Ovids ,Fasti' und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders 9783825348533, 3825348539

Im vorliegenden Buch wird das kulturelle Wissen des römischen Kalenders untersucht, wie es Ovid in den 'Fasti'

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German Pages 290 [292] Year 2022

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Titelei
Impressum
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Das Wissen der Fasti
2 Literarische Wissensgeschichte und römischeKalenderdichtung
2.1 Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti
2.2 Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung
2.3 Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus
2.4 Das Wissen des Kalenders
3 Poetische Entwürfe des Jahres
3.1 Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender
3.1.1 Kalenderarchegeten
3.1.2 Caesars Reform und das Narrativ der Kalenderkorrektur
3.1.3 Die ratio des Romulus
3.1.4 Die Zeichen des März
3.1.5 Die Namen der Monate und ihre paarweise Anordnung
3.2 annus, qui melius per ver incipiendus erat
3.2.1 Zum Jahresbeginn I: Die Poetik didaktischer Anfänge
3.2.2 Zum Jahresbeginn II: Janus und die bruma
3.2.3 Das Jahr an der Schwelle: Janus und der Kalender
3.2.3.1 Janus als Gott der Anfänge und der Türen
3.2.3.2 Janus und die Zeit
3.2.3.3 Janus und die Monate
3.2.3.4 Janus und der Kalender
3.2.4 Die Öffnung des Jahres
3.2.4.1 Epische Eröffner: Surrogate des Anfangs
3.2.4.2 Mars’ Prinzipat des Jahres
3.2.4.3 Venus und die verwehrte Öffnung des April
3.2.5 Terminus: Grenzstein in Raum und Zeit
4 Die Fasti als augusteisches Kulturbuch
4.1 Die Form des Janus
4.2 Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen
4.3 Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form
4.4 Die Form der Fasti
4.5 Die römische Kultur der Differenz
5 Schluss
Bibliographie
Indizes
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Ovids ,Fasti' und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders
 9783825348533, 3825348539

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christian badura

badura Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders

Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders

  m vorliegenden Buch wird das kulturelle Wissen des   römischen Kalenders untersucht, wie es Ovid in den Fasti darstellt und selbst mitgestaltet. Die Studie geht von der These aus, dass das Gedicht sich in einem gemeinsamen Wissensdiskurs mit einer Reihe von poetischen wie auch historiographischen und antiquarischen Prosatexten befindet, was u. a. durch die zentrale, diesen Texten gemeinsame Gedankenfigur der Aitiologie oder Ursprungserklärung deutlich wird.   Die Art und Weise dieses Zusammentreffens von Wissen und Literatur wird am Kernthema der Fasti dargestellt: der Geschichte der Kalenderkonstitution und der aitiologischen Erklärung der Gestalt, Ordnung und Namen des römischen Jahres. Die Studie stellt einen Beitrag zu einer literarischen Wissensgeschichte der römischen Literatur dar, ist also eine über historische Darstellungen der faktischen Ereignisse und Reformen des Kalenders hinausgehende Interpretation der poetischen Verarbeitung sozialer Zeitverhandlung in Rom.

badura

  Ovids Fasti und das kulturelle Wissen   des römischen Kalenders

Universitätsverlag

win t e r

Heidelberg

biblioth ek d er klassisc hen a ltertu m sw is s ens chaf t en Herausgegeben von

jürgen paul sc h w i n dt Neue Folge · 2. Reihe · Band 164

christian badura

Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders

Universitätsverlag

winter

Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Berlin; Univ., Diss., 2019

umschlagbild Fasti Praenestini des Verrius Flaccus (April) © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons

d188

isbn 978-3-8253-4853-3 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2022 Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg Imprimé en Allemagne · Printed in Germany Druck: CPI Druckdienstleistung GmbH, 99095 Erfurt Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier. Den Verlag erreichen Sie im Internet unter: www.winter-verlag.de

Danksagung Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im September 2019 unter dem Titel „Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders“ vom Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Von Herzen möchte ich allen danken, die durch ihre Unterstützung zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. An erster Stelle gilt mein Dank meiner Betreuerin und Lehrerin Melanie Möller. Sie hat mich stets unterstützt und mir die nötigen Freiräume für meine Arbeit ermöglicht. Ihr Umgang mit Texten hat mich ebenso wie ihr Engagement für das Fach in all seinen Facetten immer wieder inspiriert und geleitet. Auch Alexander Arweiler (Münster) möchte ich herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens, die vielen scharfsinnigen und hilfreichen Bemerkungen wie auch die anregenden Gespräche danken. Zu Dank verpflichtet bin ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Graduiertenkolleg „Literarische Form“ an der Universität Münster, wo ich diese Arbeit begonnen habe. Die vielfältigen Impulse im Verbund antiker, mediävistischer und neuzeitlicher Philologien haben entscheidend zur Konzeption meiner Arbeit beigetragen und mich auch persönlich bereichert. Danken möchte ich auch Christine Schmitz, die mich in dieser Zeit betreut hat. Durch die DFG wurde zudem ein Forschungsaufenthalt an der University of Washington in Seattle ermöglicht, an der ich unter der großzügigen Beratung Stephen Hinds’ und der gastfreundlichen Aufnahme des gesamten Institutes einige produktive Monate verleben durfte. Die Arbeit hätte in dieser Form ohne die motivierende Unterstützung vieler Freunde und Kollegen nicht entstehen können. Meine Ideen und Texte durfte ich außerdem diskutieren mit Matthias Erdbeer, Rita Gautschy, Matthias Grandl, Fiachra Mac Góráin, Joshua Hartman, Henning Haselmann, Eva Noller, Jens Ole Schneider, Martin Stöckinger und Anke Walter. Besonderer Dank gebührt Jürgen Paul Schwindt, in dessen Vorlesungen und Seminaren ich das Lesen lateinischer Texte allererst gelernt habe, der eine frühe Fassung der Thesen dieser Arbeit begleitet hat und bereit war, mein Buch in die Bibliothek der Nlassischen Altertumswissenschaften aufzunehmen. Nicht zuletzt möchte ich natürlich auch meiner Familie und besonders meinen Eltern danken, ohne die der lange Weg bis zu diesem Buch in vielerlei Hinsicht nicht möglich gewesen wäre.

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung: Das Wissen der Fasti .................................................................... 9 2 Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung ................. 25 2.1 2.2 2.3 2.4

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti ................................... 25 Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung ....................... 33 Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus ........................................ 39 Das Wissen des Kalenders ............................................................... 49

3 Poetische Entwürfe des Jahres ...................................................................... 59 3.1

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender ........................ 59

3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2

Kalenderarchegeten ...................................................................... 59 Caesars Reform und das Narrativ der Kalenderkorrektur ............ 67 Die ratio des Romulus.................................................................. 72 Die Zeichen des März .................................................................. 79 Die Namen der Monate und ihre paarweise Anordnung .............. 82

annus, qui melius per ver incipiendus erat ...................................... 90

3.2.1 Zum Jahresbeginn I: Die Poetik didaktischer Anfänge ................ 91 3.2.2 Zum Jahresbeginn II: Janus und die bruma ................................ 104 3.2.3 Das Jahr an der Schwelle: Janus und der Kalender .................... 122 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4

Janus als Gott der Anfänge und der Türen ........................... 124 Janus und die Zeit ................................................................. 131 Janus und die Monate ........................................................... 134 Janus und der Kalender ......................................................... 137

3.2.4 Die Öffnung des Jahres .............................................................. 143 3.2.4.1 Epische Eröffner: Surrogate des Anfangs ............................. 144 3.2.4.2 Mars’ Prinzipat des Jahres .................................................... 151 3.2.4.3 Venus und die verwehrte Öffnung des April ........................ 160 3.2.5 Terminus: Grenzstein in Raum und Zeit .................................... 169 4 Die Fasti als augusteisches Kulturbuch ...................................................... 187 4.1 4.2

Die Form des Janus ........................................................................ 187 Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen ........ 197

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Inhalt 4.3 4.4 4.5

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form ....... 202 Die Form der Fasti......................................................................... 214 Die römische Kultur der Differenz ................................................ 230

4.5.1 Eine kurze Geschichte des Kulturbegriffs und der implizite Kulturbegriff der Fasti .......................................................................... 235 4.5.2 Ein Kulturbegriff der Differenz .................................................. 239 4.5.3 Kulturentstehungslehre ............................................................... 248 5 Schluss ........................................................................................................ 259 Bibliographie .................................................................................................... 261 Indizes ............................................................................................................... 277

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

Ovids Fasti verhandeln wie nur wenige andere antike Texte das Verhältnis der Literatur, insbesondere der römischen Liebeselegie, zu einem kulturell zentralen Wissensbestand. Thematisiert wird das Wissen, das sich um den Festkalender rankt und im Zuge seiner Exegese bei den römischen Fachschriftstellern, Historikern und Antiquaren entsteht. Zunächst ist diese thematische Ausrichtung auf ein Wissensgebiet für ein Lehrgedicht üblich, das die Fasti, in einer charakteristischen Mischung mehrerer hellenistischer Gattungen, auch darstellen (s. dazu den Abschnitt 2.3 zur Lehrdichtung); Ovids Text gehört jedoch allererst einer kleinen Gruppe von hellenistischen Dichtungen an, deren konzeptuelles Hauptmerkmal nicht das Didaktische, sondern die Welterklärung in Form der poetischen Aitiologie ist.1 Die Aitiologie oder „Ursprungserklärung“ bzw. „-erzählung“ kann als eine der gängigsten epistemischen Techniken der Zeit aufgefasst werden: In der Antike ist die Ursachenerklärung seit Aristoteles, bei Diogenes Laertios der

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Die wichtigste Definition der Aitiologie eines klassischen Philologen ist wohl die Erwin Rohdes, die „Ortssagen“ und mythische Aitien gleichsetzt (1914, 70 f.): Der „ätiologische Charakter ist es nun gerade, der die vorzüglich von den hellenistischen Dichtern bearbeiteten Sagen auszeichnet. Deutlich genug sprechen sich in ihrer Vorliebe für solche Sagenstoffe ihre gelehrten Neigungen aus [...]. Man darf aber nicht verkennen, daß dieser ätiologische Charakter den Ortssagen, welche jene Dichter nicht ohne richtigen künstlerischen Instinkt sich zum Gegenstand ihrer Behandlung erwählten, fast notwendig innewohnt, ja daß Ortssagen und ätiologische Sagen beinahe identische Begriffe sind. So vereinigte sich in diesen ätiologischen Sagen [...] in einer nicht unglücklichen Mischung die gelehrte und die echt dichterische Tendenz jener Poeten.“ Zu den Aitien der augusteischen Elegie, besonders der Fasti, cf. Loehr 1996 und Labate 2010, 157– 64. Zur poetischen Aitiologie in den Fasti und ihrem literaturgeschichtlichen Hintergrund, s. auch Barchiesi 1997, 214–37 und Prescendi 2002. Zur Aitiologie Ovids bes. in den Metamorphosen, s. Myers 1994.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

αἰτιολογικώτατος (5.32.1),2 das „modellhafte Paradigma“ für den weiteren Wissenserwerb.3 In lateinischer Sprache ist sie bei antiquarischen Schriftstellern wie Varro ebenso zu finden wie in Livius’ Geschichtsschreibung oder in Vergils Aeneis, die man als Ursprungserzählung Roms und des julischen Herrschaftsanspruchs lesen kann.4 Zahlreiche aitiologische Episoden der Fasti gehen auf all diese Texte als Quellen oder Kontrastfolien zurück, wobei als konzeptuell-generische Vorbilder neben Kallimachos’ Aitia und Properz’ viertem Elegienbuch auch einzelne aitiologische Gedichte Tibulls wie 2.1 zu den Ambarvalia und 2.5 zu den Parilia zu nennen sind.5 Es handelt sich beim aitiologischen Modus der Erklärung stets um die Herleitung zeitgenössischer Phänomene aus der Vergangenheit, um eine kausale Verknüpfung der sichtbaren Zeichen in der Gegenwart aus der Geschichte und der Mythologie, wie wir sie auch in der Aitiologienabfolge der Fasti immer wieder antreffen. Mircea Eliade bezeichnet den Mythos gar als aitiologisch per definitionem: Der Mythos erzählt eine heilige Geschichte; er berichtet von einem Ereignis, das in der primordialen Zeit der ‚Anfänge‘ stattgefunden hat. Anders gesagt: der Mythos erzählt, auf welche Weise dank der Taten der übernatürlichen Wesen eine Realität zur Existenz gelangt ist – sei es nun die totale Realität, der Kosmos, oder nur ein Teil von ihr: eine Insel, eine Pflanzenart, ein menschliches Verhalten, eine Institution. Es handelt sich immer um die Erzählung einer ‚Schöpfung‘: es wird berichtet, wie etwas erzeugt worden ist und begonnen hat, zu sein.6 2

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Nach Aristoteles verfügt man genau dann über Wissen, wenn man bestimmte Dinge erklären, d.h. in diesem Fall „ihre Ursache angeben“ kann (Metaph. 5.2). Aristoteles’ Beschreibung der vier Ursachen findet sich in Phys. 2.3, mit dem programmatischen Absatz zu Anfang (194b 16–24): διωρισμένων δὲ τούτων ἐπισκεπτέον περὶ τῶν αἰτίων, ποῖά τε καὶ πόσα τὸν ἀριθμόν ἐστιν. ἐπεὶ γὰρ τοῦ εἰδέναι χάριν ἡ πραγματεία, εἰδέναι δ᾿ οὐ πρότερον οἰόμεθα ἕκαστον πρὶν ἂν λάβωμεν τὸ διὰ τί περὶ ἕκαστον, τοῦτο δ᾿ ἐστὶ τὸ λαβεῖν τὴν πρώτην αἰτίαν, δῆλον ὅτι καὶ ἡμῖν τοῦτο ποιητέον καὶ περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς καὶ πάσης τῆς φυσικῆς μεταβολῆς, ὅπως εἰδότες αὐτῶν τὰς ἀρχὰς ἀνάγειν εἰς αὐτὰς πειρώμεθα τῶν ζητουμένων ἕκαστον. Zur Aitiologie in der griechisch-römischen Antike, bes. im Zusammenhang mit religiösem Wissen, s. auch Waldner 2014. Für den Begriff des „modellhaften Paradigmas“ in diesem Sinne, s. Richter/Schönert/Titzmann 1997, 26. Cf. Hardie 1986, 68: „Virgil’s interest in cosmological origins can here be seen to link up with the Alexandrian taste for aetiological poetry; the Aeneid is indeed a poem of foundation, a ktisis“; s. auch Binder 1988 und Horsfall 1991 zu Vergils aitiologischer Dichtung. Die Aitiologie liegt im poetischen Trend der Augusteer, wie McKeown (1984. 239, Anm. 40) bemerkt, dass nämlich mit Ausnahme des Horaz „almost all the great Augustan poets were interested in aetiological speculation.“ S. auch Schmidt 2003, 108–12 zur politischen Dimension der literarischen Aitiologie der Augusteer. Cf. Eliade 1988, 15 f., Hervorh. im Orig. Zu Mythos und Aitiologie in Ovids Metamorphosen und Fasti, s. Graf 2002, dort 115 für eine allgemeine Definition: „Among the most elementary and most widespread functions of myth is aetiology – to explain and,

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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Die Aitiologie isoliert einzelne Eigenschaften der Gegenwart (des Rituals, der Namen oder der sozialen Ordnung) und erklärt diese als charakteristisch, indem sie sie rückblickend, aus der Vergangenheit heraus, erklärt.7 In der Form, die man in der spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen römischen Literatur zumeist antrifft, ist dies ein genuin poetischer, zumal ein Moment der Fiktion beinhaltender Modus des Wissenserwerbs und der Wissensdarstellung. Daher betrachte ich die Aitiologie im Folgenden vornehmlich als ein Verfahren zur literarischen Wissenserzeugung, aber auch als ein wirkungsvolles Instrument zur Herstellung verschiedener Ebenen der Diegese und variierender Stimmen innerhalb eines Textes. Zugleich wird sie als Mittel des Anschlusses an andere literarische Texte der Tradition verwendet. Sie kann somit auch als literarische Gedanken-, ja Erzeugungsfigur von Text und Erzählung bezeichnet werden. Die vorliegende Studie geht von der Hypothese aus, dass Ovids Fasti sich in einem gemeinsamen Wissensdiskurs mit den oben genannten poetischen sowie historiographischen und antiquarischen Prosatexten befinden, was u.a. durch die zentrale Gedankenfigur der Aitiologie deutlich wird.8 „C’est de Varron que vient la plus grosse part de l’information d’Ovide dans les Fastes“,9 schreibt Georges Dumézil 1966 über die „érudits Romains“ und weist damit sowohl den römischen Universalgelehrten als auch Ovids Gedicht als zentralen Wissensakteur bzw. -text im Rahmen seiner eigenen Studien zur römischen Religion aus. 10 Im römischen

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by the very explanation, to organize natural and social phenomena by giving accounts of how they came into being in events of the distant past; often these myths legitimate social facts or human use of nature, and they were thus termed ‚charter‘ myths by Bronislaw Malinowski.“ Prescendi 2002, 143 f. gibt zu bedenken, dass Mythen für Malinowski keine Erklärungen lieferten, sondern „fixent un précédent qui constitue un modèle, une garantie de durée et qui quelquefois donne aussi des règles pratiques de comportement.“ Zu Ovids poetischer Darstellung der Vergangenheit und zur aitiologischen Verbindung mit der Gegenwart, s. Barchiesi 1997, 214–37 und Prescendi 2000, 91–9. Loehr 1996, 193 (mit 209) warnt davor, die poetologische Aitiologie und Mehrfacherklärung voreilig von der antiquarischen Behandlung dieser Phänomene abzuleiten. Ihre Ableitung der Praxis Ovids von Kallimachos Aitia und Properz’ zwei Gedichten in dessen viertem Buch, die Mehrfacherklärungen enthalten, bleibt jedoch lückenhaft. Ich setze in meiner Arbeit eine direkte Auseinandersetzung mit den antiquarischen Schriftstellern, allen voran Varro, voraus (eine ausführliche Darstellung der römisch-antiquarischen Schriftstellerei folgt weiter unten). Dumézil 1974, 111. Die Fasti sind als literarischer Text über die Feste und Kulte der Römer auch ein Text über Religion. Sie sind ein Teil des intellektuellen Diskurses über Religion und nicht Quelle über historisch verifizierbare Handlungen (Schörner/Šterbenc Erker 2008, 8): „Der literarische Diskurs über Religion wurde in der jüngsten Forschung als ein Teil der Religion anerkannt, als die Religion der Intellektuellen. Diese Erkenntnis hat sich in Untersuchungen zu Literatur als Medium von Religion als fruchtbar erwiesen. Dieser

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

Diskurs übernehmen dabei die im engeren Sinne literarischen Texte eine bestimmte Funktion,11 indem sie das Wissen der Fachschriftsteller wie Varro oder Verrius Flaccus nicht einfach übernehmen oder bekräftigen, sondern auch hinterfragen, neu strukturieren und für poetische Zwecke beanspruchen; 12 damit artikulieren sie eigene Erklärungsansprüche der Phänomene römischer Kultur. Das antiquarische Projekt der Kalenderkommentierung, das Ovid in die poetische Literatur einführt, steht nach dieser These in einem Bezugsrahmen fachschriftstellerischer Texte, in dem seine Operationen erst Kontrastwert erhalten. 13 Eine literaturwissenschaftliche Kontextualisierung der Fasti muss auch diese Seite berücksichtigen, nachdem in der Forschung zuletzt die literarische Tradition, die natürlich ebenso prominent an der Textgenese beteiligt ist, häufig als alleiniger Kontext behandelt wurde.14 Das ästhetische Moment bestimmt mithin die besondere Art, wie sich der Text als literarisches Artefakt zum ihn umgebenden Diskurs verhält; aber das Wissen der Fasti wird in den meisten Fällen nicht aus poetischen Texten geschöpft. Wir bewegen uns daher im Überschneidungsfeld zweier textlich greifbarer Corpora: einerseits der antiquarisch-historischen Tradition, die das Wissen und die kulturgeschichtlichen Vorstellungen, die Ovids Text zugrunde liegen,

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methodische Zugang wendet sich ab von der Betrachtung des Textes als Auskunft über tatsächlich vollzogene Rituale, Kulte und tatsächlich existierende Götterbilder.“ Zur Bestimmung von ‚literarischen‘ Texten gegenüber ‚nicht-literarischen‘, cf. Specht 2010, 17: „Die Grenzziehung zwischen literarischen und nicht-literarischen, also auch poetischen und wissenschaftlichen Texten hängt – so ein breiter Konsens der neueren Narratologie – nicht primär an bestimmten Texteigenschaften selbst, auch nicht an Spezifika der Referenz oder Relation, sondern wird, in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen jeweils verschieden, durch die in ihnen implizierte Wirkabsicht und Kommunikationssituation bestimmt. Sie ist also mehr eine Frage der Pragmatik als der Semantik oder Syntax von Texten, und diese fällt in unserer Kultur und unserer Zeit unverkennbar sehr unterschiedlich aus.“ Den Vorschlag für vier denkbare Relationen zwischen Literatur und (insbes. „kulturellem“) Wissen machen Richter/Schönert/Titzmann 1997, 30: Literarische Texte seien in der Lage, (1) Wissen zu integrieren, d.h. es zu bestätigen und zu modifizieren, aber auch zu kritisieren; (2) Wissen zu bewahren und im öffentlichen Gespräch halten; (3) zu erzeugen und erst von den Wissenschaften als kulturell relevantes Wissen sanktionieren zu lassen; (4) es zu negieren, d.h. zu leugnen oder als nicht vermittelbar auszusparen. Zu den ‚Quellen‘ der Fasti, um die es in dieser Arbeit in dieser älteren stellenphilologischen Stoßrichtung allerdings nicht geht, sind Merkel 1841, xii-ccliv sowie Peters 1939 grundlegend. Die wichtigsten Monographien zu den Fasti der letzten ca. 25 Jahre zeigen das zur Genüge: Barchiesi [1994] 1997, Herbert-Brown 1994, Newlands 1995, Merli 2000, PascoPranger 2006. Erst letztere zieht tatsächlich eine Passage aus Varro zum Textvergleich heran, was (noch konsequenter) in ihren früheren Artikel von 2000 geschieht, wo sie eine „a re-evaluation of the centrality of Roman prose antiquarianism to Ovid’s calendar poem“ fordert (291).

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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liefert, und andererseits der poetischen Tradition, nicht nur mit ihren mythischen Erzählungen und zentralen Figuren der römischen Vorstellungswelt, sondern besonders auch mit ihren literarischen Verfahren und ästhetischen Präferenzen. Ohne hier von einer starren Dichotomie von Form und Inhalt auszugehen, muss das, was die Präsentation und auch die Kreation von ‚Kalenderwissen‘ bestimmt, d.h. die kreative Exegese und (Neu-)Motivierung der Ordnung, Anlage und Begründung seiner Elemente, in der literarischen Form des Textes gesucht werden. Diese Form ist eine Funktion seiner Selbstverortung im hellenistisch-römischen Gattungssystem, aber auch aus Ovids Schreiben und Schreibweisen selbst zu erklären. 15 Sie liefert die Grundkoordinaten dessen, was in den Fasti das Wissen des Kalenders zumeist in eine bestimmte Richtung, auf ein bestimmtes Ergebnis hin zu deuten trachtet, nämlich auf eine römische Kultur des Friedens, der Künste und der Wissenschaften, sowie eine Orientierung über die Synergieeffekte der beiden Kraftfelder (und vielleicht nur heuristisch zu trennenden Kategorien von) ‚Wissen‘ und ‚Literatur‘. Im Verlauf dieser Arbeit wird diese ‚Form der Fasti‘ immer wieder beleuchtet werden, um sie im dritten Teil auf einen Begriff zu bringen: den Begriff einer römischen Kultur der Differenz. Die Art und Weise dieses Zusammentreffens von Wissen und Literatur am Kernthema der Fasti darzustellen, das ich in der Geschichte der Kalenderkonstitution und der aitiologischen Erklärung der Gestalt, der Ordnung und der Namen des römischen Jahres sehe, ist das Vorhaben meiner Studie. In den Passagen über die Kalenderkonstitution sind gleichsam die Meister-Aitiologien des Textes zu finden, die seine Ausrichtung bestimmen und im Kleinen durch die gesamten Fasti hinweg immer wieder anzutreffen sind. Die Stoßrichtung meines Beitrages zu einer ‚literarischen Wissensgeschichte‘ der römischen Literatur ist also eine über historische Darstellungen der faktischen Ereignisse und Reformen des Kalenders hinausgehende Interpretation der poetischen Verarbeitung sozialer Zeitverhandlung in Rom. Einem solchen ‚wissensgeschichtlichen‘ Ansatz zu den Fasti, der damit umrissen ist, geht es allerdings nicht um ein etwaiges „Wissen der Literatur“ oder um die „Literatur als Wissen“, sondern „um die Rekonstruktion historischer Wissensbestände und deren mögliche Bedeutung für die Dichtungsentwicklung

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Der zugrunde gelegte Formbegriff ist dabei der ‚technische‘ Begriff, wie ihn Dieter Burdorf in seiner Poetik der Form beschrieben und von einem ‚emphatischen Formbegriff‘ abgesetzt hat (s. Burdorf 2001, 2 f.): „Form“ meint hier demnach nicht ‚Gestalt‘, ,Idealität‘ oder symbolische ‚Vollkommenheit‘, sondern bezeichnet schlicht die in literarischen Texten zum Einsatz kommenden Verfahren, also Erzählweisen, metrische und klangliche Überformungen sowie metaphorische und metonymische Verschiebungen des künstlerischen Verfahrens und weniger den idealistischen oder vitalistischen Begriff, der Formen als Ausdruck des Geistes oder einer Lebenskraft bezeichnet.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

eines Zeitraums.“ Dieser Zugang „fragt nach wissensgeschichtlichen Voraussetzungen der Literatur sowie nach semantischen, strukturellen und kontextuellen Transformationen des Wissens in der Literatur.“16 Die genannten antiquarischen und historischen Texte sowie die Steinkalender der sogenannten fasti anni selbst, die neben den Daten großer Stadtfeste auch praktische Orientierung über Gerichts- und Markttage lieferten und mit Augustus’ Herrschaft große Verbreitung im gesamten Reich fanden, bewahrten das Wissen über Bräuche, Rituale und deren Erklärungsarten auf. In der Exegese des Kalenders wurden dabei jedoch die Aitien ständig aktualisiert, insofern sie zeitgenössischen Bedürfnissen nachkommen sollten oder ihnen wechselnde ethisch-gesellschaftliche Vorstellungen zugrunde lagen. Diese Texte und Aitien dienen Ovids Gedicht als Stoff – als sein Wissen, das in die Literatur Eingang findet. Die ‚Literarisierung‘ von Wissen der Fasti ist in dieser Form evident:17 Der erste Vers mit der ungewöhnlichen Junktur tempora cum causis („[Fest-]Zeiten mit ihren Ursprüngen/Begründungen“) gibt die epistemische Dimension eines im Kern aitiologischen Textes sogleich vor. Zudem verknüpft das erste Distichon, wie die Fasti im ganzen, die zwei Wissensgebiete der Kalenderexegese und der Astronomie mitsamt der griechischen Verstirnungssagen: tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam („die Festzeiten mit ihren Ursprüngen, die über das römische Jahr hinweg verteilt sind, und die Sternbilder, die

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Stiening/Vellusig 2012, 8. Cf. auch Gess/Janßen 2014, 6 im Anschluss an die Frage, „wie sich Literatur gegenüber externen Wissensordnungen positioniert“: „Dabei ist, aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, zunächst zu untersuchen, wie sich Literatur zum System der etablierten Wissenschaften verhält, ob und wie sie deren Kenntnisse aufnimmt oder hinterfragt, deren Verfahren übernimmt, beobachtet oder transformiert und durch genuin literarische Verfahren einer anderen Formation von Wissen zuführt. Hier schließt sich eine Reihe von Fragen an [...]; etwa, ob bestimmte literarische Textformen oder -gattungen sich aus bestimmten Wissensfundamenten herleiten, oder auch, ob das Verhältnis der Literatur zur Wissenschaft nicht insofern als ambivalentes beschrieben werden muss, als Literatur zwar Kenntnisse übernimmt, dabei jedoch eine besondere Sensibilität für das Arkane, Ausgeschlossene, Verworfene oder für das noch Unbeantwortete und Fragliche, also für das eigentlich nicht Gewusste an den Tag legt.“ Cf. Specht 2010, 22 zu vier möglichen Formen der Literarisierung von Wissen: „Cum grano salis gibt es wohl vier Möglichkeiten, wie sie sich konkret im Text manifestiert. [...] Wissen kann erstens Stoff der Dichtung sein, zweitens ihr Thema, kann drittens in der Bildlichkeit des literarischen Textes zum Ausdruck kommen, aber viertens auch über die im engeren Sinne semantische Textdimension hinaus die Komposition des Textes und stilistische Präsentation prägen.“ Gleich ins Auge fallen also die erste und die vierte Möglichkeit für die Fasti, was die anderen beiden aber nicht ausschließt: Die Bildlichkeit des Jahreskonzepts wird etwa in der Figur des Gottes Janus deutlich, die ich in dieser Arbeit ausführlich untersuchen werde (s. Kap. 3.2.1–4).

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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unter die Erde geglitten und [wieder] aufgegangen sind, werde ich besingen“).18 Zusätzlich dient die lineare Abfolge markierter Tage als formaler Rahmen, als eine von außerhalb der Literatur importierte Kompositionsvorgabe. Denn das Gedicht behauptet, dem römischen Jahr, wie es von den Steinkalendern präsentiert wird, Tag für Tag zu folgen,19 den Leser also mitzunehmen zum häufig nicht nur besprochenen, sondern in der fiktionalen Erzählsituation auch vom Sprecher besuchten Fest oder zur Beobachtung des am jeweiligen Tag auf- oder untergehenden Sternbildes.20 Dennoch geht es in den Fasti nicht primär um eine ‚korrekte‘ Darstellung der römischen Praktiken oder um eine ‚wissenschaftliche‘ Sammlung der Quellen und aitiologischen Erklärungen für die Phänomene des Jahres (auf die ohnehin problematische Verwendung solcher Kategorien für dieses Wissensgebiet komme ich zurück); vielmehr scheint es um die Aufschreibbarkeit dieses spezifischen Wissens in einem poetischen Text zu gehen, um seine Anreicherung und Neumotivierung mit literarischen Formen und Stoffen – und letztlich auch um die künstlerische Beanspruchung eines kulturell und politisch umkämpften Feldes der römischen Gesellschaft. Ovids Text zeigt in dieser Bearbeitungsweise, dass auch ein anderer Kalender möglich wäre und multiple Modelle des Jahres, variierende Motivierungen der Konstruktion dieses Zeitverlaufs gefunden werden können: Ein Effekt ist die Erzeugung oder auch das Sichtbarmachen von Kontingenz. Denn der Kalender der augusteischen Epoche war aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammengetragen und hatte seine Kohärenz nach unterschiedlichsten Prinzipien gewonnen. Die Fasti tragen durch diese Anreicherung des Themas die Möglichkeit in sich, nicht nur zur Unterhaltung der gebildeten Leser der Oberschicht zu dienen, sondern auch zum Nachdenken, zur Kritik eines einerseits immer wissenschaftlich-starrer gewordenen, andererseits immer mehr durch die Politik beanspruchten sozialen Zeitsystems anregen zu können. Der Wissensdiskurs zum rö-

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Zitiert wird der Text der Fasti nach der Teubner-Ausgabe von Alton, Wormell und Courtney ([1978] 2005). Die Übersetzungen sind meine eigenen, zum Vergleich herangezogen wurden Bömer 1957–58, Frazer 1889 und Schilling 1992. Falls nicht anders angegeben gilt dies auch für die Übersetzungen anderer antiker Texte. Das wird zu Anfang des Textes in der Passage der kurz abgehandelten iura dierum impliziert (1.61 f.): haec mihi dicta semel, totis haerentia fastis, / ne seriem rerum scindere cogar, erunt. Die Zählungen von Tagen oder Sonnenauf- und Untergängen kontinuiert dieses Kompositionsprinzip durch den gesamten Text hindurch, zuerst anzutreffen in 1.317 f. in der Ankündigung des Agonalienfestes: quattuor adde dies ductos ex ordine Nonis, / Ianus Agonali luce piandus erit. Zur Trope der „poetischen Simultaneität“ in den Fasti, s. Volk 1997. S. etwa die Passage, in der der Sprecher an den Cerealia seine Heimat aufzusuchen vorgibt, um das Fuchsritual dieses Festes zu erklären (4.685–88): hac ego Paelignos, natalia rura, petebam, / parva, sed assiduis obvia semper aquis. / hospitis antiqui solitas intravimus aedes; / dempserat emeritis iam iuga Phoebus equis.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

mischen Kalender beschließt dessen Entwicklungsgeschichte mit der Reform Julius Caesars, da mit ihm die Übereinstimmung mit dem natürlichen Zyklus, somit eine abschließende „Korrektur“ (so etwa Censorinus in De die natali 22.8) erreicht worden sei.21 In den Fasti wird dem Kalender wieder eine größere Offenheit zuteil, u.a. durch die Behandlung mehrerer Jahresanfänge: So wird das Ordnungsmuster des Jahres (s. unten zu diesem Begriff) als ein flexibles dargestellt, die Kontingenz dieses zeitlichen Ordnungsmusters wird begreiflich. Nun wurde Ovids Text als Gegenstand einer noch recht jungen und erst mit den 1990er Jahren zu einer gewissen Reife gekommenen Forschung lange weder für einen literarisch wertvollen noch für einen verlässlich wissensvermittelnden Text gehalten:22 Hermann Fraenkel etwa las die Fasti 1945 als eine Art pädagogisches Kompendium der Kultur, das in seiner ungeordneten Diversität und durch die bunte Einlage griechischer Mythen allenfalls geeignet gewesen sei, Schulkindern das römische Jahr näherzubringen. 23 Als ästhetisches Objekt misslungen, als Referenz für römische Religion jedoch zu unzuverlässig, wurde das Gedicht mit dem Verweis auf dessen Unabgeschlossenheit und Ovids Exilierung meist als gescheitertes Projekt abgetan.24 Dennoch hat man die Fasti immer wieder als Quelle zur Rekonstruktion der römischen Religion und des Kalenders benutzt, also doch eine veritable Form der Wissenspräsentation vorausgesetzt. Die beginnende Wende der Fasti-Forschung Anfang der 1990er Jahre hin zu literaturwissenschaftlichen Ansätzen wurde u.a. durch die Formel John Scheids geprägt, dass Ovid „kein Kollege“ der Historiker und Religionswissenschaftler sei, sondern vor allem Literat.25 In einem Distichon der Ovidischen Amores (3.12.41 f.) war ebendies schon in Ovids Werk selbst zum Motto geworden: exit in immensum fecunda licentia uatum, / obligat historica nec sua uerba fide („die fruchtbare Ungebundenheit der Dichter geht ins Unermessliche hinaus, sie fesselt ihre Worte nicht mit historischer Zuverlässigkeit“). Zudem habe sich der Augusteer laut Scheid im diskursiven Kontext 21 22

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S. dazu Kap. 3.1.2. Diese Forschungsgeschichte wurde in den letzten etwa 20 Jahren mehrmals geschrieben und muss hier in so allgemeiner Form daher nicht noch einmal abgehandelt werden: S. nur Miller 1992, Fantham 1995 und Myers, 1999, 198–200. Fränkel 1945, 142–51. S. etwa Johnson 1978, 8: „it is too uneven in quality, too ramshackle, because it never took and kept its fire, and it remains scattered poems, pieces of poems. Its content baffled Ovid and its form therefore eluded him. He tried, he kept trying; there were many brilliant sketches, some of them perfect, or nearly so. But the entire poem would not permit itself to be written. It is, despite the splendor of its donnée, despite the frequent luster of some of its parts, his only failure. [...] Under the frequent customary shining, the Fasti is a hollow, darkening poem.“ S. für eine ähnliche Perspektive Bömer 1958 I.15–22. Scheid 1993, 122. S. auch Braun 1981, 2349 zur Diskussion der Musen zu Anfang von Fasti 5, wo er immerhin die Kategorie der Wissenschaftlichkeit ins Spiel bringt: „Wissenschaftliche Unverbindlichkeit liegt über dem Ganzen.“

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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einer dynamischen römischen Kalenderexegese bewegt, die sich ständig den Anforderungen der Zeit anpasste und neue Interpretationen für Feste und Rituale wie auch für den Aufbau des Jahres schuf:26 Roman exegeses could never claim to be part of the cult and of the traditional religion, which was not built on revelation and orthodoxy, but upon ritual custom and orthopraxy. [...] exegesis was not a religious activity, but part of cultural life. [...] From this perspective we no longer need to accuse Ovid of incoherence, incompleteness, let alone incompetence in religious matters. From the exegetical standpoint it is nonsense to blame Ovid for modifying his interpretation from one passage to another, or from one book to another. Those were the laws of the game of exegesis in a culture which was not submitted to dogma. There was no necessity for a unique and unified sense. In fact the best that Roman society could expect from a scholar or a poet was his capability of producing the greatest number of interpretations.

Aus der bald postmodernen Sicht auf Ovids Schreiben und den Kontext der Exegese, wie sie hier erkennbar ist,27 gibt es kaum je ‚richtige‘ Erklärungen für religiöse Phänomene, Feste und Rituale – warum sollte es Ovid also nicht erlaubt sein, weitere poetisch-fruchtbare Auslegungen hinzuzufügen?28 Noch war laut Scheid ein vereinheitlichtes Sinnangebot Aufgabe dieser Texte, was Ovid auch von dem Vorwurf der disparaten Anlage und teils Widersprüchlichkeit seines Gedichts befreit.29 Vielmehr können die Fasti genau in dieser Offenheit der Kalenderexegese und der Interpretation des Jahreslaufs ansetzen. Denn wie Mary Beard festgestellt 26

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Scheid 1993, 122 f. S. auch Hardie 1991, 63: „where antiquity or obscurity render certainty impossible it is no surprise to find the human investigator contenting himself with merely listing possibilities. Furthermore. recent historians have stressed that the multiplicity of competing explanations is indeed called for by the rules of this kind of exegetical game, without leading to a sense of inadequacy or frustration.“ S. auch Prescendi 2002, 144 f. zu dieser Eigenschaft der religiösen Aitiologie. In dezidierter Weise erfolgt dieser Zugriff auf Ovids Werk etwa bei Butler 2013 und Möller 2013. Cf. Scheid 1993, 123: „Statements produced outside the cult in a society which did not know ‚religious control‘ of ideas in the Christian sense could not have limits. [...] The outcome would necessarily be creative, because the rules of the exercise were precisely those of artistic and intellectual creation, not those of the recovery of an initially revealed and fixed sense.“ Neben Scheids Aufsatz gab Mary Beard 1987 in einem Beitrag zur Dynamik der Kalenderexegese und insbes. zu Ovids Parilia in Fasti 4 den Anstoß zu einem unbefangeneren Umgang mit variierenden Interpretationen der Kalenderphänomene. Dieses Urteil noch bei Johnson 1978, 11: „Myth, history, astronomy, legend, prayer, rites and temples – all of them dissolve into the jumble and wreck of the vanishing past and into the confusions of the present. There is no center for this unnerving blur of days and festivals to be gathered into. The center is not the Ara Pacis or the Palatine temple; the center is not the old gods, major and minor, or the new gods.“

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hat, gab es im römischen Kalender „no main narrative thread linking one festival and the next.“30 Dieses schwach ausgeprägte Syntagma verlegt den Schwerpunkt in die Ebene des Paradigmas,31 d.h. auf die Deutung und Synthese mehrerer Linien und Erklärungen für ein Phänomen, was die Mehrfach-Aitiologie ja zuvorderst leistet. Ovid entwickelt diese Paradigmen selbst kreativ, ja er schafft im ganzen Werk immer wieder auftauchende, als diskursive Paradigmen fungierende poetische ‚Codes‘, d.h. semantische Strukturen von Gegensatz und Synthese, und vollbringt damit eine Eigenleistung in der Setzung, ja der poetischen Begründung des kulturellen Jahres und der Konstitution des Kalenders: Er ist in diesem Sinne als der (selbsternannte) vates Romani conditor anni zu verstehen (Fasti 6.21),32 der durch diese Darstellung essentielle Werte der Kultur beschreibt bzw. einen poetischen Entwurf entlang ihrer zentralen Problemstellungen anbietet. Aus diesem Grund sind die Fasti nicht als künstliches aitiologisches Spiel mit religiösen und historischen Fragen zu sehen, sondern als intellektuelle Kommentierung einer Gegenwart, die sich aus der Vergangenheit heraus zu definieren sucht.

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Beard 1987, 7. Beards Konzept der „paradigmatischen Effekte“ übernimmt Barchiesi 1997, 105: „Let us now see what happens when associations (and conflicts) of ideas arise not through their linear contiguity in the narrative, and in the calendar, but through an operation of selection. We could call the source of these effects the paradigmatic axis of the calendar and of religious traditions. The calendar is deeply stratified in that the individual annual ‚slots‘, the days which are the poem’s most obvious unit of measurement, can lend themselves to a plurality of alternative motivations and connotations. There are two main lines along which the poet can move in order to increase his freedom in creating combinations. First, a single event can be made to proliferate through multiplying its causes, explanatory accounts, or simple associations. Second, the day in question can give rise to a sort of competition between various occasions to be commemorated – festivals for the gods, anniversaries of public interest, monuments to be celebrated. Once again, this multiplicity brings into play the poet’s formal responsibility, while at the same time it provides him with an alibi.“ Ein Wortspiel auch mit der übertragenen Bedeutung von condere, „ein Gedicht verfassen“: McLeod 1983, 2005; innerhalb der augusteischen Dichtung gehen diese Formulierungen in den Fasti auf die poetische Aitiologie des Properz zurück, s. bes. dessen Vers 4.1.57 moenia namque coner disponere versu. Zum Thema ihres Buchs über die Fasti hat dieses Konzept freilich Pasco-Pranger 2006 gemacht. Green (2004, 8) greift diese Thesen auf: „So Ovid takes advantage of the dynamic nature of the official calendars to exercise a certain amount of choice. For the most part, however, the calendar framework does encourage Ovid to deal with the important festivals commemorated on the individual days in January as they occur in the official calendars. Nevertheless [...] the calendar did not dictate in any way the manner in which Ovid should deal with a given festival.“

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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Zudem verankert diese Sichtweise auf die Fasti als dynamische Exegese kultureller Phänomene den Text noch stärker in der Tradition der antiquarisch-hellenistischen Fachschriftstellerei,33 da diese sich gerade durch die Mehrfach-Aitiologie auszeichnet, die alle möglichen in der Tradition auffindbaren Erklärungen sammelt und sich meist nicht für eine ‚richtige‘ entscheidet:34 Der Antiquar interessiert sich für ebenjenes, was ob seines Alters kaum noch zu veri- oder falsifizieren und schon durch seine bloße Präsenz in der Überlieferung der Betrachtung würdig ist. In Ovids Text wird, wie auch bei Kallimachos und Properz, meist nicht nur eine Erklärung für das je zu erklärende Phänomen gegeben, sondern mehrere. Diese Form der aitiologischen ‚Mehrfacherklärung‘ ist das dominante Prinzip auch bei den römischen Antiquaren wie Varro,35 „das verschiedene Erklärungen zu einem Phänomen parallel und additiv, häufig sogar als alternative Möglichkeiten präsentiert.“ Man hat die „Gültigkeit verschiedener Aitia für einen Ritus in Rom auf die Komplexität und Pluralität der römischen Gesellschaft zurückgeführt“, da diese nicht mehr als geschlossene Gruppe „den Konsens“ darüber herstelle, „welches die momentan wahre Erklärung sei, sondern verschiedene Erklärungen gleichzeitig [...] für wahr“ halte. Diesen Zustand einer real existierenden, sozial begründeten ‚Mehrfacherklärung‘ von „Riten, topographischen Namen und ähnlichem bilden die Antiquare ab. Denn ihre Forschungen, zumal die Varros, stehen im Dienst des spätrepublikanischen und augusteischen Selbstverständnisses durch die ‚Darstellung der Vergangenheit zur Erklärung der Gegenwart.‘“36 An diese diskursiven Verfahren schließt Ovids Text in aller Deutlichkeit an und fügt ihnen ein entscheidendes Moment hinzu, wie Johanna Loehr mit ihren Buch von 1996 zur poetischen Aitiologie in den Fasti gezeigt hat: dass nämlich die Mehrfach-Aitiologien der Fasti in ihrer kollektiven Komplexität „poetische“ Wahrheiten über die Sachverhalte kreieren:37

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So treffend Scheid 1993, 123: „Ovid’s methods in his Fasti are the traditional methods of exegesis, with all their exuberance. They are the same as Varro’s, Verrius Flaccus’ or Plutarch’s. The only difference between these authors is the literary or scientific style of their essays, not the principles of exegesis. [...] Ovid writes his Fasti following the model of Callimachean poetry, allowing him to mix Roman and Greek references.“ Der Punkt wird deutlich bei Pasco-Pranger 2000, 290 f. und passim. Sie bezeichnet die römische antiquarische Tradition daher treffend nicht nur als „source“ für die Fasti, sondern auch als „model of discourse“ (275). Barchiesi 1991, 1-21; Hardie 1991, 47–64. Loehr 1996, 191 f. S. auch Graf 1992 zu variablen römischen Aitia (bes. der Lupercalia und Parilia). Wo sie aber die ähnliche Technik bei Antiquaren wie Varro noch als bloßes Sammeln abtut, die erst Ovid zu einer komplexen Denkform erhoben habe, findet Pasco-Pranger 2000 auch in der etymologisch-aitiologischen Prosa produktives Potential („cumulative effects in Varronian etymologies“, 285). Cf. außerdem John Millers Aufsätze (1982 und 1992) zu Ovids Mehrfacherklärungen und zur alexandrinischen Aitiologienliteratur insgesamt.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti Poetisch-aitiologische Mehrfacherklärung ist damit durch die Bestimmung ihrer poetischen Funktion und ihres poetisch-komplexen Wahrheitsanspruches von (natur-)philosophischer, antiquarischer und historischer Mehrfacherklärung positiv als Konzept komplexer Aussage klar unterschieden: Die Wahrheit der aitiologischen Mehrfacherklärung besteht weder in der prinzipiellen Möglichkeit der (je für sich exklusiv gedachten) Einzelerklärungen [...] noch in alternativen Einzelwahrheiten [...], sondern in der Harmonie der Teile der Komplexität. [...] Im Bewußtsein der Einheit des Sachverhaltes wird durch eine Vielfalt der Bild-Formen und Aussagen seine Komplexität dargestellt und begriffen. [...] Auf diese Weise gewinnt die Poesie zurück, was rationalistisch-wissenschaftliches Denken als Form des Begreifens zerstört hat: Das Denken der Einheit der Welt in der Vielheit ihrer Aspekte. 38

Die Dynamisierung eines kulturellen Zeitmodells, die abweichende Motivierung des römischen Kalenders und seiner Ereignisse, die wir für diese Arbeit und den wissensgeschichtlichen Ansatz angenommen haben, ergibt sich also schon aus der Situierung der Fasti im diskursiven Kontext der Kalenderexegese. Wenn in den Fasti Entscheidungen für bestimmte Aitiologien und getroffen werden, dann ist das meist durch den ästhetischen Wert zu erklären, der ihnen innerhalb des literarischen Textes zukommt.39 Eine epistemologische Eigencharakterisierung, die in die gleiche Richtung verweist, wird zudem im Text der Fasti selbst an vielen Stellen skizziert. Die Beglaubigung der dargelegten causae sei einerseits über eigene Forschungen erreicht, nämlich über Autopsie und Bücherrecherche, 40 andererseits über göttliche Informanten, d.h. Inspiration gewonnen, wozu letztlich auch die Zwiegespräche oder ‚Interviews‘ mit zentralen Göttern der römischen Religion gehören. Dieses zweiteilige Konzept findet in der callida iunctura des vates operosus (Fasti 1.101)

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Loehr 1996, 368. Cf. dazu Graf 2002, 115, der verschriftlichte aitiologischer Mythen in der hellenistischen Literatur beschreibt: „In evolved societies with a written tradition things become more complex. The different aetiological stories are preserved in the literary tradition and begin to compete with each other, and new forces influence the choice of variants and the change in traditional narrative. In societies in which the correct aetiology is part of orthodoxy, exegetes and allegorists take over. In others, where the collectivity of recipients is no longer society at large, but the group of like-minded literati and their patrons, literary or aesthetical strategies become the group concern that justifies choices of variants as well as changes and inventions in the tradition. Specific texts gain authority, and myths are chosen according to aesthetic values.“ So schon im Proöm: annalibus eruta priscis (1.7, s. auch 4.11); Angabe einer Inschrift als Quelle: 3.844; römische und latinische Kalender: 1.289, 657 f., 3.87–98, 6.57–63; Autopsie: 2.27, 3.523–42; 4.725–8, 905–42; 5.129–46; 6.219–34, 237–38; Fragen an betagte menschliche ‚Informanten‘: 2.571–82, 584; 4.377–8, 683–90; 6.395–416. Cf. Pasco-Pranger 2000, 279.

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

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seine prägnante Bestimmung.41 Übersetzen kann man sie etwa als „arbeitsamer Dichterseher“, den der Leser hellenistischer Dichtung auch unter dem Namen des inspirierten poeta doctus kennt. Molly Pasco-Pranger hat diesen Umgang mit Wissen und ‚Wahrheit‘ im aitiologischen Dichten über die Kalenderphänomene beschrieben, wobei sie besonders den Umgang mit der fernen römischen Vergangenheit der Aitien beleuchtet, der notwendigerweise freihändig erfolgen muss, da diese ins Spekulative gerückt ist:42 The antiquarian mode of discourse does not require a single answer, and indeed often depends on a multiplicity of explanations to build a layered, multifaceted relationship with the past. [...] By filtering antiquarian discourse through the mouths of the gods and by the conflation of vaticism and antiquarianism, the Fasti brings into relief the always mediated nature of access to the past. Neither discourse succeeds in giving direct access to ‚the truth‘, and the gods’ self-interested etiological explanations stand as a figure of the problems and possibilities presented by the antiquarian project. In its inclusion of alternatives and its moralizing strain, the Fasti’s antiquarianism differs from the Callimachean variety, borrowing the mode of prose antiquarianism to capture meanings and associations that were in flux and multivocal, and therefore did not lend themselves to a single divinely inspired answer.

Zwar hat der vates, als der sich der Sprecher der Fasti stilisiert, direkten Zugang zu einer ganzen Reihe von Gottheiten, von Janus und Mars über Flora und den Flussgott Tiberinus bis hin zu Juno. Allerdings konkurrieren, wie am fünften und sechsten Buchanfang zu den jeweiligen Monatsnamen Mai und Juni, bisweilen auch mehrere Götterstimmen zu einer einzigen Frage, wodurch variierende Meinungen und Überlieferungen wie im antiquarischen Schreiben nebeneinander stehen bleiben, ohne dass sich das forschende Ich in jedem Fall zu einem Urteil durchringen müsste.43 Wie also im Spiel des vates operosus mit Wahrheit(en) und deren Beglaubigung deutlich wird, sind nicht zuvorderst objektive Wahrheitskriterien an den Umgang der Fasti mit Wissen anzusetzen, wie es der Text auch selbst nicht tut; vielmehr sind der Anspruch auf Wahrheit, d.h. auf eine Rolle im Diskurs

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In der Junktur, die im Ganzen vates operose dierum lautet, ist außerdem der Anschluss an Hesiods Lehrgedicht über die kulturelle Zeit gefunden, die Werke (opera) und Tage (dies); cf. Hardie 1991, 59 und Barchiesi 1997, 233. Pasco-Pranger 2000, 291. In diesem Sinne ist der Ausweg am Ende der Passage zu den Juni-Etymologien zu verstehen: Da womöglich ähnliche Risiken wie für den mythischen Wettkampfrichter Paris drohten, wie die Enthaltung von einer Entscheidung zur Juni-Etymologie mythopoetisch motiviert wird (6.99 f.): ite pares a me. perierunt iudice formae / Pergama: plus laedunt, quam iuvat una, duae.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

um den Kalender, sowie die poetische Begründung und Rechtfertigung dieses Anspruchs zu beobachten.44 Implizit wird durch diesen Inspirationsgestus des vates auf die Fiktionalität des Textes Bezug genommen.45 Folgt man der literaturwissenschaftlichen, vor allem germanistischen Debatte der letzten Jahrzehnte um ‚Literatur und Wissen‘, ist das Medium Literatur in epistemischer Hinsicht vor allem anhand dieses Merkmals der Fiktionalität zu bestimmen.46 Die Fasti scheinen aber gerade mit dieser Bestimmung zu spielen, indem sie antiquarisches, lebensweltliches und dichterischinspiriertes Wissen überblenden und damit die Grenzen zwischen Fiktionalität und Faktualität verschwimmen lassen,47 wie etwa am Beginn des sechsten Buches zu sehen ist, bevor Juno auftritt, um ihr Plädoyer für eine Monatsetymologie des Juni vorzubringen (6.3 f): facta canam: sed erunt qui me finxisse loquantur, / nullaque mortali visa numina putent („ich werde [tatsächlich] Geschehenes besingen; doch es wird Leute geben, die sagen, dass ich das erfunden hätte, und die glauben, dass Sterblichen keine göttlichen Wesen erschienen sind“). Das Potenzial, abweichende Modelle der Wirklichkeit zu bieten und auf kontextuell bedingte, ja kontingent motivierte Erklärungen und Perspektiven auf die Welt zu verweisen sowie diese neu zu schaffen, gehört zu den Grundkonstanten von Poesie und überhaupt jeder Kunstform, die keinem pragmatischen Zwang un-

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Cf. Stiening/Vellusig 2012, 8: ‚Wissen‘ bestehe nicht nur in der tatsächlichen ‚Wahrheit‘ einer Aussage, sondern auch im Anspruch auf Wahrheit sowie in der argumentativen Begründung und Rechtfertigung dieses Anspruches. Aufgrund dieser Prämisse sei Literatur von anderen „Wissensmedien“ kategorial zu trennen. Die Bestimmung der Kategorien von Wahrheit und Gewissheit ist dabei historisch unbeständig und auch von literarischen Genera oder kulturellen Kontexten abhängig; so kann ‚Wissen‘ auch stets je neu definiert werden und muss nicht immer szientifischen Wahrheitskriterien genügen; s. dazu außerdem Gess/Janßen 2014, 5. Cf. Rösler 1980 zur Fiktionalität in der Antike (überarbeitet in Rösler 2014). S. etwa Danneberg/Spoerhase 2011. S. auch Jonathan Cullers Beschreibung, die die Verknüpfung von Diskursen durch Fiktion beinhaltet (1975, 261): „Fiction can hold together within a single space a variety of languages, levels of focus, points of view, which would be contradictory in other kinds of discourse organized towards a particular empirical end.“ Cf. Volk 1997, 306 f.: „The comic effect of the scenes at the beginning of Books 5 and 6 depends on the reader’s realization that a feature of one type of discourse (scholarly literature, where it is customary to quote differing views) has been transposed to another type (divinely inspired song), where it does not belong (for divine inspiration should not be self-contradictory). The resulting incongruity highlights the fact that the divine epiphanies in the Fasti are, after all, only a poetic device to package information. And every reader knows this. While the narrator tries to solicit information from the dissenting goddesses of poetry, the author and his readers relish the sophisticated play of fiction.“ S. Barchiesi 1991 zur Unzuverlässigkeit der Musen und ihrer Diskussion zu Beginn von Buch 5.

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terworfen ist. Aber was, um die wohl ausgreifendste, nur im Ansatz zu beantwortende Frage des Buches aufzuwerfen, ist nun der epistemische Standort der Dichtung? Wie präsentiert und verwandelt Literatur vorhandenes Wissen, und kann sie eventuell auch eigenes Wissen anbieten? Ein literarischer Text muss ein solches Wissen, wie auch immer es zu definieren sein wird, durchaus nicht präzise abbilden oder umsetzen, sondern eröffnet in genuin literaturwissenschaftlicher Perspektive im Gegenteil eigene, „von Wissenschaft und Philosophie unabhängige Umgangsweisen und Erkenntnispotenziale“:48 Die Literarisierung von Wissen bedeutet seine Integration in ein sekundäres Zeichensystem. Neben die propositionale ‚Primärinformation‘ tritt eine gleichberechtigte Semantik der Gestaltung, die nicht minder konstitutiv für die Gesamtbedeutung des Textes ist. Literatur zitiert die Wissenschaft der Epoche nicht nur, sondern integriert sie in ein eigentümliches referenzielles Bezugssystem. Sie kontextualisiert die ‚Wissenschaft‘ durch gattungs- und textspezifische, thematische und formale Verweisungsbeziehungen, verleiht ihr damit poetische Zeichenfunktion – gestaltet, modifiziert und kommentiert so das Welterklärungsangebot der Wissenschaft. Unter dem Terminus ‚Literarisierung‘ verstehe ich sowohl den Prozess als auch das Produkt einer solchen Funktionszuweisung und Gestaltung im poetischen Text, des Einbezugs fremder Wissenssegmente in den Bedeutungshorizont eines Textganzen.

Ich werde in meiner Arbeit ein ähnliches Verständnis der „Literarisierung“ von Wissen zugrunde legen, wie Benjamin Specht es 2010 in seiner Untersuchung von Physik als Kunst in der deutschen Literatur um 1800 vorschlägt. Eine „Semantik der Gestaltung“ tritt in Ovids Text besonders dort zutage, wo die elegische Form und ihre Ausdrucksweise die Funktionszuweisung und auch die Motivierung in den Aitiologien der Kalenderphänomene bestimmten (s. bes. den ersten Teil der vorliegenden Studie); zudem dort, wo zwischen den verschiedenen Ordnungsmustern des Jahres, die sich in den Fasti wie im römischen Kalender selbst überlagern, vermittelt wird und wo poetisch, mittels solcher „poetische[n] Zeichenfunktionen“ und „Verweisungsbeziehungen“, eine kreative Lösung für die Darstellung von Ordnungskonflikten gefunden wird (s. den zweiten Teil dieses Buchs). Die Fasti sind ein eminentes Beispiel für die Literarisierung von Wissen in der Antike, da in diesem Text der Einbezug eines gesamten Wissenscorpus – nämlich des antiquarischen, den Kalender erklärenden Wissens – in einen Text vorgeführt wird. Die französischen Strukturalisten sowie die Gruppe der Russischen Formalisten stehen im Hintergrund dieser Ansätze, wenn es um die adäquate Beschreibung der literarisch-textspezifischen Gestaltung von Wissensbeständen in einem ästhetischen Verweisungssystem geht. Es wird zu zeigen sein, dass sich dieser Ansatz auch für die Behandlung der Fasti eignet, wenn die Formaspekte des Textes zur Sprache kommen und eine spezifische „Semantik der Gestaltung“ beschrieben werden soll. 48

Specht 2010, 22; das Folgende ibid.

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Einleitung: Das Wissen der Fasti

Gerade in den unterschiedlichen Jahresanfängen des römischen Kalenders, die Ovids Gedicht immer wieder thematisiert, aber auch in den mehrfachen Aitiologien und Etymologien, die mal unkommentiert als Liste, mal inszeniert als fiktive Diskussion zwischen göttlichen Instanzen oder mit dem forschenden Ich dargeboten werden, sind diese Kontingenzen sichtbar gemacht und mit verschiedenen, auch oftmals neu geschaffenen Motivierungen einer sekundären Ebene versehen.49 Eine Vielfalt unterschiedlicher Denk- und Wahrnehmungsnotwendigkeiten in der sich immer weiter differenzierenden Gesellschaft des frühkaiserzeitlichen Roms wird so ausgestellt und die Perspektive der Dichtung, d.h. in den Fasti besonders der elegischen Form und der hellenistischen Literaturgeschichte, in diese Denk- und Wahrnehmungsweise eingebracht. Der Begriff einer ‚literarischen Motivierung‘ von Aitien wird im Folgenden in diesem aus einer sekundären Formebene hervorgehenden Sinne verstanden.50 Die vorliegende Arbeit wählt somit den Ansatz der Vermittlung zwischen formalästhetischer und diskurshistorischer Analyse eines poetischen Wissenstextes. Er besteht vornehmlich in der Beschreibung literarischer Verfahren als teils assimilierende, teils kritische Reaktions- und Reflexionsformen gegenüber einer zeitgenössischen Wissenskultur.

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In Buchlänge hat sich mit diesem „sekundären Zeichensystem“ literarischer Texte am prominentesten wohl Jurij Lotman befasst: s. bes. Lotman 1986. S. auch Barchiesi 1997, 105 f. mit Verwendung dieses Begriffs im Verweis auf Kallimachos’ poetische Aitiologie (meine Hervorh.): „as proposed by Callimachus, the aetiological poet’s mission is to unearth motivations, often conflictual and uncertain, in a venerable and antique past whose testimonies require interpretation.“

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

2.1

Literatur und Wissen: Zugänge zu den Fasti

Die systematische Frage nach dem epistemischen Standort der Dichtung muss, wenn auch Konzepte wie das von der „Literarisierung von Wissen“ Spechts generell nützlich sind, sicherlich historisch und von Fall zu Fall entschieden werden, wie die literatur- und kulturwissenschaftliche Debatte der letzten Jahrzehnte gezeigt hat.1 Derweil ist das Verhältnis von verbindlichem, nach wissenschaftlichen Prinzipien gewonnenem Wissen einerseits und der Literatur andererseits durchaus nicht trivial und kann nicht in den Gewissheiten der Setzung von ‚Zwei Kulturen‘ verbleiben. Die Two Cultures-Debatte, Ende der 1950er Jahres durch Charles Percy Snow angestoßen,2 wie auch der wissenschaftgeschichtliche Zweig der ‚historischen Epistemologie‘ Gaston Bachelards und Georges Canguilhems, auf denen die wirkmächtigen Schriften Michel Foucaults fußen,3 sind die immer wieder aufgerufenen Fundamente des Forschungsfeldes der literarischen Wissensgeschichte. Gerade das Denken Foucaults, der die historische Diskursanalyse wissenschaftlicher Disziplinen und gesellschaftlicher Institutionen in mehreren groß angelegten Studien der 1960er und 70er Jahre entwickelt hat, war ausschlaggebend für neuere literaturwissenschaftliche Ansätze, die nun auch die Literatur als Aussagesystem zu verstehen begannen, das durch diskursive (Wissens-)Ordnungen und deren Regularien bestimmt wird (zum Begriff des ‚Diskurses‘ komme ich zurück). In einer 1

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Cf. den Forschungsbericht von Nicolas Pethes (2003); zahlreiche Sammelbände und Handbücher erschließen das Gebiet, allerdings zumeist nur für die Germanistik (cf. Richter/Schönert/Titzmann 1997, Klausnitzer 2008, Borgards et al. 2013, Gess/Janßen 2014). Grundlegend zur Kritik an diesem „wissensgeschichtlichen“ Wissensbegriff ist Köppe 2007. Einen interphilologischen und zunächst auch kritischen Ansatz gegenüber literarischer Wissensgeschichte verfolgt ein 2017 erschienener Tagungsband zu den Formen des Wissens (Badura/Hoffmann/Schneider [et al.]). Snow 1993 [1959]. Cf. Gess/Janßen 2014, 3: „So wird mit der Zwei-Kulturen-Hypothese der Gegensatz von Literatur und Wissenschaft hervorgehoben, indem man Letztere vor allem als an eine wissenschaftliche Rationalität gebunden betrachtet, die auf die Formulierung allgemeingültiger Gesetze zielt, Erstere aber an eine literarische Lebensnähe knüpft, für welche die Repräsentation von Singularität im Vordergrund steht.“ Einen Überblick über die historische Epistemologie bietet Rheinberger 2007.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Linie mit der historischen Epistemologie werden dabei die historisch kontingente Konstruktion der Objekte des Wissens untersucht, die von ihren sozialen, medialen, materiellen und pragmatischen Umständen nicht zu trennen seien. 4 Die Debatte um ‚Literatur und Wissen‘ hat seit Ende der 1990er Jahre weite Teile zumal der germanistischen Literaturwissenschaft bestimmt und die Forschungsgebiete der Wissenschafts- und Literaturgeschichte, vereinzelt auch der Naturwissenschaften und anderer sogenannter hard sciences, einander angenähert. Wie es Specht in seiner erwähnten Studie zur Poetisierung der Elektrizität um 1800 zusammenfasst:5 Die Wissenschaftsgeschichte interessiert sich mehr und mehr für rhetorische Strategien in ihren Quellentexten sowie für literarische Dokumente, in denen die kulturelle Bedeutungszuweisung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mitunter deutlicher zutage tritt. Im Gegenzug haben die kulturwissenschaftlich erweiterten Philologien längst erkannt, dass neben der Sozial- und Ideengeschichte auch die Naturwissenschaft ein wichtiger weltanschaulicher Faktor ist, der als Kontext literarische Texte auf allen Ebenen der poetischen Kommunikation prägen kann.

Verallgemeinernd gesprochen waren im Verlauf des 20. Jahrhunderts, bevor diese Annäherung und bald symmetrische Relation die Sicht wenn nicht aller, so zumindest zahlreicher Geisteswissenschaftler bestimmte, drei Arten der Verhältnisbestimmung in der Beschreibung einer Interaktion von Literatur und Wissen(schaft) dominant, indem diese nämlich zumeist „als Kompensation, Konkurrenz oder Konvergenz“ beschrieben wurde.6 Die Ansicht über das Verhältnis als Kompensation (1), lange bestimmend für die deutschsprachige Diskussion, versteht sowohl die Geisteswissenschaften als auch die Künste und v.a. die Literatur als Träger einer kulturellen Funktion, die Sinnverluste des technisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes zu beheben oder zumindest erträglicher zu machen. 7 Die Entfremdung des Subjekts von seiner Lebenswelt wird durch deren erneute Besetzung mit Sinngehalt kompensiert. Um ein Beispiel aus den Fasti zu nennen, werden dort beispielsweise die Astronomie und deren Rolle in der Geschichte der Kalenderkonstitution zwar gewürdigt (s. etwa die Passage in den Versen 3.155–66, die Preisung der Leistungen Julius Caesars in diesem Gebiet), doch die Sternsagen des Eratosthenes, die den Kosmos mit Sinn zu erfüllen suchen, nehmen in Ovids Bearbeitungen weit mehr Raum ein als die rein astronomischen Notizen der Auf- und Untergänge der Sternbilder, bzw. sind diese häufig nur die Aufhänger für jene. 8 4 5 6 7

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Cf. Neumeier 2013. Specht 2010, 12 f. Ibid. 13. Ibid. Der prominenteste Vertreter ist Odo Marquard mit seinem Essay „Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften“ (1985). Cf. Robinson 2009, 18 f. zur Sternentradition um Arat und Eratosthenes: Ovid stehe in einer Tradition des kulturellen Umschwungs, der beginnenden Wissenschaftlichkeit,

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Für die Untersuchung der literarischen Thematisierung des römischen Jahres, das im Jahr 46 v.Chr. mit einigem Aufwand von Caesar reformiert, gleichsam mit Gewalt begradigt und auch schon zuvor in seiner gesamten Konstitutionsgeschichte immer mehr den lebensweltlichen Zyklen entzogen und dem astronomischen Sonnenjahr angepasst wurde, ist diese Funktion der Literatur im Verhältnis zum in ihr verhandelten oder von ihr adressierten Wissen von einiger Relevanz. Das prominente Paar von Frage und Antwort, das wir in den Fasti finden (1.149–64) – warum nämlich das Jahr des römischen Kalenders nicht im Frühling beginne, wenn die Zyklen der Natur sichtbar einen Anfangspunkt erreicht haben, sondern am 1. Januar – verweist auf einen der zentralen Konflikt- und Kontingenzpunkte des Jahres, seinen Beginn, an dem etwas wie ein Sinnverlust empfunden werde. Der ‚Lobpreis des Frühlings‘ (laus veris) in jener Frage des forschenden Ich, ein Musterstück der antiken Dichtung, gehört freilich nicht in den kalten Januar; sie ist an dieser Stelle am Beginn der Fasti aber doch aufzufinden, wodurch der Sinnverlust aufgefangen und kompensiert werden soll. In Kap. 3.2.1 („Der Jahresbeginn der Fasti I“) komme ich ausführlich auf diese Passage und ihre Verortung in der Literaturgeschichte zurück. Gegen die Kompensationsthese wurde jedoch oft eingewandt, dass die Kunst bzw. die Geisteswissenschaften sich nicht allein auf diese reaktive oder therapeutische Funktion beschränkten, sondern Eigeninitiative und eigenes kulturelles Potenzial entwickelten. Im Sinne der oben angesprochenen Beanspruchung des Wissensfeldes um den Kalender durch die Dichtung Ovids kann so durchaus auch von einem Konkurrenzverhältnis (2) ausgegangen werden, im Zuge dessen die Literatur zu behaupten vermag, mit gleichem Recht auf die Dinge der Gesellschaft und der Welterklärung zugreifen zu können wie die Wissenschaft oder die Politik. Diese ist freilich oft von der Behauptung der Konvergenz (3) der beiden Bereiche Kunst und Wissenschaft nicht zu trennen. In Ovids Text ist das etwa an der Angleichung des Fasti-Sprechers, der sich als inspirierter poeta doctus zeichnet, an das intellektuelle Ideal der Astronomen zu beobachten, nämlich im sogenannten ‚Lob der Astronomie‘, das wir ebenfalls recht früh in den Fasti finden (1.295– 310). Ebenso verankert ist diese Vermittlung und Gleichschaltung im Autorenkonzept des vates operosus, d.h. der hellenistisch gelehrten, forschenden Autoreninstanz, die zugleich von den Musen inspiriert und so zu göttlichem Wissen und Austausch autorisiert sei. So wird die fehlende ‚Wissenschaflichkeit‘ in den Fasti und manche Unentschiedenheit in der Quellen- und Faktenlage mit Verweis auf die göttliche Inspiration aufgelöst und der Anspruch gegenüber einer rationalen Weltsicht oder politischen Deutungsperspektiven aufrechterhalten, indem beispielsweise Wissensdispute unter Musen (in Buch 5) oder Göttinnen (zu Beginn von Buch 6) inszeniert werden, zu denen nur die Dichtung Zugang habe.

die an mythische Welterklärung gebunden sei, diese aber auch an empirische Beobachtungen knüpfe.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Konkurrenz und Konvergenz gegenüber der politischen Sphäre sind in den Fasti auch dort zu beobachten, wo der Kaiser Augustus, aber auch andere vom Text skizzierte und in ihm angesprochene Herrscherfiguren wie Germanicus oder Tiberius dafür gelobt oder mit allem Respekt dazu angeregt werden, kulturell tätige oder zumindest interessierte Machthaber zu sein und diese Ausrichtung der römischen Kultur noch mehr anzustreben. Zugleich ist, wie in der römischen Elegie insgesamt seit Properz’ erstem Gedichtbuch, die semantische Angleichung, ja Absorption der diskursiv dominanten Sphäre um otium, negotium und ein gesellschaftlich anerkanntes Leben zu beobachten, was durch Gedankenfiguren wie die militia amoris zutage tritt: In den Fasti wird dieser „Kriegsdienst“ zu einer Art militia fastorum oder eruditorum umgemünzt,9 was einer Selbstdarstellung des eigenen poetisch-kulturellen Tuns als ebenfalls nützlich und eminent für die Konstitution des Staates gleichkommt.10 Mein dritter Teil zur Poetik des elegischen Codes geht ausführlich auf diese Gedankenfiguren ein. Auf dem Gebiet der literarischen Wissensgeschichte wurde nach den beschriebenen Entwicklungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts jedoch, wie von Specht und anderen hervorgehoben, von einer grundlegenden gemeinsamen Basis sowohl für die Wissenschaften als auch die Literatur in der Schaffung von Wissen durch rhetorische Mittel und Fiktionalität ausgegangen. Stärker poststrukturalistisch ist in der Reihe dieser Positionen die sogenannte ‚Poetologie des Wissens‘ konzipiert, die im deutschen Sprachraum besonders von Joseph Vogl vertreten wird.11 „Die Geschichte des Wissens ist keine Geschichte der Wissenschaften,“ so Vogl; „in dieser Abkehr vom Objektbezug und in Abgrenzung gegen Begriffe der Rationalisierung ist Wissen weder Wissenschaft noch Erkenntnis.“ Dem Wissensbegriff wird eine überzeitliche Geltung abgesprochen und im Gegenzug radikale Historizität im Sinne der historischen Epistemologie unterlegt, da jeder Wissensbestand u.a. diskursiven, gesellschaftlichen und praxeologischen Bedingungen unterworfen sei. Wissen wird zur epochenspezifischen „Matrix aller Aussagen.“12 Wissen-

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Explizit wird das in Fasti 2.9–16, dem Augustus-Proöm; cf. bes. 2.7–10: idem sacra cano signataque tempora fastis: / ecquis ad haec illinc crederet esse viam? / haec mea militia est; ferimus quae possumus arma, / dextraque non omni munere nostra vacat. Zu dieser Stelle, s. Kap. 3.2.4.2. Die Elegiker und besonders Properz im vierten Buch sowie Ovid in der Ars und den Fasti stilisieren sich entgegen der grundlegenden gesellschaftlichen Widerstandshaltung der Gattung immer wieder als öffentlich Tätige, die einen Dienst an der Stadt Rom und am Princeps leisten. Literarische Produktion, so diese Haltung, biete ein alternatives Feld für öffentliche Betätigung und damit auch eine Möglichkeit der sozialen Distinktion; cf. Šterbenc Erker 2008, 31 f. und Pausch 2004, 10. S. Vogl 2001 (Zitat ibid. S. 10 f., Hervorh. im Orig.). Zur Kritik an diesem Ansatz und generell am Paradigma der Wissenspoetik, cf. Stiening 2007. Vogl 2002, 13 f. (Hervorh. im Orig.). Dadurch wird der korrespondenztheoretische Wahrheitsbegriff und der Wahrheitsanspruch des Wissens aufgelöst: Wissen ist für die

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schaft als diskursive Praxis konstituiere laut Vogl die Gegenstände, die sie zu begreifen vermeint, selbst erst im Akt des Begreifens. Literarische Texte unterschieden sich in der Erschaffung und Performanz des Gegenstandes in dieser Hinsicht nicht wesentlich von wissenschaftlichen.13 Eine Trennung von Signifikant und Signifikat sei nicht mehr zu sehen; die Darstellungsform des Wissens tritt von einem akzidentiellen in einen substantiellen Status und wird zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung – der Ansatz besagt also, dass die Hervorbringung und Weitergabe von Wissensobjekten vornehmlich durch die „Form ihrer Darstellung“ bedingt sei:14 Eine Geschichte des Wissens schreibt also keine Geschichte der wissenschaftlichen Gegenstände und Referenten [...]. Sie umschließt vielmehr eine poetologische Dimension, sie ermöglicht eine Poetologie des Wissens, die das Auftauchen neuer Wissensobjekte und Erkenntnisbereiche zugleich als Form ihrer Inszenierung begreift. Sie folgt der These, dass jede Wissensordnung bestimmte Repräsentationsweisen ausbildet und privilegiert, und sie interessiert sich demnach für die Regeln und Verfahren, nach denen sich ein Äußerungszusammenhang ausbildet und abschließt.

Für die vorliegende Arbeit und die Untersuchung der Fasti ist der wissenspoetologische Ansatz insofern von Wert,15 als statt von einem wissenschaftlichen Objektverhältnis, d.h. vom Verhältnis zwischen erkennendem Subjekt mit Wahrheits-

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Wissenspoetologie also keine wahre Meinung oder Überzeugung mehr, die durch begründende Momente affirmiert wird – so die traditionelle Sicht, dargelegt etwa im HWPh, Art. ‚Wissen‘. In diesem Sinne formulieren auch Stiening/Vellusig (2012, 8), dass „Wissensgehalte von Meinungs-, Erfahrungs- und Glaubensinhalten“ insofern zu unterscheiden sind als „Wissen“ nur dann vorliege, „wenn das Kriterium ‚wahrer gerechtfertigter Überzeugung‘ anwendbar“ sei. Sie räumen aber gleichzeitig ein, dass historische Wissensbestände nicht an „aktuelle[n] Wahrheitskriterien“ gemessen werden dürfen, weswegen sie auch von „Wissensansprüchen“ sprechen. Cf. Dotzler 2005. S. auch Gess/Janßen 2014, 3: „Die Poetologie des Wissens [...] tendiert, insofern als sie die ästhetische Eigengesetzlichkeit der Hervorbringung von Erkenntnisgegenständen zum Kernpunkt ihres Interesses macht und solche Gesetze insbesondere auf die Genese im engeren Sinne wissenschaftlicher Theorien anwendet, dazu, die Unterschiede zwischen Wissenschaft und Literatur zu minimieren, wenn nicht gänzlich aufzuheben.“ Vogl 1999, 13. Die Wissenspoetologie wurde gerade ob ihrer Popularität in den letzten Jahren häufig kritisiert, da sie die doch so emphatisch zugrunde gelegten sozio-historischen Kontexte des Wissens nicht ausreichend in den Blick nehme, sondern sich immerzu auf die Fragen der v.a. rhetorischen und poetischen Genese zurückziehe. In der Wissenschaftsgeschichte dagegen sei die „Aufrechterhaltung der Rekonstruierbarkeit des [sc. sozio-historisch bedingten] Geltungsanspruches von Theorien“ eine Grundvoraussetzung; s. Stiening 2007, 239.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

anspruch und zu erklärendem Objekt des Wissens, in dieser Perspektive vom Verhältnis einer Poetologie des Wissens zu den Objekten der Wissensgeschichte gesprochen wird, die sich in jener erst formierten. 16 Die römische antiquarische Literatur, auf die sich das kalendarische Wissen der Fasti in erster Linie bezieht, ist wie auch die historiographische, wann immer sie in die fiktive Gründerzeit und chronologisch noch weit zuvor in die griechischen Mythen zurückverweist, eine wissensvermittelnde Literatur ohne faktischen Objektbezug. Die bekannte Selbstdistanzierung des Livius zur Behandlung dieser Frühzeit, die er den Dichtern überlasse,17 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Verlauf der ersten Bücher vieles in die genuin historische Darstellung Eingang gefunden hat – darunter viele Aitien noch zeitgenössischer römischer Bräuche, die von Romulus und späteren Königen instituiert worden seien –, was jedem Wahrheitsanspruch spätrepublikanischer oder augusteischer Schriftsteller weit entzogen sein muss. Da die Aitiologien sowohl in der historiographischen Literatur und Fachprosa als auch bei Ovid meist in die entlegene Vergangenheit zurückreichen, sind sie weit stärker den diskursiven, sozio-kulturellen und nicht zuletzt ästhetischen Kontexten unterworfen als einem wissenschaftlichen Objektverhältnis zum je erklärungsbedürftigen Gegenstand.18 Gattungstraditionen und ästhetische Eigengesetzlichkeit nicht nur der 16

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Cf. Vogl 2007, 254 f. S. dazu auch Gess/Janßen 2014, 1 f. mit Verweis auf Foucaults Archäologie des Wissens: „Unterscheidet man, mit Michel Foucault, die verschiedenen Schwellen, oberhalb derer von ‚Positivität‘, ‚Epistemologisierung‘, ‚Wissenschaftlichkeit‘ und ‚Formalisierung‘ von Wissen gesprochen werden kann, zeigt sich zudem, dass eine Einengung des Wissensbegriffs auf das durch einen individuell Wissenden Rechtfertigbare zu kurz greift, wenn eine breite historische Perspektive eingenommen werden soll: Nach Foucaults Definition beschreiben diese Schwellen Grade, nach denen beobachtbare Aussageregularitäten sich zur Form eines begründungsfähigen (und das heißt, wie sich hinzufügen ließe, zugleich selbstreflexiven) Wissens überhaupt erst entwickeln, beziehungsweise aufsteigend in Richtung darauf zu ordnen sind – was im Übrigen impliziert, dass sie zugleich Grade darstellen, nach denen das Diskursfeld sich auf bestimmte Anwender, nämlich Wissenschaftler, einengt. Versucht man, Literatur im Hinblick auf diese Skala zu positionieren, wird schnell deutlich, dass ihr Wissen keineswegs nur – wenn denn überhaupt – am Pol der begründungsfähigen Formen von Wissen anzusiedeln ist, dass es vielmehr an allen diesen Ebenen partizipieren, darauf Bezug nehmen oder sie gegebenenfalls in sich vereinen kann.“ Liv. praef. 2: quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. datur haec venia antiquitati ut miscendo humana divinis primordia urbium augustiora faciat. Pasco-Pranger 2000 zeigt, dass das Problem der Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart seit Beginn des antiquarischen Projekts zu dessen Kern gehört. Cf. auch Feeney 2007, 160: „In Ovid’s case, the pressure on the issue of continuity and discontinuity is very strong, since it is an issue inextricable from his key concern, aetiology, whose linking of the past and present always causes as many explanatory problems as it solves.“

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ausgewiesenen ästhetischen Objekte, d.h. in unserem Fall der literarischen Texte, sondern aller wissensvermittelnden Texte und Artefakte müssen bei der Untersuchung des Diskurses um den Kalender berücksichtigt werden. Deshalb ist der wissenspoetologische Ansatz sowohl für Ovids Präsentation des Kalenderwissens als auch für (kommentierte) Steinkalender und ihre antiquarischen Hintergrundtexte gewinnbringend, die wir im Folgenden in den Blick nehmen werden. Der „Äußerungszusammenhang“ der Fasti, ganz auf antiquarische Literatur und die Traditionen antiker Literaturgeschichte fokussiert und die dekontextuelle Darstellungsweise des hellenistischen Kollektivgedichts ebenso wie den linearen Verlauf des Jahres für seine Wissenspräsentation nutzend, ermöglicht mitunter eine poetologische Dimension des Wissens. Diese Darstellungsweise, die einem kulturellen Zeitschema folgt und dieses mit Sinn zu erfüllen sucht, bestimmt auch die Modi der Erkenntnis und der präsentierten Aitien und Etymologien. Weiterhin, und noch spezifischer, ist im Fall von Ovids Dichtung der Primat der rhetorischen Form anzunehmen, wie ihn Alessandro Schiesaro für die Wissensrepräsentation dieses Dichters generell angenommen hat: „rhetoric, the technique of shaping reality and its interpretation according to shifting points of view and more or less preordained patterns, can indeed be seen as the unifying episteme of Ovid’s poetry.“19 In den Fasti müssen wir uns wieder und wieder die Frage stellen: Geben die elegische Form und Ovids charakteristische Ausdrucksweise und imaginative Behandlung dem Diskurs eine eigene Prägung, um das julianische Zeitmodell zu erklären und die Zeiten des Jahres darstellbar zu machen? Oder war das Verständnis, die Erklärung oder die Assoziation je auch schon zuvor ausgeprägt und werden von Ovid nur zu einer Pointe und in Einklang mit der ihm eigenen elegischen Repräsentationsweise gebracht?20 Um die Frage zuzuspitzen: Geht der Inhalt der Form hier voraus oder „schafft sich die Form erst den Inhalt“?21 Es wird zu zeigen sein, dass Ovid einen Diskurs um die Phänomene des Jahres und der Religion durch ganz

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Schiesaro 2002, 69 f. S. auch ibid. 65: „The place of authority is thus conceptually occupied by rhetoric, by the discursive arrangements which articulate reality according to variable points of view rather than ultimate truth.“ In Schiesaros Artikel werden die für die vorliegende Arbeit wichtigen Aspekte der Diskursstrukturierung durch Rhetorik, Perspektivenvielfalt und Offenheit zusammengefasst. Die Frage spricht Hinds 1992, 90 f. an: „Although the the structure of the Roman year is in many ways a ‚given‘, existing prior to and independently of Ovid’s text [...], the poet’s art so works upon this structure that externally preordained configurations and sequences of events end up by giving the impression of having been invented by Ovid to embody a multiplicity of artistic ideas internal to the poem.“ Letztere Aussage, die man durchaus als „forcierte theoretische Beschreibung“ bezeichnen kann (so Erdbeer 2001, 81), gehört zu den Grundsätzen der Russischen Formalisten. Die Formel ist zu finden in Šklovskij 1916a, 51. Der „Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren“ wird von dieser Schule ebenso definiert wie die Dichtung als verborgene „Konstruktions-Sprache“ (Šklovskij 1916b, 33).

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

eigene Verfahren und Vorstellungen auch nachdrücklich geprägt hat – und die Phänomene und Fragen, die er diskutiert, oft mit Erfolg so darstellt, als wären sie gleichsam aus der poetischen Tradition und vor allem seiner eigenen elegischen Schreibweise gemäß entstanden oder gar nur so erklärbar. Ovids ‚Poetologie des Wissens‘ wäre entlang dieser Linien zu bestimmen – imstande, eine eigene Darstellung der Wissensgegenstände hervorzubringen. Es ist in dieser Hinsicht schließlich auch zu fragen, ob Aitiologie und Etymologie, als poetische Verfahren der Wissenserzeugung so zentral in den Fasti, nur aus den wissensproduzierenden Diskursen (der alexandrinischen Gelehrsamkeit, des römischen Antiquarismus, der annalistischen Geschichtsschreibung) in die Literatur eindrängen und dort zu Formverfahren würden bzw. die poetische Produktion anleiteten; oder ob die Literatur in der Ästhetisierung dieser spezifischen, gattungsmarkierten Poetisierung der Erklärungsfiguren auch neues Wissen hervorbringe. Diese Vorgänge sind im vorliegenden Buch, wie oben mit Specht und Titzmann angedeutet, vor allem unter dem Aspekt der Diskurstrukturierung durch das im emphatischen Sinne Poetische oder Ästhetische zu betrachten:22 d.h. unter Berücksichtigung der Formverfahren, der Gattungsspezifik und der Denkfiguren Ovids. Ich greife die Perspektive einer Poetologie des Wissens in meiner Studie der Fasti auf, gehe nach alldem aber von einem durchaus noch festzustellenden Unterschied zwischen Literatur und Wissen aus, der mit Specht wie folgt verdeutlicht werden kann: An einem gegebenen [...] Wissenspool partizipieren Kunst und Wissenschaft gleichermaßen und widmen sich daher vergleichbaren Objekten und Problemen, wenn ihr Zugriff auch auf sehr unterschiedliche Weise erfolgt. Während die Wissenschaft auf theorieförmige Darstellung des Wissens zielt, baut die Literatur anschauliche Wirklichkeitsmodelle, mittels derer sie wissenschaftliches Wissen mehrdimensional und ohne Systemzwänge verhandeln kann. Die beiden Kulturtechniken unterscheiden sich also nicht (zumindest nicht zwingend) durch ihren Gegenstand, sehr wohl aber durch die Art und Weise, wie sie ihn vermitteln.23

Bei Titzmann werden die Funktionen der Literatur nach dieser Unterscheidung genauer bestimmt:24 Bereits verfügbares Wissen werde im Vergleich zur Wissenschaft anders aufgenommen und geordnet: „Wissenschaft ordnet Wissen in spezi-

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S. dazu Richter/Schönert/Titzmann 1997, 27 f. (Hervorh. im Orig.): „‚Literatur‘ – als Einzeltext oder als epochales System – setzt zum einen immer ein in variablem Umfang zeitgenössisches wissenschaftliches oder nicht-wissenschaftliches Wissen als Verständnis- und Interpretationsbedingung voraus. Aufgrund der Relationen von ‚Literatur‘ zum Denk- und Wissenssystem des Zeitraums lassen sich aber zum anderen Status und Funktion von ‚Literatur‘ im epochalen Kultursystem bestimmen.“ Specht 2010, 19. Für das Folgende, s. Richter/Schönert/Titzmann 1997, 28–31.

Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung

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fischen und geregelten Organisationsformen (‚Szientifierung von Wissen‘), wohingegen die Verfahren und Formen zur ‚Gestaltung von Wissen‘ in der Literatur (‚Poetisierung von Wissen‘) weniger festgelegt sind.“ Im Beobachten der Abläufe von Problemlösungen, die je nach Gattung oder Methode anders ablaufen können, werde auf je andere Weise auch neues Wissen gewonnen: „In Bezug auf das jeweils verfügbare kulturelle Wissen erscheinen die jeweiligen Wissens-Präsuppositionen eines literarischen Textes als das Ergebnis von Auswahlentscheidungen, von textspezifischen Verbindungen der Wissenselemente und von literaturtypischen Adaptionen. Auf Wissenselemente kann explizit und implizit verwiesen werden.“ Literatur neigt also eher dazu, Wissenselemente aus verschiedenen Wissensordnungen und -diskursen nicht bloß zu speichern oder zu rubrizieren, sondern entsprechend einer übergeordneten Funktion anzueignen, zu gestalten und auch je nach ästhetischem Nutzen zu verändern. Was im Einzelfall für ‚poesietauglich‘ gehalten wird, ist kontingent, kann aber darüber bestimmen, welches Wissen im Gegenzug abgewiesen oder ignoriert wird. Wissen neigt immer zur Systematisierung, zu „Wissens-Ordnungen“, an denen als epistemische Formationen Literatur teilhat.25 Auch „kulturelles Wissen“, wie es Titzmann nennt, kann vermittelt und damit in ein ästhetisches Verweisungsgefüge integriert werden – was mit den eingangs angesprochenen Möglichkeiten der Literatur einhergeht, diese Elemente auch zu bestätigen, zu modifizieren oder zu kritisieren. Literatur kann darüber hinaus zum Ort der Erzeugung von Wissen werden, das sich als kulturell relevantes Wissen erst in der Formulierung der Populärdiskurse oder der Überprüfung durch die Wissenschaften bewähren muss. Die bisherige Debatte um Literatur und Wissen hat gezeigt, dass verschiedene Zugänge beim Blick auf je epochenspezifische Wissensbestände und Textkonstellationen fruchtbar sein können. Letztlich ist der Erkenntnisgewinn Maßstab für den Wert einer Theorie, weshalb für die vorliegende Studie zu den Fasti mehrere Ansätze vorgestellt und einige ihrer Bausteine als besonders relevant hervorgehoben wurden. So sollte zudem der begriffliche Rahmen abgesteckt werden, auf den im Verlauf den folgenden Kapitel zurückgegriffen werden kann.

2.2

Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung

Die Art und Weise der Vermittlung von Wissen durch poetische Formen wird insbesondere in einer antiken Gattung verhandelt, in deren Tradition – unter anderen – sich die Fasti implizit stellen: dem Lehrgedicht. Die selbstgewählte Zugehörigkeit zu einer Reihe von Texten ist dadurch zu erkennen, dass in Anspielungen auf den Archegeten der Gattung Hesiod wie auch auf Arat, Kallimachos, Lukrez und Vergil bzw. auf deren Texte verwiesen wird. Die Fragestellungen dieser Werke

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Gess/Janßen 2014, passim, etwa 3 f.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

werden aufgegriffen und durch kreative Umarbeitung und Anpassung an den Kontext der Kalenderkommentierung mit neuen Lösungsansätzen versehen. Bernd Effes Habilitationsschrift zur Typologie des antiken Lehrgedichts von 1977 ist bis heute grundlegend für den Blick auf diese Gattung; sie beginnt mit einer Problematisierung der Stellung der Lehrdichtung in der antiken wie auch der modernen Literatur und ihrer Bewertung durch moderne Deuter; dies beinhaltet auch die Frage nach ihrem Status als eigene Gattung. 26 Das ‚Problem‘ der Forschung mit den Fasti als ästhetischem Objekt wie gleichermaßen als wissensvermittelndem Text lässt sich in seinen Ursachen geistesgeschichtlich bis in die deutsche Romantik zurückverfolgen, denn es ist repräsentativ für die moderne Kritik am Lehrgedicht generell. Didaktische Gedichte könnten demnach nicht ‚eigentlich‘ als Dichtung gelten, da sie dem Zweck der Lehre eines Wissensfeldes unterstünden. Die Autonomie- und Genieästhetiken der Moderne mussten skeptisch sein gegenüber einer literarischen Form, die das Element der Poesie in den Dienst unmittelbarer Wissensvermittlung stellt. Die Wirkmacht der Goethe’schen Gattungstrias von Epos, Drama und Lyrik bewirkte ein Randdasein der didaktischen Poesie in der ästhetischen Kritik seitens der Dichter und Literaturwissenschaftler bis ins 20. Jahrhundert hinein. Sie setzt damit nur den aristotelischen Ausschluss der Lehrdichtung eines Empedokles aus der Kunstpoesie fort (cf. Poet. 1, 1447b18). Goethe selbst greift in seiner Schrift „Über das Lehrgedicht“ von 1827 auf jene Trias zurück und spricht so der Lehrdichtung ein eigenes Recht zur Konstitution einer Dichtungsgattung ab:27 Es ist nicht zulässig, dass man zu den drei Dichtarten: der lyrischen, epischen und dramatischen, noch die didaktische hinzufüge. Dieses begreift jedermann, welcher bemerkt, dass jene drei ersten der Form nach unterschieden sind und als die letztere, die von dem Inhalt ihren Namen hat, nicht in derselben Reihe stehen kann.

Ihrer besonderen Leistung in der Zwischenstellung zwischen Wissen und kreativer Gestaltung ist sich jedoch auch der Kritiker dieser Dichtungsart bewusst: 28 „[...] gar mancher würde begreifen, wie schwer es sei, ein Werk aus Wissen und Einbildungskraft zusammenzuweben: zwei einander entgegengesetzte Elemente in einem lebendigen Körper zu verbinden.“ Einen solchen „Antagonismus zwischen sprödem Stoff und dichterischer Aufgabe“ beschreibt im Übrigen auch Quintilian in seiner Abhandlung der Literaturgeschichte, als er die Sterndichtung Arats, so zentral für Ovids (Lehr-)Gedicht, einem ästhetischen Urteil unterzieht (Inst.

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Cf. Effe 1977, 9–21 für einen Überblick zur Bewertung der Lehrdichtung von Aristoteles bis in die Gegenwart. Goethe 1903, 225. S. zu alldem, bes. auch zur antiken Vorstellung von ‚Lehrdichtung‘, Fabian 1968. Ebenfalls wird diese Problemgeschichte aufgegriffen von Volk 2002, 29 f. Ibid.

Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung

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10.1.55):29 Arati materia motu caret, ut in qua nulla varietas, nullus adfectus, nulla persona, nulla cuiusquam sit oratio; sufficit tamen operi, cui se parem credidit („dem Stoff Arats fehlt es an Bewegung, da es in ihr keine Abwechslung, keine Empfindung, keine Figuren, keine Rede irgendeines Sprechers gibt; dennoch genügt er dem Werk, dem er sich gewachsen glaubte“).30 Effe behandelt in seiner Typologie zwar Ovids erotische Lehrdichtung unter dem Punkt „Sonderformen; 2. Spielerisch-parodistische Formen der Lehrdichtung,“31 erwähnt die Fasti jedoch mit keinem Wort, was ob der skizzierten Forschungslage (s. den Abschnitt „Das Wissen der Fasti“ oben) noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum überraschend ist. Da Effes Typologie jedoch für ein Verständnis der Art der Wissensvermittlung der Fasti im Kontext der antiken Gattungsgeschichte produktiv gemacht werden kann, wird sie im Folgenden kurz nachvollzogen, um das Gedicht noch eingehender und gerade im Hinblick auf seine didaktische Poetik zu charakterisieren. 32 Effe definiert einerseits den „sachbezogenen Typus“, bei dem die Form im Dienst des Inhalts steht: „Die poetischen 29

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Cf. v. Albrecht 2012, 228, der unterdessen ebenfalls ein eher enges Verständnis der Gattung kolportiert (ibid.): „In der Lehrdichtung steht das Wort im Dienste der Sache und ist einem Überredungszweck untergeordnet. Prooemien und Exkurse, Argumentationsformen und Beweismittel lassen sich rhetorisch deuten.“ Allerdings übte die so stark empfundene Spannung von Form und Inhalt, die „scheinbare Unverträglichkeit der beiden konstitutiven Elemente der Lehrdichtung“ einen starken Reiz auf die Dichter der Antike und im Rückgriff auf diese die Dichter des Klassizismus des 17. und 18. Jahrhunderts aus (s. Effe 1977, 10). Die von Fall zu Fall unterschiedlich zu legende Gewichtung der beiden Elemente – mal nach künstlerischen Maßstäben, mal nach ‚wissenschaftlicher‘ Genauigkeit zu gehen – sind ebenso wie das ironische Spiel mit der lehrhaften Haltung und der Quellen für das poetisch präsentierte Wissen Herausforderung und Spielwiese für die Autoren. In den Fasti werden das eine wie das andere ständig vermischt. Effe 1977, 238–48, cf. das Fazit, 248: „Indem Ovid die Argumentations- und Darstellungsweise der ernsthaften Lehrdichtung auf einen leichtgewichtigen, zudem allseits bestens bekannten Gegenstand überträgt, indem der Stoff der levis elegia aus der Pose des Lehrers vorgetragen wird, entsteht ein völlig neuer, spielerisch-ironischer Typ von ‚Lehrdichtung‘. [...] Sosehr dieser ‚Liebesdidaktiker‘ als erklärter Vertreter und Nutznießer moderner zivilisatorisch-kultureller Errungenschaften ein echtes Interesse an der Kultivierung und Verfeinerung des erotischen Verhaltens hat und sosehr seine Liebeskunst insofern auch von persönlichem Engagement getragen ist, so liegt doch in dem Witz der Adaptation lehrhafter Darstellung an den erotischen Stoff und in den dadurch erzielten spielerisch-parodistischen Effekten die eigentliche Zielsetzung dieser Gedichte.“ S. ibid. 26–39 zu den drei Grundtypen. Einen (Effe folgenden) Überblick bietet auch v. Albrecht 2012, 234, mit treffender Kritik: „Dieser Versuch einer Gruppierung ist interessant, aber nicht unproblematisch, da er ein eindeutiges Urteil über Form, Inhalt und Intention des jeweiligen Werkes bereits voraussetzt. Im Einzelfall ist aber das Verhältnis dieser Faktoren auch innerhalb jeder einzelnen Dichtung oft unterschiedlich, und darin liegt ein besonderer Reiz. Beispielsweise sind Lukrezens und Ovids Lehrgedichte

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Elemente der Darstellung werden nicht um ihrer selbst willen gesucht; die Poetisierung des Gegenstandes verfolgt nicht ein zweckfrei in sich ruhendes ästhetisches Ziel, sondern ist Mittel im Dienst der sachlichen Lehre.“ Als Beispiel dient Lukrez, der als Epikureer tief in die Materie eingedrungen war und die poetische Form nur um der „psychagogischen, ‚ködernde[n]‘ Funktion“ willen gewählt habe.33 Beleg dafür mag das Gleichnis von Medizin und Honig am Becherrand (DRN 1.936-50) sein. Der „extreme Gegentyp“ wird durch den „formalen Typus“ konstitutiert, indem der Inhalt hier nur der poetisch-virtuosen Verarbeitung diene, der das Interesse am Gegenstand jedoch abgehe – als Beispiel wird Nikander mit seinen entlegenen Sujets genannt, die dem gebildeten Publikum wohl keinen lebensweltlichen Nutzen gebracht haben dürften. Die Lehre ist also nur ein „Aufhänger für die Dichtung“.34 Zwischen diesen Gegensätzen findet Effe noch einen dritten Typ, der „transparent“ genannt werden kann, insofern der Stoff – wie in Vergils Georgica – zwar durchaus sachliche Eigenbedeutung für die Lebenswelt der Leser habe, das Gedicht jedoch in der Behandlung des Stoffes über sich hinausweise: Das Gedicht über den Landbau lehre anhand der Unterweisung des Bauern eine Kulturanthropologie der Römer. Die Fasti lassen sich nun weder wie zumal Ovids Erotodidaktik ganz als „spielerisch-parodistische“ Sonderform kategorisieren, wenngleich oftmals ein humoristischer Ton festgestellt werden kann; die Pose des elegischen Ichs, sich von Göttern und Musen belehren lassen zu wollen, weist in diese Richtung, schließt in der Umkehrung jedoch klar an die Lehrdichtung an. Noch ist aber eine klare Einordnung zu einem der drei Typen möglich: Wie auch die Liebeslehre stehen die Fasti näher an der formal virtuosen Behandlung eines Gegenstandes um der Dichtung willen (Effes zweiter Typ) als an der sachbezogenen Ausrichtung, d.h. bloß hübschen Einkleidung von Wissensvermittlung. Dennoch ist die Relevanz des Gegenstandes des Kalenders für die neue Elegie, die sich seit Properz’ Aitiologien zu gesellschaftlicher Relevanz aufgeschwungen hatte, nicht zu schmälern. Der Reiz, die Herausforderung der Fasti liegt in der Vermischung der beiden Typen: in der literaturgebundenen, ja literarisch zu erklärenden und damit zu lehrenden Konstitutionsgeschichte des Kalenders und seinen Phänomenen. Der dritte, „transparente“ Typus geht in dieser Vermischung gleichsam auf und kann, was nicht nur im Zusammenhang mit dem Vorbildcharakter der Georgica für die Fasti steht,35 in diesem Werk ebenfalls gefunden werden. Ein Konzept und übergreifendes Bild der römischen Kultur und seiner Ursprünge entsteht nämlich durch die Vielzahl der Aitiologien und konstitutiven Episoden der Vergangenheit wie auch durch die poetische Formulierung eines kulturellen Codes (s. dazu den vierten Teil dieses

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zugleich sachorientiert, virtuos geformt und lehren Kultur, gehören also allen drei Typen an, usw.“ Ibid. 31. Ibid. 32. Man denke nur an die Referenzen auf das Ende des ersten Georgica-Buches am Ende von Fasti 1 (Feriae Sementivae und Ara Pacis), auf die wir zurückkommen werden.

Die antike Tradition poetischer Wissensvermittlung

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Buchs, bes. Kap. 4.4; und zum Konzept der Kultur in den Fasti, Kap. 4.5). Wie vieles andere in Ovids Œuvre ist also auch die Art der Lehrdichtung in den Fasti als originelle Synthese zu bezeichnen, die in den bisher erstellten Klassifikationen der antiken Gattung darum bisher auch nicht aufgeführt worden ist. 36 In ihrem Buch zur Poetik der lateinischen Lehrdichtung hat Katharina Volk, die Effes Typologie nach der Werkintention der Autoren im Übrigen zurecht kritisch gegenübersteht, gezeigt, dass den Texten, die sie als Lehrdichtung bezeichnet,37 ein poetisch-reflexives, d.h. metapoetisches Bewusstsein zugrunde liegt. 38 Die Vermittlung eines Wissensgegenstands stelle also die Dichtung, im emphatischen Sinne einer ästhetischen Produktion, selbst in den Fokus (Punkt drei in der folgenden Aufzählung). Außerdem seien eine „didaktische Absicht“ (womit Volk ihrerseits eine intentionale Dimension einführt), eine Lehrer-Schüler-Konstellation sowie „poetische Simultaneität“ entscheidend, um einen Text als Lehrdichtung bezeichnen zu können:39 In the scheme that I have been proposing, the genre of ancient didactic poetry is defined by four main characteristics: (1) explicit didactic intent; (2) teacher-student constellation; (3) poetic self-consciousness; and (4) poetic simultaneity. Obviously, the four are closely related. A didactic poem could thus be described as the selfconsciously poetic speech uttered by the persona, who combines the roles of poet and teacher, explicitly in order to instruct the frequently addressed student in some professed art or branch of knowledge.

Die Fasti werden jedoch wiederum nicht in die Untersuchung einbezogen, obgleich gerade Ovid in allen seiner Texte besonders deutlich für ein selbstreflexives

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Zu Ovids Verhältnis zur didaktischen Tradition, cf. Schiesaro 2002, 62: „Indeed, throughout his œuvre Ovid plays extensively with the well-established traditions of Greek and Roman didactic poetry. On his profound knowledge of, and admiration for, the masters of the genre – Empedocles, Lucretius, Virgil – he builds a radical revision of the objectives and strategies of a form of poetry which was supposed to provide an authoritative interpretation (or at the very least a compelling description) of the universe and its fundamental principles. The Ars, Fasti and Remedia resort to the structure and syntax of didacticism to describe (and, to a lesser extent, prescribe for) a world of uncertainty dominated more by mutable desires (human and divine) and elusive memories than by unyielding natural or providential laws.“ Die Astronomie – was Schiesaro an dieser Stelle nicht berücksichtigt – spielt in den Fasti allerdings eine gesonderte Rolle und wird durchaus in die Pflicht genommen, universelle Gesetze zu liefern. Cf. Volk 2002, 58: Bei den Griechen sind das nach ihrer Einteilung Hesiod, Empedokles, Arat und Nikander; bei den Römern Lukrez, Vergil, Ovid und Manilius. Ibid. 2: „My goal is to uncover the poetics of these texts, specifically the ways in which they construct the relationship of poetic form and didactic content, of carmen and res.“ Ibid. 40.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Dichten steht und Volk das Konzept der „poetischen Simultaneität“ in 1997 erschienenen Artikel ausgerechnet an den Fasti entwickelt hat.40 Während die drei anderen Elemente im Kalendergedicht deutlich vorhanden seien, gebe es allerdings „no indication that the persona’s main intent is to teach anyone about the Roman calendar, rather than simply to sing about it.“41 Immerhin seien die Fasti wie auch Ovids Ars in einem „didactic mode“ geschrieben. Abgesehen nun von der Frage, was es in komplexer Dichtung bedeuten solle, „simply to sing about it“, kann ein „main intent“ der textinternen Dichter-Persona wohl genauso wenig objektiv festgestellt werden wie die Absicht eines historischen Autors. Es ist nach alldem kaum letztgültig zu entscheiden, ob man die Fasti als Lehrdichtung bezeichnen darf. Wichtige Forschungsbeiträge am Beginn der neu erwachten Forschung zu diesem Text nehmen eindeutig Stellung zugunsten eines solchen Urteils.42 Als sicher kann gelten, dass es sich um einen wissensvermittelnden Text handelt, der sich vieler Elemente der antiken Lehrdichtung bedient und mit diesen spielt. Ohne die antike Lehrdichtung gäbe es die Fasti in dieser Form nicht – was auch mit zahlreichen Verweisen auf Lukrez’ Text einhergeht (etwa in den drei Passagen des ‚Frühlingslobes‘ oder im Venus-Hymnus zu Anfang des vierten Fasti-Buches), der laut Volk originärer Referenzpunkt der lateinischen Didaktik ist.43 In Ovids Kalenderdichtung sind das Spiel mit dem Lehrer-SchülerVerhältnis und die Du-Anrede an den Leser genauso zu finden wie ‚epistemologische‘ Überlegungen selbstreflexiver Art, nämlich zur Herkunft des präsentierten Wissens, zur Art der Präsentation und zum Problem von Inspiration und Wahrheit. Das zweite Kapitel meines dritten Teils wird diese doppelte Ebene an den verschiedenen Jahreszyklen und -anfängen der Fasti beleuchten, die in diesem Text 40

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Volk 1997; zum selbstreflexiven Dichten in den Fasti schreibt Volk selbst (2002, 14) mit Verweis auf denselben Artikel: „I have elsewhere tried to show this for Ovid’s Fasti, where, as I have argued, the concentration on the speaker’s production of the poem is so strong that ‚what is usually called a poem on the Roman calendar might as well be described as a poem about a poet writing a poem about the Roman calendar‘ (Volk 1997: 291).“ Ibid. 42. Danielle Porte verhält sich in ihrer großen Fasti-Studie von 1985 zu dieser Frage affirmativ: Das Ziel des Textes sei es, die „Leser zu belehren“ („informer ses lecteurs“): „c’est d’abord leur décrire un rituel, c’est ensuite et surtout le leur expliquer, et, dans le cas de la religion romaine où les rituels pieusement reproduits sont incompréhensibles même pour les célébrants, le besoin d’explication se fait impérieusement sentir“ (Porte 1985, 23; s. auch 34 und 489). Das Verhältnis der Fasti zur Didaktik wurde auch von John Miller in mehreren Artikeln beleuchtet, darunter bes. Miller 1992. Green 2004, 44 f. sieht besonders in der präliminären Passage nach dem Proömium, die einen Abriss der Frühgeschichte der Kalenderkonstitution und die iura dierum zum Thema hat (1.27–62), den „didactic mode“ am Werk, wo man die didaktische Tradition am klarsten wahrnehmen können. Toohey 1996, 27 schließlich kommt zu dem Schluss, dass die Fasti „written primarily within the didactic tradition“ seien. Volk 2002, 58.

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus

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auch zahlreiche poetologische Ebenen einziehen, um etwa die Frage zu stellen (und poetisch zu beantworten), wie ein didaktischer Text über das römische anzufangen habe. Im Unbehagen auch der Deuter der Fasti bis in die neueste Zeit scheint die historische Missbilligung von Wissensvermittlung in der Poesie mitzuschwingen: Entweder sind ihnen die Fasti als ästhetisches Projekt misslungen, oder historische sowie astronomische Ungenauigkeiten ein Dorn im Auge. Die aus heutiger philologischer Sicht konstatierte Zwischenstellung des Textes, der nicht Fachschriftstellerei noch Liebesdichtung, vielleicht nicht einmal Lehrdichtung im antiken Sinne sein will, ist vielleicht die eigentliche Ursache für die lange währende Vernachlässigung der Fasti in der Forschung gewesen. Auch ist die belehrende bzw. forschende Haltung des Sprechers, der im Text meist fragend auftaucht, nicht von der Hand zu weisen – ein Versuch der Vermittlung eines wie auch immer gewonnenen Wissens findet sich allenthalben. Die Antworten der Götter und Landbewohner, der Musen und Veteranen bieten freilich stark ästhetisierte, literarisch perspektivierte Erklärungen der Phänomene und Wörter des Jahres; gleichwohl stellt ein ‚Wissen der Literatur‘, gleichsam aus der Literaturgeschichte heraus gewonnen, auch eine Form von Wissen dar, das im Fall der römischen, bis in die Gründungszeit Roms und weiter zurückreichende Aitia ohnehin, wie wir oben gesehen haben, selten festgeschrieben sein konnte. Auf die Deutung der Gegenwart bestehe ein Anspruch auch seitens der inspirierten Dichtung, so die zugrunde liegende Haltung des vates operosus in den Fasti. Nicht nur der Systematik quellenbasierter Fachschriftstellerei komme dieses Recht zu, denn auch ihre Thesen beruhten oft auf Konstruktion und kontingenten Rahmungen des präsentierten Wissens.

