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German Pages 125 Year 2004
Schriften zum Strafrecht Heft 153
Person, Subjekt, Bürger Zur Legitimation von Strafe
Von
Michael Pawlik
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL PAWLIK
Person, Subjekt, Bürger
Schriften zum Strafrecht Heft 153
Person, Subjekt, Bürger Zur Legitimation von Strafe
Von
Michael Pawlik
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-11542-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort In der deutschsprachigen Diskussion über die Legitimation von Strafe hat sich in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Trendwende vollzogen. Die Auffassung, daß auch die avancierteste der Präventionstheorien, die Lehre von der positiven Generalprävention, die in sie gesetzten Erwartungen nicht habe erfüllen können, gewinnt an Boden. Konsequenterweise wendet sich das wissenschaftliche Interesse wieder verstärkt den Vergeltungstheorien zu. Auf den folgenden Seiten suche ich zu zeigen, daß sowohl die Abkehr von den präventiven als auch die erneute Hinwendung zu den retributiven Straftheorien zu Recht erfolgen. Ich stelle eine Version der Vergeltungslehre zur Diskussion, die meines Erachtens sowohl freiheitstheoretisch abgesichert als auch strafrechtsdogmatisch fruchtbar ist. Dabei greife ich Überlegungen auf und entwickle sie weiter, die ich bereits in meinen Büchern „Das unerlaubte Verhalten beim Betrug“ und „Der rechtfertigende Notstand“ vorgestellt habe. Den dortigen Erörterungen hat noch eine ausgearbeitete straftheoretische Grundlage gefehlt. Diese hoffe ich nunmehr nachliefern zu können. Die vorliegende Untersuchung habe ich in Rostock begonnen und in Regensburg beendet. Von meinen Mitarbeitern an beiden Orten habe ich mannigfache technische Unterstützung erfahren. Mein besonderer Dank gilt meinen Sekretärinnen, den Damen Anne-Dore Neumann (Rostock) sowie Silvia Hutzler und Gisela Schirmbeck (Regensburg). Ich widme dieses Buch meiner Frau und meinem Sohn. Regensburg, im März 2004
Michael Pawlik
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung ...................................................................
9
1. Die Aufgabe der Straftheorie .........................................
9
2. Alltagssprachlicher Gehalt des Begriffs der Kriminalstrafe ...
14
3. Präventive und retributive Straftheorien ..........................
18
II. Strafe als Präventionsinstrument? .....................................
21
1. Charakter der Präventionslehren ....................................
21
2. Die negative Generalprävention .....................................
23
3. Die Spezialprävention .................................................
29
4. Die positive Generalprävention ......................................
35
III. Vergeltung durch Strafe? .................................................
45
1. Renaissance der Vergeltungstheorie? ................................
45
2. Vergeltung als unhintergehbarer Bestandteil unserer kulturellen Identität? .............................................................
48
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe? .......................
54
a) Vom Ausgleichs- zum Wiederherstellungsgedanken .........
54
b) Das sozialpsychologische und das kommunikationstheoretische Verständnis des Wiederherstellungsgedankens .....
58
c) Schwierigkeiten dieser Auffassungen ...........................
65
d) Das anerkennungstheoretische Modell und seine Probleme
69
8
Inhaltsverzeichnis
IV. Strafe als Wiederherstellung des Rechts als Recht ..................
75
1. Mehrdeutigkeit des Anerkennungsbegriffs ........................
75
2. Das Unrecht der Person, des Subjekts und des Bürgers .........
76
a) Personale und subjektbezogene Zurechnung ..................
76
b) Die Zurechnung zum Bürger ......................................
82
3. Strafe als Reaktion auf ein Unrecht des Bürgers .................
88
Literaturverzeichnis ...........................................................
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I. Einleitung 1. Die Aufgabe der Straftheorie Als Michael Kohlhaas auf dem Richtplatz stand, ließ ihm der Kurfürst von Brandenburg, sein Landesherr, zunächst alles zurückerstatten, was er auf der Tronkenburg eingebüßt hatte: Rappen, Halstuch, Reichsgulden, Wäsche und die Kurkosten für seinen Knecht Herse, der von Wenzels Leuten zum Krüppel geschlagen worden war. Daraufhin rief der Kurfürst: „Nun, Kohlhaas, der Roßhändler, du, dem solchergestalt Genugtuung geworden, mache dich bereit, kaiserlicher Majestät, deren Anwalt hier steht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens deinerseits Genugtuung zu geben!“ Kohlhaas erklärte, daß er bereit sei, und wandte sich zu dem Schafott, wo sein Haupt unter dem Beil des Scharfrichters fiel.1 Der Vollzug der Strafe blieb auch hier schmerzlich; die Söhne des Kohlhaas mußten unter stillen Tränen vom Platz hinweggeführt werden. Bedenken gegen die Legitimität der verhängten Strafe empfand jedoch keiner der Anwesenden. H. Kaiser, der seine Untersuchung zur Theorie der Strafe mit dieser Hommage an Kleists Verbrecher aus gekränkter Ehre einleitet, sieht hier den Idealfall legitimer Strafe dargestellt.2 Die Strafe ist im Willen des Delinquenten beschlossen. Kohlhaas ist sich mit dem Kurfürsten darin einig, daß der Tag seiner Hinrichtung der Tag ist, an dem ihm sein Recht geschieht. Für gewöhnlich decken sich die Perspektive desjenigen, der die Strafe erleidet, und derjenigen, die sie vollstrecken, freilich nicht so vollkommen wie in Kleists Erzählung. Der Angeklagte protestiert, zumindest versucht er, möglichst ungeschoren davonzukommen. In solchen Fällen bedarf der Inhaber des strafenden Schwerts zur Legitimierung seines Handelns einer Begründung, die über die bloße Berufung auf die hier und jetzt in Kraft ste1 2
v. Kleist, Kohlhaas, S. 110 ff. Kaiser, Widerspruch, S. 11.
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I. Einleitung
henden Rechtsnormen hinausgeht. Er muß auf eine Straftheorie zurückgreifen. Straftheorien fungieren als Übersetzungsmedien „zwischen übergreifenden Welt- und Menschenbildern auf der einen Seite und den gegebenen strafrechtlichen Regelungen auf der anderen Seite“.3 Diese Aufgabe können sie auf mehr oder weniger radikale Weise in Angriff nehmen. Zur Verdeutlichung sei kurz auf das Verhältnis der politischen Philosophien des Aristoteles und des Hobbes eingegangen.4 Weil Aristoteles den Menschen als ein von Natur aus politisches Lebewesen ansah, konnte er sich damit begnügen, zwischen guten und schlechten Staatsformen zu unterscheiden. Im Bereich der Straftheorie korrespondiert dem die Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Strafen. Hobbes zog aus seiner Preisgabe der aristotelischen Vorannahme die Konsequenz einer Zuspitzung der Legitimationsfrage: Weshalb überhaupt Staat? Eine Straftheorie, welche die Radikalität von Hobbes’ Fragestellung erreichen will, darf sich nicht damit begnügen darzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Strafe gerecht und unter welchen sie ungerecht sei. Eine solche Straftheorie muß vielmehr fragen: Weshalb überhaupt Strafe? Darf es Strafe geben? Ist die Institution der Strafe nicht vielleicht per se ungerecht? Eben dies ist die Frage, die den hiesigen Überlegungen zugrunde liegt.5 Bock, JuS 1994, S. 89. Zum folgenden vgl. Kersting, Hobbes, S. 13 ff. 5 Im Ausgangspunkt wie hier jüngst Schmitz, Kriminalstrafe, S. 7, 127; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 2; ferner Köhler, Begriff, S. 10 f. – Mitunter wird zwischen der „Rechtfertigung“ und dem „Sinn“ der Strafe unterschieden. Die Rechtfertigung der Strafe liege darin, daß sie zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung als einer Grundbedingung für das Zusammenleben der Menschen notwendig sei. Bei der Frage nach dem Sinn der Strafe gehe es hingegen darum, welchen Zweck der Bestrafungsakt gegenüber dem Verurteilten und der Allgemeinheit haben dürfe. Hier sei der Ort, an dem retributive und präventive Begründungsansätze miteinander konkurrierten (Jescheck, in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 I 2 a [S. 64]; II [S. 66]; ähnlich Gropp, AT, § 1 Rdn. 98; Lackner, in: Lackner / Kühl, § 46 Rdn. 1; Zipf, in: Maurach / Zipf, AT 1, § 7 Rdn. 1 ff.). Dies läuft auf eine Unterscheidung zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Strafe hinaus und beläßt den Straftheorien lediglich den letztgenannten Fragenkreis. Der Herauslösung der Frage nach dem „Ob“ liegt die Prämisse zugrunde, daß ein die Einhaltung der Rechtsnormen garantierendes Sanktionssystem unerläßlich sei. Deshalb stehe nicht die Existenz des Strafrechts überhaupt zur Disposition, sondern nur seine grundsätzliche 3 4
1. Die Aufgabe der Straftheorie
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Dagegen mag man freilich kritisch einwenden: Ist dies nicht ein Verbalradikalismus? Immerhin ist der rigorose Abolitionismus heute nicht mehr sonderlich en vogue.6 Dieser Hinweis auf den Zeitgeist vermag die hier vertretene Aufgabenbestimmung der Straftheorie jedoch nicht in Zweifel zu ziehen. Sie dient nämlich weniger der Abwehr eines realen Gegners als vielmehr einem methodischen Anliegen. Genauer: Sie sucht das spezifisch neuzeitliche Kontingenzbewußtsein theoretisch zu verarbeiten, das aus der Überzeugung erwächst, Institutionen wie der Staat und die Strafe seien nichts Naturwüchsiges, sondern Schöpfungen des menschlichen Willens. Was der Wille geschaffen hat, das kann er aber auch wieder in das Nichts zurückstoßen; soviel hat die neuzeitliche Philosophie vom theologischen Voluntarismus des Spätmittelalters gelernt. Daß der Wille dies nicht tun soll, dafür braucht er Gründe. Hobbes’ Ausmalung der Schrecknisse des Naturzustandes diente – auf staatsphilosophischer Ebene – geKonzeption zur Erfüllung dieses Schutzauftrags und seine Ausgestaltung im einzelnen (Zipf, in: Maurach / Zipf, AT 1, § 7 Rdn. 3). Dies ist jedoch ein non sequitur. Aus der allgemeinen Prämisse ergibt sich nicht ohne weiteres die behauptete konkrete, nämlich strafrechtsbezogene Folgerung (vgl. Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 1). Diese muß vielmehr mittels normativer Zusatzannahmen abgesichert werden. Es muß mit anderen Worten der freiheitsfunktionale Sinn gerade der Strafe aufgezeigt, ihre Existenzberechtigung nachgewiesen werden. Die Frage nach der „Rechtfertigung“ der Strafe fällt hier mit derjenigen nach ihrem „Sinn“ zusammen. – Noch restriktiver verfahren jene Autoren, die den Straftheorien lediglich den Status von „Teil- und Bereichstheorien“ zuerkennen. Danach können die Straftheorien allein „der Dogmatik der Rechtsfolgen, aber nicht dem gesamten Strafrecht vorangestellt werden“ (Calliess, FS Müller-Dietz, S. 99 ff. [Zitat S. 108]; ebenso Hruschka, JZ 1985, S. 3). Diese Engführung der Fragestellung läßt sich aber ebenfalls nicht konsequent durchhalten. Solange man darüber im unklaren ist, weshalb es überhaupt Strafe geben darf, kann man auch über deren legitime Höhe nichts Verbindliches aussagen (H.-J. Albrecht, Strafzumessung, S. 24). 6 Einen Überblick über die verschiedenen Strömungen innerhalb der abolitionistischen Bewegung sowie eine konzise Kritik dieser Positionen liefert Kaiser, FS Lackner, S. 1031 ff. – Anders verhält es sich mit dem gemäßigten Abolitionismus. Er trifft sich mit einer Vielzahl von Bestrebungen der Entkriminalisierung, der Diversion, der Zurückdrängung stationärer zugunsten ambulanter Maßnahmen und der Einrichtung außerstrafrechtlicher Konfliktlösungen im Wege des Täter-Opfer-Ausgleichs. Alle diese Ansätze haben einen erheblichen Einfluß auf die Kriminalpolitik in der Bundesrepublik genommen (zusammenfassend Kubink, Strafe, S. 545 ff.).
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I. Einleitung
nau diesem Zweck. Eine Gesellschaft ohne Strafe aber kann man sich immerhin noch eher vorstellen als eine Gesellschaft ohne Staat. Was der Staatsphilosophie recht ist, sollte daher der Straftheorie billig sein: die Bereitschaft, sich gegen die Grenzfrage des „Weshalb überhaupt?“ zu behaupten. Wie verhält sich die hier zugrundegelegte Ausgangsfrage zu dem üblichen Verständnis der Straftheorie als einer Lehre von den legitimen Strafzwecken?7 Recht verstanden, besteht zwischen beiden Formulierungen kein sachlicher Unterschied. Die Frage, welche Zwecke die Institution „Strafe“ überzeugend legitimieren können, schöpft man nämlich nur dann zur Gänze aus, wenn man die Möglichkeit zuläßt, daß sich kein solcher Zweck namhaft machen läßt. Auch die Erörterung der Strafzwecke läuft, so gesehen, auf eine Auseinandersetzung über die prinzipielle Legitimität der Institution „Strafe“ hinaus. Jedoch ist der Zweckbegriff von einer irritierenden Mehrdeutigkeit. Der Zweck, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen (die klassische Begründung für die Vergeltungstheorie) bzw. die fortdauernde Maßgeblichkeit der angegriffenen Normenordnung zum Ausdruck zu bringen (so die moderneren Varianten dieser Auffassung), ist gänzlich anders beschaffen als der Zweck, das Sicherheitsniveau innerhalb einer Gesellschaft günstig zu beeinflussen (der gemeinsame Nenner der Präventionslehren). Gegenstand der erstgenannten Zwecke sind normensysteminterne Folgen; Gegenstand des letzteren Zwecks ist ein außerhalb des Normensystems eintretender, den realen Zustand der Gesellschaft beeinflussender Umstand.8 Angesichts dieser stark divergierenden Grundverständnisse eignet sich der Zweckbegriff schlecht dazu, das beiden Theoriegruppen gemeinsame Legitimationsanliegen zum Ausdruck zu bringen. Die Suche nach „Strafzwecken“ lädt vielmehr zu Mißverständnissen geradezu ein, etwa zu dem bekannten Vorwurf an die Vergeltungslehren, die von ihnen begründete Strafe sei zweck- und damit sinnlos.9 Tatsächlich sprechen die 7 Exemplarisch für diese Auffassung Jescheck in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 II (S. 66, 70); Joecks, in: MünchKomm, Einl. Rdn. 47; Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 1; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 3 Rdn. 24. 8 Kargl, GA 1998, S. 64; vgl. auch Köhler, AT, S. 43; Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 2 Fn. 3. – Grundlegend zu der Unterscheidung „interner“ und „externer“ Folgen Hassemer, FS Coing, Bd. I, S. 512 ff.
1. Die Aufgabe der Straftheorie
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verschiedenen Varianten der Vergeltungstheorie lediglich Zwekken der zweitgenannten Art eine legitimitätsbegründende Bedeutung ab;10 die von der Vergeltungstheorie hervorgehobenen normensysteminternen Zwecke sind für sie hingegen konstitutiv.11 Unverfänglicher ist es deshalb, die Grundfrage der Straftheorie ohne Rückgriff auf den Zweckbegriff zu formulieren. Es bleibt ein letztes Bedenken gegen das hiesige Vorhaben zu erörtern. Ist eine solche rechtsethisch ansetzende Untersuchung überhaupt von strafrechtsdogmatischem Interesse? Weshalb sollte ein Strafrechtsdogmatiker nicht die Freiheit besitzen, seinen Verzicht auf Belehrungen über die Legitimität der Strafe zu erklären? Wer dies täte, ließe sich zwar nicht im strengen Sinne widerlegen. Er würde aber zum einen außer Acht lassen, daß die Ausgestaltung des Strafrechtssystems, des Strafverfahrens und letztlich auch des Strafvollzugs durch die zugrundeliegende Straftheorie jedenfalls in den Grundzügen festgelegt wird12 und daß aus diesem Grunde derjenige, der sich der Straftheorie verschließt, sich auch ein angemessenes Verständnis des jeweils geltenden Rechts – und erst recht die kritische Distanz diesem gegenüber – erschwert. Vor allem aber würde derjenige, der auf einer strikten Abkoppelung rechtsethischer Fragen von der Auslegung des positiven Strafrechts besteht, verkennen, daß die Strafrechtsanwender eine solche Askese nur um den Preis einer Spaltung ihrer Identität als Handelnde durchhalten könnten. Aus Gründen ihrer moralischen Integrität könnten die betreffenden Personen es sich buchstäblich nicht leisten, sich zur Begründung ihres Handelns allein auf die faktische Wirkungsmächtigkeit „ihrer“ Rechtsord9 Vgl. etwa Baurmann, Strafe, S. 119; Freund, Legitimationsfunktion, S. 43 f.; Gössel, FS Pfeiffer, S. 14; Hoerster, GA 1970, S. 272; Küpper, Straftheorie, S. 208; Lüderssen, Abschaffen, S. 135, 140; Maiwald, GA 1983, S. 53 f.; Reemtsma, Recht, S. 10; Schmidhäuser, FS E.A. Wolff, S. 451 f. 10 Als Normreflexe sind die präventiven Wirkungen der Strafe freilich auch den Vertretern „absoluter“ Theorien willkommen; repräsentativ Kant, Metaphysik der Sitten, S. 453. 11 Klarstellend Köhler, Begriff, S. 9 ff. 12 Naucke, Strafrecht, § 1 Rdn. 214 f.; Neumann, Strafrechtsverständnis, S. 58.
14
I. Einleitung
nung zu stützen; sie könnten vielmehr nicht umhin, diese als eine prinzipiell legitime Ordnung aufzufassen.13 Andernfalls würden sie sich nämlich selbst den Status von Funktionären eines bloßen Machtkartells zuschreiben. Damit würden sie sich der Möglichkeit berauben, ihren eigenen moralischen Status von demjenigen der Helfershelfer konkurrierender (von ihnen als „kriminell“ gebrandmarkter) Machtkartelle abzuheben. Sofern sie sich dessen ungeachtet weiterhin als moralische Subjekte begreifen wollten, wären sie dazu gezwungen, ihrer beruflichen Tätigkeit jegliche Relevanz für ihre praktische Identität abzusprechen, die Einheit ihrer Biographie also buchstäblich aufzusprengen. Derartige Entlastungsstrategien werden aber gewöhnlich als pathologisch (nämlich als schizophren) qualifiziert. Will die Strafrechtsdogmatik nicht einer solchen Schizophrenie das Wort reden, bleibt ihr also nur die Möglichkeit, von einem strikt positivistischen Rechtsverständnis abzurücken und statt dessen die positive Strafrechtsordnung anhand von deren metapositiven Leitbegriffen – nach traditionellem Verständnis also in erster Linie anhand des Begriffs der Gerechtigkeit, nach neuerer Auffassung anhand desjenigen der Freiheit14 – zu deuten.15 Diesem Geschehen, das sich ansonsten weitgehend intuitiv und einzelfallbezogen abspielen würde, verleiht die Straftheorie die einer Normwissenschaft angemessene konzeptionelle Gestalt. Eine so verstandene Straftheorie ist deshalb auch unter dogmatischen Gesichtspunkten keine Luxusveranstaltung, sondern unverzichtbar.
2. Alltagssprachlicher Gehalt des Begriffs der Kriminalstrafe Wer sich der Frage nach der Legitimität der Kriminalstrafe widmet, operiert nicht im luftleeren Raum. Die Strafe ist keine Erfindung der Theorie, in ihr manifestiert sich vielmehr eine soGrundlegend Höffe, Rechtsprinzipien, S. 72 ff. Zur Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Begründungsansätzen unten III.3.a). 15 Im Ergebnis wie hier Köhler, Begriff, S. 5 ff. 13 14
2. Alltagssprachlicher Gehalt des Begriffs der Kriminalstrafe
15
ziale Praxis.16 Auch der juristische Laie weiß mit dem Wort „Strafe“ im wesentlichen korrekt umzugehen. So waren sich alle Beteiligten an der Hinrichtung des Kohlhaas darüber im klaren, daß sich vor ihren Augen ein Akt der Bestrafung und nicht etwa ein medizinisches Experiment zutrug. In derartigen alltagssprachlichen Gewißheiten kommt ein (häufig noch diffuses) vorwissenschaftliches Verständnis des Phänomens der Kriminalstrafe zum Ausdruck. Der Straftheoretiker kann, ja muß es zwar im Lichte der von ihm für zutreffend erachteten Legitimationstheorie präzisieren und überformen. Ignoriert er aber wesentliche Züge dieses Verständnisses, so macht dies die von ihm vorgeschlagene Deutung der Strafe phänomenologisch unangemessen.17 Statt die Frage nach der Legitimität der tatsächlich praktizierten Institution „Strafe“ zu beantworten, liefe eine solche Deutung darauf hinaus, für die Zukunft eine neue Verwendung des Wortes „Strafe“ vorzuschlagen. Nach weithin geteilter Auffassung sind es im wesentlichen vier Merkmale, die das vorwissenschaftliche Verständnis der Kriminalstrafe kennzeichnen.18 „Strafe“ ist danach (a) ein freiheitsbeschränkender Zwangsakt (in herkömmlicher Terminologie: ein Übel)19, (b) der einer Person in einem formalisierten staatlichen Verfahren20 16 Neumann, Zukunft, S. 123; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 3; vgl. auch Naucke, Wechselwirkung, S. 196. 17 In diesem Sinn kann man mit Lampe, Strafphilosophie, S. 1 sagen, der Jurist sei an den Alltagsgebrauch des Wortes „Strafe“ gebunden. 18 Die nachfolgende Begriffsbestimmung lehnt sich eng an die Definition Leschs an (JA 1994, S. 512). Mit dieser stimmen die Definitionsvorschläge von Hart (Recht, S. 61 f.; ebenso Koller, ZStW 91 [1979], S. 45 f.; Weber, Genugtuungsinteresse, S. 25 f.; Wolf, Verhütung, S. 18), Hauschild, Generalprävention, S. 26 und Kindhäuser, GA 1989, S. 493 weitgehend überein. 19 P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985), S. 833; Bockelmann, Strafe, S. 28; Britz, FS Müller-Dietz, S. 95 ff.; Hoerster, FG Weinberger, S. 225; Jescheck in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 I 2 b (S. 65); Jung, Strafe, S. 15 f.; Kargl, GA 1998, S. 60 f.; Köhler, Begriff, S. 15; Morselli, ARSP 87 (2001), S. 226; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 46; Naucke, Strafrecht, § 1 Rdn. 122; Nowakowski, FS Rittler, S. 77; Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), S. 115; Schmidhäuser, StB 2 / 24; ders., Strafe, S. 34 f.
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I. Einleitung
(c) als Reaktion auf die Verletzung einer rechtlichen Regel zugefügt wird21, (d) soweit der Regelverstoß dieser Person mißbilligend zuzurechnen ist.22 Der kritische Leser mag angesichts des dritten dieser Merkmale, des reaktiven Charakters der Strafe, ins Stocken geraten: Wird damit nicht eine definitorische Vorentscheidung zugunsten einer retributiven Straflegitimation getroffen?23 Dies ist nicht der Fall. Zwar begrenzt eine jede Umschreibung des Untersuchungsgegenstandes den Spielraum der in Betracht kommenden Legitimationstheorien.24 Deshalb kann der Vertreter eines präventiven Strafverständnisses etwaige Bedenken gegen die Vereinbarkeit seiner Auffassung mit dem Tat- und dem Schuldprinzip nicht einfach dadurch beiseite wischen, daß er auf die vorwissenschaftliche Definition der Kriminalstrafe verweist, welche die von dem Kritiker befürchteten Grenzüberschreitungen von vornherein ausschließe.25 Das vorwissenschaftliche Verständnis von 20 Androulakis, ZStW 108 (1996), S. 303; Kargl, GA 1998, S. 59; Schmitz, Kriminalstrafe, S. 25 f. 21 Androulakis, ZStW 108 (1996), S. 303 ff.; Bockelmann, Strafe, S. 28; Calliess, FS Müller-Dietz, S. 111; Gössel, FS Pfeiffer, S. 22; Höffe, Rechtsprinzipien, S. 222 f.; ders., Proto-Strafrecht, S. 313; ders., Strafund Begnadigungsrecht, S. 217 f.; Hörnle, Strafzumessung, S. 108; Horn, in: SK, § 46 Rdn. 24; Armin Kaufmann, Strafrechtsdogmatik, S. 265; Kargl, GA 1998, S. 62 f.; Köhler, Begriff, S. 15 f.; Lampe, Strafphilosophie, S. 1, 23; Lenckner, Strafe, S. 23; Lüderssen, Abschaffen, S. 165; Moos, FS Pallin, S. 292; Neumann, Zukunft, S. 124; Neumann / Schroth, Theorien, S. 6; Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), S. 115; Schild, FS Lenckner, S. 297 ff.; Schmidhäuser, Strafe, S. 34 ff.; ders., FS E.A. Wolff, S. 450; Schmitz, Kriminalstrafe, S. 25 f., 36. 22 Androulakis, ZStW 108 (1996), S. 303 ff.; Bock, JuS 1994, S. 89; Bokkelmann, Strafe, S. 28; Günther, FS Lüderssen, S. 215 ff.; Hörnle, Strafzumessung, S. 112 ff.; Jung, Strafe, S. 16 ff.; Kargl, GA 1998, S. 60; Lenckner, Strafe, S. 23; Noll, Strafe, S. 18 f.; Roxin, FS Müller-Dietz, S. 703; Schmidhäuser, Strafe, S. 37; Schünemann, Stellenwert, S. 115. 23 Gegen derartige „Definitionssperren“ Hart, Recht, S. 62 f.; Weber, Genugtuungsinteresse, S. 23 ff.; Wolf, Verhütung, S. 19 ff. 24 Dazu in straftheoretischer Perspektive Höffe, Proto-Strafrecht, S. 313; Neumann, Zukunft, S. 124; Wolf, Verhütung, S. 22 ff. 25 Die von Otto getroffene Unterscheidung zwischen dem Strafgrund und den Strafzwecken illustriert die hier angesprochene Problematik.
2. Alltagssprachlicher Gehalt des Begriffs der Kriminalstrafe
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Strafe ist Maßstab für die Angemessenheit einer Legitimationstheorie, es bildet keinen Schutzwall gegen deren unwillkommene Konsequenzen. Es ist indes keineswegs der Vergeltungstheorie vorbehalten, eine normativ gehaltvolle Begründung für den reaktiv-mißbilligenden Charakter der Strafe zu geben. So insistiert Baurmann im Rahmen seiner interessen- und entscheidungstheoretisch fundierten Präventionstheorie der Strafe darauf, daß ein rationales Individuum einem Strafrecht ohne Tatschuldprinzip nicht zustimmen würde. Ein solches Strafrecht würde den einzelnen nämlich „an seiner empfindlichsten Stelle treffen“: Die Gefahr, von einer Strafe betroffen zu werden, würde für ihn zu einem guten Teil unkalkulierbar, und deshalb würden sich seine Chancen für ein selbstbestimmtes Leben wesentlich verringern.26 Auf der Basis der hier vorgeschlagenen Begriffsbestimmung bleibt es mithin ohne weiteres möglich, den Legitimationsgrund der Strafe in einem präventiven Anliegen zu erblicken; eine „Definitionssperre“ zugunsten der Vergeltungstheorie liegt nicht vor.27 Grund der Strafe ist nach Otto „das sozialgefährliche Verhalten des Täters, das aber nur in den Grenzen seiner Schuld vergolten wird“. Innerhalb dieser Grenzen würden jedoch durch die Art der Ausgestaltung der Strafe verschiedene – zum Teil einander widersprechende – Zwecke verfolgt (Otto, AT, § 1 Rdn. 65). Wie aber, wenn eine Lehre von den Zwecken der Strafe zur Überschreitung der von Otto vorausgesetzten Grenzen tendiert (eine Neigung, die insbesondere der Straftheorie der Spezialprävention zugeschrieben wird)? Weshalb soll eine Strafzwecktheorie, deren eigene Begründungslogik sich mit den jener Grenzziehung zugrundeliegenden Wertungen nicht in Einklang bringen läßt, innerhalb der (ihr aufoktroyierten) Grenzen normative Relevanz beanspruchen können? Ein einheitliches normatives System läßt sich auf diesem Wege jedenfalls nicht formulieren. 26 Baurmann, Strafe, S. 138; näher ders., Dogmatik, S. 246 ff., 255 f. – Die Vereinbarkeit von Tat- und Schuldprinzip mit einer präventionsorientierten Straftheorie stellen auch Kindhäuser, GA 1989, S. 498; Lüderssen, Abschaffen, S. 168; Schünemann, Stellenwert, S. 118 und Wolf, Verhütung, S. 108 f. heraus. 27 Aufschlußreich ist es, die hier zugrundegelegte Definition mit der Begriffsbestimmung Jeschecks zu vergleichen. Während die hiesige Position sich damit begnügt, den reaktiven Charakter der Strafe festzustellen, ist nach Jeschecks Auffassung die Strafe bereits „ihrem Begriff nach“ ein „gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige, schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung“ (Jescheck, in: LK, Einl. Rdn. 23 [Hervorhebung hinzugefügt]; sachlich übereinstimmend Wei2 Pawlik
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I. Einleitung
3. Präventive und retributive Straftheorien Nach dem soeben Erörterten knüpft jenes soziale Phänomen, das wir „Kriminalstrafe“ nennen, an eine vorangegangene, rechtlich mißbilligte Tat des Bestraften an. Der „Realgrund“ der Strafe28 liegt also in der Vergangenheit. Dieser Befund als solcher stellt freilich keine Begründung dafür dar, weshalb es legitim sein soll, auf den Tatbestand „vorwerfbare Unrechtstat“ mit der Rechtsfolge „Strafe“ zu reagieren. Worin also liegt der „Rechtsgrund“29 der Strafe? Die Beantwortung dieser Frage hängt in den Worten Walthers davon ab, „wie wir die Straftat als Geschehen eigentlich denken“.30 In den von Binding beifällig zitierten Worten des Rechtshistorikers Wilda gesprochen: „Nicht das Strafübel ist es . . ., welches das Wesen der öffentlichen Strafe ausmacht, sondern der Gedanke, der bei deren Anwendung die Art ihres Gebrauches bestimmt“.31 Idealtypisch betrachtet, stehen insofern zwei unterschiedliche Deutungsschemata zur Verfügung: Entweder wir fassen die Straftat als Gefahr auf – als ein Verhalten, „das als solches gewissermaßen den Keim der Wiederholbarkeit in sich trägt, sei es durch denselben Täter, sei es aufgrund der Nachahmung durch andere“.32 Oder aber wir interpretieren sie als Verbrechen – als eine „das Recht verletzende Willensäußerung . . ., (die) von der Gemeinschaft nicht hingenommen werden kann und folglich nach symbolischer Mißbilligung verlangt“.33 „Damit sind die beiden großen Antithesen bestimmt, die das Schicksal des Strafrechts in Händen halten“.34 Das „Programm“, nach dem sich die gend, in: Jescheck / Weigend, AT, § 82 IV 2 [S. 877]). Statt der vorgeblichen Verbaldefinition liefert Jescheck hier bereits eine „Minitheorie“ der Strafe (so mit Recht Weber, Genugtuungsinteresse, S. 25). 28 Dieser Begriff wird hier verwendet in Anlehnung an Spendel, FS Rittler, S. 40. 29 Schmitz, Kriminalstrafe, S. 13. – Spendel, FS Rittler, S. 40, 46 spricht insofern von „Zweck-“ oder „Finalgrund“. 30 Walther, ZStW 111 (1999), S. 128. 31 Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S. 487, zitiert nach: Binding, Entstehung, S. 36. 32 Walther, ZStW 111 (1999), S. 130; ebenso dies., Rechtsbruch, S. 197. 33 Walther, ZStW 111 (1999), S. 129; ebenso dies., Rechtsbruch, S. 196.
