegt eine Vielzahl von Tätigkeitsfeldern von Bildungsberaterinnen und -beratern. Dieser Sammelband vereint Beiträge von Bildungsberaterinnen und -beratern aus unterschiedlichsten Arbeitsbereichen. Sowohl Praktikerinnen und Praktiker als auch theoretisch forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Selbstständige und öffentlich Bedienstete, Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger sowie »alte Hasen« sind hier vertreten. Geografisch stammen die Autorinnen und Autoren aus ganz Deutschland – von Flensburg an der Ostsee bis Friedrichshafen am Bodensee. Stellvertretend für die Praktikerinnen und Praktiker sei der Beitrag von Miriam Macak genannt, in dem sie der Frage nachgeht, wie mit dritten Personen in einer Beratungssituation umgegangen werden kann. Sie schildert ihre Erfahrungen aus der Migrationsberatung und leitet daraus Ratschläge für andere Bildungsberaterinnen und -berater ab. Für die Theoretikerinnen und Theoretiker sei pars pro toto der Beitrag von Verena Mager genannt, die in komprimierter Weise die Ergebnisse ihrer Studienabschlussarbeit vorstellt. Sie geht in Form einer Literaturstudie der Fragestellung nach, welche Gründe zur Wahl eines Berufes führen, und kommt auf Grundlage psychologischer Studien zu erstaunlichen Erkenntnissen. Sowohl die praxisorientierte als auch die theoriegeleitete Perspektive der Bildungsberatung bieten bereichernde Blickwinkel auf die Tätigkeit in diesem vielfältigen Berufsfeld. Während die praktischen Artikel dieses Sammelbandes auf Probleme hinweisen und diese erst in Worte fassen, bieten die theoretischen Artikel Hintergrundwissen zur besseren Strukturierung des Beratungsprozesses. Eine dritte Kategorie von Artikeln, hier als intermediäre Beiträge bezeichnet, vereint ein theoretisches Konzept mit einem Modell für die praktische Anwendung. Exemplarisch steht hierfür der Beitrag von Barbara Sommer. Sie geht auf das Konzept der Selbstfürsorge ein und stellt die Möglichkeiten zu dessen Umsetzung für Bildungsberaterinnen und -berater vor. Die Herausgeber haben bewusst auf eine übermäßige Glättung und Vereinheitlichung der unterschiedlichen Beiträge verzichtet. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

Vorwort9

Unterschiedliche Perspektiven empfinden wir als Bereicherung. Sie haben alle ihre Berechtigung und sollen hier gleichberechtigt und ergebnisoffen den Leserinnen und Lesern präsentiert werden. Gendergerechtigkeit und damit eine geschlechtergerechte Sprache sind uns sehr wichtig. Wir haben uns dennoch dafür entschieden, allen Autorinnen und Autoren selbst zu überlassen, ob sie die weiblichen und die männlichen Formen verwenden oder aus Gründen des Leseflusses prinzipiell das generische Maskulinum gebrauchen. Unabhängig davon, für welche Schreibweise sich eine Autorin, ein Autor entschieden hat, ist es uns ein Anliegen an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass in jedem Fall immer alle Geschlechter Berücksichtigung finden, auch wenn nicht immer alle geschlechtsspezifischen Formen sprachlich Verwendung gefunden haben. Unser Dank gehört in erster Linie den Autorinnen und Autoren, die trotz aller Unterschiede ihre Texte zuverlässig beigesteuert und prompt auf Nachfragen reagiert haben. Die Arbeitsatmosphäre während der Entstehung dieses Bandes gestaltete sich durchweg positiv und bereichernd. Diese Zusammenarbeit hat uns Herausgebern große Freude bereitet und wir bedanken uns sehr dafür. Weiterhin danken wir dem Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, das uns als Plattform für den Austausch diente und Kontakte zu Autorinnen und Autoren vermittelte. Mit Vandenhoeck & Ruprecht haben wir einen Verlag gefunden, der das Projekt wohlwollend unterstützte.

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Barbara Lampe

Grußwort

Nachdem Bildungsberatung im öffentlichen Bewusstsein lange Zeit nur am Rande wahrgenommen wurde, erleben wir seit einigen Jahren eine Kehrtwende. In einer »flüchtigen Moderne« (vgl. Bauman, 2003) gibt es keine gleichbleibenden Muster mehr, die den Lebensweg des Einzelnen in geregelten Bahnen lenken: Werte wandeln sich, Geschlechterrollen werden dekonstruiert, Globalisierung und Digitalisierung prägen das gesellschaftliche Bild. Die traditionellen Muster zur Selbstfindung, wie zum Beispiel die Vorstellung einer Normalbiografie oder eine durch Arbeit und Beruf gesicherte Identität, verlieren sich, gleichzeitig steht den Menschen eine große Palette möglicher Identitäten offen, aus denen sie wählen können. Beratungsangebote als Orientierungspunkte zur Lebensführung und Identitätsbildung werden gesucht (vgl. Keupp, 2005, S. 2 ff.; Barz, Kampik, Singer u. Teuber, 2001). Waren Bildungs- und Berufsbiografien  – jedenfalls was den männlichen Teil der Bevölkerung betraf – vor vierzig Jahren noch durch eine lineare Entwicklung geprägt (Schule, Ausbildung/Studium, Berufsausübung bei meist demselben Arbeitgeber bis zum Ruhestand), so kennzeichnen Übergänge und Brüche sowie, damit verbunden, Weiterbildungen und berufliche Umorientierungen das Bildungs- und Erwerbsleben. Suchten (und fanden) Menschen früher noch Rat im Familien- und Freundeskreis, so steht dieser alltägliche Rat heute oft nicht mehr zur Verfügung oder »diese Personenkreise [verfügen] nicht über die notwendigen Kompetenzen […], um angesichts der komplexen Anliegen beraten zu können« (Schiersmann u. Weber, 2013, S. 20). Zwar ist die »Ratbedürftigkeit« dem Wesen des Menschen eigen – Katharina Gröning spricht mit Verweis auf Aristoteles, der die »Wohlberatenheit« in der Nikomachischen Ethik als zehnte Tugend nennt, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

Grußwort11

von einem allgemein menschlichen Zustand (Gröning, 2011, S. 39) – in einer sich entgrenzenden Welt tritt sie nur deutlicher zu Tage. Die EU-Strategie des »lebenslangen Lernens« ist eine Antwort auf diese internationalen Veränderungen der Lebensverhältnisse in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Sie hat konsequenterweise auch zu einer Neubewertung von Beratung im Kontext von Bildung, Beruf und Beschäftigung geführt. Der Beratung wird dabei eine Unterstützungsfunktion zugedacht, die wesentliche Voraussetzung dafür sein soll, dass die Strategie des »lebenslangen Lernens« erfolgreich umgesetzt werden kann. In diesem Kontext wird Beratung immer mehr verstanden als ein »Dienstleistungsangebot«, das darauf ausgerichtet ist, Individuen jeden Alters und zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens dabei zu unterstützen, Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsentscheidungen auf einer gut vorbereiteten und informierten Basis eigenständig zu treffen und ihr Berufsleben selbst in die Hand zu nehmen. Bildungsund Berufsberatung hilft Menschen, sich über ihre Zielvorstellungen, Interessen, Qualifikationen und Fähigkeiten klar zu werden. Sie hilft ihnen, den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem zu verstehen und diese Kenntnisse auf das zu beziehen, was sie selbst über sich wissen. Umfassende Bildungs- und Berufsberatung erschließt Informationen über den Arbeitsmarkt und über Bildungsmöglichkeiten, indem sie diese organisiert, systematisiert und verfügbar macht, wann und wo Menschen sie benötigen« (OECD, 2004, S. 19). Im Zuge dieser Entwicklungen ist in Deutschland ein sehr heterogener Anbietermarkt entstanden, der durch den Wegfall des Vermittlungs- und Beratungsmonopols der Agentur für Arbeit im Jahr 1998 boomt. Beratung für unterschiedliche Zielgruppen in unterschiedlichen Ausdifferenzierungen bieten an: kommunale Stellen, Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern, Personalentwicklungsabteilungen in Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräte, private Karriereberater und Coachinganbieter, Projektträger von Programmen, die Bildungsberatungsagenturen der Lernenden Regionen, freie Träger, (Weiter-)Bildungseinrichtungen, einzelne Lehrende (z. B. in Schulen oder Hochschulen), die Studierendenberatungsstellen an Hochschulen, die Agenturen für Arbeit, Jobcenter, Arbeitslosenprojekte, private Arbeits- und Perso© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Barbara Lampe

nalvermittlungen. Die Aufgabengebiete reichen von der Bildungslaufbahnberatung, Berufseinstiegsberatung, der beruflichen Entwicklungsberatung, Weiterbildungsberatung, Kompetenzbilanzierung, Karriereberatung im Feld der personenbezogenen Beratung bis hin zur Qualifizierungsberatung oder Beratung von Bildungsinstitutionen im Feld der organisationsbezogenen Beratung (vgl. Schiersmann, Bachmann, Dauner u. Weber, 2008, S. 12). Für einen Teil der in diesem Feld arbeitenden Menschen ist beraterisches Handeln Hauptaufgabe der beruflichen Tätigkeit (z. B. in trägerübergreifenden Beratungsstellen). Für einen anderen Teil ist das Beratungshandeln hingegen eine Aufgabe unter anderen innerhalb ihrer Berufstätigkeit (z. B. in Weiterbildungseinrichtungen oder in Bildungsprojekten). Da Anforderungsprofile für die jeweiligen Aufgaben bzw. Tätigkeiten lange Jahre fehlten, sind in der Bildungsberatung Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen tätig (Hochschulabschlüsse in unterschiedlichen Fachrichtungen, verschiedenste Berufsausbildungen, langjährige beraterische Praxis ohne theoretische Vorkenntnisse, aber auch beraterische Zusatzausbildungen etc.). Auf den Schultern der Bildungsberater und -beraterinnen lastet dabei viel. Ihre Aufgabe ist mit einer hohen Verantwortung verbunden. Sie sind diejenigen, die in einem dialogischen Prozess mit Interventionen und Informationen den Ratsuchenden bei einer Bildungs- und Berufsentscheidung unterstützen, die in vielen Fällen eine entscheidende Zäsur für den künftigen Lebenslauf bedeutet. Doch damit nicht genug. Denn darüber hinaus soll die Dienstleistung »Beratung« unter anderem auch dazu beitragen, dass die Weiterbildungsbeteiligung steigt, dass sich Fehlallokationen und Abbruchquoten verringern und damit Effizienz und Effektivität des Bildungssystems erhöht werden. Zielsetzung ist es, die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes durch die Bereitstellung eines optimal qualifizierten Arbeitskräftepotenzials zu stärken (vgl. Schiersmann et al., 2008, S. 27; Schiersmann u. Weber, 2013, S. 253). Diese strategisch auf die Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtete Funktion von Beratung führt zu einem Dilemma. Einerseits ist sie ein wichtiges Argument, um politisch einem – noch nicht existierenden – kohärenten Beratungssystem zum Durchbruch zu verhelfen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

Grußwort13

und insofern notwendig. Andererseits kann eine zu starke Fokussierung auf »Employability«-Aspekte das Verständnis von Beratung überlagern, ja verdrängen, wie es Mollenhauer und Müller (1965) als ein »pädagogisches Phänomen« beschreibt, das Raum zum reflektierenden, dialogischen Innehalten in wie auch immer gearteten Veränderungsprozessen gibt. Der Beratene mit seinem Anliegen wäre dann nicht mehr »Subjekt der Situation« (S. 34); die Berater wären nicht diejenigen, die in einem dialogischen, immer transparenten Verstehensprozess mit pädagogischen Interventionen und Informationen den Ratsuchenden in die Lage versetzen, aus einer neuen Aufgeklärtheit heraus selbstermächtigt seine Fragestellung zu beantworten (vgl. S. 34). An die Stelle der Subjektorientierung würde die Orientierung auf das Bildungs- und Beschäftigungssystem treten. In diesem Zusammenhang steht auch die derzeit geführte Diskussion der Wirkung von Beratung. Unzweifelhaft ist, dass wir noch relativ wenig wissen über die Wirkmacht von Beratung. Forschung tut also not. Unstrittig ist auch, dass Beratung, zuvorderst öffentlich geförderte, sich gegenüber Geldgebern und politisch Verantwortlichen legitimieren muss, die sich nicht mit der lapidaren Aussage zufriedengeben, dass Bildungsberatung nützlich ist. Dabei wird aber die Wirksamkeit meist von der ökonomischen Seite her betrachtet. Käpplinger (2010; siehe auch Käpplinger, Klein u. Haberzeth, 2014) verweist darauf, dass Nutzen von Bildungsberatung nicht nur »materieller Natur« sein muss. Er entwickelt ein Netzwerk von Nutzungsdimensionen, das auch immaterielle Aspekte in den Blick nimmt, wie zum Beispiel sich persönlich weiterzuentwickeln, besser handeln oder sich besser entscheiden zu können (vgl. Käpplinger, 2010, S. 33). Er plädiert dafür, den »Nutzenbegriff pädagogisch-konzeptionell substantiell zu füllen, um politisch- und ökonomisch-instrumentellen Engführungen gegenzusteuern« (S. 34). Dass bildungspolitisch-ökonomischer Nutzen und persönlicher Nutzen dabei schnell in ein Spannungsverhältnis geraten können, zeigt ein Beispiel aus dem Hochschulbereich: Der Student der Rechtswissenschaft, der, unglücklich und unzufrieden über die Wahl seines Studienfachs, nach mehreren Beratungsterminen in der Zentralen Studienberatung den wohlüberlegten Beschluss fasst, sein Studium abzubrechen, würde die Abbrecherquote trotz Beratung in der Sta© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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tistik erhöhen; womöglich hat ihn aber gerade die Beratung auf dem Weg eines gelingenden, selbstverantwortlichen Lebens ein Stück weit begleitet. Die Gefahr besteht, dass bei einer Kosten-NutzenRechnung, die rein ökonomisch ausgerichtet ist, diejenigen Beratungsleistungen wegfallen, die in diesem Modell nicht effektiv und effizient sind. Schiersmann et al. (2008) sprechen im Zusammenhang ihrer Arbeiten zur Qualitätsdiskussion von einer »Multiakteursperspektive« (S. 25 ff.). Danach haben neben den Beratern und Beraterinnen verschiedene andere Akteure »berechtigte Interessen an der Beratungsqualität«. Neben den Beratenen selbst nennen sie die Organisation und Leitung einer Beratungsstelle sowie »Öffentlichkeit, Politik und Staat als Geldgeber und Gesetzgeber, denen gegenüber die Legitimität der Leistung begründet werden muss« (S. 27). Die Qualitätsansprüche der verschiedenen Akteure sind nicht deckungsgleich, sie stehen zuweilen in einem Spannungsverhältnis. Schiersmann et al. (2008) entwickeln dazu eine grafische Darstellung, in der deutlich wird, dass für den Anbieter von Beratung – also die Organisation – unter anderem Ressourceneffizienz oder die Sicherung der Marktposition ein wichtiges Qualitätskriterium ist, für die staatlichen Geldgeber die zweckmäßige Nutzung der eingesetzten Mittel; Beratern und Beraterinnen geht es um das Wohl des Beratenen, der wiederum die Beratung aufsucht, um Unterstützung bei der Lösung eines Problems zu erhalten (vgl. S. 27). Berater und Beraterinnen agieren demnach in hochkomplexen Zusammenhängen. Dilemmata-Situationen bleiben nicht aus. Dies erfordert neben Feld- und Fachkompetenzen vor allem eine professionelle Selbstreflexion. Um Raum zu geben, im kollegialen Miteinander die eigene Praxis mit ihrer gesellschaftlichen und organisationalen »Rahmung« zu reflektieren und dabei die eigenen Beratungskompetenzen weiterzuentwickeln, wurde vor allem für die Berater und Beraterinnen des damaligen Bundesprogramms »Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken« 2004 die Basisqualifizierung »Bildungsberatung & Kompetenzentwicklung« von Praktikern der Lernenden Regionen sowie den Universitäten Mainz und Leipzig entwickelt. Ende 2006 haben sich weitere Lernende Regionen zu einem Verbund zusam© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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mengeschlossen, die als Regionale Qualifizierungszentren (RQZ) die Weiterbildung bis heute an unterschiedlichen Orten auf der Grundlage eines gemeinsamen Rahmencurriculums durchführen. Mittlerweile betreibt der Verbund nach Ende der Förderperiode bundesweit acht Regionale Qualifizierungszentren. Koordiniert wird das bundesweite Netzwerk vom Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Damit wurde ein qualitätsgesichertes, flächendeckendes Angebot geschaffen, das sowohl denjenigen eine professionelle Handlungsgrundlage bietet, die Beratung als eine unter anderen Aufgaben wahrnehmen, als auch jenen, die Beratung als ihre berufliche Kernaufgabe verstehen, ohne dafür ein entsprechendes Hochschulstudium oder eine Zusatzausbildung durchlaufen zu haben. Bei der Entwicklung der Qualifizierungsinhalte waren verschiedene Grundannahmen leitend: ȤȤ Wir verorten Bildungsberatung in der pädagogischen Beratung. Das Wort »Bildung« in dem zusammengesetzten Begriff »Bildungsberatung« grenzt damit nicht nur das Feld ab, in dem die Beratung stattfindet – also Weiterbildungsberatung, Schullaufbahnberatung, Studienberatung usw. und so fort, es ist außerdem unmittelbar verknüpft mit der Möglichkeit des Beratenen, durch unterstützende Informationen und Interventionen zu einer Mündigkeit zu gelangen, die es ihm erlaubt, autonom eine Entscheidung für sein Bildungsproblem treffen zu können. Damit stehen wir in der Tradition von Klaus Mollenhauer, der für die pädagogische Beratung vor fast fünfzig Jahren formulierte: »Wenn man gelten lassen will, daß Initiative und Selbständigkeit, die Fähigkeit, subjektive Problemlagen zu formulieren und zu objektivieren, daß Information und Aufklärung, daß Engagement zu konstituierenden Bestandteilen einer modernen Bildung gehören, dann darf man vermuten, daß die Beratung ein pädagogischer Vorgang ist, in dem Bildungsmöglichkeiten in exponierter Weise sich realisieren lassen« (1965, S. 35). Dieser pädagogische Bezug, der sich auch in der OECD-Definition von Bildungsberatung wiederfindet (2004, S. 19), hat Konsequenzen sowohl für den Beratungsprozess als auch für die Haltung der Berater, insofern der Beratungsprozess geprägt ist © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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von gegenseitigem Verstehen und gegenseitiger Wertschätzung: Das Anliegen des/der Beratenen steht zu jedem Zeitpunkt im Mittelpunkt der Beratung. ȤȤ Bildungsberatung ist ein Beziehungsgeschehen zwischen zwei Menschen oder in einer Gruppe. Die Beteiligten nehmen einander wahr und reagieren aufeinander. Der Berater oder die Beraterin bringt in diesen Prozess spezifische Fragen, Informationen, Anregungen oder Vorschläge ein. Diese Interventionen zielen darauf ab, Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung bei denen zu unterstützen, die eine Beratung in Anspruch nehmen. Dabei ist der Beratungsprozess keine »closed box«. Er wird beeinflusst von Systemen, die Berater und Ratsuchende »mitbringen«; zudem wirken auf ihn auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und das Umfeld der jeweiligen Organisation, in der die Beratung stattfindet, ein. ȤȤ Beratung ist eine Begleitdimension jeglicher Bildungsarbeit: Beraterisches Handeln kommt in vielen Institutionen vor, ohne dass es immer personell und arbeitsorganisatorisch als eigener Bereich ausdifferenziert ist. Gleichzeitig umfassen die Aufgaben in der Beratungsarbeit nicht nur den reinen Beratungsprozess. In zunehmendem Maße müssen Berater und Beraterinnen Schnittstellen-, Informations- und Qualitätsmanagement betreiben. Sie müssen die Veränderungen auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt im Blick haben und gesellschaftliche Strömungen erkennen und einordnen können. ȤȤ Bildungsberatung ist ein integrativer Ansatz, der verschiedene Formen unterstützenden Handelns verbindet: Diese können neben Beratung im eigentlichen fachlichen Sinn unter anderem auch die Handlungsformen »Informieren« oder »Anleiten« sein. Um dies zu verdeutlichen: Die Technikerin, die auf der Suche nach einem ganz bestimmten Programmierkurs ist, wird hauptsächlich Informationen benötigen. Die Berufsrückkehrerin, die nach längerer Elternzeit eine berufliche Perspektive finden möchte, braucht Beratung im Sinne von Unterstützung zur Selbstklärung. Der Jugendliche am Übergang von der Schule in den Beruf, der noch nie eine Bewerbung geschrieben hat, braucht auch Anleitung. Die Professionalität besteht darin, die jeweils © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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angemessene Handlungsform zu wählen und die Übergänge zwischen ihnen gestalten zu können, denn nicht immer sind diese Handlungsformen in der Realität trennscharf. Weil es bei Beratung um ein Denken, Verhalten und Handeln geht, das sich im konkreten Tun niederschlägt, braucht es ein ebensolches bewusstes Tun für das Erlernen und Einüben von Beratung. Dies wiederum bedeutet ein erfahrungsorientiertes Arbeiten, das die Beratung in die Fortbildung hineinnimmt. Damit werden die Prozesse, Herausforderungen, Handlungsabläufe und Techniken, die für Situationen mit Beratungscharakter konstitutiv sind, in der Fortbildung vergegenwärtigt. So wird zugleich die Reflexivität gefördert, die zum Beratungshandeln dazugehört. »Beraten lernen« bedeutet also, die eigene Person einzubeziehen, praktische Erfahrungen zu machen, diese zu reflektieren und mit Informationen zu verknüpfen. Es geht nicht darum, den Lerngegenstand abzubilden (»wir stellen dar, was Beratung ist und bedeutet«), sondern ihm tatsächlich Raum zu geben (»wir erfahren Beratung«). Nur so entwickeln sich Verstehen und das damit verbundene Wissen und Können. So wurde eine Weiterbildung entwickelt, in der in einzelnen Arbeitseinheiten spezifische Modelle, Theoriebestände, Untersuchungsergebnisse einerseits erschlossen und andererseits mit der beruflichen Praxis der Teilnehmenden verknüpft werden. Diese Verbindung von Inhalten und direktem Anwendungsbezug wird methodisch angeregt und gefördert durch praktische Übungen, durchlaufende Gruppen zur Erarbeitung, Überprüfung und Weiterentwicklung von Beratungskompetenzen sowie praxiserschließende und gestaltende Aufgaben für die Zeit zwischen den Modulen. Dem personenbezogenen, erfahrungsorientierten Lernen von Beratung entspricht auch die Form des Abschlusses. Die Teilnehmenden erfassen und dokumentieren ihren Kompetenzgewinn, indem sie eine Abschlussarbeit entsprechend der Methoden des Programms verfassen. Diese Abschlussarbeit widmet sich einem Thema aus der Tätigkeit der Teilnehmenden. Hierbei kann es um Beratung im engeren Sinne, aber auch um Fragen der institutionellen Einbindung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Entwicklung eines neuen Arbeitsbereichs © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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usw. gehen. Aufgabe ist es, die Problemstellung zu erläutern sowie die Vorgehensweise darzustellen und zu reflektieren. In einem Abschlusskolloquium werden die Arbeiten ausgetauscht, mithilfe von Fragestellungen bearbeitet und schließlich diskutiert. Dieser kollegiale Reflexionsgang setzt die Grundstruktur der Beratungstrainings aus den einzelnen Modulen fort und verbindet sie mit der Beschreibung und Sicherung des individuellen Lerngewinns. Aus dem Kreis der Absolventen, die im Regionalen Qualifizierungszentrum Mainz des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes Gutenberg-Universität die Weiterbildung abgeschlossen haben, kam die Initiative für diesen Sammelband. Die Gruppe hat sich nach Ende der Qualifizierung nicht aufgelöst, sondern ein Netzwerk gebildet, externe Autoren für ihr Projekt gewonnen und selbstgesteuert auf der Basis gemeinsamer Beratungserfahrung und Reflexionen ihren Weg fortgesetzt. Das macht dankbar und stolz. Und es zeigt, über welches großes Potenzial und welche hohe Kompetenz Bildungsberaterinnen und -berater verfügen. Das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes GutenbergUniversität Mainz freut sich sehr über diese Initiative. Wir sehen es als sehr positives Zeichen, dass eine neue Generation von Beratern und Beraterinnen das Staffelholz ergreift und – auch mithilfe dieses Bandes – die Professionalisierung der Bildungsberatung fortschreibt.

Literatur Bauman, Z. (2003). Flüchtige Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Barz, H., Kampik, W., Singer, T., Teuber, S. (2001). Neue Werte ‒ Neue Wünsche. Wie sich Konsummotive auf Produktentwicklung und Marketing auswirken. Delphi-Studie Future Values. Düsseldorf u. Berlin: Walhalla und Praetoria. Gröning, K. (2011). Pädagogische Beratung. Konzepte und Positionen (2. akt. u. überarb. Aufl.). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Käpplinger, B. (2010). Nutzen von Bildungsberatung. Konzeptionelle Eckpunkte vor dem Hintergrund britischer Forschungsergebnisse. DIE. Zeitschrift für Erwachsenenbildung, Wirksame Weiterbildungsberatung, 2, 32–35. Käpplinger, B., Klein, R., Haberzeth, E. (Hrsg.) (2014). Weiterbildungsgutscheine. Wirkungen eines Finanzierungsmodells in vier europäischen Ländern. Bielefeld: W. Bertelsmann. Keupp, H. (2005). Beratungsziel: Fitness für den Markt oder Selbstsorge in der Zivilgesellschaft? Menschenbildoptionen der Beratung in der globalisier-

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ten Welt. Vortrag bei der Ringvorlesung »Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung« an der Technischen Universität Dresden am 22. Juni 2005. Zugriff am 21. 03. 2014 unter http://www.ipp-muenchen.de/texte/keupp_ dresden.pdf Mollenhauer, K., Müller, C. W. (1965). »Führung« und »Beratung« in pädagogischer Sicht. Heidelberg: Quelle & Meyer. OECD (Hrsg.) (2004). Guidance and public policy – bridging the gap. Zugriff am 31. 03. 2014 unter http://www.oecd.org/education/innovation-education/34050171.pdf Schiersmann, C., Bachmann, M., Dauner, A., Weber, P. (2008). Qualität und Professionalität in Bildungs- und Berufsberatung. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Schiersmann, C., Weber, P. (2013). Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Eckpunkte und Erprobung eines integrierten Qualitätskonzeptes. Bielefeld: W. Bertelsmann.

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Theoretische Ansätze

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Verena Mager

Berufswahlreife – empirische Befunde und Implikationen für die Beratungspraxis

Vorbemerkungen Heutzutage besteht für Jugendliche und Erwachsene, die sich mit der Berufswahl beschäftigen, das Problem, dass sie zwischen circa 9.466 grundständigen Studiengängen (Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz, 2012) sowie 344 anerkannten Berufsausbildungen (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2011) wählen können. Durch diese große Auswahlmöglichkeit besteht einerseits der Vorteil, dass eine Vielzahl von Interessens- und Fähigkeitskombinationen abgedeckt wird. Andererseits fühlen sich viele Berufswählende dadurch überfordert. Denn letztlich müssen sie ihre eigenen Fähigkeiten, Vorlieben und Kenntnisse abschätzen und mit den Anforderungen des jeweiligen Berufszweiges vergleichen. Die entwicklungstheoretische Forschung beschäftigt sich seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Frage, ob junge Erwachsene überhaupt in der Lage sind, eine solche Entscheidung zu treffen, bzw. die nötige Entwicklung durchlaufen haben, um dies zu tun. Innerhalb seiner entwicklungstheoretisch orientierten Berufswahltheorie führte Donald E. Super (1955) das Konzept der Berufswahlreife ein. Entwicklungsaufgaben sind für Super zunächst einmal universell, also für jeden gültig. Individuelle Entwicklungsverläufe entstehen dadurch, dass jedes Individuum anders mit Aufgaben umgeht und diese auf unterschiedliche Weise löst. Entwicklungsaufgaben haben einen großen Einfluss auf die sich anschließenden Lebensphasen. Können die Aufgaben erfolgreich bewältigt werden, hat dies Zufriedenheit und Erfolg bei späteren Entwicklungsaufgaben zur Folge. Werden die Aufgaben jedoch unzureichend gelöst, führt dies auch zu Schwierigkeiten mit nachfolgenden Aufgaben. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Auch in der Theorie von Havighurst (1974) treten Entwicklungsaufgaben stets in bestimmten Lebensphasen auf und können so den Lebenslauf strukturieren (Montada, 2008). Berufswahl im Zusammenhang der Berufswahlreife ist für diesen Ansatz als Entwicklungsaufgabe zu verstehen, welcher sich Heranwachsende gegenüber sehen. Um die Relevanz des Konzepts der Berufswahlreife zu verdeutlichen, soll in diesem Beitrag zunächst eine theoretische Hinleitung zum Konzept der Berufswahlreife erfolgen. Im Anschluss daran wird die konzeptionelle Entwicklungsgeschichte des Begriffs vorgestellt. Nachfolgend findet sich eine Diskussion empirischer Befunde, die sich auf Korrelate, Auswirkungen und Fördermöglichkeiten der Berufswahlreife bezieht. Diese werden in Zusammenhang mit dem Einsatz des Konzepts in der Beratungspraxis gestellt.

Der Begriff »Berufswahlreife« und seine konzeptionelle Entwicklungsgeschichte In der nachfolgenden theoretischen Hinführung zum Konzept der Berufswahlreife werden zunächst die Begriffe »Reife« und »Berufswahlreife« näher erörtert. Im Anschluss daran erfolgt eine kurze Vorstellung der Entwicklungsgeschichte des Konzepts. Neben seiner forschungsprägenden Definition der Entwicklungsaufgaben, welche jedem Individuum begegnen, beschreibt Havighurst (1974) drei Ursachen für deren Entstehung: (1) »Physical maturation«, (2) »Cultural pressure of society« und (3) »The personal values and aspirations of the individual« (S. 5). Somit ist Reifung eine der Quellen der Entwicklungsaufgaben und tritt aufgrund dessen mit der Berufswahl als einer der Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz in Verbindung (vgl. auch Montada, 2008). In der Entwicklungspsychologie wird die individuelle Reifung negativ definiert, was bedeutet, dass andere Einflüsse auf ein erworbenes Verhalten, wie Lernen, Erziehung und Sozialisation, erst ausgeschlossen werden müssen, bevor diese Verhaltensveränderung auf Reifung zurückgeführt werden kann (vgl. Montada, 2002). Zudem muss die Verhaltensänderung in einem bestimmen Alter auftreten und als universell gelten, also für jedes Individuum gültig sein. Erst dann gilt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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das veränderte Verhalten als durch Reifung verursacht (vgl. Montada, 2002). In der Vergangenheit wurde die erreichte individuelle Reife oft als Abgrenzung des erwachsenen vom kindlichen Handeln aufgefasst, was wiederum bedeuten würde, dass die Reifeprozesse bei Erreichen des Erwachsenenalters als abgeschlossen angesehen wurden (Super et al., 1957). Nach heutigem Kenntnisstand wird das Erwachsenenalter nicht mehr als Endpunkt der Entwicklung bzw. Reifung angesehen. Bereits 1955 formulierte Super, dass angesichts des »life long learning« ein anderer Vergleichspunkt gefunden werden müsse, um zu beurteilen, ob ein Individuum als reif bezeichnet werden könne. Dabei solle Berufswahlreife als ein bestimmter Punkt auf der individuellen Linie der beruflichen Entwicklung aufgefasst werden, den ein Individuum zu einem Zeitpunkt erreicht habe. Bezüglich der Berufswahlreife schlagen Super et al. (1957) vor, diese anhand zweier Kriterien zu definieren und somit zugleich zwei Referenzpunkte zur Beurteilung der individuellen Reife zu bestimmen: 1. Durch die Vocational Maturity I. Hierunter verstehen Super et al. (1957) den individuellen Lebensabschnitt, zu dem vom Individuum erwartet wird, abhängig von seinem jeweiligen biologischen Alter berufswahlreifes Verhalten zu zeigen. 2. Durch die Vocational Maturity II. Hierunter verstehen Super et al. (1957) das individuelle Verhaltensrepertoire, über das eine Person verfügt, um seine Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Hierbei ist es unwichtig, ob die aktuelle Entwicklungsaufgabe typisch für das Alter der Person ist oder nicht. Eine solche zweifache Definition der Berufswahlreife wirft ein entscheidendes Problem für die Beurteilung der individuellen Berufswahlreife auf: Eine Person kann nach der einen Definition als reif gelten, nach der anderen jedoch nicht (Super et al., 1957). Daher ist somit in jedem Fall darauf zu achten, auf welche Definition Bezug genommen wird.

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Abbildung 1: Die konzeptionelle Entwicklungsgeschichte der Berufswahlreife

In Abbildung 1 wird die Entwicklungsgeschichte des Konzepts der Berufswahlreife zusammenfassend dargestellt, dabei werden zugleich die wichtigsten Änderungen werden aufgezeigt. Nachfolgend soll diese Entwicklung kurz skizziert werden. Super (1955; siehe auch Super et al., 1957) führte das Konzept der Berufswahlreife (Vocational Maturity) als mehrdimensionales Konstrukt ein, welches die folgenden Dimensionen enthalten sollte: Orientierung hin zur Berufswahl, Informationen und Planung, Konsistenz der beruflichen Präferenz, Kristallisation von Eigenschaften, Realitätsangemessenheit der beruflichen Präferenzen. Crites (1974) unterschied nachfolgend Inhalts- und Prozessvariablen der Berufswahlreife. Dabei subsummierte er die Konsistenz und die Realitätsangemessenheit der Berufswahl unter den Inhaltsvariablen, die Berufswahlreifeeinstellungen und -kompetenzen unter den Prozessvariablen. In den deutschsprachigen Raum wurde das Konzept der Berufswahlreife von Seifert eingeführt (1985, 1987, 1993). Dabei definierte er diese als »Fähigkeit und Bereitschaft zur Inangriffnahme und effektiven Bewältigung der mit der Berufswahl zusammenhängenden phasentypischen Entwicklungsaufgaben« (Seifert, 1987, S. 188). Darüber hinaus integrierte er das Konstrukt des beruflichen Selbstkonzepts in seine Auffassung der Berufswahlreife. In den letzten Jahren erfolgte dann eine mehrfache Umbenennung des Konstrukts. Zunächst führte Savickas (1997, 2005) die Bezeichnung der Career Adaptability ein, um den Fokus von der Ado© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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leszenz bzw. der primären Berufswahl wegzulenken, hin zu einem Entwicklungsbegriff, der die gesamte Lebensspanne umfasst. Durch Einführung der Berufswahlbereitschaft wurden sowohl Umweltfaktoren als auch arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften im Verständnis der Berufswahlreife berücksichtigt (Hirschi u. Läge, 2006). Zuletzt wurde durch Ratschinski (2008, 2012) die Bedeutung von selbstregulatorischen Kompetenzen betont, wobei er sich auf die Bezeichnung Berufswahlkompetenz festlegte.

Empirische Befunde und Implikationen für die Beratungspraxis Nachfolgend soll die aktuelle Forschungsliteratur zusammengefasst werden. Dabei geht es darum, das Konzept der Berufswahlreife mit anderen psychologisch orientierten Konzepten in Verbindung zu bringen und mögliche Zusammenhänge darzustellen. Hierzu wird auf Korrelate, Auswirkungen und Förderbarkeit der Berufswahlreife eingegangen. Die dargestellten Ergebnisse beruhen auf einer Bachelorarbeit (vgl. Mager, 2012). Korrelate der Berufswahlreife: Die Berufswahlreife zeigt in der vorhandenen Literatur zumeist große Zusammenhänge zum Alter (vgl. Patton u. Creed, 2001, 2002; Creed u. Patton, 2003a, 2003b; Hirschi, 2009). Zum Geschlecht konnte die Berufswahlreife jedoch nicht einheitlich in Verbindung gebracht werden. Die empirischen Ergebnisse dazu variieren stark von Studie zu Studie (vgl. Super u. Nevill, 1984; Patton u. Creed, 2002; Creed u. Patton, 2003a; Flouri u. Buchanan, 2002; Hirschi u. Läge, 2007). Dabei erreichten teilweise Mädchen, teilweise Jungen höhere bzw. niedrigere Ergebnisse in den Untersuchungen zur Ausprägung der Berufswahlreife. Der sozioökonomische Status der untersuchten Personen kann nicht mit dem Grad der Berufswahlreife in Verbindung gebracht werden, er scheint also für deren Entwicklung nicht von Relevanz zu sein (vgl. Nevill u. Super, 1988; Creed u. Patton, 2003b). Stattdessen zeigten sich Effekte des kulturellen Hintergrunds der untersuchten Personen (vgl. Lundberg, Osborne u. Miner, 1997; Lee, 2001) sowie des Grades der Akkulturation von Personen mit Migrationshintergrund (Hardin, Leong u. Osipow, 2001). Weiterhin konnten keine einheitlichen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Einflüsse des familiären Kontextes bzw. Umfelds auf die Entwicklung der Berufswahlreife konstatiert werden (Flouri u. Buchanan, 2002; Hughes, 2011). Als einziger möglicher negativer Einflussfaktor trat jedoch die väterliche Überbehütung auf (Mager, 2012; vgl. Hughes, 2011). Demgegenüber steht die Berufswahlreife positiv mit dem Konstrukt des Commitment to Work (CtW) in Zusammenhang, welches sich als starker Prädiktor herausstellte (Super u. Nevill, 1984; Nevill u. Super, 1988; Patton u. Creed, 2002; Creed u. Patton, 2003b). Dabei kann Commitment to Work in diesem Zusammenhang als die individuell aufgefasste Relevanz des eigenen Eintritts in die Berufswelt verstanden werden (Creed u. Patton, 2003b). Zudem finden sich Zusammenhänge zwischen Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstkonzept auf der einen und Berufswahlreife auf der anderen Seite (vgl. Flouri u. Buchanan, 2002; Creed u. Patton, 2003b; Hughes, 2011). Auswirkungen der Berufswahlreife: Die Berufswahlreife wird nicht nur durch bestimmte Variablen positiv oder negativ beeinflusst, sie selbst hat einen Einfluss auf andere Aspekte des individuellen Lebens. So zeigt sie Auswirkungen auf das spätere Studien- und Arbeitsleben. Darüber hinaus können auch Einflüsse auf persönliche Variablen wie beispielsweise das persönliche Machtgefühl oder die Lebenszufriedenheit gefunden werden (vgl. Seifert, Bergmann u. Eder, 1987; Bergmann, 1993; Seifert, 1993; Farrell u. Horvath, 1999; Hirschi, 2009). Förderung der Berufswahlreife: Verschiedene Studien zeigen, dass die Berufswahlreife in ihrer Ausbildung unterstützt werden kann. Dabei konnten verschiedene Methoden den Grad der individuellen Berufswahlreife steigern (vgl. Seifert, 1985; Hirschi u. Läge, 2008). So eignen sich beispielsweise Methoden der Computerförderung oder der Kleingruppenförderung (Glaize u. Myrick, 1984). Darüber hinaus fand Seifert (1985) heraus, dass folgende Maßnahmen positive Einflüsse auf die individuelle Ausprägung der Berufswahlreife ausüben: individuelle Beratung, psychologische Neigungstests, Besuch von Berufsmessen und Besuch von Firmen.

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Die aktuelle Theorienlage und deren Bedeutung für die Praxis Als eine entscheidende Entwicklung innerhalb der konzeptionellen Theorien der Berufswahlreife kann die Unterscheidung von Einstellungs- und Kompetenzdimensionen der Berufswahlreife durch Crites (1974) angesehen werden. Nicht nur für die Theorie wurde diese Differenzierung bedeutsam, indem sie von allen nachfolgenden Konzeptionen übernommen wurde, auch in der beratungsbezogenen Praxis spielt sie eine entscheidende Rolle. So ist es nun auch in Bezug auf die Fördermaßnahmen möglich, bezüglich Kompetenzen und Einstellungen zu unterscheiden: Um die Berufswahlreifekompetenzen zu fördern, kann beispielsweise der Aufbau von Entscheidungs-, Informations- oder Planungskompetenzen innerhalb der Beratungssituation unterstützt werden. Weiterhin kann die Berufswahlreifeeinstellung durch Anregung zur Reflexion bezüglich Planungsbereitschaft oder Explorationsbereitschaft gesteigert werden. Seit der Einführung des Konstrukts der Berufswahlreife (Super, 1955) wird deren Anwendbarkeit für Erwachsene diskutiert. Sowohl in älteren als auch in jüngeren Arbeiten wird das Thema aufgegriffen. In Studien zur Berufswahlreife wird die Zielgruppe der Erwachsenen nach wie vor vernachlässigt (Mager, 2012). Jedoch wären eben solche Studien wichtig, um das Konzept auch auf die Beratung, beispielsweise in Bezug auf Berufswechsel oder lebenslanges Lernen, übertragen zu können. Weiterhin spielt die mögliche Kompensation, welche durch die Umwelt oder Eigenschaften der Person erreicht werden könnte, eine große Rolle (Hirschi u. Läge, 2006). Wenn die postulierte Unabhängigkeit der Faktoren (Hirschi u. Läge, 2006) überprüft würde, könnten somit die verschiedenen Faktoren in der Beratungspraxis genutzt werden, um mögliche Defizite einer Person bezüglich ihrer Berufswahlreife auszugleichen. So könnte beispielsweise die familiäre oder schulische Umwelt stärker in den Beratungskontext einbezogen werden.