2.3

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus Ovid’s Fasti celebrate ceaselessly the triumph of an antiquarian discourse.44

Das ‚gelehrte Dichten‘ ist Merkmal lange nicht nur der römischen Lehrdichtung, denn in hellenistischer Zeit verschwimmen die Grenzen zwischen Literatur und Wissen in programmatischen Linien. Der poeta doctus als Autorenideal durchzieht alle Genera vom Epos bis zur Elegie, was als literarästhetisches Phänomen auf den alexandrinischen Hellenismus und eine neu entstandene Wissensformation zurückzuführen ist:45 So waren die Dichter Kallimachos von Kyrene und Apollonios von Rhodos auch Bibliotheksleiter oder wenigstens mit dem gewaltigen PapyrusBestand der ptolemäischen Hofbibliothek betraut. Ersterer war neben seiner Dich-

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Wallace-Hadrill 2008, 243. Cf. Schwinge 1986 zur ‚künstlichen‘ Ästhetik der alexandrinischen Poesie.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

tertätigkeit auch Philologe und Kritiker und fertigte mit den Pinakes in 120 Buchrollen auch die erste bekannte systematische Bibliographie an.46 Der Dichter der Aitien, Hymnen, Iamben und vieler anderer experimenteller Formen ist ein Leitstern der römischen Dichter von Ennius bis Ovid.47 Die kleine, ausgefeilte Form sowie die gelehrte Anspielung sind das Proprium der hellenistisch-römischen Poesie; angesichts der bloßen Menge der verfügbaren Literatur und der auf sie bezogenen, im Hellenismus erst möglich gewordenen Gelehrsamkeit ist sie eine unmittelbare Reaktion auf einen neuen Umgang mit Wissen. 48 Denn die entlegenen Toponyme, aitiologischen Beschreibungen ausgefallener Rituale oder die markierte Verwendung homerischer hapax legomena zeigen bei den Alexandrinern und ähnlich bei den römischen Dichtern, dass Wissen nicht empirisch verifiziert, sondern häufig schlicht aus der philosophisch-peripatetischen, aber auch aus literarischen Traditionen übernommen und nach eigenen Regeln klassifiziert wurde. Die Literatur in diesem Umfeld ist somit konstitutiver Bestandteil eines Wissensdiskurses und bestimmt auch durch ihre eigenen ästhetischen Formen, Inszenierungs- und Schreibweisen, was als Gegenstand des Wissens gelten kann. Kallimachos hat diese philologische, wissenslastige Art des Dichtens nicht ohne Selbstironie, auch gerade gegenüber einem topisch gewordenen dichterischen „Singen“ im Zustand musischer Inspiration, auf eine Formel gebracht (fr. 612 Pfeiffer): ἀμάρτυρον οὐδὲν ἀείδω („nichts Unbezeugtes singe ich“). Man darf annehmen, dass das Konzept des Umgangs mit Wissen des vates operosus in den Fasti auf diese Vorgabe reagiert. Die Neigung der römischen Dichtung zum Antiquarismus und zur Auseinandersetzung mit Autoren wie Varro wie auch die Rolle der antiquarischen Aitiologie für die Politik des Augustus selbst kann man in diesem kulturgeschichtlichen Kontext erklären. Der Fokus vieler Gedichte und Passagen Vergils, Properz’, Tibulls und in besonderem Maße auch der Fasti liegt auf der römischen Gründungszeit und deren Konstitutionsleistungen; in Ovids Text geht es immer wieder um jene Setzungen des Romulus κτίστης, auch im Hinblick auf den römischen Kalender (s. neben vielen weiteren Gründungsepisoden nur Fasti 3.69–150). Damit knüpfen diese Texte an eine hellenistische Tradition von ktisis-, also „Gründungs“-Dichtungen an, die, oftmals im aitiologischen Modus, von den Helden früherer Zeiten und der

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Cf. Krevans 2011, 121–4. Cf. Wimmel 1960 und Hunter 2006. Pfeiffer 1970, 74: „πολυμαθής, ‚Vielwisserei‘ [sic] war in archaischer Zeit ein Vorwurf gegen die, die keine wahre Wahrheit besaßen; aber auch dieses Wort erhielt in hellenistischer Zeit den entgegengesetzten Beiklang; unbegrenzte Kenntnis des Gegenstandes und der Sprache hielt man nun für unerlässlich für die neue Dichtung, σοφίη genannt (Call. fr. 1,18).“

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus

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Gründung auch kleinerer Städte erzählen. 49 Aitiologien werden hier zu Denkfiguren der Be-Gründung: Die lokale Identität der griechisch-hellenistischen Stadtstaaten wurde in solchen idiosynkratischen Gründungslegenden und Ursprungsgeschichten geschaffen,50 die ausgefallene Riten und Bräuche erklären sollten, was sich am prominentesten in der gelehrten aitiologischen Dichtung eben des Kallimachos und anderer alexandrinischer Dichter wie Apollonios von Rhodos niederschlug. Gerade das ptolemäische Alexandria setzte auf Identitätsstiftung durch Wissen und Literatur, wie Markus Asper das Phänomen beschrieben hat:51 „Sofort springt ins Auge, dass Aitiologie, die Etablierung von Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit mit dem Ziel, die Gegenwart zu erklären, nichts anderes als eine Stiftung von Kontinuitätsbewusstsein ist. Kallimachos’ Werk aber strotzt nur so von Aitiologien [...] Kallimachos teilt einen wesentlichen Teil seines dichterischen Interesses offenbar mit der ptolemäischen Intention, Kontinuitäten nachzuweisen bzw. zu konstruieren. [...] In der antiquarisch-aitiologischen Erzählung und der massierten Rekombination solcher Aitien zu neuartigen Erzählformen lässt sich die Fortsetzung der ptolemäischen Kontinuitäts-, Abgrenzungs- und Homogenisierungspolitik mit literarischen Mitteln erkennen. Es geht um die Identitätskonstitution einer großen, in ihrer Zusammensetzung heterogenen Gruppe. [...] das Interesse an Aitien, an Nachrichten aus anderen griechischen Städten, ist kein antiquarisches, sondern dient der Stiftung eines panhellenischen, raumzeitlichen Kontinuums, das den Gegenwartsgriechen in Alexandria und auf dem Land mit dem Heroenmythos und dessen Schauplätzen im alten Heimatland verbindet. [...] Es geht um nichts weniger als die Konstruktion eines gemeinsamen, selektiven, relativ einheitlichen kulturellen Gedächtnisses.“

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Cairns 1979, 69 f.: „The fourth and subsequent centuries saw even further expansion of literary interest in foundation legends: and they were associated with two other important subjects of literature in that period, paradoxa and aetia. Thus they embraced all those curious religious rites and antiquarian oddities of which Hellenistic poets were so fond. [...] In the Hellenistic period, in addition to the poetic ktiseis, numerous prose accounts of foundations were written. There was also a minor industry of fabricating for historical and cultural purposes oracular and other documentary material relevant to foundations.“ Pfeiffer 1970, 180 f.: „Die wenigen Fragmente von Apollonius' kleineren Gedichten über verschiedene Städte, ihre lokalen Legenden und ihre Gründung sind wie die Argonautika voll von antiquarischen und geographischen Seltenheiten; sie sind wohl als Wiederbelebung der hexametrischen Ktisis-Dichtung früherer Zeiten gemeint, die uns fast ganz verloren ist.“ S. auch Cairns 1979, 69: „The titles of five poetic ktiseis of Apollonius of Rhodes are known. Two portions of a verse ‚Foundation of Lesbos‘ survive; and there are testimonia to a number of other poetic ktiseis. Finally – and perhaps most significantly – Callimachus treated the foundation legends of the Sicilian cities in the second book of his Aetia.“ Asper 2004, 20–2.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Die augusteischen Dichtungen bedienen sich einer analogen Funktion der (antiquarischen) Aitiologie im Hinblick auf die Konstruktion einer gemeinsamen Identität, die sich nicht mit einer panegyrischen Funktion gleichsetzen lässt. 52 Die alexandrinischen Techniken werden so auf die Großerzählung des augusteischen Prinzipats übertragen. Das „leicht nationalistische Kolorit“ allerdings, der Bezug auf und die Herstellung einer homogenen Gruppe, der Kallimachos und seiner Zeit fern lag, wird besonders von Vergil gerade auch durch die Funktion begründet, die seine Aitien mit ihrem Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart haben:53 Die aitiologische Ausrichtung auf die Phase der Gründung Roms und die mythhistorische Königszeit in der augusteischen Literatur ist in diesem Kontext zu sehen, und daher kommt auch der hohe Stellenwert der ktistischen Erzählung und der Porträts von Gründerfiguren wie Herkules, Euander und Aeneas im zu besiedelnden Latium. Die Fiktion eines Ursprünglichen steht im Vordergrund, nicht nur die Erklärung eines nicht mehr Verstandenen. Die römischen Elegiker, in ihrer Kallimachos-aemulatio besonders Properz im vierten Buch sowie Ovid in den Fasti, nehmen das schon wie selbstverständlich in ihre Dichtung auf. 54 Aspers Begriff der Identität als soziokulturelle Kategorie geht seinerseits auf Jan Assmanns Theorie des „kulturellen Gedächtnisses“ zurück, in der „Identität“ gleichbedeutend mit „politischer Imagination“ ist: „Gesellschaften imaginieren Selbstbilder und kontinuieren über die Generationenfolge hinweg eine Identität, indem sie eine Kultur der Erinnerung ausbilden.“55 Identität wird im Rückgriff auf Vergangenheit geformt, was in zeitlicher wie in räumlicher Dimension geschieht. Gerade dort, wo es keine Zeugnisse aus der Vergangenheit gibt, ist jede Re-Konstruktion aber vor allem eine Konstruktion, denn Vergangenheit wird fortwährend von den sich wandelnden Bezugsrahmen der fortschreitenden Gegenwart her reorganisiert.56 In der römischen Erinnerungskultur ist dies für ein breiter gefasstes kulturelles Gedächtnis ebenso festzustellen wie für die spezifischen Gattungen der

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Für fruchtbare Konzepte von Identität bei der Lektüre augusteischer Dichtung, cf. Syed 2005, Reed 2007, Labate 2010. Binder 1988, 262 f., mit 265. Cf. auch Miller 1982 zur Bedeutung der Aitiologie in der Übernahme poetischer Techniken von Kallimachos durch die augusteischen Dichter. Aber auch Ennius’ und Naevius’ Epik sind aitiologisch und zeigen das allgemeine Interesse römischer Autoren an Ursprüngen und anderen ‚liminalen‘ Ereignissen an; cf. Farrell/Nelis 2013, 10 f. Assmann 2000, 18. Cf. Walter 2004, 19: „Die Römer brachten sich gleichsam fortwährend selbst hervor, indem sie sich erinnerten, wobei Erinnerung hier als selektiver Mechanismus zur Fixierung kulturellen Sinns verstanden werden soll. [...] Jede Rekonstruktion ‚tatsächlicher‘ Geschichte hat auf die Rekonstruktionsmodi Rücksicht zu nehmen, denn ihre Quellen sind in den seltensten Fällen zeitgleich mit den beschriebenen Ereignissen entstanden. Für den Urheber der späteren Quellen aber ergab sich die Wahrheit der im Text verfestigten Erinnerungen aus ihrer Aktualität, nicht aus ihrer Faktizität.“

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus

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Geschichtsschreibung und der antiquarischen Ursprungsforschungen,57 die in Rom seit dem zweiten Jahrhundert v.Chr. und besonders in spätrepublikanischer Zeit (genauer den 50er und 40er Jahren v.Chr.) einen hohen Stellenwert erlangten.58 Am Ende der Republik fand der Höhepunkt einer veritablen Wissensrevolution in Rom statt. Er wurde durch Varro für die Fachschriftstellerei und gewissermaßen erste enzyklopädische Sammlung des verfügbaren römischen Wissens einerseits und durch Cicero für die Beredsamkeit und Philosophie andererseits verkörpert. 59 Als die mündliche Überlieferung abzureißen drohte, wurden antiquarische Autoren wie insbesondere Varro mit seinen 41 Büchern Antiquitates rerum humanarum et divinarum zu den Bewahrern der Tradition erkoren,60 wie wir Ciceros Lobpreis seines Schriftstellerkollegen in Acad. 1.9 entnehmen können. Das Proöm des ersten Buches der Academica (verfasst um 45 v.Chr.) ist dem Verdienst Varros gewidmet, das mit Cicero durchaus als eine Identitätsschöpfung durch antiquarische Literatur zu bezeichnen ist:61

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Diese römischen Forschungen sind mit den oben beschriebenen griechisch-hellenistischen freilich in vielfacher Weise verbunden: Varro nutzt etwa in De lingua Latina 5.113, 7.34 und 7.70 explizit griechische Quellen, nämlich einmal Aristoteles und zweimal Kallimachos; s. Rawson 1985, 237 f. Noch vor den ersten im engeren Sinne literarischen Texten mit antiquarischer Ausrichtung gab es im frühen 2. Jh. v.Chr. juridische, grammatische und historische Schriften, die Vergangenes aufarbeiteten, und bes. die Annalisten Piso und Hemina in späteren 2. Jh. bewahrten derartiges Material auf. Die ersten ‚gesicherten‘ Antiquare in Rom sind jedoch lunius Gracchanus (ca. 143–54 v.Chr.) und Sempronius Tuditanus (Konsul 129 v.Chr.), die zur römischen Verfassung, d.h. den Amtsgewalten der verschiedenen Ämter schrieben (De potestatibus); s. zur Charakterisierung der antiquarischen Schriften in republikanischer Zeit Rawson 1985, 233–49 und Sehlmeyer 2003 sowie, speziell zur antiquarischen Rekonstruktion der Frühzeit, Cornell 1995, 18–26. Cicero schrieb freilich nie als Antiquar, kam der Methode aber in De re publica am nächsten: s. Rawson 1985, 246 f. und 1991. Fuhrmann 1987, 142 nennt Varro, Livius und Verrius Flaccus das „Dreigestirn“ der Schriftsteller, „die in spätrepublikanisch-augusteischer Zeit die großen, abschließenden Synthesen einer mehr als hundertjährigen Tradition historisch-antiquarischer Studien herstellten: Livius für die Annalistik, Varro für die Religions-, Staats- und Privataltertümer, Verrius für die Erklärung antiquierter Wörter, für die Glossographie.“ Dass Varro und Cicero dabei mit stark divergenten Geschichtsbildern auf die Vergangenheit zurückgriffen, zeigt jetzt Binder 2018. Die Fragmente der Antiquitates sammelt Cardauns 1976; s. auch Cardauns 1978 zu den religionsgeschichtlichen Aspekten des Werks. Zu Varros Werken im Einzelnen s. Rawson 1985, 235–49 und Cardauns 2001. S. zur Stelle Momigliano 1950, 288, Fuhrmann 1987, 144 f. (seine Übersetzung ist Grundlage der vorliegenden), Edwards 1996, 16 f., Sehlmeyer 2003, 158 mit Fußn. 6 sowie Šterbenc Erker 2008, 37 und Wallace-Hadrill 2008, 132 f. Der zweite locus classicus der antiken Notizen über Varro als Retter der religiösen Bräuche und des Wissens ist Augustinus’ CD 6.2.248 (= Antiquit. fr. 2A Cardauns, d.h. vermutlich ein Zitat aus

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung nam nos in nostra urbe peregrinantis errantisque tamquam hospites tui libri quasi domum reduxerunt, ut possemus aliquando qui et ubi essemus agnoscere. Tu aetatem patriae, tu discriptiones temporum, tu sacrorum iura, tu sacerdotum, tu domesticam, tu bellicam disciplinam, tu sedem regionum, locorum, tu omnium divinarum humanarumque rerum nomina, genera, officia, causas aperuisti. Denn uns, die wir in unserer Stadt gleichsam wie Gäste umherwandern und -irren, haben deine Bücher wie nach Hause zurückgeführt, sodass wir endlich erkennen konnten, wer und wo wir gewesen sind. Du hast das Alter des Vaterlandes, du die Gliederungen der Zeiten, du die religiösen Gesetze, du die Zivil- und Militärverfassung, du den Sitz der Gegenden und Örtlichkeiten, du hast aller göttlichen und menschlichen Dinge Namen, Arten, Funktionen und Gründe erschlossen.

Da die Vergangenheit und ihre Sitten mit dem Fortschreiten der Zeit naturgemäß entschwindet oder zumindest immer undeutlicher erkennbar wird, war die Bewahrung und oftmals auch schon Rekonstruktion ihrer Zeugnisse ein Anliegen der Gesellschaft gegenüber den Schriftstellern, die sich häufig selbst als antiquarische Forscher verstanden.62 In der Umbruchszeit um die Bürgerkriege wird die römische kulturelle Identität anhand einer flexibel zu deutenden und zu schreibenden Vergangenheit und ihrer Bräuche neu konstruiert.63 „Gelehrte machten sich an die systematische Erforschung überkommener Bräuche und Riten, deren geheimnis-

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Varros Werk enthaltend). Catherine Edwards (1996, 17) schreibt zur Rolle des antiquarischen Wissens in Rom treffend: „The antiquarian’s knowledge is what has made Rome a familiar place and also given Varro’s readers a firm sense of their own identity. [...] To be at home in Rome was not to be born there [...]. It was rather to be master of Roman knowledge. Without such knowledge, Romans might be thought to imperil their own identity, while, by implication, Roman knowledge could confer romanitas on the foreigner.“ Cf. Šterbenc Erker 2008, 37 mit Rawson 1985, 233 und Wallace-Hadrill 1997, 13. Allerdings wurden die Antiquare in der Moderne ob ihrer deutlich zu erkennenden politisch-konservativen Absichten selten ernst genommen; s. Rawson 1991, 63: „The practical ends that Roman writers had always in mind when dealing with the past tend to prevent their being regarded as proper scholars by our standards. The new antiquarianism of the fifties proclaimed its conservative political ends frankly; Varro has been strongly attacked for his attempts to prove the great antiquity of Rome and his perpetual tendency to assume that the maiores were all-wise and all-knowing.“ Cf. Pasco-Pranger 2000, 280 f.: „The rapidly changing and unstable cultural and political world of these years led to a boom in works that preserved, explained, revived, or even produced a cultural past which was seen to be slipping away. Antiquity was read as a guarantor of simplicity, purity, morality, and more direct access to the true Roman nature.“ S. auch Rawson 1985, 234 zur ersten Hochphase des Antiquarismus in ähnlicher politischer Situation: „It is also obvious that the first great political crisis of the late Republic, during the Gracchan period, contributed to the emancipation of antiquarianism from historiography.“

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus

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voll archaische Züge anziehend wirkten und die ersehnte Geborgenheit nach unruhigen Zeitläuften verhießen.“64 Ovids Text steht noch in einer Linie mit diesem Zeitgeist und eignet sich die Kenntnisse wie auch – meist vielfach gebrochen – den Ton dieser Werke an.65 Der Frage, was antiquarische Literatur überhaupt ist, inwiefern sie sich als eigene Gattung auszeichnet und v.a., wie sie sich von der Historiographie abgrenzt, ging Arnaldo Momigliano in einem Aufsatz von 1950 nach. Nach seiner Definition sind folgende Merkmale entscheidend:66 I assume that to many of us the word ‚antiquary‘ suggests the notion of a student of the past who is not quite a historian because: (1) historians write in a chronological order; antiquaries write in a systematic order: (2) historians produce those facts which serve to illustrate or explain a certain situation; antiquaries collect all the items that are connected with a certain subject, whether they help to solve a problem or not. The subject-matter contributes to the distinction between historians and antiquaries only in so far as certain subjects (such as political institutions, religion, private life) have traditionally been considered more suitable for systematic description than for chronological account.

Momigliano führt den Antiquarismus auf die Sophisten (bzw. Platons Darstellung dieser) und den Begriff auf das griechische ἀρχαιολογία zurück; bei Platon sei die Vorstellung einer „science called archaeology dealing with subjects which to-day we would call of antiquarian interest“ zu finden.67 Dionysios von Halikarnassos, einer der römischen Antiquare des augusteischen Rom, der den Griechen der Zeit die Bräuche seiner Wahlheimat aus den Ursprüngen der archaischen Vorzeit heraus erklärte, schrieb entsprechend eine Ῥωμαικὴ ἀρχαιολογία, und Varros Antiquitates, die wie sein Werk als Ganzes das Wissen der Römer systematischer aufarbeiteten als je zuvor,68 sind mit ihrem Titel eine Übersetzung dieser griechischen Gattung: „By antiquities he [sc. Varro] meant a systematic survey of Roman life according to the evidence provided by language, literature, and custom.“69 Diese 64 65 66

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Baier 1997, 165. Cf. Lefèvre 1976, 39. Momigliano 1950, 286 f. Zu seinem Thema, der bis ins 18. Jh. währenden Trennung von „scholarly antiquarianism and narrative historiography“, s. auch Cornell 1995, 19. Sehlmeyer 2003, 157 problematisiert Momiglianos Ansichten, da sie aus späteren antiquarischen Schriften etwa des Gellius oder Macrobius entwickelt worden seien. Im Gegenzug skizziert er den historischen Verlauf antiquarischer Schriftstellerei in Rom. Die frühesten römischen Antiquare sind nur fragmentarisch erhalten, zeigen laut Sehlmeyer aber eine gewisse Nähe zur Annalistik oder zu Catos Origines, also historiographisch konzipierten Werken. Momigliano 1950, 288. S. auch Rawson 1985, 233. Zum Begriff einer varronischen „Enzyklopädie“ des römischen Wissens, s. Fuhrmann 1987, 144. Ibid.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Antiquare wie auch der in vielem von Varro abhängige Plutarch bewahrten das Wissen über die Vergangenheit und ihre Bräuche, aktualisierten jedoch dabei deren Merkmale und schrieben somit eine Form der Zeitgeschichte. 70 Als Gegenstände der römischen antiquarischen Schriften im ersten Jahrhundert v.Chr. sind religiöse Riten, die politische Ordnung oder die Topographie zu nennen, aber auch der Kalender und die lateinische Sprache samt ihrer Herkunft. 71 Es gibt eine Tendenz zum Zitieren der älteren Quellen und zum Argumentieren; 72 häufig ist die Thematisierung von Institutionen der Anlass zu antiquarischen Ausführungen, was den Einschluss der Gründungssage Roms impliziert – die Stadtgründer waren demnach ja gleichzeitig auch Urheber der ersten Institutionen. Für Markus Sehlmeyer sind antiquarische Schriften daher durch ihre ktistische und damit implizierte aitiologische Ausrichtung zu charakterisieren: „Von antiquarischer Literatur kann man m.E. erst dann sprechen, wenn die in der Ktisis thematisierten Institutionen Roms in ihrem entwickelten Zustand aus zeitlicher Distanz betrachtet werden, ohne dass ihre zeitliche Relation eine größere Rolle spielt.“73 Aus dieser Charakterisierung wird ersichtlich, wie die antiquarische Vorzeitkunde eine tragende Funktion zur Bewältigung der Krise am Ende der Republik und in augusteischer Zeit übernehmen konnte. Manfred Fuhrmann geht von einem sich wechselseitig bedingenden Krisenbewusstsein der spätrepublikanisch-augusteischen Epoche und dem daraus resultierenden Erneuerungswillen einerseits sowie der gleichzeitig aufblühenden historisch-antiquarischen Schriftstellerei andererseits aus.74 Die literarischen Tendenzen dieser Texte seien als Projekt der Herstellung von Kontrastfolien vergangener, idealisierter Lebensformen gegenüber der zeitgenössischen Dekadenz zu verstehen, die von der Politik aufgenommen 70

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Cf. Šterbenc Erker 2009, 46 f. Dazu auch Wallace-Hadrill 2008, 232: „Roman antiquarianism developed a powerful discourse about the past that relied on scholarly research. But it did so in the context of a period of radical political and social upheaval. It had the effect of unhooking the present, so to speak, from the obligation to follow the recent past. By relocating the legitimising authority of the ancestors in a remote past, it gave the present a greater freedom to innovate“; und ibid. 239 f.: Antiquarismus sei nicht nicht Konservativismus, sondern Motor für Veränderung gewesen, da die Gegenwart von der erinnerten Vergangenheit so verschieden gewesen sei. So komme es vielmehr zum Eindruck von Diskontinuität als von Kontinuität. Fast alles habe ob der fragmentarischen Überlieferung der Büchergelehrten zur Kontinuitätsherstellung mit der ‚wahren‘ römischen Tradition dienen können, was sich Augustus zunutze gemacht habe. Sehlmeyer 2003, 171. Rawson 1991, 64. Sehlmeyer 2003, 158. Fuhrmann 1987, ein Beitrag zum zwölften Band der Forschergruppe „Poetik und Hermeneutik“ zu Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. Zur Rolle der antiquarischen Literatur in der Krise, s. auch Sehlmeyer 2003, 171 und Wallace-Hadrill 2008, 232–6, der sie als subversiven Angriff auf die Autorität der römischen Nobilität sieht (bes. 235 f): „o die Tradition vernachlässigt war, konnte der Antiquar mit seinem Verweis auf obskure Dokumente neue Traditionslinien etablieren und eigenen Auslegungen stärken.

Dichtergelehrsamkeit und Antiquarismus

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und gefördert worden seien.75 Maßgebliche intellektuelle Orientierung für die Restauration und neue Semantisierung des städtischen Raums gaben solche antiquarischen Texte, denn der Princeps soll sich für den Wiederaufbau der Tempel auf die gelehrten Werke etwa Varros und Verrius Flaccus’ bezogen haben.76 In diesen wurde Erinnerung – und damit Identität – neu fixiert: Die antiquarische Prosaliteratur ist somit als eine Wissensliteratur der römischen kulturellen Identität zu sehen, die an einer Konstitution des Selbstbilds in augusteischer Zeit teilhatte.77 Die Vorliebe für die Darstellung des frühen Roms der Antiquare und der Gründungserzählungen sowie für alte Bräuche ist in den Fasti allenthalben zu finden,78 so auch der Gestus der Quellenforschung (s. speziell dazu oben, Abschnitt 2.1 zum vates operosus). Der antiquarische Einschlag ist in der Anlage des Textes schon durch die Grundfigur der (Mehrfach-)Aitiologie gegeben. Zudem ist die Tendenz 75

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Cf. Fuhrmann 1987, 145: „Man suchte nach Orientierung im Strudel der Wirren und des Niedergangs und diese Orientierung vermochte den Römern [...] allein die Versenkung in die konkreten – wenn auch zweifellos idealisierten – eigenen Ursprünge zu geben.“ Die antiquarischen Werke „suchten zur Wahrung einer ideellen, einer geistigsittlichen Identität beizutragen, und sie suchten darüber hinaus einer moralisch-politischen Erneuerung den Weg zu bahnen.“ Es ist behauptet worden, dass die augusteische Restauration ohne Varro nicht denkbar gewesen wäre, cf. Rawson 1985, 246 f. Laut Fuhrmann 1987, 149 war Augustus „der große Täter und Anwender unter den römischen Altertumsbeflissenen, und seine Restaurationsbemühungen hatten erklärtermaßen das Ziel, durch die Reaktualisierung der Sitte von einst das politisch-moralische Elende der jüngsten Vergangenheit zu überwinden.“ Er nennt zuvorderst die Sitte der Schließung des Janustempels, an die Augustus anknüpfte. Die Ableitung der Herkunft römischer gentes und die Übernahme historischer exempla für die Gegenwart, die auch Augustus zum Programm erhob (RG 8.3), sind neben der Konstruktion einer gemeinsamen Identität aus der Vergangenheit heraus Gründe für die Bedeutung der antiquarischen Perspektive in der römischen Literatur, die mit der Bedeutung der Aitiologie einhergeht. Seit der späten Republik war der Erhalt der mos maiorum ein zentrales Thema im römischen kulturellen Diskurs. S. auch Baier 1997, 185: „Dem Zeitgeist gehorchend ‚schuf‘ Varro gleichsam eine kanonische Vergangenheit, an der sich die Gegenwart zu messen hatte. Sein Lebenswerk war die Bestandsaufnahme, aber nicht um historischer Erkenntnis willen, sondern um auf die Gegenwart zu wirken. [...] Varro präsentierte sein Wissen nicht objektiv, sondern prägte ihm seine eigene Tendenz auf. Er schuf damit ein Klima, das sich später in der augusteischen Restauration voll entfalten konnte. Er hat für das hybride Konstrukt der res republica restituta die geistigen Grundlagen geschaffen.“ Zur antiquarischen Literatur und historischen exempla in diesem Kontext augusteischer Kultur, s. Šterbenc Erker 2008, 31. S. dazu auch Krasser 2005. Cf. für den Ausdruck einer solchen antiquarischen ‚Liebhaberei‘ etwa Fasti 1.7, 289, 3.87–96, 4.11, 6.57–64; der vates besucht die Feste und Orte selbst: 1.389, 3.274, 6.237 f.; auf Reisen hält man aus Neugier an: 4.679 ff., 905 ff., 6.395 ff. S. Green 2004 ad 1.631 ff.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

feststellbar, das literarische Erbgut anhand des Jahreslaufs und seiner Feste für die Identität der im Kalender – oder vielmehr in dessen poetischer Konstruktion – aufgehobenen Vergangenheit der römischen Kultur präsent zu halten, ja fruchtbar zu machen.79 Die Episoden sind in Absetzung von möglichen Quellen meist so erzählt, dass in Binnenaitiologien und Etymologien auch en passant noch manches erklärt wird (so etwa im Verlauf der Geschichte um Numa, Picus und Faunus der Name des Jupiter Elicius [3.127 f.], über den die beiden Erzählstränge von Gewitter-Omen und ancile verbunden sind). Das Literarische, das dennoch stets im Vordergrund steht, wird also auf die Wissensvermittlung, auf den einzelnen Punkt der Faktenerzeugung in der Aitiologie etc. hin geprägt. Von dieser literarischen Produktionsperspektive her gesehen wird die Betonung der Rolle der Literatur und all ihrer Verbindungen mit der Kultur insgesamt (nämlich u.a des vates, der Astronomie und Sternsagen, der mythischen Sänger wie Arion mit dem Delphin [2.79– 118]) in den Fasti erklärbar. Man muss sich bei der Lektüre dieses gleichwohl ebenso von der antiken literarischen Tradition gesättigten Gedichts vor Augen halten, dass zumal Varros Antiquitates (deren achtes Buch der Res divinae die römischen Feste behandelte) und De lingua Latina mit hoher Wahrscheinlichkeit für die meisten Aitiologien zumindest konsultiert, wenn nicht intensiv zur Ein- und Umarbeitung benutzt wurden, auch wenn das im Einzelfall schwer nachzuweisen ist.80 Was schon für Ciceros De re publica gilt,81 dass nämlich als Wissensvorlage meist Varro diente, muss für die augusteischen Dichter insgesamt und für alle antiquarisch orientierten Schriftsteller lateinischer Sprache bis hin zu Augustinus und Isidor angenommen werden.82 An einigen wenigen Stellen wird das in Ovids Text explizit, so in der Diskussion 79 80

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Zur politischen Dimension des Antiquarismus der Fasti, s. Barchiesi 1997, 214–37. Zu Ovids Verwendung von Varros Werken in den Fasti, s. die älteren Stellensammlungen bei Huelsen 1880, Samter 1891 und Willemsen 1906. Cf. Cardauns 1976, 126 sowie, für eine neuere Einschätzung, Baier 1997, 166–74; dessen kluge Beobachtungen zum Verhältnis Kallimachos-Varro-Ovid (166): „Mit der Arbeit an den Fasti kreuzten sich die Wege Ovids und Varros in zweifacher Hinsicht. Einerseits standen beide in der Kallimachos-Nachfolge, andererseits schrieben beide römische Geschichte. Es ist fast paradox: das ‚kallimacheischste‘ Werk Ovids ist zugleich sein ‚römischstes‘“. Er relativiert dabei zu Recht die Parallelen, zumal es Ovid mehr um die literarischen Möglichkeiten des Stoffes gegangen sei. S. zu einem Einzelbeispiel des Umgangs der Fasti mit Varros Ansichten Rawson 1985, 237 (mit Gelsomino 1975), zur die Ansicht Varros, dass die Argeer-Schreine von den argivischen Gefolgsleuten des Herkules geweiht worden seien; diese Geschichte wird von Ovid wiederum für die Erklärung des Ritus der Argeer-Puppen verwendet (Fasti 5.639–60). Zum wahrscheinlichen Einfluss der varronischen Schrift De gente populi Romani auf die Metamorphosen in Fragen der mythologischen Chronologie, s. Cole 2004, bes. 363 f. Rawson 1985, 236. So enthalten etwa Vergils Aeneis-Bücher 7–12, also die italisch-latinische Hälfte des Epos, große Mengen antiquarischen Wissens, vermutlich in der Hauptsache von Varro kommend; cf. Cornell 1995, 21.

Das Wissen des Kalenders

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des Monatsnamens April zu Beginn des vierten Buchs: Die Verse 85–9 referieren auf jene, „die Venus den Monat entreißen wollen“, nämlich zugunsten einer anderen Etymologie; s. Kap. 3.2.4.3. Hätten wir mehr von Varros Riesenwerk, wären die in den Fasti aufgeführten Aitiologien und Etymologien wohl mit noch mehr Gewinn einzuordnen, da sowohl die Übernahme aus Varro als auch die Aussparung und ‚Korrektur‘ Impulse zur Interpretation liefern können. Da dies aber nicht der Fall ist, muss im Folgenden mit der gebotenen Vorsicht der gesamte antiquarische Diskurs (von Plinius d.Ä. und Plutarch über Gellius und Festus bis hin zu Macrobius’ Saturnalia), der das bis in die augusteische Zeit Erforschte eher kompilierte und exzerpierte denn neue Erkenntnisse erarbeitete, als Kontrastfolie für Ovids Dichten über antiquarische Themen dienen und von Varro als dem Meister des Diskurses ausgegangen werden.83

2.4

Das Wissen des Kalenders Calendars are not a technical curiosity, but a fundamental aspect of social life, an organizing principle of human experience, a constitutive component of culture and world views.84

Die These von der sozialen Verfasstheit der Zeit, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Forschung zum antiken Zeitdenken bestimmt hat,85 stellt zwischen die zwei grundlegenden, spätestens seit Augustinus’ Confessiones im antiken und dann auch im europäischen Denken gängigen Konzepte der Zeit ein drittes: Traditionell wurde einerseits eine subjektive Erfahrung von gleichsam individueller Zeit beschrieben, andererseits eine objektiv messbare kosmische Zeit angenommen, die

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84 85

S. zu Varros Leistung und Einfluss auf die römische Gelehrsamkeit auch Cornell 1995, 19: „Nevertheless, his influence was all-pervasive; in the words of Nicholas Horsfall, he has perished by absorption. His systematic organisation of knowledge provided the foundation for all subsequent Roman scholarship, and he was an indispensable source of factual information for later writers who occupied themselves in any way with the Roman past. The one significant exception is Livy, who along with the other late annalists paid no attention whatever to the findings of the antiquarians. Dionysius, on the other hand, made extensive use of Varro, particularly in his early books.“ Zur Unsicherheit der Quellen der Fasti in vielen Passagen, s. Peeters 1939, 50: „Parfois encore, comme dans les Metamorphoses, notre savant étiologique est le seul à nous apporter une version, un détail inédits et l’on peut se demander s’il fait alors appel à des souvenirs ou à des récits oraux, ou s’il a recours à quelque variante obscure et rare, rapportée dans un texte inconnu.“ Stern 2012, v. Zu einer sozialen Zeit des (römischen) Kalenders, s. insbes. Bergmann 1984, Rüpke 1995, Stern 2012, Ben-Dov/Doering 2017.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

an der Bewegung der Gestirne zu erfassen sei; 86 spätestens mit Émile Durkheim wird Zeit jedoch auch als soziales Phänomen bestimmt, das zwar überindividuell, aber dennoch nicht objektiv zu nennen sei.87 Soziale Zeit wird als temporales Ordnungsmuster verstanden, das bei Durkheim neben räumlichen und ethischen Ordnungsmustern steht. Diese Strukturen gewährleisten die Orientierung des Handelns für ein geregeltes Zusammenleben und werden durch Traditionen, Religion und Mythen weitergegeben. Eine solche soziale Zeit kann mit Jan Assmann auch als Teil der „konnektiven Struktur“ einer Gesellschaft bezeichnet werden, die in sozialer wie auch in temporaler Hinsicht verknüpfend wirkt: 88 nämlich, indem sie, auch im sozialkonstruktivistischen Sinne einer erst gesellschaftlich konstruierten Wirklichkeit, als „symbolische Sinnwelt“ einen „gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraum bildet, der durch seine bindende und verbindliche Kraft Vertrauen und Orientierung stiftet.“89 Dieser Aspekt einer gemeinsamen Kultur bindet das Gestern ans Heute und hält prägende Erinnerungen gegenwärtig, indem er „in einen fortschreitenden Gegenwartshorizont Bilder und Geschichten einer anderen Zeit einschließt“ und dadurch auch Orientierung für die Zukunft schafft.90 Diese kulturelle Funktion liegt häufig den mythischen und historischen Erzählungen zugrunde und ist, wie wir gesehen haben, gerade in der spätrepublikanisch-augusteischen Epoche und ihrer antiquarisch-restitutiven Ausrichtung von großer Bedeutung. Sozial konstruierte Zeit, wenn sie denn im Sinne Durkheims als soziales Ordnungsmuster fungieren soll, muss diesen Ansprüchen ebenfalls genügen.91 Im römisch-antiken Bereich ist der Kalender bei weitem das prominenteste, zumal das meistdiskutierte zeitliche Ordnungsmuster. Die lateinischen Begriffe der divisio temporum („Einteilung der Zeiten“, so Varro, De re rustica 1.27) oder, 86

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Mit letzterem Konzept einer an den Himmelskörpern orientierten objektiven Zeit, das er von den Stoikern nimmt, operiert etwa Varro in LL 6.3, und fügt wie zum Beweis noch die Etymologien für tempus (eine Übersetzung der Definition des Chrysipp, s. SFV II, 509 f.) und mundus hinzu: tempus esse dicunt intervallum mundi motus. id divisum in partes aliquot maxime ab solis et lunae cursu. itaque ab eorum tenore temperato tempus dictum, unde tempestiva; et a motu eorum qui toto caelo coniunctus mundus. Cf. Flobert 1985, vi. Durkheim 1912; s. zudem Elias 1988; cf. Rüpke 1995, 20. Assmann 2000 [1997], 16 f. Ibid.; zum sozialkonstruktivistischen Begriff einer „symbolischen Sinnwelt“, s. Berger/Luckmann 1969. Rüpke 1995, 391 bezeichnet an einer Stelle seiner Studie zum römischen Kalender diesen entsprechend als „kollektives Gedächtnis“. Zum Begriff der (kulturell etablierten, sozialen) „Zeitordnung“ allgemein, s. auch Wolkenhauer 2011, 10 f.: „Als ,Zeitordnung‘ bezeichne ich das Ergebnis menschlicher Bemühungen darum, Regelmäßigkeiten in der Natur zu erkennen und diese für die Lebensbewältigung und für die Organisation des menschlichen Miteinanders in den Dienst zu nehmen; kürzer gesagt: den Versuch, die Zeit zu einem Instrument im Dienste des Menschen zu machen.“

Das Wissen des Kalenders

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speziell aufs Jahr bezogen, Ciceros compositio anni („Zusammensetzung des Jahres“, De legibus 2.29)92 kommen in ihrer lebenspraktischen und ordnungsbezogenen Semantik dem, was als ‚zeitliches Ordnungsprinzip‘ definiert ist, wohl recht nahe. In römischen Kalendern und Texten über eine solche Jahresordnung finden wir vor allem die Prinzipien, die dem Lauf der Sonne durch die Sternkreiszeichen folgen (solarer Kalender); auf Beobachtung zyklischer Rhythmen der Natur beruhende, handlungsleitende Ordnungsmuster (Bauern- oder Schifferkalender); das Festjahr mit regelmäßig wiederkehrenden Feier- und Gedenktagen, das ein sozial konturiertes Zeitkonzept der „temporalen Konnektivität“ gut veranschaulichen kann; zuletzt die Rhythmen und Regeln der Gerichts- und Markttage. All diese Ordnungsprinzipien werden sowohl in den technischen Ausführungen des Traktats De lingua Latina Varros bis hin zu jenen in Macrobius’ Saturnalia erklärt als auch von Ovid für die literarische Präsentation sozialer Zeitkonstruktionen in Rom veranschlagt. Die zwei wichtigsten Ordnungsmuster des Jahres im römischen Diskurs, sind, wie wir sehen werden, die des astronomischen Sonnenjahres einerseits und des (in vielen Elementen noch einem luni-solaren Zyklus verpflichteten) Festkalenders mitsamt seiner kulturell kontextualisierten Exegese andererseits. Es sind diese beiden Prinzipien der zyklischen Ordnung bzw. der Verlauf der Verhandlung und Angleichung dieser, im Zuge dessen historisch Konflikte entstanden, die im julianischen Kalender wie auch in Ovids Umgang mit diesem am deutlichsten zu sehen sind. Diese Konflikte entstehen daraus, dass verschiedene Ordnungsmuster samt ihrer Anfangs- und Endpunkte durch die Festschreibung in nur einem verbindlichen, schriftlich festgehaltenen Kalender sich überlagern; zudem bietet ein von astronomischer Genauigkeit zunächst noch freieres Festjahr in seiner Funktion als soziales zeitliches Ordnungsmuster mehr Potential für kreative Deutungen und Semantisierungen und gewährleistet eher gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Rhythmus, Ritual, Grenzziehung und Markierung von entscheidenden Punkten des Jahres.93 Der Wechsel von einer Folge sozial sanktionierter Aktivitäten zum mathematisch genauen Raster ‚gesetzter‘ Zeit sorgt dann dafür, dass dieses Potential in den Hintergrund gedrängt wird, was Sinnverluste erzeugt – aber immer wieder auch Möglichkeiten für neue Deutungen schafft.94 Denis Feeney hat

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Cf. Wolkenhauer 2011, 154. Für eine Deutung dieser Semantik des römischen Festzyklus, s. besonders Graf 1997. Zum Thema des Sinnverlusts in einer rationalistisch-naturwissenschaftlich bestimmten Gesellschaft und einer möglichen kompensierenden Rolle der Literatur (und der Geisteswissenschaften), cf. Marquardt 1986. S. auch Graf 1997, 11: „Als Organisationsinstrument ist der Kalender eine kulturelle Konstruktion. Die beiden genannten Funktionen lassen dieser Konstruktion unterschiedliche Freiheit: während die interne Synchronisation fast nur den Bedürfnissen im Innern der Gruppe gehorchen muß, schränkt die Abstimmung mit der kosmischen Zeit die Gestaltungsfreiheit der Gruppe ein – je präziser diese Abstimmung sein muß, desto weniger Spielraum besitzt sie.“

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diesen Komplex, mit Beachtung auch der narrativen Dimension, in Bezug auf die Fasti auf den Punkt gebracht:95 Ovid creates the idea that calendar time and seasonal time and narrative time ought to be in harmony, and he insinuates that at Rome they used to be more in harmony, in the beginning. Caesar’s calendar, for all its success in creating a harmony between the city’s time and nature’s time, is continuing to preserve disharmonies of other kinds at the same time. Overall, the main effect of reading the poem continuously is one of contingency, not of harmony, as the reader experiences the utter unpredictability of moving through something that is grounded in nature but that is continually having unmotivated juxtapositions flung upon it, as one day of the fasti, with all its possible connotations and associations, follows without natural rhyme or reason after another. [...] In his [sc. Ovids] treatment, [...] the Julian calendar feels at once profoundly natural, for it tracks the seasons and cycles of the natural year with unprecedented success, and profoundly conventional, since it is up to society’s interpretation to impose meaning upon these cycles and to mark them out in language and symbolic representation.

Die zwei wichtigsten Fragen, um die zugehörige römische Texte immer wieder kreisen, sind dabei erstens die Länge des römischen Jahres und zweitens der Anfangspunkt des Ordnungsmusters. Es geht also letztlich um die Bestimmung und Deutungshoheit des Jahresrhythmus. Die Fasti thematisieren diese Konflikte und Fragen sowie andere mehr und versuchen nicht selten, sie auf literarischen, formalästhetischen und poetologischen Wegen zu lösen. Es ist ein Anliegen dieser Studie und besonders ihres gesamten zweiten Teils, zu zeigen, wie Ovid mit diesen ungelösten Spannungen umgeht, mit den Antworten jongliert und ein ganz eigenes literarisches Ordnungsmuster des Jahres entwirft. Aus dem Gesagten über den römischen Kalender als soziales, ja sozial umkämpftes Phänomen erhellt, dass es in Ovids Fasti um eine politisch relevante Kulturtechnik geht, über die ein von den Regeln der Macht und der Wissensproduktion geleiteter Diskurs besteht. Dieser Diskurs ist ein Teildiskurs des antiquarischen Wissensdiskurses, der politisch motiviert ist bzw. innerhalb von Machtstrukturen instrumentalisiert wird. Ein Diskurs ist laut Michael Titzmann, der sich eng an Michel Foucaults Begriff anlehnt,96 ein „System des Denkens und Argumentierens, das von einer Textmenge abstrahiert ist.“97 Es ist ein System besonders

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Feeney 2007, 205. Die treffende Bemerkung macht Feeney auf den wenigen Seiten seines Buches über die römische Zeit, die den Fasti gewidmet sind (202–6) – ein Nucleus meiner Arbeit an Ovids Text. Bei Foucault ist ein „Diskurs“ oder eine „diskursive Formation“, sofern man diese Begriffe bei ihm überhaupt klar definieren kann, eine „Rede-“ oder „Wissensordnung“ (s. Gehring 2004, 52–4). Das Folgende aus Titzmann 1989, 51–5 und Richter/Schönert/Titzmann 1997, 19–21, Hervorh. in den Orig.

Das Wissen des Kalenders

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der „Wissensproduktion (inklusive der Wissensbestätigung und Wissensverwerfung), abstrahiert von einer Textmenge“, das definiert wird durch „einen gemeinsamen Redegegenstand – in kulturellem Wissen konstituierte[n] Objektbereich“; zweitens durch „Regularitäten der Rede über diesen Objektbereich, also ontologische und epistemologische Basisprämissen, sowie Argumentations- und Folgerungsregeln, sowie Formulierungsregeln, d.h. Regeln der Versprachlichung von Propositionen“; drittens durch „seine Relationen zu anderen Diskursen und eventuell den von diesen entworfenen Wissenssystemen.“ Literatur ist demnach kein Diskurs, da sie weder durch einen Redegegenstand noch durch eine bestimmte Redeweise definiert ist. „Sie kann sich jedoch vieler unterschiedlicher Diskurse bedienen, sie in sich konfrontieren, sie in übergeordnete semantisch-ideologische Systeme integrieren.“ Das Wissen der Fasti kann also als Teil, als Schnittmenge eines Wissensdiskurses (Episteme) der augusteischen Zeit bezeichnet werden, der im Kern antiquarischer (im Sinne der oben beschriebenen Gruppe von Texten) Natur ist und in Augustus’ Regime machtpolitisch aufgeladen war. Dessen „Regularitäten der Rede“ sind im Bezug einer mit aitiologischen Verfahren konstruierten Vergangenheit auf die zu erklärende oder zu legitimierende Gegenwart zu sehen – mit „Regeln der Versprachlichung“ etwa der Form von Frage und Antwort, der Sammlung mehrfacher Erklärungen und verschiedener semiotischer Verfahren wie der Etymologie und des Auffindens von „Zeichen“ (signa auch in den Fasti, s. dazu bes. Abschnitt 3.1.4) als Evidenz für Vergangenes. Beziehungen zu anderen Diskursen ergeben sich vielfältig, etwa diejenige zum moralisch-kulturpolitischen Diskurs (in Kap. 4.3 werde ich die auf diesen bezogene ‚axiologische Redeweise‘ der Elegie thematisieren). Als Teilgebiet dieses antiquarischen Wissensdiskurses ist ein ‚Wissen des Kalenders‘ zu sehen, in dem es um die Erklärung und Festlegung eines zeitlichen Ordnungsmusters des Jahres geht. Seit dem frühen zweiten Jahrhundert v.Chr. waren die Abkürzungen und Zusätze der republikanischen Kalender sowie auch seine Geschichte und die Erklärung seiner Gestalt, d.h. derjenigen des römischen Jahres, unklar geworden und bedurften der Erklärung. Die Fasti bedienen sich mehr oder weniger explizit, jedenfalls deutlich nachweisbar dieses Diskurses und integrieren ihn in ein gattungsspezifisches semantisches System und dessen Schreibweisen. Eine Geschichte des römischen Kalenders, in dessen Medium diese Form der diskursiven Wissensproduktion sich meist abspielt, ist schon mehrfach geschrieben worden, in erschöpfender Manier als erstes durch Macrobius’ Saturnalien (1.12-16) im frühen fünften nachchristlichen Jahrhundert. Alle Informationen auch in den Schriften seiner Vorgänger Plutarch (Quaestiones Romanae), Sueton (De anno Romanorum) und Censorinus (De die natali), um die wichtigsten antiquarischen Texte zu nennen, scheinen auf Varros Antiquitates und seine weiteren

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verlorenen Werke wie De vita populi Romani u.a. zurückzugehen.98 Wie im letzten Abschnitt erwähnt, ist der römische Kalender samt seiner Konstitutionsgeschichte und der Herkunft einzelner Feste und Riten im Verlauf des Jahres ein traditionelles Thema der Antiquare, das die Historiographie nur am Rande tangiert: Es ist ein Interesse, das im kommentierten Steinkalender der Fasti Praenestini des Verrius Flaccus kulminiert.99 Auch Verrius wird von Varros Antiquitates ausgegangen sein – wiederum ist es also Varro, der den Diskurs, die gesamte sapientia um den Kalender geprägt hat, vor allem was die Etymologien angeht (für uns greifbar besonders in De lingua latina 6.29–33). So formuliert es auch Andrew Wallace-Hadrill: „He defined a discourse of learning, a way of thinking and speaking about the calendar.“100 Verrius’ Exegese wird seinerseits mit einiger Sicherheit von Ovid für die Fasti benutzt.101 Seit der grundlegenden Studie Agnes K. Michels’ von 1967 wurde die Geschichte der römischen Kalenderkonstitution auch wiederholt von der modernen Forschung nachgezeichnet.102 Michels hat in überlegter Weise versucht, unter Verwendung der inschriftlichen Quellen wie auch der literarischen und antiquarischen 98

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Im Detail hat diesen Diskurs Fabio Stok in einem Aufsatz von 1989 dargestellt („Ovidio e l’anno di dieci mesi“), der die Abhängigkeiten der Darstellungen bei den verschiedenen Autoren nachzeichnet. Beide Teile der weitgehend verlorenen Antiquitates Varros, der „göttliche“ und der „menschliche“, waren nach corpora, loca, tempora, res vel actiones geordnet (s. Cardauns 1976, 130 f.). Deren Abschnitte über die Zeit, nämlich wohl sechs Bücher in den humanae, sind noch teils in De lingua Latina greifbar (6.13 und 6.18 verweisen explizit auf die Ant.). Die in Anlehnung an Varro verfasste Schrift Suetons De anno Romanorum (teils bei Macrob. 1.12–16 erhalten; s. zu deren wahrscheinlichem Quellencharakter für ähnliche Passagen in Plut., Cens., Solin., Macrob.: Michels 1967, 146) und Abschnitte von Plinius’ Naturalis historia (zu diesen s. Wolkenhauer 2011, 70 ff. und 168–74) stellen die wichtigsten lateinischen Texte zum römischen Kalender dar, die jedoch (mit Ausnahme des Plinius) nur in Testimonien überliefert snd. Cf. Rawson 1985, 233 f. Laut Sueton war Verrius Flaccus der Erzieher im Palast des Augustus und publizierte den Kalender in Praeneste (Sueton, De illustribus grammaticis 17.1): statuam habet [sc. Verrius] Praeneste, in inferiore fori parte, circa hemicyclium, in quo fastos a se ordinatos et marmoreo parieti incisos publicarat. Die wichtigste Forschung zu Verrius, bes. zu seinem von Festus überlieferten lexikographischen Werk De verborum significatu ist meist älteren Datums: Winther 1885 (zur Verwendung Verrius’ in den Fasti), Reitzenstein 1887, Strzelecki 1932, Dihle 1958; außerdem Kaster 1995, 190–6. Zu Verrius’ fasti, s. Faksimile und Ausgabe in Degrassi 1963, 107–45 und die Bemerkungen ibid. xxii f. sowie Coarelli 1996, 455–69 (zur oben zitierten Stelle in Suetons Schrift). Wallace-Hadrill 2008, 242. S. dort den ganzen Abschnitt 239–48 zum antiquarischen Kalenderwissen. Ibid. Cf. Brind’Amour 1983, Rüpke 1995, Hannah 2005, 98–130, Feeney 2007. S. auch Hartmann 1882, Michels 1949, Radke 1990, Henderson 1972, Graf 1997, Beard et al. 1998b, 60–77, Lehoux 2007, Wolkenhauer 2011.

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Texte die Geschichte des republikanischen Kalenders zu schreiben. 103 Die Trennung der beiden Ebenen ist bei ihr deutlich, und ihre Überlegungen zum Diskurs über den Kalender bilden die Grundlage der darauf folgenden Forschung zum römischen Kalender wie auch viele Ansatzpunkte meiner Arbeit. Ihre Studie beschränkt sich allerdings auf die Zeit vor Caesars Reform und legt den Fokus in größeren Teilen auf den juristischen Tagescharakter und die Entwicklung der kalendarischen Schemata von dies fasti, nefasti, comitiales und dergleichen. Jörg Rüpke, der die bis dato umfänglichste Studie zum römischen Kalender vorgelegt hat (1995), erzählt zwar dessen gesamte Konstitutionsgeschichte, geht aber nicht philologisch auf die Textzeugnisse ein, sondern erstellt anhand ihrer und v.a. der inschriftlichen Kalender eine historische Abfolge von Ereignissen. Vom Diskurs selbst, der in den römischen Fasten-Kommentaren und bei antiquarischen Autoren, aber auch in Historiographie und Dichtung enthalten ist, erfährt man wenig. Zuletzt kündigt Anja Wolkenhauer in der Einleitung zu ihrer Studie über Uhr und Kalender in der römischen Literatur an, sich die „implizite Bildlichkeit“ einer „poetischen Zeitmetaphorik“ zum Gegenstand zu machen,104 löst dies in deren Verlauf methodisch jedoch nicht ein, da sie sich häufig auf chronologische Bestimmungen in der Entwicklung dieser Zeitinstrumente und von Texten über diese beschränkt.105 Allein Denis Feeney hat auf wenigen Seiten seiner weitreichenden Studie über die römische Zeit Ovids Bedeutung im Diskurs um den Kalender hervorgehoben.106 In der Antike reicht die Darstellung der Konstitutionsgeschichte des Kalenders, deren Behandlung Ovids mich im folgenden zweiten Teil größtenteils beschäftigen wird, in die früheste Gründungszeit Roms zurück und findet mit Julius Caesars Reform von 46 v.Chr. ihren maßgeblichen Abschluss (s. dazu Kap. 3.1.2) – eine klare Trennung zwischen (mythischer) Frühgeschichte und darauf folgenden Schritten gibt es nicht. Zu den Texten, die an dieser Geschichte schreiben, komme ich im Detail anhand der Einzelfragen zurück, die je auch in den Fasti verhandelt werden: In ihnen wird das kalendarische Ordnungsmuster erklärt, seine bis zur Reform wechselnde Gestalt plausibilisiert und anhand von Figuren, die ich im Abschnitt 3.1.1 als ‚Kalenderarchegeten‘ bezeichnen werde, historisiert. Die Wandkalender selbst, die erst in augusteischer Zeit große Verbreitung fanden, sind freilich ebenfalls Träger dieses Wissens um ihre eigene Geschichte, die sie abbilden, aber auch „Quelle für das Wissen um die Gottesvorstellung der Römer sowie die 103 104 105

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Cf. bes. Michels 1967, 146–60 für eine Darstellung der relevanten Texte. Wolkenhauer 2011, 2 f. In ihrem langen Kapitel zur „Ordnung des Jahres“ (Wolkenhauer 2011, 151–270) geht sie gleichwohl auf diesen Diskurs ein, doch ihre Arbeit ist weitgehend historisch angelegt und beschränkt sich zumeist auf die Zeit der letzten Jahre der Republik und während Caesars Reform (63–45 v.Chr.). Für die vorliegende Arbeit besonders relevant sind die Abschnitte zur Ordnung des Jahres (151–83), zur Reform (208–34) und zur augusteischen Korrektur (237–44). Feeney 2007, 202 f.

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Kenntnis ihrer jahreszeitlich festgelegten Kulthandlung.“107 Auf sekundärer Ebene wird zudem die konnektive Struktur des Kalenders durch Aussagen über den Kalender, also dessen Exegese, um eine epistemische Komponente erweitert. Sie ist zunächst in erster Linie den Experten dieses Wissens zugänglich, wird aber um die Mitte des ersten Jahrhunderts v.Chr. in der Literatur zunehmend populärer gemacht. Zumindest nominell sind diese Experten die Priester Roms.108 Es können jedoch ab der späten Republik auch antiquarische Autoren und Fachschriftsteller zu dieser Gruppe gerechnet werden, die mit ebendiesem Anspruch auftreten, speziellen Zugang zum kulturellen Wissen zu haben, wie es Karl Galinsky beschrieben hat:109 Characteristic of the Augustan age, the change that comes about at the end of the republic and solidifies under Augustus is not political, but cultural. Most of the members of the priestly colleges in Augustus’ time continued to be aristocrats, but the real power and control over religion and the calendar now flowed from professional experts, such as the polymath Varro, because they had the power of knowledge. [...] One key area was control over the calendar. More is involved than a mere reckoning of time: [...] In Rome, the calendar determined the flow of public life and, through the annual fasti, marked identity by singling out individuals for the offices they held and their activities. [...] The calendar reform of Caesar marks the arrival of expert professionals. They bring their knowledge to regularizing a haphazard system, and they are employed and appropriated by the new leader of the state.

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So Radke 1990, 2. Er erinnert daran (ibid., 3), dass die fasti wie das Arvallied und die Reste der Zwölftafelgesetze zu den Zeugnissen ältester schriftlicher Äußerung in Rom gehören, ohne dass diese Äußerungen selbst erhalten sind. Erst spätere Stufen der Überlieferung sind uns jeweils bekannt, im Fall des Kalenders bekanntermaßen als erste die Fasti Antiates maiores, die als (einziges) Zeugnis der vorjulianischen Stufe des Kalenders, den sogenannten Fasti Numani, bezeichnet werden. Zum Alter des römischen Kalenders, der bis heute mit Mommsen in die Königszeit datiert wird, s. auch Cornell 1995, 104 f.: Dies geschieht aufgrund der Beobachtung, dass die großen Lettern des aus republikanischer Zeit einzig erhaltenen antiatischen Kalenders den Kult des Iuppiter Optimus Maximus, der unter den Tarquiniern eingerichtet wurde, noch nicht dokumentieren. Cf. Graf 1997, 12 f.: „Es gibt ein Wissen um den Kalender und seine Gesetze, die man gerne als Wissen um den Gang der Welt objektiviert, denn dieses Wissen gründet in der astronomischen Kenntnis der kosmischen Zeit, und solche Kenntnis verlangt eine größtmögliche Anpassung des Kalenders an dieses Wissen. Die Träger dieses Wissens sind in frühen Gesellschaften privilegiert, weil es ein exklusives Wissen ist; und weil der Kalender als ganz zentrales Steuerungsinstrument in der göttlichen Welt verankert wird, was ihn vor willkürlicher Veränderung schützen muß, liegt das kalendarische Wissen zumeist in den Händen jener, die auch den Verkehr mit dem Göttlichen besorgen: es sind immer wieder die Priester die Herren der Zeit.“ Galinsky 2007, 72.

Das Wissen des Kalenders

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Auch augusteische Dichter zählen sich zu dieser Gruppe, die den kulturellen Wandel mitträgt: Properz, der in seinem vierten Gedichtbuch den ersten größeren Entwurf antiquarisch-aitiologischer Dichtung in lateinischer Sprache vorlegt, benennt sein Thema mit dem Vers sacra diesque canam et cognomina prisca locorum (4.1.69, „die Feste und den Kalender und die alten Ortsnamen werde ich besingen“) und stellt damit neben der räumlichen die zeitliche Dimension des religiöskulturellen Zusammenlebens in den Vordergrund, die von Festen getaktet und vom Kalender abgebildet wird. Doch kein poetischer Text nimmt diese Themen, die um das Wissen vom temporalen Ordnungsmuster des Jahres kreisen, so klar in den Fokus wie Ovids Fasti. Am aitiologischen Lehrgedicht wird die doppelte Ebene von temporalem Ordnungsmuster und dessen mitlaufender Exegese besonders deutlich: Das Gedicht übernimmt das Ordnungsmuster des römischen Festjahres für seine eigene literarische Form, kommentiert es aber gleichsam parallel im Verlauf des Jahres und unterfüttert diese Ordnung mit mythischen und historischen Erzählungen und Erklärungen. Ovids Text rührt so an eine basale soziale Struktur, indem er die „symbolische Sinnwelt“, die an den Kalender geknüpft und zu knüpfen ist, zusammenfasst und an vielen Stellen durch eigene künstlerische Verfahren auch neu prägt. Die Formkonstituenten der Fasti stiften durch ihre Strukturierung des Wissensdiskurses eine eigene Bedeutsamkeit und stellen eine sonst nicht in dieser Intensität aufzufindende Notwendigkeit im Zusammenhang von Form und Inhalt des Kalenders her. Wissen unterscheidet sich von bloßen Kenntnissen zumal v.a. dadurch, dass es diese auf bestimmte Weise, „systemisch“ anordnet: Gerade anhand solcher „Ordnungseffekte“ lässt sich erklären, wie neues Wissen entsteht,110 und der Kalender zeigt mitsamt des Korpus seiner Exegese eine besondere Form solcher Ordnung eines Wissensbestandes. Es ist ein Wissen über das römische Jahr und seine Konstitution, die Feste und ihre Herkunftserklärungen, die zugehörigen Etymologien und damit insgesamt über die römische Kultur zur spätrepublikanischen und augusteischen Zeit, in der historischen Sicht jedoch weit in die Vergangenheit und bis zur Gründungszeit zurückgehend. Dieses Wissen ist auf besondere Weise geordnet, nämlich linear. Im literarischen Text der Fasti kommt hinzu, dass die spezifische elegische Form dieses Wissen aufnimmt und verwandelt – entlang der Denkformen, die man nur in der Literatur dieser Zeit findet und die neue Erkenntnisse oder zumindest Blickwinkel auf das im antiquarischen Diskurs etablierte Wissen eröffnen kann. Es wird in dieser Arbeit also auch ein Beitrag zur Frage geleistet, welche „spezifischen Verfahren [...] für die literarische Formation von Wissen konstitutiv sind.“111 Es kann zwar nicht von einer Beeinflussung

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Cf. Gess/Janßen 2014, 5: Die historische Epistemologie gehe davon aus, dass „die Formen von Objektivität, die Wissen in geschichtlichen Zusammenhängen annimmt, als Phänomene zu begreifen sind, die sich durch individuelle Erkenntnisleistungen nicht hinreichend erklären lassen; nicht ohne Grund differieren solche Ordnungen je nach historischen und geographischen Kontexten.“ Gess/Janßen 2014, 5.

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Literarische Wissensgeschichte und römische Kalenderdichtung

Ovids der Kalenderkonstitution selbst gesprochen werden; aber in den Fasti entstehen durchaus zuvor ungedachte Ideen über den Kalender; Symbole und Personifikationen des Jahreslaufs wie Janus und Terminus werden neu inszeniert (s. Kap. 3.2.2–4 bzw. 3.2.5). Die Bilder und Denkfiguren zum römischen zeitlichen Ordnungsmuster des Jahres, die bei Ovid häufig erstmals zu finden sind, haben den Diskurs über den Kalender dauerhaft beeinflusst, wie ich besonders in Kap. 3.2.3 zu zeigen versuchen werde. Dass das Jahr, um einen zentralen Punkt des folgenden Teils meiner Arbeit herauszugreifen, nicht immer im Januar begann, ist den römischen Antiquaren bewusst. Wie Ovid selbst es zu Beginn der Fasti darstellt, ist der Beginn eines neuen Zyklus in der winterlichen Kälte und ohne natürliche Orientierungspunkte schlechthin kontraintuitiv. Dennoch ist der Entwurf des Jahres mit dem Beginn im Januar eine akzeptierte Größe, und die Diskussion des Jahresanfangs mit Janus bei Ovid ist vor allem ein Plausibilisierungsmodell auf literarischer Ebene: Auch die Elegie kann ein wissenschaftlich beglaubigtes Jahr mit ihren eigenen Mitteln symbolisch darstellen und dadurch mit neuem Sinn erfüllen – eben das scheint Ovid mit seiner Inszenierung und einer ganz eigenen Interpretation der Janus-Figur im Hinblick auf das astronomisch fixierte Kalenderdatum der Sonnenwende auszudrücken. Sie steht allerdings in einem ganzen Gefüge von Passagen der Fasti, die diese und andere Fragen mal anschneiden, mal zum Zentrum einer Erklärung machen. Dieser Komplex wird uns im nächsten Kapitel beschäftigen.

3

Poetische Entwürfe des Jahres

3.1

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

3.1.1

Kalenderarchegeten

Ein zentrales Thema der Fasti ist die Geschichte der römischen Kalenderkonstitution, die in einen Entwurf der römischen Kulturgeschichte eingeschrieben wird und in dieser als eine der ersten, zentralen Kulturtechniken gilt. Das zeigt ein Blick auf die erste Passage der Fasti nach dem Werkproöm (1.27–44), die eine frühe Konstitutionsgeschichte des Kalenders umreißt und eine narrative Vignette mythhistorischer Plausibilisierung der Geschichte des Kalenders bildet.1 Die Verse fassen die mythische erste Setzung des römischen Kalenders und die Namensgebung seiner Monate stark tendenziös (d.h. ohne die in diesem Text sonst allseits anzufindenden Erklärungsvarianten antiquarischer Aitiologien und Etymologien, die beim Kalender besonders die Monatsnamen betreffen) zusammen und führen dabei die Gegenüberstellung von militärisch orientierter Kultur einerseits und religiös-gelehrter Gesellschaft andererseits ein, die am Kontrast von romuleischem Zehn- und numanischem Zwölfmonatsjahr emblematisch wird. Ovid macht sich diesen Kontrast für seine poetische Darstellung der Kalenderkonstitution zunutze und überführt ihn im Verlauf des Gedichts in sein veritables System von semantischen Antonymien.2 Diese Gegensätze, die bei Ovid auch gattungspoetologisch zu lesen sind, umkreisen die grundlegende Unterscheidung von militärischen Handlungen, traditionell im Epos beschrieben, einerseits und Kultur bzw. Religion als Themen der aitiologischen Elegie andererseits. In diesem Spannungsfeld der römischen Geschichte und Identität stehen zahlreiche Episoden der Fasti, darunter auch die folgende Leitpassage am Werkanfang. Sie deutet einige für das gesamte Werk gültige Grundmuster an und nimmt, selbst eine Aitiologie des präjulianischen Kalenders en miniature, längere aitiologische und narrative Passagen besonders des dritten (Verse 99–166) und vierten (Verse 19–132) Buches vorweg: 1

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Zu Ovids Konzepten von Mythos, Roms Ursprüngen und dem Anfang seiner Geschichte, cf. Prescendi 2002 und Labate 2005. Zu den Kalendern von Romulus und Numa in den Fasti und einigen semantischen Oppositionen des Textes, cf. Hinds 1992, 117–32. Auf diese oppositive ‚Form der Fasti‘, die Hinds als erster in einem reichhaltigen Aufsatzpaar untersucht hat, komme ich im dritten Teil meiner Arbeit eingehend zu sprechen.

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Poetische Entwürfe des Jahres tempora digereret cum conditor urbis in anno constituit menses quinque bis esse suo. scilicet arma magis quam sidera, Romule, noras, curaque finitimos vincere maior erat. est tamen et ratio, Caesar, quae moverit illum, erroremque suum quo tueatur habet. quod satis est, utero matris dum prodeat infans, hoc anno statuit temporis esse satis; per totidem menses a funere coniugis uxor sustinet in vidua tristia signa domo. haec igitur vidit trabeati cura Quirini, cum rudibus populis annua iura daret. Martis erat primus mensis, Venerisque secundus; haec generis princeps, ipsius ille pater: tertius a senibus, iuvenum de nomine quartus, quae sequitur, numero turba notata fuit. at Numa nec Ianum nec avitas praeterit umbras, mensibus antiquis praeposuitque duos.

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Als der Gründer der Stadt die Zeiten ordnete, da setzte er fest, dass ein Jahr zweimal fünf Monate umfassen sollte. Du, Romulus, kanntest natürlich Waffen besser als die Sterne, und der Sieg über deine Nachbarn galt dir mehr. Dennoch gibt es auch eine Logik, Caesar, die ihn dazu bewog, und es gibt etwas, womit er seinen Irrtum verteidigt. Wieviel Zeit genügt, bis ein Kind aus dem Mutterleib hervorkommt, soviel Zeit, entschied er, sei auch für ein Jahr genug. Ebensoviele Monate lang unterhält nach dem Begräbnis des Gatten die Ehefrau im verwaisten Zuhause die Trauerzeichen. Die Sorge des Quirinus, der den Königsmantel trug, hatte dies nämlich gesehen, als er ungebildeten Völkern die Kalenderordnung gab. Der Monat des Mars war der erste, und der zweite der der Venus: Venus ist die Ahnfrau des Geschlechts, Mars sein Vater. Nach den Alten hieß der dritte Monat, und der vierte nach der Jugend, alle übrigen erhielten ihren Namen nach der Zahl. Aber Numa überging weder Janus noch die Schatten der Ahnen, und er setzte zwei neue vor die alten Monate.

Die Passage führt eine Gegenüberstellung von militärisch orientierter und religiösgelehrter Kultur in Roms Frühzeit vor, die sich auch auf das zeitliche Ordnungsmuster des Kalenders ausgewirkt habe. Der Kontrast zwischen den ersten beiden Königen Roms, dem kriegerischen Romulus und dem friedlichen Numa Pompilius, habe sich auch in den zwei kalenderkonstitutiven Phasen von romuleischem Zehn- und numanischem Zwölfmonatsjahr gezeigt. Zunächst wird Romulus in diesen Versen, in einem Atemzug mit der Nennung seiner Rolle als Gründerfigur in der Konstitution der Stadtgemeinschaft selbst, auch als der Begründer eines

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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(wenngleich noch rudimentären) Kalenders bezeichnet. 3 Romulus’ Ordnungsleistung wird durch die Junktur tempora digereret eingeführt, wobei das Echo zum ersten Vers der Fasti (tempora cum causis Latium digesta per annum, „die Zeiten mit ihren Ursachen, die über das latinische Jahr hinweg geordnet sind“) nicht zu überhören ist. Außerdem korrelieren die sidera („Sterne“) in Vers 29 mit den signa („Sternbilder“) aus Vers 2, die arma („Waffen“) mit jenen aus 13. Der Text beginnt also gleichsam noch einmal und wechselt von der feierlichen Ankündigung des Werks und seines Anspruchs in der ersten Person (1.2 canam, „ich werde besingen“), der Darlegung seiner Themen und der Invokation des Widmungsträgers Germanicus nun in in die Erzählerperspektive und die dritte Person Singular. Das digerere als Ordnungsbegriff ist Schlüsselwort für die Ordnung des Jahres wie auch des Textes, die in Ovids Bearbeitung des Kalenders eng miteinander verflochten sind: Das Gedicht kann nur eine schon geordnete (digesta) Zeit besingen, greift aber durch die gleichsam rückwirkende Figur der Aitiologie immer wieder in die nachträgliche Konstruktion dieser Ordnung ein (cum digereret). Die Anzahl von zehn Monaten im Jahr des Romulus wird in der Eingangspassage durch Analogieschluss auf eine lebensweltliche ratio zurückgeführt, nämlich auf die Orientierung an zwei Zeitspannen, die das menschliche Leben umschließen und je zehn Monate vor der Geburt und nach dem Tod umfassen (1.33–6). Das Defizit des romuleischen Kalenders, mit diesen zehn Mondmonaten eine zu kurze Zeitspanne im Vergleich mit dem jährlichen Lauf der Sonne abzumessen, wird hier noch nicht weiter erläutert; es wird jedoch als ein solches Defizit markiert und durch Romulus’ politischen Fokus erklärt, seine „Nachbarn zu besiegen“ (30 finitimos vincere), d.h. eine Abgrenzungsleistung durch Waffen zu vollbringen. Eine gleichzeitige korrekte bzw. sinnvolle intellektuelle Grenzziehung in Bezug auf die Sterne und die kalendarische Ordnung sei gar nicht zu erwarten, scheint das durchaus leicht ironisch zu lesende scilicet in Vers 29 auszudrücken.4 Die Darstellung des Romulus steht – in den Fasti insgesamt – weitgehend im Einklang mit der augusteischen literarischen Tradition, die den Gründerkönig anders als die republikanischen Texte tendenziell positiv beurteilen.5 Dennoch kann man mit Fabio Stok von einem „ambiguo Romolo“ sprechen, der sowohl als souveräner Kulturund Kalendergründer auf- als auch die sittenrohe Frühzeit des römischen Staates vertritt; der im Vergleich mit Augustus im zweiten Buch schlecht abschneidet (2.133–44), aber in der Aitiologie der Lemuria im fünften Buch (5.451-80) dennoch Trauer und pietas gegenüber seinem (in der Darstellung der Parilia-Episode durch Celer, nicht durch ihn selbst) ermordeten Bruder zeigt. Die Bewertung des romuleischen Jahres reiht sich in diese Darstellung ein.

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Cf. Pasco-Pranger 2006, 73–98 zum Motiv der (oftmals gleichzeitigen oder überblendeten) Gründung von Stadt, Kalender und zudem literarischer Schöpfung in den Fasti. Zur Ironie im Zusammenhang mit Romulus, s. Smutek 2015, 59–70. Cf. Stok 1992 und Gosling 2002, 62.

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Poetische Entwürfe des Jahres

Mit dem nun folgenden Kontrast zu Numas religiös informiertem Jahresentwurf sind in dieser Passage schon zwei epistemische Stufen in der Konstitutionsgeschichte des Kalenders berührt; ausgeführt wird das im späteren Verlauf des Textes in den Versen 3.97–150, wo man auch eine längere Plausibilisierung der Zahl 10 in den Versen 119–34 findet (auf diese Passagen komme ich im Abschnitt 3.1.3 ausführlich zu sprechen). Der Gegensatz von arma und sidera in Vers 29, d.h. der metonymische Ausdruck des Gegensatzes von Militär und astronomischer Gelehrsamkeit, wird in der raffenden Darstellung unserer Stelle als Ausdruck für verschiedene Stufen in der Entwicklung der Kultur und auch des Kalenders verstanden.6 Zu Zeiten des ersten mythischen Königs sei dieses Gemeinwesen rudis (37), roh und kulturlos gewesen, bevor Numa Pompilius,7 der legendäre sabinische Religionsstifter und zweite König Roms, ein vir doctus (so bezeichnet in 3.153; cf. Liv. 1.19.6–20.7), die friedliche Staatsform und eine Vielzahl von religiösen

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Cf. Hinds 1992, 131, der (sich darin leicht von Stok und Gosling unterscheidend, s.o.) den starken Gegensatz zwischen Romulus und Numa und deren Jahresentwürfen in den Fasti herausarbeitet: „Most other writers [...] depict a Romulus whose militarism is alleviated with at least a foretaste of Numa’s peaceful and civilizing rule. [...] Not so here in Ovid. In Fasti 3, Romulus’ values are presented as diametrically opposite to Numa’s that any possibility of common ground between them is completely ruled out.“ Romulus wird – so etwa im Vergleich mit Augustus (2.133–44) – ob seiner vis (141) und archaischen Rohheit immer wieder negativ bewertet. Zu Numas Herkunft aus der sabinischen Stadt Cures und zu seinem befriedenden Einfluss auf die „kriegerische römische Gesinnung“, s. Cic. De rep. 2.25: quibus cum esse praestantem Numam Pompilium fama ferret, praetermissis suis civibus regem alienigenam patribus auctoribus sibi ipse populus adscivit, eumque ad regnandum Sabinum hominem Romam Curibus accivit. qui ut huc venit, quamquam populus curiatis eum comitiis regem esse iusserat, tamen ipse de suo imperio curiatam legem tulit, hominesque Romanos instituto Romuli bellicis studiis ut vidit incensos, existimavit eos paulum ab illa consuetudine esse revocandos. Auch in dieser Passage wird die Gegenüberstellung von zwei Regierungs- und Gemeinschaftsformen evident. Cf. auch Fasti 6.259 f. zu Numas Einführung des Vesta-Kults in Rom: regis opus placidi, quo non metuentius ullum / numinis ingenium terra Sabina tulit. Zur Sukzession und zu Numas Charakterisierung als naturphilosophischer König, s. Ov. Met. 15.4 f., animo maiora capaci / concipit et, quae sit rerum natura, requirit, und zum Kontrast von Krieg und Frieden in Roms Staatsführung 15.483 f., sacrificos docuit ritus gentemque feroci / adsuetam bello pacis traduxit ad artes. Zu Numa in den Fasti, s. Buchheit 1993, Littlewood 2002, Deremetz 2013; sowie Labate 2005, 191 f. „Vorrei mostrarlo a proposito del personaggio, il re Numa, che può essere riconosciuto come il vero ‚eroe culturale‘ del calendario romano, il fondatore di una civiltà romana fondato sulle arae piuttosto che sugli arma, sui valori intellettuali e le virtù morali che si costellano attorno al grande valore della pace.“ Die Schlüsselpassage ist 3.277–84: Hier wird Numa als Schlichter der nimium promptos ad bella Quirites (277) beschrieben, als Gesetzgeber (278), dem armis... potentius aequum est (281), als Stifter und Hüter der für die Fasti so zentralen sacra (280), der den Ritus an der ara genau ausführt (283 f.).

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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Riten in Rom einführte.8 Nach der Überlieferung reformierte er auch den Kalender und fügte dem Jahr die zwei Monate Januar und Februar hinzu, sodass auch der Jahresanfang vom März auf den Januar wechselte.9 Nur diese Darstellung in den Fasti geht eigens auf Romulus’ Jahr ein; in der Erzählung des ersten Buches Ab urbe condita (1.18 f.) etwa beschreibt Livius allein die Einteilung des Jahreslaufs in zwölf Monate durch Numa, sogar als dessen erste Amtshandlung: 10 Numa war demnach der Erfinder der Interkalation, aber auch der Initiator der iura dierum, also des Rechtscharakters der Tage (dies fasti/nefasti).11 In den Fasti wird dieser Gegensatz (man beachte den stark adversativen Ausdruck durch at in 43) noch bei der Beschreibung von Julius Caesar und von Augustus, weiteren Ordnern der Zeit, eine Rolle spielen: Sie werden als kultivierte und gelehrte Männer gezeichnet, die nicht nur für Expansionspolitik, sondern auch für Sternenkunde und die Verbesserung bzw. Erweiterung des römischen Kalenders Zeit hatten und haben (siehe Fasti 3.155–66 zu Julius Caesars Reform und 1.9–12 sowie 2.15–18 zu den neuen Festtagen, die Augustus im Kalender einrichtete; zu diesem Motiv des „Zeit Habens“ [vacare] als Indikator für eine intellektuell–künstlerische Ausrichtung der Kultur komme ich im vierten Teil zurück). Die bei Ovid schon eingangs und in seinen weiteren Passagen zur Kalenderkonstitution dann öfter zu findende Dichotomie zwischen kulturloser Frühzeit und in Rom einkehrender Gelehrsamkeit und Religiosität sowie ihre Anwendung in der 8

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Im dritten Buch der Fasti wird die Geschichte um Mamurius, das ancile und die Salierpriester ähnlich eingeleitet (3.277–86, s. bes. 277 f. und 281–4): principio nimium promptos ad bella Quirites / molliri placuit iure deumque metu. [...] exuitur feritas, armisque potentius aequum est, / et cum cive pudet conseruisse manus, / atque aliquis, modo trux, visa iam vertitur ara / vinaque dat tepidis farraque salsa focis. In den Fasti ist die erste erhaltene Stelle greifbar, die von einem romuleischen Zehnmonatsjahr spricht, das nach der Gründung Roms im Gebrauch gewesen und in einem nächsten Schritt durch den zweiten römischen König Numa Pompilius um zwei Monate verlängert worden sei. Dies wird später ebenso bei Plutarch (Numa 18; Mor. 268a–d), Gellius (3.16–19), Censorinus (Die nat. 20) und Macrobius (Sat. 1.12.3) diskutiert. Varro (LL 6.33 f.) erwähnt nur, dass Januar und Februar den anderen Monaten vorangestellt worden seien, während Livius (Ab urbe condita 1.18 f.) Numas Einteilung beschreibt, ohne explizit von der Reform eines älteren Systems zu sprechen. Aus Censorinus (20.2; 20.4; 22.9) erfährt man allerdings, dass die Tradition auf das frühe zweite Jahrhundert v.Chr. zurückgeht, nämlich auf die beiden Fachschriftsteller M. Iunius Gracchanus und Fulvius Nobilior. S. zu alldem Green 2004, 45 f. Die Behauptungen über diese Leistungen des Numa sind historisch freilich kaum haltbar. Siehe zur Frühgeschichte des Kalenders auch Michels 1949, Michels 1967, Radke 1990 und Rüpke 1995; zu Romulus und Numas Kalenderkonstitution (bes. für die Stellen und weitere Forschung), s. auch Wolkenhauer 2012, 62 f. Wie es im Übrigen auch die erste Amtshandlung Julius Caesar in der Beschreibung Suetons (Iul. 40.1, zitiert in der Anm. weiter unten) und die des Romulus in Fasti 3.71– 76 ist. Cf. dazu auch Macrob. Sat. 1.16.2–5.

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Poetische Entwürfe des Jahres

Beschreibung der Sukzession der römischen Könige ist zentral auch bei Livius, der für viele der mythhistorischen Episoden in den Fasti Vorbild ist. Im ersten Buch von Ab urbe condita hat dieser Abschnitt der römischen Kalenderkonstitution seinen locus classicus (1.18 f.): inclita iustitia religioque ea tempestate Numae Pompili erat. Curibus Sabinis habitabat, consultissimus vir, ut in illa quisquam esse aetate poterat, omnis divini atque humani iuris. [...] qui regno ita potitus urbem novam conditam vi et armis, iure eam legibusque ac moribus de integro condere parat. quibus cum inter bella adsuescere videret non posse – quippe efferari militia animos –, mitigandum ferocem populum armorum desuetudine ratus, Ianum ad infimum Argiletum indicem pacis bellique fecit, apertus ut in armis esse civitatem, clausus pacatos circa omnes populos significaret. [...] atque omnium primum ad cursus lunae in duodecim menses discribit annum. Das Rechtsempfinden und die Religiosität des Numa Pompilius war in dieser Zeit berühmt. Er lebte im sabinischen Cures, ein höchst kundiger Mann, soweit das damals nur irgendwer sein konnte, in göttlichem wie in menschlichem Recht. [...] Als sich dieser Mann der Herrschaft bemächtigt hatte, machte er sich daran, die neue Stadt, die mit Waffengewalt gegründet worden war, durch Recht und Sittengesetze erneut zu gründen. Weil er sah, dass man sich in Kriegszeiten an diese letzteren nicht gewöhnen könne – denn die Gemüter verrohten ja durch den Kriegsdienst –, entschied er, dass das wilde Volk durch Entwöhnung von den Waffen zu besänftigen sei, und stellte einen Janus am unteren Ende des Argiletum auf als Anzeiger von Krieg und Frieden, der geöffnet zeigen sollte, dass die Stadt in den Waffen stand, geschlossen aber, dass ringsum alle Völker befriedet waren. [...] Aber als allererstes teilte er das Jahr nach den Mondläufen in zwölf Monate ein.

In dieser Passage wird der sabinische Gelehrte als Mann der Religion, der Kultur und des Friedens gegenüber einem in langer Kriegstreiberei verrohten römischen Volk gezeichnet (cf. die rudes populi Ovids in Vers 1.38). Zuvor unter Romulus vi et armis gegründet (cf. die arma Ovids in Vers 1.29 bzw. Vers 1.13 des Proöms), habe Numa die Stadt iure ... legibusque ac moribus erneut gegründet. Ein Ianus (zunächst heißt das nur: ein Tor oder Bogen) sei zur Markierung von Krieg oder Frieden aufgestellt worden. Dabei wird impliziert, dass diese Unterscheidung der militärisch orientierten Gemeinschaft vorher nicht einmal bekannt gewesen sei und Numa mit seinem Janus erst eine Unterscheidung- und Entscheidungsmöglichkeit geschaffen habe. Die beiden frühesten Herrscher der urbs werden also schon bei Livius sehr polarisiert beschrieben, und Ovids zweiseitige Strukturierung des Kalenderdiskurses (Zehnmonats- vs. Zwölfmonatsjahr, Romulus vs. Numa, Krieg vs. Frieden und Religion) für die Fasti ist in dieser Hinsicht beim Historiker schon angelegt, der seinerseits auf eine annalistische Tradition zurückgriff. Ein wenig später in Livius’ Text wird dies noch einmal auf den Punkt gebracht (1.21): alius alia via, ille bello hic pace civitatem auxerunt („beide vergrößerten das Gemeinwesen auf je anderem Wege, der eine durch Kriegsführung, der

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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andere durch Frieden“).12 Bei Livius wird indes nicht nur das erste Königspaar, sondern auch das zweite am Kontrast von Religionspflege und -vernachlässigung dargestellt (Ab urbe condita 1.32): Tullus Hostilius und Ancus Marcius bilden einen ähnlichen Gegensatz wie Romulus und Numa. Ancus sei denn auch der Enkel des Numa gewesen,13 aber sein Gemüt (ingenium) ein „mittleres“, sowohl an Numa als auch an Romulus orientiert (et Numae et Romuli memor). Der LiviusKommentator Robert M. Ogilvie spricht in diesem Zusammenhang von einer „late invention to satisfy the principles of hereditary succession“;14 man kann wohl passender von einer Strukturierung des Diskurses über diese historisch schwer zu greifende, nur fiktional zu erschließende Phase Roms sprechen, indem nämlich über die Sukzession von Herrscherfiguren eine Abfolge von Entwicklungsstufen des römischen Gemeinwesens plausibilisiert wird. Im Verlauf der Fasti siedelt sich das elegisch-aitiologische Ich selbst als kulturschaffender poeta doctus gleichsam auf Numas Seite an.15 Die erwähnte, auch poetologisch zu lesende Dichotomie ist in der Form der poetischen recusatio schon im Distichon 1.13 f. des Werkproöms zu finden: Caesaris arma canant alii: nos Caesaris aras / et quoscumque sacris addidit ille dies („andere mögen die Waffen des Augustus besingen; ich besinge die Altäre des Augustus und welche Tage er jeweils den heiligen Festen hinzugefügt hat“). Diese Gegensätze bilden das semantische Grundgerüst der Fasti. An dieser Stelle ist noch festzuhalten, dass in Ovids Darstellung zunächst eine ‚natürliche‘ Zeit nicht vorkommt,16 sondern in den astra und der Bezeichnung des romuleischen error, also der verfehlten Anpassung an eine solche natürliche Größe, höchstens angedeutet wird. Vielmehr steht die grundlegende Antonymie von Militär und Kultur und zugehöriger Gelehrsam-

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Zu diesem Verhältnis von Romulus und Numa, cf. auch Dumézil 1974, 90 und 208 f.: „Les règnes de Romulus et de Numa ont été conçus comme les deux volets d’un diptyque, chacun faisant la démonstration d'un des deux types, d’une des deux provinces de la souveraineté, également nécessaires, mais antithétiques: Romulus est un jeune demi-dieu impétueux, créateur, violent, peu embarrassé de scrupules, exposé aux tentations de la tyrannie; Numa est un vieillard tout humain, modéré, organisateur, pacifique, soucieux de l’ordre et de la légalité.“ Liv. 1.32: Numae Pompili regis nepos filia ortus Ancus Marcius erat. Ogilvie 1965 ad loc. (S. 126). Cf. zu diesem Gestus und der poetologischen Orientierung der Fasti als aitiologische Elegie: Hinds 1992, 113–24; Barchiesi 1997, 111, 175 f.; Gee 2000, 21–65; Pasco– Pranger 2002, Green 2004, ad 1.29 f. Darauf komme ich in Kap. 4.4 zurück. Newlands 1995, 27–50 (Kap. 1: „Stellar Connections“) vertritt die These, dass schon das erste Distichon der Fasti Ovids diesen Gegensatz aufrufe: tempora cum causis als römische, kulturelle Zeit gegenüber den signa für die griechische, natürliche Zeit – wobei zu bedenken ist, dass die Fasti in dieser Rubrik neben kurzen astronomischen Notizen von Auf- und Untergängen der Sternbilder vor allem mit griechischen Sternsagen aufwarten.

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Poetische Entwürfe des Jahres

keit im Vordergrund, durch die Ovid den antiquarischen Diskurs um die frühe Kalenderkonstitution strukturiert, ja zweiseitig kodiert: die Leitunterscheidung heißt „Kultur versus Kulturmangel“, nicht „Natur versus Kultur“. Das Thema des Defizits des Kalenders als Defizit der Kultur wird in den Versen 3.151–6 wieder aufgegriffen, wo die teleologische Darstellung der Geschichte über einen error und dessen Korrektur über eine Angleichung an das Sonnenjahr noch stärker leitend ist (355 errabant ... tempora, donec, „die Zeiten irrten, bis...“) und ein direkter Vergleich zwischen Numas und Caesars Kalender gezogen wird: Ersterer musste trotz Numas Eingriff „dennoch“ (155 sed tamen) von Caesar noch einmal grundlegend korrigiert werden. Die chronologische Linie verweist bei Ovid, wie stets in den römischen Texten zum Kalender, auf dessen Reform: primus, oliviferis Romam deductus ab arvis, Pompilius menses sensit abesse duos, sive hoc a Samio doctus, qui posse renasci nos putat, Egeria sive monente sua. sed tamen errabant etiam nunc tempora, donec Caesaris in multis haec quoque cura fuit.

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Als erster bemerkte Pompilius, der von den oliventragenden Fluren nach Rom geführt worden war, dass zwei Monate fehlten, sei es, dass er vom Mann aus Samos [sc. Pythagoras], der glaubt, dass wir wiedergeboren werden können, gelehrt worden war, sei es, dass seine Egeria ihn daran gemahnt hatte. Aber dennoch irrten die Zeiten auch jetzt noch, bis unter vielen anderen auch diese Sorge des Caesar bestand [sc. die Zeiten zu ordnen].

Die cura des Romulus in 1.37, die am Beginn der römischen Zeitrechnung militärischem Hegemoniestreben gleichkam, steht im Hintergrund, wenn Caesar für seine cura inmitten vieler anderer Pflichten (156 in multis haec quoque) gepriesen wird.17 Dabei ist auch das gewählte Zeitverhältnis zwischen dem „Erstreformer“ Numa (151 primus, mit der für Heurematologien üblichen Anfangsstellung des Wortes im Vers), der wie ein primus inventor, ein Kulturarcheget beschrieben wird, und Caesars Leistung im „hier und jetzt“ (155 etiam nunc) interessant: In dieser extremen Raffung von rund 700 Jahren wird deutlich, dass in Ovids Darstellung neben Romulus’ Erstgründung nur zwei Stationen als relevant für die Kulturgeschichte des Kalenders angesehen werden.

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Pasco-Pranger 2006, 73–6 bemerkt, dass an dieser Stelle eine Neubewertung der Opposition zwischen Astronomie und praktischem Leben vorgenommen wird, die im „Lob der Astronomie“ des ersten Buches (295–310) gesetzt war, cf. dort besonders die Zeilen 301–4, die alle anderen Lebensbereiche von den selig gepriesenen Sternensehern abgrenzen: non Venus et vinum sublimia pectora fregit / officiumque fori militiaeve labor; / nec levis ambitio perfusaque gloria fuco / magnarumque fames sollicitavit opum.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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Im Ganzen zeigt die Vignette in den Versen 1.27–44, wie kulturell bedingt, mythhistorisiert und wie unterschiedlich literarisch, epistemisch und politisch motiviert das bzw. die zeitlichen Ordnungsmuster des Jahres bei Ovid präsentiert werden (zu den Namen und der Anordnung der Monate in den Fasti, auch in dieser Anfangspassage, s. Kap. 3.1.5). Ein Bewusstsein für die Variabilität, wenn nicht Kontingenz der Struktur des Jahres wird von Anfang an hergestellt. Außerdem gewinnt man schon am Beginn der Fasti einen Eindruck davon, wie der Text den vorhandenen antiquarischen Diskurs über den Kalender strukturiert, indem er dessen Erkenntnisse und Lehrmeinungen in sein poetisches System einfügt und es darüber bewertet. Die Fasti nehmen durchweg an diesem Diskurs teil und schreiben sich in ihn ein.

3.1.2

Caesars Reform und das Narrativ der Kalenderkorrektur

Ein später Kalenderarcheget, der in den Fasti jedoch eine ähnlich wichtige Stellung erhält wie seine mythischen Vorläufer, ist Julius Caesar. Die bekannteste Darstellung der Abschlussepisode der Geschichte der römischen Kalenderkonstitution, Caesars Reform im Jahr 46 v.Chr.,18 ist Macrobius’ lange Erörterung dieses Prozesses im ersten Buch der Saturnalien. In 1.14–16 wird beschrieben, was Caesar im Einzelnen änderte (1.14.2 f.): omnem hanc inconstantiam temporum vagam adhuc et incertam in ordinem statae definitionis coegit. [...] ergo C. Caesar exordium novae ordinationis initurus dies omnes qui adhuc confusionem poterant facere consumpsit, eaque re factum est ut annus confusionis ultimus in quadringentos quadraginta tres dies protenderetur. post hoc imitatus Aegyptios, solos divinarum rerum omnium conscios, ad numerum solis, qui diebus trecentis sexaginta quinque et quadrante cursum conficit, annum dirigere contendit.19 18

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S. zu den historischen Details Rüpke 1995, 384–7 und Bayer 2002. Augustus’ Korrektur der Schaltung in den Jahren 5 v.Chr.–8 n.Chr., auf die ich hier nicht gesondert eingehe, bespricht Macrobius in 1.14.13–5. S. Malitz 1987, Rüpke 1995, 383, Feeney 2007, 153 f. S. auch die recht nüchterne Darstellung in der Kaiservita Suetons (Divus Iulius 40.1 f.): Conversus hinc ad ordinandum rei publicae statum fastos correxit iam pridem vitio pontificum per intercalandi licentiam adeo turbatos, ut neque messium feriae aestate neque vindemiarum autumno conpeterent; annumque ad cursum solis accommodavit, ut trecentorum sexaginta quinque dierum esset et intercalario mense sublato unus dies quarto quoque anno intercalaretur. Quo autem magis in posterum ex Kalendis Ianuariis novis temporum ratio congrueret, inter Novembrem ac Decembrem mensem interiecit duos alios; fuitque is annus, quo haec constituebantur, quindecim mensium cum intercalario, qui ex consuetudine in eum annum inciderat. Diese Passage steht innerhalb der Biographie nach den auf die Bürgerkriege folgenden Triumphen und Spielen (37–39), also an exponierter Stelle.

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Poetische Entwürfe des Jahres Er zwang diese gesamte, bis dahin unstete und unsichere Unbeständigkeit der Zeiten in eine Ordnung bestimmter Umgrenzung. [...] So tilgte Caesar, als er im Begriff war, den Beginn der neuen Ordnung anzutreten, alle Tage, die bis dahin imstande gewesen waren, Verwirrung zu stiften. Dadurch erreichte er, dass das letzte Jahr der Verwirrung auf 443 Tage ausgedehnt wurde. Danach ahmte er die Ägypter nach, die allein um alle göttlichen Dinge wissen, indem er danach trachtete, das Jahr nach der Zahl der Sonne, die ihren Lauf in 365 1/4 Tagen vollendet, auszurichten.

Die Leistung Caesars als Ordner der „irrenden Zeit“ und Bezwinger einer „Verwirrung“, in der Beschreibung mit stark antithetischem Ausdruck (bes. eingangs, inconstantiam bis definitionis), ist ebenso wie die Orientierung an der definitiven, göttlich informierten Solarastronomie der Ägypter ad numerum solis innerhalb einer teleologisch angelegten Konstitutionsgeschichte als Endpunkt gedacht: Wie in den meisten antiquarischen Fachtexten und auch in Fasti 3.151–6 steht bei der Erwähnung von Caesars Reform die auf ein nachträglich konstruiertes Ziel gerichtete Darstellung der Geschichte des Kalenders von einem Fehler und dessen Korrektur im Vordergrund – und diese Geschichte beginnt mit der ersten Korrektur des Numa, die in den Versen vor dieser Passage (in Kap. 3.1.1 zitiert) angesprochen wird.20 Dieser Beitrag zu einem stabilen und praktikablen Ordnungsmuster des Jahres wird im dritten Buch der Fasti, am Ende einer langen Passage zur Geschichte der Kalenderkonstitution, gleichfalls affirmativ beschrieben (3.155– 66).21 Ich zitiere nur die Verse 157–66, in denen ähnlich wie bei Macrobius die Sonne als Bezugsgröße für den Umgang mit der Zeit im Mittelpunkt steht: non haec ille deus tantaeque propaginis auctor credidit officiis esse minora suis, promissumque sibi voluit praenoscere caelum nec deus ignotas hospes inire domos. ille moras solis, quibus in sua signa rediret, traditur exactis disposuisse notis. is decies senos ter centum et quinque diebus iunxit et a pleno tempora quinta die. hic anni modus est. in lustrum accedere debet, quae consummatur partibus, una dies.

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Jener Gott und Gründer einer so großen Nachkommenschaft glaubte nicht, dass dies zu gering für seinen Aufgabenbereich sei. Er wollte den ihm versprochenen Himmel schon im voraus kennen und nicht als fremder Gott in unbekannte Gemächer einziehen. Er soll die Abläufe der Sonne, in denen sie in ihre Sternbilder zurückkehrt, in genauen Listen aufgezeichnet haben. Er fügte sechzig Tage zu 305 Tagen 20

21

Weitere Darstellungen der Reform finden sich bei Plinius d. Ä. (NH 18.211 f.), Plutarch (Caesar 59), Censorinus (De die natali 20.8–12), Cassius Dio (43.26), Solinus (1.43– 45) und Ammianus Marcellinus (26.1.12–14). Cf. zur gesamten Passage, zu der ich in Kap. 3.1.3 und 4 komme, Hinds 1992, 120–32; Hinds 2005, 221; Schiesaro 2003, 66 f.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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hinzu und von einem ganzen Tag den fünften Zeitteil. Dies ist das Maß des Jahres. In einem Zeitraum von fünf Jahren muss ein Tag hinzukommen, der in Teilen aufgerechnet wird.

In den Versen 161 f. wird auf die morae solis und damit wohl auf eine astronomische Tabelle mit dem jeweiligen Datum des Einzugs der Sonne in ein Sternzeichen hingewiesen. Als implizite Folge dieser Forschungen ist die genaue Festlegung der Anzahl von Tagen eines Jahres angegeben (163 f.); das „Maß“ des Jahres ist also von einer astronomischen Modellierung des Sonnenlaufs abgeleitet. Dem Begriff anni modus (165) wird ein eigenes Kolon eingeräumt, er steht emphatisch-abschließend am Höhepunkt der Passage.22 Das Substantiv modus an sich wird in lateinischen Texten sehr differenziert verwendet und kann u.a. sowohl das gemessene Material als auch die Maßeinheit bezeichnen, zudem die Grenze eines Ereignisses oder einer Handlung.23 Verweist anni modus hier auf die beiden vorhergehenden Verse und die Leistung Caesars, dann ist wohl mit dem „Maß“ eine definierte Größe von der Maßeinheit eines Tages gemeint, die gleichzeitig aber auch die Gesamtheit des Jahres begrenzt. So scheint die Anzahl der Tage von Caesar unter Anleitung des ägyptischen Experten Sosigenes berechnet worden zu sein, indem also ein Ganzes in seine Teile zerlegt und dann ein festgelegtes, wiederkehrendes Maß bestimmt wurde. 24 Caesars und in seiner Nachfolge Augustus’ Regelung des Kalenders war auch ein Akt politischer Kontrolle zentraler Lebensbereiche und deren Ordnung, wie Andrew Wallace-Hadrill angenommen hat. Das habe aber auch eine Verschiebung der Kompetenzsphären des Wissens impliziert: Kalendarisches Wissen wird von der sozialen Autorität der lokalen Elite zur akademischen Autorität der Experten verlegt, „who can predict the movements of the sun wherever you stand on the Earth at whatever time in history. [...] Rationalisation is an instrument of control.“25 Caesars Kalenderreform stellte ein Umdenken über die Zeit des Jahres und deren Messung her,26 nämlich die Erstellung des abstrakten Rasters eines letztlich von allen Phänomenen abgelösten, allen Handlungs-

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24 25 26

Alton/Wormell/Courtney, die Herausgeber der Fasti, fassen das hic in 165a kataphorisch und setzen einen Doppelpunkt vor dem, was in 165b f. folgt: in lustrum accedere debet, / quae consummatur partibus, una dies. Es gibt mit hinc eine handschriftlich gut belegte Variante für hic; hinc muss als Rückverweis auf Caesars Leistung gelesen werden, ein anaphorisch verstandenes hic würde ebendies leisten. Ich setze daher einen Punkt, denn der Nachsatz ist eine vervollständigende technische Erklärung und nicht eigentlich das, was als anni modus gelten kann. OLD s.v. 5, cf. Ov. Met. 4.258 (vom Sonnengott und der Nymphe Clytie): Venerisque modum sibi fecit in illa. Cf. Plin. NH 18.211; s. dazu auch Hannah 2005, 113 f. Wallace-Hadrill 1997, 17; cf. auch Wallace-Hadrill 1987. S. dazu Feeney 2007, 194.

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Poetische Entwürfe des Jahres

sequenzen enthobenen Zyklus wiederkehrender Tage, den Caesars Reform erreichte.27 Noch die westliche Moderne ist Erbin dieses Denkens, das die ursprüngliche Orientierungsfunktion des Kalenders bisweilen vergessen lässt. Denn ein Kalender diente zunächst vor allem dazu, die Regularität des Zusammenlebens und den geordneten Ablauf der Orientierung in der Zeit zu gewährleisten; erst sekundär und im Zuge dessen hatte er die ‚natürliche‘ Größe eines astronomischen Zyklus abzubilden:28 The fascination of the interplay between the natural and the constructed underpins much of the Romans’ engagement with the Caesarian calendar, which invited appraisal as the most successful attempt by any society to capture the natural world’s rhythms in a human construction. The calendar thus becomes indispensable to Roman thinking on the problem of culture. The calendar can seem like the quintessential cultural product in its profound constructedness and its inextricability from realms of nature that are ultimately independent of human control; its shaping of natural experience can seem so successful that its shaping power is naturalized.

Die beiden Kategorien des ‚natürlichen‘ und ‚sozialen‘ (‚kulturellen‘ oder auch ‚bürgerlichen‘) sind im römischen Diskurs um die Zeitordnung leitend:29 Die Vorstellung einer ‚bürgerlichen‘ gegenüber einer ‚natürlichen‘ Ordnung ist letztlich varronisch, wie die Rubrik civilia vocabula dierum (nämlich einerseits Strukturtage wie Kalendae, Nonae, Idus [Ianuariae etc.], und andererseits religiös und politisch motivierte Gemeindefeste, feriae publicae)30 in De lingua Latina 6.12 zeigt, die den „natürlichen Unterscheidungen“ (Tag, Nacht und Jahr) gegenüber stehen: 27

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Cf. Elias 1988, 182: „Je komplexer nun soziale Systeme werden, desto stärker treten ereignisunabhängige, abstrakte Zeitbegriffe und Strukturen bei der kulturellen Konstruktion von Zeit in den Vordergrund. Zeit wird nicht mehr als Folge von Ereignissen, als Veränderungen in der Natur bewusst, sondern als lineare Abfolge von Zeitpunkten konstruiert, die nicht mehr aufgrund der Bindung an ein konkretes Geschehen Sinn und Erwartungen vermitteln – wie etwa noch im Gregorianischen Kalender z.B. der Sonntag, der der Ehre Gottes galt. Zeit wird neutral gegenüber Ereignissen.“ Feeney 2007, 202. Die Unterscheidung zwischen „sozial (konstruiert)“ und „natürlich“ bestimmt auch das Forschungsfeld zum römischen Kalender in der modernen Forschung, s. etwa Wolkenhauer 2011, 161: „Jeder Kalender lässt sich als Kompromiss zwischen ,natürlicher‘ Ordnung und kulturellen Bedürfnissen verstehen. Auf der einen Seite stand die harmonische Ordnung des Kosmos, die sich im regelhaften Ablauf des Sonnenjahres konkretisierte und in der so genannten ,kosmischen‘ Uhr ihre symbolische Gestalt gefunden hatte, auf der anderen Seite standen spezifische religiöse, landwirtschaftliche, kaufmännische und politische Interessen an einer Strukturierung des Jahres gemäß den je eigenen Bedürfnissen. Dies hatte zur Ausprägung von Jahresgliederungen geführt, die sich in ihrer Autorität und Reichweite deutlich voneinander unterschieden.“ Wolkenhauer 2011, 268–70 schlägt die davon abgeleitete Unterscheidung „kosmisch“ vs. „pragmatisch“ vor, die im römischen Diskurs durchgängig verhandelt werde. Cf. Radke 1990, 4.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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caeli a naturali discrimine civilia vocabula dies accesserunt („nach der natürlichen Unterscheidung des Himmels erhielten die Tage dazu noch die bürgerlichen Namen“).31 In einem der umfassendsten erhaltenen, vermutlich in großen Teilen von Varro abhängigen römischen Beiträge über die Einteilungen von Zeit und deren Verhältnis zum menschlichen Leben, der Abhandlung De die natali von Censorinus aus dem Jahr 238 n.Chr.,32 wird die Geschichte der römischen Kalenderkonstitution beschrieben als Angleichung des „bürgerlichen Jahres“ (cf. 20.1 civiles annos), d.h. der sozialen Zeit des Fest- und Gerichtskalenders, der fasti anni, an das astronomische Sonnenjahr, die er als das versteht, beschrieben.33 Censorinus beschreibt, ähnlich wie zuvor Plutarch und später Macrobius (beide, wie auch Ovid in seiner weniger kohärenten Darstellung dieser Entwicklung, vermutlich von Varros verlorenen Schriften de tempore abhängig) die Phasen und Schritte in der Entwicklung des römischen Kalenders bis zur Kalenderreform durch Julius Caesar im Jahr 45 v.Chr., tut das jedoch deutlicher als jene entlang der beiden genannten Ordnungsprinzipien des Jahres. Jedes dieser Narrative impliziert eine (bis zu Caesars Reform freilich immer mehr schwindende) Dynamik, die dem Kalender in der Moderne nicht mehr anzusehen ist, die aber in den historischen Darstellungen deutlich wird und die auch Ovids Text selbst sowohl explizit verhandelt, als auch in seiner Anlage als literarischer Text implizit in sich trägt, insofern er die Kontingenz des Kalenders und die Pluralität der Ordnungsprinzipien zum Vorschein bringt (s. Kap. 3.2). Censorinus’ Definition des Jahres ist zunächst die des „natürlichen“ Sonnenjahres (19.1): annus vertens est natura, dum sol percurrens xii signa eodem, unde profectus est, redit („ein Jahr ist dann von Natur aus vollendet, wenn die Sonne, die die zwölf Tierkreiszeichen durchläuft, zum selben Ort, von dem sie aufgebrochen ist, zurückkehrt“). Der astronomische Blick auf die Bewegung der Sonne „durch“ die Sternbilder wird in dieser Perspektive zum Bürgen für einen natürlichen Zyklus der Zeit. Bevor der „bürgerliche“ Kalender sich diesem unumstößlichen Zeitmaß nicht angenähert hat, so Censorinus weiter, kann er nur als vorläufig betrachtet werden. Die Schritte in der Geschichte der Kalenderkonstitution, von denen Censorinus berichtet, zielen daher in seiner Sichtweise immer auf die Ausrichtung des bürgerlichen Jahres ad solis cursum, also: „am Lauf der Sonne“. Daher erzählt er in diesem Teil seines Textes eine kurze Geschichte der „Korrekturen“ in Hinsicht auf dieses Ziel der Übereinstimmung beider Größen (22.8)⁠: sed Divus Julius cum videret hac ratione neque ad lunam menses, ut oportebat, neque annos ad solem convenire, maluit annum corrigere, ut sic etiam menses civiles cum veris illis solaribus, etsi non singuli, tamen universi ad anni finem necessario concurrerent („aber als der vergöttlichte Caesar sah, dass nach dieser Methode weder die 31

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Cf. Lehmann 1999. Zum schwierigen Text an dieser Stelle. s. Floberts (1985) Anmerkungen ad loc. (S. 77). Zur Abhängigkeit von Varro s. Franceschi 1954, und zu den Zeitkonzeptionen beider Grafton 1985. Zur Schrift des Censorinus selbst: Sallmann 1983, Brodersen 2011. Ibid. ad unum illum verum naturalemque [sc. annum] corrigere. Cf. auch 20.11 f.