3. Präventive und retributive Straftheorien
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Wahl des Sanktionsinstrumentariums richtet, heißt im ersten Fall Prävention, im zweiten Retribution.35 Die Präventionstheorien der Strafe halten den Rückgriff auf die Vergangenheit unter Legitimationsgesichtspunkten für unergiebig und verweisen statt dessen auf die Zukunft. Diesen Auffassungen gemäß ist also zu strafen „ne peccetur“. Das Geschehene läßt sich nicht ungeschehen machen, aber mit Hilfe der Strafe läßt sich wenigstens das künftige gesellschaftliche Sicherheitsniveau günstig beeinflussen – sei es durch die spezialpräventive Einwirkung auf den Delinquenten selbst, sei es durch die generalpräventive Abschreckung tatgeneigter anderer, sei es schließlich durch die Festigung des Rechtsbewußtseins der normtreuen Bürger. Unter II. werden die verschiedenen Varianten des präventionstheoretischen Ansatzes behandelt. Es wird sich herausstellen, daß sie zwar bedeutsame Wirkungen der Strafe thematisieren, auf die Frage nach der Legitimität dieses Rechtsinstituts aber keine überzeugende Antwort geben. Sie sind Theorien über die Strafe, keine Theorien der Strafe. Im Unterschied zu den Präventionstheorien erblicken die vergeltungstheoretisch (retributiv) orientierten Konzeptionen nicht nur den Real-, sondern auch den Rechtsgrund der Strafe in der Vergangenheit. Die Grundformel dieser Theoriefamilie – „quia peccatum est“ – ist derjenigen ihrer präventionstheoretischen Konkurrentin allerdings an rhetorischer Prägnanz unterlegen. Während das „ne peccetur“ den Begründungskern der Präventionstheorie plastisch zum Ausdruck bringt, bleibt das „quia peccatum“ insofern blaß. Ebensowenig wie die Tatsache, daß jemand einem anderen eine Wohltat erwiesen hat, aus sich heraus einen Anspruch des Betreffenden begründet, seinerseits in den Genuß einer entsprechenden Begünstigung zu gelangen, stellt der Verweis auf den Umstand, daß er dem anderen ein Leid angetan hat, eine hinreichende Begründung dafür dar, daß ihm seinerseits ein Leid angetan werden darf.36 Erforderlich ist in beiden Fällen ein Zipf, in: Maurach / Zipf, AT 1, § 5 Rdn. 3. Walther, ZStW 111 (1999), S. 129 f.; ebenso dies., Rechtsbruch, S. 197. – Über den Zusammenhang zwischen Kriminalitäts- und Straftheorien informieren Hermann, GA 1992, S. 526 ff. und Scheffler, Prolegomena, S. 375 ff. 34 35
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I. Einleitung
zusätzlicher normativer Satz, der darlegt, weshalb diese beiden Geschehnisse nach dem Muster von Tatbestand und (legitimer) Rechtsfolge miteinander verknüpft werden dürfen. Die klassische, auf Aristoteles zurückgehende Antwort erblickt dieses verknüpfende Element in dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit.37 So wie eine Gegengabe die empfangene Gabe und der Schadensersatz die Beschädigung eines fremden Gutes ausgleicht, so gleicht die Strafe danach den geschehenen Normbruch aus.38 Schmidhäuser hat deshalb vorgeschlagen, den Namen „Vergeltungstheorie“ durch die Bezeichnung „Gerechtigkeitstheorie“ zu ersetzen.39 Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts konkurriert mit dem Ausgleichungs- der Wiederherstellungsgedanke. Die Strafe legitimiert sich demnach durch den Beitrag, den sie zur Wiederherstellung der durch die Straftat gestörten Rechtsordnung leistet. In der gegenwärtigen Diskussion über die retributiven Straftheorien steht diese Begründungsfigur im Vordergrund. Ihre wichtigsten Spielarten werden unter III. erörtert. Auf der Grundlage der dortigen Überlegungen wird schließlich unter IV. die hiesige Konzeption vorgestellt. Sie beruht auf einer Unterscheidung verschiedener Unrechtsformen, die als das „Unrecht der Person“, das „Unrecht des Subjekts“ und das „Unrecht des Bürgers“ bezeichnet werden. Das spezifisch strafrechtliche Unrecht ist zu verstehen als ein Unrecht des Bürgers. Der Täter verletzt danach nicht allein seine Pflicht gegenüber seinem konkreten Opfer, sondern zugleich auch seine Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem gemeinsamen bürgerschaftlichen Projekt eines „Friedens durch Recht“. Nur indem man die Strafe als Antwort auf diese Loyalitätsverweigerung begreift, läßt sie sich angemessen legitimieren. 36 Üblicherweise wird dies dahingehend ausgedrückt, daß der Bezug der Strafe auf die Straftat nicht als deren Zweck bestimmt werden könne (Gössel, FS Pfeiffer, S. 22; Schild, FS Lenckner, S. 299). 37 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1132a-1133b. 38 Vgl. Höffe, Rechtsprinzipien, S. 217; dens., Straf- und Begnadigungsrecht, S. 214 f.; Kargl, GA 1998, S. 62 f. – Zu den theologischen Wurzeln des Vergeltungsdenkens: Berman, Recht, S. 297 ff.; zur ursprünglichen Eigenständigkeit des Talions- gegenüber dem Vergeltungsdenken: Ebert, Talion, S. 259 ff. 39 Schmidhäuser, Studienbuch, 2 / 6; ders., Strafe, S. 44; ders., FS E.A. Wolff, S. 450.
II. Strafe als Präventionsinstrument? 1. Charakter der Präventionslehren Die Präventionslehren der Strafe sind von einer wohltuenden Aura der Kühle umgeben. Ihnen liegt ein Rechtsverständnis zugrunde, in dessen Zentrum die Vorstellung eines selbstbezogenen, vorwiegend an der Verfolgung seiner eigenen Glücksziele interessierten Individuums steht. „Daraus folgt ein vornehmlich instrumentales Weltverhältnis, das sich im Ausgang von der Naturbemächtigung verallgemeinert“1. Die Legitimität des Staates beruht vor diesem gedanklichen Hintergrund zuvörderst auf seiner Fähigkeit, seine Bürger vor Gefährdungen durch ihresgleichen zu schützen;2 Selbstbehauptung „expliziert sich pragmatisch . . . als Prävention“3. Die Strafe rechtfertigt sich dementsprechend dadurch, daß sie zur Erfüllung der genannten Schutzaufgabe beiträgt.4 Sie wird zu einer „Kunst der gezielten Wirkungen“5: „Intervention statt Metaphysik“6. Die Frage nach der genauen Ausgestaltung des Strafensystems reduziert sich demnach zu einer Art von technischem Optimierungsproblem, und das Ausmaß seiner Aufgabenerfüllung ist – jedenfalls im Prinzip – empirisch nachprüfbar.7 Eine insgesamt szientistisch geprägte und zukunftsorientierte Kultur erkennt in den PrävenKöhler, AT, S. 39. Vgl. Hobbes, Leviathan, 21. Kap. (S. 171). Entgegen der These Harzers (Naturzustand, S. 132) geht es in diesem Begründungsmodell also primär um die Erhaltung der einzelnen Individuen, nicht hingegen um die Selbsterhaltung des Staates als solchem. – Näher zum Aufstieg des Präventionsdenkens im Strafrecht Bock, JuS 1994, S. 90. 3 Blumenberg, Säkularisierung, S. 260. 4 Baratta, FS Arthur Kaufmann, S. 408 f. 5 Foucault, Überwachen, S. 119. 6 Hassemer, Strafzumessung, S. 35. 7 Dazu H.-J. Albrecht, Strafzumessung, S. 57 f.; Bock, JuS 1994, S. 98; Bock, in: Göppinger, Kriminologie, S. 173; Hassemer, Strafziele, S. 44 f.; ders., JuS 1987, S. 261. 1 2
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
tionstheorien Geist von ihrem Geist und räumt ihnen deshalb typischerweise einen erheblichen Plausibilitätsvorschuß ein.8 Die klassischen Ausprägungen des Präventionsgedankens stellen die negative Generalprävention und die Spezialprävention dar. Die negative Generalprävention, die auf die Abschreckung potentieller Täter setzt, macht sich die Vorstellung des kühl seinen Vorteil kalkulierenden homo oeconomicus zunutze, für den auch Kriminalität eine ökonomische Aktivität ist. Einem solchen klugen Nutzenmaximierer wird durch ein verläßlich funktionierendes Strafrechtssystem handgreiflich demonstriert, daß Delinquenz alles in allem eine unprofitable Lebensform ist. Unter 2. wird näher auf diese Auffassung eingegangen. Die Spezialprävention, die den Zweck der Strafe darin erblickt, den Täter von künftigen Taten abzuhalten, bedient sich demgegenüber einer quasi medizinischen Terminologie; sie fordert die „Behandlung“ und – äußerstenfalls – die „Unschädlichmachung“ der Straftäter. Diese Position wird unter 3. einer kritischen Analyse unterzogen. Im Mittelpunkt der jüngeren straftheoretischen Diskussion steht ein dritter Sproß aus der Familie der Präventionslehren: die Lehre von der positiven Generalprävention, auch Integrationsprävention genannt. Statt auf Abschreckung und Umerziehung setzt sie darauf, mittels der Strafe die Wertüberzeugungen der normtreuen Bürger zu bestätigen und zu stärken. Nach der repräsentativen Darstellung Roxins lassen sich bei der positiven Generalprävention drei Ziele und Wirkungen unterscheiden: – der sozialpädagogisch motivierte Lerneffekt, der durch die Tätigkeit der Strafjustiz bei der Bevölkerung hervorgerufen werde; – der Vertrauenseffekt, der sich einstelle, wenn der Bürger sehe, daß das Recht sich durchsetze; – und schließlich der Befriedungseffekt, der sich ergebe, wenn das allgemeine Rechtsbewußtsein sich aufgrund der Sanktion 8 Dazu Beck, Unrechtsbegründung, S. 39; Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 58; Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdn. 415; ders., Strafziele, S. 51 f.; ders., JuS 1987, S. 263; Hoffmann, Verhältnis, S. 114 ff.; Naucke, ZStW 94 (1982), S. 533 f.; Neumann / Schroth, Theorien, S. 10; Prittwitz, Strafrecht, S. 234.
2. Die negative Generalprävention
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über den Rechtsbruch beruhige und den Konflikt mit dem Täter als erledigt ansehe.9 Mit dieser Konzeption setzen sich die Ausführungen unter 4. auseinander.
2. Die negative Generalprävention Die Lehre von der negativen Generalprävention mutet den Adressaten der Strafnormen keinen überflüssigen Idealismus zu. Selber von „unsentimentale(r) Nüchternheit“10, betrachtet sie die Gesellschaftsmitglieder als Individuen, die zuallererst an ihrem eigenen Nutzen interessiert sind und diesen in rationaler Weise zu verfolgen wissen.11 Auf der Basis dieses anthropologischen Minimalismus12 läßt sich ein auf den ersten Blick durchaus beachtliches Zweck-Mittel-Argument zugunsten eines auf Abschreckung abzielenden Strafverständnisses entwickeln. Danach liegt eine Absenkung des Kriminalitätsniveaus innerhalb einer Gesellschaft13 im Interesse (praktisch) eines jeden GeRoxin, AT 1, § 3 Rdn. 27; zuletzt ders., FS Müller-Dietz, S. 709. Hoerster, ARSP 58 (1972), S. 562. 11 Vgl. Herzog, Prävention, S. 41 (kritisch); Schünemann, Stellenwert, S. 122 (affirmativ). – Der Ausgangspunkt beim homo calculans macht die Abschreckungslehre vor allem für die Vertreter der ökonomischen Theorie des Rechts attraktiv; grundlegend Becker, Ansatz, S. 40 ff.; aus der deutschsprachigen Literatur ferner Adams / Shavell, GA 1990, S. 340 ff.; Entorf, Theorie, S. 1 ff.; Schmidtchen, Strafrecht, S. 49 ff.; ders., FS Lampe, S. 245 ff., 266 ff.; Vanberg, Verbrechen, S. 7 ff. – Weitere Anhänger dieser Strafkonzeption: Altenhain, Anschlußdelikt, S. 326 ff.; Hoerster, GA 1970, S. 273 ff.; ders., Verteidigung, S. 101 ff.; Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 4, 15 ff.; ders., Studienbuch, 2 / 3, 14 ff.; ders., Sinn, S. 53 ff.; ders., FS E.A. Wolff, S. 455. 12 Die sozialwissenschaftliche Kritik an diesem spezifisch ökonomischen Denkmodell faßt Wittig zusammen (Wittig, Verbrecher, S. 126 ff.; dies., MschrKrim 1993, S. 333 ff.). – Die neuere ökonomische Sozialtheorie hat auf diese Kritik mit der Einbeziehung verhaltenstheoretischer Positionen reagiert, was zu einer weitgehenden Subjektivierung des von ihr zugrunde gelegten Rationalitätskonzepts geführt hat (Überblick bei H.-J. Otto, Generalprävention, S. 101 ff.). Auch das Modell rationalen kriminellen Verhaltens wird in neueren Entwürfen mit soziologisch-kriminologischen Theorien kombiniert (Curti, Abschreckung, S. 56 ff.; Lippert, Verbrechen, S. 293 ff.). 9
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
sellschaftsmitglieds.14 Selbst derjenige, der seinen Lebensunterhalt durch Straftaten bestreitet, will typischerweise deren Früchte in Ruhe und Frieden genießen. Das Mittel der Abschreckung aber trägt nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht unerheblich zur Erreichung des Zieles der Kriminalitätsreduzierung bei. Das Wissen darum, daß Straftaten mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit bestraft werden, wirkt nämlich grosso modo auf tatgeneigte Individuen demotivierend; Straftaten, die ansonsten (d. h. im Falle der Abwesenheit eines funktionsfähigen Strafrechtssystems) begangen worden wären, werden auf diese Weise verhindert. Muß nun, wer den Zweck – die Kriminalitätsreduzierung – will, nicht auch das zu seiner Erreichung taugliche Mittel der (als Abschreckungsmittel konzipierten) Strafe akzeptieren? Diese Schlußfolgerung ist jedoch vorschnell. In bezug auf ein solches Gesellschaftsmitglied, das eine strafrechtlich sanktionierte Norm gebrochen hat, gilt sie nämlich nur mit einer bedeutsamen Einschränkung. Zwar entspricht es nach dem soeben Ausgeführten dem rationalen Interesse auch eines solchen Individuums, daß Strafen angedroht und mit hinreichender Regelmäßigkeit verhängt werden (denn ansonsten würden die Androhungen ja ihren Biß und damit ihre Glaubwürdigkeit einbüßen15). Am günstigsten wäre es für ihn freilich, wenn lediglich die Normbrüche der übrigen Gesellschaftsmitglieder bestraft würden, während er selbst ungeschoren davonkäme. Die Verhängung der Strafe im Einzelfall, also jenen Akt, der tatsächlich weh tut und daher 13 Weil es realistischerweise nur um eine Absenkung, nicht aber um eine Ausrottung der Kriminalität gehen kann, stellt der Umstand, daß trotz der Existenz einer Strafrechtsordnung verbreitet delinquiert wird, keine Widerlegung der Lehre von der negativen Generalprävention dar. Deren Vertreter können nämlich auf die weitaus größere Zahl der trotz Tatanreiz und Tatmöglichkeit nicht begangenen Delikte verweisen (Altenhain, Anschlußdelikt, S. 329 f.; Hoerster, GA 1970, S. 274; ders., Verteidigung, S. 105 f.; Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 16; ders., Studienbuch, 2 / 17; ders., Sinn, S. 58, 76; ders., FS E.A. Wolff, S. 446; Schünemann, Plädoyer, S. 222; Vanberg, Verbrechen, S. 26 f.). 14 Um eine interessentheoretische Fundierung der Präventionslehre bemühen sich Baurmann, Strafe, S. 115 ff.; Hoerster, FG Weinberger, S. 226, 233; Vanberg, Verbrechen, S. 11. Pathologische Randexistenzen wie der überzeugte Anarchist oder der Berufsrevolutionär bleiben insofern ausgeklammert. 15 So zuletzt Altenhain, Anschlußdelikt, S. 327 f.
2. Die negative Generalprävention
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in hervorragendem Maße legitimationsbedürftig ist, können wir dem Betroffenen gegenüber deshalb nicht mehr auf den Gesichtspunkt des klugen Eigeninteresses stützen.16 Dieser Befund konfrontiert die Vertreter der Lehre von der negativen Generalprävention mit einem Dilemma. Wollen sie an der begründungstheoretisch attraktiven, da voraussetzungsarmen Berufung auf den Topos des klugen Eigeninteresses festhalten, so müssen sie sich auf die Interessenlage sämtlicher (deliktsgeneigter) Gesellschaftsmitglieder mit Ausnahme des Verurteilten selbst beschränken. Diesen anderen Gesellschaftsmitgliedern wird mittels der Bestrafung des Täters vor Augen geführt, daß Kriminalität sich nicht lohnt. Es wird also nicht mehr (auch) mit dem Verurteilten gesprochen, sondern nur noch vermittels seiner. Er wird – um eine Wendung Welckers aufzugreifen – verwendet „wie unbrauchbare Stoffe zur Vogelscheuche“17. Dies aber bedeutet, daß der Täter nur mehr „in der rechtlichen Form, nicht aber nach dem Inhalt der Regelung“ als gleichberechtigtes Mitglied der Rechtsgemeinschaft behandelt wird.18 Auf diesem Wege 16 Auf den ersten Blick scheint man diesem Befund dadurch entgehen zu können, daß man den Gesellschaftsangehörigen die Fähigkeit zur Verfolgung komplexerer Zweckreihen zubilligt. Die Gesellschaftsmitglieder seien sich der destruktiven Konsequenzen einer allgemeinen Praxis des „Trittbrettfahrens“ bewußt. Deshalb entspreche es ihrem reflektierten Eigeninteresse, einer Bestrafungskonzeption zuzustimmen, die sicherstelle, daß das „Trittbrettfahren“ zu einer regelmäßig unattraktiven Verhaltensoption werde (in diesem Sinne zuletzt Schmidtchen, FS Lampe, S. 247 im Anschluß an Buchanan). Dieses Erklärungsmodell versagt aber jedenfalls dort, wo einem Gesellschaftsmitglied eine schwere Strafe droht, die seinen durch die Entmutigung einzelner „Trittbrettfahrer“ bewirkten Sicherheitsgewinn übersteigt. Ferner ist die Annahme einer allgemeinen Praxis des „Trittbrettfahrens“ von vornherein unrealistisch. Die meisten Straftaten werden nicht aus klugem Eigeninteresse unterlassen, sondern deshalb, weil das betreffende Individuum in einer Weise sozialisiert ist, die ihm ein legales Verhalten als selbstverständlich erscheinen läßt. Aus diesem Grund schneidet sich ein zum „Trittbrettfahren“ entschlossener Täter keineswegs notwendig in das eigene Fleisch. Angesichts dieser Sachlage aber hat er unter Klugheitsgesichtspunkten keinen hinreichenden Anlaß, seiner eigenen Bestrafung zuzustimmen. 17 Welcker, Gründe, S. 214. – Diese Konsequenz ergibt sich im übrigen auch daraus, daß die Strafe zur Setzung eines effektiven Gegenmotivs für den Täter selbst zu spät kommt: Er hat sich nicht abschrecken lassen. Unter Präventionsgesichtspunkten kann der Strafe deshalb allenfalls noch zur Abschreckung anderer nutzbar gemacht werden.
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
läßt sich keine Rechtsstrafe legitimieren, sondern lediglich ein Akt der Exklusion. Um diese Konsequenz zu vermeiden, muß auf der Ebene der Strafbegründung die klugheitsbasierte Begründungsstrategie verlassen und eine normativ gehaltvollere Argumentationslinie eingeschlagen werden: Wer die Vorteile einer Institution genießen wolle, ohne seinen Anteil an den zu ihrem Fortbestand notwendigen Lasten zu tragen, sei ein Trittbrettfahrer und verstoße gegen Fairneßanforderungen.19 Diese Begründung läuft indes auf eine Preisgabe des straftheoretischen Ausgangspunktes der negativen Generalprävention hinaus. Bestraft wird jetzt nicht mehr, um (für die Zukunft) abzuschrecken, sondern um einen (in der Vergangenheit liegenden) Fairneßverstoß zu sanktionieren. Mit einem Wort: Es geht nicht mehr um Prävention, sondern um Retribution. Bereits Feuerbach, häufig als Vater der negativen Generalprävention apostrophiert, hat sich in dieses Dilemma verstrickt. Einige seiner Äußerungen erwecken den Eindruck, daß er auch die Zufügung der Strafe strikt präventionstheoretisch deutet: Der Zweck der Strafzufügung sei „die Begründung der Wirksamkeit der gesetzlichen Drohung, inwiefern ohne sie diese Drohung leer (unwirksam) sein würde“. Der Endzweck der Strafzufügung ist demnach letztlich der gleiche wie jener der Strafandrohung, nämlich „Abschreckung der Bürger durch das Gesetz“20. Andernorts aber distanziert Feuerbach sich nachdrücklich von den Implikationen dieser Auffassung.21 „Wie kann es ein Recht geben, einem Menschen blos darum ein Uebel zuzufügen, weil dieser ihm zugefügte Schmerz dem Staate nützlich ist? Dies heißt einen Menschen als eine Sache behandeln und – auch der Verbre18 Wolff, ZStW 97 (1985), S. 798. – Grundlegend für die neuere Diskussion Badura, JZ 1964, S. 343 f. 19 Daß eine interessenbasierte Ethik die Normbefolgungspflicht ihrer Adressaten nicht ohne Rückgriff auf den Gesichtspunkt der Fairneß begründen kann, hat Hoerster, einer der Hauptvertreter dieser Denkrichtung, jüngst ausdrücklich konzediert (Hoerster, Ethik, S. 201 ff.). 20 Feuerbach, Lehrbuch, § 16 (S. 39). 21 Zum folgenden ausführlich Lesch, Verbrechensbegriff, S. 41 ff.; ders., JA 1994, S. 516 f. – Zu pauschal ist die Behauptung Becks (Unrechtsbegründung, S. 32 f.), wonach Feuerbach sich des mit seiner Theorie des psychologischen Zwangs verbundenen Legitimationsproblems nicht bewußt gewesen ist.
2. Die negative Generalprävention
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cher ist Mensch“22. Im Hinblick auf die Strafverhängung wechselt Feuerbach hier zu einer vergeltungstheoretischen Begründung über: Strafgrund sei das Verbrechen als solches. Die Strafe werde „um begangener gesetzwidriger Handlungen, und zwar bloß um dieser willen einem Subjecte zugefügt“23. „Ein Mensch wird bestraft, wenn und wie ferne er ein ihm zugefügtes Uebel durch eine vollendete Tat verdient hat“24. Das „richtige Ebenmass der Verbrechen und Strafen“ sei eine „Hauptforderung der Strafgerechtigkeit, nämlich dass die Schwere der gesetzlich angedrohten Strafe mit der Grösse des Verschuldens im Verhältnis stehe, und weder strenger, noch gelinder sei als es die That verdient“25. Die abschreckende Wirkung der Bestrafung ist vor dem Hintergrund dieser Konzeption nur noch ein – kriminalpolitisch freilich willkommener – Nebeneffekt; ihre legitimationstheoretisch tragende Rolle hat sie eingebüßt. Feuerbach selbst hat den Konflikt zwischen der Binnenlogik der Abschreckungsprävention und deren freiheitstheoretischer Anfechtbarkeit nicht eindeutig aufgelöst.26 Will man indessen den Preis der Exklusion des Verurteilten nicht zahlen, so bleibt nur die Möglichkeit, die Lehre von der negativen Generalprävention statt als vollgültige Straftheorie als bloße StrafandrohungsFeuerbach, Revision, Teil 1, S. 48. Feuerbach, Revision, Teil 1, S. 5. 24 Feuerbach, Sicherung, S. 12. 25 Feuerbach, Vortrag vor dem bayerischen Kgl. Geheimen Rat, zitiert nach Nagler, Strafe, S. 393. 26 Eindringlich Nagler, Strafe, S. 385 ff. Aus der neueren Literatur: Jakobs, AT, 1 / 28; Gössel, Bedeutung, S. 268 f.; Kaenel, Konzeption, S. 55 f.; Müller, Begriff, S. 80. – Auch neueren Vertretern der Abschreckungstheorie ist die Versöhnung beider Anliegen nicht überzeugend gelungen. Exemplarisch sind insofern die Darlegungen Hoersters. Daß der Staat überhaupt zur Sanktion des Strafübels greift, ist nach Hoerster nur aus Gründen des präventiven Rechtsgüterschutzes zulässig. Die näheren Modalitäten staatlicher Strafpraxis unterlägen allerdings zusätzlichen Prinzipien, insbesondere der Forderung „Strafe setzt Schuld voraus“ und dem Gleichheitssatz (Hoerster, GA 1970, S. 278 f.; ders., ARSP 58 [1972], S. 561; ders., Verteidigung, S. 107 ff.). Zu Recht wird dagegen eingewendet, daß die Bestimmung der Strafbarkeitsgrenzen durch präventionsfremde Gesichtspunkte entweder gegenüber der generalpräventiven Pragmatik folgenlos bleibe oder zum Verlust der Theorieidentität führe (Beck, Unrechtsbegründung, S. 48; H.-J. Otto, Generalprävention, S. 260). 22 23
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
theorie einzuordnen.27 Vermag sie wenigstens diese Rolle adäquat auszufüllen? Auch daran bestehen Zweifel. Die Spaltung der axiologischen Grundlagen von Strafandrohung einerseits und Strafverhängung andererseits liefe nämlich darauf hinaus, daß ein anderer Maßstab für die Strafbemessung angekündigt als hernach angewendet würde. Der Logik des Abschreckungsdenkens entspricht die Orientierung an den Vorteilen, die ein möglicher Täter aus der Tat ziehen würde.28 Der Logik des retributiven Denkens entspricht hingegen eine Orientierung an dem Ausmaß des vom Täter verschuldeten Unrechts. Diese beiden Bewertungssysteme können zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Nach einem von Jakobs stammenden Beispiel mag ein Täter, der einen Mord um einiger hundert Euro Beute willen plant, bereits durch eine einigermaßen sicher erfolgende Geldstrafe von einigen tausend Euro hinreichend nachhaltig abgeschreckt werden; zur Verhinderung einer üblen Nachrede, die der Täter zur Erhaltung einer persönlichen Beziehung oder zur Förderung seiner Karriere zu begehen gedenkt, mag dagegen erst die Aussicht auf jahrelange Freiheitsstrafe ein hinreichendes Übel sein.29 Dem Unrechtsgehalt beider Taten würden derartige Strafen in keiner Weise gerecht. Die Beispiele zeigen: Hat man erst einmal anerkannt, daß die Lehre von der negativen Generalprävention sich als StrafVgl. Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 23. Darauf hat zuletzt Schünemann, Akzeptanz, S. 193 hingewiesen. 29 Jakobs, AT, 1 / 29 f.; ders., Straftheorie, S. 31. Ebenso Hauschild, Generalprävention, S. 39; Joecks, in: MünchKomm, Einl. Rdn. 67; Lesch, JA 1994, S. 517; ähnlich Lampe, Strafphilosophie, S. 9; Schünemann, Plädoyer, S. 222 f. – Altenhain, Anschlußdelikt, S. 330 f. wirft diesem Einwand vor, er unterstelle der Abschreckungsgeneralprävention, daß sie um jeden Preis jedem potentiellen Täter das eine Motiv liefern wolle, das alle in seinen Augen für die Tat sprechenden Argumente überwiege. Dies wäre nach Altenhain „ein sinnloses Unterfangen, weil es niemals möglich sein wird, alle Motive, die Menschen dazu bewegen können, Straftaten zu begehen, von vornherein ausfindig zu machen, zu gewichten und bei der Strafbestimmung in Rechnung zu stellen“. Damit verzeichnet Altenhain aber die eigentliche Zielrichtung der genannten Kritik. Sie bezieht sich nicht auf mehr oder weniger exotische Einzelfälle, sondern auf das sich aus der Begründungslogik der negativen Generalprävention ergebende Maßprinzip als solches. Wenn Altenhain (S. 331) selbst ausführt, dem Täter werde angedroht, „daß ihm der Vorteil genommen wird, den er sich durch den Verhaltensnormverstoß verschafft“, so bestätigt er selbst die Richtigkeit der von seinen Kritikern vorgenommenen Rekonstruktion. 27 28
3. Die Spezialprävention
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theorie nicht eignet, so kann man an ihr auch nicht als Strafandrohungstheorie festhalten; denn weil die „gesetzliche Logik der Strafe . . . zweckgebunden (ist) mit ihrer Verhängung“30, müssen die Bewertungsmaßstäbe in beiden Konstellationen identisch sein.31 Zur Legitimation der Strafe vermag der Abschrekkungsgedanke somit nichts beizutragen.