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Zu den Zusammenhängen zwischen Berufswahlreife und weiteren Variablen und deren Relevanz für die Beratung Berufswahlreife und Alter Zumeist konnten positive Zusammenhänge zwischen Alter und der Ausprägung der Berufswahlreife festgestellt werden. Dabei gilt generell, dass die Berufswahlreife mit wachsendem Alter ansteigt. Weitere Forschung, zum Beispiel zur Auswirkung der Schularten auf die Berufswahl und zu Differenzen der Schulabgänger, wäre wünschenswert. Weiterhin ist denkbar, empirisch jedoch nicht falsifiziert, dass Veränderungen im Bildungssystem (wie beispielsweise die verkürzte Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre) auch signifikante Veränderungen in der durchschnittlichen Ausprägung der Berufswahlreife herbeiführen (vgl. Mager, 2012). Da das Alter innerhalb einer Beratungssituation nicht beeinflusst werden kann, spielt dieser Zusammenhang in der praktischen Beratung nur insofern eine Rolle, als dass der Berater diesen Kontext im Hinterkopf behalten sollte. Berufswahlreife und Geschlecht Die Ergebnisse zu Untersuchungen des Einflusses des Geschlechts auf die Ausprägung der individuellen Berufswahlreife sind als nicht einheitlich zu bewerten (Mager, 2012). Es zeigte sich, dass teils Mädchen, teils Jungen höhere Werte bezüglich Berufswahlreifeeinstellungen und Berufswahlreifekompetenzen aufwiesen. Es konnte nicht eindeutig gezeigt werden, dass eines der Geschlechter einen erhöhten Förderbedarf aufweist. Berufswahlreife und sozioökonomischer Status Auch der Einfluss des individuellen sozioökonomischen Status bzw. desjenigen der Eltern konnte nicht nachgewiesen werden. Somit unterscheiden sich Jugendliche bezüglich ihrer Berufswahlreife nicht in Abhängigkeit von finanziellen Ressourcen oder dem Bildungshintergrund der Eltern.

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Berufswahlreife und kultureller Hintergrund Es konnten in verschiedenen Studien sowohl Einflüsse der kulturellen Herkunft (östliche Länder versus westliche Länder) als auch des Migrationshintergrundes auf die Berufswahlreife festgestellt werden. So erzielten beispielsweise amerikanische Schüler bessere Werte als südkoreanische Schüler (Lee, 2001). Der Migrationshintergrund zeigte dabei vor allem Einflüsse auf den Anstieg der Berufswahlreife. Dabei erzielten Jugendliche mit Migrationshintergrund einen schwächeren Anstieg der Berufswahlreife als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Ebenso wie das Alter kann dieser Umstand nicht durch den Berater im Beratungsprozess beeinflusst werden (vgl. Hardin et al., 2001). Gering akkulturierte Schüler mit koreanischem Migrationshintergrund traten in der Untersuchung weniger berufswahlreif auf als amerikanische Schüler mit europäischer Abstammung. Lediglich hoch akkulturierte Schüler mit asiatischem Hintergrund zeigten keine Unterschiede. Daraus lässt sich ableiten, dass das Akkulturationsniveau in der Beratungssituation Berücksichtigung finden sollte, indem es in mögliche Fördermaßnahmen einbezogen wird. Berufswahlreife und familiärer Kontext Es konnten zwar keine einheitlichen Ergebnisse zu Zusammenhängen zwischen familiärem Hintergrund von Jugendlichen und ihrer Berufswahlreifeausprägung gefunden werden, jedoch zeigten sich positive Einflüsse von elterlichen Rollenvorbildern (vgl. Flouri u. Buchanan, 2002) auf die Entwicklung der Berufswahlreife. Der empirische Befund spricht also dafür, Eltern in den Beratungsprozess einzubeziehen und ihnen ihre Vorbild-Rolle bewusst zu machen. Gleichzeitig könnten auch Kompensationsmöglichkeiten der Familie (vgl. Hirschi u. Läge, 2006) angesprochen werden. Berufswahlreife und Commitment to Work (CtW) CtW meint hier die individuell definierte Relevanz des eigenen Berufseinstiegs. Dieser Faktor zeigt einen starken positiven Zusammenhang zur Berufswahlreife. Darüber hinaus konnte er auch als hilfreicher Prädiktor identifiziert werden (vgl. Creed u. Patton, 2003b). Das bedeutet, dass eine Erhöhung des CtWs auch eine Erhöhung der Berufswahlreife zur Folge hat. Da eine solche Beziehung © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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besteht, erscheint es sinnvoll, das CtW innerhalb der Beratungssituation aufzugreifen. Selbstreflexionsprozesse scheinen eine Methode der Beratung zu sein, die das CtW steigern. Beispielsweise könnte den Beratenen nahegelegt werden, anhand der sogenannten »Wunderfrage« zu hinterfragen, wie für sie der perfekte Berufseinstieg oder der beste erste Arbeitsplatz aussieht. Es können weiterhin nahe berufliche Ziele definiert werden, die es den Beratenen ermöglichen, konkret an deren Erreichung zu arbeiten, um so dem eigenen Berufseinstieg eine höhere Relevanz beizumessen. Berufswahlreife, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstkonzept Es konnten korrelative Zusammenhänge zwischen der Berufswahlreife und den Konzepten Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstkonzept gefunden werden (vgl. Flouri u. Buchanan, 2002; Creed u. Patton, 2003b; Hughes, 2011). Durch diese Ergebnisse kann die Hypothese von Seifert (1985, 1987) untermauert werden, dass das individuelle Selbstkonzept in eine Definition der Berufswahlreife integriert werden solle. Auch für den Beratungskontext spielen diese Ergebnisse eine entscheidende Rolle. Beispielsweise kann mittels einer Kompetenzanalyse bzw. -bilanzierung das Selbstbewusstsein des Ratsuchenden auf- oder ausgebaut werden. Weiterhin wird dadurch das eigene Selbstkonzept gestärkt und dem Ratsuchenden fällt es leichter, sich selbst zu »definieren«.

Auswirkungen der Berufswahlreife und Relevanz für die Beratungspraxis In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass die Berufswahlreife diverse Einflüsse ausübt. So zeigte sich, dass der Ausbildungserfolg in der Berufsschule und die berufliche Zufriedenheit von Auszubildenden in positivem Zusammenhang mit der Berufswahlreife stehen (Seifert et al., 1987). Individuelle Zufriedenheit korreliert mit dem Erfolg der späteren Berufswahl (Bergmann, 1993; Seifert, 1993). Zudem konnten negative Zusammenhänge mit der Beratungsbereitschaft der Studierenden und zu deren Wechsel- und Abbruchtendenz festgestellt werden (Bergmann, 1993; Seifert, 1993). Das bedeutet © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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zum einen, dass Personen, die eine höhere Berufswahlreife aufweisen, seltener dazu tendieren, eine Studienberatung aufzusuchen, und zum anderen, dass berufswahlreifere Personen es seltener in Betracht ziehen werden, ihr Studium zu wechseln oder abzubrechen. Jüngeren Untersuchungen zufolge findet sich zudem ein positiver Zusammenhang zwischen Berufswahlreife und der Realisierung des eigenen Potenzials (Savickas, Briddick u. Watkins, 2002). Dabei konnten die korrelativen Ergebnisse insofern verfeinert werden, als dass die kognitiven Dimensionen der Berufswahlreife signifikante Prädiktoren der Potenzialrealisierung sind. Die Signifikanz des Befundes ging so weit, dass die Berufswahlreife einen echten Vorhersagewert aufwies. Weiterhin finden sich Ergebnisse, die zeigen, dass eine Erhöhung der individuellen Berufswahlreife sowohl eine Erhöhung des eigenen Machtgefühls als auch eine Steigerung der eigenen Lebenszufriedenheit nach sich zieht (vgl. Hirschi, 2009). Die Ergebnisse zu den Auswirkungen der Berufswahlreife auf Variablen des persönlichen und beruflichen Lebens einer Person deuten darauf hin, dass es lohnenswert wäre, dieses Konzept in die Beratungssituation aufzunehmen. Bei möglichen Defiziten wäre es zudem hilfreich, den Beratenen dahingehend zu unterstützen, seine eigenen Berufswahlreife-Ausprägungen zu steigern. Deshalb wird im nächsten Abschnitt auf Fördermöglichkeiten eingegangen. Die obigen Darstellungen zeigen auf, dass Berufswahlreife nicht nur mit Variablen der Persönlichkeit und des beruflichen Werdegangs in Verbindung steht, sondern auch Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Lebensgestaltung aufweist. Die Förderung der Ausbildung der Berufswahlreife bzw. deren Steigerung ist mit einem großen potenziellen Nutzen verbunden. Auch mit einer solchen Förderbarkeit haben sich einige Studien beschäftigt. Zunächst zeigt sich einheitlich, dass ein genereller Förderungsbedarf der individuellen Berufswahlreife besteht (Mager, 2012). Der Besuch von Berufsmessen und Firmen als Fördermaßnahmen erwies sich als geeignet, um Jugendliche bei der Ausbildung ihrer Berufswahlreife zu unterstützen (Seifert, 1985). Weiterhin konnten Workshops entwickelt werden, die explizit darauf abzielten, die Berufswahlreife zu erhöhen. Hirschi und Läge (2008) konnten die © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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positive Wirkung eines solchen Workshops nachweisen. Die Arbeit in Kleingruppen und computerbasierte Ansätze haben nach einer Studie von Glaize und Myrick (1984) das Potenzial zur Steigerung des individuellen Berufswahlreifeniveaus. Vergleichende Studien verschiedener Maßnahmen liegen dagegen nicht vor. Die Kosten-Nutzen-Relation sollte ausgewogen bleiben. Hierfür sollten im Beratungskontext Evaluationsinstrumente eingesetzt werden, welche die Wirksamkeit einer Maßnahme untersuchen können.

Schlussfolgerung und Ausblick Nachdem in diesem Beitrag zunächst die theoretische Entwicklung des Konzepts der Berufswahlreife kurz zusammenfassend dargestellt wurde, erfolgte im Anschluss eine Erörterung von Korrelaten, Auswirkungen und Fördermöglichkeiten der Berufswahlreife. Die empirischen Funde zeigen, dass die Berufswahlreife in Zusammenhang mit einigen Variablen des persönlichen und beruflichen Lebens stehen. Zudem übt sie selbst wiederum einen Einfluss auf diese Variablen aus. Gerade hier wird die Bedeutung der Berufswahlreife besonders deutlich, da sie vor allem die berufliche Zufriedenheit bzw. Studienzufriedenheit beeinflusst und somit auch die Wechsel- und Abbruchtendenzen der Studierenden. In Bezug auf die Beratungspraxis bietet das Konzept der Berufswahlreife und dessen Messung die Chance, mögliche Defizite zu erkennen und gegebenenfalls Informationskompetenzen und Selbstvertrauen der Beratenen durch eine Kompetenzbilanzierung auszubauen. Vor allem in diesem Zusammenhang könnte die noch weitgehend unerforschte Methode des Teaching the Test eine Bereicherung sein (vgl. Savickas, 1990). Offenkundig wichtig ist es, die Eltern bzw. nahe Bezugspersonen in die Beratung im Sinne eines systemischen Ansatzes einzubeziehen. Die Rollenvorbilder haben einen positiven Einfluss auf die Entwicklung. Auch das Konstrukt des Commitment to Work wurde im Zusammenhang mit der Berufswahlreife genannt. Gegebenenfalls können hier Defizite ausgeglichen und somit auch die Berufswahlreife gesteigert werden. Dem Einsatz des Konzepts der Berufswahl© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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reife in der beraterischen Praxis kann daher ein hoher methodischer Nutzen zugeschrieben werden.

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V. Mager: Berufswahlreife37

Seifert, K. H. (1993). Zur prädiktiven Validität von Berufswahlreifeinstrumenten. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 37 (4), 172–182. Seifert, K. H., Bergmann, C., Eder, F. (1987). Berufswahlreife und SelbstkonzeptBerufskonzept-Kongruenz als Prädiktoren der beruflichen Anpassung und Bewährung während der beruflichen Ausbildung. Zeitschrift für Arbeitsund Organisationspsychologie, 31, 133–143. Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz (2012). Der Hochschulkompass des HRK-Studiums. Studienangebote deutscher Hochschulen. Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://www.hs-kompass2.de/kompass/xml/ index_stud.htm Super, D. E. (1955). Dimensions and measurement of vocational maturity. Teachers College Record, 57 (3), 151–163. Super, D. E., Crites, J. O., Hummel, R. C., Moser, H. P., Overstreet, P. L., Warnath, C. F. (1957). Vocational Development: a framework for research. New York: Teachers College Press. Super, D. E., Nevill, D. D. (1984). Work role salience as a determinant of career maturity in High School students. Journal of Vocational Behavior, 25, 30–44.

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Alexander Brechtel

Beschwerde- und Ideenmanagement an Hochschulen – eine Konzeptidee

Vorbemerkungen Manchmal gibt es Situationen, in denen guter Rat teuer ist, in denen man selbst nicht weiter weiß, in denen man nach Hilfe sucht und verzweifelt ist, weil man glaubt, gegen Betonwände zu laufen. Auch an Hochschulen sind solche Situationen denkbar: »Antrag auf Fachwechsel: abgelehnt! Antrag auf Beurlaubung: abgelehnt! Antrag auf verspätete Rückmeldung: abgelehnt! Wenn einem Studierenden so etwas passiert, dann ist guter Rat teuer. Aber auch, wenn es mit den Dozenten Streitigkeiten über Fehlzeiten oder eine Prüfungsleistung gibt, stellt sich die Frage, wohin sich Studierende wenden können. Viele Universitäten haben dies bereits erkannt und bieten Hilfe an, wenn sich Studierende ungerecht behandelt fühlen oder den Eindruck haben, dass sie ihre Schwierigkeiten mit dem Papierkram nicht mehr selbst lösen können. Es werden aber nicht nur Probleme gewälzt, sondern auch Ideen und Verbesserungsvorschläge gesammelt« (Brechtel, 2012). Egal, ob ein Studierender eine Beschwerde vortragen möchte, weil er nicht mehr weiter weiß, oder eine tolle Idee hat: Eine Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement kann sich um solche Anliegen kümmern, die Studierenden beraten und zur Not auch selbst aktiv werden. In diesem Aufsatz soll eine Idee entwickelt werden, wie ein solches universitäres Beschwerde- und Ideenmanagement aussehen kann, wie die Beschwerdestelle arbeitet und wie die Hotline einer Hochschule als Kanal eingebunden werden kann. Dafür ist es zunächst nötig zu klären, was man unter Beschwerdemanagement und Beratung versteht. Anhand einer kleinen Umfrage wird dargestellt, was sich die Studierenden selbst wünschen. Durch drei © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Beispiele kann sich der Leser schließlich selbst ein Urteil darüber bilden, welche Vorteile die Implementierung eines Beschwerde- und Ideenmanagements für die jeweilige Hochschule und ihre Studierenden haben kann.

Grundlagen des Beschwerdemanagements In diesem Kapitel soll ein Blick auf die Grundlagen des Beschwerdemanagements geworfen werden, wie es in Unternehmen Anwendung finden kann. Dabei wird das Ideenmanagement, auch wenn es nicht immer explizit genannt wird, doch mitgedacht, da sich die Prozesse des Beschwerdemanagements prinzipiell auf den Umgang mit Ideen übertragen lassen. Beide, sowohl die Idee als auch die Beschwerde, tragen das Potenzial der Verbesserung in sich. Mit der Beschwerde soll in der Regel ein Missstand beendet werden, mit guten Ideen soll sich ebenfalls etwas zum Guten ändern oder noch besser werden. In der Praxis sind das Beschwerde- und Ideenmanagement daher – wie an der Technischen Universität (TU) Darmstadt – oftmals an einer Stelle gebündelt und werden vom gleichen Personenkreis bearbeitet (Technische Universität Darmstadt, o. J.). Definition Die Idee des Beschwerdemanagements geht auf den sogenannten Ombudsmann zurück, eine Institution, die ihren Ursprung im Schweden des 19. Jahrhunderts hat und sich in der Folge in vielen anderen Ländern und schließlich auch in Unternehmen etablieren konnte (Schöber, 1997, S. 21). »Durch sie sollte das Spannungsverhältnis zwischen kollektiven und individuellen Ansprüchen und Interessen reguliert werden« (S. 21). Heutzutage steht, gerade wenn es um Produkte und Dienstleistungen geht, nicht mehr ein Ausgleich zwischen öffentlichen und privaten Interessen im Vordergrund, sondern die Kundenzufriedenheit. In der Betriebswirtschaftslehre geht man davon aus, dass Kunden an ein Produkt oder eine Dienstleistung eine bestimmte »Leistungserwartung« herantragen und diese immer in Relation zu ähnlichen Produkten setzen, die sie anstelle des von ihnen gewählten Produktes ebenfalls nutzen könnten. Dabei wird das Produkt oder © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

die Dienstleistung bereits in der Auswahlphase, während des Kaufs und natürlich während der Nutzung mit Konkurrenzprodukten und -dienstleistungen verglichen (Schöber, 1997, S. 12). Bei diesem Vergleich der eigenen Erwartung an ein Produkt oder eine Dienstleistung mit den tatsächlich gebotenen Leistungen kommt es nun entweder dazu, dass eine »positive Diskrepanz« oder eine »negative Diskrepanz« wahrgenommen wird, je nachdem, wie stark Produkterwartungen und Produktleistungen voneinander differieren. Natürlich können sich Erwartungen und Leistungen auch decken, dann evoziert dies beim Kunden das »Gefühl der Indifferenz« (S. 12). Dieses kann sicherlich als neutral und damit als vollkommen ausreichend angesehen werden. Sofern beim Kunden eine »negative Diskrepanz« evoziert wurde, hat er drei Handlungsmöglichkeiten: Er kann sich inaktiv verhalten, er kann abwandern oder Widerspruch äußern (S. 14). Der Widerspruch ist der Punkt, an dem das Beschwerdemanagement ansetzt. Der erste zentrale Aspekt eines funktionierenden Beschwerdemanagements ist es, nutzbare Kommunikationskanäle sicherzustellen, die es erlauben, das Beschwerdemanagement problemlos zu erreichen. Zu diesen »Formen der Beschwerdeartikulation« zählen in der Regel die persönliche, schriftliche (online und per Post) und die telefonische Kontaktaufnahme. Beschwerdemanagement kann nach Schöber nun wie folgt definiert werden: »Beschwerdemanagement umfaßt die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Beschwerden ergreift« (S. 21). Hier kann man sicherlich ergänzen, dass diese Maßnahmen letztlich dazu dienen, die Zufriedenheit des Kunden wiederherzustellen, eine Abwanderung des Kunden zu vermeiden und Klagen vor Gericht zu verhindern. Im besten Fall kann die Beschwerde eines Kunden so bearbeitet werden, dass sein Vertrauen in das Unternehmen oder die Institution wieder vollständig hergestellt ist und dem Kunden wie dem Unternehmen kein Schaden entsteht. Beim Ideenmanagement geht es darum, die Ideen, die an das Unternehmen/die Institution herangetragen werden, wohlwollend zu prüfen und umzusetzen, sofern die Umsetzung hinsichtlich Kosten und Aufwand in einem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag der Maßnahme steht (Kosten-Nutzen-Analyse). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Beschwerdekanäle und Stimulierung Es wurde bereits über die Beschwerdekanäle gesprochen, die es einem Kunden ermöglichen, ein Unternehmen/eine Institution zu kontaktieren. Gerade der telefonische Beschwerdekanal gewinnt dabei immer mehr an Bedeutung. »Dies ist dadurch zu erklären, daß dem Kunden ein kostengünstiger und schneller Zugang zu dem Unternehmen und der Problemlösung angeboten werden kann, was insbesondere auf gebührenfreie Telefonnummern zutrifft« (Schöber, 1997, S. 16 f.). Demnach ist die Einbindung einer Hotline in das Beschwerdemanagement sehr wichtig, damit die Kunden schnell und einfach ihre Beschwerden und Ideen vorbringen können. Ein wesentlicher Bestandteil des Beschwerdemanagements ist die sogenannte Beschwerdestimulierung. Hierunter versteht man die Schaffung einer Atmosphäre, die Kunden dazu anregt, ihre Unzufriedenheit oder ihre Ideen zu äußern. Damit dies gelingen kann, muss es dem Kunden so einfach wie möglich gemacht werden, ein Unternehmen/eine Institution zu erreichen. Insofern ist es sinnvoll, mehrere Beschwerdekanäle gleichzeitig bereitzustellen (Stauss u. Seidel, 2002, S. 83). Eine telefonische Hotline kann einer dieser Kanäle sein. Gegenüber Beschwerden gibt es ein weitverbreitetes Vorurteil, das besagt, dass die Zahl der Beschwerden möglichst gering zu halten sei. Dies ist aber für das Funktionieren von Organisationen der falsche Weg: Statt die Zahl der Beschwerden gering zu halten, etwa durch Abschottung, muss die Zahl der unzufriedenen Kunden verringert werden. Dazu ist es nötig, dass sich möglichst viele unzufriedene Kunden beschweren, denn nur dann können deren Anliegen geklärt werden und es besteht die Chance, dass sie zu zufriedenen Kunden werden (S. 51). In Beschwerden steckt das Potenzial, die eigenen Produkte, Dienstleistungen und Abläufe im Unternehmen/ der Institution zu verbessern und dadurch den Anteil der Kunden zu minimieren, die unzufrieden sind. Daher ist eine Beschwerde, wenngleich der Terminus negativ konnotiert ist, nichts Negatives – eine Beschwerde trägt vielmehr ein positives Potenzial in sich und sollte deswegen auch sinnvoll genutzt und nicht einfach abgeblockt werden. Die Implementierung eines Beschwerde- und Ideenmanagements, das offensiv beworben wird und über genügend Kontaktmöglichkeiten verfügt, kann für ein Unternehmen/eine Institution von größ© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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tem Nutzen sein. Gewinn und Wettbewerbsfähigkeit können erhöht werden, da »Abwanderungskosten«, »Auseinandersetzungskosten« sowie »Fehlerkosten« vermieden werden können (Stauss u. Seidel, 2002, S. 79). Im Zuge eines Ideenmanagements tragen außerdem die Verbesserungsvorschläge der Nutzer dazu bei, das Unternehmen/die Institution weiterzuentwickeln, ohne dass hohe Summen für Evaluationen, Marktforschung und Unternehmensberatung ausgegeben werden müssen, da die Ideen im besten Falle das Unternehmen/die Institution von ganz allein erreichen. Aufbau In großen Unternehmen ist das Beschwerdemanagement idealtypisch so aufgebaut, dass es einen »Complaint Owner« gibt, der die Beschwerde des Kunden erfasst, den Sachverhalt als Beschwerde erkennt und dafür sorgt, dass diese bearbeitet wird. Er löst also das Problem im besten Falle sofort oder leitet es so weiter, dass es gelöst werden kann. Damit ist der »Complaint Owner« der »Besitzer« der Beschwerde und Ansprechpartner des Kunden bei Rückfragen (Stauss u. Seidel, 2002, S. 182 f.). Im Bereich des universitären Beschwerdemanagements könnte der »Complaint Owner« ein Telefonagent einer Hotline sein, wobei hier die Aufgaben und Befugnisse genau definiert werden müssten (dazu später mehr). Der »Task Owner« ist eine Person, die bestimmte »Einzelaufgaben«, die mit der Beschwerde zusammenhängen, überprüft und bearbeitet (S. 183 f.). An einer Hochschule könnte dies zum Beispiel ein Sachbearbeiter sein, der den Fall schon einmal bearbeitet hat und nun anhand der Aktenlage eine Überprüfung vornimmt. Der »Process Owner« ist schließlich für den gesamten Beschwerdemanagementprozess verantwortlich (S. 181 f.). In diesem Sinne handelt es sich beim »Process Owner« um den Beschwerde- und Ideenmanager dieser Institution, bei dem die Fäden zusammenlaufen, der den Prozess koordiniert, Rücksprache mit allen Beteiligten hält und übergreifend dafür verantwortlich ist, dass eine Lösung gefunden werden kann. Gerade im hierarchisch organisierten Verwaltungsapparat einer Hochschule muss unbedingt festgelegt werden, welche Befugnisse der »Process Owner« hat, wem er Weisungen erteilen darf und auf welcher Hierarchieebene er angesiedelt ist. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Ablauf Der Beschwerdemanagementprozess kann in folgende Schritte eingeteilt werden: Dauerhaft wird Beschwerdestimulation betrieben. Beschwerden werden zum Beispiel von einer Hotline angenommen. Die Beschwerden werden vom »Complaint Owner«, »Task Owner« und »Process Owner« bearbeitet. Sie werden intern vom »Process Owner« ausgewertet. Die aus den Beschwerden gewonnenen Informationen werden allen Abteilungen/Fachbereichen zugänglich gemacht und können genutzt werden (Stauss u. Seidel, 2002, S. 86 ff.).

Grundlagen der Beratung Was hat Beschwerde- und Ideenmanagement nun eigentlich mit Beratung zu tun? Geht man von der betriebswirtschaftlichen Anwendung aus, dann ist diese Frage durchaus gerechtfertigt, geht es doch bei Beratung an Hochschulen nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, sondern den Studierenden etwa dabei zu helfen, das richtige Studienfach zu finden, ihr Studium erfolgreich zu absolvieren und sie beim Berufseinstieg zu unterstützen. Diese Beispiele für Beratung können aber mit Beschwerden und Ideen zusammenhängen. Was mache ich, wenn ein Antrag auf Beurlaubung abgelehnt wurde? Was, wenn der Fachwechsel abgelehnt wurde? Was, wenn ich mich nicht verspätet zurückmelden darf (Brechtel, 2012)? Aus solchen Situationen, über die man sich beschweren kann, kann ein erheblicher Beratungsbedarf erwachsen, weshalb meines Erachtens auch das Beschwerde- und Ideenmanagement einer Hochschule mit Beratungsanliegen konfrontiert wird. Das heißt: Den Beschwerden und Ideen kann ein gewisser Beratungsbedarf inhärent sein. Beraten, Informieren, Anleiten Knoll (2006) unterscheidet im Kontext der Beratung die Kategorien »Informieren«, »Anleiten« und »Beraten«. Dabei geht es beim Informieren darum, »Sachverhalte zu nennen«. Beim Anleiten wird »eine bereits vorhandene Problemlösung weitergegeben« und beim Beraten wird »Hilfe gegeben, eine Problemlösung zu finden (›Hilfe zur Selbsthilfe‹)« (S. 36 f.). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

»Im realen Alltagsgeschehen können die einzelnen Handlungsformen miteinander abwechseln oder ineinander übergehen. Insofern ist es aus pragmatischen Gründen nachvollziehbar, wenn in der Praxis trotz der begrifflichen und sachlich sinnvollen Abgrenzung von ›Beratung im eigentlichen Sinne‹ die verschiedenen Handlungsformen unter Bildungsberatung zusammengefasst werden« (S. 37). Insbesondere auch die Definition von Beratung nach Specht, wie sie bei Rahm (2004) zu finden ist, lässt in ihrer Offenheit diese Vermischung von Beraten, Informieren und Anleiten zu: »Mit Beratung, in welcher Form auch immer, wird versucht, dem Ratsuchenden eine Änderung seiner Einstellungen und seines Verhaltens zu ermöglichen, um ihn dadurch in die Lage zu versetzen, seine Probleme besser zu lösen« (S. 56). Gemäß dieser Definition können nun bereits Informationen oder eine Anleitung dazu führen, dass ein Ratsuchender in die Lage versetzt wird, entweder sein Verhalten oder seine Einstellungen zu ändern. Daher können auch Information und Anleitung unter den Begriff Beratung subsummiert werden. Beratungs- und Informationsverständnis Im wissenschaftlichen Diskurs ist es vielleicht möglich und sinnvoll, die Tätigkeitsfelder Beraten, Informieren und Anleiten voneinander abzugrenzen, so wie Knoll es getan hat. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass in der Praxis (so sagt es auch Knoll, 2006, S. 37) solche definitorischen Abgrenzungen wenig sinnvoll sind. Die Ratsuchenden kennen in der Regel diese Definitionen nicht und es kann Verwirrung hervorrufen, wenn auf dieser strikten Trennung bestanden wird. Zudem kann Ratsuchenden oftmals nur geholfen werden, wenn ihnen eine Mischung aus Information, Anleitung und Beratung geboten wird. Entsprechend der offenen Definition, wie sie bei Rahm (2004) zu finden ist, sollte jedoch ein Anbieter von Informationen, Anleitung und Beratung meines Erachtens immer intern definieren, welcher Bereich für welche Tätigkeit zuständig ist, damit die Prozesse dieser Institution klar strukturiert und geregelt aufeinander aufbauen können. Dabei sollte sich jeder bewusst sein, dass die Grenzen zwischen diesen Bereichen fließend sind, Beratung in den meisten Fällen nicht ohne Anleitung und Information zu © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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denken ist und umgekehrt in manchen Fällen schon Informationen und Anleitungen dieselben Effekte wie Beratung haben können. Eine strikte Abgrenzung von Information, Anleitung und Beratung ist schwierig und in der Praxis sogar unmöglich.

Beratung im Beschwerde- und Ideenmanagement: Berührungspunkte Bereits einer Beschwerde oder einer Idee kann ein Informations-, Anleitungs- und/oder Beratungsbedarf inhärent sein. Gerade im universitären Umfeld, in dem viele Abläufe eng miteinander verknüpft sind, kann es vorkommen, dass eine Beschwerde eine ganze Kaskade weiterer Probleme und Entscheidungen nach sich zieht. Dann kann Beratung nötig werden. Das Beschwerde- und Ideenmanagement sollte in solchen Fällen an die Studienberatung, eine psychotherapeutische Beratungsstelle oder auch die Bundesagentur für Arbeit verweisen, also eine Brückenberatung leisten. Zusätzlich zu den Fällen, in denen keine Beratung nötig ist oder in denen schon eine Brückenberatung ausreicht, sind aber weitere Beratungssituationen denkbar. Der erste Berührungspunkt von Beschwerde- und Ideenmanagement wurde mit der Brückenberatung, also dem gezielten Weiterverweisen an eine Stelle, die dem Ratsuchenden helfen kann, bereits genannt. Denkbar ist auch, dass hinsichtlich einer Beschwerde oder einer Idee eine Beratung nötig ist, wie diese (Beschwerde/Idee) am besten vorgebracht werden/umgesetzt werden kann. Auch hier würde der Beratene gemäß Spechts Definition, zitiert nach Rahm (2004), in die Lage versetzt werden, sein Verhalten oder seine Einstellung zu ändern, und zwar so, dass er mit seinem Anliegen zu den maßgeblichen Stellen durchdringen würde (S. 56). Vielleicht stellt der Beratene aber auch fest, dass seine Beschwerde nicht gerechtfertigt ist oder seine Idee keinerlei Chance auf Umsetzung hat. Auch dann hätte sich durch die Beratung im Beschwerde- und Ideenmanagement sein Verhalten bzw. seine Einstellung geändert. Aus diesen Gründen ist es meines Erachtens so, dass eine Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement neben der Durchsetzung/Umsetzung von Beschwerden und Ideen vor allem auch informiert, anleitet, Brücken baut und je © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

nach Situationskontext auch weitere Aspekte der Beratung aufgreift, um den Ratsuchenden zu helfen.

Stimmungsbild unter Studierenden Um festzustellen, welche Form des Beschwerde- und Ideenmanagements Studierende wünschen, wurde unter 22 Studierenden eine nichtrepräsentative Umfrage durchgeführt. Zwei Studierende wurden darüber hinaus noch genauer dazu befragt, weswegen sie so und nicht anders entschieden hätten.1 Die Befragten sollten zwischen den folgenden Antwortmöglichkeiten wählen: a) Ein Beschwerde- und Ideenmanagement halte ich an einer Uni für unnötig. b) Ich möchte mich direkt an den jeweilig zuständigen Chef der Abteilung/des Instituts/des Fachgebiets wenden. c) Ich möchte, dass es an der Uni Beschwerde- bzw. Ideenmanager/innen gibt, an die ich mich direkt wenden kann. d) Ich würde mich gern an die Hotline einer Uni wenden, die die Beschwerde/Idee aufnimmt, weiterleitet und mich unterstützt. Auf Antwort a) entfielen 0 Stimmen, auf Antwort b) 5 Stimmen, auf Antwort c) 11 Stimmen und auf Antwort d) 2 Stimmen. Daraus kann durchaus geschlossen werden, dass die befragten Studierenden die Notwendigkeit eines universitären Beschwerde- und Ideenmanagements sehen. Dieser Schluss erhärtet sich vor allem durch die Aussagen der beiden Interviewpartner, die zwar zufällig ausgewählt worden waren, aber beide für Antwort c) votierten. Verkürzt kann 1 Die Umfrage wurde online und anonym über Doodle durchgeführt. Zudem wurden zwei Interviews geführt, um mehr über die Motivation der Teilnehmer für ihre Antwort zu erfahren. Insgesamt wurden 22 Personen befragt, von denen 15 geantwortet haben. Es handelte sich um eine Frage, bei der Mehrfachnennungen möglich waren. Die Frage wurde mit zwei Beispielen eingeführt, so dass sichergestellt werden konnte, dass allen Befragten klar war, was mit einem universitären Beschwerde- und Ideenmanagement gemeint ist. Bei den Studierenden handelte es sich um Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung an den Universitäten Mainz und Frankfurt sowie an der Fachhochschule Bingen immatrikuliert waren (Brechtel, 2013b).

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man ihre Antworten so zusammenfassen: Es gibt gelegentlich Situationen an der Hochschule, in denen man nicht weiter weiß bzw. man sich beschweren möchte. Ohne ein Beschwerdemanagement weiß man nicht, wer der Ansprechpartner ist, und wird mitunter hin- und hergeschickt. An einen Abteilungsleiter oder Institutsleiter wollen sie sich nicht wenden, da sie befürchten, von diesem nicht recht ernst genommen zu werden, und sie den direkten Kontakt mit einer Person, die in der Hierarchie sehr hoch steht, als belastend empfinden. Für das Beschwerde- und Ideenmanagement haben sie sich entschieden, weil es hier zentrale Ansprechpartner gibt, an die man sich bedenkenlos wenden kann, weil sie sozusagen als »Anwälte« der Studierenden agieren. An eine Hotline möchten sie sich höchstens ergänzend wenden, zum Beispiel im Sinne des Erstkontaktes zur Beschwerdestelle, da sie der Auffassung sind, dass eine Hotline wahrscheinlich nicht über die nötigen Kompetenzen verfügt, komplexe Beschwerden »durchzufechten«. In diesem Sinne wäre es also aus Sicht der befragten Studierenden wünschenswert, wenn es an ihrer Hochschule eine Stelle für Beschwerden und Ideen geben würde. Die Hotline könnte dann als telefonische Vorstelle situiert werden.

Beschwerde- und Ideenmanagement einer Hochschule In diesem Abschnitt soll nun aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen ein Vorschlag erarbeitet werden, wie ein Beschwerde- und Ideenmanagement einer Hochschule aufgebaut sein könnte und welche Aufgaben eine Hotline in diesem Kontext übernehmen könnte. Dabei gilt es natürlich zu beachten, dass jede Hochschule anders organisiert ist und dieser Vorschlag immer an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden muss. Insofern ist das Folgende als Anregung zu verstehen, von der aus weitergedacht werden kann. Situierung Wie bereits angeführt, muss ein Beschwerde- und Ideenmanagement die Möglichkeit haben, die vorgebrachten Beschwerden und Ideen sinnvoll zu bearbeiten, also auch umzusetzen. Eine Beratung oder Vermittlung im Sinne einer Mediation zwischen den Beteiligten oder © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

eine Moderation sind zwar sicherlich in 95 % der Fälle ausreichend, aber nicht immer zielführend. Wäre die Stelle nicht mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet, würden sich die Studierenden zu Recht fragen, was diese Personen für sie tun können, wenn diese über keinerlei Entscheidungsmacht verfügen. An der Universität des Saarlandes (UdS) ist die Kontaktstelle Studienqualität, die de facto die Aufgaben einer Stelle für Beschwerden und Ideen hat, direkt dem Präsidialbüro unterstellt, damit offene Fragen, wenn es denn nötig sein sollte, direkt mit der Hochschulleitung geklärt werden können, und damit auch eine universitätsweite Durch- und Umsetzung möglich ist (Brechtel, 2012). Das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement der Technischen Universität Darmstadt (o. J.) ist hingegen nicht dem Präsidialbüro angegliedert, sondern in der Abteilung für Studium und Lehre angesiedelt. Der dortige Beschwerde- und Verbesserungsmanager hat demgemäß, wie er sagt, keine Durchsetzungskompetenzen, sondern ist allein auf sein Geschick als Berater und Vermittler angewiesen. Wenn es einmal nötig werden sollte, so hat aber auch er die Möglichkeit, eine Situation »eskalieren« zu lassen, indem er Vorgesetzte einschaltet und damit Druck ausübt (Brechtel 2013a). Gerade auch wegen des vielfältigen Beratungsbedarfs, der mit Beschwerden und Ideen einhergehen kann, wäre meines Erachtens eine direkte Anbindung der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement an die Allgemeine Studienberatung der Hochschule wünschenswert. Dann sollte aber dennoch überlegt werden, wie dafür gesorgt werden kann, dass berechtigte Beschwerden im äußersten Ernstfall auch hochschulweit angesprochen werden können. Kompetenzen In erster Linie sollte sich eine Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement als Mittler zwischen den Beteiligten sehen, der Anregungen gibt, Missverständnisse aufzuklären hilft und eventuell neue Wege aufzeigen kann. Diesen Ansatz vertreten sowohl die Kontaktstelle Studienqualität der UdS als auch der Beschwerde- und Verbesserungsmanager der Technischen Universität Darmstadt (Brechtel, 2012, 2013a). Durch die Ansiedlung der Kontaktstelle Studienqualität der UdS bei der Hochschulleitung ist die Stelle, im Gegensatz zur © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Technischen Universität Darmstadt (o. J.), auch mit einer großen Entscheidungsmacht ausgestattet. Dies bedeutet, dass es zunächst einmal zwei Möglichkeiten gibt, die Kompetenz einer Stelle für Beschwerdeund Ideenmanagement zu definieren: einmal durch die Koppelung an die Hochschulleitung und an damit große Durchsetzungskompetenzen und einmal durch die Funktion als reiner Vermittler und Mediator. Ein möglicher dritter Weg zwischen diesen beiden Definitionen könnte es sein, die eigentlichen Kompetenzen dieser Stelle, so wie an der Technischen Universität Darmstadt, erst einmal auf die Rolle der Vermittlung zu beschränken, um innerhalb der Organisationsstruktur der Hochschule keine Widerstände zu evozieren. Indem jedoch die Beschwerde- und Ideenmanager zugleich beispielsweise als spezielle Beauftragte des Präsidiums fungieren, könnte ihre Entscheidungskompetenz im Notfall gehebelt werden. Personal Da eine Beschwerdestelle zentral organisiert und damit für die gesamte Hochschule zuständig ist, muss auf eine ausreichende Anzahl an Mitarbeitern geachtet werden. Vor allem auch wegen krankheits- und urlaubsbedingten Ausfällen sollte die Stelle idealerweise mindestens über zwei Mitarbeiter verfügen, die je nach Größe der Hochschule in Vollzeit oder gegebenenfalls in Teilzeit tätig sind und entsprechend ihrer wichtigen Stellung nach der Entgeltgruppe (E) 13 des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt werden, wie dies auch bei Mitarbeitern der allgemeinen Studienberatung wünschenswert ist (vgl Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, o. J.). Wünschenswert wäre es sicherlich, wenn diese Personen neben einem abgeschlossenen Studium über eine Berater- oder Mediatorenausbildung verfügen würden. Zudem sollten sie sich durch ein besonders diplomatisches Auftreten auszeichnen und sich ausschließlich dem Beschwerde- und Ideenmanagement widmen. Aufgaben Die Aufgaben einer zentralen Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement sind in erster Linie im Bereich der Vermittlung und Beratung zu sehen. Durch mediatorische Maßnahmen oder eine gründliche Beratung soll bei einer Beschwerde eine Lösung gefunden © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

werden, die für alle Beteiligten akzeptabel ist. Sofern auf dem Weg der Mediation keine Lösung gefunden werden kann und die Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement nach reiflicher Überlegung und nach Anhörung aller Beteiligten der Überzeugung ist, dass die Beschwerde berechtigt ist, so muss sie Maßnahmen einleiten, die Situation, die zur Beschwerde geführt hat, zu ändern, und mit dem Einverständnis des Ratsuchenden entsprechend tätig werden. Bei Ideen liegt die Aufgabe dieser Stelle darin, diese in einem Ideenpool zu sammeln, zu prüfen und dann zusammen mit universitären Stellen, die eine Idee umsetzen können, und dem Ideengeber daran zu arbeiten, sie zu verwirklichen. Auswertung Eine weitere Aufgabe der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement ist es, die Beschwerden und Ideen auszuwerten und aufgrund von deren Quantität und Qualität Rückschlüsse auf Verbesserungspotenziale zu ziehen. So können gehäufte Beschwerden zu einem bestimmten Vorgang eventuell darauf hindeuten, dass dieser zu kompliziert ist und daher vereinfacht werden sollte. Eine Zusammenarbeit mit dem hochschuleigenen Qualitätsmanagement bietet sich hier an, wobei sichergestellt sein sollte, dass die klientenzentrierte Unterstützung und die Mitarbeit an der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Hochschule einen gleichrangigen Stellenwert haben. Datenschutz Der sorgsame Umgang mit den persönlichen Daten der Beratenen ist im Beschwerde- und Ideenmanagement zu gewährleisten. Insbesondere weil es in manchen schwierigen Fällen nötig sein kann, die Identität der Beratenen zu schützen, sollte diese zunächst nur den Mitarbeitern des Beschwerde- und Ideenmanagements bekannt sein. Deshalb muss es ein Datenschutzkonzept geben, das der jeweiligen Landesverordnung des Bundeslandes entspricht. Sofern es nötig sein sollte, die persönlichen Daten an weitere universitäre Stellen weiterzugeben, ist im Sinne des Datenschutzkonzeptes dafür Sorge zu tragen, dass auch dort sorgsam mit den Daten umgegangen wird. Zudem sollten auch die Daten der Personen, die von einer Beschwerde betroffen sind, vertraulich behandelt werden. Persön© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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liche Daten von Beteiligten werden nur nach deren vorheriger Einwilligung an Dritte weitergegeben.