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Poetische Entwürfe des Jahres

Monate zum Monat, wie es nötig wäre, passten, noch die Jahre zur Sonne, zog er es vor, das Jahr zu berichtigen, damit so auch die bürgerlichen Monate mit jenen wahrhaftigen, an der Sonne ausgerichteten Monaten zusammengingen, und wenn auch nicht einzeln, so doch notwendigerweise zusammen genommen am Jahresende“). Der Diskurs um das gesellschaftlich relevante Wissen über den Kalender scheint also mit Caesar in ein neues Muster gefallen zu sein, von einem neuen „apriorischen“ Muster geleitet zu sein.⁠34 Ovids Überlegungen und Repräsentationen dieses Themas, besonders die Präsenz mehrerer Jahresentwürfe in den Fasti sowie der poetische Text als literarischer Kalenderkommentar in seiner Gesamtheit lassen eine Selbstverortung in diesem Diskurs vermuten. Die Fasti nähmen dann an der Aushandlung dieses Rationalisierungsprozesses teil und beanspruchten in einem kulturell zentralen und umkämpften Feld für die Literatur eine Stimme, ja eine Vervielfältigung der Stimmen unter einem Regisseur.

3.1.3

Die ratio des Romulus

Das Wissen über den Kalender und das römische Jahr liegt auch in den Methoden der Erklärung der Einzelphänomene, die meist aitiologischer oder etymologischer Natur sind und sich eben dadurch als antiquarisch auszeichnen. Die Monatsetymologien gehören ebenso dazu wie die Exegese der einzelnen Feste. Andererseits entspinnt sich die antiquarische Episteme um den Kalender in den Methoden, die in den aitiologischen Erzählungen mit ihren rückblickenden Plausibilisierungen den Archegeten des Kalenders und Erfindern seiner Bräuche und Feste zugeschrieben werden. Diese Methoden oder Orientierungsgrößen bei der Etablierung des jährlichen Ordnungsmusters wie auch die Festriten, die noch die augusteische Gegenwart der Fasti kannte, sind sichtbar meist erst nachträglich mit den Akteuren assoziiert worden: Im Fall der beiden ersten Könige ist zunächst eine ‚Romulisierung‘ (bzw. frz. „Romulisation“) am Werk, wie Jacques Poucet die aitiologische Bündelung von Kulturleistungen, Kulten, Tempelgründungen und dergleichen auf die eine mythische Gründerfigur hat, 35 und erhält einen Gegenpart in der folgenden Konzentration auf den von außen kommenden Numa. Die abstrakte Geschichte der Entwicklung einer Kulturtechnik konkretisiert sich so anhand ihrer Protagonisten.36 Zwei Methoden der Kalenderkonstitution zur Ermittlung der Länge des Jahres und der Namen und Anordnung seiner Monate werden in der in Kap. 3.1.1 besprochenen Anfangspassage der Fasti kurz thematisiert: Die lebensweltliche ratio des Romulus wird über einen Analogieschluss, d.h. die ‚unwissenschaftliche‘ Messung des Jahres nach den natürlichen Rhythmen von Geburt und Trauerzeit, nach genuin menschlichem Maß plausibilisiert; allein in Ovids Text 34 35 36

Cf. Gehring 2004, 39 f. Poucet 1992. Cf. Wolkenhauer 2011, 48.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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findet sich diese Erklärung für das Zehnmonatsjahr. Ihr steht – nur die Worte arma magis quam sidera (1.29) in der Anrede an Romulus deuten das an – die astronomische Methode durch Beobachtung der Sterne gegenüber, wenngleich diese an der Stelle nicht direkt mit Numa assoziiert wird. Der in der Antike topische, aber ob der falschen Chronologie auch schon bezweifelte Kontakt des zweiten römischen Königs zu Pythagoras, auf den Vers 3.153 anspielt (sive hoc a Samio doctus), trägt die griechische Wissenschaft und Kultur als Punkt der Anbindung in sich (die Erwähnung der Nymphe Egeria in Vers 154 bringt dagegen göttliche Inspiration ins Spiel),37 aber der Blick in die Sterne als griechische, wissenschaftliche Methode zur Kalenderkorrektur wird nicht explizit. Romulus’ Methode steht im Verlauf der Fasti einer idealisierten wissenschaftlichen Methode der Ausrichtung an astronomischen Zyklen gegenüber, unter der Julius Caesar mit seiner Reform aber weit mehr firmiert als Numa. Dieser hielt sich laut 1.43 f., seiner mythologischen Rolle als Kulturimporteur gemäß, an soziale und religiöse Normen und erfasste damit das richtige Maß der zwölf Monate. Die Darstellung von Numas Reform setzt in Konstitutiongeschichten wie der des Livius (wie auch bei Ovid) ein zuvor praktiziertes Zehnmonatsjahr von nur 304 Tagen voraus – eine Rekonstruktion, die bei den antiken Autoren wieder und wieder tradiert wurde.38 Bei Ovid steht die These noch einmal sehr deutlich in Fasti 3.119–22. Aber in der Antike herrschte darüber Uneinigkeit (Cens. De die nat. 20.2): annum vertentem Romae Licinius quidem Macer et postea Fenestella statim ab initio duodecim mensum fuisse scripserunt; sed magis Iunio Gracchano et Fulvio et Varroni sed et Suetonio aliisque credendum, qui decem mensum putarunt fuisse, ut tunc Albanis erat, unde orti Romani („einerseits schrieben Licinius Macer und später Fenestella, dass es in Rom gleich seit dem Anfang ein zyklisches Jahr von zwölf Monaten gegeben habe; aber man muss eher Iunius Gracchanus und Fulvius Nobilior und Varro, aber auch Sueton und anderen glauben, die meinten, dass es ein Jahr von zehn Monaten gegeben hat, wie es damals die Albaner hatten, von denen die Römer abstammen“). Censorinus folgt der Zehnmonatsthese und legt sich bezüglich des Begründers der Reform nicht fest (ibid. 20.4): postea sive a Numa, ut ait Fulvius, sive, ut Iunius, a Tarquinio XII facti sunt menses et dies CCCLV („später wurden sei es von Numa, wie Iunius sagt, sei es von Tarquinius [sc. Superbus, der siebte und letzte König Roms], wie Fulvius sagt, zwölf Monate und 355 Tage eingerichtet“]. Die These wurde in der modernen Forschung lange akzeptiert, wird aber heute gemeinhin als künstliche Konstruktion der antiken Autoren abgelehnt,39 die eine Rekonstruktion der früheren Stufen des Kalenders aufgrund dessen versuchten, was sie in ihrer eigenen Zeit in den Wandbildern 37 38

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Ibid. 63 f. S. dazu Michels 1949, 328-30 und Radke 1990, 35-43; die Stellen: Cens. De die nat. 20.2 f.; Macrob. Sat. 1.13.20; Gell. 3.16.16; Serv. ad Georg. 1.43; Solin. 1.35,36; Plut. Numa, 18; Quaest. Rom. 19; Lyd. De mens. 1.16 (S. 9 Wuensch). Rüpke 1995, 191–202, s. auch Radke 1990, 35 f. Cf. Ogilvie 1965 ad Liv. 1.19.6 f. (S. 95).

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Poetische Entwürfe des Jahres

zum zeitlichen Ordnungsmuster vorfanden. Die Zahl 304, das ist der klarste Hinweis auf die spätere Konstruktion, ist die Summe der ersten zehn Monate (JanuarOktober) mit ihren julianisch-augusteischen Monatslängen.40 Man nimmt bei alldem in der modernen Forschung an, dass es in der Königszeit eine Reform gegeben hat, die etruskische Einflüsse zeige; aber die Details einer solchen Reform sind unklar und die Datierung weist eher auf einen späteren Zeitpunkt als Numas angebliche Lebzeiten, nämlich ins siebte oder sechste Jahrhundert.41 Diese historische Rekonstruktion würde also durchaus auf den letzten König Roms, von dem Fulvius spricht, passen. Numas Ruf als Religionsstifter in der annalistischen Tradition und die Assoziation des (nach der Reform) ersten Monats Januar mit dem Gott Janus haben jedoch vermutlich zur Verknüpfung seiner Person mit der Reform geführt.42 In weit größerer Ausführlichkeit und unter Aufführung zahlreicher Argumente der Plausibilisierung des Zehnmonatsjahres, des Monats März als erstem Monat im alten römischen Jahr und gesättigt mit Kulturvergleichen und Analogieschlüssen thematisieren die Fasti in einer langen Passage zur Konstitution des Kalenders durch Romulus in den Versen 3.71–166 technische Aspekte des zeitlichen Ordnungsmusters, verwebt diese allerdings mit den Aspekten der Kulturgeschichte und -bewertung sowie den Figuren der semantisierten Gattungspoetik (zu diesem Konzept s. Kap. 4.2). Dadurch erhält die Methode des Romulus aus dem Vers 1.31, ein Zehnmonatsjahr zu begründen – dort ein wenig belächelt und nur durch die zwei lebensweltlichen Zeitspannen gefüllt – eine weit größere Tiefe und kulturgeschichtliche Relevanz. Man kann im Vergleich der beiden Passagen davon ausgehen, dass der im Verlauf des Gedichts früher stehende Abschnitt (1.29–44) textgenetisch eine spätere Zusammenfassung des längeren Passus im dritten Buch darstellt.43 Diesen lese ich als eines der Kernstücke der gesamten Fasti, da er neben 40 41

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Rüpke 1995, 201. Cf. Radke 1990, 3 mit der Vermutung, dass „der Kalender, der die Namen der Feste in der erhaltenen und beschriebenen Form aufweist, im 6. Jh. v. Chr., vermutlich jedoch früher, eingerichtet wurde.“ Daraus ergebe sich ein terminus ante quem für diese frühe Reform, denn „man vermisst die kapitolinische und die aventinische Trias, den Kult der aventinischen Diana, die Berücksichtigung des Castor und Pollux und eine Erwähnung des Apollo.“ Cf. Ogilvie 1965 ad Liv. 1.19.6 f. (S. 96). Numas Rolle wird diskutiert in Cic. De leg. 2.29, Plut. Numa 18.1-3, und Macrob. Sat. 1.13.1–5, der Cens. De die nat. 20.4 folgt. Cf. Ursini 2008, 201 f. zu solchen „Doppelungen“ in den Fasti; außerdem Schubert 1992, 360 f., der hier eine „unauffällige Assoziationstechnik“ am Werk sieht. Vergegenwärtige man sich die „Ironie“ der Vignette im ersten Buch, dann sehe man, dass die „Ernsthaftigkeit der Diskussion um die Zehnzahl in dem späteren Buch nur gespielt ist.“ Das liegt im Auge des Betrachters. Das Mitlesen von Witz und Humor schließt nicht aus, dass in der langen Passage des dritten Buchs Erklärungsansätze gesucht werden, wie man überhaupt auf diese Zehnzahl kommen könne. Es wäre dann wohl eine Parodie der antiquarischen Technik überhaupt in diesen Passagen im dritten Buch zu sehen, von der ich für die Fasti, etwa mit Wallace-Hadrill, nicht ausgehe.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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dem Stoff, der dann als mythhistorischer Abriss ganz an den Beginn des Werks gestellt wurde, auch viele weitere Grundbausteine und Anspielungen oder Ankündigungen auf weitere, im gesamten Gedicht verstreute Passagen, Feste und Götter enthält. An seinem Anfang steht, auf die ausführliche, mit Mars’ Vergewaltigung der Rhea Silvia beginnende Erzählung der Gründung Roms folgend, wiederum der Akt der Setzung des Jahres und des März als erstem Monat zu Ehren des Mars durch Romulus (71–8).44 In den Versen 79–86 folgt ein Vergleich mit anderen, außeritalischen Völkern,45 die statt eines Kriegsgottes andere, ihre eigenen Interessen oder ihre kulturelle Ausrichtung besser repräsentierende Götter an den Anfang des Jahres setzten: das Distichon 85 f., Mars Latio venerandus erat, quia praesidet armis; / arma ferae genti remque decusque dabant („Mars musste von Latium verehrt werden, weil er den Vorsitz über die Waffen hat; Waffen gaben einen wilden Volk seine Bestimmung und seine Auszeichnung“), charakterisiert die frühen Römer erneut über die semantisch aufgeladenen, poetologischen Schlüsselwörter arma und ferus, die eine episch-militärische Welt und Ausrichtung der Kultur aufrufen. Der Ausdruck decus dare fällt in die Kategorie der ‚axiologischen‘ Bewertung von kulturellen Aspekten – die arma sind, was der frühen Kultur um Romulus honor („Ehre“) verleiht – honor ist ein weiteres Schlüsselwort der Fasti und kommt 40 Mal vor, so oft wie in keinem anderen Werk Ovids.46 Gleich darauf steht ein längerer Katalog von italischen Völkern (Faliskern, Aricinern, Sabinern und anderen mehr), die ebenfalls einen Monat für Mars in ihrem Kalender einrichteten – wieder eine Passage des Kalender- und Kulturvergleichs, nur einen anderen Aspekt betreffend (89–98).47 Was Rom und Romulus’ Kalender auszeichne, sei die Erststellung des Monats (97 f.); die cura des Romulus, „seine Nachbarn zu besiegen“ (finitimos vincere aus Vers 1.30) taucht hier neben der Reverenzerweisung an Mars wieder auf (3.97 f. Romulus, hos omnes ut vinceret ordine saltem, / sanguinis auctori tempora prima dedit, „um all diese wenigstens in der Anordnung zu übertreffen, gab er dem Urheber seines Blutes die ersten Zeiten“). Romulus erscheint also trotz seiner behaupteten Kulturlosigkeit durchaus als ehrgeiziger Kulturschaffender, der sich über intellektuelle Tätigkeit am Kalender gegen andere behaupten will; ein solcher ‚antiquarischer‘ Romulus, ein „Autor 44

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Cf. Hinds 1992, 122 f.: „Only the Romulean calendar gave Mars the first place (3.97 f.). [...] the honour bestowed on the war god by his unastronomical son has been completely undone. The bellicose Romulus may be Romanae conditor urbis [...] (3.24); but he has proved to be an abject failure as Romani conditor anni, (6.21). Cf. zur Stelle Porte 1985, 510 und Ursini 2008 ad 79–96. Zu diesen in der Regel ebenfalls zweiseitigen Axiologien der Fasti komme ich in Kap. 4.3 f. zurück. Zum Begriff des honor, s. Kap. 4.4. Laut Degrassi 1963, 316 zeigt diese Passage auch, dass es verschiedene Jahresanfänge bei den historischen italischen Völkern gegeben habe – was angesichts der kriegerischen Ausrichtung all dieser gentes, von der auch die Antiquare ausgehen, wahrscheinlich ist, allerdings so nicht durch Ovids Text belegt werden kann.

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Poetische Entwürfe des Jahres

des Jahres“ (4.23 cum longum scriberet annum) wird auch in 4.23–30 gezeichnet,48 wo er sich als aitiologischer Ahnenforscher die Blutlinie seiner göttlichen Herkunft vergegenwärtigt (4.29 f.): principiumque sui generis revolutaque quaerens / saecula, cognatos venit adusque deos („als er den Ursprung seines Geschlechts und die abgerollten Jahrhunderte befragte, gelangte er bis zu den verwandten Göttern“). Beide Passagen der Aufzählung nicht-römischer Kulturen und Kalender, die eine ratio der ersten Kalenderkonstitution umschreiben sollen, schaffen vor allem ein Bewusstsein für die Kontingenz von zeitlichen Ordnungsmustern: Das Jahr der Römer, so wird deutlich, ist aus ganz bestimmten, weit in die Vergangenheit zurückreichenden Gründen so und nicht anders beschaffen und könnte, blickt man auf nicht-römische Beispiele, auch ganz anders gestaltet sein. Auch bei Festus, der die augusteische antiquarisch-etymologische Schrift De verborum significatu des Verrius Flaccus überliefert, gilt die Erststellung des Monats März im frühen Rom als unzweifelhaft, aber sie wird, wie der „überaus kriegerische“ Charakter dieses Volkes, auf ganz Latium ausgeweitet, im Gegensatz zu Ovids Darstellung, die Roms Kalenderordnung heraushebt (Festus, s.v. Martius, S. 136.6 f. Lindsay):49 Martius mensis initium anni fuit et in Latio et post Romam conditam, quod ea gens erat bellicosissima („der Monat März war der Anfang des Jahres auch in Latium, auch nach der Gründung Roms, weil dieses Volk überaus kriegerisch war“). Dass diese Auffassung letztlich auf Varro zurückgeht, zeigt eine Stelle bei Censorinus, Die nat. 22.10 f.: Varro autem Romanos a Latinis nomina mensum accepisse arbitratus auctores eorum antiquiores quam urbem fuisse satis argute docet; itaque Martium mensem a Marte quidem nominatum credit, non quia Romuli fuerit pater, sed quod gens Latina bellicosa („da Varro aber glaubte, dass die Römer von den Latinern die Namen der Monate übernommen haben, lehrt er deutlich genug, dass deren Urheber älter als die Stadt waren; deshalb glaubt er, dass der Monat März unstreitig nach dem Mars benannt ist, nicht weil er [sc. Mars] der Vater des Romulus gewesen ist, sondern weil das latinische Volk kriegerisch war“). Varro macht also das kulturhistorische Argument gegenüber dem mythologischen stark, während die Fasti beides affirmieren. Die beiden Argumente überschneiden sich freilich, da die militärisch ausgerichtete Gründergemeinschaft sich den Kriegsgott als wichtigste Gottheit auswählte und Romulus als Teil dieser Gemeinschaft, aber nach der Legende auch als dessen Sohn in der Logik des Mythos die dem Gott zugeschriebenen Wertungen übernimmt. In den Fasti berichtet Mars dies selbst, nämlich in der Erzählung der Vorbereitung des Raubs der Sabinerinnen, der als Gegenmittel für den Mangel an Ehefrauen unter den kulturlosen Siedlern des frühen Roms dienen soll (3.197 f.): indolui patriamque dedi tibi, Romule, 48

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Cf. 4.23–26, wo die aus 1.39 f. bekannte Begründung der Jahreskonstitution aus der Genealogie wieder auftaucht und der Ordnungsbegriff ebenso eine Rolle spielt: hoc pater Iliades, cum longum scriberet annum, / vidit et auctores rettulit ipse tuos: / utque fero Marti primam dedit ordine sortem, / quod sibi nascendi proxima causa fuit. S. dazu Whatmough 1931, 166 sowie Porte 1985, 18 und 316–22 sowie Stok 1989, 72, Anm. 47.

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mentem. / ‚tolle preces‘, dixi ‚quod petis arma dabunt‘ („ich empfand das schmerzlich und gab dir, Romulus, den Geist des Vaters. „Gib die Gebete auf“, sagte ich, „was du verlangst, werden Waffen bringen“). Vers 198 konzentriert wieder zwei Kulturbereiche in einem Pentameter: Religion vs. Kriegsführung als mehr oder minder probate Mittel zum Erreichen der Ziele einer Gemeinschaft – die preces sind in der Dichotomie der Darstellung Ovids unter den ersten beiden Königen allerdings Numa vorbehalten. Ab Vers 3.99 entspinnt sich nun über 50 Zeilen ein poetischer Essay zur frühen Methodik der Kalenderkonstitution, der die Monatszahl 10 und deren Plausibilisierung aus der Anfangsvignette der Fasti wieder aufnimmt sowie die Argumente und ‚noch heute‘ sichtbaren Zeichen eines ursprünglich ersten Monats März aufreiht. Wieder ist ein Defizit angedeutet, wenn mit der Anspielung auf Horaz’ Graecia capta–Diktum aus Epist. 2.1.156 f. von einer Zeit die Rede ist,50 in der „Griechenland noch nicht seine besiegten Künste den Siegern übergeben hatte“ (101 f. nondum tradiderat victas victoribus artes / Graecia). Die Hellenen werden durch eine zweiseitige Bewertung charakterisiert: Sie stehen – am Beispiel von Pythagoras als Leitfigur für Numa wurde das deutlich – in Ovids Kulturgeschichte für Wissenschaftlichkeit und Künste wie Rhetorik,51 aber ihnen haftet ein anderes Defizit an, von dem die Römer im Kontrast ganz frei sind: Sie seien ein facundum sed male forte genus („ein beredtes, aber wenig mutiges Volk“). Dieser Gegensatz wird gleich darauf bei der Beschreibung der Römer im Distichon 103 f. aufgelöst, das eine Gedankenfigur nutzt, die in den Fasti immer wieder anzutreffen ist und als dialektische Auflösung eines Gegensatzes beschrieben werden kann:52 qui bene pugnabat, Romanam noverat artem; mittere qui poterat pila, disertus erat („wer gut kämpfte, kannte die römische Kunst; wer Wurfspieße werfen konnte, war ‚redegewandt‘“). Das Militärische als Hauptcharakteristikum der frühen Siedler Roms wird damit zugleich auf- und abgewertet: Es ist ars, aber es gab eben nur diese ars in Romulus’ Stadt. Das Defizit ist letztlich irrelevant für diese Kultur, 50

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Cf. Ursini 2008 ad 101–20 (S. 204). Die Dialektik der letzten sieben Verse der Rede des Anchises in Aen. 6.847–53, vielleicht das Vorbild für diese Fasti-Stelle, bietet eine interessante Vergleichspassage, die ebenfalls ein Ideal der Hochkultur samt Rhetorik und Sternenkunde anderen Völkern (sc. den Griechen) vorbehält, dieses aber eindeutig affirmiert. Die Dialektik der ganz eigenen römischen ars des Herrschens ist bei Vergil noch deutlicher ausgestaltet: ‚excudent alii spirantia mollius aera / (credo equidem), vivos ducent de marmore vultus, / orabunt causas melius, caelique meatus / describent radio et surgentia sidera dicent: / tu regere imperio populos, Romane, memento / (hae tibi erunt artes), pacique imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos.‘ S. dazu auch Hinds 1992, 124–7. Die Beschreibung von fünf Sternbildern in griechisch-mythologischen Begriffen, von deren Unkenntnis der frühen Römer die Verse 105–8 handeln, deutet nach Schubert 1992, 400 an, dass eine „mythologische Weltsicht ein Zeichen von Kultur ist; auch hierin sei Griechenland der Lehrmeister Roms geworden“ (cf. ibid. 380: „Griechenland erscheint dabei gleichermaßen als Kultur- und Mythologievermittler“). In Kap. 4.1 werde ich diese Figur als die „Form des Janus“ beschreiben.

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deren Unkenntnis der Sterne, so fahren die Verse 105–20 fort, im Zehnmonatsjahr resultierte. Der militärische Bereich wird in diesen Zeilen noch einmal gegen die Sternenbeobachtung ausgespielt, noch einmal mit einem semantischen Kniff (113 f.): non illi caelo labentia signa tenebant / sed sua, quae magnum perdere crimen erat („sie hielten nicht die Sternzeichen, die vom Himmel gleiten, fest, sondern ihre eigenen, die zu verlieren ein großes Vergehen war“). Die „Zeichen“ (signa) können sowohl als Sternbilder am Himmel stehen als auch Feldzeichen des Heeres meinen. Die kulturelle Ausrichtung der Frühzeit Roms, die typische Projektionsfläche der antiquarischen Schriften und in ihrer Nachfolge der augusteischen aitiologischen Dichtung, wird in dieser Passage also sehr eng mit der Geschichte des Kalenders verknüpft. Aus Gründen dieser kulturellen Ausrichtung und der daraus resultierenden Unkenntnis der Sterne handelte es sich somit vor Numas Reform um ein Jahr, das (nur) zehnmal den Mondzyklus umfasste (3.121 f.): annus erat decimum cum luna receperat orbem: / hic numerus magno tunc in honore fuit („ein Jahr war es, wenn der Mond zum zehnten Mal seine Scheibe wiedererlangt hatte: Diese Zahl stand damals in großer Ehre“). Wiederum weist honor auf eine implizite Bewertung, die bei Ovid meist Aussagen über die kulturelle Ausrichtung Roms begleitet. Die längere Plausibilisierung der Zahl 10, die nun folgt und die ratio des Romulus mit weiteren Beispielen füllt, verwendet als Methode der Plausibilisierung die Analogie aus verschiedenen lebensweltlichen Bereichen, die ganz in antiquarischer Manier Bräuche und Sitten aufzählt und gruppiert, hier durch ein mehrfaches sive/seu („sei es, dass ..., oder ...“). Ein Grund könne es etwa gewesen sein, dass der Mensch mit seinen zehn Fingern zählt (123); die zehn Monate der Schwangerschaft werden noch einmal als mögliche Bezugsgröße aufgeführt (124), wie ein paar Zeilen später auch die Trauerphase der Witwe (134); oder man lasse immer nach dem zehnten Monat eine neue Reihe anfangen, weil das Dezimalsystem grundsätzlich auch so arbeitet (125 f.). Zuletzt wird die Aitiologie des Zehnmonatsjahres mit der mehrerer politischer bzw. militärischer und sozialer Institutionen verknüpft, für die ebenfalls Romulus verantwortlich gewesen sei: Es habe zu dieser Zeit durch die Setzung des ersten Königs in Rom 100 Senatoren gegeben (nur impliziert ist, dass diese Zahl als Vielzahl von zehn ein Argument liefern kann), die militärischen Einheiten waren in Zehnergruppen aufgeteilt, und die drei Tribus (die Abteilungen der römischen Vollbürger: Ramnes, Tities, Luceres) waren ebenfalls in je zehn Kurien gegliedert. Gerade diese letzten Analogieschlüsse verweisen auf ein Konzept von sozialer Zeit, das die Konstitution der Jahreslänge als Element der politischen Institutionen betrachtet und in dessen Logik einreiht – im Sinne der antiquarisch-aitiologischen Romulisation in einer ratio des ersten Herrschers bündelt. Obwohl diese Methode der Analogie falsch war, wie die Fasti von Beginn an feststellen, und aus einem kulturellen Defizit geboren wurde, wird ihre Plausibilisierung in dieser Breite durchgeführt, weil durch sie in der Form der Mehrfach-Aitiologie eine ganze Gruppe anderer Wissenselemente aufgezählt wer-

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den kann. In ebendieser Manier geht der Text zum nächsten Aspekt solcher Plausibilisierung über, die einen ursprünglichen Beginn des Jahres im März – wie er historisch auch tatsächlich zu belegen ist, was aber dennoch nicht die Historizität eines Zehnmonatsjahres verbürgt – an mehreren evidenten Phänomenen festmacht und damit Vergangenheit und Gegenwart in der Aitiologie verknüpft.

3.1.4

Die Zeichen des März

Neu dubites primae fuerint quin ante Kalendae / Martis, ad haec animum signa referre potes (3.135 f., „damit du nicht daran zweifelst, dass vormals die Kalenden des März die ersten waren, kannst du deinen Verstand noch einmal folgenden Zeichen zuwenden“). Der nächste Abschnitt der Passage zur frühen Kalenderkonstitution beginnt mit einer Geste der Vergewisserung, des sicheren Urteils über eine wichtige Frage zur Kalenderordnung angesichts soviel Evidenz, die sich zusammentragen lässt: Man kann beweisen, dass das Jahr einmal im März begann. 53 Alle „Zeichen“, die im Folgenden aufgezählt werden, sind solche der Erneuerung, die einen Neubeginn des Jahreszyklus verbürgen und teils noch in augusteischer Zeit rituelle Markierungen dieses Anfangspunktes anzeigen. Da ist erstens der Lorbeerbaum am Haus des Flamen-Priesters, der am ersten März ausgetauscht wird (137 f.): laurea flaminibus quae toto perstitit anno / tollitur, et frondes sunt in honore novae („der Lorbeerbaum, der das ganze Jahr für die Flamines fortdauert, wird weggenommen, und neue Blätter stehen in Ehre“). Ein leichter Gegensatz zwischen toto perstitit anno und frondes ... novae drückt die Bedeutung aus, die ein Wechsel gerade einer immergrünen, ‚beharrlichen‘ Pflanze wie dem Lorbeer an einem bestimmten Zeitpunkt hat. Der Lorbeer ist der heilige „Baum des Apollo“ (139) und für seine reinigende Kraft, die ihn am Jahresanfang unentbehrlich macht, wie auch für seine symbolische Bedeutung beim Triumphzug bekannt. 54 Das nächste Distichon (139 f.) notiert noch, dass ein Baum dieser Art auch vor der domus regis,55 den Kurien und dem Vestatempel ausgetauscht wurde. In den Passagen des Frühlingslobes, den laudes veris der Fasti, wird uns das „neue Laub“ wieder begegnen, auch wenn es sich dann um „neu geformtes“, saisonales Blätterwerk handelt wie im Vers 1.153 (et modo formatis operitur frondibus arbor, „und der Baum wird von eben gebildetem Laub bedeckt“). Die Junktur sunt in honore zuletzt ist ein leises Echo auf die axiologische Ausdrucksweise, die uns oben schon im Vers 3.86, arma ferae genti remque decusque dabant und im Vers 3.122, hic 53

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Cf. Michels 1967, 97-101, Radke 1990, 97 f., Rüpke 1995, 193–201 zu den historischen Aspekten. Daher wurden im Jahr 27 v.Chr., als Augustus auch seinen neuen Titel bekam, zwei Lorbeerbäume vor dem Haus des Kaisers aufgestellt, s. Res gestae 34.2. Das „Königshaus“ ist der Sitz des höchsten Opferpriesters; die Angabe ist ungenau, da der Baum zur nahe gelegenen Regia, dem Sitz des Priesterkollegs gehörte; cf. Macrob. Sat. 1.12.6 und Schilling 2011 ad loc.

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Poetische Entwürfe des Jahres

numerus magno tunc in honore fuit begegnet ist: Die Anfangsstellung im Jahr ist auch eine Auszeichnung bzw. verleiht der Lorbeer diese dem Tag des 1. März. Eine ähnliche Kategorie eines Zeichens sieht der aitiologische Sprecher im Feuer des Vestatempels am Werk, und das Distichon 143 f. setzt wieder die Semantik der Erneuerung ein (143: novus ignis, „neues Feuer“; 144: vires flamma refecta capit, „die wiederhergestellte Flamme fasst neue Kräfte“). Mit dem Distichon 145 f. wechselt die Kategorie der Zeichen für den Jahresanfang: Anna Perennas Fest werde im März gefeiert (nämlich am 15., den Iden des März; Ovids ganz eigene, ausgedehnte Behandlung des Festes und seiner Erklärung steht in den Versen 3.523–696); und da sie über die Etymologie von perennis („das ganze Jahr hindurch/beständig“) in der antiquarischen Erklärungstradition zu einer Jahresgöttin wurde,56 kann ihr Fest als Indiz für den Jahresanfang gesehen werden. Es gibt also kein äußeres, rituelles Zeichen in diesem Fall, sondern die Interpretation einer recht rätselhaften römischen Göttin gibt Anlass zu einer Übertragung auf das Ordnungsmuster des Jahres. Ein weiteres einzelnes Distichon setzt den Reigen der Mehrfach-Erklärung fort und gibt an, zu welchem Zeitpunkt erst der Jahresbeginn vom März auf den Januar wechselte, nämlich zur Zeit des dritten Punischen Krieges (149–46 v.Chr.).57 Diese Erklärung läuft nicht mehr unter der Kategorie des ‚Zeichens‘ wie die vorigen, sondern weist sich durch den Verweis auf eine Überlieferung (147, memorantur) als Teil einer Wissenstradition aus, die gleichwertig zu den sichtbaren Evidenzen vorgetragen wird (147 f.): hinc etiam veteres initi memorantur honores / ad spatium belli, perfide Poene, tui („im März wurden, so erinnert man sich, auch die alten Ehren angetreten, bis zur Zeit deines Krieges, lügnerischer Punier“). Die „alten Ehren“ sind die des Konsulatsamts, dessen Antritt bis zu dieser Zeit an wechselnden Tagen des März stattfand. Der Kalender aus Praeneste vermerkt am 1. Januar den Hinweis, dass im Jahr DCI p(ost) R(omam) c(onditam), also 153 v.Chr., die Konsuln ihr Amtsjahr erstmals an diesem Tag begannen. 58 Das Ereignis der Inauguration der neuen Konsuln wird bei Ovid zu Anfang der Fasti in seinem Charakter der Erneuerung (dreimal stehen Formen von novus) in einer 56 57

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S. etwa Porte 1971, 289. Zum historischen Hintergrund s. Michels 1967, 98; Feeney 2007, 22 und 171 mit Anm. 33 und 35 f. mit der Bibliographie. Das konsularische Jahr hatte seit 222 v.Chr. am 15. März begonnen, die Umstellung auf den 1. Januar war also eine rezente Entwicklung. Vor dem Jahr 222 konnte die Amtszeit an jedem beliebigen Tag des Jahres beginnen und kürzer als ein kalendarisches Jahr sein, je nach den Anforderungen militärischer Kampagnen, für die ursprünglich die Konsuln verantwortlich waren. Cf. Nilsson, RE s.v. „Neujahr“, col. 151. Wie Livius berichtet (22.1.4), wurde der Konsul noch 217 v.Chr. an den Iden des März inauguriert. Nilsson unterscheidet, das sei hier kurz notiert, drei Möglichkeiten, wie sich ein Jahresbeginn in Ordnungsmustern ergeben kann: aus Gewohnheit, nach Festsitten, und nach astronomischen Beobachtungen. Cf. die Edition der Fasti Praenestini in Degrassi 1963, bes. die Einträge zum Januar auf S. 111.

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besonders festlichen Darstellung gefeiert (1.81 f.): iamque novi praeeunt fasces, nova purpura fulget, / et nova conspicuum pondera sentit ebur („und schon gehen die neuen Rutenbündel voran, das neue Purpur glänzt und das strahlende Elfenbein fühlt neues Gewicht“) – die fasces, die purpurverbrämte Toga sowie die sella curulis gelten an dieser Stelle als die Zeichen des neuen Jahres. Aus dem Vergleich dieser beiden Verspaare und der ihnen zugrunde liegenden Ritualpraxis wird deutlich, dass die Semantisierung von Zeitpunkten des Jahres stets einem Wandel unterworfen ist und die ursprünglichen Ordnungsmuster in den geschaffenen Zeichen sichtbar bleiben. Die Fasti dokumentieren diese sich überlagernden Bedeutungsschichten der zeitlichen Abbildung römischer Kultur und lassen dadurch auch die Konflikte zwischen ihnen manifest werden, lassen sie zu und begründen sie durch wechselnde kulturelle Voraussetzungen. Bei alldem sind mehrere Jahresanfänge nebeneinander nicht ungewöhnlich und für verschiedene gesellschaftliche Bereiche zu unterscheiden:59 Das rituelle Festjahr muss nicht mit dem Bauernjahr zusammenfallen, ebensowenig wie das politisch-konsularische notwendigerweise mit dem der Hirten kongruiert. Die Notizen in den Kalendern aus Praeneste und vom Esquilin zum 21. April, also zum Hirtenfest der Parilia und Geburtsfest Roms, zeigen das an: annus pastoricius incipit („das Hirtenjahr beginnt“).60 Mehrere Ordnungsmuster des Jahres können durchaus miteinander konkurrieren,61 und das ist ein wichtiges Thema der Fasti. Der Amtsantritt der Konsuln ist nicht inhärent mit dem Jahresanfang verbunden, auch wenn die eponymen Konsullisten der römischen Zeitrechnung das glauben machen und es auch in Ovids erstem Buch durchaus so wirken mag. Der astronomisch berechnete Umschlagpunkt der Wintersonnenwende am 21. Dezember, dem der 1. Januar zumindest sehr nahe liegt, ist letztlich der Grund für den Anfangspunkt des Jahres im Januar – im ersten Buch der Fasti thematisiert dies allerdings erst die Unterhaltung mit Janus rund 70 Verse später (1.149–64), auf die ich in Kap. 3.2.1 f. ausführlich zu sprechen komme. Ein letzter Hinweis auf den ursprünglichen Jahresbeginn im März steckt in den Monatsnamen selbst, wie das Distichon 3.149 f. es konzise zusammenfasst: denique quintus ab hoc fuerat Quintilis, et inde / incipit a numero nomina quisquis habet („schließlich war der fünfte Monat ab da [sc. ab dem März] der ‚Quintilis‘, und von da zählt man die Monate, die ihren Namen von der Zahl haben“). Der teilweise oben zitierte Passus zu den beiden Reformen des Numa und des Julius Caesar beschließt in den Versen 151–66 den langen Abschnitt zur Kalenderkonstitution. Für den weiteren Verlauf meiner Arbeit wie auch für die Fasti als poetischer 59

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So auch Degrassi 1963, 316 (auf Latein): „Anno Romano tria principia fuisse tradit Lydus (De mens. 3.22), unum sacerdotale (d. 1 Ian.), alterum patrium (d. 1. Mart.), tertium cyclicum et politicum (d. 1 Sept.) ad indictiones pertinens.“ Zu diesem Fest und seinen Erklärungen, s. Beard 1987. Cf. Fantham 1998, ad 4.775 zum Beginn des Hirtenjahres an den Parilia. Cf. Wolkenhauer 2011, 161: „Jeder Kalender lässt sich als Kompromiss zwischen ,natürlicher‘ Ordnung und kulturellen Bedürfnissen verstehen.“

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Text liefert dieser Passus das zentrale Wissen über die Geschichte des Kalenders, die in kulturgeschichtliche Überlegungen eingebettet und nach der Leitunterscheidung des Textes (Militär vs. Kultur) bewertet wird. Sie steht jedoch auch für sich als eine der Passagen, die die Fasti als antiquarischen Text ausweisen, der genuin am Wissensgegenstand und seiner Vermittlung interessiert ist.

3.1.5

Die Namen der Monate und ihre paarweise Anordnung

Der Bezugspunkt Ovids für die Darstellung der Anordnung der Monate im Jahr in den Versen Fasti 1.27–44 sowie für die dort stehende und in seinem Text noch öfter diskutierte Herleitung der Monatsnamen ist in Varros stoisch-etymologischem Traktat De lingua Latina zu finden, der sich in einigen Abschnitten des sechsten Buches dem Thema der Namen des römischen Kalenders und seiner Feste widmet.62 Sogar das Verb constituere für die Ordnung des Jahres in Vers 27 (tempora digereret cum conditor urbis, in anno / constituit menses quinque bis esse suo) ist wohl aus Varro genommen: Dort als Handlungsverb zu Romulus verwendet, ist das Wort im folgenden Abschnitt bei Varro Prädikat für die Kalenderkonstitution der antiqui (6.33):63 quod ad singulorum dierum vocabula pertinet dixi. mensium nomina sunt aperta fere, si a Martio, ut antiqui constituerunt, numeres, nam primus a Marte. secundus, ut Fulvius scribit et Iunius, a Venere, quod ea sit Ἀφροδίτη; cuius nomen ego antiquis litteris quod nusquam inveni, magis puto dictum, quod ver omnia aperit, Aprilem. tertius a maioribus Maius, quartus a iunioribus dictus Iunius. dehinc quintus Quintilis et sic deinceps usque ad Decembrem, a numero. ad hos qui additi, prior a principe deo Ianuarius appellatus; posterior, ut idem dicunt scriptores, ab diis inferis Februarius appellatus, quod tum his parentetur. ego magis arbitror Februarium a die februato, quod tum februatur populus, id est Lupercis nudis lustratur antiquum oppidum Palatinum gregibus humanis cinctum. Ich habe gesagt, was zu den Wörtern einzelner Tage gehört. Die Namen der Monate sind zumeist leicht zu deuten, wenn man sie vom März zählt, wie die Alten es einrichteten, denn der erste ist von ‚Mars‘ abgeleitet. Der zweite, wie Fulvius [sc. Nobilior] und Iunius [sc. Gracchanus] schreiben, von Venus, weil sie ‚Aphrodite‘ sei; weil ich deren Namen in den alten Schriften nirgends gefunden habe, glaube ich eher, dass die Benennung ‚April‘ daher kommt, weil der Frühling alles ‚öffnet‘. Der dritte Monat wird nach den ‚Vorfahren‘ [maiores] ‚Mai‘ genannt, der vierte nach 62. Zu Varros Zeitbegriffen im sechsten Buch von De lingua Latina, s. Wolkenhauer 2012, 173 f. 63. Varro greift vermutlich auf den Kalender des Fulvius Nobilior zurück (fr. 1 Funaioli): duos primos a parentibus suis nominasse [sc. Romulum], Martium a Marte patre, Aprilem ab Aphrodite id est Venere [...], proximas duos a populo, Maius a maioribus natu, Iunium a iunioribus. Cf. Hübner 1999, 541.

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den ‚Jüngeren‘ [iuniores] ‚Juni’. Danach kommt als fünfter der ‚Quintilis’ und darauf geht es in dieser Weise, nach der Zahl benannt, weiter bis zum ‚Dezember’. Von den Monaten, die zu diesen hinzugefügt wurden, wurde der erstere nach dem Gott der Anfänge [sc. Janus] ‚Januar’ genannt, der spätere, wie die gleichen Autoren schreiben, nach den Göttern der Unterwelt ‚Februar‘; denn zu diesem Zeitpunkt wird ihnen ein Totenopfer dargebracht. Ich meine eher, dass der ‚Februar’ vom ‚Tag der Reinigung‘ abgeleitet ist, weil dann das Volk ‚gereinigt wird’ [februatur], das heißt die alte Stadt auf dem Palatin, die von menschlichen Herden gesäumt wird, von den nackten Luperci gereinigt wird.

Aus Varros Beschreibung der römischen Monatsnamen vom März an wird wiederum deutlich, dass den Römern die Diskrepanz zwischen der Namensgebung der Monate Quintilis (unser Juli) bis December, also „fünfter“ bis „zehnter“, und ihrer jeweiligen Position im Jahr an siebter und zwölfter Stelle bewusst ist. Dieser Befund gab schon in der Antike Anlass zur Theorie eines ursprünglichen Zehnmonatsjahres, auf die Varro mit ad hos qui additi auch kurz anspielt (s. bes. Kap. 3.1.4 zum ehemaligen Anfang des Jahres im März, der zu dieser Theorie führte). Von diesen zwölf trugen nach heutiger Forschungslage drei Monate theophore Namen, die aus einer Götterbezeichnung abgeleitet sind (März, Mai und Juni); Januar, Februar und April tragen individuelle, eher das Ordnungsmuster des Jahres markierenden Namen (s.u.); die anderen sechs Monate von Quintilis bis December haben Zahlennamen. Die einzelnen Etymologien in chronologischer Reihenfolge: Martius (sc. mensis [„Monat“] – alle römischen Monatsnamen sind Adjektivformen) wird vom Gott Mars abgeleitet. Aprilis kann nach Meinung der meisten heutigen Linguisten kein theophorer, in diesem Fall von Venus-Aphrodite abgeleiteter Name sein (zu Ovids Argumentation für diese Etymologie in Buch 4, s. Kap. 3.2.4.3), sondern ist, wie auch das von Varro genannte Verb aperire, wahrscheinlich mit der lateinischen Präposition a/ab („weg von“) in Verbindung zu bringen: ap(e)rilis hieße dann etwa „der folgende, nächste“ Monat, was zur ursprünglichen zweiten Stellung des April im römischen Kalender passt.64 Varros Vorschlag eines ‚Öffnermonats‘ spielt auf die Kraft des Frühlings an, Flora und Fauna wieder in Bewegung zu setzen. Der Monat Maius ist nach Stand der heutigen Linguistik vom gleichnamigen altrömischen Gott Maius abzuleiten, 65 der Iunius von der Göttin Juno – Varros Konstrukt eines Monatspaares, das die Generationenfolge von maiores und iuniores abbildet, ist demnach nicht haltbar. Ianuarius leitet sich von der

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Cf. de Vaan 2008, s.v. aprilis. Benveniste 1931 etwa vermutete, dass Aphrodite (über die angenommene etruskische Nebenform *apru) tatsächlich die Namensgeberin des Monats sei. Cf. Walde–Hofmann 1938, s.v. Aprilis für andere, aber vermutlich abzulehnende Ableitungen wie „Ebermonat“. Cf. auch Radke 1990, 36, Anm. 18: „Der Lage nach empfiehlt sich die Beziehung auf altlind. áparah „zweiter, folgender“, wozu auch das in den Ordinalzahlennamen Quintilis und Sextilis verwendete Suffix -ilis passt.“ Cf. Walde-Hofmann 1938, s.v. Maia.

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Poetische Entwürfe des Jahres

„Tür“ (ianua) bzw. dem ianus („Durchgangsbogen“) her,66 dem auch der Gott Janus seinen Namen verdankt – der römische Gott der Anfänge, der aber vermutlich nicht vor dem ersten Jahrhundert v. Chr. mit dem Monat und schließlich dem Jahresanfang als solchem assoziiert wurde (s. Kap. 3.2.3 für die eingehende Untersuchung dieses römisch-wissenspoetologischen Phänomens). Der Februarius ist, wie Varro richtig schreibt, nach dem februum oder Reinigungsritual benannt,67 und am ehemaligen Jahresende, als der März noch der erste Monat war, wurden diesen Ritualen zum Abschluss einer zeitlichen Phase besondere Bedeutung gegeben. Die Namensänderungen der Monate Quintilis und Sextilis zu Iulius (sc. Caesar) und Augustus zu Ehren der römischen Herrscher fanden freilich erst in bzw. nach der Entstehungszeit von De lingua Latina statt, nämlich in den Jahren 46 und 8 v. Chr. Es ist kein Zufall, wenn Varro das Römische in der Entscheidung zwischen mehrfachen Erklärungen für ein Phänomen oder einen Namen die römische Variante wählt. In unserer Passage nimmt er zwei markierte eigene Wertungen vor (magis puto, ego magis arbitror), was in seinem Traktat insgesamt selten geschieht; denn der antiquarische Gestus ist es meist, alle verfügbaren, aus der römischen Vorzeit stammenden Zeugnisse zu einem Phänomen zu sammeln, was dessen Relevanz in einer avisierten Konstitution der römischen Identität steigern soll. Umso mehr lassen diese eigenen Urteile vermuten, dass an den Monatsnamen ein Grundgerüst der römischen Kultur skizziert wird: Mars ist der Stammvater der Römer und steht für die militärische Ausrichtung und Expansion des Weltreiches; die Ableitung vom griechischen Götternamen Aphrodite wird abgelehnt und stattdessen ein lateinisches Verb (aperire) als Wortstamm gewählt. Die beiden Kalenderkommentare des Fulvius Nobilior (Konsul 189 v. Chr.) 68 und des Iunius Gracchanus (geboren um die Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.), 69 die eine Etymologie von Venus-Aphrodite favorisierten, legten zur Erklärung dieser beiden Monatsnamen vermutlich eine der beiden folgenden Interpretationen zugrunde: 66

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Nach Radke 1990, 99 ist die Herleitung des Monatsnamens Ianuarius von der „Tür“ (ianus, ianua) richtig, die vom Gott Janus falsch. Er verweist auf M. Lehmann, Lateinische Laut- und Formenlehre 1977, 297, laut dem „mit -ārius denominative Adjektiva nur von Sachbezeichnungen“ und nicht von Namen gebildet seien - Ianuarius kann also als „Eingangsmonat“ gelten. Mit der gleichen These und Referenz argumentiert Radke 1993, 129. Cf. die Etymologie bei Verrius Flaccus apud Festus, De verborum significatu (S. 75.23 f. Lindsay): Februarius mensis dictum quod tum, id est extremo mense anni populus februaretur, id est lustraretur ac purgaretur. Fulvius, der Mäzen des Dichters Ennius, war der Erbauer des Tempels Herculis Musarum, in dem ein Kalenderexemplar, oder besser das erste greifbare Paar von fasti consulares und fasti anni aufgestellt wurde, letztere mit einem Kommentar; s. dazu Rüpke 2006. Iunius verfasste ein Werk De potestatibus in sieben Büchern, von römischen Autoren auch commentarii/-ius genannt. Iunius wird bei Varro, Censorinus und Macrobius immer zusammen mit Fulvius genannt, weshalb man von Iunius’ Abhängigkeit von diesem in Kalenderfragen ausgeht: vgl. Wissowa, RE, s.v. Iunius (68).

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Entweder wurde eine genealogische Konstruktion des vormals ersten Monatspaares gewählt, insofern Mars und Venus als Stammeltern der Römer eine gepaarte Stellung auch in der Zeitordnung zukomme, oder es steht die letztlich auf Homer zurückgehende, auch etwa bei Lukrez greifbare (De rerum natura 1.31–40) empedokleische Allegorese und Gegenüberstellung der beiden Götter als Prinzipien von Krieg/Streit (νεῖκος) und Liebe (ἔρως) im Hintergrund.70 Mai und Juni als Monatspaar geben nach De lingua Latina eine traditionsbewusste Ausrichtung der Kultur wieder, in der die mores maiorum („Sitten der Vorfahren“) von den jüngeren Generationen bewahrt werden. Die Namen des Januars und Februars werden von Varro als religiös und rituell ausgerichtet verstanden: Janus ist ein genuin römischer Gott und gibt dem Jahresanfang ebenfalls eine identitätsstiftende Prägung; der Februar ist über die angehängte Beschreibung des Lupercalienfestes, das seinerseits ein altes römisches Ritual bewahrt, als Reinigungsmonat charakterisiert. Angesichts Varros deutlicher Stellungnahme in der Beurteilung über die Namen der Monate gegenüber anderen Autoren (ut Fulvius scribit et Iunius; ut idem dicunt scriptores) ist umso überraschender, dass an anderer Stelle im Werk Varros eine abweichende Erklärung der Namen von Mai und Juni steht. Die oben zitierte Erklärung nach den Volksgruppen wird in den Antiquitates zurückgewiesen (Cens. De die nat. 22.10-12 = Ant. rer. hum. fr. 17.1 Mirsch):71 Varro autem Romanos a Latinis nomina mensum accepisse arbitratus auctores eorum antiquiores quam urbem fuisse satis argute docet. itaque Martium mensem a Marte quidem nominatum credit, non quia Romuli fuerit pater, sed quod gens Latina bellicosa; Aprilem autem non ab Aphrodite, sed ab aperiendo, quod tunc ferme cuncta gignantur et nascendi claustra aperiat natura; Maium vero non a maioribus, sed a Maia nomen accepisse, quod eo mense tam Romae quam antea in

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Siehe nur Lukrez’ Verse 31–34 (an Venus gerichtet): nam tu sola potes tranquilla pace iuvare / mortalis, quoniam belli fera moenera Mavors / armipotens regit, in gremium qui saepe tuum se/ reiicit aeterno devictus vulnere amoris. Cf. Hübner 1999, 545 für die Deutung des Paares als eine der vielen Formen von Strukturbildung verschiedener Gottheiten, zu der der griechische Polytheismus und in seiner Nachfolge das römische Götterpanoptikum öfter Anlass geben. Walter Burkert hat gezeigt, daß die berühmte, in der Odyssee erzählte Geschichte vom Ehebruch der Aphrodite mit Ares auf eine Kultgemeinschaft dieser beiden Gottheiten zurückgeht (Hom. Od. 8.266–343; Hübner zitiert dazu 1960). Demodokos zweites Lied vor Odysseus beinhaltete schon eine mögliche Allegorese von Mars als neikos und Aphrodite als philia; s. dazu auch Feeney 1991, 67, Anm. 32. Als „Keimzelle“ der kalendarischen Paarung von Mars und Venus bei Ovid, der dies an mehren Stellen der Fasti aufnimmt, sieht Hübner (1999, 548) zu Recht Ars 1.405 f. wo es um die beste Zeit für die Schürzenjagd geht, also eine deutliche „erotische Färbung“ herrsche: sive dies suberit natalis, sive Kalendae, / quas Venerem Marti continuasse iuvat, Und in der Tat ist die Ähnlichkeit zu Fasti 4.129 f. groß: et formosa Venus formoso tempore digna est / utque solet, Marti continuata suo est. Zur Stelle und zu den Unterschieden gegenüber LL 6.33, s. Stok 1989, 69–72.

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Poetische Entwürfe des Jahres Latio res divina Maiae fit; Iunium quoque a Iunone potius, quam iunioribus, quod illo mense maxime Iunoni honores habentur. Varro aber, der glaubte dass die Römer die Monatsnamen von den Latinern übernommen haben, lehrt sehr scharfsinnig, dass ihre Urheber älter waren als die Stadt. Deshalb glaubt er, dass der März zwar nach Mars benannt wurde, allein nicht weil er der Vater des Romulus war, sondern weil das Volk der Latiner kriegerisch war. Der April sei aber nicht nach Aphrodite, sondern nach dem ‚Öffnen‘ benannt, weil dann fast alles entsteht und die Natur die Schranken der Geburt öffnet. Der Mai aber habe den Namen nicht von den ‚Vorfahren‘, sondern von Maia übernommen, weil in diesem Monat damals in Rom, wie zuvor in Latium ein Kult für Maia bestand. Auch der Juni eher von Juno als von den ‚Jüngeren‘, weil in diesem Monat vornehmlich die Ehrenfeste für Juno abgehalten werden.

Außerdem fällt der Zusatz zum März auf: Es wird eher ‚ethnologisch‘ als genealogisch argumentiert, also eher wie bei Livius (und Verrius Flaccus)72 als bei Ovid, der Romulus’ Setzung des März zu Ehren seines Vaters Mars beschreibt.73 In den Fasti wird nämlich neben der Gegenüberstellung verschiedener Ordnungsmuster des Jahres, die an die Dichotomie der ersten Kalenderarchegeten und an das Konzept einer Kulturentwicklung geknüpft ist, schon in der Anfangsvignette des ersten Buches (s. Kap. 3.1.1) notiert, dass die kalendarische Zeitkonstruktion der Römer von Anbeginn auch eine genealogische gewesen sei, also eine Konstruktion, die von einer Herrscherlinie ausgehend Kontinuität und Gemeinschaft stiftete (1.39 f.): Romulus stellte seinen Vater Mars an den Anfang des Jahres, und der in seinem ‚primitiven‘ Jahresmodell noch zweite Monat April sei auf Venus-Aphrodite zurückzuführen, die mythische Mutter des Trojaners Aeneas. Der Vers 40 mit seiner chiastischen Stellung gegenüber Vers 39 und drei Pronomen unterstreicht die engen Verwandtschaftsverhältnisse (Martis erat primus mensis, Venerisque secundus; / haec generis princeps, ipsius ille pater). Diese Logik der Monatsstellung wird in den Versen 3.73–6 zu Mars als Vater des Romulus und dann in 4.19–130 ausführlicher dargelegt – die letztere ist eine Passage, die u.a. eine mythische Herleitung der Römer von Venus enthält, die als Gattin des Anchises und über die Genealogie der Albanerkönige die Urmutter der Gründerzwillinge gewesen sein soll. Die Herrscherideologie des Augustus als bedeutendstem, wenn auch adoptiertem Vertreter des julischen Geschlechts, in der Aeneis in epischer 72

73

Cf. das Lemma bei Festus, De verborum signif. (S. 136.6-8 Lindsay): Martius, mensis initium anni fuit et in Latio et post Romam conditam, quod ea gens erat bellicosissima. Fasti 3.73-6, Romulus spricht Mars im Gebet an: ‚arbiter armorum, de cuius sanguine natus / credor et, ut credar, pignora multa dabo, / a te principium Romano dicimus anno: / primus de patrio nomine mensis erit.‘ Wie Stok (1989, 71) an Cens. 22.9 gezeigt hat, folgt das der Darstellung des Fulvius Nobilior: nomina decem mensibus antiquis Romulum fecisse Fulvius et Junius auctores sunt: et quidem duos primos a parentibus suis nominasse, Martium a Marte patre, Aprilem ab Aphrodite id est Venere, unde maiores eius oriundi dicebantur.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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Breite vorgetragen, formt letztlich dieses Erklärungskonzept der Monatsabfolge von März und April.74 Die Herleitung der Monate Mai und Juni (41) sowie Januar und Februar (43) ist wieder ganz unterschiedlich motiviert. Die der letzteren beiden wird uns wie die Etymologie des April im Folgenden noch eingehend beschäftigen.75 Numas Ordnungsmuster, das die Monate Januar und Februar an den Beginn des Jahres stellt, wird eine ganz andere Motivation zugeschrieben, die man als pietas gegenüber den Göttern (einem Gott im Besonderen: Janus) und den Ahnen bezeichnen kann: indem er nämlich „weder Janus noch die vorväterlichen Schatten überging“ (43, nec Ianum nec avitas praeterit umbras). Ovid bespricht alle Monatsnamen – zumindest die ersten sechs der erhaltenen Bücher – an den jeweiligen Buchanfängen der Fasti und richtet sich mit dieser Gliederung wohl nach den Fasti Praenestini des Verrius Flaccus (enstanden 6–9 n.Chr.) oder möglicherweise nach einem diesen Steinkalender begleitenden, aber verlorenen Traktat desselben Autors.76 Auf der Steintafel von Praeneste sind zusätzlich zu den auf allen fasti anni gängigen Ordnungselementen wie Nundinalbuchstaben, Informationen über den Rechtscharakter der Tage und Abkürzungen der jeweiligen Feste noch Kommentare in kleinerer Schrift hinzugesetzt, was das Alleinstellungsmerkmal dieses Kalenders ausmacht. Der Kommentar berichtet am 1. Januar, wo allerdings breite lacunae anzusetzen sind, nur von der Amtseinsetzung der neuen Konsuln und sieht darin den Grund für diesen Neujahrstag: ann]us no[vus] [incipit], quia eo die mag(istratus) ineunt, quod coepit [p(ost) R(omam)] c(onditam) a. DCI („das neue Jahr beginnt, weil an diesem Tag die Beamten ihr Amt antreten, was im Jahr 601 nach Gründung der Stadt [153 v.Chr.] begann“). 77 Der Beginn des Kommentars zum Februar ist verloren, für den März ist jedoch – 74

75

76

77

Nach Sueton (Iul. 6) ist die genealogische Konstruktion der Abstammung des Geschlechts der Julier von Venus schon 69 v.Chr. greifbar (Caesar spricht die laudatio funebris auf seine verstorbene Tante): ‚avitae meae Iuliae maternum genus ab regibus ortum, paternum cum diis inmortalibus coniunctum est. nam ab Anco Marcio sunt Marcii Reges, quo nomine fuit mater; a Venere Iulii, cuius gentis familia est nostra. est ergo in genere et sanctitas regum, qui plurimum inter homines pollent, et caerimonia deorum, quorum ipsi in potestate sunt reges.‘ Die Inszenierung der etymologischen Diskussionen dreier Musen zu Anfang des 5. Buches und dreier Göttinnen zu Anfang des 6. ist in der Forschung des Öfteren untersucht worden: Blank-Sangmeister 1983, Barchiesi 1991, Loehr 1996, 214–91, Forbes Mazurek 2010. Ich werde daher im Verlauf dieser Arbeit nur auf Einzelstellen dieser Passagen eingehen, aber mich nicht mit ihrer Gesamtinterpretation befassen. Facsimile, Transkription und Kommentar bei Degrassi 1963, 107-43. Zu Verrius und den Fasti Praenestini, cf. Rüpke 1995, 114-23; Wissowa in der RE, s.v. Fasti I, col. 2023 spricht bei diesen fasti von „erläuternde[n] Anmerkungen“ und „subjektive[n] Erklärungsversuche[n]“ der Monatsnamen und der Tagessiglen, der Festnamen und Festbräuche. Zu Verrius als Quelle Ovids, s. Willers 1898: Michels 1967, 6,; Bömer 1957, I, 23; auch Radke 1990, 33 f. (Anm. 130) spricht von einem Werk des Verrius De fastis, das Ovid benutzt habe. Degrassi 1963, 111.

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Poetische Entwürfe des Jahres

noch oberhalb der gewöhnlichen Liste der Kalendertage stehend – die Aussage erhalten: Martius ab Latinorum [deo bel]landi itaque apud Albanos et plerosque [p]opulos Lati[n]os idem fuit ante conditam Romam; ut a[u]tem alii cre[du]nt, quod ei sacra fiunt hoc mense („‚März‘ vom Kriegsgott der Latiner, der derselbe bei den albanischen und den meisten latinischen Völkern vor der Gründung Roms war; wie aber andere glauben, weil ihm heilige Feste in diesem Monat gefeiert werden“).78 Wie an dieser Anmerkung erkennbar ist, nutzt Verrius wie Varro und Ovid die Möglichkeit, mehrere Erklärungsversuche nebeneinander stehen zu lassen, ohne eine Entscheidung über seine Quellen zu fällen. Die Herleitung des „März“ vom Namen des Kriegsgottes liegt aber beiden Erklärungen zugrunde, die sich in ihrer stark verkürzten Aussageform inhaltlich wenig unterscheiden: Einerseits geht man von einem gemeinsamen Kriegsgott für alle Völker Latiums vor Roms Gründung aus, der Namensgeber für einen Monat („den ersten Monat aufgrund seiner Wichtigkeit“, o.ä., ist vielleicht impliziert) wurde, andererseits meint man, dass der Zeitraum, in dem ihm geopfert wurde, nach ihm benannt wurde. Ebenfalls in einer Art Kopfzeile steht die Namenserklärung für den April: [Aprilis a] V[e]n[e]r[e], quod ea cum [Anchisa iuncta mater fuit Aene]ae, regis [Latinor]um, a quo p(opulus) R(omanus) ortus e[st. alii ab ape]ri[li] q[uod]am i[n m]ense, quia fruges, flores animaliaque ac maria et terrae aperiuntur („‚April‘ von Venus, weil sie nach der Vereinigung mit Anchises die Mutter des Aeneas wurde, des Königs der Latiner, von dem das römische Volk abstammt. Andere sagen, von einem gewissen ‚Öffner‘-Monat, weil Früchte, Blumen und Tiere wie auch See und Land ‚geöffnet werden‘“). 79 Die Differenzierung der zwei Erklärungsarten ist von Varros Bemerkung schon bekannt und am Anfang des vierten Fasti-Buches Ovids in viel breiterer Ausführung wiederzufinden. Die Beschreibung der „Öffnung“ des Lebensraums im Frühling ist auch die des ersten Proöms des Lukrez (DRN 1.6–16; die Stelle werde ich ausführlich in Kap. 3.2.1 besprechen).80 Die Plausibilisierung der Benennung einer Einheit im zeitlichen Ordnungsmuster wird also möglicherweise durch ein literarisches Vorbild geliefert. Für die Monate Mai und Juni ist aus den Praenestini nichts erhalten. Die Paarung der Monate, die in den antiquarischen Texten immer wieder begegnet ist, hat auch die paarweise Anordnung der Bücher bei Ovid nach sich gezogen, die am deutlichsten in den Buchproömien wird.81 Die Namenserörterungen 78 79 80

81

Ibid., 121. Ibid., 127. Hier seien nur DRN 1.10–16 mit dem Vokabular der frühjährlichen Öffnung angeführt: nam simul ac species patefactast verna diei / et reserata viget genitabilis aura favoni, / aeriae primum volucris te, diva, tuumque / significant initum perculsae corda tua vi. Im gesamten Kap. 3.2 werde ich von solchen Stellen bei Lukrez und anderen öfters zu sprechen kommen. Herausgearbeitet wurde dies von Braun 1981, 2346–52; Miller 1980, 143 f.; Fantham 1986, 257 f.; Barchiesi 1997, 61; Hübner 1999. Cf. Pasco-Pranger 2006, 115 zu den Monaten als „Kategorien“ in den Fasti.

Die Fasti im antiquarischen Diskurs zum Kalender

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dieser Monatspaare sind komplementär gestaltet: Im Fall von Januar und Februar, wo die Erklärung der Namen weniger problematisch ist, sind zumindest die Proömien deutlich aufeinander bezogen: in beiden werden Mitglieder des Kaiserhauses (zuerst Germanicus, im zweiten Buch Augustus) gleich Göttern um Inspiration und Wohlwollen angerufen, und in beiden gibt es die poetologische Abgrenzung von kriegerischer, d.h. epischer Dichtung. 82 Zudem werden Janus und Terminus als Götter des Anfangs und des Endes eng assoziiert (s. Kap. 3.2.5). Die Gebete an Mars und Venus in den Proömien zum dritten und vierten Buch sind parallel gestaltet, und sowohl für die etymologische Erklärung des Mai als auch des Juni lässt Ovid eine Trias an weiblichen Diskutanten auflaufen – die Musen Polyhymnia, Urania, Calliope in 5.10–106 sowie Juno, Hebe, Concordia in 6.17–96. Die Ableitungen von maiores und iuniores in 5.77 f. und 6.88 ergänzen sich ebenfalls. So ist festzuhalten, dass die Ausrichtung des antiquarischen Diskurses auf die Monatspaare und die verschiedenen angebotenen Etymologien auch die Fasti strukturieren bzw. reiches Material einer Wissenspoetologie des Kalenders liefert. Ich werde auf all diese Passagen bei Ovid zurückkommen, weshalb eine zusammenhängende Darstellung des diskursiven Kontextes der Fasti, der selbst schon in vielen Aspekten eine Wissenspoetologie der Monate darstellt, mit diesem Abschnitt vorangestellt wurde. Zum Anfangspunkt des Ordnungsmusters des Jahres in der Darstellung der Fasti, die uns zu all diesen Fragen zurückführen wird, komme ich im nun folgenden Kapitel.

82

Braun 1981, 2350 f.

90 3.2

Poetische Entwürfe des Jahres annus, qui melius per ver incipiendus erat

In den römischen Texten zur Geschichte der Kalenderkonstitution tritt das Problem des Jahresanfangs immer wieder hervor. Es stellt bei den meisten Autoren einen zentralen Diskussionspunkt dar und ist ein wichtiger Teil der Frage nach der Konstruktion eines verbindlichen Ordnungsmusters. Es wird auch bei Ovid, wie wir nun schon an der Anfangsvignette der Fasti und dem Abschnitt zu den „Zeichen des März“ gesehen haben, prominent verhandelt – so prominent, dass die vier unechten Verse in der Fasti-Handschrift Vaticanus latinus 3262 aus dem elften Jahrhundert (auch Ursinianus genannt), die Ovids Text im siebten Buch fortzuführen scheinen, im Stil der echten Proömien der Fasti dieses Problem der Monatszählung und des Anfangs im neu komponierten Proöm zum mensis Quintilis (bzw. Iulius) wieder aufgreifen: si novus a Iani sacris numerabitur annus, / Quintilis falso nomine dictus erit. / si facis, ut fuerant, primas a Marte kalendas, / tempora constabunt ordine dato („wenn das neue Jahr von den Festen des Janus an gezählt wird, wird der ‚fünfte Monat‘ mit falschem Namen benannt sein. Wenn man die ersten Kalenden vom März an anordnet, wie sie es gewesen waren, werden die Zeiten in gegebener Ordnung feststehen“). Diese Verse stammen höchstwahrscheinlich nicht von Ovid,1 was auch daran ersichtlich wird, dass es in Rom keine sacra Iani am 1. Januar gab, die in den echten Fasti auch keine Rolle spielen; in Ovids Bearbeitung wird vielmehr ersichtlich, dass die Verbindung zwischen dem Jahresanfang und dem Gott der Anfänge über poetische Imagination hergestellt wird und nicht durch die Referenz auf ein rituelles Fest für Janus (s. dazu 3.2.3.4). Die Diskrepanz zwischen dem Monatsnamen Quintilis („der fünfte“) und seiner Stellung als siebter Monat wird bei Ovid am deutlichsten in den Versen 3.149 f. thematisiert und im Ursinianus an der passenden Stelle im ‚siebten Buch‘ der Fasti aufgegriffen. Dies wird wie in Ovids Text und in anderen Texten zum römischen Kalender als Indiz genommen, dass der Gestalt des Kalenders eine Variabilität, seiner Geschichte eine Dynamik innewohnt. Wie man auch an diesen Versen sehen kann, geht vom Punkt des Anfangs eine Faszination aus: Er nimmt in jedem zeitgebundenen Ablauf – und umso mehr in jedem Kreislauf, wie das Kalenderjahr einer ist – eine strukturelle Sonderstellung ein. Er ist denn auch zentraler Ort der römischen Debatte und des Nachdenkens über den ‚richtigen‘ Kalender gewesen, an den sich immer auch Überlegungen über eine wie auch immer gesetzte Zeitordnung des ganzen Kalenderjahres knüpften. Die Frage nach dem Jahresanfang bietet sich also an, um der kreativen Präsentation des Ordnungsmusters des Jahres in Ovids Text nachzugehen und die Ästhetisierung der Gestalt des Kalenders nachzuvollziehen. Die Untersuchung der Darstellung des Jahresanfangs in den Fasti wird unseren Fokus zunächst auf die

1

So etwa Peeters (1939, 75). Zum Nachleben der ovidischen Behandlung des Jahresanfangs (bes. in den Fasti sacri der Renaissance), s. Miller 2015.

annus, qui melius per ver incipiendus erat

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Gestalt und Funktion des Gottes Janus lenken, an dem zentrale poetische Verfahren und die Eigenheit der ovidischen Behandlung antiquarisch-kalendarischen Materials analysiert werden können. An der langen Passage zum ersten Januar in den Versen 1.89–284 kann auf verschiedensten Ebenen gezeigt werden, wie eine Wissenspoetologie der Fasti operiert. Meine Untersuchung wird mich tief in den antiquarischen Diskurs um Janus (und den Kalender) führen, um dann die variablen bzw. älteren Jahresanfänge im Frühling der Fasti zu beleuchten, die eng mit der literarischen Darstellung der Götter Mars und Venus verknüpft ist. Den Abschluss dieses Teils meiner Arbeit wird der Gott Terminus bilden, der als „Begrenzer“ am Ende des alten römischen Jahres steht. Ich beginne mit der Unterhaltung, die der didaktische Sprecher im ersten Buch, dem Januar-Buch, mit Janus führt.

3.2.1

Zum Jahresbeginn I: Die Poetik didaktischer Anfänge

Von der Funktion jeglicher Anfänge weiß Janus, der erste göttliche Kalendererklärer des Textes (Fasti 1.178): ‚omina principiis‘, inquit ‚inesse solent.‘ („‚den Anfängen‘, sagt er, ‚wohnen meist Vorzeichen inne‘“). Auch in literarischen Texten gehören Anfänge zu den „strategischen Orten“, den „lieux stratégiques“, wie Philippe Hamon solche Knotenpunkte nennt. 2 An ihnen wird häufig antizipiert und angekündigt, rekapituliert oder eine Grenze gezogen; hier häufen sich Motive, und die Richtung der Erzählung oder literarischen Behandlung wird bewusst gemacht. Es sind somit bevorzugte Orte literarischer Selbstreflexion. Die Fasti nehmen einen ungewöhnlich langen Anfang und beginnen auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Sprechersituationen. Der Moment des poetischen Anfangs selbst wird als problematisch ausgewiesen, da mehr als die ersten 150 Verse des Werks mit Einleitungen und Anfängen befasst sind: Das erste Buch beginnt mit einem Titel-Distichon, also der summarischen Ankündigung des Themas (Fasti 1.1 f., tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam, „Zeiten/Feste mit ihren Begründungen, wie durch das römische Jahr hindurch geordnet sind, und die unter die Erde herabgesunkenen 2

Cf. Hamon 1975, 496 in der reichhaltigen Rezension des grundlegenden Buches zur poetischen closure, Smith 1968: „il existe dans tout texte des lieux stratégiques, des articulations ou stases privilegiées, moments de scansion repérables et accessibles à la compétence textuelle du lecteur, points de disjunction ou points de blocage, points d’embrayage extratextuel ou de redondance intra-textuelle, de rétroaction ou d’anticipation (M. Riffaterre), frontières du récit (G. Genette), signaux démarcatifs d’ouverture ou de clôture de sous-ensembles textuels homogènes, balises où s’accroche la lecture, où s’ouvrent des horizons d’attente indéterminés, ou au contraire où se stocke l’information préalable et le déjà-lu. Ces lieux stratégiques, plus ou moins intuitivement reconnus comme tels, portent des noms: le titre, l’exergue, la préface, l’incipit, l’acmé, le climax, la transition, la digression, la césure, la catastrophe, la conclusion, l’épilogue, la péroraison, etc.“

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Poetische Entwürfe des Jahres

und aufgegangenen Sternbilder werde ich besingen“), vollzieht sodann die Übereignung des Werks an Germanicus (1.3–26) und wird mit der kurzen Passage zur römischen Kalenderkonstitution fortgesetzt. Danach nimmt sich der didaktische Sprecher die Präliminarien der „Tagesregeln“ (45, iura dierum), d.h. den forensischen Status der Tage vor. Diese technischen Aspekte des Kalenders sind in den Fasti insgesamt nicht von Bedeutung und werden schon an dieser Stelle abgehandelt, um, wie es in einem Selbstkommentar heißt, im folgenden Verlauf des Jahres „die Reihe der Ereignisse nicht zu zerreißen“ (62, ne seriem rerum scindere cogar).3 Das Sujet des römischen Jahres wie auch die Art seiner Vermittlung, das wird hier schon deutlich, erweist sich als so komplex, dass Einleitung und erklärende Ankündigung auf verschiedensten Ebenen notwendig sind. Darum ist dieser strategische Ort der Fasti so ausgedehnt gestaltet. Im Anschluss beginnt das Gedicht noch einmal, denn de facto startet nun die Behandlung des Jahres in den Fasti: Es folgt die Beschreibung des ersten Festes, der Amtseinführung der Konsuln am 1. Januar (71–88). In den Versen 63 f. wird zunächst eine explizite Verbindung zwischen dem außerfiktionalen Adressaten des Textes (Germanicus), dem Gedichtanfang sowie dem ersten göttlichen Patron der Fasti, nämlich Janus, hergestellt: ecce tibi faustum, Germanice, nuntiat annum / inque meo primum carmine Ianus adest („sieh, Germanicus, Janus kündigt ein glückliches Jahr an und steht in meinem Gedicht an erster Stelle“). 4 In Ovids Darstellung geschieht das nun gerade anlässlich des Jahresanfangs, des 1. Januar, sodass die beiden Ebenen des Anfangens – die des Jahres und der literarischen Behandlung – ineinander übergehen. Jahr und Gedicht verlaufen nach diesem literarischen Verfahren der Fasti immer explizit ‚simultan‘; fabula und sujet werden als gleichzeitig ablaufend vorgestellt.5 Auch in den Versen 25 f. des Proöms ist der glückliche Verlauf von Gedicht und Jahr vom Adressaten, d.h. dort noch von Germanicus selbst, abhängig: si licet et fas est, vates rege vatis habenas, / auspice te felix totus ut annus eat („wenn es recht und erlaubt ist, lenke als Seher die Zügel des Sehers, damit unter deinen Vorzeichen das ganze Jahr glücklich seinen Lauf

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Zu einem ähnlichen Selbstkommentar in Balzacs Eugenie Grandet, cf. Scheffel 1997, 57, Anm. 43 (meine Hervorh.): „Nach dem ähnlichen Muster kann der Erzähler neben einem Rückgriff auch einen Vorgriff innerhalb seiner Erzählung begründen. Vgl. [...] S. 178: ‚Pour ne point interrompre le cours des événements qui se passèrent au sein de la famille Grandet, il est nécessaire de jeter par anticipation un coup d'oeil sur les operations que le bonhomme fit à Paris par I’entremise de des Grassins.‘“ Germanicus war ein passender Adressat für den 1. Januar, wenn man Tacitus’ Bericht (Ann. 1.55.1) glauben mag: Am ersten Tag des Jahres 15 n.Chr. hat es demnach einen Beschluss gegeben, der ihm einen Triumph zuerkannte (cf. Syme 1978, 61 und HerbertBrown 1994, 185 f.) Zu Janus als der idealen Einführungsfigur für die Fasti, cf. Barchiesi 1991, 14; Green 2004, 70 f. Cf. Volk 1997.

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nehme“).6 Auch durch die Aufforderung adnue (15, wörtl. „nicke [mir] zu“) und durch die Phrase da mihi te placidum, dederis in carmina vires (17, „zeig dich mir gefällig, du wirst meinen Dichtungen Kräfte geschenkt haben“) wird dem Großneffen des Augustus in der religiös-invokativen Sprache der Vorrede die Rolle des quasi-göttlichen Patrons über das Gedicht zugewiesen, die im Text dann ab Vers 63 f. an Janus übergeben wird. Diese Kontaktorte von Text und Adressat weisen in dieser Passage stets metaleptische Figuren auf, insofern die Ebene des Schreibens und dessen Unterstützung durch Patronate auf das Sujet des Schreibens (den Zeitverlauf) zurückzuwirken scheint. Janus betritt nach dieser ersten Festbeschreibung selbst Ovids erleuchtetes Schreibzimmer (93 f., sumptis ... tabellis, lucidior ... domus, „nachdem ich die Schreibtafeln aufgenommen hatte, war das Haus heller erleuchtet“) und erklärt darauf seine Rolle im kosmischen Anfang, während der Geburt des Universums. Nach der aitiologischen Erörterung von Gestalt und Aufgabe des Gottes findet sich in diesem Abschnitt eine Gegenüberstellung zweier Positionen zum kalendarischen Anfang des Jahres. Diese fiktive Unterhaltung zeigt eindrücklich die Variabilität verschiedener Ordnungsmuster des Jahres in Ovids Text und deren literarische Motivierung; sie soll daher ausführlich analysiert werden. Ein auf natürlichen Phänomenen basiertes, agrikulturelles Ordnungsmuster der subjektiven Naturerfahrung und des Landlebens steht einem astronomischen Modell der formalen Abstraktion gegenüber. Beide Zeitkonzeptionen finden eine Stimme, nämlich durch den Sprecher der Fasti einerseits und durch Janus andererseits. Zunächst trägt der didaktische Interviewer Ovids eine Frage mit angeschlossener Argumentation für einen Frühlingsanfang des Jahres vor, die dessen längste zusammenhängende Aussage im gesamten Gedicht bilden, was mit quaesieram multis (1.161) nach der wörtlichen Rede auch reflektiert wird. Im Vergleich zu den vielen anderen an einen Gott gerichteten Reden bzw. (meist) Fragen ist sie ungewöhnlich eigenwillig, denn hier stellt der Sprecher nicht nur eine Frage, sondern formuliert eine eigene Meinung (1.149–60).7 Das verweist den Leser darauf, dass in diesen Versen ein zentraler Konflikt des Textes zur Sprache kommt. Die Antwort des Janus, die mit einem Distichon eingeleitet wird und dann selbst nur zwei Verse umfasst, verwundert umso mehr durch ihre Kürze und Bestimmtheit (161– 64). Wenden wir uns zuerst nur der langen ersten Rede zu; für einen besseren Überblick wird auch die Antwort des Janus schon zitiert (1.149–64):

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Jedes Buch der Fasti wird freilich wieder mindestens ein eigenes göttliches Patronat aufweisen und in diesem Sinne mit jedem Prolog neu beginnen und eine neue Perspektive gewinnen. Cf. Green 2004, 87.

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Poetische Entwürfe des Jahres ‚dic, age, frigoribus quare novus incipit annus, qui melius per ver incipiendus erat? omnia tunc florent, tunc est nova temporis aetas, et nova de gravido palmite gemma tumet, et modo formatis operitur frondibus arbor, prodit et in summum seminis herba solum, et tepidum volucres concentibus aera mulcent, ludit et in pratis luxuriatque pecus. tum blandi soles, ignotaque prodit hirundo et luteum celsa sub trabe figit opus: tum patitur cultus ager et renovatur aratro. haec anni novitas iure vocanda fuit.‘ quaesieram multis; non multis ille moratus contulit in versus sic sua verba duos: ‚bruma novi prima est veterisque novissima solis: principium capiunt Phoebus et annus idem.‘

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‚Sag mir bitte, warum das neue Jahr in der Kälte beginnt, das doch passender mit dem Frühling beginnen sollte. Alles blüht dann, dann beginnt der neue Lebenszyklus der Zeit, die neue Frucht schwillt vom trächtigen Ast, gerade gebildetes Laub bedeckt den Baum, das Saatengrün sprießt zur Oberfläche des Bodens. Vögel umschmeicheln mit ihrem Gesang die laue Luft, und auf den Weiden spielt und tollt das Vieh. Dann sind die Sonnenstrahlen angenehm, die dann unbekannte Schwalbe kommt hervor, und sie heftet oben unters Dach ihr Werk von Lehm. Dann fügt sich der Acker der Bebauung, und durch den Pflug wird er erneuert. Dies alles hätte man mit Recht den Neubeginn des Jahres nennen sollen.‘ Mit vielen Worten hatte ich gefragt, er hielt sich nicht mit vielen Worten auf und fügte sie auf folgende Weise in zwei Verse: ‚Die Wintersonnenwende ist der erste Tag der neuen Sonne und der letzte der alten. Phoebus und das Jahr nehmen den gleichen Anfang.‘

Der Sprecher der Fasti beschreibt in seinem Plädoyer (cf. iure in Vers 160 als Indikator des juristischen Tons dieser Rede) für einen Jahresanfang im Frühling natürliche Ereignisse und deren Wahrnehmung. Hier werde ein zeitlicher Zyklus sicht- und fühlbar erneuert und solle darum auch der Anfangspunkt des Jahres genannt werden. Immer wieder wird die „Neuheit“ der Jahreszeit und ihrer charakteristischen Phänomene angesprochen: Die Attributionen in novus ... annus (149), nova ... aetas und nova ... gemma (jeweils Vers 151 und 152) haben ebenso wie ager ... renovatur (159) die Funktion, den Frühling als einen solchen Anfangspunkt auszuweisen. Im letzten Vers haec anni novitas iure vocanda fuit (160) wird diese Redeabsicht noch einmal klar formuliert. Das Hervorkommen von Gras oder Saatgrün wie auch das neuerliche Auftauchen der Schwalbe (prodit, 154 und 157) und die frisch gebildeten Blätter eines Baumes (153 modo formatis ... frondibus) weisen in dieselbe Richtung. Die Teilnahme an der belebten Natur und die Beobachtungen aus Flora und Fauna, die hier zur Sprache kommen, sind die des landbauenden Menschen, der auf Pflanzenwachstum (151–4) und Tierleben (bes. 156,

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pecus) achtet und auf diese angewiesen ist. Aus der Wahrnehmung dieser Ereignisse leitet er seine Zeiterfahrung ab, denn die natürlichen Phänomene weisen ihm seine Tätigkeiten (159 tum patitur cultus ager et renovatur aratro). Die elaborierte Rede über die „Neuheit“ des Jahres im Frühling besteht vornehmlich aus einer Reihe von konkreten Bildern und Naturbeobachtungen, die untereinander schlicht mit et verbunden sind. Die Unmittelbarkeit der Naturerfahrung, das eher unreflektierte Erleben der Phänomene kommt so zum Ausdruck. Für den Bauern wie auch für den Sprecher des Frühlingsplädoyers in den Fasti, der dessen Perspektive einnimmt, zählen subjektive Teilnahme an der Natur und Eingliederung des eigenen Tuns in ihren zeitlichen Ablauf. Phänomene des Wetters und der Lebewesen werden zu markanten Punkten, um Orientierung in der Zeit zu gewährleisten. Ein eher intuitives agrikulturelles Ordnungsmuster des Jahres, wie es hier vorliegt, wird als zyklisch wiederkehrende Größe aus zuverlässig auftretenden, aber nicht an festen Daten zu fixierenden Naturbeobachtungen abgeleitet. Diese zeitliche Struktur fokussiert zyklische Erneuerung und den Übergang von einem Zustand in einen anderen, hier vom Winter zum Frühling als der nächsten Phase mit ihren besonders auffälligen Veränderungen, die für den Beobachter einen Anfangspunkt markieren. Laut Bernhard Waldenfels wird eine „archaische Ordnungsgrenze“ des der Natur unterworfenen Menschen überschritten, wo die Reflexion neue „(Ordnungs-)Prinzipien“ erzeugt – das geschieht, wenn er bei Stabilität anderer äußerer Faktoren den „natürlichen Rhythmen wie Tag und Nacht, Jahreszeiten und Klimaschwankungen“ ausgesetzt ist.8 Genau diese Reflexion und Erzeugung von Ordnungsmustern scheinen solche Stellen der Fasti anzusprechen.9 In den poetisch-rhetorischen Traditionen sind solche Passagen als ‚Lob des Frühlings‘ (laus veris) bekannt.10 Elemente dieser Ekphrasis einer Jahreszeit, die 8 9

10

Waldenfels 2010, 10 f. Cf. Graf 1997, 14: Kalender in schriftloser und Schriftgesellschaft:] „Immer ist der Kalender eine Abfolge erlebten Tuns. Wobei wir den Gegensatz zwischen solcher Zeiterfahrung und unserem abstrakten Kalender nicht verabsolutieren dürfen: natürlich existiert auch für uns ein solcher handlungsbestimmter Kalender . ... Der Unterschied zur nichtliterarischen Gesellschaft liegt wohl darin, daß wir diese erlebten Handlungen automatisch auf das abstrakte Kalenderschema in unseren Köpfen auftragen“; sowie Scullard 1981, 42: „[...] it is well to remember that the Roman farmers would not feel much change at the end of December, since the real break in the agricultural year came in March after a period of comparative rest, as the March festivals show. On the other hand, in the later Republic, the city-dweller would be more conscious that public life was astir from 1 January.“ Zu diesem „natural subject of poetry, which draws on universal experience“, cf. Nisbet & Hubbard ad Hor. Carm. 1.4 a.A. (S. 58 f.). Cf. auch Kenney 1965, 43 zu Ovids Trist. 3.12 und Horaz’ Frühlingsoden 1.4 und 4.7. Eine umfassende Studie zu den antiken Frühlingsgedichten bietet Garofeanu (Diss. 2008). Bömer ad Fasti 1.151 sammelt einige Stellen in Ovids Werk: Ovid preist den Frühling wiederholt, nicht immer steht er allerdings auch bei ihm Pate für den Gedichtanfang wie in Trist. 3.12 (Frigora iam Zephyri minuunt).

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ins rhetorische Inventar gehört und in der antiken Dichtung häufig Verwendung findet, sind die Schwalbe, der Westwind (Zephyrus oder Favonius), ruhige See und, damit einhergehend, beginnender Schiffsverkehr, Blumen und Wiedererwachen der Natur. In lateinischer Dichtung sind besonders Catull 46 (Iam ver egelidos refert tepores) sowie Horaz’ Carmina 1.4 (Solvitur acris hiems), 4.7 (Diffugere nives) und 4.12 (Iam veris comites) zu nennen – in all diesen Gedichten leitet der Frühling den Text ein und leiht ihm Bilder für die erste Textbewegung. In den Fasti stehen diese laudes außerdem noch in den Versen 3.235–42 und 4.125–32, also in den späteren Monaten März und April. Die dreimalige Behandlung des Frühlings in einem Text und an abweichenden Punkten des Kalenderjahres deute ich als signifikant, und komme auf diese Passagen im Verlauf des Kapitels noch detailliert zu sprechen. Betrachten wir diese Stellungnahme in den Fasti nun eingehender aus einer poetischen und literaturgeschichtlichen Perspektive, also besonders auch in Auseinandersetzung mit Ovids literarischen Vorgängern. Die Verse des Interviewers darüber, wie das Jahr beginnen sollte (annus ... incipiendus erat), implizieren auch eine ästhetische Präferenz: Liest man die Passage zum Jahresanfang im Frühling auf ihr metapoetisches Potential hin, d.h. auf ihre Aussagekraft als Dichtung über das Dichten, dann kann man die Debatte über den Jahresanfang auch als ästhetische Debatte über den Anfang von (Lehr-)Gedichten verstehen.11 Die folgenden Bemerkungen hängen somit von der These ab, dass Ovid hier neben der eigentlichen kalendarischen Frage auch die implizite poetische Frage nach dem Anfang(en) aufnehme.12 Die unausgesprochene Rezeption von und Auseinandersetzung mit Vorgängertexten ist Teil der „immanenten Literaturgeschichte“, einem Konzept der literaturinternen und meist impliziten Verhandlung der eigenen Position von Texten in der Literaturgeschichte, das für die römische Literatur in der Forschung formuliert worden ist.13 Die intertextuelle Lektüremethode macht in der latinistischen For-

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Zu dieser Doppelung und den (tempora) prima, verstanden sowohl als erster Jahresteil als auch als Beginn von Ovids Fasti, cf. Hinds 1999, 59, Anm. 21, mit Verweis auf 3.98 tempora prima und OLD s.v. primus 9b, „the first part of (a literary work, etc.).“ Ich schließe damit an eine Fußnote aus Philip Hardies Besprechung der gesamten Janus-Episode an (Hardie 1991, 50, Anm. 6): „The ecphrasis of spring seems disproportionate for the context. Is Ovid making a point that this is not going to be a poem beginning in spring, as Lucretius’ and Virgil’s didactic poems do?“ Stephen Hinds (2002, 129 f.) hat eine ähnliche Beobachtung zu einer Stelle in den Metamorphosen (bes. 2.445–8) gemacht, wo Ovid die rhetorische Technik der laudes loci in den narrativen Plot eingebaut habe – ähnlich verhält es sich m.E. in der Anrede an Janus mit dem rhetorischen Motiv des Frühlingslobes, der laus veris. Cf. dazu Schmidt 2000 und Schwindt 2001.

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schung zumeist von diesem Konzept Gebrauch, sofern sie nicht eine bloße Ansammlung von Parallelstellen bieten will.14 Ovids Text wird auf zwei Ebenen gleichzeitig lesbar, wenn man diese Voraussetzung akzeptiert; man kann von einem poetischen Stellvertreterverhältnis sprechen, dem seine Nicht-Hierarchizität wesentlich eingeschrieben ist. Denn in dieser Perspektive wird die Auseinandersetzung mit der poetischen Tradition Träger (in der Metapherntheorie ‚Vehikel‘ genannt) für die Sachdiskussion des Jahresanfangs (‚Tenor‘) – wie auch umgekehrt das Sujet des Kalenders als Träger für den Rückgriff auf und die Positionierung im Feld der didaktischen Anfänge gesehen werden kann. 15 Lukrez und Vergil haben die beiden anderen großen didaktischen Gedichte in lateinischer Sprache verfasst und dabei Maßstäbe vorgegeben, sowohl epistemologische (wie kann Wissen erworben und vermittelt werden?) als auch ästhetische (welche poetischen Formen sind dazu angemessen?).16 In Lukrez’ De rerum natura steht der Anfang des Gedichts, in diesem Fall wirklich dessen erste Zeilen, in der Tradition der laus veris. Das Gedicht nimmt seinen Anfang mit einem Gesang über das lebensspendende Prinzip der Göttin Venus (DRN 1.1, Aeneadum genetrix, „Schöpferin der Aeneaden“), die als treibende Kraft von Liebe, Fortpflanzung und epikureischer voluptas angerufen wird.17 Sie wird mit schönem Wetter und der frühjährlichen Öffnung von Himmel und Gemütern assoziiert (1.6–16):

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Beispiele einer methodisch reflektierten Intertextualitätsforschung, die über die Beobachtung einer bloßen arte allusiva hinausgeht, sind Barchiesi 1984 (engl. 2015), Farrell 1991, Hinds 1998. Cf. Hinds 1998, Kap. 1.3 „Reversing the trope“, 10–16, bes. 13 zum Verhältnis von Vergil und Ennius: „Here, then, is one strikingly metapoetic way of reading the figural relationship in this intertextual nexus: the landscape of ancient Italy serves to metaphorize a literary encounter between the poet of the Aeneid and his archaic predecessor in the Roman epic tradition. However, [...] a more orthodox decorum of narrative representation might reasonably take the opposite approach: that is, it would treat primordial landscape as the tenor (or primary field of signification) and the poetic tradition as the vehicle (or secondary field), not vice versa. Two ways of reading the allusion: which is to be preferred? Aeneas’ intervention in an ancient Italian landscape as a metaphor for Virgil's intervention in archaic Roman poetry, or Virgil's intervention in archaic Roman poetry as a metaphor for Aeneas’ intervention in an ancient Italian landscape? The best answer, perhaps, will be one which refuses to treat the choice as a disjunctive one. The richest reading of the passage [...] is surely one which can admit the possibility of proceeding in both these directions simultaneously.“ Ähnlich, aber noch weiter gefasst, Fowler 2000, 30 (= Fowler 1994, 252): „Surrogacy cannot be restricted to a one way process. Seeing the world in terms of poetics, of readers, works, and poets, inevitably involves seeing the components of fictional creation in terms of the world.“ S. auch Kap. 2.3 zu den Fasti als Lehrdichtung. Cf. die Besprechung dieser allegorischen Interpretation von Lukrez’ Passage in Bailey 1966, ii.589–91, der für einen Blick auf Venus als „creative power of nature“ in diesen einleitenden Versen argumentiert und Lukrez’ Aufnahme einer „more concrete and

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Poetische Entwürfe des Jahres te, dea, te fugiunt venti, te nubila caeli adventumque tuum, tibi suavis daedala tellus summittit flores, tibi rident aequora ponti placatumque nitet diffuso lumine caelum. nam simul ac species patefactast verna diei et reserata viget genitabilis aura favoni, aeriae primum volucris te, diva, tuumque significant initum perculsae corda tua vi. inde ferae pecudes persultant pabula laeta et rapidos tranant amnis: ita capta lepore te sequitur cupide quo quamque inducere pergis.

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Dich, Göttin, dich fliehen die Winde, dich die dunklen Wolken des Himmels und deine Ankunft; für dich bringt die geschickte Erde süße Blumen hervor, für dich lacht der Wasserspiegel des Meeres und glänzt der befriedete Himmel mit weit verströmtem Licht. Denn sobald der frühlingshafte Anblick des Tages eröffnet ist und die entriegelte Brise des fruchtbaren Westwinds erstarkt, zeigen die Vögel der Luft, getroffen im Herz von deiner Macht, als erstes dich an, Göttin, und deinen Eintritt. Dann springt das wilde Vieh auf saftigen Wiesen und schwimmt durch reißende Ströme: so gefangen von deiner Anmut folgt man dir begierig, wohin auch immer du anzuleiten dich anschickst.

Der Anfang von De rerum natura beschreibt den Lebensraum aller Kreaturen – Himmel, Erde, Wasser – und eröffnet so auch den Raum des Textes. Die Bewegung innerhalb dieses Raumes geht von Venus, der personifizierten Lebenskraft und Begierde aus; alles Leben strebt zu ihr hin (8, tibi ... summittit; 13 f., te significant; 16, te sequitur). Am Anfang des vierten Buchs der Fasti, im Dialog mit der Göttin, steht ein deutlicher Bezug auf diese Stelle (4.5 f.): risit [sc. Venus] et aether / protinus ex illa parte serenus erat („sie lächelte, und gleich heiterte sich der Himmel von jener Seite her auf“).18 Der Frühling in Lukrez’ Anfangspassage wird durch die „Ankunft“ (7, adventum), den „Eintritt“ (13, initum) der Göttin in die Welt eingeleitet und mit ihm gleichgesetzt, ohne dass es um Jahreszeiten an sich ginge. Jedes ‚Lob des Frühlings‘ enthält ein Moment der Veränderung in einen anderen Zustand, der jedoch nicht immer im Hinblick auf ein Zeitkonzept beschrieben wird wie in der Fasti-Passage mit ihrem Verweis auf die anni novitas.

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conventional idea“ (cf. ii.590) aus der Mythologie in der späteren, an Memmius adressierten Passage (DRN 1.26–40) sieht. S. dazu Kap. 3.2.4.3. Außerdem ist die Wiederaufnahme der Referenz im Venus-Hymnus des vierten Buchs der Fasti (91–130) zu beachten, bes. die Verse 91–100: illa quidem totum dignissima temperat orbem, / illa tenet nullo regna minora deo, / iuraque dat caelo, terrae, natalibus undis, / perque suos initus continet omne genus. / illa deos omnes (longum est numerare) creavit, / illa satis causas arboribusque dedit, / illa rudes animos hominum contraxit in unum, / et docuit iungi cum pare quemque sua. / quid genus omne creat volucrum, nisi blanda voluptas? /nec coeant pecudes, si levis absit amor. Zum Venus-Hymnus komme ich in Kap. 4.5 zurück.

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Die Parallelen zu Ovids Passage in diesem Werkanfang bei Lukrez sind besonders in der Behandlung der Tierwelt zu finden (DRN 1.12–5), die sich an die Beschreibung des Wetters anschließt.19 Die Zeit des Frühlings wird bei Lukrez allein durch eine Eröffnung des Raums und beginnende Bewegung in diesem Raum greifbar gemacht: indem erst die einebnende Ruhe der Natur beschrieben wird, nachdem sich die Winde gelegt haben (6), das Meer sich beruhigt hat (8) und der Himmel klar geworden ist (9),20 und darauf dann die Lebendigkeit der Natur folgt. species patefactast verna diei (10) steht emblematisch für die erste Bewegung von De rerum natura – als würde sich die Dichtung eine blanke Leinwand aufstellen, um auf ihr zu malen.21 Der Fokus liegt auf einer „geöffneten“ oder „enthüllten, entriegelten“ (patefacta und reserata in 10 und 11) Verfassung des Raums. Diese Öffnungsbewegung fehlt in Ovids Diskussion des Jahresanfangs, wo der Frühling einen Neueinstieg in den saisonalen Zeitkreis markiert. In den Fasti übernimmt diese bildhafte, ja performative Öffnung des Textraums – das sei hier vorweggenommen – der Gott der Türen und Tore, Janus. Der zweite große didaktische Text in lateinischer Sprache, Vergils Georgica, nimmt seinen Anfang ebenfalls im Frühling. Der Wechsel der Jahreszeiten und des Wetters sowie die Aufgaben des Bauern in Harmonie mit den Zeichen der Natur sind das Thema des Gedichts, an das sich Ovids Text in der Rede zum Jahresanfang eng anlehnt; die subjektive Zeiterfahrung und das Aufmerken auf Phänomene 19

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Ovid formuliert seinerseits im Gebet an Ceres und Tellus an den Feriae Sementivae die Bitte um „Öffnung“ des Himmels (1.681 f.): cum serimus, caelum ventis aperite serenis; / cum latet, aetheria spargite semen aqua, ohne dass man hier auch von einer echten Öffnungsbewegung sprechen könnte. Für ein weiteres Frühlingslob bei Lukrez, das ebenso in die laudes der Fasti eingeflossen ist (ähnliches Vokabular ist hervorgehoben), s. DRN 1.256–61: frondiferasque novis avibus canere undique silvas, / hinc fessae pecudes pinguis per pabula laeta / corpora deponunt et candens lacteus umor / uberibus manat distentis, hinc nova proles / artubus infirmis teneras lasciva per herbas / ludit lacte mero mentes perculsa novellas. Auch da ist zu sehen: Die nova proles mag Inspiration für Ovids Frühlingsplädoyer und dessen Augenmerk auf novitas gewesen sein. Ein weiteres Proöm des Lukrez, das Öffnung und Aufdeckung und entsprechende Bilder von heiterem Wetter enthält, die unserer Passage in DRN 1 nahekommen, ist der Anruf Epikurs in Buch 3: Cf. bes. 18–22 apparet divum numen sedesque quietae, / quas neque concutiunt venti nec nubila nimbis / aspergunt neque nix acri concreta pruina / cana cadens violat semper[que] innubilus aether / integit et large diffuso lumine ridet und 28–30 his ibi me rebus quaedam divina voluptas / percipit atque horror, quod sic natura tua vi / tam manifesta patens ex omni parte retecta est. Für den Hinweis auf die Parallele danke ich Joshua Hartman. In dieser Hinsicht, als Verweis auf künstlerisches Potential, ist vielleicht auch die daedala tellus in Vers 7 zu lesen. Cf. Farrell 2007, 82 zu „opening and closural devices“ in DRN: „the ‚Hymn to Venus‘ in Book 1, with its powerful emphasis on creativity, ultimately gives way to the idea that the earth is nearing the end of its creative period, the note sounded at the end of Book 2.“

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der Natur – von dem ein intuitives, agrikulturelles Ordnungsmuster des Jahres abgeleitet wird – sind genuin ‚georgisch‘. Besonders im stark von Hesiods Lehrgedicht Erga kai Hemerai geprägten – also „Werke und Tage“ betreffenden – ersten Buch der Georgica ist dieses Thema zentral; so liest man dort von den Aufgaben des Landmanns im saisonalen Zyklus, etwa in Vers 1.43 bzw. den Versen 63–70 (wann man pflügen soll), 204–30 (wann man pflügen und säen soll), 257–310 (was im Winter, der Nacht und an Feiertagen zu tun ist). 22 Dem Lebensunterhalt des Bauern, so muss man aus den Texten ableiten, ist ein starres Raster des Zeitverlaufs eher abträglich, und Vergils Lehrgedicht enthält nicht zuletzt aus diesem Grund keine Datumsangaben.23 Der Sprecher des Proöms der Georgica thematisiert den Anfang mit hinc canere incipiam (1.5). Dies ist das thematische Proöm, δεῖγμα τοῦ λόγου nach Aristoteles’ rhetorischer Definition,24 auf das die in der episch-didaktischen Tradition so häufig anzutreffende Invokation von Musen oder Göttern folgt.25 Das eigentliche incipit der landwirtschaftlichen Unterweisung steht aber erst in den Versen 43–6, wo wir von einer ähnlichen Öffnungs- oder Lösungsbewegung der Natur lesen, der die Landwirtschaft dann nachzufolgen hat: vere novo, gelidus canis cum montibus umor liquitur et Zephyro putris se glaeba resolvit, depresso incipiat iam tum mihi taurus aratro ingemere [...]

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Zu den Anleihen der Georgica bei Hesiods Erga, cf. Farrell 1991, 134–57, bes. 134 f. zur strukturellen Kongruenz der Erga mit Georg. 1. (ἔργα = Georg. 1.43–203, ἡμέραι = 1.204-514). Meine Einteilung des ersten Georgica-Buches ist Richard Thomas’ Kommentar (1988) entnommen. Für Varro, der das Bauernjahr ebenfalls nicht vornehmlich nach Daten ordnet, sondern nach Naturphänomenen, ist in Res rustica 1.36 die Zeit von der Wintersonnenwende bis zum Favonius (ca. 7. Februar; seine achte und letzte Phase des agrikulturellen Jahres) die Zeit der Untätigkeit (nur) auf den Feldern. Rhet. 3, 1415 a 12 f.; cf. Conte 1992, 147, und 150 zu den Proömien Vergils. Cf. Mynors 1990, 1, der im ersten Satz seines Kommentars zu den Georgica die Frage nach dem Anfangen stellt: „How should such a work begin? The Greek epic poet briefly invokes his patron deity, the Muse in Iliad and Odyssey (as in A[eneis]. 1.8), Phoebus in Apollonius of Rhodes. Of the didactic poets, Hesiod opens theog. with a hymn to the Muses and in op. summons the Muses to tell of Zeus; Aratus invokes Zeus, as responsible for his subject-matter, and passes on to the Muses; Nicander has nothing. Lucretius begins with a famous invocation of Venus, which lasts for forty lines.“ Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass in diesen Werken durch Götteranrufe der narrative und die Struktur des Textes einleitende Anfang oft nur verzögert wird, wie es auch in den Fasti (Germanicus gleichsam als Gott invoziert) und den Georgica der Fall ist. Cf. Thomas 1988 ad 1.43: „the poem proper, like the farmer’s year, begins as spring arrives“, jedoch ohne Kommentar zu den verwendeten poetischen Bildern.

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Im neuen Frühling, wenn kaltes Wasser von weißen Berggipfeln schmilzt und die mürbe Scholle sich im Westwind löst, dann schon soll mir der Stier unter dem niedergedrücktem Pflug zu stöhnen beginnen [...].

Dies ist kein Lob des Frühlings im traditionellen Sinne, und doch findet man ein zentrales Element der laudes, den Westwind (44, Zephyro), in der kurzen Passage wieder. Die erste Textbewegung liegt in zwei Bildern der lösenden Kraft des Frühlings: Schneeschmelze und Lockerung des Bodens „lösen“ die Starre des Winters (44, liquitur und resolvit). Ähnlich, und wieder in der Dynamik von Frühling und Westwind, beginnt Horaz’ Carmen 1.4 in den Versen 1 f.: Solvitur acris hiems grata vice veris et Favoni, / trahuntque siccas machinae carinas („der strenge Winter wird vom willkommenen Wechsel des Frühlings wie des Westwinds gelöst und die Maschinen ziehen die trockenen Kähne“). Bei Horaz wird die Erde zu dieser Zeit ebenso gelöst (10, terrae ... solutae) wie die Scholle bei Vergil. Die poetische Darstellung des Frühlings als Verfahren der mise en mouvement des Textbeginns durch diese Bildlichkeit wird somit in all diesen Anfangspassagen verwendet. Vergils Funktionalisierung des Frühlingsbildes in einem Zeitkonzept ist dabei – weit mehr als in der Lukrez-Stelle – mit Ovids Behandlung vergleichbar, denn die Junktur vere novo (43) bringt das Moment der Neuheit ins Spiel und anerkennt mit der Gegenüberstellung von Winter und Frühling, ähnlich den Fasti, die zyklische Natur der jährlichen Zeitenfolge. 26 Vergil rückt das Jahr als Zeitmaß gegenüber Lukrez erst in den Vordergrund, was eine saisonal orientierte Bebauung des Landes, von der ja Buch 1 der Georgica u.a. handelt, schon erforderlich macht. Hier geht es anders als in DRN wirklich um einen Übergang der Jahreszeiten, wenn eine vorangegangene „kalte Feuchtigkeit“ (43, gelidus ... umor, cf. noch einmal Ovids frigoribus in Fasti 1.149) vom lauwarmen Westwind (44) abgelöst wird. Das vom Pflugstier initiierte, von Anfang an mit Mühen verbundene (45 f. incipiat ... ingemere) agrikulturelle Jahr beginnt freilich im Frühling, und mit ihm die Unterweisung des Bauern der Georgica. Dieses Muster, Zeitmarker nur nach den natürlichen Zyklen zu setzen, zieht sich durch den gesamten Text Vergils;27 es gibt weder Daten oder Monatsnamen noch an den Kalender gebundene Feste, und das Jahr ist nicht das nach Cäsars Reform (die etwa 15 Jahre vor der Veröffentlichung des Textes stattfand) endgültig etablierte Sonnenjahr, sondern das Mondjahr, das mit sogenannten parapegmata (Steckkalendern) auch von Privatpersonen auf dem Land nachzuverfolgen war (cf. 1.276 f. ipsa dies alios alio dedit ordine Luna / felicis operum, „der Mond selbst hat verschiedene Tage mit wechselnder Ordnung 26

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Stephen Hinds weist mich auf die Möglichkeit hin, dass vere novo an dieser Stelle wie auch in Fasti 1.159 (ager ... renovatur aratro) in eine etymologische Verbindung mit novalis (terra) gebracht wird. Der terminus technicus für ein „neues“ Brachfeld taucht in Georg. 1.71 auf, nur 30 Verse später. Die „Neuheit“ der Saison stünde dann in direkter semantischer Abbildung der nun „erneuerten“ landwirtschaftlichen Tätigkeit. Zur Zeit in den Georgica, s. Feeney 2007, 207.

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tauglich für die Arbeit gemacht“).28 Der eigentliche Jahresanfang liegt in diesem Gedicht zudem wirklich im März – und bezeichnet eine „Öffnung“ wie im Frühlingsbild des Lukrez (Georg. 1.217 f.): candidus auratis aperit cum cornibus annum / Taurus („der Stier öffnet mit goldenen Hörnern das Jahr“). Die Konstellation Taurus, als gehörnter Stier mit brachialen Eröffner-Fähigkeiten vorgestellt, kündigt den März und damit den agrikulturellen Jahresanfang an, wie er, das impliziert die Stelle, auf ländlichen Steckkalendern vermerkt oder generell im Wissen der saisonalen Zyklen und ihren astronomischen Korrelaten überliefert war. Die Wetter- und Sternnotizen der Fasti übernehmen ebendieses Schema der parapegmata und diese knappe Ausdrucksweise für die Brückenverse des gesamten Textes. Wir sind als Leser der Fasti nun in der Lage, das Unbehagen und die Verwirrung des kalendererklärenden Sprechers besser zu verstehen: 29 Sein Gedicht und sein Jahr folgen dem julianischen Kalender und beginnen nun gerade nicht im Frühling, der doch einen idealen und schon beschrittenen Chronotopos darstellen könnte, von dem auszugehen wäre und mit dem Text und Jahr sich in Bewegung setzen ließen. Die Jahreszeiten werden, wie wir an den Stellen der Frühlingseinleitung von Gedichten und dessen Lob gesehen haben, als „protonarrative Muster“ (Alexander Honold) der Natur in Szene gesetzt, um den an natürlichen Phänomenen feststellbaren Ablauf der Zeit für die Textstruktur zu nutzen, was an den beiden genannten Passagen explizit diskutiert wird: „Warum beginnen Jahr – und Text – nicht im Frühling?“, fragt der Dichter zu Anfang der Fasti; der Frühling wird in Ovids Gedicht erst sukzessive, dann vollends mit den Festen im April und dessen etymologischer „Öffnung“ (aperire) Einzug halten (s. Kap. 3.2.4.3). Außerdem wird – im Frühlingsplädoyer wie auch später in der Beschreibung des Saatfestes 30 28

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Cf. Feeney 2007, 207, der das Fehlen der eigentlich kalendarischen Inhalte auf Vergils Tendenz zurückführt, „to reinforce his general picture of detachment between the rural and urban worlds“. Vergil hat freilich eine kurze Passage zu den nicht-kalendarischen Tagen (1.276–86), die auf Hesiods Werke und Tage (765–828) zurückgeht – die im Text zitierten Verse 276 f. enthalten in den Worten dies und operum wohl eine Anspielung auf den Titel des frühen griechischen Texts (cf. Thomas 1988 ad loc.). Zu den Parapegmata in hellenistischer Zeit, cf. Lehoux 2007. Eine gute Umschreibung dieses Unbehagens im Gebrauch des Kalenders liefert Feeney 2007, 203: „For all the success of Caesar’s harmonizing procedures, Ovid knows, just as Pliny does, that the controlling power of the grid falls short of controlling nature, or of ultimate success in tracking its day-to-day unpredictability. The inherent arbitrariness of the human plotting of time is an important theme in Ovid’s poem, highlighting the way in which the Romans could appreciate that even the web that Caesar had thrown over the flow of time was fundamentally a convention, a human grid for human convenience, ultimately incommensurable with the phenomena it purported to capture.“ Cf. dort die Teilhabe des Sprechers an den (an ein Wetterphänomen gebundenen) Aufgaben der Landbewohner, die durch das Verb in der 1. Ps. Pl. ausgedrückt ist: Fasti 1.681, cum serimus, caelum ventis aperite serenis.