3. Die Spezialprävention In der „Reformeuphorie“ der 60er- und frühen 70er-Jahre gewann eine Haltung die Oberhand, die mit Foucault als „Scham vor dem Bestrafen“ umschrieben werden kann.32 Deshalb wurde der Gedanke der Spezialprävention häufig auf den Gesichtspunkt der Resozialisierung verkürzt.33 Die Spezialprävention gewann ihr unter 1. erwähntes quasi-medizinisches Aussehen,34 es Morselli, ARSP 87 (2001), S. 228. Für eine solche Identität auch Bielefeldt, GA 1990, S. 116; Gössel, Bedeutung, S. 247; ders., FS Pfeiffer, S. 21; Hoerster, GA 1970, S. 276; Köhler, AT, S. 38; ders., Zusammenhang, S. 28; ders., Begriff, S. 6, 13, 53, 72 ff.; Morselli, ARSP 87 (2001), S. 227 f.; Spendel, FS Rittler, S. 50; Streng, Kommentar, S. 129. – Cum grano salis gilt der obige Einwand auch gegen den Vorschlag H.L.A. Harts, die Institution der Strafe unter Rückgriff auf den Abschreckungsgedanken, konkrete Strafakte hingegen anhand einer retributiven Maßstabs zu rechtfertigen (Hart, Recht, S. 66; zustimmend Burkhardt, GA 1976, S. 341; Koller, ZStW 91 [1979], S. 46 f.; Kuhlen, Anmerkungen, S. 59; Vanberg, Verbrechen, S. 8 f.; i.E. [ungeachtet seiner Betonung des in dieser Konzeption liegenden systematischen Bruchs] auch Weigend, Sanktionen, S. 200 f.). Ein konkreter Bestrafungsvorgang muß geduldet werden, weil und insofern die Strafe als solche eine legitime Institution ist. Die Legitimation einzelner Anwendungsakte einer Institution ist insofern eine gleichsam geborgte; sie ist abgeleitet von der Rechtfertigung, welche die Institution als ganze trägt. Wenn Abschreckungsstrafen sich im Einzelfall – also dort, wo die Institution ihre realen Wirkungen zeitigt – nicht rechtfertigen lassen, dann beweist dieser Umstand, daß auch die Institution als ganze anders verstanden werden muß. 32 Vgl. Foucault, Überwachen, S. 17. Näher Hassemer, Strafrecht, S. 91 ff. 33 Dazu P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985), S. 845. 34 Hassemer, Strafrecht, S. 94. – Über Vorläufer dieses Vorstellungskomplexes im kriminalpolitischen Denken des 18. und 19. Jahrhunderts unterrichtet Stratenwerth, FS Bockelmann, S. 908 f. 30 31
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
schien allein oder doch vordringlich darum zu gehen, dem einzelnen Delinquenten zu helfen, ihn von seinen sozialen Defekten zu heilen. Diese einseitige Lesart des Gedankens der Spezialprävention ist in straftheoretischer Perspektive jedoch schon deshalb unhaltbar, weil sich auf diesem Wege nicht erklären läßt, weshalb die erwünschte Heilung per Zwang soll durchgesetzt werden können.35 Ob der einzelne seine Krankheit behandeln läßt, unterliegt grundsätzlich seiner freien Entscheidung. Eine Zwangsbehandlung läßt sich deshalb nur unter Berufung auf ein öffentliches Interesse anordnen. Dieses öffentliche Interesse liegt bei der Spezialprävention ebenso wie zuvor bei der negativen Generalprävention in der Verbesserung des gesellschaftlichen Sicherheitsniveaus, negativ gewendet: in der Verringerung der künftig zu erwartenden Kriminalitätsbelastung. Dieses identisch gebliebene Ziel soll aber diesmal nicht durch die Beeinflussung Dritter, sondern durch die Einwirkung auf den Delinquenten selbst erfolgen. In Liszts „Marburger Programm“ standen deshalb neben der Resozialisierung („Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher“) gleichrangig zwei weitere Strategien der Kriminalitätsbekämpfung: die „Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher“ und vor allem die „Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher“36. Es war nicht „schwächliche Humanitätsduselei“, die bei Liszt dem Besserungsfähigen die Chance zur gesellschaftlichen Reintegration gewährte, sondern die Erwartung, durch „eine kühle Anpassung der Verbrechensbekämpfungsmittel an die kriminelle Eigenart des Täters“ dem gesellschaftlichen Frieden am effektivsten zu dienen.37 Im Vordergrund seines Denkens stand demzufolge weniger die Kritik an zweckloser Übelzufügung als vielmehr die Kritik an einer nicht zweckgerechten und daher ineffizienten Verbrechensbekämpfung.38 Dort, wo Liszt einen Frie35 Hassemer, Strafrecht, S. 95; Schmitz, Legitimität, S. 97; Stratenwerth, FS Bockelmann, S. 912 f.; vgl. auch P.-A. Albrecht, ZStW 97 (1985), S. 857. 36 Liszt, ZStW 3 (1883), S. 36. 37 Eb. Schmidt, ZStW 67 (1955), S. 181. – Klarstellend auch Frisch, ZStW 94 (1982), S. 576 und jüngst Kubink, Strafen, S. 101. 38 Vormbaum, ZStW 107 (1995), S. 736.
3. Die Spezialprävention
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densschluß zwischen der Gesellschaft und dem Verbrecher für nicht mehr erreichbar hielt, also im Falle der sogenannten „Unverbesserlichen“, legte er konsequenterweise eine große Härte an den Tag: „Gegen die Unverbesserlichen muß die Gesellschaft sich schützen; und da wir köpfen und hängen nicht wollen und deportieren nicht können, so bleibt nur die Einsperrung auf Lebenszeit (bezw. auf unbestimmte Zeit)“39. Diese „häßliche Seite der Spezialprävention“40 erinnert daran, daß die Resozialisierung innerhalb der Lehre von der Spezialprävention keinen Selbstzweck, sondern lediglich den Reflex einer gesellschaftspolitisch nützlichen Strategie darstellt. Dies wirkt einem unangebrachten rhetorischen Überschwang entgegen. Über die Tauglichkeit des Spezialpräventionsgedankens als Grundlage einer Straftheorie ist damit noch nicht entschieden. Conditio sine qua non ist insofern, daß die Art und Weise des Umgangs mit abweichendem Verhalten, die sich dem spezialpräventiven Denken empfiehlt, noch die charakteristischen Züge der Strafe aufweisen muß. Sollte dies nicht der Fall sein, so besäße die Lehre von der Spezialprävention keinen Anspruch auf den Titel einer Straftheorie.41 Sie würde dann nämlich nicht die Legitimität der tatsächlich praktizierten Institution „Strafe“ begründen, sondern einen „Wortschmuggel“42 betreiben, d. h. unter dem Anschein terminologischer Kontinuität einer Ersetzung der Strafe durch ein andersartiges Rechtsinstitut („soziales Interventionsrecht“43) das Wort reden. Zu den konstitutiven Merkmalen der Strafe gehört nach den Ausführungen unter I.2. deren reaktiv-mißbilligender Charakter: Die Strafe reagiert auf eine unrechtliche Handlung, deren Begehung sie dem Bestraften tadelnd vorhält. Sie ist also, um diesen Sachverhalt in strafrechtsdogmatisch vertrautere Termini zu kleiden, an das Tat- sowie das Schuldprinzip gebunden. Ein Liszt, ZStW 3 (1883), S. 38. So Walter, FS Oehler, S. 695. 41 Eben dies ist die Auffassung Merkels, der der Spezialpräventionslehre eine „mißbräuchliche Anwendung“ des Wortes Strafe vorwirft (Merkel, Lehre, S. 214). 42 Nagler, Strafe, S. 6. 43 Vgl. etwa Lüderssen, Abschaffen, S. 172. 39 40
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
Rechtsinstitut zum Umgang mit abweichendem Verhalten, dessen Zulässigkeit nicht von der strikten Beachtung dieser beiden Grundsätze abhinge, ließe sich nicht mehr als Strafe in dem uns geläufigen Sinne bezeichnen. Nun ist bereits häufig darauf hingewiesen worden, daß eine Spezialprävention à la Liszt, konsequent durchgeführt, zur Preisgabe sowohl des Schuld- als auch des Tatprinzips tendiert. Die künftige Gefährlichkeit des Delinquenten ist unabhängig von dem Gewicht der sozialen Störung, die sich in der vergangenen Tat manifestierte,44 insbesondere auch davon, ob diese Tat schuldhaft begangen worden ist oder nicht.45 Um Kriminalität besonders nachhaltig zu verhüten, empfiehlt es sich zudem, erst gar nicht auf das Geschehen einer Straftat zu warten, sondern gefährliche Individuen bereits im Vorfeld den geeigneten Maßnahmen zu unterziehen.46 Kurzum: Die Technik der Besserungsstrafe hat es nicht mit dem Urheber einer Tat zu tun, „sondern mit dem Verbrecher, der mit seinem Verbrechen verwandt ist“47; für den verbrecherischen Zustand des Delinquenten kommt das einzelne Verbrechen daher „nur als ein Symptom in Betracht“48. Liszt hat diese Gefahren durchaus gesehen, tat sich mit der Zurückweisung der betreffenden Einwände aber sichtlich schwer.49 Ausdrücklich konzediert er, „daß es vielleicht in der Konsequenz unserer Anschauung wäre, nur auf die Gesinnung Rücksicht zu nehmen, und nicht erst die Tat abzuwarten; wie ja auch der Hausarzt nicht wartet, bis ein Leiden zum Ausbruche kommt, sondern demselben vorzubeugen trachtet“50. Daß diese Folge44 Jakobs, AT, 1 / 43 ff. Ebenso Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 72; Lesch, JA 1994, S. 593; Zipf, in: Maurach / Zipf, AT 1, § 5 Rdn. 5. 45 Armin Kaufmann, Strafrechtsdogmatik, S. 271; Lesch, JA 1994, S. 594. 46 Gössel, FS Pfeiffer, S. 6; Jescheck, in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 IV 5 (S. 75); Kargl, GA 1998, S. 66; Koller, ZStW 91 (1979), S. 54 f.; Küpper, Straftheorie, S. 213; Lesch, JA 1994, S. 594; Maiwald, Entwicklungen, S. 294; Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 16; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 3 Rdn. 46; Zipf, in: Maurach / Zipf, AT 1, § 5 Rdn. 5. 47 Foucault, Überwachen, S. 325. 48 Merkel, Abhandlungen, S. 689. 49 So auch die Einschätzung von Frisch, ZStW 94 (1982), S. 584. Müller, Begriff, S. 347 wirft Liszt sogar „Inkonsequenz“ vor. 50 Liszt, Aufsätze, Bd. II, S. 16.
3. Die Spezialprävention
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rung, obschon sie keineswegs absurd sei51, dennoch nicht gezogen werden solle, begründet Liszt mit dem Interesse des einzelnen Bürgers an der Wahrung seiner Freiheit; dieses Interesse verlange nach einer eindeutigen Begrenzung der staatlichen Strafgewalt.52 Liszt selbst konkretisiert diesen Hinweis nicht näher. Im Ergebnis trifft es aber zu, daß ein strikt spezialpräventiv konzipiertes Strafrecht die Handlungsfreiheit des einzelnen Bürgers in einer kaum mehr kalkulierbaren Weise bedrohen würde.53 So müßte beispielsweise die Entscheidung darüber, ob jemand so gefährlich sei, daß er einer vorbeugenden Behandlung bedürfe, entweder auf einer stark lückenhaften Tatsachengrundlage ergehen (und wäre entsprechend schlecht prognostizierbar und fehleranfällig54), oder aber sie würde eine äußerst intensive Überwachung der Bürger erfordern (und deren Freiheit aus diesem Grunde unterminieren). Für Individuen, die neben dem Bedürfnis nach Sicherung durch das Recht auch das Bedürfnis nach Sicherheit vor dem Recht haben, ist deshalb ein spezialpräventiv ausgerichtetes Strafrecht von vornherein allenfalls dann akzeptabel, wenn dieses Strafrecht als auslösendes Moment der staatlichen Reaktion eine schuldhafte Tat verlangt. Dies läuft freilich auf einen unterschiedlichen Aufbau des Strafvoraussetzungsund des Strafbemessungsrechts hinaus: dort Tatprinzip, hier Täterorientierung.55 Vor allem aber ist ungeachtet einer solchen ErVgl. Liszt, Aufsätze, Bd. II, S. 59. Liszt, Aufsätze, Bd. II, S. 60, 80 f. 53 Ebenso Frisch, ZStW 94 (1982), S. 585 f. 54 Darauf stellt Walter, FS Oehler, S. 699 hauptsächlich ab. 55 Bekanntlich verfuhr Liszt in eben dieser Weise. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit wollte er nach liberal-rechtsstaatlichen Grundsätzen bestimmen, ganz so, wie es die klassische Schule vertrat. Die Sanktion sollte hernach aber allein nach den sozialen Bedürfnissen bemessen werden (exemplarisch Liszt, Aufsätze, Bd. II, S. 71). Nach der Binnenlogik von Liszts System bleiben die rechtsstaatlichen Einhegungen des Strafrechts jedoch stets in der Defensive. Sie sind, wie Neumann, Strafrechtsverständnis, S. 64 hervorhebt, „dem therapeutischen Strafrecht äußerlich und aus seiner Sicht bedauerliche Hindernisse auf dem Weg zur größtmöglichen Effizienz“. Deshalb stehen sie unter dem beständigen „Druck der nach rechtlichen Freiräumen verlangenden Kriminalpolitik“ (Neumann, Strafrechtsverständnis, S. 64; ebenso Kaenel, Konzeption, S. 73 f.; Kubink, Strafen, S. 295; Naucke, ZStW 94 [1982], S. 541, 544 ff.; Roxin, ZStW 81 [1969], S. 640 f.; Vormbaum, ZStW 107 [1995], S. 736). 51 52
3 Pawlik
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
gänzung des spezialpräventiven Ausgangspunktes nach wie vor offen, ob der Gedanke der Spezialprävention überhaupt dazu in der Lage ist, die Grundfrage der Straftheorie: „Weshalb Strafe?“ überzeugend zu beantworten. Die Probleme, die hier auftreten, sind weitgehend parallel zu jenen, die sich der Anerkennung der negativen Generalprävention als einer tauglichen Straftheorie in den Weg gestellt haben. Im dortigen Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß das für jeden einzelnen Normbrecher günstigste Ergebnis darin besteht, daß zwar seine „Kollegen“ mit den gehörigen Strafen belegt werden, er selbst aber unbehelligt davonkommt. Nichts anderes gilt im Kontext der Spezialprävention: Dem Interesse des einzelnen, in einer Gesellschaft mit einem insgesamt niedrigen Kriminalitätsniveau zu leben, ist so lange gedient, wie die übrigen Normbrecher im Fall von Zuwiderhandlungen der jeweils zweckmäßigen Behandlung unterzogen werden. Ein Interesse an der präventiven Einwirkung auf den Täter selbst hegen mithin nur die jeweils anderen Individuen, und zwar in dem Maße, wie der Täter eine Gefahr für das künftige gesellschaftliche Zusammenleben darstellt. Die Bestrafung des Täters interessentheoretisch zu begründen läuft aus diesem Grunde darauf hinaus, dem Täter die kommunikative Gleichheit mit seinen Rechtsgenossen abzusprechen: Sie werden mit ihren Interessen gehört, er mit den seinigen hingegen nicht. Die Bestrafung des Täters läßt sich nach den Überlegungen zur negativen Generalprävention nur dadurch mit der Anerkennung seiner kommunikativen Gleichheit vereinbaren, daß man ihn nicht als klugen Interessenmaximierer, sondern als Mitglied einer moralischen Gemeinschaft anspricht – etwa indem man ihm vorhält, daß sein Trittbrettfahrer-Verhalten zwar klug, aber unfair gewesen sei. Damit bekennt man sich aber zu einer retributiv ansetzenden Strafbegründung. Einer solchen Konzeption – wie immer sie auch im einzelnen ausgestaltet sein mag – schlagen die Maßstäbe einer spezialpräventiven Strafzumessung buchstäblich ins Gesicht: Im Blick auf einen Täter, der ein schweres Delikt begangen hat, von dem aber keine Wiederholungsgefahr droht, bestünde kein spezialpräventives Behandlungsinteresse, ein „unverbesserlicher“ Kleinkrimineller müßte hingegen mit dauerhaf-
4. Die positive Generalprävention
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ter Unschädlichmachung rechnen.56 Als Legitimationstheorie für die Strafe eignet die Spezialprävention sich aus diesem Grunde ebensowenig wie die negative Generalprävention.
4. Die positive Generalprävention Die negative Generalprävention setzt darauf, die Gesellschaftsmitglieder in ihrer Eigenschaft als rationale Vertreter ihrer je individuellen Interessen von der Vorzugswürdigkeit einer Selbstdisziplinierung überzeugen zu können: Weil einem jeden bekannt ist, wie verlockend ein Normbruch für einen klugen Egoisten sein kann, weil er aber zugleich weiß, daß ein Zustand sozialen Friedens seinen Interessen auf die Dauer besser dient, wird er rationalerweise der Einrichtung eines Sanktionsmechanismus zustimmen, der die im Falle eines Normbruchs zu erwartenden Gewinne durch überschießende Nachteile kompensiert. Dieser Sanktionsmechanismus setzt nicht voraus, daß die Gesellschaftsmitglieder in ihrer Rolle als Normunterworfene die Institute des Rechts in deren intrinsischem Sollenscharakter anerkennen.57 Es genügt, daß sie dem Blick auf die Normen und deren Anwendung die Information entnehmen, ein Rechtsbruch werde sich voraussichtlich nicht lohnen. Eine solche, rein instrumentelle Beziehung der Bürger zu ihrer Rechtsordnung ist indessen höchst instabil, denn sie bleibt dem Schema von Reiz und Reaktion „im ständigen Wechselspiel momentaner Empfindungen und äußerer Konstellationen“ verhaftet.58 Die Erfüllung einer jeden Rechtspflicht steht hier unter dem Vorbehalt ihrer individuellen Nützlichkeit für den Pflichtigen.59 Vorzugswürdig ist es, wenn die Bürger statt aufgrund von jeweils punktuellen Entscheidungen aufgrund von habituell ge56 Vgl. nur Bockelmann, FS R. Lange, S. 3; Jakobs, AT, 1 / 45; Jescheck, in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 IV 5 (S. 75); Köhler, AT, S. 41; Lenckner, Strafe, S. 16; Lesch, JA 1994, S. 593 f.; Maiwald, Entwicklungen, S. 295; Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 16, 19; Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 17; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 19. 57 Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 92. 58 H.-J. Otto, Generalprävention, S. 138. 59 Baurmann, GA 1994, S. 371.
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
wordenen Dispositionen handeln.60 Deshalb wird in Rechtssoziologie61, Kriminalpolitik62 und Sozialphilosophie die Bedeutung nicht-instrumenteller Faktoren für das Recht betont. In nicht geringem Umfang hänge dessen soziale Geltung ab „von der Anerkennung seiner (ethisch-sittlichen) Verbindlichkeit, die ihrerseits nicht erzwingbar ist“63. Zu den Faktoren, welche die „faktische Kraft des Normativen“64 begründen helfen, gehören nach Böckenförde insbesondere „die alltägliche ethisch-moralische Lebenspraxis, die in einer Gesellschaft lebendig ist, eingelebte Gewohnheit, gegebene Loyalität, nicht zuletzt das Rechtsbewußtsein und das Gewissen der Rechtsgenossen“65. Die Lehre von der positiven Generalprävention hat diesen Gedanken für den Bereich des Strafrechts fruchtbar gemacht.66 Der Ideenmarkt auf diesem Gebiet ist freilich etwas unübersichtlich. Nach einer ersten Variante der positiven Generalprävention (positive Generalprävention im weiteren Sinne) ist das Strafrecht „Teil einer sozialen Umwelt, die durch vielfältige Formen von Gratifikationen und Sanktionen bestimmte PersönlichkeitsBaurmann, GA 1994, S. 374. Vgl. Baurmann, Thesen, S. 411 f.; dens., FS Lüderssen, S. 17, 29. 62 Vgl. Zipf, Kriminalpolitik, S. 40. 63 Böckenförde, Staat, S. 251 f. 64 Die Wendung stammt von Killias, Bedeutung, S. 266. 65 Böckenförde, Staat, S. 251. 66 Aus der älteren Literatur: H. Mayer, Strafrecht, S. 26, 30 ff., 195 f.; Nowakowski, FS Rittler, S. 85 ff.; Noll, FS H. Mayer, S. 223 ff.; Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 92 ff. – Vertreter dieser Position innerhalb der neueren Diskussion: Achenbach, Zurechnung, S. 142 ff.; Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 46 f., 52 f.; Freund, in: MünchKomm, Vor §§ 13 ff. Rdn. 68, 91; ders., Erfolgsdelikt, S. 105 ff.; ders., Legitimationsfunktion, S. 48 f.; Haffke, Tiefenpsychologie, S. 62 ff., 79 ff., 162 ff.; Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdn. 429 ff.; ders., Einführung, S. 324 ff.; ders., Strafziele, S. 64 f.; ders., JuS 1987, S. 264 f.; ders., Variationen, S. 34 ff.; ders., Strafrecht, S. 109 ff.; ders., FS Lüderssen, S. 238 f.; Jakobs, AT, 1 / 14 ff.; ders., Schuld, S. 31 ff.; Krümpelmann, GA 1983, S. 343 f.; Maiwald, Entwicklungen, S. 303; Mir Puig, ZStW 102 (1990), S. 922 f.; Moos, FS Pallin, S. 300 ff.; Müssig, Schutz, S. 140 ff.; H.-J. Otto, Generalprävention, S. 264 ff., 276 ff.; Reemtsma, Recht, S. 20 ff.; Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), S. 133 ff.; Schünemann, Funktion, S. 187; ders., GA 1986, S. 349 ff.; Streng, ZStW 92 (1980), S. 648 ff.; ders., ZStW 101 (1989), S. 287 ff.; ders., Kommentar, S. 131; Tomforde, Zulässigkeit, S. 90; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 3 Rdn. 30 ff., 65. 60 61
4. Die positive Generalprävention
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strukturen und Handlungsdispositionen prämiert und andere mit Kosten belegt“67. Diese Konzeption stimmt freilich mit der Abschreckungsprävention noch in einem wichtigen Punkt überein: „In beiden Konzeptionen soll staatliche Strafe ihre Wirkung durch ihre Eigenschaft als genuines Übel entfalten“68. Bei der Abschreckungsprävention geht es darum, „daß sich Verbrechen nicht lohnen sollen, während es nunmehr darum geht, daß es sich nicht lohnen soll, ein Verbrecher zu werden“69. Der Einsicht in die Bedeutung einer moralisch fundierten Zustimmung der Rechtsgenossen trägt erst die positive Generalprävention im engeren Sinne vollumfänglich Rechnung. Darunter ist mit Baurmann die Auffassung zu verstehen, nach der mit staatlicher Strafe „Bewußtseinsbildung und moralische Überzeugungen beeinflußt werden oder an die Einsicht der Rechtsadressaten appelliert wird“70. Für sie ist die Dimension der Legitimität „keine bloß redundante idealisierende Ausschmückung, die die Faktizität des Rechts nur mit metaphysischem Blütenstaub verziert, sondern als Dimension der Binnenperspektive bei der Verständigung über Normen das primäre Moment sozialer Integration“71. Strafe ist danach „nur ein Verstärkungsmittel. Im Vordergrund steht die Überzeugungskraft der Norm selbst“72. Dem Ziel gesellschaftlicher Stabilisierung wird am besten dadurch gedient, daß die Strafrechtsordnung nicht lediglich als Kalkulationsposten, sondern auch als legitime Ordnung im Sinne Max Webers73 in die Handlungsmotivation der Bürger eingeht.74 67 Baurmann, GA 1994, S. 375. – Musterbeispiel einer solchen Konzeption ist die Lehre von Haffke (Tiefenpsychologie, S. 82). Zu weiteren Konzeptionen dieser Art (Andanaes, Vanberg): Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 50 ff., 111 ff. 68 Baurmann, GA 1994, S. 376. 69 Baurmann, GA 1994, S. 375. 70 Baurmann, GA 1994, S. 376. 71 Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 716 f. – Das Begründungsanliegen der positiven Generalprävention wird gröblich verzeichnet, wenn ihr vorgeworfen wird, sie stelle die Beteiligten „in ein gegenüber der Gemeinschaft kindliches Verhältnis“ (so aber Harzer, Selbständigkeit, S. 42). 72 Krümpelmann, GA 1983, S. 343. 73 Vgl. Max Weber, Wirtschaft, S. 16.
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
Dies setzt freilich voraus, daß die rechtssysteminternen Deutungen der Strafe und ihrer Voraussetzungen im großen und ganzen mit den „mitgebrachten“ normativen Überzeugungen der Bürger korrespondieren. Damit stellt die positive Generalprävention den konzeptionellen Rahmen zur Stützung der spätestens seit Adolf Merkel75 und dem „Schulenstreit“76 bekannte These bereit, wonach eine Strafe gerecht (genauer: sozial als gerecht anerkannt) sein muß, um eine präventive (d. h. hier: eine der gesellschaftlichen Integration förderliche) Wirkung entfalten zu können.77 Ansonsten träte – ebenso wie bei der negativen Gene74 Die Behauptung Küppers (Straftheorie, S. 211), daß die „positive“ Generalprävention auf die „negative“ zurückverweise, weil sie ebenso wie diese das Ziel verfolge, einen Normkodex zu etablieren, der sich als durchsetzungsfähig erweise, ist deshalb bei weitem zu pauschal. Zutreffend ist lediglich, daß die Berücksichtigung der Wertüberzeugungen der normtreuen Bürger den Appell an die instrumentelle Rationalität potentieller Delinquenten nicht etwa entbehrlich macht, sondern ihn ergänzt (Diez Ripollés, ZStW 113 [2001], S. 525 f.; Kuhlen, Anmerkungen, S. 58 ff.). 75 Vgl. Merkel, Abhandlungen, S. 721; dens., Lehre, S. 231 f. – Zu Vorläufern dieser These im 19. Jahrhundert: Müller, Begriff, S. 201, 206 f., 285 ff. 76 Über die einschlägigen Positionen bis zum Ende der 20er-Jahre informiert Seidl, Streit, S. 59 ff., 211 f. – Bedeutsam für die 30er-Jahre ist vor allem Mayer, Strafrecht, S. 26 ff. 77 Bedeutsam für die Nachkriegsdiskussion: Eb. Schmidt, ZStW 67 (1955), S. 187; Nowakowski, FS Rittler, S. 65 f., 85 ff.; Gallas, Gründe, S. 4; Noll, Begründung, S. 22; ders., FS H. Mayer, S. 223; Lackner, JZ 1967, S. 515 f.; Jescheck, ZStW 80 (1968), S. 59; Horstkotte, JZ 1970, S. 125. – Gegenwärtige Vertreter: Achenbach, Zurechnung, S. 143 ff.; Baurmann, GA 1994, S. 379 ff.; Bockelmann, FS R. Lange, S. 5 f.; Dölling, ZStW 102 (1990), S. 15 f.; Freund, in: MünchKomm, Vor §§ 13 ff. Rdn. 69, 87; ders., Erfolgsdelikt, S. 107 f.; Hart-Hönig, Strafzumessung, S. 98 ff.; Hassemer, in: NK, Vor § 1 Rdn. 437; Henkel, Strafe, S. 40; Jescheck, in: LK, Einl. Rdn. 27, 31; ders, in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 II 4 (S. 69), IV 5 (S. 75), V 1 (S. 76); Kalous, Generalprävention, S. 249 ff.; Kargl, ARSP 82 (1996), S. 507; Kindhäuser, GA 1989, S. 503 ff.; Küpper, Straftheorie, S. 211; Kunz, ZStW 98 (1986), S. 831 f.; Lenckner, Strafe, S. 23 f.; Maiwald, GA 1983, S. 54 f.; ders., Entwicklungen, S. 303; Miehe, Ende, S. 252; Moos, FS Pallin, S. 305; Morselli, ARSP 87 (2001), S. 230; Müller-Dietz, FS Jescheck, 2. Hbbd., S. 824 ff.; Neumann, Zurechnung, S. 21 f., 270 ff.; ders., ZStW 99 (1987), S. 589 ff.; ders., Strafrechtsverständnis, S. 67 f.; ders., Kritik, S. 148 ff.; ders., Deutung, S. 400 ff.; H.-J. Otto, Generalprävention, S. 270 f., 276, 284 f.; Roxin, FS Müller-Dietz, S. 709; Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 19; Stree, in: Schönke / Schröder,
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ralprävention, jetzt aber nicht mehr beschränkt auf deliktsgeneigte Bürger, sondern als allgemeine Haltung – Furcht an die Stelle des einsichtsvollen Lernens, die Herausbildung von Rechtsvertrauen würde sich auf eine rein äußerlich bleibende Anpassungsleistung reduzieren, und das allgemeine Rechtsbewußtsein würde nicht beruhigt, sondern einer dauernden Irritation ausgesetzt. Solange die Lehre von der positiven Generalprävention sich mit dem Anspruch begnügt, ein allgemeines rechtssoziologisches Theorem für das Verständnis des Strafrechts nutzbar zu machen, solange sie sich also lediglich als eine Strafrechtstheorie versteht, welche von einem systemexternen Standpunkt aus die Funktion des Strafrechts und seiner Sanktionen in der Gesellschaft erklärt78 – solange ist gegen diese Konzeption nichts Grundsätzliches einzuwenden. Bedenken können sich allenfalls im Hinblick auf die Fruchtbarkeit ihrer Fragestellung79 sowie auf die empirische Verifizierbarkeit der von ihr angenommenen Wirkungszusammenhänge ergeben.80 Weitaus problematischer wird die Vorbem. §§ 38 ff. Rdn. 3; Streng, ZStW 92 (1980), S. 663; ders., ZStW 101 (1989), S. 292 ff., 332; ders., Sanktionen, S. 12; Tomforde, Zulässigkeit, S. 88; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 3 Rdn. 65. 78 Exemplarisch für dieses Verständnis der positiven Generalprävention ist Jakobs’ Funktionalismus (zusammenfassend Jakobs, ZStW 107 [1995], S. 843 ff.; zur deskriptiven Anlage dieser Konzeption S. 867); dazu näher Verf., Verhalten, S. 62 ff. sowie zuletzt Kalous, Generalprävention, S. 108 f. Vgl. ferner Neumann / Schroth, Theorien, S. 34 sowie Neumann, Kritik, S. 149. 79 Kritisch beispielsweise Kindhäuser, GA 1989, S. 503; ders., ZStW 107 (1995), S. 717 f.; Maiwald, FS Lackner, S. 152 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 65 f.; Roxin, Kriminalpolitik, S. 29 ff., 34 ff.; Stübinger, KJ 1993, S. 39 ff. 80 Diesbezügliche Kritik ist weit verbreitet; vgl. etwa Bock, ZStW 103 (1991), S. 654 ff.; dens., JuS 1994, S. 96 ff.; Calliess, NJW 1989, S. 1341; dens., FS Müller-Dietz, S. 108 f.; Hassemer, Strafzumessung, S. 36, 50 ff.; dens., Variationen, S. 40 f., 47; Hörnle, Strafzumessung, S. 90 f., 94; dies., Kriterien, S. 103; Hörnle / v. Hirsch, Generalprävention, S. 85 f.; Kubink, Strafen, S. 635; Küpper, Strafen, S. 57; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 115 ff.; Prittwitz, Strafrecht, S. 213 ff., 222, 230 ff., 234 f.; Schreiber, ZStW 94 (1982), S. 292; Schumann, Generalprävention, S. 17, 51; dens., Beweisbarkeit, S. 17 f.; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 27; dens., Lehre, S. 12; Vormbaum, ZStW 107 (1995), S. 759; Zipf, FS Pallin, S. 484. – Günstiger über die empirische Nachprüfbarkeit der positiven General-
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
Sachlage, sobald die Lehre von der positiven Generalprävention als eine genuine Straftheorie ausgegeben wird, sobald ihr also der Anspruch zugeschrieben wird, eine Antwort auf die Frage zu bieten, weshalb es überhaupt Strafe geben dürfe, weshalb sie legitim sei. Die soeben angesprochene rechtssoziologisch-externe Perspektive war notwendig mit einer distanzierten Haltung des betreffenden Beobachters gegenüber den von ihm festgestellten sozialen Wertüberzeugungen verbunden: Wer beobachtet, der affirmiert nicht. Aber auch die als Straftheorie im eigentlichen Sinne verstandene, also auf den internen Standpunkt des Rechtsanwenders bezogene Variante der positiven Generalprävention sinnt – jedenfalls auf den ersten Blick – dem Rechtsanwender nicht an, sich mit den Vorstellungen der Bevölkerung über den Sinn der Strafe zu identifizieren. Der Rechtsanwender scheint sich vielmehr darauf beschränken zu können, die Existenz (und den etwaigen Wandel) dieser Vorstellungen als soziale Tatsachen zu konstatieren.81 Beachtung verdienen sie eben nicht wegen ihrer inhaltlichen Richtigkeit, sondern nur deshalb, weil angenommen wird, daß die Bestätigung des Rechtsbewußtseins der Gesellschaftsmitglieder zu einer inneren Festigung der betreffenden Gesellschaft führt. Läßt diese Distanz sich unter dem Blickwinkel der spezifisch straftheoretischen Legitimationsfrage aber wirklich durchhalten?82 Die Bedenken gegen eine solche Prätention liegen auf der Hand; denn die Aussage, daß die Bevölkerung aus bestimmten Gründen an die Legitimität der Strafe glaube, ist offenbar nicht identisch mit der Aussage, daß die Strafe legitim sei. Diesem Einwand würde ein Befürworter der Lehre von der positiven Generalprävention freilich entgegenhalten, er verkenne deren Komplexität. Nach der Lehre von der positiven Generalprävention sei die Strafe legitim, weil und insofern sie zur Verbesserung der geprävention urteilen Bönitz, Strafgesetze, S. 329 ff.; Dölling, Rechtsgefühl, S. 253 f.; Freund, Erfolgsdelikt, S. 105 f.; Killias, Bedeutung, S. 258 ff.; Miehe, Ende, S. 253; Schöch, FS Jescheck, 2. Hbbd., S. 1083 f., 1103 f.; ders., Wirksamkeit, S. 96 und Streng, Sanktionen, S. 22 ff. 81 In diesem Sinne bereits Nowakowski, FS Rittler, S. 85 ff. 82 Kritisch Frister, Struktur, S. 79 ff.; Neumann, Deutung, S. 404.