Anbindung der Hotline Innerhalb des universitären Beschwerde- und Ideenmanagements stellt die Hotline einer Hochschule einen Kanal – neben der Kontaktaufnahme per E-Mail und Post oder dem Besuch der Sprechstunde – für Beschwerden und Ideen dar. Natürlich ist nicht an jeder Hochschule, an der es ein Beschwerde- und Ideenmanagement gibt, die Hotline dieser Stelle telefonisch vorgeschaltet. Dass und warum dies sinnvoll sein kann, wird im Folgenden gezeigt. Aufgaben der Hotline Die Hotline agiert als telefonische Vorstelle des Beschwerde- und Ideenmanagements der Hochschule. Dies bedeutet, dass sie der telefonische Erstkontakt für Studierende ist, die sich beschweren möchten oder eine Idee haben. Im Sinn der weiter oben genannten Aufteilung im Beschwerdemanagementprozess sind die Telefonagenten die »Complaint Owner«, die zunächst feststellen, um was für ein Anliegen es sich handelt, und, falls eine Beschwerde vorliegt, diese im besten Fall sofort klären können. Zudem würde ihnen die Aufgabe zukommen, aufgebrachte Anrufer zu beruhigen und ihnen erste weitere Handlungsschritte aufzuzeigen. Sofern eine sofortige Klärung nicht möglich oder nicht gewünscht ist, vergeben die Telefonagenten einen Termin in der Sprechstunde der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement oder leiten die Beschwerde/die Idee mithilfe eines computerbasierten Ticketsystems an die Kollegen aus der Beschwerdestelle weiter. Ganz im Sinne der »Complaint Owner« können sie durch dieses Ticketsystem (für jede Beschwerde und Idee, egal über welchen Kanal sie die Hochschule erreicht, wird ein Ticket erstellt) den Überblick behalten und die Beschwerdeführer bzw. die Ideengeber zu jeder Zeit über den Stand der Bearbeitung informieren. Kompetenzen der Hotline Genauso wie die Mitarbeiter der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement müssen die Telefonagenten der Hotline zumindest © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

mit basalen Kompetenzen ausgestattet werden, damit unter den Studierenden nicht der Eindruck entsteht, dass die Hotline nicht weiterhelfen kann. Neben der Terminvergabe und der Entscheidung, ob ein Ticket für eine Beschwerde oder Idee aufgenommen wird oder nicht, sollten die Telefonagenten wenigstens noch über die Möglichkeit verfügen, einfache Verwaltungsvorgänge selbst durchzuführen. Es ist eventuell überlegenswert, ob nicht bereits ausgestellte Dokumente, für die eine kostenlose Zweitschrift benötigt wird, direkt durch die Telefonagenten per E-Mail oder Post erneut versendet werden können. Hier wäre zum Beispiel an Studienbescheinigungen zu denken.2

Arbeitsbeispiele Um einen besseren Eindruck davon zu erhalten, in welchen Fällen eine Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement tätig werden könnte und welche Lösungen in welchen Fällen denkbar sind, sollen hier drei fiktive Beispiele aufgeführt werden. Die jeweilige Vorgehensweise und die Lösungen sind natürlich stark vereinfacht dargestellt und in einem idealen Kontext situiert. Zudem beziehen sie sich auf eine Hochschule, die ihre Studienbescheinigungen noch in Papierform zur Verfügung stellt. Beispiel 1 – Zweitschriften In der Hotline ruft eine aufgebrachte Studentin an. Sie hat von mehreren Kommilitonen erfahren, dass diese bereits ihre Studienunterlagen für das kommende Semester per Post erhalten haben. Sie hat noch nichts bekommen und wurde von der Kindergeldkasse schon mehrfach gemahnt, nun endlich die neuen Studienunterlagen einzureichen. Ansonsten, so droht man ihr, werde die Zahlung des Kindergeldes ausgesetzt. Sie beschuldigt die Hochschule, geschlampt zu 2

Entsprechend der Aufgaben, die eine Hotline im Zuge des Beschwerde- und Ideenmanagements erhält, muss, gerade wenn es sich um höherwertige Tätigkeiten handelt, überlegt werden, welche Qualifikationen die Personen haben müssen, die diese Arbeit ausüben, und in welche Entgeltgruppe sie eingeordnet werden. Möglicherweise sind rein studentische Teams hierfür nicht geeignet.

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haben, und droht mit Regressforderungen, sollte sie den Anspruch auf Kindergeld wegen der Hochschule verlieren. Die Telefonagentin spricht einige beruhigende Worte und überprüft dann mithilfe des Studierendenverwaltungsprogramms, weshalb die Studentin ihre Unterlagen noch nicht erhalten hat. Sie stellt fest: Es ist alles in Ordnung und die Unterlagen wurden verschickt. Allerdings findet sie den Vermerk, dass die Post zurückgekommen ist. Die Studentin gibt nun kleinlaut zu, dass sie umgezogen ist und vergessen hat, ihre Adresse zu ändern. Die Telefonagentin darf die Adresse direkt ändern, wenn ihr die Studentin die nur ihr bekannte Identifikationsnummer nennt. Sie trägt die neue Adresse ein und stößt über das Computerprogramm einen neuen Versand der Unterlagen an. Damit ist die Studentin zufrieden, die Beschwerde konnte sofort geklärt und erledigt werden. Beispiel 2 – Abwendung von Widerspruch und Klage Ein Student meldet sich völlig aufgelöst bei der Hotline. Sein Antrag auf Beurlaubung wurde abgelehnt und deshalb ist sein Auslandssemester in Gefahr, da er laut der Prüfungsordnung eigentlich nach spätestens vier Fachsemestern (FS) eine bestimmte Prüfung hätte ablegen müssen. Da die Beurlaubung die FS-Zählung »gestoppt« hätte, wäre der Auslandsaufenthalt kein Problem gewesen. Ohne die Beurlaubung muss er nun die Prüfung ablegen und kann nicht ins Ausland gehen. Leider musste er auch schon die Miete für die dortige Wohnung im Voraus bezahlen und fürchtet nun, dass er das Geld nie wiedersieht. Das direkte Gespräch mit seiner Sachbearbeiterin hat leider nicht zum gewünschten Erfolgt geführt, er will nun Widerspruch einlegen und zur Not gegen die Hochschule klagen. Außerdem droht er damit, die Presse zu informieren. Der Telefonagent versucht, den Studenten zu beruhigen; da dieser Vorgang seine Kompetenzen übersteigt, vergibt er ihm einen Termin in der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement. In der Sprechstunde wird festgehalten, dass sich die Mitarbeiterin der Beschwerdestelle mit der Sachbearbeiterin beraten wird und der Student nach fünf Werktagen wieder in der Hotline anrufen kann, um sich über den weiteren Verlauf zu informieren. Die Beschwerdemanagerin bittet die Sachbearbeiterin, den Sachverhalt © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

erneut zu prüfen und sie über die Ergebnisse zu unterrichten. Die Sachbearbeiterin sieht weiterhin keine Möglichkeit, den Antrag zu genehmigen. Die Beschwerdemanagerin vermerkt im Ticketsystem, dass ein weiteres Gespräch mit dem Studenten nötig ist. Dieser ruft nach fünf Tagen wieder an, erhält von der Hotline die Informationen zum bisherigen Sachstand und einen neuen Termin. Bei diesem Termin sind neben dem Studenten und der Beschwerdemanagerin auch der Leiter der Studierendenverwaltung und die Sachbearbeiterin anwesend. Nach einem langen Gespräch stellt sich heraus, dass es bei der Antragsstellung einige Missverständnisse gegeben hat und der Antrag, nach Vermittlung der Beschwerdemanagerin, ausnahmsweise im Sinne einer einmaligen Einzelfallentscheidung nun doch genehmigt werden kann. Widerspruch, eine Klage und schlechte Presse wurden somit verhindert. Beispiel 3 – Ideenumsetzung Eine Studentin lernt im Sommer immer auf der Zentralwiese der Hochschule. Ihre zweijährige Tochter findet das recht langweilig. Die Studentin hat einen Einfall: »Hier könnte man doch einen Sandkasten und ein paar Spielgeräte aufstellen.« Sie greift zu ihrem Mobiltelefon und meldet sich bei der Hotline. Die Telefonagentin hat selbst einen kleinen Sohn und findet die Idee sofort super. Sie schreibt der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement ein Ticket. Der Ideenmanager überlegt sich, wen er ansprechen müsste und setzt sich mit dem Leiter der universitären Gartenbauverwaltung zusammen. Über E-Mail vereinbaren sie mit der Studentin eine Ortsbegehung und stellen fest, dass es ausreichend Platz für ein paar Spielgeräte gibt. Es stellt sich nach Rücksprache mit der Finanzabteilung heraus, dass der Fördertopf kinderfreundliche Hochschule noch nicht leer ist und hieraus Geld für die Umsetzung verwendet werden kann. Der Ideenmanager bespricht mit dem Dekan der Kunstakademie, ob die Studierenden nicht im Rahmen eines Seminars künstlerisch ansprechende Spielgeräte entwerfen könnten. Der Dekan stimmt zu und im Wintersemester 2014/2015 entstehen mehrere Geräte und ein Sandkasten. Diese werden zum Beginn des neuen Sommersemesters von der Gartenbauverwaltung fachgerecht aufgestellt. Die Presseabteilung hat Journalisten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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eingeladen und die Hochschule wird in den Berichten der lokalen Medien gelobt.

Mögliche Probleme eines Beschwerdeund Ideenmanagements Fachkollegen, die diesen Text vorab gelesen haben, stellten in der anschließenden Diskussion immer wieder drei Fragen zum Thema Beschwerde- und Ideenmanagement, die ich in diesem Nachtrag gern aufgreifen und zumindest kursorisch behandeln möchte. Die erste Frage lautet: »Öffnet man mit einem Beschwerde- und Ideenmanagement nicht Nörglern und Querulanten Tür und Tor?« Daran schließt sich dann direkt die zweite Frage an: »Schafft ein Beschwerde- und Ideenmanagement nicht für alle Mitarbeiter der Hochschule zusätzliche Arbeit?« Und schließlich folgt die dritte, alles entscheidende Frage: »Was bringt der Hochschule ein Beschwerdeund Ideenmanagement überhaupt?« Teilweise sind diese Fragen natürlich hier schon angesprochen worden, aber noch nicht abschließend behandelt. Dies ist auch in diesem Nachtrag nicht vollständig möglich, könnte man doch über jede einzelne dieser Fragen einen eigenen Aufsatz schreiben. Dennoch sollen hier zumindest erste Antworten auf diese durchaus berechtigten Fragen gegeben werden. Nörgler und Querulanten Das Horrorszenario vieler Mitarbeiter einer Hochschule ist es, dass ein Beschwerde- und Ideenmanagement dazu führe, dass sogenannte Nörgler und Querulanten eine Plattform erhalten würden, ungerechtfertigte und geradezu unverschämte Beschwerden vorzutragen und entsprechende Forderungen zu stellen. Dies, so die Befürchtung, hätte dann zur Folge, dass die zuständigen Mitarbeiter der Beschwerdestelle ständig mit allen anderen Mitarbeitern der Hochschule wegen dieser ungerechtfertigten Beschwerden und Forderungen sprechen und verhandeln müssten und Sachbearbeiter, Berater sowie Dozenten fortan einen erheblich größeren Aufwand und mehr (unnötige) Arbeit hätten. Das Beschwerde- und Ideenmanagement, so wird hier befürchtet, öffne Nörglern und Querulanten Tür und Tor. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Zunächst einmal ist hier auf ein grundsätzliches Problem hinzuweisen. Wie definiert man eigentlich Nörgler und Querulanten? Oftmals wird in Diskussionen vorgebracht, dass es sich dabei um Studierende handele, die sich wiederholt über ein und denselben Sachverhalt beschweren würden oder immer neue Dinge fänden, die in eine Beschwerde mündeten. Stauss und Seidel (2002) formulieren hier viel vorsichtiger und definieren Personen, die sich öfter beschweren, relativ neutral als »Wiederhol-Beschwerdeführer« (S. 211). Wenn sich ein Kunde wiederholt beschwere, dann müsse dies als Alarmsignal wahrgenommen werden, denn ein Kunde gehe, wenn er sich beschwere, nicht nur davon aus, dass seine konkrete Beschwerde bearbeitet werde, sondern auch, dass es zukünftig in diesem Bereich keinen weiteren Grund für eine Beschwerde geben werde, weil entsprechende Maßnahmen ergriffen würden, die für Abhilfe sorgen würden (S. 211). »Die Wiederhol-Beschwerdeführer bedürfen daher einer besonderen Aufmerksamkeit« (S. 211). In diesem Sinne sei es eminent wichtig, zu bedauern, zuzuhören und genau zu erklären, was bisher gemacht worden sei (S. 212). Personen, die sich also mehrfach über etwas beschweren, sind mitnichten sofort als Unruhestifter abzustempeln, sondern haben ganz im Gegenteil vielleicht auch besonders komplizierte Probleme, die eine besonders große Sensibilität im Umgang erfordern. Belastbare Zahlen dazu, wie viele Nörgler und Querulanten sich an eine Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement wenden, gibt es leider nicht. Dies liegt laut Stauss und Seidel (2002) daran, dass es »keine eindeutigen Identifikationsmerkmale« von Nörglern und Querulanten gebe und letztlich jedes Unternehmen, jede Institution selbst festlege, wer ein Nörgler und ein Querulant sei (S. 52). Sie haben aber einige Merkmale zusammengetragen, die auf Nörgler und Querulanten zutreffen können und bei deren Identifikation helfen können: Querulanten erfinden Probleme, stellen Sachverhalte falsch dar und dramatisieren, stellen überzogene Forderungen und sprechen Drohungen aus. Nörgler beschweren sich schon bei geringfügigen Anlässen und marginalen Problemen, verhindern Lösungen und ziehen eine Befriedigung daraus, den Konflikt fortzusetzen (S. 212 f.). Dennoch, so halten sie klar und deutlich fest, sei es falsch, jemanden nur deshalb als Nörgler oder Querulanten zu bezeichnen, weil er sich mehrfach beschwert habe oder wegen seines Sachverhaltes öfter nachhake (S. 212). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Fast jeder war selbst schon einmal in der Situation, sich über einen Sachverhalt beschwert zu haben. Es ist völlig nachvollziehbar, dass man nachfragt, falls die Bearbeitung länger dauert, oder sich wieder beschwert, falls das ursprüngliche Problem oder ein anderes wieder auftreten. Würde dies schon ausreichen, eine Person als Unruhestifter zu definieren, wären wir ein Volk der Nervensägen, was glücklicherweise nicht der Fall ist. Sind aber nun die meisten Beschwerden und Forderungen, die an ein Beschwerde- und Ideenmanagement gerichtet werden, unberechtigt? Stauss und Seidel (2002) negieren dies und verweisen darauf, dass es in der Forschungsliteratur viele »ernstzunehmende« Autoren gebe, die vor der »Überbetonung des Querulantenproblems warnen« (S. 52). Zudem rekurrieren sie auf eine Studie, die zeige, dass »weniger als 5 % der Kundenanrufe als ›wütend‹, weniger als ein Promille als ›unverschämt‹ und keiner als ›ungerechtfertigt‹ klassifiziert wurde« (S. 52). Wolf Hertlein (2013) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich nach seinen Praxiserfahrungen bei Nörglern und Querulanten um ein Problem handele, welches im »Promillebereich« angesiedelt sei, und dass ihm auch von anderen Kollegen aus dem Bereich des Hochschulbeschwerdemanagements diese Problematik nicht bekannt sei. Natürlich gebe es Personen, die eine Hochschule regelrecht »stalken« würden, aber diese können nicht im Beschwerdemanagement betreut werden, sondern wären Fälle für ein eigenes Bedrohungsmanagement. Wenngleich damit deutlich gemacht sein dürfte, dass durch die Implementierung eines Beschwerde- und Ideenmanagements mitnichten für Nörgler und Querulanten Tür und Tor geöffnet werden, so kann hier zusätzlich noch auf den Vorteil eines zentralen Beschwerdemanagements im Umgang mit den wenigen Unruhestiftern eingegangen werden. Durch ein zentrales Beschwerdemanagement können die sogenannten »Streubeschwerden«, die also gleichzeitig von ein und derselben Person an die unterschiedlichsten Stellen einer Hochschule gerichtet werden, abgefangen werden und die entsprechenden Mitarbeiter können Nörgler und Querulanten besser filtern, als wenn diese sich dezentral an alle möglichen Mitarbeiter der Hochschule wenden können. »Wenn die Beschwerdebearbeitung nicht koordiniert erfolgt, besteht die Gefahr, dass © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

die Beschwerde nicht als Streubeschwerde erkannt und mehrfach bearbeitet wird« (Stauss u. Seidel, 2002, S. 214). Das Problem der Nörgler und Querulanten scheint also überhaupt kein Problem zu sein. Vielmehr bietet das zentrale Beschwerdeund Ideenmanagement die Chance, Streubeschwerden zu filtern und Unruhestifter sicher zu identifizieren. Schafft ein Beschwerde- und Ideenmanagement mehr Arbeit? Zunächst einmal ist es natürlich völlig normal, dass die Implementierung einer Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement einen Mehraufwand für diejenigen schafft, die an der Einrichtung der Stelle beteiligt sind. Die Mitarbeiter, die später in der Stelle arbeiten, bieten einen Service an, den es vorher so nicht gegeben hat. Insofern ist dies der unstrittige, ja regelrecht triviale Teil der Frage, ob ein Beschwerde- und Ideenmanagement mehr Arbeit schafft. Wenn man es genau nimmt, dann zielt die Eingangsfrage auch nicht auf diesen Aspekt ab. Bei dieser Frage geht es vielmehr um die Sorge der Mitarbeiter der Hochschule, dass sich, sobald es die Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement gibt, viele Studierende über die unterschiedlichsten Sachverhalte beschweren und allerlei Ideen vortragen, die geprüft werden müssen. Diese Sorge lässt sich nicht so einfach von der Hand weisen, ist es doch gerade das Ziel einer solchen Beschwerdestelle, dass die Studierenden nun kompetente Ansprechpartner haben, an die sie sich mit Problemen oder Verbesserungsvorschlägen wenden können. Fraglich ist bei der Sorge aber, ob sich diese Studierenden vorher nicht auch schon an verschiedene Einrichtungen der Hochschule gewendet haben, wenn sie Probleme oder neue Ideen hatten. Denn nur, wenn dies nicht so gewesen wäre, würde die Stelle mehr Arbeit generieren. Geht man prinzipiell davon aus – was durchaus wahrscheinlich ist –, dass es schon immer Beschwerden und Ideen gegeben hat, dann bietet die Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement sogar die große Chance, die anderen Mitarbeiter der Hochschule zu entlasten. Künftig kann sich jeder mit seinen Beschwerden und Ideen direkt an diese Stelle wenden oder aber von den Mitarbeitern der Hochschule an diese Stelle verwiesen werden. In diesem Zusammenhang sei auch © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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noch einmal mit Nachdruck darauf verwiesen, dass Beschwerden keineswegs etwas Schlechtes sind, und Ideen schon überhaupt nicht. Eine Hochschule kann sich glücklich schätzen, wenn sich ihre Studierenden mit ihrer Kreativität und ihren Ideen einbringen, um den Studienalltag besser zu gestalten. Dass an großen öffentlichen Einrichtungen wie Hochschulen auch nicht immer alles so funktioniert, wie sich dies der Einzelne wünscht, ist meines Erachtens nichts, was verschwiegen werden muss, sondern etwas völlig Normales. Insofern kann es eine Hochschule eigentlich nur begrüßen, wenn ihre Studierenden Probleme nicht unter den Teppich kehren, sondern einer Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement mitteilen, damit diese Probleme zum Wohle aller gelöst werden können. Natürlich kann es nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass durch die Implementierung einer Stelle für Beschwerdeund Ideenmanagement mehr Beschwerden und Ideen an die Hochschule herangetragen werden als zuvor und dadurch zumindest in manchen Teilbereichen auch mehr Arbeit entsteht. Dieses Risiko, welches ich persönlich als geringer als die Vorteile dieses Konzepts erachte, scheint jedoch recht klein zu sein. In diesem Sinne sei deswegen auch hier noch einmal auf Stauss und Seidel (2002) verwiesen, die verkürzt gesagt postulieren: Statt die Zahl der Beschwerden gering zu halten, etwa durch Abschottung, müsse die Zahl der unzufriedenen Kunden verringert werden und dazu sei es nötig, dass sich möglichst viele unzufriedene Kunden beschwerten, denn nur dann könnten deren Anliegen geklärt werden und es bestehe die Chance, dass sie zu zufriedenen Kunden würden (S. 51). Was nutzt ein Beschwerde- und Ideenmanagement? Die Frage, was ein Beschwerde- und Ideenmanagement nutzt, schließt letztlich direkt an die Befürchtung an, dass ein Beschwerdeund Ideenmanagement sehr viel mehr Arbeit für alle Beschäftigten generiert. Die Vorteile einer solchen Stelle wurden in den bisherigen Ausführungen an verschiedenen Stellen schon erwähnt, dennoch soll ihnen hier noch einmal ein eigener Abschnitt gewidmet werden, um zu zeigen, dass sie etwaigen Nachteilen gegenüber weit überwiegen. Die Mitarbeiter einer zentralen Beschwerde- und Ideenstelle können durch Nutzung eines Ticketsystems oder anderer geeigneter © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

EDV-Programme sehr leicht prüfen, ob die Hochschule in bestimmten Fällen mit Streubeschwerden konfrontiert wird. Anstatt dass unterschiedliche Stellen, ohne es zu wissen, dieselbe Beschwerde oder Idee bearbeiten, kann die Streubeschwerde identifiziert sowie koordiniert weitergleitet werden und die Mitarbeiter des Beschwerde- und Ideenmanagements behalten den Gesamtüberblick. Es lässt sich im Bereich der Streubeschwerden, die an ganz unterschiedliche Stellen der Hochschule gerichtet werden, also sicherlich nicht leugnen, dass die koordinierende Tätigkeit der Mitarbeiter der Beschwerdestelle hier die anderen Mitarbeiter der Hochschule entlastet (vgl. Stauss u. Seidel, 2002, S. 214). Des Weiteren, dies wurde bereits erläutert, können Nörgler und Querulanten so besser erkannt werden, was die übrigen Mitarbeiter der Hochschule ebenfalls entlastet. Darüber hinaus kann es auch durchaus vorkommen, dass verschiedene Studierende ganz unabhängig voneinander ein und dieselbe Beschwerde oder Idee vortragen. Durch die Mitarbeiter der Stelle für Beschwerde- und Ideenmanagement kann gewährleistet werden, dass diese Beschwerden und Ideen gebündelt an die weiteren Arbeitsbereiche weitergegeben werden und bei diesen nicht eine Vielzahl gleicher Vorgänge bearbeitet werden müssen. Auch dies entlastet die Mitarbeiter der Hochschule. Wer in seiner beruflichen Tätigkeit mit Beschwerden und Ideen konfrontiert wird, der weiß, dass diese Sachverhalte oft viel Zeit in Anspruch nehmen und nicht immer einfach zu klären sind. Die Mitarbeiter einer Beschwerdestelle können hier durch Gespräche, Mediation und Beratung sicherlich viele Kontroversen schlichten, für Verständnis werben, Termine vereinbaren und Vorschläge erarbeiten, so dass dies ebenfalls die weiteren Mitarbeiter der Hochschule entlastet. Stauss und Seidel (2002) nennen unter anderem noch folgende Vorteile eines Beschwerdemanagement, die sich meines Erachtens ebenfalls problemlos auf eine Hochschule übertragen lassen: Verbesserung der Qualität, Verminderung von Auseinandersetzungskosten und mehr Kundenorientierung (S. 79). Gerade der Punkt der verbesserten Qualität scheint hier von besonderer Bedeutung zu sein. Zu einem Beschwerde- und Ideenmanagement, welches vollständig implementiert ist, gehört auch das Monitoring. Dies bedeutet, dass © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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ausgewertet wird, aus welchen Bereichen und zu welchen Sachverhalten Beschwerden und Ideen eingehen. Dadurch können viele Prozesse verbessert werden. Als Beispiel kann hier etwa ein Antragformular der Hochschule benutzt werden. Angenommen, es gibt in einem Kalenderjahr zu dem Antrag auf Exmatrikulation immer wieder Beschwerden mit der Begründung, er sei schlecht verständlich, so könnte zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Sachbearbeitern, Studienberatern, Studierenden und einem Beschwerdemanager, diesen Antrag entsprechend der Beschwerden optimieren. Sofern die Optimierung glückt, wird es in Zukunft zu diesem Antrag nur noch wenige Beschwerden geben, was das Monitoring zeigen kann. Die Mitarbeiter der Hochschule werden also entlastet, da sie zu diesem Antrag weniger Nachfragen beantworten müssen. Es kann also festgehalten werden: Das Beschwerde- und Ideenmanagement entlastet die Mitarbeiter der Hochschule, es hilft dem einzelnen Studierenden, der ein Problem hat, durch Beratung und gegebenenfalls Interventionen, es hilft, durch ein Monitoring insgesamt die Qualität von Studium, Lehre und Verwaltung zu verbessern. Zudem zeigt es den Studierenden, dass die Hochschule ihre Beschwerden und Ideen ernst nimmt und es sich lohnt, sich in die Weiterentwicklung der eigenen Hochschule einzubringen. Gerade in Zeiten, in denen Hochschulen um die sogenannten klügsten Köpfe, um Drittmittel und engagierte Alumni werben, kann ein gutes Beschwerde- und Ideenmanagement folglich ein wichtiger Baustein sein, die Hochschule insgesamt als modern, aufgeschlossen, veränderungsbereit und dialogorientiert zu präsentieren. Wer sich als Studierender von seiner Hochschule bei Beschwerden und Ideen ernst genommen gefühlt hat und bei Problemen nicht von A nach B und wieder zurückrennen musste, der ist als Alumni vielleicht auch eher bereit, seiner Hochschule verbunden zu bleiben, für sie zu werben oder auch Gelder zu akquirieren und Kooperationspartner zu gewinnen.

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Theoretische Ansätze

Literatur Brechtel, A. (2012). Wenn’s im Studium mal irgendwo hakt. Die Rheinpfalz, 67 (156). Brechtel, A. (2013a). Telefongespräch mit Wolf Hertlein, Beschwerde- und Verbesserungsmanager der Technischen Universität Darmstadt. Unveröffentlichtes Gesprächsprotokoll vom 21. 03. 2013. Brechtel, A. (2013b). Doodle-Umfrage und Interviews. Unveröffentlichte Daten und Mitschrift. Hertlein, W. (2013). Auch das noch! Mediatives Beschwerdemanagement an Hochschulen. Workshop und Vortrag auf der GIBeT-Fachtagung Vernetzung und Professionalisierung von Beratung an Hochschulen in Mainz. Unveröffentlichter Workshop und Vortrag.3 Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (o. J.). Stellenausschreibungen. Zugriff am 25. 03. 2013 unter http://www.ku.de/unsere-ku/stellenausschreibungen/nicht-wissenschaftlich/einzel/article/zentrale-studienberatung-tvl-e13/ Knoll, J. (2006). Beratung lernen durch Beraten und Beraten-werden. In G. Fellermeyer, E. Herbrich (Hrsg.), Lebenslanges Lernen für alle – Herausforderungen an die Bildungsberatung (S. 35–49). Berlin: Karin Kramer Verlag. Rahm, D. (2004). Gestaltberatung. Grundlagen und Praxis integrativer Beratungsarbeit (9. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Schöber, P. (1997). Organisatorische Gestaltung von BeschwerdemanagementSystemen. Frankfurt a. M. u. a.: Lang. Stauss, B., Seidel, W. (2002). Beschwerdemanagement. Kundenbeziehungen erfolgreich managen durch Customer Care (3. Aufl.). München u. Wien: Hanser. Technische Universität Darmstadt (o. J.). Website des Beschwerde- und Verbesserungsmanagers Wolf Hertlein. Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://www. intern.tu-darmstadt.de/dez_ii/beschwerden/index.de.jsp

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An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei Wolf Hertlein (TU Darmstadt) für die guten, informativen und anregenden Gespräche bedanken.

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Kira Nierobisch

Aktuelle gesellschaftliche Tendenzen im Bildungssystem und die Auswirkungen auf die Bildungsberatung

Gesellschaftliche Transformationen – eine Skizze Rasante gesellschaftliche Transformationsprozesse prägen aktuelle Lebens- und Arbeitsbedingungen und resultieren in neuen Anforderungsprämissen, deren Auswirkungen für den Einzelnen kaum abschätzbar sind. Dazu gehören Entwicklungen, die sich in Schlagwörtern wie Globalisierung, Pluralisierung und Individualisierung wiederfinden. Mit dem Übergang von der Industrie- und Produktionsgesellschaft zur Wissensgesellschaft (vgl. exemplarisch Stehr, 1994, 2001; Engelhardt u. Kajetzke, 2010) sind unweigerlich Fragen des Wissenszuganges, der -aneignung und des Wissensmanagements verbunden. Unter ökonomischen Aspekten und einer verstärkten Output-Orientierung gewinnen Bildung und Lernen zunehmend an Bedeutung. Dabei wird Bildung jedoch zur bildungspolitischen Strategie des lebenslangen Lernens verkürzt, die »alles Lernen während des gesamten Lebens [umfasst], das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt« (Bechtel, Lattke u. Nuissl, zit. nach Pongratz, 2007, S. 5). Dies betrifft das formale, nonformale und informelle Lernen (S. 3). Mit dem Postulat des lebenslangen Lernens gehen auch Fragen neuer Lehr- und Lernkulturen einher (vgl. Schüßler u. Thurnes, 2005). Dazu gehören zum Beispiel Lernszenarien des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens, die unter den Voraussetzungen zunehmender Technisierung, Medialisierung und Virtualisierung ein individuelles und flexibles Lernen ermöglichen sollen. So bedingen Formate wie E-Learning oder Blended Learning nicht nur seitens der Lehrenden und Lernenden die Notwendigkeit neuer technischer © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Kompetenzen, sondern auch Metakompetenzen des »how to learn« (vgl. S. 74). Gerade mit Blick auf die Arbeits- und Erwerbssituationen zeigen sich zunehmend Entwicklungen, die die traditionell normale Arbeitsbiografie der Moderne durch prekäre Bedingungen der Flexibilisierung und Unstetigkeit ablösen. Dabei dominiert in vielen Branchen das Modell der Projektarbeit, die nur befristet eine Erwerbstätigkeit bietet. Insbesondere in den Arbeitssektoren gering qualifizierter Tätigkeiten sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus finanziellen Gründen zunehmend gezwungen, verschiedene (Teilzeit-)Stellen miteinander zu kombinieren. So stieg die Zunahme der Teilzeitbeschäftigten, befristet Beschäftigten, geringfügig Beschäftigten sowie Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer von 2004 bis 2010 von 1,7 Millionen auf 7,8 Millionen, was 22 % aller Erwerbstätigen ausmacht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 22). Besonders alarmierend wirken diese Zahlen im Zusammenhang mit dem Grad der Qualifizierung: Während 38 % der Beschäftigten mit niedriger Qualifikation in den sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen stehen, sind es bei den Hochqualifizierten nur 15 % (vgl. S. 23). Hinzu kommt eine zunehmende Akademisierung klassischer Ausbildungsberufe, so dass sich die Frage nach der Balance eines gut qualifizierten Fachkräftemarktes versus eines hohen Anteils gering qualifizierter Erwerbstätiger stellt. Neue Arbeitszeitmodelle, die neben individuell gestaltbaren Arbeitszeiten häufig auch die Möglichkeit des Home-Office bieten, erlauben zwar eine passgenauere Ausrichtung auf die persönlichen oder familiären Lebensumstände, bergen aber auch die Gefahr permanenter Verknüpfung von Arbeit und Freizeit. Unterstützt durch die Neuen Medien und der daraus resultierenden allzeitigen Erreichbarkeit und Gleichzeitigkeit, obliegt es dem und der Einzelnen, für eine austarierte Work-Life-Balance zu sorgen. Dies erweist sich jedoch unter den wirtschaftlichen Vorgaben steigender Konkurrenz und der Sorge um den Arbeitsplatz als schwierig. Hinsichtlich des viel diskutierten demografischen Wandels stellt sich gesellschaftlich nicht nur die Frage der Finanzierbarkeit von Renten und öffentlichen Ausgaben im Gesundheitssektor, sondern auch, wie sich das Zusammenleben einer zunehmend älteren © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

K. Nierobisch: Aktuelle gesellschaftliche Tendenzen im Bildungssystem65

Gesellschaft gestalten wird. Dazu zählen neben neuen Konzepten im Gesundheits- und Sozialwesen auch Fragen innovativer Dienstleistungen und veränderter Arbeitszeitmodelle. So wird sich, laut aktuellem Bildungsbericht, das Verhältnis von Menschen in der Vorerwerbsphase (unter 19 Jahren) zu den Personen in der Nacherwerbsphase (61 Jahre und älter) gravierend ändern: Gehörten 2010 noch 17,1 % der Bevölkerung in Deutschland zur Phase des Vorerwerbs, werden es 2035 voraussichtlich noch 15,5 % sein. Für die Nacherwerbsphase zeigt sich das Verhältnis mit 25,3 zu 36,4 % (das bedeutet ein absolutes Plus von 7 Millionen) eindeutiger (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 18). Für den Bildungsbereich bedeutet dies unter anderem, Weiterbildungsangebote für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entwickeln, nachhaltige Konzepte des Wissensmanagements aufzubauen und vor allem eine Bildungsbeteiligung aller Menschen langfristig zu fördern. Dazu zählen zwar als Anschubfinanzierung auch Konjunkturprogramme von Bund, Ländern und Gemeinden wie sie zum Beispiel im Rahmen des Zukunftsinvestitionsgesetzes bestehen und im Zeitraum von 2009 bis 2011 zusätzlich 8,7 Milliarden Euro für den Bildungsbereich einstellten; dazu müssen aber auch langfristige personelle und monetäre Maßnahmen gehören. Mit dem Konzept pluralistischer Lebensentwürfe unweigerlich verbunden ist auch ein Wandel gängiger Rollen- und Identitätsvorstellungen. Sich wandelnde Geschlechterrollen, die Auflösung traditioneller Lebensformen wie Familie und Ehe und veränderte Normen und Werte führen zu Selbstkonzepten, die der Sozialpsychologe Heiner Keupp (1997) mit dem Terminus der Patchwork-Identitäten zusammenfasst. Diese beinhalten eine alltägliche Passungsarbeit zwischen inneren, das heißt individuellen, und äußeren – im Sinne von gesellschaftlichen – Bedingungen in einer »permanenten Verschränkung sozialer und personaler Prozesse« (S. 183). Die Identitätsentwicklung des Subjektes unterliegt dabei keinem Abschluss der Entwicklung, sondern zeigt sich als permanenter, offener Prozess, der auch die parallele Existenz verschiedener Teilidentitäten erlaubt. Keupp et al. (2008) modellieren ausdrücklich eine Identitätsvorstellung, die Identität als Zusammenspiel verschiedener Teilidentitäten versteht, welche sich wiederum aus den zunehmend differenzierten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Anforderungen an das Individuum ergeben. Die mitunter widersprüchlichen oder kaum miteinander zu vereinbarenden Identitätsanforderungen ergeben somit ein Patchwork an Identitäten, das häufig eher einem »Crazy Quilt« (S. 18) gleicht und auch Identitätsrisse und -brüche versucht nahtlos in das eigene Selbstkonzept zu integrieren. Damit wird die Vorstellung einer Normalbiografie obsolet und weicht einer individuell zu verantwortenden Wahl- oder Bastelbiografie (vgl. Hitzler u. Honer, 1994). Um die tiefgreifenden Entwicklungen zu skizzieren, die das deutsche Bildungssystem aktuell durchläuft, werden im Folgenden exemplarisch vier Themenkomplexe vorgestellt und die damit verbundenen, tatsächlichen oder auch vermuteten Auswirkungen auf die Bildungsberatungen modelliert: 1. PISA und die Folgen für die Lernberatungen an Schulen, 2. Tendenzen in der beruflichen (Aus-)Bildung, 3. der Bologna Prozess und seine Folgen als Beispiel für den Hochschulsektor, 4. das bildungspolitische Programm des lebenslangen Lernens mit seinen Konsequenzen für die Weiterbildungsberatungen. Eine kurze Einführung in die heterogene Landschaft der Lern- und Bildungsberatungen und eine definitorische Klärung des diesem Artikel zugrunde liegenden Beratungsbegriffes dienen als Fundament der weiteren Ausführungen.

Bildungsberatung – Verortung in einer heterogenen Landschaft Nur wenige pädagogische Handlungsfelder erfahren zurzeit eine solch große öffentliche Aufmerksamkeit, wie sie aktuell der Beratung zukommt. Bereits 2001 rief das Forum Beratung in der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) im Rahmen der ersten Frankfurter Erklärung zu einem neuen Diskurs über Beratung auf. Aus interdisziplinärer Perspektive, die psychologisches, pädagogisches und soziologisches Wissen unter einer kulturellen und zeitreflexiven Sichtweise vereint, forderte das Forum, den Beratungsbegriff nicht nur auszudifferenzieren, sondern ihn im Kontext © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu reflektieren und weiterzuentwickeln: »Unsere Lebens- und Arbeitswelten verändern sich gegenwärtig in dramatischer Form. Bisher tragfähige Normalitäten und Identitäten verlieren im globalisierten Kapitalismus ihre Passform und wir alle sehen uns mit der Erwartung konfrontiert, uns flexibel und offen auf veränderte Bedingungen einzulassen. Unsere Alltage werden riskanter und unvorhersehbarer, Gemeinsamkeiten scheinen weniger selbstverständlich. Identitäten und Zukunftsentwürfe werden brüchig, müssen immer wieder erarbeitet und neu ausgerichtet werden. Persönliche Lebenspläne, Vorstellungen von sich selbst und der eigenen Lebenswelt verlangen kontinuierliche Reflexion und Überprüfung. Soziale Zugehörigkeit und Anerkennung erfordern immer neue Anstrengungen der Ausbalancierung von Integration, Bezogenheit und Autonomie. Planungen finden in zunehmend unsicheren Planungsumfeldern statt. Entscheidungen müssen trotz fehlender Entscheidungsgrundlagen getroffen werden. Orientierung muss auch in zunehmender Unübersichtlichkeit stattfinden« (o. S.). Zu den verschiedenen Formen psychosozialer Beratung zählen hier auch die Formate der Bildungsberatung, die das Informieren, Anleiten und Beraten im Kontext von Bildungs-, Berufs-, Erwerbsund Karriereentwicklung betreffen. Im Zentrum stehen dabei Themen, »die sich auf Fragen zu Lern- und Bildungsprozessen, [zur] Kompetenzentwicklung, [zur] Bewältigung von Arbeitsanforderungen und [zu] beruflichen Qualifikationen sowie auf gesellschaftliche Herausforderungen des lebenslangen Lernens beziehen« (Schlüter, 2010, S. 9). Sie gelten sowohl für die personen- als auch die organisationsbezogenen Beratungsformate. Mit Blick auf die jeweiligen Bedürfnisse der Beratenen und die jeweilige Zielgruppe der Beratung (z. B. ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeitslose, Berufseinsteigerinnen, Berufsrückkehrer, sogenannte bildungsbenachteiligte Menschen etc.) soll Lernen angeregt und begleitet sowie Hilfestellung in Entscheidungssituationen zur Verfügung gestellt werden. Dies betrifft – in theoretischer Abgrenzung zur psychosozialen Beratung – insbesondere Fragestellungen im beruflichen Kontext und in Entscheidungslagen, die den biografischen Bildungs- und Lernweg betreffen. Institutionell oder © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

organisatorisch verankert finden sich die Formate als Lernberatung, Kompetenzentwicklungsberatung, Weiterbildungsberatung mit der klassischen Kursberatung und Karriereberatung. Als besondere Formate präsentieren sich innerhalb der Lern- und Bildungsberatung das Mentoring, Coaching, die Supervision oder kollegiale Beratung (vgl. Schlüter, 2010, S. 14).