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– ein Dichter-Habitus aufgerufen, der entlang einer „elementarliterarischen Grundfunktion“ die subjektive Teilhabe an diesem Geschehen als Proprium des Dichtens ausweist und die entstandene Struktur mit Bedeutung füllt. 31 Im poetischen Text weist jede einzelne Stelle immer auch auf Voriges zurück oder auf Kommendes voraus, da ein eigener semantischer Raum erschaffen wird, und in einen solchen Sinnzusammenhang können auch die „Rhythmen der Natur“ gestellt werden: Weder die numerisch-physikalische Zeit noch die periodischen Zyklen und Rhythmen des Mikro- oder Makrokosmos sind als solche bereits bedeutungsvoll. Werden sie indes mit dem Dreischritt einer aristotelischen Fabelstruktur verbunden bzw. nach dessen Maßgabe betrachtet, dann scheinen auch die temporalen Vorgänge in der Natur einem erzählbaren Programm zu unterliegen, einen Handlungsaufbau eigener Art aufzuweisen. Etwa, indem sie dazu anregen, das spannungsreiche Verhältnis von singulärer Zeitstelle und großem Ganzen zu reflektieren und zu einer bestimmten Zeitstelle schon den bevorstehenden Wechsel mitzudenken.32

In den Fasti ist der aristotelische Handlungsaufbau von Anfang, Mitte und Ende zwar ohne Bedeutung, aber alle Passagen sind gerade in diesem Text, der ein relativ schwaches Syntagma ausbildet (da letztlich nur der Lauf des Jahres den Fortschritt des Gedichts vorantreibt), mit Blick auf die vorausgehenden und vorigen zu lesen – eine dekontextuelle Lektüre nach einer paradigmatischen Struktur, ja nach einem immer wieder auftauchenden ‚Code‘ bietet sich an (zum Begriff, s. Kap. 4.3). Wenn auch dieses Thema dem nächsten Kapitel vorbehalten sein muss, so spielen mit Blick auf das von Honold beschriebene Phänomen eines „spannungsreiche[n] Verhältnisses von singulärer Zeitstelle und großem Ganzen“ auch die in den Fasti folgenden Frühlingspassagen eine Rolle bei der Interpretation des Unterhaltung mit Janus zu diesem Schlüsselpunkt des Jahres. Wir werden im Folgenden auch zu diesen kommen, wenden uns aber zunächst Janus’ Antwort zu.

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Honold 2013, 48 f., dort findet sich auch der Begriff des Protonarrativen. Ibid., 12

104 3.2.2

Poetische Entwürfe des Jahres Zum Jahresbeginn II: Janus und die bruma

Betrachten wir nun die Antwort des Gottes auf die Aussagen der Sprechers der Fasti. Ich zitiere die Verse, die dem Frühlingsplädoyer nachfolgen, noch einmal (1.161–4): quaesieram multis; non multis ille moratus contulit in versus sic sua verba duos: ‚bruma novi prima est veterisque novissima solis: principium capiunt Phoebus et annus idem.‘ Mit vielen Worten hatte ich gefragt, er hielt sich nicht mit vielen Worten auf und fügte sie auf folgende Weise in zwei Verse: ‚Die Wintersonnenwende steht an erster Stelle der neuen Sonne und an letzter Stelle der alten. Phoebus und das Jahr nehmen den gleichen Anfang.‘

Wie im Distichon 161 f. explizit angekündigt, vermag Janus sein eher technisches Votum für einen Jahresanfang im Winter in exakt einem elegischen Distichon abzugeben. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass hier nach dem saisonalen Konzept des didaktischen Sprechers ein weiteres prozessuales Konzept des Jahres eingeführt wird, nämlich das ‚tropische Jahr‘ mit einem seiner Wendepunkte,1 der bruma oder Wintersonnenwende (163). Dies ist der Tag im Jahr, der am wenigsten Tageslicht spendet, und damit der „kürzeste Tag“, worauf Varro in einer etymologischen Erklärung hingewiesen hat (De lingua Latina 6.8): dicta bruma, quod brevissimus tunc dies est („die Wintersonnenwende wird so genannt, weil es dann der ‚kürzeste‘ Tag ist“).2 Das Wort bruma ist nach Varro also selbst eine Kontraktion des längeren lateinischen Adjektivs. Auch Janus ahmt die Kürze des Tages, die im

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‚Tropisch‘ wird das Jahr in moderner Terminologie nach den Wendepunkten (τρόποι) der Sonne genannt; die Länge eines Jahres ergibt sich aus dem Intervall zwischen zwei gleichen Zeitpunkten im Ablauf der von der Erde aus wahrgenommenen ‚Sonnenbewegung.‘ In der hellenistischen Astronomie war dieses Konzept etabliert, wie aus Claudius Ptolemäus’ Almagest (Μαθηματικὴ σύνταξις, Mitte 2. Jh. n.Chr.) deutlich wird, der auf Hipparchus’ Traktat ca. drei Jahrhunderte zuvor verweist; cf. Borkowski 1991 sowie Meeus/Savoie 1992. Cf. Maltby 1991, 85 s.v. S. auch Macrob. 1.9.15: ad minimum diei sol pervenit spatium, quod veteres appellavere brumale solstitium, brumam a brevitate dierum cognominantes, id est βραχὺ ἦμαρ. In der Erwähnung des Phänomens der Wintersonnenwende durch Cicero (ND 2.19) werden die ordnenden Einheiten der Jahreszeiten und des Sonnenlaufs, darunter die bruma, als Symptome einer stoisch-kosmischen Macht gesehen: possetne uno tempore florere, dein vicissim horrere terra, aut tot rebus ipsis se inmutantibus solis accessus discessusque solstitiis brumisque cognosci, fragt er, wenn nicht alle Dinge uno divino et continuato spiritu zusammengehalten würden.

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Wort selbst abgebildet scheint, mit der Kürze seiner Aussage nach.3 Der Gott versteht die Wintersonnenwende als den einen Zeitpunkt im Jahr, an dem die vorherige und die beginnende Jahresbahn der Sonne sich treffen und in der doppelten Funktion eines Tages als „erster“ (prima) und „letzter“ (novissima, beide 163) einen Moment lang identisch werden. Die Verdoppelung des Wortes novus in Vers 163, das im Frühlingsplädoyer das stärkste Argument lieferte, begleitet dieses Schema: Mit novi und gerade mit dem Superlativ novissima übertrumpft Janus die Sprache der novitas des Frühlings seines Vorredners. Welche Art von Ordnungsmuster des Jahres liegt nun hier vor? Die Anordnung der zeitlichen Ausdehnung eines Tages im Verhältnis zu allen anderen Tagen des Jahres beruht zwar ebenso auf empirischem Wissen, wie es bei der Beobachtung der Natur gewonnen wird, doch die Erkenntnis der Bedeutung eines Tages und seiner Länge bzw. Kürze für das gesamte Jahr erfordert ein abstraktes Konzept, das sich von der astronomischen Beobachtung des Sonnenzyklus ableitet. Diese Komponente wird denn auch in Janus’ zweitem Vers explizit: Der Lauf der Sonne und das Jahr beginnen am gleichen Punkt in der Zeit, was beide Instanzen, Sonnenlauf und Jahr, in diesem temporalen Schema als schlichtweg identisch ausweist.4 Im Kontrast zum intuitiv-agrikulturellen Ordnungsmuster des Jahres, für

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S. die ingeniösen Bemerkungen Dumézils zur bruma (am Ende zu einer Tristien-Stelle, zu den Fasti leider nichts; 1974, 340–2): „Aucune fête publique ne marque les équinoxes ni le solstice d’été, aucune divinité ne les patronne, mais la période qui englobe le solstice d’hiver a sa déesse. C’est une période pathétique que celle de ces jours les plus courts de l’année, une crise de la nature, qui s’achève heureusement avec la bruma. Mais si bruma (breuissima [dies]) désigne objectivement le solstice, considéré comme un point singulier de la courbe du temps, la gêne, l'inquiétude, éprouvée ou stylisée, que cause la diminution continue de la durée de la lumière s’exprime mieux par une autre racine, celle qui a aussi donné angor. Il est de bon latin, à toute époque, de noter par angustiae un espace de temps ressenti comme trop bref, fâcheusement ou douloureusement bref, et Macrobe ne manque pas de l’employer et de le répéter quand il dramatise ce tournant de l'année (l, 21, 15): le temps où la lumière est angusta ...; le solstice, jour où le soleil émerge enfin ex latebris angustiisque. [...] Après trois ans de son exil thrace, l’infortuné Ovide gémit. Son malheur, dit-il, le rend insensible aux plaisirs comme aux ennuis des saisons (Tr. 5, 10, 7–8) : ‚Le solstice d’été n'abrège pas mes nuits, et le solstice d’hiver ne me rend pas les jours angustos‘).“ Die Sonne wird in einer konventionellen Personifikation Phoebus genannt, was wiederum auf Apollo als den Gott der Dichtung verweist. Da die poetologische Dimension, wie wir gesehen haben, in der Passage insgesamt eine Rolle spielt, kann man wohl auch von einer Gleichsetzung von Jahr und Gedicht sprechen, wenn Phoebus Apollo als Metonymie für das Gedicht angesehen werden kann. In Fasti 3.109 f., der Passage über die astronomische Unkenntnis der Römer zu Zeiten des Romulus, werden Phoebus und seine Schwester Phoebe/Diana explizit als Sonne und Mond identifiziert: (sc. quis tunc senserat) signaque quae longo frater percenseat anno, / ire per haec uno mense sororis equos?

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das sich der Befürworter eines Beginns im Frühling einsetzte, kann dieses abstraktere Modell das (solar-)astronomische genannt werden. Der sternenkundlich festgelegte Tag der Sonnenwende wird damit zu einem Fixpunkt in der Zeit, zu einem stabilen Jahrestag. 5 Die Sonne wirkt – vergleichbar den Sternen und Sternbildern, insgesamt aber in noch höherem Maße als diese – als zuverlässige Größe besonders stabilisierend für dieses Ordnungsmuster. Der solarastronomische Entwurf des Jahresverlaufs steht in Konkurrenz zum agrikulturellen Muster des Bauernkalenders, das ich, auch mit dem Blick auf Vergils Georgica und Hesiods Erga, gerade in seinem Verzicht auf fixe Jahresdaten charakterisiert habe. Die Fasti affirmieren mit ihrem Text- und Jahresanfang im Januar – trotz oder gerade besonders augenscheinlich angesichts des Frühlingsplädoyers – und in ihrer gesamten formalen Anlage, die von einem festen, datumsgebundenen Jahrestag zum nächsten führt und jede Aitiologie an genau einen Tag bindet, den etablierten julianischen Kalender. In der bloßen Anwesenheit der Diskussion um den Jahresanfang manifestiert sich aber ein Hinterfragen des gültigen astronomischen Modells, es zeigt sich die Möglichkeit eines anders strukturierten Jahres: Ovid gelingt so die diskursive Dynamisierung eines in augusteischer Zeit zur Regel erstarrten Kalendermodells. Es ist bei alldem auf einen impliziten Konflikt in der Kalenderkonstitution hinzuweisen, der bis in die heutige Zeit nachwirkt und nicht anders als in römischer Zeit hingenommen wird: Wenn die Wintersonnenwende den Zeitpunkt des Jahreswechsels bestimmt, warum beginnt das Jahr nicht an diesem Tag, sondern am 1. Januar? Als Datum der Wintersonnenwende wird in römischen Abhandlungen der 25. Dezember angegeben.6 Das liegt etwas näher am 1. Januar als unser 21. Dezember heute, bringt Sonnen- und Kalenderjahr jedoch ebenfalls nicht zur genauen Deckung. Dies wird weder in römischen Prosatraktaten noch von Ovid thematisiert. Streng genommen bedeutet es aber einen Konflikt des astronomischen Modells mit dem tatsächlich praktizierten Jahresanfang am 1. Januar; es müsste ein weiteres Modell angenommen werden, um den Jahresanfang in dieser Position zu verstehen. Das Problem mag sich historisch gesehen aus dem hybriden lunisolaren

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So bei Varro, LL 6.8 tempus a bruma ad brumam dum sol redit, vocatur annus, und Cens. 21.13 a novo sole, id est a bruma [...] incipere annus naturalis videtur. Cf. Green ad Fasti 1.164. Das Bewusstsein einer sich stets wiederholenden Zeitspanne zwischen demselben Tag in aufeinanderfolgenden Jahren wurde erst durch Cäsars Reform endgültig geschaffen – so Feeney 2007, 158 f. (zu „Jahrestagen“ im engeren Sinne): „The long-standing Roman interest in anniversaries gains new force, then, after Caesar’s reform. In particular, the already strong Republican sense of the identity of the day from year to year is now given new edge by the intuition that the same identical span of time is linking the recurring day in every manifestation. This conception of each particular day remaining the same day, whatever the year, is certainly one of the most striking features of the Roman anniversary mentality.“ Columella 9.14.12, Plin. NH 18.221.

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Kalender ergeben, der den großen Umlauf der Sonne mit den zwölf kleinen Mondzyklen zusammenbringt, nach denen ursprünglich die Monatsdauer definiert war. Die Bestimmung des Jahresverlaufs nach den Sonnenwendepunkten muss nachträglich eingefügt worden sein, als der Kalender schon in vielerlei Hinsicht in sich strukturiert war.7 Ein weiteres Ordnungsmuster wäre also ein lunares, das Ovid in den Fasti weitgehend unterdrückt und nur zweimal explizit anspricht: Das alte, militärische Rom des Romulus maß das Jahr, wie wir gesehen haben, nach zehn Mondzyklen (Fasti 3.121): annus erat, decimum cum luna receperat orbem („es war ein Jahr, wenn der Mond den zehnten Kreis erworben hatte“).8 Der lunare Kalender erscheint auch kurz am Ende des dritten Buchs, wo ein personifizierter Mond Pate für das Monatsende steht und ein poetisches Schlussbild liefert (3.883 f.): Luna regit menses: huius quoque tempora mensis / finit Aventino Luna colenda iugo („der Mond beherrscht die Monate: Auch die Zeit dieses Monats begrenzt Luna, die man auf dem aventinischen Hügel verehren muss“).9 Ovids Behandlung des Janus und seiner Funktion am römischen Jahresanfang, der außerordentlichen Gestalt des Gottes und seiner Assoziation mit dem Ordnungsmuster des Jahres, zu der ich nun komme, ist ein eminentes Beispiel für eine literarische Verarbeitung und auch Teilnahme am kulturellen Prozess der Zeitordnung und Kalenderkonstitution. Die symbolisch-imaginative Repräsentation des Jahreszyklus durch den zweiköpfigen Gott, der in zwei Richtungen schaut und damit am Anfang und am Ende eines Kreislaufs zugleich steht, sobald man seine räumliche Gestalt auf ein zeitliches Muster überträgt, ist schon im religiösen Diskurs verwurzelt, erhält aber durch die Behandlung in Ovids Fasti seine charakteristische Prägung. Diese ganz eigen ovidische, in elegischen Denkfiguren begründete Prägung sowie die Persistenz der poetischen Aneignung Ovids dieser Symbolik noch bis in die Spätantike soll im Folgenden beschrieben werden. Janus’ Urteil in der Diskussion um das richtige Anfangen von Text und Jahr beinhaltet in Ovids Bearbeitung auch eine ästhetische, in der Gattungstradition wurzelnde Entscheidung, den Weg des Jahresanfangs im Frühling für die Fasti nicht mehr zu begehen – obwohl die 7

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Weitere Gründe liegen wohl darin, dass die Orientierung des römischen Kalenders am Mondzyklus sich auch in spätrepublikanischer bzw. augusteischer Zeit immer noch in der Zählung der Tage niederschlug, die z.B. mit ‚x Tage vor den Kalenden des Januar‘ bezeichnet wurden. Caesars Reform hätte daher, um die Orientierung am Sonnenjahr wirklich konsequent umzusetzen, noch weit mehr Umwälzungen bedeutet: Die Umbesetzung der Festtage auf andere Daten, von den wichtigen Ordnungstagen der Kalenden, Nonen und Iden und ihren Nachbartagen weg, wäre kultisch schwer denkbar gewesen, und weitere Regeln über gerade und ungerade Tage wären zu beachten gewesen – ein schier unmögliches Projekt. S. zu den technischen Aspekten und den eleganten Lösungen von Caesars Reform Malitz 1987 und Bayer 2002. Cf. zu dieser Bedeutung des Verbs den Eintrag im OLD, s.v. recipere, 6. Zu diesem Buchende und der Funktion der Luna an dieser Stelle, cf. Pasco-Pranger 2006, 203.

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poetische Tradition didaktischer Werke reichhaltige Vorbilder bietet, wie wir gesehen haben. Welche Berechtigung wird dieser Entscheidung aber letztlich gegeben? Wenn wir das Distichon des zweigesichtigen Gottes nun näher betrachten und in die Semantik einer ‚Öffnung‘ einbetten, die der Janus-Episode als ganze eignet, dann wird zu sehen sein, wie elegische Form, rhetorischer Stil und religiöse Ikonographie verwendet werden, um auch poetisch zu untermauern, wie ein Text über die zeitliche Struktur des Jahres zu beginnen habe. Janus’ nur zweizeiliger Beitrag zur Diskussion des Jahresanfangs wird mit besonderer Emphase auf dessen formale Gestaltung eingeführt: Man beachte noch einmal Fasti 1.162, contulit in versus sic sua verba duos. Ein elegisches Distichon stellt in den meisten Fällen und gerade in Ovids Werken eine Sinneinheit dar, die für sich steht und deren Ende in den modernen Editionen fast immer mit einem Punkt markiert ist.10 Mittels der Prägung des Gegenarguments des Janus in dieser Form wird ein poetischer Geltungsanspruch auch dem vermeintlich rein wissenschaftlichen Konzept des Jahresanfangs gegeben. Denn so wird Janus’ Antwort – ganz im Sinne der Produktion eines römischen Dichters, als der Janus an einigen Stellen der Episode gezeichnet wird11 – eine besonders charakteristische Form gegeben, durch die seine Aussage „zusammengebracht“ (conferre), d.h. komprimiert wird. Zu diesem Zweck werden auch stilistische Entscheidungen getroffen, was den Versen 163 f. (bruma novi prima est veterisque novissima solis: / principium capiunt Phoebus et annus idem) durch den gehäuften Gebrauch von rhetorischen Mitteln zu einer besonders dichten Form des Gedankens verhilft. Das Wort bruma ist nur durch prima est und novissima definiert und wird in einer elliptischen Aussage als „der erste“ und „der letzte“ bezeichnet; eine Übersetzung sollte vermutlich dies („Tag“) ergänzen, wenn man bedenkt, dass die „Sonne“ im gleichen Verse für die Zeiteinheit des Jahres steht, dessen kleinste kalendarische Einheit eben der Tag ist – was auch im Folgevers bestätigt wird, wo die Sonne praktisch mit dem Jahr gleichgesetzt ist. Die Attribute novi und veteris beziehen sich beide auf solis, was auch der Verkürzung des Satzes dient, gleichzeitig aber, genau wie prima und novissima, die doppelte Funktion einer Zeitstelle, der bruma, hervorhebt. Der 10

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Zum elegischen Vers in dieser Funktion, cf. Heinze 1919, 75 f., Platnauer 1951, Wilkinson 1963, 133 f. Cf. Green 2004, S. 70 und ad 1.268: Letzterer Vers in Janus’ Rede‚ ipse meae movi callidus artis opus, ist mit der Junktur movere opus (die z.B. in Aen. 7.45 auftaucht: maius opus moveo, wo ein mehr an die Ilias angelehntes, kriegerisches Epos gemeint ist) ein deutliches Indiz für die (Selbst-)Charakterisierung des Janus als Dichter. John Miller (1983, 166) hat zuerst die Präsentation des Janus als Modell eines Didakten beschrieben: disce (1.101) ist dessen erstes Wort; cf. Barchiesi 1991, 15 f. Es ist bekannt, dass Janus‘ Erscheinen in 1.93 auf Apollos Epiphanie und Kallimachos’ Schreibtafeln in den Aitia zurückgeht (fr. 1.21 f. Pf.). Janus gibt zwar anders als der poetologische Gott Apollo keine Hinweise zum Verfassen der Dichtung (das übernimmt in den Fasti v.a. Venus), wird allerdings selbst zum Dichter und inkorporiert in seinen Versen denn auch genau diesen Phoebus Apollo (1.164).

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zweite Vers erreicht durch Syllepse ebenfalls eine brachylogische Aussageform: Ein konkretes Objekt, die Sonne (Phoebus mit der Personifikation des Himmelskörpers als Apollo, was hier aber im Hintergrund bleibt), wird mit einem abstrakten Konzept, dem Jahr, in Verbindung gebracht, indem beide durch principium capiunt prädiziert werden.12 Letztere Junktur kommt einer wiederum abkürzenden

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In diesem Sinne wird die Syllepse in der modernen Rhetorik definiert (und heute oft mit dem Zeugma gleichgesetzt oder vertauscht), was im Anschluss an G.J. Vossius (Commentarii rhetorici, 1630) und Du Marsais (Des tropes, ou des différents sens, 1730) geschieht (so Tissol 1997, 18 sowie Appendices A und B, 217–20). Zur Syllepse bei Ovid, cf. H. Fränkel (1945, 197) sowie E.J. Kenney mit kurzer Bemerkung in „The style of the Metamorphoses“ (1973, 125), ausführlich in „Ovid’s language and style“ (2002), hier 45: „One [sc. Gedankenfigur] in particular calls for notice as having evidently held a special attraction for him: ‚that quick-witted figure of speech, syllepsis‘. This is a form of expression in which the literal and the figurative are joined in syntactical wedlock“; cf. in dessen Nachfolge auch Hardie 2002, 44: „Furthermore the foregrounding of linguistic texture also makes points about the relationship between language and reality. Two typically Ovidian figures operate at the boundary between language and extralinguistic reality. Syllepsis (e.g. ‚an exile from his wits and home‘) forcibly links the literal and the figurative within a single word; and personification lends concrete and bodily form to a linguistic abstraction.“ Cf. (mit Green 2004 ad Fasti 1.597 [S. 275]) auch die anderen beiden sylleptischen Aussagen der Janus-Episode, die mit der Betonung des Friedens gegenüber dem Krieg von thematischer Wichtigkeit gerade für das erste Buch und dann auch für das gesamte Gedicht sind: nil mihi cum bello: pacem postesque tuebar (1.253) und Iane, fac aeternos pacem pacisque ministros (287). Die Syllepse als Stileigenschaft Ovids hat zuletzt Tissol (1997) ausführlich untersucht, der in seinem „Appendix C“ (221 f.) neben Beispielen für diese in Ovid universal aufzufindende Art der Syllepse („expressions that play on the physical and conceptual“) auch Beispiele von Wortspielen nennt, die der Syllepse nur vergleichbar sind, wie Met. 1.750 animis aequalis et annis, „gleich in Gemüt und an Jahren“ und kommentiert: „The effect of such expressions is analogous to that of syllepsis, for they result not merely in brevity of expression, but in semantic stretching as well [...].“ Ähnlich verhält es sich in unserem Beispiel, wo der annus mit Phoebus zusammengeführt wird. Meine Ausführungen kommen Tissols Ansatz (cf. seine „Introduction“, 3–10) für Ovids Met. nahe, insofern er stilistische Beobachtungen einer „figurative language“ nicht von der Methode der Interpretation ausschließen will (9): „In puns, in syllepsis, and in paradoxical witticism, we can observe large-scale thematic concerns manifested in especially revealing ways [...].“

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figura etymologica (sie steht etwa für: primum inceptum capere) nahe und verweist auf den Moment des Anfangs.13 Gegenüber der simplen Syndese mit mehreren et-Konjunktionen in der Frühlingspassage der Verse 1.149–60 ist dies ein sehr formstarkes Distichon.14 Die rhetorische Verdichtung, die hier in beiden Versen jeweils zwei getrennte Instanzen (bruma prima/novissima und novus/vetus sol in Vers 163, Phoebus und annus in Vers 164) zu einer verschmelzen lässt, spiegelt die beiden temporalen Konzepte, die Janus in je einem Vers präsentiert. Denn auch diese Konzepte arbeiten mit der Vorstellung, zwei Einheiten oder Zyklen in einer Position bzw. Zentralstellung „zusammenzubringen“, wie es Janus’ Distichon selbst tut: Zwei Jahreszyklen überschneiden sich am Tag der Wintersonnenwende, der dadurch den Charakter gleichsam einer Schwelle erhält; und das Jahr wird zu einer Einheit mit der Sonne, wenn man beider principium betrachtet. So wird die Konstitution des solaren Jahres und dessen Konzept in Janus’ Rede auch formal untermauert. Da es an dieser Stelle so eng an die Form des elegischen Distichons geknüpft ist, das stets zur Verdichtung und Zweiteilung des Gedankens neigt, kann dieses Konzept nun als ebenso inhärent poetisch bezeichnet werden wie die in der Dichtung jedenfalls inhaltlich geläufigere laus veris, über die das intuitiv-landwirtschaftliche Ordnungsmuster in Szene gesetzt war. Der liminale Charakter der bruma als Jahresanfang wird in Janus’ Distichon also mit stilistischen Mitteln dargestellt. Zudem ergibt sich im Kontext dieser Episode der Fasti, die sich eingehend mit Erscheinungsbild und Funktion des Gottes im römischen Kult und Brauchtum beschäftigt, 15 eine Analogie des zentralen Punktes im astronomischen Ordnungsmuster mit Janus’ ikonographischer Gestalt, der berühmten Janusköpfigkeit, die dem zunächst abstrakten Anfangspunkt im 13

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Man denkt auch an die rituelle Funktion des Janus als princeps aller Gebete, cf. Cic. ND 2.67: principem in sacrificando Ianum esse voluerunt. Zu dieser Stelle s. Kap. 3.2.3. S. auch das Distichon über die Wintermitte, 1.459 f.: postera lux hiemem medio discrimine signat / aequaque prateritae quae superabit erit („das nächste Tageslicht bezeichnet den Winter an seinem mittleren Scheidepunkt, und was übrig von ihm sein wird, wird dem vergangenen gleich sein“). An dieser Stelle finden wir das gleiche Prinzip wie das von Janus beschriebene, nämlich eines medium discrimen wie die bruma, das den beschriebenen Zeitraum des Winters in zwei gleichlange Hälften teilt. Diese Gedankenfigur begegnet nur im ersten Buch, obwohl sich andere Strukturtage ebenso anbieten würden. Der formale Aufbau des Jahres strukturiert den Text an mehreren Stellen und scheint neben der mimetisch-simultanen Funktion vor allem zur Rahmung des sonst telos-losen Texten zu dienen – er wird außerdem an folgenden Stellen markiert: 2.149 f. (Frühlingsanfang), 3.877 f. (Tag- und Nachtgleiche; Newlands 1995, 210, Anm. 4: „the reference occurs only fourteen lines from the numerical midpoint of the poem“), 4.901 f. (Frühlingsmitte), 5.601 f. (Sommeranfang), 6.789 f. (Sommersonnenwende). Zu Janus in der römischen Kultur, s. besonders die Überblicke bei Burchett 1918, Capdeville 1973, Holland 1961, 265–85, Mac Kay 1956 und Taylor & Holland 1952, sowie den grundlegenden Artikel bei Wissowa 1912, 103–13.

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Zyklus des Jahres ein ästhetisch ausgestaltetes Bild verleiht: Janus ist der Gott der Durchgänge und Anfänge, der zwei Köpfe und Gesichter besitzt (65, Iane biceps; 89, Iane biformis; 96, bina ... ora). Das Konzept, das Janus im Kontrast zum ersten Konzept eines Frühlingsanfangs des Jahres vorträgt, lässt sich dadurch ganz als ‚sein‘ Konzept verstehen, das gleichsam auf ihn maßgeschneidert ist. Denn durch die wörtliche Rede ist die Erklärung des Jahresanfangs so arrangiert, dass der Gott die Assoziation seiner Form mit dem Zeitkonzept selbst leistet, was auch die Zuverlässigkeit der Aussage in ein anderes Licht rückt – das Frühlingsplädoyer erhält zwar eine deutliche Absage durch Janus, die Valenz des auch denkbaren alternativen Jahresanfangs bleibt aber dennoch bestehen: Den Göttern der Fasti eignet stets eine gesteigerte Autorität, insofern ihnen die Erklärung der Feste und des Kalenders zuerkannt wird. Aber sie sprechen und handeln auch immer gleichsam aus ‚Eigeninteresse‘, insofern ihre poetische Charakterisierung die Sacherklärungen beeinflusst. Das bewirkt häufig eine literarische Modifizierung der antiquarischen und literarischen Traditionen.16 Die lange Episode des Interviews mit dem Gott beschreibt Janus’ Form wiederholt und reflektiert ihre Herkunft und Funktion: Er hält als Hüter aller Türen, nicht zuletzt der Tore des Janusbogens, Schlüssel und Stab in den Händen (99, 228 und 254) und ist in der Lage, in zwei Richtungen gleichzeitig zu schauen (91 f.): ede simul causam, cur de caelestibus unus / sitque quod a tergo sitque quod ante vides, „gib zugleich den Grund an, warum du allein von den Himmlischen siehst, was hinter dir und was vor dir liegt“). In fast allen Versen, die Janus’ Gestalt thematisieren, wird, wie auch in unserem bruma-Distichon, eine Instanz beschrieben (unus, 91; idem, 114), die Vorder- und Hinterseite zugleich ist, und der damit eine zweifache Prägung eigen ist. Außerdem steht der Sehsinn des Janus im Vordergrund, so auch in den Versen 66 (solus de superis qui tua terga vides, „einziger von den Göttern, der seine Rückseite sieht“) und 114 (ante quod est in me postque videtur idem, „in mir scheint, was vor und was hinter/nach mir liegt, das Gleiche [zu sein]“). Auch in den Versen 1.133–40, in denen die Figur des Janus explizit auf seine Form und Funktion als Tür und Türhüter zurückgeführt wird, liegt der Fokus mit vier Verben des Sehens auf dieser Dimension des Kultbilds:17

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Cf. Miller 1983; Newlands 2002, 206: „Ovid thus appears as both subject and audience, for he frequently surrenders his poetic authority to that of more ‚expert‘ informants – not the ancient literary and antiquarian authorities drawn upon by his contemporaries such as Verrius Flaccus, but, following Callimachus, fictionalized informants, both human and divine, who have their own set of values and invite the reader to examine the discursive traditions that shape different versions of knowledge.“ Ein Beispiel dafür ist etwa auch die Rolle des Janus in seiner Erzählung der Verteidigung gegen die Sabiner im Vergleich zur abweichenden Darstellung in Met. 14 (dazu komme ich in Kap. 3.2.4.1). Ein weiteres Beispiel gibt der Flussgott Tiber mit seiner Aitiologie des ArgeerRituals (s. dazu Bettenworth 2008). Nämlich in den Versen 134 (vides), 136 (spectat), 138 (videt) und 139 (perspicio).

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Poetische Entwürfe des Jahres ‚vis mea narrata est; causam nunc disce figurae: iam tamen hanc aliqua tu quoque parte vides. omnis habet geminas, hinc atque hinc, ianua frontes, e quibus haec populum spectat, at illa Larem, utque sedens primi vester prope limina tecti ianitor egressus introitusque videt, sic ego perspicio caelestis ianitor aulae Eoas partes Hesperiasque simul.‘

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Von meiner Funktion wurde berichtet; lerne nun die Ursache für meine Gestalt: Schon siehst auch du diese auf jedweder Seite. Jede Tür hat zwei Vorderseiten, von hier und von dort gesehen, von denen die eine auf das Volk blickt, aber die andere auf den Lar [sc. im Hausinneren], und wie euer Türhüter, der an der Schwelle des Hauseingangs sitzt, das Aus- und Eingehen sieht, so erblicke ich als Türhüter des himmlischen Hofs in Richtung des Sonnenauf- wie des Sonnenuntergangs zugleich.

Die geminae frontes (135) einer Tür,18 so gibt Ovids Janus hier zu verstehen, sind das Aition (133 causam) für seine Gestalt:19 Wie eine Tür Außen- und Innenseite habe, so habe auch sein eigener Kopf zwei Seiten und wie von der Schwelle des Hauses gleichzeitig nach außen und nach innen (135 f.). Die Erklärungsart dieses Aitions ist also die Ableitung aus einem konkreten Sachverhalt, eine Analogie aus der Lebenswelt. Kurz darauf ist diese Funktion eines Türhüters auf den kosmischen bzw. himmlischen Bereich ausgeweitet: Ost und West (140, Eoas und Hesperias [partes]) werden gleichzeitig gesehen. Dieser ‚Blick‘ kann auch zeitlich aufgefasst werden, da erst der Ort des Sonnenaufgangs, dann derjenige des -untergangs genannt wird. Dies ist für unsere Untersuchung des Sonnenzyklus am Wendepunkt der bruma bzw. des astronomischen Jahresanfangs interessant, wenngleich bei Ovid noch nicht, anders als bei manchen seiner Nachfolger, von einer tatsächlichen Identifikation des Janus mit der Sonne selbst gesprochen werden kann.20 Ist an dieser Stelle vom Blick auf die Himmelsrichtungen die Rede, bleibt in den anderen zitierten Versen jedoch unbestimmt, was Janus sieht. Das Sehen kann immer zunächst räumlich, aber in der Übertragung dann eben auch zeitlich verstanden werden, da die Präpositionen ante und post etwa in Vers 114 beide Möglichkeiten zulassen: Der gleichzeitige Blick nach vorne und hinten ist leicht auch als Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft im Ablauf der einzelnen 18

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Cf. die Bezeichnung des Janus-Bogens selbst: Ianus Geminus. Eine ausführliche Erklärung dieses Beinamens (und anderer) des Janus gibt Schilling 1960, 113–16. Es ist im Text schon das zweite Aition für seine Gestalt – wie so oft in den Fasti wird eine Mehrfach-Aitiologie präsentiert, die mit der kosmologischen Herleitung der Gestalt des Gottes beginnt – aus dem Chaos entsteht die zweifache, noch immer ein wenig „verworrene Figur“ der Zweiseitigkeit (113 f.): nunc quoque, confusae quondam nota parva figurae, / ante quod est in me postque videtur idem. S. zu Identifikationen des Janus dieser Art in Nachfolgertexten der Fasti den nächsten Abschnitt (3.2.3) über den religiös-antiquarischen Diskurs zu Janus.

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Jahre vorstellbar. Bei Ovid ist diese Übertragung nur implizit durch das brumaDistichon gegeben; allerdings wird Janus schon in der Anrede durch den Sprecher zu Beginn der Behandlung des 1. Januar der „verschwiegene Ursprung des gleitenden Jahres“ genannt (1.65 anni tacite labentis origo). Der aitiologische Sprecher der Fasti bezeichnet ihn damit nachgerade als „Aition des Jahres“ selbst, plausibilisiert das aber noch an keiner Stelle explizit über sein Erscheinungsbild – diese Interpretation bleibt dem Leser vorbehalten. Janus’ Gestalt und Funktion sind von vielen Autoren in der Rezeption Ovids dann durchaus explizit auf den Punkt der Jahresschwelle übertragen worden. Die Stationen in der Rezeption der Janus-Figur Ovids bis zu diesem Endpunkt einer für selbstverständlich genommenen Identifikation sind zahlreich und werden im nächsten Abschnitt (3.2.3) untersucht. Zunächst ist besonders die bei Ovid implizierte und im bruma-Distichon über poetische Form hergestellte Assoziation des Gottes mit dem Kalender und auch mit dem Jahresanfang festzuhalten, die augenscheinlich durch die Fähigkeit zum Transfer des zunächst sehr abstrakten, ja befremdlich wirkenden Bildes eines Kopfes mit zwei Gesichtern, das auch zu Janus’ enigmatischem Status schon in den römischen Texten beiträgt, auf verschiedene Konzepte von Raum (Haustür wie Himmelstür) und Zeit (Tag, Monat wie Jahr) ermöglicht wurde. Man kann nun Janus’ Gestalt als homologes Bild des astronomischen Konzepts der Wintersonnenwende betrachten. Das Distichon zur bruma ist kein bloß formales Spiel, kein technopaignion, denn Ovid erwirkt über die auch in der rhetorischen und poetischen Form verdeutlichte Gleichförmigkeit der Gestalt des Janus und derjenigen des Jahres die Suggestion einer inhärenten Verbindung von Gott und gewähltem Jahresanfang: Es ist eine erkenntnisleitende Verbindung, die im räumlichen Bild des nach zwei Seiten blickenden Gottes die Ordnung der Zeit an einer zentralen Stelle des Ordnungsmusters plausibel macht.21 Janus in Ovids Text weist 21

Somit kann Janus in Verbindung mit der bruma, aber ebenso als Symbol für die gesamten Fasti (wie ich es in Kap. 4.1 ausführen werde), auch als Denk-Figur im wörtlichen Sinne bezeichnet werden – s. Müller-Tamm 2014, 101 f.; 104 f.: „Der rhetorisch-begriffsgeschichtliche Ansatz bei der figura verweist aber nicht nur auf das dynamische, sondern zugleich auf das relationale und konstellative Moment der Denkfigur. Abseits ganzheitlicher Geschlossenheit oder fixierbarer Gestalt sind Denkfiguren doch strukturierte Vorstellungszusammenhänge, konkrete Konstellierungen im Prozess des Denkens, die in ihren Realisierungsformen – Begriffe, Bilder, Metaphern, Narrationen – plastisch werden und Evidenz gewinnen. [...] Denkfiguren, so kann man festhalten, sind erkenntnisleitend, wissensorganisierend, integrativ; sie markieren epistemische Bedingungen des Wissens und sprachlicher Bedeutungskonstitution, sie verbinden wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Diskurse. Die Zirkulation von Figuren als anschaulichen Verdichtungen konzeptueller Elemente lässt sich als Austauschprozess zwischen Wissensfeldern, auch nichtwissenschaftlichen, kulturellen oder alltagspraktischen Wissensfeldern, beschreiben.“

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auf diese Verbindung in pointierter und formal raffinierter Weise hin und bietet damit ein Beispiel von Wissenspoetologie, insofern die Denkbarkeit der Assoziation des Janus mit dem Jahresanfang sehr eng an seine konkrete textlich-formale Repräsentation gebunden ist. Im Hinblick auf spätere Texte erscheint es stets so, dass die Fasti an dieser Denkbarkeit wesentlich mitgearbeitet haben und die Rezeption bei Antiquaren und Dichtern sei es das fertige Bild wie Isidor, sei es nur noch die Proposition von Janus als ‚Gott des Kalenders‘ aufnehmen und weitertragen. Es fragt sich indessen, ob die Fasti tatsächlich der erste Text sind, der eine solche Assoziation explizit macht, oder ob auch andere Texte, die sich direkt auf den Kalender beziehen, in der Zeit um Julius Caesars Reform oder noch zuvor diese symbolische Verbindung schon anboten. Mit anderen Worten: Geben die elegische Form und Ovids charakteristische Ausdrucksweise und imaginative Behandlung dem antiquarischen Diskurs um den Kalender hier eine eigene Prägung, um das julianische Zeitmodell zu erklären und Zeit darstellbar zu machen? Daraufhin weist etwa Macrobius’ Umgang mit der Verbindung von Janus und der Zeit in Saturnalia 1.9.9, besonders mit seiner Formulierung einer „Öffnung“ und „Schließung“ des Tages (aperiat diem, ... claudat). Es lässt sich zeigen, dass dieser späte antiquarische Autor in einer Tradition der Präsentation von Janus und dem Jahr steht, die mit den Fasti beginnt: Denn auch in Ovids Text ist das Konzept einer Öffnung und Schließung von Zeiteinheiten sowohl für die Darstellung des Anfangs des Jahres als auch des diesen darstellenden Textes zentral. Andere Dichter nach ihm nehmen diese Bildlichkeit auf, was ich in den Abschnitten 3.2.3 (am Ende) und 3.2.4 zum poetologischen und wissenspoetologischen Gehalt des Öffnens und Schließens in den Fasti und bei anderen Dichtern besprechen werde. Abgesehen von dieser semantischen Komponente muss jedoch weiter untersucht werden, ob das Verständnis bzw. die kalendarische Assoziation mit Janus’ Figur und Funktion schon vor den Fasti ausgeprägt ist und von Ovid nur zu einer Pointe und in Einklang mit der ihm eigenen elegischen Repräsentationsweise gebracht wird. Die Frage also, ob der Inhalt (Janus als Gott des Kalenders, des Jahres, des Jahresanfangs) der Form (der Elegie Ovids) hier vorausgehe oder sich die Form den Inhalt erst schaffe,22 soll im nächsten Abschnitt besonders mit Blick auf den antiquarischen Diskurs beantwortet werden. Ovid ist ganz sicher der Meister des Verfahrens, aber ist er auch der Meister des Diskurses? Bevor wir diese Verbindung des Janus mit dem Kalender im römischen antiquarischen Diskurs näher betrachten, ist allerdings noch ein genauerer Blick auf eine besonders prägende rhetorische Form im Œuvre Ovids am Platz. Denn in Ovids Aussageformen, die sich freilich auch vorgegebener poetischer und rhetorischer Formen bedienen, sind gewisse epistemische Muster angelegt und wirken daher in den Fasti maßgeblich an einer Wissenspoetologie des römischen Kalen-

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Cf. Šklovskij 1916a, 51 zu diesem Grundsatz der Russischen Formalisten.

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ders mit: Die Syllepse und andere verdichtende, die Identität zweier eigentlich separater Instanzen andeutende Gedankenfiguren, die ich in Janus’ kurzer Antwort zum Jahresanfang für entscheidend halte, sind Legion sowohl in den elegischen Texten als auch in den Metamorphosen.23 So kommt der erste Vers des bruma-Distichons einer Zeile aus Hypermestras Rede an Lynceus in der 14. Versepistel der Heroides formal, aber auch inhaltlich sehr nahe. Es handelt sich bei letzterem Vers um eine nähere zeitliche Bestimmung dessen, was crepuscula sind (14.21 f.): modo facta crepuscula terris, / ultima pars lucis primaque noctis erat („gerade wurde der Erde die Abenddämmerung bereitet, es war der letzte Teil des Tages und der erste der Nacht“). Im Kontext des Gedichts beschreibt die Heldin den Vorabend der Ermordung der Söhne des Aegyptus durch die Danaiden mit Ausnahme des Lynceus – es handelt sich also nicht nur um eine Zeitbestimmung, sondern auch um ein Stimmungselement. 24 In diesem Pentameter findet in der Zwischenstellung der „Abenddämmerung“, des „Zwielichts“ an der Schwelle von Tag zu Nacht eine Parallele zu Janus’ Hexameter über die bruma. Was dabei in Fasti 1.163 (bruma novi prima est veterisque novissima solis) in der elliptischen Fügung mit prima und novissima (sc. dies) ausgespart war, wird hier durch die Vokabel pars explizit; wir finden prima wieder und lesen statt novissima in diesem Vers ultima. Statt nur einem Genitivattribut für beide Teile – in Janus’ Distichon war es solis – stehen hier in einer Art Apokoinou zwei verschiedene, lucis und noctis,25 da es sich bei der Dämmerung um einen Übergang zwischen zwei verschiedenen Zeiteinheiten handelt, beim Jahr dagegen um eine Schwelle zwischen zwei identischen Einheiten. Ovid findet in der Beschreibung des zeitlichen Ordnungsmusters in den Fasti also Anschluss an seine frühere elegische Sprechweise, steigert diese allerdings sogar durch noch größere Verdichtung des Gedankens. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch Varros Definition und etymologische Ableitung des Wortes 23

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Cf. Tissol 1997, 20 für die „Meistertrope“ der Metamorphosen, die Transformation, und die „habits of Ovid’s imaginative expression. For his is what we could call a sylleptic imagination – one always ready to slip from the figurative to the literal, from the conceptual to the physical, and back, in creating a work on flux and the transformation of all forms and bodies.“ S. zur Syllepse die Anm. 44 oben. Cf. Reeson 2001 ad loc., der ein ähnlich unheilverkündendes Distichon in der LykaonEpisode der Met. zur Unterstützung dieser Interpretation hinzuzieht (1.218 f., Jupiter spricht): Arcadis hinc sedes et inhospita tecta tyranni / ingredior, traherent cum sera crepuscula noctem. Als Metapher für die Schwelle von Leben (bzw. dessen Ende) und Tod (bzw. dessen Ankündigung) sieht Jacobson (1974, 136) die Umschreibung der Dämmerung mit „Licht“ und „Nacht“. Die Sicht auf zwei getrennte Zyklen als „homöomorph“ ermöglicht die Gleichsetzung der Nacht mit dem Tod – laut Jurij Lotman die Perspektive des Mythos (Lotman 2010, 204). Manche Hss. vertauschen fälschlicherweise die Reihenfolge von „Licht“ (das für „Tag“ steht) und „Nacht“ und geben damit die Morgendämmerung an, was inhaltlich nicht stimmig ist – wenn man nicht (wie Heinsius) annehmen will, dass das Hochzeitsbankett der Danaiden bis in die Morgenstunden andauerte; s. Reeson 2001 ad loc.

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crepusculum in De lingua Latina 6.5: crepusculum significat dubium; ab eo res dictae dubiae creperae, quod crepusculum dies etiam nunc sit an iam nox multis dubium („‚Dämmerung‘ bedeutet etwas Zweifelhaftes: Deswegen sind ‚zweifelhaft‘ genannte Dinge ‚dämmrig‘, weil es vielen zweifelhaft ist, ob die Dämmerung auch noch jetzt Tag sei oder schon Nacht“). Varro umschreibt eine Annäherung der figurativen an die wörtliche Bedeutung des mit dem Substantiv verwandten Adjektivs creper, von dem er crepusculum abzuleiten scheint, und nimmt dabei die Figur des ‚noch nicht‘, des ‚vielleicht schon‘ hinzu. Die dadurch aufgerufene Unsicherheit im Übergangscharakter der Dämmerung trifft sehr genau den Schwellencharakter, der uns auch an Janus’ Doppelköpfigkeit und ihrer Übertragung auf den Jahresanfang interessierte. Das dubium an solchen Figuren des semantischen Übergangs und der Doppelung in Einheit wird uns im dritten Teil dieser Studie noch beschäftigen, wenn ich (bes. in Kap. 3.1) zur semantischen Signifikanz der Janus-Form gleichsam als Meistertrope für die gesamten Fasti kommen werde. In Ovids übrigen Werken finden sich auch zahlreiche Verse, die ähnlich gebaut sind wie Janus’ Pentameter zur Identität von Sonne und Jahr (1.164 principium capiunt Phoebus et annus idem). Zwei Zyklen beginnen nach diesem Vers an einem Punkt und werden dadurch im Übergang eins. Dieses Muster des ‚zwei sind eins‘ wird meist mit duo/unus oder mit idem (wie in diesem Pentameter des Janus oder auch im Vers 114, ante quod est in me postque videtur idem) ausgedrückt; so wird die Identität (im Übrigen ein Wort, das vom lateinischen Wort idem stammt) bzw. ein nachdrücklicher Vergleich zwischen zwei nicht zusammengehörenden, manchmal nicht einmal einer Kategorie zugehörigen Teilen hergestellt. 26 Ein naheliegendes, da in ähnlicher Weise die Zeit konzipierendes Beispiel ist das Distichon Tristia 4.10.11 f., wo Ovid das Datum seines eigenen Geburtstags angibt, das auch das – identische – Datum des Geburtstags seines um genau ein Jahr

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Das besagte Schema findet sich sehr oft bei Ovid, auch in den hexametrischen Metamorphosen: Man vergleiche den Ausdruck von Alcyone, die Ceyx anfleht, nicht abzufahren, um nicht nur sich selbst, sondern auch seine Gattin zu retten, die sonst aus Trauer Selbstmord zu begehen droht (Met. 11.388): animasque duas ut servet in una. Weitere Beispiele sind: Met. 12.377: perque armos uno duo pectora perforat ictu; Met. 14.35 f. (Circe zu Glaucus): spernentem sperne, sequenti / redde vices unoque duas ulciscere facto. Die Liste der Beispiele wäre noch vielfach zu erweitern, wenn man das Muster „eins durch viele“ hinzunähme, wie etwa wiederum in Her. 14, Verse 1. f.: Mittit Hypermestra de tot modo fratribus uni; / cetera nuptarum crimine turba iacet. S. auch Her. 3.51 f. wo Briseis klagt, dass ihre Familie getötet wurde, was aber durch Achill als Einzelnen kompensiert werde: tot tamen amissis te conpensavimus unum; / tu dominus, tu vir, tu mihi frater eras. Ähnlich Hippolytos’ Körper nach dem Sturz im letzten Buch der Metamorphosen (15.529): unumque erat omnia vulnus. Diese Art des Ausdrucks findet man im Übrigen auch in der Janus-Episode wieder (Fasti 1.257 f.): cum tot sint iani, cur stas sacratus in uno, / hic ubi iuncta foris templa duobus habes?

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älteren Bruders ist. Es wird von zwei Ereignissen in verschiedenen Jahren gesprochen, als wären sie an einem Tag geschehen (man beachte beide Marker für die hergestellte Identität, nämlich una/per duo und das Pronomen idem): Lucifer amborum natalibus affuit idem: / una celebrata est per duo liba dies („der gleiche Morgenstern war den Geburtstagen beider präsent: ein Tag wurde mit zwei Kuchen gefeiert“).27 Das Konzept ist hier etwas anders gedacht als jenes vom gleichen Anfang von Jahr und Sonne; der Fokus auf einen stabil wiederkehrenden Tag bei sehr ähnlicher Ausdrucksweise in beiden Beispielen ist dennoch auffällig und zeigt, dass sich in Ovids späten Texten ein formales Muster auch in der Beschreibung von Zeitpunkten verdichtet. Eine weitere Jahresschwelle (den 31. Dezember 16 n.Chr.), die zwei weitere Brüder, nämlich die aufeinanderfolgenden Konsuln Pomponius Graecinus und Flaccus verbindet, beschreibt Ovid in Epistulae ex Ponto 4.9.59–64, wo die ‚Binarität‘ des Ereignisses wiederum mit ähnlichen Mitteln ausgedrückt wird:28 nam tibi finitum summo, Graecine, Decembri imperium Iani suscipit ille die, quaeque est in uobis pietas, alterna feretis gaudia, tu fratris fascibus, ille tuis. sic tu bis fueris consul, bis consul et ille, inque domo binus conspicietur honor.

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Denn die von dir, Graecinus, beendete Amtsgewalt am letzten Dezembertag nimmt jener am Tag des Janus auf, und wie die Bruderliebe zwischen euch herrscht, so werdet ihr abwechselnde Freuden wahrnehmen, du an den Rutenbündeln des Bruders, er an deinen. So wirst du zweimal Konsul sein, zweimal Konsul auch er, und in einem Haus wird eine doppelte Ehre erblickt werden.

Die Reziprozität im brüderlichen Verhältnis, die gegenseitig erwiesene pietas ist in dieser Passage der Schlüssel zur Beschreibung eines doppelt erfahrenen Konsulats. Die Nähe der beiden Zyklen, deren erster am 31. Dezember endet, um gleich am 1. Januar vom zweiten gefolgt zu werden, konstituiert den binus honor für ein einziges (Eltern-)Haus – Janus ist, wir erinnern uns, der Gott der bina ora (Fasti 1.96). Die syntaktisch-rhetorischen Verschränkungen (wie besonders in Vers 62, tu fratris fascibus, ille tuis) und Wiederholungen (etwa tu bis ... consul, bis consul et ille in Vers 63) lassen wieder an Janus’ Hexameter denken (novi prima ... veterisque novissima solis), der zudem im Vers 60 selbst als Patron und Namensgeber des 1. Januar, des Monats Januar, ja des neuen Jahres steht.

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Diese und andere ovidische Datenangaben werden in Hinds 2005 besprochen (cf. die Bemerkungen ad loc. auf S. 221 f.). Cf. ibid. 229, ad loc.: „a serendipitous sequel, maybe, to the start of Ovid’s own lifestory in Tristia 4.10.5–12, which had juxtaposed paired consuls and paired brothers without conflating them.“

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Um es mit Victoria Rimell und einer Stelle in ihrer Untersuchung der Heroides zu sagen: „At points like these, we seem to see double.“29 Wir nehmen den Text und seine Bedeutungen gleichsam wahr wie Narziss im Gebirgsteich sein eigenes Spiegelbild. Die Episode um Narziss (und Echo) aus den Metamorphosen (3.339– 510) wird in den Fasti durch ein Distichon der Blumengöttin Flora im fünften Buch bei der Beschreibung der Floralia aufgegriffen: Flora ist als Schöpferin aller Blumen auch die der Narzisse und benennt im Zuge eines Blumenkatalogs die autoerotisch-zwiegespaltene, wie Janus gespiegelte Form des Narziss, die sein Unglück bedeutet (5.225 f.): tu quoque nomen habes cultos Narcisse per hortos / infelix, quod non alter et alter eras, „auch du, Narziss, hast einen Namen durch alle gepflegten Gärten hin, du Unglücklicher, weil du nicht der eine und [zugleich] der andere warst“).Wir hören die Doppelungen solcher Verse wie Echos Stimme als Verdoppelung der Anrufungen desselben Narziss in den Metamorphosen, oder auch wie die Vereinigung von Salmacis und Hermaphroditus – all dies sind Punkte in Ovids Versionen der Mythen oder eben auch des Kalenders, „when two become one“:30 nec duo sunt et forma duplex, nec femina dici / nec puer ut possit, neutrumque et utrumque videntur (Met. 4.378 f., „und sie sind nicht zwei und [sind] eine doppelte Form, sodass sie weder Frau noch Junge genannt werden kann, und sie scheinen nichts von beidem und beides zu sein“). Hermaphroditus wird ein paar Verse später (Met. 4.387), genau wie Janus (in Fasti 1.89), als ein biformis, ein „zweiförmiger“ bezeichnet. All diese Beispiele von Zeitangaben und mythologischen Figuren in Ovids Œuvre, die mit den gleichen oder sehr ähnlichen rhetorischen Figuren und Ausdrucksweisen arbeiten wie Janus in seinem Distichon und wie die Darstellung der Janusgestalt selbst, zeigen, dass Ovids Texte ohne Unterlass auf der Suche nach solchen Szenen, Figuren und Bildern sind und gleichzeitig etwa die mythologischen Stoffe nach der Form dieser rhetorischen Mittel neu geprägt werden. Immer wieder wird eine Art Kongenialität von Inhalt und Form geschaffen. Es liegt daher nahe, in der Antwort des Janus um die bruma des Jahres eine ganz ovidische Behandlung und Verknüpfung des Jahresanfangs mit der zweiseitigen Form des Janus zu sehen. Janus’ Plädoyer für einen winterlichen Jahresanfang und ein solares Jahresmodell, d.h. die enge Verbindung von Janus und dem Jahresanfang, kann somit nicht nur auf seine in der römischen Ikonographie vorgegebene zweifache

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Rimell 2009, 74: „[...] we seem to see double, and are reminded simultaneously of Ovid’s warning at 3.764 (nec, quae sunt singula, bina vides / ‚don’t see double where there is only one‘), and his caution at 3.496 that one writing tablet can contain two hands (ne teneat geminas una tabella manus).“ Zu letzterer Episode in Met. 4.285–388 und einer Aufarbeitung der antiken Erzähltradition um die beiden Figuren, s. Robinson 1999, mit dem zitierten englischen Titel des Aufsatzes. Zentral ist das Wort ἀνδρόγυνος, lat. semimas (4.381) oder semivir (386): sowohl männlich als auch weiblich und dennoch nichts von beidem.

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Form, die mit einem Kopf in zwei Richtungen schaut, zurückgeführt werden, sondern auch auf die in der Gattung der Elegie (und von Ovid auch in den epischen Hexameter überführte) geprägte Ausdrucksweise. So bietet Ovid in der Diskussion über die implizierte aitiologische Fragestellung zwei Antworten auf die Frage: „Was ist der Grund dafür, dass das Jahr nicht im Frühling beginnt, sondern im Januar?“ Die erste, rein inhaltliche Antwort ist die von Janus gegebene astronomische, auf die Wintersonnenwende hinweisende. Nachdem in der Frage ein poetischer Topos, die laus veris, eingebracht wurde, der der Dichtung ganz eigen ist und eher über den Inhalt der Motivik einer Erneuerung aktiviert wurde (s. Kap. 2.2.1), gelingt jedoch mit der Charakterisierung dieser bruma als Schwelle und den diese Charakterisierung wesentlich tragenden rhetorischen Mitteln zudem eine erst auf den zweiten Blick sichtbare formsemantische Antwort. In Verbindung mit der doppelten Janus-Gestalt steht in der Passage der Entwurf eines performativen und imaginativen Emblems von Ovids poetischer Sprechweise in Denkfiguren, nämlich als Emblem der Syllepse, der Trope der Identität und der elegischen Kompaktheit des Verses. Diese rhetorischen Denkfiguren sind in Ovids Dichtung insgesamt prominent, wie auch an der Beschreibung anderer Jahrestage deutlich wurde, und fungieren daher nicht weniger als emphatische Beispiele für formalen Ästhetizismus im dichterischen Ausdruck als für astronomischen Empirismus und konzeptuelle Abstraktion in der Kalenderkonstitution. Wie wir wissen, beginnen der Text wie das Jahr in den Fasti doch im Januar, was in der Ordnung des Textes, der mit der Inauguration der Konsuln anfängt, auch trotz der berechtigten Hinweise auf die Zeichen der Erneuerung im Frühling nicht mehr rückgängig zu machen ist. Der Modus der Begründung dafür, warum das Jahr mit der Wintersonnenwende beginnt, zeigt sich daher als ebenso poetisch produktiv wie klärend in Bezug auf die kalendarische Frage. Als Postskriptum zur Besprechung dieses Paares von Frage und Antwort in den Fasti soll noch ein Blick auf den griechisch schreibenden, aber an römischen antiquarischen Fragen interessierten Plutarch stehen.31 Er ist ein früher Leser der Fasti, wie wir in seiner Romulus-Biographie erfahren,32 und bedient sich in den Römischen Untersuchungen seiner Moralia, die zum Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. entstanden, ebenfalls der Form von Frage und Antwort, die in Kallimachos’ 31

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Von den 113 römischen Aitia der Quaestiones Romanae betreffen ein Dutzend den römischen Kalender, was dieses Thema als en vogue unter den Antiquaren ausweist; cf. Feeney 2007, 211. Zu Plutarchs möglicher Auseinandersetzung mit den Fasti, s. bes. seine Erklärung der Lupercalia in der Romulus-Biographie (21.3) mit Verweis auf „einen bestimmten Dichter, der mythologische Erklärungen von römischen Bräuchen in elegischen Versen verfasste“ – es könnte auch Properz gemeint sein, allerdings werden die Lupercalia nur im zweiten Buch der Fasti ausführlich behandelt. Mit einiger Sicherheit ist jedenfalls von gemeinsamen Quellen (Varro, Verrius Flaccus) Ovids und Plutarchs auszugehen; cf. Pasco-Pranger 2000, 283.

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Aitia genauso zu finden ist wie in den vielen Unterredungen mit Göttern in den Fasti. Ein Lemma in den Quaestiones Romanae nimmt Ovids Frage nach dem römischen Jahresanfang auf (19.267 f.): Διὰ τί τὸν Ἰανουάριον μῆνα νέου ἔτους ἀρχὴν λαμβάνουσι; („warum verstehen sie [sc. die Römer] den Monat Januar als den Anfang des neuen Jahres?“). Daraufhin reflektiert die Antwort auf diese Frage ebenfalls über die zeitliche Marke der bruma, wobei aber nach dem Schema von φύσει (‚von Natur aus‘) gegenüber θέσει oder (wie an dieser Stelle) νόμῳ (‚nach dem Brauch‘) ein ‚natürlicher‘ gegenüber einem ‚konventionellen‘ Jahresanfang verhandelt wird und Unverständnis des hohen Einsatzes herrscht, der in der Behandlung der Fasti auf Janus’ Antwort liegt (Quaest. Rom. 25.268c–d):33 Νομᾶς δ᾿ αὖθις εἰρηνικὸς γενόμενος καὶ πρὸς ἔργα τῆς γῆς φιλοτιμούμενος τρέψαι τὴν πόλιν ἀποστῆσαι δὲ τῶν πολεμικῶν, τῷ Ἰανουαρίῳ τὴν ἡγεμονίαν ἔδωκε καὶ τὸν Ἰανὸν εἰς τιμὰς προήγαγε μεγάλας, ὡς πολιτικὸν καὶ γεωργικὸν μᾶλλον ἢ πολεμικὸν γενόμενον. ὅρα δὲ μὴ μᾶλλον ὁ Νομᾶς τῇ φύσει προσήκουσαν ἀρχὴν ἔλαβε τοῦ ἔτους ὡς πρὸς ἡμᾶς. καθόλου μὲν γὰρ οὐδέν ἐστι φύσει τῶν ἐν κύκλῳ περιφερομένων οὔτ ̓ ἔσχατον οὔτε πρῶτον, νόμῳ δ ̓ ἄλλην ἄλλοι τοῦ χρόνου λαμβάνουσιν ἀρχήν· ἄριστα δ ̓ οἱ τὴν μετὰ τροπὰς χειμερινὰς λαμβάνοντες, ὁπηνίκα τοῦ πρόσω βαδίζειν πεπαυμένος ὁ ἥλιος ἐπιστρέφει καὶ ἀνακάμπτει πάλιν πρὸς ἡμᾶς· γίγνεται γὰρ ἀνθρώποις τρόπον τινὰ κατὰ φύσιν τὸν μὲν τοῦ φωτὸς αὔξουσα χρόνον ἡμῖν, μειοῦσα δὲ τὸν τοῦ σκότους. Numa aber wiederum [sc. nach Romulus’ Herrschaft und Kalenderkonstitution], ein Mann des Friedens, der die Stadt zur Landwirtschaft hin zu lenken und sie vom Kriegswesen abzubringen trachtete, gab dem Januar die Führungsstellung und brachte Janus zu großen Ehren, da dieser eher ein Staats- und Landmann war als ein Krieger. Aber bedenke, ob Numa nicht den Jahresanfang annahm, der für uns der natürliche ist. Denn generell ist zwar nichts von Natur aus das letzte oder das erste in einem Zyklus, sondern durch Brauch übernehmen die einen diesen Anfang der Zeit, die andern jenen. Am besten nimmt man jedoch die Wintersonnenwende als Anfang, wenn die Sonne aufgehört hat, voranzuschreiten, und sich wendet und wieder auf uns zu kommt; denn dieser Anfang ist auf eine Weise natürlich für die Menschen, indem er uns die Zeit des Tageslichts vergrößert, die Zeit der Dunkelheit verkleinert.

Diese teils lebensweltlich motivierte Erklärung einer ‚Natürlichkeit‘ der τροπαὶ χειμεριναί, die für den Menschen eine beobachtbare Wende in der Verteilung der Tages- und Nachtlängen bedeuteten, führt den Beginn des jährlichen Ordnungs-

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Hier nur 268d zitiert; Plutarch zeigt sich auch als Leser Ovids bzw. seiner Quellen, insofern die Frage nach dem Jahresanfang bei ihm in das Konstrukt einer Opposition des Jahres des Romulus (im März beginnend) gegenüber dem des Numa (im Januar beginnend) integriert ist, wie das in Fasti 1.27–44 der Fall ist, wie wir gesehen haben, und dann ein zentrales Thema des Textes bleiben wird. S. zur zitierten Stelle auch Burchett 1918, 22.

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musters zwar wie Janus’ Distichon auf die astronomische Messgröße des Sonnenlaufs zurück, stützt diese jedoch nicht wie dort auf die formale Beobachtung der Kürze eines Tages und seines Übergangscharakters. Der Gott Janus wird in die Opposition der beiden ersten römischen Könige eingefügt, der im friedlichen, agrikulturellen Rom des Numa als ebenso konturierter Gott die Anfangsstellung im Jahr erhält – wiederum, das wird aus dem Vorhergehenden bei Plutarch deutlich, im Kontrast zum kriegerischen Gott Mars, den Romulus mit dem März an den Anfang des Jahres stellte. Wir haben also wie in den oben besprochenen Passagen der Fasti die Kodierung der beiden Könige und die an sie angeschlossene Ausrichtung der römischen Kultur vor uns. Dass Janus kein kriegerischer Gott sei, ist eine Charakterisierung, die in vielen antiquarischen Texten und auch bei Ovid zum Tragen kommt: nil mihi cum bello: pacem postesque tuebar (Fasti 1.253, „mit Krieg habe ich nichts zu tun: ich schützte den Frieden und die Türpfosten“). Dieser Hexameter verweist auf den Janusbogen und seine symbolhafte Öffnung im Krieg bzw. Schließung im Frieden, was die Verse 1.257–82 ausführlich thematisieren. Der Friedensbogen wäre allerdings ohne den Kontrast zum Krieg bedeutungslos, wodurch der Beschreibung des Janus als Friedensgott auch auf dieser Ebene eine gewisse Dialektik innewohnt. Zu diesen und einigen weiteren Funktionen des Janus im römischen Kult und dessen Beschreibung in römischen Texten, im Besonderen zu seiner Rolle bei der Konstitution, Erklärung und Repräsentation des Kalenders komme ich im nun folgenden Abschnitt. Das Rätsel der Herkunft und Funktion dieses einzigartigen römischen Gottes beschäftigt die Deuter bis in die heutige Zeit und soll besonders im Hinblick auf seine Verbindung mit dem Kalender besprochen werden. Die herausgehobene Stellung der Fasti als wissenspoetologischer Text, der die Assoziation des Janus mit dem Kalender stärkt, soll im Zusammenhang des gesamten Wissensdiskurses noch deutlicher herausgearbeitet werden.

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Poetische Entwürfe des Jahres Das Jahr an der Schwelle: Janus und der Kalender Janus patronne les commencements, ainsi compris, non seulement dans l’action religieuse, mais dans l’espace, dans le temps, dans l’être.34 The obscurity of the Janus cult is impenetrable. He has no special priest, no flamen, and no known festival which antedate the fading of his original powers and his transformation into a calendar symbol.35

Im folgenden Abschnitt möchte ich diese „Transformation“, wie sie Louise Adams Holland im Jahr 1961 nannte, nachzeichnen und für eine herausgehobene Rolle der Fasti in diesem wissenspoetologischen Prozess argumentieren. Die Ausweitung der Bedeutung des Gottes für alle Anfänge, die Georges Dumézil beschreibt, wirkte sich auch auf die Symbolik in der Konstitution und Exegese des römischen Kalenders aus. Es sind nun weitere Untersuchungen des römischen antiquarischen Diskurses über den Gott am Platz, um seine Verbindung mit dem Kalender und dem Jahresanfang im historischen und kultischen Kontext besser zu verstehen. In diesem Abschnitt soll es dabei nicht um das Wesen des Gottes Janus per se gehen – denn es gilt immer noch Warde Fowlers über 100 Jahre altes Diktum: „ever since he ceased to be an intelligible deity, [Janus] has been the sport of speculators.“ 36 Ein einheitliches Verständnis bestand schon in spätrepublikanischer Zeit eindeutig nicht mehr; es gibt vielmehr stets eine Unsicherheit im Wissen um diesen Gott, das seinerseits allerdings das kreative Potential in der Exegesepraxis freisetzt. Trotz dieser Ungewissheit lassen sich antike wie auch moderne Theorien, religiöse und philosophische Vorstellungen und Erklärungsweisen differenzieren, und erst aus dem Verständnis der schillernden Gestalt und Funktion von Janus im antiquarischen Diskurs wird die Spezifizität und auch Originalität der Behandlung in den Fasti deutlich. Die Frage nach dem ersten Ursprung des Denkens über Janus ist aus den antiken Quellen nicht mehr abschließend zu rekonstruieren. Das ist genauer die Frage, ob nun die konkrete Tür als Alltagsgegenstand Anlass für das nachträgliche abstrakte Konzept eines Gottes war, der allen Anfängen und Passagen (sowohl den materiellen als auch den metaphorischen wie etwa im Gebet und in den Zeitkonzeptionen) vorstünde; oder ob im Gegenteil die zuerst gegebene Notwendigkeit im römischen Ritus, einer göttlichen Instanz (abstrakterweise) die Verantwortung für initiale Momente zu verleihen, zu Konkretionen und Spezifikationen von Janus’

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Dumézil 1974, 334. Holland 1961, 265. Einige halten dagegen den Rex Sacrorum für den Priester des Janus (z.B. Wissowa 1912, 103), was laut Holland aber nicht zu belegen ist. Fowler 1899, 125. Zu diesen verschiedenen (teils philosophisch-allegorischen) Deutungen, s. auch Wiseman 2004, 161 f.

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numen im Hinblick auf Tore, Türen und Schwellen geführt hat. Erstere These wurde etwa von Georg Wissowa zu Anfang des 20. Jahrhunderts vertreten: 37 Der Name, dessen Identität mit dem Appellativum ianus nicht in Abrede zu stellen ist, kennzeichnet den Janus ebenso deutlich als den Gott der Türen und Tore, wie Fons, Terminus, Vesta, als Gott der Quelle, des Grenzsteins und des Herdes sichergestellt sind. [...] Von Janus als Gott des Einganges ist nur ein Schritt zum Gotte des Anfanges, da diese beiden Begriffe einander entsprechen wie Raum und Zeit (vgl. initium); so hat er die Herrschaft über jeden Anfang, er waltet über das erste Entwicklungsstadium eines jeden Dinges, über den Beginn eines jeden Zeitabschnittes.

Der umgekehrte Gedanke einer Konkretisierung und Auffächerung der abstrakten einführenden Funktion des Janus findet sich dagegen besonders in der französischen religionswissenschaftlichen Schule, die sich von Arnold van Gennep (Rites de passages, 1909), also anthropologisch und ethnologisch beeinflusst zeigt. Auch der in dieser Tradition ebenso einflussreiche Georges Dumézil nahm, aus indoeuropäischer Perspektive argumentierend, ein einheitliches Konzept des Gottes an, das am Konzept des Anfangens hänge.38 Hauptpunkt innerhalb dieser Schule ist die sukzessive Partikularisierung und Konkretisierung des weiten Aufgabenbereichs und der Form des Janus bei den Römern, sowohl bei den Mythographen als auch bei den Wissensexperten wie Varro. Die beiden Denkrichtungen schließen sich jedoch nicht vollkommen aus, da die bildliche Verbindung von Anfängen und Türen bzw. Türschwellen sehr eng ist, sodass man sie in den meisten römischen Texten nur schwer auseinanderhalten kann. Im Folgenden bespreche ich die wichtigsten Textpassagen im römisch-antiquarischen Diskurs über Janus und zeige die Rolle der Darstellung in den Fasti in einem Prozess der Aneignung und der Transformation des Gott des Anfangs und der Türen zu einem Gott der Monate, des Jahres bzw. des Kalenders und der Zeit überhaupt.

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Wissowa 1912, 108; 96. Zur Kritik an dieser Denkrichtung, s. Schilling 1960, 100: „Tout se passe comme si leur postulat fondamental était que les Romains des origines étaient incapables de concevoir une divinité qui se définît par une fonction abstraite; que, nécessairement, cette divinité, pour exister, devait se limiter à quelque manifestation visible et concrète.“ Dieser polemische Gedanke stammt im Wesentlichen von Dumézil 1974, 333. Dumézil 1974, 114: „Le préjugé primitiviste empêche beaucoup d’auteurs contemporains d’admettre, dans la Rome primitive, un dieu des commencements, un dieu défini uniquement par sa position dans tous les prima. Janus devient alors inexplicable, ou se voit imposer d’acrobatiques explications. Pourquoi refuser d’accueillir pour ancien ce bref et substantiel morceau du catéchisme pontifical, qui éclaire tout?“ Er meint damit den „Katechismus“ der Gebetsanfänge, die Janus immer wieder aufrufen (s.u. zu den Stellen dieser Gebetsanfänge).

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3.2.3.1 Janus als Gott der Anfänge und der Türen Die Reihe der antiquarischen und religionsphilosophischen Texte über Janus’ Rolle und Herkunft in der römischen Kultur und die Informationen, die sie über die initialen und – sit venia verbo – ‚ianualen‘ Aspekte der Gottheit geben, beginnt mit Varros Antiquitates rerum divinarum (47/46 v.Chr.). Janus ist demnach der Gott, dem in Rom zuerst geopfert wird und der in den rituellen Formeln am Anfang steht,39 und in Varros bekannter Formulierung wird er so von Jupiter differenziert und dessen nachgestellte Erwähnung, die in Gebeten erst auf die Anrufung von Janus folgt, erklärt (Ant. fr. 231 Cardauns, apud Aug. Civ. Dei 7.9):40 quoniam penes Ianum, inquit, sunt prima, penes Iouem summa („da ja die ersten Dinge, sagt [Varro], in Janus’ Macht stehen, in Jupiters Macht die höchsten“). Varro fokussiert hier wie auch an anderen Stellen, die bei Augustinus überliefert sind, allein auf die Herrschaft des Gottes über Anfänge.41 Der erste Gewährsmann in römischen Texten, der sowohl die Anfangsposition des Gottes im Gebet als auch seine Konkretisierung als Tür oder Durchgang nennt und den Zusammenhang etymologisiert, ist allerdings Cicero bzw. der Stoiker Balbus in der Darstellung von De natura deorum 2.67 (um 45 v.Chr.; die folgende Passage ist Teil einer Liste olympischer und italisch-indigener Götter):42 Cumque in omnibus rebus vim haberent maxumam prima et extrema, principem in sacrificando Ianum esse voluerunt, quod ab eundo nomen est ductum, ex quo transitiones perviae iani foresque in liminibus profanarum aedium ianuae nominantur. Weil bei allen Angelegenheiten die ersten und die letzten Dinge die größte Bedeutung haben, wollte man, dass Janus der Anführer beim Opfer sei; dieser Name ist vom ‚Gehen‘ abgeleitet, weshalb Durchgänge iani genannt werden und Türflügel an den Schwellen ungeweihter Gebäude ianuae.43 39

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Cf. Holland 1961, 271, auch für die initiierende Rolle der liba bzw. strues, d.h. der Opferkuchen für Janus, die in Fasti 1.128 und 176 erwähnt werden. Cf. Schilling 1960, 93 und Dumézil [1966] 1974, 191. Janus steht außerdem an erster Stelle sowohl in der devotio-Formel (bei Liv. 8.9.6) als auch im Gebet des pater familias vor der rituellen Reinigung des Feldes (Cato, De Agr. 134.1.5 und 2.1). Cf. weitere Testimonien in Aug. CD 4.11, in Iano initiator; 7.3, omnium initiorium potestatem habere Ianum. Wo sie im zweiten Buch noch frei angewendet wird, argumentiert gegen die etymologische Methode freilich Cotta im dritten Buch des Werks: cf. ND 3.62. Zur Stelle cf. Pease 1955–58 ad loc.; Wissowa 1912, 103; Dumézil 1974, 334. Holland 1961, 23 f. bietet eine recht eigenwillige, da auf Wasserüberwege zielende Interpretation der Cicero-Stelle. Ihre Überlegungen machen den Versuch, auf eine Zeit zurückzugehen, in der Roms primitive Siedlung die Wasserläufe noch nicht mit befestigten Wegen, Brücken und Abwassersystemen verdeckt hatte – und für die uns keinerlei Diskurs über Janus bekannt ist, der allerdings Voraussetzung für die in diesem Abschnitt gestellte Aufgabe und Ovids Behandlung des Gottes ist. Trotz Vorbehalten der Forschung

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Die Logik dieser Aussage erschließt sich nur auf den zweiten Blick, wobei erst der Kontext der Götterliste in Ciceros Text den Zusatz et extrema verständlich macht. Vesta, deren Name gleich danach erklärt wird, werde nämlich in Gebeten und beim Opfer zuletzt angerufen. Es ist wohl impliziert, dass Janus der Gott der Anfänge ist und in dieser Funktion auch beim Opfer als erster genannt wird. Die Etymologie von ire (ab eundo) spielt bei dieser Begründung der Rolle des Gottes allerdings die zentrale Rolle; sie findet sich bei Ovid als eine von mehreren lexikalischen Ableitungen wieder, wenn auch nur in impliziter Form durch die Wiederholung des flektierten Verbs (Fasti 1.125–7): praesideo foribus caeli cum mitibus Horis / (it, redit officio Iuppiter ipse meo) / inde vocor Ianus („ich schütze die Tore des Himmels zusammen mit den sanften Horen [Jupiter kommt und geht durch meinen Dienst]; deswegen heiße ich Janus.“)44 In den Fasti steht Janus damit genau wie bei Varro und Balbus/Cicero funktional noch vor Jupiter und wird als Türhüter-Gott im gleichen Gedankengang mit den griechischen Zeitgöttinnen assoziiert: den Horen, d.h. den „Stunden“ oder „Jahreszeiten“. 45 Ciceros Erklärung, für sich genommen, enthält außerdem das Konzept der Passage oder des „Übergangs“ (transitiones perviae), das im Objekt der Tür, des Torbogens bzw. des ianus konkretisiert ist. Die moderne Linguistik unterstützt diese Bedeutung, wenn auch nicht eine direkte Ableitung von ire.46 Das neueste lateinische etymologische Wörterbuch Michiel de Vaans (2008) gibt als Bedeutung des

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(cf. Waszinks Rezension im Gnomon [1965]) sind ihre komplexen Überlegungen in Betracht zu ziehen, weshalb ich aus der Zusammenfassung des ersten Teils ihres Buches zitiere (Holland 1961, 74): „Cicero's definition of Jani as transitiones perviae, when analyzed, confirms the hypothesis that Janus repre-sents not simply a ‚passage way,‘ but a crossing which carried a road across water. The Janus templum appears to be an inaugurated bridge which rendered the auspicia peremnia unnecessary. The opening of the Janus in time of war meant the removal of the bridge as a defense measure. Since the gates which defined the templum remained in position on the banks at such times, they were the only permanent feature of the monument, and so a iugum or arch became the symbol of the cult. The obsolescence of the Janus boundary and its river ritual began early, and the streams were supplanted by the Etruscan pomerium, an institution better adapted to an urban community with a need for more efficient communications for both military and commercial uses. Numerous subordinate functions, all derived from the fact that Janus was the way through which all important projects began, overshadowed his original importance as the means of going in and out of the stream-girt Italic settlements.“ Cf. Green 2004 ad loc. Green 2004 ad 125: „The Horae are attributed various functions in mythology [...], but their role as guardians of the gates of Heaven is as old as Homer; cf. Il. 5.749ff., 8.393ff. Their role here seems limited to that of Janus’ attendants: is the proud Janus exaggerating his powers?“ Schilling 1960, 91 wie auch Capdeville 1973, 401–4 diskutieren die Ableitung des Namens von einer indoeuropäischen Wurzel bzw. vom Sanskrit-Wort für (frz.) „passage“ (ai, yati = „geht, fährt“). Die dagegen meist abgelehnte Variante ist die Ableitung von

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Wortes ianus „arched passage, doorway; god of gates and doors“ an und geht von einer ältesten (rekonstruierten) Bedeutung im Sinne von „passage, corridor“ aus (ibid., s.v.). Gérard Capdeville, der 1973 einen der wichtigsten Artikel zur Bedeutung des Gottes verfasst hat, entwickelt aus den lateinischen Quellen heraus die gleiche Auffassung; er verschweigt nicht die Zweifel der französischen Linguisten an der Ableitung, die zu (frz.) „passage“ führt, beharrt aber dennoch auf der Charakterisierung des Janus als Gott sowohl der Anfänge als auch der Übergänge (Capdeville 1973, 404): „Les observations linguistiques de A. Meillet et A. Ernout ne nous semblent donc pouvoir ébranler l’interprétation de Janus comme dieu du ‚passage‘. Et c’est parce que les ‚commencements‘ sont le plus souvent des passages d’un état à un autre, que le dieu nommé ab eundo préside aussi aux initia.“ Die Verbindung der beiden Konzepte einer Passage bzw. eines Übergangs „von einem Zustand zum anderen“ mit dem des Anfangs, der darin enthalten sei, trifft die Vorstellung, die zur Übertragung der Figur des Janus auf den Jahresbeginn nötig ist – wenn dieser Zeitpunkt des Jahres als Punkt des Übergangs, als Schwelle aufgefasst wird, wie es in den Fasti an der bruma deutlich wird. Dieser Denkweg ist einer vom Konkreten zum Abstrakten und wird durch die Etymologie des Namens des Janus, die auf die Bezeichnung eines konkreten Türbogens verweist, gestützt, weshalb ich dieser Alternative in der modernen Deutung des Gottes den Vorzug geben würde. Es sind die beiden Aspekte des Anfangs und der Tür, die den gemeinsamen Nenner in den römischen Zeugnissen über den Gott bilden. In Ovids Darstellung sind diese Vorstellungen verquickt und zu einem produktiven Ganzen, das nicht frei von Widersprüchen ist oder sein muss, geformt.47 Zwei Aspekte des Gottes erweisen sich auch in den Fasti als gleich dominant, wie wir schon gesehen haben: Die Charakterisierung des Janus als Gott der Anfänge und die Identifikation mit der Tür, an der mich besonders die Figur der Schwelle und der Darstellung einer zweiseitigen Form als Einheit interessierte. Anhand spezieller Kultnamen für Janus und ihrer Erklärung sind zudem weitere, mit diesen beiden verwandte Funktionen und Eigenschaften des Gottes im religiösen Diskurs zu greifen, die in den Fasti zumindest kurz aufgerufen werden. Kommen wir zunächst zum Aspekt des Anfangens, der dem Gott eigen ist. Janus ist in einer nicht zu steigernden Weitung des Konzepts des Anfangens bei Ovid der Schutzherr über den Kosmos, die Gestalt des kosmischen Anfangs selbst (Fasti 1.103 f.): me Chaos antiqui (nam sum res

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*Dianus (für die jedoch etwa MacKay 1956, 158 argumentiert). Die Zweifel der frz. Linguisten werden von Walde-Hofmann 1938, s.v. Ianus, nicht geteilt. Den etymologischen Nachweis eines abstrakten Konzepts des „Gehens, Kommens“ (Skt. yāna) führen Altheim 1931, 194 und Otto 1918. Für die linguistischen Fragen wie auch den gesamten Komplex der Erklärung des Janus ist auch Waszinks Rezension von Holland 1961 (s. meine vorige Anm.) sehr hilfreich. Zu Aufbau und Interpretation der Janus-Episode in den Fasti ist Hardie 1991 grundlegend.

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prisca) vocabant: / aspice quam longi temporis acta canam („mich nannten die Alten ‚Chaos‘ (denn ich bin eine alte Sache): / schau, welch langer Zeit Taten ich besinge“).48 Der Gott gibt sich in diesem Distichon als Aition des Kosmos selbst und zugleich als Aitiologe par excellence aus, der Zugriff zu den ersten Dingen und ihrer Erklärung habe. canam als Schlüsselwort der poetischen Themenankündigung steht am Ende von Vers 104 in gleicher metrischer Stellung wie das [tempora cum causis...] canam des Eingangsdistichons der Fasti in Vers 1.2, was Janus’ parallele Rolle, ja seinen Status als mise en abyme im Verhältnis zum aitiologischen Dichtersprecher der Fasti evoziert – wie sein erster Vers, der an diesen gerichtet ist und den Gott selbst als Didakten ausweist (101): disce metu posito, vates operose dierum („lerne ohne Furcht, arbeitsamer Dichterseher der Tage“). Der Verweis auf die antiqui in Vers 103, die noch sicheren epistemisch-religiösen Zugang zu diesem Gott gehabt und in ihm die kosmische Ursuppe gesehen hätten, weist auch auf eine Zeit, die man in römischen antiquitates zu erklären sucht – zusammen mit der Selbstbezeichnung res prisca, die ebenfalls einen antiquarischen „Gegenstand“ anzeigt, gibt sich Janus als Subjekt und Objekt antiquarischer Schriftstellerei. So bleibt gleich zu Anfang der Rede des Gottes kein Zweifel daran, dass alle Aussagen über ihn diskursgebunden und als „Gesungenes“ nicht zuletzt poetisch geformt sind. Diese philosophische, nämlich empedokleische und stoische Elemente enthaltende Deutung des Gottes als kosmisches Prinzip ist ein spätes Produkt römischer Auslegung unter griechischem Einfluss. Der große Unterschied der Fasti-Kosmogonie zu jener weit bekannteren im ersten Buch der Metamorphosen wurde in der Forschung bereits beobachtet:49 Dort scheidet ein deus, eine melior natura (1.21), die Urmaterie, und das Chaos ist der Zustand vor jeder Ordnung, eine indigesta moles (7, „ungeordnete Masse“) – der gleiche Zustand wird von Janus selbst beschrieben, der zuerst das Chaos selbst (Fasti 1.103, me Chaos antiqui ... vocabant, „die Alten nannten mich ‚Chaos‘“) war, um dann in der zweigesichtigen Form die Ordnung zu finden – es ist die erste, eine große kosmologische Aitiologie der Fasti, der Übergang von der Unordnung zur Ordnung (1.111 f.): tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles, / in faciem redii dignaque membra deo („da-

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Zur Kosmogonie des Janus als Etablierung des poetologischen Prinzips der Fasti, s. Kap. 4.1. Cf. Pfligersdorffer 1973 und Porte 1985, 248–50. Glenn W. Most führt (in einem Berliner Vortrag zu Hesiods und Ovids Chaos am 29.11.2018) als mögliche Quelle für Ovids Chaos-Vorstellung und Kosmologie ein Scholion zu Hesiods Theogonie an, in der ein Gott als τεχνίτης erscheint und die noch ungeordnete Materie (ὕλη τις ἀποίητος, ἀσχημάτιστος) ordnet (Scholia Vetera in Hesiodi Theogoniam 116b). Als Vorbild der Fasti-Passage um die Januskosmologie wird dagegen häufig der spätrepublikanische Gelehrte Nigidius Figulus genannt, s.u.

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mals ging ich, ein Ball und eine Masse ohne Gestalt gewesen war, zu einem bestimmten Aussehen über und zu Gliedern, die einem Gott würdig sind“).50 Die Verse 105–10 zuvor handeln von der empedokleischen Trennung der Elemente, die sich auch in Ovids Verwandlungsepos abspielt, nachdem einmal das Wirrwarr des Anfangs ausführlich beschrieben ist. Aufschlussreich für das Verständnis der Janus-Figur sind dort gerade die Verse am Ende der Chaos-Beschreibung (Met. 1.18-20): corpore in uno / frigida pugnabant calidis, umentia siccis, / mollia cum duris, sine pondere, habentia pondus („in einem Körper stritt Kaltes mit Warmem, Feuchtes mit Trockenem, Weiches mit Hartem, das ohne Gewicht mit Schwerem“). Ovids Chaos ist eine Verbindung der Gegensätze gleichsam avant la lettre, da sie Gegensätze erst mit ihrer Trennung und geordneten Klassifizierung werden. Zunächst allerdings ist alles in einem einzigen Körper enthalten, aus dem die Gegensätze überhaupt hervorgehen können: Das Chaos ist also konstruiert, um die Ordnung setzen zu können, und in den Fasti ist es die zweigeteilte Ordnung des Janus.51 Janus ist demnach auch der Gott, der die Trennung bzw. Öffnung und Schließung aller Dinge bewirkt (Fasti 1.117 f.): quicquid ubique vides, caelum, mare, nubila, terras, / omnia sunt nostra clausa patentque manu („was du überall siehst, den Himmel, das Meer, die Wolken, die Erde, alles wird durch meine Hand geschlossen und geöffnet“).52 Diese Assoziation mit dem Chaos wird auch in Verrius Flaccus’ Wörterbuch gemacht, wo die Etymologie des Namens des Janus vom lateinischen hiare („klaffen“) und über dieses vom griechischen Verb χάω/χάσκειν der gleichen Bedeutung gemacht wird (Verrius Flaccus apud Festus 45 Lindsay): Chaos appellat Hesiodus confusam quandam ab initio unitatem, hiantem patentemque in profundum. Ex eo et χάσκειν Graeci, et nos hiare dicimus. Unde Ianus

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Der globus scheint der σφαῖρος des Empedokles zu sein, wie Glenn W. Most in einem Vortrag zu Hesiods Chaos am 29.11.2018 in Berlin bemerkt hat. Er führt als mögliche Quelle für Ovids Chaos-Vorstellung und Kosmologie ein Scholion zu Hesiods Theogonie an, in der ein Gott als τεχνίτης erscheint und ὕλη τις ἀποίητος, ἀσχημάτιστος ordnet (Scholia Vetera in Hesiodi Theogoniam 116b). Als Vorbild der Fasti-Passage um die Januskosmologie wird dagegen häufig der spätrepublikanische Gelehrte Nigidius Figulus genannt, von dem allerdings sehr wenig bekannt ist. Cf. auch Börtzler 1930, 133–41 zu Macrob. 1.9.14, wo die Verbindung der (empedokleischen) kosmischen Gegensätze durch copulare und colligare eigens ausgesprochen wird: M. etiam Messala, Cn. Domitii in consulatu collega idemque per annos quinquaginta et quinque augur, de Iano ita incipit: qui cuncta fingit eademque regit aquae terraeque vim ac naturam gravem atque pronam in profundum dilabentem, ignis atque animae levem in immensum sublime fugientem copulavit circumdato caelo: quae vis caeli maxima duas vis dispares colligavit. Nimmt man diese Gleichsetzung mit dem Chaos auf werkpoetischer Ebene ernst, steht Janus nicht nur am Beginn der Fasti, sondern auch – eben als das Chaos – an dem der Metamorphosen (die Parallelstelle der Beschreibung des Chaos ist Met. 1.6 f.), wie Hinds 1987, 42 f., Barchiesi 1991, 6 und DiLorenzo 2001, 1 bemerken.

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detracta aspiratione nominatur id, quod fuerit omnium primum, cui primo supplicabant velut parenti, et a quo rerum omnium factum putabant initium („Hesiod nennt das ‚Chaos‘ eine anfangs verwirrte Einheit, klaffend und sich in die Tiefe öffnend. Daher sagen auch die Griechen χάσκειν, und wir hiare. Deswegen wird auch nach Wegnahme der Aspiration das ‚Janus‘ genannt, was das erste von allen Dingen war, dem man zuerst sein Gebet darbrachte wie einem Vater, und von dem man glaubte, dass aller Dinge Anfang durch ihn geschaffen wurde“). Diese nach modernen linguistischen Maßstäben falsche etymologische Herleitung wird in den Fasti wiederum nur implizit gegeben (me Chaos antiqui ... vocabant in Vers 1.103) – sie dient bei beiden Autoren dazu, Janus mit dem kosmischen Anfang Hesiods in Verbindung zu bringen. Die rituelle Anfangsstellung des Janus in Gebeten (dazu s.u.) kann so auf den Anfang aller Dinge übertragen werden, und Janus wird zum Schöpfergott. Die „Öffnung“ (hiantem patentemque) einer „Einheit“ (unitatem) ist bei Verrius das entscheidende Formelement, das in den Fasti mit weit größerer Finesse ausgearbeitet und mit rhetorischen und poetischen Verfahren verknüpft wird, wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben. Sie ist als bildliche Form auch für die Assoziation des Janus mit der Türschwelle und dann der Schwelle des Jahres wichtig. In den Fasti werden darauf, ein wenig später in dieser langen Passage der Unterhaltung mit Janus, private und öffentliche Rituale des Beginnens erklärt: die guten Wünsche an den Kalenden des Januar wie auch die Gabe von Palme, Feigen und Honig und die symbolische Tätigkeit auf dem Forum am Jahresanfang. 53 Der 1. Januar wird damit klar als Neuanfang markiert, dessen Ereignisse den neuerlichen Jahreslauf in Gang bringen und dessen Kurs bestimmen sollen. Der initiale Aspekt von Janus’ numen ist in den Fasti mit dem zeitlichen Konzept des Jahres und dessen Anfang verknüpft,54 indem dem Gott all diese Erklärungen in den Mund gelegt werden. Die Bräuche können allerdings nicht auf ein historisches römisches Fest für Janus zurückgeführt werden, das es nie gegeben hat. 55 Seine späte Assoziation mit dem Kalender, nämlich wohl im ersten Jahrhundert v.Chr., ist in diesem Kontext zu sehen – ein neues Ordnungsmuster hat endgültig das alte 53

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1.178 omina principiis ... inesse solent, 179 primam vocem, 180 primum; 187 f. ‚omen‘ ait ‚causa est, ut res sapor ille sequatur / et peragat coeptum dulcis ut annus iter‘; 167 f. tempora commisi nascendi rebus agendis / totus ab auspicio ne foret annus iners. Zu den Ritualen des römischen Jahresanfangs, cf. Meslin 1970, 42 und passim; Baudy 1987. Zu den Stellen in den Fasti, cf. Green 2004 ad locc. Das zeigt auch das Distichon 1.63 f. ecce tibi faustum, Germanice, nuntiat annum / inque meo primum carmine Ianus adest. Für ein zu nachdrücklich vorgetragenes Plädoyer gegen Janus als Gott des Anfangs, cf. Burchett 1918. Sie führt aber zu Recht den Mangel an tatsächlich praktizierten Ritualen für Janus am Jahresanfang an (die fasti Pranestini notieren Opfer für Vediovis und Aesculap am 1. Januar: CIL 1.312). Als Gott des Beginns und dieu introducteur wird Janus dagegen besonders deutlich von der französischen Forschung gezeichnet: Schilling 1960, Dumézil [1966] 1974 und Capdeville 1973.

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überlagert, in dem das Jahr noch im März begann, dessen Zeichen nurmehr Relikte sind (s. Kap. 3.1.4). In den Fasti macht dieser Sachverhalt die plakative Behauptung im Distichon 1.168 f. umso auffälliger: tempora commisi nascendi rebus agendis / totus ab auspicio ne foret annus iners („die Zeit der Geburt [sc. des Jahres] habe ich für Rechtsgeschäfte freigegeben, damit das Jahr nicht vom anfänglichen Vorzeichen an tatenlos sei“) – denn gerade in dieser Junktur wird die Engführung von Ovids Janus-Gestalt mit der Zeit und somit dem Thema der Fasti deutlich.56 Auch dies stützt die These, dass die Verbindung des Janus mit dem Jahresverlauf, die eine späte oder zumindest sekundäre Assoziation ist, erst mit den Fasti besonders stark gemacht wurde. Auch die einführende Funktion des Gottes bei der Vermittlung von Gebeten, die wir bei Varro und Cicero finden, nehmen die Fasti auf und schaffen ein konkretes Bild dieser Funktion in Kombination mit der Gestalt der (himmlischen) Tür (1.171–4): mox ego, ‚cur, quamvis aliorum numina placem, Iane, tibi primum tura merumque fero?‘ ‚ut possis aditum per me, qui limina servo, ad quoscumque voles' inquit ‚habere deos.‘ Bald fragte ich: „Warum, obgleich ich die göttlichen Kräfte anderer Götter besänftigen möchte, bringe ich dir zuerst Weihrauch und Wein dar?“ „Damit du durch mich, der ich die Schwellen bewache, Zugang zu allen Göttern hast,“ sagte er.

Ovids Text stellt in dieser Passage die Verbindung von erster Position (172 primum) und der Türschwelle her, über die einem menschlichen Bittsteller Zugang zu den Göttern gewährt wird (173 aditum per me; limina). Die beiden zentralen Aspekte der Janus-Figur sind hier nicht mehr zu trennen: Janus’ Anfangsstellung in Gebeten wird plausibilisiert, indem das Bild der Tür, des Durchgangs hinzugezogen wird, durch die der Verkehr zwischen Göttern und Menschen erst möglich werde. Der Aspekt der transitio Ciceros, nun konkretisiert im Bild der Türschwelle, wird so ebenfalls auf die Situation von religiöser Kommunikation bezogen: Zwischen den beiden Sphären des Göttlichen und des Menschlichen muss es einen Raum des Übergangs geben.57

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tempora als Signalwort der Sujetfügung steht immer wieder in dieser metrischen Stellung, so etwa in Fasti 1.1, 1.27, 3.243, 4.11, 6.771. In diesen Kontext der Vermittlung zwischen Göttern und Menschen ist wohl auch die Bronzemünze (ein as) von 280–76 v.Chr. zu stellen, die Janus auf der Vorder- und Merkur/Hermes auf der Rückseite zeigt; letzterer Gott ist bekanntlich der Vermittler zwischen den beiden Sphären (cf. Wiseman 2004, 162, und für weitere Münzen mit dem Janus-Bild, ibid. 163). Ovids Kenntnis der Münzen und zumal ihrer Exegesevarianten erweist sich aus Fasti 1.229 f. ‚multa quidem didici: sed cur navalis in aere / altera signata est, altera forma biceps?‘ – hier geht es um die Münzprägung von 225–17

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3.2.3.2 Janus und die Zeit Die rituellen Funktionen des Janus als Schirmherr für jeglichen Anfang und Übergang sowie seine Gleichsetzung mit oder Verantwortung über die Tür sind, wenngleich in nur spärlicher Zahl, nun auch für den Wissensdiskurs gesichert, an dem Ovids Text teilhat. Der nächste Schritt in meiner Rekonstruktion der Assoziation des Janus mit dem Jahresanfang ist die Verbindung mit zeitlichen Phänomenen und Kategorien generell. Zu einem etwas späteren Zeitpunkt, als diese Verbindung schon etabliert ist, nennt ihn Plinius der Ältere (NH 34.33) den temporis et aevi deus, „Gott der Zeit und Ewigkeit.“ Gegenüber den weitaus beschränkteren Funktionsbestimmungen nur etwa ein Jahrhundert zuvor ist dies eine beachtliche Weiterung, die jedoch nachvollziehbar ist, wenn man die Herrschaft über zeitliche Anfänge auf das Walten über Zeit an sich und somit auch über eine Ewigkeit überträgt. Wie kann man sich diesen semantischen Prozess jedoch im Einzelnen vorstellen? Für meine Untersuchung ist entscheidend, wie der Gott aller Anfänge (Varros prima) auch für den Jahresanfang verantwortlich gemacht wurde. Das mag zunächst keine bedeutende Wendung sein, stellt jedoch eine sehr späte Entwicklung im Nachdenken über Janus dar und musste sukzessive über die Assoziation mit Tages- und Monatsanfängen geschehen. Die Verbindung, ja Gleichsetzung des Janus mit dem Jahresanfang findet sich explizit erst in Texten nach den Fasti, die diese Assoziation in Bild und Form als nicht propositionales Wissen für den Diskurs vorzubereiten scheinen. Ovids teils poetische, teils antiquarische und buntschriftstellerische Nachfolger machen den Zeitaspekt erst explizit und weisen auf den diskursiven Wandel hin bzw. wirken daran mit, dass alle anderen Funktionen des Gottes in den Hintergrund geraten, wie man beispielsweise an Plinius’ Aussage sehen kann.58 Die Schritte bis zur Assoziation mit dem Jahresanfang zeichen ich nun skizzenartig nach. Um 100 v.Chr. deutet Q. Lutatius Catulus den Janus als Gott des Tages,59 als die Sonne selbst – mit Sonnenauf- und Untergang als den zwei Blickrichtungen

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v.Chr., die einen (nunmehr bärtigen) Janus auf der Vorder- und ein Schiff auf der Rückseite zeigte. So auch Holland 1961, 270. „The connection of Janus with the Kalends of every month is part of his undoubtedly important meaning in his later history for the calendar and for time-reckoning in general, but the root of his functions as a time god is in the governance of all beginnings which Janus acquired through being the way by which one embarked on every enterprise. This naturally related him to the beginning of the month as well as of the year. In the later Empire Janus seems to have lost all practical meaning except as a god of time, and his name becomes a poetic synonym for annus.“ Zu Catulus dem Älteren, Konsul 102 v.Chr. (und seinem gleichnamigen Sohn), cf. Cic. Arch. 5 f., wo er als Gelehrter ausgewiesen wird.

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der Ikone.60 Hier befinden wir uns im Bereich der stoischen religiösen Naturphilosophie, der Anreicherung bzw. Deutung religiöser Rituale oder Gottheiten durch Gleichsetzung von Göttern und Natur, von der Ovid in der Janus-Kosmologie der Fasti ausgiebig Gebrauch gemacht hat.61 Es könnten dies die ersten Überlegungen zur konkret zeitlich-zyklischen Applikation der Figur des Janus gewesen sein. Wir sind heute nur noch imstande, Catulus’ Ausführungen über den Gott in der fragmentarischen, jedoch wohl wortgetreuen Übersetzung in Johannes Lydus’ Abhandlung De mensibus (6. Jh. n.Chr.) zu greifen: 62 Ὅ γε μὴν Λουτάτιος Ἥλιον παρὰ τὸ ἑκατέρας πύλης ἄρχειν, ἀνατολῆς ἴσως καὶ δύσεως, „Lutatius sagt, dass die Sonne über beide Tore herrsche, gleichsam über Aufgang und Untergang.“ 63 Der Satz ist bei Lydus Teil eines längeren Referats verschiedener Deutungen des Janus bei römischen Autoren; es ist daher die Assoziation der Sonne mit Janus gemeint, der über die Tore in Ost und West herrsche, auch wenn der Gott in diesem Satz nicht genannt wird. Catulus’ Aussage stützt die These, in Ovids Behandlung des Gottes eine enge Verbindung zwischen der Gestalt des Gottes, dem Jahr und der Sonne hergestellt zu sehen: In Janus’ bruma-Distichon sind, wie wir gesehen haben, Phoebus (die Sonne) und das Jahr eins.

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Cf. Börtzler 1930, 110. Cf. Wiseman 2004, 161, auch Börtzler 1930, 106 f. zur Rolle des stoischen Denkens in dieser oft ins Allegorische tretenden Deutungsweise: „Die Stoiker aber trieben sie [sc. die etymologisierende Form der Religionsphilosophie] jedenfalls noch in vollem Ernste, oder vielmehr sie benutzten sie zum Nachweis der Übereinstimmung der überlieferten Mythologie mit ihrer religiösen Naturphilosophie.“ S. auch ibid. 109: „Die Janusdeutungen, die wir z.B. bei Ovid usw. finden, besagen für das ursprüngliche Januswesen gar nichts. Sie sind kein Nacheinander, sondern in einer Epoche gleichzeitig entstanden, sie stammen aus der hellenistischen Philosophie, und ihr letzter Grund ist manchmal vielleicht eine Etymologie.“ Es ist allerdings zu bedenken, dass ein solches „ursprüngliche[s] Januswesen“, nach dem Börtzler sucht, nirgends textlich zu greifen ist – man muss sich also auf die Deutungen „z.B. bei Ovid“ beziehen. Joh. Lyd. De mens. 4.2 (S. 65, Zeile 16 Wünsch = Lutatius Catulus fr. 7 Peter [Historicorum Romanorum Fragmenta, S. 127]). Cf. Börtzler 1930, 112–15 zu dieser Interpretation des Catulus. Relevant für die Frage nach Janus und der Zeit sowie dem Kalender sind daneben der Satz des Fonteius (nach F. Graf, Fonteius [I.9], DNP, ein nur bei Lydus greifbarer Antiquar wohl des 1. Jh. v.Chr.): Φοντηϊος δὲ ἐν τῷ περὶ ἀγαλμάτων ἔφορον αὐτὸν οἴεται τοῦ παντὸς χρόνου τυγχάνειν, καὶ ταύτῃ δωδεκαβώμον εἲναι τὸν αὐτοῦ ναὸν κατὰ τὸν μηνῶν ἀριθμόν, und ein anonym notierter Satz direkt vor dem Catulus-Zitat: ὲν γὰρ τῇ ἡμέρᾳ τῶν Καλενδῶν πρόεισι ἐσχηματισμένος αὐτὸς ὁ Ἰανὸς ἐν διμόρφῳ προσώπῳ, καὶ Σατοῦρνον αὐτὸν καλοῦσιν οἷον Κρόνον.

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Eine weitere naturphilosophische Identifikation des Janus mit der Sonne kann man möglicherweise Nigidius Figulus zuschreiben, dem herausragenden Gelehrten der späten Republik und Ciceros Freund.64 Die Aussage ist in Macrobius’ Saturnalia (etwa 420–440 n.Chr.) überliefert, ohne dass der Autor allerdings direkt die Quelle dafür nennte (1.9.9): Ianum quidam solem demonstrari volunt, et ideo geminum quasi utriusque ianuae caelestis potentem, qui exoriens aperiat diem, occidens claudat („einige wollen in Janus die Sonne sehen, und in dem Sinne doppelt, als ob er beider himmlischer Türen Herr sei, der aufgehend den Tag öffne, untergehend ihn schließe“).65 Auch diese Aussage verbindet Janus mit dem Tag und seiner raumzeitlichen Bestimmung durch Auf- und Untergang der Sonne und macht wahrscheinlich, dass diese Theorie über den Gott auch in augusteischer Zeit verfügbar war. Die Verknüpfung in Macrobius’ Nachsatz allerdings, der Janus wie selbstverständlich zum metaphorischen Türhüter macht, der den Tag „öffne“ und „schließe“, verweist wiederum auf die Fasti, wo Janus „alles öffnet und schließt“ (Fasti 1.118, omnia sunt nostra clausa patentque manu). Die Kultnamen Patulcius und Clusius, die mit den Verben patere („offen stehen“) und claudere („schließen“) verwandt sind, nennt Janus selbst im Distichon 1.129 f.66 – der Gott galt zunächst als der „Öffner“ und „Schließer“ vor allem des Janustempels, worauf die Weitung des Konzeptes auf ein kosmologische „alles“ und auch die Kategorie der Zeit, hier des Tages, erfolgte. Die im letzten Abschnitt zitierte Passage Ovids, die Janus als den himmlischen Türhüter mit Überblick über Ost und West darstellt (Fasti 1.139 f. ‚sic ego perspicio caelestis ianitor aulae / Eoas partes Hesperiasque simul‘), geht also wahrscheinlich auf diese Überlegungen bei den Fachschriftstellern und Philosophen der späten Republik zurück. Die Sonne als Maßgeber für das Jahr, die das brumaDistichon aus dem Mund des Janus so prominent macht, wurde somit schon im Diskurs mit Janus assoziiert. Ein bildlicher ianitor auch der zeitlichen Einheit ist Janus aber erst bei Ovid.

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Cf. Cic. Tim. 1.1 über ihn: acer investigator et diligens earum rerum, quae a natura involutae videntur. Bei Macrobius steht der Satz gleich nach einer Nigidius explizit zuerkannten Aussage, in der er den Janus in etymologisierender Analogie zu Diana mit Apoll identifiziert (1.9.8): pronuntiavit Nigidius Apollinem Ianum esse Dianamque Ianam. Das macht Nigidius auch für die Identifikation mit der Sonne zum wahrscheinlichen Gewährsmann. Daran angeschlossen steht ein Satz, der Janus, das gesamte Jahr und die Sonne in Analogie setzt (1.9.10): inde et simulacrum eius plerumque fingitur manu dextera trecentorum et sinistra sexaginta et quinque numerum tenens ad demonstrandam anni dimensionem, quae praecipua est solis potestas. Die Fingerhaltung der Statue, welche Faktizität auch immer man dieser (und Macrobius’ Bericht über sie) zuschreibt, muss zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt im Wissensdiskurs um den Gott, nämlich nach Caesars Reform gebildet worden sein. nomina ridebis: modo namque Patulcius idem / et modo sacrifico Clusius ore vocor.