4. Die positive Generalprävention
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sellschaftlichen Integration beitrage; um dieses normativ maßgebliche Ziel zu erreichen, müßten auf der Ebene der Mittelauswahl die tatsächlich vorfindlichen Wertüberzeugungen der Bevölkerung Berücksichtigung finden. Auch diese Replik räumt die Bedenken gegen die legitimationstheoretische Tauglichkeit der Lehre von der positiven Generalprävention indessen nicht aus. Die Probleme werden sichtbar, sobald die Bevölkerung die Strafe aus Gründen befürwortet, die der betreffende Straftheoretiker von seiner Warte aus als eindeutig „falsch“ bewerten muß. So nimmt die Mehrzahl der Vertreter der These von der „Prävention durch gerechte Vergeltung“ an, daß in der Bevölkerung eine starke Präferenz für eine retributive Strafbegründung bestehe.83 In diesem Fall kann nur ein im wesentlichen nach Vergeltungsgrundsätzen operierendes Strafrecht die optimale Integrationswirkung entfalten. Von dem eigenen präventionstheoretischen Ausgangspunkt der betreffenden Autoren her betrachtet ist ein solches Begründungsmodell indessen irrational. Da sie es aber dennoch nicht ignorieren können, läuft ihre Position auf das Ansinnen an den Verurteilten hinaus, sich um des gesellschaftlichen Friedens willen einem unvernünftig motivierten Zwang zu unterwerfen.84 Eine Pflicht, die Unaufgeklärtheit der eigenen gesellschaftlichen Umwelt duldend hinzunehmen, ließe sich freilich eher als Aufopferung denn als Strafe charakterisieren.85 Die Begründung dementiert hier das Begründungsziel.
83 Vgl. etwa Dölling, ZStW 102 (1990), S. 15 f.; Kalous, Generalprävention, S. 249 ff.; Miehe, Ende, S. 252; Morselli, ARSP 87 (2001), S. 230; Müller-Dietz, FS Jescheck, 2. Hbbd., S. 824; Streng, ZStW 92 (1980), S. 663. – In jüngerer Zeit wird dagegen nicht selten eine zunehmende Distanzierung der Bevölkerung von einem einseitig retributiven Verständnis der Strafe angenommen (vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 104; Lüderssen, Abschaffen, S. 93, 414; Stratenwerth, Zukunft, S. 47); skeptisch dazu Hoffmann, Verhältnis, S. 130 f. 84 So ausdrücklich Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 52 f. und Haffke, Tiefenpsychologie, S. 85. 85 An dieser kategorialen Unangemessenheit würde auch die von Ellscheid / Hassemer, Strafe, S. 287 zur Bändigung des „irrationalen Vergeltungsbedürfnis(ses) der Gesellschaft“ vorgeschlagene Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips oder die von Stratenwerth, FS Bockelmann, S. 918 eingeforderte Verknüpfung der strafrechtlichen Sanktion mit dem Angebot von Hilfe nichts ändern.
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II. Strafe als Präventionsinstrument?
Angesichts dieser prekären Situation scheint den Befürwortern der positiven Generalprävention nichts anderes übrig zu bleiben, als ihre legitimationstheoretischen Überlegungen zu verheimlichen bzw. den Mitgliedern des Rechtsstabes zu empfehlen, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit gleichsam mit gespaltener Zunge zu sprechen.86 Um dem eigentlichen Interesse der Bevölkerung, der Befestigung des sozialen Friedens, zu dienen, sollten sie so tun, als teilten sie deren – wie ihnen bewußt sei: in Wahrheit unvernünftiges – Interesse an Vergeltung. „Um der Nützlichkeit willen wird ein System öffentlicher Unwahrheit propagiert“87. Der Preis, der für diese Hilfsstrategie gezahlt werden müßte, ist jedoch inakzeptabel hoch: Es würde nicht nur (wie bei der negativen Generalprävention) dem Verurteilten, sondern der gesamten „unaufgeklärten“ Bevölkerung die kommunikative Gleichheit abgesprochen.88 Statt die legitimationstheoretischen Defizite der negativen Generalprävention abzubauen und – wie Hassemer meint – die Menschen ernst zu nehmen89, würde die Lehre von der positiven Generalprävention diese Defizite sogar noch vergrößern. Wer die Lehre von der positiven Generalprävention als Straftheorie einsetzen will, der kommt nach dem vorstehend Ausgeführten nicht umhin, die von ihm festgestellten Auffassungen der Bevölkerung anhand seiner eigenen normativen Maßstäbe zu bewerten. Aber welche der zur Rechtfertigung von Strafe angeführten Gründe kann er als normativ akzeptabel behandeln? Daß retributive Auffassungen insofern nicht in Betracht kommen, ist soeben gezeigt worden. Auch die Lehre von der positiven Generalprävention selbst scheidet aus; denn das Bekenntnis, daß die Strafe integrativ wirken solle, trägt zur Beantwortung der hier interessierenden Frage, wie die Strafe verstanden werden müsse, um diese Wirkung zu erzielen, nicht das Geringste 86 Die diesbezügliche Problematik ist erstmals von Bock thematisiert worden; vgl. dens., ZStW 103 (1991), S. 649 ff.; dens., JuS 1994, S. 97 f. Ebenso Frister, Struktur, S. 81, 97; Hörnle, Strafzumessung, S. 118; Hörnle / v. Hirsch, Generalprävention, S. 89 f.; Pielsticker, Revisionsfalle, S. 63; Prittwitz, Strafrecht, S. 235. 87 Wolff, ZStW 97 (1985), S. 803. 88 Bock, JuS 1994, S. 97; Neumann, Kritik, S. 147. 89 Vgl. Hassemer, Variationen, S. 37.
4. Die positive Generalprävention
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bei.90 Die Lehre von der positiven Generalprävention eignet sich mit anderen Worten nur zur Verwendung als Rahmentheorie und kann nicht nochmals als ihre eigene Referenztheorie herangezogen werden.91 Damit bleiben nur die negative Generalprävention und die Spezialprävention übrig. Daß diese Auffassungen die Strafe nicht überzeugend legitimieren können, ist bereits auf den vorangegangenen Seiten gezeigt worden. Damit steht der Anhänger einer Straftheorie der positiven Generalprävention am Ende mit leeren Händen da. So vielversprechend diese Lehre als Ausgangspunkt einer rechtssoziologischen Analyse ist, so unzureichend ist sie als Straftheorie. Auch die „letzte Bastion“ des Präventionsdenkens92 ist damit geschleift worden.
90 Vgl. nur Baurmann, GA 1994, S. 382 ff.; Lüderssen, Abschaffen, S. 414. 91 Baurmann, GA 1994, S. 384; i.E. auch Altenhain, Anschlußdelikt, S. 323 ff. 92 Vgl. Scheffler, Prolegomena, S. 397.
III. Vergeltung durch Strafe? 1. Renaissance der Vergeltungstheorie? Die Mängel der Präventionslehren legen es nahe, dem Versuch einer vergeltungstheoretischen Straflegitimation eine neue Chance einzuräumen. Dem entspricht die Entwicklung, die die wissenschaftliche Diskussion in den letzten Jahren genommen hat. In einem Vortrag aus dem Jahre 1979 merkte Armin Kaufmann noch an, mit dem Wort Vergeltung werde eine Position weniger markiert als vielmehr gebrandmarkt.1 Seither sind jedoch zahlreiche Stimmen laut geworden, die retributiven Überlegungen eine zentrale Rolle im Rahmen der Strafbegründung einräumen.2 Das Spektrum der Begründungen reicht von dem Verweis auf die feste Verankerung einer Praxis des „Übelnehmens“ in unserer Kultur (Hörnle, von Hirsch)3 über zeichen- bzw. kommunikationstheoretische Erörterungen (Schmitz, Jakobs, Lesch)4 bis hin zum Rückgriff auf die Straftheorien Kants (Höffe, Oberer, Kühl, E.A. Wolff, Köhler, Kahlo, Zaczyk, Harzer)5 Armin Kaufmann, Strafrechtsdogmatik, S. 265. Dies gilt erst recht für den anglo-amerikanischen Raum. Der Retributivismus wird dort als die führende Straftheorie bezeichnet (vgl. Kalous, Generalprävention, S. 173). Darstellungen des Meinungsspektrums bei Kaiser, Widerspruch, S. 134 ff. und Kalous, Generalprävention, S. 173 ff. 3 Hörnle, Strafzumessung, S. 112 ff.; Hörnle / von Hirsch, Generalprävention, S. 91 ff. 4 Schmitz, Legitimität, S. 127 f., 173 ff.; Jakobs, Norm, S. 98 ff.; ders., Straftheorie, S. 31 ff.; ders., Strafbegründung, S. 135 f.; ders., Selbstverständnis, S. 49 ff.; ders., Zurechnung, S. 59 f.; Lesch, JA 1994, S. 598 f. 5 Höffe, Rechtsprinzipien, S. 215 ff.; ders., Proto-Strafrecht, S. 312 ff.; ders., Straf- und Begnadigungsrecht, S. 214 ff.; Oberer, Begründungsaspekte, S. 413, 418; Kühl, Bedeutung, S. 30 ff.; ders., FS Lampe, S. 460 f.; E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 806 ff.; ders., Kriminalunrecht, S. 166 ff.; Köhler, AT, S. 37 ff.; ders., Begriff, S. 44 ff.; ders., Zusammenhang, S. 33 ff.; Kahlo, Problem, S. 272 ff.; Zaczyk, Staat, S. 73 ff.; Harzer, Selbständigkeit, S. 42 ff. 1 2
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III. Vergeltung durch Strafe?
und Hegels (Herzog, Klesczewski, Schild)6 sowie auf allgemeine gerechtigkeitstheoretische Erwägungen (Lampe, Rhonheimer, J.-C. Wolf)7. Die Veränderung des Meinungsklimas zeigt sich nicht zuletzt auch an den Akzentverschiebungen innerhalb bestehender Theoriegebäude. So rief Hassemer, der in einer Arbeit aus dem Jahre 1983 die wissenschaftliche sowie die kriminalpolitische Dignität der absoluten Straftheorie in Zweifel gezogen hatte,8 sieben Jahre darauf in einer vielzitierten Wendung dazu auf, die „Weisheit“ der Lehren von der Tatvergeltung wiederzuentdecken.9 Die Tatvergeltung bilde den Kern jenes Konzepts der Formalisierung, welches Strafrecht und Strafe als ein Muster humanen Umgangs mit der Abweichung sozial vermitteln sollten.10 Präventive Strafbegründung ohne Gegenstück aus den absoluten Straftheorien wäre, wie Hassemer jüngst erneut unterstrich, „rechtsstaatlich unerträglich“11. Noch auffälliger ist der Meinungswandel bei Frisch. 1987 erklärte er noch die Prävention zum allein akzeptablen Strafzweck.12 In seinen jüngsten Arbeiten zu diesem Thema verwirft er hingegen die Prävention als tragenden Legitimationsgrund der Strafe;13 die präventiven Wirkungen der Strafe setzt er nun zu bloßen „Sekundäreffekte(n)“ herab.14 Die Straftat versteht Frisch jetzt als „Bruch des Rechtsverhältnisses und Infragestellung der Geltung des Rechts und des Rechtszustandes“15. Die Strafe mache demgegenüber deutlich, „daß die Ge6 Herzog, Prävention, S. 63 ff.; Klesczewski, Rolle, S. 369 ff.; Schild, SchZStrR 99 (1982), S. 364 ff.; ders., Unsinn, S. 59 ff.; ders., Notwendigkeit, S. 102 ff.; ders., FS Lenckner, S. 297 ff. Nahestehend Weber, Genugtuungsinteresse, S. 144 ff. 7 Lampe, Strafphilosophie, S. 47, 55, 62, 167; Rhonheimer, Perspektive, S. 308 f.; J.-C. Wolf, Strafe, S. 199 ff. 8 Hassemer, Strafziele, S. 48 f. 9 Hassemer, Einführung, S. 323 f. 10 Hassemer, Einführung, S. 327. 11 Hassemer, FS Lüderssen, S. 226. 12 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 367 f. 13 Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 277. 14 Frisch, Schwächen, S. 141; ebenso ders., FG BGH, Bd. IV, S. 278. 15 Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 278; ebenso ders., FS Müller-Dietz, S. 254.
1. Renaissance der Vergeltungstheorie?
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meinschaft am Rechtszustand festhält“16; mittels der Strafe werde „das Recht wiederhergestellt und dessen Geltung gegenüber dem Rechtsbruch bestätigt“17. Hält man sich diese Vielzahl von Stellungnahmen vor Augen, so erscheint es kaum übertrieben, mit Schünemann18 von einer „Renaissance der absoluten Straftheorie“ zu sprechen. Eine solche Renaissance zu konstatieren heißt freilich noch lange nicht, sie gutzuheißen; Schünemann selbst bekennt seine „tiefe Skepsis“ gegenüber dieser Entwicklung19. Entscheidend ist, ob es den aktuellen Varianten des retributiven Denkens gelingt, die normative Überlegenheit ihrer Position nachzuweisen. Der Ausweg, auf die gesellschaftsstabilisierende Wirkung einer Praxis des Vergeltens zu rekurrieren,20 steht den Vertretern einer retributiven Straflegitimation nicht offen; denn dieser geht es ja darum, die Rechtfertigung der Strafe von Erwägungen über ihre gesellschaftliche Nützlichkeit zu entkoppeln. Eine strikt empiriefreie Begründung droht sich hingegen in den Netzen der Metaphysik-Kritik zu verfangen – Metaphysik ist bekanntlich für viele der heutigen Philosophen und Strafrechtstheoretiker „der Prügelknabe schlechthin“21. Ein eleganter Ausweg aus diesem Dilemma scheint darin zu liegen, das Vergeltungsdenken als einen unhintergehbaren Bestandteil unserer kulturellen Identität zu erweisen. Auf den betreffenden Begründungsversuch wird unter 2. eingegangen. Es wird sich dort zeigen, daß die Hoffnung trügt, das traditionelle Legitimationsproblem mithilfe der Berufung auf kulturelle Vorgegebenheiten gewissermaßen entdramatisieren zu können; eine Straftheorie muß im Hinblick auf ihre normativen Prämissen Farbe bekennen. Unter 3. werden deshalb zunächst die legitimationstheoretischen Rahmenbedingungen skizziert, denen eine reFrisch, Schwächen, S. 140. Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 278; ebenso ders., FS Müller-Dietz, S. 253 f. 18 Schünemann, FS Lüderssen, S. 327. 19 Schünemann, FS Lüderssen, S. 328. 20 Zuletzt hat ihn Kalous beschritten; vgl. dies., Generalprävention, S. 210 ff. 21 Disse, Geschichte, S. 11. 16 17
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III. Vergeltung durch Strafe?
tributive Strafbegründung genügen muß, und es wird eine Argumentationsfigur benannt, die prima facie diesen Anforderungen entspricht: der Gedanke der Strafe als einer Wiederherstellung des Rechts. Sodann wird den unterschiedlichen Verwendungsweisen dieses Gedankens im straftheoretischen Kontext nachgegangen. Einer ontologischen bzw. kommunikationstheoretischen Lesart steht seit dem 19. Jahrhundert ein sozialpsychologisches Verständnis gegenüber. Bedeutet Restitution dort „Wiederherstellung des Rechts als Recht“ bzw. „Aufhebung der Normgeltungsverletzung“, so steht sie hier für die Beseitigung der durch die Straftat bewirkten sozialen Verunsicherung. Beide Ansätze haben jedoch Schwierigkeiten damit zu begründen, weshalb es ausgerechnet der Strafe bedarf, um die von ihnen eingeforderte Wiederherstellungsleistung zu erbringen. Auch einer anerkennungstheoretischen Fassung des Wiederherstellungsgedankens gelingt es nicht, diese Begründungslücke zu schließen. In dem folgenden Abschnitt (IV.) wird eine Version der Wiederherstellungstheorie skizziert, die diesen Bedenken Rechnung trägt. Das spezifisch strafrechtliche Unrecht wird dort begriffen als eine Verletzung der Pflicht, an der Erhaltung einer Daseinsordnung der Freiheit mitzuwirken; die angemessene Antwort auf ein solches Unrecht ist die Strafe.
2. Vergeltung als unhintergehbarer Bestandteil unserer kulturellen Identität? Zu den markantesten und einflußreichsten Positionen innerhalb der gegenwärtigen Sozialphilosophie gehören der politische Liberalismus eines John Rawls und der Kommunitarismus eines Charles Taylor. Zwischen ihren Auffassungen bestehen bekanntlich tiefgreifende ontologische und rechtstheoretische Unterschiede. In ihrer Grundauffassung vom Charakter der praktischen Philosophie sind beide Autoren jedoch einig. Die praktische Philosophie dient demnach der individuellen und kollektiven Selbstvergewisserung; sie expliziert und systematisiert ein schon jeweils „mitgebrachtes“ Vorverständnis. In Taylors Worten wird durch die praktische Philosophie „zur Sprache gebracht . . ., was unseren ethischen Entscheidungen und Neigungen und in-
2. Vergeltung als Bestandteil unserer kulturellen Identität?
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tuitiven Vorstellungen zugrunde liegt“22. Auch Rawls reklamiert für seine Theorie der „Gerechtigkeit als Fairneß“ lediglich den Status einer „politische(n) Gerechtigkeitskonzeption für eine demokratische Gesellschaft“; die Theorie versuche „ausschließlich auf grundlegende intuitive Gedanken zurückzugreifen, die in den politischen Institutionen eines demokratischen Verfassungsstaates und den öffentlichen Traditionen ihrer Interpretation verankert sind“23. Der einzige Weg, um einen anderen von der Richtigkeit meiner Grundannahmen zu überzeugen, besteht vor dem Hintergrund dieses von vornherein reduzierten Begründungsanspruchs darin, daß ich „für ihn spreche, indem ich entweder artikuliere, was seinen gegebenen intuitiven moralischen Vorstellungen zugrunde liegt, oder vielleicht indem ich ihn durch meine Schilderung dazu bewege, daß er sich meine Anschauung zu eigen macht“24. Wie verhält es sich aber mit dem, der einen lack of moral sense aufweist oder der sich ernstlich dazu entschlossen hat, den moralischen Grundüberzeugungen seiner sozialen Umwelt den Rükken zu kehren? Ihm die betreffende Moral – wie Tugendhat sagt – „anargumentieren“ zu wollen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen.25 Wir können ihm vielmehr nur noch die Berufung auf unsere moralische Identität entgegenhalten: „So verstehen wir uns nun einmal. Stimme zu oder laß es bleiben!“ Wer einen normativen Begründungsgang mit diesen Worten abbricht, der begeht nicht etwa einen Sein-Sollens-Fehlschluß. Er behauptet nicht, die von ihm in Schutz genommenen normativen Grundüberzeugungen seien deshalb legitim, weil sie den nun einmal bestehenden sozialen Überzeugungen entsprächen. Er weist den Fundamentalkritiker lediglich auf die Risiken hin, die eingeht, wer Überzeugungen zur Disposition stellt, die von seiner Umgebung als unhintergehbare Ermöglichungsbedingungen normativer Gemeinsamkeit zwischen Individuen angesehen werden, die weder affektiv noch durch wechselseitiges Eigeninteresse aneinander gebunden sind: Ein solcher Kritiker setzt seine eigene Anerken22 23 24 25
Taylor, Quellen, S. 149. Rawls, Idee, S. 258. Taylor, Quellen, S. 149. Tugendhat, Vorlesungen, S. 89.
4 Pawlik
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III. Vergeltung durch Strafe?
nung als Teilnehmer an den betreffenden normativen Diskursen aufs Spiel; ihm droht der Ausschluß aus der Gemeinschaft der moralischen Subjekte. In welcher Beziehung stehen diese Überlegungen zu der Vergeltungstheorie der Strafe? Nun, sie eröffnen einen neuartigen und eleganten Weg zu deren begründungstheoretischer Abstützung. Es muß lediglich nachgewiesen werden, daß das vergeltungstheoretische Paradigma der Straflegitimation in praktisch unhintergehbaren Zügen unserer kollektiven Identität wurzelt26 – und schon ist seine normative Dignität, ja seine Unanfechtbarkeit gesichert. Die Durchführung dieses Programms ist allerdings mit einem heiklen Problem konfrontiert. Zwar dürfte es nicht schwerfallen nachzuweisen, daß innerhalb unserer Rechtskultur die Bezeichnung als Strafe solchen Maßnahmen vorbehalten ist, die auf ein rechtlich mißbilligtes Verhalten des Bestraften reagieren; auch der hiesigen Arbeit liegt dieses alltagssprachliche Vorverständnis des Wortes „Strafe“ zugrunde. Damit ist indes nur der Realgrund der Strafe bezeichnet; die Frage nach deren Rechtsgrund ist davon streng zu unterscheiden. Ob aber die Berufung auf den reaktiv-mißbilligenden Charakter der Strafe auch zu ihrer Rechtfertigung taugt, ist zwischen den verschiedenen Straftheorien heftig umstritten. Vor diesem Hintergrund gibt es, wie es scheint, für eine Straftheorie, die sich den Verweis auf unsere kollektiven Überzeugungen zunutze machen will, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie schlägt die legitimationstheoretische Verankerung der Strafe im Vergeltungsgedanken dem harten Kern unserer gesellschaftlichen Identität zu. Damit löst sie freilich das Problem der Straflegitimation in Wahrheit nicht, sondern sie errichtet eine „Definitionssperre“, deren Berechtigung durch die nach wie vor machtvolle Präsenz der Präventionslehren widerlegt wird. Oder aber eine solche Straftheorie ringt sich zu dem Eingeständnis durch, daß im Hinblick auf die Legitimationsfrage keine hinreichend unangefochtenen kollektiven Überzeugungen vorliegen. Dies hat freilich zur Folge, daß man insoweit wieder auf die alther26 Die traditionelle Berufung auf das menschliche „Vergeltungsbedürfnis“ (klassisch Nagler, Strafe, S. 522 ff.; zuletzt Morselli, ARSP 87 [2001], S. 224 ff.) gibt diesem Gedanken eine stärker anthropologische Färbung.
2. Vergeltung als Bestandteil unserer kulturellen Identität?
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gebrachten innernormativen Erwägungen verwiesen wird, also nichts gewonnen hat. Die Darlegungen Hörnles und von Hirschs machen dieses Dilemma in exemplarischer Weise deutlich. Die beiden gehen aus von dem bekannten Aufsatz Strawsons über „Freiheit und Übelnehmen“. Strawson betont, daß es bestimmte Haltungen und Reaktionen gebe, die grundlegende Bestandteile des moralischen Diskurses im menschlichen Zusammenleben seien. Als Kehrseite der Freiheit, die wir einander wechselseitig zuschreiben, gehöre dazu das Übelnehmen, das sich als Reaktion auf den bösen Willen oder die Gleichgültigkeit anderer uns gegenüber zeige.27 Entgegen einer objektivistischen, auf Nützlichkeitserwägungen abstellenden Deutung bediene eine solche Praxis sich nicht nur unserer Natur, sondern drücke sie aus.28 Auch diese Umschreibung ist noch recht unspezifisch. Wie gelangt man von ihr zum harten Kern unserer Überzeugungen über die Legitimität von Strafe? „Das zentrale Argument“, das zugleich die Wendung des Begründungsganges in den innernormativen Bereich markiert, besteht nach Hörnle und von Hirsch darin, „daß man grundsätzlich mißbilligende Urteile über bestimmte Verhaltensweisen dem Handelnden mitteilen sollte, wenn man nicht spezielle Gründe hat, das Urteil zurückzuhalten“29. Der Grund dafür liege in erster Linie in der „Anerkennung des Handelnden als Person mit autonomer moralischer Selbstbestimmung“30. Mit Strawson gesprochen, demonstriert man so, „daß man fortfährt, ihn als ein Mitglied der moralischen Gemeinschaft zu sehen; lediglich als einen, der ihre Forderungen verletzt hat“31. Daraus ergibt sich für Hörnle und von Hirsch die Unangemessenheit der Präventionslehren; in ihrer Kritik lehnen Strawson, Freiheit, S. 212. Strawson, Freiheit, S. 232. 29 Hörnle / von Hirsch, Generalprävention, S. 93. 30 Hörnle / von Hirsch, Generalprävention, S. 93; ebenso von Hirsch, Begründung, S. 51, 54; Duff, Tatproportionalität, S. 28. – Zudem bestätige die explizite Mißbilligung des Täterverhaltens gegenüber dem Verletzten, daß seine Einbuße nicht auf ein einem Unglück vergleichbares Geschehen zurückzuführen sei, sondern daß ihm durch die Tat Unrecht zugefügt worden sei (von Hirsch, Begründung, S. 52; Hörnle, Strafzumessung, S. 117). 31 Strawson, Freiheit, S. 228. 27 28
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III. Vergeltung durch Strafe?
sie sich bis in den Wortlaut hinein an die Polemiken der vergeltungstheoretischen Klassiker an: „Auf verwerfliches Verhalten von Menschen ohne Tadel, sondern nur durch Abschreckung oder durch eine Veränderung der Umwelt zu reagieren, die Wiederholungen unmöglich machen soll, hieße sie auf dieselbe Stufe wie das Raubtier zu stellen“32. Die Strafe als Ausdruck von Mißbilligung zu umschreiben heißt freilich, die für sie charakteristischen Züge nur unvollständig zu erfassen; insbesondere bleibt dabei der Zwangs- / Übelcharakter der Strafe außer Betracht. Insoweit bedarf der Ausgangspunkt – die Feststellung einer gesellschaftlichen Praxis des Übelnehmens – einer Ergänzung. An diesem Punkt verläßt Hörnle und von Hirsch die retributionstheoretische Courage. Von Hirsch setzt insoweit auf den Gedanken der Abschrekkungsprävention.33 Dadurch erhalten seine Ausführungen freilich einen synkretistischen Zug; denn die Merkmale der einen Institution Strafe werden in konkurrierenden Legitimationsmodellen verankert.34 Dessen ungeachtet stimmt Hörnle ihm in bezug auf zahlreiche Deliktsgruppen zu; sie kritisiert lediglich die durch die Existenz präventionsresistenter Delikte bewirkten tatsächlichen Erklärungsgrenzen von dessen Konzeption.35 Im Gefolge Strawsons36 unterstreicht sie freilich zugleich die Bedeutung des Gedankens der Tatproportionalität für die Strafzumessung im Einzelfall: Die Ernsthaftigkeit der Übelzufügung 32 Hörnle / von Hirsch, Generalprävention, S. 93; ebenso von Hirsch, Begründung, S. 54. 33 von Hirsch, Tadel, S. 105 f.; ders. Begründung, S. 54 ff. – Eine ähnliche Spaltung der Legitimationsgrundlagen von Mißbilligung und harter Behandlung hatte zuvor bereits Noll, Begründung, S. 19 f. vorgeschlagen. 34 Zwar betont von Hirsch, innerhalb seiner Konzeption behalte die tadelnde Funktion von Strafe eine zentrale Rolle; die präventive Funktion wirke nur innerhalb einer tadelnden Konzeption (von Hirsch, Begründung, S. 57). Wie aber soll man sich dieses „innerhalb“ vorstellen, wenn doch nach von Hirsch der Tadel als solcher das für die Reaktionsform der Strafe konstitutive Merkmal der „harten Behandlung“ gerade nicht begründen kann? – Auch Weigend, Sanktionen, S. 201 bezeichnet die Verbindung zwischen censure und hard treatment als die „Schwachstelle“ in dem System von Hirschs. 35 Hörnle, Strafzumessung, S. 121. 36 Vgl. Strawson, Freiheit, S. 228.