Schule – nach PISA ist vor PISA? Mit PISA erreichte im Jahr 2000 das nationale Bildungssystem im Bereich der Schule einen Schock, der nachhaltig wirkt und den auch nachfolgende Studien und Untersuchungen nur gering abfedern. Dabei misst PISA die Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, bezogen auf die Lesekompetenzen, mathematischen Modulierungsfähigkeiten und die naturwissenschaftliche Grundbildung. Die erreichten, nur mittelmäßigen Ergebnisse haben nicht nur deutsche Schulpädagoginnen und -pädagogen verunsichert, sondern auch die Eltern der Kinder und Jugendlichen vor neue Fragen gestellt. Was muss und soll Schule lehren, welches Wissen und Können sollen die Schülerinnen und Schüler wie erwerben und vor allem: Welchen Wert hat Bildung im nationalen Kontext? Diese Fragen gilt es zu beantworten und eine Fülle von Reformen und länderspeziellen Modellversuchen versucht dementsprechend neue Wege auszuprobieren. Da reicht das Spektrum von besonderen Fördermaßnahmen für Hochbegabte und Kinder mit besonderem Förderbedarf bis hin zu Konzepten inklusiver Bildung und dem partiellen Wegfall von »Sonderschulen«. Hauptschulen verschwinden zunehmend und weichen Realschulen mit differenzierten Abschlussmöglichkeiten oder integrierten Gesamtschulen; der Weg zum Abitur kann auf acht Jahre reduziert werden (»G8«) und die Übergänge zwischen den einzelnen Schulformen sollen sukzessiv – so der Plan der Kultusminister – durchlässiger werden. Gerade für die Eltern ist die Frage nach dem individuell richtigen Schulverlauf für ihr Kind von großer Relevanz. Denn eines hat PISA auf jeden Fall bewiesen: den engen Zusammenhang von sozialen Lebensbedingungen und Bildungsbeteiligung. Dazu zählen unter anderem das familiäre Bildungsniveau, der sozialökono© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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mische Status und die Erwerbsbeteiligung. Bezogen auf diese drei Rahmenbedingungen werden im Bildungsbericht drei Gruppen extrahiert, die besonderer Aufmerksamkeit und Unterstützung bedürfen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 26 ff.): Zur ersten Gruppe gehören Kinder aus einem sogenannten bildungsfernen Elternhaus, das heißt aus einem Haushalt, in dem kein Elternteil einen Bildungsabschluss des Sekundarbereiches II oder einen entsprechenden beruflichen Abschluss nachweisen kann. Die zweite Gruppe umfasst Familien mit einer sozialen Risikolage. Dies trifft dann zu, wenn kein Elternteil erwerbstätig ist und somit der Zugang zu Ressourcen des gesellschaftlichen Lebens in der Regel fehlt. Die finanzielle Notlage, die ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze von 60 % des Durchschnittsäquivalenzeinkommens berücksichtigt, umschreibt die dritte Gruppe. 2010 betrug der Anteil der Kinder, die der dritten Gruppe zuzuordnen sind, 18 %, wobei vor allem Kinder von Alleinerziehenden mit 38 % sehr häufig dieser Gruppe zuzuzählen und somit von einer finanziellen Notlage betroffen sind (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012). Auch wenn die offiziellen Statistiken eine rückläufige Zahl von Kindern und Jugendlichen in bildungsfernen Elternhäusern sowie finanziellen und sozialen Notlagen verzeichnet, so gehören doch 29 % aller Kinder und Jugendliche zumindest zu einer der drei Risikogruppen, 3 % sogar zu allen dreien (vgl. S. 8). Diese Resultate verweisen auf die hohe Relevanz individueller Förderung und materieller sowie ideeller Unterstützung für den weiteren Bildungsweg und -erfolg der Kinder und Jugendlichen. Individuell wird die Empfehlung für die weiterführende Schulform nach der Grundschule, spätestens nach der sechsten Klasse, zu einer neuralgischen Hürde im Lebenslauf und die Wahl der bestmöglichen Schule zu einer zentralen Fragestellung. Eine zunehmende Privatisierung der Schulen und ein hoher Konkurrenzkampf zollen dieser Entwicklung ihren Tribut. So verwundert es nicht, dass die Zahl der Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft im Vergleich zu 1998 um 25 % zugenommen hat (vgl. S. 6). Eklatant zeigt es sich bei den Grundschulen in freier Trägerschaft, die von absolut 314 auf 791 gestiegen sind (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht, 2012). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Progressiv wird der Entscheidungsprozess, welche Schule die geeignete ist, in die Beratungen im schulischen Kontext hineingetragen. Dazu kommen – neben psychosozialen – verstärkt auch Lernproblematiken oder allgemein erzieherische Probleme. Unterstützt wird das klassische Lernberatungsformat mittlerweile von psychotherapeutischen Angeboten, Mediationsformaten (z. B. Streitschlichtern) oder verschiedenen Formen des Coachings. Dabei nutzen sowohl Lehrerinnen und Lehrer wie Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern die Beratungsmöglichkeiten intensiv und mit steigender Nachfrage. Alarmierend lesen sich die Zahlen, die den Anteil der Schülerinnen und Schüler betreffen, die direkt in eine Förderschule eingeschult werden. Hier zeigt sich ein Anstieg von 3 % im Jahr 2000, auf 3,7 % für 2009; 2010 findet sich erstmals ein leichter Rückgang auf 3,4 % (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 7). Frappierend gestiegen ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf trotz einer Verdoppelung der Integrationsquote. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 hat sich in dem Bereich der Schüleranteil von 14 % auf 29 % verdoppelt, während sich eine zeitgleiche Verringerung des Förderschulbesuchs nur in wenigen Bundesländern abzeichnet. Mit der Perspektive der Lernberatung und pädagogischen Begleitung aller Beteiligten eröffnet sich dort ein weiteres, expandierendes Tätigkeitsfeld, das in seiner Komplexität viele Segmente klassischer Beratung und gleichzeitig sozialer Arbeit und sonderpädagogischer Begleitung vereint. Der Ausbau der Ganztagsschulen, der sich in allen Schulformen findet, bietet – meist als offenes, das heißt freiwilliges Modell – den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einer ganztägigen Betreuung, die neben dem Unterricht und der Hausaufgabenbetreuung auch verschiedene Freizeitangebote umfasst – von Sport-AGs, musischer und kultureller Bildung bis hin zu sozialen Angeboten der Jugendarbeit. Neben den vielen positiven Aspekten wie schulischer Förderung, Betreuung und der Möglichkeit verschiedener Freizeitangebote für alle Schülerinnen und Schüler stellt die Ganztagsschule häufig für die Väter und Mütter eine wichtige Voraussetzung dar, um (voll-)erwerbstätig zu sein. Doch die ersten Erfahrungen zeigen auch einen zunehmenden Freizeitverlust, gepaart mit einem hohen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Leistungsdruck für die Jungen und Mädchen. Klassische Formate der außerschulischen Jugendarbeit wie Sport oder ehrenamtliche Tätigkeiten (beispielsweise in Jugendverbänden) entfallen aufgrund des Zeitmangels. Damit wird es den Kindern und Jugendlichen zunehmend erschwert, Lernerfahrungen außerhalb der Schule zu machen, sich selbstständig neue Erfahrungsräume zu erschließen, die außerhalb von Benotung und Leistung existieren, und ein erfahrungsbasiertes Lernen zu erleben, das auch Momente des Scheiterns beinhalten darf. Untermalt wird diese Entwicklung von Bestrebungen aus Politik und Wirtschaft, Kompetenzen, die im Rahmen von Ehrenamt oder Hobby informell erworben wurden, anhand von Zertifikaten abzubilden und für den weiteren beruflichen Werdegang zu nutzen. Selbst unter der Prämisse, damit auch jenen bildungsbenachteiligten Jugendlichen, die in formalen Bildungssettings nur wenig oder keine Qualifikationen erworben haben, eine Chance zu geben, verkennt diese Strategie die Lernerfahrungen ob ihrer selbst willen. Stattdessen wird eine Output-Orientierung favorisiert, die es mit (fragwürdigen) Messinstrumenten abzubilden und zu quittieren bzw. zu zertifizieren gilt. So wird das informelle Lernen nicht nur den Kriterien formaler Lernprozesse unterworfen, sondern die Jugendlichen werden nahtlos auch im außerschulischen Kontext in ein System permanenter Verwertungslogik eingegliedert, das sich in den Systemen der beruflichen Ausbildung fortsetzt.

Berufliche (Aus-)Bildung – zwischen Übergangssystemen und Akademisierung Die Ausbildungslage in Deutschland verzeichnet eine zunehmend höhere Zahl von Studierenden. Parallel dazu werden einstige duale Ausbildungsberufe zunehmend in akademische Kontexte eingebettet, während zum Beispiel klassische Handwerksberufe regional über fehlenden qualifizierten Nachwuchs klagen. Der Datenreport des Bundesinstitutes für Berufsbildung (BIBB) von 2010 untersucht unter anderem die Bedeutung und Wirksamkeit von Bildungsgängen des Übergangssystems, die von circa 300.000 jungen Menschen in Anspruch genommen werden müssen und der Vorbereitung auf eine © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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vollqualifizierende Ausbildung dienen (vgl. S. 1). Dabei weist bereits die BIBB-Übergangsstudie (Rohrbach-Schmidt, 2010) mit 7.200 Jugendlichen von 2006 nach, dass 32 % der nicht studienberechtigten Schulabsolventinnen und -absolventen mindestens an einer Übergangsmaßnahme (z. B. teilqualifizierende Berufsfachschule, betriebliches Praktikum/betriebliche Einstiegsqualifizierung oder berufsvorbereitende Maßnahme/Berufsvorbereitung oder Berufsgrundschuljahr) teilnahmen. Neben der Suche nach einem Ausbildungsplatz stand das Erreichen eines Schulabschlusses (Hauptschulabschluss oder Realschulabschluss) im Vordergrund. Auch wenn alle Maßnahmen hohe Abbruchquoten aufweisen (zwischen 12 und 22 %; vgl. S. 3), so zeigen sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die die Maßnahmen erfolgreich abgeschlossen haben, sehr positive Ergebnisse hinsichtlich der Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung (zwischen 50 und 63 %, drei Jahre später im Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2009 sogar zwischen 61 und 83 % – je nach Maßnahme und individueller Bildungsvoraussetzung). Diese erfolgsversprechenden Ergebnisse lassen einen Ausbau des Übergangsprogramms seitens der Bundesregierung erwarten und eröffnen im Bereich der beruflichen Bildungsberatung weitere Handlungsfelder. Auch wenn die Jugendarbeitslosenquote in Deutschland deutlich niedriger als das OECD-Mittel ausfällt, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass einzelne Gruppen von Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen große Probleme haben, eine ausbildungsadäquate Arbeit zu finden. Insbesondere in Ostdeutschland werden drei Jahre nach Ausbildungsabschluss gut die Hälfte der Absolventen nicht ausbildungsadäquat beschäftigt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012, S. 10). Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) werden im SGB III als aktive Arbeitsförderung, im SGB II als Eingliederungsmaßnahme geführt. Sie betrafen 2011 knapp 73.000 Personen in der beruflichen Weiterbildung nach SGB II und 88.627 Menschen nach SGB III (vgl. Reichart, 2014, S. 122). Neben den klassischen Maßnahmen, die zu einem anerkannten Ausbildungsberuf führen, zählen auch Maßnahmen der Weiterqualifizierung dazu. Bundesweite Programme wie die © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Bildungsprämie oder der Bildungsgutschein oder länderspezifische Programme wie zum Beispiel der Quali-Scheck (Rheinland-Pfalz) oder der Bildungsscheck (NRW) bilden hier erste Unterstützungen, die jedoch von den Antragstellerinnen und Antragstellern eine fundierte Recherche nach der richtigen Qualifikationsmaßnahme voraussetzen. Nur wenn diese verschiedenen Maßnahmen breitenwirksam lanciert werden und der Prozess der Antragsstellung niederschwellig begleitet wird, können besonders die Menschen von den Förderprogrammen profitieren, deren Bildungswege diskontinuierlich verliefen oder erschwert waren und der öffentlichen Unterstützung bedürfen.

Hochschulbildung – mehr als nur Bologna? Wohl kaum ein Bildungssektor hat in den letzten zehn Jahren so viele Neuerungen über sich ergehen lassen müssen wie das deutsche Hochschulsystem. Bemängelt an den Hochschulen wurden die »ungleiche Bildungsbeteiligung, ihre zu hohe Zahl von Abbrechern, ihre zu strikte Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung, ihre überholte curriculare Orientierung usw.« (Pongratz, 2007, S. 11). Unter der Marge von »Bologna« entstanden aus diesem Grund inhaltliche Reformen und strukturelle Veränderungen an den deutschen Universitäten und Hochschulen, deren Folgen nicht nur bis dato andauern, sondern deren Auswirkungen zudem allenfalls erahnbar, nicht aber in ihrer Vieldimensionalität langfristig präzise vorhersehbar sind. Zugunsten von Bachelor (BA) und Master (MA) wurden die alten Diplom- und Magisterstudiengänge abgelöst, Modularisierungen und Akkreditierungen eingeführt. Das heißt, dass das einstige Vollstudium von fünf oder sechs Jahren durch ein »sechssemestriges Kurzstudium zum Bachelor« (Krautz, 2007, S. 144 f.) ersetzt wurde, dem ein Aufbaustudium, nämlich der Master, folgt, das jedoch aufgrund der geringeren Studienplatzkapazitäten nicht allen BA-Studierenden offensteht. Unter den Prämissen von Exzellenz- und Eliteuniversitäten wurden außerdem eine zunehmende Konkurrenz und internationale Vergleichbarkeit unter privatwirtschaftlichen Konditionen zwischen den Hochschulen geschaffen. Für die Studierenden © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

bedeutet dies nicht nur ein outputorientiertes Studium unter inhaltlich und zeitlich starren Vorgaben, sondern häufig auch eine Lernkultur, die sich durch Leistungsdruck, hohen bürokratischen Aufwand, permanente Prüfungen und dichte inhaltliche Vorgaben auszeichnet. Unter diesen Voraussetzungen wird das Studium für viele der Studierenden zu einer Art »verlängerter Schule«, weil es an die dortigen Erfahrungen mit einem vollen Stundenplan, Pflichtkursen und einem auf die Prüfungen bezogenen, schnelllebigen Lernen nahtlos anknüpft. Dass das Studium auch eine Zeit persönlicher Bildung und Reife, ein Erfahrungs- und Lernraum sowohl zum eigenständigen Herausbilden von Fragen, Interessen, forschender Neugierde als auch zur Persönlichkeitsentwicklung ist, wird in diesen Prozessen negiert und den jungen Menschen vorenthalten. Umso mehr finden Fragen der Arbeitsmarktgängigkeit, der Praxisorientierung und des zeitnahen Studienabschlusses Gehör. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Studiengänge, die mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge einhergeht, wird inzwischen zudem nicht nur eine internationale Vergleichbarkeit erschwert, sondern bereits innerhalb Deutschlands lassen sich formal gleiche oder ähnliche Studiengänge inhaltlich nicht vergleichen, was beispielsweise einen universitären Wechsel oder einen konsekutiven Master an einer anderen Hochschule erschwert (vgl. Krautz, 2007). Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung, Lehre und Verwaltung bedeuten die neuen Studienstrukturen nicht nur sehr große Kohorten von Studierenden, sondern vor allem zunehmende administrative Aufgaben, innerhalb derer Tätigkeiten der Prüfungskorrekturen, Studienakkreditierung, des Monitorings und der (Selbst-)Evaluation gefordert sind. Mit dem wachsenden Verwaltungsaufwand sinkt umgekehrt proportional die zur Verfügung stehende Zeit für qualitativ tiefgehende, inhaltliche Aufgaben in Forschung und Lehre. Ergänzt werden die inneruniversitären Entwicklungen durch eine zunehmende Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Bildung. Beispiele wie Stiftungsprofessuren, das Deutschlandstipendium oder die wachsende Drittmittelakquise zeugen von diesen Entwicklungen, die die Universitäten in die Gefahr bringen, ihre akademische Freiheit in Forschung und Lehre zu verlieren und © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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zu privatwirtschaftlichen Unternehmen zu mutieren (vgl. dazu exemplarisch Hering, 2006; Borst, 2007; zur Lippe, 2006). Mit dem Schlagwort der »Offenen Universität« soll, so der bildungspolitische Wille, die deutsche Hochschule zukünftig vermehrt »nichttraditionell Studierenden« offenstehen. Darunter fallen Studierende, die erst nach anderen biografischen Phasen (z. B. Berufstätigkeit, Familienphase etc.) das Studium aufgenommen haben oder über alternative Zugangswege an die Hochschule kamen (z. B. eine Kombination von beruflichen Qualifikationen) sowie Menschen, die nicht in Vollzeit studieren, sondern in Teilzeit oder über ein Fernstudium mit Präsenz- und Blended-Learning-Settings. Im Rahmen der wissenschaftlichen Weiterbildung wird den deutschen Hochschulen als Anbieterinnen von Weiterbildung und Institutionen des lebenslangen Lernens eine im internationalen Vergleich untergeordnete Rolle zugesprochen (vgl. Reichart, 2014, S. 127). Mit dem seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Programm »Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen« soll dagegen Abhilfe geschaffen werden. Neue Zielgruppen für die Hochschulen sollen erschlossen werden. So soll der Hochschulzugang zunehmend auch Bewerberinnen und Bewerbern ohne Abitur eröffnet werden. Ein Beispiel hierfür ist die Initiative »Studieren ohne Abitur«, die es Erwerbstätigen nicht nur mit Meister- oder Fachwirtabschluss, sondern auch mit einer qualifizierten Berufsausbildung und entsprechender Berufserfahrung ermöglichen soll, ein Hochschulstudium zumindest fachverwandt zu absolvieren. Während es bis zum Wintersemester 2007/2008 weniger als 1 % waren, die über den sogenannten »dritten Bildungsweg« an die Hochschulen kamen, ist die Zahl in den letzten Jahren rasant gestiegen. Mittlerweile studieren 25.706 Studierende ohne Abitur an deutschen Hochschulen, während es 1997 nur 8.447 waren; 2.856 Studierende haben 2010 ihr Studium erfolgreich beendet und 9.241 ihr Studium begonnen (vgl. Nickel u. Duong, 2012, S. 29). Ausgehend vom demografischen Wandel und dem befürchteten Fachkräftemangel sollen im Rahmen der wissenschaftlichen Weiterbildung neben den atypisch Studierenden auch ältere Studierende angesprochen werden, um beispielsweise im Rahmen eines Seniorenstudiums die Hörsäle zu füllen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der Hochschulberatung – sei es in den Studienfachberatungen, den Studienberatungen oder weiteren Beratungseinrichtungen wie zum Beispiel dem Career Service – eröffnet sich ein zunehmend heterogenes und anspruchsvolles Handlungsfeld. Mit der Gruppe der Studierenden begegnen ihnen in der Regel Menschen, die mit Verkürzung der Sekundarstufe II auf acht Jahre (»G8«) und dem Wegfall der Wehrpflicht sehr jung sind und nach Orientierung und Sicherheit in einem für sie neuen System suchen. Häufig werden die Studieninteressierten oder Studienanfänger von den Eltern oder der Familie begleitet, die in die Informationsangebote der Hochschule integriert werden müssen. Zunehmend begegnen den Beraterinnen und Beratern junge Erwachsene, die aufgrund ihrer bisherigen Lebens- und Lernerfahrungen wenig selbstständig und ungeübt sind, die eigenen Belange strukturiert und verantwortungsbereit in die Hand zu nehmen und auch mit Niederlagen oder Rückschlägen konstruktiv umzugehen. Für die Professionellen im Kontext der Hochschulberatung bedeutet das neben der Notwendigkeit, eine fundierte Kenntnis der hochschulinternen Angebote sowie der überregionalen fachlichen Programme zu besitzen und präzise Informationen vermitteln zu können, auch, als Bildungsberater immer wieder aufs Neue den kompletten Studienverlauf zu begleiten. Dies beginnt bereits mit den zeitaufwändigen, komplexen Auswahlverfahren zum Hochschulzugang und den einzelnen Fächern und endet beim Übergang in den Beruf. Will man angesichts dieser Situation die Aufgaben von Beratung umreißen, »so besteht sie vor allem darin, Anleitung zur gezielten Informationssuche zu geben, Hilfestellung bei der Erarbeitung der individuell relevanten Entscheidungskriterien zu leisten und die Studien- und Zugangsmöglichkeiten der eigenen Universität transparent darzustellen« (Großmaß u. Püschel, 2010, S. 266). Insbesondere an den Punkten des Überganges zeigt sich, dass die Beratungsaufgaben eine Situation betreffen, die im Sinne einer Statuspassage aufzufassen ist. Hier werden bildungspolitisch neue Kooperationen zwischen Hochschule und Schule oder zwischen Hochschule und Unternehmen eingefordert, die den jeweiligen Übergang erleichtern sollen. Mit der Erweiterung der Studierenden © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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auf ältere Studierende, Studierende mit Berufserfahrungen, ohne Abitur oder nach Phasen der Familienarbeit werden sich die Beratungsanforderungen weiter ausdifferenzieren und individuell gestaltet werden müssen. Die Nachfrage nach passgenauen Studienfächern, die die wissenschaftlichen Theorien mit der Arbeitspraxis sinnvoll verknüpfen, und das gleichzeitige Einfordern klassischer Angebote wie zum Beispiel der Lernberatung werden zentrale Aufgaben sein. Mit dem Fokus der Internationalisierung steigt nicht nur der Bedarf der persönlichen Begleitung ausländischer Studierender, sondern auch die Varianz der Leistungsvoraussetzungen innerhalb der eigenen Studienangebote aufgrund von Anerkennungen ausländischer Abschlüsse oder Studienleistungen. Intern gilt für die Beschäftigten in der Hochschulberatung, ein eigenes Profil zu entwickeln. Zur Schaffung eines profunden Profils zählen beispielsweise Vernetzungen mit anderen Fachstellen innerund außerhalb der Einrichtung, die Mitarbeit in Fachverbänden, Foren und Berufsnetzwerken sowie Kenntnisse über die regionale und bundesweite hochschulpolitische Lage und Entwicklung. Im Rahmen der fachlichen Professionalisierung muss es darum gehen, das multidimensionale Berufsfeld der Hochschulberatung auch wissenschaftlich zu begleiten, um eine langfristige Implementierung an den Hochschulen nicht nur projektgebunden zu etablieren, sondern auch finanziell und personell abzusichern. Im Rahmen der Qualitätsentwicklung und beruflichen Professionalisierung gilt es daher, prospektiv auch eine akademische Weiterentwicklung des Berufsbildes zu diskutieren.

Der tertiäre Sektor – Weiterbildung im Aufwind? Mit der Rekordquote von 49 % bejubelte der Adult Education Survey (AES) 2012 das Weiterbildungsverhalten in Deutschland, das den Einbruch 2009 (42 %) und die Werte von 2007 (44 %) deutlich in den Schatten stellte (siehe Europäische Kommission, 2013; Bilger, Gnahs, Hartmann u. Kuper, 2013). Dieser Anstieg ist – so Leven, Bilger, Strauß und Hartmann (2013) – besonders der betrieblichen Weiterbildung zu verdanken, die 2012 mit 35 % erstmals mehr als ein Drittel der im AES Befragten erreicht hat (vgl. Leven et al., 2013, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

S. 93). In der Analyse der verschiedenen Weiterbildungsaktivitäten1 dominieren mit 25 % die Themenfelder Natur, Technik und Computer sowie mit 33 % Wirtschaft, Arbeit und Recht. Der Bereich Gesundheit und Sport rangiert mit 19 % auf Platz 3, gefolgt von Sprachen, Kultur, Politik (13 %) und Pädagogik und Sozialkompetenz (8 %) (vgl. Seidel, Bilger u. Gensicke, 2013, S. 137). Letzterer Bereich erfreut sich – differenziert man die Themenfelder nach dem Status der Erwerbstätigkeit bzw. der Ausbildung – indes bei Arbeitslosen (20 %), die sich über den Erwerb sozialer Metakompetenzen bessere Arbeitsmarktchancen erhoffen (vgl. Seidel et al., 2013), größerer Beliebtheit. Mit dem progressiven Anspruch, dass die Individuen für die Gestaltung ihrer Bildungsbiografien selbst verantwortlich sind, und zunehmender Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geht auch eine Fokussierung auf die Weiterbildungssegmente einher, die beruflich verwertet werden können. Dazu zählen neben technischen Kompetenzen auch das Erlernen oder Verbessern von Fremdsprachenkenntnissen oder betriebswirtschaftliches Wissen. Unter der Prämisse einer zunehmenden Zeitverknappung der Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer und aufgrund finanzieller Einsparungen seitens der öffentlichen und privaten Weiterbildungsträger lässt sich eine Tendenz zur Verkürzung des durchschnittlichen Unterrichtsstundenvolumens ausmachen (vgl. Huntemann u. Ambos, 2014, S. 101). Auch wenn die Zahlen des Adult Education Survey 2012 (Bilger et al., 2013) auf einen positiven Trend im Weiterbildungsverhalten verweisen, so bestätigen sie doch gleichzeitig einmal mehr die enge Korrelation zwischen formalem Bildungsniveau und Weiterbildungsteilnahme: »Der Bildungshintergrund erweist sich als sehr robuster Prädikator für die Beteiligung an Weiterbildung. Egal ob der Schulabschluss, der berufliche Ausbildungsabschluss oder der

1 In der deutschen Berichterstattung zur Weiterbildung wird die Teilnahmequote an nonformaler Bildung als zentraler Indikator beschrieben (vgl. Reichart, 2014, S. 105); demzufolge wird der Begriff der Weiterbildung, den internationalen Vorgaben folgend, mit nonformaler Bildung gleichgesetzt.

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ISCED2-Level betrachtet werden, es ergibt sich jeweils immer das gleiche Bild: Je höher die Bildung oder Ausbildung der Befragten ist, desto höher sind sowohl die Weiterbildungsquote als auch das Weiterbildungsvolumen3« (Leven et al., 2013, S. 93). Ergänzend lässt sich bezogen auf die einzelnen, inhaltlichen Segmente der Weiterbildung eine weitere Differenzierung festhalten: Während der Schulabschluss in den drei Dimensionen betriebliche Weiterbildung, individuell berufsbezogene Weiterbildung und nicht berufsbezogene Weiterbildung die Muster, das heißt das Ausmaß der Weiterbildungsteilnahme, strukturiert, ist der berufliche Ausbildungsabschluss vor allem bedeutsam für die Teilnahme an der betrieblichen Weiterbildung (vgl. Reichart, 2014, S. 108). So lag 2012 die Teilnahmequote an Weiterbildungen insgesamt in der Gruppe mit den höchsten Schulabschlüssen doppelt so hoch wie in der Gruppe mit den niedrigsten Schulabschlüssen (64 % zu 32 %) (vgl. Reichart, 2014). Komplettiert werden die nonformalen Bildungsbestrebungen durch Formate des informellen Lernens im Arbeitskontext. Dazu zählen – so Kaufmann (2012) – drei Hauptformate: arbeitsbegleitendes Lernen, lernförderliche Arbeitsorganisation und Fachkommunikation, die jedoch statistisch schwer zu erheben und auszuwerten seien. Indes jedoch weist Kaufmann nach, dass sich auch hier wieder zeigt, dass gerade solche Erwerbstätige informelle Lernformen bewusst nutzen, die auch schon an formalisierten Lernformen beteiligt sind (vgl. Reichart, 2014, S. 116). Bezogen auf die Altersklassen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer muss eine weitere Differenzierung vorgenommen werden. So nehmen im Vergleich zu den mittleren Altersstufen sowohl die 55- bis 64-Jährigen am seltensten an Maßnahmen der betrieblichen und der allgemeinen Weiterbildung teil als auch die 18- bis 24-Jährigen am seltensten an der beruflichen Weiterbildung. Während gerade die Jüngeren noch an ihr frisch erworbenes Ausbildungswis2 Mit der ISCED (International Standard Classification of Education) erfolgt die individuelle Angabe des Bildungsniveaus (der höchsten abgeschlossenen Bildungsebene) im internationalen Vergleich. Dabei wird zwischen sechs Leveln unterschieden (1‒6). 3 Unter dem Weiterbildungsvolumen wird die Anzahl der Stunden verstanden, die die Weiterbildungsmaßnahme/-/n beinhaltet bzw. beinhalten.

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sen anknüpfen und deshalb eine Weiterbildung seltener besuchen, zeigt sich in der Gruppe der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine gewisse »Berufsmüdigkeit« und aufgrund des baldigen Ruhestandes eine geringere Motivation, sich beruflich fortzubilden. Hinsichtlich der nicht berufsbezogenen Weiterbildung gilt eine entsprechende Umkehrung. Sie wird signifikant häufiger in jüngeren (19 bis 24 Jahre) und älteren (55 bis 64 Jahre) Jahren wahrgenommen und weniger in Altersstufen, in denen gewöhnlich die berufliche Etablierung und Familiengründung liegen (vgl. Reichart, 2014, S. 112). Da im AES (Adult Education Survey) 2012 nur Personen bis zum 64. Lebensjahr befragt wurden, gibt die Studie leider keine Auskünfte über das Weiterbildungsverhalten älterer und alter Menschen (vgl. Bilger et al., 2013). Das Team um Rudolf Tippelt widmete sich 2009 mit dem Projekt EdAge diesem Desiderat und befragte Menschen vom 65. bis zum 80. Lebensjahr zu ihrem Weiterbildungsverhalten. Immerhin 12 % der Befragten, bei erwerbstätigen Personen sogar 25 %, nahmen an Weiterbildungsveranstaltungen teil, wobei der Anteil nichtberuflich orientierter Weiterbildungen mit zunehmendem Lebensalter logischerweise kontinuierlich zunimmt (vgl. Schmidt, Schnurr, Sinner, Theisen u. Tippelt, 2009). Dennoch wird auch hier offensichtlich – so die Untersuchungen von Wienberg und Czepek –, »dass Bildungsungleichheiten über den Lebenslauf kumulieren, sodass für eine Erhöhung der Bildungsbeteiligung im Alter und Nutzung deren positive Wirkung möglichst schon in jungen Jahren angesetzt werden muss. Als positive Wirkung werden die ›Schutzfunktion‹ von Bildung für gesundes Altern, die positive Wirkung der Bildungsaktivität auf die Lebenszufriedenheit an sich und die Stärkung der lebenslaufbezogenen Kompetenzen gesehen« (zit. nach Reichart, 2014, S. 113). In der Differenzierung nach Migrationshintergrund fällt auf, dass Menschen mit Migrationshintergrund zwar eine geringere Beteiligung an Weiterbildungen aufweisen, diese jedoch durch die zum Teil zeitlich umfangreichen Maßnahmen vor allem im Bereich der nicht berufsbezogenen Weiterbildung (z. B. Sprachkurse) hinsichtlich des Weiterbildungsvolumens kompensiert werden (vgl. Leven et al., 2013, S. 93). Gleichzeitig vermuten Leven et al. eine Selektion der Gruppe mit Migrationshintergrund im Adult Education Survey © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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von 2012, »da die Befragung aus forschungsökonomischen Gründen ausschließlich in deutscher Sprache und ohne Übersetzungshilfen durchgeführt wird. Die Befragungspersonen stellen daher hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse einen positiven Ausschnitt aus der in Deutschland lebenden Population mit Migrationshintergrund dar. Die hier berichteten Teilnahmequoten [an den verschiedenen Weiterbildungsmaßnahmen] dürften daher eher überschätzt sein« (2013, S. 92). Anknüpfend an die Erfahrungen, die PISA 2000 bundesweit ausgelöst hat, zeigt sich nun in vergleichbarer Weise die Bedeutung international vergleichender Bildungsforschung für die Erwachsenenbildung/Weiterbildung in Deutschland. Auch wenn die Ergebnisse der ersten »PISA Studie für Erwachsene« (PIAAC) 2013 (OECD, 2013) bei weitem weniger Anlass zur Sorge geben als einstmals PISA, so verweisen sie doch wiederum auf den »in Deutschland besonders stark ausgeprägten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzen« (Schmidt-Hertha, 2014, S. 26). Die PIAAC-Studie (OECD, 2013), die ähnlich den international vergleichenden Studien zu grundlegenden Kompetenzen im Erwachsenenalter »ALL« (Adult Literacy and Lifeskills Survey) und »IALS« (International Adult Literacy Survey) Lesekompetenzen, alltagsmathematische Kompetenzen und technologiebasiertes Problemlösen von national 5.400 erwerbstätigen Personen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren erhob, bestätigt Deutschland im internationalen Vergleich der 23 beteiligten Länder zwar einen guten Mittelrang, verweist aber deutlich darauf, »dass gerade die Zielgruppen mit dem größten Bildungsbedarf am wenigsten von den Angeboten beruflicher und außerberuflicher Weiterbildung erreicht werden« (Schmidt-Hertha, 2014, S. 27). Neben der Notwendigkeit, die in den letzten Jahren initiierten Programme zur Grundbildung nicht nur weiterzuführen, sondern auch auszubauen, betont PIAC die Relevanz kontinuierlicher Lernaktivitäten und Weiterbildung jenseits der formalen Erstausbildung.

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Theoretische Ansätze

Die eierlegende Wollmilchsau? Kompetenzprofile für Beraterinnen und Berater im Bildungssektor Kommunikationsfähigkeit, Reflexionsvermögen, fachliches Knowhow – die Liste der Kompetenzen, die Beraterinnen und Berater im Bildungssektor mitbringen sollen, sind vielfältig und so ausdifferenziert wie die Beratungskontexte selbst. Das bundesweite Forschungsprojekt »Bildungsberatung und Kompetenzentwicklung« unter der Leitung von Schiersmann hat – in enger Kooperation mit den Einrichtungen der Praxis und dem Nationalen Forum für Bildung, Beratung und Beschäftigung (nfb) ‒ ein erstes, ausdifferenziertes Kompetenzprofil für die Professionellen in der Bildungsberatung entwickelt (vgl. Schiersmann, Bachmann, Dauner u. Weber, 2008). Ausgehend von einem systemischen Kontextmodell von Beratung (S. 16) wird nicht nur das mikrosoziale Beratungssystem berücksichtigt, sondern auch der institutionelle und makrosoziale, sprich gesellschaftliche Kontext integriert. Dazu zählen auf der Ebene des Beratungsprozesses die Gestaltung der Beratungsbeziehung, die präzise Klärung des Beratungsanliegens und -vorgehens und das Festlegen, wie die identifizierten Fragestellungen antizipativ bewältigt werden können (S. 97 ff.). Bezogen auf die Person oder die Personengruppe der Beratenen betonen Schiersmann et al. die Notwendigkeit von Kenntnissen über die Lebensverläufe, -situationen, beruflichen Entwicklungsprozesse und Lebensphasen, bezogen auf die biografische Situation der Beratenen, und die damit verbundenen Konsequenzen für den Beratungsprozess. Das professionelle Handeln im Bezug zur eigenen Person impliziert die Relevanz selbstreflexiver Kompetenzen, die neben einer Orientierung an ethischen Standards oder einer »Beratungsmoral« (Schlüter, 2010, S. 14) auch das Integrieren organisatorischer Standards und wissenschaftlicher Diskurse berücksichtigt, zusätzlich zu der Notwendigkeit individueller und organisationsinterner Fort- und Weiterbildungen. Neben den organisationsbezogenen Kompetenzen wie beispielsweise Netzwerkarbeit, Bedarfsanalyse und Angebotsentwicklung orientieren sich die gesellschaftsbezogenen Kompetenzen an Fragestellungen der »methodischen und inhaltlichen Ausgestaltung der Beratungsprozesse als auch der Gestaltung des organisato© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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rischen Umfeldes« (Schiersmann et al., 2008, S. 103). Dies schließt mit ein, die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Veränderungen der Arbeitswelt, Berufsbilder, Anforderungskompetenzen, sich wandelnde Lernkulturen oder rechtliche und finanzielle Aspekte (z. B. Förderprogramme) in der Weiterbildung. Als Querschnittsaufgaben filtern Schiersmann et al. die Wahrnehmung der Ratsuchenden als kompetente und ressourcevolle Individuen, eine konstante Transparenz des Beratungsgeschehens, das Entwickeln ethischer Leitlinien und die Teilnahme an Prozessen der Qualitätsentwicklung heraus (S. 103 f.). Mit zunehmender Ausdifferenzierung der heterogenen, nationalen Weiterbildungslandschaft stellt sich für den und die Einzelnen zunehmend die Frage, welche Weiter- und Fortbildungen sich besonders im beruflichen Kontext anbieten, um unter den permanenten Wettbewerbsbedingungen konkurrenzfähig zu bleiben. Dies setzt – neben der eigenen Recherche – auch die persönliche Beratung voraus (vgl. Kuwan u. Seidel, 2013, S. 247). Gerade für Menschen mit geringen Zugangsmöglichkeiten im virtuellen Angebotsfeld oder mit besonderem Unterstützungsbedarf stellt die persönliche Beratung häufig die einzige Zugangsmöglichkeit in das Feld der Bildung und Weiterbildung dar. Hier gilt es seitens der Beraterinnen und Berater nicht nur dezidiert und präzise zu informieren, sondern die und den Ratsuchende/-n auf ihrem und seinem Weg persönlich zu begleiten und unter Umständen auch anzuleiten (vgl. Knoll, 2008, S. 109). Hinsichtlich zunehmender Professionalisierungsbestrebungen muss neben der individuellen Ebene der Beraterinnen und Berater aber auch die strukturelle und somit öffentliche Ebene benannt werden. Diese umfasst unter anderem die Aufgabe, über die verschiedenen Angebote und Formate von Beratung breitenwirksam zu informieren und hierzu auch neue Techniken und Medien zu nutzen. So verweist die Studie von Haydn und Götz (2013) auf die Relevanz sozialer Netzwerke wie Facebook, XING oder ähnlicher Formate für die Öffentlichkeitsarbeit von nonformalen Bildungseinrichtungen. Jütte (2011) betont sowohl für virtuelle als auch personelle Vernetzung den »allgemeinen Bedeutungszuwachs von netzwerkförmigen Arrangements und das Erkennen von Systemzusammenhängen (›Systemkompetenz‹)« (S. 3). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Unter Berücksichtigung all der zuvor ausgeführten Kompetenzerwartungen gilt es vordergründig, Beratung als pädagogisches Handlungsfeld institutionell und akademisch zu verankern, öffentliche Finanzierungen zu sichern sowie langfristig personelle Ressourcen zu schaffen.

Bildungsberatung als gesellschaftspolitisches Steuerungsinstrument? Ein kritischer Impuls In Zeiten gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, zunehmender Individualisierungsbestrebungen und ökonomisch motivierter Marktdiktate werden Bildungs- und Berufsbiografien zur existenzsichernden Lebensgrundlage. Umso schwieriger und gleichzeitig weitreichender gestalten sich die zu treffenden Entscheidungen im Kontext von Bildung und Weiterbildung und umso relevanter wird demzufolge die Bildungsberatung. Kaum mehr ein Bildungssektor kann und will es sich leisten, auf entsprechende Angebote zu verzichten. Beratungsanlässe werden produziert und lanciert und bieten den Beratenen Hilfe für scheinbar individuelle Problemlagen. Dabei gerät allzu schnell in Vergessenheit, dass sich – wie die vorherigen Ausführungen zeigen sollten – hinter aktuellen Entwicklungen und immer noch existenten Undurchlässigkeiten im Bildungssystem systemische Entwicklungen verbergen, die ihre Wurzeln nicht allein in individuellen Lebenszusammenhängen haben, sondern aus gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen resultieren. Ribolits (2007) betont, »dass die ›gesunde Normalpersönlichkeit‹ immer nur in Relation zu den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen definiert werden kann« (S. 21) und somit den herrschenden Machtstrukturen unterworfen ist. Rekurrierend auf die kritischen Analysen von Foucault und Deleuze hinterfragt er den derzeitigen »Beratungsboom« als ein politisches Phänomen, denn »in ihm zeigt sich überdeutlich die ›Pädagogisierung der Gesellschaft‹, jenes Prozesses, der Menschen dazu bringt, die ökonomische Lage derart zu verinnerlichen, dass sie die Zwänge des Kapitalismus nicht mehr von Menschen auferlegt, sondern als naturgegeben begreifen« (S. 4). So fungiert auch das Konzept des lebenslangen Lernens dazu, vor allem die marktgängigen Ziele eines wirtschaftlich führenden Europas umzusetzen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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und die allgemeine und vor allem berufliche Bildung über die Entwicklung des Humankapitals und der Arbeitskräfte in das System zu subsumieren: »lebenslanges Lernen erweist sich als Technik der Selbstführung mit dem Telos eines umfassenden Wandlungs- und Anpassungsvermögens« (Tuschling, zit. nach Pongratz, 2007, S. 14). Wollen die Bildungsberater und -beraterinnen die Beratungsprozesse im Sinne eines humanistisch verstandenen Bildungsverständnisses zusammen mit den Beratenen gestalten, müssen sie sich fragen, inwieweit Beratung im Dienste gesellschaftlicher Steuerung steht. Sie müssen demnach darüber nachdenken, wie sich ihre eigene Rolle und ihr Beratungshandeln systemkohärent oder auch systemkontingent auswirken bzw. auswirken sollen. Dies beinhaltet auch – so Ribolits (2007) –, »wieder eine Gegenautorität zu den gängigen gesellschaftlichen Erwartungen abzugeben oder zu deren Hinterfragen anzuregen« (S. 7). Denn sonst liefen die Berater und Beraterinnen Gefahr, als Geburtshelferinnen und -helfer »für die in der postindustriellen Gesellschaft geforderte permanente Selbstmodernisierung der Individuen« zu fungieren und »als postmoderne Agenten der Normalisierung, die ihren Kunden/Kundinnen auf sanfte – nondirektive – Art das Gift der Entmündigung einträufeln« (S. 8) dienstbar zu sein.