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3.2.3.3 Janus und die Monate In der Interpretation und Kontextualisierung des bruma-Distichons war zu sehen, dass in den Fasti der zeitliche Anfang des Jahres über die eigene forma des Gottes, d.h. über seine Zweigesichtigkeit veranschaulicht und plausibilisiert wird, die in engster Verbindung mit der Figur der Türschwelle präsentiert wird. Es ist diese, wie wir gesehen haben, über poetische und stilistische Verfahren gestützte Erklärungsart des Jahresanfangs als ianus bzw. ianua oder limen, die sich nur bei Ovid findet und durch die er, so meine These, den Diskurs und vor allem die poetische Verwendung des Gottes in Gedichten geprägt hat. Eine knappe Bemerkung in der Passage zur Anordnung der Monate im zweiten Buch (47–54) nimmt das stark verkürzt noch einmal auf (51): primus enim Iani mensis, quia ianua prima est („denn der Monat des Janus ist der erste, weil die Tür die erste ist“). Weder in Prosa noch in Dichtung vor Ovid findet man diesen Fokus in der Repräsentation des Gottes auf den Jahresanfang, die zwei Gesichter des Janus und die Tür. In der etymologischen Erklärung des Januar bei Varro, De lingua Latina 6.34. wird nur die Initialfunktion des Gottes im Gebet und die Analogie zum kalenderarischen Anfang des Jahres festgestellt: ad hos [sc. decem menses: die Anzahl der Monate vor Numas Reform] qui additi, prior a principe deo Ianuarius appellatus („[von den Monaten,] die zu diesen hinzugefügt wurden, wurde der erstere nach dem Anführer-Gott ‚Ianuarius‘ genannt“). Auf die astronomische Erklärung durch die Wintersonnenwende und das Bild der Tür oder Schwelle wird dabei jedoch nicht eingegangen. Janus war allerdings, wie es scheint, auch im Ritual und dem sich auf dieses beziehenden Diskurs schon mit dem zeitlichen Anfang des Monats verbunden, was dann die Verbindung mit dem gesamten Jahr und seinem Anfang als sekundäre oder gar tertiäre Konsequenz (wenn man jegliche konkret zeitliche Assoziation mit dem Gott schon als sekundär betrachtet) nach sich zog.67 Wiederum ist die entscheidende Bemerkung Varro zuzurechnen, und wiederum ist der Gewährsmann für die Aussage des früheren Autors Macrobius, der die Konstitution des Kalenders im ersten Buch seiner Saturnalien diskutiert hat (1.9.16 = Varro, Ant. fr. 67 Cardauns):68

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Es sollte deutlich geworden sein, dass Janus’ Ursprung unmöglich in der Funktion als Jahres- und Sonnengott liegen kann, wie es Brelich 1949, 34 und 39 angenommen hat. Die gesamte Entwicklung wird gewissermaßen eingeebnet von Servius, als gäbe es eine synchrone Diskussion (ad Aen. 7.607): nam alii eum diei dominum volunt, in quo ortus est et occasus [...], alii anni totius, quem in quattuor tempora constat esse divisum. anni autem esse deum illa res probat, quod ab eo prima pars anni nominatur: nam ab Iano Ianuarius dictus est. Das ist freilich eine Eigenschaft, die allen späteren Kompilatoren eignet, sofern sie nicht ihre Gewährsmänner angeben und deren Aussagen gesondert zitieren. Cf. Schilling, 1960, 94, Fußn. 1; Wissowa, (2)1912, 103. Varro kann in seiner Theologie als Pragmatiker und Rationalist eingestuft werden - auch als, um die oben angedeutete

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‚Iunonium‘ quasi non solum mensis Ianuarii sed mensium omnium ingressus tenentem; in dicione autem Iunonis sunt omnes Kalendae, unde et Varro libro quinto rerum divinarum scribit Iano duodecim aras pro totidem mensibus dedicatas. [Als] ‚Iunonius‘ [bezeichnet man Janus, als] Besitzer gleichsam nicht nur des Eingangs des Monats Januar, sondern des Eingangs aller Monate; im Machtbereich aber der Juno liegen alle Kalenden, weshalb auch Varro im fünften Buch seiner Antiquitates rerum divinarum schreibt, dass dem Janus zwölf Altäre für ebensoviele Monate geweiht sind.

Der rituelle Beiname des Janus Iunonius und die über Iunos Zuständigkeit für alle Kalenden hergestellte Assoziation mit den Anfängen der Monate (nicht des gesamten Jahres) wird von Macrobius über die Metapher ingressus, die „Eingänge“ von Türen oder Toren plausibilisiert. 69 Möglich, dass er diese Formulierung von Varro übernommen hat – aber auch an dieser Stelle mag er sich Ovids Bild aus den Fasti angeeignet haben. Jeder temporale „Eingang“ der zwölf Monate wird nach Varro dem Gott des Anfangs geweiht, was auch zwölf Altäre notwendig macht. Ovid hat die Zuschreibung der Monatsanfänge zu Juno in der kurzen ein-

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Unterscheidung in moderner Religionsforschung wieder aufzunehmen, „Abstraktionist“ (insofern er den konkreten Gegenstand als ursprüngliches Bezugsfeld einer Gottheit annimmt, von dem dann weitere Funktionen abstrahiert werden). Cf. dazu Cardauns’ (1976) Edition der Fragmente der Antiquitates Rerum Divinarum, besonders die abschließenden Anhänge (241–44), sowie den Überblick und Forschungsbericht zu den Ant. in ANRW (1978) und schließlich seine Monographie zu Varros Werk (2001, dort 50–60). Eine abweichende, dabei eher „konkretionistische“, ja platonische Bewertung von Varros Theologie bei Börtzler 1930, 144: „Ein leitender Gedanke seiner Theologie ist es ferner, die Reichweite der kosmischen Götter bis ins bürgerliche Leben hinein zu verfolgen, wo sie sich in Teilfunktionen mit besonderen Anrufungsformeln (indigitamenta) offenbaren. Dieselben Ideen wirken sich im Kosmos wie im Leben des Alltags als göttliche Potenzen aus.“ Varro war zwar als Schüler des Antiochos von Askalon auch Akademiker, aber wie dieser im reifen Alter im Wesentlichen Materialist und Stoiker. Richtig ist aber Börtzlers Bewertung von Varros Janus-Bild im Anschluss: „Als bürgerlicher Gott ist Janus auch der Kalendergott, speziell der des ersten Januar, aber auch aller Monatsersten. Varro erschließt es aus seinem Beinamen Junonius.[...] Janus ist also von diesem Römer überhaupt nicht eigentlich als Jahresgott empfunden worden, sondern als Gott der Monatsersten, und selbst beim Januar wird er nur so gedacht“ [meine Hervorh., C.B.]. Extensiv bespricht alle Beinamen des Janus Capdeville 1973; zu Iunonius, cf. ibid., 426–8; zur rituellen Verbindung der beiden Gottheiten ibid., 426 (teils eine Paraphrase von Varro LL 6.27 f. bzw. Macrob. 1.15.10): „De fait, au moment où le lever de la lune nouvelle était observé par le pontife mineur – et plus tard, au début de chaque mois du calendrier solaire –, le Rex sacrorum, assisté de ce pontife, offrait un sacrifice à Janus dans la Curia Calabra, tandis que la Regina sacrorum sacrifiait à Junon Covella dans la Regia.“

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Poetische Entwürfe des Jahres

geschobenen Abhandlung über die iura dierum (Fasti 1.45–62) erwähnt (55): vindicat Ausonias Iunonis cura Kalendas („die Fürsorge Junos beansprucht die italischen Kalenden“). Die Vielzahl der Altäre verschweigt er jedoch ebenso wie die Verbindung von Janus und Juno am Monatsanfang – um, wie wir noch sehen werden, im Gegenzug eine von Vergils Aeneis inspirierte Feindschaft der beiden Götter in der Episode der Sabiner-Belagerung zu konstruieren (s. zu dieser Passage Kap. 2.2.4.1). In Varros etymologischem Traktat wiederum ist eine Vorstellung zu finden, die den Übergang von alter zu neuer Lunation als der ursprünglichen Messgröße für einen Monat exakt so vorführt, wie Ovid die bruma erklärt, nämlich als binär geprägte Schwellenfigur, ohne dabei Janus zu nennen. Es scheint diese Stelle das Vorbild für den Vers 163 im bruma-Distichon zu sein, das in der Forschung bisher nicht beachtet wurde (LL 6.10): Der letzte Tag der Mondphase, so Varro mit Verweis auf griechische Wörter, sei von den Griechen ἕνην καὶ νέαν [ἡμέραν] („letzter und neuer [Tag, sc. des Monats]“) genannt worden,70 ab eo quod eo die potest videri extrema et prima luna („weil an diesem Tag der erste und letzte Mond erscheint“). Erinnern wir uns an den Vers Fasti 1.163, bruma novi prima est veterisque novissima solis, wo beide Adjektivpaare wieder auftauchen und wie in Varros Formulierung einmal den Tag bezeichnen, einmal den Himmelskörper. Ovid hat dieses Konzept vermutlich, von Varros Beschreibung des Mondzyklus ausgehend, anhand der Figur des Janus auf den größeren Zyklus der Sonne und somit auf das gesamte Jahr übertragen.71 Halten wir das fest: Ovid hat diese Figur offenbar von Mond und Monat auf die Sonne und das Jahr übertragen – denn zum Jahreszyklus findet sich bei Varro nichts Entsprechendes. Es ist damit eine erstaunliche Analogie auszumachen zwischen dem Zeitkonzept von Monat und Mond (bzw. interlunium und Neumond) und dessen konzeptueller bzw. imaginativer Verarbeitung bei Varro sowie jenem von Jahr und Sonne (Wintersonnenwende und Neujahr) bei Ovid, die alle um die Figur des Janus herum angelegt sind oder sich zumindest in ihr treffen. Die Abstraktion eines Übergangs, einer Passage am Schwellenpunkt zweier Zyklen findet sich in mehreren Konkretionen von Vorstellungen über Zeitpunkte und -prozesse. Wenn wir nun also – auf die Bezeichnung Ianus Iunonius und die zwölf Altäre bei Varro zurückblickend – von einer Ausweitung des Verantwortungsbereichs des Janus vom Monatsanfang bzw. der ‚Passage‘ von einem Monat zum nächsten auf den größeren Zyklus des Jahresanfangs am Schwellenpunkt von einem Jahr zum nächsten sprechen können, dann lässt sich festhalten, dass diese bei Ovid evident 70

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Cf. den LSJ-Eintrag zu ἕνος: der Ausdruck ἕνη και νέα wird schon inschriftlich für griechische Kalender verwendet, um den letzten Tag eines Monats zu bezeichnen. Dieser Blick auf den alten und neuen Mond zugleich, den der Gelehrte sich vorstellt, ist allerdings unmöglich, wie wir auch von Plinius erfahren (NH 18.323 f.: Plinius spricht korrekterweise vom interlunium eines Tages zwischen zwei Mondphasen); denn die astronomische Realität ist die eines mondlosen Tages vor dem Neumond. Cf. MacKay 1956, 162.

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ist und mit dem astronomisch modellierten Kalenderjahr Julius Caesars in Verbindung gebracht wird. In den Fasti wird keine Nähe zwischen Janus und dem Mond hergestellt; mit der Sonne gibt es dagegen einige implizite Überschneidungen, die in den Bildern angelegt sind, in denen Janus über sich selbst spricht. 72 Es geht, wie oben angekündigt, in diesem Kapitel jedoch keinesfalls darum, die ‚ursprüngliche‘ Bedeutung des Gottes nachzuverfolgen oder auch nur alle ‚echten‘ (d.h. rituellen) oder nur von späteren Autoren zugewiesenen Funktionen zu entwirren. Vielmehr geht es zum einen um die Darstellung und literarische Funktion in Ovids poetischem Text, die sich aber auf den Diskurs rückbeziehen muss, um wirksam zu sein; zum anderen um die Bestimmung einer Schlüsselrolle dieser poetischen Behandlung für den Wissensdiskurs. Ich habe bislang versucht zu zeigen, dass der vorgestellte Machtbereich des Janus sich primär auf alle Anfänge und zugleich auf das Konkretum der Tür bzw. des Tores (ianus) bezog und dann auf zeitliche Konzepte, den Tag und den Monat, ausgeweitet wurde. Weiter wurde gezeigt, dass die Assoziation von Janus mit dem Mond und Monat wahrscheinlich früher anzutreffen ist und die Engführung mit dem Zyklus der astronomischen Größe der Sonne bei Ovid zumindest am deutlichsten sichtbar, wenn nicht erst hergestellt wird. Diese später immer wieder explizit gemachte Assoziation (s. zu Lyd. De Mens. 4.2. und Macrob. 1.9.9 oben) überlagert jede Identifikation des Janus mit dem Mond, was seiner Schirmherrschaft über den Monat, gerade den ersten Monat Januar, jedoch nicht geschadet hat. All das scheint parallel oder etwas zeitlich versetzt mit der endgültigen Reform bzw. Umstellung des Kalenders auf den astronomischen Zyklus der Erde um die Sonne im Jahr 45 v.Chr. geschehen zu sein, die die Fasti im dritten Buch ja explizit als Leistung Cäsars zelebrieren.

3.2.3.4 Janus und der Kalender Kommen wir schließlich zur Assoziation des Janus mit dem Kalender, also den fasti selbst als (inschriftliche) Kulturtechnik und Instrument. Diese Assoziation ist von der Konstitutionsgeschichte des republikanischen Kalenders nicht zu trennen, und hiermit kommen wir zur in diesem Kapitel eingangs (und in Fasti 1.149 f.) gestellten Frage zurück: Warum beginnt das römische Jahr im Winter? Eine republikanische Reform von 153 v.Chr. führte recht spät ein stabiles Datum für die Amtseinführung der Konsuln ein: die Kalenden des Januar (s. dazu auch den Abschnitt 3.1.4).73 Dieser Tag wurde gewählt, weil der Spanische Krieg mit den keltiberischen Stämmen eine lange Marschzeit des Heeres von Italien mit dem Konsul

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Bemerkungen zu den Versen 1.91 f., 114 und bes. 139 f., in denen vom Sehen/Blicken und von den Himmelsrichtungen die Rede ist, habe ich auch im letzten Abschnitt gemacht. In den Fasti findet man ein Relikt des alten konsularischen Jahres, als Brutus zur Institution der Republik aufruft und dieses (mit dem Ende von Buch 2) am 1. März beginnt

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Poetische Entwürfe des Jahres

als Heerführer erforderte, man also schon lange vor Frühlingsbeginn aufbrechen musste.74 Erst ab dieser Reform sind das religiös-kalendarische und das konsularische Jahr koextensiv zu nennen. Historisch hat Janus in dieser Entwicklung also keine Rolle; allerdings steht der Gott auch in der römischen Praxis in enger Verbindung mit der Inauguration der Konsuln, was vermutlich als nachträgliche Entwicklung zu bewerten ist: Der Empfänger der ersten Opfergaben des Jahres durch die Konsuln war Janus, der als Patron des ersten Monats auch für die Einheit der konsularischen und kalendarischen fasti (fasti consulares und fasti anni) bürgte.75 In den ovidischen Fasti ist die politische Zeremonie des 1. Januar ebenfalls eng mit der Präsenz des Janus verwoben. Nach der kurzen invocatio an Janus (1.65–70) beschreibt Ovid diesen Tag in festlichen Versen und verweist, hier im Rahmen des bürgerlichen Jahres, auf jene „Neuheit“, die dem Fürsprecher eines Jahresanfangs im Frühling etwa 100 Verse später so wichtig sein wird: Die konsularischen Rutenbündel und die purpurverbrämte Toga sind so „neu“ wie ihre Amtshalter am Beginn des Jahres, die elfenbeinerne sella curulis wird neu besetzt.76 Die novitas des Frühlings mit seinen natürlichen Phänomenen, die gegenüber dem astronomischen Modell der bruma-Schwelle abgelehnt wurde, ist von Ovid also auf die politische Neubesetzung der höchsten Ämter im Staat (nach dem princeps) umbesetzt worden. Der 1. Januar ist hier ein fixierter Jahrestag, ein Tag, der „immer wiederkehren“ soll – ein „fröhlicher Tag, ... wert, von einem alles beherrschenden Volk verehrt zu werden“ (87 f. salve, laeta dies, meliorque revertere semper, / a populo rerum digna potente coli).77 Janus als Angerufener und dann als Sprecher und Aitiologe rahmt in Ovids Text diese kurze „mimetische“ Passage der rituellen Amtseinführung.78 Damit wird die Stabilität des 1. Januar als Neuanfang des politischen Jahres und des Janus als seines Patrons abgebildet, die sich in der späten Republik und im frühen Prinzipat abzeichnete.

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(2.851 f.): Tarquinius cum prole fugit: capit annua consul / iura: dies regnis illa suprema fuit). Zur Stelle und ihren politischen Implikationen cf. Feeney 1992, 11 f. Cf. Nilsson 1916-1919, 68: „Sehr kräftig wirkte die Bedeutung des Neujahrstages nicht [...]; der Amtsantritt hat sich als der stärkere Teil gezeigt.“ Cf. Taylor & Holland 1952, 138; Feeney 2007, 168 und Anm. 9 f. zu S. 168: Janus wird als „key link between the two fasti“ gesehen. Fasti 1.81 f. iamque novi praeeunt fasces, nova purpura fulget, / et nova conspicuum pondera sentit ebur. Zu Ovids Behandlung Feeney 2007, 204. Zur Prozession Meslin 1970, 27 ff. und Bömer 1958, ad loc. Für das hier kurz aufscheinende, für die Fasti aber zentrale Konzept der Zeit als Kreis (gegenüber demjenigen der Zeit als Pfeil, das bei Ovid in den Metamorphosen am stärksten trägt: ad mea tempora), cf. Hinds 1999, 53 und generell Feeney 2007, 169, der dazu auf Gould 1987 verweist. Den Begriff, der die kallimacheische Technik bezeichnet, den lyrischen Sprecher gleichsam am Geschehen teilnehmen zu lassen, während er das Ereignis wiedergibt, prägte Miller 1979.

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In einem Brief vom Pontus, einige Jahre nach den Fasti verfasst, findet sich zum Anlass des Amtsantritts eines Freundes im fernen Rom, Pompeius, ein Anruf ebendieses Ianus biceps der Fasti (Pont. 4.4.23–6):79 ergo ubi, Iane biceps, longum reseraueris annum pulsus et a sacro mense December erit, purpura Pompeium summi uelabit honoris, ne titulis quicquam debeat ille suis.

25

Sobald also du, zweiköpfiger Janus, das lange Jahr entriegelt haben wirst und der Dezember vom [sc. dir] heiligen Monat weggestoßen sein wird, wird das Purpurkleid höchster Ehre Pompeius verhüllen, damit jener seinen Ehrentiteln nichts schulde.

Janus „entriegelt“ in diesem Gedicht das Jahr (23), was die Engführung des Bildes der Tür mit einem temporalen Zyklus und dessen ‚Öffnung‘ in der Zeitsymbolik der Fasti an dieser Stelle des Spätwerks Ovids selbst noch einmal bestätigt. Die Konsuln gaben dem römischen Jahr seinen Namen, und so mag Janus letztlich durch das Ritual der Inauguration wie auch durch seine schon skizzierte Autorität über den Anfang aller Monate zum Gott des Jahresanfangs geworden sein.80 Der Wechsel des Jahresanfangs vom März zum Januar als erstem Monat im kalendarischen Jahr an sich geht dem freilich voraus und hat eine andere Geschichte, 81 die aus der historisch-mythographischen Tradition hervorgeht und deren Bearbeitung in den Fasti ich in den Abschnitten 3.1.1 und 3.1.4 besprochen habe. Erst in Gedichten nach dem Erscheinen der Fasti werden Gedichtanfänge und Jahresanfänge so selbstverständlich mit Janus verknüpft. Horaz hatte in Satire 2.6.20–23 zum ersten Mal in der Literaturgeschichte die Anfangsfunktion des Gottes als Patronat auch über Gedichtanfänge aufgerufen und seine Macht über die Anfänge auf einen Tag fokussiert:82 79 80

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Zur retrospektiven Stellung dieser Verse gegenüber den Fasti, cf. Hinds 2005, 227. Ähnlich Taylor & Holland 1952, 139 f.; der kurze Artikel ist reich an Material und hat der Forschung viele Anstöße gegeben, zeigt sich aber in einigen allgemeinen Aussagen über die Verbindung des Janus mit dem Kalender als ungenau. Zur Frage treffend Börtzler 1930, 110: „Ob Janus, der wohl seit 153 v.Chr. mit dem Anfang des Amtsjahres verbunden war, in der Zeit des Lutatius, Messala oder Varro oder wenigstens vor Caesars Kalenderreform, schon als der Jahresgott speziell empfunden wurde, halte ich für fraglich, wenn auch der im Jahre 1915 gefundene vorjulianische Kalender von Antium zeigen soll, dass schon vor Cäsars Reform das offizielle römische Jahr mit dem 1. Januar begonnen habe.“ Leuze 1930, 113 spricht deswegen Mommsens Ansicht, dass „die Verlegung des Kal.-Neujahrs vom 1. März auf den 1. Jan. als einer der wichtigsten Bestandteile von Cäsars Kal.-Reform“ zu bezeichnen sei, jedes Recht ab. Cf. Michels 1967, 97–100; Nilsson, R.E. s.v. Neujahr, col. 151; Schilling ad Fasti 3.147 f. Der Beiname Matutinus findet sich nur an dieser Stelle, wie Schilling 1960, 97 bemerkt.

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Poetische Entwürfe des Jahres Matutine pater, seu Iane libentius audis, unde homines operum primos vitaeque labores instituunt – sic dis placitum –, tu carminis esto principium. Vater des Morgens, oder falls du lieber ‚Ianus‘ hörst, mit dem die Menschen die ersten Mühen ihrer Werke und ihres Lebens beginnen – so gefällt es den Göttern -, sei du der Anfang des Gedichts.

Das Gedicht beginnt in Vers 20 durch diese Invokation noch einmal, die den satirischen Duktus kurz durchbricht, Dieser wird darauf mit der Beschreibung einer Zerstreutheit durch andere, weltliche Werke in Rom fortgeführt, denen Janus ebenso vorstehe. Von der größeren zeitlichen Einheit des Jahres und dem Kalender ist in diesem Gedicht allerdings keine Rede. Dies scheint sich nach den Fasti zu ändern,83 so zuerst in Martials zweitem Epigramm des achten Buchs (8.2.1): fastorum genitor parensque Ianus („Erzeuger und Vater des Kalenders, Janus“). Zu Beginn dieses kurzen Gedichts wird der Gott angerufen, dem Kaiser Domitian gewogen zu sein und zu dessen zu erwartendem hohem Alter noch sein eigenes hinzuzufügen. Im fünften Buch der Pharsalia Lukans gibt es einen weiteren Gedichtbuchanfang, der sowohl den Gott als auch den ihm in poetischen Texten nun fest zugewiesenen Tag, den 1. Januar beinhaltet (5.5 f.): instabatque dies, qui dat nova nomina fastis / quique colit primus ducentem tempora Ianum („es drängte der Tag, der dem Kalender neue Namen gibt, und der als erster den Ianus ehrt, der die Zeiten anführt“). Janus ist an dieser Stelle der Gott des Jahresanfangs, der mit neuen Konsuln ein neues Jahr benennt, sowie der Anführer der Zeiten überhaupt. Dass nur einen Vers zuvor die bruma, hier im metonymischen Sinn von „Winter“ verwendet, beschrieben wird, ist im Blick auf die Fasti vielleicht kein Zufall (5.3 f.): iam sparserat Haemo / bruma niues gelidoque cadens Atlantis Olympo („schon hatte der Winter dem Haemus Schnee ausgestreut, und die Tochter des Atlas [sc. die Pleiade(n)] ging unter vor einem kalten Olymp“). Dies ist eine typische, Wetternotiz und einen astronomischen Marker enthaltende Zeitangabe, wie man sie in den Fasti allenthalben als Übergangspassagen zwischen den Festen findet. Auch das „Drängen“ (instabat in Vers 5) des nächsten Tages, in diesem Fall des 1. Januars, ist ein häufig anzutreffendes Verfahren in Ovids Gedicht, um das Zeitnarrativ voranzutreiben.84 Auch in Statius’ Silvae 4.1, dem Initialgedicht des Buches, ist Janus der Vater des Kalenders und der Zeit, in Ausdrücken, die Ovids Bildsprache des Öffnens

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Cf. Taylor & Holland 1952, bes. 138 und Anm. 4 u. 5 (S. 141) mit Angabe der Stellen, die ich im Folgenden kurz bespreche. S. etwa am Ende des zweiten Buchs in Vers 858, wo Mars als Patrons des Monats März und damit des dritten Buchs ebenfalls „drängt“: Marsque citos iunctis curribus urget equos. Diese und andere verwandte Verfahren in den Fasti hat Volk 1997 untersucht.

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und Beginnens aufnehmen und kreativ umbesetzen (s. nur 4.1.44–7:85 sic Ianus, clausoque libens se poste recepit. / tunc omnes patuere dei laetoque dederunt / signa polo („so sprach Janus, und zog sich gefällig zurück, als die Tür geschlossen war. Da standen alle Götter offen da und gaben dem fröhlichen Himmelpol ihre Zeichen“). Statius übernimmt auch die „Öffnung“ selbst und die Verbindung mit der Sonne (4.1.2 f.): insignemque aperit Germanicus annum, / atque oritur cum sole novo („Germanicus öffnet das ausgezeichnete Jahr und geht selbst mit der neuen Sonne auf“), weist diese allerdings dem Kaiser zu. Das hatte bei Ovid noch Janus geleistet – für einen anderen Germanicus, den Enkel des Augustus (1.63 f.): ecce tibi faustum, Germanice, nuntiat annum / inque meo primum carmine Ianus adest („schau, Germanicus, dir kündigt Janus ein glückliches Jahr an und steht mir als erster in meinem Gedicht bei“). Noch bei Ausonius in Ekloge 377.1 f. ist der doppelte Blick auf die Zeit ein Motiv am Gedichtanfang: Iane nove, primo qui das tua nomina mensi, / Iane bifrons, spectas tempora bina simul („neuer Janus, der du deine Namen dem ersten Monat gibst, / zweigestirnter Ianus, du blickst auf zwei Zeiten zugleich“). Gerade der letzte Vers übertrumpft Ovids Engführung von Janus’ Gestalt mit der Schwellenposition, der Zweiheit in Einheit und dem Zeitaspekt sogar noch. Je später in der römischen Literatur- und Wissensgeschichte man also vom zweigesichtigen Gott liest, desto enger wird – im Anschluss an Ovid – die Verbindung von Janus und den fasti. Es ist dies eine Behauptung, die durchaus den „characteristic appeal to Ovidian discursive mastery“ aufruft,86 der in der Forschung häufiger bemüht wird. Sie vervielfacht dessen Dimensionen aber durchaus, indem sie die Meisterschaft und den Einfluss Ovids auf einen prominenten Wissensdiskurs am Werk sieht. Auch die poikilographischen und antiquarischen Schriftsteller stehen in einer von Ovid vielleicht eigens geprägten, in jedem Fall aber populär gemachten Tradition: So behauptet auch noch Macrobius (1.13.3) im fünften Jahrhundert, dass der Monat Januar wie Janus auf das alte wie das neue Jahr „blicke“ und daher die erste Position im Jahr habe: ac de duobus priorem Ianuarium nuncupavit primumque anni esse voluit [sc. Numa], tamquam bicipitis dei mensem respicientem („und von den zweien [sc. Monaten] nannte Numa ersteren ‚Ianuarius‘ und wollte, dass er der erste Monat des Jahres wäre, gleichsam als Monat, der den zweiköpfigen Gott betrifft“).87 Auch Isidor von Sevilla trägt, wiederum etwa 200 85 86 87

Cf. auch 4.1.1–4; 11–20. Diese Formulierung steht bei Hinds 2007, 209. Auch für den Vergil-Kommentator Servius (ad Aen. 7.607) – der dabei seltsamerweise die Richtung verdreht und die Etymologie von ianua in den Vordergrund stellt –, ist der Konnex von Tür und Anfang essentiell, um Form und Funktion von Janus zu erklären: ianua autem est primus domus ingressus, dicta quia Iano consecratum est omne principium („Die Tür ist aber der erste Eingang des Hauses; so heißt sie, weil dem Janus jeder Anfang geweiht ist“). Zu dieser Vergil-Stelle s. den nächsten Abschnitt dieses Kapitels zu poetologischen Implikationen der Janus-Passagen.

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Poetische Entwürfe des Jahres

Jahre später, die Auffassung von Janus als Gott der Schwelle des Jahres vor – man kann nach allem hier Ausgeführten über die Spezifika der Janus-Darstellung in den Fasti von Isidors Kenntnis Ovids ausgehen. Der spätantike Gelehrte scheint Ovid ähnlich gelesen zu haben, wie ich es in den vorangehenden Abschnitten getan habe, da bei ihm die Identifikation des Janus mit einer „Jahresschwelle“ (limes anni) perfekt ist (Etym. 5.33.3 f.): Ianuarius mensis a Iano dictum [...] quia limes et ianua sit anni („der Monat Januar ist nach Janus benannt [...], weil er die Schwelle und die Tür des Jahres ist“); weiter leitet er aus der Gestalt des Janus ab, dass dieser der introitus ... et exitus anni, der „Ein- und Ausgang des Jahres“ selbst sei bzw. die binäre Form ihr Aition in der Korrelation mit dem Jahr habe. In 8.11.37, Ianum dictum quasi mundi vel caeli vel mensium ianuam („‚Janus‘ genannt gleichsam als eine Tür zur Welt, des Himmels oder der Monate“), steht für Isidor ebenfalls die Figur einer „Tür der Monate“ zuerst und bietet die Etymologie für den Namen des Gottes. Es ist in diesem Fall – diesen Nachweis habe ich versucht zu führen – von einem unbestreitbaren Einfluss eines poetischen Textes auf die diskursive Tradition über den Kalender zu sprechen, soweit wir diese heute überhaupt noch greifen und bewerten können. Denn in den Fasti ist die imaginative Analogie von Monatssowie Jahresanfang und der Tür in ihrer Entstehung am deutlichsten zu sehen und hat als spezifisch ovidische Denkfigur ein Nachleben entfaltet. Dichterische Verfahren können in der imaginativen Verarbeitung von Zeitordnung und religiösem Wissen nicht immer in poetischen Texten allein isoliert werden, wie an diesem Beispiel stark bildlicher Plausibilisierung auch in den antiquarischen Texten sichtbar ist. Für poetische Textgestaltung an sich, nämlich im Hinblick auf poetisches Anfangen, hat Ovids Behandlung des Janus nichtsdestoweniger ebenso vorbildhaft gewirkt.88 Die Fasti sind der einzige antike Text, der dem Verlauf des Gedichts – als gleichsam von außerhalb der Literatur importierte Struktur – das zeitliche Ordnungsmuster des römischen Jahres zugrunde legen. Daher nimmt nicht wunder, dass die Engführung des an Gedicht- und Jahresanfang stehenden Gottes Janus, der mit dem 1. Januar schon im Diskurs assoziiert war, im Kalendergedicht so stark gemacht wird und erst durch einen Text solcher Art auch auf die poetische Tradition Einfluss genommen hat. Es ist eine der zentralen Thesen der Wissenspoetologie, dass die Wissensinhalte, deren Kreation sie am Werk sieht, an die (u.a.) diskursiven, medialen und formalen Bedingungen geknüpft sind, unter denen sie entstehen (s. dazu Kap. 2.2). Man kann in diesem Sinne feststellen, dass die Vorgabe des römischen Kalenders, der diese stabile Form kaum ein halbes Jahrhundert innehatte, im Fall der Fasti erst die Effekte einer Verhandlung von literarischer, aber auch kalendarischer Form sowie von dessen Inhalten zeitigte und in 88

Als letzten literarischer Rezipient Ovids kann man Sulpitius anführen.⁠ Er wird von Jacob Bryant in A New System or Analysis of Ancient Mythology (1774–76) zitiert: Jane pater, Jane tuens, dive biceps, biformis, / o cate rerum sator, o principium deorum. Die Referenz ist bei Bryant und allen, die das Zitat von ihm übernehmen, unklar (welcher Sulpitius? – cf. DNP s.v. für eine Auflistung möglicher Autoren aus dieser gens).

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Umbildungen, Neuschöpfungen, diskursiven Verdichtungen resultierte, die auch das Wissen des Kalenders formten und neu erzeugten. Die kleine Geschichte des Gottes Janus im römischen Wissensdiskurs und in poetischen Texten, als deren Nukleus ich die Fasti ausmache, sollte ebendies zeigen.

3.2.4

Die Öffnung des Jahres

Ich komme nun zum Thema des poetischen Anfangens zurück, das in den Fasti so eng mit dem Gott der Jahresschwelle verbunden ist. In den Abschnitten 3.2.1 und 3.2.2 ging es um die Diskussion des Jahresanfangs in den Fasti und um den Fokus auf die formale Engführung dieses wichtigen Punktes im zeitlichen Ordnungsmuster mit der Figur des Janus, der im bruma-Distichon einen Beginn am 1. Januar über den Verweis auf die astronomische Marke der Wintersonnenwende plausibilisiert. Mit verschiedenen literarischen Mitteln wird so ein Ordnungskonflikt des römischen Kalenders ausgestellt. Im Folgenden gehe ich den Spuren dieses Konflikts innerhalb der gesamten Fasti weiter nach, den das poetische Plädoyer für den Frühling durch seine verwunderte Frage anzeigte: Wäre intuitiv ein kalendarischer Neuanfang nicht an dem Punkt des Jahres richtiger, an dem sich die Natur erneuert? In Kap. 3.1.4 thematisierte ich schon, dass ein ursprünglicher Beginn des Jahres im Frühling, nach der Legende von Romulus eingerichtet, im römischen Diskurs sehr geläufig und noch an zeitgenössischen Bräuchen, den ‚Zeichen des März‘, sowie den Monatsnamen evident war. Es stellt sich nun die Frage, wie die Fasti mit diesem Thema umgehen, wenn der Frühling als erneuernde Jahreszeit im diegetischen Verlauf eines Textes, der immer mit der Zeit mitzugehen scheint,89 in seiner fiktionalen ‚Aktualität‘ beschrieben sowie in die aitiologische Erklärung der Phänomene und Namen für Zeit und Feste einbezogen wird. Sowohl Mars im dritten Buch des März als auch Venus im vierten des April wird eine ganz eigene laus veris, eine klassische Frühlingspassage zugeeignet. Sie eröffnen den Text erneut durch eine Beschreibung der erneuernden Jahreszeit, wenn diese – nach dem nur virtuellen Frühlingsanfang im ersten Buch – nun tatsächlich gleichsam „ankommt“, wie es Venus in Lukrez’ Proöm (DRN 1.7 adventum tuum) als Öffnerin des Himmels, der Natur und des Frühlings tut. Zu diesen Passagen der Fasti und ihren vielfältigen poetologischen und wissenspoetologischen Implikationen komme ich in den folgenden Abschnitten; zunächst ist jedoch ein kurzer Umweg über die Semantik der ‚Öffnung‘ und ‚Entriegelung‘ von Gedichten zu gehen, um die folgende Untersuchung an Ovids Text literarisch noch besser kontextualisieren zu können.

89

Cf. dazu Volk 1997, passim, zusammenfassend 293: „time, tempora, is not only the topic of the Fasti, but the passing of time also provides the narrative framework of Ovid’s poem.“

144

Poetische Entwürfe des Jahres

3.2.4.1 Epische Eröffner: Surrogate des Anfangs Die Semantik der „(Er-)Öffnung“ und „Entriegelung“ (patefacta, reserata) der Jahreszeit und zugleich eines Textraumes an einem der wichtigsten lieux stratégiques du texte ist bei Lukrez ganz der Göttin Venus eigen, wie wir in Kap. 3.2.1 gesehen haben (DRN 1.10 f.): nam simul ac species patefactast verna diei /et reserata viget genitabilis aura favoni („denn sobald der frühlingshafte Anblick des Tages eröffnet ist und die entriegelte Brise des fruchtbaren Westwinds erstarkt...“). Dagegen gibt es im Plädoyer für den Frühlingsanfang in Fasti 1.149-60 gerade keine metaphorische Öffnung, weil (so meine These) Janus diese Stelle allein besetzt. Diese Semantik ist in den Fasti in noch weit höherem Maße als im Fall der Venus bei Lukrez in die sichtbare, immer wieder aufgerufene Funktion des Patrons über alle Anfänge und Türen eingewoben, der den Jahresverlauf und somit auch den eigentlichen Gedichtverlauf der Fasti eröffnet (1.65; 69 f.): Iane biceps, anni tacite labentis origo, [...] dexter ades patribusque tuis populoque Quirini, et resera nutu candida templa tuo.

65 70

Zweiköpfiger Janus, schweigender Ursprung des gleitenden Jahres, [...] stehe glücklich sowohl deinen Vätern als auch dem Volk des Quirinus bei und entriegle die weißen Tempel mit deinem Nicken.

Janus ist ebenso Clusius wie Patulcius (Fasti 1.129 f.) in Ovids Text;90 omnia sunt nostra clausa patentque manu, so beschreibt er selbst seine Macht (1.118). Im Vers 120 nennt Janus sein Universalrecht über die Türriegel (vertendi cardinis) und geht dann zu den Riegeln des Janustempels über, die den Krieg eingesperrt halten (123 f.; 124 rigidae ... serae).91 Die Verse 279 f. variieren das Thema des Rituals seiner Tempelöffnung: ut populo reditus pateant ad bella profecto, / tota patet dempta ianua nostra sera („damit die Rückkehr weit geöffnet ist für das Volk, das in den Krieg gezogen ist, steht [auch] meine Tür nach Entfernung des Riegels ganz 90

91

Patulcius steht evtl. schon im carmen Saliare, die Lesart ist aber unsicher – s. Schilling 1960, 96. Die Namen sind außerdem von Servius, Macrobius und Lydus dokumentiert, wo allerdings (in den meisten Handschriften) Clusivius zu finden ist. Clusius scheint Ovids Prägung zu sein; cf. Capdeville 1973, 416. Servius ad Aen. 7.610 erklärt den Namen als den des Türgottes: Patulcius: quod patendarum portarum habeat potestatem. Macrobius (1.9.16) stellt die Verbindung mit dem Ritual der Tempeltore her: Patulcium et Clusivium quia bello caulae eius patent, pace clauduntur. huius autem rei haec causa narratur. Zur politischen Symbolfunktion der Tempelschließung, cf. Aug. Res Gestae 13 mit Galinsky 1996, 106–21 ,sowie zu den historiographischen Zeugnissen der Schließungen Syme 1979 und Cogitore 2003. Green 2000 erklärt die widersprüchlichen Aussagen zur Funktion und Symbolik des Tempels in den Fasti im Kontext dynamischer Exegesepraxis der römischen Kulte und des Kalenders.

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offen“). Es ist diese mit der Wurzel pat- ausgedrückte Öffner-Funktion (Patulcius heißt in etwa „Öffner“)92 des Gottes, die ihn in der Prägung Ovids, der ihn, wie wir gesehen haben, mit dieser Nachdrücklichkeit als erster in Verbindung mit einem Werkbeginn gebracht hat, zum idealen Patron des Gedichtanfangs macht. In Ovids Janus ist damit Lukrez’ Semantik der Öffnung aus DRN 1.10 f. übernommen und in der Figur des Türgottes zu ihrer logischen Konsequenz gebracht: Janus usurpiert in den Fasti gleichsam die Semantik der Öffnung und wird zu einer Art poetischer Ermöglichungsfigur, insofern durch ihn verschiedene Ebenen der Textgestaltung und des metaphorischen Ausdrucks differenzierbar, ja erst ausführ- und vermittelbar werden. Dass Janus in den Fasti spricht, ist also, als ob das geöffnete Meer, der Himmel, der Frühlingstag bei Lukrez oder das herabfließende Schmelzwasser, der Pflugochse bei Vergil (s. wiederum Kap. 2.2.1 zu Georg. 1.43–6) sprächen und hunderte von Versen ausfüllten – das metaphorisch-poetologische Bild ist nun zudem das antiquarisch-aitiologische Thema selbst. Zu solchem metaphorischen Ausdruck von poetologischer Selbstreflexion über den Aufbau von Texten schreibt Don Fowler 1997 im zweiten seiner Aufsätze zur closure in antiken Texten:93 One aspect that has been prominent in recent criticism is the interplay between form and content that results from the thematization of notions and beginnings and endings – and indeed middles. [...] Texts, then, not only have beginnings, middles, and ends, but can often be made to talk about them too. Another aspect of this is the various forms of Gide’s ‚mise en abyme‘. Internal narrators and related authorial surrogates (prophets, controlling gods, visual artists, letter-writers), in drawing their own stories to a close, will often provoke reflection on the way that the framing narration may be read.

Die Janus-Episode und der Gott selbst lassen sich in dieser Hinsicht als mise en abyme bezeichnen; Janus kann als „Autoren-Surrogat“, d.h. als Stellvertreter einer übergeordneten textkomponierenden Instanz gesehen werden, der gleichsam an dessen Stelle den Anfang in Gedicht und Jahr bewirkt. An der Semantik von Öffnung, Schließung und Tür, die sich in Janus bündelt, wird in den Fasti so der Jahresanfang am 1. Januar ins Bild gesetzt – die (tatsächlich affirmierte, nicht nur wie im Frühlingsplädoyer hypothetische bzw. kontrafaktische) Eröffnung durch den Frühling (damit greife ich den folgenden Abschnitten vor) bleibt dagegen aus. 92 93

So Fritz Graf im DNP-Artikel zu Janus. Zitiert aus der wieder abgedruckten Fassung: Fowler 2000, 299 u. 301. Diese Arbeiten zogen u.a. einen Sammelband zur Classical Closure nach sich: Roberts et al. 1997. Fowler verweist hier auf Dällenbachs Récit spéculaire (1977). Cf. die ähnliche Formulierung im ersten Aufsatz zur closure (Fowler 2000, 29 f.): „And ultimately, there are the grandest tropes of all: the poet as God, creating order from chaos, the poet as ruler, lord of all she sways. These forms of surrogacy have been much explored in recent criticism, and their impact on the interpretation of some works – most obviously Ovid – has been considerable.“ Fowler meint v.a. die Met.

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Um die weitreichenden Verästelungen in der Funktion dieser Semantik in der römischen Dichtung, auf die sich die Fasti stets rückbeziehen, zu verstehen, werfe ich nun zunächst einen Blick auf weitere poetische Text-‚Öffnungen‘. Auch im ersten Vers der Eklogen Vergils geschieht eine metaphorische Öffnung und Weitung, wenn der Raum der Hirtendichtung am Anfang der Sammlung definiert, also gleichzeitig auch begrenzt wird, nämlich als die umbra bukolischen Singens unter ländlichen Bäumen (1.1):94 Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi („Tityrus, der du unter dem Dach der weit geöffneten Buche zurückgelehnt liegst“), ein Vers, der bekanntermaßen in Georg. 4.566, am Ende dieses zweiten Werks beinahe Wort für Wort wiederholt wird: Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi, wo die Variation zu „ich habe dich besungen“ die Werkbiographie mit den Worten des Werkbeginns anlegt:95 Diese beiden Verse bilden einen Rahmen (eine „encadrage“) bzw. eine Art Ring, eine Rückkehr zu sich selbst, 96 vom Ende bis zurück an den Anfang der bis dahin veröffentlichten, nicht-epischen vergilischen opera.97 Geht man in der römischen Literaturgeschichte noch weiter als auf Lukrez und Vergil zurück und blickt auf den Beginn der zweiten Werkhälfte, das ‚Proöm in der Mitte‘ (Gian Biagio Contes Begriff; ein weiterer lieu stratégique nach Hamon) zum siebten Buch der ennianischen Annales, so trifft man auch dort, allerdings nur fragmentarisch lesbar, das Vokabular der poetischen Öffnung an (208–10 Sk.):98 [cum] neque Musarum scopulos / nec dicti studiosus [quisquam erat] ante hunc / nos ausi reserare („[als] weder die Felsen der Musen... noch [war irgendjemand] um das Wort bemüht vor ihm... ich wagte zu entriegeln“). Bei Ennius geht es, soweit man das Fragment verstehen kann, wohl um poetische Inspiration und die

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Zum poetologisch zu lesenden, als Ort für Verskomposition fungierenden „Schatten“ unter einem Baum, s. gleich darauf 1.4, tu, Tityre, lentus in umbra und etwa 5.5 f., siue sub incertas Zephyris motantibus umbras, / siue antro potius succedimus Cf. im Kontrast den letzten Vers der Ekloge (1.83): maioresque cadunt altis de montibus umbrae, wo die „fallenden“ Schatten die closure des Gedichts unterstützen, wie sie es auch in der dreimaligen Nennung der beiden Verse vor dem letzten Vers des Eklogen-Buchs tun (10.75 f.): surgamus: solet esse grauis cantantibus umbra, / iuniperi grauis umbra; nocent et frugibus umbrae. S. zum Thema der Werkbiographie in der Antike Scheidegger-Lämmle 2016, zu Vergil bes. 111–34. Cf. Hamon 1975, 518 f. für Beispiele einer solchen „encadrage“ in der frz. Literatur. Cf. Fowler 2000 [1989], 247 f.: „And it would certainly be odd to say that the Eclogues and the Georgics were a single work of Vergil’s; yet the concluding sphragis of Georgics book 4 (559–66) retrospectively fashions the two works into an œuvre.“ Cf. Skutschs Kommentar (1985, 375). Zur Passage Hinds 1998, 52–58 mit Verweis auf Conte 1980 für den Begriff des „proem in the middle“. Conte äußert sich in diesem Aufsatz auch zur Ennius-Passage und der (hypothetischen) „Mitte“ des gesamten Werks: 1992, 154 f. (= 2007, 226 f.). Zur Stelle als Hinweis für eine sehr philologischreflektierende (dicti studiosus = φιλόλογος) Art der Inspiration und somit Ennius’ „care for learning characteristic of the great Greek scholar-poets“, cf. Feeney 1991, 101.

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„Entriegelung“ von Kreativität: Wir wissen nicht, ob an dieser Stelle die sprichwörtlichen Μουσῶν θῦραι, die „Musentore“ geöffnet wurden99 – was dem JanusThema mithin so nahe kommt, dass es verwundert, die Vorstellung bei Ovid nicht zu finden –, oder ob es die heiligen fontes am Helikon des Hesiod waren. Diese werden bekanntlich in Vergils Gedicht über den Landbau (Georg. 2.175, sanctos usus recludere fontes), dort eventuell in Anlehnung an die Ennius-Passage, „aufgeschlossen“, und stehen mit dem hesiodeisch-emblematischen Folgevers 176, Ascraeumque cano Romana per oppida carmen („ich singe ein askräisches Gedicht durch römische Städte hinweg“), für poetische Initiation am Gedichtanfang.100 In Ovids Werk selbst werden reserare und recludere etwa im Zuge der philosophischen Unterweisung des Pythagoras in den Metamorphosen, der die Eröffnung seiner Seelenlehre ankündigt, unterschiedslos und wiederum im Sinne von poetisch-seherischer Inspiration verwendet (Met. 15.144 f.): ipsumque recludam / aethera et augustae reserabo oracula mentis („den Himmel selbst werde ich aufschließen und die Weissagungen des engen Geistes entriegeln“).101 Mit diesem literaturgeschichtlichen Wissen wenden wir uns noch einmal Janus zu: Auch die Öffnung solcher Wasserwege, die als Inspirationsquellen präfiguriert sind, fällt nun unter die Hoheit des Janus der Fasti, wie er selbst in der aitiologischen Erzählung für seinen Tempel am Forum angibt, die das Wunder der Lautolae

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Skutsch zitiert Diogen. 3.23 und Lucil. 1028, cui sua committunt mortali claustra Camenae. Klingner 1967, 241 zitiert zur Erklärung der Ennius-Stelle außerdem Stat. Silv. 2. 2.38 f. reseretque arcana pudicos / Phemonoe fontes. Diskussion dieser Ennius-Verse auch bei Suerbaum 1968, 249–95. Auch Lukrez erste Verse in DRN 4 bilden ein ‚Proöm in der Mitte‘ (dazu Conte 1992, 158 f. = 2007, 230 f.) und enthalten die folgenden Verse, die Öffnung (Dunkles wird erleuchtet), Exposition und musisch-hesiodeische Inspiration miteinander verbinden (4.8 f.): deinde quod obscura de re tam lucida pango / carmina musaeo contingens cuncta lepore; 21 f., [sc. volui] carmine Pierio rationem exponere nostram / et quasi musaeo dulci contingere melle. Ähnlich 1.144, clara tuae passim praepandere lumina menti (zu dieser Stelle im Verhältnis zu Ovids Trist. 1.1, cf. Hinds 1999, 55, Anm. 10). Die Öffnungsbewegung im dritten Proöm der DRN (3.18–22) habe ich in Kap. 3.2.1 schon angesprochen. Zu einer späteren epischen Verwendung dieses Vokabulars der Öffnung (sowie auch der Schließung), cf. Hinds 2013, 186 zu Claudians De raptu Proserpinae 1.25 f. vos mihi sacrarum penetralia pandite rerum / et vestri secreta poli: „Vocabulary of opening and disclosure will naturally occur in any epic poem as the bard appeals for divine help to get his plot under way; the imperative form of the verb pandere [...] is entirely in line with generic expectations“, sowie 187: „The vocabulary of opening and the vocabulary of closing are opposites which tend to attract in epic metanarrative contexts; and as it happens the early scenes of the DRP are notable not just for energy unleashed but for energy shut down.“

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enthält.102 Die Sabiner unter Tatius stürmen die Stadt, nachdem Tarpeia sie heimlich hineingebracht und Juno ihnen das Tor geöffnet hat (265–72): ‚et iam contigerat portam, Saturnia cuius dempserat oppositas invidiosa seras; cum tanto veritus committere numine pugnam, ipse meae movi callidus artis opus, oraque, qua pollens ope sum, fontana reclusi, sumque repentinas eiaculatus aquas. ante tamen madidis subieci sulpura venis, clauderet ut Tatio fervidus umor iter.‘

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Und schon war sie [sc. Tarpeia] am Tor angekommen, deren vorgelegte Riegel Saturnia hasserfüllt entfernt hatte; weil ich fürchtete, den Kampf mit einer so großen Göttin einzugehen, setzte ich schlau selbst das Werk meiner eigenen Kunst in Bewegung und öffnete mit all meiner Kraft die Quellmündung und ließ plötzliche Wassermassen hervorschießen. Vorher aber hatte ich den feuchten Adern Schwefel beigemischt, damit heißes Nass dem Tatius den Weg abschneide.

Neben dem bekannten Mythos um Tarpeia berichtet Janus in dieser Aitiologie die Legende, zum ersten Mal in weit epischer klingenden Tönen in Met. 14.775–804 erzählt,103 von der Verteidigung des Capitols vor den Sabinern durch den plötzlichen Erguss kochenden Wassers. Der Gott rühmt sich selbst mit der Tat und gibt so auch ein Aition für die Öffnung des Janusbogens in Kriegszeiten.104 Diese blutlose Kriegstat passt zu dem friedlichen Gott und seiner Auto-Aretalogie, ebenso wie die Art und Weise des „Aufschließens“ der Wassermündung (269), um den

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Zu dieser Therme am Ianus Geminus, s. auch Varro, LL 5.156. In Met. 14.775–804, wo die gleiche Geschichte erzählt wird, ist bezeichnenderweise nicht Janus der Retter der Stadt, sondern es sind Wassernymphen, die das Ianiculum bewohnen (785, Iano loca iuncta tenebant), bevor sein Tempel errichtet ist (789 f.), und die List durchführen. Dort erzählt eben nicht der Gott selbst von den Ereignissen – zur Voreingenommenheit der (göttlichen) Erzähler in den Fasti, cf. Miller 1983. Zum möglichen historischen Hintergrund von iani an Wasserwegen, cf. Holland 1961. Zu den beiden Stellen im Kontrast der Gattungsfrage, s. Heinze 1919, 35–7; Barchiesi 1991, 15 f. und 1997, 20 f.; Merli 2000, 193–6. Cf. Green 2000, 308 f., Anm. 16: „The opening and closing of the fountain are explained in the same manner as the opening and closing of his temple doors; cf. 267 reclusi (277 recluderis), 272 clauderet (282 clausus). Is Ovid not therefore alluding to this explanation for the custom as well?“ S. zur aitiologischen Verbindung dieser Geschichte mit dem Ritual Servius ad Aen. 1.291: alii dicunt Romulo contra Sabinos pugnante, cum in eo esset ut vinceretur, calidam aquam ex eodem loco erupisse, quae fugavit exercitum Sabinorum; hinc tractum morem ut pugnaturi aperirent templum quod in eo loco fuerat constitutum, quasi ad spem pristini auxilii, und Macrob. 1.9.17–8: ea re placitum ut belli tempore velut ad urbis auxilium profecto deo fores reserarentur.

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Sabinern den Weg „abzuschließen“ (272). Es scheint, als würden die verschiedenen Vorstellungen poetischer Inspiration früherer römischer Texte hier sehr konkret und trügen zur Rettung des römischen Capitols bei. Ovid lässt die verschiedenen Wort- und Ideenprägungen seiner Vorgänger, vom hesiodeischen Musenquell und seinem Nachleben bis zur bei Lukrez endgültig performativ und poetologisch genutzten Semantik der Öffnung, unterschiedslos in der Figur und Erzählung des Janus verschmelzen – der zudem mit der Junktur movi ... opus wiederum als Dichter-mise en abyme hervortritt:105 Die bekannteste „In-Gang-Setzung“ eines poetischen Werks der lateinischen Literatur ist wohl der Beginn der zweiten Hälfte der Aeneis mit ebendiesem Ausdruck (7.54): maius opus moveo.106 Janus’ doppeldeutige Sprache in der Referenz auf die Neueröffnung eines Werks in diesem weiteren ‚Proöm in der Mitte‘ ist mit Kenntnis der Aeneis-Stelle nicht zu übersehen. In einer solchen Wendung der Sabinerepisode, die nur in den Fasti mit dieser Rolle des Janus als Retter der Stadt erzählt wird, lässt sich ein weiterer Effekt im Wechselspiel zwischen antiquarisch-kalendarischem Wissensdiskurs und Literatur entdecken: Wissensinhalte (Janus als Objekt des Ritus und der Religion bzw. des Diskurses über sie) schaffen Literatur und erzeugen durch Konzentration auf vorgegebene Formen (hier auf Janus als den Öffner des Jahres und Gedichts, auf den in der langen Janus-Episode viele Aitiologien zugeschnitten werden) neue Inhalte, bzw. sucht sich die Form weniger vorbestimmte, von der Tradition ausgelassene Leerstellen in Religion, Mythologie und Frühgeschichte, um die Aitiologien neu zu motivieren oder ganz neue Aitien zu schaffen. Allerdings öffnet in dieser Szene nicht nur Janus etwas, sondern auch die Göttin Juno: Wie in der Aeneis ist sie den Römern feindlich gesinnt und „entriegelt“ (Fasti 1.266) die Stadttore, um so gleichsam den Krieg nach Rom einzulassen. 107 Damit erinnert Janus’ Erzählung an die Szene in Buch 7 des vergilischen Epos, wo Juno die Kriegspforten, d.h. den Tempel des Janus öffnet und der Krieg zwischen Trojanern und Latinern mit diesem Symbol endgültig beginnt (Aen. 7.620–2): tum regina deum caelo delapsa morantis / impulit ipsa manu portas, et cardine verso / Belli ferratos rumpit Saturnia postis („dann stößt die Königin der Götter selbst, vom Himmel herabgeglitten, die säumigen Tore mit eigener Hand auf, und nach Drehung der Türangel durchbricht die Saturnierin die eisernen Türpfosten des Krieges“). Dies ist zugleich eine Aitiologie des Brauchs, da kurz zuvor auch der

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Cf. Green 2004 und Miller (1983, 166), der als erster die Präsentation des Janus als Modell eines Didakten beschrieben: disce (1.101) ist dessen erstes Wort; cf. Barchiesi 1991, 15 f. Cf. Green 2004, ad loc. Latinus zögerte zuvor in 7.616–18, die Tore „aufzuschließen“: hoc et tum Aeneadis indicere bella Latinus / more iubebatur tristisque recludere portas. / abstinuit tactu pater...

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mos des Janustempels und dessen Öffnung und Schließung beschrieben wurde,108 sowie eine weitere poetologische Verwendung der Öffnung eines Ianus: An dieser Stelle des Epos ist es die endgültige Eröffnung der zweiten, kriegerischen Hälfte nach der retardierenden Handlung des bisherigen siebten Buches. 109 Im ersten Buch der Aeneis sind es diese Pforten des Janus, die sich in der Prophezeiung des Jupiter in seiner Trostrede für Venus schließen und damit gleichsam das ‚Ende der (römischen) Geschichte‘ unter Augustus ankündigen (Aen. 1.293 f.): ‚dirae ferro et compagibus artis / claudentur Belli portae‘ („‚die schrecklichen Kriegspforten werden sich mit Eisenbolzen und dichten Fugen schließen‘“).110 Der Göttervater verspricht seiner Tochter nur wenige Verse zuvor das „grenzenlose Reich“ (279, imperium sine fine) für die Römer, denen er „weder Grenzen ihres Erfolges noch Zeiten“ (278, nec metas rerum nec tempora pono), d.h. weder räumliche noch zeitliche Begrenzung des Reichs setzen wolle. Die Schließung des Janustempels ist also Voraussetzung für die Öffnung des römischen Herrschaftsanspruchs ins Grenzenlose. Die Dialektik von Öffnung und Schließung taucht in der doppelten Namensgebung des Janus’ der Fasti wieder auf: Nicht nur Patulcius lautet sein Beiname in der ‚komischen‘ antiquarischen Diktion, sondern auch Clusius. Diese Dialektik, die Möglichkeit einer Grenzenlosigkeit nur bei (innerer) Begrenzung bzw. Grenzziehung, die auch die zeitlichen Grenzen des Jahres betrifft, werde ich im Kap. 3.2.5 zum Grenzgott Terminus noch weiter beschreiben können. Bei Ennius und in der Aeneis werden die Pforten des Janus und ihr göttliches numen als Motiv der Eröffnung auch der epischen Handlung verwendet – in Jupiters Prophezeiung gar als Sinnbild der endgültigen closure der römischen militärischen Auseinandersetzungen. Sind sie dort jedoch nur Einzelmotiv und werden bei Vergil aitiologisch nur en passant erklärt, ist Janus in den Fasti zum antiquarischen Fokus und zur personifizierten Gottheit, zur mise en abyme und eigenständigen dramatis persona geworden, um die herum sich weitere Erklärungen von Bräuchen und Kalenderphänomenen kristallisieren, und die Startpunkt der Schöpfung und Neumotivierung von Mythen und literarischen Szenen wird. Die Figur der Öffnung, wie auch immer wieder der Schließung, wird dabei auf verschiedensten Ebenen genutzt und als zeitliche Größe des Jahres wie auch des Textes ganz 108

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Aen. 7.607–10: sunt geminae Belli portae (sic nomine dicunt) / religione sacrae et saevi formidine Martis; / centum aerei claudunt vectes aeternaque ferri /robora, nec custos absistit limine Ianus. S. Binder 1988, 266. Das Vorbild findet sich wiederum bei Ennius, fr. 225 f. Sk.: postquam Discordia taetra / belli ferratos postes portasque refregit. Der Bezug zum 1. Punischen Krieg, als unter Manlius die Tore des Janustempels zum zweiten Mal geschlossen, aber im gleichen Jahr wieder geöffnet wurden, wird angenommen (dazu auch Varro, LL 5.165). S. Fowler 2000, 180. Cf. Hardie 1993, 2: „Virgil’s self-imposed task, breathtakingly, is then to persuade us that with Augustus these processes are brought to a conclusion. The poetic symbol of this immobilization of history which, if successful, would indeed make of the Aeneid the final epic, is the Golden Age.“

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im Januarbuch konzentriert. In den nächsten beiden Abschnitten geht es nun, wie angekündigt, zurück zur öffnenden Semantik des Frühlings und den weiteren laudes veris der Fasti.

3.2.4.2 Mars’ Prinzipat des Jahres Es ist die ratio des Romulus, wie wir in Kap. 3.1.3 gesehen haben, dem Jahr der frühen Römer nur zehn Monate und einen Beginn im März zu geben. Anhand der ‚Zeichen des März‘ (Kap. 3.1.4), die auch in den Fasti aufgelistet werden, lässt sich nachweisen, dass es historisch tatsächlich einen rituell markierten Jahresanfang im März, also im Frühling gegeben hat. Am 1. März und im Verlauf dieses Monats liegen nun weitere römische Feste, die eine Semantik des Anfangs und der Öffnung beinhalten, um den Beginn eines zeitlichen Abschnitts zu markieren. Die mehrfache Aitiologie für diesen Jahresanfang wird auf die ersten ca. 250 Verse des dritten Buches verteilt: Die erste Erklärung ist mythologisch, hängt an der mythischen Abstammung des Romulus von Mars sowie der Etymologie des mensis Martius und wird in der Rede des ersten römischen Königs an seinen Vater selbst gegeben (Fasti 3.75 f.): ‚a te principium Romano dicimus anno: / primus de patrio nomine mensis erit‘ („nach dir nennen wir den Jahresanfang im römischen Jahr: Der erste Monat[sname] wird vom väterlichen Namen stammen“). Weitere Aitien sind in die Erklärung der Matronalia eingewoben, des Festes der Mütter, dessen Stellung am 1. März in den Versen 3.169–252 seinerseits auf multiple Weise plausibilisiert wird. Die Matronalia waren der Iuno Lucina gewidmet, also der Göttin in der Funktion einer „Lichtgöttin“, d.h. einer Geburtshelferin (in den Fasti wird dieser Aspekt zusammen mit der Etymologie von lux, „Licht“, kurz in den Versen 3.253–7 behandelt),111 wie im Übrigen alle römischen Kalenden der Iuno gewidmet waren. Der 1. März ist der Neuanfang des alten römischen Jahres, das mit dem Frühling begann – es gibt also eine Koinzidenz von Gebet um den Neuanfang eines menschlichen Lebens und dem Jahresanfang. Die gestärkte Rolle der Frauen im Zuge der Matronalia wird (ähnlich wie an den Carmentalia im Januar und, im Hinblick auf die gesamte soziale Ordnung, an den Saturnalia am Jahresende im Dezember) als ein kurzzeitiges Aufbrechen der sozialen Ordnung, sonst von Männern dominiert, gedeutet, wodurch dieses Fest am ersten Monatstag den März auf einer weiteren Ebene zu einem Anfangspunkt des Jahreszyklus mache.112 Der mensis Martius, dessen Bezeichnung die Adjektivform des Namens Mars darstellt, war jedoch auch der Kultmonat des Kriegsgottes, in den der Beginn der Kriegssaison fällt (dazu komme ich weiter unten). An ihn selbst wird zu Beginn der Behandlung des 1. März in den Fasti die Frage gestellt, warum ein Frauenfest 111

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Fasti 3.255 f.: dicite ‚tu nobis lucem, Lucina, dedisti‘: / dicite ‚tu voto parturientis ades.‘ Cf. Varro, LL 5.69. Graf 1997, 37 f.

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an seinem Ehrentag, dem ersten Tag des ihm geweihten Monats gefeiert werde – in diesem Fall zielt die Frage also durchaus auf eine Merkwürdigkeit oder gar ein Paradox, die ja traditionell erst den Anlass zu aitiologischen Erklärungen darstellen (3.169 f.):113 ‚cum sis officiis, Gradive, virilibus aptus, / dic mihi matronae cur tua festa colant‘ („da du dich für die männlichen Pflichten eignest, Mars, sag mir, warum die Matronen deinen Festtag ehren“). Mars beantwortet die Frage zunächst mit der Erzählung des Raubs der Sabinerinnen durch Romulus und die frühen römischen Siedler. Der Gott gibt seinem Sohn, im diametralen Gegensatz zum Motto der Fasti (arma canant alii, 1.13) wie auch des Janus (nil mihi cum bello, 1.253) als Lösung für das Junggesellendasein der frühen Siedler eine militärische Lösung vor (3.198): ‚tolle preces‘, dixi, ‚quod petis arma dabunt‘ („‚lass die Gebete‘, sagte ich, ‚was du suchst, werden Waffen bringen‘“). Als es in der Folge dieses Rats zur kriegerischen Auseinandersetzung kommt, stellen sich die geraubten Frauen nach dieser Version der Geschichte im Moment vor der Schlacht zwischen die beiden Heere und beenden sie kampflos – im Rahmen einer ‚Axiologie’ der römischen Elegie (dazu Kap. 4.3) also mit den ‚weicheren‘, ‚weiblicheren‘ Mitteln, mit denen sich diese Gattung poetologisch assoziiert, was in Vers 232 (finierant lacrimis Martia bella suis, „sie hatten martialische Kriege mit ihren Tränen beendet“) zusammengefasst wird. Die geraubten sabinischen Frauen waren mit ihren Neugeborenen zwischen die Fronten getreten (221 f., et, quasi sentirent, blando clamore nepotes / tendebant ad avos bracchia parva suos, „und als ob sie das spürten, streckten die Enkel mit schmeichelndem Ruf die kleinen Arme nach ihren Großvätern aus“), und dieses elegisch anmutende Rufen der Kinder versöhnt die Völker und transformiert sogleich die Waffen zu Spielzeug bzw. zu Transportmitteln für die Kleinsten (3.225–8):

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S. dazu Loehr 1996, 113, Anm. 155: Diese aitiologische Grundstruktur – „dass Merkwürdigkeit und Abweichung vom Üblichen Anlass“ und Motivierung „zu aitiologischer Erklärung bieten“ – ist in Kallimachos’ Aitia die Regel, in den Fasti dagegen meist aufgelöst: Hier ist nicht mehr zwingend oder durchgängig ein „spezifisch aitiologischer Anlass [...] für die Aitiologien vorhanden. Die Notwendigkeit eines solchen Anlasses für jede Aitiologie entfällt“ nämlich durch die Wahl der fasti anni, der römischen Steinkalender samt ihrer Exegesetradition, „als des übergeordneten Rahmens.“

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tela viris animique cadunt, gladiisque remotis dant soceri generis accipiuntque manus, laudatasque tenent natas, scutoque nepotem fert avus: hic scuti dulcior usus erat. Die Geschosse sinken den Männern nieder wie die Gemüter, und nach dem Verwahren der Schwerter reichen die Schwiegersöhne den Schwiegervätern die Hände und nehmen sie ihrerseits in Empfang, und halten die gepriesenen Töchter in den Armen, und der Großvater trägt den Enkel auf dem Schild: Dies war ein gefälligerer Gebrauch des Schildes.

Die Gegenseitigkeit und vollkommene Einigung der verfeindeten Fronten kommt besonders in Vers 226 zur Darstellung, in dem verwandte Hände sich gegenseitig reichen und empfangen, was brachylogisch durch ein Zeugma ausgedrückt wird: dant und accipiunt haben als Objekt beide die manus. Zwei entgegengesetzte Seiten werden durch den waffenlosen Mut der Frauen zu einer Familie – die grundlegende Denkfigur der Fasti, die Form des Janus, ist hier wiederum am Werk. Mars schließt dieses Aition in den Versen 3.229-32 ab, um im folgenden Distichon das Fest der schwangeren Frauen (der Iuno Lucina) mit dem genealogischen Mythos Roms zu verbinden (zuvor in den Versen 3.9–70 erzählt), in dem er Rhea Silvia schwängerte, die darauf die Gründerzwillinge gebar: ‚inde † diem quae prima † meas celebrare kalendas Oebaliae matres non leve munus habent. aut quia committi strictis mucronibus ausae finierant lacrimis Martia bella suis; vel quod erat de me feliciter Ilia mater rite colunt matres sacra diemque meum.‘

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„Deshalb halten die sabinischen Mütter es nicht für einen unbedeutenden Dienst, an dem Tag, der mein erster/der erste meines Monats ist, die Kalenden zu feiern: Entweder weil sie nach dem Wagnis, sich gezückten Schwertern auszuliefern, martialische Kriege mit ihren Tränen beendet hatten; oder weil Ilia von mir glücklich Mutter wurde, ehren die Mütter nach dem Brauch mein Fest und meinen Tag.“

Die Mehrfach-Aitiologie lässt offen, welche Ursache die richtige ist; beide mythologischen Erklärungen beinhalten mithin eine wichtige Rolle von römischen Matronen (matres in Vers 230 und mater in Vers 233) und das Mitwirken des Mars als ‚männliches‘, gewaltsam schwängerndes und kriegerisches Prinzip. Direkt darauf folgt im Text als letztes Aition für Mars’ Patronat des 1. März und damit für sein Prinzipat des alten römischen Jahres ein weiteres Frühlingslob, das die Argumentation jenes Frühlingsplädoyers, die den Frühling im Zuge der Frage an Janus im ersten Buch als Jahreszeit der Erneuerung in den Vordergrund rückte, beinahe wörtlich wiederholt und somit als Gegenstück zur ersten Passage, mit dieser im intratextuellen Dialog gelesen werden kann (3.233–44):

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Poetische Entwürfe des Jahres quid quod hiems adoperta gelu tum denique cedit, et pereunt lapsae sole tepente nives; arboribus redeunt detonsae frigore frondes, uvidaque in tenero palmite gemma tumet; quaeque diu latuit, nunc, se qua tollat in auras, fertilis occultas invenit herba vias? nunc fecundus ager, pecoris nunc hora creandi, nunc avis in ramo tecta laremque parat. tempora iure colunt Latiae fecunda parentes, quarum militiam votaque partus habet.‘

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Was ist denn damit, dass der Winter, der von Eis bedeckt ist, dann endlich weicht und der zerflossene Schnee durch die laue Sonne vergeht? Dass das Laub, zuvor durch die Kälte abgeschoren, auf die Bäume zurückkehrt? Dass das fruchtbare Grün, das lange verborgen war, jetzt versteckte Wege findet, auf denen es sich in die Lüfte hebt? Jetzt ist der Acker fruchtbar, jetzt die Stunde zum Zeugen für das Vieh, jetzt bereitet sich der Vogel ein Haus auf dem Ast. Mit Recht ehren die latinischen Mütter die fruchtbare Zeit, deren Gebären einem Kriegsdienst und Gelübde entspricht.

Diese Passage ist nun wiederum ein echtes ‚Lob des Frühlings‘ und muss bei den vielen wörtlichen Entsprechungen als Gegenstück zum Frühlingsplädoyer des ersten Buchs gelesen werden. Was dort aber aus der Perspektive des kalten Januar auf einen zukünftigen Punkt im Jahr, ein „dann“ (zweimal tunc in Vers 1.151, tum in 157 und 159) verlegt war und die Unstimmigkeit des astronomischen Zyklus gegenüber dem natürlichen Zyklus anzeigte, geht hier in der Präsenz des nunc auf – wodurch Mars in der Lage ist, für die Harmonie ‚seines‘ Festjahres mit dem vegetativen Jahr zu argumentieren. Der Widerspruch zwischen mehreren Ordnungsmustern wird in Ovids Text also ganz explizit adressiert: Der Jahresbeginn als Zeitpunkt der Fruchtbarkeit und Erneuerung, agrikulturell wie auch im Hinblick auf die Kulturalisierung (nämlich die ‚Familienplanung‘ des Romulus, den Fokus auf Geburt und Ehe bei den Matronalia) steht im Konflikt mit dem Patronat des Kriegsgottes über den Monat ebendieses Zeitpunktes im Jahresverlauf. Die Auflösung dieses Konflikts mit einigem rhetorischen Geschick wird Mars selbst in den Mund gelegt, der ‚seinen‘ Monat als den idealen Anfangspunkt des Jahres darstellt – was er nach der alten Ordnung, in den Fasti die einer militärischen Kultur, auch tatsächlich gewesen ist (s. Kap. 3.1.4). Denn in diesem dritten Aition ist das Problem der Stellung des Matronenfestes am 1. März, der sowohl den Monat des Kriegsgottes als auch den Frühling einleitet, über die Analogie der „Fruchtbarkeit“ der Mütter zur „fruchtbaren“ Jahreszeit gelöst (das Vokabular dazu, fertilis und fecundus, ist in der Beschreibung des Frühlings doppelt aufgerufen, in den Versen 240 und 241; fecundus wird sowohl für den Frühling als auch für die tempora der schwangeren Frauen in 243 genannt). Gerade diese Fruchtbarkeit, die Zeugung von Nachkommen wird in Vers 244 als gesellschaftliche Aufgabe der

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Frauen, ja deren „Kriegsdienst“ (militia) bezeichnet. Mit dieser semantischen Weitung des Begriffs ist auch der Gegensatz von Frauen und Männern noch einmal aufgelöst, da beide einen Kriegsdienst übernähmen und das Gebären der Frauen nicht weniger ‚martialisch‘ als der Waffendienst der Männer zu sehen sei. Diese Formulierung liest sich innerhalb der Fasti auch poetologisch, insofern der gleiche semantische Kniff der Übertragung des Begriffs der militia in einen nicht-militärischen Bereich auch im programmatischen zweiten Buchproöm der Fasti angewandt wird: Der Sprecher gibt sein aitiologisches Dichten, sein Vorhaben also, die (3.7) sacra („Heiligtümer“) und die signata [...] tempora fastis („die im Kalender eingetragenen Festzeiten“) zu besingen, als seinen ganz eigenen, der Gesellschaft und dem Kaiser nützlichen „Kriegsdienst“ aus (3.9 f.): haec mea militia est; ferimus quae possumus arma, / dextraque non omni munere nostra vacat („dies ist mein Kriegsdienst; ich trage die Waffen, die ich schultern kann, und meine Rechte ist nicht frei von jeder Aufgabe“). Das Verb vacare, „Zeit haben, frei sein für etwas“, wird in den Fasti immer wieder in solchen Zusammenhängen verwendet, in denen es um verschiedene Gesellschafts- und Zuständigkeitsbereiche geht, letztlich aber gerade um die Vermittlung zwischen diesen: Wie die Frauen durch die Tätigkeit in ihrem Bereich einen Kriegsdienst erfüllen, so tut es auch der Dichter und erweist sich damit seinerseits als ‚nicht vollkommen untätig‘ (zu diesen und ähnlichen Stellen und Denkfiguren komme ich ausführlich in Kap. 4.4). Die Besetzung eines Frauenfestes durch den Kriegsgott nun, der sich im gleichen Zuge unter dem formenden Einfluss der Poetik der Fasti allerdings auch zu einem Gott der Frauen, der Fruchtbarkeit machen lässt, ist somit Resultat der literarischen Vermittlung mehrerer Ordnungsmuster des Jahres; dies ist die elegische Verarbeitung des Ordnungskonflikts, die sich in mehreren poetischen Verfahren semantischer Vermittlung im dritten Buch zeigt und dessen kalendarische Wissenspoetologie ausmacht. Die Umbesetzung der Schilde als Transportmittel für die Enkel ist ein solches Verfahren, das die Oppositionen von Krieg und familiärer Harmonie zusammenbringt, und ist mit jenem Verfahren identisch, das zu Beginn des dritten Buches den Buchpatron Mars „entwaffnete“ (inermis zweimal in den Versen 8 und 9; 3.1–9): Bellice, depositis clipeo paulisper et hasta, Mars, ades et nitidas casside solve comas. forsitan ipse roges quid sit cum Marte poetae: a te qui canitur nomina mensis habet. ipse vides manibus peragi fera bella Minervae: num minus ingenuis artibus illa vacat? Palladis exemplo ponendae tempora sume cuspidis: invenies et quod inermis agas. tum quoque inermis eras [...]

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Kriegerischer Mars, nachdem du den Schild und die Lanze ein Weilchen beiseite gelegt hast, komm und löse die glänzenden Haare vom Helm. Vielleicht könntest

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Poetische Entwürfe des Jahres du selbst fragen, was der Dichter mit Mars zu schaffen hat: Der Monat, der besungen wird, hat von dir seinen Namen. Selbst siehst du, wie wilde Kriege von den Händen der Minerva ausgeführt werden – hat sie etwa etwa deshalb weniger Zeit für die schönen Künste? Nimm dir nach dem Beispiel der Pallas Zeit zum Ablegen des Speeres; du wirst auch etwas finden, was du unbewaffnet tun kannst. Damals warst du auch unbewaffnet [...]

Mars wird in diesem Buchproöm als Kriegsgott depotenziert, von einer Seite der Oppositionen der Fasti, den epischen arma, gleichsam hinübergezogen zur Seite der Kultur, für die Minerva steht – die jedoch ihrerseits auch noch Waffenträgerin ist (5 f.) und damit als naheliegendes Vorbild für einen weniger waffenstarken Mars fungieren kann.114 Im Hintergrund steht einerseits die Poetik eines Werkes, das sich als augusteisches Kulturbuch versteht und ‚Zeit für Kultur‘ einfordert: Die Verse 6 rufen wiederum dieses „Zeit haben“ auf, hier explizit für die „schönen Künste“ (ingenuis artibus ... vacat), und in den Versen 8 f. wird dies auch Mars nahegelegt: Ab Vers 9 wird die Geschichte der Vergewaltigung der Rhea Silvia erzählt – es ist also Zeit für (wenn auch gewaltsame) Liebe gemeint, die gattungspoetologisch dem elegischen poeta aus den Buchproömien des zweiten und dritten Buch im Grunde weit näher liegt, wie die Geste des dritten Verses nahelegt.115 Die

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Zur Stelle und zu diesen Gedankenfiguren in den Fasti, s. Hinds 1992. Im Zuge der mythologischen Erzählung im späteren Verlauf des Buchs, die Anna Perenna in der Rolle einer Kupplerin zeigt, verliebt sich Mars gar in Minerva und bittet Anna, ihn dabei zu unterstützen, mit der Göttin „in eins“ zu gehen (3.681–84) – wieder ist die Grundfigur der Identifikation der Gegensätze, die ineinander enthalten sind, am Werk: ‚armifer armiferae correptus amore Minervae / uror, et hoc longo tempore volnus alo. / effice, di studio similes coeamus in unum: / conveniunt partes hae tibi, comis anus.‘ Im sechsten Buch dient Minerva ihrerseits bei der Behandlung der ‚kleinen‘ Quinquatrus als Informantin und legt selbst den Speer ab, sobald sie zur Aitiologin wird (6.655 sic ego. sic posita Tritonia cuspide dixit). Die Konkurrenz zwischen Mars und Minerva im März, die in den Fasti auf elegische Weise gelöst wird, zeigt sich religions- und kalendergeschichtlich auch am Fest der Quinquatrus (maiores): Das Fest vom 19.–23. März könnte ursprünglich ein Kriegsfest für Mars gewesen sein (für die antiken Deutungen, s. Degrassi 1963, 173; Fest. 134.3–6 Lindsay), was aber umstritten ist. Sie galten allerdings auch als der Minerva heilig (so in Fasti 3.809–48), die auch eine Rolle beim Tubilustrium am 23. März, eindeutig dem Mars zugeordnet, innehatte. Die römischen Antiquare brachte diese Verbindung zwischen Mars und Minerva in Erklärungsnot, was zu der Assoziation mit Nerio führte (Gell. 13.23; Phillips III 2006). Zu Vers 3 und dem in den Fasti häufiger genutzten, kolloquialen quid [est] cum mit Dativform desjenigen, den etwas „nichts angeht“ – das uns auch in Janus’ nil mihi cum bello (1.253) begegnete und in Buch 4, Vers 3 (‚quid tib‘, ait, ‚mecum? certe maiora canebas‘) wieder begegnen wird –, cf. in Ovids Werk Ars 1.691–94 zu Achilles in Frauengewändern und bei der Frauenarbeit: quid facis, Aeacide? non sunt tua munera lanae; tu titulos alia Palladis arte petas. / quid tibi cum calathis? clipeo manus apta ferendo est: / Pensa quid in dextra, qua cadet Hector, habes? Immer geht es die Grenzen von

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Frage nach dem poetischen Anfangen, die kurz nach der zitierten Eingangspassage folgt (3.11, quid enim uetat inde moueri?, „denn was hindert [sc. mich], dort [sc. mit der Vergewaltigung Rhea Silvias] zu beginnen?“), ist deswegen besonders hintergründig, weil die Geschichte, die dann folgt, den Beginn der römischen Gründungsgeschichte darstellt, wie sie im Epos, nämlich zuerst bei Ennius erzählt wird. Der elegisch depotenzierte Mars erhält, in der dramatischen Logik der Fasti gesprochen, gleichwohl ein sehr episch beginnendes Buch 116 – wird jedoch ab Vers 173 genau wie Janus im ersten Buch in einer weiteren mise en abyme-Volte des Textes zum Aitiologen und wie Janus zum Gott des Friedens, als er die Frage nach der Stellung der Matronalia am 1. März zu beantworten beginnt (3.173 f.: ‚nunc primum studiis pacis deus utilis armis / advocor, et gressus in nova castra fero; „jetzt werde ich erstmals zu Beschäftigungen des Friedens gerufen, und schreite in neue Feldlager“). Auch dem Kriegsgott wird also eine neue militia zuteil; anders als der poeta gelangt er jedoch nicht von der Seite der Elegie zur Erforschung der römischen causae, sondern vom Epos mit seinen klirrenden ‚Waffen‘ – beide treffen sich in der Mitte. Mars erzählt also die epische Gründungsgeschichte und die Anfänge Roms, die wie die kosmischen Anfänge des Janus anklingen (3.179 f.): parva fuit, si prima velis elementa referre, / Roma, sed in parva spes tamen huius erat („klein war Rom, wenn man die ersten Anfangsgründe wiedergeben möchte, aber auf kleine Dinge setzte es dennoch seine Hoffnung“). Die Kosmologie der Fasti enthält die einzelnen Bezeichnungen der vier Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser und nennt sie corpora (1.105 f.); die eng verwandte Passage in den Metamorphosen gebraucht jedoch genau dieses Wort, um die „gröberen Elemente“ (elementaque grandia, Met. 1.29) der Erde zu bezeichnen. Mars’ Rede ist daher ein eigener Beginn in den Fasti, der die Genese der Stadt Rom erzählt, mit dem absoluten, kosmischen Beginn des Janus in dessen Rede gewissermaßen konkurriert und so wiederum den Konflikt zwischen einem Jahresbeginn im Januar und dem im März abbildet. So kann man auch das Distichon 3.175 f. lesen (disce, Latinorum vates operose dierum, / quod petis, et memori pectore dicta nota, „lerne, arbeitsamer Dichterseher der latinischen Tage, was du begehrst, und merke dir das Gesagte mit bedachtsamem Gedächtnis“), nämlich als BeinaheDublette zum Distichon 1.101 f. (disce metu posito, vates operose dierum, / quod

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Zuständigkeitsbereichen, nicht zuletzt denen von Form und Inhalt im Rahmen von Gattungen, die Ovid spielerisch überschreitet, indem er Bilder ihrer Veranschaulichung findet, ja sie ‚vermotivlicht‘ (für den Begriff s. Schwindt 2004, 188). Weitere Beispiele für diese Junktur bei Ovid gibt es von Beginn des Werkes an, so in Am. 3.2.47 f.: plaudite Neptuno, nimium qui creditis undis! / nil mihi cum pelago; me mea terra capit; Rem. 385 f.: Thais in arte mea est; lascivia libera nostra est; / nil mihi cum vitta; Thais in arte mea est; Her. 14.65 (Hypermestra): quid mihi cum ferro? quo bellica tela puellae? / aptior est digitis lana colusque meis. Cf. Barchiesi 1997, 63, cf. ibid. 19: „The god Mars is continually under attack in this view of militarism. The reader’s expectations of war – and of epic – are concentrated around him and his words.“

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petis, et voces percipe mente meas, „lerne mit abgelegter Furcht, arbeitsamer Dichterseher der Tage, was du begehrst, und nimm meine Rede im Geist auf“), das Janus zu Beginn seiner Rede im ersten Buch ausspricht. Das ist neben der Doppelung des Frühlingslobes ein weiteres Indiz, die Bücher eins und drei als parallel angelegt zu sehen,117 was den beiden konkurrierenden Jahresanfängen in Januar und März auch auf dieser literarischen Ebene Rechnung trägt. Mars’ Prinzipat stellt nun allerdings nicht mehr den Beginn des Gesamttextes wie im Epos dar, sondern nur noch einen Buch- bzw. Buchpaarbeginn (zu den Buchpaaren der Fasti, s. Kap. 3.1.5), und darauf verweist nicht zuletzt die Wiederholung des Frühlingslobes noch einmal etwas später in diesem Gedichtbuch. Andererseits bereitet diese poetologische Transformation des Mars auch die angesprochene literarische Verarbeitung des semantischen Konflikts im römischen Kalender vor, der durch sich überlagernde Zyklen des Jahres gegeben ist: Der Beginn des römischen Jahres mit dem Mars-Monat in erster Stellung fokussiert kulturhistorisch gesehen nämlich auf die Kriegssaison, die im Frühling begann und im Herbst endete, wie es auch in zahlreichen Festen des Kalenders und (weiteren) Aitien der Fasti, angesichts der fehlenden zweiten Jahreshälfte allerdings nur für den Frühling, abgebildet wird. Georges Dumézil bezeichnet den Verlauf dieses temporalen Zyklus als einen Vorgang des Öffnens und Schließens: „Le cycle de ses [sc. des Mars] fêtes se divise en deux groupes, l’un ouvrant (mois de mars avec quelques extensions), l’autre fermant (mois d’octobre) la saison guerrière.“ 118 Der von Gesang begleitete Tanz der Salierpriester durch die Straßen Roms am 1. März, die Equirria (Reiterspiele) am 27. Februar (s. Fasti 2.858–60)119 und am 14. März (3.519–22), an denen die Pferde auf dem Marsfeld nach der Winterruhe präsentiert und trainiert wurden und das alte Jahr symbolisch durch die Vertreibung eines Ziegenbocks ‚ausgetrieben‘ wurde,120 eröffnen diesen Zyklus. Zudem wurden an den (als Kriegsfest umstrittenen, in den Fasti auch ausschließlich Minerva als Göttin der Künste zugeschriebenen) Quinquatrus vom 19.–23. März (3.809–48) Gladiatorenspiele zu Ehren des Mars abgehalten, und das Ritual der Reinigung der Kriegstrompeten, das Tubilustrium, fand am 23. März statt (3.849 f.).121 Im Oktober wurden diese Riten durch ein Armilustrium, die Reinigung und Weihung der 117

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Zu diesen und anderen Parallelen und übergeordneten Strukturen der Fasti, s. Braun 1981. Dumézil 1974, 216. Ein Kapitel des Buches Dumézils (214–56) enthält seine religionsgeschichtliche Einordnung des Mars und deutet ihn allein als Kriegsgott, nicht wie andere Forscher als ursprünglichen Gott (auch) der Landwirtschaft. Diese schwer zu belegende Deutung ist allerdings interessant angesichts der Überlagerung mit den in den Fasti als Fruchtbarkeitfest gedeuteten Matronalia und dem Lob des Frühlings im dritten Buch, das ein agrikulturelles Ordnungsmuster des Jahres aufruft. Marsque citos iunctis curribus urget equos; / ex vero positum permansit Equirria nomen, / quae deus in campo prospicit ipse suo. Zu diesen Festen, cf.. Scullard 1981, 82, 89, 195. Ibid. 92.

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Waffen am 19. Oktober beantwortet, und damit – wie vermutlich durch einen erneuten Tanz der Salier und den Brauch des „Oktoberpferds“ (equus October) – ein Ende der Kriegssaison markiert.122 Die Phase der jährlichen Kriegsführung, die neben dem vegetativen Zyklus eins der beiden Ordnungsmuster innerhalb des römischen Jahres darstellt, die im Frühling beginnen, strukturierte also einst das Jahr, was in den Fasti vor allem anhand der Riten der Salierpriester gezeigt wird: Die Waffen wurden im März „in Bewegung gesetzt“ (arma ancilia movere), im Oktober wieder „verwahrt“ (arma ancilia condere)123 – ein weiterer Zyklus des Öffnens, In-Bewegung-Setzens und Schließens. Die Aitiologie des Salierkultes, des alternativen Festnamens Mamuralia und der zwölf ancilia-Schilde wird innerhalb der Fasti in der langen mythischen Erzählung um den zweiten König Numa, das schlechte Omen der Dürre und die Lösung des Problems durch Kommunikation mit den ländlichen Gottheiten Picus und Faunus sowie Jupiter selbst gegeben (3.259–392, also direkt im Anschluss an die Behandlung der Matronalia). Der Ursprung der Waffen Roms, der in Mars’ Buch erzählt wird, ist in den Fasti also ein friedlicher, religiös-pietätvoller – und steht im Gegensatz zu Mars’ Ratschlag an seinen Sohn, das lästige Junggesellentum der Siedler durch kriegerischen Frauenraub zu lösen (3.198, ‚tolle preces,‘ dixi, ‚quod petis arma dabunt‘, s.o.). Numa wird in 3.275–84 wiederum, nach der kurzen Beschreibung seiner Rolle in der Kalenderkonstitution selbst (3.151–4, s. Kap. 3.1.1), als Kulturbegründer gezeichnet (s. etwa Vers 281 für den wichtigen Gegensatz von feritas bzw. arma gegenüber einem positiv bewerteten aequum, begleitet in Vers 279 von den leges und der ara). In das Buch des Mars dringt also auch ein Friedensbringer ein, der stets von der Nymphe Egeria inspiriert erscheint, die „den Musen lieb“ ist (275 dea grata Camenis; 154 zu seiner Kalenderreform: Egeria sive monente sua), und der dem Schöpfer der elf Schildkopien Mamurius als Belohnung die Verewigung in einem Gedicht, dem Lied der Salier schenkt (389–92). In einem kleineren Zeitraum als vom März bis zum Oktober, nämlich zu Beginn und zum Ende des Monats, wurden die Schilde ebenfalls „herausgeholt“ und „verwahrt“, was in den Versen 3.393–98 der Fasti reflektiert ist, die eine Warnung aussprechen, im März nicht zu heiraten, und dabei ebenfalls die technischen Termini verwenden: arma movent pugnas, pugna est aliena maritis; / condita cum fuerint, aptius omen erit („die Waffen leiten Kämpfe ein, der Kampf ist den Eheleuten fremd; wenn sie verwahrt sein werden, wird das ein passenderes Vorzeichen sein“).124 Es gibt im März, wie an dieser Weisung zu sehen ist, also doch noch einen Konflikt zwischen militärischer Vorbereitung und Familienplanung, die in Ovids Text in diesem Fall auch nicht aufgelöst ist.

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Ibid. 193, 195. Liv. 37.33.6, Serv. ad Aen. 8.663 Cf. Schilling 1960, 121–4.

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3.2.4.3 Venus und die verwehrte Öffnung des April Das vierte Buchproöm der Fasti (4.1–18) ist das ‚Proöm in der Mitte‘ der erhaltenen sechs Bücher, und der Neueinstieg wird durch eine fast wörtliche Wiederholung des ersten Distichons des Gesamttextes markiert (4.11 f.): tempora cum causis, annalibus eruta priscis, / lapsaque sub terras ortaque signa cano („die Festzeiten mit ihren Ursprüngen, erforscht in den alten Annalen, und die Sternbilder, die unter die Erde geglitten und [wieder] aufgegangen sind, besinge ich“).125 Es führt die nächste programmatische, straff inszenierte Konversation mit einer Gottheit vor und trägt eine weitere Kernaussage für die Wissenspoetologie des Kalenders in sich: Der April ist für den aitiologischen Sprecher des Textes der Monat der Venus.126 Wie die Vorreden der vorhergehenden Bücher enthält auch dieses wieder eine (gattungs-)poetologische Reflexion, wie im dritten Buch im Gewand der Unterhaltung mit einer Gottheit. Wie in den Versen 3.3 (forsitan ipse roges quid sit cum Marte poetae; s. den letzten Abschnitt zu dieser Stelle) und in 2.8 (ecquis ad haec illinc crederet esse viam?, „wer hätte gedacht, dass von dort zu diesen Themen ein Weg bestünde?“) gibt es auch hier ein kurzes Innehalten, um über poetische Zuständigkeit und Gesamtwerk-kohärente Sujetwahl nachzudenken (4.3–6): ‚quid tibi‘ ait ‚mecum? certe maiora canebas. num vetus in molli pectore volnus habes?‘ ‚scis, dea‘, respondi ‚de volnere.‘ risit, et aether protinus ex illa parte serenus erat.

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„Was hast du mit mir zu schaffen?“, sagte sie. „Sicherlich warst du dabei, Größeres zu besingen. Hast du etwa deine alte Wunde in der weichen Brust?“ Ich antwortete: „Du weißt von der Wunde, Göttin.“ Sie lachte, und der Himmel war auf dieser Seite sogleich heiter.

Die „alte Wunde in der weichen Brust“ bezeichnet metonymisch, mit dem Vokabular der Gattung selbst, die Elegie und ihre Inhalte – wie zugleich auch das Schreiben solcher Dichtung, das eine solche Wunde hervorbringt (s. Kap. 4.3 zu 125

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Die Verse 4.1–132 werden auch als erweitertes Buchproöm gesehen und sind am ausführlichsten besprochen worden von Barchiesi 1997, 53–60; Fantham 1998 ad 4.1–18; Pasco-Pranger 2006, 126–31. Green 2002, 79–83 behandelt den möglichen Einfluss der drei Theologien Varros auf diese Passage. Cf. Pasco-Pranger 2006, 126 f. Außer der Einweihung des Tempels für Venus Verticordia (s. Fasti 4.133–62) gibt es im April allerdings keine Feste für Venus, es ist also eine poetische Entscheidung. Barchiesi 1997, 56: „In fact there are no great traditions of Venus-worship in April, and it could be argued that Ovid has forcibly carved out a place for her in the calendar.“ S. Scullard 1981, 96 für die These, dass die Waschung und Neueinkleidung der Statue, die Ovid in dieser Passage beschreibt (cf. 136 tota lavanda dea est), ein Frühlings- und Erneuerungsritual darstelle.

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Properz und der Formation dieser poetischen Verfahren). Venus und die „Wunde“ (volnus sagt Venus mit archaisierendem, erhaben klingendem Vokal o [statt u], ihr Schützling folgt ihr darin; all das trägt komische Untertöne) sind Sujets der Elegie,127 von denen sich laut Venus (4.3, certe maiora canebas) die ersten drei Bücher der Fasti entfernt hätten. Nach der Versicherung des poeta, seiner „Wunde“, also dem Thema der Elegie und damit auch ihr treu zu bleiben, 128 lacht die Göttin erfreut, wodurch der ganze Himmel aufhellt – genau wie am Frühlingsbeginn des lukrezischen Werkproöms, wo schlechtes Wetter und Wolken die Göttin „fliehen“ und es das „Meer“ ist, das für sie „lacht“ (DRN 1.6–8: te, dea, te fugiunt venti, te nubila caeli / adventumque tuum, tibi suavis daedala tellus / summittit flores, tibi rident aequora; s. Kap. 3.2.1 für das gesamte Proöm mit Übersetzung und Interpretation). Die Eröffnung des vierten Buchs und des Monats April in den Fasti ist also wiederum, wenn auch stark verkürzt und besser über den intertextuellen Hintergrund erkennbar, eine poetische ‚Öffnung‘. Venus ist deren Stellvertreterin (s. den Begriff des poetischen ‚Surrogats‘ in Kap. 3.2.4.1), die diese Funktion als mise en abyme bei Lukrez noch in diese Stelle der Fasti einzubringen scheint. Ein weiteres echtes Frühlingslob der Fasti folgt etwa hundert Verse später (4.125–32), diesmal als Aition für die Zueignung des Frühlingsmonats April für Venus als Öffnerin des Jahres. Zu dieser Passage komme ich weiter unten. Venus’ Buch steht nun wie die Göttin der Liebe selbst im Opposition zum dritten Buch und dessen Patron Mars, insofern die Gegensätze von Krieg und Liebe, Epos und Elegie, ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ zwischen ihnen angelegt sind:129 In diesem Buch werden vor allem die Feste weiblicher ländlicher Gottheiten besprochen;130 die Megalensia zu Ehren der Cybele enthalten die Geschichte der Emanzipation Claudia Quintas (247–348); im Zuge der Cerealia werden der Mythos vom Raub der Proserpina und die Klagen von Mutter und Tochter behandelt (417– 620);131 die Behandlung der Parilia am 21., der Vinalia (mit Fokus auf Venus Erycina) am 23. und der Robigalia am 25. April kommen hinzu; auch die Floralia am 27. April gehören in diese Reihe, werden in voller Breite jedoch erst im fünften Buch besprochen (vermutlich, weil das Buch schon ohne dieses Fest beinahe 1000 127 128

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Zu Venus in der lateinischen Literatur, s. Wlosok 1967. Noch deutlicher wird dies in den Versen 4.7 f., saucius an sanus numquid tua signa reliqui? / tu mihi propositum, tu mihi semper opus, und 4.18, et vatem et mensem scis, Venus, esse tuos. S. auch das Distichon 4.195 f. in der Einleitung des Aitions der lärmenden Prozession an den Cerealia, das die Muse Erato im „Monat der Venus“ liefern darf, „weil sie den Namen der zarten Liebe“ trage (sc. weil erôs = amor): sic ego. sic Erato (mensis Cythereius illi / cessit, quod teneri nomen amoris habet). Cf. Fantham 1992 zu den ländlichen Gottheiten in den Fasti, bes. in Buch 4. Richard Heinzes (1919) Konstruktion einer Gattungsopposition von elegischen Fasti und epischen Met. ging von dieser Erzählung und ihrem Pendant in Met. 5.385–571 aus – was von Hinds 1987 relativiert, aber nicht revidiert wurde. S. zu dieser Forschungsdiskussion auch Kap. 2.4.

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Verse umfasst, cf. die Aussage der Verse 4.943–48). Venus ist als Gattin des Mars wie ihr Monat dennoch eng mit diesem Gegenpol verbunden, wie auch zahlreiche epische Themen und Motive das Buch säumen: So ist etwa Ceres’ Suche nach ihrer Tochter auf der ganzen Welt (455–590) ein episches Thema. Dieses dialektische Verhältnis wird auch durch das erste Wort des Buches, alma (geminorum mater Amorum; „nährende, milde Mutter der Amor-Zwillinge“, 4.1), markiert, das mit den vielfach aufgerufenen arma des dritten Buches ebenso kontrastiert wie – als initiales Wort – mit dem Einstieg der Amores (1.1 arma gravi numero) und dessen Vorbild, dem Beginn der Aeneis (1.1 arma virumque cano): alma unterschiedet sich nur durch einen Konsonanten (beide sind Liquiden) von den epischen arma, steht aber am entgegengesetzten Ende des Bedeutungsspektrums im Hinblick auf Krieg und Frieden. Das Attribut stammt ebenfalls aus Lukrez’ Proöm (1.2 alma Venus) und wird im vierten Buch der Fasti noch für einige weitere ländliche Göttinnen verwendet.132 Angesichts der Tatsache, dass es im April keinen römischen Venus-Kult gibt,133 sondern Fruchtbarkeit und (Frieden durch) Agrikultur im Vordergrund stehen, ist diese synkretistische Tendenz, Venus mit den agrikulturellen Göttinnen in eine Linie bringen, als Garant einer literarische Kohärenz des vierten Buchs durchaus als wissenspoetologisch zu betrachten. Sie wirkt auch auf der Ebene einer axiologischen Entwurfs der Kultur: All diese almae matres im Verbund – Ceres, Robigo, Pales und Venus – verbürgen eine römische Kultur der Landwirtschaft und des Friedens. 134 Der Zusammenhang einer römischen Gesellschaft im Frieden durch die Schirmherrschaft ihrer Stammmutter (DRN 1.1 Aeneadum genetrix) wird ebenfalls schon in Lukrez’ (erweitertem) Proöm hergestellt, das homerische Motive göttlicher Verführung mit der empedokleischen Allegorie von Mars und Venus als Streit (νεῖκος) und Liebe (ἔρως) verbindet (DRN 1.31–4; 39 f.):135 132

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Cf. Pasco-Pranger 2006, 130–43, mit Bezug auf die gesamte Passage 4.1-132 und das vierte Buch als ganzes: „Ovid constructs, then, a Venus who is the Julian and Roman genetrix (4.19–60), the Lucretian genetrix omnium, and, strangely enough, the source of vegetative growth and the creatrix of the other gods (4.96–107). Herbert-Brown attributes this extension of the goddess’ province to the Augustan elevation of the goddess.“ Gemeint sind die Ausführungen in Herbert-Brown 1994, 81–95. Cf. Robert Schillings Monographie (1954) zur römischen Religionsgeschichte der Venus. Cf. bes. 4.407 f. zu Ceres: pace Ceres laeta est; et vos orate, coloni, / perpetuam pacem pacificumque ducem. Treffend dazu Pasco-Pranger 2006, 126: „Ovid represents and reinforces the overlapping meanings of these cults, and also of the links he builds between less clearly related goddesses who are worshipped in April will bring to light the means by which the literary structures of the book support and indeed perform the connections between rites that were part of the ritual experience of the Roman year, both ‚true‘ (i.e., historically and developmentally traceable) connections and ones that are ‚imaginary‘ (but no less culturally significant).“ Cf. Hübner 1999, 545 zu dieser Allegorese und der Deutung des Paares als eine der vielen Formen von Strukturbildung verschiedener Gottheiten, zu der der griechische

annus, qui melius per ver incipiendus erat nam tu sola potes tranquilla pace iuvare mortalis, quoniam belli fera moenera Mavors armipotens regit, in gremium qui saepe tuum se reiicit aeterno devictus vulnere amoris [...] suavis ex ore loquellas funde petens placidam Romanis, incluta, pacem.

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Denn du allein kannst mit ruhigem Frieden den Sterblichen helfen, da ja der waffenstarke Mars die grausamen Verrichtungen des Krieges lenkt, der oft in deinen Schoß sich niedersinken lässt, besiegt von der ewigen Wunde der Liebe. [...] Lass süße Reden aus deinem Mund strömen, wenn du sanften Frieden für die Römer erbittest, Ruhmreiche.

Ein weiterer Grund für Venus’ Lachen aus Fasti 4.5 wird erkennbar, denn die werkbiographische Pose von einer „Wunde“ des poeta dort ist auch eine Anspielung auf die „Wunde der Liebe“ (34) des Mars aus dieser Passage, die sie nicht mehr ‚nur‘ zur Inspirationsgöttin der Elegie, sondern auch zur Bezwingerin (devictus, ebenfalls Vers 34) des Mars und damit des kriegerischen Prinzips, also zur Göttin des Friedens macht. Die religiös-mythologische Paarung der beiden funktional doch widerstreitenden Gottheiten Mars und Venus ist in der römischen Kalenderexegese, zumal der Paarung der Monate März und April ebenfalls von Bedeutung, wie wir in Kap. 3.1.5 schon gesehen haben und wie es in der Anfangsvignette der Fasti zur frühen Kalenderkonstitution mit der genealogischen Deutung des Monatspaares anskizziert war (1.39 f.). Romulus stellte, so wird es auch im vierten Buch in den Versen 4.25–8 und dann 57–60 dargelegt (zudem in Venus’ Frühlingslob in 4.129 f., auf das ich gleich zu sprechen komme), in der Phase seiner Betätigung als Ahnenforscher und Ur–Aitiologe des römischen Kalenders seinen Vater Mars an den Anfang des Jahres, und der in seinem ‚primitiven‘ Jahresmodell noch zweite Monat April sei auf Venus-Aphrodite zurückzuführen, die mythische Mutter des Trojaners Aeneas: utque fero Marti primam dedit ordine sortem, quod sibi nascendi proxima causa fuit, sic Venerem gradibus multis in gente receptam alterius voluit mensis habere locum; [...] ille suos semper Venerem Martemque parentes dixit, et emeruit vocis habere fidem: neve secuturi possent nescire nepotes, tempora dis generis continuata dedit.

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Polytheismus und in seiner Nachfolge das römische Götterpanoptikum öfter Anlass geben.

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Poetische Entwürfe des Jahres „Und wie er [sc. Romulus] nach der wilden Ordnung dem Mars das erste Los gab, weil er ihm die nächste Ursache der Geburt war, so wollte er, dass Venus, die nach vielen Schritten [in die Vergangenheit] in das Geschlecht aufgenommen worden war, den Platz des zweiten Monats habe; [...] jener nannte stets Venus und Mars seine Eltern, und verdiente Vertrauen für seine Behauptung: Damit die Enkel, die folgen würden, dies genau wüssten, gab er die aufeinanderfolgenden Zeiten den Göttern seines Geschlechts.“

Die mythologisch-kultische Paarung von Mars und Venus und deren Nutzung für die genealogische Konstruktion des julisch-augusteischen Kaiserhauses steht Pate für diese mythische Aitiologie der Iuxtaposition auch der Monate dieser beiden Götter, März und April.136 Die Kategorisierung des März als ‚epischer‘ Kriegsmonat und des April als ‚elegischer‘ Friedensmonat, so durchlässig sie auch sein mag, leitet sich also nicht weniger aus den literarischen Vorbildern der Fasti, insbesondere aus Lukrez’ Text, als aus der kultischen Realität des römischen Festjahres ab, das die militärische Mobilisierung im März und die Feier der weiblichen Fruchtbarkeit im April im Programm hatte (zumal für den April jedoch nicht ganz so stringent vorsah, wie die Fasti den Monat konzeptuell anlegen). Die Identifikation der Monate mit diesen beiden Göttern wird in den Fasti künstlerisch als immanente Gattungspoetologie in Szene gesetzt wie auch wissenspoetologisch voll ausgekostet, wie wir nun an verschiedenen Stellen des dritten und vierten Buches gesehen haben. Diese Paarung dient in Buch 4 jedoch auch als Teil der Aitiologie des Monatsnamens, den der Text ganz explizit auf Venus zurückführt. Auch diese Frage wird wiederum im Gewand der Mehrfach-Erklärung beantwortet, die mich im Folgenden beschäftigen wird, da sie die Frage einer ‚Öffnung‘ des Jahres wieder aufgreift und als eines der Aitien auch ein Frühlingslob anführt. Eine lange, episch konnotierte Passage zur Genealogie des Julier-Geschlechts (4.31–56), das letztlich aus der Vereinigung der Liebesgöttin mit dem Trojaner Anchises hervorgegangen sei, ist an das Buchproöm angeschlossen. 137 In diesem Kontext steht die Diskussion um das Monatspatronat, die sich um zwei divergente Etymologien des Wortes Aprilis dreht (4.61–4): sed Veneris mensem Graio sermone notatum auguror; a spumis est dea dicta maris. 136

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Cf. auch Ars 1.405 f., wo Ovid den 1. April bezeichnet als kalendae / quas Venerem Marti continuasse iuvat; Pasco-Pranger 2006, 115, Anm. 83. Cf. die politischen Deutungen dieser Passagen im Zusammenhang mit dem Proöm bei Schubert 1999, 682: „Insofern wäre die Einleitung von fast. 4 die verklausulierte recusatio einem Herrscher gegenüber, der sich in seiner Abstammung auf Venus beruft und dessen Befehlen Ovid sich weniger verpflichtet fühlt als denen einer Stammutter, und zugleich eine Rechtfertigung dafür, dass das [...] erotische Element in den Fasti eine so markante Rolle spielt;“ sowie bei Holzberg 2005, 172: Der Venus-Hymnus, der unmittelbar auf die Genealogie des Kaiserhauses folgt, sei „Ausdruck der elegischen Seele Ovids“, die neben der augusteischen stehe.

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nec tibi sit mirum Graeco rem nomine dici; Itala nam tellus Graecia maior erat. Aber ich ahne, dass der Monat der Venus in der griechischen Sprache bezeichnet ist; die Göttin ist nach dem Schaum des Meeres benannt. Es soll für dich nicht verwunderlich sein, dass die Sache mit einem griechischen Namen bezeichnet wird; denn die italische Erde war Großgriechenland.