2. Vergeltung als Bestandteil unserer kulturellen Identität?
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reflektiere das Gewicht des über die Tat ausgesprochenen Unwerturteils;37 deshalb müsse die Höhe der Strafe, also das Ausmaß der Übelzufügung, der Tadelswertigkeit der abgeurteilten Handlung entsprechen.38 Damit aber setzt sie sich dem Vorwurf der Inkonsistenz aus, der uns bereits von der Erörterung der negativen Generalprävention her bekannt ist. Hörnles Umgang mit diesem Problem vermag nicht zu befriedigen. Ihre These, die Anwendungsregeln für eine Institution müßten nicht mit der Begründung der Existenz der Institution übereinstimmen39, bleibt unbegründet und läßt sich in einem auf axiologische Geschlossenheit beharrenden Strafrechtssystem auch nicht begründen; 40 denn vom Standpunkt eines jeden der beiden konkurrierenden Bewertungssysteme aus sind die spezifischen Konsequenzen des anderen irrational und daher zur Beschränkung der menschlichen Handlungsfreiheit – und gar noch in der massiven Form der Bestrafung – ungeeignet. Daher könnte allenfalls der Begründungsansatz, den Hörnle für den Bereich der präventionsresistenten Delikte in Aussicht stellt, die strafspezifische „harte Behandlung“ ohne argumentativen Bruch rechtfertigen. Hörnles diesbezügliche Erörterungen fallen recht knapp aus. Sie beschränkt sich auf den seit Feinbergs grundlegendem Aufsatz über die expressive Funktion der Strafe41 geläufigen Hinweis, daß die Verknüpfung des Tadels mit einer harten Behandlung den „in unserem sozio-kulturellen Kontext üblichen Gebräuchen“ entspreche und daß eine Auflösung dieser Verknüpfung die expressive Funktion der Strafe unterminieren würde.42 Dies überzeugt als allgemeiner Hinweis darauf, daß der Tadel mit (irgend-)einer fühlbaren Sanktion verbunden sein muß. Warum es sich dabei aber gerade um Strafe handeln muß, Schadensersatz und Schmerzensgeld also nicht ausreichen, wird bei Hörnle nicht klar. Hörnle zeigt nur, daß die Institution Hörnle, Strafzumessung, S. 135. Hörnle, Strafzumessung, S. 136. 39 Hörnle, Strafzumessung, S. 388. 40 Auch Weigend, Sanktionen, S. 203 moniert den Eklektizismus von Hörnles Ansatz, der „zu einer gewissen Beliebigkeit bei der Verankerung der Strafzumessung in concreto“ führe. 41 Dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 52 ff. 42 Hörnle, Strafzumessung, S. 123. 37 38
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III. Vergeltung durch Strafe?
Strafe, wenn sie denn praktiziert wird, harte Behandlung beinhalten muß – ein wenig spektakulärer Befund. Die straftheoretische Grundfrage lautet indessen: „Weshalb überhaupt Strafe?“ Die Radikalität dieser Frage wird von den Erwägungen Hörnles von vornherein nicht erreicht. An den Lücken innerhalb von Hörnles Argumentation zeigt sich, daß der Verweis auf kollektive Überzeugungen die Straftheorie nicht von der Aufgabe entlastet, sich wie eh und je dem normativen Binnenraum zuzuwenden und ihre Lösungsvorschläge auf innernormative Begründungsgänge zu stützen. Damit ist die Zielsetzung der folgenden Erörterungen vorgezeichnet.
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe? a) Vom Ausgleichs- zum Wiederherstellungsgedanken Zu den stärksten rhetorischen Waffen der Präventionslehren gehören die Argumente, mit denen sie die Alternativlosigkeit ihres Ansatzes darzutun suchen: Geschehenes könne nun einmal nicht ungeschehen gemacht werden, und die Zufügung eines Übels lasse sich nicht dadurch legitimieren, daß derjenige, der es erleide, zuvor seinerseits eine Übeltat begangen habe.43 Vergeltung sei „rein destruktiv“44, „eine archaische Barbarei in der zivilisierten Welt“45, ähnlich abwegig wie das Ansinnen, „einem Götzen zu opfern oder die Erinnyen mit Blut zu beschwichtigen“46. „Was wird dadurch besser, daß ein Mörder umgebracht wird?“ – so bringt Burkert diese Einwände auf den Punkt47. Bleibt daher überhaupt etwas anderes übrig, als die Strafe durch den Nachweis ihrer günstigen Wirkungen für die Zukunft der Gesellschaft zu rechtfertigen? Immerhin ist die erste der ange43 Exemplarisch Lenckner, Strafe, S. 21; Roxin, JuS 1966, S. 378 ; ders., SchZStr 104 (1987), S. 357, 371; Schmidhäuser, Sinn, S. 80. – Von evangelisch-theologischer Seite Huber, Gerechtigkeit, S. 333. 44 Schünemann, Entwicklung, S. 156. Sachlich übereinstimmend Arthur Kaufmann, FS Henkel, S. 105. 45 Kriele, Grundprobleme, S. 124. 46 Reemtsma, Recht, S. 13. 47 Burkert, „Vergeltung“, S. 27.
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe?
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führten Feststellungen aus tatsächlichen Gründen unabweislich; und für den zweiten Befund gilt in einer Kultur, die der Rache die normative Dignität abspricht, aus rechtsethischen Gründen das gleiche. Bereits Hegel hat dies unmißverständlich klargestellt,48 und die heutigen Vertreter retributiv orientierter Straftheorien schließen sich dem an.49 Diese Konzessionen erhöhen freilich die auf ihnen ruhende Begründungslast: Sie müssen nachweisen, daß der Vorwurf, die Vergeltungstheorie rede der sinnlos-rächenden Aufpfropfung eines Übels auf ein anderes das Wort,50 auf einem verkürzten und daher inadäquaten Verständnis jener Konzeption beruht. Wie bereits an früherer Stelle (unter I.3.) erwähnt wurde, geht das klassische Begründungsmodell der Vergeltungstheorie auf Aristoteles zurück. Die Institution der Strafe findet danach ihre Legitimation in dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit; sie fügt also dem geschehenen Übel nicht einfach ein weiteres Übel hinzu, sondern sie gleicht das geschehene Unrecht aus. Die Vertreter der Vergeltungstheorie können nun geltend machen, daß sie – anders als die Kritiker es unterstellen – diesen Unrechtsausgleich keineswegs als Selbstzweck ansähen. Er diene vielmehr der Wiederherstellung der gestörten Gerechtigkeitsordnung. Die Restitution eines Zustandes der Rechtlichkeit aber sei nicht weniger ein positiv-sozialgestaltendes Handlungsziel als die von den Präventionstheorien erstrebte Verbesserung des gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsniveaus. Diese Replik stellt freilich noch keine vollwertige Verteidigung der Vergeltungstheorie dar; sie markiert allenfalls den Punkt, an dem eine ausformulierte Begründung ansetzen müßte. Nicht nur läßt der Rekurs auf den Restitutionsgedanken es offen, was die Rede von der Störung und der Wiederherstellung des Rechts in straftheoretischer Perspektive genau besagen soll.51 Vor allem Hegel, Grundlinien, § 99 A (Werke Bd. 7, S. 187). Mit besonderem Nachdruck insistiert Schild auf diesem Punkt, vgl. dens., SchZStrR 99 (1982), S. 367 ff.; dens., Unsinn, S. 59 ff. Ebenso Frisch, FS Müller-Dietz, S. 252; Köhler, AT, S. 37 f.; ders., Begriff, S. 17. 50 Schon Nagler, Strafe, S. 672 bezeichnet ihn als die „wissenschaftlich tiefststehende, trotzdem aber unausrottbare . . . Verwechslung“. 51 Exemplarisch für diese Kritik: Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 11. 48 49
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III. Vergeltung durch Strafe?
setzt er sich dem Einwand aus, daß die Aufgabe des modernen Staates mit der Formel von der „Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ nicht angemessen umschrieben sei. „Gerechtigkeit“ ist ein Ordnungsprinzip für die Ausgestaltung bestehender Rechtsbeziehungen.52 Der Staat soll für Gerechtigkeit zwischen seinen Bürgern sorgen, und er soll auch in seinem eigenen Handeln gerecht sein. Mit diesen Anforderungen kann man sich unter staatsphilosophischem Blickwinkel begnügen, solange man die Existenz des Staates als solche nicht für legitimationsbedürftig hält. Wie eingangs gezeigt, entspricht auch dies der Position des Aristoteles; eben deshalb kann er „Gerechtigkeit“ zu einem der Grundbegriffe seiner Philosophie machen. Mit der neuzeitlichen Verschärfung der Legitimationsfrage verschiebt sich das Problem. Nun geht es um die Existenzberechtigung des Staates als solchem; und der entsprechende Nachweis wird statt auf den Begriff der Gerechtigkeit auf den der Freiheit gestützt. Der Staat und sein Recht legitimieren sich demnach durch ihre Leistung der Freiheitsermöglichung. Die Lehre vom Naturzustand hat die Funktion zu zeigen, daß die Handlungsfreiheit des einzelnen außerhalb des Staates in vielfältiger Weise bedroht ist; eine gesicherte Existenz erlangt sie erst innerhalb einer machtgestützten Rechtsordnung. Die durch die Radikalisierung der Legitimationsfrage erzwungene Auswechslung der staatsphilosophischen Leitbegriffe findet im Bereich der Straftheorie eine Parallele. Was die einzelne Strafe betrifft, so mag durchaus gefordert werden, sie solle gerecht sein in dem Sinne, daß sie dem Maß des schuldhaft verwirklichten Unrechts entspricht. Daß Strafe überhaupt sein soll, läßt sich hingegen auf einer rein gerechtigkeitstheoretischen Basis nicht begründen.53 Dem Staat als dem Inhaber der Strafgewalt kommt nämlich keineswegs die Rolle eines Wahrers der Gerechtigkeit schlechthin zu;54 eine Gerechtigkeit, die jedermann das wider52 Bereits in ihrer Genese ist die Gerechtigkeitsidee auf diese Funktion festgelegt worden; dazu jüngst Dux, FS Lampe, S. 82 f., 105. 53 Vgl. Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 44 ff.; Freund, Legitimationsfunktion, S. 74; Henkel, Strafe, S. 9; Höffe, Rechtsprinzipien, S. 318; Huber, Gerechtigkeit, S. 333; Armin Kaufmann, Strafrechtsdogmatik, S. 274; Kunz, Tatproportionalität, S. 210 ff.; Neumann, Strafrechtsverständnis, S. 62; Roxin, JuS 1966, S. 378; Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 18.
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fahren läßt, was seine Taten wert sind, ist nach einer Bemerkung Schmidhäusers nicht im diesseitigen Staat, sondern nur in einer jenseitigen Hölle denkbar55. Aber selbst dort, wo ein rechtlich relevantes Unrecht vorliegt, besagt der Satz, daß es ausgeglichen werden solle, nichts über die institutionellen Formen, in denen dieser Ausgleich zu erfolgen hat.56 Die Strafe als staatliche Veranstaltung mit spezifischen Zügen muß sich vielmehr anhand jenes Maßstabs bewähren, der das Urteil über die Legitimität des Staates selbst trägt – des Maßstabs der Freiheit. Es muß mit anderen Worten gezeigt werden, daß die Strafe einen unverzichtbaren Beitrag zur Erfüllung der Aufgabe leistet, die Freiheit der Bürger zu befestigen, dieser Freiheit, wie Hegel es ausdrückt, ein „Dasein“ zu geben57. Der Zustand, welcher vermittels der Strafe wiederhergestellt werden soll, darf mithin nicht abstrakt als Zustand der Gerechtigkeit, er muß vielmehr konkret als Zustand einer rechtmäßigen Freiheitsverteilung umschrieben werden. Damit reduziert sich der Unterschied zwischen präventiven und retributiven Straftheorien ganz beträchtlich. Beiden Konzeptionen geht es, wie Ja54 Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 47, 55; Freund, in: MünchKomm, Vor §§ 13 ff. Rdn. 35; ders., Legitimationsfunktion, S. 43; Frisch, ZStW 99 (1987), S. 367 f.; ders., FG BGH, Bd. IV, S. 276; Gallas, Gründe, S. 3; Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 91 f.; Henkel, Strafe, S. 7; Hoerster, FG Weinberger, S. 226; Jescheck, in: LK, Einl. Rdn. 29; ders., in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 III 4 (S. 71); Joecks, in: MünchKomm, Einl. Rdn. 54; Küpper, Straftheorie, S. 208; Lackner, in: Lackner / Kühl, § 46 Rdn. 2; Lenckner, Strafe, S. 21; Lüderssen, Abschaffen, S. 30, 105 f.; Moos, FS Pallin, S. 285; Nowakowski, FS Rittler, S. 67; Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), S. 131; Roxin, AT 1, § 3 Rdn. 8; ders., ZStW 96 (1984), S. 645; ders., FS Müller-Dietz, S. 702 f.; Schreiber, ZStW 94 (1982), S. 281; Schünemann, Funktion, S. 158; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 15; Streng, ZStW 101 (1989), S. 280; Weigend, Sanktionen, S. 199, 203; Zipf, Kriminalpolitik, S. 37. 55 Schmidhäuser, FS E.A. Wolff, S. 453. – Bereits Nagler, Strafe, S. 712 f. weist darauf hin, daß eine Strafgesetzgebung, in welcher der Staat als diesseitiges Organ der sittlichen Weltordnung agiere, „ein ganz anderes Aussehen“ haben müßte, „als es das von unseren Strafgesetzbüchern gelieferte und in unseren Systemen verarbeitete Material bietet“. 56 Vgl. H.-J. Albrecht, Perspektiven, S. 47 f.; Bemmann, JR 2003, S. 228; Calliess, FS Müller-Dietz, S. 111; Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 44; von Hirsch, Tadel, S. 101 f.; Hoerster, FG Weinberger, S. 226; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 729; Noll, FS H. Mayer, S. 229. 57 Hegel, Grundlinien, § 29 (Werke Bd. 7, S. 80).
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kobs hervorhebt, um die „Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung“58. Unterschiedlich sind lediglich die Begründungsmodelle, mit denen sie die erhaltungswürdigen Merkmale jener Ordnung auf den Begriff zu bringen suchen.59 Den Präventionstheorien zufolge ist das Strafrecht ein Instrument der je individuellen Interessenwahrung; vor diesem Hintergrund geht es dann darum, aus der durch die Straftat herbeigeführten suboptimalen Situation das im Hinblick auf das weitere soziale Leben Beste zu machen. Den retributiven Theorien zufolge dient das Strafrecht hingegen dazu, dem freiheitstheoretisch gebotenen Zustand wechselseitigen Respekts zwischen den Rechtsgenossen die nötige äußere Stabilität zu verleihen. In dieser Perspektive sind deshalb „Störung“ und „Wiederherstellung“ jenes Zustandes die normativ entscheidenden Kategorien.
b) Das sozialpsychologische und das kommunikationstheoretische Verständnis des Wiederherstellungsgedankens Hegel ist der erste, der diese konzeptionellen Bestandteile zu einer in sich geschlossenen Straftheorie verbindet. Ebenso prägnant wie dunkel bezeichnet er die Strafe als „die Wiederherstellung des Rechts“60: Das Verbrechen ist das Unvernünftige, und die Strafe stellt das Vernünftige wieder her. Sie ist somit kein Übel, sondern selbst Vernunft, also positiv definiert.61 Die Onto58 Jakobs, AT, 1 / 17. Ähnlich Jung, Sanktionensysteme, S. 24; Müller, Begriff, S. 17, 20 f.; Streng, Sanktionen, S. 7. – Bereits bei Merkel (vgl. dens., Lehre, S. 212) und im nachfolgenden „Schulenstreit“ (instruktiv insbesondere Nagler, Strafe, S. 101 ff., 548, 579, 733) war dies der Sache nach nicht anders; dazu Frommel, Präventionsmodelle, S. 104 ff., 113 ff. sowie Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 27 f. 59 Bereits Nagler, Strafe, S. 732 bezeichnet die „Unterstellungen, die Genugtuungsstrafe trage ihren Zweck in sich selbst“, als Übungen an einem „Phantom“. 60 Hegel, Grundlinien, § 99 (Werke Bd. 7, S. 187). 61 Neuere Darstellungen von Hegels Straftheorie: Kaiser, Widerspruch, S. 122 ff.; Klesczewski, Strafe, S. 232 ff.; Köhler, FS Lackner, S. 11 ff.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 76 ff.; Maultzsch, Jura 2001, S. 85 ff.; Merle, Straftheorie, S. 145 ff.; Mohr, Unrecht, S. 95 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 253 ff.; Schmitz, Legitimität, S. 116 ff.
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logie, die hinter dieser Äußerung wie hinter der gesamten Rechtsphilosophie Hegels steht,62 hat sich in der juristischen Diskussion niemals durchsetzen können.63 Sogar den strafrechtlichen Schülern des Philosophen wird sie rasch fremd.64 Die als „Hegelianer“ titulierten Autoren bedienen sich zwar noch der Terminologie von Hegels Straftheorie, verzichten aber zumeist darauf, sie näher zu erläutern.65 Andere Diskussionsteilnehmer weichen auf die Strategie aus, die Rede vom strafrechtlich erheblichen „Schaden“ und der durch die Strafe bewirkten „Wiederherstellung“ des Rechts ihres ontologischen Unterbaues zu entkleiden und sie auf ihr empirisch faßbares Substrat zu verkürzen.66 Exemplarisch sind insofern die Ausführungen Karl Theodor Welckers, der Hegels Begrifflichkeit als eine „Arzney der Worte“ abtut67 und aus dessen Feder die detaillierteste Wiederherstellungstheorie der Strafe stammt, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat.68 Welcker zufolge kann „die in der Vergangenheit liegende Schuld . . . für sich allein nicht Vernunftgrund der Strafe seyn“, denn auf Vergangenheit könne nicht gewirkt werden. Mit der Strafe müsse sich vielmehr „ein für die Zukunft nothwendiger Zweck verbinden, nämlich die aus der Schuld fortdaurende Störung für sie zu entfernen“69. Habe ein Mitglied der rechtlichen Verbindung das Rechtsverhältnis verletzt und demselben einen Schaden zugefügt, so sei es daher seine erste Rechtspflicht, „die Dazu Verf., Staat 41 (2002), S. 186 ff. Maiwald, Entwicklungen, S. 293. 64 Ebenso Frommel, Präventionsmodelle, S. 166 f.; Müller, Begriff, S. 290. 65 Vgl. Abegg, Strafrechtstheorien, S. 170; Berner, Lehrbuch, S. 29; Hälschner, Strafrecht, Bd. 2, S. 14 f.; Köstlin, Revision, S. 31 f.; ders., System, S. 2. 66 Zu Unrecht bagatellisiert Müller, Begriff, S. 202 die zwischen diesem Ansatz und der Lehre Hegels bestehende begründungstheoretische Kluft. 67 Welcker, Gründe, S. 210. 68 Zur Lehre Welckers und seiner Nachfolger Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 50 ff.; Gössel, Bedeutung, S. 225 ff.; Müller, Begriff, S. 163 ff.; Müller-Dietz, GA 1983, S. 485 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 23 ff.; Rückert, Verbrechensschaden, S. 60 ff.; Weber, Genugtuungsinteresse, S. 49 ff. 69 Welcker, Gründe, S. 193. 62 63
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dem rechtlichen Zustande und seinem eignen wahren rechtlichen Willen in ihren Folgen fortdaurend widerstreitende Störung möglichst wieder aufzuheben und gut zu machen, ohne welches er als unrechtliches Hinderniß des Rechts fortbestehen und in jedem Momente neu verletzen würde“70. Dies gelte für das Zivilwie für das Strafrecht gleichermaßen. „Wiederaufhebung des materiellen Schadens ist Gegenstand des Civilrechts, die des intellectuellen, sofern derselbe überhaupt in Betracht kommt, oder nicht durch die Wiederaufhebung des materiellen Schadens mit getilgt wird, Gegenstand des Criminalrechts.“ Nur im Gegenstand, keineswegs in den Rechtsgrundsätzen an sich, die überall dieselben seien, könne der Unterschied zwischen Zivil- und Kriminalrecht bestehen.71 Anders als der zivilrechtliche Schaden zielt der intellektuelle Verbrechensschaden nach Welcker „nicht auf gegenständliche Dinge in der Außenwelt, sondern auf Stimmungen, Gefühle, Absichten, Regungen, kurz: auf psychische Phänomene“ ab72. Dieser Schaden schließt eine Reihe von Teilkomponenten ein. Bei dem Straftäter selbst beweise das Verbrechen „einen Mangel . . . der für das Rechtsverhältniß nothwendigen Herrschaft der Vernunft, und inneren Ehre in ihm“73. Bei den anderen Bürgern erzeuge das Verbrechen „einen Mangel der nothwendigen Achtung und des Zutrauens zu dem Verbrecher“74 sowie „eine Verletzung und Störung ihres rechtlichen Willens, der Achtung und Achtungswürdigkeit des Rechtsverhältnisses überhaupt“75. Bei dem Verletzten selbst schließlich rufe das Verbrechen ein „Gefühl der Ehrenkränkung und der Rechtsverletzung“ hervor, das seiner „Achtung des Rechts“ abträglich sei76. Dieser gesamte Schaden müsse „durch Strafe aufgehoben werden“77. Der Aneinanderreihung der einzelnen Schadensposten korrespondiert bei Welcker 70 71 72 73 74 75 76 77
Welcker, Gründe, S. 249. Welcker, Gründe, S. 251. Weber, Genugtuungsinteresse, S. 48. Welcker, Gründe, S. 252. Welcker, Gründe, S. 252. Welcker, Gründe, S. 253. Welcker, Gründe, S. 257. Welcker, Gründe, S. 257.
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ein Konglomerat aus nicht weniger als „sieben gerechte(n) Strafzwecke(n)“: „1. moralische, 2. politische Besserung des Verbrechers, 3. Wiederherstellung der Achtung und des Zutrauens seiner Mitbürger gegen ihn, 4. Wiederherstellung der rechtlichen Willensstimmung bey den Bürgern überhaupt, ihrer sittlichen und politischen Achtung des Rechts, 5. Wiederherstellung der Ehre und Achtung des Beleidigten, 6. Wiederherstellung seiner rechtlichen Willensstimmung und 7. Reinigung des Staats von dem ganz verderblichen Mitgliede“78. Die ungeordnete Gemengelage, in der Welcker die von ihm anerkannten Strafzwecke beläßt,79 sowie der Zeitgeist, der auf einer strikten Trennung des Strafrechts vom Zivilrecht besteht,80 sorgen dafür, daß die Wiederherstellungslehre sich nie auf breiter Front durchsetzen kann. Jedoch ist der Wiederherstellungsgedanke seither in der straftheoretischen Auseinandersetzung präsent geblieben.81 In der aktuellen Diskussion wird er (ganz in Welckers Sinne) als Oberbegriff verwendet, mit dessen Hilfe sich begründen lasse, daß der Täter die Ausgleichung sowohl der Schäden des Opfers als auch der durch seine Tat bewirkten Rechtsfriedensstörung schulde.82 Auf ihn werden dementsprechend zum einen die Forderungen nach einer Lockerung der Trennung des Strafrechts vom Zivilrecht83 und nach einer Aufwertung des WiedergutmaWelcker, Gründe, S. 265 f. Zu Recht sprechen Müller-Dietz, GA 1983, S. 489 und Rückert, Verbrechensschaden, S. 120 von einem „synkretistische(n) Verfahren“. 80 Exemplarisch Binding, Normen, Bd. 1, S. 275 ff., 284 ff. 81 Für die ersten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts sei beispielhaft verwiesen auf Nagler, Strafe, S. 101 ff., 546 ff. sowie auf Frank, FG Heck, S. 49 ff. – Zuletzt hat sich J.-C. Wolf zugunsten eines Verständnisses der Strafe als Wiederherstellung eines gestörten Gleichgewichts ausgesprochen (J.-C. Wolf, Strafe, S. 199 ff.). 82 Zuletzt Weigend, FS Müller-Dietz, S. 987 f. 83 Eser, ZStW 104 (1992), S. 377; Jung, ZStW 93 (1981), S. 1154; Walther, Rechtsbruch, S. 218 ff.; Weigend, FS Müller-Dietz, S. 988. 78 79
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chungsinstrumentariums im Strafrecht84 bis hin zu der These einer „Abhängigkeit und Austauschbarkeit“ von Strafe und Schadensersatz85 gestützt. Zum anderen steht der Wiederherstellungsgedanke im Hintergrund der Auffassung, daß der Täter den „Ausgleich der durch die Tat herbeigeführten sozialpsychologischen Erschütterung der Rechtsautorität“ schulde und die Strafe eine Leistung zur Wiedergutmachung dieses ideellen Schadens86, mithin ein „an die Gesellschaft zu leistender Schadensersatz“ sei87. In dieser Lesart dient der Gedanke der Wiederherstellung vorrangig der normativen Untermauerung des Strafzwecks der positiven Generalprävention.88 Beide Anliegen sind in ihren Zielsetzungen zwar durchaus unterschiedlich, sie stimmen aber darin überein, daß sie die Vorgänge der „Schädigung“ und der „Wiederherstellung“ ausschließlich auf empirisch faßbare Größen beziehen. Wiederhergestellt werden soll entweder eine Güterordnung oder ein Stimmungsbild, nicht aber – wie Hegel es noch angenommen hatte – „das Recht“ als solches.89 Aber ist dies verwunderlich oder gar kritikwürdig? Welchen rational nachvollziehbaren Sinn soll die Rede von der Schädigung und der Wiederherstellung des Rechts außerhalb des spezifisch hegelianischen Kontextes schließlich auch haben? Gleitet eine solche Theorie nicht unweigerlich ins „Metaphysisch-Spekulative“ ab90, ja lebt sie in Wahrheit nicht einzig und allein vom „Zauber von Metaphern“91? Daß dem nicht so ist, 84 Beispielhaft Eser, ZStW 104 (1992), S. 382; Seelmann, ZEE 25 (1981), S. 53; Walther, Rechtsbruch, S. 250, 274. 85 Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 52. 86 Nowakowski, FS Rittler, S. 63. 87 Neumann, Kritik, S. 151; vgl. auch Henkel, Strafe, S. 12; Otto, AT, § 1 Rdn. 67; Würtenberger, FS Peters, S. 213. 88 Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 46 f.; Frister, Struktur, S. 85 ff.; Moos, FS Pallin, S. 302; Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 ff.; Reemtsma, Recht, S. 23 ff.; Streng, ZStW 101 (1989), S. 288; vgl. ferner Lampe, Strafphilosophie, S. 169, 200; Pielsticker, Revisionsfalle, S. 40. 89 Auch Hegels eigene Konzeption wird heute mitunter im generalpräventiven Sinne verstanden. In diesem Sinne bereits H. Mayer, FS Engisch, S. 77; umfassend sodann Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 22 ff. und zuletzt Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 281 ff., 287 ff. Berechtigte Kritik an dieser Interpretation bei Lesch, Verbrechensbegriff, S. 95 ff. 90 Haffke, Tiefenpsychologie, S. 77.
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sucht die neuere Lehre von der Straftat als einer „Normgeltungsverletzung“ und der Strafe als einer Normbestätigung nachzuweisen.92 Diese Auffassung ersetzt den Ontologismus Hegels durch einen kommunikationstheoretischen Zugang: Der Täter spreche der Norm die Bedeutung als verbindliche Regelung seines Verhältnisses zu seinem Opfer ab, die Strafe bekräftige die fortbestehende Maßgeblichkeit der Norm. Den Hintergrund dieser Lehre bildet der Befund, daß die Reaktionen auf ein unerwünschtes Ereignis ganz unterschiedlich ausfallen können. Sie können sich in Sicherungsmaßnahmen erschöpfen: Zum Schutz gegen ein gefährliches Tier, das aus seinem Zwinger ausgebrochen ist und nun die Gegend durchstreift, werden Fenster und Türen verrammelt. Die Reaktionen können aber auch in Vorwürfen an die Adresse desjenigen bestehen, der für den Eintritt des betreffenden Ereignisses verantwortlich gemacht wird: Dem Eigentümer des ausgebrochenen Tieres wird vorgehalten, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, daß der Bedeutungsgehalt der Reaktion mit dem Bedeutungsgehalt der Aktion korreliert, auf die sie sich bezieht. Die Reaktion antwortet auf die Aktion, und zu diesem Zweck muß sie in dasselbe Bedeutungssystem eingeordnet werden, anhand dessen die Aktion interpretiert wird.93 Als Gefahr bezeichnet man einen bestimmten Weltzustand, um zu begründen, daß Schutzmaßnahmen gegen ihn ergriffen werden müssen. Denselben Weltzustand als Resultat eines vorwerfbaren Verhaltens aufzufassen beinhaltet demgegenüber die Mißbilligung dieses Verhaltens. Der Grund dieser Mißbilligung (und damit auch der Gegenstand des gegen den Täter erhobenen Vorwurfs) kann freilich 91 In diesem Sinne Wolf, Verhütung, S. 74; sachlich übereinstimmend Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 46. 92 Grundlegend Jakobs, Norm, S. 98 ff.; ders., Strafbegründung, S. 135 ff.; ders., Straftheorie, S. 29 ff.; ders., Zurechnung, S. 57 ff.; ders., FS Saito, S. 765 ff. Im wesentlichen übereinstimmend: Frisch, Generalprävention, S. 140 f.; ders., FG BGH, Bd. IV, S. 278 f.; ders., FS MüllerDietz, S. 251 ff.; Lesch, JA 1994, S. 598 f.; ders., JA 2002, S. 608 f.; Maultzsch, Jura 2001, S. 92. – Der Terminus „Normgeltungsverletzung“ findet sich in: Jakobs, Strafbegründung, S. 135. 93 Jakobs, Zurechnung, S. 59.