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Theoretische Ansätze

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Theoretische Ansätze

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Joachim Wenzel

Chancen und Risiken Neuer Medien in der Bildungsberatung

Vorbemerkungen Menschen kommunizieren im Alltag immer häufiger medial und suchen darüber hinaus Hilfe und Rat im Internet und über Neue Medien. Das hat entsprechend Auswirkungen auf die Bildungsberatung, indem sich durch die Medien einerseits neue Möglichkeiten für die Berater auftun und andererseits potenzielle Beratungskunden neue Kommunikationswege suchen und nutzen. Dabei stehen den Chancen Risiken gegenüber, da sich die Kommunikationstechnik sehr schnell entwickelt hat und noch weiterentwickelt, wodurch die Geräte und Übertragungswege mit ihren Gefahrenpotenzialen kaum noch durchschaut werden. Das gilt nicht nur für Beratung Suchende, sondern auch für Berater, die von den damit verbundenen Problemstellungen stark herausgefordert sind. Wenngleich dieses Thema in diesem Beitrag nicht erschöpfend behandelt werden kann, so werden dennoch zentrale Aspekte in den Blick gebracht, die mit den Chancen und Risiken einhergehen. Nur so ist es möglich, die Nutzung Neuer Medien in der Bildungsberatung aktiv mitzugestalten. Schließlich hängt es von einer Steuerung aus beratungsfachlicher Perspektive ab, ob die Chancen für die Beratung in der Praxis genutzt und die Risiken minimiert werden können.

Chancen und Potenziale Neuer Medien Die Chancen und Potenziale Neuer Medien in der Beratungsarbeit werden im Folgenden hinsichtlich fünf verschiedener Dimensionen betrachtet: Die organisationsinterne Vernetzung betrifft die gewandelten Möglichkeiten innerhalb einer Beratungseinrichtung; die neuen Zugangswege für Beratungssuchende thematisieren die Schwellensitu© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

ationen für Menschen mit Beratungsinteresse; unter der Perspektive der medialen Kundenkommunikation und Onlineberatung wird die neue Beratungskommunikation der beteiligten Akteure betrachtet; medienbasierte Informationsangebote zeigen die Potenziale möglicher Informationsaufbereitung auf; während die Dimension einer gezielten Verknüpfung der Beratungsangebote mögliche Synergieeffekte darlegt, die durch ein Gesamtarrangement der Angebote ermöglicht werden können. Organisationsinterne Vernetzung Ein Internetzugang mit Zugriff auf einen geschützten internen Bereich ist heute in vielen Arbeitsbereichen Normalität. Damit ist es möglich, auf gemeinsame Informationsressourcen zuzugreifen oder in Fachforen intern zwischen Beratern zu diskutieren. Immer häufiger gibt es aber auch spezielle Fachsoftware, die genutzt wird, um Fallakten zu führen bzw. Statistik zu erfassen. Das zielgerichtete Verteilen der Zuständigkeiten und Abläufe, etwa im Rahmen eines Qualitätsmanagements, das auch ein Datenschutzmanagement beinhaltet, kann dabei helfen, personelle Ressourcen zu sparen. Dazu ist es grundlegend, die verschiedenen Akteure einer Beratungseinrichtung bei Einführung neuer Technik möglichst früh in die Planungen mit einzubeziehen, um durch die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen beteiligten Berufsgruppen die Neuen Medien für die Praxis und möglichst alle Beteiligten fruchtbar zu machen. Die dabei zu beachtenden Risiken in Bezug auf Sicherheits- und Datenschutzfragen sowie der strafrechtlichen Schweigepflicht werden unten eigens behandelt, um der Komplexität der damit zusammenhängenden Fragen gerecht zu werden. Neue Zugangswege für Beratungssuchende Das Internet verbindet Menschen und verschiedenste Medien in einer technischen Plattform miteinander. Daraus ergibt sich, dass das Netz auch neue Zugangswege für Beratungssuchende bereitstellt. So können sich Menschen mit Fragen und Problemen zunächst im Internet informieren und sich die Angebote von verschiedenen Anbietern in Ruhe anschauen; sie nutzen daher diese Möglichkeit, sich über mögliche Beratungsangebote einen Überblick zu verschaffen, immer häufiger. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Die Neuen Medien stellen dabei nicht nur »Visitenkarten« der Organisationen in Form von Homepages zur Verfügung, vielmehr dienen die medialen Kommunikationsangebote zunehmend auch als erste Kontaktbrücke potenzieller Kunden, um ein spezielles Angebot zu erkunden. Dabei bewirkt die Vielfalt der Zugänge Niedrigschwelligkeit (Wenzel, 2013, S. 160 ff.). Noch vor einiger Zeit ging man davon aus, es gebe Zugänge, die prinzipiell niedrigschwelliger seien als andere. So wurde beispielsweise angenommen, dass das Telefonieren grundsätzlich niedrigschwelliger sei als das Face-to-Face-Gespräch. Untersuchungen zeigen jedoch, dass dies keineswegs der Fall ist. Während manche Personen eher telefonieren, um etwas abzuklären, fragen andere lieber direkt vor Ort nach und wieder andere nutzen die schriftliche Kommunikation und würden niemals anrufen. Bei anderen ist dies wiederum jeweils umgekehrt. Das bedeutet, dass Beratungsanbieter, die unterschiedliche Menschen erreichen möchten, auch verschiedene Kontaktangebote machen müssen, um nicht ganze Personengruppen auszugrenzen. Die Neuen Medien zeigen in Bezug auf niedrigschwellige Zugänge zu Beratungsangeboten dabei gerade darin ihr größtes Potenzial, dass sie in der Lage sind, differenzierte und variierende Zugangswege zu ermöglichen. Die unterschiedlichen Sinneskanäle können so passgenau genutzt werden. Visuelle Bildkommunikation über die Homepage (z. B. Fotos von Teams und Räumlichkeiten) ist dabei ebenso möglich wie das Angebot schriftlicher Kommunikation (z. B. E-Mail, Chat, Foren) und der Verweis auf auditive und audiovisuelle Kommunikationsformen (z. B. Telefon, Video und Bildtelefon), aber auch auf Face-toFace-Gespräche vor Ort. Dabei begünstigt die Vielzahl der Medien den gesellschaftlichen Differenzierungsprozess nachhaltig. Organisationen und Institutionen, die dazu beitragen möchten, dass es zu möglichst guten Passungen zwischen Beratungsangebot und dem jeweiligen individuellen Bedarf der Ratsuchenden kommt, können dabei die Neuen Medien nutzen, um die Angebote durch vielfältige Zugänge möglichst passend und niedrigschwellig zu gestalten. Mediale Kundenkommunikation und Onlineberatung E-Mail-Kommunikation wird immer häufiger auch in der Bildungsberatung als Mitteilungskanal genutzt, sowohl zur ersten Kontaktauf© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

nahme als auch im folgenden Beratungsprozess parallel zu anderen Kommunikationsformen. Im psychosozialen Feld hat sich sogar eine neue Form der schriftlichen Beratung unter dem Begriff »Onlineberatung« (vgl. Kühne u. Hintenberger, 2009; Engel u. Sickendiek, 2013) etabliert. Mit diesem Begriff werden vor allem E-Mail-Beratung, Chatberatung und Beratung in Foren bezeichnet. Nicht nur Angebote anonymer Onlineberatung zeigen, dass mit den neuen Beratungsformen Menschen erreicht werden, die zwar allgemein auf der Suche nach Beratung sind, aber noch keine klare Vorstellung davon haben, was sie tatsächlich brauchen. Insbesondere die E-Mail-Beratung hat sich dabei als Beratungsform fest etabliert, was vor allem der Zeitversetztheit dieser Kommunikationsform zu verdanken ist, während andere Formen multimedialer Beratung (z. B. Foren, Videokonferenzen) noch verhältnismäßig wenig angeboten und genutzt werden. Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, erhalten aufgrund der Neuen Medien eine Beratungsmöglichkeit, bei der sie nicht an einen bestimmten Ort gelangen müssen. Aber auch andere behinderungsbedingte Einschränkungen (z. B. Seh- und Hörbehinderungen) können durch Beratung mittels Neuer Medien kompensiert werden, indem mediale Angebote gerade für die funktionierenden Sinnes- und Wahrnehmungskanäle gemacht werden. Medienbasierte Informationsangebote In der Beratungsarbeit, die zentral auf Kommunikation mit den Beratenen basiert, bieten die aktuellen Entwicklungen neue beratungsfachliche Möglichkeiten. So kann beispielsweise die Internettechnik genutzt werden, um Informationen bereitzustellen, die im Beratungskontext immer wieder benötigt werden. Das kann durch eigene Inhalte geschehen, aber auch durch den Verweis auf externe Inhalte wie zum Beispiel Homepages oder Datenbanken. Hier ist es natürlich sinnvoll, zusätzlich das Angebot zu machen, zu diesen Inhalten im Rahmen einer Beratung ins Gespräch zu kommen. Die Informationen, die ohne eine weitergehende Nachfrage genutzt werden können, schonen dabei die personellen Ressourcen. Sobald die dargereichten Inhalte aber nicht ausreichen, können die Klienten das darüber hinausgehende Unterstützungsangebot nutzen. Hier ist © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

J. Wenzel: Chancen und Risiken Neuer Medien in der Bildungsberatung93

es allerdings wichtig, die Nutzerführung aus Perspektive der potenziellen Kunden zu gestalten (vgl. Wenzel, 2008). Das ist am besten dadurch zu gewährleisten, dass Menschen das Internetangebot testen, die mit den Inhalten nicht vertraut sind. So kann gewährleistet werden, dass das Angebot nicht am Bedarf potenzieller Nutzern vorbeigeht. Gezielte Verknüpfung der Beratungsangebote Studien zeigen, dass Jugendliche heute in ihrem Alltag unterschiedlichste Medien für verschiedene und sehr differierende Zwecke nutzen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2013). Das gilt auch für viele Erwachsene. Diese Entwicklungen zeigen einen Trend, der sich sicherlich fortsetzen wird. Um die Menschen zu erreichen und mit ihnen in einem fachlich-förderlichen Kontakt zu bleiben, gilt es diesbezüglich die jeweils für die Zielgruppe relevanten Medien zu nutzen. Ein großes Potenzial der Medientechnik liegt dabei in einer fachgerechten Verknüpfung verschiedener Medien. Man spricht dann von »Crossmedialität«, wenn verschiedene Kommunikationskanäle zielgerichtet aufeinander abgestimmt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Angebote miteinander verknüpft werden und nicht nur monologisch in eine Richtung zielen, sondern dass auch Feedbackmöglichkeiten, das heißt Rückkanäle, integriert werden. Neue Medien bieten auf diese Weise interaktive Möglichkeiten, die für Bildungsberatung nutzbar gemacht werden können. Um diese Potenziale der Neuen Medien für die Beratungsarbeit auszuschöpfen, gilt es allerdings, das Gesamtangebot einer Beratungseinrichtung, deren Zielgruppen mit ihrem jeweiligen Bedarf und die damit einhergehenden Kommunikationskanäle in den Blick zu nehmen, um sie aufeinander abzustimmen. Ebenso wie die gezielte Nutzerführung einer Homepage davon abhängt, ob die Inhalte auch gefunden und damit genutzt werden können, gilt dies auch für die Kommunikation zwischen den Akteuren der Beratungsorganisation. Die medialen Kommunikationsarrangements entscheiden dabei immer häufiger darüber, ob die Angebote der Bildungsberatung gefunden und hilfreich genutzt werden können. In diesem Sinne ist die Gegenwart der Beratungsarbeit bereits in vielerlei Hinsicht medial, in Zukunft wird sie darüber hinaus aber auch immer mehr © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

multimedial und crossmedial, wenn die Chancen und Potenziale von den Verantwortlichen in der Bildungsberatung wahrgenommen werden.

Risiken und Abhilfemöglichkeiten bei der Nutzung Neuer Medien Die größten Risiken, die sich derzeit durch die Neuen Medien ergeben, dürften diejenigen im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit der Beratung sein. Schließlich können sich bei einem Verstoß verschiedenste sehr negative Konsequenzen für die Bildungsberater ergeben: arbeitsrechtlich (z. B. fristlose Kündigung), haftungsrechtlich (Schadensersatzpflicht), datenschutzrechtlich (Ordnungsgeld) und strafrechtlich (z. B. Freiheitsstrafe). Außerdem wird die Öffentlichkeit seit Jahren immer sensibler in Bezug auf Datenschutz, Datensicherheit und Schweigepflicht, so dass auch die Reputation einer Beratungseinrichtung oder einer Beraterin bei unangemessenem Umgang mit sensiblen Daten beeinträchtigt werden kann. Neue Medien und Computer sind heute in der Regel mit dem Internet verbunden. Bei einer solchen weltweiten Vernetzung können gespeicherte Daten nur dann als geschützt gelten, wenn in Beratungseinrichtungen technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, die den Schutz der Daten sicherstellen. Dabei ist die Beratungsorganisation auch dann für den Schutz der ihr anvertrauten personenbezogenen Daten verantwortlich, wenn die Klienten selbst sich nicht schützen. Um die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können, gilt es zunächst, die relevanten Gesetzesnormen in den Blick zu nehmen, um darauf aufbauend die organisatorischen und technischen Maßnahmen zu konkretisieren.

Datenschutzgrundlagen In Deutschland wird das Datenschutzrecht wie auch die Schweigepflicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 im sogenannten »Volkszählungsurteil« aus den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, siehe Deutscher Bundestag, o. J.) das »Recht auf informationelle Selbst© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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bestimmung« abgeleitet. Dieses abgeleitete Grundrecht betrifft den Schutz personenbezogener Daten. Ziel ist es, die persönliche Lebenssphäre der Menschen zu schützen. Dabei handelt es sich um das Freiheitsrecht einer Person, das besagt, dass jeder grundsätzlich über seine eigenen personenbezogenen Daten selbst verfügen können soll. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht (siehe Bundesministerium des Inneren, 2014) gilt aber nicht unbegrenzt. Beschränkungen durch Gesetze sind grundsätzlich möglich, wenn dadurch ein anderes wichtiges Rechtsgut geschützt wird. In Deutschland wird der Schutz dieses Grundrechts auch mit dem Begriff »Datenschutz« bezeichnet. Datenschutz soll dabei also nicht in erster Linie Daten schützen, ist also nicht mit »Datensicherheit« gleichzusetzen, sondern dient dem Schutz der Privatsphäre von Menschen durch den Schutz personenbezogener Daten. Die Verantwortlichkeiten sind in diesem Zusammenhang unterschiedlich verteilt. Während die strafrechtliche Schweigepflicht unmittelbar für die Bildungsberaterinnen gilt, sofern sie unter die gesetzliche Regelung fallen, ist im Datenschutz von einer hierarchisch gestaffelten Zuständigkeit auszugehen. Die Verantwortung für Datenschutz, Datensicherheit und die Risiken bei Nichtbeachtung liegen bei der rechtlich verantwortlichen Leitung der jeweiligen Behörde bzw. Beratungseinrichtung. Die Leitung muss sicherstellen, dass die relevanten Gesetze im Blick sind. Sie kann dabei Aufgaben auch an Mitarbeiter delegieren und ist gegebenenfalls sogar verpflichtet, einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. Angestellte Berater sind dann in der Verantwortung, wenn sie auf ihre Datenschutzpflichten hingewiesen und bei Bedarf auch entsprechend weitergebildet wurden. Dabei bleibt die Leitung in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die notwendigen Maßnahmen auch tatsächlich realisiert werden. Das gilt für Leitungsverantwortliche der weiteren Hierarchieebenen entsprechend. Das Datenschutzrecht wird in unterschiedlichen Gesetzen geregelt und konkretisiert dabei die genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben. Auch wenn die Landesrechte in der konkreten Ausformulierung unterschiedlich sind, so gilt als Grundprinzip übergreifend dasselbe: Es gilt in Deutschland ein sogenanntes »Verbot mit Erlaubnisvorbehalt«, was bedeutet, dass das Erheben, Verarbeiten © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

und Nutzen von personenbezogenen Daten grundsätzlich verboten sind, es sei denn, eine Rechtsnorm erlaubt dies oder es liegt eine wirksame Einwilligung des Betroffenen vor.

Strafrecht und andere gesetzliche Grundlagen Neben den Datenschutznormen gibt es weitere gesetzliche Regelungen, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Zu nennen sind hier vor allem haftungsrechtliche Regelungen wie § 823 BGB bzw. § 280 BGB (siehe Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, o. J.a). So kann eine Rechtsverletzung, etwa bei unangemessenem Umgang mit personenbezogenen Daten, zu Schadensersatzpflichten führen. Bei vorsätzlicher bzw. grob fahrlässiger Nichtbeachtung der Gesetze würde nicht einmal eine Haftpflichtversicherung greifen. Neben dem Vertrauensschutz der Beratenen und der eigenen Mitarbeiter (z. B. vor Strafbarkeit) geht es dabei auch um das Abwehren von Haftungsrisiken der Organisation (Bußgelder nach unterschiedlichen Gesetzen von 25.000 Euro bis 250.000 Euro, Schadensersatzpflicht in unkalkulierbarer Höhe). Praxisrelevant ist dabei vor allem auch die strafrechtliche Schweigepflicht. Das Strafrecht schützt über § 203 Strafgesetzbuch (StGB, siehe Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, o. J.b) ebenfalls die Vertrauensbeziehung der Beratung. Sie richtet sich unmittelbar an die Geheimnisträger und nicht an die jeweilige Organisation. Zwar wird dort die Bildungsberatung nicht eigens genannt, aber bestimmte Berufsgruppen, wenn sie Bildungsberatung anbieten (z. B. staatlich anerkannte Sozialpädagogen, Psychologen), aber auch Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes, »Amtsträger« und »für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete«, fallen darunter. Bei unbefugter Offenbarung von Geheimnissen droht den in § 203 StGB Genannten eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, bei bestimmten Beweggründen sogar bis zu zwei Jahren. Allein die Tatsache, dass jemand in Beratung ist, kann dabei bereits ein Geheimnis darstellen. Das gilt erst recht für die Inhalte der Beratung, beispielsweise, wenn ein Beratungssuchender von Problemen erzählt oder darlegt, dass er eine Schulklasse wiederholt oder ein Studium abgebrochen hat. Was jeweils als Geheimnis gelten kann, ist sehr subjektiv und © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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bei Bedarf direkt mit dem Klienten zu besprechen. Nur wenn es eine ausdrückliche Erlaubnis des Beratenen zur Weitergabe von Geheimnissen oder eine gesetzliche Grundlage gibt, dürfen sie straffrei weitergegeben werden. Zu beachten ist hier, dass die Abgabe einer pauschalen Schweigepflichtentbindungserklärung aber unwirksam ist, wenn der Einwilligende nicht absehen kann, in was er einwilligt. Bei der Weitergabe von Beratungsinhalten bliebe dann trotzdem eine etwaige Strafbarkeit (je nach Berufsgruppe) und ein möglicher Datenschutzverstoß bestehen. Mit der wirksamen Einwilligung des Beratenen dürfen Daten weitergegeben werden. Die schriftliche Dokumentation in Form einer verständlich abgefassten Einwilligung ist in solch einem Falle jedoch empfehlenswert. Es gibt Situationen, in denen auch zur Verschwiegenheit verpflichtete Berater aufgrund rechtlicher Bestimmungen die Schweigepflicht durchbrechen dürfen oder sogar müssen. Eine gerechtfertigte Schweigepflichtdurchbrechung ergibt sich beispielsweise aus den Anzeigepflichten von Kapitalverbrechen nach § 138 StGB. Diese Anzeigepflichten gelten dabei allerdings nicht für bereits begangene Straftaten. Eine Offenbarung vergangener Taten würde gegebenenfalls somit einen Datenschutzverstoß bzw. bei Schweigepflicht auch eine Straftat bedeuten. Eine Aussagebefugnis ergibt sich beim »Rechtfertigenden Notstand« nach § 34 StGB. Dabei geht es um die Abwägung des Schutzes verschiedener verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter. Bei nicht anders abwendbarer Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder für ein anderes Rechtsgut bleibt bei bestimmten Voraussetzungen straffrei, wer zur Abwehr einer solchen Gefahr trotz Verschwiegenheitspflicht die Schweigepflicht durchbricht. Bei gesetzlichen Auskunftspflichten und Rechten anderer Gesetze ist darauf zu achten, dass sie hinreichend klar und konkret auf die zur Verschwiegenheit Verpflichteten gerichtet sind. Sind Auskunftspflichten beispielsweise an eine Stelle gerichtet, gilt das nicht unbedingt bezüglich der persönlichen Schweigepflicht der Mitarbeiter. Nur wenn sich diese Befugnis- und Verpflichtungsnormen eindeutig an die verpflichteten Personengruppen richten, wie zum Beispiel im Bundeskinderschutzgesetz geregelt, ist darin eine gesetzliche Befugnis zur Offenbarung zu sehen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Risiken und Abhilfe bei Internetvernetzung Bei Internetvernetzung der verwendeten Computer in der Beratung gilt es die dargestellten Verpflichtungen auch konkret in der organisatorischen und technischen Umsetzung zu realisieren, um den datenschutzrechtlichen, strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Risiken zu begegnen. Schließlich wird vertrauliche Kommunikation heute vielfach über Kommunikationstechnik getätigt, nicht nur in Form von ausdrücklich angebotener Onlineberatung. Bereits die Speicherung personenbezogener Daten und von Geheimnissen im Sinne des § 203 StGB bedarf eines entsprechenden Datenschutzund Sicherheitskonzeptes, um nicht gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen. Mindestanforderungen hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (o. J., abgekürzt: BSI) unter dem Stichwort »IT-Grundschutz« auf seinen Internetseiten veröffentlicht. Angebote von Beratung über das Internet bedürfen darüber hinaus auch einer Sicherung der Beratungskommunikation zwischen den beteiligten Beratungskommunikanten. Dann sind auch angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um geschützte virtuelle »Beratungsräume« zu ermöglichen. Der sogenannte SSL-Verschlüsselungsstandard ermöglicht dabei geschützte Kommunikation und genügt im Rahmen eines Sicherheitskonzepts sehr hohen Anforderungen. Dabei ist allerdings zu empfehlen, eine Serverinfrastruktur und Verschlüsselungstechnik zu nutzen, die nach deutschem Datenschutzrecht von den entsprechenden Aufsichtsbehörden kontrolliert werden kann. In der psychosozialen Beratung hat sich diese Art der Verschlüsselung bereits weitgehend durchgesetzt. Das heißt, die Kommunikation geschieht dann im Internet ausschließlich webbasiert über einen Browser und nicht über ein E-Mail-Programm. Dieser webbasierte Ansatz mittels eines speziellen passwortgeschützten Beratungsaccounts bietet Klienten in der Onlineberatung einen niedrigschwelligen Zugang zur Beratung, der zugleich ein sehr hohes Maß Sicherheit und Vertraulichkeit gewährleistet. Ausschließlich verschlüsselte Kommunikation erfüllt im Internet die Anforderungen an den fachlichen Beratungsgrundsatz der Vertraulichkeit, da die Kommunikation ansonsten quasi in der Öffentlichkeit stattfin© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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den würde. Bei der Speicherung von Beratungsinhalten in Form von Onlineberatung oder einer elektronischen Dokumentation der Beratungsfälle gibt es großen Handlungsbedarf, da viele Softwareanwendungen für diesen Bedarf nach wie vor datenschutzwidrig ausgestaltet sind. Die wichtigsten Lösungen bei der Realisierung von Onlineberatung und elektronsicher Dokumentation von vertraulichen Inhalten werden nachfolgend skizziert. Rechtemanagement Neben der physischen Sicherung (dem Einschließen der Computer) bedarf es einer genauen Planung und Gestaltung, wer bei der Nutzung der Software auf welche Inhalte zugreifen darf und wer nicht. Dabei sind auch die jeweiligen Datenarten zu beachten (Stammdaten wie Adressen/Inhaltsdaten). Verwaltungskräfte, die nicht beraterisch tätig sind, dürfen beispielsweise keinen Zugriff auf die vertraulichen Inhalte erhalten. Der Beratene muss wissen können, was mit seinen Daten geschieht und wer auf welche Daten Zugriff hat. In Einrichtungen mit mehreren Personen darf also nur derjenige auf die Daten zugreifen können, der mit dem jeweiligen Beratenen befasst ist. Bei Vertretungsregelungen muss daher beispielsweise das entsprechende schriftliche Einverständnis vorliegen. Umgesetzt wird das Rechtemanagement durch die Verwendung unterschiedlicher Benutzernamen und Passwörter für vorab definierte Zugangsbereiche. Verschlüsselte Speicherung Bei einem möglichen (virtuellen) Einbruch in die Beratenendatenbank können die Inhalte in kürzester Zeit und mit sehr geringem Aufwand weltweit verbreitet werden. Deshalb bedarf es bei digitalen Daten besonderer Schutzmaßnahmen durch verschlüsselte Speicherung. Denn bei einem unbefugten Zugriff kann mit den schützenswerten personenbezogenen Daten kein Missbrauch betrieben werden, wenn sie verschlüsselt vorliegen. Anonymisierung/Pseudonymisierung Daten, die ausschließlich statistischen Zwecken dienen, müssen möglichst früh anonymisiert oder zumindest pseudonymisiert werden, um sie vor möglichen unerlaubten Verwendungen zu schützen. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Theoretische Ansätze

Gesicherter Datenaustausch Falls personenbezogene Daten zum Beispiel zwischen Beratungsstelle und Klient per Internet ausgetauscht werden (z. B. E-Mail-Kommunikation, Onlineberatung), sind entsprechende Sicherungsmaßnahmen wie die Verschlüsselung der Daten oder verschlüsselte Datenkanäle zu verwenden. Dies gilt erst recht für den Austausch zwischen zwei Stellen. Löschfristen vorab definieren Datenschutzrechtlich ist ein dauerhaftes Speichern nicht rechtens. Der Grundsatz der Datensparsamkeit wird durch vorab definierte Löschfristen gewährleistet. Eine inaktive virtuelle Beratungsakte kann aufgrund einer solchen Löschfrist zum Beispiel vom System nach einem Jahr Inaktivität automatisch aufgerufen und der Löschvorgang eingeleitet werden.

Fazit Die Ausführungen zeigen, dass die Neuen Medien der Bildungsberatung vielfältige Chancen und Möglichkeiten bieten. Das gilt in Bezug auf die Erreichbarkeit (potenzieller) Ratsuchender, für die Beratungskommunikation mit ihnen, aber auch für die stelleninterne Kommunikation und Informationsverarbeitung. Dabei entstehen neue Risiken, insbesondere für die Vertraulichkeit der Beratung, denen jedoch effektiv begegnet werden kann. Den rechtlichen Anforderungen wird dabei sowohl mit bereits vorhandenen technischen Mitteln als auch mit organisatorischen Maßnahmen begegnet. Allerdings bedarf es dazu eines angemessenen Konzepts, um den Herausforderungen gerecht zu werden und die Neuen Medien zum Wohle der Beratenen nutzen zu können. Dazu gehört, dass in der Bildungsberatung absolute Vertraulichkeit im Umgang sowohl mit den Beratenen selbst als auch mit den sie betreffenden Inhalten und Daten sichergestellt ist. Deshalb folgen nun zum Abschluss einige hilfreiche Links zum Thema Vertraulichkeit und Datenschutz: ȤȤ Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI für Bürger: www.bsi-fuer-buerger.de, ȤȤ Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, IT-Grundschutz: www.bsi.bund.de, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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ȤȤ Gesetzesdatenbank des Bundesjustizministeriums: www.gesetze-im-internet.de, ȤȤ Vertraulichkeit und Datenschutz in der Beratung: www.vertraulichkeit-datenschutz-beratung.de, ȤȤ Virtuelles Datenschutzbüro: www.datenschutz.de.

Literatur Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (o. J.). IT-Grundschutzkataloge. Zugriff am 08. 07. 2014 unter https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ ITGrundschutz/ITGrundschutzKataloge/Inhalt/_content/kataloge.html Bundesministerium des Innern (2014). Gesellschaft und Verfassung. Datenschutz. Der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Zugriff am 08. 07. 2014 unter http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Gesellschaft-Verfassung/Datenschutz/Informationelle-Selbstbestimmung/informationelleselbstbestimmung_node.html Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (o. J.a). Bürgerliches Gesetzbuch. Zugriff am 08. 07. 2014 unter http://www.gesetze-im-internet. de/bgb/ Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (o. J.b). Strafgesetzbuch. Zugriff am 08. 07. 2014 unter http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ Deutscher Bundestag (o. J.). I. Die Grundrechte. Zugriff am 08. 07. 2014 unter https://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_01/245122 Engel, F., Sickendiek, U. (Hrsg.) (2013). Das Handbuch der Beratung. Bd. 3: Neue Beratungswelten. Fortschritte und Kontroversen. Tübingen: Dgvt-Verlag. Kühne, S., Hintenberger, G. (Hrsg.) (2009). Handbuch Online-Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2013). JIM-Studie 2013: Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart: MPFS. Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf13/JIMStudie2013.pdf Virtuelles Datenschutzbüro (o. J.). Informationelle Selbstbestimmung ‒ Was bedeutet das? Zugriff am 08. 07. 2014 unter http://www.datenschutz.de/recht/ grundlagen/ Wenzel, J. (2008). Technikentwicklung, Datenschutz und Datensicherheit. Die bewusste Gestaltung medialer Versorgungsangebote. In S. Bauer, H. Kordy, E-Mental-Health. Neue Medien in der psychosozialen Versorgung (S. 19‒33). Heidelberg: Springer Medizin Verlag. Wenzel, J. (2013). Wandel der Beratung durch Neue Medien. Göttingen: V & R unipress.

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Barbara Sommer

Methoden der Selbstfürsorge in der Beratung

Vorbemerkungen »Innere Stärke gewinnen durch Selbstfürsorge; wer fürsorglich mit sich selbst umgeht, bleibt seelisch gesünder.« Oder: »Selbstfürsorge lässt uns Stress besser bewältigen.« Beides sind Sätze aus Schlagzeilen, die täglich zu lesen sind. Vor dem Hintergrund beratender Tätigkeit betrachtet, zeigt es sich schnell als schwierig, genauere Handlungsempfehlungen für Selbstfürsorge in der Beratung zu finden. Es gibt wenig Literatur, die sich direkt mit dem Thema für Berater beschäftigt, und selbst im benachbarten therapeutischen Bereich finden sich kaum Arbeiten, die über allgemeine Empfehlungen zur Lebenshygiene hinausgehen. Ein Autorenduo, Hoffmann und Hofmann, bildet die Ausnahme und schreibt über Selbstfürsorge im direkten therapeutischen Kontakt im Therapieraum. Beide Autoren vertreten außerdem die Ansicht, »dass viele unserer [ihrer] Vorschläge auch im Rahmen einer eher beratenden Tätigkeit eingesetzt werden können, da die Grenzen zwischen Beratung und Therapie doch eher fließend sind« (2012, S. 17). Auf der Grundlage der Gedanken von Hoffmann und Hofmann wird in diesem Beitrag der Versuch gemacht, einen ersten Eindruck von Selbstfürsorge und möglichen Methoden der Selbstfürsorge in der Beratung entstehen zu lassen. Dazu wird zunächst die Selbstfürsorge-Idee genauer betrachtet und deren Sinn und Nutzen für Berater geklärt. In einem weiteren Schritt geht es darum, eine Auswahl von Methoden festzulegen, mit deren Hilfe Selbstfürsorge in der Beratung umgesetzt werden kann. Die ausgewählten Methoden werden dann zunächst in ihren Grundzügen erläutert und anschließend werden konkrete Bezüge jeder Methode zur Beratung hergestellt. Um die Methoden für Berater anschaulicher werden zu lassen, sind für jede © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Methode Übungen ausgesucht worden, die beschrieben werden. Im Fazit werden die wichtigsten Arbeitsabschnitte nochmals aufgezeigt und mit einer abschließenden Überlegung zur Rolle des Beraters verbunden. Was dieser Beitrag aufgrund des inhaltlichen und zeitlichen Rahmens nicht leisten kann, ist eine umfassende Darstellung von Methoden zur Selbstfürsorge in der Beratung, eine Diskussion der Praxisrelevanz der ausgewählten Methoden der Selbstfürsorge und/ oder eine Überprüfung der Vor- und Nachteile für Berater.

Selbstfürsorge Grundidee der Selbstfürsorge Wenn es in der Literatur um das Thema Selbstfürsorge geht, wird zu Beginn häufig der französische Philosoph, Psychologe, Historiker und Soziologe Michel Foucault zitiert, der mit dem Begriff der »Sorge um sich« in eine Auseinandersetzung mit der Thematik eintrat – allerdings vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Diskussion der Entmündigung von Bürgern (Brentrup u. Geupel, 2012, S. 56). Aber auch in diesem Kontext beschäftigte er sich bereits damit, dass »Selbstsorge« eine »allgemeine Einstellung« beschreibt, »die die Eigenverantwortung und Kompetenzen betont« (Foucault, 1986, zit. nach Brentrup u. Geupel, 2012, S. 56), also – Anmerkung der Autorin – einem positiven ressourcenorientierten Ansatz folgt. Nach Brentrup und Geupel ist »Selfcare […] ein Begriff, der zu einer präventiven Strategie des Selbstmanagements von PsychotherapeutInnen einlädt«, Selbstsorge ist in diesem Zusammenhang eine »spezifische Haltung des Helfens […], die die Autonomie der Hilfsbedürftigen wie die der Helfer betont« (2012, S. 56). Sie orientiert sich an einem MetaModell für Veränderung, in dem »Veränderung als eine reflexive Art« verstanden wird, »sich um die eigene Existenz zu kümmern« (S. 56). Richtet man den Blick auf die Entwicklungen der Psychohygiene, so findet sich bei Fengler eine Definition der Psychohygiene als »Sammlung präventiver und kurativer Maßnahmen gegen äußere und innere Belastungen und Schädigungen im Leben von Helferinnen und Helfern« (2001, S. 197), also eine der oben genannten Selbstfürsorge sehr ähnliche Begriffsbestimmung. Die Psychoanalytikerin © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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und Traumatherapeutin Luise Reddemann nutzt in ihren Ausführungen den Begriff Selbstfürsorge dann auch tatsächlich synonym zu dem Begriff Psychohygiene und spricht von einem »liebevollen, wertschätzenden, achtsamen und mitfühlenden Umgang« mit sich selbst und vom Ernstnehmen der eigenen Bedürfnisse (2005, S. 565). Hoffmann und Hofmann verwenden die Bezeichnung Selbstfürsorge ebenfalls synonym zur Psychohygiene und definieren umfassend für Psychotherapierende und insbesondere auch für Berater, dass die eigenen Bedürfnisse bei der Arbeit mehr berücksichtigt, negative Gedanken und Gefühle reduziert, das aktuelle und zukünftige psychische und körperliche Befinden verbessert und damit die Arbeit effektiver erledigt werden soll (2012, S. 33 f.). Von dieser Definition wird im Folgenden ausgegangen. Selbstfürsorge in der Beratung Warum benötigen Berater Selbstfürsorge? Hoffmann und Hofmann nennen eine Reihe von Belastungen bei der Ausübung von Psychotherapie (2012, S. 20). Einige dieser Belastungen lassen sich meiner Meinung nach auch auf Beratungssituationen übertragen. So können sich auf den Berater bestimmte Gruppen von Ratsuchenden und ihre Reaktionen, die Berater-Beratener-Beziehung, Ermüdung oder Erschöpfung, Anforderungen an die Beraterpersönlichkeit und Haltung sowie bestimmte Rahmenbedingungen belastend auswirken. Durch diese starken Belastungen kann es zum Phänomen des »Ausbrennens«, dem sogenannten Burnout, kommen. Brentrup und Geupel beschreiben Burnout als »Zustand/Anzeichen eines Ungleichgewichtes zwischen Arbeitsleistung und Arbeitszufriedenheit; Tendenz zur Lösung durch mehr desselben (Engagement, Pflichtbewusstsein, u. a.); Chronifizierung/Wiederholung von negativen Erfahrungen, (Selbst-)Attribuierungen mit der Folge physischer und seelischer Erschöpfung« (2012, S. 57). Es entsteht eine Art sich selbst aufschaukelnder Prozess, häufig auch Teufelskreis des Ausbrennens genannt (Hoffmann u. Hofmann, 2012, S. 26). Folgen dieses Teufelskreises sind beispielsweise Depressivität, Erschöpfung und Arbeitsunlust, ein Gefühl der Wirkungslosigkeit, zurückgehendes Engagement, Zynismus, Schuldgefühle und schlechtes Gewissen, Rückgang von Kontakten, Schwächung der Immunabwehr (Brentrup © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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u. Geupel, 2012, S. 57). Um nicht in diesen Teufelskreis zu geraten, sollte Selbstfürsorge für Berater wichtig sein. Methodenauswahl Nach der Darstellung der Grundidee der Selbstfürsorge und der Notwendigkeit der Selbstfürsorge für Berater stellt sich die Frage nach der Methodenauswahl für eine Selbstfürsorge bei Beratern. Es gibt eine Reihe von Methoden zur Selbstfürsorge in der Psychotherapie oder Verhaltenstherapie. In Anlehnung an das Buch von Hoffmann und Hofmann (2012), in dem nicht nur in der Therapie Tätige, sondern bewusst Berater mit einbezogen werden, habe ich mich für die Auswahl von drei Methoden entschieden: zum Ersten für die Methode des Embodiment, die bei Hoffmann und Hofmann immer wieder erwähnt wird; zum Zweiten für die Methode der Imagination, die ebenfalls bei Hoffmann und Hofmann in Beispielen genannt wird und zum Dritten für die Methode der Erlebnisaktivierung. Die Auswahl dieser dritten Methode wurde getroffen, weil sie oft der Imagination vorgeschaltet werden kann.