Die erste Ableitung, für die der inspirierte vates votiert (4.61, auguror), ist eine zweisprachige Etymologie vom griechischen Wort für ‚Schaum‘, ἀφρός, mit dem Venus’ griechischer Name Aphrodite zusammenhängt – mit dem lateinischen Aprilis ist das Wort allerdings nicht verwandt (zu den Details, s. Kap. 3.1.5).138 Im Kontext der poetischen Entscheidung, den April zum Monat der elegischen Inspirationsgöttin Venus zu machen, eignet sich diese Etymologie jedoch sehr gut als Argument.139 Venus selbst schlägt in vierten Buch der Metamorphosen,140 im Zuge ihrer Bitte an Neptun, Ino und Melicerta zu Meeresgöttinnen zu machen, diese Etymologie vor, wenn auch nicht mit letzter Bestimmtheit (Met. 4.535–7): aliqua et mihi gratia ponto est, / si tamen in medio quondam concreta profundo / spuma fui Graiumque manet mihi nomen ab illa („einen gewissen Einfluss habe ich auch auf das Meer, wenn ich denn einst mitten aus der Meerestiefe entstandener Schaum gewesen bin und der griechische Name mir von diesem bleibt“).141 Die zitierte Stelle in den Fasti bringt jedoch ein kulturgeschichtliches Argument ins Spiel, das den kulturellen und auch sprachlichen Einfluss Griechenlands auf Italien in Erinnerung ruft und dies an weiteren mythologischen exempla in den Versen 4.65–80 belegt. Diese etymologische Variante hatte auch Varro in seinem Traktat De lingua Latina aufgeführt, nur um sie in einer in diesem Text seltenen eigenen Wertung abzulehnen (Varro, LL 6.33): nam primus a Marte. secundus, ut Fulvius scribit et Iunius, a Venere, quod ea sit Ἀφροδίτη; cuius nomen ego antiquis litteris quod 138

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Cf. de Vaan 2008, s.v. Aprilis für die etymologischen Details. Die Bedeutung „zweiter, folgender“ für den zweiten Monat des alten Jahres und eine Verwandtschaft mit dem altind. áparah mit dieser Bedeutung scheint heute gesichert; cf. Radke 1990, 36, Anm. 18. Der erste, der diese Etymologie vorschlägt, ist allerdings Horaz (Carmen 4.11.13–6): ut tamen noris quibus advoceris / gaudiis, Idus tibi sunt agendae, / qui dies mensem Veneris marinae / findit Aprilem. Auch dieses vierte Buch ist in mancher Hinsicht ein ‚Venus-Buch‘ und enthält u.a. die aus Odyssee 8 bekannte Geschichte von Mars und Venus im Netz des Vulcan. S. zu dieser Stelle Tissol 1997, 173: „Sometimes Ovid alludes to the etymology of a Greek name without explicitly mentioning it, thereby requiring a still more productive cooperation on the reader’s part. To adopt Servius’ critical vocabulary, Ovid ‚suppresses‘ the name [Serv. ad Georg. 2.126 supprimens nomen (O’Hara 1996, 79–82)]. So Venus uses the Latin language with great authority to provide the etymology of her Greek name (Aphrodite from ἀφρός), linking it to an account of her own origin.“

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Poetische Entwürfe des Jahres

nusquam inveni, magis puto dictum, quod ver omnia aperit, Aprilem („Denn der erste [sc. Monat] leitet sich von ‚Mars‘ ab. Der zweite, wie Fulvius und Iunius schreiben, von ‚Venus‘, weil diese ‚Aphrodite‘ sei; weil ich deren Namen in den alten Schriften nirgends finde, meine ich eher, dass der April [so] benannt ist, weil der Frühling alles ‚öffnet‘“). Aus Gründen der fehlenden Belegbarkeit der VenusEtymologie in seinen antiquarischen Quellen, die nur bei den beiden Kalenderkommentatoren Fulvius Nobilior und Iunius (beide zweites Jh. v.Chr.), aber wohl nicht in noch älteren Texten zu finden seien, zieht Varro seinen eigenen Vorschlag, eine Etymologie der „Eröffnung aller Dinge“ im Frühling vor: Dies ist die zweite Derivation des Monatsnamens vom Verb aperire, die den April zum ‚Öffnermonat‘ deklariert. Sie wird vermutlich in Vergils Georgica rezipiert,142 als das Sternbild Stier, das am 20. April am Himmel erscheint, das Jahr mit seinen Hörnern „öffnet“ (1.217 f.): candidus auratis aperit cum cornibus annum / Taurus („der glänzende Stier öffnet das Jahr mit seinen goldenen Hörnern“).143 Bei Vergil ist das vegetative, agrikulturell relevante Jahr gemeint,144 über das auch Verrius Flaccus auf dem Steinkalender der Fasti Praenestini spricht, als er die beiden Varianten am Kopf der April-Kolumne aufführt:145 [Aprilis a] V[e]n[e]r[e], quod ea cum [Anchisa iuncta mater fuit Aene]ae, regis [Latinor]um, a quo p(opulus) R(omanus) ortus e[st. Alii ab ape]ri[li] q[uod]am [m]ense, quia fruges, flores animaliaque ac maria et terrae aperiuntur („‚April‘ von Venus, weil diese, mit Anchises verbunden, die Mutter des Aeneas, war, des Königs der Latiner, von dem das römische Volk seinen Ursprung nahm. Andere [meinen,] von einem ‚Öffner‘-Monat, weil die Früchte, Blumen, Tiere und Meere und Erde ‚geöffnet‘ werden“). Die Häufung der Objekte des Öffnens, die fünf Bereiche der Welt aufzählt, die uns auch in den laudes veris schon begegnet sind und besonders an Lukrez’ Proöm erinnern, machen aus dieser Etymologie, bei Varro so nüchtern vorgetragen, geradezu eine poetische Einlage auf dem Wandkalender. Die Ableitung von VenusAphrodite dagegen wird auf den Praenestini nicht mehr sprachlich begründet wie bei Ovid, sondern genealogisch-mythologisch, rekurrierend auf die Aeneis und die etwa ein halbes Jahrhundert nach Varros Traktat (das um 45 v.Chr. entstanden ist) nun en vogue gekommene Herrschaftsideologie des Augustus. Wie bei Varro und im Gegensatz zu Ovids These vom Kulturimport steht allerdings auch bei Verrius 142

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Weitere Stellen: Plut. Num. 19.4; Macrob Sat. 1.12.14, Isid. Etym. 5.33.7; cf. dazu Schilling 1954, 75–83. S. zu dieser Stelle Feeney 2007, 207 mit Anm. 175 (S. 298) sowie Thomas 1988 und Mynors 1990 ad loc. In den Fasti läuft die Sonne am 20. April, in den Versen 4.71320, vom Aries ins Stier-Zeichen (cf. Fantham 1998 ad loc.). S. auch Georg. 1.338–40 zu den Cerealia (am 19. April) mit der Nennung des „heiteren Frühlings“, der auf den Winter folgt: in primis uenerare deos, atque annua magnae / sacra refer Cereri laetis operatus in herbis / extremae sub casum hiemis, iam uere sereno. Degrassi 1963, 127. S. zu Varro und Verrius im Verhältnis zu Ovid auch HerbertBrown 1994, 90–92, Newlands 1995, 69 sowie Miller 2002, 173.

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das eigens Römische für diese Namenserklärung im Vordergrund: Varro hatte sich wohl auch für aperire entschieden, weil dies eine genuin lateinische Ableitung ist und nicht die Fremdsprache zur Erklärung der römischen Kulturnamen einbringen müsse.146 Also setzt Ovid mit seiner Wahl auch einen „Akzent gegen das romzentrische Weltbild Varros und gegen den Versuch, alles auf autochthone Wurzeln zurückzuführen.“147 Dabei ist durchaus denkbar, dass auch Varros Konzept einer Öffnung des Frühlings vom nur etwa zehn Jahre älteren, schon in der Antike (was ja Ovids Rezeption selbst zeigt) berühmten Lukrez-Proöm inspiriert ist und dieses damit seinerseits eine weitreichende wissenspoetologische Wirkung zeitigte. In Proöm von De rerum natura wurde allerdings die Öffnung des Raumes im Frühling gerade durch Venus erreicht, wie wir besonders an den Versen 1.10 f. sahen: nam simul ac species patefactast verna diei / et reserata viget genitabilis aura favoni – diese beiden Aspekte, die bei Lukrez noch untrennbar zusammengehören, werden in der etymologischen Debatte also getrennt und schließen sich bei Varro sogar gegenseitig aus. Ovid stellt seine Quellen Varro und Verrius in dieser Frage auf den Kopf, als er den besagten Venus-Hymnus mit seiner Reflexion auf diese zweite April-Etymologie der Fasti einleitet und explizit, auf spielerische Weise, auf den antiquarischen Diskurs Bezug nimmt (4.85–94): quo non livor abit? sunt qui tibi mensis honorem eripuisse velint invideantque, Venus. nam, quia ver aperit tunc omnia densaque cedit frigoris asperitas fetaque terra patet, Aprilem memorant ab aperto tempore dictum, quem Venus iniecta vindicat alma manu. illa quidem totum dignissima temperat orbem, illa tenet nullo regna minora deo, iuraque dat caelo, terrae, natalibus undis, perque suos initus continet omne genus.

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Wohin versteigt sich der Neid nicht? Es gibt Leute, die dir die Ehre des Monats entreißen wollen und dich beneiden, Venus. Denn, weil der Frühling dann alles öffnet und die dichte Rauheit der Kälte weicht und die trächtige Erde offen steht, gemahnen sie, dass der April, den die sanfte Venus mit aufgelegter Hand beansprucht, nach der ‚geöffneten Zeit‘ benannt ist. Sie freilich mäßigt höchst würdevoll den ganzen Erdkreis, sie hat ein Königreich inne, das geringer als keine Gottheit ist, sie regiert über Himmel, Erde, die Wellen als ihren Geburtsort, und verbindet durch ihr Ankommen jedes Geschlecht.

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Cf. Flobert 1985 ad loc (S. 110). Die Hervorhebung des genuin Römischen erscheint als die Hauptmotivation in Varros antiquarischen Werk; s. Kap. 2.4 zu dieser Stoßrichtung des römischen Antiquarismus. Baier 1997, 170.

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Poetische Entwürfe des Jahres

Die Ableitung von aperire zu wählen heißt im Venus-freundlichen vierten Buch der Fasti also, ihr aus „Neid den Monat zu entreißen“ (85 f.).148 Das ist nur mit einem Augenzwinkern zu lesen, trägt, in dieser Drastik vorgetragen, jedoch auch ein Moment der Dringlichkeit in epistemischer Dimension, da sonst das gesamte, in den letzten Absätzen geschilderte Konzept des Monats als Buch der agrikulturellen Kultur- und Friedensgöttinnen ins Wanken geraten würde. Dabei wird keineswegs gegen das Bild vom ‚öffnenden‘ Frühling selbst argumentiert; gegenüber den anderen beiden laudes der Fasti fällt sogar auf, dass nur hier die Worte aperit und patet gewählt werden – die im ersten Buch für Janus reserviert waren –, die Öffnung im fiktiven chronologischen Verlauf des Jahres also nun tatsächlich stattzufinden scheint. Der Frühling löst die Winterkälte ab, die Erde „steht offen“ wie bei Lukrez. In der Widerlegung Varros wird nun aber der Göttin Venus genau die Leistung zugesprochen, die dem April als ‚Öffner‘ des vegetativen Zyklus zukäme. Venus „regiert“ (91, temperat) die ganze Welt nicht nur, sie ist auch für all die Vorgänge verantwortlich, die im Frühlingslob angesprochen werden. Denn auf diesen Passus folgt zunächst als weiteres Aition für die Verbindung des Frühlingsmonats April und der Liebesgöttin ein Venus-Hymnus (4.91–114),149 der wiederum viele Anleihen bei Lukrez und seiner Kulturentstehungslehre macht, 150 bevor dann als letztes Aition für Venus’ Patronat des Monats eine laus veris gegeben wird, die den gesamten Abschnitt beschließt (4.125–32): nec Veneri tempus, quam ver, erat aptius ullum (vere nitent terrae, vere remissus ager; nunc herbae rupta tellure cacumina tollunt, nunc tumido gemmas cortice palmes agit), et formosa Venus formoso tempore digna est, utque solet, Marti continuata suo est. vere monet curvas materna per aequora puppes ire nec hibernas iam timuisse minas.

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Und keine Zeit ist für Venus passender als der Frühling (im Frühling glänzt die Erde, im Frühling ist der Acker gelockert; jetzt erheben die Gräser ihre Spitzen, nachdem die Erde durchbrochen ist, jetzt treiben die Zweige ihre Blüten aus der schwellenden Rinde), und die schöne Venus ist der schönen Zeit würdig, und wird, wie sie es gewohnt ist, ihrem Mars angereiht. Im Frühling mahnt sie die gebogenen 148 149

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S. zu dieser Stelle Miller 2002, 173. Ein Distichon rahmt das Aition, kehrt nämlich noch einmal zum livor aus 85 f. zurück, nun ein furor (4.115 f.): hanc quisquam titulo mensis spoliare secundi / audeat? a nobis sit furor iste procul. Auffallend ist die Benennung des April als „zweiter Monat“ an dieser Stelle; sie ist mit der Nähe zu Romulus’ Ahnenforschung und Kalenderkonstitution zu Anfang des Buches zu erklären, denn eine versteckte dritte Etymologie – die korrekt wäre – des Aprils als „zweitem, nächstem“ Monat ist wohl auszuschließen. Cf. Fantham 1998 ad 85–132: „Stories of civilization too had developed a traditional form, from the Epicurean version of Lucr. 5.900 ff. to Hor. Sat. 1.3.99-111.“

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Schiffe, durch das mütterliche Meer zu fahren und die winterlichen Bedrohungen nicht mehr zu fürchten.

Was im lateinischen Text in Parenthese steht (126–8), stellt wie die Verse am Ende (131 f.) eine Wiederholung der früheren laudes der Fasti dar und liest sich wie ein Selbstzitat. Hinzugefügt ist die Analogie von der „Schönheit“ der Venus und des Frühlings (129), das Argument der Paarung mit Mars wird wiederholt. Dem April wird in den Fasti eine explizite, wörtliche ‚Öffnung‘ verwehrt; man kann dies durch die Öffnung des Jahres im Januar durch Janus und dessen Funktion eines Öffners und Schließers erklären, die in der Erklärung dieses Gottes und seiner Rolle für den Kalender wie auch für die Fasti – am Beginn des Werks – viel zentraler sind. Die Öffnungsfunktion wird auf die lukrezische Venus übertragen, daher muss die Etymologie von aperire selbst abgelehnt werden; sie wandert gleichsam auf die Göttin über. Da in den Fasti aber Janus der große, eigentliche Öffner des Jahres geworden ist – was die poetischen und antiquarischen Traditionen im Gegensatz zu Venus’ vergleichbarer Funktion weitertragen, wie wir in Kap. 3.2.3 und 3.2.4 gesehen haben –, wird das im vierten Buch der Fasti nicht mehr so explizit gemacht wie bei Lukrez. Wie im Fall der Konzeptualisierung des Gottes Janus als Schwellen- und Kalendergott in den Fasti, die sich auf die Darstellung des Gottes und dem Jahresanfang sowie der Inszenierung von Gedichtanfängern so vieler Nachfolger Ovids auswirkte, ist seine wissenspoetologische Wirkung bis in die moderne Wissenschaft hinein im Fall der April-Etymologie kaum von der Hand zu weisen. Noch Joseph M. Stowasser schrieb im Jahr 1909 in einem etymologischen Aufsatz dazu: „Ist es nicht sinnig, dass Altrom den Jahresbeginn seinem Schutzgott Mars, den nächsten Monat dessen Geliebter Venus weihte?“151 Dasselbe gilt für Émile Benveniste im Jahr 1931, der die Ableitung von ‚Aphrodite‘ über eine nicht belegte etruskische Nebenform *apru für eine entsprechende Göttin sogar etwas forcierte, damit jedoch nach den neuesten etymologischen Forschungen nicht Recht behielt.152

3.2.5

Terminus: Grenzstein in Raum und Zeit

Mit dem Punkt des Anfangs im zeitlichen Ordnungsmuster des römischen Kalenders, der in den Fasti auf so vielen Ebenen und in so zahlreichen Passagen thematisiert wird, hängt der Endpunkt des Jahres selbstverständlich eng zusammen. Da die Fasti mit dem Januar beginnen und ein zwölftes Dezember-Buch nicht erhalten ist bzw. vermutlich nie geschrieben wurde,153 stellt sich die Frage nach dem Ende 151 152

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Stowasser 1909, 146. Benveniste 1931, 68–74; de Vaan 2008, s.v. Aprilis. S. zum Nachleben dieser Etymologie auch Hübner 1999, 546. Carole Newlands (1995, 209–36: ‚The Ending of Ovid’s Fasti‘) sieht im sechsten Buch der Fasti eine ‚Stagnation‘, im Sinnes eines Erlahmen des poetischen Fortgangs des

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Poetische Entwürfe des Jahres

eines Jahreszyklus vor dem Januar, also vor dem im Text ausgeführten Jahresbeginn, nicht. In der Figur einer ‚Schwelle‘ des Jahres, die ich in Ovids Behandlung des Janus herausgearbeitet habe und die von Autoren in der Nachfolge der Fasti explizit so genannt wird, ist jedoch der Übergang von einem Zyklus zum nächsten ins Bild gesetzt. Da das alte Jahr der Römer allerdings im Februar endete und mit dem März ein Neubeginn stattfand, gibt es einen Moment des Übergangs auch zwischen diesen beiden Monaten, und es fragt sich, ob und wie dieser Endpunkt, ähnlich den ‚Zeichen des März‘, sich in den Riten des Festjahres selbst, besonders des Februar, erhalten hat und in der antiquarischen Exegese zur Sprache kommt, symbolisch umgesetzt und etwa kulturhistorisch plausibilisiert wird. In dieser Frage sind die Terminalia und die Figur des Grenzsteins, also des Gottes Terminus, von entscheidender Bedeutung.154 Ein terminus ist zunächst ein materielles Objekt zur Bezeichnung der Grenzen von Ackerland, oft auch nur ein Holzpfahl oder gar ein Krug;155 als Gott besaß er jedoch auch einen eigenen Schrein im Jupiter-Tempel auf dem Capitol (dazu komme ich unten ausführlicher).156 Sein Fest wird am 23. Februar gefeiert und gegen Ende des zweiten Buchs der Fasti in den Versen 639–84 behandelt. Am Beginn des Februar-Buchs geht der Text zunächst kurz auf den kalendarischen Zusammenhang zwischen Janus und Terminus bzw. Januar und Februar ein und spricht die Reform der Zehnmänner des fünften Jahrhunderts im Zuge dessen an (2.47–54):157 sed tamen, antiqui ne nescius ordinis erres, primus, ut est, Iani mensis et ante fuit; qui sequitur Ianum, veteris fuit ultimus anni: tu quoque sacrorum, Termine, finis eras. primus enim Iani mensis, quia ianua prima est: qui sacer est imis Manibus imus erat. postmodo creduntur spatio distantia longo tempora bis quini continuasse viri.

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Doch übrigens, damit du nicht in Unkenntnis der alten Ordnung irrst: Der erste Monat war auch vormals, wie er’s jetzt ist, der Monat des Janus. Der dem Janus folgende Monat war der letzte des alten Jahres; du, Terminus, warst auch die Grenze der heiligen Feste. Denn der Monat des Janus ist der erste, weil die Tür an erster

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Jahres, und deutet dies als Indiz für ein auch immanent angelegtes Ende des Werks schon mit dem sechsten Buch. Terminus wird in 2.640 deus genannt, „der mit seinem Zeichen die Fluren trennt“ (separat indicio qui deus arva suo), und in den laudes Termini (2.659–78) wie in einem Hymnus angebetet. Sonst ist er meist nur ein numen; s. Robinson 2011 ad loc. Cf. Robinson 2011 ad 641 f. mit Verweis auf die Textstellen bei den römischen Fachschriftstellern zur Ackervermessung, den agrimensores. Zu Terminus in der römischen Religion, s. Piccaluga 1974. S. zu dieser Stelle Huschke 1869, 52–8, Bömer 1957–58, I.42, Porte 1985, 76 f. u. 319 f.; am ausführlichsten Stok 1989; Hinds 1992, 123, Anm. 8.

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Stelle steht; der Monat, der den Manen in der tiefsten Unterwelt heilig ist, kam ganz zuletzt. Man glaubt, dass später die Zehnmänner diese zwei Zeiten, die durch einem langen Intervall getrennt waren, haben aufeinanderfolgen lassen.

Diese Passage stellt das Aition zu der Frage dar, warum der Januar als Anfang des Jahres und der Februar als sein Abschluss – wie er hier und bei anderen römischen Autoren häufig charakterisiert wird – im zeitlichen Ordnungsmuster aufeinanderfolgen; denn wenn der Januar den Jahreseinstieg bildet, kann der nächste Monat Februar es nicht schon gleich wieder beenden. Dazu wird in Ovids Plausibilisierung ein Zwischenschritt in der Geschichte der Kalenderkonstitution eingefügt, die eine Reform des Zehnmännerkollegs im fünften Jahrhundert v.Chr. ins Spiel bringt.158 Zumal das letzte Distichon (53 f.) hat bei den modernen Kommentatoren im Vergleich mit dem Distichon 1.43 f. aus der Anfangsvignette (at Numa nec Ianum nec avitas praeterit umbras, / mensibus antiquis praeposuitque duos; s. Kap. 3.1.1) für Verwirrung gesorgt, 159 aber es steht nicht eigentlich im Widerspruch mit dessen Aussage, in der allein von Numas Zusatz zweier Monate zu einem ursprünglichen romuleischen Zehnmonatsjahr gesprochen wurde: Dort wird nämlich die Anordnung der beiden vorangestellten Monate nicht explizit genannt. Dennoch ist die an dieser Stelle der Fasti vorgetragene Vorstellung einer Vertauschung von Januar und Februar abwegig – Agnes K. Michels erklärt die Behauptung Ovids so, dass er in einer Quelle, etwa beim Annalisten Lucius Hemina oder beim Staatsrechtler C. Sempronius Tuditanus (beide aus dem zweiten Jh. v.Chr.), gelesen haben müsse, das Jahr habe vor einer Reform der decemviri mit dem Februar geendet. Mit der Theorie eines Jahresanfangs im März ist das auch noch gut zu vereinbaren und nicht überraschend. Im nächsten Schritt habe 158

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Die Rolle der Decemvirn in der Geschichte des Kalenders ist umstritten; es gibt auch eine Tradition, die ihnen die Erfindung der Interkalation (eines Monats von 22 oder 23 Tagen in jedem zweiten Jahr) im fünften vorchristlichen Jahrhundert zuschrieb. S. dazu Michels 1967, 126–30 und Rüpke 1995, 204; maßgeblich ist Macrob. Sat. 1.13.21: Tuditanus refert libro tertio Magistratuum decem viros qui decem tabulis duas addiderunt de intercalando populum rogasse. Cassius eosdem scribit auctores. Ciceros (Att. 6.1.8) These, dass die Decemvirn einen Kalender schon vor Cn. Flavius’ Publikation des ius Flavianum (im Jahr 304: ein Bericht der legis actions zusammen mit einem rechtlich verbindlichen Kalender, der dies fasti/nefasti anzeigte) veröffentlichten, und zwar zusammen mit dem Zwölftafelgesetz, ist umstritten. Laut Cicero sei dieser Kalender aber verschwunden oder versteckt worden, sodass die Veröffentlichung durch Appius Claudius Caecus’ scriba Flavius nötig geworden sei, um den für die tätige Öffentlichkeit wichtigen Rechtscharakter der Tage bekannt zu machen. Nach Michels (ibid. 130) ist es aber denkbar, dass die Zehnmänner von 450 v.Chr. nur eine Liste von feriae veröffentlichten, die Daten und die Prinzipien des Kalenders aber weiterhin nur den pontifices vorbehalten waren. So etwa bei Schilling 2011 ad Fasti 2.48, zudem in der Einleitung, S. xiii, Anm. 10 und xxv; sowie bei Stok 1989, 59. Zum Problem insgesamt s. Robinson 2011 ad loc., Michels 1967, 145–72, Rüpke 1995, 292–319.

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Poetische Entwürfe des Jahres

die Quelle vermutlich nur sagen wollen, dass das Jahresende von Ende Februar auf Ende Dezember verlegt worden sei – und Ovid habe sie falsch interpretiert.160 Aber der entscheidende Punkt ist damit noch nicht genannt, denn das Problem ergibt sich vornehmlich aus folgendem Grund: Wenn man, wie in dieser Passage deutlich wird, von einer inhärenten Anfangsposition des Januar und einer ebenso inhärent festgelegten Endposition des Februar ausgeht, ergibt das einen deutlichen Konflikt mit ihrer tatsächlichen Stellung als Paar, weil Anfang und Ende des Jahres nicht direkt aufeinander folgen können. Die Lösung, die Ovid vorschlägt, ist darum die der umgekehrten Reihenfolge innerhalb dieses Paares, die in dieser Perspektive erst von den Zehnmännern verändert werden musste, damit die in spätrepublikanisch–augusteischer Zeit geläufige Gestalt des Kalenders erreicht wurde. Letztlich interessiert mich an dieser Stelle vor allem, dass das Monatspaar von Januar und Februar, und damit auch das Götterpaar von Janus und Terminus, an dieser Stelle der Fasti erneut stark assoziiert wird, wie das auch sonst meist im antiquarischen Diskurs anzutreffen ist.161 Dies war ebenfalls in der Vignette zu Romulus und Numa am Anfang der Fasti angedeutet worden und wird noch deutlicher in der Junktur geminis mensibus („Zwillingsmonate“) in 3.100.162 Die Assoziation erfolgt über die wichtige Position der Monate bzw. ihrer zugehörigen Gottheiten an Anfang und Ende des Jahres. Der Januar kann, wie aus der gerade zitierten Einlage am Anfang des zweiten Buches hervorgeht, als der erste Monat gelten – zumindest seit Numas Reform. Das wird auch durch die etymologische Ableitung von der „Tür“ (2.51, ianua) verbürgt: Der erste Monat wird gleichsam als der „Eingangsmonat“, als die Schwelle des Jahres verstanden.163 Die Terminalien, die mit sacrorum, Termine, finis (50) metonymisch angesprochen sind, zeigten dagegen das Ende des alljährlichen Festzyklus an. 164 Der Vers 52 enthält eine weitere Plausibilisierung der Monatsabfolge, indem er die „Unterwelt“ der Manen 160 161 162

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Michels 1967, 129. S. zur Paarung der Monate auch Kap. 3.1.5. Das ganze Distichon 3.99 f. lautet: nec totidem veteres, quot nunc, habuere Kalendas: / ille minor geminis mensibus annus erat. Nach Radke 1990, 99 ist die Herleitung des Monatsnamens Ianuarius von der „Tür“ (ianus, ianua) richtig, die vom Gott Janus unwahrscheinlich. Er zitiert zum linguistischen Aspekt M. Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre 1977, 297: es wurden „mit -ārius denominative Adjektiva nur von Sachbezeichnungen“ und nicht von Namen gebildet. Mit der gleichen These und Referenz argumentiert Radke 1993, 129. Angesichts der in Kap. 3.2.3 dargestellten, wahrscheinlichen späteren Assoziation des Gottes mit dem Kalender ist dies durchaus anzunehmen. S. aber Robinson ad 2.50: „Though as Michels argues (1967: 162f.) this is a slightly misleading formulation. February did have another five days to run, on which fell the Regifugium (cf. 2.685–852) and the Equirria (cf. 2.857-62). However, there does seem to have been a special status to the Terminalia and the last few days of February. In the pre-Julian calendar, the intercalary month was inserted after the Terminalia, and the festivals that fell in the last five days of February were celebrated in the last five days of the intercalary month.“

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mit dem „untersten“, letzten Monat im Fortgang des Jahres, hier dem Februar, assoziiert – was auf die Parentalia,165 die eine Nundinalperiode des Totenkultes vom 13. bis zum 21. Februar darstellte, bezogen ist und sich so, als These über eine Analogie des „unteren“ (imus), nur bei Ovid findet.166 Bei alldem ist der Februar im römischen Kalender der Reinigungsmonat (die etymologische Wurzel ist februum, das „Sühne-“ oder „Reinigungsfest“)167, und Ovid fasst die Feste dieses Monats unter Angabe der einzelnen Reinigungsrituale und abschließenden Tätigkeiten im Februar in den Versen 2.21–36 zusammen.168 Die Lupercalia am 15. Februar wie auch die genannten Parentalia mit den Feralia am 21. und dem folgenden verwandtschaftlichen Aussöhnungsfest der Caristia am 22. Februar etablieren diese Semantik des Monats, die einen Jahresendpunkt vor-

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Fasti 5.421–25 ist zu dieser Passage im zweiten Buch komplementär, wieder mit der Paarung von Januar und Februar: ritus erit veteris, nocturna Lemuria, sacri: / inferias tacitis manibus illa dabunt. / annus erat brevior, nec adhuc pia februa norant, / nec tu dux mensum, Iane biformis, eras. Anlass sind die Lemuria am 9. Mai und deren Zwillingscharakter zu den Parentalia im Februar (cf. 422 mit der Referenz der Unterwelt und den eben zitierten Vers 52, ebenfalls auf die Manen weisend). Ovid hat einen Bezug der Doppelung zu einem in der vorherrschenden Vorstellung fehlenden Februar erkannt und so die Doppelung des Festes für die Verstorbenen erklärt. Eine solche „historische Konstruktion scheitert aber daran, dass sich im Februar weder die Parentalia/Feralia noch die Lupercalia als jüngere Feste erweisen lassen“ (Rüpke 1995, 195 f.). Zur Stelle s. auch Stok 1989, 59 f. Die Überlegung kann von Varro abgeleitet sein, der aber den Schritt von der räumlichen ‚Position‘ in der Unterwelt zur Vorstellung vom „untersten/letzten“ (sc. Monat) des Jahres noch nicht macht (LL 6.34): prior a principe deo Ianuarius appellatus, posterior [...] ab diis inferis Februarius appellatus. Cf. Stok 1989, 78 f. Diese Ableitung findet sich in Fasti 2.19 f.: februa Romani dixere piamina patres: / nunc quoque dant verbo plurima signa fidem. Cf. die Etymologie bei Verrius Flaccus apud Festus, De verborum significatu (S. 75, Kap. 23 f. Lindsay): Februarius mensis dictum quod tum, id est extremo mense anni populus februaretur, id est lustraretur ac purgaretur. S. nur den abschließenden Passus 2.31–6: mensis ab his dictus, secta quia pelle Luperci / omne solum lustrant, idque piamen habent; / aut quia placatis sunt tempora pura sepulcris,/ tum cum ferales praeteriere dies. / omne nefas omnemque mali purgamina causam / credebant nostri tollere posse senes. Cf. dazu Scullard 1981, 69: „The official beginning of spring fell on 5 February (Varro) and the fields required much attention: the meadows and cornfields were cleansed (purguntur: Columella) and tidied up. [...] The early Romans felt that this turning-point in the year, with its promise of new birth after winter sleep, had to be approached with care. Hard work alone was not enough: the farmers must enjoy the favour of those powers that controlled the fertility of the land. Nor must the past be forgotten: the dead ancestors, who like the seed also rested in the earth, must be remembered and propitiated. Thus the whole community, living and dead, must be made ready for a new start; a solemn mood must succeed the jollier festivals of mid-winter.“

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bereitet und selbst konstitutiert. „Reinigung aber ist, in römischer Vorstellung, immer dann nötig, wenn etwas Altes aufhört und etwas Neues anfangen soll; rituelle Reinigung gehört zu Durchgängen vor Neuanfängen.“169 Die Terminalia am 23. sowie die Regifugia am 24. Februar beenden den Festreigen des Monats und bezeichnen auf ihre Weise Punkte des Abschlusses, eine closure des Jahres. Jörg Rüpke fasst diese Stellung des Februar, gewissermaßen dessen ‚Zeichen‘, unter Erwähnung auch der beiden ‚Pferdefeste‘, folgendermaßen zusammen:170 Die kultische Jahresendstellung des Februars wird gleich dreifach markiert. Zum einen die Feste vom 23. bis 27. Februar [...]: Terminalia und Regifugium stehen in direkter Verbindung mit der Interkalation, die unmittelbar zwischen ihnen erfolgte. Zweitens übergreifen die Equirria wie kein anderes Festpaar die Monatsgrenze; das erste Datum fällt noch in den Februar (27.), das zweite liegt direkt vor den Iden des März (14.). Drittens – hier liegt für die spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen Autoren der Schwerpunkt – gilt der Februarius als der Reinigungsmonat schlechthin, der auf den Jahreswechsel vorbereitet.

Von der Endstellung des Februar in einem (rekonstruierten) vorrepublikanischen Jahr ist also sicher auszugehen. Zwischen Terminalien und Regifugium wurde noch in der Republik bis zu Caesars Reform entschieden, ob interkaliert werden sollte.171 Ovid behandelt das Regifugium am 24. Februar (Fasti 2.685–852), das er, vielleicht entgegen Verrius Flaccus’ Vorgabe, mit der „Königsflucht“ des Tarquinius Superbus und dem Ende der Republik in Verbindung bringt. 172 Die lange narrative Episode über die Vergewaltigung der Lucretia und Brutus’ Revolution verknüpft – in Anlehnung an Livius’ Einstieg in das zweite Buch seiner römischen Geschichte, das den Abschluss der Königszeit und den Beginn der Republik markiert (s. Ab urbe condita 2.1.7, annuum imperium consulare factum est, „der jährliche konsularische Oberbefehl wurde eingerichtet“) – das Ende des alten Jahres 169 170

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Graf 1997, 28 f. Rüpke 1995, 196 f., ausführlich dazu zudem 292–319. S. auch Magdelain 1962 und Michels 1967, 145–72. So auch Macrob. Sat. 1.13.14 omni autem intercalationi mensis Februarius deputatus est, quoniam is ultimus anni erat. Cf . MacKay 1956, 164 zur Beziehung von Jahresanfang und Interkalation: „The curious position of the intercalatory month in the later Roman calendar [sc. am Ende des Februar] suggests a calendar of lunations, and a rustic rather than an urban culture. Five days before the new moon would be a very practical time to decide whether the season was sufficiently advanced to permit the announcement of the next new moon as the beginning of another year, or whether the people should be informed that the final ceremonies ushering the old year out and the new year in must be delayed for another month.“ Cf. die einleitenden Verse zur Passage mit der Etymologie (traxit ist ein etymologischer Marker), 2.685–88: nunc mihi dicenda est regis fuga. traxit ab illa / sextus ab extremo nomina mense dies. / ultima Tarquinius Romanae gentis habebat / regna, vir iniustus, fortis ad arma tamen; s. dazu Robinson 2011 ad 685.

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mit dem Ende der alten Herrschaftsform (Fasti 2.851 f.): Tarquinius cum prole fugit: capit annua consul / iura: dies regnis illa suprema fuit („Tarquinius flieht mit seinen Nachkommen; der Konsul erlangt die jährlichen Rechte: das war der letzte Tag für das Königtum“). In den Terminalia schließlich wird besonders stark die zeitliche und räumliche Koordinierung in der jährlich wiederholten Periodizität gemeinsamer Handlungen dargestellt – das römische Jahr wird gerade an Stellen des Übergangs auch räumlich gedacht. Wie nun das Fest des Terminus, der eigentlich als Grenzmarker des Raumes, nämlich der Ackergrenzen fungiert, mit der zeitlichen Semantik des römischen Ordnungsmusters des Jahres in Verbindung gebracht wird und wie das in den Fasti wiederum höchst literarisch und mit wissenspoetologischen Implikationen dargestellt wird, ist Thema dieses Kapitels. 173 Die Spuren einer Wissenspoetologie des Terminus verlaufen zu Beginn des zweiten Buches, wie wir gesehen haben, über eine Iuxtaposition mit dem Gott Janus. Im oben zitierten Buchbeginn (nach dem poetologischen Proöm) des zweiten Buches der Fasti und besonders im Distichon 2.49 f. (qui sequitur Ianum, veteris fuit ultimus anni: / tu quoque sacrorum, Termine, finis eras) geht es wohl vornehmlich um die Paarung der beiden Monate und auch die der beiden Götter Janus und Terminus, was parallel zu der in meinen vorhergehenden Kapiteln besprochenen Paarung von März und April bzw. Mars und Venus angelegt ist. Janus als ‚Anfang‘ und Terminus als ‚Ende‘ darzustellen, impliziert allerdings noch mehr – wenn man bedenkt, dass der Janus des ersten Buches nicht nur ‚Öffner‘ (Patulcius) war, sondern auch Schließer (Clusius), der in der kosmologisch-universalen Auslegung dieser Gottheit ‚alles‘ öffnet und schließt. Die Schließer-Funktion ist im ersten Buch der Fasti nicht ebenso stark herausgestellt wie die der Öffnung und des Anfangs, was im ersten Buch am Jahresanfang nicht wunder nimmt. Der Grund könnte aber zudem darin liegen, dass Terminus und dem Februar diese Funktionen in der Anlage des rituellen Zyklus und dessen Exegese noch inhärent sind. In den Fasti wird das auch auf dieser Ebene der poetischen Semantik berücksichtigt, die mich im gesamten bisherigen dritten Teil der Studie beschäftigt hat. Varros Antiquitates können, wie an vielen Stellen der Fasti, als der wahrscheinliche Grundtext für die Behandlung in Ovids Gedicht gelten. 174 Bevor ich auf eine längere, bei Augustin überlieferte Stelle blicke, bietet sich auch der Blick auf eine kurze Passage in De lingua Latina (6.13) an, wo es um die Namen der Festtage geht – in diesem Abschnitt speziell um die Feste des Februar.175 Relevant für meine Fragestellung ist besonders der Satz zu den Terminalien: Terminalia, quod is dies 173

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Cf. Schwindt 2005, 10, auch zu den Terminalia: „Nirgends ist der zeit-räumliche Konnex stärker ausgebildet als in den Kalenderbildern der Ovidischen Fasten: Die Ordnung der Zeiten in der zeit-räumlichen Folge ist das Thema des elegischen Langgedichts.“ Zu Ovids Verwendung von Varros Werken in den Fasti, s. die älteren Stellensammlungen bei Huelsen 1880, Samter 1891 und Willemsen 1906; cf. Cardauns 1976, 126 sowie, für eine neuere Einschätzung, Baier 1997, 166–74; S. zu diesem Passus Flobert 1985 ad loc.

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anni extremus constitutus; duodecimus enim mensis fuit Februarius, et cum intercalatur, inferiores quinque dies duodecimo demuntur mense („man sagt ‚Terminalien‘, weil dieser Tag als der letzte des Jahres bestimmt wurde; Februar war der zwölfte Monat, und immer wenn geschaltet wird [sc. der Interkalationsmonat von 22 oder 23 Tagen nach den Terminalien eingefügt wird, wie es vor Caesars Reform, also zu Varros Zeit, noch Praxis war], werden die letzten fünf Tage vom zwölften Monat abgezogen“). Ob diese kalendarische Überlegung tatsächlich der Grund für die Benennung des Festes des „Grenzsteins“ war, das ja zunächst eine räumliche, nicht eine zeitliche Begrenzung zum Inhalt hat, ist zwar fraglich; aber genau dieser semantisch-konzeptuellen Transferleistung war ja nachzugehen, und Varro schlägt eine Etymologie vor – und damit auch eine Interpretation des kalendarischen Faktums –, die die Markierung einer räumlichen Grenze auf die zeitliche Funktion überträgt.176 Ovid hat sich diese Interpretation wohl zu eigen gemacht, wie man im schon zitierten Vers 2.50 sieht: tu quoque sacrorum, Termine, finis. Augustinus, der sich in seinem Gottesstaat wiederholt und meist polemisch mit Varros Schriften auseinandersetzt, hat diesen Zusammenhang zwischen Janus und Terminus am prägnantesten in De civitate dei 4.11 formuliert: in Iano initiator, in Termino terminator („der Beginner/Einweiher [sei] in Janus, der Abgrenzer/Beender in Terminus“).177 In einer weiteren Behandlung heidnischer Götter im siebten Buch gibt er ein Zitat aus Varros Antiquitates wieder (De civ. dei 7.7 = Varro Ant. fr. 231 Cardauns): cur ergo ad eum dicuntur rerum initia pertinere, fines vero ad alterum, quem Terminum vocant? nam propter initia et fines duobus istis diis duos menses perhibent dedicatos praeter illos decem, quibus usque ad Decembrem caput est Martius, 176

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Cf. dazu Honold 2013, 18 mit Bezug auf die symbolische Aufladung von Zeitstrukturen mit Bedeutung und auf K.P. Moritz’ Text zum römischen Festjahr, die Anthusa (meine Hervorh.): „Ganz allgemein bestimmte Karl Philipp Moritz, das ist auch für seine Kunsttheorie und Ästhetik von Belang, ‚Bedeutung‘ als ein Phänomen, das sich Techniken der Auszeichnung und Besonderung verdankt. Auch seine Überlegungen bezüglich der kalendarischen Verfassung des religiösen Lebens der Römer gehen aus von einer Poetik des Randes bzw. der Umrandung. Implizit greift Moritz damit einem aktuell gut bekannten Trend vor, nämlich der Herrschaft des Termins; denn die chronographische Aufladung eines bestimmten Datums ist abgeleitet von der primär räumlichen Markierung eines terminus, eines Grenzsteins.“ Moritz’ Überlegungen können also über Ovid durchaus bis zu Varro zurückgeführt werden. Zu den religionsphilosophischen und ästhetischen Überlegungen Moritz’ in der Anthusa, s. Pauly 2002. Die Stelle ist Teil einer längeren polemischen Aufzählung von römischen Göttern und ihren Funktionsbereichen in der heidnischen Religion und bei den Dichtern. Sie beginnt mit dem obliquen Konjunktiv, der nach dem ersten Teil der Reihung (ipse in aethere sit Iuppiter) ausgespart wird. Es ist dabei interessant, dass die Formulierung, dass etwas ‚in einem Gott‘ sei, nur bei Janus und Terminus gegeben wird, sonst sei der Gott oder die Göttin ‚in etwas‘ wie im Jupiter-Beispiel. Jupiter selbst befände sich im Himmel, aber ein „Anfänger“ bzw. ein „Abgrenzer“ sei ‚in‘ diesen Göttern.

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Ianuarium Iano, Februarium Termino. ideo Terminalia eodem mense Februario celebrari dicunt, cum fit sacrum purgatorium, quod vocant Februm, unde mensis nomen accepit. Weshalb sagt man also, dass die Anfänge der Dinge zu ihm [sc. Janus] gehören, aber ihre Endpunkte zu dem anderen, den sie [sc. die heidnischen Autoren] Terminus nennen? Denn wegen der Anfänge und der Enden sollen diesen beiden Göttern zwei eigene Monate gewidmet worden sein – Januar dem Janus, Februar dem Terminus –, neben den anderen, die bis zum Dezember ihren Anfangspunkt im März haben. Sie sagen, dass die Terminalien deswegen in ebendiesem Monat Februar gefeiert werden, weil eine sakrale Reinigung durchgeführt wird, die sie ‚Februm‘ nennen, woher der Monat seinen Namen hat.

Die Nähe zur oben zitierten Passage bei Ovid ist evident, besonders in der doppelten Beschreibung des Februar als Monat des Terminus und der rituellen Reinigung, zudem in der Sonderstellung der beiden fokussierten Monate. Augustinus’ Unverständnis, das er im Text, der auf diese Passage folgt, polemisch ausdrückt, ist durchaus verständlich: Wenn Janus in seiner doppelten Blickrichtung Anfang und Ende markiert, warum benötigt man dann noch einen zweiten Gott für das Ende?178 Man muss die unterschiedliche Herkunft aus verschiedenen gesellschaftlich-rituellen Bereichen der beiden Götter und ihre zeitversetzte Assoziation mit dem Kalender (Terminus mit den Terminalien wohl recht früh, Janus recht spät; s. zu letzterer These Kap. 3.2.3) berücksichtigen. Außerdem ist Janus zunächst der Gott der Anfänge, des „Eintritts“ in verschiedensten rituellen Bereichen; alle weiteren Zuschreibungen sind sekundär. 179 Man kommt so durchaus zu einer Erklärung dieser, wie sie in Augustinus’ Sinne zu nennen wäre, ‚Überfunktionalisierung‘ in der rituellen Zeitsymbolik des römischen Kalenders. Terminus wird in der antiquarischen Exegese also auch zwischen zwei Festzyklen verortet, somit als zeitliche Grenze zwischen den Jahren. In den Fasti ge-

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Die Polemik folgt wenige Sätze nach der im Haupttext zitierten Stelle (ibid.): quae est ista uanitas, in opere illi dare potestatem dimidiam, in simulacro faciem duplam? nonne istum bifrontem multo elegantius interpretarentur, si eundem et Ianum et Terminum dicerent atque initiis unam faciem, finibus alteram darent? quoniam qui operatur utrumque debet intendere; in omni enim motu actionis suae qui non respicit initium non prospicit finem. unde necesse est a memoria respiciente prospiciens conectatur intentio; nam cui exciderit quod coeperit, quo modo finiat non inueniet. Der Passus zu den beiden Göttern wird durch eine Wertung zugunsten Terminus beschlossen, da die Freude beim Beenden einer Sache stets die größere sei: quamquam etiam nunc cum in istis duobus diis initia rerum temporalium finesque tractantur, Termino dari debuit plus honoris. Maior enim laetitia est, cum res quaeque perficitur; sollicitudinis autem plena sunt coepta, donec perducantur ad finem, quem qui aliquid incipit maxime adpetit intendit, expectat exoptat, nec de re inchoata, nisi terminetur, exultat. So Schilling 1960: Janus, „le dieu introducteur“. In Kap. 3.2.3 sind diese religions- und diskurshistorischen Fragen ausgeführt.

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schieht dies so explizit nur an der oben zitierten Stelle zu Beginn des zweiten Buches; danach tritt Terminus nur noch als räumliche Grenze zwischen zwei Ackerfeldern auf, „von zwei Landsbesitzern“ mit „zweifachen Kränzen und zweifachen Opferkuchen“ beschenkt, wie es in der Fasti-Passage zu Beginn der Behandlung der Terminalia heißt (Fasti 2.641–4): Termine, sive lapis sive es defossus in agro stipes, ab antiquis tu quoque numen habes. te duo diversa domini de parte coronant, binaque serta tibi binaque liba ferunt. Terminus, ob du nun ein Stein bist oder ein Holzpfahl, der im Acker vergraben ist, seit den Alten besitzt auch du göttliche Gewalt. Dich bekränzen zwei Landbesitzer aus zwei verschiedenen Richtungen, und bringen dir zweifache Kränze und zweifache Opferkuchen.

Terminus steht in dieser poetischen Beschreibung als Begrenzer in der Mitte zwischen zwei Landgütern und wird an seinem Fest von beiden Seiten her geehrt. Zwei Entitäten kommen in einer zusammen, wie ich es in Kap. 3.2.2 für die zeitliche Grenze oder Schwelle der bruma (oder etwa des crepusculum), für die Janus mit seinem zweigesichtigen Kopf in der Übertragung auf das Jahr steht, herausgearbeitet habe: Janus besitzt ein „zweifaches Gesicht“ (1.95 f., Ianus / bina repens oculis obtulit ora meis) und sieht zwei Seiten, „Zweifaches, ohne seinen Körper zu bewegen“ (1.144, cernere non moto corpore bina licet). Terminus’ enge Assoziation bei Ovid mit Janus, der als Herr der Schwelle ebenfalls zwischen zwei Jahreszyklen steht, ist damit auch auf der Ebene der ovidischen Formsemantik der Zeit nachvollziehbar. Wo die Bewegung bei Janus aber, gerade durch den häufigen Fokus auf seinen Sehsinn, eher aus der Mitte heraus nach zwei Seiten geschieht, die Türschwelle nach innen und außen zeigt,180 verläuft die Bewegung der Gutsbesitzer zum Terminus hin nach innen, einer inneren Grenze zugewandt, wodurch eine Bestätigung der Grenzmarkierung ausgedrückt wird – die Opfergaben am Grenzstein sind also vor allem ein Zeichen von Stabilität. 181 Wenden wir uns nun der Terminalia-Passage in den Versen 2.639–84 als ganzer zu: Sie stellt den Gott in den verschiedenen Bezugsrahmen und auf den diversen gesellschaftlichen Ebenen vor, in denen seine Funktion als Begrenzer von Bedeutung ist: auf dem Lande als Indikator der Grenzen von Feldern (639–62), im religiösen Kontext bei der Etablierung des neuen Tempels für Jupiter auf dem Capitol (667–78) und als Meilenstein an der alten Grenze Roms (679–84). Wie stets in den Fasti wird durch diese Iuxtaposition verschiedener Deutungen und Geschichten versucht, eine Synthese von unterschiedlichen Quellen und Zugängen zu dieser 180

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So in Fasti 1.135 f., mit Verweis auf den „Blick“ auch einer konkreten Tür: omnis habet geminas, hinc atque hinc, ianua frontes, / e quibus haec populum spectat, at illa Larem. Cf. Graf 1997, 33.

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religiös-kulturellen Figur herzustellen, was nicht ganz ohne Brüche geschehen kann.182 Der Gott geht in dieser Beschreibung zunächst ganz in seiner Grenzfunktion auf, die einen Punkt oder eine Linie zwischen zwei Feldern markiert, was von Ovid aber – im Besonderen auf das Weltreich Rom am Ende der Episode (683 f.) – auf Völker und ganze Reiche ausgeweitet wird (659): tu populos urbesque et regna ingentia finis („du begrenzt Völker, Städte und riesige Reiche“). Seine Präsenz bringt Eintracht und friedliches Zusammensein, denn er gehört auf der Ebene der Landverteilung gleichsam zwei Feldern an, ist der communis Terminus (655). So „kommt“ bei ihm die festlich gestimmte, „einfache Nachbarschaft“ der Felder „zusammen“ (conveniunt, ein weiteres Kompositum mit dem Präfix cum; 657): conveniunt celebrantque dapes vicinia simplex. Terminus ist in den Fasti ein gleichsam nach zwei Seiten ‚kodierter‘ Gott, wie in den Versen 660–62 deutlich wird: omnis erit sine te litigiosus ager. / nulla tibi ambitio est, nullo corrumperis auro, / legitima servas credita rura fide („jedes Feld wird ohne dich voller Streit sein, du hast keinen Ehrgeiz, du wirst nicht durch Gold verführt, du bewahrst die [sc. einem jeden Feldbesitzer] geschuldeten Landgüter mit rechtmäßiger Pflichttreue“). Er wird den Wertvorstellungen der elegischen Axiologie gemäß (s. Kap. 4.3) als idealer Schlichter gezeichnet, da seine Interessen denen der kontemplativen Intellektuellen nahekommen, die der Leser des Kalendergedichts aus dem ‚Lob der Astronomie‘ des ersten Buches kennt (301–4): non Venus et vinum sublimia pectora fregit officiumque fori militiaeve labor; nec levis ambitio perfusaque gloria fuco magnarumque fames sollicitavit opum. Weder Venus noch der Wein brach die erhabenen Gemüter, noch die Pflicht des Forums oder die Mühe des Kriegsdienstes; es beunruhigte sie auch nicht der wechselhafte Ämterehrgeiz, der purpurgefärbte Ruhm und der Hunger nach großem Reichtum.

Das Zusammenkommen der Bauern, das eine kurzzeitige Auflösung der Gegensätze impliziert, ist die Voraussetzung für Frieden und Streitlosigkeit und kann im Duktus dieser Passage nur durch eine solche Gestalt geschaffen werden, die wiederum eine ‚Einheit in Zweiheit‘ darstellt. Durch solche Vermittlung von Oppositionen wird an vielen Stellen der Fasti concordia, „Eintracht“ geschaffen, was am deutlichsten wird, als diese Göttin im Streit um die Etymologie des Juni selbst erscheint und als Schlichterin zwischen Juno und Iuventas (der personifizierten

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S. zur Figur des Terminus, in den Fasti sowie in der römischen Literatur insgesamt, bes. im zwölften Buch der Aeneis, Barchiesi 1997, 215–9, Huskey 1999, De Sanctis 2005.

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Jugend, deren Name als mögliche Ableitung eingeführt wird) auftritt, nur um daraufhin selbst einen eigenen Vorschlag in der Diskussion zu machen (6.91–6): venit Apollinea longas Concordia lauro nexa comas, placidi numen opusque ducis. haec ubi narravit Tatium fortemque Quirinum binaque cum populis regna coisse suis, et lare communi soceros generosque receptos, ‚his nomen iunctis Iunius‘ inquit ‚habet.‘

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Es kam Concordia, die langen Haare mit apollinischem Lorbeer geknüpft, die Gottheit und das Werk des gefälligen Anführers. Nachdem sie von Tatius und dem starken Quirinus erzählt hatte und wie zwei Reiche mit ihren Völkern aufeinander trafen, und wie von einem gemeinsamen Hausgott Schwiegerväter und -söhne aufgenommen wurden, sagte sie: ‚Von diesen „Verbundenen“ hat der Juni seinen Namen.‘

Die Geschichte vom Raub der Sabinerinnen, von der wir – samt der Auflösung des Streits, der durch elegisch auftretende Frauen in der Mitte zwischen zwei Heeren geschlichtet wurde – schon in Buch 3 (und Kap. 3.2.4.2) gelesen haben, wird von Concordia als Aitiologie einer Ableitung des Iunius von iungere, „vereinen“ aufgerufen (6.96) und ähnlich skizziert wie das friedliche Aufeinandertreffen der angrenzenden Gutsbesitzer und ihrer Anhängerschaft in der Terminus-Passage. Das coisse in Vers 94 steht analog zu conveniunt in 2.657 und kann sowohl das militärische als auch das friedliche „Zusammengehen“ bezeichnen. Der lar communis ist im communis Terminus aus Vers 2.655 gespiegelt. In Anlehnung an die – in den Fasti wichtigen, in Vers 6.92 auch politisch aufgeladenen – Figur der Concordia wird Terminus zu einer entscheidenden Größe in der Konstitution des Landlebens und, wie wir sehen werden, auch des gesamten römischen Reiches aufgewertet. Die Othryades-Geschichte, auf die vier Verse (663–6) der Terminalia-Behandlung nur anspielen, wird mit einer kontrafaktischen Wendung eingeleitet (663): si tu signasses olim ... terram („wenn du einst das Land bezeichnet hättest“), dann wäre Othryades als letzter Spartaner, der im Gefecht gegen die Griechen fiel, nicht gestorben.183 Sie ist im Grunde eine weitere, hier eben nur nachträglich gedachte Episode (möglicher) Kriegsverhinderung in den Fasti: Janus hatte, wie wir in Kap. 3.2.4.1 gesehen haben, in den Versen 1.265–72 die blutige Auseinandersetzung mit den Sabinern innerhalb Roms durch den Erguss siedenden Wassers verhindert. Zudem wird am Tempelgründungstag des Iuppiter Pistor auf dem Kapitol (9. April, im Rahmen der Vestalia in den Versen 6.349–94 behandelt), des ‚Bäcker–Jupiter‘ und primus inventor des Backens, erzählt, wie der Göttervater den Römern bei der Belagerung des Kapitols durch die Gallier mit der Anleitung zu einer List 183

Die Geschichte wird bei Herodot (1.83) erzählt und hatte in hellenistischer Dichtung wieder Konjunktur (so in Dioscurides’ Epigramm, Anth. Pal. 7.430); s. Robinson ad loc.

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Beistand leistet: In der Götterversammlung rät Mars, die Römer sollten die „Waffen“ zu einem Kampf auf Leben und Tod ergreifen (6.371 f.):184 arma capessant, / et, si non poterunt exsuperare, cadant („sie mögen die Waffen ergreifen, und wenn sie nicht obsiegen können, mögen sie im Kampf fallen“). Vorher spricht er wie im dritten Buch von der Nichtigkeit der sacra; es sei nutzlos für die Menschen, die Götter zu ehren und Tempel zu errichten (365–70): Die Kodierung von arma einerseits und andererseits religiöser Kultur, die der vates stets bestärkt und die Fasti selbst ja durchweg beschreiben und feiern, ist wiederum deutlich. So findet Mars’ Strategie im Sinne der Anlage des Textes und seiner Axiologie (dazu Kap. 3.3) auch bei den anderen Göttern keine Zustimmung – die Beiträge von Venus und Vesta hören wir nicht, aber sicherlich fallen sie anders aus als die des Mars, nämlich „für Latium“ (pro Latio, 375 f.). Jupiter fordert Vesta nach der Götterbesprechung auf, den Galliern die Illusion von Überfluss trotz Belagerung durch gemahlenes und gebranntes Getreide zu geben (379–82). Die „Gaben der Ceres“ werden von der Burg geworfen (iaciunt Cerialia dona, 391), und die Gallier ziehen ab. Dies ist eine weitere friedliche, recht komisch anmutende Auflösung der Antithese von arma und römisch-religiöser Kultur, da das Brot von Ceres und Vesta bzw. ihren Kulturleistungen Getreide und Feuer stammt, den militärischen Weg obsolet macht und letztlich zur Schlichtung beiträgt – als Waffen der Römer treten diesmal Brote ein – es sind ‚Bäckers arma‘. Terminus’ Rolle der Schlichtung hängt an seiner Eigenschaft der Konstanz, am Festhalten an seiner Position und am Beharren an inneren Grenzen, ohne die eine Stabilität des römischen Reiches, der römischen Gesellschaft nach den Bürgerkriegen und der Landverteilung nicht möglich sei, wie die Verse 673–7 suggerieren:185 Das Distichon 677 f. enthält die Bitte an den Gott, auch unter härtesten Bedingungen seine Stellung zu halten und seine Aufgabe zu erfüllen: et seu vomeribus seu tu pulsabere rastris, / clamato ‚tuus est hic ager, ille tuus‘ („und sei es, dass du von Pflugscharen, sei es, dass du von Harken geschlagen werden wirst, rufe: ‚dies ist dein Feld, jenes deins‘“). In diesem Bild ländlichen Vandalismus’ dienen die Geräte der Landwirtschaft ebenfalls zu einer Art Kriegsführung; im Hintergrund steht vielleicht die Beschreibung der Ackergeräte in Vergils Georgica (1.160–7), die eine Neuordnung und Komprimierung einer ähnlichen Passage aus Hesiods Werken und Tagen darstellt und die von der Forschung „Farmer’s Arma“ betitelt worden ist (1.160-2):186 dicendum et quae sint duris agrestibus arma, quis 184

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Der Ratschlag ist dem im dritten Buch ähnlich, als Mars seinen Sohn anweist, die Sabinerinnen nicht durch „Gebete“, sondern durch arma zu erobern (3.198): ‚tolle preces‘, dixi ‚quod petis arma dabunt.‘ S. Kap. 3.2.4.2 zu dieser Passage. 2.673–5: Termine, post illud levitas tibi libera non est: / qua positus fueris in statione, mane; / nec tu vicino quicquam concede roganti. Farrell 1991, 70. Zum Vergleich der beiden Passagen bei Hesiod und Vergil, ibid. 71 ff., und zur Interpretation der Vergil-Stelle auch 159: „To Hesiod, farming is hard work. To Vergil, throughout Georgica 1, it is warfare: thus he discusses not the farmer’s instrumentum but his arma.“ Cf. zu dieser vergilischen Technik der Referenz auf frühere

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sine nec potuere seri nec surgere messes: uomis et inflexi primum graue robur aratri („ich muss auch sagen, welche die Waffen für die harten Landbewohner sind, ohne die man weder aussähen noch die Ernte anwachsen könnte: die Pflugschar und das schwere Eichenholz des zunächst ungebeugten Pfluges“). Eigentlich epische Elemente und Geschichten finden nach diesem Schema der semantischen Übertragung gattungssymbolischer Motive auch bei Ovid Eingang in diese landwirtschaftlich-festliche Passage,187 werden aber im Sinne des Friedens und der Kriegsverhinderung durch eine Figur der ‚zweifachen Einheit‘ umgeformt. Das Finale der Terminalia-Passage bildet die Beschreibung des öffentlichen Ritus, die im Kontrast zum ländlichen Fest kurz zuvor steht und in sechs Versen das gesamte mythhistorische Panorama der Aeneis aufruft: Mit dem ager Laurens wird ein Bezug zu Aeneas’ Ankunft in Latium hergestellt, also zur frühesten mythischen Geschichte Roms. Der Opferritus selbst wurde nach der antiquarischen Tradition von Numa gestiftet, um die expansiven Tendenzen des Romulus einzudämmen;188 am sechsten Meilenstein sollte das Territorium der urbs eine Grenze finden.189 Zunächst im krassen Widerspruch zum Diskurs über friedlich zu haltende Grenzen, der in der bisherigen Passage im Vordergrund stand, affirmiert das abschließende Distichon Roms Willen zur Beherrschung des Erdkreises (683 f.): gentibus est aliis tellus data limite certo: / Romanae spatium est urbis et orbis idem („anderen Völkern wird ein Land mit festgelegter Grenze zugeteilt; der Raum der römischen Stadt und des Erdkreises ist der gleiche“). In diesem Distichon wird über die Verwendung des Pronomens idem, das wir schon aus dem bruma-Distichon des Janus kennen, und dem Zeugma zweier Genitivobjekte wieder die Identität zweier eigentlich sehr unterschiedlicher, in diesem Fall an Größe kaum zu vergleichender Entitäten hergestellt: Rom ist, ganz im Sinne von Jupiters Prophezeiung im ersten Aeneis-Buch über das imperium sine fine (Aen. 1.279), den Begrenzungen, deren

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Autoren, deren Motive aufgreifend aber in eigene poetische Bezugsrahmen einbauend, die (noch verstärkt) auch bei Ovid zu beobachten ist, auch Thomas 1986. Der Pflug steht oftmals synekdochisch für alle landwirtschaftlichen Instrumente, wie auch für den Landbau selbst; cf. Farrell 1991, 170 f. Zu den „georgischen und antigeorgischen Elementen in den Fasti“, s. Fantham 1992. Cf. Dionys. Halic. 2.74, Plut. QR 15 (267c), Num. 16.1–4. Laut Plutarch in QR 15 hat Romulus keinen Grenzstein gesetzt, da die Expansion für ihn schon erster Stelle stand; Numa habe den Terminus dann als Garant für Frieden eingeführt; s. Robinson 2011 ad loc. (S. 410). Hartwin Brandt (1988, 107 f.) weist darauf hin, dass Numa neben der Einführung prämonetärer Zahlungsmittel auch die in allen Kulturentstehungslehren zentrale Ackeraufteilung zugeschrieben wurde, was ihn neben der Reform der Zeitordnung (s. Kap. 3.1.1) für zwei weitere zivilrechtliche Grundordnungen verantwortlich macht. Ähnlich formuliert es Livius bei der Erklärung des pomerium im ersten Buch seiner römischen Geschichte (Ab urbe condita 1.44.5): hoc spatium quod neque habitari neque arari fas erat, non magis quod post murum esset quam quod murus post id, pomerium Romani appellarunt; et in urbis incremento semper quantum moenia processura erant tantum termini hi consecrati proferebantur.

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Gewährsmann Terminus ja gerade ist, also enthoben.190 In Abschnitt 3.2.4.1 zu den ‚Epischen Eröffnern‘ habe ich diese Aeneis-Stelle schon gestreift: Es ist die Rede vom „grenzenlosen Reich“ der Römer, denen der Göttervater „weder Grenzen ihres Erfolges noch Zeiten“ (278, nec metas rerum nec tempora pono), d.h. weder räumliche noch zeitliche Begrenzung des Reichs setzen wolle.191 An der Stelle in Jupiters Rede war die Schließung des Janustempels Voraussetzung für die Öffnung der römischen Herrschaftsanspruchs ins Grenzenlose; am Ende des zweiten Buches der Fasti ist es Terminus und sein Bestehen auf feste Grenzen. Die beiden divergierenden Perspektiven – Beharren auf Grenzen im Landesinneren, Grenzenlosigkeit nach außen – sind nämlich nur zu vereinen, wenn man innere und äußere Grenzpolitik Roms unterscheidet. Der gesellschaftliche nucleus der ländlichen Familien, um die der erste lange Teil der Passage kreist, muss klar geordnet sein; Terminus’ Standhaftigkeit gilt auch im staatsreligiösen Bereich, der seine Festigkeit „im Streit unter Nachbarn“ garantiert (gemeint ist mit Blick auf die römische Geschichte vielleicht: unter Bürgerkriegsparteien, vielleicht auch: im Zuge von Landreformen und -verteilung). Nur wenn der Terminus die inneren Verhältnisse ordnet und Frieden herrscht, die Differenzierung der Kultur mitsamt der Kenntnis ihrer Herkunft aus der Vergangenheit gewährleistet ist, kann Rom florieren und seine grenzenlose Ausdehnung erfüllen. Denn auch in dieser Episode ist der antiquarische und aitiologische Einschlag deutlich: Die Hinzufügung in Vers 669, ut veteres memorant, kann als eine Art Fußnote mit Verweis auf die Quellen der Fasti gelesen werden, aber auch auf die Pietät vor der Vergangenheit und ihrer Akteure, wie der Verweis auf den Dardanius dux Aeneas am Ende der Episode (680).192 In Ovids Behandlung der Terminalia gibt es keine explizite Übertragung dieser kulturell aufgeladenen räumlichen Grenzmarkierung auf eine zeitliche; diese findet sich nur am Anfang des Buches. Das in der Form des Janus aus Buch 1 der Fasti bekannte zeitsymbolische Schema ist allerdings in Terminus’ Begrenzung 190

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Schwindt 2005, 11: „Der Terminus, der ehedem der Abgrenzung hatte dienen sollen, hat ausgedient, wo Roms Erstreckung mit der Erstreckung der Welt zusammenfällt.“ Cf. Fox 1996, 411, der die Landenteignungen der 40er Jahre v.Chr. mit der Fasti-Stelle in Verbindung bringt: „many termini were replaced. [...] Depending on which part of Augustus’ reign one focuses on, he can be seen as either the protector or the violator of private land boundaries.“ S. auch Miller 1991, 118–25, Barchiesi 1997, 215 und Labate 2003. S. auch Aen. 1.286–96, nascetur pulchra Troianus origine Caesar, imperium oceano, famam qui terminet astris. Cf. Hardie 1993, 2 zur epischen „anxiety“ der Aeneis, eine Grenze zu setzen, und zum dennoch stets zu beobachtenden Streben nach einer closure, die aber erst mit Augustus und dessen Wiederkehr des Goldenen Zeitalters zu erreichen sei. Cf. Barchiesi 1997, 215–9 sowohl zum antiquarischen Einschlag auch dieser Fasti-Episode als auch zum Motiv der Beharrlichkeit des Terminus auf zahlreichen Ebenen, in seiner Geschichte und seinem Ritual.

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des Raums und der dadurch ermöglichten Entgrenzung des Reichs wiederzufinden. Man kann dies im Wechselspiel der Vorstellungen von Raum und Zeit, die den beiden Götterfiguren Janus und Terminus in den Fasti wie auch in antiquarischen Texten inhärent ist, vielleicht in dem Sinne deuten, dass das Zeitschema des Jahres, das seit Caesars Reform so klar begrenzt ist und mit Augustus immer mehr zur Selbstdarstellung instrumentalisiert wird, zur Regel geworden sei: so wie Roms Herrschaftsbereich im Raum ebenfalls entgrenzt, also in alle Ewigkeit fortgesetzt werde. Roms grenzenlose Ausdehnung im Raum wäre auch zu übertragen auf den Kalender und seine tempora digesta. Ganz in diesem Sinne werden Raum und Zeit in den Übergangsversen kurz vor der Janus-Episode, nach der Beschreibung des Festes zur Inauguration der Konsuln in den Versen 1.85–8 zusammen gedacht: Iuppiter arce sua totum cum spectet in orbem, nil nisi Romanum quod tueatur habet. salve, laeta dies, meliorque revertere semper, a populo rerum digna potente coli. Wenn Jupiter von seiner Burg auf den gesamten Erdkreis blickt, sieht er nichts als Römisches. Sei gegrüßt, fröhlicher Tag, und kehre immer wieder besser zurück, würdig, von einem allmächtigen Volk gefeiert zu werden.

An dieser Stelle wird die räumliche Universalität Roms eng an die ewige Wiederkehr des einen Jahrestages – des ersten, die politische Ordnung affirmierenden Tages des Jahres – geknüpft. In diesem Teil der Studie habe ich versucht zu zeigen, dass die Fasti dem temporalen Ordnungsmuster des Jahres eine literarische Deutung unterlegen und, noch mehr, an der Wissenspoetologie des römischen Kalenders mitarbeiten. Die antiquarische Exegesetradition ist dafür ebenso stets Kontrastfolie wie der Rückgriff auf literarische Vorbilder durch verschiedenste Gattungen, aber besonders’ auf Lukrez und Vergils Gedichte. Formal-rhetorische, gattungspoetologische und werkbiographische Überlegungen spielen wie das Moment der Fiktion und nachträglichen Konstruktion in der Aitiologie bei der Darstellung der Ordnung und der Namen des Kalenders eine wichtige Rolle, und die Untersuchung hat gezeigt, dass dies nicht allein in genuin literarischen Texten der Fall ist, sondern auch in den Texten etwa Verrius Flaccus’ oder in der späteren antiquarischen Tradition bei Autoren wie Macrobius und Isidor von Sevilla zu sehen ist. Immer wieder habe ich dabei schon auf eine ‚Kodierung‘, eine ‚Einheit der Differenz‘ und eine ‚Axiologie der elegischen Dichtung‘ verwiesen, da diese meiner Interpretation des Textes nach die Aitiologien und Überlegungen zum Kalender in den Fasti stets durchziehen und die Wissenspoetologie an vielen Stellen ausmachen. Diese poetischen Verfahren sind auch bei der Konzeption der römischen Kultur – wie sie in den

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Fasti in die Kalenderaitiologien eingebettet ist bzw. wie die Geschichte der Kalenderkonstitution und die Plausibilisierung der Gestalt und der Namen des Jahres erst kontextualisiert werden – von Bedeutung, und an diesem Konzept der Kultur in den Fasti werde ich diese Figuren und Verfahren nun vollends einführen. Die Vor- und Darstellung einer ‚Kultur der Differenz‘ in Ovids Text, die an diesen hängt, ist Thema des folgenden vierten Teils.

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Die Form des Janus Does the god whose two faces introduce Ovid’s poem on the Roman Year ask of us a bifocal reading of the Fasti? [...] he is not just the god of the Roman New Year, but a figure who symbolises dichotomies at the heart of Ovid’s poem.1

Janus ist die erste göttliche Figur, die dem aitiologischen vates in den Fasti erscheint und in der langen Episode der Verse 1.89–288 über den Jahresbeginn Rede und Antwort steht. Er ist in Ovids Gedicht wie auch im römischen religiösen und antiquarischen Diskurs insgesamt ein enigmatischer Gott und eng mit der Interpretation des zeitlichen Ordnungsmusters des Jahres verbunden, wie wir in Kap. 3.2.2 f. gesehen haben. Die Frage, die Philip Hardie im oben stehenden Zitat stellt, betrifft allerdings die Poetik der Fasti und deren Erforschung, die in Janus eine Schlüsselfigur der Deutung des gesamten Textes identifiziert hat: 2 Welche Dichotomien in den Fasti Janus symbolisiere, wie man sich also die Gestalt dieses Gottes für die Interpretation des gesamten Textes zunutze machen könne, wurde besonders seit Hardies Artikel zur Janus-Episode von 1991 immer wieder neu beantwortet. Er selbst nennt eine ganze Reihe solcher Zweiteilungen,3 die durchaus alle 1 2

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Hardie 1991, 64 und 62. Zuerst aufgeworfen hatte die Frage nach der Bedeutung von Janus’ Form für die literarische Semiose der Fasti Martin 1985, 261: Janus sei „both a guardian of divine boundaries and a symbol of arbitrary, chaotic form.“ Cf. auch Harries 1989, 168 für die programmatische Stellung und Funktion der Janus-Episode am Beginn des Werks: „the full treatment accorded to Janus [...] is accounted for by his importance as a model with which all subsequent invocations and responses can be compared.“ Allgemeiner, und (noch) bedeutungsschwerer, hatte sie schon Börtzler 1930, 103 angedeutet: Er spricht von der „Dualität als einem ernsthaft im Weltensinn veranlagten Gesetz. [...] Kurz, auch wir erliegen noch der ungewöhnlichen Suggestionskraft dieses Symbols, die es teils durch sich selbst ohne weiteres ausübt, teils aber auch als letzte, matte Nachwirkung einer ehemals gewaltigeren Sinngeladenheit.“ Ibid. 62 f.: „the division between the Roman year and Ovidian poem; the fact that Janus turns out to be not only a god of beginnings, but also of the ending of Roman history (in so far as history is defined as process rather than the mere passage of time); as a being of remote antiquity Janus spans the gap between the primitive history of Rome and the realities of the present day, the temporal division inherent in the whole project of aetiological poetry; then there is the opposition between the grandly cosmic and the servilely and humorously domestic roles of Janus, exemplary for many other episodes

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im Text vorhanden sind, deren Abbildbarkeit in Janus’ Gestalt und von Hardie behauptete übergreifende Relevanz für die gesamten Fasti allerdings fraglich sind. Andere Interpreten sehen die beiden Teile des elegischen Distichons in Janus’ zwei Gesichtern widergespiegelt;4 auch wurde seine Repräsentation von Anfang und Ende oder Vergangenheit und Zukunft zuletzt vorgeschlagen. 5 Recht kühn überträgt eine ganze Dissertation den doppelten Blickwinkel des Janus auf die literarhistorische Kategorie der Intertextualität, die eine gegenseitige Referenz von Texten, also auch eine Veränderung des früheren Textes durch Lektüre des späteren, voraussetze.6 Wieder andere sehen in einer Janusköpfigkeit gar das entscheidende Charakteristikum für die Rezeption des Textes, dessen zentrales Merkmal gerade seine hermeneutische Indeterminiertheit sei, und damit auch gleich die Vorwegnahme der zwei Lager der Forschung zu den Fasti, die Ovids Text seit den 1990er Jahren bald panegyrisch, bald subversiv auslegte.7 Diese Vielfalt der Interpretationen zeigt wiederum selbst eine solche hermeneutische Offenheit der Fasti an, wie sie sicherlich gegeben ist. Dennoch ist es möglich, die Figur bzw. die ‚Form‘ des Janus, wie ich sie nennen möchte,8 etwas genauer zu beschreiben und

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in the poem; the conflict between the official view of the new age of peace, implicitly a return to the virtues of the Age of Saturn, and Janus’ complaisant acceptance of the ousting of bronze by gold in the advanced greed of contemporary Rome.“ Barchiesi 1991, 16 f.; dabei ist das elegische Distichon gerade eine Form der Asymmetrie, der Januskopf dagegen eine der perfekten Symmetrie. Möller 2016, 78: „Dass Ovid als ersten Janus aufruft, den doppelgesichtigen Türhütergott, ist programmatisch zu lesen: Ein zentrales Thema Ovids ist mit Blick auf sein ganzes Werk und besonders auch auf die Fasti die Dialektik von Anfang und Ende, von Einschluss und Ausschluss. Janus setzt dieses Paradox mit wünschenswerter Klarheit ins Bild: Er blickt zugleich nach innen und außen, nach hinten und vorne, in Vergangenheit und Zukunft. Auch Anfang und Ende verkörpert er gleichermaßen.“ DiLorenzo 2001, 9 f. und passim. Mit Verweis auf Interpretationsweise des reader-response criticism beobachtet diese Lesart Geraldine Herbert-Brown im Vorwort ihres Sammelbandes zu den Fasti (2002, vi). Carole Newlands spricht die „Offenheit“ der Fasti an, auch im Hinblick auf ihren fragmentarischen Status (2002, 215): „In this poem of questions, the presence of Erato in the middle of the poem presents perhaps the most tantalizing question of all: is the poem’s fragmentary state part of a formal design? Whatever we may be inclined to argue on this point, the poem’s apparent incompletion serves one of its goals – to maintain openness to divergent readings. In the dynamic interplay among varying perspectives within the Fasti, Ovid’s national poem offers its own version of Roman identity and time based on cultural pluralism and open debate.“ Ursini 2008 und Robinson 2011 nehmen diesen Zugang zu den Fasti in ihren Einzelbuchkommentaren schon als gegeben an. Janka (2007, 16) sieht die Fasti durchaus zu Recht als „Schulbeispiel mehrdimensionaler Interpretation“ an. Eine neue ausführliche Studie zur Mehrdeutigkeit (und Komik) in den Fasti bietet Smutek 2015. Mein Formbegriff lehnt sich an Kenneth Burkes Überlegungen zur Form an (der sich schon kritisch mit den Vertretern des New Criticism wie William Empson und Northrop Frye auseinandersetzt); er identifiziert drei Formprinzipien in literarischen Texten

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auf einer rhetorisch-formalen Ebene des Textes festzumachen, wie es bisher in der Forschung noch nicht geschehen ist. Alessandro Schiesaro macht in einem Artikel zur Rhetorik in Ovids Werken folgende treffende Bemerkung, jedoch nur en passant:9 „But doubleness is indelibly inscribed in Janus’ name and character, and thus he is fully involved in the shifty dialectics of meaning which emerges as perhaps the most pervasive characteristic of a poem whose organicity is always threatened by its episodic structure.“ Das folgende Kapitel wird diesem „Charakteristikum“, das ich die Form des Janus nenne und als identisch mit der Grundlage einer Poetik der Fasti erachte, genauer beschreiben und dazu eine literaturgeschichtliche Kontextualisierung zweiteiliger bzw. oppositiver Schreibweisen wie auch eine Analyse zahlreicher Passagen und Verse des Textes vornehmen. Diese Form bestimmt die Art und Weise, wie die Fasti die Geschichte der Kalenderkonstitution und das Ordnungsmuster des Jahres präsentieren, wie wir bereits gesehen haben; sie zielt jedoch, wie ich im letzten Abschnitt zeigen werde, insbesondere auf eine bestimmte Darstellung der römischen Kultur als ‚Kultur der Differenz‘ (s. Kap. 4.5), die in ihrer dichotomischen Anlage doch zur Vereinigung der Gegensätze strebt – und damit ähnlich gedacht zu sein scheint wie die Figur des Janus. Die Geschichte der sprichwörtlichen ‚Janusköpfigkeit‘ bis in die Moderne hinein müsste noch geschrieben werden; derweil führt im modernen Sprachgebrauch die Rede von ihr, wer eine Ambivalenz im Verhalten anderer oder in der Bedeutung von Sachverhalten feststellt. Im Folgenden mache ich einen weiteren, jedoch

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(Burke 1996 [1966], 67): Die rudimentäre „progressive Form“ (etwa im Drama als Komplikation bis zum denouément) – in den Fasti wäre sie als temporale Progression im Ablauf des Jahres zu fassen; die „konventionelle Form als kategorische Erwartung“ (etwa in der griechischen Tragödie als Elemente der äußeren Form: Tanz, Chorgesang; genauso die Vorgaben von Genres, etwa das Verhältnis von Lehrer und Schüler und die entsprechende Du-Anrede der Lehrdichtung – in den Fasti ist diese gebrochen, die konventionellen Formen der Gattungen sind vielfach vermischt; zuletzt die (anspruchsvollste) „repetitive Form“, „das Prinzip der inneren Folgerichtigkeit selbst (ein Prinzip, das sich beispielsweise in unserer gefühlsmäßigen Erwartung ausdrückt, dass Charaktere nicht aus ihrer Rolle fallen, und dass selbst dann, wenn sich eine Gestalt völlig wandelt, sie dies in einer für sie charakteristischen Weise tut).“ Diese letzte Spielart interessiert mich an Janus (und in den Fasti überhaupt) am meisten, da solche Formen als standardisierte Verfahren von Text-Arbeit ein spezielles Erkenntnisinteresse, eine spezifische Weltzugangsweise in sich tragen: Janus „Charakter“, der sich an seiner forma zeigt, begründet diese repetitive Form für die Fasti: Ein oppositionelles Schema, das die Vereinigung der Gegensätze beinhaltet, wird zum Prinzip der Textproduktion erhoben. Es steht in meiner Verwendung des Begriffs allerdings auch Niklas Luhmanns Formbegriff im Hintergrund, der aus George Spencer Browns nicht-zweiwertiger Logik stammt (s. etwa Luhmann 2009, 66–90, bes. 75 f.). Schiesaro 2002, 64; s. auch den Satz kurz darauf, der dies mit einem Konzept der Rhetorik verbindet (ibid. 65): „The place of authority is thus conceptually occupied by rhetoric, by the discursive arrangements which articulate reality according to variable points of view rather than ultimate truth.“

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erstmals breit angelegten Versuch, Janus und seine Janusköpfigkeit als Symbol für die Lektüre, ja für die Anlage der Fasti zu verstehen: Die Ambivalenz oder Ambiguität „im Herzen der Fasti“, wie Hardie es ausdrückt, soll an konkreten Textpassagen auf mehreren Ebenen festgemacht werden, und dazu kann und muss man in Ovids Gedicht weit über die Janusepisode hinausgehen. Es lässt sich in der Janusfigur die Symbolisierung einer semantischen Relation der „Opposition“ sehen, die Michael Titzmann in seinem Buch zur Strukturale[n] Textanalyse wie folgt definiert: „zwei oder mehrere Terme sollen oppositionell heißen, wenn sie einander mindestens hinsichtlich eines Aspekts logisch ausschließen“ oder vom „Text behandelt werden, als schlössen sie einander aus.“10 In der zweiwertigen Logik, der die Semantik folgt,11 kann keinem Term gleichzeitig oder hinsichtlich desselben Aspekts ein Attribut sowohl zu- als auch abgesprochen werden. Wenn dies dennoch getan wird, bezeichnet man die Aussage als paradox: „Paradoxie (‚x ist schön und x ist hässlich/nicht schön‘) ist in diskursiven Texten immer Nonsens; es kann sie nur als rhetorische Redeform, nicht aber als Sachverhalt geben.“ Zumal in der Literatur ist Paradoxie aber nicht einfach als logischer Widerspruch zu werten, „sondern als Mechanismus zur Hervorbringung neuer semantischer Strukturen.“12 Zudem binden semantische Oppositionen die Gegensätze immer schon aneinander, da der eine Term seine Bedeutung nur in Absetzung vom anderen erhält. Das Spiel mit solchen semantischen Strukturen bzw. die Hervorbringung dieser, die Ovids Text an seinem Anfang ins Gewand der Janusfigur kleidet und aus ihr heraus eine Form für die gesamten Fasti ableitet, kann nach diesem Schema untersucht werden.13 Dies soll im Kontext einiger Grundmotive des elegischen 10 11

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Titzmann 1977, 120. S. auch Eco 1972, 97 f. für die verschieden Typen von Antonymien in der strukturalistischen Semantik. Ibid. 121. Eine solche ‚polare Ausdrucksweise‘, wie man dieses Grundschema auch nennen kann, wurde in der griechischen Literatur von Homer an früh untersucht, und Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff erstellte als einer der ersten eine Liste solcher Ausdrücke in seinem Kommentar zu Euripides’ Herakles (Wilamowitz 1895, II ad 1106, S. 245 f.): Er spricht von „einem weit reichenden gebrauche der griechischen sprache, die im streben nach fülle und anschaulichkeit einen allgemeinen begriff in irgend einer disjunctiven form ausspricht, um seine ganz uneingeschränkte geltung zu bezeichnen und dabei über den kreis des wirklich denkbare häufig hinausgeht.“ Es ist somit laut Kemmer (1903, 1) der „weitverbreitete[n] [...] Gebrauch der griechischen Sprache, statt kurzer Bezeichnung durch einen allgemeinen Gesamtbegriff eine Umschreibung durch paarweise Begriffe von Gegensätze zu geben oder Gegensatzverbindungen mit dem Werte eines allgemeinen Begriffs zu setzen, wo wir nur den einzelnen Gegensatzbegriff erwarteten.“ Diese erste Funktion solcher Ausdrücke, als Hendiadyoin besonders in Phrasen wie „sowohl Unsterbliche als auch Sterbliche“ oder „jung und alt“ zu finden, steht neben einer zweiten, um eine echte Alternative zu bieten, gerade in Fragen. Geoffrey Lloyd hat die Prominenz des logischen Typs der Polarität (neben dessen Gegenstück, dem der Analogie) im frühgriechischen Denken, besonders in kosmologischen Lehren und in

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Schreibens auch, aber nicht nur Ovids geschehen, ja in der Verfolgung der Grundlinien der hellenistischen Dichtung seit Kallimachos und der augusteischen Dichtung mit ihrer bereits gut erforschten Gattungspoetologie. Daraus sollte im größeren, wissensgeschichtlichen Rahmen dieser Studie deutlich werden, dass Ovid mit der binären Anlage der Janusfigur die römische religiöse Ikonographie und deren Exegese gleichsam als kongeniales Denkangebot nutzt, um nicht nur einen eindrucksvollen Einstieg in das Jahr und in sein Werk zu geben, wie wir schon gesehen haben, sondern auch die Polaritäten des augusteischen Diskurses und zugleich der Herausbildung des hellenistischen Literatursystems, die in seinem Werk bis in die letzte Konsequenz durchdacht und letztlich aufgelöst werden, als Thema der Fasti einzuführen und ihnen eine bildliche Form zu geben. 14 Die ‚Leitdifferenz‘ der römischen Liebeselegie – wie ich das formale poetische Schema nenne, das Janus nach der These dieses Kapitels abbildet – ist letztlich auch der Kompass für Ovids Umgang mit dem Diskurs der Kalenderkonstitution, der Verarbeitung und Funktionalisierung von Wissensbeständen in den Fasti. Betrachten wir die Epiphanie des Janus in den Versen 1.95–8, die sogleich eine Beschreibung der Form des Janus enthält (s. auch zuvor schon die Invokation in Vers 89: Iane biformis) und seine Wirkung auf den Beobachter anschließt: tum sacer ancipiti mirandus imagine Ianus bina repens oculis obtulit ora meis. extimui sensique metu riguisse capillos, et gelidum subito frigore pectus erat.

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Beschreibungen von Naturphänomenen, herausgearbeitet. Den Typus der „polarity“ charakterisiert er wie folgt: „the characteristic of the first type is that objects are classified or explained by being related to one or other of a pair of opposite principles“ (Lloyd 1966, 7). Die Bedeutung dieser Denkformen reicht natürlich weit über die frühgriechische Geistesgeschichte hinaus und wird von Lloyd auch mit ethnologisch-komparatistischen Beispielen etwa Claude Levi-Straus erläutert (zur Polarität, s. 31–41): „the evidence for comprehensive dichotomous classifications of reality is widespread and relates to societies of many different types in many different parts of the world.“ Eine Untersuchung des ‚augusteischen Diskurses‘, im Sinne des New Historicism als politische Lektüre der Fasti konzipiert, hat Alessandro Barchiesi in seiner Monographie zu den Fasti von 1994 (engl. 1997, in dieser Arbeit danach zit.) vorgelegt. Auch er geht immer wieder von Oppositionen innerhalb dieses Diskurses aus, zwischen denen der Text vermitteln müsse (1997, 215): „Aetiological poetry derives from the Alexandrian writers’ combination of ‚modern‘ experiences and cultural apartness, but it also becomes involved in this complex state of affairs [sc. des antiquarischen Projekts]. It is hard for the poet to remain neutral when the reconstruction of the past brings significant cultural oppositions into play – ancient versus modern, rustic versus urban, national versus foreign – and is expected to give a verdict on the public message that might be implicit in each festival.“

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch Da gab der heilige Janus, bewundernswert mit seinem doppelköpfigen Götterbild, plötzlich sein zweifaches Gesicht meinen Augen preis. Ich geriet in Furcht und spürte, dass vor Angst meine Haare zu Berge standen und meine Brust mit plötzlichem Schaudern erkaltet war.

Janus ‚doppelte‘ Gestalt wird im ersten Distichon gleich zweimal in Worte gefasst und so sichergestellt, dass dies als sein Hauptmerkmal verstanden wird: Er ist anceps, was in übertragener Bedeutung schon in klassischer Zeit auch „doppelsinnig, unsicher“ bedeuten kann,15 und er hat „zwei Gesichter.“ In der Janusfigur kann also leicht eine Dichotomie gesehen werden, und als Symbol der Gegensätze wurde er auch häufig so gedeutet, wie wir gesehen haben – allerdings erst von der modernen Forschung, denn in der Antike, auch der antiken Rezeption der Fasti, gerät dieser Aspekt zugunsten des Anfangs- und Durchgangscharakters etwas in den Hintergrund (s. dazu Kap. 3.2.3). Aber die Form des Janus beinhaltet mehr: Es wird nicht nur ein Gegensatz symbolisiert, sondern das Bild des Gottes besteht aus einem Kopf mit zwei identischen, aber in entgegengesetzte Richtungen schauenden Gesichtern. Eine Einheit enthält beide Seiten zugleich. Der Kopf garantiert also auch das ‚Zusammenhängen‘ dieser Gegensätze, ja die ‚Einheit der Gegensätze‘ oder – mit Niklas Luhmann, der die Begriffe von Opposition und Differenz annähernd synonym verwendet – die „Einheit der Differenz.“16 Man kann dies auch als dialektisches Verhältnis der Gegensätze beschreiben, was an vielen Stellen der Fasti zutrifft, wenn zwischen Oppositionen vermittelt wird; häufig besteht ein Moment von Ambiguität, aber nur selten bleibt es beim Paradox. Durchaus findet man in Janus auch bildlich dargestellt, was ich oben mit Titzmann schon festgehalten habe, dass nämlich semantische Oppositionen gerade durch ihre Gegenüberstellung aneinander gebunden werden. 17 15 16

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S. OLD, s.v. anceps. S. dazu etwa Luhmann 2009, 144. Ich verwende im Folgenden teils einen Differenzbegriff, wie er bei den Systemtheoretikern Luhmann und (hinsichtlich der „Kultur“, s. den Abschnitt 4.5 unten) Dirk Baecker eingeführt wird, wende ihn aber nicht wie diese im strengen Sinne der Systemtheorie an, die die grundlegende Unterscheidung zwischen System und Umwelt ansetzt (ibid. 75). Vielmehr geht es mir um einen Differenzbegriff, der die Einheit der Differenz, den übergeordneten Blick der Beobachtung beider Seiten eines Oppositionspaares mitdenkt. Cf. Noller 2021, 281 zu einer dekonstruktivistischen Perspektive auf Ovids Schreiben, die meiner Beschreibung der Form des Janus und der Poetik der Fasti nahekommt: „Es [sc. Ovids Schreiben] kommt ohne Ordnungen nicht aus, destabilisiert und unterläuft diese Ordnungen aber zugleich, um so letztlich die potentielle Doppel- und Mehrdeutigkeit von Texten vorzuführen. Ovid rührt damit an den Grund der Funktionsweise von Sprache, die aufgrund ihrer zeichenhaften Verfasstheit stets Gefahr läuft, dass Zeichen und Bezeichnetes auseinandertreten und (scheinbare) Eindeutigkeit zu Vieldeutigkeit wird.“ Ovid gewinne aus der „Reflexion und Offenlegung der Widersprüchlichkeiten ein produktives Moment.“ Diese Perspektive ist bei Hardie 2002 zu finden, der in Ovids

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Im Angesicht des Gottes wird dem aitiologischen Sprecher angst und bange, was für eine Epiphanie nichts Ungewöhnliches ist. Da diese Ankunft des Göttlichen für die Fasti insgesamt aber vielleicht mehr beinhaltet, nämlich die bildliche Darstellung auch ihrer Poetik, ihrer inneren Ordnung, ist darin vermutlich noch etwas anderes als die konventionelle fiktive Reaktion zu sehen: Ein „Außer-ordentliches“ kündigt sich laut Bernhard Waldenfels oftmals an „unter dem Zeichen von Staunen, Angst und Unruhe, die uns einer Wirkung aussetzt, bevor die geltenden Ordnungsmechanismen eingreifen.“18 Textuelle Ordnung – die Form des Janus, die auch die Form der Fasti ist – entsteht teils aus Un-Ordnung oder zumindest aus einer ihr fremden Ordnung. Sobald Janus zu sprechen beginnt, setzt die Ordnung allerdings ein: Die aitiologische Forschung hat begonnen, der Gott wird zum Informanten und das Ich der Fasti erhält seine Bezeichnung (101 f.): disce metu posito, vates operose dierum, / quod petis, et voces percipe mente meas („arbeitsamer Dichterseher der Tage, lerne mit abgelegter Furcht, was du begehrst, und empfange meine Rede im Geiste“). In der Kosmogonie, die Janus in den Versen 103–13 als „einen von zwei Gründen für die Form“ vorträgt (s. Vers 115 zur Einführung der zweiten causa: accipe quaesitae quae causa sit altera formae),19 wird diese Form des Janus als das poetologische Prinzip des gesamten Universums (der Fasti), nämlich als offene, zweiwertige Semantik etabliert: In der Erschaffung des Welt-Raumes setzt sich die Ambiguität als ein solches Prinzip der Fasti ins Bild. Nach der Scheidung und Ordnung der Elemente in den Versen 105–10 gelangt auch Janus zu seiner zweigeteilten Form (111–4): tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles, in faciem redii dignaque membra deo. nunc quoque, confusae quondam nota parva figurae, ante quod est in me postque videtur idem. Da ging ich, der ein Knäuel gewesen war und eine Masse ohne Gesicht, in eine Form ein und in Glieder, die einem Gott würdig sind. Auch jetzt noch, ein kleines Zeichen meiner einst konfusen Gestalt, erscheint in mir, was vorne und was hinten liegt, das gleiche [zu sein].

Auf die „Konfusion“ der anfänglichen Gestalt des Chaos, als das sich Janus selbst identifiziert (111, tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles), verweist noch das „Jetzt“ der zwei Gesichter des Gottes (113, nunc quoque, confusae

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Werk generell eine Epistemologie der „duplicity“ am Werk sieht (2002, 1–3), die die Grenzen zwischen Absenz und Präsenz verwische und „illusions of presence“ (Hardie 2002, 3) erzeuge. Zum verwandten Phänomen der Ironie bes. in Ovids Met., s. Krupp 2009, 39–42; 85 f. Waldenfels 1987, 182. Zu dieser Kosmogonie im Kontext der literarischen und antiquarischen Traditionen s. auch den Abschnitt 3.2.3.

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quondam nota parva figurae). Als eine Art Schöpfergott, der selbst allerdings auch das Chaos und die daraus hervorgehende differentiell gedachte erste Schöpfung sei, verweist Janus in der Aitiologie seiner Gestalt auf ein grundsätzliches Theorem, das laut Niklas Luhmann in den antiken (zuerst der Theogonie des Hesiod) und biblischen Schöpfungserzählungen wie auch später in avancierten Theologien wie der des Nikolaus von Cues zur Sprache kommt bzw. in Bilder von Trennung und Unterscheidung gesetzt wird: „Gott hat es nicht nötig zu unterscheiden. Offenbar ist die Schöpfung nichts anderes als die Weisung: Draw a distinction. Himmel und Erde, nachher Mensch und schließlich sogar Eva. Die Schöpfung ist also das Oktroi eines Unterscheidens, wenn Gott selbst jenseits aller Unterscheidungen ist.“20 Janus, als ganz spezieller, eigens römischer Gott, als der er in Fasti 1.89 f. bezeichnet wird,21 ist allerdings beides: Ursprung und Unterscheidung. Diese erste Trennung und Ordnungsfunktion im Text kann als paradigmatisch für den gesamten Text gelesen werden, wie das für die teils parallel zu den Fasti komponierte, teils abweichende Kosmogonie der Metamorphosen etwa von Don Fowler schon beobachtet worden ist:22 The work famously begins with a description of the creation of the world from chaos which mirrors Ovid’s creation of his new world in the poem. The god – or melior natura – who embarks on an Epicurus-like revolt against this rudis indigestaque moles (1.7) and gives it shape and order is an obvious surrogate for Ovid himself: and just as before the division of chaos by limitibus ... certis (1.69) the stars could not shine, so form is essential to the Metamorphoses. [...] The whole Metamorphoses is built around precisely the crossing of boundaries like this, between god and demi-god, divine and human: but it presupposes that those boundaries are there to be crossed, just as Stephen Hinds argued that the crucial boundary between epic and elegy was always already transgressed but always already present. The Ovidian viewpoint on segmentation is that it is inevitable and necessary, but always provisional: it is not wrong to divide up the world or the text, but it is wrong to think that one’s divisions are eternal, that there is one right way to segment phenomena. Hence the constant thematization within the Metamorphoses of issues of identity and distinction: not in the name of a formless chaos, but to stress that form and beauty are all the greater if perceived precisely as not unchanging, not timeless, not eternal.

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Luhmann 2009, 73. Quem tamen esse deum te dicam, Iane biformis? / nam tibi par nullum Graecia numen habet. Fowler 1995, 13. Cf. auch Böhme 2021, 467 f.: „Schöpfung dagegen ist bei Ovid das Verfriedlichen des Chaos: Herstellung von Ordnung, die Streit und Gewalt vermeidet. Dies ist das Werk des namenlosen Gottes und der ‚besseren Natur‘. Das schöpferische opus distinctionis lässt die Elemente und ihr Regime hervortreten. Dies wird analog zum Prozess der Versittlichung und Verfriedlichung gesetzt. Chaos verhält sich zur Naturordnung wie Bürgerkrieg zur Pax Augusta. Die erste Metamorphose, die Ovid erzählt, ist also auch politisch zu lesen.“

Die Form des Janus

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Mutatis mutandis kann man eine solche programmatische Interpretation der Entstehungsbeschreibung des Universums, mitsamt der gattungspoetologischen Implikationen, auch für die Fasti fruchtbar machen. Der Text spielt wieder und wieder die Setzung von Oppositionen und deren Überblendung durch und macht deutlich, wie kontingent Unterteilungen und Wertungen sind, wenn „vorne“ und „hinten“ (laut Fasti 1.114) im Grunde das gleiche sind. In der großen Leitunterscheidung der Fasti, die ich im Folgenden herausarbeiten werde, nämlich derjenigen von Militär und Kultur, Krieg und Frieden, werden die zwei Seiten von Gegensätzen durchaus unterschieden, bedingen sich aber letztlich gleichzeitig und sind ohne ihr Gegenteil nicht zu denken – wie das Tor des Janustempels, das die Augusteer sich ewig geschlossen wünschen, den Frieden ohne die vorherige Öffnung im Krieg nicht anzeigen könnte. Wie wir in Kap. 3.1.1 gesehen haben, stellte Numa laut Livius den Ianus am Argiletum auf, um die wilden Römer von den Waffen zu entwöhnen, ja ihnen überhaupt die (zuvor scheinbar unbekannte, gar nicht denkbare) Unterscheidung von Krieg und Frieden näherzubringen, indem er, als ein Monument, die Zeichen für beide Zustände der Gesellschaft zu geben imstande war (Ab urbe condita 1.19):23 indicem pacis bellique [...], apertus ut in armis esse civitatem, clausus pacatos circa omnes populos significaret („als Anzeiger von Krieg und Frieden, der geöffnet zeigen sollte, dass die Stadt in den Waffen stand, geschlossen aber, dass ringsum alle Völker befriedet waren“). Janus selbst bezieht zwar klare Position, wenn es um seine Position in Krieg und Frieden geht (Fasti 1.253 f.): ‚nil mihi cum bello: pacem postesque tuebar, / et‘, clavem ostendens, ‚haec‘ ait ‚arma gero‘ („‚mit Krieg habe ich nichts zu schaffen: den Frieden und die Türpfosten beschützte ich‘, sagte er , seinen Schlüssel zeigend, „und diese Waffen führe ich“);24 dennoch nutzt er den Begriff der arma, um sich von ihm abzugrenzen, und gleichzeitig seinen eigenen ‚Waffendienst‘, nämlich einen für den Frieden, zu bezeichnen (zur militia [amoris] als Figur der Elegie, die genau diese Vermittlung und Überschreitung von Gegensätzen ausdrückt, komme ich in den nächsten Abschnitte noch öfter zu sprechen). Genau diese Dialektik und wechselseitige Bedingtheit von Krieg und Frieden, die eine Wertung zugunsten des Friedens beinhaltet (wenn nicht gerade Mars oder Romulus sprechen), ist paradigmatisch für die Fasti und sitzt als immer wieder aufgerufener Inhalt gleichsam auf dem formalen Schema der Fasti, der Form des Janus. Die Unterscheidung von

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S. zur Funktion des Janus(-tempels) zwischen Krieg und Frieden auch Cogitore 2003, 197 f. Für weitere Texte zur Institution des Tempels sowie des Öffnung und Schließung, Textstellen zur Tempelöffnung und -schließung, s. Syme 1979, Herbert-Brown 1994, 185–96, Green 2000: So Varro, LL 5.165: ius institutum a Pompilio, ut scribit in Annalibus Piso, ut sit aperta semper, nisi cum bellum sit nusquam; zudem Verg., Aen. 7.601–25, Aug. Res Gest. 13, Plut. Numa 20.1 u.a.m. Cf. Prop. 3.5.1 f. zur programmatischen Bedeutung der Pax bei den Elegikern: Pacis Amor deus est, pacem veneramur amantes: / sat mihi cum domina proelia dura mea.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Militär und (friedlicher) Kultur in den Fasti drängt stets hin zu einem Einheitsbegriff von Kultur, behält jedoch den abgelehnten Wert des Krieges immer noch in diesem Konzept bei. So ist es auch in den Abschlussversen der Janus-Episode (1.283–6): dixit, et attollens oculos diversa videntes aspexit toto quicquid in orbe fuit: pax erat, et vestri, Germanice, causa triumphi, tradiderat famulas iam tibi Rhenus aquas. Iane, fac aeternos pacem pacisque ministros, neve suum praesta deserat auctor opus.

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Sprach’s, und erblickte, indem er seine Augen, die entgegengesetzte Richtungen sehen, anhob, was auf dem gesamten Erdkreis existierte: Es war Frieden und – der Grund für deinen Triumphzug, Germanicus – der Rhein hatte dir schon seine dienenden Wasser übergeben. Janus, mach den Frieden wie auch die Förderer des Friedens ewig, und steh dafür ein, dass der Autor von seinem Werk nicht ablässt.

Das Schreiben der Fasti ist mit dem Frieden des Janus eng verbunden, und der auctor, poeta oder vates des Kalenders siedelt sich stets auf dieser Seite der Unterscheidung an – für die auch der Patron des Textes Germanicus stehe, selbst ein Kulturförderer und -schaffender, nämlich begabter Rhetor und selbst Dichter von arateischen Phaenomena, wie das Proöm in den Versen 1.21–6 ihn zeichnete:25 quae sit enim culti facundia sensimus oris, / civica pro trepidis cum tulit arma reis („denn ich habe erfahren, wie es um die Redegewandtheit deines kultivierten Mundes bestellt ist, als sie bürgerliche Waffen für ängstliche Beschuldigte führte“). Die civica arma sind wie die arma des Janus friedliche Mittel und zeigen in dieser elegisch-gattungspoetologischen, ‚kodierten‘ Ausdrucksweise (zum Begriff s. unten) die Einheit der Gegensätze an, die als rhetorische Figur die epischen, kriegerischen „Waffen“ gleichsam hinüberzieht auf die Seite von Kultur und Frieden. Dennoch ist der Anlass des Triumphzugs, selbst ein Symbol und ein Lohn für erfolgreiche Kriegsführung, die abgeschlossene militärische Expedition gegen die germanischen Stämme im Jahr 17 n.Chr. 26 Fortgesetzter Frieden, wie auch das letzte Distichon der zitierten Stelle suggeriert, ist also im augusteischen Rom, wie die Fasti sie sehen, in dialektischer Weise abhängig von Kriegsführung. Im Folgenden werde ich diese Figur der Setzung und Überschreitung von Opposition, die ich nun schon an zwei Beispielen einführen konnte, in den Fasti beleuchten, zunächst jedoch aus dem literaturgeschichtlichen Kontext herleiten. Ich

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Fasti 1.23–6: scimus et, ad nostras cum se tulit impetus artes, / ingenii currant flumina quanta tui. / si licet et fas est, vates rege vatis habenas, / auspice te felix totus ut annus eat. Cf. DeBrohun 2007, 275.

Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen

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beginne mit der Herstellung einer Gattungsopposition im Hellenismus und besonders der römischen Elegie, um dann einige dieser Umsetzungen der Form des Janus in den Fasti zu beschreiben.

4.2

Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen

Das Bewusstsein für eine Systematik der Gattungen ist in der hellenistischen Dichtung seit Kallimachos besonders groß, und die Herstellung einer Opposition zwischen Epos und kleineren Gattungen ist dort zum ersten Mal distinktiv ausgeführt.27 Die augusteischen Dichter übertragen diese Systematik samt ihrem poetologischen Reflexionsapparat in die römische Literatur; allerdings adaptieren sie das Programm des Aitien-Prologs, statt es bloß zu kopieren.28 Die Entwicklung der augusteischen Literatur kann laut Ernst August Schmidts These in seiner Abhandlung Augusteische Literatur: System in Bewegung von 2003, ebenso wie die des politischen und sozialen Systems, als eine „schöpferische Restauration“ gedeutet werden.29 Der Eindruck einer Systematisierung der Gattungen geht dabei zunächst mit dem Befund einer „Enthistorisierung“ der Literaturgeschichte durch die bibliophile Tätigkeit der Alexandriner einher: Mit der alexandrinischen Philologie setzt ein Prozess der Enthistorisierung literaturgeschichtlicher Epochen, Dichtungen und Prosawerke ein. Die Sammlung, Ordnung und Edition aller Texte der Tradition projiziert die überkommene Literatur auf die homogene Bewusstseinsebene der Verfügbarkeit aller Bücher einer Bibliothek [...] und verwandelt das geschichtlich vertikale Nacheinander epochenspezifischer Ausdrucksmuster und Stile in das systematisch-literarische Nebeneinander von Gattungen.30

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Ein griechisches Vorbild für die Gegenüberstellung zweier poetischer Genera vor Kallimachos findet sich in den Anacreontea, cf. Fedeli 1980, 188. Grundlegend zu diesem Thema in Bezug auf Ovid ist Fantham 1998, 8: „It was the poet and critic Callimachus of Cyrene who polarized the relationship between the genres.“ Klein 1974 beschreibt die Rolle Kallimachos’ bei der Herausbildung eines „Counter-Genre“ anstelle des epischen Langgedichts. Eine Opposition der Elegie gegenüber der homerischen Großform ist freilich schon in der frühesten griechischen Dichtung impliziert, wenn Mimnermos im 7. Jh. v.Chr. ‚persönliche‘ und erotische Elegie schreibt, die sich zudem von den exhortativen Gedichten eines Solon abhebt. Cf. Fantham 1998, 7 f. für eine kurze Darstellung der vorhellenistischen Elegie. Zur Genese der römischen Liebeselegie ist Jacoby 1905 grundlegend. Cf. Knox 1985; Thomas 1993. So Schmidt 2003, 41, in Übernahme einer Begriffsjunktur der Kulturkritik Rudolf Borchardts. Ibid.

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Die augusteische Literatur „rehistorisiert“ laut Schmidt in einem nächsten Schritt und in Absetzung von der alexandrinischen Dichtung die griechische und römische literarische Tradition und „semantisiert“ die verschiedenen literarischen Stile: „Sie tritt mit der ganzen Literaturtradition in einen Dialog unter Gleichen mit dem Anspruch, das Neue und von der Gegenwart Geforderte durch Synthese und Restauration zu schaffen. Diese Intention verwirklicht sich auf dem Weg einer Semantisierung von Epochen- und Gattungsstilen, die nicht mit einer Enthistorisierung einhergeht.“31 Gian Biagio Conte, einer der Archegeten latinistischer Gattungstheorie, der „the whole development of literary production from Catullus to Ovid [...] as a process of the construction of genres“ beschreibt, nennt als ein wichtiges Charakteristikum der augusteischen Dichtung „its tendency to put the choice of language and of genre in ‚dramatic‘ terms, almost to ‚stage‘ the problem of the choice of literary form.“32 Dies kommt Schmidts These einer Semantisierung recht nahe und fügt den wichtigen Aspekt einer immanenten inszenierten Gattungspoetologie hinzu, die in den Fasti besonders in den programmatischen Buchproömien für sich steht, jedoch auch immer wieder mit der Kalenderexegese und den aitiologischen Erkenntnisobjekten bzw. deren dichterischer Vermittlung überblendet wird. Aus dieser Semantisierung der Gattungsstile nun ergibt sich erst die Fähigkeit der augusteischen Dichter, Gattungsoppositionen in die Reflexion über gesellschaftliche Bereiche hineinzunehmen, die ebenfalls dichotomisch bewertet werden. So entsteht gerade in den elegischen Dichtungen häufig der Eindruck, dass zugleich von der Gesellschaft, vom richtigen Leben, von der Geliebten einerseits und, in einer solchen literaturimmanenten Poetologie, von der Literatur, vom richtigen Schreiben andererseits die Rede ist. Dieser Befund ist entscheidend für meine folgenden Beobachtungen zu einer ‚Kodierung‘ der augusteischen Dichtung, die gerade in den Fasti auch ein Konzept der augusteischen Kultur in sich trägt, ja ihm erst die Koordinaten zu liefern scheint. Wie Francis Cairns es in seinem Tibull-Buch von 1979 zusammenfasst, ergibt sich im augusteischen Rom eine kulturpolitische Dichotomie aus dem hellenistischen Erbe der Dichter und ihrem Ansehen bei bzw. ihrer Beanspruchung durch die regimenahen Patrone und Mäzene. Ganz anders als die dem Staat zugewandte klassische griechische Dichtung sind, ebenso wie philosophische Strömungen der Zeit, die alexandrinische Poesie und in ihrer Nachfolge die augusteische Dichtung der aktiven politischen Anteilnahme im Grunde abgeneigt und legen auf ästheti-

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Ibid. Zur problematischen Epochengliederung rund um eine augusteische „Klassik“, s. den gesamten Abschnitt bei Schmidt (ibid. 17–52). Treffend charakterisiert hat die augusteische Epoche der römischen Dichtung, in Absetzung einer wertenden Bezeichnung von ‚Klassik‘, Antonie Wlosok (1993, 341), nämlich als „konstruktive[n] Eklektizismus, die von den eigenen Kunstprinzipien gesteuerte und in der Selektion der Muster ‚kanonorientierte‘ Kontamination von Vorbildern aus ganz verschiedenen Epochen.“ Conte 1994, 115 und 120.

Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen

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sche Interessen und die Herausbildung einer Sphäre der Individualität und Unabhängigkeit weit größeren Wert,33 was die Figur der recusatio emblematisch belegt. In diesen Passagen der „Verweigerung“, die Walter Wimmel ausführlich behandelt hat,34 wird das Recht des (Autor-)Individuums und der Erforschung seiner Psychologie dem Druck der Gesellschaft und des Staates gegenüber eingefordert.35 Das schließt aber die Fähigkeit zur Reflexion der zeitgeschichtlichen Situation nicht aus:36 „Die augusteische Literatur ist in ungewöhnlicher Intensität an der eigenen gegenwärtigen Wirklichkeit interessiert, ein Interesse, das sich dem Bewusstsein verdankt bzw. in dem sich das Bewusstsein ausspricht, in einer besonderen Epoche zu leben, einer Krisen- und Wendezeit.“37 Denn die oft moralische und moralphilosophische Ausrichtung dieser Dichtung zeugt dennoch von einer Haltung, die der Literatur gesellschaftliche Relevanz verschaffen will. Wenn die Dichter in den Reflexionen vom Rückzug auf das Landgut, auf das Denken und Dichten und noch deutlicher in der oft wiederholten Priamel über die Lebenswahl auch klar auf die politikabgewandte Seite treten, dann gibt der konstante Aufruf beider Seiten der Opposition diesen Texten doch eine klare gesellschaft-

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Liebe und Sexualität als Medium für die Herausbildung von Individualität in der Moderne beleuchtet Luhmann 1982 – Parallelen und Unterschiede für die Individualität im augusteischen Rom wären einmal im Spiegel der Gattung der Liebeselegie herauszuarbeiten. Wimmel 1960, zu Kallimachos: 50–127, zu Ovid: 295–306. Cairns 1979, 32. Zu den komplexen Verhandlungen von Autorschaft in römischen Texten v.a. spätrepublikanischer und augusteischer Zeit, s. Badura/Möller (2019). Cf. Schmidt 2003, 13 und dort das neunte Kapitel bzw. dessen These, „nach der für die augusteische Dichtung die Spannung zwischen apolitischer Privatheit und historischgesellschaftlich-politischem Interesse und Engagement typisch“ sei (47). Er formuliert drei Thesen dazu, dass „Recusationsgedichte und private Lebenswahl mit Ablehnung öffentlicher Lebensformen“ nicht anti-augusteisch seien (115): „1. Das in der spätrepublikanischen Dichtung errungene Selbstverständnis dichterischer Existenz und individueller Lebenswahl wird infolge der Erfahrungen der Bürgerkriege bekräftigt und programmatisch verschärft. Als einer der Entwürfe zur Überwindung der Bürgerkriege stehen solche Dichtungen keineswegs quer zu den leitenden Tendenzen der Zeit in der Literatur. 2. Die Verlagerung des Machtgefüges und der politischen Verantwortung auf den Prinzips und die Zurückhaltung in Bezug auf Krieg als Mittel der Außenpolitik, d.h. der ökumenische Charakter der Pax Augusta, sind Zeitfaktoren, mit denen Kriegsablehnung, Privatheit, Quietismus, Staatsenthaltsamkeit in der Dichtung durchaus korrespondieren. 3. Existenzielle und moralische Traditionen aus der griechischen archaischen Lyrik, der hellenistischen Philosophie und der moralistischen römischen Topoi, wie sie in der augusteischen Dichtung restauriert werden, stehen dem Programm moralischer Reform des Prinzeps nicht fern.“ Ibid. 58. Zur spätrepublikanischen und augusteischen Zeit als sich ihres Krisen- und Schwellencharakters bewusste Epochen, s. auch Fuhrmann 1987 (im Poetik und Hermeneutik-Band zu Epochenschwelle und Epochenbewusstsein).

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lich-ethische Perspektive. Die Diskussion über Lebensformen wie auch die Reflexion über die Funktion der Dichtung und die gesellschaftliche Stellung des Dichters sind typisch für die augusteische Literatur: Die Antithese zwischen privater Liebesaffäre und gesellschaftlich anerkannter Moral in der Elegie macht dies deutlich, und die elegische Dichter-persona ist in ihrem servitium für die Liebe und für ihre literarische Thematisierung ein negatives exemplum, das nichts zum Wohl der Gemeinschaft beitragen könne und wolle.38 Aber dennoch – und dies paradoxerweise – nimmt sie die augusteischen Werte der harten Arbeit und gar des Kriegsdienstes für sich in Anspruch, nennt sich dux milesque bonus (Tib. 1.1.75) der rixae (74) mit seiner puella und des Liebesdienstes.39 Die abgelehnten Werte, gegen die der elegische Diskurs streitet,40 werden gleichsam doch eingezogen in den semantischen Raum dieser Gattung, wodurch die Überschreitung der Gegensätze erreicht wird. Tibull zeigt diese Haltung in seiner ersten Elegie, in der eine solche Synkrisis der Lebenswahl, nämlich zwischen seinem eigenen Leben und dem seines Gönners, dem General M. Valerius Messalla Corvinus, erstellt wird. 41 In dieser Elegie wird Reichtum zugunsten einer ländlichen paupertas (1.1.5; cf. Vers 25: contentus vivere parvo, „zufrieden, mit wenig zu leben“) abgelehnt wie auch militärischer Ruhm – die recusatio des Soldatenlebens als Erklärung einer dezidierten Lebenswahl findet sich u.a. in den Versen 75 f.: vos, signa tubaeque, ite procul, cupidis volnera ferte viris („ihr, Feldzeichen und Trompeten, geht fort, fügt den willigen Männern Wunden zu“). Der rusticus mit seiner pietas gegenüber wichtigen ländlichen (und in der augusteischen Kulurrestitution zentralen) Gottheiten, die auch in den Fasti eine Rolle spielen (Spes [9], Ceres [15], den Lares [20] und Pales [36]), verkörpert dagegen die elegischen Werte Tibulls. Die Figur der recusatio belegt, wie viele weitere Beispiele der Elegie zeigen könnten, somit ein oppositionelles Grundschema im augusteischen Gattungssystem wie auch in der Gesellschaftsreflexion der Elegie selbst, und dient in diesen Texten der 38

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Zum Verhältnis der „mittleren“ Generation der Elegiker – Properz und Tibull nach Gallus und vor Ovid – zu ihrer politischen Gegenwart, cf. Galinsky 1996, 270: Es seien Properz und Tibull, „whose formative experience had been the civil war between Antony and Octavian. They construct their own world, a poetic one which should not be pressed for biographic details. Nor should it be simplified into an antiworld (Gegenwelt) of constant provocation and inversion of Augustan society and its values. Instead, it includes a wide variety of reactions to that ‚real‘ world and, especially, a wide range of appropriations from that world for the world of their poetry.“ S. bes. Ovids auch Gedicht Am. 1.9 und Properz’ Elegie 4.1, Vers 135 für die militärische Metaphorik der Liebeselegie. Zur militia amoris als deren wichtigste Figur, s.u. Die wichtigste Studie zur Elegie als ‚Diskurs‘, die solche Figuren in extenso analysiert und einen (zeichen-)theoretischen Hintergrund einzieht, ist Duncan Kennedys Buch von 1992. Zur ersten Elegie TIbulls als repräsentativ für das elegische Programm, s. etwa Galinsky 1996, 270 f.: „Tibullus suggests that the difference between the vita activa and his is limited to material aspects. In moral terms, they are equivalent: his ‚indolence‘ is justified by his attachment to the rustic life and its piety.“

Poetik und Gesellschaft: Zur Semantisierung der Gattungen

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Umsetzung einer literaturimmanenten Programmatik ebenso wie der Zurückweisung von kulturpolitischen Staats- und Klientenpflichten der Kunst:42 Die an solchen Stellen explizit gemachte Selbstverortung der Dichtung fungiert immer wieder als Vorwand für einen poetischen Distinktionsanspruch. Das breit angelegte Gattungsschema von Epos und Panegyrik („Öffentlichkeitsdichtung“)43 einerseits und den vorgeblich bescheideneren Formen der Elegie und Lyrik („Gelegenheitsund Persönlichkeitsdichtung“) 44 andererseits findet sich gleichwohl noch in den kleinen und kleinsten Einheiten der poetischen Semantik wieder und regt in den Elegien zu Sprachbildern und rhetorischen Figuren an, in denen diese Oppositionen ausgelotet werden:45 Die militia amoris in all ihren Spielarten ist eine solche Figur der inszenierten Abgrenzung gleich auf mehreren Ebenen: einerseits eben im Feld der Gattungspoetik, aber zudem auch gegenüber einem gesellschaftlichen Leitbild. Durch die Auszeichnung des Liebesdienstes mit den Begriffen der militärischen Sphäre wird das leitende Paradigma römischer Gesellschaft sowie der

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S. dazu auch Hinds 1992, 139 f.: „In my view, any programmatic discussion about generic level in Augustan elegy is capable of raising difficult questions about the relationship of the aesthetic sphere to the moral sphere. ... In the programmatic discussions of Augustan elegy, does one refuse to write about such arma (a) because the theme is aesthetically inappropriate to a ‚slender‘ genre like elegy, though morally a good one; or (b) because the theme is aesthetically inappropriate to a ‚slender‘ genre like elegy, and morally a bad one? The strong Callimachean influences on the Augustan recusatio might incline one towards answer (b). [...] However, in the most common form of the Augustan elegiac recusatio, the arma under consideration belong not to some rebellious Giant but to a victorious Caesarian general. In such cases, our answer must be that the poet’s characteristically polite refusal appears to be of type (a): the theme is aesthetically inappropriate to elegy, but morally an excellent one.“ Cf. Cameron 1995, 470 zu einem nach-kallimacheischen Genre von (mitunter elegischer) Panegyrik, an dem sich auch die römischen Dichter versuchten. Cf. Knoche 1958. Die Elegie steht bei ihm gattungshierarchisch in der Mitte, zwischen der sehr unmittelbar angelegten Satire und der von einer Gesprächssituation weitgehend unabhängigen, ,,idealen“ Horazischen Lyrik (165): ,,Indem sie [sc. die Elegie] nun aber das tatsächliche Erlebnis als Triebfeder zwar proklamiert, das spontane Bekenntnis aber vermeidet, erscheint bei den römischen Elegien das Spiel des Dichters auf einer sehr hohen Stufe der Freiheit: ergriffen vom Erlebnis und dadurch geweckt, erhebt sich der Dichter darüber. [...] Die dichterische Form, das Gedicht, sie sind viel mächtiger als der Gegenstand, als die Materie.“ Zu den Tropen und Figuren der römischen Elegie, s. Kennedy 2012. Zu militia und servitium amoris, cf. ibid. 190: „Love and war, love and slavery are not identical, but in presenting them in shared terms, we are invited to view aggression, domination and submission as aspects of the dynamics of erotic as much as of martial activity, and vice versa, the loss of freedom to say what you want is the mark of the lover no less than of the captive and the slave.“ Zu den beiden Tropen grundlegend sind (zur militia) Murgatroyd 1975 und Gale 1997, und (zum servitium) Lyne 1979, Murgatroyd 1981 und Fitzgerald 2000, 72–7.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

von ihr beanspruchten Funktion von Kunst und Literatur abgelehnt; 46 eine ästhetische Gegenwelt, die schon in Catulls nequitia der Dichterexistenz angedeutet war, ist damit als literarischer Vorstellungsraum etabliert. 47 Dass diese Gegenwelt aber dennoch immer wieder zu einer Vereinnahmung des Abgelehnten, zur semantischen Bewältigung des Leitbildes neigt und die gesetzten Differenzen auf diese Weise durchkreuzt werden, bildet schon den Grund für die Form des Janus, das Grundschema der Fasti: Die ‚friedlichen Waffen‘ des letzten Abschnitts, die sowohl über die Synthese von Gattungen als auch von Gesellschaftsreflexion Zeugnis ablegen, rufen stets beide Seiten auf, wenngleich Friede, Dichtung, Privatheit und Liebe stets präferiert sind. All diese Formen und Deutungsspiele sind Schöpfungen der alexandrinischen Literatur, verfestigen sich im römischen Bereich jedoch erst in den beispielhaften Skizzen von poetisch-programmatischer Kommunikation im ersten Buch des Properz.

4.3

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

In den letzten beiden Abschnitten habe ich zunächst das Schema einer semantischen Opposition herausgearbeitet, das zwei Terme aneinander bindet, indem es sie als Gegensätze ausweist. Ein Term wird dabei häufig präferiert – wie in Janus’ Distichon, das dem Frieden den Vorzug vor dem Krieg gibt. Der ‚abgewiesene‘ Term (so auch in der recusatio) bzw. das übergeordnete semantische Feld oder Konzept, das an ihm hängt, wird jedoch häufig gleichsam auf die andere Seite der Opposition gezogen – wie die arma des Janus, die seine Türschlüssel darstellten, also „Instrumente“ (was arma auch bedeuten kann) des Friedens. Diese Figur der Ambiguität und Vermittlung habe ich als die ‚Form des Janus‘ betitelt. Der letzte Abschnitt hat gezeigt, dass dem augusteischen Gattungssystem ähnliche Dichotomien zugrunde liegen, die sowohl den ästhetischen wie auch den politisch-gesellschaftlichen Bereich aufteilen, ja geradezu nach einem binären Schema ‚kodieren‘. Ein Anwendungsbereich des Denkens in Gegensätzen und der Zuordnung

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S. dazu auch Labate 1984, 90–7 und Barchiesi 1987, 76–8. In Catulls Liebesdichtung und der Selbstbewertung seiner Lebensführung in nequitia, die von den sozial höher stehenden, die Normen der Gesellschaft repräsentierenden senes verurteilt werden, waren die beiden Pole von otium und negotium wirksam gegeneinander ausgespielt und das Dasein am Rande der Gesellschaft, in moralischer Verworfenheit in epigrammatischen Skizzen gezeichnet worden. Zur Wirkungsgeschichte Catulls in der augusteischen Dichtung, s. Schmidt 1995. S. auch Schmidt 2003, 36 f.: „Die augusteische Dichtung wächst ohne entschiedenen Bruch, weder in ihrer Programmatik noch in ihrer Praxis, aus der neoterischen und, allgemeiner, modernen spätrepublikanischen Dichtungsbewegung hervor. Sie muss diese weder ablehnen noch überwinden und kann z.B. an Catull und Gallus, wie auch an Cicero poeta und Lukrez anknüpfen.“

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

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von Größen und Begriffen zum ‚Guten‘ oder zum ‚Schlechten‘ liegt seit der Antike in der philosophischen Wertetheorie oder Axiologie, einem Teilbereich der Ethik. Auch dem römischen Wertediskurs um die mores maiorum liegen solche Denkschemata zugrunde – er handelt nicht nur von den „Sitten“ der Alten, sondern auch von den gesellschaftlichen Normen, die eine soziale Ordnung garantieren sollen. Die „Kenntnis von Wert- und Normensystemen, aller kognitiven, affektiven, evaluativen Regulierungen“ ist ebenfalls Teil des kulturellen Wissens einer Gesellschaft und zumal in der Literatur meist von besonderer Relevanz. 48 Der antiquarische Diskurs mit der Figur der Aitiologie, die eine vorbildhafte Vergangenheit erst aus der Gegenwart heraus konstruiert, nimmt ebenso wie der Kalender in der Funktion eines identitätsstiftenden Ordnungsmuster, das die alten Rituale immer wieder aktualisiert, an diesem Wertediskurs im augusteischen Rom teil bzw. konstituiert diesen mit. Andrew Wallace-Hadrills prägnante Darstellung des Augustan Rome erzählt die Geschichte des augusteischen Regimes vor allem anhand eines Wertewandels von der Republik zum Prinzipat:49 „Augustus’ new order was rooted in a new mythology; in emotionally charged symbols which touched on deep fears and hopes, on values so basic that all Romans shaped their lives around them.“50 Karl Galinsky stellt die Augustan Culture auch als Kultur dar, die von Augustus’ Ideen, Werten und Idealen geprägt sei.51 Als römische Tugenden konnten demnach gelten: fortitudo, labor, vigilantia, diligentia, cura, industria, prudentia (Tapferkeit, Arbeit, Wachsamkeit, Sorgfalt, Fürsorge, Fleiß, Umsicht). Zudem ist pietas gegenüber den Göttern, auch Teil der Kultur in den Fasti, Teil dieses Kanons und wurde von Augustus durch die Wiedereinrichtung bzw. den Aufbau von über 80 Tempeln und Altären exemplifiziert. Dass nun die römische Elegie Austragungsort einer literarischen Axiologie,52 also von poetischen Wertungen ist, und die fiktive Welt der Liebhaber von Fremdund Selbstbewertungen durchzogen, ja strukturiert wird, begreift jeder Leser augusteischer Dichtung schnell. Schon im ersten Buch des Properz treten die wohlmeinenden Freunde und Dichterkollegen auf, die dem amator von seiner ganz eigenen Liebes- und Lebensplanung abbringen und von seinem Wahn heilen wollen, indem sie ihm zu anderen Mädchen und anderer Dichtung raten. 53 In diesem Gedichtbuch beginnen nicht nur die Motive der Gattung ein dauerhaftes Dasein;54 48 49 50 51

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Richter/Schönert/Titzmann 1997, 13. Wallace-Hadril 2018 [1993]. Ibid. 9. Cf. Galinsky 1996, 80–140. Die Aufzählung der Tugenden gibt er auf S. 83. Horaz’ Tugenden im Carmen saeculare, die das neue Zeitalter ankündigen, sind Fides, Pax, Honos, Pudor und Virtus (57 f.) Für die Theorie literarischer Wertung, s. von Heydebrand 1984 und Winko 1991. Grundlegend zu diesem Thema ist Mukarovsky 1974 (1936). So etwa in der ersten Elegie des Properz, 1.1.25 f.: aut vos, qui sero lapsum revocatis, amici, / quaerite non sani pectoris auxilia. Cf. Petersmann 1980, Cairns 2006 und Maltby 2006.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

auch eine Form entsteht, die die poetische Zeichenfunktion der ästhetischen Selbstreferenz stärkt und weg von der Referenz auf etwaige biographische Details führt.55 Diese Form der Elegie ist es, die ihre Motive und Semantiken kodiert, d.h. nach einer bestimmten gattungspoetologischen und zugleich gesellschaftlich-moralischen Leitdifferenz strukturiert. Somit wird eine Art Wertecode etabliert, der Teil einer impliziten Wertetheorie ist, an der diese Texte produziert werden und sich abarbeiten. Diese zunächst oppositive Differenz konstituiert stets einen positiven und einen negativen Wert und soll im Folgenden als ‚Code‘ bezeichnet,56 d.h. vornehmlich als eine produktionsästhetische Zuordnungsregel verstanden werden.57 In den elegischen Texten kommt sie freilich als solche zur Reflexion 55

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S. etwa DeBrohun 2003, 2 f., die Forschung zur Elegie seit den späteren 1980er Jahren zusammenfassend: „Much criticism of Roman love elegy in the past two decades has concentrated especially on Propertian elegy in a effort to expose the ego and puella as poetic constructions whose ‚partially realistic‘ characterics and actions serve as metaphorical representations of the poet’s writing practice and poetic (as well as political) ideals.“ Sie sieht also ebenfalls die Doppelung von ästhetischer und zugleich politischer Wertung bei den Elegikern am Werk. Wieder steht für mich ein Begriff Niklas Luhmanns im Hintergrund, der (wie letztlich die Strukturalisten auch) einen informationstheoretischen Begriff übernommen hat, diesen jedoch in seine Systemtheorie – auch einer „Kunst der Gesellschaft“ – einbaut (1997, 301 f.): „Die grundlegende Struktur, die durch Operationen des Systems produziert und reproduziert wird, nennen wir im typischen Fall der Funktionssysteme einen Code. Damit ist, im Unterschied zum Codebegriff der Linguistik, ein binärer Schematismus gemeint, der nur zwei Werte kennt und auf der Ebene der Codierung dritte Werte ausschließt. Von einem Code muß erwartet werden, daß er (1) der Funktion des entsprechenden Systems entspricht, nämlich den Gesichtspunkt der Funktion in eine Leitdifferenz übersetzt; daß er (2) vollständig ist im Sinne der Definition Spencer Browns: ‚Distinction is perfect continence‘, also nicht einfach nur Wald und Wiese unterscheidet. Er muß mithin den Funktionsbereich, für den das System zuständig ist, vollständig erfassen; er muß also (3) nach außen hin selektiv und (4) nach innen hin informativ wirken, ohne das System damit unirritierbar festzulegen; und er muß (5) offen sein für Supplemente (Programme), die erst Kriterien dafür anbieten (und ändern können), welcher der beiden Codewerte in Betracht kommt. Das alles wird dann (6) in die Form eines Präferenzcodes, also in eine asymmetrische Form gebracht, in der ein positiver und ein negativer Wert zu unterscheiden sind. Mit dem positiven Wert kann man im System etwas anfangen, er stellt zumindest verdichtete Akzeptanzwahrscheinlichkeit in Aussicht. Der negative Wert dient als Reflexionswert und damit vor allem der Kontrolle, mit welchen Programmen das Sinnversprechen des positiven Wertes eingelöst werden kann.“ Der Begriff des ‚Codes‘, wie ich ihn verwende, ist nicht zu verwechseln mit der strukturalistischen Konzeption im Kommunikationsmodell des russischen Linguisten Roman Jakobson (s. auch Luhmanns Bemerkung im Zitat meiner letzten Fußnote), aber es gibt m.E. Überschneidungen: Auch bei ihm legt der Code ein Regelsystem fest, und diese Regeln können binäre Unterscheidungen sein – wie etwa in einer Sprache ganz elementar die Unterscheidung von Vokal und Konsonant. Cf. Jakobson 1971 und (dazu)

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

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und wird nicht bloß mechanisch angewandt: Vielmehr ist es ein Grundschema des elegischen Schreibens, das den Szenen der Auseinandersetzung mit der Geliebten und anderen Dichtern – d.h. in der Welt der Elegie meist: anderen ‚Liebeskranken‘, die elegisch schreiben – narrative, diskursive und poetologische Orientierung verleiht. Einen strukturalistischen Begriff eines solchen Codes hat Gian Biagio Conte in mehreren Publikationen zu einem Gattungs-„System“ der römischen Literatur entwickelt,58 was auch in seiner Literaturgeschichte im Kapitel zur Elegie aufgegriffen wird:59 Strong features of the elegiac code would include the servitium amoris [...] and the choice of a degrading life with which the poet-lover rejects any recognition or social success (an honorable career or the acquisition of wealth). Hence we have a poetry that alternates between suffering and joy, exulting and complaining, a totalizing, absolute universe that proposes and independent ideology of its own that contrasts with the official values of the civitas. In short, the construction of the elegiac code is the result of a process of selection. The literary tradition is decanted as if through a filter, and from its rich treasure of myths, symbols, and marked words only those elements that can be turned to new functions and new meaning are allowed to pass through.

Bei Conte ist dieser Code strukturalistisch und oftmals recht essentialistisch gedacht (Ausdrücke wie „Prozess der Selektion“, „Filter“ weisen in diese Richtung); sein Begriff kommt jedoch meinem Konzept einer oppositiven Zuordnungsregel nahe. Diese wird in den Texten selbst allerdings vielfach gebrochen und mit Distanz reflektiert. Die Gegensätze, einmal gesetzt, können auch dialektisch überblendet werden; zwischen ihnen wird symbolisch vermittelt und in der Logik der Motive und Charaktere der Dichtung verhandelt. Dies haben wir etwa am Beispiel des Mars, seiner Entwaffnung und der Neigung zu Minerva im dritten Buch der Fasti schon beobachtet (s. Kap. 3.2.4.2). Erstmals ist die Konstruktion eines elegischen Codes in den Gedichten der Monobiblos des Properz auszumachen, auf die ich zunächst in dieser Hinsicht blicken möchte, bevor ich zu Ovids Werk und den Fasti zurückkomme. Diese literaturgeschichtliche Herleitung ist für die Einordnung der poetischen Semantik unseres Textes zentral: Der elegische, grundsätzlich zweiwertige Code, auf den nach meiner These die Janusfigur verweist, ist auch für den Interpreten der Fasti ein Leitmuster bei der Frage, wie der Wissensgehalt und die Konstitution der römischen Kultur und ihres Kalenders im Text geformt und funktionalisiert wird.

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Scheffel 1997, 15. S. Erdbeer 2001 für eine Besprechung literarischer Codes auf verschiedenen (struktalistischen, narratologischen u.a.) Ebenen. S. auch Möller 2007 für eine Interpretation von Properz’ Gedicht 4.8 unter Verwendung des Code-Begriffs bes. Roland Barthes’. S. u.a. Conte 1980 und 1994b. Conte 1994a, 254–6.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Die Konstitution der elegischen Form besteht also nach der These dieses Abschnitts in der Etablierung einer literarischen Axiologie, die dem elegischen Spiel gleichsam seine Regeln gibt.60 Dass sich die Liebe und das Dichten der Elegiker innerhalb dieses Regelsystems vollzieht und daher lehrbar ist, hat Ovid verinnerlicht und das System in seiner Ars beschrieben, aber zugleich auch persifliert.61 Die Elegie wendet sich jedoch schon seit Properz’ ersten Gedichten stets gleichsam zu sich selbst, wird reflexiv und sieht vom Versuch einer Repräsentation einer außerliterarischen Realität ab,62 was die Forschung seit den 1980er Jahren erkannt und in der formalistischen Betrachtung einer selbstreflexiven Poesie als Charakteristikum der Gattung beschrieben hat: „the distinction between means and object can lead to emphasis on the former (formalism), as the represented object recedes whilst the medium turns itself back on its own codes and conventions and engages in self-reflexive play.“63 Dies wurde v.a. in der britischen Forschung zunächst am Eindruck einer gerade nicht lebensechten, nämlich objektivierten und unpersönlichen puella wie Properz’ Cynthia thematisiert. Catulls Trennung von Kunst und Leben, wenn man einmal bei den unmittelbaren Vorbildern der Elegie bleibt, ist in diesen elegischen Gedichtbuchkompositionen längst verinnerlicht, sodass die Kunst (das Schreiben über Liebe) metaphorisch in den Bildern des Lebens (der Liebe) ausgedrückt werden kann.64

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Für diese Sicht auf die Elegie steht besonders Paul Veynes Buch von 1983, das wie Duncan Kennedys Buch von 1992 auf die Thesen Roland Barthes’ über die Liebe als Diskurssystem zurückgeht, innerhalb dessen sich jeder Liebende verorte: Barthes 1988. Veyne versucht in durchaus auch Foucault’scher Manier, die Elegie im Zusammenhang mit soziologischen und ideologischen Maßstäben der Zeit zu lesen, von denen sie sich in einem semiotischen Spiel absetze (15): ,,Elle ne peint rien du tout et n’impose pas à ses lecteurs de penser à la société réelle.“ Auch die Geliebte sei nicht generell auf eine Person, auf eine Hetäre, untreue Ehefrau etc. festzulegen, und ,,cette irregularité n’est pas une tranche de la vie de nos poètes et de leur maîtresse supposée, mais une pièce d’un système; elle est appelée par la loi du genre, elle joue un rôle que nous appellerons sémiotique.“ Cf. ibid. 85 und 94. Er geht so weit, die Elegie ,,reine Kunst“ zu nennen und vergleicht sie mit abstrakter Kunst, die keinen Referenten habe. In dieser radikalen Form haben seine Thesen mit Recht Ablehnung provoziert, cf. Arkins 2005, 37. Cf. Kennedy 1992, 65: „To put this in the terms suggested by Roland Barthes, there is a lover’s discourse and we construct ourselves as amorous subjects within it; thus ‚no love is original‘. In treating love as a system which can be taught and learned, Ovid’s Ars amatoria similarly views it as a discursive artefact.“ Das Thema der Repräsentation in der Elegie wird zuerst ausführlich problematisiert von Wyke 1987 und 1989; ihre häufig gendertheoretischen Thesen sind zusammengefasst in Wyke 2002. Kennedy 1992, 1 (und passim). Zum Thema der Annäherung von Dichtung und Leben, in der Antike so häufig gleichgesetzt wie deutlich voneinander getrennt, ist Möller 2004 grundlegend; speziell zu Catull und carmen 8, cf. Möller 2008.

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

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Bei den augusteischen Dichtern werden Ästhetik und Poetik an unzähligen Stellen mit einer zumindest impliziten Wertetheorie verquickt und stehen in einem metaphorischen Verhältnis zu ihr. Die Debatte über Gattungen und Stilhöhen wird in dieser Dichtung immanent in den recusationes und anderen programmatischen Passagen, deren Vorbild der Aitien-Prolog des Kallimachos ist, in den Begriffen der Religion, der Politik oder des Kriegswesens geführt. Konkret auf Gattungen zugeschnitten kommt diese immanente Poetologie in Bildern und Szenen des Krieges (für das Epos), der Landwirtschaft (für die georgische Lehrdichtung), des Hirtenlebens (für die Bukolik) oder eben der Erotik und der angebeteten Frau für die Elegie zum Ausdruck. Allesamt geben diese Metaphern und Metonymien die jeweiligen Inhalte der Dichtung vor, fungieren aber gleichzeitig auch als Vehikel für die Verhandlung über diese Inhalte. Dass hier nun ein Bild der Gesellschaft sowohl im Hintergrund steht als auch mit geformt wird, dies allerdings in enger Korrelation mit ästhetischen Maßstäben geschieht, steht dabei außer Frage. In Properz’ Gedicht 1.7 an den Epiker Ponticus wird dies etwa deutlich, wenn in den ersten vier Versen von Ponticus’ Dichten über den thebanischen Bruderkrieg (als episches Dichten ausgewiesen, insofern Homer als Referenzpunkt angegeben wird und in Vers 2 die arma fraternae tristia militiae, die „traurigen Waffen des Bruderkrieges“ genannt werden) die Rede ist, 65 nur um dann zu den amores (1.7.5), den Liebesaffären des leidgeplagten Sprechers überzugehen. Dabei werden Liebesdichten und Dichterliebe überblendet66 – das Wort amores kann schließlich auch für Liebesgedichte stehen, wie nicht zuletzt der Titel Ovids erster Gedichtsammlung belegt.67 Zu Beginn von Properz’ Gedicht wird diese Engführung von Dichtung und Liebesleben auf den Punkt gebracht (1.7.5–10): nos, ut consuemus, nostros agitamus amores, atque aliquid duram quaerimus in dominam; nec tantum ingenio quantum servire dolori cogor et aetatis tempora dura queri. hic mihi conteritur vitae modus, haec mea famast, hinc cupio nomen carminis ire mei.

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Cf. Hinds 1992, 92, allgemein zur Konstruktion einer Dichterkonkurrenz zwischen Epik und Elegie: „it was always part of the dynamic of Augustan elegy that the poet should be interested in testing and exploring the boundaries between his own writing and the writing of his stereotypically conceived rival, the epicist.“ In Properz’ Monobiblos wird erstmals in einer ganzen Gedichtsammlung konsequent die hellenistische Trope umgesetzt, dass ein Dichter bzw. seine poetische persona „tue, was sie beschreibe“, und darum mit den Themen ihrer Dichtung gleichgesetzt wird: s. etwa DeBrohun 2003, 2: „Throughout his poetry, Propertius favors dramatization over exposition as his method of presentation.“ Cf. auch Kennedy 1992, 91 und ibid. 81: „not only can the distinction between life and letters be dissolved, but also that between erotics and aesthetics.“ Kennedy 1992, 24.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch Wie ich es gewohnt bin, treibe ich meine Liebesaffären/-dichtungen, und suche etwas [sc. ein Gegenmittel] gegen die harte Herrin. Nicht so sehr meinem Talent als meinem Schmerz zu dienen bin ich gezwungen, und die harten Umstände meines Lebens zu beklagen. Auf diese Art vertreibe ich mir mein Leben, dies ist mein Ruhm; ich will, dass mein Gedicht sich dadurch einen Namen macht.

„Schmerz“ (dolori) und „Talent“ (ingenio, 7),68 Leben und Schreiben sind hier nicht mehr zu unterscheiden, auch wenn der Sprecher ostentativ dem Liebesleiden zu dienen vorgibt: Das „Klagen“ (queri, 8) ist ein elegisch, gattungspoetologisch besetztes, die fama (9, mit der vita in diesem Vers parallel zu lesen) wie auch das nomen carminis (10) sind rezeptionsästhetische Kategorien. Die Semantisierung der Gattung Elegie findet in solchen Passagen statt: Elegisch zu schreiben heißt danach auch, ein ganz bestimmtes, weltabgewandtes Leben zu führen, was stets in Gegenstellung zur vita activa in der Politik und auf dem Schlachtfeld geschieht, die in epischen Dichtungen beschrieben werden. Die sechste Elegie der Monobiblos, an der ich in aller Kürze die Herausbildung der kodierten Form zeigen möchte, ist eine Variation des Propemptikon, des antiken Abschiedsgedichts. Tullus, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt (und sich stets im imperial-expansiven Raum Roms aufhalten wird, cf. 34 accepti pars eris imperii, „du wirst Teil des aufgenommenen Reiches sein“) und ganz im Sinne seiner Vorfahren und deren Ehrenkodex handelt, in diesem Fall nach militärischen Leistungen strebt, wird nach Griechenland und Kleinasien verabschiedet. Der Sprecher selbst kann nicht mit ihm reisen: Cynthias Liebeszwang hält ihn in Rom fest (1.6.5): sed me complexae remorantur verba puellae („aber mich halten die Worte des Mädchens fest, das mich umarmt hat“). Das Gedicht ist als Gegenüberstellung der beiden fiktiven Gesprächspartner Tullus und ego aufgebaut, was die häufigen Personalpronomina in der ersten und zweiten Person Singular verdeutlichen (und am stärksten at tu in Vers 31 gegen Ende des Gedichts). Die beiden Freunde, die so durch Cynthia getrennt werden, verkörpern eine Polarität von Liebe gegenüber dem Militär: Auf Tullus’ Seite steht die armatae cura ... patriae (22, „die Sorge um das bewaffnete Vaterland“; das Distichon 21 f. enthält das oppositive Wortspiel mit amori und armatae). Auf der Seite des Sprechers stehen dagegen die labores, „[Liebes-]Mühen“, die puer iste, also Amor bringt (23), sowie ein gesellschaftliches Randddasein in „ewiger Nichtsnutzigkeit“ (26 aeternae ... nequitiae). Die Synthese der beiden Positionen bringt das Distichon 29 f. – ein zentrales Verspaar für meine Herleitung der elegischen Form, letztlich auch der Form der Fasti: non ego sum laudi, non natus idoneus armis: / hanc me militiam fata subire volunt („ich bin nicht für Lob geboren, nicht geeignet für Waffen: das Schicksal will, dass ich diesen Kriegsdienst, auf mich nehme“). Diese Verse entwickeln, soweit wir wissen, zum ersten Mal in der römischen Elegie das Motiv der militia amoris, das die Opposition von Liebesdienst und Militärdienst zuguns-

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S. zu diesem Motivkomplex bei Properz Baar 2006.

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ten der Liebe, eben der nequitia des Elegikers, auflöst. Die „Eignung für die Waffen“ (29 idoneus armis) spricht sich ego in einer recusatio im Kleinstformat selbst ab – es sei dieser „Kriegsdienst“ (30 militia), nämlich der der Liebe, zu dem man sich bekenne. Die militia wird damit semantisch neu belegt und gleichsam auf die Seite der Liebesleids und des elegischen Dichtens gezogen.69 In den Elegien 2.14 und 3.4 etwa, die den bevorstehenden Triumph über die Parther feiern, aber den elegischen Liebhaber in der Zuschauerrolle zeigen und seine Kriege und Triumphe glücklich auf die Sphäre der Liebe beschränken, sieht man ebenfalls diese elegische Annäherung an die augusteischen Werte, die aber für die Konstruktion einer privaten Welt instrumentalisiert werden: „That private world is both an antithesis to the public world and is linked to it by the same, if differently adapted, concepts.“70 In Ovids Frühwerk werden diese Schreibweisen der Elegie aufgegriffen: Die angesprochenen formalen Leitgegensätze der Gattungen sind schon in den ersten Amores-Gedichten als eine auch semantisch funktionale, eng zusammenhängende ‚Einheit der Differenz‘ verinnerlicht. Wie der frühe Ovid mit dem schon etablierten elegischen Wertecode umgeht, wird etwa deutlich aus dem Gedicht Amores 3.8, das in einer kulturkritischen Passage zurück ins Goldene Zeitalter blickt und gleichsam die Entstehung des elegischen Codes aus der sollertia, der Ausweitung des Kulturraums und der Kulturtechniken erklärt (Am. 3.8.35 f.; 41–9; 53–60): at cum regna senex caeli Saturnus haberet, omne lucrum tenebris alta premebat humus. [...] nec valido quisquam terram scindebat aratro, signabat nullo limite mensor humum, non freta demisso verrebant eruta remo; ultima mortali tum via litus erat. contra te sollers, hominum natura, fuisti et nimium damnis ingeniosa tuis. quo tibi, turritis incingere moenibus urbes? quo tibi, discordes addere in arma manus? quid tibi cum pelago? terra contenta fuisses! [...] eruimus terra solidum pro frugibus aurum. possidet inventas sanguine miles opes. curia pauperibus clausa est. dat census honores; inde gravis iudex, inde severus eques! 69

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Cf. Galinsky 1996, 272: „The military metaphor became a popular one in Augustan elegy and was accompanied by an efflorescence of similar appropriations. [...] Similar adaptations involve themes such as the Parthian Wars and the condemnation of vices like luxuria and avaritia.“ Ibid. 275.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch omnia possideant; illis Campusque forumque serviat, hi pacem crudaque bella gerant. tantum ne nostros avidi liceantur amores, et, satis est, aliquid pauperis esse sinant! Aber als der greise Saturn das Reich des Himmels innehatte, drückte der tiefe Erdboden allen Reichtum mit seiner Finsternis. [...] Niemand spaltete die Erde mit dem starken Pflug, der Feldmesser bezeichnete den Boden mit keiner Grenze, man durchstrich das aufgewühlte Meer nicht mit herabgesenktem Ruder; damals war für Sterbliche die Küste der äußerste Wegesrand. Gegen dich selbst warst du kunstfertig, menschliche Natur, und zu deinem Schaden allzu begabt. Wozu diente es dir, Städte mit turmbewehrten Mauern zu umgeben? Wozu diente es dir, zwieträchtige Hände an die Waffen anzulegen? Was hast du mit dem Meer zu schaffen? Wärst du mit der Erde zufrieden gewesen! [...] Wir graben aus der Erde festes Gold statt Ackerfrüchte; der Soldat besitzt mit Blut erworbenen Reichtum; die Kurie ist den Armen verschlossen. Vermögen verschafft Ehren; dadurch ist der Richter bedeutsam, dadurch streng der Ritter! Mögen sie alles besitzen; jenen möge das Marsfeld und das Forum dienen, diese sollen den Frieden und grausame Kriege führen. Dass sie nur nicht gierig auf meine Liebesaffären bieten und, das ist genug, zulassen, das etwas dem Armen gehört.

Während der Herrschaft Saturns gab die Erde alles von sich aus (35 f.), es gab weder Bedarf für den Pflug (37) noch für die Einteilung der Felder: signabat nullo limite mensor humum, als noch keine Teilung des Bodens – wie auch der gesellschaftlichen Bereiche, kann man im Sinne der folgenden Verse hinzufügen, und der Werte Tugenden von den Lastern, des Krieges von friedlichen Tätigkeiten – stattgefunden hatte oder nötig war: Wir erinnern uns an Kap. 3.2.5, wo Terminus genau diese Funktion übernehmen musste, und friedliche Einteilung und Begrenzung ein Zeichen von Kultur war. Im Goldenen Zeitalter geht man zudem nicht über natürliche Grenzen wie die Küste hinaus (44), es herrscht Einheit, man könnte auch sagen: die Einheit der Differenzen. Diese Einheit wird durch die sollers natura zerbrochen (45 f.), so das kulturpessimistische Narrativ, und die kodierte, axiologische Form entsteht: arma bringen discordia (48), die Grenzen des Landes werden durch die Seefahrt überschritten (49), die Gier nach Bodenschätzen pervertiert die Arbeit auf dem Feld (53) – die Idee von Reichtum entsteht, wofür Soldaten blutige Waffen führen (54). Die Formulierung in Vers 49, quid tibi cum pelago?, kennen wir schon aus den Fasti: nil mihi cum bello, sagte Janus in Vers 1.253, und Mars wurde in Vers 3.3 die Frage in den Mund gelegt, quid sit cum Marte poetae: So wird eine Überschreitung der Grenzen von (Zuständigkeits-)Bereichen ausgedrückt, die auch oft ins Poetologische hineinreicht. Die Zuspitzung auf eine klare Polarität von reich und arm wird ab Vers 55 deutlich: Dabei wird honor, ein zentraler Begriff für die elegische Axiologie (s. unten), nur noch nach Besitz verliehen. Der Elegiker überlässt daher den Reichen, gleichzeitig aber auch Anmaßenden und von Blut Besudelten das Feld der gesamten Gesellschaft, ob in Krieg oder Frieden. Reiche Soldaten, die im fernen Ausland Beute machen, sind

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

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stets Kontrastfiguren und Rivalen des elegischen Liebhabers:71 Eine Kodierung von ‚Krieg, Reichtum, verlorener Liebe‘ vs. ‚(gelehrter) Dichtung, Armut, erwiderter Liebe‘ wird damit etabliert – die Wertung dieser beiden Seiten ist deutlich. Dem Sprecher in der Amores-Passage soll so einzig der Bereich der Liebe und damit – so die doppelte Bedeutung des Wortes amores – der Liebesdichtung bleiben, auch wenn er im Zuge dessen verarmen und ihm der Senat, ganz wie dem elegisch Liebenden das Haus der puella, verschlossen bleiben muss (57–60). Es ist bezeichnend, dass die Kulturentstehung hier noch durchgehend negativ bewertet wird und sowohl pax als auch bella auf der anderen Seite des Codes stehen. Das ändert sich in Ovids Werk spätestens mit den Fasti grundlegend, wo Kultur und Frieden sich gegenseitig bedingen, wo Venus zusammen mit einer Reihe anderer Göttinnen des vierten Buches Urheberin dieser Werte und der Kultur überhaupt ist und die Liebeselegie als Domäne der Venus ihre Rolle somit behaupten kann und gleichzeitig enorm ausweitet. Die Form der Fasti neigt zur Wiedervereinigung der Gegensätze, der Überbrückung der Opposition, und sieht die Herrschaft des Augustus (und des Germanicus, wie wir in Kap. 3.1 sahen) als Zeit der (und Zeit für) Kultur im Sinne von Intellektualität, Religiosität und Kunst. Man kann die Erneuerung des Goldenen Zeitalters in genau diesen vermittelnden Operationen der Fasti festmachen – sie ist die Umkehrung der Spaltung, die in der eben besprochenen Passage inszeniert wird und in der kodierten elegischen Axiologie resultiert. Da Ästhetik und Gesellschaftsbild, wie wir nun an mehreren Stellen gesehen haben, oft in ein und derselben Passage thematisiert werden, gilt dies eben auch für Ovids Darstellung der römischen Gesellschaft. An anderer Stelle in Ovids frühem Werk, in den Versen 2.273–86 der Ars, wird die von den Vorgängern etablierte Leitdifferenz genutzt und der Leitcode des ersten properzischen Gedichtbuchs gleichsam noch einmal ausbuchstabiert, aber im gleichen Zuge umgekehrt: Reichtümer sind nun doch mehr wert als Gedichte, konzediert das Distichon 275 f. Ein Homer, d.h. ein epischer Dichter, werde ohne Geschenke bei den Mädchen nichts erreichen (279 f.). Aber ein gelehrtes weibliches Publikum, wenn auch selten (281 doctae, rarissima turba, puellae), sei dennoch mit Gedichten zu beschenken und so zu erobern. Das vigilatum carmen (285), an dem in der durchwachten Nacht gefeilt wurde, führt im Zusammenspiel von gebildeter, sorgfältiger Produktion und kultivierter Rezeption doch zum Erfolg des Werbens – und damit auch des Gedichts bei seiner Zielgruppe (273–8): quid tibi praecipiam teneros quoque mittere versus? ei mihi, non multum carmen honoris habet. carmina laudantur, sed munera magna petuntur: dummodo sit dives, barbarus ipse placet. 71

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S. etwa Prop. 1.8B.37 f., wo Cynthia zugunsten des Liebhabers in Rom bleibt und die Reise ins Ausland, dem reichen Soldaten hinterher, doch nicht antreten wird. S. Vers 45 im selben Gedicht für die rivalis amores. Cf. Schwindt 2005, 4: Ortswechsel ist in der Elegie von Übel.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch aurea sunt vere nunc saecula: plurimus auro venit honos: auro conciliatur amor. Warum sollte ich dich darin unterweisen, auch zarte Verse zu versenden? Weh mir, einem Gedicht wird nicht viel Ehre erwiesen. Gedichte werden gelobt, aber große Geschenke verlangt: Solange er reich ist, gefällt noch ein Barbar. Wahrlich herrscht nun das Goldene Zeitalter: Am meisten Ehre kommt dem Gold zu – mit Gold wird die Liebe versöhnt.

Der elegische Code, der bei Properz und in Am. 3.8 noch wertend zwischen materiellen Geschenken und Gedichten trennte, trennte auch zwischen Kultur und Barbarei. In der Liebeslehre wird diese dennoch gutgeheißen, wenn sie Reichtümer im Gepäck hat (276), und wird so auf die Seite des akzeptierten Wertes genommen: Kultur als Wert wird relativiert. Das semantische Spiel mit den aurea saecula,72 nämlich das Konkrete (das materielle Gold) für das Abstrakte (das metaphorisch–metallurgische Deszendenzmodell der Zeitalter) einzusetzen, ist ebenfalls Arbeit an der Überblendung der axiologischen Gegensätze, die in Am. 3.8 nach dem Verlust des Goldenen Zeitalters erst entstanden waren: Nun bringt Gold, was der elegisch Liebende ersehnt, es wirkt sogar „versöhnend“ (278), schafft Einheit – was sonst gerade dem mythischen Zeitalter vor der Entdeckung des Goldes vorbehalten war. Umgekehrt werden Gedichte als Geschenke bzw. als Ersatz für Reichtum akzeptiert (286 exigui muneris instar), wenn sie gelehrt und verfeinert geschrieben sind. Dies ist die axiologische Aufteilung von materiellen wie ideellen Dingen nach einem Code, die in dieser Passage am wertenden honor (den Gedichten in Vers 274 zunächst abgesprochen; in Vers 278 in seinem Wert noch verstärkt durch die archaisierende Form mit auslautendem s) besonders deutlich gemacht wird.73 Die Bekenntnisse zur Berufung eines Dichters, zum Dichten als Tätigkeit vor allen anderen sind wie bei Tibull (s. Kap. 4.2 zu dessen erster Elegie) auch bei Ovid allfällig anzutreffen, wie etwa in Ars 3.541 f.: nec nos ambitio, nec amor nos tangit habendi: / contempto colitur lectus et umbra foro („weder Ämterehrgeiz noch Habsucht interessiert mich: das Forum wird verschmäht, Bett und Schatten werden gepflegt“). In diesen Passagen bekräftigt der Elegiker seinen Platz im selbst erstellten Wertecode und stellt sich immer wieder klar auf die Seite und die Orte der Dichtung, die klein, gefeilt und damit gelehrt sein muss, was Abkehr von gesellschaftlich akzeptierten Aufgaben und finanziellem Wohlstand impliziert. Schönheit als ästhetischer Wert der Elegie wird hier hervorgehoben, aber auch Erkenntnis als didaktischer Wert der Lehrdichtung. 72

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Vermutlich steht auch Augustus’ diskursive Adaption dieses Konzepts im Hintergrund dieses Distichons. S. etwa Zanker 1990, 171–95. Oft wird dieser honor von Ovid als Instrument zur Setzung von Werten gebraucht, findet sich auch zuvor schon bei Vergil und gibt dort ebenfalls bestimmten Dingen oder ganzen Gesellschaftssphären den Vorzug vor anderen: cf. honos für landwirtschaftliches Gerät in Aen. 7.635 f.

Elegische Axiologie: Die Herausbildung der kodierten Form

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An solchen Stellen deutet sich eine Durchlässigkeit der Grenzen des Codes an: Die beiden Seiten der Opposition können nun umbesetzt werden. Ovid geht gerade in den Fasti damit noch weiter – und wie das Interesse an den römischen causae lässt sich auch das vereinzelt schon im vierten Buch des Properz finden:74 Mit jeder Setzung der Gegenseiten einer elegischen Gattungspoetik sowie der gesellschaftlichen Werte und Rollen, die im gleichen Zuge angesprochen werden, ist auch ihre Transgression und somit eine Auflösung der Gegensätze impliziert. Diese Umbesetzungen des Codes sind für die späte Elegie charakteristisch, die seit Properz’ drittem Buch (s. etwa Gedicht 3.4) und vollends mit dem experimentellaitiologischen vierten Buch im Begriff ist,75 die Leitunterscheidung der Gattungen umzubauen und – immer noch in Absetzung von den gesellschaftlich dominanten Werten und von den arma des Epos – den elegischen amor mitsamt seiner Geliebten durch kallimacheische Aitien, arateische Astronomie und augusteische Kulte (sacra) zu ersetzen: Laut Jeri DeBrohun entsteht so ein „hybrider Diskurs“ der Elegie.76 Diese Entwicklung in der kurzen Lebensdauer der römischen Elegie ist als Öffnung gegenüber des neu etablierten Regimes und Staatsmodells beschrieben worden:77 Als aitiologische Elegie adressieren einzelne Gedichte des Tibull (bes. die Parilia-Elegie 2.5) und eine Mehrzahl in Properz’ vierten Buch sowie am konsequentesten Ovids Fasti die kulturellen Erneuerungen des Augustus und weben, nicht ohne die charakteristischen Brechungen der Elegie, mit an der antiquarisch informierten neo- und pseudorepublikanischen Identität Roms. Der Bruch mit der genuin elegischen Rhetorik des ausschließlichen Lebens und Schreibens wird poetologisch in Properz’ viertem Buch ausgehandelt, um den Horizont der Gattung zu erweitern.78 So wird die traditionelle Liebeselegie mit einer neuen, literarischen Arbeit an der gelehrten, antiquarischen und politisch zugewandten 74

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S. etwa die auch gattungspoetologisch zu lesenden Bilder am Eingang der Elegie 4.6, in den Versen 3–8: serta Philiteis certet Romana corymbis, / et Cyrenaeas urna ministret aquas. / costum molle date et blandi mihi turis honores, / terque focum circa laneus orbis eat. / spargite me lymphis, carmenque recentibus aris / tibia Mygdoniis libet eburna cadis. S. Hutchinson 2006, ad loc. Properz’ Gedicht 4.1, zumal Horos’ zweiter Teil in den Versen 71–150, der den poeta weg von der im ersten Teil angekündigten aitiologischen Elegie zu seiner ureigenen Liebeselegie zurückrufen will (s. nur die Verse 135–8, die die Figur der militia aufgreifen: at tu finge elegos, fallax opus: haec tua castra! / scribat ut exemplo cetera turba tuo. / militiam Veneris blandis patiere sub armis, / et Veneris Pueris utilis hostis eris) ist als „recusatio to end all recusationes“ bezeichnet worden (Pillinger 1969, 174) – denn sie scheint das aitiologische Projekt abzulehnen, um es im Verlauf des Buches dann (neben einigen Liebeselegien im engeren Sinne) mit größtem Eifer zu verfolgen. DeBrohun 2003, 26. S. neben DeBrohun 2003 auch Hinds 1992 und Fantham 1998. Cf. DeBrohun 2003, 8 f.: „On the one hand, the exploration of the origins of Rome’s institutions provided a unique opportunity for Propertius to retain his elegiac lenity and his proclaimed model [sc. Kallimachos] while making his own contribution to the contemporary poetry that was attempting to define the national character of Rome under

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Kultur verquickt. In diesem Feld steht die Kalenderexegese der Fasti, die dies besonders auch als formale Arbeit begreifen.

4.4

Die Form der Fasti Ovid never ceases in his writings [...] to be interested in questions of pure literary form; and it is right that modern criticism should offer some unashamed formalism in response.79

Auch die Begründung der Werturteile über den Kalender und die Schritte in seiner Geschichte in den Fasti kann man untersuchen, indem man von einer literarischen Leitunterscheidung, einer ‚Form der Fasti‘ ausgeht: Als ‚Form des Janus‘ habe ich sie in ihrem binären, jedoch dialektischen Charakter schon in Kap. 4.1 beschrieben und ihre Herleitung im letzten Abschnitt skizziert. In Ovids Text gibt es einen funktional zu betrachtenden, semantischen Verweisungszusammenhang, der sein Gedächtnis in den Gattungskonventionen wie auch in den literarisch ausgeformten Aufnahmen von Mythen und historischen Ereignissen hat. Das spezifische Potential des literarischen Kalenderkommentars entsteht durch eine Motivierung, die dem poetischen Prinzip enger verpflichtet ist als Referenzen auf ‚Tatsachen‘, und die eine eigene Sinnebene kreiert. Die Wertung der Kalenderkonstitution und des Ordnungsmusters des Jahres liegt also letztlich in der literarischen Form, d.h. in den (für Innovation offen und flexibel verstandenen) Gattungskonventionen der lateinisch-hellenistischen Dichtung, und in den Ovids Werk eigenen Schreibweisen und Verfahren. Diese Gattungskonventionen bringen Formverfahren und ästhetisch begründete Präferenzunterscheidungen mit sich: Solche groß angelegten Werturteile über Kriegsführung gegenüber Kulturförderung finden wir in den Fasti auf allen Ebenen. So auf der (buch-)strukturellen Ebene: Das ‚epische‘ MarsBuch 3 steht, mit all den Brechungen und Vermittlungsoperationen zwischen den beiden Seiten des Codes, die ich in Kap. 3.2.4.2 aufgezeigt habe, dem ‚elegischen‘ Venus-Buch 4 gegenüber: arma vs. alma (s. Kap. 3.2.4.3). Zudem auf der metapoetisch-expliziten Ebene: Deutlich sieht man dies eingangs am schon zitierten Distichon 1.13 f., Caesaris arma canant alii: nos Caesaris aras / et quoscumque sacris addidit ille dies, das als Kleinst-recusatio die Gattungsopposition zwischen

79

the emerging principate of Augustus. [...] On the other hand, the aetiological focus of Book 4 also enabled the poet to revisit the ‚original‘ characters, themes, and concerns of his amatory elegy even as he employed them in a novel context. [...] Moreover, because Proportion elegy’s new national purpose contrasted starkly with its own amatory origins, Propertius also retained the oppositional nature of his elegy, now viewed from a very different vantage point.“ Hinds 1992, 111. S. auch Schmidt 2003, Kap. 5 (S. 57–60): „Die augusteische Literatur als ‚ihre Zeit, in literarische Form gebracht‘: Reflexion der Gegenwart, neues Geschichtsbewusstsein, neues Selbstverständnis römischer und individueller Identität.“

Die Form der Fasti

215

Epos und erweiterter, „hybrider“ aitiologischer Elegie am Kontrast von alii und nos gleich zu Beginn des Werks eröffnet. Die arma Caesars stehen für den Inhalt Inhalt einer episch-panegyrischen Dichtung, die Ovid so nicht schreiben wird, und die Leistungen des Caesar werden in Form von „Altären“ und „Heiligtümer“ oder „religiösen Festen“ gepriesen werden – erst einmal ist also von religiöser Dichtung die Rede, die der Leser in der Form des aitiologischen Kalenderkommentars (so war es in den beiden ersten Versen im Ausdruck tempora cum causis angekündigt worden) von den Fasti erwarten solle. So ist das doppelte Gegensatzpaar, das sich aus der Metonymie von Inhalt des Gedichts (militärische vs. religiöse Leistungen) und seiner Form oder Gattung (Epos vs. aitiologische-religiöse Elegie) ergibt, zu verstehen. Auch auf der motivlich und symbolisch-impliziten Ebene kommt die Form des Codes zum Tragen: Janus und Terminus sind zwei solcher Symbole, ins Bild gesetzte Form. In der ovidischen Darstellung der bruma des Janus, die ich in ihrer formalen Kontur schon mit Janus enggeführt habe (Kap. 3.2.2), ist die Übertragung der Form einer ‚Einheit der Differenz‘ am Übergangspunkt zwischen zwei Jahreszyklen, einer wie der Januskopf symmetrisch gedachten ‚Jahresschwelle‘, auf die Erklärung des Ordnungsmusters des Jahres geleistet: Die Wissenspoetologie der Fasti scheint dieses Muster gleichsam aus ihrer eigenen Poetik heraus zu erklären. Auch Terminus steht als der „Begrenzer“ an einer Schwelle des alten Jahresendes und -anfangs; seine dem Janus so ähnliche Form wird in der FastiPassage jedoch vor allem als Garant für eine räumliche Stabilität der Kultur verstanden (s. Kap. 3.2.5). In Kapitel 3.1 habe ich außerdem die verschiedenen Ebenen des Effekts der Form in Ovids Darstellung der Kalenderkonstitution herausgearbeitet: Romulus’ ratio sei eine militärische gewesen, die eine Ausrichtung des Ordnungsmusters des Jahres am intellektuellen (als kultureller Wert ausgewiesenen) Bereich der Astronomie nicht zugelassen habe. Dies geht mit der (kodierten) Zeichnung der frühen Römer als kriegerisches, kulturloses Volk, bei Ovid wie auch etwa bei Livius oder Verrius Flaccus, einher. Dennoch, wie wir ebenfalls schon in Kap. 3.1.3 gesehen haben, tritt auch Romulus im vierten Buch der Fasti als antiquarischer Kalenderforscher auf, der im Sinne der Deutung der April-Etymologie seine Genealogie auf Mars und Venus zurückführt und darum März und April zu seinem ersten Monatspaar macht – auch Romulus kann auf die andere Seite der Unterscheidung treten, und dieses Übertreten der Grenze wird in den Fasti in vielen anderen Passagen, an anderen Figuren und Szenen immer wieder als Vermittlungsoperation realisiert. Diese polarisierende Ausdrucksweise und Ordnungstendenz charakterisiert Ovids Text im Kern. Sie fungiert als „Zuordnungsvorschrift“,80 die auf wechselnden

80

S. dazu Erdbeer 2001, 84 f.: „Ins Spiel gebracht wird [...] der dynamische, informationsästhetische Begriff des Codes, der es ermöglicht, von der mehrfachen Kodierung der Verfahrensphänomene (und des Textes selbst) zu sprechen. Umgekehrt kann der Begriff Verfahren auch – im Sinne einer ‚Zuordnungsvorschrift‘ – als Terminus für die prozessuale Textkodierung (‚text-processing‘ im direkten Sinn) verstanden werden; das

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Ebenen semantische Gegensätze herstellt und den Diskurs sei es zur Gattungspoetologie, sei es zur Kalenderkonstitution kodiert. Umberto Eco hat im Anschluss an die strukturalistisch-formalistische Tradition eine begriffliche Klärung solcher ästhetischer Codes geleistet, wie ich sie in den Fasti lese (Eco 1982, 410 f.): In dem Maße, in dem die Botschaft komplizierter wird, stellt sich die Autoreflexivität ein, wenn sich auf jeder Ebene die Lösungen nach einem homologen Beziehungssystem gliedern. Das Spiel der Differenzen und Oppositionen auf der rhythmischen Ebene gleicht dem der Oppositionen auf der Ebene der konnotierten Signifikate, der Entfaltung der angeführten Ideen usw. Was heißt es, von der Einheit von Inhalt und Form in einem gelungenen Werk zu sprechen, wenn nicht, dass dasselbe strukturale Schema die verschiedenen Organisationsebenen beherrscht? Es etabliert sich eine Art Netz von homologen Formen, das den besonderen Code dieses Werks bildet. Dieser ist die Regel der Operationen, die darangehen, den vorher bestehenden Code zu zerstören, um die Ebenen der Botschaft zweideutig zu machen. Die stilistische Kritik lehrt, dass die ästhetische Botschaft sich im Verstoß gegen die Norm verwirklicht. [...] Dieser Verstoß gegen die Norm ist nichts anderes als die zweideutige Strukturation bezüglich des Codes: Alle Ebenen der Botschaft verletzen die Norm nach derselben Regel. Diese Regel, dieser Code des Werks, ist von Rechts wegen sein Ideolekt.

Die immer wiederkehrende Regel, der „Ideolekt“ der Fasti, besteht eben in der Polarisierung und Zuordnung von Diskurselementen nach dem Schema von einerseits den arma, der Kriegsführung, und dem Epos als ihrem Medium, und andererseits der ‚Kultur‘ im weitesten Sinne: der Astronomie, der Kalenderforschung, der Dichtung, der Religion. So können die Fasti als neu gebildetes System von Symbolen gelesen werden – als ein „sekundäres modellbildendes System“, wie Jurij Lotman das genannt hat, das auf die schon kodierte natürliche Sprache noch einmal ein ästhetisch kodiertes System legt.81 Auf diese Art erfolgt meiner Ansicht nach in sehr vielen Fällen die oben angesprochene Strukturierung des Wissensdiskurses in den Fasti. Im Folgenden werde ich dies weiter verfolgen und ein binäres Schema von ‚arma vs. Kultur‘ in den Fasti nachzeichnen, das freilich auf der Textebene viel komplexer verhandelt, in mehrere semantische Strukturen überführt und durchaus auch gebrochen und durchkreuzt wird. Urteile sind hier mit Werten verbunden, die einen gesellschaftlich-moralischen Grund haben, aber bei Ovid immer schon auf Distanz und als Gegenstand der literarischen Verhandlung gesehen werden,

81

bzw. die Verfahren eines Textes bilden selbst den textuellen Code.“ Den Begriff der ‚Zuordnungsvorschrift‘ nimmt Erdbeer von Nöth 1985, 179. Lotman 1986, 22 f. (Hervorh. d. Autors): „Die Kunst ist ein sekundäres modellbildendes System. ‚Sekundär im Verhältnis zur (natürlichen) Sprache‘ ist nicht nur zu verstehen als ‚die natürliche Sprache als Material benutzend‘. [...] Daher sind die sekundären modellbildenden Systeme (wie überhaupt alle semiotischen Systeme) nach dem Typ der Sprache gebaut.“

Die Form der Fasti

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zudem als semantisierte Gattungspoetologie im Hinblick auf ästhetische Präferenzen der Produktion zu lesen sind. Ovid schließt bekanntermaßen schon in den Amores immer wieder an das Motiv der militia amoris an (bes. in Gedicht 1.9, Militat omnis amans), bezieht sich aber im zweiten Proöm der Fasti noch einmal konkret auf die im letzten Abschnitt thematisierten Verse des Properz (1.6.29 f., non ego sum laudi, non natus idoneus armis: / hanc me militiam fata subire volunt), als er in einer kaum breiter angelegten, aber deutlicher geführten recusatio die gesellschaftliche Relevanz und gleichzeitig die generische Ausrichtung des Kalendergedichts bestimmt (Fasti 2.7–10): idem sacra cano signataque tempora fastis: ecquis ad haec illinc crederet esse viam? haec mea militia est; ferimus quae possumus arma, dextraque non omni munere nostra vacat. Ich besinge, noch der gleiche, die Heiligtümer und die im Kalender markierten Festzeiten: Wer hätte gedacht, dass von dort zu diesen Themen ein Weg bestünde? Dies ist mein Kriegsdienst; ich trage die Waffen, die ich schultern kann, und meine Rechte ist nicht frei von jeder Aufgabe.

Laut Stephen Hinds wird an solchen Stellen der Fasti ein „collapse of the said opposition [sc. zwischen den Gattungen Epos und Elegie] in the common conceit of the militia amoris“ erreicht, „which sees the reintroduction by the back door, as it were, of epic themes and martial vocabulary – to describe, precisely, the elegist’s life of love.“82 In dieser Passage wird zusätzlich die entscheidende Bewegung der späten Liebeselegie, nämlich insgesamt weg von der Liebe, explizit – im semantischen Spiel mit dem Topos der militia lässt diese Figur die zwei grundlegenden Pole der Liebesdichtung gleichsam ineinander aufgehen: nämlich einerseits im Staatsdienst verantwortungsvoll geführtes, gesellschaftlich anerkanntes Leben und andererseits in Nichtsnutzigkeit und erotischem Wahn vertanes, aber künstlerisch produktives Leben. Der Militärdienst kommt nun an der Liebe doch zu seinem Recht – aber eben nur an der Liebe. Man kann diese Figur als ‚Wiedereintritt‘ oder reentry des abgelehnten Codewerts (sc. arma und Kriegsdienst) zurück in die

82

Hinds 1992, 92. Cf. zu diesem Gestus und der poetologischen Orientierung der Fasti als aitiologische Elegie: Hinds 1992, 113–24; Barchiesi 1997, 111, 175 f.; Gee 2000, 21–65; Pasco–Pranger 2002, Green 2004, ad 1.29 f. S. auch Conte zu dieser Stelle der Fasti (1992b, 120): „The Fasti are practically obsessed with their own generic status: the poet asks himself to what extent elegy can sustain themes of heroic, hexametric song. [...] What had been the hesitation of Propertius 4.1 thereby becomes the open exhibition of the problem: indeed, genre and the difference among the genres become spectacle. Every new text, as it unfolds, justifies its own relation with the system of literary genres, which it simultaneously takes as norm and evades.“

218

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Seite des affirmierten Wertes der Liebe hinein beschreiben; diese reflexive Operation sieht Niklas Luhmann in seinen Analysen der modernen Gesellschaft immer wieder am Werk.83 Diese im Grunde logische Operation, von den Elegikern für die Aneignung der im gesellschaftlichen Diskurs dominante Semantik durch die Kunst gebraucht, zeigt, wie die als eng zusammengehörig empfundenen Gegensatzpaare – Militär und Liebe – einander angenähert werden und der polare Code sich auflöst, weil Vermittlungs- und Übernahmeversuche stattfinden. Die militia des Elegikers an den Waffen, die er schultern zu können angibt, ist bei Ovid also kein Liebesdienst mehr, sondern ein anderer: ein Dienst an der Gesellschaft und an Augustus. Daran wird die veränderte generische Ausrichtung der Fasti ins Bild gesetzt. Dass im römischen Kalender und damit auch in Ovids Text über ihn nun nicht nur Religiöses vorkommt, sondern auch Feste der Landwirtschaft, Tempelstiftungs- und Tempeleinweihungsfeste sowie politische und historische Gedenktage hinzukommen, und in Ovids Version noch astronomische und meteorologische Notizen eingefügt werden, erweitert das Feld dessen, was gegenüber Kriegstaten und Epik in der aitiologischen Elegie so hoch bewertet wird. Mein Vorschlag für dieses übergreifende Konzept verschiedener Gesellschafts- und Wissensbereiche ist, was erst einmal schlicht klingt: der Begriff der ‚Kultur‘, der all das umfasst, was in Friedenszeiten unter der Pax des Augustus möglich geworden ist. Auf dieses Konzept gehe ich im Zusammenhang mit verschiedenen modernen Bestimmungen des Kulturbegriffs erst im nächsten Abschnitt ein. Bleiben wir zunächst bei der Form der Fasti und den verschiedenen Figuren und Formulierungen, in denen sich diese Form – über die im dritten Teil schon betrachteten Passagen hinaus, aber oftmals auf diese verweisend – ausdrückt. Dies wird unweigerlich immer wieder in den komplexen Bereich dieses Konzepts hineinführen. Dass Ovid in den zeitlich etwa parallel geschriebenen Fasti und Metamorphosen Elegie und Epos gegeneinander ausspielt, ist seit Richard Heinzes Monographie von 1919 bekannt, und wurde in der Forschung, besonders seit dem Erscheinen von Stephen Hinds’ Buch von 1987, das wie Heinzes Studie die in beiden Texten vorkommenden Persephone–Geschichte auf ihre gattungsspezifischen Elemente untersucht, immer wieder thematisiert.84 Hinds drückt es in einem späteren 83

84

S. etwa Luhmann 2009, 166 f. sowie 80, wo er reentry als Begriff „des Wiedereintritts der Form in die Form oder der Unterscheidung in das, was unterschieden worden ist,“ definiert. Cf. Heinze 1919, 10: „Ovid hat in den beiden Redaktionen seiner Geschichte Beispiele zweier Typen der poetischen Erzählung, offenbar mit vollem Bewußtsein, einander gegenübergestellt. In der Metamorphosenerzählung herrschen starke aktive Affekte, jähe Liebe und jäher Zorn, in der Fastenerzählung weichere Empfindungen, schmerzliche Klage und Mitleid. In den Metamorphosen ist die göttliche Majestät der Personen geflissentlich gesteigert; in den Fasten wird die Gottheit vermenschlicht. Die Schilderung der Metamorphosen bevorzugt das Grandiose, die der Fasten das idyllisch Anheimelnde.“ Hinds relativiert Heinzes Thesen bes. zu den Fasti: „the poem’s generic self-

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Aufsatz zu den Fasti folgendermaßen aus (1992, 116): „In his programmatically advertised concern to keep the arma of martial epic from overrunning his elegy, the poet of the Fasti [...] also combats arma [...] by aligning himself with a more ambitious Alexandrian tradition of religious aetiology and astronomical poetry [...] whose version of poetic elevation is already poised between the genres of elegy and epic.“85 Die gattungsbezogene Zwischenstellung, die sich auf den verschiedenen Ebenen des Codes immer wieder zeigen lässt, lässt nämlich durchaus Episches zu: Wenngleich der oben beschriebene literarische Leitcode in Ovids Text für eine Gegenüberstellung von Krieg und Frieden benutzt wird, für eine polare Trennung von expansiv ausgerichteter, auf militärische Macht ausgelegte Staatsführung einerseits und Kultur im weitesten Sinne andererseits, bringen die Fasti einen weiten Begriff von Kultur gegenüber einer militärisch ausgerichteten Gesellschaft in Anschlag, der in seiner Anlage aber auch episch konnotierte politische, d.h. (militär)historische Leistungen als wichtiges römisches Gemeingut zulässt: Die Passage, in der Krieg und Waffen des Augustus am deutlichsten affirmativ zur Beschreibung kommen, ist die zum Tempelgründungstag des Mars Ultor am 12. Mai (5.545–98). Hier sind es die pia arma (569) des dux sowie der miles iustus (571), die in der Schlacht bei Pharsalus und bei der (wenn auch diplomatischen) Rückgewinnung der Feldzeichen von den Parthern die römische Sache entscheidend gefördert haben, woran der Marstempel erinnern soll. 86 Im Hintergrund steht die Selbstdarstellung des Augustus mit einer der Kardinaltugenden, die auf dem clupeus virtutis (neben virtus selbst, clementia und pietas) zu sehen sind: der iustitia.87 Die Bezeichnung der arma als „fromme“ und „gerechte“ stellt eine Transgression der Leitunterscheidung, die wir in leicht zu unterscheidender Art und Weise schon am Beispiel des Mars in Buch 3 gesehen haben (s. Kap. 3.2.4.2): Dort musste der Kriegsgott seine Waffen ablegen, um am Erklärungsreigen der Fasti teilnehmen zu dürfen, wurde also gleichsam entschärft, depotenziert oder ‚deformiert‘ wie die „frommen Waffen.“

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consciousness is expressed not just in observance but also in creative transgression of the expected bounds of elegy“ (1987, 117). Laut Hinds werden in den Metamorphosen ihrerseits die Grenzen zwischen den verschiedensten Gattungen „crossed and recrossed as in no poem before“(121). Cf. Aresi (2021, 57) zum Thema, mit der treffenden Bemerkung zu dieser Forschungsdebatte: „Der von Heinze identifizierte und von Hinds entschärfte Dualismus zwischen Elegie und Epos bildet tatsächlich die Säule von Ovids Gesamtwerk.“ S. auch Barchiesi 1997, 19: „The Fasti is the Augustan poem that both dissociates itself most completely from arma and accounts for this dissociation and dislike most exhaustively.“ Zur Episode um den Tempel des Mars Ultor, s. Riedl 1989, die die Passage im Verbund mit anderen Stellen des Kaiserlobs in den Fasti liest und so zu einer v.a. panegyrischen Lesart gelangt; cf. außerdem Barchiesi 2002 (mit Zweifeln an der Panegyrik der Passage). Augustus wollte selbst nur gerechte Kriege geführt haben, so Res gestae 26.3: bellum pium et iustum. Cf. Galinsky 1996, 85.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Dennoch gibt es an vielen Stellen der Fasti eine klare Kodierung mit ebenso klarer Stellungnahme, welche Seite der Unterscheidung präferiert werde. Die Unterteilung sowohl von Themen der Dichtung als auch von Gesellschaftsbereichen findet sich in augusteischer Dichtung häufig am Motiv der Lebenswahl: In Horaz’ Ode 1.1, vielleicht dem bekanntesten lateinischen Gedicht dieser Art in der Form einer Priamel, positioniert sich der poetische Sprecher in klarer Gegenstellung zu anderen Berufen und Berufungen wie Wagenrennfahrer, Landwirt, Seefahrer, Kaufmann, Müßiggänger, Soldat oder Jäger (3–28). Ihnen wird zwar keineswegs das Existenzrecht abgesprochen wie in der Polemik der Elegie gegen den Rivalen (es ist eine neutrale Aufzählung: Vers 3, sunt quos; 19, est qui, u.a.) gegen die man sich aber doch deutlich abgrenzt (29–36): me doctarum hederae praemia frontium / dis miscent superis („mich wird der Efeu, die Belohnung der gelehrten Stirn, unter die oberen Götter mischen“). Die Opposition wird durch das Pronomen me in Anfangsstellung, das in den Versen 30 und 35 noch zweimal wiederholt wird, hergestellt. Bei den Elegikern ist die Lebenswahl dann ein Hauptmotiv, denn es ermöglicht die Verhandlung des Codes wie kein anderes:88 Auch die recusatio und die militia (wie auch das servitium) amoris fallen letztlich unter diese Rubrik. An Tibulls Elegie 1.1 wie auch an Properz’ Gedicht 1.6 (dort wird die Opposition ebenfalls durch Wiederholung der Personalpronomen tu/te und ego/te ausgedrückt) haben wir das in den letzten Abschnitten gesehen; es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele aufführen, wie etwa Properz’ dichterische Kommunikation mit Bassus in der Elegie 1.4, s. nur Vers 3 f.: quid me non pateris vitae quodcumque sequetur / hoc magis assueto ducere servitio? („warum duldest du nicht, dass ich mein Leben, was auch immer von ihm bleiben wird, in immer gewohnterer Sklavenschaft verbringe?“). In den Fasti ist diese Lebenswahl stark ins Ästhetische und in die immanente Poetik einer semantisierten Gattungsdiskussion hineingenommen, wie wir eben am zweiten Buchproöm in den Versen Fasti 2.7–10 gesehen haben. Die deutlichste Passage einer echten Synkrisis von Optionen der Lebensführung und eine klare Bewertung ist im ‚Lob der Astronomie‘ im ersten Buch zu finden und kann an so früher Stelle noch als programmatisch für das gesamte Werk gelesen werden (Fasti 1.295–310): quid vetat et stellas, ut quaeque oriturque caditque, dicere? promissi pars sit et ista mei. felices animae, quibus haec cognoscere primis inque domos superas scandere cura fuit! credibile est illos pariter vitiisque locisque altius humanis exseruisse caput. non Venus et vinum sublimia pectora fregit officiumque fori militiaeve labor; 88

300

S. Wenzel 1969 zur Lebenswahl als eines der „Hauptmotive“ der Dichtung des Properz.

Die Form der Fasti nec levis ambitio perfusaque gloria fuco magnarumque fames sollicitavit opum. admovere oculis distantia sidera mentis aetheraque ingenio subposuere suo. sic petitur caelum, non ut ferat Ossan Olympus summaque Peliacus sidera tangat apex. nos quoque sub ducibus caelum metabimur illis, ponemusque suos ad vaga signa dies.

221

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Was hindert, auch von den Sternen zu sprechen, wie jeder aufgeht und niedersinkt? Das soll auch ein Teil meines Versprechens sein. Glückliche Seelen, für die als erste es ein Anliegen war, dies zu erkennen und in die Behausungen dort oben hinaufzusteigen! Es ist glaubhaft, dass jene das Haupt gleichermaßen über die menschlichen Laster als auch über deren Lebensraum gehoben haben. Weder Venus noch der Wein brachen die hoch schwebenden Gemüter, noch die Pflicht des Forums oder die Mühe des Kriegsdienstes; auch nicht der leichtfertige Ehrgeiz und der mit Purpur gefärbte Ruhm. Sie holten die weit entfernten Sterne an die Augen des Geistes und unterwarfen den Himmel ihrem Talent. So wird der Himmel erstürmt, nicht indem der Olympus das Ossa-Gebirge trägt und der Gipfel des Peliongebirges die obersten Sterne berührt. Auch ich werde den Himmel unter deren Führung abmessen und die jeweiligen Tage zu den frei wandernden Sternbildern stellen.

Auch diese Passage hat die (leicht gelöste) Form einer Priamel: Die Aufzählung, was die Astronomen nicht tun bzw. wodurch sie sich von ihrer Sternenschau nicht ableiten lassen (301–4: Liebe, Trunksucht, Prozesswesen des Forums, Militär, Ämterehrgeiz/Politik, Reichtum),89 wird vom Makarismos (einer ‚Seligsprechung‘, 297–300) dieser Intellektuellen sowie der Affirmation ihrer Tätigkeit (307, sic ..., not ut) gerahmt, um dann den Abschluss der Form im nos quoque zu finden – hier also die Position des Sprechers an die Lebenswahl der Astronomen anschließend, nicht abgrenzend wie in der traditionellen Form. Die Kodierung, in die sich der aitiologische poeta damit einbezieht, ist sehr deutlich und lässt keine Überschreitung der Gegensätze zu; der Grund dafür mag neben dem programmatischen Charakter dieser Zeilen auch darin liegen, dass genau hier der Zuständigkeitsbereich der neuen Elegie ausgehandelt wird: Neben causae und sacra bzw. arae (Fasti 1.1 und 13) sind ihr Thema auch die stellae und signa (1.2). Der vita activa wird durchweg eine Absage erteilt wie in der früheren Elegie, allerdings auch der Liebe (Venus in Vers 301): Dies gibt eine Leerstelle auf der affirmierten Seite des Codes frei, die von der Astronomie besetzt wird. Gegen das Epos, das besonders im Distichon 307 f. metonymisch durch das kriegerische Unternehmen

89

Terminus, der beharrliche Gott der römischen Grenzen (s. Kap. 3.2.5), ist in dieser Hinsicht den Astronomen sehr ähnlich: Er ist ein (im Sinne der Fasti positiv) kodierter Gott, der sich von Ehrgeiz und Gold nicht verleiten lässt (2.661 f.): omnis erit sine te litigiosus ager. / nulla tibi ambitio est, nullo corrumperis auro.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

der Giganten (ein klassisches Thema heroischer Dichtung) bezeichnet wird,90 steht nun nicht mehr amor, sondern Erkenntnisdrang. Dieser Erkenntnisdrang ist durch die Formulierung in Vers 297 ganz deutlich jener der vergilischen Georgica (2.490): felix qui potuit rerum cognoscere causas („selig, wer die Ursprünge der Dinge erkennen konnte“) – die Seligsprechung der Aitiologen gleichsam, an die sich die Fasti als ursachenforscherisch angelegtes Gesamtprojekt anschließen können. Vergils Vers geht selbst freilich auf den lukrezischen Lobpreis Epikurs zurück (DRN 1.62–79), an das Ovids Lob der Astronomen sprachlich wie gedanklich ebenfalls eng angelehnt ist. Zudem nimmt einen großen Teil des fünften Buches von De rerum natura die Behandlung astronomischer Fragen ein.91 Durch den Aufruf der Sternenkunde reiht sich diese Passage also (neben der arateischen Tradition) in die römische Lehrdichtung ein: Die Debatte um die richtige Lebenswahl ist vollkommen mit der Debatte um das richtige Dichten und die Verhandlung passender poetischer Traditionen für die Fasti überblendet.92 Im Distichon 297 f. wird das Erkenntnisstreben der Astronomen als cura bezeichnet – als ihr „Anliegen“, ihre „Sorge“. In der Axiologie der Fasti ist dies ein Schlüsselwort (dazu gehört auch das Verb curare; die Wörter werden meist durch ein Genitivobjekt oder einen Infinitiv erweitert) und bezeichnet immer wieder, was ein Herrscher, eine Gottheit oder auch eine Gruppe von Menschen als seinen Tätigkeitsbereich erachtet oder in den sanften Suggestionen der Fasti erachten solle. Auch das stellt Optionen und Entscheidungen der Lebenswahl dar.93 Die cura ver-

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Cf. das Distichon Am. 3.8.49 f., das schon im letzten Abschnitt zitiert wurde: quid tibi cum pelago? terra contenta fuisses! / cur non et caelum, tertia regna, petis? Dort wird ein ebenso unrechtmäßiges Streben nach dem Himmel beschrieben. Als Gründe für den menschlichen Glauben an die Götter nennt Lukrez u.a. die Ordnung des Himmels (1183–5), die sich die Menschen ohne die Vorstellung des Göttlichen (noch) nicht erklären konnten; Vers 1185 ist die Negativfolie des vergilischen und damit auch des ovidischen Verses zur astronomischen „Erkenntnis“: praeterea caeli rationes ordine certo / et varia annorum cernebant tempora verti / nec poterant quibus id fieret cognoscere causis). Cf. dazu Wolkenhauer 2011, 36 f. Cf. Barchiesi 1997, 179: „It is as if the debate between literary genres has become an integral part of the question of what kind of life to choose: epic, war, and ‚active life‘ form a single entity.“ Zur Bedeutung der Astronomie für die Makrostruktur der Fasti, s. auch ibid. 75: „Astronomy seems to be projecting its own demands from on high on to the composition: the books in our possession [...] end in fact with the summer solstice and are divided into two equal halves by the spring equinox.“ In der Elegie vor den Fasti taucht dieses Wort an Stellen der Axiologie ebenfalls des Öfteren auf: cf. Tib. 1.1.57: non ego laudari curo (gegen Militär und vita activa); Prop. 1.1.33–6: nam me nostra Venus noctes exercet amaras, / et nullo vacuus tempore defit Amor. / hoc, moneo, vitate malum: sua quemque moretur / cura, neque assueto mutet amore torum (die eigene verwerfliche Lebenswahl gegen die cura der anderen, in stabiler Liebe Verweilenden); Prop. 1.8A.1 f.: tune igitur demens, nec te mea cura moratur?

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weist also in den Fasti auf den Wert der kodierten Leitunterscheidung, der präferiert werden sollte, für den man sich ‚Zeit nehmen‘ sollte (vacare, s. dazu unten). Ich betrachte cura im Folgenden als eine Art Supplementbegriff für ‚Kultur‘ in den Fasti.94 Wie wir in Kap. 3.1.2 schon sahen, nahm auch Julius Caesar sich Zeit für die Astronomie, als er die Kalenderreform zu seiner cura machte (3.115 f.): sed tamen errabant etiam nunc tempora, donec / Caesaris in multis haec quoque cura fuit („aber dennoch irrten auch nun [sc. nach Numas Reform] noch die Zeiten, bis unter vielen anderen Aufgaben auch dies Caesars Sorge war“). Wie die Astronomen habe er darin einen Weg gesehen, zum Himmel aufzusteigen (159 f.): promissumque sibi voluit praenoscere caelum / nec deus ignotas hospes inire domos („er wollte den ihm versprochenen Himmel schon vorher kennenlernen und als Gott nicht ein unbekanntes Zuhause wie ein Gast betreten“). Die Affirmation einer Vergöttlichung des Caesar trägt deutliche Züge alexandrinischer Panegyrik – ein kultureller, intellektueller Herrscher kommt nach dem Code der Fasti zu höchsten Weihen. So ist es auch in Fasti 2.55–66, wo der aitiologische Sprecher am 1. Februar feststellt, dass der Tempel der Iuno Sospita, einst an diesem Tag geweiht, verfallen ist (55–8). Das zweite große Thema der Fasti neben den signa der Astronomen, nämlich die sacra oder arae, ist an dieser Stelle als die cura des Prinzeps bezeichnet, und Augustus’ Tempelrestitution wird als Bewahrung der Kultur gewürdigt (59 f.): cetera ne simili caderent labefacta ruina / cavit sacrati provida cura ducis („dass nicht weitere [sc. Tempel] in ähnlichem Verfall niedersinken und zusammenstürzen würden, verhütete die vorausschauende Sorge des geheiligten Anführers“). Wieder geht damit höchstes Lob einher, wieder Gleichstellung mit den Göttern: Es solle ihnen eine „wechselseitige Sorge“ sein (64, sit superis opto mutua cura tui), ihm lange Lebensjahre zu schenken – wie er selbst ihren Tempeln –, und für sein Herrscherhaus einzutreten (65 f., dent tibi caelestes, quos tu caelestibus, annos, / proque tua maneant in statione domo). An diesen Versen ist beileibe nicht ‚anti-augusteisches‘ zu entdecken; die guten Wünsche sind jedoch an eine Bedingung, nämlich an die Kulturleistungen des Augustus geknüpft. Wo eines gelobt und hoch bewertet wird, muss nach der Logik des Codes etwas anderes, synkritisch daneben Gestelltes abgewertet werden. Die cura um die Sterne der Astronomie und des Julius Caesar war es laut der Anfangsvignette der Fasti (s. Kap. 3.1.1) gerade, die Romulus am Beginn der Kalenderkonstitution

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/ an tibi sum gelida vilior Illyria? (Cynthias „Sorge“ um ego vs. die abgewertete Reise in die Ferne); Prop. 1.7.21 f.: tu patrui meritas conare anteire secures, / et vetera oblitis iura refer sociis. / nam tua non aetas umquam cessavit amori, / semper at armatae cura fuit patriae (an Tullus, mit dem ego nicht nach Kleinasien reisen wird wegen Cynthia – vita activa und arma vs. amor). Eng mit dem Begriff des cultus verbunden ist die cura sui, die (an dieser Stelle kosmetisch gemeinte) „Sorge um sich“ im Venus-Hymnus des vierten Buchs, im Distichon 4.11 f.: prima feros habitus homini detraxit: ab illa / venerunt cultus mundaque cura sui. Auch da ist die cura gegenüber einer barbarischen feritas der frühen Menschen vor der Kultur kodiert.

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fehlte, denn seine cura war zunächst einmal die Kriegsführung mit den Nachbarn (1.29 f.): scilicet arma magis quam sidera, Romule, noras, / curaque finitimos vincere maior erat, was wieder aufgenommen wird im Distichon 1.37 f.: haec igitur vidit trabeati cura Quirini, / cum rudibus populis annua iura daret. Romulus ist nach der Leitunterscheidung der Fasti, wie wir gesehen haben, der barbarische, kulturell noch unbedarfte König vor der Ankunft des Religions- und Kulturstifters Numa in Rom, der seinerseits immer positiv bewertet wird und das astronomisch korrekte Zwölfmonatsjahr einführte. 95 Auf dieser Seite siedelt sich auch der aitiologischer Dichter mit seiner antiquarischen Forschertätigkeit an, etwa als er zu Anfang des sechsten Buches die Etymologie des Juni recherchiert (6.11 f.): hic ego quaerebam coepti quae mensis origo / esset, et in cura nominis huius eram („hier [sc. im zuvor beschriebenen heiligen Hain] untersuchte ich, welches der Ursprung des angefangenen Monats sei, und war in Bemühung um dessen Namen“) – gleich darauf erscheinen allerdings die drei Göttinnen Juno, Iuventas und Concordia und führen ihre eigene Diskussion über diese Etymologie.96 Das Konzept der cura fungiert somit innerhalb der axiologischen Semantik als Marker von bewerteten Gesellschaftsbereichen und von (in diesen sich bewegenden) göttlichen, mythischen oder historischen Figuren der Dichtung. Es beinhaltet ein vermittelndes Moment an den Stellen, wo eine cura ungewöhnlich erscheint: Kriegerische Herrscher sind doch in der Lage, auf die Seite der Kultur zu treten. Eine ebensolche Funktion hat in den Fasti die Vokabel vacare, „frei sein, Zeit haben für etwas“: Sie ist eng mit dem neoterisch–elegischen Motiv des otium als Zeit-Raum für andere Tätigkeiten als die gesellschaftlich sanktionierten, etwa für das zurückgezogene Feilen an der eigenen Dichtung verbunden (cf. etwa Catulls Gedichte 50 und 51).97 In den Fasti wird sie acht Mal verwendet und damit stets ein Begehren nach ‚Zeit für Kultur‘ oder die Feststellung ausgedrückt, dass jemand sich diese Zeit nimmt. So im oben zitierten Vers 2.10 (dextraque non omni 95

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Romulus ist es auch, der seine Leibwache, einen der Celeres, in der Gründungsgeschichte des Machtkampfes der Zwillinge (als Aition der Parilia) mit der Aufgabe (der cura) betraut, die Mauer vor feindlichem Übertritt zu bewachen (4.837–40): hoc Celer urget opus, quem Romulus ipse vocarat, / ‚sint‘ que, ‚Celer, curae‘ dixerat ‚ista tuae, / neve quis aut muros aut factam vomere / fossam /transeat; audentem talia dede neci.‘ S. auch die Beschreibung von Junos eigener cura um die Kalenden jedes Monats in der Passage der iura dierum zu Anfang des ersten Buchs (55 f.): vindicat Ausonias Iunonis cura Kalendas; / Idibus alba Iovi grandior agna cadit. In der frühen Elegie taucht das Verb oder, in derselben Bedeutung, auch das Adjektiv vacuus an Stellen der Verhandlung von gesellschaftlicher Stellung und ästhetischer Präferenz ebenso des Öfteren auf – dort ist es aber nicht die Kultur im Sinne der Fasti, für die man Zeit hat oder sich diese nimmt, sondern v.a. Liebe und Liebesdichtung: S. etwa Am. 1.1.25 f.: me miserum! certas habuit puer ille sagittas. / uror, et in vacuo pectore regnat Amor; Am. 3.1.67–70 (gattungspoetologisch gegenüber der personifizierten Tragödie): ‚exiguum vati concede, Tragoedia, tempus! / tu labor aeternus; quod petit illa, breve est.‘/ mota dedit veniam – teneri properentur Amores, / dum vacat; a tergo grandius urguet opus!

Die Form der Fasti

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munere nostra vacat), wo die Figur der recusatio anhand der Behauptung gewendet wird, dass in den Fasti gerade keine Flucht vor einem gesellschaftlichem Beitrag der Dichtung stattfindet. Im Distichon 2.17 f., also ebenfalls im AugustusProöm des zweiten Buches, erfolgt die Aufforderung an den Prinzeps, der eigenen Dichtung gewogen zu sein, „wenn denn vom Befrieden der Feinde etwas Zeit bleibt“ (ergo ades et placido paulum mea munera voltu / respice, pacando siquid ab hoste vacat). Ganz ähnlich ist Vers 3.88 an den Leser gerichtet mit der Aufforderung, einen Vergleich von außerrömischen Kalendern vorzunehmen, „wenn man etwas Zeit habe“ (quod si forte vacas, peregrinos inspice fastos). Das Distichon 1.73 f. erinnert an die Ablehnung der vita activa im Lob der Astronomen, als zur Inauguration der Konsuln am 1. Januar Ruhe vom streitsüchtigen Betrieb des Forums gefordert wird: lite vacent aures, insanaque protinus absint / iurgia: differ opus, livida turba, tuum („vom Streit sollen die Ohren frei sein, das verrückte Gezänk soll forthin fern sein: Schiebe dein Werk auf, missgünstige Menge“). An solchen Stellen wird Zeit für den Kult, die Religion eingefordert, aber auch für die Kultur etwa der Bühne bei den Spielen der Megalensia am 4. April (4.187 f.): scaena sonat ludique vocant: spectate, Quirites, / et fora Marte suo litigiosa vacent („die Bühne tönt und die Spiele rufen: Schaut, Quiriten, und das händelsüchtige Forum soll von seinem Krieg frei sein“).98 Die cura der Fasti als axiologisches Konzept nun geht wohl auf die vergilischen Georgica zurück, wo cura oder curare allein im ersten Buch zwölfmal vorkommen. Der Landwirt des Gedichts muss sich um sein Feld, auch seine Tiere „sorgen“ (so schon in Vers 1.3, quae cura boum);99 besonders deutlich schließen die Verse über die curae der Herrscher in den Fasti jedoch an die „Sorge um Triumphzüge“ des Augustus an, die von den Göttern „beklagt“ wird (in der Abschlusspassage von Georgica 1, Verse 503–11): iam pridem nobis caeli te regia, Caesar, inuidet atque hominum queritur curare triumphos, quippe ubi fas uersum atque nefas: tot bella per orbem, 98

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Weitere Stellen in den Fasti: 2.723 f. (Lukrezia-Episode: Sextus Tarquinius im Lager), dum vacat et metuunt hostes committere pugnam, / luditur in castris, otia miles agit; 3.5 f. (an Mars), ipse vides manibus peragi fera bella Minervae: / num minus ingenuis artibus illa vacat?; 3.811–4 (am ersten Tag der Quinquatrus-Spiele soll es keine Gladiatorenspiele geben – eine vielschichtige Verhandlung des Codes auch hier), sanguine prima vacat, nec fas concurrere ferro: / causa, quod est illa nata Minerva die. altera tresque super rasa celebrantur harena: / ensibus exsertis bellica laeta dea est. S. auch Georg. 1.51 f., wo der Bauer das „vorausschauende Erlernen“ der Himmelsphänomene wie auch der väterlichen cultus zu seiner cura machen soll: ventos et uarium caeli praediscere morem / cura sit ac patrios cultusque habitusque locorum. In Fasti 3.159 ist es Caesar, der, freilich auf ganz andere Weise, den Himmel „im voraus kennenlernen“ wollte (praenoscere caelum, s.o. zu dieser Stelle) – wobei auch der Bauer sich für seine praktischen Zwecke rudimentären astronomischen Forschertätigkeiten über Himmel und Sterne widmen muss und daher diesseits der Kultur steht.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch tam multae scelerum facies, non ullus aratro dignus honos, squalent abductis arua colonis, et curuae rigidum falces conflantur in ensem. hinc mouet Euphrates, illinc Germania bellum; uicinae ruptis inter se legibus urbes arma ferunt; saeuit toto Mars impius orbe.

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Schon seit langer Zeit neidet dich uns der Palast des Himmels, Caesar, und klagt, dass du dich um Triumphzüge der Menschen kümmerst, wo ja Recht und Unrecht verkehrt sind: so viele Kriege auf der Welt, so viele Gesichter des Verbrechens, keine Ehre gebührt dem Pflug, die Felder liegen brach nach der Wegführung der Bauern, und die gekrümmten Sicheln werden zu einem starren Schwert geschmolzen. Dort schürt der Euphrat, dort Germanien Krieg; benachbarte Städte brechen Gesetze und tragen Waffen gegeneinander. Der frevelnde Mars wütet auf dem gesamten Erdkreis.

Die Verse beklagen – genau im Gegensatz zur gelobten kulturellen cura der Cäsaren in den Fasti – die cura des Augustus um Triumphe und arma, wo doch gerade der Krieg die Welt aus den Fugen gebracht und das Sujet der Georgica, die Bauern, Felder und Ackergeräte obsolet gemacht habe. Nicht ganz so augenscheinlich wie bei den Elegikern und in den Fasti ist dennoch auch diese Stelle mit ihrem Gegensatz von arma/bella und aratrum/arva axiologisch kodiert und gleichzeitig gattungspoetologisch lesbar, insofern die epischen Kriege verurteilt werden. 100 Nach Aussage der Verse 505–7 fand durch die Kriege im In- und Ausland eine ‚Umwertung aller Werte‘ statt, da nun der honos nicht mehr dem Pflug zukomme und ‚Pflugscharen zu Schwertern‘ umgeschmolzen würden.101 Die (an dieser Stelle aus der Perspektive des Sprechers unglückliche) Einheit der Differenz von Krieg und Agrikultur, mit der Transgression der Gesellschaftsbereiche in ein metallurgisches Bild gesetzt, macht die kulturkritische Aussage dieser Verse erst möglich.

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Von den „Farmer’s arma“ (in Georg. 1.160–2; so benannt von Farrell 1991, 70) war schon in Kap. 3.2.5 zu Terminus und dem Distichon 2.677 f. die Rede. An der Stelle bei Vergil fungieren die landwirtschaftlichen Geräte wie Pflug und Sichel selbst als Waffen im labor für Ernte und Ertrag. Cf. auch Hardies (1992, 66) Beobachtungen zu Aeneis 7 und einer parallelen Umwertung und Umfunktionierung von landwirtschaftlichen Geräten zu Waffen: „The result of Allecto’s interventions to engineer a catastrophic metamorphosis in the state of Italy, from peace to war, from pastoral (or georgic) to epic. Again the imagery bears the work of indicating transformation, particularly in the metaphor of the ‚bristling crop of drawn swords‘ at 7.526, horrescit strictis seges ensibus, a line whose language echoes the literal metamorphosis alluded to at G. 2.142, nec galeis densisque virum seges horruit hastis. [...] The Change is emblematised in the forging of swords from ploughs at 7.635 f.: vomeris huc et falcis honos, huc omnis aratri/cessit amor; recoquunt patrios fornacibus ensis.“

Die Form der Fasti

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Die ‚Ehre‘ (honos bzw. honor) ist uns schon im letzten Abschnitt als Schlagwort der elegischen Axiologie für die Bewertung nach einer impliziten Wertetheorie begegnet.102 In den Fasti gibt es im ersten Buch eine zum oben besprochenen Gedicht Amores 3.8 parallele, ähnlich kulturkritische Passage, als nämlich Janus auf die Frage nach dem Brauch der Geldgeschenke am Neujahrstag antwortet und die causa stipis in Roms Frühgeschichte verortet (1.193–226). Geld sei alles für das Rom der Gegenwart, Gier herrsche überall (1.217 f.): in pretio pretium nunc est: dat census honores, / census amicitias; pauper ubique iacet („der Preis [selbst] ist nun ein Wert; das Vermögen verleiht Ehren, das Vermögen Freundschaften; der Arme liegt überall danieder“). Die Axiologie bzw. ihre Pervertierung ist markiert in der Doppelung (genauer einem Polyptoton) des in pretio pretium: Die axiologische Auszeichnung liegt in der preislichen Hochschätzung selbst, das Wertungssystem ist gleichsam in sich zusammengefallen. In der frühen Republik sei das freilich anders gewesen: Das Volk war noch arm (198), die Götterkulte simpel (202); die Unmittelbarkeit war noch gegenwärtig, mit der man wie Cincinnatus von der Feldarbeit zu den höheren Pflichten der vita activa schritt – zu der, wie im ‚Lob der Astronomie‘ gesehen, Kriegerisches genauso gehört wie Politisches (1.203–7): frondibus ornabant quae nunc Capitolia gemmis, pascebatque suas ipse senator oves: nec pudor in stipula placidam cepisse quietem

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et fenum capiti subposuisse fuit. iura dabat populis posito modo praetor aratro. Mit Laub schmückten sie das Capitol, das sie nun mit Edelsteinen schmücken; der Senator selbst weidete seine Schafe; und es gab keine Scham, friedliche Ruhe auf Halmen gefunden und Stroh dem Kopf untergelegt zu haben. Recht sprach der Prätor dem Volk, nachdem er eben den Pflug niedergelegt hatte.

Der senator scheut sich genauso wenig vor dem Hirtendasein wie der praetor vor dem Landbau. Die Trennung von Stadt und Land existierte nicht, die Anführer 102

In den Fasti findet sich der honor in dieser wertenden Funktion außerdem in den Versen 2.122 (maximus hic fastis accumulatur honor), 3.122 (hic numerus magno tunc in honore fuit) und 5.65 f. (iura dabat populo senior, finitaque certis / legibus est aetas unde petatur honor). In der philosophischen Allegorie einer Geburt der personifizierte Maiestas (als möglicher Namensgeberin des Mai) ist diese gar die Tochter von Honor und Reverentia: nec latus Oceano quisquam deus advena / iunxit, et Themis extremo saepe recepta loco est, / donec Honor placidoque decens Reverentia voltu / corpora legitimis imposuere toris. Kurz zuvor wurde eine weitere Kosmogonie geschildert, und in ihr ein (axiologischer) Ausgangszustand, wo – wie im Goldenen Zeitalter – noch nichts getrennt war und alles den gleichen Wert hatte (5.18): par erat omnis honos. Cf. zu dieser Passage der Fasti Mackie 1992.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Roms waren noch exempla wackerer Rustikalität.103 Die Einheit der Gesellschaftsbereiche im frühen Rom dieses im Dekadenzmodell gedachten Passus ist in der Durchlässigkeit der Aufgaben angezeigt, die ein Politiker auf sich nimmt – dessen curae sowohl die Kurie als auch der Acker sind. Die Tätigkeiten der Cäsaren als astronomische Kalenderreform oder Tempelbewahrer sind in ebendieser Denkfigur gestaltet. Sowohl in diesen Versen als auch jenen oben besprochenen des ersten Georgica-Buches dient das Motiv der Feldarbeit zur Abgrenzung – bzw. im noch nicht dekadenten, gesellschaftlich noch ‚einheitlichen‘ frühen Rom zur Darstellung der Vermittlung – von verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, die am Schema des axiologischen Codes bewertet werden. Eine Transformation der landwirtschaftlichen Geräte wie am Ende dieses Buches ist auch in den Fasti zu finden und symbolisiert dort, ganz ähnlich der Entwaffnung des Mars im dritten Buch (s. Kap. 3.2.4.2), eine Verhandlung der Axiologie von Gesellschaftsbereichen und besonders die Durchlässigkeit der Kodierung zum Guten (des Friedens: ‚Schwerter zu Pflugscharen‘) wie zum Schlechten (des Krieges wie in Georg. 1: ‚Pflugscharen zu Schwertern‘). Die erste Passage, die ein solches Bild beinhaltet, steht in den Fasti bezeichnenderweise im Kontext des Saatfestes. Die Feriae Sementivae (1.656–704) waren ein bewegliches Fest – sie richteten sich am Jahreszyklus aus. Es ist ein Fest der Ruhepause, für das aratrum wie für die Erde und die Bauern (665–69). Der vates bringt ein Gebet an Ceres und Tellus in den Versen 675–94 vor; eingangs bezeichnet er die beiden Göttinnen als prominente consortes operis, per quas correcta vetustas / quernaque glans victa est utiliore cibo („Gespielinnen meines Werks, durch die die alte Zeit berichtigt wurde, und Eichel wurde durch eine praktischere Nahrung besiegt“) – die glans ist in den Fasti ebenso wie in anderen Texten der Kulturentstehunglehre immer wieder Sinnbild einer rohen Vorzeit ohne Kultur, die erst die Kulturstifterin Ceres brachte (s. auch das ‚Lob der

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Cf. Haß 2021, 266 zur rusticitas als (kodiertem) Kontrastbegriff zur urbanitas bei Ovid, mit klugen Überlegungen genau zum Thema dieses wie auch der letzten Abschnitte meiner eigenen Arbeit: „Dieser Tendenz, die zeitgenössische urbanitas Roms genealogisch an die althergebrachte italische rusticitas rückzubinden und letztere zum Richtwert moralischen Handelns zu stilisieren, korreliert im ästhetisch-poetologischen Diskurs eine gattungsübergreifende Präferenz, das Ausgreifen der poetischen Imagination durch enge Rückbindung an die elementaren Gegebenheiten des jeweiligen Stoffes gleichsam ‚zu erden‘ (Schwindt 2005; Haß 2018b) – oft unter Rekurs auf die suggestive Motivik idealisierender Darstellungen des ‚einfachen Landlebens‘ [...]. Die Opposition zwischen ‚Stadt und Land‘ besitzt in augusteischer Zeit also gleichsam eine Scharnierfunktion zwischen dem politisch-ideologischen und dem ästhetisch-poetologischen Diskurs, die sich in den ovidischen Texten explizit bespielt findet: Jede diskursive Verhandlung des Verhältnisses von ‚Stadt und Land‘ ist dort also auch als poetologische Reflexion auf die ästhetischen Kategorien von urbanitas und rusticitas zu lesen, so wie umgekehrt jeder poetologischen Bezugnahme in intertextuellen Feld auch eine Funktion im augusteischen Diskurs zukommt.“ S. auch Haß 2018a.

Die Form der Fasti

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Ceres‘ bei der Besprechung der Cerealia, bes. die Verse 4.401–416). Die für mich v.a. interessante Passage dieser Feriae ist aber der Epilog (1.697–704): bella diu tenuere viros: erat aptior ensis vomere, cedebat taurus arator equo; sarcula cessabant, versique in pila ligones, factaque der rastri pondere cassis erat. gratia dis domuique tuae: religata catenis iampridem vestro sub pede Bella iacent. sub iuga bos veniat, sub terras semen aratas: Pax Cererem nutrit, Pacis alumna Ceres.

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Lange hielten Kriege die Männer fest: Das Schwert war geeigneter als die Pflugschar, der Pflugstier wich dem Pferd; die Hacken blieben aus, Karste wurden zu Spießen; aus der Masse des Rechens wurde ein Helm gemacht. Dank sei den Göttern und deinem Hause: angebunden an Ketten liegen schon längst unter eurem Fuß die Kriege. Das Rind soll unter den Pflug, der Samen unter die gepflügte Erden kommen: Die Pax nährt Ceres, der Pax Zögling ist Ceres.

Agrikultur und Frieden werden gegen den Krieg ausgespielt: Pax, die Göttin Ceres als paradigmatische Göttin der Landwirtschaft – hier sogar Pacis alumna (704), aufs engste assoziiert mit dem Frieden – sowie Augustus als Vater des Friedens sind Garanten für die Übernahme des positiv konnotierten Codewertes in den abgelehnten: So werden die Schwerter wieder zu Pflügen und die (Agri-)Kultur kann weiter bestehen. Ceres ist im Übrigen, wie wir in Kap. 4.5 noch sehen werden, gleich Numa eine große Kulturstifterin der Fasti, die prima Ceres (4.401).104 Die letzte Passage, die ich in meiner Besprechung der Form der Fasti anführen möchte, ist eine Stelle aus der Behandlung der Robigalia (4.901–42) am Ende von Buch 4.105 Im Gebet (911–32) fleht der flamen (907) die aspera Robigo (911, den personifizierten „Rost“[-brand] oder „Mehltau“, der Getreide zerstören kann) um Schonung der Saat an (bis Vers 922), bevor er ab Vers 923 eine recht überraschende Verwünschung der arma formuliert (923–30):106 104

105 106

Auch in den Georgica ist es die prima Ceres, welche die Menschen als erste lehrt, (friedlich) mit eisernen Werkzeugen umzugehen – in 1.136–43 ist der Gebrauch des Metalls nur eine unter vielen kulturellen Neuerungen (ferri rigor, 143). In dieser Passage über die Frühzeit der Kultur, ein Intertext für ähnliche Stellen in den Fasti, tauchen auch die „Eicheln“ auf (Georg. 1.147–9): prima Ceres ferro mortalis uertere terram / instituit, cum iam glandes atque arbuta sacrae / deficerent siluae et uictum Dodona negaret. Cf. Mynors 1988 ad loc. Zu diesem Abschnitt s. Santini 1991, dort bes. 170 f. zu den folgenden Überlegungen. Sie ist nicht mehr so überraschend, wenn man das Vorbild aus den Georgica kennt, wo die robigo allerdings nicht personifiziert ist (Georg. 1.493-97): scilicet et tempus ueniet, cum finibus illis / agricola incuruo terram molitus aratro / exesa inueniet scabra robigine pila, / aut grauibus rastris galeas pulsabit inanis / grandiaque effossis mirabitur ossa sepulcris. Interessant ist auch hier das Treffen der aratra auf die arma.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch nec teneras segetes, sed durum amplectere ferrum, quodque potest alios perdere perde prior. utilius gladios et tela nocentia carpes: nil opus est illis; otia mundus agit. sarcula nunc durusque bidens et vomer aduncus, ruris opes, niteant; inquinet arma situs, conatusque aliquis vagina ducere ferrum adstrictum longa sentiat esse mora.

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Nicht die zarte Saat, sondern das harte Eisen umarme, und was andere verderben kann, verderbe zuvor. Nützlicher wirst du Schwerter und schädliche Geschosse zerpflücken: Unnötig sind sie; die Welt hat Ruhe. Hacken nun und der harten Karst und die gekrümmte Pflugschar, des Landes Pracht, sollen glänzen; entarten soll der Rost die Waffen, und man möge beim Versuch, das Eisen aus der Scheide zu ziehen, es erst mit langer Verzögerung gezückt finden.

Die semantisierte binäre Gattungspoetologie ist in den Bestimmungen der Saat als „zart“ und dem Eisen als „hart“ am Werk, die Überschreitung der Gegensätze wird durch Robigo und die otia geleistet. In der Zeit der Pax Augusta seien Waffen nutzlos, denen man aus diesem Grund das Übel aus dem Bereich der Landwirtschaft wünscht. Der klare Ausschluss der Waffen wird mit ihrer Nutzlosigkeit begründet: otia mundus agit (926), man hat Zeit für Kultur. Die Untersuchungen zur Leitunterscheidung der Fasti in diesem Kapitel, die an den Motiven und Konzepten der Lebenswahl, der cura, des vacare, des honor und der Ackergeräte geführt wurden, haben gezeigt, dass diese Elemente und Formulierungen allesamt in der Form der Fasti operieren bzw. an dieser mitarbeiten. Denn all diese geben Setzungen von Oppositionen an, die meist jedoch eine Dialektik in dieser Opposition ausstellt oder eine Tendenz der einen Seite zur anderen Seite hin anzeigen. Im (von Vergil genommenen) Motiv der Umschmelzung von Metall zu Schwertern oder Pflügen je nach gegebenem Zustand der Kultur in Krieg oder Frieden ist dies in ein Bild gebracht, das der Zweiwertigkeit und Einheit der Differenz des Janus als grundlegende Denkfigur der Fasti sehr nahekommt. Ein Wert der Kultur, die Sorge um und die Zeit für sie wurde dabei immer wieder samt ihren Vertretern wie den Astronomen oder ihren Förderern wie Augustus oder Ceres an den Texten thematisiert. Zum Konzept der Kultur in den Fasti, das der Form der Fasti eingeschrieben ist, komme ich nun im letzten Kapitel des Buches.