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wiederum unterschiedlich beschaffen sein. Man kann das mißbilligende Urteil zum einen auf den Umstand stützen, daß der Täter irgendwelche Güter beschädigt hat. Aus diesem Vorwurf kann man jedoch nur die Forderung nach Schadensersatz ableiten; welchen Sinn soll es schließlich haben, auf die bereits erfolgte Rechtsgutverletzung eine weitere Rechtsgutverletzung folgen zu lassen?94 Wer das strafrechtliche Unrecht als Rechtsgutverletzung begreift, der kann einer retributiven Strafbegründung somit nichts abgewinnen; für ihn muß sie sich vielmehr als Befürwortung einer unvernünftigen Sequenz zweier Übel darstellen. Möglicherweise aber kann man das Unrecht der Tat auch in einem Substrat sehen, das eben die Reaktion Strafe als sinnvoll erscheinen läßt. Nach neuerer Auffassung kommt insofern nur der expressive Gehalt der betreffenden Tat als solcher in Betracht. Das Verbrechen stellt sich demnach nicht als ein anhand seiner äußeren Wirkungen identifizierbares Geschehen („Rechtsgutverletzung“), sondern als kommunikativer Akt dar – als „Abfall vom Recht, der die Geltung des Rechts in Frage stellt, der Norm Schaden zufügt“95. Der Behebung dieses Geltungsschadens diene die Strafe. Dieser Deutung zufolge läßt sich das Verhältnis von Strafunrecht und Straffolge mithin in „die gesellschaftlich selbstverständliche Sequenz von Rede und Antwort“ übersetzen.96 „Der Täter spricht gegen die Norm, die Strafe bestätigt die Norm“97. Zum Begriff der Strafe gehört dann nur, „das Verbrechen als Verbrechen zu bezeichnen“98. Die Strafe bringe zum Ausdruck, daß die Wirklichkeit der Gesellschaft durch die Straftat nicht verändert worden sei, die rechtlichen Regeln für die Qualifizierung eines Verhaltens als rechtmäßig oder rechtswidrig also unverändert fortgälten. Deshalb hat die Strafe in dieser Konzeption nicht einen Zweck, sondern sie ist selber Zweckerreichung, Frisch, FS Müller-Dietz, S. 252 f.; Lesch, JA 2002, S. 606. Frisch, FS Müller-Dietz, S. 253. 96 Jakobs, Strafbegründung, S. 136. 97 Jakobs, Strafbegründung, S. 135. – Dem steht die jüngst von Schmitz, Legitimität, S. 175 unternommene semiotische Begründung der Vergeltungstheorie nahe. Das Verbrechen ist danach ein Zeichen, auf das die Strafe repliziert. 98 Jakobs, Straftheorie, S. 32. 94 95
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nämlich Feststellung der unveränderten Wirklichkeit der Gesellschaft99 – „nicht weniger, aber auch nicht mehr“100. Konsequenterweise grenzen die Vertreter dieser Position sich von den Präventionstheorien ab. An die Normbestätigung mögen sich, wie Jakobs erläuternd ausführt, „sozialpsychologische Folgen mannigfacher Art knüpfen, und auf einige dieser Folgen – etwa darauf, daß rechtstreue Motivation weitgehend selbstverständlich wird – mag praktisch nicht verzichtet werden können, aber sie gehören so wenig zum Begriff der Strafe, wie ihr Gegenteil – nämlich eine psychische Desorientierung, ein allgemeines Lamento – zum Begriff der Straftat gehört“101. Kurzum: Der Begriff der Strafe müsse „von allen Beimengungen freigehalten werden, die sich beim Schielen auf die Antriebslage der Individuen aufdrängen“102; der motivationslenkenden Wirkung der Strafe komme lediglich der Status einer „latente(n) Funktion“ zu103.
c) Schwierigkeiten dieser Auffassungen Beide Deutungen des Wiederherstellungsgedankens, die sozialpsychologische ebenso wie die kommunikationstheoretische, sind Bedenken ausgesetzt. Was die Anknüpfung der Reaktionsform „Strafe“ an das erwähnte sozialpsychologische Legitimationsmodell betrifft, so läßt sie sich nur um den Preis von hochgradig idealisierenden Unterstellungen durchführen. Vor allem muß man voraussetzen, daß die Bürger in ihrer Mehrheit irritierende Verhaltensweisen psychisch anhand genau jener (häufig höchst subtilen) Wertungen verarbeiten, die der binnenrechtlichen Ana99 Jakobs, Norm, S. 106; ders., ZStW 107 (1995), S. 844; ders., Straftheorie, S. 36; ders., Zurechnung, S. 59; ders., FS Saito, S. 763. Ebenso Frisch, Generalprävention, S. 140 f.; ders., FG BGH, Bd. IV, S. 278 f.; Lesch, JA 1994, S. 598 f.; ders., JA 2002, S. 608 f.; Maultzsch, Jura 2001, S. 92. 100 Jakobs, Zurechnung, S. 60. 101 Jakobs, Zurechnung, S. 59. 102 Jakobs, Norm, S. 106; ebenso ders., Straftheorie, S. 40. 103 Jakobs, Selbstverständnis, S. 50; ders., FS Saito, S. 763. Ebenso Frisch, Generalprävention, S. 141; ders., FG BGH, Bd. IV, S. 278; Lesch, JA 1994, S. 599.
5 Pawlik
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lyse zugrunde liegen.104 Und selbst wer einen solchen Gleichklang der innerrechtlichen Zuständigkeitskriterien mit den Wertüberzeugungen der Bevölkerung als gegeben annimmt, hat damit noch lange keine exklusive Leistung der Strafe identifiziert. Eine sozialpsychologische Stabilisierungswirkung geht auch von anderen rechtlichen Reaktionen aus, sofern sie nur eindringlich genug ausfallen.105 Daß es insofern ausgerechnet der Strafe bedarf, läßt sich auf dem Wege der Psychologisierung also nicht hinlänglich begründen. Vergleichbare Schwierigkeiten scheint die kommunikationstheoretische Deutung nach sich zu ziehen. Wie will diese Auffassung die der Strafe eigene Verknüpfung einer die Normgeltung bestätigenden Erklärung mit einem Akt harter Behandlung erklären?106 Überspitzt gefragt: Warum sollte, wenn es nur um die Klarstellung geht, daß die Geltung der normativen Erwartungen weiterbestehe, „nicht eine diesbezügliche eindeutige Erklärung genügen?“107 Jakobs erwidert auf diesen Einwand mit dem Hin104 Tatsächlich bestehen häufig erhebliche Unterschiede zwischen den Bewertungsmaßstäben des Rechts und denen der Bevölkerung; am Beispiel der Verkehrsdelinquenz belegt dies Möllers-Oberrück, Soziale Welt 26 (1975), S. 188 ff. 105 Appel, Verfassung, S. 459; Ashworth, Generalprävention, S. 68 f.; Hirsch, ZStW 102 (1990), S. 538; ders., Zusammenfassung, S. 380; Hörnle / von Hirsch, Generalprävention, S. 87 f.; Lampe, Strafphilosophie, S. 75; Schmidhäuser, FS E.A. Wolff, S. 448; Stratenwerth, AT, § 1 Rdn. 27. – Einschränkend Frehsee, StV 1996, S. 229. 106 Zuletzt Hauschild, Generalprävention, S. 141 ff.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 67 f.; Puppe, FS Grünwald, S. 475; Kuhlen, Anmerkungen, S. 62; Schild, in: NK, § 20 Rdn. 59; Schünemann, FS Roxin, S. 15; ders., FS Lüderssen, S. 329 ff.; ders., FS Lampe, S. 552; Schumann, Generalprävention, S. 8 f. – Selbst Jakobs’ Schüler Müssig konzediert, mehr als die Notwendigkeit einer demonstrierenden Reaktion zur Normstabilisierung ergebe sich aus dem kommunikationstheoretischen Ansatz nicht (Müssig, Schutz, S. 145 f.). 107 Mir Puig, ZStW 102 (1990), S. 923. – Von manchen Vertretern eines im Kern „symbolischen“ bzw. „expressiven“ Verständnisses der Strafe wird diese von Mir Puig in kritischer Absicht in den Raum gestellte Konsequenz freilich ausdrücklich gutgeheißen. Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 83 zufolge verlangt die Bestrafung neben der öffentlichen Mißbilligung nicht noch ein gezieltes Übel. Auch nach Günther, FS Lüderssen, S. 219 läßt sich der symbolisch-expressive Gehalt der Strafe vollständig im öffentlichen und formalisierten Verfahren der Unrechtsund Schuldfeststellung ausdrücken. Walther, ZStW 111 (1999), S. 137
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weis, der Täter habe die Bedeutung seines Verhaltens nicht bloß symbolisch objektiviert; vielmehr habe er die äußere Welt der Personen bereits nach Maßgabe seiner Geltungsbehauptung gestaltet. „Bei dieser Lage würde die isolierte Erklärung, an die Tat sei nicht anzuknüpfen, schwächer objektiviert, als es die Tat selber ist“108. Diesem Argument Jakobs’ liegt die Anerkennung der begrifflichen Gleichrangigkeit des „handgreiflichen“ Objektivierungsmoments mit dem expressiven Moment der Strafe zugrunde:109 So unzureichend das alleinige Abstellen auf das äußerliche deliktische Geschehen unter Ausblendung von dessen kommunikativer Komponente sei, so unangemessen sei umgekehrt deren ausschließliche Betonung. Weshalb aber verdient der Gesichtspunkt der Objektivierung Beachtung? Jakobs’ Verweis darauf, daß der Täter immerhin die Welt in seinem Sinne gestaltet habe, kann als Begründung schwerlich ausreichen. Die normative Relevanz dieses Umstandes ist angesichts einer Straftheorie, deren Ausgangspunkt das Kommunikationsmodell von Rede und Gegenrede bildet, nämlich alles andere als selbstverständlich.110 Insgesamt läßt sich das Bedenken nicht gänzlich von der Hand weisen, Jakobs könnte in seinem Argument einen phänomenologischen Befund mit einer begrifflichen Analyse verschränkt haben. Wie läßt sich dieses Bedenken ausräumen? Nicht ans Ziel führt die Annahme, Jakobs trage mit seiner Aufwertung des Objektivierungsgedankens der Einsicht Rechnung, daß – in der Terminologie der modernen Sprachphilosophie gesprochen – zur semantischen die pragmatische Bedeutungsanalyse hinzutreten müsse. hält „empfindliche Gütereinbußen“ neben den „sprachlich-symbolischen Elemente(n) der Verurteilung“ nur „in besonders schwerwiegenden Fällen“ für erforderlich. 108 Jakobs, Straftheorie, S. 36; ebenso ders., Selbstverständnis, S. 50. 109 Entgegen einem Vorwurf Schünemanns, FS Lüderssen, S. 329 gibt Jakobs also nicht etwa die empirische Leidzufügung als notwendige Folge einer metasprachlichen Gedankenoperation aus. 110 Kritisch deshalb Hauschild, Generalprävention, S. 141 f.; vgl. ferner Puppe, FS Grünwald, S. 475 ff.; Schild, in: NK, § 20 Rdn. 59. Selbst Loos, der Jakobs’ Argument „sachlich einleuchtend“ findet, macht geltend, es stelle „vielleicht doch ein Zugeständnis an die Psychologie dar“ (Loos, ZStW 114 [2002], S. 670). 5*
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Nach dieser Lesart würde Jakobs – insoweit nicht viel anders als Hörnle (dazu oben 2.) – lediglich die sprachpragmatischen Rahmenbedingungen ausbuchstabieren, die erfüllt sein müssen, damit die normbestätigende Erklärung als ernsthaft gemeint verstanden wird. Ein mahnend erhobener Zeigefinger als Reaktion auf einen Mord hätte nicht die Bedeutung einer ernsthaften Bestätigung der Geltung des Mordverbots. Weshalb nicht? Weil das Publikum der Interpreten erwarte, daß zur Bestätigung der Geltung bestimmter zentraler Normen die Zufügung von Leid hinzugehöre.111 Der harten Behandlung käme in dieser Deutung mithin nur noch die Stellung eines konventionellen Symbols zu; sie würde strafbegrifflich gleichsam in die zweite Reihe abgedrängt. Mit Jakobs’ Ausgangsannahme von der eigenständigen Bedeutung des Objektivierungsmoments ist diese Konsequenz unvereinbar. Aussichtsreicher erscheint der Versuch, den von Jakobs aufgespannten Begründungsrahmen unter Rückgriff auf anerkennungstheoretische Kategorien auszufüllen. Der Terminus „Anerkennung“ hält einerseits an der Einsicht fest, daß der Respektierung ebenso wie der Verletzung und der Restituierung des Rechts ein spezifisches expressives Moment innewohnt: Nicht allein Rechtsgüter, sondern auch (und strafrechtlich sogar in erster Linie) Integritätsansprüche stehen auf dem Spiel.112 Andererseits distanziert sich der anerkennungstheoretische Ansatz von der durch den Begriff der Normgeltungsverletzung nahegelegten Vorstellung, das strafrechtliche Unrecht lasse sich abschließend als Verletzung einer rein ideellen Entität auffassen. Den Gegenstand der Anerkennung (und ihrer Vorenthaltung) bilden nicht Normen, sondern Verhältnisse realer (und daher materialisierter) Freiheit.113 Das „Reich der verwirklichten Freiheit“, als welches 111 In diesem Sinne wohl Müssig, Schutz, S. 145 f. – Nicht selten wird freilich angenommen, daß bei nicht allzu schweren Taten die Opfer und ihre Bezugspersonen ohnehin mehr an Wiedergutmachung als an der Bestrafung des Täters interessiert seien (Bemmann, JR 2003, S. 228; Jung, ZStW 93 [1981], S. 1159; Lüderssen, Analyse, S. 39; Roxin, FS Gagnér, S. 355; Sessar, GS H. Kaufmann, S. 381 ff.; ders., BewHi 1980, S. 335 f.; Stehr, Konfliktregelung, S. 115 ff.; Steinert, Gerechtigkeit, S. 350 ff.; Weigend, Deliktsopfer, S. 404). Differenzierend H.-J. Albrecht, Perspektiven, S. 67 ff.; kritisch Miehe, Ende, S. 266. 112 Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 259.
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe?
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Hegel das Recht gilt114, erscheint in dieser Perspektive als ein „gesetzlich wirkliches Anerkennungsleben“115.
d) Das anerkennungstheoretische Modell und seine Probleme Repräsentativ für die philosophische Diskussion zum Thema „Anerkennung“ ist die Begriffsbestimmung Bubners. Danach heißt Anerkennung „die aus freien Stücken einem Gegenüber erbrachte Einräumung einer Stellung, die derjenigen Position gleich gilt, von welcher die Anerkennung ausgeht“116. Den Gesichtspunkt der Wechselseitigkeit stellt auch E.A. Wolff, der gemeinsam mit seinen Schülern das anerkennungstheoretische Denken in das Strafrecht eingeführt hat, in den Mittelpunkt seiner Begriffsbestimmung. Nach Wolff bedeutet Anerkennen „jene Art produktiven Erkennens, das in dem Erkannten das Begründende der Erkenntnis wiederfindet, und dieses sich deswegen nicht unterwerfend zueignen kann“117. Das so konstituierte vernünftige Verhältnis zum anderen sei ein „gegenseitiges Anerkennungsverhältnis“118. Das Recht ist zwar bei weitem nicht das einzige, es ist aber ein besonders bedeutsames Anerkennungsverhältnis. Deshalb lautet in der Formulierung Kahlos der rechtliche Imperativ: „Handle mit Bezug auf Andere stets so, daß du den Anderen durch dein Handeln als eine dir im Hinblick auf die Fähigkeit zu selbstorientierter Lebensführung gleiche Rechtsperson anerkennst“119. Wer dieses Gebot mißach113 Diesen Zug des Anerkennungsdenkens vernachlässigt die jüngst von Loos geäußerte Befürchtung, daß ein anerkennungstheoretischer Ansatz über formale Aussagen nicht hinauskomme (Loos, ZStW 114 [2002], S. 663). 114 Hegel, Grundlinien, § 4 (Werke Bd. 7, S. 46). 115 Schild, Anerkennung, S. 70. 116 Bubner, FS Cramer, S. 61. – Als die philosophischen Väter des Anerkennungsdenkens gelten Fichte und (der Jenaer) Hegel. Zu Fichte: Bubner, FS Cramer, S. 62 ff.; Janke, Anerkennung, S. 95 ff.; Wildt, Autonomie, S. 259 ff. Zu Hegel: Siep, Anerkennung, passim; Schild, Anerkennung, S. 59 ff.; Wildt, Autonomie, S. 287 ff. 117 E.A. Wolff, Abgrenzung, S. 182. 118 E.A. Wolff, Abgrenzung, S. 182.
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III. Vergeltung durch Strafe?
tet und das Anerkennungsverhältnis verletzt, der begeht ein Unrecht. Dies alles bewegt sich freilich noch auf einer systematischen Ebene oberhalb der Straftheorie; es sind allgemeine rechtsphilosophische Kategorien, die hier vorgestellt werden. Wolffs Äußerungen über die besondere Qualität des kriminellen Unrechts fallen weitaus weniger überzeugend aus. Eingangs erweckt Wolff den Anschein, als stehe das Kriminalunrecht zu dem (nur) privatrechtlichen Unrecht in einem rein quantitativen Steigerungsverhältnis: Die kriminelle Handlung sei „eine besonders schwere Verletzung des gegenseitigen, rechtlich konstituierten Anerkennungsverhältnisses“120. Dies wirft beim Leser – ganz abgesehen von den Bedenken im Hinblick auf die Unbestimmtheit dieser Formel – allerdings sogleich die Frage auf, wie denn ein rein quantitatives Unrechtsplus eine qualitativ andersartige Reaktion soll legitimieren können. An späterer Stelle präzisiert Wolff seinen Abgrenzungsvorschlag: Verbrechen sei eine solche Anerkennungsverletzung, „auf die der Einzelne sich nicht so einstellen kann, daß er sie in einem selbstorientierten Leben aus eigener Kraft zu bewältigen vermag“121. Auch diese Definition befriedigt aber nicht. Soll beispielsweise ein Straftatbestand nur deshalb entfallen, weil der angerichtete Schaden so gering ist, daß das Opfer in seiner Lebensbahn dadurch nicht nennenswert beeinträchtigt wird? Und soll Gleiches auch bei höheren Schäden gelten, sofern nur das Opfer sich gegen diese Folge hätte versichern können? Diese Beispiele illustrieren: Zur Ermittlung von Kriminalunrecht allein auf die Person des Geschädigten – seine Reaktionsmöglichkeiten, die Konsequenzen für seine Lebensführung – abzustellen ist ebenso einseitig wie die der negativen Generalprävention eigene Fokussierung auf die Person des Täters. Auch die Kennzeichnung der anerkennungstheoretisch gebotenen Unrechtsreaktion bleibt bei Wolff unterbestimmt. Er umschreibt sie als „angemessene(n) Ausgleich schuldhafter Tat“122. Dies ist freilich eine Formulierung, die nicht nur auf die Strafe, 119 120 121 122
Kahlo, Problem, S. 218. E.A. Wolff, Abgrenzung, S. 140. E.A. Wolff, Abgrenzung, S. 212. E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 825.
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe?
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sondern auch auf den zivilrechtlichen Schadensersatz angewendet werden kann. Weshalb gerade die Strafe das anerkennungstheoretisch gebotene Reaktionsmittel sein soll, bleibt auch bei Wolff unklar.123 Erneut bricht die anerkennungstheoretische Analyse hier oberhalb der Straftheorie ab; sie verbleibt auf der Ebene allgemeiner rechtsphilosophischer Kategorienbildung. Damit aber nicht genug. Zweifel bestehen sogar daran, ob Wolffs Definition jedenfalls auch die spezifische Reaktionsform der Strafe abdeckt. Wolff kennzeichnet das verletzte (und deshalb der Wiederherstellung bedürftige) Anerkennungsverhältnis als ein solches, das zwischen Täter und Opfer besteht („gegenseitiges Anerkennungsverhältnis“). Es behalte trotz seiner Versachlichung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und der daraus resultierenden „erhöhten Allgemeinheit“ einen „personalen Bezug“124. Die Strafe wird aber nicht namens des Opfers und auch nicht mit dem Ziel der Restituierung von dessen Interessen, sondern namens der Allgemeinheit verhängt. Sie hat, wie Höffe bemerkt, „einen Mehrwert, der dem Opfer nicht zusteht“125. Die durch die Strafe etwa bewirkte Heilung kommt also nicht dem nach Wolffs Darstellung verletzten Anerkennungsverhältnis zugute, sondern einer dritten Instanz. Weshalb aber sollte diese auf der Basis von Wolffs Konstruktion überhaupt einen Ausgleichsanspruch besitzen? Aus diesen Gründen muß Wolffs Vorhaben einer anerkennungstheoretischen Strafbegründung insgesamt als gescheitert angesehen werden. Wolffs Schüler Köhler hat zahlreiche der Gedanken seines Lehrers aufgegriffen und fortentwickelt. Wie sich zeigen wird, gelingt es ihm aber ebenfalls nicht, der Vergeltungstheorie der Strafe eine Fassung zu geben, die den vorstehenden Bedenken 123 Hörnle, Strafzumessung, S. 104 f.; Schünemann, FS Lüderssen, S. 330 f. 124 E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 819. – Noch nachdrücklicher unterstreicht Harzer diesen „personalen Bezug“. Das „Rechtsverhältnis des Verbrechens“ ist für sie ein „Verhältnis aufgehobener Selbständigkeit“ des Opfers (Harzer, Selbständigkeit, S. 43). – Kritisch zu der Deutung des Verbrechens als einer Verletzung intersubjektiver Anerkennung Merle, Straftheorie, S. 153 sowie Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 254. 125 Höffe, Proto-Strafrecht, S. 329.
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III. Vergeltung durch Strafe?
standhält. Ebenso wie Wolff versteht auch Köhler das Recht „im Ausgang von freier Subjektivität“, und zwar näherhin als den „Inbegriff von autonom gesetzten Normen äußeren Handelns in wechselseitig-allgemeingültiger Eröffnung und Einschränkung personalen Freiheitsdaseins“126. Wolffs Unterscheidung zwischen privatrechtlichem Unrecht und Kriminalunrecht ersetzt Köhler in Anlehnung an Hegel127 durch die Unterscheidung zwischen unbewußt-unbefangenem Unrecht und Verbrechen. Im Fall des unbefangenen Unrechts werde das Opfer zwar um einzelne „Daseinsbesonderheit(en)“ seiner äußeren Freiheit gebracht;128 dies geschehe aber „aus Unkenntnis der je spezifischen Normkategorie oder ihrer faktischen Anwendungsbedingungen“129. Durch ein Verbrechen hingegen negiere der Täter „die autonome Rechtssubjektivität des anderen, seine für die intersubjektiv äußere Freiheit mitkonstitutive An-sich-Zweckhaftigkeit – oder mit einem fichteschen Terminus: das Anerkennungsverhältnis“130. Zwar konzediert Köhler durchaus, daß das Verbrechen auch das Allgemeininteresse an gesicherter Normgeltung beeinträchtigt. Die von dem Delinquenten in die Welt gesetzte Handlungsmaxime tendiere „praxislogisch“ dazu, sich zu verallgemeinern, würde sie nicht ihrerseits praktisch aufgehoben.131 Köhler drängt dieses Moment aber in die legitimationstheoretisch zweite Reihe ab, „damit nicht eine objektivistische Verselbständigung von Bestimmungen, welche der subjektiven Vernunft transzendent sind, unterläuft“132. Im Kern begreift damit Köhler nicht anders als Wolff das Verbrechen als ein intersubjektives Geschehen: „Die negative Existenz des Verbrechens – sein spezifisches Unrecht – besteht also in einer subjektiv-objektiven Bedeutungseinheit: Negation der besonderen äußeren Freiheit des anderen (anderer), darin substantiell seiner autonomen Selbstzweckhaf126 127 128 129 130 131 132
Köhler, ZStW 104 (1992), S. 15. Vgl. Hegel, Grundlinien, §§ 84, 95 (Werke Bd. 7, S. 174, 181 f.). Köhler, Begriff, S. 47. Köhler, Begriff, S. 28. Köhler, Begriff, S. 47. Köhler, Begriff, S. 32, vgl. auch S. 49. Köhler, Begriff, S. 55.
3. Wiederherstellung des Rechts durch Strafe?
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tigkeit, eben durch die Selbstnegation des Handlungssubjekts als autonom Anerkennenden“133. Köhlers Verständnis der Strafe ist damit vorgezeichnet. Strafe bedeute „verallgemeinernde gleiche Rechtsverhältnisrestitution im Verhältnis äußerer Freiheit (zu anderen)“134; in der Strafe vollziehe sich demzufolge die „Wiederherstellung von rechtlicher Intersubjektivität“135. Mit diesem Verständnis der Strafe aber setzt Köhler sich dem gleichen Einwand aus wie zuvor Wolff. „Warum reicht es nicht aus, dem Täter die Beseitigung des materiellen Schadens aufzugeben, ihn unter Umständen im Rahmen seiner Möglichkeiten zu dieser Kompensation zu zwingen und diesen Akt als Wiederherstellung zu begreifen?“136 Inwiefern soll die Sanktion „Strafe“, die namens der Allgemeinheit verhängt wird und zur Heilung der Wunden des konkreten Opfers nichts beiträgt, dessen intersubjektives Rechtsverhältnis zum Täter wiederherstellen können? Darüber hinaus ist auch die Leistungsfähigkeit von Köhlers intersubjektiv fundiertem Verbrechensbegriff zweifelhaft. Köhler selbst räumt ein, daß die Strafwürdigkeit einer Deliktsart auch von der Häufigkeit ihrer Begehung abhänge. Nehme eine bestimmte Deliktsart unverhältnismäßig-spektakulär zu, so erhöhe dies ihr Gewicht, „insofern die relativ stabil gewährleistete Geltungsallgemeinheit des betreffenden Gutes in der betreffenden Hinsicht in relativ umfassender, weitergehender Allgemeinheit negiert ist“137. Diese Erwägung ist im Ergebnis durchaus überzeugend.138 Wie aber soll die Zurechnung der infolge fremder Taten generell erhöhten Geltungsunsicherheit einer bestimmten Norm zur Tatschuld eines einzelnen innerhalb eines im Kern intersubjektivistischen Begründungsmodells einsichtig gemacht werden? Setzt die Bejahung einer solchen Zurechnung nicht vielmehr die Annahme einer spezifisch staatsbürgerlichen Verantwortung des betreffenden Delinquenten für das „Allgemeine“ 133 134 135 136 137 138
Köhler, Begriff, S. 48 f. Köhler, Begriff, S. 51. Köhler, Begriff, S. 55. Hoffmann, Verhältnis, S. 172. Köhler, Zusammenhang, S. 54 f. Näher dazu unten IV.3.
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III. Vergeltung durch Strafe?
voraus – eine Annahme, welche freilich die Grenzen des Intersubjektivismus sprengen würde?139 In einem Wort: Dementiert hier nicht Köhler selbst die Leistungsfähigkeit seines Verbrechensverständnisses? Auch Köhlers Version einer intersubjektivistischen Verbrechens- und Strafbegründung kann somit nicht überzeugen. Dies diskreditiert freilich nicht den anerkennungstheoretischen Ansatz als solchen. Es lehrt aber eines: Wenn man den Vergeltungsgedanken anerkennungstheoretisch fundieren will, so muß man ihn in einem Anerkennungsverhältnis jenseits der Intersubjektivität verankern.
139 Kritisch zur Vernachlässigung der institutionellen Ebene bei Köhler auch Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 319.
IV. Strafe als Wiederherstellung des Rechts als Recht 1. Mehrdeutigkeit des Anerkennungsbegriffs Bereits ein flüchtiger Blick auf außerrechtliche Alltagserfahrungen lehrt, daß es die Anerkennung ebensowenig gibt wie die Anerkennungsverletzung.1 Das gleiche distanzierte Verhalten, das wir als völlig angemessen ansehen, solange es von einem Fremden an den Tag gelegt wird, empfinden wir als kränkend, ja als verächtlich, wenn es von jemandem stammt, den wir bislang als Freund betrachtet haben. Für das Recht, vor allem das Strafrecht, gilt prinzipiell nichts anderes. Zwei äußerlich identische Rechtsgutverletzungen können unter Anerkennungsgesichtspunkten ganz Verschiedenes bedeuten, je nach der Beschaffenheit der Rechtsbeziehung, innerhalb derer sie erfolgen. Wenn beispielsweise ein Garantenpflichtiger seinem Schützling die erforderliche Hilfe versagt, so hat dies eine völlig andere strafrechtliche Relevanz als wenn ein Außenstehender sich so verhält. Aber auch ein und dasselbe strafrechtliche Geschehen mit dem Oberbegriff der zurechenbaren Pflichtverletzung2 kann auf unterschiedlichen Deutungsebenen thematisiert werden: als ungerechtfertigte Schmälerung eines fremden Handlungspotentials, als Mißachtung eines fremden Lebensentwurfs und schließlich als Verletzung der Bürgerpflicht zur Mitwirkung an der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Friedensordnung. In lockerer Anknüpfung an die Terminologie Hegels seien diese verschiedenen Typen der Anerkennungsverletzung hier als das Unrecht der Person, das Unrecht des Subjekts und das Unrecht des Bürgers 1 Auch in der neueren philosophischen Diskussion wird die Existenz unterschiedlicher „Sphären“ bzw. „Kontexte“ der Anerkennung herausgestellt (repräsentativ Honneth, Kampf, S. 148 ff.; Forst, Kontexte, S. 413 ff.). 2 Vgl. Hruschka, JZ 1985, S. 9.
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IV. Strafe als Wiederherstellung des Rechts als Recht
bezeichnet. Ihre normative Struktur wird unter 2. am Beispiel der Verletzung von Individualrechtsgütern näher erläutert.3 Die Überlegungen unter 3. widmen sich sodann der Frage, welche Reaktion auf die genannten Unrechtsformen jeweils angemessen sind. Es wird gezeigt, daß die Strafe ein Unrecht des Bürgers sanktioniert. Auf Kosten des Täters bestätigt sie die Unauflöslichkeit des Zusammenhanges von Freiheitsgenuß und Loyalitätspflichterfüllung. Dadurch erbringt die Strafe einen unverzichtbaren Beitrag zur Wiederherstellung der vom Täter angegriffenen Rechtsordnung als einer Daseinsordnung der Freiheit.