Methoden der Selbstfürsorge Embodiment Grundidee des Embodiment: Das Konzept des Embodiment (deutsch: Verkörperung) geht davon aus, dass Gefühl und Kognition eng mit dem Körper und Körperausdruck verbunden sind (Tschacher, 2011, S. 14 f.). »Die Grundidee ist dabei: man [sic] denkt, verarbeitet Informationen, will etwas, hat Gefühle und Pläne; dies alles wird anschließend in körperliches Verhalten, Mimik, Kommunikation umgesetzt, womit wir dann auf unsere Welt Einfluss ausüben« (S. 15 f.). Aufgrund verschiedener Untersuchungen (z. B. Storch, 2011, S. 44 ff.) wurde festgestellt, dass dieser Zusammenhang auch umgekehrt gültig ist, also Körperausdruck und Körperhaltung bestimmen Kognition und Emotion (Tschacher, 2011, S. 16). Cantieni (2011, S. 108 ff.) beschreibt sechs konkrete Körperhaltungsbeispiele und die damit ausgelöste Stimmungslage. So folgt beispielsweise einer kontrollierten oder steifen Körperhaltung die Stimmung von »Disziplin! Ordnung! Gehorsam! Immer geradeaus!« (S. 110). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Zusammengefasst bedeutet Embodiment also zum einen, dass Gefühl und Denken den Körper und die Körperhaltung beeinflussen, und zum anderen, dass der Körper oder die Körperhaltung bewusst eingesetzt werden können, um die eigenen Stimmungen zu steuern oder zu verändern (Sander, 2011). Storch benennt diese Verbindung als »Embodiment und Selbstmanagement« (2011, S. 62) und spricht davon, unerwünschte psychische Verfassungen mit Embodiment loszuwerden (S. 63 f.), erwünschte psychische Verfassungen mit Embodiment zu erzeugen (S. 65 f.), unerwünschte psychische Verfassungen präventiv zu verhindern (S. 67 f.) und ein Basis-Embodiment zu entwickeln (S. 70 f.). Embodiment in der Beratung: Nach Hoffmann und Hofmann (2012) empfiehlt es sich für jeden Berater, zwischen verschiedenen Körperhaltungen zu variieren, um die Bewegung oder Mobilität des Körpers gegen Erstarrung in Gesprächssituationen einzusetzen. Es werden in diesem Zusammenhang die fünf folgenden Haltungen genannt (S. 49): 1. Die entspannte Ruhehaltung: Der Berater nimmt eine entspannte, abwartende »Quasi-Ruhehaltung« auf seinem Platz ein, mit einer bequemen Arm- und Beinhaltung. Blick und Aufmerksamkeit sollen dem Beratenen gelten. Die Haltung wird dann eingenommen, wenn der Beratene erzählt oder gerade in Aktion war und auf eine Reaktion des Beratenen warten möchte. 2. Die aufmerksame, konzentrierte Haltung: Der Berater richtet sich auf seinem Platz auf, strafft sich und rückt etwas nach vorn. Die Aufmerksamkeit des Beraters richtet sich selektiv auf eine bestimmte Sache, die er kurz zuvor vom Ratsuchenden gehört hat. Der Berater bereitet mit dieser Haltung seine Intervention vor. 3. Die Haltung des aktiv Agierenden: Der Berater ist in Aktion, spricht mit dem Beratenen, unterstreicht mit Mimik und Gestik seine Worte, der Blick ist direkt auf den Beratenen gerichtet, »die Haltung ist gestrafft«. 4. Die leicht abgewandte Haltung: Der Berater lehnt sich zurück und wendet sich leicht vom Beratenen ab. Der Blick bleibt seitwärts vom Beratenen. Diese Haltung ist dann sinnvoll, wenn der Berater überlegt oder wenn er etwas, was der Beratene macht oder gemacht hat, nicht verstärken möchte. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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5. Die Auszeit-Haltung: Der Berater »nimmt kurzzeitig bewusst eine für sie [ihn] sehr bequeme und entspannte Haltung ein«, obwohl er jedes Wort und jede Geste des Beratenen weiterhin registriert. Die Haltung muss sich selbstverständlich innerhalb des durch die guten Manieren vorgegebenen Rahmens bewegen. Neben der Variation der Körperhaltung und der damit gezielt geförderten Mobilität im Gespräch kann Embodiment eingesetzt werden, um den Berater in bestimmten Situationen zu unterstützen, zu schützen oder zu stärken. Als ein erstes Beispiel eines Embodiments zur Selbstfürsorge, das den Berater schützt oder stärkt, beschreiben Hoffmann und Hofmann (S. 197), wie mit dem Gefühl Wut des Beraters oder des Therapeuten durch Embodiment besser umgegangen werden kann. Wenn sich nach einer Beratung die Wut nicht abbaut, raten die beiden Autoren dazu, ein Embodiment einzunehmen, das dem der Wut entgegengesetzt ist. »Begründung: Wenn ein Gefühl nicht die passende Verkörperung erfährt, kann es nicht aufrechterhalten werden« (S. 197). Konkret wird vorgeschlagen, ein Embodiment auszusuchen, das zu einer Stimmung der gelassenen Heiterkeit passt, mit einer tiefen und ruhigen Atmung, erhobenem Kopf, entspannter Arm- und Beinhaltung, lockerer Muskulatur und einem fröhlichen Blick. Dadurch kann sich die Wut nach und nach auflösen. Ein zweites Beispiel für Embodiment zur Selbstfürsorge in Beratungen sind laut Hoffmann und Hofmann körperliche Gegenbewegungen bei sehr eindringlichem invasivem Verhalten eines Beratenen (2012, S. 183). Hoffmann und Hofmann gehen dabei von einem normalerweise von Empathie und körperlicher Symmetrie getragenen Beratungsgespräch aus. Da sich der Beratene nun unangenehm für den Berater verhält, wird es als sinnvoll betrachtet, dass sich der Berater körperlich bewusst entgegengesetzt zum Beratenen bewegt. Das heißt nach Hoffmann und Hofmann (S. 183), wenn ȤȤ sich der Beratene vornüber beugt, lehnt sich der Berater noch mehr zurück, um Distanz zu halten; ȤȤ der Beratene seinen Kopf zur rechten Seite legt, legt der Berater seinen Kopf auf die linke Seite, oder umgekehrt; ȤȤ der Beratene sehr schnell atmet, atmet der Berater bewusst langsam, oder umgekehrt; © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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ȤȤ der Beratene durch Rücken seines Stuhles oder Sessels zu nah an den Berater heranrückt, bittet der Berater ihn schnell und höflich, den Stuhl wieder zurückzustellen. Ein drittes Beispiel für Embodiment zur Selbstfürsorge in Beratungssituationen wird im Umgang mit offen-provokativen Ratsuchenden genannt. Hoffmann und Hofmann geben als Hilfestellung für ein entsprechendes Embodiment an, »den Angriff ins Leere laufen [zu] lassen« (S. 181). Das bedeutet: Wenn der Beratene offen verbal provoziert, soll der Berater seinen Oberkörper minimal seitwärts drehen und eine Schulter etwas nach vorne schieben, als ob er einem körperlichen Schlag ausweichen würde. Die Atmung bleibt dabei normal und ruhig, Gedanken und Muskulatur bleiben locker (S. 181). Auf diese Art kann sich der Berater körperlich schützen und gewinnt Zeit für eine verbale Entgegnung. Übungen zum Embodiment: »Unsere Gesellschaft ist eine körperlose Gesellschaft geworden« (Sander, 2011). Das heißt, die bewusste Steuerung und der Einsatz bestimmter Körperhaltungen bedarf der Übung, um ein Körpergefühl zu entwickeln und einen Körperausdruck zu erreichen. Wenn Berater ihre Körperhaltung einsetzen möchten, um hierbei Selbstfürsorge walten zu lassen, erscheint es also sinnvoll, Körperhaltungen zu trainieren. Cantieni (2011, S. 107) empfiehlt das gezielte Einnehmen und nach einer Zeitspanne wieder Auflösen bestimmter Körperhaltungen, um die damit verbundenen Stimmungen zu erfahren. Im Folgenden werden vier Haltungen beschrieben, die zum Ausprobieren einige Minuten eingenommen werden sollen, um danach wieder in eine entspannte lockere Grundposition zu gehen und die Unterschiede für den eigenen Körper sowie die Gefühle zu erspüren. Drei Haltungen haben dabei einen Kennenlern- und Verständniswert, die vierte Übung ist eine für Berater besonders interessante Haltung, da sie von Cantieni als positive körperliche Ausgangsposition für alle weiteren Körperhaltungen benannt wird: 1. Die resignierte, depressive Haltung (S. 108): Zu den Haltungselementen gehören »Lippen zusammenpressen. Auf die Zähne beißen. Kopf hängen lassen und mit dem Oberkörper einsinken. Das Becken schiebt sich automatisch nach vorne. Der Körper© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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mittelpunkt kippt nach vorn. Die Füße platt drücken. Der Bauch steht vor. Die Schultern hängen kraftlos, die Arme fühlen sich schwer an. Der Hals wird kurz und gedrungen« (S. 108). Muskeln am Kiefer, am Nacken und im Kreuz verkürzen sich schmerzhaft. Interessant sind die eigenen aufkommenden Gefühle in dieser Haltung, die beachtet werden wollen. Cantieni beschreibt, dass Gedanken, Gefühle und Stimmungen um folgende Aussagen kreisen: »Ach herrje, ist das alles schrecklich. Immer ich. Kein Mensch ahnt, wie schwer mein Leben ist. Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Das hat alles keinen Sinn« (S. 108). 2. Die unsichere, schüchterne Haltung (S. 109): Zu den Haltungselementen gehört es, das »ganze Gewicht auf ein Bein [zu] verlagern. Die Oberarme ins Schulterdach [zu] schieben. […] Das Brustbein sinkt ein. Die Schlüsselbeine treten stark hervor. Das Becken verschiebt sich. Die Oberschenkel werden nach innen verdreht. […] Der Unterbauch ist hart und angespannt. Die Knie sind durchgedrückt. […] Der Busen hängt, das Lächeln ist verkrampft. Die Augen werden schmal« (S. 109). Die Atmung wird flach, es gibt Muskelverspannungen am Oberbauch und am Hals, das Schlucken wird schwer. Auch bei dieser Haltung gilt es, die eigenen Gefühle zu beachten. Laut Cantieni entwickeln sich Gedanken und Gefühle wie: »Was die wohl von mir halten? Ich bin so uninteressant. Das ist so peinlich. Ich schäme mich. Bestimmt mache ich wieder alles falsch. Wenn mich bloß niemand anspricht« (S. 109). 3. Die rigide, aufgeplusterte Haltung (S. 112): Haltungselemente sind hier: »Schultern richtig aufpumpen. Bauchmuskeln anspannen, Gesäß anspannen. Die gesamte Rumpfmuskulatur verkürzt sich […] Schädel zieht nach hinten, Kinn schiebt sich vor. Der Hals verschwindet. Das Blut pocht hinter der Stirn« (S. 112). Die Beine nehmen eine O-Position ein, die Füße stehen auf den Außenkanten. »Was kostet die Welt? Ich kaufe sie. Wer sich mit mir anlegt, zieht den Kürzeren« (S. 112), sind entstehende Stimmungen, die Cantieni nennt. Eigene Gefühle sollten auch hier beobachtet werden, um die Haltung zu verstehen und zu erkennen. 4. Das gesunde, selbsterzeugte Embodiment (S. 115 f. u. S. 121): Diese Haltung beschreibt Cantieni als die Grundhaltung, die es möglich © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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macht, »alle Emotionen, Stimmungen, Gefühlslagen intensiv und bewusst zu erleben, spontan zu handeln, und anschließend wieder zurückzufinden in die neutrale Grundhaltung« (S. 115). Storch nennt das gesunde, selbsterzeugte Embodiment das Basis-Embodiment (2011, S. 70). Dieses Embodiment verleiht dem Menschen, der es beherrscht, nach Cantieni Ausstrahlung und Charisma (2011, S. 115) in Kombination mit einer Sinnenfreude für den eigenen Körper. Wichtige Haltungselemente sind: die »Füße ausrichten: Großzehengrundgelenk und Ferse belasten, Knie über dem Sprunggelenk ausrichten und locker halten, Becken aufrichten, Scham-, Steißbein und Sitzbeinhöcker nach unten dehnen, den Kronenpunkt zur Decke ziehen, […] Außenrotation der Oberschenkelmuskulatur bewusst halten, Bauchnabel zum Brustbein dehnen […], Oberarmkugel aus dem Schulterdach lösen, Schultern nach außen unten spannen, Oberarmmuskeln ausdrehen, Kopf hoch, Hals und Nacken entspannen, lächeln« (S. 121). Es bedarf einiger Übung, um diese Haltung einnehmen zu können, und diese Übung muss mit viel Achtsamkeit und damit auch Selbstfürsorge durchgeführt werden. Imaginationen Grundidee der Imaginationen: Eine Imagination (lat. imago = Bild) steht für »Einbildung, Phantasie, bildhaft anschauliches Vorstellen, Einbildungskraft« (Gessmann, 2009, S. 341). Es geht dabei um »die Fähigkeit, sich nicht präsente Situationen, Vorgänge, Objekte und Personen zu vergegenwärtigen« (Arnold, Eysenck u. Meili, 2007, S. 963), diese also mittels visueller Vorstellung als Bilder im Geiste zu entwickeln oder sich dieser Bilder zu erinnern und sie mit dem inneren geistigen Auge wahrzunehmen. Reddemann schreibt »Es ist eine Alltagserfahrung, dass wir in der Lage sind, uns Dinge vorzustellen oder sie uns auszumalen und allein aufgrund des Vorstellungsvermögens Entscheidungen zu treffen bzw. angenehme oder unangenehme Gefühle zu erzeugen« (2011, S. 96). Und sie geht davon aus, dass jeder gesunde Mensch über Vorstellungskraft verfügt. Nach Hüther hat bereits jedes Kind einen Fundus an inneren Bildern, die aus normalen, aber auch aus Bildern bestehen, »die immer dann wachgerufen und als handlungsleitende Reaktionsmuster aktiviert werden, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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wenn es zu einer Bedrohung des inneren Gleichgewichts kommt« (2010, S. 29). Seiner Ansicht nach strukturieren innere Bilder das Gehirn, lenken die Wahrnehmung, bestimmen das Denken, Fühlen und Handeln, prägen das Zusammenleben und können das Werden lenken (S. 5). Eine Imagination bedient sich der grundlegenden Vorstellungskraft für innere Bilder und geht einen Schritt weiter: Sie ist »ein Weg zur Wahrnehmung unserer inneren Bilder« (Kirch, 2010, S. 50) und kann gezielt im Sinne einer Wachtraumtechnik eingesetzt werden, um Verhalten zu verändern oder Ängste zu überwinden. Imaginationen in der Beratung: Hoffmann und Hofmann (2012) nennen verschiedene Situationen in Beratungen oder Therapiesitzungen, in denen das bewusste Herbeidenken eines inneren Bildes, eine gezielte Imagination, die Situation entspannen kann. In diesem Sinne sind innere Bilder und Imaginationen Selbstfürsorgemaßnahmen für Berater. Beispielsweise kann in einer Beratungssituation die innere Anspannung des Beraters so stark ansteigen, dass eine Aktivierungsregulation erforderlich ist. Für diese Aktivierungsregulation kann ein bewusstes, kurzes gedankliches Aussteigen aus der Situation mithilfe eines inneren Bildes genutzt werden (S. 63); denkbar wäre beispielsweise das Bild eines Wohlfühlortes für den Berater. Auch das Verhalten des Beratenen, zum Beispiel beim Erzählen der x-ten Wiederholung, kann den Berater in die Situation bringen, dass er zur Selbstfürsorge seine Aktivierung regulieren muss und sich auch hierbei mittels eines inneren Bildes kurzzeitig gedanklich aus der Beratungssituation wegdenkt (S. 64). Auch hier kann der Wohlfühlort helfen. Wie Langeweile und Monotonie beim Berater unter anderem mit einer Imagination vermieden werden können, beschreiben Hoffmann und Hofmann in einem fiktiven inneren Therapeutenmonolog (S. 73 f.). In Verbindung mit einem organisierten und aktiv gestalteten zeitlichen Geschehen nimmt der Berater hier die Möglichkeit wahr, dem Beratenen eine Aufgabe zu geben und sich selbst in dieser Zeit mit einem inneren Bild zurückzuziehen: »Dann entspanne ich und denke an heute Abend« (S. 74). Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Imaginationen ist die Herstellung einer größeren Abgrenzungsfähigkeit des Beraters gegenüber dem Beratenen (S. 118). Diese kann nötig sein, wenn der Berater zu stark mit dem Beratenen mitfühlt, sich von dessen Emotionen und Proble© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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men mitreißen lässt und seine Distanz verliert. Eine dazu passende Übung, der schützende Lichtkegel, wird weiter unten beschrieben. Bei eindringlichem invasivem Verhalten des Beratenen kann zur Stabilisierung oder Aktualisierung der inneren Haltung des Beraters ebenfalls ein bewusst hervorgerufenes inneres Bild helfen, zum Beispiel das Bild eines hochgewachsenen, starken Baumes (S. 185). Auch zur Emotionsregulation, wenn nach der Beratung bestimmte Gefühle wie Ermüdung, Unlust oder Niedergedrücktheit den Beraters belasten, helfen Imaginationen, um wieder in ein inneres Gleichgewicht zu finden und für den nächsten Ratsuchenden offen und bereit zu sein (S. 195). Eine mögliche Imagination kann hier sein: Sich von innerem Gepäck distanzieren. Übungen zu Imaginationen: Um in einer Beratungssituation bei Bedarf kurzfristig auf Imaginationen oder innere Bilder im Sinne eines geführten Gedankens zurückgreifen zu können, erscheint es sinnvoll, diese im Vorfeld immer wieder zu trainieren. Hierzu werden im Folgenden vier Übungen vorgestellt: 1. Der innere sichere Ort/Wohlfühlort (Reddemann, 2012; Ludwig, 2013): Ziel dieser Übung ist die »Erfahrung eines Gefühls von Sicherheit, Geborgenheit und Wohlfühlen« (Ludwig, 2013), beispielsweise als Gegengewicht zu einem Gefühl der Bedrohung. Man stellt sich einen Ort der Geborgenheit vor und gestaltet diesen Ort so, dass man sich auch tatsächlich absolut geborgen und sicher oder wohl an ihm fühlt. Beliebte Orte in der Vorstellung sind unter anderem Zimmer oder Häuser (Kirch, 2010, S. 64 f.), Baumhäuser, Inseln, versteckte Stellen im Wald, Höhlen, Unterwasserräume. Viele Dinge sind bezüglich des Ortes zu überlegen: zum Beispiel, wie man dorthin kommt, wie der Ort genau eingerichtet werden soll, ob der Ort bewacht werden muss, ob Tiere dort willkommen sind. Ein genauer Text zur Durchführung der Übung findet sich bei Reddemann (2012, S. 45 f.). Wenn die Übung mehrmals durchgeführt und infolgedessen beherrscht wird, kann in einer konkreten Beratungssituation ein kurzer Gedanke an diesen eigenen Ort bereits zur Entspannung der Lage ausreichen. 2. Der Baum (Reddemann, 2012; Ludwig, 2013): Ziel dieser Übung ist hauptsächlich die Erfahrung eines Gefühls von Halt, Stabili© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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tät, Stärke und des Genährtwerdens (Ludwig, 2013), wobei damit geistige, emotionale und körperliche Nahrung gemeint sind. Es geht um das »Auftanken innerer Kraftreserven« und das »Wahrnehmen der eigenen Verbindung mit Himmel und Erde« (2013). Um dies zu erreichen, stellt man sich einen Baum vor, betrachtet ihn zunächst, nimmt dann Kontakt mit ihm auf. Man macht sich Gedanken darüber, was es für den Baum bedeutet, von der Erde und Sonne genährt zu werden. Wenn man möchte, kann man mit dem Baum gedanklich eins werden, um dessen Kräfte und Lebensperspektive dann noch intensiver wahrzunehmen. Wichtig für diese Übung ist, dass positive Bilder erzeugt werden, also ein starker und gesunder Baum mit allen seinen Qualitäten (Größe, Umfang, Verwurzelung, Äste, Blätter etc.). Ein genauer Text zur Durchführung der Übung findet sich bei Reddemann (2012, S. 48 f.). Erinnert werden soll hier noch einmal daran, dass es um die Stärkung der inneren Haltung des Beraters geht, die mit dem inneren Bild des Baumes bewirkt werden kann. 3. Der schützende Lichtkegel/Die Schutzkugel (Hoffmann u. Hofmann, 2012; Ludwig 2013): Ziel dieser Übung ist es, seine inneren »intimen Grenzen zu spüren und zu schützen« (Hoffmann u. Hofmann, 2012, S. 118). Hierfür stellt man sich vor, wie aus dem Himmel oder der Luft Energie durch den Scheitel in den Kopf strömt. Das Licht hat die Farbe, die man sich selbst aussucht. Es erfüllt in der Vorstellung dann nacheinander den Kopf, den Hals, den Brustbereich, den Bauch und den Rest des Körpers, bis alles voll mit angenehmem Licht ist. Dann dehnt sich dieses Licht weiter aus, tritt nach außen und bildet eine kräftige Schutzhülle, eine Schutzkugel, einen Schutzkegel, in die oder in den nichts von außen eindringen soll. Ein genauer Text zur Durchführung der Übung findet sich auf Seite 118 bei Hoffmann und Hofmann. Diese Übung kann dem Berater bei regelmäßiger Anwendung bei der Stützung seiner eigenen Abgrenzungsfähigkeit helfen. 4. Sich von innerem Gepäck distanzieren (Reddemann, 2012; Ludwig, 2013): Ziel dieser Übung ist die »Bewusstmachung, wie viele Lasten man im Alltag mit sich […] schleppt« und »ob man nicht manches davon ablegen könnte« (Ludwig, 2013). Dadurch soll © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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eine vorübergehende Erleichterung von den Lasten erlebt werden, in deren Folge sich ein Gefühl von Wohlfühlen und Ruhe ausbreiten kann. Für die Übung stellt man sich vor, mit viel Gepäck beladen auf Wanderschaft zu sein. Man erreicht einen Ort zum Ausruhen und kann das Gepäck ablegen. Nach dem Ausruhen überprüft man, welche Gepäckstücke man auf der weiteren Wanderung noch mitnehmen und welche man zurücklassen möchte. Ein genauer Text zur Durchführung der Übung findet sich bei Reddemann (2012, S. 50 f.). Für Berater kann diese Übung eine Möglichkeit sein, sich zwischen zwei Beratungen oder am Ende eines Beratungstages zu entlasten und zu entspannen. Erlebnisaktivierung Grundidee der Erlebnisaktivierung: Als Erlebnis werden nach Fröhlich »vorzugsweise einschneidende, existenziell bedeutsame, umschriebene Episoden des Erlebens bezeichnet, die sich auf stark emotional getönte, unter hoher Ich-Beteiligung gesammelte Erfahrungen beziehen« (2012, S. 176). Erlebnisaktivierung entstammt als Methode der Psychotherapie und schafft Kontexte, in denen Menschen Lösungen oder Kompetenzen entfalten bzw. neue Inhalte erlernen können (Revenstorf, 1983, S. 34 f.). Aufgrund einer fehlenden Definition in der Literatur im Zusammenhang mit Selbstfürsorge werde ich Erlebnisaktivierung als die gezielte Suche von realen positiven Erlebnissen und Aktivitäten umschreiben, die zum Wohlbefinden beitragen und gegebenenfalls in kritischen Situationen oder nach kritischen Situationen im Sinne der Selbstfürsorge zur Entspannung herangezogen werden können. Denkbar ist auch, dass ein aktiviertes Erlebnis später als inneres Bild oder Imagination genutzt werden kann. Erlebnisaktivierung in der Beratung: Zum Thema Erlebnisaktivierung im Zusammenhang mit Selbstfürsorge in der Beratung fehlt jegliche Literatur. Selbst Hoffmann und Hofmann (2012) gehen auf diesen Punkt nicht ein. Aus meiner Sicht kann eine bewusste Aktivierung von Erlebnissen in Beratungssituationen helfen, in denen auch Imaginationen in der Beratung eingesetzt werden, also beispielsweise zur Emotionsregulation, bei aufkommender Langeweile und Monotonie oder auch zur Regulation der Anspannung des Beraters. Da die Aktivierung von Erlebnissen oder Aktivitäten allerdings © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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zunächst häufig mit einer Verschriftlichung verbunden ist, erscheint es sinnvoll, diese schriftliche Aktivierung präventiv im Vorfeld oder im Nachgang von Beratungen durchzuführen, um dann – zumindest gedanklich – schnell darauf zurückgreifen zu können. Übungen zur Erlebnisaktivierung: Die folgenden drei Übungen sind in ihrer Umsetzung jeweils mit einer schriftlichen Darstellung der Ergebnisse verbunden. Die Vorlagen für die Übungen finden sich bei Brentrup und Geupel (2012). Eine schriftliche Fixierung und damit Visualisierung kann helfen, Selbstfürsorge besser im Gedächtnis zu behalten: 1. Wohlfühlen in verschiedenen Situationen: Bei dieser Übung geht es im Wesentlichen darum, herauszufinden, welche Aktivitäten zum eigenen Wohlbefinden beitragen, und diese Aktivitäten stärker in die eigene Lebensplanung einzubeziehen. Brentrup und Geupel (S. 66) empfehlen hierzu das Ausfüllen einer Liste mit vorgegebenen Aktivitäten oder Wohlfühlsituationen, die mit einem persönlichen Wohlbefindlichkeitsgrad verknüpft sind. Dieser definiert sich auf einer Skala von 0 = kein Wohlbefinden bis 5 = sehr starkes Wohlbefinden. Aus dem persönlichen Bild der Wohlbefindlichkeiten kann dann überlegt werden, welche Aktivitäten besonders angenehm auffielen oder erinnert wurden. Diese können dann zeitnah ausprobiert und (wieder) in die Lebensplanung integriert werden. Brentrup und Geupel (S. 66) nennen in der Liste unter anderem folgende Situationen, die Wohlbefinden auslösen und mit einem persönlichen Wohlbefindlichkeitsgrad verknüpft werden: •• die Sonne auf der Haut spüren, •• auf einer Hängematte (oder einer Liege) im Schatten liegen, •• Blumen riechen, •• eine Katze oder einen Hund streicheln, •• in einem Restaurant etwas Besonderes essen, •• ein kurzer Mittagsschlaf, •• Zukunftspläne schmieden, •• eine warme Dusche, •• singen.

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Für Berater kann eine solche Liste mit Wohlfühlsituationen ein visueller oder auch gedanklicher Anker sein, um belastende Beratungssituationen zu bestehen oder einfach eine Auszeit zu nehmen. 2. Positiv-Tagebuch: Mit dem Positiv-Tagebuch sollen gezielt diejenigen Aktivitäten erinnert werden, die kurzfristig, also in den letzten Tagen und in der letzten Woche durch den Tagebuchführenden positiv beurteilt wurden. Die Aktivitäten sind nicht vorgegeben, sondern werden dem aktuellen Geschehen entnommen. Dahinter steht der Gedanke, die aktuellen positiv bewerteten Ereignisse stärker in den Vordergrund zu rücken und dadurch in die Lebensplanung mit einzubinden. Das Tagebuch ist nach Brentrup und Geupel (S. 69) so aufgebaut, dass täglich notiert wird, was gut getan hat, und zwar unter der Prämisse, auch auf die Kleinigkeiten zu achten; außerdem wird das Notierte mit einem Freudegrad von 1 bis 5 bewertet. Es soll ein klarer Überblick über die realen Aktivitäten entstehen, die als angenehm empfunden wurden. Der Tagebuchführende ist daher sehr frei in der Auswahl seiner Einträge. Nur auf diese Weise bietet sich ihm generell die Chance, individuell und passgenau auf die eigenen Erlebnisse einzugehen und diese zu bearbeiten. Aus Sicht eines Beraters erscheint ein regelmäßig geführtes Positiv-Tagebuch, auf welches im Bedarfsfall ein kurzer Blick geworfen werden oder welches erinnert werden kann, sinnvoll. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigenen positiven Ressourcen und kann dadurch helfen, eine innere Stabilität zu erhalten. 3. Zufriedenes Dasein: In dieser Übung wird der Fokus gezielt auf die Bereiche Zufriedenheit, Wohlbefinden und Entspannung gerichtet. Anhand von Fragen können Aktivitäten aufgelistet werden, die helfen, über ein zufriedenes Dasein zu reflektieren und letztlich die Lebensplanung dahingehend zu beeinflussen. Fragen zum zufriedenen Dasein sind nach Brentrup und Geupel (2012, S. 71) beispielsweise die folgenden: •• Wie stelle ich mir ein zufriedenes Dasein vor? •• Was verstehe ich unter Wohlbefinden? •• Wie kann ich mich entspannen? •• Wie kann ich häufiger Pausen einlegen? © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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•• Welche neuen Entspannungsmöglichkeiten möchte ich ausprobieren? •• Was möchte ich in der Zukunft intensiver genießen? •• Welche persönlichen Entwicklungschancen möchte ich nutzen? •• Was verstehe ich unter Gesundheit? •• Was verstehe ich unter Glück? Die Beantwortung der Fragen kann dem Berater als generelles Hilfsmittel zur Selbstfürsorge dienen, da Zufriedenheit, Wohlbefinden und Entspannung meiner Auffassung nach wichtige Stützpfeiler für eine gesunde Arbeits- und Lebensbalance sind. Für Berater, die oft einer »Dauerexposition« (Hoffmann u. Hofmann, 2012, S. 67) ausgesetzt sind, kann es wichtig sein, den Blick immer wieder auf die eigenen Lebenspläne zu richten und für Zufriedenheit zu sorgen.

Fazit Der Einstieg in das Thema Methoden der Selbstfürsorge in der Beratung erfolgte über die Grundidee der Selbstfürsorge, die mittels verschiedener Begriffserläuterungen und -klärungen erarbeitet wurde. Warum Selbstfürsorge in der Beratung wichtig ist, konnte im Anschluss durch den Teufelskreis des Ausbrennens aufgezeigt werden. Nach einer kurzen Stellungnahme dazu, dass als Methoden der Selbstfürsorge in der Beratung Embodiment, Imaginationen und Erlebnisaktivierung ausgewählt worden sind, wurde auf diese drei Methoden genauer eingegangen. Ausgehend von einem Überblick über die jeweilige Grundidee der einzelnen Methode wurde schließlich konkret auf die Anwendungsmöglichkeiten der jeweiligen Methode in der Beratung eingegangen und anhand von Übungen das Ausprobieren und eventuelle An- oder Abtrainieren verschiedener Herangehensweisen vorgestellt. Es stellt sich im Zusammenhang der vorgestellten Methoden allenfalls noch die Frage, ob Selbstfürsorge notwendigerweise bedeutet, dass der Berater auf das Verhalten oder die verbalen Äußerungen des Beratenen in einer eher passiven, methodischen Art reagiert, ohne eine aktive und auch einmal spontane Rolle im Hinblick auf © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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den Selbstschutz zu übernehmen. Ist das zu Beginn dieses Beitrags angesprochene effektivere Arbeiten des Beraters eventuell gleichzusetzen mit einer übertriebenen Optimierung der Beraterpersönlichkeit, die zudem den Beratenen aus der Verantwortung in der Beratungssituation ausklammert? Meines Erachtens ist dies nicht der Fall. Der Beratene ist immer Mitakteur in der Situation und soll somit auch seinen Teil der Verantwortung tragen. Die beschriebenen Methoden sind Aktions- oder Verhaltensmöglichkeiten, auf die Berater bei Bedarf und gemäß eigenem Ermessen zurückgreifen können. Jeder Berater entscheidet für sich in der jeweiligen Situation, welche Methoden und Verhaltensweisen die passenden sind. Manchmal mögen spontane und deutliche Worte gegenüber dem Beratenen genauso zielführend für die Selbstfürsorge des Beraters sein wie beispielsweise Embodiment oder Imaginationen. Die Entscheidung liegt beim Berater, welche Methoden zur Selbstfürsorge am besten für ihn geeignet sind und wann sie situationsspezifisch eingesetzt werden sollten.

Literatur Arnold, W., Eysenck, H. J., Meili, R. (Hrsg.) (2007). Herders Lexikon der Psychologie. Bd. 2. Erftstadt: Hohe. Brentrup, M., Geupel, B. (2012). Selbstwert, Selbstfürsorge und Achtsamkeit. Verfahrensübergreifendes Übungsbuch für zentrale Variablen psychotherapeutischer Prozesse. Dortmund: Borgmann Media. Cantieni, B. (2011). Wie gesundes Embodiment selbst gemacht wird. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther, W. Tschacher, Embodiment (2. Aufl.) (S. 99–126). Bern: Huber. Fengler, J. (2001). Helfen macht müde. Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation. Leben lernen 77 (6. Aufl.). Stuttgart: KlettCotta. Foucault, M. (1986). Die Sorge um sich. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Fröhlich, W. D. (2012). Wörterbuch Psychologie (28. Aufl.). München: dtv. Gessmann, M. (Hrsg.) (2009). Philosophisches Wörterbuch (23. Aufl.). Stuttgart: Kröner. Hoffmann, H., Hofmann, B. (2012). Selbstfürsorge für Therapeuten und Berater (2. Aufl.). Weinheim: Beltz. Hüther, G. (2010). Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern (6. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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Hüther, G. (2011). Wie Embodiment neurobiologisch erklärt werden kann. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther, W. Tschacher, Embodiment (2. Aufl.) (S. 73–98). Bern: Huber. Kirch, D. (2010). Geführte Meditationen, Fantasiereisen & Imaginationen. Ein Handbuch zum fachgerechten Planen, Schreiben und Anleiten. Paderborn: Junfermann. Ludwig, U. (2013). Imaginationsübungen – Tipps und Tricks (überarb. Version vom August 2013). Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://www.ludwig-ulrike. de/docs/imaginationsuebungen_tipps_und_tricks.pdf Reddemann, L. (2005). Selbstfürsorge. In O. F. Kernberg, B. Dulz, J. Eckert (Hrsg.), Wir: Psychotherapeuten über sich und ihren unmöglichen Beruf (S. 536–569). Stuttgart: Schattauer. Reddemann, L. (2011). Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT – das Manual. Leben lernen 241 (6. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Reddemann, L. (2012). Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren. Leben lernen 141 (16. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Revenstorf, D. (1983). Psychotherapeutische Verfahren. Bd. 3: Humanistische Therapien. Stuttgart: Kohlhammer. Sander, C. (2011). Embodiment – Wie das Gehirn mit unserem Körper kommuniziert. Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://www.businessvillage.de/embodiment-wie-das…/mag-986.html Storch, M. (2011). Wie Embodiment in der Psychologie erforscht wurde. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther, W. Tschacher, Embodiment (2. Aufl.) (S. 35–72). Bern: Huber. Tschacher, W. (2011). Wie Embodiment zum Thema wurde. In M. Storch, B. Cantieni, G. Hüther, W. Tschacher, Embodiment (2. Aufl.) (S. 11–34). Bern: Huber.

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Adrian Jitschin

Übertragung eines Qualitätsmanagements auf die fachbezogene Studienberatung1

Vorbemerkungen Die Prozessüberprüfung fachbezogener Studienberatung erfolgt häufig aufgrund des quantitativen Vorhandenseins von Planstellen. Diese sich rein am Stellenplan orientierende Begutachtung der Qualität derartiger Beratungsangebote ist unzureichend, sagt sie doch nichts über die Qualität des geleisteten Beratungsvorganges aus. Für den Bereich der Lehre hat sich eine umfangreiche Evaluation an den meisten Hochschulen etabliert (vgl. für einen Überblick Schmidt u. Loßnitzer, 2010). Dagegen fristet der Bereich der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination ein Nischendasein. Er spielt gegenwärtig im Akkreditierungsprozess der Studiengänge noch immer ein recht unbedeutendes Dasein. Dabei sind doch zwei Trends deutlich zu konstatieren: 1. Im Zuge zunehmender Bildungskonkurrenz zwischen den verschiedenen Hochschulstandorten wird diesem Bereich eine größere Bedeutung zukommen. 2. Bereits heute fließen in die Evaluation von Studienstandorten, beispielsweise in das CHE-Ranking, wesentliche Kategorien wie Studienbetreuung, Berufsbezug und Studierbarkeit ein. Auf all diese Bereiche wirkt sich die Qualität der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination zentral aus. Dadurch ist sie bereits jetzt ein wichtiger Faktor, wenn es um die Gestaltung der Bedingungen für Forschung und Lehre geht. Wo es um die Zahl der Studienbewerber und die (Dritt-)Mittelvergabe an die Fakultäten 1

Für umfangreiche Anmerkungen danke ich Markus Weber, Philipps-Universität Marburg, und Andreas Frings, Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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A. Jitschin: Übertragung eines Qualitätsmanagements123

bzw. an die Fachbereiche geht, ist sie neben dem Renommee der Lehrenden zum zweiten wichtigen Standbein geworden. Keine Fakultät kann es sich leisten, diesen Bereich zu vernachlässigen. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass es keine Kriterien für ein gezieltes Qualitätsmanagement der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination gibt. Gegenwärtig gibt es nur eine Art »unbewusstes« Qualitätsmanagement der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination, das aber nur sichtbar wird, wenn Missstände allzu offensichtlich werden – beispielsweise bei zwischenmenschlichen Entgleisungen, Fehlberatungen, die zu juristischen Auseinandersetzungen führen oder Fehlplanungen, die zur Über- oder Unterbelegung von Lehrveranstaltungen führen. Dieses unbewusste Qualitätsmanagement entspricht nur einer Lösung des »last resort«: Es greift erst, wenn es bereits zu gravierenden Fehlentwicklungen gekommen ist und ein Krisenmanagement einsetzen muss. Ein frühzeitiges Erkennen von Fehlentwicklungen oder gar die gezielte Verbesserung der Leistung der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination ist so nicht möglich. Diese Hilflosigkeit drückt sich auch in der immer wieder laut werdenden Kritik an Hochschulrankings aus. Bei aller Berechtigung an methodischen Unzulänglichkeiten (vgl. derStandard.at, 2007) basiert ein Teil der Kritik auf dem Unverständnis dafür, dass Studierende ihrer Beurteilung der Qualität von Studiengängen andere Kriterien als Lehrende zugrunde legen.2 Der gegenwärtige Stand fachbezogener Studienberatung und Studiengangskoordination unterscheidet sich quantitativ und qualitativ 2



Diese Haltung verdeutlicht exemplarisch der Auszug eines Streitgespräches zwischen dem Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung, Frank Ziegele, und dem Vorsitzenden des Deutschen Historikerverbandes, Werner Plumpe: »Ziegele: Das Ranking zeigt zudem, ob die Studenten gut betreut werden, ob sie wichtige Bücher in der Bibliothek finden, ob sie im Studium das Gelernte mit der Praxis verbinden können …  Plumpe: … das meinen Sie doch nicht ernst. Das ›Wohlfühlgefühl‹ sagt doch nichts aus. Schaut man darauf, wo die Studenten in der Masse wirklich hingehen, hat das mit Ihrem Wohlfühlfaktor nichts zu tun. Ziegele: Ich finde es richtig, den Studierenden eine Stimme zu geben. Zudem misst das Ranking ja auch objektive Kriterien, zum Beispiel Drittmittel. Wie viele Forschungsgelder eine Fakultät einwirbt, ist ein recht valides Kriterium.

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gravierend in Bezug auf die einzelnen Fakultäten. So haben kleinere Fakultäten häufig nur eine halbe Planstelle für diesen Bereich vorgesehen. Mitunter ist diese Stelle zudem auch noch mit einer Doktorandin/einem Doktoranden oder einer Habilitandin/einem Habilitanden besetzt. In manchen Fakultäten mit einer vierstelligen Studierendenzahl ist nur eine einzige Planstelle für die Studienberatung vorhanden. In vielen Fakultäten alterniert das Amt des Studiendekans im zweijährlichen Turnus, so dass hier keine personelle Kontinuität gewährleistet ist (vgl. z. B. Rudovsky, 2013). Über den gegenwärtigen Stand der Qualität der Studienberatung lassen sich nur Aussagen sehr begrenzter Reichweite formulieren. Zumeist sind die Stellen für fachliche Studienberatung mit Absolventen des jeweiligen Faches besetzt. Diese verfügen oft über keine weiter

Plumpe: Das möchte ich so generell bezweifeln. Dieses ganze Geldzählen hat mit Forschungsstärke nur sehr bedingt etwas zu tun. Welche Forschungsergebnisse mit welcher Qualität aus Drittmittelprojekten entstehen, bekommen Sie nicht heraus. Zudem: Bei Drittmittelvergaben werden nicht immer ausgezeichnete Forscher prämiert, sondern solche, die erfolgreiche Anträge stellen« (Spiewak, 2010).  Während für den Evaluierer Ziegele Infrastrukturfaktoren, wie Betreuung und die Studierbarkeit, relevante Kriterien darstellen, disqualifiziert sie der Historiker Plumpe als »Ihren Wohlfühlfaktor«. Er will sich mit ihnen nicht gemein machen. Den Einwand, dass Studierenden durch Rankings »eine Stimme gegeben« würde, lässt er nicht bestehen. Für ihn zählt die »Forschungsstärke«. Kurzum: Der Evaluierer und der Fachwissenschaftler sprechen zwei verschiedene Sprachen. Für Plumpe bleibt die Relevanz dieses »Wohlfühlfaktors« gering. Statt Infrastruktur und »Forschungsstärke« als komplementäre Erfolgsfaktoren eines Studierstandorts zu begreifen, sieht er sie in einem Konkurrenzverhältnis. Plumpe, als Vorsitzender des Deutschen Historikerverbandes der Repräsentant der Professoren seines Fachgebietes, spricht für eine Mehrzahl der Lehrstuhlinhaber für Geschichte. Es zeigt sich hier die Habitus-Differenz der Ordinarien eines klassischen Studienfaches zu geänderten Studierbedingungen. Dabei ist die Betonung der Studierbarkeit keine Konkurrenz zu der inhaltlichen Orientierung und sie hat nur vordergründig mit der Ökonomisierung von Studiengängen zu tun. Vielmehr hat sie die Aufgabe, die Studierbarkeit zu erleichtern, Studierende früh an eine fachliche Orientierung heranzuführen und Fachwissenschaftler zu unterstützen, damit diese besser inhaltlich arbeiten können. Ein gutes Qualitätsmanagement in der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination setzt den Rahmen, damit sich die Lehrstuhlinhaber voll auf die inhaltliche Qualität des Studiums fokussieren können.