2. Das Unrecht der Person, des Subjekts und des Bürgers a) Personale und subjektbezogene Zurechnung Die systematisch grundlegende, da voraussetzungsärmste Stufe der Thematisierung strafrechtlich geschützter Freiheit ist nach der Analyse Hegels diejenige, die man als das Recht der Person bezeichnen kann. „Als Person bin ich“ nach Hegel „unmittelbar Einzelner“4. Ich verstehe mich als ein „vollkommen abstrakte(s) Ich“5, als Inbegriff der „absolute(n) Möglichkeit, von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu können“6. Indem ich all das, was mich als diesen Bestimmten ausmacht, als kontingent behandle, weiß ich mich in der Endlichkeit meiner leiblichen Existenz „als das Un3 Vorbereitende Überlegungen zu dieser Differenzierung finden sich in: Verf., Notstand, S. 306 ff.; ders., GA 2003, S. 14 ff.; ders., Theorie, S. 299 ff., 305 ff. – Im Unterschied zu der Intention Honneths (vgl. dens., Kampf, S. 150) wird hier nicht beansprucht, eine erschöpfende Phänomenologie der Anerkennung zu liefern. Anerkennung ist nicht ausschließlich, ja nicht einmal primär ein Thema des (Straf-)Rechts. Zu den Aufgaben des Strafrechts gehört es beispielsweise nicht, die von Honneth, Gerechtigkeit, S. 187 eingeforderte Anerkennung des anderen als eines Individuums zu gewährleisten, „dessen Bedürfnisse und Wünsche für eine andere Person von einzigartigem Wert“ und dessen Fähigkeiten zudem „von konstitutivem Wert für eine konkrete Gemeinschaft sind“. 4 Hegel, Grundlinien, § 47 (Werke Bd. 7, S. 110). 5 Hegel, Grundlinien, § 35 A (Werke Bd. 7, S. 93). 6 Hegel, Grundlinien, § 5 A (Werke Bd. 7, S. 50).
2. Das Unrecht der Person, des Subjekts und des Bürgers
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endliche, Allgemeine und Freie“7. Kraft dieses Verständnisses meiner selbst, dieser Weigerung, mich auf eine konkrete Identität festzulegen, erscheint mir die ungeschmälerte Erhaltung des Handlungspotentials, das mir aus der Inhaberschaft an meinen Rechtsgütern erwächst, als ein Wert an sich.8 Dementsprechend geht meine Forderung an die anderen Personen dahin, sie mögen meinen Rechtskreis nicht beschädigen, sich also aller Organisationsanmaßungen enthalten.9 Das Grundgebot des Rechts der Person lautet daher: „sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“10. Gegen dieses Gebot verstößt, ein Unrecht der Person begeht also derjenige, der das rechtlich geschützte Handlungspotential eines anderen in einer ihm objektiv zurechenbaren Weise schmälert.11 Für eine liberal geprägte Strafrechtsordnung ist die Forderung, das in diesem Sinne verstandene Recht der Person zu respektieren, schlechthin grundlegend.12 Dennoch ist – wie wiederum Hegel zeigt – ein Wille, der sich allein über seine Fähigkeit bestimmt, sich aus allen Bestimmtheiten zurückziehen zu können, etwas Einseitiges und daher Mangelhaftes.13 Das Alltagsverständnis gibt Hegel darin uneingeschränkt recht: Das Pathos der Distanz taugt nicht als genereller Lebensstil;14 Buridans Esel mußte verhungern, weil er sich nicht dazu durchringen konnte, seine Optionen nach einer bestimmten Richtung hin zu aktualisieren. Der abstrakte Wille der Person muß sich deshalb – nochmals mit Hegel gesprochen – zur „Selbstbestimmung der SubjekHegel, Grundlinien, § 35 (Werke Bd. 7, S. 93). Mit Jakobs, Begriff, S. 65 kann man auch formulieren, die Person sei der betreffende Organisationskreis. 9 Vgl. Jakobs, Begriff, S. 65. 10 Hegel, Grundlinien, § 36 (Werke Bd. 7, S. 95). 11 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 67 ff. hat eingehend gezeigt, daß dies eine Pflicht ist, die nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch das Unterlassen der Neutralisierung von zurechenbar geschaffenen Gefahren verletzt werden kann. 12 Dazu näher Verf., Verhalten, S. 41 f.; ders., Notstand, S. 14 ff. 13 Hegel, Grundlinien, § 6 A (Werke Bd. 7, S. 52). 14 Zu Recht bemerkt Spaemann, Personen, S. 232: „Als frei erleben wir uns ja am meisten dann, wenn wir uns mit uns selbst so identifizieren können, daß die Möglichkeit der Distanzierung zu einer ganz abstrakten, entfernten Möglichkeit herabsinkt“. 7 8
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IV. Strafe als Wiederherstellung des Rechts als Recht
tivität“ fortbilden15. Erst das Subjekt führt sein Leben:16 Darauf bedacht, einem Ensemble verstreuter Einzelhandlungen Zusammenhang und Sinn zu verleihen, gibt das Subjekt seinem Leben eine spezifische Gestalt, schafft es sich eine biographische Identität.17 In hegelianischer Diktion kann man deshalb sagen: Die Freiheit des Subjekts ist konkreter als die Freiheit der Person. Oder kürzer: Das Subjekt ist die Wahrheit der Person. Auch das Subjekt kann grundsätzlich verlangen, daß sein Rechtskreis respektiert werde. Zur Begründung dafür ist das Subjekt aber nicht mehr darauf angewiesen, die Erhaltung seines Handlungspotentials zu einem Wert an sich zu stilisieren. Das Subjekt kann vielmehr darauf verweisen, daß sich in seiner Rechtskreisorganisation sein konkreter Lebensentwurf manifestiere und daß es diesem Lebensentwurf gegenüber Achtung verlangen könne. Aus diesem Bedeutungsgehalt des Rechts des Subjekts ergibt sich e contrario der spezifische Charakter des Unrechts des Subjekts. Ein Unrecht diesen Typs schneidet bildlich gesprochen tiefer in den Anerkennungsanspruch des Opfers ein als ein (bloß) personales Unrecht: Es handelt sich um die (auch) subjektiv zurechenbare Kundgabe der Mißachtung gegenüber dem Lebensentwurf des Opfers.18 Einen fremden Lebensentwurf zu mißachten heißt in einer Gesellschaft, die von der Gleichwertigkeit aller Subjekte und damit auch ihrer Lebensentwürfe ausgeht: den fremden Lebensentwurf als zur Disposition des eigenen stehend, gleichsam als Verfügungsmasse der eigenen Planungen zu behandeln. Die Voraussetzungen der Zurechnung zum Subjekt sind dementsprechend deutlich höher als diejenigen der Zurechnung zur Person. So braucht die Person lediglich die Fähigkeit zur Vermeidung jener Vgl. Hegel, Grundlinien, § 104 A (Werke Bd. 7, S. 199). Vgl. Gehlen, Mensch, S. 165. – Dies impliziert nicht die rigoristische Forderung, das eigene Leben einem einzigen Sinnbezug unterzuordnen; es genügt, sein Leben als einen „narrativen“ Zusammenhang darstellen zu können, dessen einzelne Teile als Ausdruck der reflektierten Stellungnahme ein und derselben Person erscheinen. (Grundlegend zur Figur der „narrativen Identität“ Ricoeur, Zeit, Bd. 1, S. 87 ff., Bd. 3, S. 15 ff.; ferner Meuter, Identität, S. 122 ff.; Kramer, Lebensgeschichte, passim.) 17 Vgl. Schild, in: AK, Vor § 13 Rdn. 54 f. 18 Verf., Notstand, S. 307 f.; ders., GA 2003, S. 15. 15 16
2. Das Unrecht der Person, des Subjekts und des Bürgers
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Handlung aufzuweisen, die ein objektiver Betrachter als verantwortlich für die Beeinträchtigung des fremden Rechtskreises identifiziert.19 Hingegen muß das Subjekt konstitutionell dazu in der Lage sein, ein normatives Urteil – im konkreten Fall das konkludente Urteil über die Minderwertigkeit des fremden Lebensentwurfs – abzugeben. Kinder und Geisteskranke vermögen dies nicht. Weil das Strafrecht sie für konstitutionell unfähig erachtet, ihr Handeln an „Normsinngehalten“20 auszurichten, erreichen sie erst gar nicht die Ebene der strafrechtlich relevanten Kommunikation über die Geltung der betreffenden Normen. Folglich können sie diese durch ihr Verhalten auch nicht desavouieren.21 In solchen Fällen kann man auch nicht sagen, es bleibe dann immerhin bei einem Unrecht der Person. Die Zurechnung zum Subjekt ist nämlich keine bloße Ergänzung der Zurechnung zur Person, sondern – wie vorstehend formuliert worden ist – deren „Wahrheit“: Sie bringt die freiheitstheoretische Intention, die bereits der personalen Zurechnung zugrunde lag, vollständiger und insofern angemessener zum Ausdruck als diese. Wer kein subjektiv zurechenbares Unrecht begeht, der begeht mithin überhaupt kein kriminalrechtlich relevantes Unrecht. Dies schließt natürlich die Zulässigkeit einer Verteidigung gegen seine Handlungen und eine mit Blick auf diese Befugnis vorgenommene Titulierung der betreffenden Handlungen als rechtswidrig nicht aus.22 Derartige Verteidigungsmaßnahmen können aber der Sache nach nur als Akte der (unter der Herrschaft des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stehenden) Gefahrenabwehr legitimiert werden.23 Verglichen mit der vorangegangenen Erörterungsstufe des Rechts der Person gestattet die Einbeziehung des Rechts des Subjekts eine inhaltlich anspruchsvollere – in Hegels Terminologie: eine konkretere – Deutung der Idee rechtlicher Freiheit. Dennoch weist auch diese Deutungsebene noch ein spezifisches DefiVerf., GA 2003, S. 13 f. Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 241. 21 Freund, in: MünchKomm, Vor §§ 13 ff. Rdn. 215; Frisch, Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 241 ff.; Jakobs, AT, 18 / 1, 5; ders., Schuldprinzip, S. 30 f.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 216 f.; ders., JA 2002, S. 610. 22 Näher dazu Verf., Notstand, S. 317 f.; ders., GA 2003, S. 18. 23 Vgl. Verf., ZStW 114 (2002), S. 275 f. 19 20
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IV. Strafe als Wiederherstellung des Rechts als Recht
zit auf. Nicht anders als das Recht der Person thematisiert nämlich auch das Recht des Subjekts die Bedeutung rechtlicher Beziehungen (und demnach auch rechtlicher Konflikte) ausschließlich aus der Warte der unmittelbar an ihnen Beteiligten. Dies hat einschneidende Konsequenzen. So läßt sich aus dieser Perspektive die (sei es rechtfertigende, sei es entschuldigende) Entlastungswirkung des Aggressivnotstandes nicht hinlänglich begründen. Immerhin degradiert der Aggressivnotstandstäter die Güter eines „unschuldigen“ Mitsubjekts auf den Status von Hilfsmitteln zur Rettung seines eigenen Lebensplans. Unter der Herrschaft einer konsequent subjektbezogenen Betrachtungsweise muß einem solchen Verhalten die konkludente Behauptung des Täters entnommen werden, die fremde Lebensplanung, in die er gewaltsam einbricht, sei weniger erhaltenswert als seine eigene. In eben dieser Behauptung aber besteht nach dem soeben Ausgeführten das Unrecht des Subjekts. Auch die Privilegierung des asthenischen Affekte in § 33 StGB läßt sich mit den Begründungsressourcen der Zurechnung zum Subjekt nicht einsichtig machen. Nach diesem Zurechnungsmodell kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter in seiner Qualität als Subjekt von dem ihm in seiner Eigenschaft als Person zurechenbaren Unrecht distanziert werden kann oder nicht. Bezogen auf die Regelung des Notwehrexzesses hieße dies: Ein Handeln aus Furcht müßte in einem geringeren Maße die Subjektivität des Täters zum Ausdruck bringen als ein Handeln aus Wut. Diese Annahme läßt sich schwerlich verteidigen. Der eine Täter hat ein eher defensives Verhaltensrepertoire herausgebildet, der andere ein eher aggressives. Beide sind sie so, wie sie sind, und beide gehen sie deshalb in gleicher Weise als Subjekte in ihre Taten ein. Nicht auf die Art des Affekts dürfte es daher nach der subjektorientierten Begründungslogik ankommen, sondern auf das Ausmaß der Fähigkeit zur Affektbeherrschung. § 33 StGB trifft, wie erwähnt, eine andere Regelung. Dies sind Fälle, in denen eine konsequente Zurechnung zum Subjekt dem Täter gewisse gesetzlich vorgesehene Entlastungsmöglichkeiten versagen würde. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen dieser Zurechnungsmodus dem Täter in einem über
2. Das Unrecht der Person, des Subjekts und des Bürgers
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die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Umfang die Möglichkeit eröffnen würde, sich zu seiner Entlastung auf sein individuelles So-sein zu berufen. Ein Gewissenstäter zum Beispiel könnte auf ihrer Grundlage kein strafrechtlich relevantes Unrecht mehr begehen. Innerhalb seines individuellen Bewertungssystems erscheint sein Tun ja nicht als eine spezifische Mißachtung seines Opfers. Im Gegenteil: Er handelt nach Maßgabe einer Maxime, von der er sich wünscht, daß sie allgemein übernommen werde. Gleiches gilt im Ergebnis für denjenigen, der einem Verbotsirrtum erliegt, weil er es sich zum Grundsatz gemacht hat, sich um neue gesetzliche Regelungen nicht zu kümmern. Er könnte geltend machen, daß seine Tat einem generellen, auch für ihn selbst nicht ungefährlichen Lebenszuschnitt entspringe und nicht eine Mißachtung (ausgerechnet) des Geschädigten zum Ausdruck bringe. Die letztgenannten Beispiele zeigen, daß ein konsequent subjektbezogenes Zurechnungsmodell die Verwirklichung der vom Recht erstrebten Ordnung in einem nicht unerheblichen Maße dem Belieben der einzelnen rechtsunterworfenen Subjekte überantworten würde.24 Damit ist nur scheinbar ein Zugewinn an Freiheit verbunden. Tatsächlich erwächst dem einzelnen die Chance, das eigene Leben auf einen selbstgesetzten Sinn hin zu entwerfen und es planvoll zu führen, nur dann, wenn er innerhalb eines Zustandes allgemein gesicherter Rechtlichkeit lebt.25 Außerhalb eines solchen Zustandes ist nach einer berühmten Formulierung des Hobbes das Leben „einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz“26. Eine Rechtsordnung, die einen allgemeinen Gewissensvorbehalt anerkennt oder die es ihren Adressaten überläßt, ob sie den Inhalt ihrer Normen zur Kenntnis zu nehmen geruhen oder nicht, wird das freiheitstheoretisch erforderliche Maß an Stabilität schwerlich erreichen.27 Nach Hegel kann deshalb die strafrechtliche Zurechnung nicht bei dem stehenbleiben, „was einer So Rudolphi, JBl 1981, S. 292 mit Blick auf den Gewissenstäter. Dazu Verf., ZStW 111 (1999), S. 345 ff. 26 Hobbes, Leviathan, 13. Kapitel (S. 96). 27 Eindringlich Lesch, JA 1996, S. 609, an dessen Ausführungen sich die folgenden Darlegungen anlehnen. 24 25
6 Pawlik
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seiner Vernunft gemäß hält oder nicht, nicht bei der subjektiven Einsicht in die Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit, in das Gute oder Böse, und bei den Forderungen, die er für die Befriedigung seiner Überzeugung macht“28. Denn „die Natur des formellen Rechts ist die, daß es ein Zwangsrecht sein kann, daß nehmlich das, was Recht ist, geschehen soll, ob [nun] meine Gesinnung damit übereinstimme oder nicht. Eben das formelle Recht kann als Zwangsrecht behandelt werden, weil sein Inhalt die Äußerlichkeit betrifft. Die Zurechnung im Gericht bezieht sich also darauf, ob ich Kenntnis vom Gesetz haben soll oder habe. Bei bürgerlichen Gesetzen wird die Kenntnis ihrer vom Staatsbürger gefordert“29. Der Umstand, daß diese Forderung erst an den Staatsbürger, nicht schon an das Subjekt gestellt werden kann, bezeichnet den zentralen freiheitstheoretischen Mangel des vom Subjektbegriff her operierenden Zurechnungsmodells. Im Unterschied zum Bürger setzt das Subjekt die institutionellen Ermöglichungsbedingungen seiner Freiheit als selbstverständlich voraus; die Aufgabe ihrer Herstellung und Aufrechterhaltung geht also in die normative Selbststilisierung des Subjekts nicht ein. Bei der abstrakten Subjektivität handelt es sich deshalb um eine gewissermaßen parasitäre Existenzform: Seiner Intention nach richtet das Subjekt sich darauf, in einer Ordnung realer Freiheit zu leben, die Kosten diese Ordnung aber reflektiert es nicht hinreichend.
b) Die Zurechnung zum Bürger Die Stufe der Zurechnung zum Bürger ist somit freiheitstheoretisch unverzichtbar. Kennzeichnend für die Rolle des Bürgers ist es, Mitverantwortung für den Bestand der soeben angesprochenen Realbedingungen seiner eigenen Freiheit zu übernehmen.30 Der Bürger steht deshalb in einer doppelten Beziehung zu „seiner“ Rechtsordnung: Er weiß sich sowohl als deren Destinatär wie auch als deren Mitträger. Destinatär der Rechtsordnung Hegel, Grundlinien, § 132 A (Werke Bd. 7, S. 246). Hegel, Vorlesungen, Bd. 3 (Hotho), S. 414. 30 Zur ontologischen Verankerung dieses Bürgerbegriffs näher Verf., Verhalten, S. 7 ff., 38 ff. 28 29
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ist er, sofern man diese Ordnung in gewissermaßen statischer Manier in den Blick nimmt, sie also als institutionell verselbständigten und dementsprechend stabilen Rahmen individueller Aktivitäten begreift. Unter diesem Gesichtspunkt schuldet der Bürger jedem von seinem Verhalten betroffenen Mitbürger als solchem die Erfüllung seiner Pflichten. Als Mitträger der Rechtsordnung aber begreift sich der Bürger, indem er von dieser statischen zu einer dynamischen Perspektive übergeht und erkennt, daß eine Daseinsordnung von Freiheit ohne die Mitwirkung der Rechtsgenossen keinen Bestand haben kann. In dieser Perspektive erbringt bzw. versagt er seine Mitwirkungsleistungen gegenüber sämtlichen Mitträgern jenes Projekts, also gegenüber der zu einer Rechtsgemeinschaft vereinigten Gesamtheit seiner Mitbürger. Zu den Ermöglichungsbedingungen realer Freiheit gehört die Ausstattung der einzelnen Bürger mit einer gewissen Menge an Lebensgütern. Die konkrete Erfüllung dieser Aufgabe obliegt im Prinzip allein den zuständigen Behörden. Der Bürger eines modernen Abgabenstaates kommt seiner Mitverantwortung für das Wohl der anderen regelmäßig dadurch nach, daß er die ihm abverlangten finanziellen Beiträge leistet; nur so läßt sich eine gerechte, von den Zufälligkeiten der konkreten Bedrängnissituation abgehobene Lastenverteilung sicherstellen.31 Lediglich soweit es sich um akute Notlagen von existentieller Bedeutung handelt, kommt der „Durchgriff“ auf einen einzelnen zur Hilfe fähigen Bürger in Betracht. Die normative Relevanz des Notstandes, aber auch die durch § 323c StGB sanktionierte Verpflichtung zur Hilfeleistung lassen sich demnach erst auf einer spezifisch bürgerschaftlichen Argumentationsebene einsichtig machen.32 Von noch fundamentalerer Bedeutung für die Freiheit der einzelnen Bürger ist die Aufrechterhaltung eines Zustandes allgemein gesicherter Rechtlichkeit. Bereits an einer früheren Stelle dieser Arbeit ist darauf hingewiesen worden, daß sie wesentlich von der Loyalität der Bürger gegenüber der Rechtsordnung abVerf., Notstand, S. 120, 223. Näher dazu Verf., Notstand, S. 103 ff. (zum rechtfertigenden Notstand); ders., Theorie, S. 299 ff., 305 ff. (zum entschuldigenden Notstand); ders., GA 1995, S. 360 ff. (zu § 323c StGB). 31 32
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hängt.33 Zwar bedarf ein jedes Gemeinwesen selbstverständlich eines umfangreichen Apparates aus Gerichten und Verwaltungsbehörden; diese können aber schon in Anbetracht ihrer begrenzten Kapazitäten ihre Aufgaben nur dann ordnungsgemäß erfüllen, wenn ihr Eingreifen die seltene Ausnahme bleibt. Nun ist freilich eine Haltung bürgerlicher Loyalität nicht rechtlich erzwingbar.34 Ebensowenig wie die einzelne Rechtsperson bei Kant aus Pflicht handeln muß35, kann von dem einzelnen Bürger verlangt werden, seine Pflichten aus Loyalität zu erfüllen. Loyalitätspflichtgemäßes Handeln darf von ihm mit Blick auf seine Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit (beispielsweise seine Zeugenpflicht) allerdings sehr wohl erwartet werden.36 Zulässig ist es darüber hinaus auch, loyales Verhalten zu einer Obliegenheit auszugestalten, d. h. an ein Verhalten, das den Eindruck der Illoyalität erweckt, Rechtsnachteile für den betreffenden Bürger zu knüpfen. So kann sich beispielsweise derjenige, der seiner staatsbürgerlichen Obliegenheit, sich die nötigen Rechtskenntnisse37 zu verschaffen, zuwiderhandelt, sich zu seiner Entlastung nicht auf 33 Im Rahmen straftheoretischer Erörterungen ist dieser Umstand bereits des öfteren hervorgehoben worden (vgl. Müller-Dietz, Grundfragen, S. 15; Noll, Begründung, S. 15; Schmidhäuser, Sinn, S. 85; E.A. Wolff, Abgrenzung, S. 210), allerdings ohne daß daraus wesentliche Konsequenzen für das Verständnis des Kriminalunrechts und der Kriminalstrafe gezogen worden wären. 34 Böckenförde hat dies auf die bekannte Formel gebracht, daß der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. „Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat“ (Böckenförde, Recht, S. 112 f.). 35 Vgl. Kant, Metaphysik, S. 324 f. 36 Ebenso differenzieren Günther, Zurechnung, S. 155 f.; ders., Strafbegründung, S. 142, 146; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 727. 37 Zur Konkretisierung dieses Maßstabs vgl. Jakobs, AT, 19 / 35 ff., 38 ff.; Timpe, GA 1984, S. 52 ff.
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den Gesichtspunkt des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) berufen.38 Auch wer sich der Obliegenheit verschließt, die eigene Rechtsbefolgungsbereitschaft von seinen individuellen Überzeugungen zu entkoppeln („Gewissenstäter“), kann nicht erwarten, auf der Ebene der Zurechnung zum Bürger damit durchzudringen. Gleiches gilt für denjenigen, der sein Notwehrrecht aus Beweggründen überschreitet, die eine aggressive psychische Disposition erkennen lassen. Weil eine solche Disposition einem friedlichen gesellschaftlichen Zusammenleben generell abträglich ist, spricht der § 33 StGB ihrer Äußerung zu Recht eine Entlastungswirkung ab. Auch die Privilegierung dessen, der sein Notwehrrecht aus „Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ überschreitet, wird auf der nunmehr eingenommenen Argumentationsebene ohne weiteres verständlich. Asthenische Affekte indizieren eine psychische Disposition, die in Normalsituationen eher die Übererfüllung als die Verletzung von Rechtsnormen erwarten läßt. Ihr Versagen in einer extremen Konfliktlage nötigt nicht dazu, darin eine Mißachtung des gemeinsamen Projektes eines „Friedens durch Recht“ zu erblicken.39 Die konsequente Durchführung eines Systems der Zurechnung zum Bürger würde es nahelegen, das Obliegenheitsmodell auch auf die Stufen des Vorsatzes sowie der Schuldfähigkeit zu erstrecken. Wer sich in vorwerfbarer Weise („Tatsachengleichgültigkeit“) dem zur rechtskonformen Steuerung seines Verhaltens erforderlichen Tatsachenwissen verschließt, der verdient eine strafrechtliche Entlastung ebensowenig wie derjenige, der es un38 Entgegen einer neueren Auffassung (exemplarisch Neumann, in: NK, § 17 Rdn. 54) sind es also nicht in erster Linie kriminalpolitische, sondern durchaus schuldtheoretische Erwägungen, die hinter der Vermeidbarkeitsregelung des § 17 S. 1 StGB stehen. 39 Die hiesige Deutung des § 33 StGB trifft sich im Ergebnis weitgehend mit den Darlegungen Roxins (vgl. Roxin, AT 1, § 22 Rdn. 69; dens., FS Henkel, S. 189; dens., FS Schaffstein, S. 116 f.; dens., FS Bokkelmann, S. 283; dens., ZStW 96 (1984), S. 656; dens., FS Lampe, S. 430; nahestehend Erb, in: MünchKomm, § 33 Rdn. 19 ff.). Die Begründungshintergründe beider Positionen unterscheiden sich indes tiefgreifend voneinander. Während hier von einer freiheitstheoretisch orientierten Analyse des Unrechtsbegriffs aus argumentiert wird, leitet Roxin die Privilegierung asthenischer Affekte aus kriminalpolitisch fundierten Strafzwecküberlegungen ab.
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terläßt, sich die nötigen Rechtskenntnisse zu verschaffen.40 Das gleiche gilt für einen solchen Bürger, der sich in vorwerfbarer Weise in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt.41 Daß die herkömmliche Gesetzesauslegung sich derartigen Erwägungen bislang noch überwiegend verschließt, spricht nicht gegen das hier vorgestellte Zurechnungsmodell; es gehört im Gegenteil zu dessen Vorzügen, daß es die Brüche innerhalb des üblichen Gesetzesverständnisses sichtbar machen und präzise benennen kann. Wie vorstehend bereits erwähnt wurde, läßt sich auf der bürgerschaftlichen Zurechnungsstufe die Existenz einiger Unrechtstatbestände legitimieren, die auf den vorangegangenen Thematisierungsstufen noch nicht zu rechtfertigen gewesen wären. Dazu gehört beispielsweise die Vorschrift über die unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB); auch die Delikte gegen die Allgemeinheit42 fallen in diese Gruppe. Aber auch jene Tatbestände, deren prinzipielle Berechtigung schon auf den vorangegangenen Stufen nicht zweifelhaft war – insbesondere die „klassischen“ Delikte gegen Individualrechtsgüter – erhalten eine weitergehende Bedeutung, sobald man sie als Unrecht des Bürgers auffaßt. Der Bürger, der ein fremdes Individualrechtsgut verletzt, trifft demnach eine vorwerfbare Entscheidung nicht nur gegen den Anerkennungsanspruch seines konkreten Opfers, sondern auch gegen „die mächtige Friedensbürgschaft der Rechtsordnung“43, deren Garantin die Rechtsgemeinschaft als ganze ist. Knapper formuliert: Indem der Täter seinem Mitsubjekt die schuldige Anerkennung verweigert, mißachtet er zugleich auch das Loyalitätsansinnen seiner Mitbürger.44 Dazu jüngst umfassend Jakobs, ZStW 114 (2002), S. 584 ff. Hruschka hat diesen Gedanken für seine Deutung der actio libera in causa fruchtbar gemacht; vgl. Hruschka, Strafrecht, S. 341 ff.; dens., JuS 1968, S. 558 f.; dens., SchZStrR 90 (1974), S. 55 ff.; dens., JZ 1989, S. 310 ff. 42 Zu Unrecht rubriziert Klesczewski, Ausdifferenzierung, S. 94 die Störung der Tätigkeit von Amtsträgern als Unterfall des allgemeinen Schädigungsunrechts. 43 Binding, Normen, Bd. 1, S. 417. 44 Dies entspricht der Position sowohl Kants als auch Hegels. Nach Kant ist es dem „öffentlichen Verbrechen“ eigentümlich, daß „das gemeine Wesen und nicht bloß eine einzelne Person dadurch gefährdet wird“ 40 41
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Delikte gegen Individualrechtsgüter werden in dieser Lesart nicht etwa unter der Hand in Delikte gegen die Allgemeinheit verwandelt. Es werden lediglich die Konsequenzen aus der Einsicht gezogen, daß Verletzungen fremder Individualbelange unter dem Gesichtspunkt des Rechts niemals nur eine Angelegenheit der unmittelbar Beteiligten darstellen, sondern stets auch Aufkündigungen der bürgerschaftlichen Loyalitätspflicht sind. Mit Hegel45 kann man sagen: Das spezifische Plus, das im Unrecht des Bürgers liegt, besteht in einer Verletzung des Rechts als Recht, dieses verstanden als eine Daseinsordnung der Freiheit.46 In der hiesigen Interpretation bezeichnet die Formel Hegels nicht etwa eine bestimmte innere Haltung des Täters gegenüber dem Recht;47 sie umschreibt vielmehr jene Stufe der Deutung des deliktischen Geschehens, das dessen freiheitstheoretischen Mißachtungsgehalt am umfassendsten und angemessensten zum Ausdruck bringt. Schuld im strafrechtlichen Vollsinne ist in diesem Verständnis „nicht . . . ein Merkmal, das neben und außer dem Tatunrecht steht, sondern die gesamte Straftat“48. Genauer: Der strafrechtliche Schuldvorwurf besagt, daß der Täter nicht das geleistet hat, was man von ihm als verantwortlichem Staatsbürger in der betreffenden Situation verlangen konnte – daß er, mit einem Wort, ein Unrecht des Bürgers verwirklicht hat.49 (Kant, Metaphysik, S. 452). Auch nach Hegel ist das Verbrechen „nicht mehr nur Verletzung eines Subjektiv-Unendlichen, sondern der allgemeinen Sache“ (Hegel, Grundlinien, § 218 [Werke Bd. 7, S. 371 f.; Hervorhebungen im Original]). – Mißverständlich ist die Position Lampes. Nach seiner Ansicht ist Unrecht nur dann strafwürdig, wenn die Störung des sozialen Ordnungsgefüges auch interpersonale Bedeutung besitzt (Lampe, Strafphilosophie, S. 118). Tatsächlich ist es umgekehrt: „Im Strafrecht erscheint die Person mit ihren Rechten beschränkt durch dessen öffentliche Aufgabe, Normgeltung zu garantieren; ihre Rechte werden strafrechtlich nur garantiert, wenn sie im Fokus eines Normgeltungsschadens erscheinen“ (Jakobs, Begriff, S. 77). 45 Hegel, Grundlinien, § 95 (Werke Bd. 7, S. 181). 46 Im wesentlichen mit der hiesigen Position übereinstimmend Frisch, FS Müller-Dietz, S. 254. Ähnlich Appel, Verfassung, S. 467 ff.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 722; Schild, FS Lenckner, S. 305 f. ; Zaczyk, Staat, S. 80 ff. 47 In diesem Sinne verwendet sie noch Köhler; vgl. Köhler, AT, S. 48; dens., Begriff, S. 47. 48 Schild, in: AK, Vor § 13 Rdn. 48.
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3. Strafe als Reaktion auf ein Unrecht des Bürgers Wie sieht die angemessene Antwort auf ein solches Unrecht aus? Es liegt nahe, zunächst an die Verpflichtung des Verantwortlichen zum Ersatz des von ihm angerichteten materiellen Schadens zu denken. Eine solche Verpflichtung ist freiheitstheoretisch in der Tat unverzichtbar; sie stellt aber keine adäquate Reaktion (gerade) auf ein Unrecht des Bürgers dar. Der Schadensersatz sanktioniert nämlich nicht (auch) die Loyalitätspflichtverletzung des Täters gegenüber der Allgemeinheit, sondern er dient allein dem Ausgleichsinteresse des konkreten Opfers. Das Rechtsinstitut des Schadensersatzes reflektiert also jenes mehrdimensionale Anerkennungsverhältnis, dessen Mißachtung das Unrecht des Bürgers ausmacht, nicht in seiner vollen Komplexität. Eben deshalb ist es möglich, die Pflicht zur Leistung von Schadensersatz bereits an die Möglichkeit einer Zurechnung der verletzenden Handlung zur Person des Täters zu knüpfen, sich also mit reduzierten Verschuldensanforderungen oder gar mit Gefährdungstatbeständen zu begnügen, und die bürgerschaftliche Qualität des Verhältnisses zwischen den Konfliktparteien lediglich zur Begründung von Randkorrekturen (etwa wenn Ersatzleistungen in existenzvernichtender Höhe drohen) einzusetzen. Das Institut des Schadensersatzes ist mit49 Daß strafrechtliche Schuld nichts anderes bedeutet als das Strafunrecht selbst, unterstreichen auch Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43 f. und Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff.; ders., JA 2002, S. 609. Demgegenüber will Frisch trotz seines im wesentlichen mit Jakobs und Lesch übereinstimmenden straftheoretischen Ausgangspunktes unterscheiden zwischen strafrechtlichem Unrecht – der „Infragestellung und Nichtanerkennung oder Vernachlässigung des Rechts“ (FS Müller-Dietz, S. 254) und strafrechtlicher Schuld – der Feststellung, daß „der Täter jene Tat, die sich (zunächst) als besonderer Ausdruck der Nichtanerkennung darstellt, oder das, was insoweit besonders belastend erscheint, vermeiden konnte“ (S. 257). Eine solche Abschichtung zwischen einem vorläufig-indiziellen und einem endgültigen Befund ist aber allenfalls von didaktischem Wert. Auch Frisch selber räumt ein, daß die „Schuld“ Rückwirkungen auf seinen „ideellen Unrechtsbegriff“ haben müsse, weil „von einer Infragestellung des Rechts, die durch die Strafe aufgehoben werden solle, nur bei Vorhandensein jener Fähigkeiten gesprochen werden kann, die herkömmlich in der Schuld im engeren Sinne thematisiert werden“ (S. 258 Fn. 60). Dann aber kann man unter systematischen Gesichtspunkten auf jene Trennung auch gänzlich verzichten.
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hin nicht dazu geeignet, das spezifische Unrecht des Bürgers auszugleichen.50 Sieht es mit der Strafe besser aus? Der Strafe ist es eigen, daß sie dem Täter ein Übel zufügt, ohne daß dem Opfer daraus ein unmittelbarer Vorteil erwachsen würde. Häufig erschwert oder vereitelt die Bestrafung des Täters sogar die Chance des Opfers, für seinen Schaden einen Ausgleich zu erlangen.51 In dieser Ab50 Ebenso Schild, Unsinn, S. 64. – Entsprechendes gilt für auch für die in den letzten Jahren vieldiskutierte Wiedergutmachung. Die Verurteilung (nur) zur Wiedergutmachung stellt den – möglicherweise gut begründeten – Verzicht der Rechtsgemeinschaft darauf dar, die ihr gegenüber begangene Loyalitätspflichtverletzung gesondert zu ahnden. Der AE Wiedergutmachung illustriert dies in exemplarischer Weise. Aus dem Zusammenspiel der §§ 4 und 1 Abs. 1 S. 3 AE-WGM und der entsprechenden Kommentierung wird deutlich, daß nach Ansicht der Entwurfsverfasser die dem Tatopfer erbrachten Wiedergutmachungsleistungen in zahlreichen Fällen zur Ausgleichung der Tatfolgen ausreichen sollen (vgl. Baumann u. a., AE-WGM, S. 39 ff., 50 ff.). Diese Position läßt sich auf zweierlei Weisen verteidigen. Entweder man weist dem Strafrecht von vornherein nur die beschränkte Aufgabe zu, „das notwendige Anerkennungsverhältnis zwischen Täter und Opfer“ wiederherzustellen (so Seelmann, JZ 1989, S. 675). Dann ergibt sich die Folgerung, daß „in einer Wiedergutmachung dem einzelnen gegenüber diese Anerkennung . . . wiederhergestellt werden könne“ (S. 676), zwar geradezu von selbst. Auf der Basis dieses Ansatzes wird aber nicht klar, mit welchem Recht dann überhaupt noch Sanktionen jenseits der Wiedergutmachung – also Strafen im eigentlichen Sinne – verhängt werden dürfen. (Zur Kritik des anerkennungstheoretischen Intersubjektivismus näher oben III.3.d)) Oder aber man behauptet, daß die Wiederherstellung des beeinträchtigten Rechtsguts eine Tilgungswirkung auch in bezug auf die überindividuelle Störung habe, weil letztere „ja nur ein Resultat der besonderen Sicherung der das Rechtsgut schützenden Verhaltensnorm ist“ (Laue, Wiedergutmachung, S. 77; im wesentlichen übereinstimmend Pielsticker, Revisionsfalle, S. 48). Dieses Argument lebt von der Voraussetzung, daß Rechtsgüter und deren Träger im Vergleich zur Normgeltung die primären Schutzobjekte der Strafrechtsnormen seien (Laue, Wiedergutmachung, S. 72). Die Unzulänglichkeit dieses Verständnisses zur Erfassung des spezifisch strafrechtlichen Unrechts ist ebenfalls bereits an früherer Stelle nachgewiesen worden (oben III.3.b)). Insgesamt ist es deshalb unter systematischen Gesichtspunkten irreführend, die Wiedergutmachung als „dritte Spur“ strafrechtlicher Sanktionen (neben Strafen und Maßnahmen) zu bezeichnen (so aber insbesondere Frehsee, Schadenswiedergutmachung, S. 119; Roxin, Wiedergutmachung, S. 52; zuletzt ders., FS Lerche, S. 305; ders., FS Lorenz, S. 59 f.; kritisch Hirsch, ZStW 102 [1990], S. 540 ff.; ders., Zusammenfassung, S. 379 f.). 51 So zuletzt Bemmann, JR 2003, S. 227; Roxin, FS Lorenz, S. 53 f.
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sehung von den konkreten Opferbelangen macht sich der „überindividuelle“ Charakter der Strafe52 geltend: Die Strafe „entprivatisiert“ den Konflikt zwischen Täter und Opfer53; sie ist also gerade nicht ein Opfer, das der Täter „dem Verletzten bringt“54. Einer Betrachtungsweise, die auf die interpersonale Dimension rechtlicher Konflikte fixiert ist, muß dieser gleichsam überpersonale Charakter der Strafe als eine höchst zweifelhafte Überhöhung erscheinen.55 Interpretiert man die Strafe hingegen als Reaktion auf ein Unrecht des Bürgers, so zerstreuen sich diese Bedenken. Wie soeben gezeigt werden konnte, wird von einem Bürger erwartet, die eigenen Mitbürger so zu behandeln, daß darin zugleich seine Loyalität gegenüber einer Daseinsordnung rechtlicher Freiheit zum Ausdruck kommt. Dahinter steht die Einsicht, daß die Aufrechterhaltung einer solchen Freiheitsordnung – insbesondere ihrer conditio sine qua non, des Friedens – der gemeinsamen Anstrengung aller Bürger bedarf. Loyalität ist insofern gleichsam der Preis für den Genuß von Frieden und Freiheit. Der ein Unrecht begehende Bürger kündigt für seinen Teil diese Konnexität auf; er suggeriert, es sei möglich, die Vorteile einer der Idee des „Friedens durch Recht“ verpflichteten Ordnung zu genießen, ohne sich die Selbstdisziplin aufzuerlegen, deren es zur verläßlichen Erfüllung der Loyalitätspflicht bedarf.56 Seine Unrechtstat ändert freilich nichts daran, daß der Betreffende Bürger ist und bleibt. Deshalb darf, ja muß er weiterhin zur Verwirklichung jenes gemeinsamen Projekts eines „Friedens durch Recht“ herangezogen werden. Mit der Verletzung seiner Primärverpflichtung zur aktiven Erbringung von Loyalität wandelt sich allerdings der Inhalt der Täterobligation zu einer Sekundärverpflichtung: Der Täter muß es sich jetzt gefallen lassen, daß auf seine Kosten die Unauflöslichkeit des Zusammenhanges von Freiheitsgenuß und Loyalitätspflichterfüllung bestätigt Exemplarisch Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 39. Appel, Verfassung, S. 448, 461. 54 So aber Lampe, Recht, S. 311. 55 Beispielhaft Baumann, FS Stree / Wessels, S. 41 ff.; Rössner, NStZ 1992, S. 410; Schüler-Springorum, Kriminalpolitik, S. 233 f.; Walther, Rechtsbruch, S. 152, 241. 56 Nahestehend Appel, Verfassung, S. 470. 52 53
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wird.57 Diese Bestätigung erfolgt konsequenterweise dadurch, daß er für seine Loyalitätspflichtverletzung mit der Entziehung eines Stücks seiner eigenen Freiheit belegt wird. Dabei mag das Moment der realen Zwangsausübung in einem großen Umfang hinter der zeichenhaften Stigmatisierung des Täters zurücktreten. Je sicherer eine Gesellschaft ihrer selbst ist, desto eher nimmt sie das Verbrechen als ein „Unfestes und Isoliertes“ wahr und desto milder können dann auch die Strafen ausfallen.58 Der sozialen und kulturellen Evolution ist dabei ein weites Feld eröffnet.59 Eine gewisse Drastik der strafenden Sanktion ist aber unverzichtbar; denn erst in ihrer Verknüpfung stellen Normbestätigung und „harte Behandlung“ eine normativ angemessene Antwort auf jene Art der Anerkennungsverletzung dar, die hier als das Unrecht des Bürgers bezeichnet wird. Der Name dieser Antwort lautet: Strafe. Wird die Verhängung der Strafe demnach legitimiert durch eine dem Täter als Unrecht des Bürgers zurechenbare Verletzung der Daseinsordnung von Freiheit, dann muß sich die Strafhöhe konsequenterweise nach dem Ausmaß dieses Unrechts richten.60 57 Ähnlich Henkel, Einführung, S. 412; Arthur Kaufmann, FS Henkel, S. 106; Roxin, JuS 1966, S. 385, der diesen Gedanken in seinen späteren Arbeiten jedoch nicht weiter verfolgt hat. – Zu weitgehend, da auf eine unzulässige Ethisierung des Rechts hinauslaufend, ist es, wenn Laue, Wiedergutmachung, S. 70 zur Wiedergutmachung der sozialen Störung einen „Akt der Identifikation“ des Täters mit der Rechtsgemeinschaft verlangt. 58 So bereits Hegel, Grundlinien, § 218 Z (Werke Bd. 7, S. 373); ausführlich dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 280 ff. Ebenso Nagler, Strafe, S. 615 f. – Insofern mag man mit Schild davon sprechen, daß es gerade der absolute Strafbegriff ist, der die (auf die konkrete Bestimmung der Art und des Grades des Strafübels beschränkte) Wahrheit der relativen Straftheorien begründet (Schild, ARSP 70 [1984], S. 104). 59 Eindringlich Jung, Sanktionensysteme, S. 31 ff. (unter Rückgriff auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias); ferner Androulakis, ZStW 108 (1996), S. 314 ff., insbesondere S. 320, und Frisch, Maßstäbe, S. 179 ff. Keller, Wahrnehmung, S. 292 weist darauf hin, daß selbst Kants spiegelnde Wiedervergeltung ein soziales Deutungsmuster impliziere, nämlich „die Annahme, der Unwert der Tat sei im gegenständlichen Schaden verkörpert“. Dies sei zu Kants Zeiten Teil der Lebenswelt gewesen. 60 Wie hier vor allem Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 279; ders., FS MüllerDietz, S. 247 f. Für eine Anbindung des Strafzumessungsrechts an die Kategorien der Strafbegründung bereits ders., ZStW 99 (1987), S. 386 f.;
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Vorstehend konnte gezeigt werden, daß man die Verpflichtung des Bürgers (und folglich auch deren Verletzung) aus zwei unterschiedlichen Perspektiven heraus thematisieren kann: einer statischen Perspektive, in deren Mittelpunkt die Rechtsposition des konkret verletzten Mitbürgers steht, und einer dynamischen Perspektive, in der die Mitwirkungspflicht des einzelnen Bürgers gegenüber der Rechtsgemeinschaft als ganzer in Rede steht. Dementsprechend bemißt sich die Intensität des dem Täter als Bürger zurechenbaren Unrechts zum einen nach dem Umfang der Freiheitsbeeinträchtigung, die er seinem Opfer tatsächlich zugefügt oder die er doch jedenfalls in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Zum anderen ist maßgeblich das Ausmaß der Illoyalität des Täters gegenüber dem Projekt eines „Friedens durch Recht“ im allgemeinen.61 ders., GA 1989, S. 355 f.; ders., Straftatsystem, S. 12 ff. (wenngleich noch auf der Basis einer zum Teil abweichenden straftheoretischen Ausgangsposition); ebenso Hörnle, Strafzumessung, S. 127 ff.; dies., JZ 1999, S. 1087 f.; dies., Kriterien, S. 105 ff. und Schünemann, Funktion, S. 189; ders., Plädoyer, S. 225; ders., GA 1986, S. 350 f. (ihm zustimmend H.-J. Albrecht, Strafzumessung, S. 52 f.). – Widersprochen wird damit der herkömmlichen Strafzumessungsdoktrin, welche die Wertungen der Verbrechenslehre lediglich als Teilmomente innerhalb einer umfassender angelegten Beurteilungsgrundlage berücksichtigt sehen will (exemplarisch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 15 ff.). Zurückgewiesen wird insbesondere auch die sogenannte „Spielraumtheorie“ der Rechtsprechung (zu dieser zuletzt Streng, FS Müller-Dietz, S. 875 ff.), die ebenfalls auf der Annahme beruht, daß die Strafzumessung sich nicht im Ausgleich des verschuldeten Unrechts erschöpfen könne. Näher zur Kritik an der Spielraumtheorie: Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 274 ff.; Hörnle, Strafzumessung, S. 17 ff.; Köhler, Zusammenhang, S. 22 ff.; Schünemann, GA 1986, S. 308 ff. 61 Die Befürworter einer „tatproportionalen Strafe“ neigen überwiegend dazu, den erstgenannten Aspekt einseitig in den Vordergrund zu rücken (exemplarisch Ashworth, Kriterien, S. 85 ff.; von Hirsch, Begründung, S. 66 ff.; Hörnle, Kriterien, S. 103 f.). Dies hat dann zur Folge, daß sie eine Reihe anerkannter Strafzumessungsfaktoren – insbesondere den Rückfall – nicht oder doch jedenfalls nur mit Mühe zu erfassen vermögen. So wendet sich Hörnle, Strafzumessung, S. 159 ff., 165 ff. gegen jede Be rücksichtigung von Vortaten bei der Strafzumessung; Ashworth, Kriterien, S. 91 f. und von Hirsch, Begründung, S. 71 ff. plädieren dafür, dem Ersttäter einen Strafnachlaß zu gewähren und erst bei weiteren Taten zur vollen „verdienten“ Strafe zu greifen; und Schünemann, Akzeptanz, S. 195 greift zur Verteidigung der Strafverschärfung bei Rückfall auf den Gedanken der Sicherungs-Spezialprävention zurück, den er als ein „ge-
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Unter diesem Gesichtspunkt schlägt es zum Vorteil des Täters zu Buche, wenn ihm – beispielsweise durch ein provozierendes Vorverhalten des Opfers62 – die Erfüllung der Loyalitätspflicht in außergewöhnlicher Weise erschwert worden ist. Auch das Nachtatverhalten des Täters kann das Gewicht seiner vorangegangenen Loyalitätspflichtverletzung abschwächen. Der Delinquent, der sich nach der Tat freiwillig um Wiedergutmachung bemüht, dokumentiert damit seine Rückkehr in den Verband loyaler Bürger und setzt seine Straftat zu einem punktuellen Ereignis herab.63 Strafverschärfend wirkt es sich demgegenüber aus, wenn die einzelne Unrechtstat innerhalb der Biographie des Täters nicht ein isoliertes Einzelereignis darstellt, sondern sich als Bestandteil einer ganzen kriminellen Karriere erweist. Zu Recht werden daher Vorstrafen des Täters, vor allem wegen „einschlägiger“ Delikte, zu seinen Lasten berücksichtigt. „Deutlicher und nachhaltiger als in dieser Form der Nichtanerkennung selbst des ihm gegenüber ausdrücklich bestätigten Rechts kann man sich die Absage des Täters gegenüber der Rechtsordnung kaum vorstellen“64. Auch der Topos von der „Verteidigung der Rechtsordnung“ (§§ 47 Abs. 1, 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB) findet im Rahmen des hiesigen Kategoriensystems eine zwanglose Deutung. Er markiert danach nicht etwa einen dem vorliegenden Ansatz fremden Einbruch generalpräventiven Denkens,65 sondern er bezieht sich auf jene Fälle, in denen das Unrecht des Täters, aus der statischen Perspektive betrachtet, relativ gering, aus der – letztlich entscheidenden – dynamischen Perspektive gesehen hingegen erhebgenüber der Tatproportionalität selbständige(s) Prinzip“ einführt. – Kritisch zu der darin liegenden Engführung des Gedankens der Tatproportionalität Frisch, Einleitung, S. 10. 62 Zur Strafzumessungsrelevanz der „Notwehrnähe“ einer Tat vgl. insbesondere Hillenkamp, Vorsatztat, S. 269 ff. 63 Im wesentlichen wie hier Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 281, 294. 64 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 256. 65 So aber die vorherrschende Deutung dieses Merkmals (grundlegend BGHSt 24, S. 40 [46]; ebenso Stree, in: Schönke-Schröder, Vorbem §§ 38 ff. Rdn. 20 m. w. N.; Franke, in: MünchKomm, § 47 Rdn. 1b; Weigend, in: Jescheck / Weigend, AT, § 79 I 5 [S. 838 f.]; Lackner, in: Lackner / Kühl, StGB, § 47 Rdn. 5; Maiwald, GA 1983, S. 49 ff.; Zipf, FS Bruns, S. 211 ff.).
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lich ist. Wie bereits erwähnt, wird der soziale Bedeutungsgehalt einer Tat mitbestimmt durch den Zustand der Rechtsordnung in dem Zeitpunkt, in welchem der Delinquent das Recht durch seine Tat verletzt. Dieser Zustand ist bedeutsam nicht nur für das allgemeine Niveau der von einer Rechtsgemeinschaft verhängten Strafen; er beeinflußt auch die Bewertung des konkret in Rede stehenden Normbruchs. Ein Täter, der eine in ihrer Geltung bereits geschwächte Norm noch ein weiteres Mal bricht, verletzt seine Loyalitätspflicht in gravierenderer Weise als ein Täter, der von einer weitestgehend befolgten Norm abweicht; dies rechtfertigt eine (maßvolle) Schärfung der Strafe, die bei unangefochtener Normgeltung angezeigt wäre.66 Der Gesichtspunkt der sogenannten Spezialprävention (insbesondere in ihrer Resozialisierungskomponente) hat „innerhalb des staatlichen Strafens“ seinen Platz67. Nach der hier entwikkelten Konzeption (und im Einklang mit § 2 S. 1 StVollzG) hat die Spezialprävention vorrangig die Strafvollstreckung zu prägen.68 Eine Rechtsgemeinschaft, die den Täter im Akt der Bestrafung in seiner Bürgerrolle anspricht, muß auch den Vollzug dieser Strafe in Respekt vor dem Bürgerstatus des Täters ausgestalten. Gerade weil der Täter Bürger ist und bleibt, hat er deshalb einen Anspruch darauf, daß ihm – soweit erforderlich – dazu verholfen wird, seine Primärpflicht zu aktiver Loyalität in Zukunft ordnungsgemäß erfüllen zu können;69 deshalb muß der Strafvollzug 66 Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 280 f., 285, 305; Köhler, Zusammenhang, S. 53 ff., 59 f. – Zu Lasten des Täters wird hier also die fehlende Rechtstreue anderer Bürger in Anschlag gebracht. Entgegen einem mitunter erhobenen Vorwurf (Altenhain, Anschlußdelikt, S. 323, 325; Beck, Unrechtsbegründung, S. 68) entbehrt dieser Zurechnungsakt aber nicht der erforderlichen Grundlage. Der Täter delinquiert, wenn man so sagen darf, in eine konkrete gesellschaftliche Sicherheitslage hinein; in seiner Rolle als Bürger kann er sich von diesem die soziale Bedeutung seiner Tat mitprägenden Kontext nicht distanzieren. 67 Schmidhäuser, Lehrbuch, 3 / 17. 68 Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gebietet nichts Abweichendes; dazu Frisch, FG BGH, Bd. IV, S. 308. 69 Ähnlich Schild, SchZStrR 99 (1982), S. 380 ff.; ders., FS Lenckner, S. 308; v. Schlotheim, MschrKrim 1967, S. 4, 12. – Nichts anderes besagt die „soziale Verantwortung“, von der § 2 S. 1 StrVollzG spricht. Entgegen den Bedenken des Alternativentwurfs (Baumann u. a., AE StrVollzG, S. 55) liegt darin keineswegs eine unzulässige Moralisierung
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auch eine çhanceneröffnend-,soziale‘ Seite“ aufweisen,70 dem Täter also nach Möglichkeit mehr Handlungskompetenz und soziale Teilhabe vermitteln.71 Nach einer treffenden Bemerkung Nolls kann die Rechtsgemeinschaft nicht erwarten, daß der Delinquent seine Verantwortung ihr gegenüber erkennt und übernimmt, wenn sie ihre Verantwortung ihm gegenüber ablehnt.72 Eingedenk seiner fortbestehenden Bürgerrolle ist freilich auch der Täter selbst an sich dazu verpflichtet, an seiner Resozialisierung mitzuwirken.73 Daß § 4 Abs. 1 StVollzG davon absieht, die Erfüllung dieser Pflicht disziplinarrechtlich zu erzwingen, läßt sich auf pragmatische Gründe stützen; „gelingende Lernprozesse zu installieren, geht nicht ohne die Zustimmung und freiwillige Mitwirkung des Gefangenen“74. Nach der hiesigen Konzeption vergilt die Strafe also ein Unrecht des Bürgers, indem sie den Täter selbst heranzieht, um den hohen freiheitstheoretischen Rang der Konnexität von Loyalitätspflichterfüllung und Freiheitsgenuß zu demonstrieren. Gerade indem sie dies tut, erkennt die Strafe das Fortbestehen der Bürgerrolle des Täters an: Er wird aus seiner Verantwortung für das Allgemeine nicht entlassen.75 Was die hier vorgestellte Straftheorie allerdings nur in groben Zügen begründen kann, im übrides Strafvollzugs, sondern geradezu eine strafbegriffliche Selbstverständlichkeit. 70 Köhler, AT, S. 50. 71 Daß die Vollstreckung der strafrechtlichen Sanktionen primär die Aufgabe der „Herstellung von Partizipationschancen“ hat, ist insbesondere von Calliess herausgearbeitet worden (Calliess, Theorie, S. 64, 155 ff.). 72 Noll, Begründung, S. 26. 73 Dies wird verbreitet bestritten. Exemplarisch Baumann u. a., AE StrVollzG, S. 59; zuletzt Müller-Steinhauer, Autonomie, S. 234 ff. 74 Calliess, FS Müller-Dietz, S. 116. Sachlich übereinstimmend Dölling, FS Lampe, S. 607 f.; Jakobs, AT 1 / 47; Schöch, Verstehen, S. 318; Schultz, ZStW 92 (1980), S. 621. – Vollzugslockerungen sowie die vorzeitige Entlassung dürfen einem Gefangenen, der sich allen Resozialisierungsangeboten hartnäckig verweigert, hingegen durchaus verweigert werden (Böhm, Strafvollzug, Rdn. 15 m. w. N.; a.A. zuletzt Müller-Steinhauer, Autonomie, S. 268). 75 Geradezu abwegig ist es, wenn Steinert, Gerechtigkeit, S. 344 die „reine Form der Strafe“ in dem Verhalten des Herrn erblickt, „der in einem plötzlichen Wutanfall ein Tier oder einen Sklaven prügelt“.
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gen aber als gegeben voraussetzen muß, ist die Legitimität der Tatbestände, deren Verletzung als ein dem Täter in seiner Bürgerrolle zurechenbares Unrecht behandelt wird. Die Grenzen zulässiger Kriminalisierung näher zu bestimmen ist selbstverständlich ebenfalls eine höchst bedeutsame Aufgabe, aber eben eine andere als die unter dem Titel der „Straftheorie“ zu erörternde Problematik.76 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die Präventionstheorien der Strafe insofern nicht weniger zurückhaltend verfahren müssen als die hiesige Auffassung: Ob eine Strafrechtsordnung es verdient, daß sie mit Hilfe von Abschreckung, der Einübung in Normtreue oder der Umerziehung von Delinquenten stabilisiert wird, ist eine Frage, die unabhängig von der Würdigung dieser Mittel selbst zu beantworten ist.77 Noch in einer weiteren Hinsicht übt die vorliegende Konzeption sich in der Tugend der Selbstbescheidung. Ihr ist es lediglich um den Nachweis zu tun, daß keine prinzipiellen Bedenken dagegen bestehen, auf eine Tat, die sich nach den einschlägigen Regeln des materiellen Strafrechts als ein Unrecht des Bürgers deuten läßt, mit der Strafe zu reagieren. Dies besagt aber keineswegs, daß ein jedes Unrecht des Bürgers mit einer Strafe beantwortet werden müsse.78 Eine gefestigte Gesellschaft wird nicht nur, wie bereits erwähnt wurde, zu einer erheblichen Milderung der Strafen tendieren. Sie kann es sich auch leisten, die Reaktionsform der Strafe schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Daseinsbedingungen von Freiheit vorzubehalten, weniger gewichtige Unrechtstaten hingegen auf andere Weise – etwa durch 76 Ebenso Appel, Verfassung, S. 442; Kalous, Generalprävention, S. 117; Kindhäuser, GA 1989, S. 493. 77 Beck, Unrechtsbegründung, S. 39 ff.; Haffke, Tiefenpsychologie, S. 82; Jakobs, AT, 1 / 18; Jescheck, in: Jescheck / Weigend, AT, § 8 II 3 (S. 68); Kalous, Generalprävention, S. 117; Müssig, Schutz, S. 142 f. 78 Dem verbreiteten und berechtigten Einwand gegen eine als „absolute“ Theorie im traditionellen Sinne verstandene Vergeltungslehre, ihr zufolge müsse die Strafe dem Normbruch kategorisch folgen (beispielhaft Henkel, Einführung, S. 411 f.; ders., Strafe, S. 8; Jakobs, Norm, S. 107), ist damit die Grundlage entzogen. Bereits Nagler, Strafe, S. 723 geißelte die Behauptung einer absoluten Strafpflichtigkeit von Verbrechen als einen starren „Doktrinarismus“, der das Vorrecht „des Unfehlbarkeitsdünkels der Studierstube“ bleibe und in der Praxis nie eine Rolle gespielt habe.
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die Verpflichtung des Täters zur Wiedergutmachung – zu beantworten. In einem Wort: Die hiesige Konzeption erhebt lediglich den Anspruch einer Strafermöglichungs-, aber weder denjenigen einer Kriminalisierungs- noch denjenigen einer Straferzwingungstheorie.79 Damit sind die Grundzüge einer Vergeltungstheorie der Strafe skizziert, die den herkömmlichen Einwänden gegen dieses Begründungsmodell nicht ausgesetzt und die alles andere ist als eine „Ruhebank der Strafrechtswissenschaft“80. Die hiesige Konzeption mythologisiert die Strafe nicht, aber sie verfällt auch nicht dem gegenteiligen Irrglauben, die Aufgabe der Straflegitimation lasse sich auf den Status eines technischen Optimierungsproblems herunterrechnen. Vielmehr weist sie der Strafe eine präzise benennbare freiheitstheoretische Funktion zu: Die Strafe sanktioniert ein Unrecht des Bürgers und stellt, indem sie die Wechselbezüglichkeit von Loyalitätspflichterfüllung und Freiheitsgenuß bestätigt, das Recht als Recht wieder her. Bei all dem will die hiesige Straftheorie nicht „durch das stolze Pfauenrad dialektischer Künste fesseln“81. Vielmehr ist ihr Grundgedanke von größter Einfachheit: Den Täter trifft in seiner Rolle als Bürger eine rechtliche Mitverantwortung für das Allgemeine. An dieser Mitverantwortung wird er in der Strafe festgehalten. Deshalb wird er, um ein letztes Mal mit Hegel zu sprechen, in der Bestrafung als Vernünftiges geehrt82.
Im wesentlichen wie hier bereits Nagler, Strafe, S. 585 ff., 721 ff. So der polemische Vorwurf von Ellscheid / Hassemer, Strafe, S. 286. 81 So der Vorwurf Naglers gegenüber den rechtsphilosophischen Straftheorien (Nagler, Strafe, S. III). 82 Hegel, Grundlinien, § 100 A (Werke Bd. 7, S. 191). 79 80
7 Pawlik
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