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gehende fachliche Qualifikation wie beispielsweise Grundkenntnisse in Pädagogik oder in der Bildungsberatung. Das Vorhandensein eines Studienabschlusses im jeweils betreuten Fach soll allein die Qualität der Beratung gewährleisten. Dabei unterliegt die Befähigung zur adäquaten Studienberatung einem Black-Box-Effekt: Man nehme eine Absolventin/einen Absolventen des Faches, gebe ihr/ihm eine Stelle als Berater/-in und es kommt ein Berater/eine Beraterin heraus. Ob das Ergebnis qualitativen Kriterien genügt und ob eine adäquate Einarbeitung und Fortbildung geleistet wird, ist für die Fakultät ungewiss. Dementsprechend ist auch unklar, ob das Resultat der Stellenbesetzung auch eine qualitativ geeignete Studienberatung erbringt. Erhebungen aus dem Personalwesen haben ergeben, dass selbst erfahrenen Personalern mitunter gravierende Fehleinschätzungen bei Stellenbesetzungen passieren. In 22 bis 35 % aller Fälle werden Personen eingestellt, bei denen sich nachher herausstellt, dass sie nicht den Anforderungen ihres Berufsfeldes gerecht werden. Diese müssen nachgeschult oder durch geeignetere Stelleninhaber ersetzt werden (vgl. Wehrs, 2011, S. 7). Bei der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination fehlt es vollkommen an Qualitätskriterien und Erhebungen, inwiefern Stelleninhaber den Anforderungen an ihren Beruf gerecht werden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Erfolgsquote bei der Besetzung dieser Stellen erheblich besser ist als allgemein im Personalwesen. Für die qualitative Bildungsberatung bedeutet dies, dass hier ein erhebliches Entwicklungspotenzial besteht.

Fragestellung und Zielsetzung Aus dem vorher Gesagten ergibt sich ein erheblicher Nachholbedarf im Bereich fachbezogener Studienberatung. Dieser ist sowohl auf der quantitativen als auch auf der qualitativen Ebene vorhanden. So fehlt es beispielsweise grundsätzlich an Richtlinien für den Betreuungsschlüssel durch Studienfachberater (gleichwohl gibt es Vorgaben für den Wissenschaftlichen Mittelbau allgemein und die ProfessorenStudierenden-Relation). Dadurch könnten sowohl eine Unter- als auch eine Überbetreuung abgewendet werden. Weit gravierender als die Unzulänglichkeiten im quantitativen Bereich sind die des qualitativen Bereiches: Hier fehlt es gänzlich an einem Maßstab © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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dafür, was eine qualitativ hochwertige Studienfachberatung ausmacht. Bevor überhaupt darüber nachgedacht werden kann, hier eine Verbesserung vorzunehmen, bedarf es einer Evaluation über den qualitativen Stand von fachbezogener Studienberatung. Diese Kriterien zu entwickeln, ist Ziel dieses Beitrags. Dabei sollen Ansätze aus den ökonomischen Theorien des funktionalen Managements und des Personalwesen auf die Situation der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination angewandt werden. Dabei geht es nicht darum, eine Ökonomisierung der Studiengänge zu fordern. Vielmehr geht es um die Transferleistung eines aus der ökonomischen Theorie entstandenen Ansatzes in den Bereich der Bildungsberatung. Wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930‒2002) postulierte, gibt es verschiedene Sorten des Kapitals. Dies sind neben dem ökonomischen Kapital vor allem das soziale und das kulturelle Kapital. Die Kapitalsorten sind dabei nicht prädeterminiert. Sie hängen eng zusammen mit einem sozialen Feld, das sie jeweils bedingt und, vice versa, durch sie definiert wird. Kapital ermöglicht Erfolg in einem Feld. Zugleich wird ein soziales Feld durch die Verwendung der es legitimierenden Kapitalsorte aufrechterhalten (Bourdieu, 1985/2000, S. 10). Diese Wechselbeziehung führt zu einer instabilen Struktur verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche. So ist für den Teilbereich Wissenschaft die Kapitalsorte »Wissen« besonders wichtig. Mit Geld lässt sich kein Wissen erkaufen. Dennoch ist für das akademische Feld Geld nötig: Ohne ökonomische Austauschbeziehungen fehlt dem Wissenschaftssystem eine materielle Verortung. Für die fachbezogene Studienberatung spielt zunächst das ökonomische Kapital eine untergeordnete Rolle. Hochschulberatung geschieht zunächst in einem Feld, das nicht durch Geldtransfers definiert wird. Doch nur scheinbar handelt es sich bei der Hochschulberatung nicht um eine Kapitalaustauschbeziehung. Wenn man Bourdieus (1987) Kapitalsortentheorie auf die fachbezogene Studienberatung anwendet, so ergibt sich, dass diese zwischen mehreren Feldern eine Schnittstellenfunktion einnimmt. So nimmt die fachbezogene Studienberatung (1) eine Verteilung der Ressource »Lehrkapazität« vor. Jede Hochschule hat nur eine begrenzte Anzahl an Lehrenden und Lehrveranstaltungen. Diese © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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gilt es bestmöglich zu verwenden. Eine optimale Auslastung, so dass es nicht zu Über- oder Unterbelegungen kommt, ist hier das Ziel. Die ökonomischen Interessen des Arbeitgebers kommen hier zum Tragen, so dass der Transfer von der Ressource »Lehrkapazität« zu der Ressource »Geld« greifbar ist. (2) Die zweite Ressource, zu der fachbezogene Studienberatung und Studiengangskoordination beitragen kann, ist das »gesellschaftlich objektivierte Bildungskapital« (S. 227 f.), sprich: akademische Qualifikationen. Es zeichnet arbeitsteilige Gesellschaften aus, dass es in ihnen spezifische Zertifikate gibt, die eine hochwertige Qualifizierung voraussetzen (vgl. Schimank, 2005). Studienplanung und Studienberatung sind Teil des Prozesses der Kontrolle über die Vergabe von Titeln. Dabei kommt arbeitsteilig dem Prüfungsbüro die Aufgabe zu, das Vorhandensein von Teilzertifikaten zu überprüfen, um ein Gesamtexamen auszustellen. Die fachbezogene Studienberatung und Studiengangskoordination erschließen für die Studierenden dabei den Weg zum Prüfungsbüro, damit diese dort ein qualifizierendes Zertifikat erhalten können. (3) Die wichtigste Ressource, die an der Hochschule eingebracht wird, ist Zeit. Die Möglichkeit, einen Teil des Lebens dafür einzusetzen, einen Beruf zu erlernen, sollte sorgfältig abgewogen werden. Dies ist vor allem eine Entscheidung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Jedes Jahr, um das die Berufsausbildung verkürzt werden kann, bedeutet ein Jahr Gewinn an gesellschaftlicher Produktivität. Fachbezogene Studienberatung legitimiert sich gesamtgesellschaftlich auch dadurch, dass sie Studierenden erstens einen schnelleren Studienabschluss und zweitens einen schnelleren Berufseinstieg ermöglicht. Davon profitieren zahlreiche Akteure: neben der Gesellschaft als Ganzes, die volkswirtschaftlich davon profitiert, auch die Fakultäten, die bei einem höheren Durchlauf geringere Ressourcen vorhalten müssen, und vor allem die Studierenden, die durch ein effektives Studium schneller an ihr Ziel gelangen. (4) Damit »gesellschaftlich objektiviertes Bildungskapital« in Form von Zertifikaten erworben werden kann, bedarf es zunächst Wissen. Dieses zu erwerben ist Aufgabe der Studierenden; dabei zu helfen, den Weg dorthin zu finden, ist jedoch Aufgabe der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination. Diese sollte © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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darauf hinweisen, in welchen Veranstaltungen Defizite abgestellt werden und Stärken ausgebaut werden können. Diese vier Kapitalsorten – (1) effektive Nutzung der Lehrkapazität, (2) objektiviertes Bildungskapital, (3) Zeit und (4) Wissen – bilden die Grundlage für den Erfolg fachbezogener Studienberatung. Eine qualitativ hochwertige Studienberatung muss sich daran messen lassen, welchen Erfolg sie entsprechend der vier Kapitalsorten ermöglicht. Es ist ihre funktionale Aufgabe, hier eine angemessene Allokation von Ressourcen zu ermöglichen. Dementsprechend bedeutet Evaluation der Qualität der Studienberatung eine Berücksichtigung des Erfolges anhand der vier Kapitalsorten. Qualitätsmanagement als Werkzeug ökonomischer Steuerungsprozesse stellt hierfür das Grundgerüst für eine Evaluation der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination dar. Das Vorhaben des folgenden Beitrags ist die Suche nach Ansätzen des Qualitätsmanagements, die sich auf die fachbezogene Studienberatung übertragen lassen: Welche Ansätze und Modelle gibt es schon in der Forschungsliteratur? Inwiefern werden diese den Erfordernissen der besonderen Situation der fachbezogenen Studienberatung gerecht? Diese Fragen sollen vor dem Hintergrund der Theorie von Bourdieu (1985/2000, 1987, 1992/2005) näher beleuchtet werden.

Definition von Qualitätsmanagement Unter dem Begriff des Qualitätsmanagement wird in einem ökonomischen Standardwerk die »Optimierung der Qualität von Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens in allen Funktionsbereichen und auf allen Ebenen durch Mitwirkung aller Mitarbeiter« verstanden (Winter, 2014). Qualitätsmanagement hat es in allen Zeiten gegeben; ein Nachschlagewerk zum Thema führt den babylonischen Codex Hammurabi als ein Beispiel für antike Modelle des Qualitätsmanagement an (Zollondz, 2006, S. 403 f.), aber auch in der Neuzeit wurde mit Methoden des Qualitätsmanagement gearbeitet, ohne dass diese explizit so benannt wurden. Erst im 20. Jahrhundert entwickelte sich eine explizite Wissenschaft des Qualitätsmanagement, die auf eine gezielte Methode der Produktionsverbesserung setzt (Lerner, 1988, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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S. 19‒32, hierin insbesondere S. 21‒30). Die Konzepte des Qualitätsmanagements, wie der Fordismus, der Taylorismus, Statistical Quality Control oder Six Sigma, nutzten bis zu den 1980er Jahren jeweils eigene Begrifflichkeiten, um Maßnahmen des Qualitätsmanagement zu benennen. So trat Qualitätsmanagement unter den Topoi der Qualitätskontrolle, der Qualitätsprüfung oder auch der Null-Fehlerstrategie in Erscheinung (vgl. Definition bei Wikipedia, 2012). Der Begriff des Qualitätsmanagements tauchte erstmals in Publikationen ab 1986 auf (vgl. Google Books Ngram Viewer, o. J.) und bereitete damit die Gründung der European Foundation for Quality Management (EFQM) vor. Diese gemeinnützige Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Organisationen durch die Verbreitung des EFQM-Excellence-Modells dabei zu helfen, sich zu verbessern (EFQM, o. J.). Damit stellt das EFQM-Modell eine Alternative zu dem in den USA entwickelten Malcolm Baldridge National Quality Award und dem japanischen Deming-Preis dar (Stumpf, 2005). Im Gegensatz zu solchen Exzellenzinitiativen ermöglicht das EFQMModell eine Zertifizierung auf verschiedenen Level. Neben der Auszeichnung »Recognized for Excellence« sieht das EFQM-Modell eine Zertifizierung auch auf einfachem (Mindeststandard-)Niveau vor. Mittlerweile hat sich die DIN EN ISO 9000 neben der EFQM als zweite Qualitätsmanagementnorm etabliert. Sie hat als Industrienorm verschiedene branchenspezifische Standards, die speziell in technischen Feldern sehr konkret werden (Pfitzinger, 2010). Mit einem Wort: Wenn von Qualitätsmanagement im deutschsprachigen Raum die Rede ist, dann nur und ausschließlich im Zuge der Zertifizierung für die Optimierung von Organisationen nach dem EFQM-Modell oder der DIN EN ISO 9000.

Forschungsstand Im Bereich des Qualitätsmanagement gibt es bereits zahlreiche Publikationen, die sich auf seine Anwendung im Dienstleistungssektor beziehen.3 Dabei ist die Übertragbarkeit dieser Ansätze jedoch 3 So zum Beispiel Böckelmann, 2003; Boedensteiner u. Knoll, 2010; Fatzer, Rappe-Giesecke u. Looss, 1999; Gerth, Menne u. Roth, 1999; Graudenz,

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begrenzt: So geht es schwerpunktmäßig im Bereich der Bankdienstleistungen und des Einzelhandels darum, durch Beratung einen höheren Umsatz zu erzielen, im Gesundheitssektor darum, in einer Einzelberatung auf einen Krankheitsverlauf zu reagieren. Die meisten Ansätze zum Qualitätsmanagement in der Beratung haben einen höheren Durchsatz an Beratungsfällen bei zugleich geringerer Verweildauer des Beratenen als die fachbezogene Studienberatung. Dadurch unterscheiden sich die Qualitätsanforderungen zumeist gravierend, so dass eine pauschale Übertragbarkeit von Qualitätsmerkmalen praktisch ausfällt. Im Rahmen bestehender Studien bietet sich auf den ersten Blick die Übertragung von Ansätzen aus der schulischen Beratung an. Die nähere Sichtung der vorhandenen Literatur zeigt jedoch, dass sich hier nicht ohne Weiteres Ansätze auf die fachbezogene Studienberatung übertragen lassen: ȤȤ So handelt es sich bei Grewings (2007) »Schulleitung und Schulaufsicht im Spannungsfeld von Qualitätsentwicklung« um eine reine Zusammenstellung von Fotoprotokollen einer Arbeitstagung. Ein längerer, zusammenhängender Text oder gar ein Konzept zur Entwicklung von Qualitätskriterien fehlt hier vollkommen. ȤȤ Die Doktorarbeit von Graudenz (1992) »Lehrer lernen sich selber besser kennen« ist eine Fallstudie der Übertragung von Methoden der personenzentrierten Beratung auf das Berufsfeld des Lehrers. Graudenz stellt hierzu zunächst die personenzentrierte Beratung nach Rogers vor, um dann zu erörtern, wie sich diese in das Umfeld der Schule übertragen lässt. Diesem theoretischen Teil folgt eine empirische Studie. Über die Dauer eines Schuljahres hat Ines Graudenz mit Grundschullehrerinnen zunächst eine Schulung vorgenommen und diesen dann den Auftrag gegeben, Schüler nach den Methoden Rogers zu beraten. Basierend auf Berichten und Tonbandaufnahmen analysiert sie, wie erfolgreich die Übertragung geklappt hat (siehe zur Methode insbesondere S. 27 ff., zur Auswertung S. 81‒120). 1992; Grewing, 2007; Kailich, 1990; Menne, 1998; Nussle-Stein, 2005 2006; Rohde u. Woopen, 2007; Salm, 2006; Sangüesa Sánchez, 2003; Schleider u. Huse, 2011; Scholz, 2005.

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Graudenz Ansatz ist spannend zu lesen und die empirische Auswertung ihrer Erhebung geschieht gründlich. Die Übertragbarkeit auf die fachbezogene Studienberatung ist jedoch begrenzt. Denn Tonbandaufzeichnungen und teilnehmende Beobachtung fallen für die Praxis des Qualitätsmanagements aus. Dennoch lassen sich die von Graudenz entwickelten Kriterien für gute Beratung partiell auf fachbezogene Studienberatung übertragen, was weiter unten auch geschehen wird. ȤȤ Boedensteiner und Knolls (2010) »Ist jede Beratung eine gute Beratung?« ist eine Zusammenstellung von Materialien anlässlich des Jubiläums »20 Jahre Bayerischer Landesverband Schulberatung«. Grußworte und Stellungnahmen der im Landtag vertretenen Parteien nehmen hier einen Großteil des Werkes ein. ȤȤ Bei Gerths, Mennes und Roths (1999) »Qualitätsprodukt Erziehungsberatung. Empfehlungen zu Leistungen, Qualitätsmerkmalen und Kennziffern« handelt es sich um einen Themenband, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebenen Reihe »Materialien zur Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe«. In dem Band geht es speziell um die quantitative Erfassbarkeit von Qualität in der Jugendberatung. Als Kriterien werden konkrete Empfehlungen ausgesprochen, so zum Beispiel, dass der Anteil der Erstgespräche an allen Beratungsgesprächen mindestens 80 % betragen (S. 33), dass die Jugendhilfe mindestens 25 Stunden pro Woche geöffnet und Gebührenfreiheit für Klienten gewährleistet sein solle (S. 35). Weiterhin solle es ein schriftlich vereinbartes Vorgehen bei Grenzüberschreitungen geben (S. 43 f.) und abgegrenzte Wartebereiche für die Beratenen (S. 50). In einer Vielzahl einzelner Empfehlungen wird sehr genau umrissen, wie eine hochwertige Jugendhilfe aussieht, woran sich ihr Erfolg bemisst und wie viele Planstellen in einem Landkreis gewährleistet sein müssen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die fachbezogene Studienberatung ist begrenzt. Denn es handelt sich um eine andere Klientel mit anderen Interessen (so ist ein Erstberatungsanteil von 80 % für die fachbezogene Studienberatung illusorisch). Methodisch ist »Qualitätsprodukt Erziehungsberatung« sehr hilfreich, zeigt es doch auf, wie ein konkreter Leitfaden aussehen kann. Das Werk © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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stellt sehr anwenderbezogen dar, was Qualität in der Beratung bedeutet, und ohne dass ein einziges Mal die EFQM oder die ISO 9000 erwähnt werden, werden deren Grundprinzipien auf eine Form standardisierter Beratungsleistung angewandt.

Qualitätsmanagement in Beratungsstellen Unter den gesamten Studien über Qualitätsmanagement im Dienstleistungssektor gibt es nur eine Untersuchung, die sich explizit mit der Studienberatung befasst. Dieses eine Werk entstand 2002 aus der Arbeit der »Arbeitsgemeinschaft Studien-, Studentinnen- und Studentenberatung e. V.« (ARGE) heraus (Schwan u. Kohlhaas, 2002; siehe auch GIBeT, 2007‒2012a). Bei der ARGE handelte es sich um einen Zusammenschluss von Studienberatern verschiedener Hochschulen, die sich zum Austausch vernetzt hatten. 2002 wurde die ARGE in GIBeT (siehe GIBeT, 2007‒2012b) umbenannt. Sie ist heute der allgemein anerkannte Verband der Studienberater. Die bei ihr veröffentlichte Untersuchung »Qualitätsmanagement in Beratungsstellen. Selbstbewertung nach dem EFQM-Excellence Modell am Beispiel Studienberatung« hat es sich zum Ziel gesetzt, ein »Leitfaden zum Selbstbewertungsansatz« für die Studienberatung zu sein (Schwan u. Kohlhaas, 2002, S. 7). Als Zielgruppe richtet sich der Leitfaden an Mitarbeiter und Vorgesetzte von Beratungsstellen. Er versteht sich als »Brücke« zwischen Wirtschaft und Beratungsstellen an Hochschulen. Dafür will er »Übersetzungsarbeit« leisten, um einen »Einstieg in Qualitätsmanagement« zu ermöglichen (S. 9). Nach einer Definition des Begriffs Qualitätsmanagement umreißt der Leitfaden geänderte Parameter der Hochschullandschaft. Durch neue Steuerungselemente und Globalhaushalte sei eine neue Wettbewerbssituation entstanden. Neuerdings gehe es auch um die »frühzeitige Positionierung neuer Studiengänge« (S. 13). Weiterhin sei es zukünftig generell wichtig, die »Denk- und Rechenweisen der planenden und buchführenden Stellen in der Wissenschaftsverwaltung« (S. 15) zu verstehen, um aus dem eigenen Arbeitsbereich entstehende Notwendigkeiten zu kommunizieren und die Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige Studienberatung mitgestalten zu können. Nach Zielgruppen aufgeteilt sei für die Kunden der Stu© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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dienberatung Verlässlichkeit und Transparenz der Prozesse wichtig. Für Mitarbeiter der Studienberater hingegen sei es wichtig, eigene Potenziale zu entdecken und eine positive Identifikation zu erzielen. Das Beratungsteam solle das eigene Handeln strategisch abstimmen (S. 16‒18). Für die Hochschule als Ganzes sei eine gute Beratung ein wichtiges Qualitätsmerkmal, wohingegen für die Öffentlichkeit die Transparenz des Studienangebots wichtig sei (S. 19 f.). Das EFQM-Modell sei besonders für das Qualitätsmanagement in der Studienberatung geeignet, weil es »umfassend«, »ganzheitlich« und »systematisch« sei (S. 22). Im Gegensatz zu anderen Qualitätsmanagement-Systemen sehe es eine Selbstbewertung vor und erlaube so eine gute Steuerbarkeit des Evaluationsprozesses. Durch die Flexibilität könne es auf verschiedene Organisationsstrukturen und besondere Umstände eingehen, es ermögliche auch eine Evaluation unabhängig von der Gesamtorganisation durch einen Unterbereich, weshalb es für die Studienberatung besonders geeignet sei (S. 22‒24). Im nächsten Abschnitt gehen die Autoren auf die Normen des EFQM-Modells ein und stellen die einzelnen Elemente vor. In diesem Rahmen wird auch auf »Qualitätsmanagement in Beratungsstellen« eingegangen. So wird unter der Überschrift »Die Selbstbewertung« das EFQM-Modell auf die Studienberatung angewandt. Musterbögen zur Beurteilung bilden die Grundlage für diese Thematik. Abschließend wird auf die Grundlagen des Projektmanagements eingegangen und wie diese auf die Durchführung der Selbstbewertung angewandt werden. So soll es einen Projektverantwortlichen geben und Transparenz gegenüber den Mitarbeitern hergestellt werden (S. 112). Am Ende des Projektes sollen seine Einzelmaßnahmen dokumentiert werden (S. 117). Bei »Qualitätsmanagement in Beratungsstellen« handelt es sich um einen vielversprechenden Ansatz zum Feld der Studienberatung. Insbesondere, dass hierfür das EFQM-Modell als geeigneter Weg zum Qualitätsmanagement erkannt und in Einzelheiten für den Fall der Studienberatung dargestellt wird, macht die Studie zu einer wichtigen Informationsquelle. Der Ansatz, die einzelne Evaluation als Projekt durchzuführen, klingt vielversprechend. Hierbei gilt nur zu bedenken, dass bei der fachbezogenen Studienberatung häufig nur ein bis zwei Kolleginnen betroffen sind. Somit lassen sich die kooperativen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Modelle der Teamarbeit nicht ohne Weiteres auf die fachbezogene Studienberatung übertragen. Das Modell kann aber durch Modifikationen, beispielsweise durch den Zusammenschluss fachbezogener Studienberater aus verschiedenen Fächern, abgewandelt werden, um die entsprechenden Instrumentarien effektiv zu nutzen.

Elemente eines Qualitätsmanagements in der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination: Entscheidung fürs EFQM-Modell Wie aus der Literaturübersicht deutlich wurde, existieren bereits Ansätze aus anderen Bereichen, die auf die fachbezogene Studienberatung übertragen werden können. So existieren im Qualitätsmanagement die beiden konkurrierenden Modelle von EFQM und der ISO-9000-Norm. Beide Modelle sind für die Evaluierung von Dienstleistungen geeignet und bieten sich grundlegend für ein Qualitätsmanagement der fachbezogenen Studienberatung an. Aufgrund des Literaturstudiums fällt hier meine Wahl auf das EFQM-Modell – nicht als Entscheidung gegen die ISO 9000, sondern schlichtweg aufgrund der hier zahlreich existierenden Vorarbeiten. So stützen sich, wie erläutert, insbesondere die Autoren von »Qualitätsmanagement in Beratungsstellen« auf das EFQM-Modell. Ein Qualitätsmanagement nach ISO 9000 scheint vorläufig gleichfalls erfolgsversprechend, die Entscheidung erfolgt also allein aufgrund des detaillierteren, bereits bestehenden Forschungsstandes zum EFQM-Modell, auf den zurückgegriffen und aufgebaut werden kann.4 4 Gleichfalls wird in der Literatur auf erhebliche Überschneidungen und Synergieeffekte des EFQM-Modells und der ISO-9000-Norm hingewiesen. Die Entscheidung für eines der beiden Modelle ist somit keine Entscheidung gegen das jeweils andere Modell, sie zeigt nur eine andere Schwerpunktsetzung. So ist das etwas allgemeiner gefasste ISO-Modell bei minimaler Erfüllung seiner Kriterien recht weit von der EFQM-Norm entfernt, bei strenger Befolgung nähert es sich ihr an. Zugleich schließt die Befolgung des EFQM-Modells weitgehend die ISO-9000-Norm mit ein. Wenn wir uns hier also für das EFQM-Modell entscheiden, erfüllen wir größtenteils auch die Ansprüche der ISO-9000-Norm, ohne uns explizit an ihr zu orientieren (vgl. Böckelmann, 2003, S. 165 f.).

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EFQM-Excellence-Modell 2013 Die zentrale Frage des EFQM-Excellence-Modells 2013 (EFQM, 2013) ist die nach dem Kundennutzen. Exzellente Organisationen »wissen, was ihre unterschiedlichen bestehenden und potenziellen Kundengruppen sind und sehen deren unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen voraus« (EFQM, 2013, Pos. 100). Dabei versuchen sie sich kontinuierlich zu verbessern und ihre Leistung zu steigern (Pos. 171). Die Entwicklung von Qualitätsmanagement ist kein Selbstzweck, sondern soll letztlich die Organisation verbessern. In Form eines Kriterienmodells wird der Erfolg des Handelns von Organisationen zur Hälfte anhand sogenannter Befähigerfaktoren (Führung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Strategie, Partnerschaften und Ressourcen, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen) und zur Hälfte anhand von Ergebnissen (mitarbeiterbezogene Ergebnisse, kundenbezogene Ergebnisse, gesellschaftsbezogene Ergebnisse und Schlüsselergebnisse) gemessen. Dabei besteht eine Beziehung zwischen beiden Bereichen: So sollen Faktoren der Mitarbeiterführung sich in den mitarbeiterbezogenen Ergebnissen widerspiegeln und, vice versa, die gemessenen Ergebnisse für Mitarbeiter auf deren Führung rückspiegeln (vgl. Pos. 297). Jedes der neun Kriterien ist wiederum in Teilkriterien untergliedert, die in exzellenten Organisationen angetroffen werden.

Gewichtung der Teilkriterien nach der Radar-Logik Das Radarsystem ist das »am meisten ausdifferenzierte Bewertungsinstrument« des EFQM-Modells (Schwan u. Kohlhaas, 2002, S. 87; vgl. EFQM, 2013). Radar ist die Abkürzung für »Results, Approach, Deployment, Assess & Review«, die englischsprachigen Begriffe für die einzelnen Schritte dieses Qualitätszirkels. Die Radar-Logik regelt, wie die EFQM-Daten erhoben werden, wie die Ergebnisse der Erhebung implementiert werden und wie darauf aufbauend eine Verbesserung des Qualitätsmanagements erfolgt. So ist der radikalste Schritt der Radar-Logik, zunächst den einzelnen Ergebnissen, die zuvor promillegenau erfasst wurden, kein allzu großes Gewicht beizumessen (vgl. Schwan u. Kohlhaas, 2002, S. 91 f.). © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Es geht nicht darum, alle Einzelergebnisse umgehend zu verbessern. Stattdessen soll zunächst ein Zugang zu den Ergebnissen gefunden werden. Sogenannte Assessoren, also Personen innerhalb der Organisation, die in EFQM geschult wurden, sollen zunächst prüfen. welche Befähigerkriterien in einfacher Weise verbessert werden könnten. Sodann soll geprüft werden, ob Nebenfolgen einer Veränderung des Befähigerkriteriums entstehen, also zum Beispiel, ob durch die Ausrichtung einer Ressource auf ein neues Ziel andere Defizite entstehen. Ist dies nicht der Fall, sollte die Veränderung rasch umgesetzt werden (vgl. EFQM, 2013, Pos. 957). Anschließend wird überprüft, ob die Umsetzung wie geplant funktioniert und welche unmittelbaren Folgen sich daraus ergeben haben. Hat sich die Änderung dieses Prozesses als erfolgreich erwiesen, kann dieser Durchlauf der Radar-Logik als beendet angesehen werden. Dann kann durch eine erneute Evaluation der neue Stand der Qualität der Organisation begutachtet werden. Auf diese Weise entwickelt sich das Qualitätsmanagement als kontinuierlicher Prozess. In jedem Durchlauf werden nur die am einfachsten zu ändernden Defizite behutsam geändert. Erweist sich eine Änderung als kontraproduktiv, kann sie sofort wieder rückgängig gemacht werden. Ein großer Vorteil dieser Methode ist, dass trotz eines hohen Qualitätsstandards die meisten Prozesse und Abläufe nicht vom Qualitätsmanagement beeinflusst werden: Solange an anderer Stelle mit geringerem Aufwand ein größerer Qualitätsgewinn erzielt werden kann, bleiben funktionierende Prozesse unbeeinflusst. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung ist der Aufwand für die Ergebniserhebung bei jedem Durchlauf der Evaluation geringer. Daten, die einmal erhoben wurden, können fortgeschrieben werden. Sobald eine Änderung eintritt, kann auf sie eingegangen werden. Durch die Priorisierung der Verbesserungsziele in der Vorgehensphase wird nach und nach die Organisation besser, ohne dass ruckartig etablierte Strukturen beseitigt werden. Dabei geht die Organisation von schnellen und einfachen Verbesserungen sukzessive zu langwierigen und schwierigen Verbesserungen vor (vgl. Schwan u. Kohlhaas, 2002, S. 102).

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Übertragung des EFQM 2013 auf die fachbezogene Studienberatung Die Frage ist jetzt, wie die Messgrößen des EFQM auf die fachbezogene Studienberatung übertragen werden können. Es gibt einige evidente Überschneidungen zwischen dem EFQM 2013 und der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination – so lässt sich unter der Kundenbeziehung das Verhältnis zu den Studierenden definieren, auch mitarbeiterbezogene Ergebnisse und gesellschaftsbezogene Ergebnisse lassen sich ohne Weiteres auf die fachbezogene Studienberatung übertragen. Andere Messbeziehungen lassen sich nicht auf Anhieb ersetzen. So stellt sich bei der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination die Frage nach der Führung. Zumeist geschieht fachbezogene Studienberatung im Hochschulbereich im Geltungsbereich öffentlicher Verwaltung. Dies kann aber nicht generalisierend angenommen werden. Gerade in Folge des Bologna-Prozesses hat es zahlreiche Gründungen privater Hochschulen gegeben. Grundsätzlich liegt die Führung bei den beiden verschiedenen Hochschularten in anderen Händen: Während die staatliche Hochschule generell selbstverwaltet ist und das Beamtenrecht zentrale Funktionsinhaber wie die Professoren (aber auch in der Verwaltung) schützt, geht die Macht bei privaten Hochschulen von der finanziellen Leitung aus – cuius regio, eius religio. So ist unter Führung dort letztlich die Vorgabe durch die beauftragende Instanz maßgebend. In der öffentlich verwalteten Hochschule sind jedoch die Lehrstuhlinhaber maßgeblich für fachliche Standards verantwortlich. Neben dem Dekan und Prodekan sollte hier zentral der Fakultätsrat berücksichtigt werden, in dem auf breiter Basis die Entscheidungen betreffend der Fakultät getroffen werden. Die Kunden von fachbezogener Studienberatung sind die Studierenden. Ihre Wahrnehmung vom Erfolg der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination muss bei Anwendung des EFQM-Modells regelmäßig abgefragt werden. Dabei sollte die Abfrage nicht an eine tatsächlich in Anspruch genommene Beratung erfolgen, sondern auf Grundlage der Gesamtzahl der Studierenden. So kann auch hinterfragt werden, weshalb bestimmte Studierende bzw. Studierendengruppen die fachbezogene Studienberatung nicht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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oder zu wenig frequentieren. In Zeiten von E-Mail-Verteilern ist eine solche Evaluation ohne Weiteres möglich. Bei der Evaluierung gesellschaftlicher Ergebnisse stehen mit Hochschulrankings wie dem CHE unabhängige Wahrnehmungen zum Erfolg der Studienberatung zur Verfügung. Im Bereich der Leist­ ungsindikatoren bieten sich Absolventenbefragungen an. Schlüsselmessgrößen wären die Zahl der Absolventen gemessen an den Studienanfängern, die durchschnittliche Studierdauer und die Zahl derjenigen, die höherwertige Studienabschlüsse absolvieren (Graduate-Studiengänge, Promotion).

Synthese des EFQM-Modells mit den eingangs formulierten Kriterien Nach der Übertragung des EFQM-Modells auf die fachbezogene Studienberatung stellt sich abschließend die Frage, ob es den eingangs formulierten Ansprüchen gerecht wird. So hatten wir zu Beginn darauf hingewiesen, dass es bei der fachbezogenen Studienberatung und Studiengangskoordination um die Verteilung von vier Ressourcen – Lehrkapazität, Bildungskapital, Zeit und Wissen – geht. Wie weit gelingt es einem Qualitätsmanagement nach EFQM 2013 diese Ressourcen einzubeziehen? Die Berücksichtigung des schonenden Umgangs mit der Lehrkapazität wird im EFQM sowohl über das Kriterium »Partnerschaften und Ressourcen« als auch über das Kriterium »Produkte, Prozesse und Dienstleistungen« erfasst. Sie fließt damit bis zu 20 % in das Gesamtergebnis des Qualitätsmanagements ein. Diese Ressource ist somit gut berücksichtigt. Die Ressource Vergabe von »gesellschaftlich objektiviertem Bildungskapital«, also eine gezielte Steuerung der Quantität und Qualität der vergebenen Bildungsabschlüsse, wird sowohl in den EFQMKriterien »Kundenbezogene Ergebnisse«, »Gesellschaftsbezogene Ergebnisse« als auch im Kriterium »Schlüsselergebnisse« berücksichtigt. Diese Kriterien machen 40 % des EFQM-Ergebnisses aus. Auch wenn die Vergabe von Zertifikaten jeweils nur einen Teil des Kriteriums betrifft, muss konstatiert werden, dass sie angemessen einbezogen wird. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Der Umgang mit der Ressource Zeit wird nur in den »Kundenbezogenen Ergebnissen« und den »Gesellschaftsbezogenen Ergebnissen« erfasst. Im Kriterium »Partnerschaften und Ressourcen« sind im EFQM-Modell leider nur Ressourcen der Organisation enthalten, nicht jedoch die Ressource Zeit, die Kunden (= Studierende) einbringen müssen. Insgesamt kommt die Berücksichtigung der kurzen Studienverweildauer im Qualitätsmanagement des EFQM 2013 zu kurz. Hier zeigen sich die Grenzen der Übertragbarkeit dieses Modells auf die fachbezogene Studienberatung. Die Berücksichtigung der Ressource »Wissen« erfolgt im EFQMModell in der subjektiven Einschätzung beim Kriterium »Kundenbezogene Ergebnisse« und im Bereich der »Gesellschaftsbezogenen Ergebnisse«, insofern es um den weiteren Lebensweg geht. Im Bereich der Schlüsselergebnisse wird zumindest die subjektive Zufriedenheit der Studierenden erfasst. Eine Einschätzung von fachlicher Seite, inwiefern es in dem Studiengang gelingt, neben Zertifikaten auch echtes Wissen zu vermitteln, bleibt jedoch im EFQM-Modell aus. Es differenziert hier leider nicht hinreichend zwischen dem äußeren Schein von Bildung und den Bildungsinhalten. Insgesamt wäre es wünschenswert, ins Qualitätsmanagement von Studienberatung stärker die Möglichkeit, dass Studierende sich Wissen aneignen, einzubeziehen. Insgesamt zeigt sich, dass die eingangs formulierten Kriterien zu einem großen Teil über das EFQM-Modell abgedeckt werden. Allerdings orientiert sich das EFQM-Modell in der Tat verstärkt mittels ökonomischer Kriterien und messbarer Ergebnisse. Das heißt nicht, dass der Zeiteinsatz der Studierenden für ihren Abschluss oder das im Studiengang vermittelte Wissen im Qualitätsmanagement unberücksichtigt blieben. Es fällt aber auf, dass sie bei diesem ökonomischen Modell weniger stark gewichtet werden.

Perspektive Dieser Beitrag hatte sich zum Ziel gesetzt, Ansätze aus dem Qualitätsmanagement auf die fachbezogene Studienberatung zu übertragen. Dabei wurde insgesamt dreistufig vorgegangen: Nach einer Definition der Begrifflichkeiten folgte erst eine Literaturstudie und © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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dann die Synthese, in der exemplarisch die Begriffe des EFQM-2013Modells auf die fachbezogene Studienberatung übertragen wurden. Als erfolgreich erwies sich die Literaturstudie. Auch wenn es bislang keine Abhandlung über Qualitätsmanagement in der fachbezogenen Studienberatung gibt, so existieren doch zahlreiche, gut ausgearbeitete Studien für benachbarte Bereiche. Insbesondere »Qualitätsmanagement in Beratungsstellen« (Schwan u. Kohlhaas, 2002) ist hier hervorzuheben, gibt es doch einen gelungenen Einblick im Hinblick auf das benachbarte Feld der allgemeinen Studienberatung. Aber auch die gut ausgearbeiteten Qualifikationsarbeiten von Böckelmann (2003) und Graudenz (1992) zeigen Perspektiven für die Übertragbarkeit auf. Dadurch konnte in dieser Arbeit auf recht gesichertem Grund vorangegangen werden. Der eingeschlagene Weg führte zum EFQM-Modell. Das aktuelle Modell für 2013 bot gute Anknüpfungspunkte, die in Anschluss an die vorhergehenden Studien erschlossen werden konnten. So zeigt der Vergleich von Kriterien für die Qualität fachbezogener Studienberatung mit denen des EFQM-Modells Parallelen. Mit Hilfe des EFQM-2013-Modells ist jetzt eine qualitative Evaluation fachbezogener Studienberatung möglich. Dennoch bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber dem EFQM-Modell. Wie der Vergleich auch zeigte, eignet es sich nur begrenzt für die Übertragung. Das EFQM-Qualitätsmanagement-System wurde ursprünglich für den unternehmerischen Sektor entwickelt und bleibt in seiner Kernorientierung auf die für Unternehmen wichtigen Bereiche beschränkt. Interessen der Studierenden werden nur teilweise berücksichtigt. Die für den Bildungsbereich wichtigen Kriterien des zeitökonomischen Umgangs mit Studierenden und der Wissensvermittlung fließen im EFQM-Modell nur untergeordnet ein. Die zentrale Funktion der Hochschule, die Vermittlung fachlicher Kompetenz, bleibt – zumindest in der Evaluation für Studienberatung – weitgehend außen vor. Eine unabhängige Wissensevaluation, wie sie für den Schulbereich beispielsweise in Form der PISA-Studie, TIMMS oder IGLU existiert, ist EFQM nicht. Ein solcher wissensorientierter Vergleich ist weder für die Studienberatungs- noch für die Lehrevaluation in Sicht. Qualitätsmanagement in der vorliegenden Form bleibt somit für die Verbesserung der fachbezogenen © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Studienberatung und Studiengangskoordination ein nicht vollständig vollendetes Instrument. Obschon das EFQM-Modell nicht der Weisheit letzter Schluss ist und sich die Frage stellt, ob nicht ein eigenes Qualitätsmanagement-Modell für den Bereich der Hochschule sinnvoll wäre,5 ist EFQM im Moment – wenn auch nicht ein perfektes – so doch ein brauchbares Instrument.

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Meike Missler

Studienabbruch und Bildungsberatung

Studienabbruch ist für eine große Zahl von Menschen ein persönlich relevantes Thema. Statistisch gesehen beendet aktuell jeder vierte bis fünfte Studienanfänger sein Studium nicht (vgl. z. B. Heublein, Richter, Schmelzer u. Sommer, 2012; Schröder-Gronostay, 1999, S. 209 ff.). Hierbei ist nicht nur eine Erhöhung der Studienabbruchquote in den letzten dreißig Jahren von 12 bis 16 % im Jahre 1974/1975 (Lewin, 1999, S. 36) auf nunmehr circa 20 bis 25 % festzustellen, vielmehr betrifft dieses Ereignis auch aufgrund der quantitativen Zunahme der Studierendenzahlen immer mehr Menschen. Brachen in Deutschland 1974/1975 circa 14.000 Menschen ein Studium ab, so wuchs diese Zahl 1993/1994 auf 60.000 Studierende (S. 36), Tendenz steigend.1 Die Studienabbruchquote schwankt dabei nach Fächern und Institutionen sehr stark, so zum Beispiel zwischen den Fachhochschulen (19 %) und Universitäten (35 %) bzw. zum Beispiel zwischen den Fächern Medizin (10 %) und Bachelor Ingenieurwissenschaften (48 %) (vgl. Heublein et al., 2012). In diesem Beitrag werden hierfür aber keine Erklärungen gesucht oder organisationsrelevante Verbesserungsvorschläge vorgestellt (vgl. dazu z. B. Gensch u. Kliegl, 2011; In der Smitten u. Heublein, 2013). Hier wird vielmehr reflektiert, wie Beratenen, die sich mit dem Gedanken eines Studienabbruchs auseinandersetzen, durch eine mit der Problematik vertraute Bildungsberatung geholfen werden kann. Diese Reflexion erfolgt vor dem Hintergrund des Phasenmodells der Beratung. Für jede 1 Die Studienanfängerzahl für 2011 wird mit 518.748 beziffert (vgl. statista, o. J.). Bei der für 2009 durch HIS ermittelten Quote von 20 % würde dies bedeuten, dass circa 100.000 dieser Studienanfänger/ dieser Jahrgangskohorte ihr Studium nicht beenden werden.

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dieser Phasen werden Empfehlungen für Beratungssituationen in Zusammenhang mit potenziellen Studienabbrechern (öfters auch bezeichnet als »Studienzweifler«2) abgeleitet. Mithilfe einer Literaturschau zum Studienabbruch werden praktische Hinweise für Berater formuliert und Spezifika der Beratung von potenziellen Studienabbrechern abschließend zusammengefasst.

Definitionen Studienabbruch In Deutschland werden in der Hochschulforschung als Studienabbrecher »Personen bezeichnet, die durch Immatrikulation an einer Hochschule in Deutschland ein Studium aufgenommen haben und das deutsche Hochschulsysteme ohne Hochschulexamen verlassen« (Schröder-Gronostay, 1999, S. 212). Es werden für bundesweite Jahrgangskohorten Studienanfängerzahlen und Exmatrikulationen mit und ohne Examen verglichen und daraus eine Schwundquote errechnet, die das Ausmaß der Studienabbrecher angeben soll. Korrekterweise müsste die Definition um den Hinweis ergänzt werden, dass das Studium auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen wird und es sich insofern nicht nur um eine Studienunterbrechung handelt, da ja in Deutschland »die Teilnahme am tertiären Bildungssystem als lebenslanger Prozess verstanden werden muss« (Schröder-Gronostay, 1999, S. 212). Aus einer organisationsrelevanten Perspektive kann sich auch der Hochschul- oder Studiengangwechsel für eine Hochschule bzw. einen Studiengang als ein Studienabbruch darstellen (vgl. Dieter u. Törner, 2012). Da aber hier weder diesbezügliche statistische Methodikprobleme diskutiert (vgl. Heublein, Hutzsch, Schreiber, Sommer u. Besuch, 2010; SchröderGronostay, 1999, S. 213 ff.) noch die Problematiken einzelner Hochschulen oder Studiengänge mit ihren je spezifischen Abbruchquoten bearbeitet werden, wird hier in Anlehnung an die oben genannte Definition folgende Eingrenzung getroffen: Als Studienabbruch wird das absichtsvolle, auf Dauer gestellte Beenden des Studiums ohne ers2 So als Wortprägung von Marco Blasczyk, Abteilungsleiter Studienberatung Universität Frankfurt.

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tes Abschlussexamen bezeichnet. Nicht als Studienabbruch wird ein Studiengang- oder Hochschulwechsel verstanden. Es werden also Lebens- und Beratungssituation von Studierenden betrachtet, die nicht beabsichtigen, ihre begonnenen Studien auf absehbare Zeit mit einem Abschlussexamen zu beenden. Bildungsberatung Nach Knoll beschränkt sich professionelle Beratung »im eigentlichen Sinne« auf Situationen, »in denen es darum geht, Hilfe zur Selbsthilfe für die Entwicklung der Person und für die Bewältigung persönlicher Problemlagen zu geben« (2012, S. 3). In Abgrenzung nennt Knoll als verwandte Handlungsformen das »Informieren« und das »Anleiten«. Er betont, dass »Beraten« als eine Unterstützungsintervention zu verstehen ist, damit »die betroffene Person durch eigenes Wahrnehmen und Erinnern, durch Nachdenken und Einfälle selber zu Schlussfolgerungen, Zielvorstellungen, Lösungsideen und Entscheidungen kommt« (S. 2). Zwar sei in der Beratungspraxis davon auszugehen, dass sich die Handlungsformen abwechseln und ineinander übergehen, wichtig für die fachliche Kompetenz von Beratern sei aber, ein klares Verständnis von »Beratung im eigentlichen Sinne« (S. 2) zu besitzen. Für Bildungsberatung existiert nach Meinung von Greulich und Stier keine allgemein anerkannte Begriffsdefinition, vielmehr bildet es einen Oberbegriff für viele »Beratungsformen wie Kompetenzentwicklungsberatung, Berufswegplanung, Karriereberatung, Qualifizierungsberatung, Lernberatung, Weiterbildungsberatung, didaktisch-methodische Beratung für Pädagogen u. v. m.« (2012, S. 1). Diese Beratung fokussiere Fragen des Bildungs- und Beschäftigungsbereichs und neben einer Informationskomponente sei sie geleitet durch eine ergebnisoffene Suche nach individuell passenden Lösungen (S. 1). Die in diesem Beitrag betrachteten Beratungssituationen fallen in diesen Definitionsraum, da es sich um ergebnisoffene Hilfe zur Selbsthilfe, die sich auch auf die Bildungs- und Beschäftigungsform der Ratsuchenden auswirkt, handelt.

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Studienabbruch und Phasenmodell der Beratung Nach Berdel-Mantz und Knoll (2012) besitzt jedes Beratungsgespräch zwar »eine einzigartige Wirklichkeit, […] trotzdem ist es nötig und möglich, jedes (Beratungs-)Gespräch in unterschiedliche Phasen einzuteilen« (S. 47). Die Funktion eines solchen Phasenmodells sei wesentlich darin zu sehen, dass seine reflektierte, transparente und aktive Anwendung in der Beratung »Sicherheit und Freiraum« für Berater und Beratene gebe, da beide sich den inhaltlichen und psychologischen Dimensionen des Beratungsanliegens zuwenden könnten, ohne zu viel Energie und Gedanken auf die aktuelle Gesprächsführung legen zu müssen. In diesem Beitrag wird ausgeführt, wie diese Sicherheit und dieser Freiraum für Berater von Studienzweiflern noch erhöht werden können, indem bereits im Vorfeld typische Inhaltsdimensionen, Handlungsanforderungen oder Gesprächsfallen solcher Beratungsgespräche reflektiert werden. Andere, allgemeine Problemstellungen, die die jeweiligen Phasen in sich bergen, werden hier nicht beachtet. Die nachfolgende Darstellung des Phasenmodells der Beratung lehnt sich an die Darstellung von Berdel-Mantz und Knoll (2012) an, diese wiederum orientiert sich an Petzold (1993, S. 67 ff.) und Rahm (2004, S. 130). Unterschieden werden die Phasen der Eröffnung, der Bearbeitung, der Integration und des Abschlusses. Eine Darstellung dieser Phasen erfolgt nachfolgend jeweils zu Anfang des entsprechenden Unterkapitels. Eröffnungsphase Die Eröffnungsphase in der Beratung hat folgende wichtige Funktionen: erstens den Kontakt zwischen Ratsuchendem und Berater herzustellen und zweitens die Gesprächssituation im Vorfeld zu strukturieren und das Beratungsthema und das Beratungsziel festzulegen (vgl. Berdel-Mantz u. Knoll, 2012). Studienabbruch und Bewertung: Dass das Thema »Studienabbruch und Bewertung« am Anfang und nicht am Ende der Reflexion über Studienabbruch und Beratung steht und bereits im Zusammenhang mit der Eröffnungsphase der Beratung behandelt wird, ist vielleicht ungewöhnlich, aber absichtsvoll: »Denn noch immer wird © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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Studienabbruch von Betroffenen und Beteiligten als individuelles Schicksal interpretiert und entsprechend behandelt. […] Warum wirkt ein Studienabbruch auch heute noch als ein Dokument persönlichen Versagens?« (Köster, 2002, S. 5). Studienabbruch scheint in unserer Gesellschaft weiterhin latent negativ bewertet zu sein, so wie Köster dies nach langjähriger Beratungserfahrung mit Studienabbrechern feststellt. Für den Berater von Studienzweiflern bedeutet dies, dass er sich im Vorfeld über seine persönlichen Einstellungen zum Studienabbruch Rechenschaft ablegen muss. Denn ein gelungener Kontaktaufbau in der Beratung setzt voraus, dass der Berater wertschätzend, empathisch und kongruent ist (vgl. Berdel-Mantz u. Knoll, 2012, S. 48). Dies wird dem Berater nur gelingen, wenn er sich seiner diesbezüglichen eigenen, gegebenenfalls latenten/verdrängten Einstellungen oder Erlebnisse bewusst wird und diese somit nicht unkontrolliert, zum Beispiel durch Projektion, das Beratungsgespräch beeinflussen. Beratungsempfehlung 1: Um ein wertschätzendes, empathisches und kongruentes Beratungsgespräch zum Thema Studienabbruch führen zu können, sollte der Berater im Vorfeld seine eigenen Einstellungen zum Thema Studienabbruch aktiv reflektieren. Studienabbruch und Beratungsinstitution: »Studienabbrecher kosten den Staat Milliarden« titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2007 (Plickert, 2007)3. Schröder-Gronostay verweist darauf, dass der Studienabbruch aus einer gesellschaftlichen Perspektive häufig als Indikator für die Effizienz bzw. Effektivität des tertiären Bildungssystems gewertet wird (1999, S. 210). Die Bewertung von Studienabbruch durch eine Bildungsinstitution selbst kann als ambivalent eingestuft werden: Einerseits werden deutsche Hochschulen zunehmend auch nach Erfolgskriterien wie zum Beispiel »Absolventen und Absolventinnen« bewertet und budgetiert, andererseits sind Studiengänge teilweise so ausgelastet, dass der »Schwund« eine Entlastung des täglichen Studienbetriebs darstellen kann. Es wundert insofern nicht, dass noch Ende der 1990er Jahre eine Vertreterin der Studienberatung konstatieren musste: »Studienabbruch ist kein zentrales Thema in der Studienberatung. Die Studienberatung hat sehr selten 3 Entsprechend einer Studie des Stifterverbands 2007.

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mit Studienabbrechern zu tun. […] Studienabbrecher wenden sich eher an die Berufsberatung des Arbeitsamtes, da diese über Alternativen zum Studium informieren« (Schomburg, 1999, 247). Wenn auch inzwischen einige Hochschulen4 einen proaktiven Umgang mit Studienzweiflern suchen, so bleibt doch festzuhalten, dass Bildungsund Beratungsinstitutionen aus ihren je eigenen Zusammenhängen heraus spezifische Vorstellungen mit dem Studienabbruch verbinden. So könnte die Berufsberatung des Arbeitsamtes, die Studienberatung der betroffenen Bildungsinstitution oder ein unabhängiger Karrierecoach aufgrund der jeweiligen Kontextgebundenheit andere und eigene Zielsetzungen mit der Beratung von Studienzweiflern verbinden. Beratungsempfehlung 2: Die eigene Kontextgebundenheit bezüglich der Thematik Studienabbruch sollte durch die Beratungsorganisation reflektiert und den Beratenen zum Beispiel im Rahmen des »Mission Statements« zur verbesserten Vertrauensbildung transparent gemacht werden. Studienabbruch: Ja oder nein? Eine abschließende Bewertung des Studienabbruchs durch Studienzweifler ist nur im Nachhinein möglich. Es besteht für den Beratenen also eine »Bewertungsunsicherheit«, die für den folgenden Beratungsprozess und die Berateraufgabe, das Beratungsthema und -ziel mit dem Beratenen zu finden und zu konkretisieren relevant ist. »Dem Studienabbruch gehen in der Regel krisenhafte, die Betroffenen belastende Studienphasen voraus« (Schindler, 1999, S. 163). Studienabbruch muss daher als ein Prozess verstanden werden, von dem anzunehmen ist, dass ihn auch Nichtabbrecher durchmachen, die ihn aber anders abschließen und weiterstudieren. Ob ein Studienzweifler zum tatsächlichen Studienabbrecher wird oder sein Studium fortsetzt, kann noch komplett unentschieden sein. Mit dem Ausdruck »Studienzweifler« soll somit hervorgehoben werden, dass der Abbruch nur eine mögliche Lösung dieses Zweifels bzw. der aktuell belastenden Lebenssituation ist. Neben der Bewertungsunsicherheit ist die Beratungssituation also auch gekennzeichnet durch eine grundlegende Entscheidungsproblematik. Die Aufgabe des Beraters, das Beratungsthema und 4

Siehe zum Beispiel das diesbezügliche Seminarangebot der Universität Mainz.

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Beratungsziel zu finden und zu definieren, ist daher sensibel zu gestalten. Es ist vorstellbar, dass das Beratungsgespräch schon eine jeweils andere Richtung allein dadurch nimmt, dass die Zielsetzung der Beratung um Nuancen verändert wird. Verschiedene Eingangsstatements (z. B.: »Ich weiß nicht, ob ich mein Studium abbrechen soll.«, oder »Ich weiß nicht, ob ich mein Studium weiterführen soll.«) können den Beratungsverlauf grundsätzlich verändern.5 Einer Entscheidung über einen möglichen Abbruch sollte zudem eine genaue Analyse der derzeitigen Situation und möglicher Alternativen vorgelagert sein. Wer das Studium abbrechen will (oder muss), steht also vor spezifischen Bewertungs-, Entscheidungs- und Entwicklungsaufgaben. Aber auch bei einem Verbleib im Studium stellt sich die Frage, wie dieses zukünftig anders gestaltet werden kann, damit ähnlich krisenhafte Situationen nicht mehr entstehen und das Studium erfolgreich abgeschlossen werden kann. Schließlich müssen diese Alternativen gegeneinander abgewogen werden. Beratungsempfehlung 3: Berater sollten viel Sensibilität in Hinblick auf die Formulierung eines ergebnisoffenen Beratungsziels aufbringen und beachten, dass sich Studienzweifler gegebenenfalls schon länger in einer krisenhaften Lebenssituation befinden und gleichzeitig Bewertungs-, Entscheidungs- und Entwicklungsaufgaben durchführen müssen. Bearbeitungsphase »In der Bearbeitungsphase wird – immer mit Blick auf das vereinbarte Ziel – das benannte Thema entfaltet, aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und nach Lösungen gesucht« (Berdel-Mantz u. Knoll, 2012, S. 48). Gründe für den Studienabbruch: In der Bildungsberatung mit Studienzweiflern sollten Berater typische Abbruchgründe kennen, um gezielt bestimmte Motivationslagen ansprechen bzw. erörtern zu können. Dem Beratenen wird so die Möglichkeit gegeben, diese typischen Gründe in Hinblick auf die eigene Lebenssituation zu überprüfen. 5 Hier sind Parallelen zur Eheberatung zu sehen, in der mit den Beratenen gegebenenfalls auch zunächst geklärt werden muss, ob sie eine »Eheberatung« oder eine »Scheidungsberatung« wünschen.

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Betrachtet man die Forschungsergebnisse zum Studienabbruch, werden Studienabbrecher gern typisiert, zum Beispiel in frühe und späte Abbrecher (siehe exemplarisch Schindler, 1999, S. 161 ff.). Auch die Unterscheidung zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Abbrechern wird oft herangezogen, wobei in oben genannter HISStudie nur 11 % der Studienabbrecher nichtbestandene Prüfungen als Abbruchgrund nennen (vgl. Heublein et al., 2012). Auffällig ist in derselben Studie hingegen, dass weitere 20 %6 den als zu hoch wahrgenommenen Leistungsdruck als Grund für den Studienabbruch nennen. Insgesamt geben somit in dieser Studie 31 % der Studienabbrecher Leistungsprobleme als Grund an; des Weiteren führen 30 % schlechte Studienbedingungen und eine mangelnde Studienmotivation und -identifikation und 30 % Finanzierungsprobleme (19 %) oder eine berufliche Neuorientierung (10 %) als Abbruchgrund an (vgl. Heublein et al., 2012). Diese Dreiteilung gibt Beratern erste Hinweise auf Abbruchmotivationen. Der empirischen HIS-Studie unterliegen Modellvorstellungen vom Prozess des Studienabbruchs. Die Studie geht grundsätzlich davon aus, dass es sich um einen Prozess handelt, »der sich durch Komplexität und Mehrdimensionalität auszeichnet« und neben der aktuellen Studiensituation auch die Studienvorphase und die Entscheidungssituation einbezieht (vgl. S. 13 ff., dort insbesondere die Überblicksgrafik). Schröder-Gronostay gliedert in ihrer »Zusammenfassung zum Forschungsstand Studienabbruch« (1999, S. 209 ff.) die Erklärungsansätze nach soziologischen, psychologischen und ökonomischen Perspektiven. Folgender Überblick referiert diese Ergebnisse: ȤȤ Aus soziologischer Perspektive wird Studienabbruch insbesondere als Scheitern des sozialen und akademischen Sozialisationsprozesses erklärt, indem die Interaktion zwischen Studierenden und dem akademischen und sozialen Kontext der Hochschule 6 Diese Zahl hat sich im Vergleich zu den Vorgängerstudien 2003 und 1992 verdoppelt. Dies ist auffällig und es sollte überprüft werden, ob die Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse zumindest in der Wahrnehmung der Studienabbrecher eine Verschiebung der Abbruchgründe erzeugt hat.

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als gestört angesehen wird (vgl. Tinto, 1986; Schröder-Gronostay, 1999). 7 ȤȤ Aus psychologischer Perspektive werden primär Persönlichkeitsmerkmale der Studierenden wie zum Beispiel kognitive Fähigkeiten, das Leistungsvermögen, das (akademische) Selbstkonzept oder motivationale Aspekte betrachtet. Das Erklärungsmodell von Ethington (1990) betont zum Beispiel, »dass die Erfolgserwartung der Studierenden und die subjektive Wertschätzung eines Hochschulabschlusses in starkem Maße das Leistungsverhalten bzw. den Verbleib an der Hochschule bestimmen« (zit. nach Schröder-Goronstay, 1999). ȤȤ Aus ökonomischer Erklärungsperspektive werden insbesondere Faktoren der Unterhaltsfinanzierung und der Familiensituation herangezogen. Eine Metaauswertung von empirischen Studien zum Studienabbruch durch Schröder-Gronostay (1999) konnte elf Variablengruppen innerhalb dieser drei Erklärungsperspektiven herausarbeiten, die aber keine eindeutigen, teils widersprüchliche Ergebnisse zeigen. Schröder-Gronostay schließt daraus, dass »dieser Überblick zeigt, dass es den Studienabbrecher, die Studienabbrecherin nicht gibt. So scheinen monokausale Erklärungen bei dem Phänomen Studienabbruch zu kurz zu greifen. Mehrdimensionale Erklärungen sind notwendig« (S. 227). Diese Hinweise auf die Komplexität des Phänomens bzw. auf die Schwierigkeiten der Typisierung von Studienabbrechern lassen den Berater nahezu ergebnislos zurück. Allein Schindlers Hinweis, »dass bei den maßgeblichen Ursachenbündeln solche, die in der Person der Studierenden liegen, mit solchen in den Studien- und Lebensverhältnissen zusammenwirken« (1999, S. 173; Hervorhebung M. M.), erscheint für den Beratungskontext hilfreich. Es wird daher hier vorgeschlagen, die Lebenssituation von Studienzweiflern als eine zu beschreiben, die sich durch eine geringe Person-UmweltPassung auszeichnet. Dies würde auch mit dem Erklärungsansatz 7 Heublein (2014) konnte zudem statistische Indizien dafür sammeln, dass Studienabbruch und Bildungsherkunft korrelieren.

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der scheiternden Integration aus soziologischer Perspektive korrespondieren (siehe Tinto, 1986). Darüber hinaus unterstützen psychologisch getestete Erklärungsmodelle zur Berufswahl und beruflichen Neuorientierung, die ebenfalls die Passung zwischen Umwelt und Person in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, eine derartige Beschreibung der Lebenssituation von Studienzweiflern. So nimmt Savickas’ (1997) Konzept der Laufbahnanpassungsfähigkeit den »Person-Environment-Fit« zum Beispiel in Hinblick auf Kategorien wie berufliche Persönlichkeitskonzepte und Lebensthemen in den Blick (vgl. den Beitrag von Verena Mager in diesem Band, S. 23–37). Sehr nützlich erscheint auch das Modell der Übergangsbereitschaft von Hirschi und Läge (2006), das eine Systematik von möglichen Einflussgrößen und ihre Veränderbarkeit über die Zeit aufzeigt (vgl. den Beitrag von Verena Mager in diesem Band, S. 23–37). Beratungsempfehlung 4: Studienzweifler sollten im Beratungsgespräch die Fragestellung des Studienabbruches in Bezug auf ihre individuelle Person-Umwelt-Passung erörtern können. Dies scheint sinnvoll, da auf diese Weise: 1. eine urteilsneutrale Betrachtung der eigenen Person und ihrer Situation möglich ist: In der Diskussion der jeweils eigenen Situation entgeht die Beratung der »Kommunikationsfalle«, Persönlichkeitseigenschaften als »Defizite« wahrzunehmen oder Umweltumstände als besonders »ungerecht« zu attribuieren, stattdessen stehen lediglich die Passung des Individuums zu seiner jetzigen Situation und eine mögliche Veränderbarkeit dieser im Blickpunkt. 2. genau herausgearbeitet werden kann, was in Person und Umwelt nicht zusammenpasst: Die Einzelkriterien können dann gewichtet und ihre Bedeutsamkeit zum Beispiel in Hinblick auf den jetzigen Aufwand und späteren Nutzen ermittelt werden ‒ sollten dabei einzelne Umstände (z. B. fehlendes Selbstvertrauen, verändertes berufliches Selbstkonzept, veränderte Entscheidungsbereitschaft) als besonders bedeutsam bewertet werden, kann in der Beratung die Beeinflussbarkeit dieser konkreten Umstände bearbeitet werden. 3. über die Wahrnehmungen des Beratenen selbst gesprochen werden kann: Es besteht insofern für den Beratenen die Möglichkeit, © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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sein Selbst- und Fremdbild und zum Beispiel die an ihn tatsächlich gestellten Anforderungen und die nur von ihm vermuteten Anforderungen zu hinterfragen ‒ dies scheint insbesondere angebracht bei Beratenen, die einen zu hohen Leistungsdruck betonen und fehlende Identifikation und soziale Integration als Problem benennen. 4. auch über Gefühle und Empfindungen (wie Bedauern oder Erleichterung) des Beratenen bezüglich einer nicht genauen Passung gesprochen werden kann und so Hinweise für eine Entscheidung gewonnen werden können. Studienabbruch und Alternativen: Ein Beratungsgespräch mit Studienzweiflern über ihre Situation unter dem Blickwinkel der PersonUmwelt-Passung wird bestimmte Schwerpunkte und inhaltliche Zusammenhänge herauskristallisieren, die durch den Beratenen als besonders einleuchtend, schwerwiegend, bedeutsam eingestuft werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse gilt es nun in »mögliche und konkrete Handlungsimpulse umzusetzen« (Berdel-Mantz u. Knoll, 2012, S. 52). Eine Studiensituation, in der Studierende die Alternative Studienabbruch in Erwägung ziehen, kann in grundsätzlich drei Richtungen und ihre jeweiligen Variationen aufgelöst werden. Das sind erstens die Fortsetzung des Studiums unter anderen, neuen Vorzeichen, zweitens die befristete Unterbrechung bzw. das Ausprobieren von Optionen und drittens ein tatsächlicher Studienabbruch. In der Beratung mit Studienzweiflern muss diese grundsätzliche Wegscheide sorgfältig und professionell begleitet werden: So wichtig es einerseits ist, zur Lösungserarbeitung Handlungsimpulse zu erzeugen, so wichtig ist es andererseits, hierbei nicht manipulativ zu sein. Beratungsempfehlung 5: Dem Berater sollte klar sein, dass es sich bei einer Entscheidung zum Studienabbruch um eine sehr grundsätzliche Entscheidung handelt. Er sollte insofern diesen ersten Lösungsimpuls zunächst als eine von mehreren Optionen behandeln und dies auch sprachlich durch seine Wortwahl zum Ausdruck bringen. Integrationsphase Die Integrationsphase hat die Funktion, »mit dem Ratsuchenden gefundene Lösungen zu konkretisieren, ihre Bedeutung hervor zu © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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heben [sic], Erarbeitetes kritisch zu bewerten und Handlungskonsequenzen abzuleiten« (Berdel-Mantz u. Knoll, 2012, S. 53). Studienabbruch und dann? Sollte sich in der Bearbeitungsphase herausstellen, dass ein Studienabbruch die favorisierte Lösungstendenz darstellt, stellt sich im gleichen Atemzug die Frage: Und was dann? Dieser gedankenlogische Umstand macht klar, warum eine Entscheidung über einen Studienabbruch, die meist unabhängig vom gleichzeitigen Denken und Aussprechen von Alternativen ansteht, oft schwerfällt. Möglicherweise ist hierin auch ein Grund für die Langwierigkeit dieses Entscheidungsprozesses zu sehen. Das mit dem Abbruch verbundene Zurücknehmen einer beruflichen Entscheidung, ohne zu wissen, wie es weitergehen könnte, stellt auch einen systematischen Unterschied zu einer Berufsentscheidung nach der Schulzeit oder während einer Arbeitslosigkeit dar ‒ Situationen, in denen Ratlosigkeit und Zögern bezüglich der weiteren beruflichen Entwicklung sozial akzeptierte oder zumindest nachvollziehbare Verhaltensmuster sind. Sollte diese gedankenlogische und die Entscheidung erschwerende Gleichzeitigkeit zwischen der Tendenz, abbrechen zu wollen, und der Not, keine Alternative benennen zu können, tatsächlich bestehen, scheint es zur Lösungsfindung und/ oder Lösungskonkretisierung in Bezug auf Abbruchentscheidungen hilfreich (oder sogar notwendig) zu sein, das Informieren über sowie das Entwickeln, Abwägen oder sogar Ausprobieren von Alternativen anzukoppeln. Oder wie es Köster formuliert »Wer keine Alternativen kennt, kann sich schlecht umorientieren« (2002, S. 95). Daraus folgt für den Bildungsberater zwingend, dass er die alternativen Entwicklungswege für Studienabbrecher kennt und hierzu aufbereitete Informationen zur Verfügung stellen kann. Einen guten Überblick über solche Alternativen gibt Köster (2002). Beratungsempfehlung 6: Berater von Studienzweiflern müssen über alternative Entwicklungswege und Fördermöglichkeiten für Studienabbrecher informieren können, um ihnen dabei behilflich zu sein, mittels Alternativen die Wertigkeit des bisherigen Studiums neu bestimmen zu können. Studienabbruch, Bewertung und Konsequenzen: Ob der »Abbruch zum Aufbruch« und zu einer »beruflichen Neuorientierung« (Köster, 2002, S. 6) wird, wird jeder Betroffene erst in der Retrospektive © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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eindeutig sagen können. Ein Blick auf die Statistik kann aber helfen zu verstehen, wie bisherige Studienabbrecher ihre diesbezügliche Lebensentscheidung beurteilen. In der oben genannten HIS-Studie konnte festgestellt werden, dass von den Studienabbrechern ein halbes Jahr nach ihrer Exmatrikulation bereits über 70 % berufstätig sind (40 %) oder sich in einer Berufsausbildung (33 %) befinden; 20 % nehmen an einer Weiterbildung teil oder absolvieren ein Praktikum; die Arbeitslosenquote ist also nur geringfügig höher als bei den Hochschulabsolventen;8 bezüglich der Zufriedenheit mit ihrer beruflichen Situation weichen Studienabbrecher nicht deutlich von den Hochschulabsolventen ab (vgl. Heublein et al., 2010). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Meyer für die Schweiz (1999, S. 78). Auch Lewin (1999) kann diese Tendenz bestätigen und stellt fest, dass drei Jahre nach Abbruch drei Viertel der Abbrecher berufstätig sind. In Bezug auf die Qualität der Berufstätigkeit stellen Mönch und Schneider fest, dass es den Studienabbrechern »eindeutig schwerer fällt als den Hochschulabsolventen, auf der Karriereleiter Tritt zu fassen, denn sie werden häufiger mit geringerwertigen Tätigkeiten beschäftigt als diese« (1994, zit. nach Schröder-Gronostay, 1999, S. 228). Andere Studien stellen die individuelle Sichtweise in den Vordergrund und finden eine positive Bewertung durch die Studienabbrecher selbst, in der der Abbruch zum Beispiel als individuelle »Optimierung der Bildungslaufbahn« (Meyer, 1999, S. 78) oder »individuelles Bildungserlebnis« (Engelhardt, 2012) eingestuft wird. Diese doch relativ hohen Erfolgs- und Zufriedenheitswerte lassen vermuten, dass ein Studienabbruch oftmals alles andere als ein »Dokument persönlichen Versagens« (Köster, 2002, S. 5) darstellt. Abgesehen von diesen statistischen Zahlen bleibt es für den Beratenen wichtig, eine eigene prospektive Bewertung vornehmen zu können. Der Berater sollte hierfür geeignete Instrumente und Fragen für sein Beratungsrepertoire entwickeln. Aus der Forschung zu kritischen Lebensereignissen sind die vier Entwicklungsdimensionen »Ziele, Potenziale, Anforderungen und Angebote« bekannt, mit 8 Die Arbeitslosenquote ist nur überdurchschnittlich bei den Gruppen, die Leistungsanforderungen oder nicht bestandene Prüfungen sowie Krankheit als Grund für den Studienabbruch angeben.

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denen jeweils Fragen verbunden sind (Wo will ich hin? Was bringe ich dafür mit? Was erwartet mein Umfeld? Wie unterstützt mich mein Umfeld?), die auch zur Überprüfung im Kontext Studienabbruch sinnvolle Leitfragen sein können (vgl. Berdel-Mantz u. Knoll, 2012). Weiter bietet der Ansatz der ressourcenorientierten Beratung eine Sichtweise, die es erlaubt, »den Blick zu verlagern: weg von einer Problem- und Fehlerfixierung hin zu Potenzialen, Stärken und Chancen. Es ist ein lösungsorientierter Blick« (Greulich, 2012, S. 5). Schließlich ist es wichtig, die Gefühle des Beratenen gegenüber der gerade erarbeiteten Lösung zu reflektieren und zu vertiefen. Beratungsempfehlung 7: Dem Berater sollte ein Repertoire an Methoden und Informationen zur Verfügung stehen, so dass eine prospektive, emotionsvertiefende und ressourcenorientierte Bewertung der geplanten Entscheidung durch den Beratenen vorgenommen werden kann. Studienabbruch und jetzt? Die Integrationsphase sollte mit einer Einordnung und Zusammenfassung der Ergebnisse enden; entwickelte Handlungsschritte sollten noch einmal benannt werden. Diese Beratungsphase weist im Vergleich zu Beratungen mit anderen Themen meines Erachtens keine Besonderheiten auf. Es soll hier aber noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die als Krise empfundene Lebenssituation von potenziellen Studienabbrechern oftmals sehr lang andauert und sehr belastend ist. Insofern sollte der Berater erarbeitete, lösungsorientierte Handlungsschritte auch am Ende der Integrationsphase noch einmal motivational einbinden. Zudem sollte das Angebot formuliert werden, dass das Beratungsgespräch fortgesetzt werden kann. Abschlussphase »Die Abschlussphase ist geprägt durch Auswertung, positiven Ausblick und Abschied« (Berdel-Mantz u. Knoll, 2012, S. 54). Meines Erachtens weist auch die Abschlussphase im Kontext mit potenziellen Studienabbrechern gegenüber anderen Beratungsanliegen keine Besonderheit auf, weshalb ich an dieser Stelle nicht genauer auf sie eingehen möchte.

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Fazit Zum Abschluss sollen hier einige Spezifika der Beratung von Studienzweiflern noch einmal hervorgehoben werden: ȤȤ Es gibt in der Gesellschaft eine latent negative oder interessengeleitete Bewertung des Studienabbruchs. Diese müssen Berater und Beratungsinstitution aktiv reflektieren, um eine vertrauensvolle, unvoreingenommene Beratung gewährleisten zu können. ȤȤ Studienabbruch ist ein Prozess. Abbruchmotivation scheint stets ein Ursachenbündel zu sein. Dieses Bündel lässt sich theoretisch und beratungskommunikativ als eine geringe Person-UmweltPassung diskutieren. Eine Beratung unter dem Blickwinkel Person-Umwelt-Passung birgt viele Vorteile und wird in diesem Beitrag empfohlen. ȤȤ Eine Bildungsberatung von Studienzweiflern stellt eine beratungskommunikative Herausforderung dar, da gedankenlogisch eine Abbruchentscheidung verbunden werden muss mit dem gleichzeitigen Reflektieren und Herausarbeiten von Alternativen. Hierfür sollte der Berater im Vorfeld Kommunikationsmethoden entwickeln und eine entsprechende Vermittlung von Fachinformationen vorbereiten. ȤȤ Potenzielle Studienabbrecher befinden sich oft in einer aktuell sehr belastenden Situation. Sie stehen vor einer grundsätzlichen Wegscheide in ihrem Leben. Es gilt also gleichzeitig Lösungen für eine aktuell belastende Lebenssituation zu finden und langfristig wirksame Lebensweichen zu stellen. Der Berater sollte daher zusammen mit dem Beratenen lösungsorientierte Handlungsimpulse für die konkrete Lebenssituation herausarbeiten und gleichzeitig ergebnisoffen und sorgfältig die vielfältigen Entwicklungsoptionen durcharbeiten. Die Impulse und Optionen sollten sich solange zum einen auf die Bewältigungsstrategie für die aktuelle Lebenssituation und zum anderen auf die Suche und Bewertung von alternativen Karrierewegen beziehen, bis der Beratene Sicherheit in seiner Entscheidungs- und Handlungskompetenz entwickelt hat.

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Knoll, J. (2012). Beratung lernen durch Beraten und Beraten-werden. Zur Didaktik von Fortbildungsangeboten für Beratung. In Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung Mainz (Hrsg.), Seminarordner Bildungsberatung & Kompetenzentwicklung (S. 1–12). Unveröffentlichte Schrift, Mainz. Köster, F. (2002). Studienabbruch. Perspektiven und Chancen. Frankfurt a. M.: Bund-Verlag. Lewin, K. (1999). Studienabbrecher 1994. Zukunftsperspektiven. In M. Schröder-Gronostay, H.-D. Daniel (Hrsg.), Studienerfolg und Studienabbruch (S. 17–49). Neuwied: Luchterhand. Meyer, T. (1999). Studienabbruch an schweizerischen Hochschulen. In M. Schröder-Gronostay, H.-D. Daniel (Hrsg.), Studienerfolg und Studienabbruch (S. 67–82). Neuwied: Luchterhand. Mönch, J., Schneider, J. (1994). Studienabbruch – und was jetzt? Absprung zum richtigen Zeitpunkt, Handlungsstrategien, Förderungsmöglichkeiten, Perspektiven. München: mvg. Petzold, H. (1993). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden für eine schulübergreifende Psychotherapie. Paderborn: Junfermann. Plickert, P. (2007). Studienabbrecher kosten den Staat Milliarden. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 229, 15. Rahm, D. (2004). Gestaltberatung, Grundlagen und Praxis integrativer Beratungsarbeit (9. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Savickas, M. L. (1997). Career adaptability: an integrative construct for life-span, life- space theory. The Career Development Quarterly, 45, 247–259. Schindler, G. (1999). Fallstudien zum Studienabbruch. In M. Schröder-Gronostay, H.-D. Daniel (Hrsg.), Studienerfolg und Studienabbruch (S. 161–179). Neuwied: Luchterhand. Schomburg, M. (1999). Desiderata der Studienabbruchforschung aus Sicht der Studienberatung. In M. Schröder-Gronostay, H.-D. Daniel (Hrsg.), Studienerfolg und Studienabbruch (S 247–248). Neuwied: Luchterhand. Schröder-Gronostay, M. (1999). Studienabbruch – Zusammenfassung des Forschungsstandes. In M. Schröder-Gronostay, H.-D. Daniel (Hrsg.), Studienerfolg und Studienabbruch (S. 209–240. Neuwied: Luchterhand. statista (o. J.). Anzahl der Studienanfänger/-innen im ersten Hochschulsemester in Deutschland in den Studienjahren von 1995 bis 2013. Zugriff am 05. 05. 2014 unter http://de.statista.com/statistik/daten/studie/4907/umfrage/ studienanfaenger-in-deutschland-seit-1995/ Tinto, V. (1986). Theories of student departure revisited. In J. C. Smart (Hrsg.), Higher education. Handbook of theory and research. Bd. 2 (S. 359‒384). New York: Agathon Press.

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Kim Christin Moskopp

Evaluation in der Bildungsberatung – erste Annäherungen

Vorbemerkung Wie der Titel andeutet, ist das Ziel dieses Beitrags die mehrperspektivische Annäherung an den Begriff der Evaluation im Rahmen der Bildungsberatung. Hierfür wird zunächst ein Verständnis von Evaluation diskutiert, von dem ausgehend die Ziele abgeleitet werden. Darauf aufbauend wird ein Blick auf die Durchführung einer Evaluation in der Bildungsberatung geworfen. Im Rahmen dieses Beitrags muss es dabei bei einem ersten Einblick bleiben, wobei Hinweise auf vertiefende Literatur gegeben werden. Letztlich soll hier zum einen eine Idee der Komplexität, zum anderen eine Idee der praktikablen und sinnvollen Durchführung gegeben werden.

Was ist Evaluation? Wollen wir uns damit befassen, wie uns die Evaluation bei der Bildungsberatung begleiten kann, so gilt es zunächst, sich mit dem Begriff der Evaluation auseinanderzusetzen. Dass es sich hierbei nicht um eine abgeschlossene Definition handeln kann, wird schnell klar – nach Wottawa und Thierau (1998) gibt es ähnlich viele Erklärungen des Evaluationsbegriffs wie es Evaluationsprojekte in der Praxis gibt (vgl. S. 13). Eine der gängigen Praxis sehr nahe liegende Definition liefert uns Kromrey: »Evaluation bedeutet nichts weiter als Bewertung: Irgend etwas [sic] wird von irgend jemandem [sic] nach irgendwelchen Kriterien in irgendeiner Weise bewertet« (Kromrey, zit. nach Wottawa u. Thierau, 1998, S. 13). Dieser Definitionsvorschlag ist deshalb für die Evaluationspraxis so hilfreich, weil er (fast) jedes Vorgehen legitimiert. Wollen wir aber einen konkreten, theoretisch fundierten, begründeten und dennoch für die Praxis © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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brauchbaren Definitionsvorschlag, so werden wir bei Reischmann (2006) fündig: 1. »Evaluation meint 2. das methodische Erfassen und 3. das begründete Bewerten von Prozessen und Ergebnissen zum 4. besseren Verstehen und Gestalten einer Praxis-Maßnahme im Bildungsbereich« (S. 18). Hieraus ergibt sich zunächst eine klare Handlungsnotwendigkeit: Wir müssen auf (wissenschaftlich) methodisch gesicherte Art und Weise Daten erheben und diese in einem nächsten Schritt begründet bewerten. Weiterhin sagt uns Reischmann auch, warum wir dies tun: Wir verfolgen das Ziel der Reflexion und der (immer »besser« werdenden) Gestaltung jeglicher Art von Praxis – also dessen, was wir evaluieren wollen und was in unserem Sinne die Bildungsberatung ausmacht. Da diese Definition ein Ziel im Sinne professioneller Praxis und Handlungsoptionen zum Erreichen dieses Ziels umschreibt, wollen wir diesen Definitionsvorschlag Reischmanns hier weiter betrachten.

Welchen Sinn haben Evaluationen in der Bildungsberatung? Nun wissen wir, was unter »Evaluation« verstanden werden kann, und fragen uns, aus welchen Gründen die Evaluation Einzug in die Bildungsberatung gehalten hat. Aus der Diskussion ist hier zusammenfassend festzuhalten, dass Evaluation als nachhaltiges Instrument zur Qualitätsentwicklung von Beratung angesehen werden kann (Schiersmann, Bachmann, Dauner u. Weber, 2008, S. 49). Immer dann, wenn wir uns fragen, ob die Beratung, die wir in der Praxis durchführen, eine »gute« bzw. eine professionelle Beratung ist, kann Evaluation eine Hilfe sein, dies herauszufinden. Es wird deutlich, dass wir Kriterien dafür benötigen, was eine professionelle Beratung ausmacht. Das Finden dieser Kriterien obliegt dabei nicht dem Instrument der Evaluation, sondern hierfür benötigen wir theoretisch fundierte Modelle. Evaluation kann uns in diesem Sinne also bei der Feststellung helfen, inwieweit eine in der Praxis durch© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403648 — ISBN E-Book: 9783647403649

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geführte Bildungsberatung einer in einem theoretischen Bezugsmodell beschriebenen professionellen Beratung entspricht. Mit Blick auf Reischmann (2006) können wir hier noch ergänzen: Durch eine Evaluation können wir die evaluierte Bildungsberatung nicht nur besser verstehen, sondern sie für die Zukunft auch professioneller gestalten und damit eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung der Bildungsberatung leisten. Dass die Evaluation in der Praxis der Bildungs- und Beratungslandschaften immer wieder zur Legitimierung von Projekten, zur Verlängerung bestehender Auftragsverhältnisse oder zur Kostenkontrolle eingesetzt wird, bleibt hier unbestritten. Inwieweit es sich im Sinne Reischmanns dann aber tatsächlich um eine Evaluation handelt, bleibt dem kritischen Beobachter zu hinterfragen überlassen.

Vorgehensweise bei einer Evaluation Haben wir uns im Sinne einer professionellen Qualitätsentwicklung dazu entschieden, die Evaluation in unsere Bildungsberatung zu integrieren, so ist die erste Frage, die sich stellt: Wie fangen wir damit an? Den Ablauf einer Evaluation können wir uns nach Burkard (2001) gut in einem Kreislaufmodell vorstellen, wie es in Abbildung 1 zu sehen ist.

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