4.5

Die römische Kultur der Differenz Man erkennt, dass es nach dem Vorläufer der Érga kai Hemerai [...] von Hesiod die Georgica und Bucolica von Vergil und die Fasti von Ovid sind, welche als die Grundbücher der ‚Kultur‘ gelten können,

Die römische Kultur der Differenz

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als bereits reflektierte ‚Kulturwissenschaft‘ in poetischer Form.107

In der Römischen Literaturgeschichte Karl Büchners von 1957 wird Ovid als Fürsprecher der Unabhängigkeit der Kultur als eines Formungsinstruments der Gesellschaft gegenüber einer totalitären Politik dargestellt. 108 Die Forschungsposition über den ‚anti-augusteischen‘ Ovid nimmt in dieser Zeit Gestalt an und bestimmte bis in die vergangenen Jahrzehnte hinein gerade die Debatte um die Fasti bzw. um die politische Haltung des historischen Ovid. Sie hat letztlich gezeigt, dass sowohl Panegyrisches als auch Subversives in den sechs Büchern des Werks zu finden ist und ein Urteil darüber am individuellen Lektürefokus des Interpreten hängt.109 Wenn die Fasti, wie etwa am Ende ihres ersten Buches in der Festbeschreibung zu den Feriae Sementivae (1.657–704), die Pax Augusta und die blühende Kultur in der Zeit des Friedens durchaus besonders anpreisen, enthält der Text gleichwohl beide Seiten und lässt sich nicht vollkommen auf die Ablehnung der arma festlegen, sondern erinnert auch an Schlachten, militärisch motivierte Tempelgründungen und politische Leistungen der Machthaber. Das spiegelt sich auch in der gattungspoetologischen Ausrichtung eines Gedichts, das Ästhetik und ‚Soziologie‘ nicht anders als viele augusteische Gedichte aufs Engste verquickt (s. Kap. 4.2). So ist Stephen Hinds’ Urteil von 1992 beizupflichten, wenn er die Fasti für eine „at times a rather epic kind of elegy“ erklärt,110 womit auch je die Inhalte Epos und Elegie gemeint sind. Das programmatische Distichon 1.13 f. (Caesaris arma canant alii etc.), das die Interpretation in der Forschung zwar mit Recht geleitet hat, kann dabei nicht als Schlüssel für den gesamten Text verstanden werden, wie das bisweilen getan wurde. 111 Spielte die Seite des Krieges und der Staatsführung in den Fasti keine Rolle, wäre die Verhandlung der verschiedenen Gesellschaftsbereiche kein so prominentes Thema. Genau darin besteht nämlich die Spannung eines Textes, der die literarischen Wertungen einer ganzen anti-epischen Tradition mit der Beschreibung des römischen Festkalenders vereinbaren will: Es handelt sich um einen identitätsstiftenden Kalender, der gemäß der römischen Geschichte und Kultur auch militärisch-kommemorative Elemente enthält.

107 108 109

110 111

Böhme 1996, 4. Büchner 1968, 373 und 381. Cf. Holleman 1973, 267 f. Das konstatieren zuletzt Robinson 2011 und Ursini 2011 in den Einleitungen sowie vielen Einzelbemerkungen ihrer Kommentare zum zweiten bzw. dritten Buch der Fasti. Hinds 1992, 82. So Barchiesi 1991; für eine Relativierung, s. Hinds 1992. Auch Fowler ([1998] 2000, 181–3), die augusteische Dichtung insgesamt und besonders die Aeneis im Blick, legt in der Besprechung der Passage der Öffnung des Janustempels in Aen. 7.601–40 den Finger auf die richtigen Punkte, etwa was die Verhandlung von Krieg und Frieden als notwendige Elemente römischer Kultur angeht: Romulus und Numa wirkten konstitutiv für ihren Beginn.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Die erotische Elegie als Prototyp auch der Fasti gibt in der späten aitiologischen Elegie, wie wir in den letzten beiden Abschnitten nun gesehen haben, nurmehr den Ton vor;112 sie bestimmt nicht mehr den vormals eng in sich geschlossenen inhaltlichen Rahmen von im Kern erotisch-psychologischer Dichtung, die mit konkreten zeitgeschichtlichen Bezügen zunächst nur angereichert war. Vielmehr wird in den Fasti der weiter gefasste Kulturbereich der römischen Gesellschaft unter den Vorzeichen der Elegie neu austariert; zudem strebt der Text gleichsam als Denkangebot für die politische Klasse eine Strukturierung dieses Diskurses über die Kultur an. Ovid stellt die von ihm hervorgehobenen Bereiche von Literatur und Denken zwar als elitär dar, nämlich als höheres Erkenntnisorgan der Gesellschaft, interesselos intellektuell und weitgehend unbefangen wie im ‚Lob der Astronomie‘; aber in den Fasti tritt er diesen Tätigkeiten und den ihnen ferneren Bereichen sowie Akteuren der Gesellschaft gegenüber auch vermittelnd auf. Dies haben wir im letzten Abschnitt an den Stellen des Textes deutlich gesehen, die an Konzepten der „freien Zeit“ und „Sorge“ für kulturelle Tätigkeiten, die in der Semantik um vacare und die cura verkörpert werden, diese Bereiche des römischen Gemeinwesens verhandeln. Solche Vermittlung ist seit der späteren Republik, verstärkt ab dem zweiten Jahrhundert v.Chr. zu beobachten, als die Bewegung der römischen Kultur, gerade im zentralen Prozess der Akkulturation griechischer Errungenschaften liegt:113 Es gibt ein Zusammenspiel von Kriegsführung und Kultur: Die Integration eroberter Gebiete und Völker sowie der Gebrauch der Kriegsbeute für die Förderung der Kultur bedeutete nichts anderes als „putting the fruits of war in the service of the advancement of culture.“114 Griechische Traditionen wurden so der Schlüssel „to draw out the distinctive features of Roman values.“ Im Folgenden soll – im Sinne der diesem Kapitel vorangestellten Epigraphen – eine Motivierung der dialektischen, janusköpfigen Anlage der Wissenspräsentation der Fasti darin gezeigt werden, dass die (literarische) Kultur mit ihren symbolischen Formen und ästhetischen Prozessen die (politische) Gesellschaft beeinflussen möge, dass „die Störung von Denk- und Wahrnehmungskonventionen die Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge erweiter[e] und dass die Steigerung

112

113

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Dagegen, und charakteristisch für die (undifferenzierte) Beurteilung Ovids durch ältere, hier religionshistorische Forschung etwa Altheim 1931, 257: „Unter Ovids Händen ergreift ein Prozess der Erotisierung alles, dessen er habhaft wird.“ Treffend dazu Smutek 2015, 12: „Die Possen und Ovids selbstreflexives Spiel mit seiner Rolle als ehemaliger Liebesdichter zählen fraglos zu den amüsantesten Episoden der Fasti. Von ihnen aber generalisierend auf eine allumfassende erotische Unterwanderung von Mythos, Historie und Religion zu schließen, greift zu kurz.“ Diese Akkulturation machte Rom auf friedliche Weise zu einer polis Hellenis (so Plut. Cam. 22.3, neben Horaz’ bekanntem Graecia capta-Diktum). S. dazu Galinsky 1996, 332–62. So Gruen 1992, 109. Das folgende Zitat ibid. 318.

Die römische Kultur der Differenz

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des Erkenntnisvermögens wiederum praktische Konsequenzen hat, weil sie Verhaltensänderungen herbeiführ[e].“115 In dieser Hinsicht und mit dieser Ausrichtung der im letzten Abschnitt betrachteten Kodierungen der Fasti werden die Herrscherfiguren – ob Caesar, Augustus oder Germanicus – im Text immer wieder gezeigt und angesprochen: als der Wissenschaft und den Künsten zugeneigte Herrscher oder gar literarische Patrone. Die Auszeichnung der römischen Kultur in vielen ihrer Facetten spielt dabei die entscheidende Rolle; aber der militärische Bereich der arma wird zugleich in das Kulturkonzept eingeschlossen und so auch zwangsläufig verändert. Ovids Text als spätes Produkt augusteischer Dichtung illustriert damit sehr gut Viktor Pöschls dritten „Grundzug“ dieser Literaturepoche: den „Griff nach dem Ganzen.“ In der Verschmelzung des Griechischen und Römischen will die Dichtung dieser Zeit „Synthese und Summe der bisherigen Kulturentwicklung und der bisher angesammelten Erfahrung sein und Synthese und Summe ihrer Zeit, indem sie die wichtigsten Bereiche und Probleme des Lebens im Spiegel der Dichtung exemplarisch darzustellen sucht.“116 Der Text beschreibt dabei die kulturellen Bereiche und verweist so aus sich heraus, macht sie jedoch gleichzeitig auch zu seiner Sache und betreibt damit die diskursive Strukturierung dieser Kultur. Wissen und Kultur kommen in dieser Hinsicht zusammen, denn das Wissen über diese Kultur findet nur im Text statt, wo es nach Genrekonventionen und Textverfahren neu konstruiert und kreativ manipuliert wird. Die hochspezialisierten ästhetischen Prozesse Ovids elegischer Dichtungen können durchaus zur Analyse der in Sprache und anderen sozialen Konventionen befangenen augusteischen Kultur insgesamt dienen. Die durch die Fasti selbst repräsentierte, in den Fasti auf bestimmte Weise präsentierte und gefeierte römische Kultur ist befähigt zur Selbstreflexion der kulturellen Verfasstheit der Gesellschaft insgesamt, die man als „kulturelles Wissen“ über sich selbst bezeichnen könnte. Mit Michael Titzmann, für den „Kultur“ „jedes raumzeitliche System“ ist, „dessen Praktiken des Denkens und Redens in diesem Raum und zu dieser Zeit eine relative Konstanz ihrer fundamentalen Prämissen aufweisen,“ sei der Begriff des „kulturellen Wissens“ folgendermaßen definiert: Als Gesamtmenge der Propositionen, die die Mitglieder der Kultur für wahr halten bzw. die eine hinreichende Anzahl an Texten der Kultur als wahr setzt [...]. Wissen umfasst also Wissen über singuläre Ereignisse und Individuen wie über überindividuelle Systeme und Regularitäten, Wissen über faktisches Verhalten wie Normen und Werte, Wissen über Zeichensysteme, schließlich Wissen über das eigene Wissen, etwa über dessen Herkunft, dessen Entwicklung, dessen Strukturen, z.B. seine 115 116

Koschorke 2004, 177; zu den Thesen dieses Aufsatzes komme ich unten zurück. Pöschl 1979, 26. In diesem Sinne sind auch die Fasti ein „Weltgedicht“ als Universalgedicht, wie es Ernst Zinn für die lateinische Dichtung des 1. Jh. v.Chr. charakterisiert hat (Zinn 1956, 7), nämlich durch „emblematische[s] Enthaltensein des ‚Ganzen‘ von Welt und Leben in einem einzelnen dichterischen Gebilde begrenzten Umfanges und exemplarischen Gegenstands.“

234

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch Einteilung in verschiedene Wissensgebiete und deren Relationen zu verschiedenen Realitätsbereichen.117

Wie es als Aufgabe jeder Lehrdichtung gelten kann, kulturelles Wissen zu vermitteln und über (auch poetische) Wege dieser Vermittlung zu reflektieren, so tun das im römischen Bereich im Hinblick auf Herkunft und Strukturen des Wissens sowie auf das Verhältnis zu gesellschaftlichen „Realitätsbereichen“ in besonderem Maße Vergils Georgica und Ovids didaktische Dichtungen,118 die Fasti und durchaus auch die Ars amatoria (zusammen mit den Remedia und den Medicamina) mit ihrem satirischen Einschlag und ihrer deutlich literaturgeschichtlich und unterhaltsam ausgerichteten Wissenspräsentation, die einen wichtigen Bereich der (Gegen)Kultur, den Bereich der Intimbeziehungen und des cultus der Körper, zum lehrwürdigen Gegenstand erhebt.119 Die Aitiologie, schon von Verrius Flaccus auf den Fasti Praenestini für die antiquarische Herstellung von Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart gebraucht und in Ovids Text omnipräsent, wirkt als Motor für die Kodierung und geradezu Auratisierung von Normen, Werten und Zielen der Gemeinschaft. Ursprungsmythen, Gründungs- und Herrschaftslegenden werden im römischen Jahr – das unterstreicht Ovid und fügt in seinem Text eine Pluralität von Bedeutungsschichten hinzu – „regelmäßig zu bedeutsamen Anlässen wiederholt, zu rituellen oder liturgischen Szenen und Gesängen entwickelt“, in denen die Geschicke der kulturellen Gemeinschaft „‚kultisch‘ reproduziert“ werden, mithin „die Gemeinschaft immer neu gestiftet und konfirmiert“ wird.120 „Kultur“ wird in diesen wiederholten Konstitutionsgeschichten präsentiert als eine Gesamtheit von „values, attitudes, beliefs, orientations“.121 Die Grundlagen des Zusammenlebens müssen 117 118

119

120 121

Titzmann 1989, 47–49. Cf. die Überlegungen Bernd Effes (1977) zu den Typen des Lehrgedichts, die ich in Kap. 2.3 besprochen habe, bzw. die kritischen Bemerkungen Michael v. Albrechts dazu (2012, 234), die das Lehren von Kultur als Merkmal von Lehrgedichten bestimmen: „Dazwischen steht der ‚transparente‹ Typus, bei dem der Stoff zwar Eigenbedeutung hat, aber über sich hinausweist (Vergils Georgica lehren vermittels des Stoffes ‚Kultur‘). [...] Im Einzelfall ist aber das Verhältnis dieser Faktoren auch innerhalb jeder einzelnen Dichtung oft unterschiedlich, und darin liegt ein besonderer Reiz. Beispielsweise sind Lukrezens und Ovids Lehrgedichte zugleich sachorientiert, virtuos geformt und lehren Kultur, gehören also allen drei Typen an, usw.“ Das Thema der der Medicamina des Ovid ist dieser cultus, der einer rusticitas gegenübergestellt wird (11–26). Zu Verbindung und Kontrast zwischen den Med. und Vergils Goergica, s. Sautmann 2021, 82: „Der cultus ist das verbindende Element zwischen den beiden Dichtungen und wird bei Ovid aus dem agrarkulturellen Bereich in den des Kulturellen überführt. So kann der Autor seinen medic. den gleichen Stellenwert wie den georg. beimessen und den cultus der Frau, die Schönheitspflege, als Thematik eines Lehrgedichts legitimeren.“ S. auch Haß 2021. Böhme 1996, 9. Huntington 2000, xv.

Die römische Kultur der Differenz

235

stets in Verhandlung mit der letztlich kontingenten historischen Herkunft einer Gesellschaft gefunden werden, und dies kann nur in der Konstruktion von gemeinsamen Werten geschehen, die in Roms grundsätzlich konservativer Gesellschaft aus der Vergangenheit abgeleitet werden, die die Gegenwart legitimieren soll – wobei (das gilt für das römische antiquarisch-aitiologische Projekt insgesamt) paradoxerweise die Gegenwart erst immer wieder neu bestimmt, was die Vergangenheit in ihrem Wert auszeichnet. Die aitiologische Ausrichtung der antiquarischen Literatur und, in Anlehnung an diese, auch der Fasti Ovids machen sich das kreative Potenzial dieser Figur bei der Bestimmung der römischen Kultur zunutze. Denn die Fasti entwickeln in ihren Erzählungen der Kalenderkonstitution, ihren Bewertungen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche und mythischer wie historischer Gestalten ein implizites Konzept der Kultur, das aitiologisch entlang der Kalendertage und ihrer religiösen Phänomene dargestellt wird. Nimmt man den Text als ganzen, ergibt sich so durchaus ein umfassendes Kulturkonzept im modernen Sinne, denn er zeichnet ein vereintes Nebeneinander vieler gesellschaftlicher Bereiche und unternimmt dies im Raster der literarischen Leitdifferenz: Der elegische Code, den ich in den letzten Abschnitten herausgearbeitet habe habe, dient zur strukturierenden Darstellung eines ‚ursprünglichen‘ semantischen Raums, in dem die römische Gesellschaft ihre Kultur zu konstituieren begonnen und in dem sie diese durch ihre Geschichte hindurch entwickelt habe, bis die Caesaren – in der Gegenwart der Fasti – die Synthese und Einheit der Differenz zu erreichen scheinen, die nach dem Goldenen Zeitalter verloren geglaubt war. Dies ist eine Deutung, die Ovids Text – besonders in den Spielarten seiner Kodierung und dessen Vermittlungsoperationen, der ‚Form der Fasti‘ – selbst anbietet. Im Folgenden bespreche ich verschiedene moderne Konturierungen des Kulturbegriffs im Hinblick auf eine ‚römische Kultur der Differenz‘ im Entwurf der Fasti.

4.5.1

Eine kurze Geschichte des Kulturbegriffs und der implizite Kulturbegriff der Fasti

Die Kulturtheorie sei nicht ihr eigener Herr, so sagte es sinngemäß einmal Clifford Geertz.122 Die Definitionen des Kulturbegriffs sind so verschieden wie diffus, dass man, eingeschüchtert, von seiner Bestimmung ganz absehen möchte; aber auch ein Begriff, der sich, produktiv gewendet, als „Suchbegriff“ versteht, verlangt nach einer theoretischen Beschreibung.123 Ein soziologisches Verständnis wäre, „die Kultur als Formel und Praxis einer gesellschaftlichen Selbstverständigung zu 122 123

Baecker 2012, 7. Ibid.

236

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

beschreiben.“124 Hier soll eine Beschreibung des Begriffs für die Zwecke der Erforschung des Kulturkonzepts der Fasti folgen, das, am Faden des Kalenders entlanggehend, ihr Grundthema bildet. In den Fasti wird ein Kulturbegriff freilich nicht explizit eingeführt, denn im antiken lateinischen Gebrauch steht der Begriff cultura nie für sich, sondern immer mit Genitivattribut.125 Das Nomen cultus tritt zwar für sich stehend auf, bezeichnet aber immer spezifische Tätigkeiten oder Erscheinungen des ‚Kultivierten‘: In den Fasti findet man es wie das zugrunde liegende Verb colere für Ackerbau, kultiviertes Leben und kultische Verehrung.126 Der Begriff der Kultur entstammt bekanntlich dem Ackerbau (agri cultura) und wurde erst durch Wechsel des Attributs im Stile von Ciceros cultura animi semantisch ausgeweitet.127 Nach Hartmut Böhme, der die historische Semantik des Begriffs beschrieben hat, „bietet [sich] die lateinische Sprache“ für dieses Unternehmen dennoch an, „weil sich in ihrer klassischen Periode – bei Lukrez, Cicero, Vergil, Ovid – ein ausgeprägtes kulturgeschichtliches Bewusstsein findet, das sich in den Bedeutungsschichten von colere/cultus niederschlägt.“128 So werden „Agritechniken zum Modell des Begreifens von mentalen, sozialen, religiösen, erzieherischen Meliorationen, mithin der ‚Kultivierung‘ einer Gesellschaft oder eines Individuums.“129 Bei den Griechen ist die gängigste Unterscheidung die des von Natur aus Seienden (φύσει) und desjenigen Seienden, das sich einem anderen Seienden verdankt (θέσει). Erst bei Francis Bacon (der neben cultura auch georgica animi sagte) und bei Herder zu einem autonomen Begriff geworden, 130 bezeichnet der Kulturbegriff in der Neuzeit nicht mehr nur eine supplementäre Stellung zu einer (bloß verfeinerten) Natur, sondern eine Auflösung der Naturordnung und geradezu „zweite Natur“, eine altera natura (so allerdings schon Cicero in ND 2.152): eine vom Menschen gemachte Eigenwelt, die sich selbst ursprünglich (weil von einer

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Ibid. 9. Das Oxford Latin Dictionary verzeichnet für das Verb colere und ähnlich für das Substantiv cultus ganze zwölf semantische Differenzierungen, von 2b., „the cultivation (of plants) or a method of this, c. the tending (of animals) or a method of this“ über 9., „the refining or elaborating (of standards of living, etc.), b. the state of being refined, a civilized or sophisticated condition“ bis zu 10., „the worship or veneration (of a deity), c. a form of worship, cult.“ cultus als Ackerbau: 1.159, 678; als kultiviertes Leben: 4.108; als kultische Verehrung: 2.318. colere für Ackerbau: 1.668, 3.779; für kultische Verehrung: 1.648, 6.710. Koschorke 2004, 174. Zur Herkunft des Begriffs, s. auch Perpeet 1976 und Baecker 2014, 18 f. Böhme 1996, 3. Für einen kurzen Überblick zu markierten Verwendungen des Begriffs (als Hochkultur) gegenüber unmarkierten, ‚neutralen‘, s. auch Wallace-Hadrill 2008, 28–32. Ibid. Cf. neben Perpeet 1976 im Archiv f. Begriffsgeschichte auch den Art. „Kultur, Kulturphilosophie“ im HWPh, Bd. 4, Sp. 1309–24, dort 1309.

Die römische Kultur der Differenz

237

‚Natur‘ abgelöst) und damit reflexiv ist.131 Als scheinbar absoluter Begriff, mit dem von der Kultur gesprochen werden kann, ist „Kultur“ in der Neuzeit also in Verwendungen zu finden, „die nicht mehr auf begrenzte Felder oder spezifische Gegenstände abzielen, sondern die Gesamtheit menschlicher Leistungen in den Blick nehmen, um sie einzelnen Epochen oder bestimmten Völkern zuzuordnen.“ Damit wird sodann ein „Gesamtzustand“ begriffen, „der sich einer historisch verstandenen Entwicklung zu verdanken hat, die fortgeführt und potenziert oder aber im Namen eines anderen Gesamtzustands grundsätzlich korrigiert werden muss.“132 Es wird im Folgenden darum gehen, diesen „Gesamtzustand“ bzw. dessen Herkunfts- und Gegenwartsbestimmung sowie die Suggestionen zu dessen Korrektur in Ovids Text nachzuzeichnen. Die Gesamtheit der menschlichen, d.h. insbesondere römischen und griechischen Leistungen wird in den Fasti durchgehend in den Blick genommen. ‚Kultur‘ wird also in meiner Lektüre des Kulturkonzepts Ovids in diesem neuzeitlichen Sinne verstanden; denn obgleich die Fasti den Begriff in dieser grundlegenden Form nicht selbst verwenden, ist doch der Versuch einer Abbildung einer Gesamtheit der römischen Kulturleistungen im Vergleich mit und unter Hinzuziehung von anderen (nämlich griechischen und anderen italischen) Kulturen deutlich zu sehen. Die vielen aitiologischen Passagen, in denen es um Gründungsakte des Römertums und Bewegungen der Integration, um Kulturgeschichte, -transfer und -kritik sowie um den jeweiligen primus inventor bzw. die prima inventrix für Kulturtechniken geht, zeigen dies an. In den Fasti gibt es mehrere Ausführungen antiker Kulturentstehungslehre, besonders im Venus-Hymnus des vierten Buches; einen starken Fokus auf die Gründerfiguren der römischen Kultur (in myth-historischer chronologischer Reihenfolge: Euander, Herkules, Aeneas, Romulus und Remus, Numa, Caesar, Augustus), Kulturvergleiche, besonders im Hinblick auf den Kalender und Religion (s. Kap. 3.1.3 zum Vergleich mit außeritalischen und italischen Kalendern in Buch 3; Junos Hinweis auf andere italische Kalender, die ihren Namen in einem Monat führen, in den Versen 6.55–64). In einer groben Verallgemeinerung gesprochen betrachten ‚die Römer‘, d.h. für unseren Kontext die Historiographen, Antiquare und Dichter der späten Republik und frühen Kaiserzeit, das „Natürliche“ weniger wie Jean-Jacques Rousseau und vielmehr wie Thomas Hobbes als das Kulturlose, Wilde, (noch) Unzivilisierte: Attribute wie rudis oder trux zielen in diese Richtung; so werden immer wieder die frühesten Römer um Romulus beschrieben, die noch zur Kultur finden müssen (Fasti 1.38, 131; 2.292).133 Im Hintergrund steht stets die griechische Unterscheidung zwischen kultivierten ‚Menschen“ und unkultivierten „Barbaren‘. Dabei geht es weniger als in der Moderne um die Bändigung oder Abgren-

131 132 133

Koschorke 2004, 174. Böhme 1996, 8. Cf. etwa Velleius Paterculus 2.95.2: gentes [...] feritate truces.

238

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

zung gegenüber einer feindlichen Natur, sondern eher um die Reflexion der eigenen Kultur im Vergleich mit anderen, vor allem griechischen Errungenschaften – die Selbstbestimmung erfolgt also aus der Synkrisis mit dem Anderen, aus einer Differenz heraus. Die Natur als von der Kultur unberührter Ausgangspunkt ist längst zurückgelassen; im Vordergrund steht, gerade in den Fasti, die rückblickende Erklärung der Konstitution der Kultur und, darin eingebettet, der Konstitution des Kalenders. In diesem häufig aitiologisch konzipierten Rückblick sind Stetigkeit, Kontinuität und Traditionsbildung ebenso unentbehrlich für eine solche Konstitution wie ein stabiler Raumbezug – diese Aspekte sind in den Sagen um die Gründung und Frühzeit Roms, in den Fasti und anderen augusteischen Texten, allerorten anzutreffen. Es ist evident, dass der römische Kalender, wie ihn Julius Caesars Reform stabilisierte und wie ihn Augustus verstärkt semantisierte und publizierte, solche Tradierungen von Kulturtechniken und -leistungen, zeitliche Verstetigungen und Rhythmisierungen – mit den Tempelgründungstagen und an Örtlichkeiten gebundenen Festen aber auch räumliche Stabilität der Kultur – sichtbar macht und in die Zukunft projiziert: als in die spätere Zeit ausgedehnte, scheinbar für die Ewigkeit angelegte Ordnung des römischen Jahres. Die erhöhte Sichtbarkeit des Kalenders erhöhte auch die Vergleichbarkeit der Jahresstruktur und Festfolge mit anderen Kalendern der Nachbarvölker; die Wissensbestände und Techniken, Rituale und Feste, die durch die Entwicklung dieser medienhistorischen und sozialstrukturellen Faktoren vergleichbar, ja in ihrer Kontingenz sichtbar werden, werden so erst „als Kultur sichtbar gemacht.“134 Inwiefern ist das umfassende Kulturkonzept der Fasti nun aber ein Konzept, das auf einer Differenz gründet bzw. die römische Kultur als Prozess der Verhandlung einer Differenz beschreibt? Der Kulturbegriff ist des öfteren als Differenzbegriff beschrieben worden, denn seit seiner Etablierung als absoluter Begriff konnte er u.a. dazu dienen, „Zäsuren und Wertigkeiten in das der Tendenz nach universale Feld der Gesellschaft einzuführen, so dass mittels der Einteilung in eine höhere und eine niedere Kultur gesellschaftliche Binnendifferenzierungen bewerkstelligt werden können.“135 Obgleich die Fasti eine Form der Hochkultur kennen (nämlich im Sinne von religiöser Observanz, Intellektualität und astronomischer wie antiquarischer Forschung, Verfeinerung der Künste und prächtiger Architektur), geht es bei den Zäsuren und Wertigkeiten in Ovids Text meist nicht um eine Divergenz von Hoch- gegenüber Massenkultur oder dergleichen, sondern im Sinne der oben beschriebenen literarischen Axiologie der Elegie um den Gegensatz von „Freizeit“-Beschäftigung mit Geistigem, Künstlerischen und Religiösen gegenüber Militär und Politik überhaupt – allerdings erscheint als das erstrebenswerte Optimum immer wieder die Vermittlung zwischen diesen Seiten.

134

135

Luhmann 1995, 36 zur Verbindung von Kultur- und Kontingenzbegriff, wozu ich unten ausführlich komme; cf. Schaffrick 2016, 275. Scholz/Leander 2011, 10, Hervorh. im Orig.

Die römische Kultur der Differenz

4.5.2

239

Ein Kulturbegriff der Differenz

Auch die systemtheoretische Soziologie und in ihrem Anschluss die Literatur- und Kulturwissenschaft hat den Kulturbegriff als Differenzbegriff gefasst. Talcott Parsons unterscheidet als Begründer dieser Forschungen das soziale und das kulturelle System und betrachtet sie als je geschlossen in der Verhandlung seiner eigenen Grundfrage, wie sich Sozialordnungen kontinuierten. Das geschehe vor allem durch conformity with or deviation from the norms of a shared symbolic system [...]. Such a system, with its mutuality of normative orientation, is logically the most elementary form of culture. In this elementary social relationship, as well as in large-scale social systems, culture provides the standards (value-orientation) which are applied in evaluative processes. Without culture neither human personalities nor human social systems would be possible.136

Gesellschaft und Kultur müssen also interagieren, aber das auf paradoxe Weise: „Einerseits soll das soziale System Träger des kulturellen Systems sein, andererseits soll die Kultur aber dem sozialen System vorangehen und eine steuernde Funktion ausüben. Die kulturelle Steuerung muss also gleichzeitig als innerhalb und außerhalb des sozialen Systems gedacht werden.“137 Für Parsons ist die Kultur daher ein latentes Subsystem der Gesellschaft, dessen Aufgabe in der Generierung von Symbolen und Werten besteht, die eine integrative und handlungsorientierende Funktion haben. „Werte, Symbole und symbolische Austauschmedien sind als kulturelle Codes organisiert und steuern selbst noch jene Austauschprozesse, denen sie ihre Existenz verdanken. Durch soziale Institutionalisierung wird schließlich eine Generalisierung der normativen Verbindlichkeit kultureller Strukturen in der Gesellschaft erreicht, die eine notwendige Bedingung für die strukturelle Kopplung zwischen dem sozialem und dem kulturellem System ist.“138 Der Fokus auf Werte, den ich in einer Axiologie der augusteischen Liebesdichtung beobachtet habe, lässt sich also als Fokus auf kulturelle Codes deuten, an denen sich die Elegie fortschreibt und die sie im Raum des Literarischen verhandelt und hinterfragt. In den Fasti wird die Verhandlung des kulturellen Codes und seiner ‚Wertorientierung‘ expliziter denn je. Das Konzept der Kultur als „most complex whole“ (E.B. Tylor) und der Versuch ihrer Erklärung auf verschiedensten Stufen gab der Anthropologie ihren grundlegenden Impetus, an dem sie sich formierte. 139 Der Anthropologe Clifford Geertz, Schüler von Parsons in Harvard, der sich um die genauere Bestimmung 136 137 138 139

Parsons 1951, 16, Hervorh. im Orig; zitiert bei Luhmann 1984, 174 f. Haye/Scholz 2011, 13. Ibid. 14. Geertz 1973, 4.

240

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

und Reduktion des Umfangs dieses Begriffs bemühte und das Konzept der Kultur vor allem als semiotisches verstand,140 hat kulturelle Systeme als „dichte Beschreibung“ definiert,141 was die Werte, Praktiken, Symbole, Institutionen und menschlichen Verhältnisse einer Gesellschaft meint. Kultur ist bei ihm ein „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“,142 das sich in immer neuer Herstellung und im Wandel befindet und immer neue Deutungen erfährt, also der Hermeneutik eines Beobachters bedarf. Geertz nutzt hierfür wiederum den Begriff des Codes, dessen symbolischer Gehalt bei der Beschreibung einer Kultur erst entschlüsselt werden muss. Denn jede menschliche Handlung ist Teil der Kultur und damit in vorgegebenen Kontexten zu verstehen, was in all seinen Differenzierungen zu beschreiben Aufgabe des Anthropologen sei: eben seinerseits „thick description“ herzustellen.143 Geertz setzte sich mit dem soziologischen Systembegriff Talcott Parsons’ auseinander, lehnte aber dessen Rigidität wie auch die Suche nach etwaiger der Kultur zugrunde liegenden Strukturen im Stile Claude Lévi-Strauss’ letztlich ab. Dennoch steht er in der Auseinandersetzung mit diesen formalistischen Ansätzen: Man findet bei ihm den Aufruf semiotischer und ursprünglich linguistischer, dualistischer Theorien von zugrunde liegender Struktur und dessen Manifestationen (wie Saussures langue und parole), und sie bleiben Leitfigur seiner Feldforschungen: „It is explication I am after, construing social expressions on their surface enigmatical.“144 Zeichen müssen immer dekodiert werden, was nur im Hinblick auf einen impliziten Code geschehen kann: „Analysis [...] is sorting out the structures of

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Ibid. 5: „The concept of culture I espouse [...] is essentially a semiotic one.“ So der Titel seines berühmten Aufsatzes zur Kulturtheorie und Anthropologie, der die Aufsatzsammlung The Interpretation of Cultures einleitet (Geertz 1973, 3–32; dt. Fassung: Geertz 2002). „Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be therefore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search of meaning“, so das berühmte Zitat aus dem Essay „Thick Description“ (Geertz 1973, 5), der Gilbert Ryles Begriff aufgreift. Peter Brooks beschreibt dieses Konzept in seinem Aufsatz zu Roland Barthes und einem semiotischen Geertz als „a kind of layering, impasto description that builds the sense of cultural behavior by repeated recontextualizations and hypotheses of meaning. The Balinese cockfight has rules behind rules behind rules. You get to its meaning by a restless engagement with all of these rules and their possible interactions.“ Und weiter: „Cultural texts demand to be read for their interpretive messages, for interpretation is their very function. And the readers must thus be able to embrace the ‚sentimental education‘ and desentimentalize it, understand what kinds of messages it is manufacturing, and give their analysis“ (Brooks 2011, 11). Cf. Geertz 1973, 7: „a stratified hierarchy of meaningful structures in terms of which they [sc. soziale Handlungen] are produced, perceived, and interpreted, and without which they would not [...] in fact exist.“ Geertz 1973, 5. Zu alldem und einer zunächst eher fern liegenden Verbindung zum (kulturelle Codes aufzeigenden) Denken Roland Barthes’, s. Brooks 2011.

Die römische Kultur der Differenz

241

signification.“145 So wurde Geertz bisweilen auch in der (bald post-)strukturalistischen Tradition eines Roland Barthes verortet, der die Zeichen der Kultur in den Mythologies ebenfalls auf einen systematisch analysierbaren Code zurück-, sie aber der naturalisierenden Tendenz der Mythenbildung überführte, 146 indem er die Konstruiertheit der kulturellen Botschaften in seinem Kampf gegen deren Naturalisierung aufzeigte. Bei Geertz ist für diesen Kampf „wider die Kultur“ kein Platz; es geht bei ihm um einen semiotischen Verstehensprozess fremder Ethnien, der wiederum eine neue Semiotik erzeugt. Die Fasti scheinen, wenn man sie als Erklärung, ja Soziologie der Kultur verstehen will, zwischen diesen beiden Positionen zu stehen. Im Text gibt sich die Autoren-persona Ovids als eine Art Kulturanthropologe, als antiquarischer Erforscher alles Römischen, und reist selbst in die Vororte, um Kulten beizuwohnen; er vergleicht römische Bräuche und Kalender mit denen der Nachbarvölker; er gibt Mehrfach-Aitiologien und schafft „dichte Beschreibungen“ der Phänomene, die im zeitgenössischen Rom anzutreffen sind. Barthes’ kulturkritische Position wird jedoch dort eingenommen, wo durch diese Mehrfach- und literarische Neumotivierung der römischen Feste und Bräuche die Kontingenz und Gemachtheit der Kultur verdeutlicht wird. Wo die Ideologie der Kultur (d.h. die dominante Form des Mythos, der Interpretation der Feste, etc.) das Römische in der einmal festgeschriebenen Form ‚natürlich‘ erscheinen lässt, dort wird in den Fasti gezeigt, dass alles Kultur ist, nichts kulturneutral ist. So ist es zuvorderst mit dem Kalender selbst und seinen variablen Ordnungsmustern, seinen verschieden denkbaren Anfangspunkten, wie wir gesehen haben. Das bedeutet auch, dass alles aus bestimmten Gründen geworden ist, wie es ist, also auch anders sein könnte. Man sieht sich in den Fasti immer neuen Kontextualisierungen und Historisierungen gegenüber – das leistet die Aitiologie mit ihrer Offenheit in die Vergangenheit. Werfen wir nun noch einen Blick auf die jüngste Debatte um den Kulturbegriff. Niklas Luhmann als deutscher Hauptvertreter der systemtheoretisch-soziologischen Forschungen, ebenfalls ein Schüler Talcott Parsons’, versteht „Kultur“ vor allem als Modernisierungsbegriff des 18. Jahrhunderts, als Kategorie von „Beobachtung zweiter Ordnung“, die mit der Relativität von Auffassungen innerhalb einer Gesellschaft umzugehen hilft und einen Modus der Vergleichbarkeit, d.h. der Beobachtung von Gemeinsamkeiten und Differenzen sucht. 147 Luhmann, der den Kulturbegriff ob seiner semantischen Überforderung sowie seiner „Europa-“ und „Modernitätszentrierung“ allerdings auch als „einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind,“148 bezeichnet hat, definiert ihn in Absetzung 145 146

147 148

Geertz 1973, 9. Barthes 1957, 215. Für den Codebegriff Barthes’, s. den Abschnitt oben zur Theorie des Codes. Luhmann 1995, 32 f. Zu Luhmanns Kulturbegriff, s. auch Haye/Scholz 2011, 15 f. Luhmann 1997, 398. Zur Kritik Luhmanns am Begriff, s. Colli 2004, Koschorke 2004 (dort Anm. 2 und 11) und Schaffrick 2016.

242

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

dieser meisten anderen Verwendungen im Sinne von anschlussfähiger Kommunikation und wird dabei in der Bestimmung des Verhältnisses von Kultur und Gesellschaft konkreter als Parsons. Er beschreibt ihn als eine Art Vorrat möglicher Themen, die für rasche und rasch verständliche Aufnahme in konkreten kommunikativen Prozessen bereitstehen. Wir nennen diesen Themenvorrat Kultur und, wenn er eigens für Kommunikationszwecke aufbewahrt wird, Semantik. [...] Kultur ist kein notwendig normativer Sinngehalt, wohl aber eine Sinnfestlegung (Reduktion), die es ermöglicht, in themenbezogener Kommunikation passende und nichtpassende Beiträge oder auch korrekten bzw. inkorrekten Themengebrauch zu unterscheiden.149

Im Aufsatz „Kultur als historischer Begriff“ von 1995 hat Luhmann in expliziter Bezugnahme auf die romantische Literaturkritik und die Philosophie des deutschen Idealismus gezeigt, dass der Begriff in dieser historischen Epoche vor allem für Vergleichsoperationen im Zuge des transzendentalphilosophischen Reflexionsbestrebens beansprucht wurde, das kulturell zu Vergleichende nicht mehr nur zu unterscheiden, sondern auch den „Vergleichsgesichtspunkt“ wählen zu können, „der die Selbigkeit des Verschiedenen, also Ähnlichkeit trotz Differenz garantiert.“150 Der Begriff rückt damit gänzlich auf die Metaebene von Vergleich und Selbstreflexion – am Ende des 18. Jahrhunderts ist der Zeitpunkt gekommen, da man „Kultur im Kontext historischer und regionaler (‚nationaler‘) Vergleiche zur Selbstevaluierung einsetzt.“151 Das gereiche den Akteuren dieser Kultur als Quelle des Orientierungswissens. Kennzeichen für diesen historischen Begriff der Kultur seien auch das „Interesse an Zeichen (an Symbolen, an Sprache, an Schrift und ihren Doppelungen).“152 Bei Luhmann ist der Kulturbegriff also vor allem ein spezifisch moderner Vergleichs- und Reflexionsbegriff, der eine Form der Beobachtung zweiter Ordnung in die Gesellschaft einführt. Die Relativität all dessen, das verglichen werden

149

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Luhmann 1984, 224 f., Hervorh. im Orig. An anderer Stelle definiert er Kultur unter Verweis auf Aleida und Jan Assmann als „das Gedächtnis sozialer Systeme, vor allem des Gesellschaftssystems. Kultur ist, anders gesagt, die Sinnform der Rekursivität sozialer Kommunikation“ (1995, 47). Luhmann 1995, 38; einem philosophiegeschichtlichen Durchbruch sei so der Weg gebahnt worden (ibid. 49): „Die Artikulation und Formulierung von Kultur ersetzt die weltinvarianten Wesensformen auf der Basis vergleichender Beobachtungen – durch Reflexion.“ In diesem Sinne definiert Kant (1968) als der Bereiter der Transzendentalphilosophie in KdU B391 den Kulturbegriff, nämlich als „Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt (folglich in seiner Freiheit).“ Cf. zu alldem Schaffrick 2016, 275. Luhmann 1997, 213 f. Luhmann 1995, 39 f.

Die römische Kultur der Differenz

243

kann, wird damit impliziert. So „überzieht die Semantik der Kultur alles, was kommuniziert werden kann, mit Kontingenz.“153 Luhmann erläutert das folgendermaßen weiter: Der Begriff ‚Kultur‘ [. . .] beobachtet sich selbst und alles, was unter ihn fällt, als kontingent. Je mehr die Reflexion Notwendiges sucht (zum Beispiel unbedingt geltende Werte), desto mehr erzeugt sie im Effekt Kontingenz (zum Beispiel ‚Werteabwägungen‘). [. . .] Vor allem liegt schon in der vergleichenden Intention, dass das, was verglichen wird, auch anders möglich, also kontingent ist. Kultur entsteht [...] immer dann, wenn der Blick zu anderen Formen und anderen Möglichkeiten abschweift, und eben das belastet die Kultur mit dem Geburtsfehler der Kontingenz.154

Die Erfahrung von Kontingenz ist ein typischer Effekt der Beobachtung zweiter Ordnung, die beobachtet, wie, also mit welcher Unterscheidung, beobachtet wird, und die sich selbst mit einschließt. Ovid scheint den Charakter der konstruierten Kultur erkannt zu haben und ebenso wie die Bearbeiter eines autonomen Kulturbegriffs an der Schwelle der Moderne die römische Kultur schon im Anfang auf zwei Seiten einer Kultur stellen zu wollen, die von der Natur schon weitgehend abgelöst sei. Seine Entwürfe sind auch daher im Lichte von Luhmanns „sekundären Motivierungen“ zu betrachten. Auf diesen Begriff hebt Albrecht Koschorke im Rückgriff auf Luhmanns Thesen ab: Wenn uns die Welt nur in Zeichen gegeben ist und wenn alle Zeichensysteme, wie schon die Kultursemiotik des 18. Jahrhunderts herausgestellt hat, nicht auf göttlichen Ordnungen beruhen, sondern kulturelle Artefakte darstellen, dann ist uns die Welt allein in den Kontingenzen und sekundären Motivierungen der jeweiligen Referenzkultur, das heißt in der Vielfalt unterschiedlicher Denk- und Wahrnehmungsnotwendigkeiten gegeben.155

Bei alldem und auch bei den folgenden Thesen der soziologischen und literaturwissenschaftlichen Nachfolger Luhmanns darf nicht vergessen werden, dass hier Versuche gemacht wurden, die europäische Gesellschaft an der Schwelle und am Beginn der Moderne bzw. die Funktion der Kultur in dieser Phase zu erklären. Dennoch scheinen mir diese Überlegungen auch für die Lektüre der augusteischen Texte produktiv zu sein, denn im Zuge der „augusteischen Revolution“ (nach Ronald Syme und zuletzt A. Wallace-Hadrill) ist ein Modernisierungsschub festzustellen; die Kultur erlebt eine Blütephase und versteht sich dabei dezidiert als Reflexionsmedium. In den Texten dieser Zeit geht es immer wieder um die Herstellung von Kontingenz und Vergleichsoperationen in Wertungen und Gegenüberstellungen von Gesellschaftsbereichen und Lebensentwürfen, wie wir in den 153 154 155

Ibid. 51. Ibid. 48. Koschorke 2004, 175, Hervorh. im Orig. Cf. Luhmann 1995.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

letzten Abschnitten gesehen haben. In den Fasti werden diese Differenzen ausgestellt; aber die Einheit der Differenz und somit die implizierte „Ähnlichkeit trotz Differenz“ des Unterschiedenen, ihre Zusammengehörigkeit als römische Kultur insgesamt kommen umso deutlicher zum Ausdruck. Genau diese Denkfigur habe ich in der ‚Form des Janus‘ und den Ebenen ihrer Umsetzung in den Fasti zu beschreiben versucht. Dabei werden die Kontingenzen am Beginn der Kultur genauso ausgestellt wie die Abwägungen notwendig geltender Werte der Gesellschaft. In den Passagen über die Lebenswahl, in den elegischen Figuren von militia, amor und dann echtem Dienst an der Kultur und am Princeps durch das Schreiben von aitiologischer Elegie werden diese Werte immer wieder verhandelt und die Kontingenz der geltenden Umstände aufgezeigt. So ist die augusteische Poesie als Reflexionsmedium, d.h. als Kultur zu verstehen. Wenn Ovid heute bisweilen als postmoderner Autor gelesen wird, dann doch deshalb, weil in ihm die Vervielfältigung (sozialer) Symboliken und Codes greifbar wird, deren Übersetzbarkeit ineinander immer mehr in Frage steht. Er selbst macht zumindest den Versuch, sie alle nebeneinander stehen zu lassen. Im zeitgenössischen Rom Ovids herrscht die geschichtsphilosophische Gewissheit der in Augustus kulminierenden Weltmacht Roms, die in der Aeneis in kulturelle Reflexion überführt wurde. In der Identitätsstiftung des antiquarischen Projekts seit der späten Republik wurden Gewissheiten der Herkunft der Kultur geschaffen; Rom wird zum zentralen Vergleichspunkt für sich selbst und andere Kulturen. In den Fasti geht der Blick diesen Vorläufern entsprechend im Modus der Aitiologie immer wieder auf die Anfangserzählungen der römischen Kultur zurück, und die Dynamik der Kalenderexegese wird für die Herstellung „sekundärer Motivierungen“ in der „Vielfalt der Denknotwendigkeiten“ literarisch genutzt. Diese Aitiologien sind im Hinblick auf mehrere Anfänge und Gründungen der urbs konstitutiv für diesen Text und die in ihm repräsentierte Kultur. Der Kulturbegriff wird bei Luhmann immer mehr im Gesellschaftsbegriff absorbiert, für den er nur noch Reflexionsbegriff ist. Luhmanns Unbehagen an dem Begriff wurde von seinem Schüler Dirk Baecker wiederum ins Positive gewendet, der dessen Definition der Kultur als „Vergleichstechnik“ dabei aufgreift. Er umschreibt Kultur mit Horkheimer und Adorno (und man denkt an Barthes’ Bemühungen in den Mythologies mit demselben Ziel) „als Widerstreit mit der Gesellschaft in der Gesellschaft.“156 In ihr werde immer mitreflektiert, unter welchen Bedingungen ihre Entwürfe und Techniken nicht funktionierten: Kultur beginnt damit, Nein sagen zu können, und vollendet sich darin, aus diesem Nein positive Effekte zu gewinnen. Genau das heißt: kultivieren. Zwischen dem Nein und dem Ja jedoch liegt keine eindeutige Faktizität, sondern eine variantenreiche Reflexion, die, mit Hegel, nur spekulativ zu erfassen und zu betreiben 156

Baecker 2013, 222. S. dazu und zum Folgenden Schaffrick 2016, 278 f. Zu Baeckers Weiterführung des Luhmannschen Kulturbegriffs, s. auch Haye/Scholz 2011, 16 f.

Die römische Kultur der Differenz

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ist. Deswegen ‚ist‘ Kultur die Pflege, die Kritik und der Vergleich menschlicher Verhältnisse im Kontext der möglichen Ablehnung dieser Verhältnisse. Ihre Wirklichkeit ist die einer wirksamen Paradoxie, einer Sorge tragenden Negation.157

Die Gegenüberstellungen in den Fasti, die wir als axiologisch-poetologische Leitdifferenzen kennengelernt haben, denken das Abgelehnte durch dessen Aufruf in der Negation stets mit. „Menschliche Verhältnisse“ werden in verschiedenen Varianten gedacht, zwischen Ja und Nein wird immer wieder verhandelt. Ähnlich wie Geertz sieht Baecker die Unabgeschlossenheit in der Selbstbeschreibungsfunktion der Kultur und bestimmt diese deshalb als „Manifestation eines menschlichen Willens im Kontext einer mitlaufenden Welt, die sich nur begrenzt aneignen zu können und dennoch laufend neu bewerten zu wollen zur Primärerfahrung von Kultur zählt.“158 Was in Ovids Schreiben als römische Kultur und über sie deutlich wird, ist die Neumotivierung von schon vorgefundenem literarischem Material und die immer mehr erreichte Abstraktion und Formalisierung innerhalb dieses literarischen Raums der antiken Literaturgeschichte. Die laufende Neubewertung der Kultur geht mit einer laufenden Neumotivierung sowohl literarischer als auch im römischen Kalender fixierter Elemente der Kultur einher. Denn der Kalender ist ebenfalls eine Abstraktion, ein gleichsam zweidimensionales Modell des Jahres, das erst durch die Exegese Tiefe erhält und immer wieder neu motiviert werden kann.159 „Die steuernde Struktur eines Systems, seine Kultur, ist unsichtbar, sichtbar sind dagegen nur die Formbildungen und Operationen des Systems,“ schreibt Baecker weiter, ganz in einer Linie mit Parsons und Geertz. Die „latente Kultur“ zeige sich allerdings in symbolischen und technischen Medien, „die jene kulturellen Strukturen aufbewahren und als Orientierungsprogramme in die Gesellschaft einspeisen.“160 Unter solchen symbolischen und technischen Medien können wir uns den Kalender vorstellen – allerdings genauso die Literatur, sobald sie relevant für die Gesellschaft wird. In den Fasti (aber auch in anderen Dichtungen der Zeit), so habe ich es im Abschnitt 4.3 zur Axiologie der augusteischen Dichtung dargestellt, finden wertende Bestimmungen, die laut Baecker zu den Primärerfahrungen von Kultur gehören, verstärkt in Differenzierungsoperationen statt. In den antiken Kulturentstehungslehren werden diese Differenzierungen, die aus einem zunächst homogenen, gleichsam unkultivierten Raum entstehen, immer wieder den gegenwärtigen Bedürfnissen oder literarisch-ästhetischen Kriterien gemäß ins Bild gesetzt. Die Kultur wird auf diese Weise als ein „Entstehungsort von Systemrationalitäten“ konzeptualisiert, wie der Germanist Albrecht Koschorke Luhmanns Thesen des Kul-

157 158 159 160

Baecker 2014, 8. Ibid. 18. S. dazu Beard 1987. Baecker 2014, 23.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

turaufsatzes in seinen eigenen Überlegungen zur Grundlegung der Kulturwissenschaften weiterführt:161 Die Kultur ist wiederum eine Art Vorratsraum, wo die Konstitution der Gesellschaft verhandelt werden kann, bevor sie ihre Bereiche und Werte ordnet und während sie diese immer wieder neu reflektiert. Laut Koschorke werden in den Anfangserzählungen über eine Kultur auch immer die Bedingungen der Möglichkeit von ihrem Wissen mitreflektiert, und den Paradoxien solcher Anfangserzählungen (denn woher könnte man letztlich über die Anfänge Bescheid wissen, an denen die Kultur noch gar keine Möglichkeiten ihrer eigenen Festschreibung und Dokumentation bot?) wird in der Erzählung durch fiktionale Grundlegung begegnet.162 Mit diesen Mitteln erst werden Codes der Systeme vor ihrer Konstitution in Kraft gesetzt, nämlich mit den Mitteln der imaginativen Literatur. Das ist der von Livius den Dichtern zugeschriebene mythhistorische Bereich vor und während der Gründung der Stadt in der Vorrede von Ab urbe condita,163 der für die Dichtung jedoch gerade die interessanteste Phase sein musste, weil sie hier am freiesten walten, Ereignisse und Taten motivieren kann. Besonders Vergils und Ovids Texte beweisen das. Koschorke schlägt also vor, den von Luhmann und in der Systemtheorie allgemein meist ausgesparten Raum zwischen und vor den Systemen, „in dem sich die verschiedenen (systemischen) Rationalitätstypen berühren, kreuzen, mischen, verstärken und widerstreiten,“ als Kultur zu bezeichnen. Die Kultur sei der „Schauplatz, auf dem sich die Differenz von Ungeschiedenheit und Differenzierung, von Nicht-Code und Code auffaltet.“164 Für Koschorke ist das Medium, in dem Kodierungen und ihre Begründungen, in dem Beziehungen und Konflikte zwischen gesellschaftlichen Systemen, aber auch der Status von Fiktion und Repräsentation ausgehandelt werden, das Narrativ. In diesem vorläufigen kulturellen Raum, wo „symbolische Machtkämpfe“ um den Geltungsradius jener Systemrationalitäten erst ausgefochten werden müssten, wo erst entschieden werde, ob „Konflikte moralisch, rechtlich oder politisch zu lösen sind,“ da könne eine „trennscharfe Unterscheidung zwischen Code und Operation, Spielregel und Spiel“ noch gar nicht getroffen werden.165 Dieser „Quellgrund“ und Ort außerhalb bzw. vor der Ordnung, wo sich der Code erst noch herausbilden muss, ist in der Janus-Kosmologie der Fasti bildhaft inszeniert. Erst wenn Janus die Gestalt mit zwei Köpfen angenommen hat, kann das Jahr wirklich beginnen. Die Paradoxien einer ersten Aufspaltung aus dem Chaos sind in beiden groß angelegten Kosmologien Ovids, in den je ersten Büchern der Metamorphosen und der Fasti, evident. In beiden Weltentstehungsnarrativen werden semantische Grundlagen für die gesamten 161 162 163

164 165

Koschorke 2012, 179. Ibid. Liv. praef. 2: quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. Ibid. 180 f. Ibid. 179 f.

Die römische Kultur der Differenz

247

Werke gelegt: einerseits die kosmische Fähigkeit zur Verwandlung und Neuordnung, andererseits die grundlegende Dualität der kosmischen Materie (s. Kap. 4.1 für eine ausführlichere Interpretation der Fasti-Kosmogonie). Diese beiden Grundfiguren geben immer wieder das Muster vor, in denen sich die Erzählung bewegt. Besonders in den Fasti und ihren allfällig anzutreffenden aitiologischen Sprüngen vom Jetzt zum Einst wird die Ableitung der sozialen Verfasstheit und politischen Ordnung der Gegenwart aus der Vergangenheit versucht, die der Janusfigur als Denkfigur (dem ersten kosmischen Anfang), das wird impliziert, strukturell immer verpflichtet bleibt. Hier fallen Ereignis und Struktur der allerersten Ordnung zusammen, die in den (chronologisch viel später angesetzten) kulturellen Anfangserzählungen teils vorausgesetzt, teils – wie in der Sage der Zwillinge und des Gründungsaktes (s.u.) – erneut ausgetragen werden. In den Fiktionen von den Anfängen Roms werden also die schon etablierten Codes des späteren Roms rückprojiziert: Kulturelle Anfangserzählungen funktionieren folglich nur, indem sie performativ die Ebenen von Ereignis und Struktur, Erzähltem und Erzählung ineinander fallen lassen. Als Experimentierfeld von Codierungen setzen sie die Codes der verschiedenen sozialen Systeme in Kraft.166

Das ist mit den Mitteln des jeweiligen Systems (Recht, Politik, etc.) nicht möglich; aber mit denen der Literatur insofern, als diese mit dem „Zusammentreffen unterschiedlicher Sprechweisen und Geltungsansprüche, mit kulturellen Imponderabilien und fiktionalen Selbstsetzungen“ sehr wohl umgehen kann und ihre Erfahrungen gemacht hat.167 Wenn es also richtig ist, dass die Fasti ein übergreifendes Kulturkonzept als Dachkonzept etablieren wollen und insgesamt einen Modus der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Bereichen dieser Kultur suchen, der Kulturbegriff also auf eine Metaebene der Beschreibung des Gesamten tritt, dann ist es sinnvoll, die in der hellenistischen Gattungssystematik schon angelegten Differenzierungsoperationen (s. Kap. 4.2) in den Fasti auch als literarischen Beschreibungsapparat für die gesellschaftliche Modernisierung und Ausdifferenzierung anzusehen, die sich in der späten Republik und unter Augustus immer mehr abzeichnete. Der antiquarisch-aitiologische Modus der Erzählung, die Herleitung gegenwärtiger Phänomene aus einer für diese Kultur konstitutiven Vergangenheit ist dafür entscheidend. Denn für einen neuen Kultur- und Identitätsentwurf sind Anfangserzählungen nötig, die über die Bedingungen der eigenen Lebenswelt reflektieren, aber zugleich auch über ein in der Gegenwart dieser Lebenswelt funktionales Wissen von diesem Anfang – also auch über Koschorkes „Bedingungen der Möglichkeit des Wissens vom eigenen Anfang.“ Auch Menschen vor der Gesellschaft und bei der sozialen Menschwerdung sind Thema der Fasti: Themen sind die Anfänge von 166 167

Koschorke 2004, 181. Ibid.

248

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Stadt, Kalender, Riten und Festen. Die historiographische, aber auch die literarisch-fiktive Konstruktion einer ‚bis heute‘ gültigen Gesellschaft geht in diesem Text immer einher mit einer Verfeinerung der kulturellen und epistemischen Techniken in Opposition zu einer nur militärisch-expansiven Ausrichtung des sozialen Miteinanders. Hier ist der Kern der augusteischen pax und Kulturpolitik berührt, denn hier wird das antiquarische Gelehrtentum bemüht, um das eigentlich Römische abseits von Kriegsführung auszumachen.

4.5.3

Kulturentstehungslehre

Die Fasti gehen wie zahlreiche andere Texte der Augusteer immer wieder zu einem Anfang und damit zur Phase einer Erstkonstitution zurück, um die ersten Differenzierungen und die Ausrichtung der römischen Kultur plausibel zu machen. Die Lehre von den Zeitaltern mit ihrem Kulturpessimismus und ihrer Dekadenzkritik steht hier meist im Hintergrund und richtet so den Blick in eine heile Vergangenheit vor der Kultur oder, im Rückgang auf die republikanischen Ideale, vor einem Zuviel der Kultur. Die aitiologischen Passagen der Fasti führen den Leser allerdings häufig zusätzlich in die augusteische Gegenwart, die von einer Rückfindung zu echten Werten und Einheit der Kultur geprägt ist, und verweisen in eine (noch) bessere Zukunft, in der alle, auch die Herrscher, sich um die Kultur kümmern (curare) und nicht zuletzt Zeit haben (vacare), Ovids Texte zu würdigen, in der also Kunst und Dichtung ein hoher Stellenwert zugesprochen wird. Ergänzend zu den aitiologisch-mythhistorischen Stellen der Kulturgenese finden sich außerdem Passagen des Kulturvergleichs. Der Modus des Vergleichs und der so gezeigten Gemachtheit, ja Kontingenz aller Kultur, der im modernen Kulturbegriff zentral ist, spielt auch in den Fasti immer wieder eine Rolle. Eine längere Passage hingegen, die ganz von Kulturoptimismus geprägt wird, ist der Venus-Hymnus noch zu Beginn des vierten Buches. 168 In ihm wird der poetischen Hausgöttin Ovids das Recht auf den Monatsnamen Aprilis zugestanden (nämlich abgeleitet, so heißt es in 4.61 f., vom Namen der griechischen Aphrodite, also letztlich a spumis [62 „vom Schaum (sc. des Meeres)“], dem griechischen ἀφρός).169 Nach einer kurzen Passage, die Italien als griechische Kolonie zeichnet und so die zweisprachige Etymologie rechtfertigen will (63 f., nec tibi sit mirum Graeco rem nomine dici; / Itala nam tellus Graecia maior erat; „es soll dir nicht verwunderlich sein, dass [sc. Venus] mit griechischem Namen bezeichnet wird;

168 169

Zu diesem Hymnus, cf. Ferrarino 1958. Für eine ausführliche Besprechung der Etymologie des April, s. Kap. 3.1.5. Zum erweiterten Proöm des vierten Buchs und zur Zueignung des April(-Buches) an Venus, s. Kap. 3.2.4.3.

Die römische Kultur der Differenz

249

denn die italische Erde war Großgriechenland“) folgt ein längeres Loblied auf Venus.170 Sie wird im Hymnus (4.91–132), der durch die Anapher von illa (jeweils am Anfang des Verses in 91, 92 sowie in 95-97) von Beginn an im für diese Form typischen Stil gehalten ist, als die Frühlingsgöttin par excellence beschrieben: als epikureisch-lukrezische blanda voluptas (99), Bringerin der Fruchtbarkeit und Kulturschöpferin, die den gesamten Erdkreis beseelt und lenkt, Tiere und Menschen zu ihren Handlungen antreibt und so die artes in die Welt gebracht hat (4.91–98; 103 f.; 107–14):171 illa quidem totum dignissima temperat orbem, illa tenet nullo regna minora deo, iuraque dat caelo, terrae, natalibus undis, perque suos initus continet omne genus. illa deos omnes (longum est numerare) creavit, illa satis causas arboribusque dedit, illa rudes animos hominum contraxit in unum, et docuit iungi cum pare quemque sua. [...] deposita sequitur taurus feritate iuvencam, quem toti saltus, quem nemus omne tremit; [...] prima feros habitus homini detraxit: ab illa venerunt cultus mundaque cura sui. primus amans carmen vigilatum nocte negata dicitur ad clausas concinuisse fores, eloquiumque fuit duram exorare puellam, proque sua causa quisque disertus erat. mille per hanc artes motae; studioque placendi, quae latuere prius, multa reperta ferunt.

95

103

110

Jene lenkt höchst ehrwürdig den ganzen Erdkreis, sie regiert ein Königreich, das nicht geringer als irgendein anderer Gott ist; sie gibt dem Himmel die Gesetze, auch der Erde, den Wellen, in denen sie geboren ist, und verbindet jedes Geschlecht durch ihre Ankunft. Sie hat alle Götter geschaffen (es würde zu weit führen, sie alle aufzuzählen), sie hat den Saaten und den Bäumen ihren Ursprung gegeben; sie hat die rohen Gemüter der Menschen vereinigt und gelehrt, dass jeder sich mit seinesgleichen verbinde. [...] (103) Nachdem er seine Wildheit abgelegt hat, folgt der Stier der Kuh, vor dem die ganze Weide, der gesamte Wald erzittert. [....] (107) Als erste nahm Venus dem Menschen die wilden Umgangsformen; von ihr stammten verfeinerter Umgang und die elegante Sorge um sich. Man sagt, dass als erster ein Liebender ein Wachelied an der geschlossenen Tür komponierte, nachdem die Liebesnacht verweigert war, und die ausgeschmückte Rede hatte den Zweck, die harte 170

171

S. zum Thema der kulturellen Identität Roms im Mit- und Gegeneinander mit Griechenland Labate 2003. Die Aufzählung kultureller Errungenschaften ist eine Fortsetzung der Liste in der Ars (2.467–92); cf. zum Verhältnis der Passagen Ferrarino 1958 und Smutek 2015, 217– 220.

250

Die Fasti als augusteisches Kulturbuch Geliebte anzuflehen, und im eigenen Interesse war jeder redegewandt. Durch sie wurden tausend Künste angeregt; im Bestreben zu gefallen wurde vieles erfunden, was zuvor verborgen war.172

Im Proöm des vierten Buchs schon als Inspirationsgöttin für Ovids gesamtes Werk gefeiert,173 nimmt der Lobpreis hier in Anlehnung an Lukrez’ Venus aus dem Proöm von De rerum natura (die voluptas wird dort im allerersten Vers genannt) universalistische Züge an.174 Der Venus und damit der Erotik, dem angestammten Thema der römischen Elegie, sei also die gesamte Zivilisation zu verdanken. 175 Noch mehr: Sie beherrscht die Gesetze aller Lebensbereiche und -formen (91–4), sie ist erster Ursprung aller Götter und Lebewesen und selbst ein Aition bzw. eine Spenderin von causae (96) – somit wird sie auf einer weiteren Ebene Schirmherrin für das aitiologische Gedicht. Menschen wären ohne ihre Macht nicht viel kultivierter als Tiere: Wie die feritas des Stiers durch Venus’ Gabe der geschlechtlichen Liebe abgelegt wird (103), so nimmt sie auch dem Menschen die „wilden Umgangsformen“; cultus und cura sui sind ihr zu verdanken (107 f.).176 Menschen leben in Gemeinschaft dank ihr (97 illa rudes animos hominum contraxit in unum), und dank ihr findet jeder Mensch oder gar jedes Lebewesen seinesgleichen (98 docuit iungi cum pare quemque sua). Kultur hebt die Gegensätze auf, so die Kernaussage des Passus, sie führt zur Einheit der Differenzen.

172

173

174

175

176

Cf. die Kulturentstehungslehren bzw. -aitiologien in Lukrez’ fünftem Buch, Vergils drittem Georgica-Buch sowie Manilius, Astr. 1.66–112 (auch hier rudis vita, die durch labor zum ingenium geführt worden sei: 95 omnia conando docilis sollertia vicit). S. Fantham 1998 ad 85–132: „Stories of civilization too had developed a traditional form, from the Epicurean version of Lucr. 5.900 ff. to Hor. Sat. 1.3.99–111. Prose and verse authors alike competed to ascribe the formation of civilized communiites to Logos (Reason or Language, personified Philosophy and Rhetoric), or to culture gods like Ceres and Bacchus (Tibullus’ Osiris is an equivalent).“ Zu dieser poetologischen Passage, s. Kötzle 1991, 50 f., Barchiesi 1997, 55 f., Hübner 1999, 457, Schubert 1999 und Smutek 2015, 209–17. Cf. Miller 1996 zur philosophischen Dimension der Venus bei Ovid. Ferrarino 1958, 301 geht von einer „anti-lukrezischen“ Haltung gegenüber Venus bei Ovid aus: „Ovidio [...] racchiude in sé un’anima decisamente antilucreziana.“ S. auch Holzberg 2005, 172. Cf.. Fantham 1998 ad 85–132: „neither Lucretius’ hymn to Venus, nor Virgil’s [...] go so far as to include among her powers and their praises responsibility for civilization itself: rather they imply a contrast between her role in Nature, and the world of culture. Thus Ovid’s only precedent for his praise of Venus’ blanda voluptas as a civilizing force here is his own condensed prehistory in AA 2.467–88.“ S. zur Genese der Kultur aus der Liebe bes. auch Georg 3.242–4: omne adeo genus in terris hominumque ferarumque / et genus aequoreum, pecudes pictaeque uolucres, / in furias ignemque ruunt: amor omnibus idem. In Georg. 1.33-45 wird die Entwicklung der artes dagegen auf Jupiters Setzung menschlicher Bedürfnisse und den labor zurückgeführt. Mit Ferrarino 1958, 303 kann man hier an Ciceros hunc humanum cultum civilemque aus De oratore 1.33 denken.

Die römische Kultur der Differenz

251

Bei diesem Distichon lohnt es sich, innezuhalten, denn hier wird die grundlegende Form der Fasti, die Form der Doppelung und der Einheit der Differenz, am Moment der Kulturentstehung wiederum ins Bild gesetzt. Die „rohen Gemüter“ der Menschen, die an sich unterschieden und unkultiviert waren, bringt Venus’ Bindungskraft in unum, „in eins“ – ein Triumph der Form, der zur ersten menschlichen Gemeinschaft und zur Grundlage der Kultur führt. Man denkt an Janus’ Gestalt, die eine solche Zweiheit in einer Form verkörpert, aber auch an seine gleichsam poetische Leistung, die eigene Aussage über den Jahresanfang in genau ein Distichon, d.h. zwei Verse „zusammenzubringen“ (Fasti 1.162 contulit in versus sic sua verba duos), also ganz ähnlich wie bei der Handlung des „Zusammenziehens“ (con-trahere) der Göttin zu verfahren. Weiter lehrte Venus, dass alle Lebewesen sich in Paaren zusammenfinden, die geschlechtliche Polarität in einer Einheit somit zur produktiven Auflösung komme (98). Wie wir gesehen haben, ist es im romuleischen, kulturlosen Rom der Fasti gerade der Mangel an Kultur, der auch einen Mangel an Liebe mit sich bringt: Kurz vor dem Raub der Sabinerinnen findet jedes sein Gegenstück, nur die Römer ohne Kultur nicht (3.191–6): in stabulis habitasse et oves pavisse nocebat iugeraque inculti pauca tenere soli. cum pare quaeque suo coeunt volucresque feraeque atque aliquam de qua procreet anguis habet. extremis dantur conubia gentibus: at quae 195 Romano vellet nubere nulla fuit. Es schadete, in Ställen gewohnt und Schaffe geweidet zu haben, und wenige Morgen Landes unbestellten Bodens zu besitzen. Jedes kommt mit seinesgleichen zusammen, sowohl Vögel als auch wilde Tiere, und auch die Schlange findet eine andere, mit der sie sich fortpflanzen kann. Bei den äußersten Völkern werden Ehen geschlossen; aber es gab keine Frau, die sich mit einem Römer vermählen wollte.

In Kap. 3.2.4.2 habe ich die ‚kulturalisierende‘, zivilisierende Kraft der Frauen an den Matronalia im Krieg gegen die Sabiner schon beleuchtet, die den Gott Mars wie auch die Heeresfronten durch ihre elegisch-weiblichen Handlungen besänftigen und zu Schlichterinnen werden. An der Schlichterfigur Terminus und dem Vergleich mit den Versen 6.91–6 zu Concordia (bes. 94, binaque cum populis regna coisse suis) habe ich in Kap. 3.2.5 gezeigt, wie die Semantik des „Zusammenkommens“ die Form der Einheit der Differenz immer wieder ins Bild setzt. In diesem Sinne ist auch Venus’ Leistung Vers 4.94 (perque suos initus continet omne genus) zu verstehen, der mit der Nennung der „Ankunft“ der Göttin im Übrigen direkt die Verse 11 f. aus Lukrez’ Proöm aufgreift, wo Venus ebenfalls den Frühling bringt und alles Leben antreibt und vereinigt (und wieder ein primum zu finden ist, allerdings in Bezug auf die Ankunft des Frühlings im Tierreich): aeriae primum volucris te, diva, tuumque / significant initum perculsae corda tua vi („die Vögel der Luft kündigen dich zuerst an, Göttin, und deine Ankunft, im

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Herzen getroffen durch deine Macht“). Zudem lehrt sie die Künste: erstens die Dichtung, die nicht zufällig in einem elegischen Gedicht, das sich so selbst als Kulturprodukt nobilitiert, von einem elegisch Liebenden erfunden wird, und im Besonderen das Paraklausithyron der durchwachten Nacht (109 f.) – in diesem Distichon erscheint noch einmal das verbindende cum- in concinuisse, in diesem Kontext vielleicht auch das der musikalischen Harmonie); zweitens die Rhetorik zur Überzeugung sowohl der dura puella als auch jedes Publikums im Interesse der eigenen Sache (111 f.). Jeder will gefallen, was Verdienst der Venus-voluptas ist; als Mittel, dieses Gefallen bei anderen zu erzeugen, entstünde Kultur – so die Kernaussage des Hymnus, die den Abschnitt beschließt (113 f.). Lohnend ist auch ein Blick auf die Modellpassage des Venus-Hymnus der Fasti aus Ovids eigenem Werk, einer weiteren Kulturentstehungsgeschichte, die sich im zweiten Buch der Ars findet (Verse 459–80). Denn so wird die abweichende, für die Fasti charakteristischen Ausrichtung der an die Ars-Stelle teils eng angelehnten Verse deutlich – was in Kap. 4.3 auch schon am kulturpessimistischen Gedicht Amores 3.8 aufgefallen war. Geht es im kalendarischen Kontext der Fasti letztlich um die Entstehung des Lebens im Frühling durch das Prinzip der voluptas, das Venus verkörpert, und um die kulturoptimistische, aitiologische Herleitung verschiedener Künste und Venus’ Stellung in der römischen Gesellschaft, steht in der didaktischen Methodik der Ars die Kraft der Versöhnung der Veneris gaudia (Ars 2.459), des sapienter amare (501 und 511) im Vordergrund, mit dem sowohl Pax (460) als auch Concordia (463) und Gratia (465) einhergehen. Gerade die beiden ersteren personifizierten Idealwerte der römischen Gesellschaft, für die Venus hier verantwortlich sein soll, werfen allerdings ein Licht voraus auf die Fasti, wo diese beiden als Trägerinnen der Prinzipatsideologie gefeiert werden. In den Versen Ars 2.467–70 läuft eine stark geraffte Kosmogonie ab, deren Fokus wie in denen der Metamorphosen der Janus-Kosmologie der Fasti auf der empedokleischen Trennung der Elemente aus einem zunächst ungeschiedenen Chaos liegt (467 f.): prima fuit rerum confusa sine ordine moles, / unaque erat facies sidera, terra, fretum („zuerst gab es eine vermischte Masse von Dingen ohne Ordnung, und eine einzige Gestalt waren die Sterne, die Erde, das Meer“). Diese Darstellung zumal einer sine imagine moles hatte auch Janus von seiner eigenen Geburt gegeben (Fasti 1.111 f.: tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles, / in faciem redii dignaque membra deo; s. Kap. 3.2.3 und 4.1 zu dieser Kosmogonie). So ist in den Fasti wie an der Stelle der Ars der Raum vor der Ordnung, vor der Unterscheidung bezeichnet, und in den beiden Kulturentstehungslehren (auch in Fasti 4.94 gab die empedokleisch gedachte Venus den Elementen erst ihre „Gesetze“) ist diese Formlosigkeit, die Vorzeit der kosmischen Ordnung als kontingenter Vorraum der universalen Kodierungen (des Textes) auf die Vorzeit der Kultur als kontingenten Vorrat der kulturellen Kodierungen übertragen (Ars 2.473 f.): tum genus humanum solis errabat in agris, / idque merae vires et rude corpus erat („damals irrte das menschliche Geschlecht auf den Feldern, und es war bloße Kraft und ungebildeter Kör-

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per“). Der menschliche Körper selbst erscheint also wie das formlose Chaos. Dieses „Umherirren“ ist übrigens im gleichen Denkmuster gedacht wie das „Irren“ der Zeiten, bevor der cura des Caesar in den Fasti eingriff, dessen kulturell-astronomischer Einfluss den Kalender gleichsam begradigte (3.155 f., sed tamen errabant etiam nunc tempora, donec / Caesaris in multis haec quoque cura fuit). An solchen Parallelen wird deutlich, dass die Cäsaren der Fasti formal oft wie andere vereinigende, schlichtende, kulturalisierende Figuren oder Elemente im Text gedacht werden – also wie Venus, Terminus oder Janus. Denn auch in den Fasti und dieser im gleichen Duktus geführten Passage der Ars ist es eine solche Instanz, nämlich Venus als die lukrezische voluptas, die in der Kulturentstehungslehre eine Ordnung und letztlich Vereinigung der Gegensätze „an einem Ort“ – genau wie Janus oder Terminus – herstellt (wieder ein cum-Kompositum in Vers Ars. 2.478, constiterant; 477–80): blanda truces animos fertur mollisse voluptas: constiterant uno femina virque loco; quid facerent, ipsi nullo didicere magistro: arte Venus nulla dulce peregit opus. Die schmeichelnde Lust soll die rauhen Gemüter erweicht haben: An einem Ort hatten sich Frau und Mann niedergelassen. Was sie tun sollten, lernten sie selbst ohne einen Lehrer: Venus führte ihr Werk ohne Kunstlehre durch.

Gegenüber dem Hymnus liegt der Zweck der Kulturgenese hier deutlich in der spontanen Liebespraxis, die am idealisierten Beginn der Kultur, an dem die Differenzen aufgelöst sind wie im Goldenen Zeitalter, die ars – und damit auch die Ars – obsolet macht. Anders als bei Lukrez, das setzt beide Texte Ovids vom früheren Lehrgedicht ab, ist allerdings schon in der Liebesdidaktik das Thema der Kulturalisierung zentral und wird in den Fasti noch stärker ausgearbeitet.177 Die Bewegung dieser Kulturentwicklung, die in Vers 477 so deutlich wird und in Vers 488 die Gegensätze wiederum zusammenbringt, ist immer die von feritas und ira zu concordia, von truculentia zu mansuetudo. Die Kodierungen der Fasti sind also in der Ars schon vorgezeichnet, werden allerdings in den Kulturalisierungsgeschichten des späteren Textes erst vollständig aktiviert. Wie Pietro Ferrarino das komplementäre Verhältnis der beiden Passagen zusammenfasst: „Pur essendo sempre unica la luce in cui è vista la storia del divenire dell’uomo, nei Fasti si tratta piuttosto di progresso civile, nell’Ars di progresso umano, di humanitas [...]; crescente scoperta del mondo interiore, individuale, di qua; esteriore, di là, e cioè delle scoperte (reperta) proprie della vita civile e sociale.“178 Das prima aus Vers 107 des Fasti-Hymnus, dieses „sie als erste“, das mit dem primus amans in 109 177

178

Ferrarino 1958, 302: „La novità dell’ inno ovidiano consiste allora, concettualmente, nell’ accentuazione del tema dell’ incivilimento.“ Ibid. 304.

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variierend noch einmal aufgegriffen wird, ist das primus oder prima der antiken Kulturentstehungslehren und -geschichten, der Heurematologien. Der primus inventor oder die prima inventrix ist der oder die erste, die etwas in die Kulturwelt eingebracht hat: eine Kulturtechnik wie den Ackerbau, die Schifffahrt, ein zentrales Ritual. Die Figur des Urhebers auch der Bräuche oder der (römischen) Institutionen ist ein zweiter wichtiger Anker für die Aitiologie, der allerdings anders als ihr erster Fixpunkt – das Phänomen in der Gegenwart von Text und Leser gleichsam an der Wasseroberfläche – variabel ist und vom Erzähler immer wieder in verschiedene Zeiten und Figuren als Repräsentanten dieser Vergangenheiten herabgelassen werden kann. Ebenfalls im vierten Buch der Fasti ist es eine der in der augusteischen Dichtung am häufigsten als prima bezeichneten göttlichen Kulturstifterinnen, Ceres, die eine zweite Kulturentstehungsgeschichte beflügelt: In Vers 394 entsteht die Kultur „nach dem Willen der Göttin“, sponte deae. Die in 395– 408 kurz abgehandelte Kulturgenese entwickelt sich am Paradigma der Kultivierung menschlicher Nahrungsquellen. Die „ersten Menschen“ ernährten sich von Kräutern (395), die die Erde von sich aus gab; darauf folgten die Früchte der Eiche (399, postmodo glans nota est), bevor die prima Ceres (401) den Menschen die Landwirtschaft brachte und Getreide zur Hauptnahrungsquelle wurde. Das Ideal dieser Zeit der ersten Kultur, als noch Friede herrschte, wird mit axiologischer Bewertung im Distichon 405 f. umschrieben: aes erat in pretio, Chalybeia massa latebat: / eheu, perpetuo debuit illa tegi („Erz hatte einen Wert; die Metallmasse aus Chalybes war verborgen; weh, sie hätte immer bedeckt bleiben müssen!“). Stahl vom Pontus (auch Chalybes genannt) diente zur Herstellung von sehr widerstandsfähigen Waffen – aus der Perspektive der friedliebenden, kulturkritischen Bauern der Cerealia, die der Sprecher sich zu eigen macht, ein Zuviel der Kultur. Die Metallurgie dient hier also zur Unterscheidung zweier Kulturzustände, die Vergils Georgica vorgeben (s. dazu Kap. 4.4): Frieden mit blühender Landwirtschaft (cf. die laetas segetes, die „fröhlichen“ oder „fruchtbaren Saaten“ aus Georg. 1.1 mit der „fröhlichen Ceres“ im Frieden aus Fasti 4.407, s.u.) einerseits, Krieg und das Erliegen der Agrikultur andererseits. So ist auch das folgende Distichon zu verstehen, das die kulturschöpfende Göttin der Landwirtschaft mit dem Frieden und so die römischen Bauern mit dem dux Augustus assoziiert (407 f.): pace Ceres laeta est; et vos orate, coloni, / perpetuam pacem pacificumque ducem („im Frieden ist Ceres fröhlich; betet auch ihr, Bauern, um ewigen Frieden und einen friedenbringenden Anführer!“). Ceres ist auch in der Beschreibung der feriae Sementivae, dem im Kalender beweglichen Erntefest der Römer (in den Fasti am 24. Januar gefeiert), in einem reziproken Verhältnis zugleich Ziehmutter wie auch Pflegetochter des Friedens (1.704, Pax Cererem nutrit, Pacis alumna Ceres). Tellus (die personifizierte Erde) und Ceres sind die „Mütter der Feldfrüchte“ (671, placentur frugum matres); wie Venus ist Ceres selbst gleichsam Aition der Agrikultur, während Tellus dieser den Ort bietet (674 haec praebet causam frugibus, illa locum). Im Gebet ab Vers 675

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bittet der Kultbeschreiber die beiden Göttinnen, „die gierigen Bauern mit unermesslichen Früchten“ zu sättigen, „damit ihre Verehrung würdige Belohnung bringe“ (677 f., frugibus immensis avidos satiate colonos, / ut capiant cultus praemia digna sui). Ganz wie Venus sollen sie „den Himmel mit heiteren Winden“ eröffnen (681, cum serimus, caelum ventis aperite serenis); ähnlich steht es in der Frühlingspassage am Ende des Venus-Hymnus und dessen Vorbild, wiederum dem Lukrez-Proöm. Dagegen sollen sie es hindern, dass der „bebaute Boden“ (692, culto ... solo) von fruchtlosem Hafer verbraucht werde. Das Gebet macht den Schwenk zu größeren Fragen der zeitgenössischen Kulturpolitik ab 697, wie wir in Kap. 4.4 schon gesehen haben. Der Konnex von blühender Agrikultur und Frieden ist an dieser strukturell wichtigen Stelle am Ende des ersten Buchs wiederum nur durch Augustus möglich, dessen Herrscherhaus in Vers 701 in einem Zug mit den Göttern genannt wird: Beiden ist Wohlgefallen in der Zukunft sicher; impliziert wird dabei, dass beides durch das Gebet der Landbevölkerung wie auch durch die Fasti, dem Medium von dessen Verkündung, verbürgt wird. Das erste Buch endet in Ovids Version ‚über den (römischen) Landbau‘ im Gegensatz zu Vergils Finale des ersten Buchs mit kulturellem Optimismus und, in seiner allerletzten Passage, mit noch mehr politischem Optimismus, zu dem die Widmung der Ara Pacis am 30. Januar Anlass gibt. Nach Actium herrsche laut dieser Verse Frieden im gesamten Weltreich. „Grund zum Triumph“, in den Georgica noch im Übermaß von Augustus hergestellt (s. Kap. 4.4 zu Georg. 1.504, curare triumphos), gibt es nicht mehr (711–16): frondibus Actiacis comptos redimita capillos, Pax, ades et toto mitis in orbe mane. dum desint hostes, desit quoque causa triumphi: tu ducibus bello gloria maior eris. sola gerat miles, quibus arma coerceat, arma, canteturque fera nil nisi pompa tuba.

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Komm, Pax, die gekämmten Haare mit Laub von Actium bekränzt, und halte sanft die Stellung im gesamten Erdkreis. Solange Feinde fehlen, soll auch Grund zum Triumph fehlen: du wirst den Anführern größeren Ruhm als der Krieg bedeuten. Nur die Waffen soll der Soldat führen, mit denen er Waffen bezwingt, und die kriegerische Trompete soll nur im Festzug geblasen werden.

Die Pax der Fasti ersetzt somit den Mars der Georgica in der universalen, vereinheitlichenden Ausbreitung ihres Herrschaftsgebietes toto ... in orbe (712; cf. Georg. 1.511, saeuit toto Mars impius orbe). Sie ersetzt auch die gloria des Krieges, und Waffen wie Kriegstrompete werden nur zur Befriedung oder Tätigkeiten des Friedens eingesetzt – wie die Waffen in der Passage um die Weihung des Tempels des Mars Ultor im fünften Buch des Kalendergedichts. Kultur, wie sie in den Fasti vorgestellt wird, braucht die Vereinheitlichung ihrer Sphäre (so ist das toto in orbe zu verstehen) ohne Konflikte, die Göttinnen wie Venus und Ceres genauso bringen wie der Augustus. Der Prinzeps assoziierte sich auch für diesen

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Eindruck von Harmonie und Einheitlichkeit mit der Figur der Concordia, die in den Fasti ebenfalls gefeiert wird, nämlich als verbindendes Element und Überbrückerin der Gegensätze. Venus lehrt in 4.98 die Paare, sich zu finden und ihre Differenz auszugleichen (docuit iungi cum pare quemque sua); dieses Verbindende, das vom Verb iungere semantisch getragen wird, taucht prominent, wie wir gesehen haben, wieder in der Debatte um den Monatsnamen des Juni zu Beginn des sechsten Buches auf, die von drei Göttinnen geführt wird, ohne dass Ovid sich zu einem Parisurteil durchringte.179 Er gibt sich damit selbst als Figur der Vermeidung oder Schlichtung von Streit, wodurch er sich implizit mit der einenden Concordia aus den Versen 6.89–96 assoziiert.180 Blicken wir nach diesen Lektüren der ovidischen Heurematologie der Kultur noch auf den Moment der Entstehung der römischen Kultur selbst: ihren Geburtstag, der an den Parilia am 21. April gefeiert wurde. In den Fasti kommt die zentrale Geschichte des Neuanfangs in der Gründung durch Romulus in mehreren Aitiologien zu verschiedenen Festen vor, wird aber aus Anlass der Parilia in größter Ausführlichkeit erzählt. Es handelt sich um das Hirtenfest für die Schutzgöttin Pales, bei dem ein Reinigungsritual der Herden im Mittelpunkt steht. Die Notiz im Steinkalender von Praeneste zeigt an, dass mit diesem Reinigungsritual auch tatsächlich ein zeitlicher Neuanfang verbunden war: nach einer Bemerkung zum Ritual des Feuersprungs (ignes transiliunt, „sie springen über Feuer“) folgt ein Hinweis zum Beginn eines Jahreszyklus: principio anni pastorici (soviel wie „das Hirtenjahr beginnt“; s. Fasti Praenestini zum 21. April). Am Beginn der römischen Kultur stehen die Gründerzwillinge, und wie jedes Zwillingspaar sind sie – gleich dem Gott Janus – gleichsam eine doppelte Entität, eine zwiegespaltene Einheit. In der Lupercalia-Passage im zweiten Buch der Fasti ist das Brüderpaar noch vereint und sogar von Remus dominiert; in der Erzählung um die Parilia und den Geburtstag Roms wird die bekannte Geschichte von der Überschreitung der Grenzmauer durch Remus und den Brudermord gegeben, hier vom „schnellen“ Celer ausgeführt. Am Anfang der Kultur Roms steht also ein gewaltsamer Akt der Differenz-Entscheidung, und der Fortgang der römischen Geschichte als militärisches Expansionsnarrativ bis zu Augustus hat hier ihren Kern, der wohl im zweiten Jahrhundert v.Chr. konstruiert wurde.181 Ganz formal erinnert die Figur von Transgression und Scheidung der zwei möglichen Ursprungsfiguren 179

180

181

So in 6.97–100: dicta triplex causa est. at vos ignoscite, divae: / res est arbitrio non dirimenda meo. / ite pares a me. perierunt iudice formae / Pergama: plus laedunt, quam iuvat una, duae. S. dazu Blank-Sangmeister 1983, 334, Kötzle 1991, 150, v. Albrecht 2003, 193 und Smutek 2015, 261. Die Ideologie der Concordia im Zusammenhang mit der Pax Augusta beleuchtet Littlewood 2006, 29 f. Sie tritt daher an dieser Stelle der Fasti sicherlich nicht nur auf, „um die Dreizahl vollzumachen“ (Bömer 1957.II, 342). Auch schlichtet sie den Streit durch ihr bloßes Auftreten durchaus (was Smutek 2015, 270 leugnet) und ist keinesfalls „inhaltlich ohne Belang“ (Blank-Sangmeister 1983, 344 f.). Cf. Wiseman 1995 und 2004.

Die römische Kultur der Differenz

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Roms (Romulus als gewaltsamer Herrscher, Remus als gewandter Hirte, wie er in der Lupercalia-Aitiologie geschildert wird) an die Bestimmungen des Beginns der Kultur als Ort der Möglichkeiten, die im Verlauf ihrer Ausdifferenzierung dann abgelehnt wurde. Kulturellen Anfangserzählungen eignet daher das Mitlaufen von Kontingenz – das Mitdenken dessen, was auch möglich gewesen wäre und somit auch anders sein könnte. Mary Beard hat gezeigt, dass die Datierung des römischen Gründungstages am Fest der Parilia eine spätere, wohl augusteische und politisch aufgeladene Bedeutungsschicht in der römischen Exegese ist, die das alte Hirtenfest mit der Zeit überlagerte, und daran die Dynamik der aitiologischen Exegesepraxis dargestellt. 182 Ovid jedenfalls stellt nach einer längeren Aufzählung anderer Aitia für den Brauch des Feuersprungs (4.781–800) den Gründungsakt durch Romulus in aller Breite dar: Nach dem brüderlichen Wettkampf um die Vogelzeichen zieht der Gewinner das pomerium, d.h. die alte Stadtgrenze mit dem Pflug, was man als etruskisches Gründungsritual identifiziert hat (Cato Orig. fr. 18 HRR).183 Remus überspringt den niedrigen Wall spottend und wird von einem der Celeres, Romulus’ Leibwache, der die Grenze auf dessen Befehl bewachte, mit der Schaufel ermordet. Die beiden landwirtschaftlichen Instrumente leiten, so kann man diese leicht absurde Szene deuten, den Übergang in eine neue Ordnung ein und weisen, zumindest im Fall der fehl am Platz wirkenden Schaufel, vielleicht auf den Bruch mit der friedlichen Welt der Hirten und Bauern hin, für die Remus steht. Es wird nicht explizit, dass Rom auf dieser blutigen Tat gegründet wurde; Romulus trauert in dieser Version sogar, auch wenn er öffentlich Stärke zeigt (4.845–8). An anderen Stellen der Fasti wird ihm Remus’ Tod jedoch zur Last gelegt, und so liegt doch ein dunkler Schatten auf dem Boden künftiger Größe, deren Beschreibung den Abschluss der Parilia-Episode bildet (857–62): urbs oritur (quis tunc hoc ulli credere posset?) victorem terris impositura pedem. cuncta regas et sis magno sub Caesare semper, saepe etiam plures nominis huius habe; et, quotiens steteris domito sublimis in orbe, omnia sint umeris inferiora tuis.

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Die Stadt entsteht (wer hätte das damals irgendwem glauben können?), die den siegreichen Fuß der Erde aufsetzen würde. Magst du alles beherrschen und immer unter dem großen Caesar sein, habe oft auch mehrere [sc. Vertreter] dieses Namens; und so oft du erhaben auf dem bezwungenen Erdkreis stehen wirst, soll alles niedriger als deine Schultern sein.

182 183

Beard 1987. Cf. Šterbenc-Erker 2009, 115.

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Die Fasti als augusteisches Kulturbuch

Der Neuanfang in der römischen Gründungssage wird nirgends so frappierend gezeichnet wie in der Zwillingslegende und dem Mord an Remus. In den Zwillingen selbst steckt eine Figur der Doppelung und der offenen Möglichkeit, an der eine Entscheidung getroffen werden muss, da es letztlich nur einen Gründer geben kann und in diesem Fall nicht das Recht des Älteren gilt. Die mythisch-aitiologische Entscheidung für die Machtergreifung des militärischen Romulus durch den Mord an seinem Gegenpart setzt die Weichen für ein waffenstarkes Rom, das sich aber bei einem anders ausfallenden oder interpretierten Omen auch anders hätte entwickeln können – darin liegt der Charakter der Abwägung, des auch-anders-seinKönnens der römischen Kultur. Ovids Darstellung des römischen Neuanfangs als Aition des Parilia-Rituals macht den Kontrast zwischen der friedlichen, agrikulturellen Zeit ante urbem conditam und dem konfliktgeladenen Gründungsakt eines nun zur Weltmacht aufgestiegenen Reichs deutlich und arbeitet so mit an dem in augusteischer Zeit wieder neu konstruierten und zu konstruierenden Selbstbild der römischen Kultur.

5

Schluss

Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich Ovids Fasti im antiquarischen Wissensdiskurs um den römischen Kalender nicht nur verorten lassen, sondern sogar eine prominente Stellung in ihm einnehmen, wenn man die singuläre Art und Weise der Deutung und Einbettung einerseits der Konstitutionsgeschichte, andererseits des Ordnungsmusters des Kalenders in die Darstellung römisch-kultureller Selbstverständigung betrachtet, die der Text anbietet. Der wissensgeschichtliche und wissenspoetologische Ansatz hat sich besonders an den Stellen bewährt, wo die poetischen Schreibweisen bei Ovid das Wissen allererst zu prägen scheinen und dies im Kontrast zu benachbarten Texten sichtbar werden konnte. Der Einfluss auf den späteren antiquarischen Wissensdiskurs um den Kalender wie auch auf die spätere literarische Behandlung wurde in dieser Perspektive evident, besonders am Phänomen des Gottes Janus und an den daran angeschlossenen Konflikten um den Jahresanfang, die in vielen antiquarischen Texten zur Sprache kommen und in den Fasti literarisch inszeniert werden. Die Schwellenfiguren von Janus und Terminus tragen ebenso wie die Gestalten von Mars und Venus, die je in sich Konflikte stellen und deren poetische Lösung fordern, die grundlegende semantische Figur eines Textes mit, der die Annäherung, das Überlaufen und Wiederkehren auf die andere Seite der Kultur und zurück immer wieder zum Leitmotiv macht. Besonders die Zeichnung des Janus als Gott des Jahres, der die Deutung späterer Autoren, Antiquaren wie Dichtern, stark beeinflusst hat, hat die Bedeutung und das Besondere der Bearbeitung Ovids zum Vorschein gebracht. Wissen ist immer an eine Form der Darstellung gebunden, und das Wissen über den Kalender entsteht in diesem Text häufig erst aus den Schreibweisen der Elegie, aus deren konsequenter Prägung in einer ‚Form der Fasti‘ und dem spezifischen pointierten, verkürzenden Stil Ovids. Als Verfechter einer friedlichen, der Kunst und Religion zugewandten Kultur treibt der Text immer wieder die inhärenten Gegensätze dieser Kultur und ihrer Phänomene heraus, nur um sie gegeneinander auszuspielen und ihre Kontingenz aufzuzeigen. Die Mehrfach-Aitiologie, die in den betrachteten Texten als Wissenserzeugerin par excellence gelten kann, ist als offen angelegtes epistemisches Verfahren ebenfalls eine Produzentin von Kontingenz, einer mehrfachen Sichtweise auf den Möglichkeitsbereich der Kultur und ihrer Ursprünge. Das kulturelle Wissen der Fasti entsteht besonders im Wechselspiel dieser beiden untersuchten Verfahren.

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Schluss

Das temporale Ordnungsmuster des Jahres, das die Fasti auf diese Weise zeichnen und bis in die kleinsten Phänomene hinein motivieren, ist somit gleichsam aus der Literatur und ihrer Geschichte heraus zu erklären: Denn Ovids Entwurf zeigt die Möglichkeit, die Frühgeschichte Roms im aitiologischen Rückgriff auf die Vergangenheit nach literarischen Mustern zu erzählen und die Geburt der Kultur nach der Form der Scheidung einer Einheit zu narrativieren, die ihre so geschiedenen Gegensätze jedoch niemals hinter sich gelassen hat. Eine solche Form erscheint nach einer Systematisierung der Gattungen im Hellenismus auch als in der Literatur angelegt; diese Systematisierung ist es, die sich die augusteische Dichtung besonders angeeignet hat und die Ovid sich in einer immer weiter gehenden Formalisierung der elegischen Schreibweise zunutze macht. Die Wissensordnung der Fasti, vor allem eine literarische, gibt dadurch dem zeitlichen Ordnungsmuster des Jahres eine gattungspoetisch-axiologische Kontur. Römische Identität, als kulturelles Wissen verstanden, liegt nach dieser wissenspoetologischen Darstellung nicht nur im Kalender, sondern auch in der römischen Literatur, und ihr Aufeinandertreffen wird in den Fasti in den Fokus der kulturellen Selbstverständigung genommen, ja zu ihrem Zentrum erhoben. Mit meinem Buch habe ich den Versuch unternommen, die Trennung der Forschung zu den Fasti in zwei Lager zu überwinden, die in der Vergangenheit eine politische Deutung forcierten und in Gestalt von panegyrischer gegenüber subversiver Lesart firmierten, indem ich den Text im Hinblick auf seinen Umgang mit Wissen untersucht habe. Dass Wissen jedoch gerade im Zuge des antiquarischen Projekts, das eine klare Abgrenzung und Identitätsfindung zum Ziel hatte und das sich auch der Princeps gezielt zunutze machte, ebenso politisch sein muss, wenn es gesellschaftlich relevant bleiben will, ist nichtsdestoweniger eine wichtige Komponente meiner Interpretation. Die Fasti verhalten sich politisch zu ihrem Sujet, der am Kalender greifbaren römischen Kultur. Jedoch scheint nicht im Vordergrund zu stehen, auf direktem Wege Konsens oder Dissens zu kommunizieren; es scheint vor allem dasjenige Projekt den Text zu bestimmen, zur sich immer auch am Politischen konstituierenden Wissensordnung eine Alternative zu bieten und die Möglichkeit des Andersseins, des Anderswissens darzustellen. Dass die römische Literatur diese Fähigkeit beweist, steht außer Frage. Wenn meine Arbeit mit den Weg wiese – dextraque non omni munere nostra vacat –, die Untersuchung dieser Fähigkeit im Hinblick auf Wissensdiskurse noch mehr zur cura künftiger latinistischer Forschung zu machen, hätte sie ihren Beitrag geleistet.

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Indizes Namen und Sachen Adorno, Theodor W. ........................ 244 Aeneas .....42, 86, 88, 97, 163, 166, 182, 183, 237 Aitiologie / Ursprungserklärung ... 9, 10, 11, 13, 15, 17, 18, 19, 24, 30, 32, 36, 40, 41, 42, 46, 47, 48, 53, 59, 61, 78, 79, 106, 111, 112, 127, 147, 148, 149, 152, 159, 164, 180, 184, 194, 203, 222, 234, 241, 244, 254, 257, 263, 275, 276 aitiologische Dichtung................. 57, 78 aitiologische Elegie ................. 213, 217 Alexandria ......................................... 41 Ambiguität .............. 190, 192, 193, 202 Ammianus Marcellinus ............. 68, 282 Ancus Marcius .................................. 65 Anfangspunkt ... 27, 52, 81, 89, 94, 110, 151, 154, 177 Anna Perenna .......................... 156, 272 Annalistik .................................... 43, 64 Antiquarismus / Antiquare 9, 11, 12, 21, 32, 40, 43, 45, 46, 47, 53, 54, 78, 91, 122, 127, 141, 145, 149, 167, 177, 183, 215, 248 Antonymie ........................... 59, 65, 190 aperire ......... 83, 84, 102, 166, 168, 169 Apollo.......... 74, 79, 105, 108, 109, 268 Apollonios von Rhodos ............... 39, 41 Appius Claudius Caecus.................. 171 April ......49, 81, 82, 83, 86, 88, 96, 102, 143, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 175, 180, 215, 225, 248, 256 Ara Pacis ..................................... 17, 36 Arat ............................... 33, 34, 37, 213 Arion ................................................. 48 Aristoteles ..................................... 9, 34

arma .. 28, 60, 61, 62, 64, 65, 73, 75, 77, 79, 152, 155, 156, 159, 162, 174, 181, 195, 196, 201, 202, 207, 209, 210, 213, 214, 216, 217, 219, 223, 224, 226, 229, 230, 231, 233, 255 Armilustrium ................................... 158 Assmann, Jan ............... 42, 50, 242, 262 Astronomie ... 14, 26, 37, 48, 56, 58, 66, 81, 104, 137, 213, 215, 216, 221, 222, 223, 224 Augustinus ..... 43, 48, 49, 124, 176, 177 Augustus . 14, 28, 40, 46, 47, 53, 54, 56, 61, 62, 63, 65, 67, 69, 79, 84, 86, 89, 93, 141, 150, 166, 183, 184, 203, 211, 212, 213, 214, 218, 219, 223, 225, 226, 229, 230, 233, 237, 238, 244, 247, 254, 255, 256, 262, 265, 267, 269, 270, 275, 276 Aulus Gellius .............................. 45, 49 Axiologie .. 79, 152, 181, 203, 206, 211, 212, 222, 224, 227, 228, 238 Bachelard, Gaston ............................. 25 Bacon, Francis ................................ 236 Balzac, Honoré de ............................. 92 Barthes, Roland ................205, 206, 241 Bauernjahr................................. 81, 100 Beard, Mary .............................. 17, 257 Benveniste, Émile ........................... 169 bruma 94, 104, 105, 106, 108, 110, 111, 112, 113, 115, 118, 119, 120, 126, 132, 133, 134, 136, 138, 140, 143, 178, 182, 215 Burkert, Walter ......................... 85, 264 Canguilhem, Georges ........................ 25 Capitol .................................... 170, 178 Caristia ........................................... 173 Carmentalia .................................... 151 Cassius Dio ....................................... 68

278 Cato d.Ä. ........................................... 45 Catull ................................. 96, 202, 206 Celer .................................................. 61 Censorinus .... 16, 53, 63, 68, 71, 73, 76, 84, 261, 267, 273 Cerealia ............. 15, 161, 166, 229, 254 Ceres .99, 162, 181, 200, 228, 229, 230, 250, 254, 255, 265 Cicero ....43, 48, 51, 104, 124, 125, 130, 171, 202, 236, 261, 263, 272, 273 Claudia Quinta ................................ 161 Claudian .......................................... 147 Closure .......91, 145, 146, 150, 174, 183 Code ....18, 36, 103, 204, 205, 212, 216, 218, 221, 223, 228, 235, 240, 246 Columella ................................ 106, 173 Concordia . 89, 179, 180, 224, 251, 252, 253, 256, 273 Culler, Jonathan................................. 22 cultus ...94, 95, 223, 225, 234, 236, 249, 250, 255 cura60, 66, 75, 136, 203, 208, 220, 222, 223, 224, 225, 226, 230, 232, 249, 250, 253, 260, 261, 262 Cybele ............................................. 161 Dällenbach, Lucien.......................... 145 Decemvirn / Zehnmänner ........ 170, 171 Dezember ... 81, 83, 106, 117, 139, 151, 169, 172, 177 dies fasti ............................................ 55 Differenzbegriff ............... 192, 238, 239 Diogenes Laertios ................................ 9 Dionysios von Halikarnassos ............ 45 Diskurs ........................................ 52, 55 divisio temporum ............................... 50 Domitian.......................................... 140 Dumézil, Georges 11, 65, 122, 123, 124, 129, 158, 265 Durkheim, Émile ............................... 50 Eliade, Mircea ................................... 10 Empedokles ................. 34, 37, 128, 162 Ennius......40, 42, 84, 97, 146, 147, 150, 157, 262, 275 Epistemologie 25, 28, 38, 193, 266, 272 Epistemologie, historische........... 25, 57 Equirria ........................... 158, 172, 174 Eratosthenes ...................................... 26 Erinnerungskultur .............................. 42 Etymologie ... 19, 21, 22, 32, 49, 50, 53, 80, 83, 84, 87, 89, 115, 124, 125,

Indizes 126, 128, 132, 136, 141, 142, 151, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 173, 174, 176, 179, 215, 224, 248 fasti . 14, 52, 54, 56, 63, 71, 84, 87, 129, 137, 138, 141, 152, 171, 274 Fasti Antiates maiores ...................... 56 Fasti Numani..................................... 56 Fasti Praenestini ..... 54, 80, 87, 88, 166, 234, 256 Faunus............................................... 48 Februar ...... 63, 83, 85, 87, 89, 100, 158, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 177, 223 februum ..................................... 84, 173 Fenestella .......................................... 73 Feralia ............................................ 173 Feriae Sementivae............................. 36 Festus ......... 49, 54, 76, 84, 86, 128, 173 Fiktionalität ................................. 22, 65 Flora ....................... 21, 83, 94, 118, 265 Floralia ................................... 118, 161 Form(begriff) ............................ 13, 189 Foucault, Michel ............ 25, 30, 52, 206 Frühlingslob .. 95, 98, 99, 101, 153, 154, 158, 161, 163, 164, 168 Fulvius Nobilior .. 63, 73, 74, 82, 84, 85, 86, 165, 166 Gallus ...................................... 200, 202 Gattung ... 13, 28, 33, 34, 35, 37, 39, 45, 119, 152, 156, 160, 161, 195, 199, 200, 203, 205, 206, 208, 213, 215, 220, 226 Gattungspoetologie ... 59, 164, 191, 198, 201, 216, 217, 230 Gedächtnis, kollektives ..................... 50 Gedichtanfang .............. 92, 95, 141, 147 Geertz, Clifford ........ 235, 239, 240, 241 Genealogie ...... 76, 85, 86, 87, 153, 164, 215, 272 Genette, Gérard ................................. 91 gens Iulia / julisch ............................. 10 Germanicus ..... 28, 61, 89, 92, 100, 141, 196, 211, 233, 265 Geschichte d. röm. Kalenders ........... 53 Goethe, Johann Wolfgang ................. 34 Goldenes Zeitalter ........................... 150 Herodot ........................................... 180 Hesiod ... 21, 33, 37, 100, 127, 129, 147, 181, 194, 230 Heurematologie ..................66, 254, 256

Indizes Hobbes, Thomas .............................. 237 Homer.......... 40, 85, 125, 190, 207, 211 honor ...75, 78, 117, 203, 210, 212, 227, 230 Horaz .......10, 77, 95, 96, 101, 139, 165, 201, 203, 220, 232, 273 Ianus Geminus......................... 112, 148 Identität ...41, 42, 43, 44, 47, 48, 59, 84, 115, 116, 117, 119, 123, 182, 213, 214, 249, 260, 262 Inspiration .... 20, 27, 38, 40, 73, 89, 99, 146, 147, 149 Interkalation .............. 63, 171, 174, 176 Intertextualität ................................... 96 Isidor ............................... 114, 141, 184 Isidor von Sevilla .............................. 48 Iunius Gracchanus .... 63, 73, 82, 83, 84, 85, 165, 166, 180 iura dierum ...... 15, 38, 63, 92, 136, 224 Jahresanfang ..... 58, 90, 92, 97, 99, 107, 108, 111, 112, 114, 118, 129, 134, 136, 138, 139, 140, 143, 171 Jahreszyklus ..... 79, 107, 136, 151, 170, 228, 256 Jakobson, Roman ............................ 204 Januar 27, 58, 63, 74, 80, 83, 87, 89, 90, 91, 92, 106, 107, 113, 117, 119, 120, 129, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 145, 151, 154, 157, 169, 171, 172, 173, 177, 225, 254 Janus ..14, 21, 58, 60, 64, 74, 77, 81, 83, 84, 85, 87, 89, 90, 91, 92, 93, 96, 99, 103, 104, 105, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139,140, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 148, 149, 150, 152, 153, 156, 157, 168, 169, 170, 172, 175, 176, 177, 178, 180, 182, 183, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 195, 196, 197, 202, 210, 214, 227, 230, 244, 246, 251, 252, 256, 259, 263, 264, 265, 267, 268, 270, 271, 272, 273, 275 Johannes Lydus ................. 81, 132, 144 Julius Caesar. 26, 27, 55, 56, 63, 66, 67, 68, 69, 71, 73, 81, 84, 87, 137, 139, 223

279 Juni.. 21, 22, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 179, 180, 224, 256, 263 Juno... 21, 22, 83, 86, 89, 135, 148, 149, 151, 179, 223, 224 Jupiter 48, 115, 124, 125, 150, 159, 170, 176, 178, 180, 184 Kalenden ..... 79, 90, 107, 129, 135, 137, 151, 153, 224 Kalender, Gregorianischer ................ 70 Kalender, julianischer ....................... 51 Kalender, präjulianischer .................. 59 Kalenderexegese / -kommentierung . 12, 14, 17, 20, 34, 72, 84, 163, 166, 198, 215, 244 Kalenderkonstitution . 13, 26, 38, 54, 55, 57, 59, 62, 63, 66, 67, 68, 71, 72, 76, 77, 79, 81, 82, 90, 92, 106, 107, 119, 120, 159, 163, 168, 171, 185, 189, 191, 214, 216, 223, 235 Kalenderreform ... 56, 63, 66, 67, 69, 71, 73, 133, 139, 159, 223, 228, 263, 270 Kallimachos ...... 21, 33, 39, 41, 48, 138, 191, 197, 207 Kant, Immanuel .............................. 242 Katasterismos / Verstirnungssage ...... 14 Kontingenz ...... 15, 67, 71, 76, 238, 241, 243, 248, 257, 259 Kosmogonie .... 127, 193, 194, 227, 247, 252 ktisis / Gründungserzählung . 10, 40, 41, 42, 46, 47 kulturelles Gedächtnis ....................... 42 Kulturgeschichte ...... 59, 66, 74, 77, 237 Kulturtheorie ....................235, 240, 262 laus veris . 27, 95, 96, 97, 110, 119, 143, 168, 169 laus veris / Frühlingslob.................... 38 Lebenswahl ..... 199, 220, 221, 222, 230, 244, 276 Lehrdichtung / Didaxe 9, 21, 34, 36, 39, 97, 149 Lemuria ............................................. 61 Lévi-Strauss, Claude ....................... 240 Licinius Macer .................................. 73 Liebeselegie 9, 191, 197, 199, 200, 211, 213, 217, 262 Literaturgeschichte .... 24, 26, 27, 31, 34, 39, 96, 139, 146, 197, 205, 231, 245, 262, 263, 267

280 Livius ......10, 30, 43, 63, 64, 73, 80, 86, 174, 182, 195, 215, 246, 274, 275 Lob der Astronomie .... 27, 66, 179, 220, 227, 232 Lotman, Jurij ................................... 216 Lucius Hemina ................................ 171 Lucretia ........................................... 174 Luhmann, Niklas .... 192, 204, 218, 238, 241, 242, 243 Lukan .............................................. 140 Lukrez33, 36, 37, 38, 85, 88, 97, 98, 99, 101, 143, 144, 145, 146, 147, 149, 161, 162, 164, 166, 167, 168, 169, 184, 202, 222, 236, 249, 250, 251, 253, 255 lunius Gracchanus ............................. 43 Lupercalia .. 19, 85, 119, 173, 256, 268, 274 Lutatius Catulus ...................... 131, 132 Macrobius45, 49, 51, 53, 63, 67, 68, 71, 84, 114, 133, 134, 135, 141, 144, 184 Mai .. 21, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 173, 219, 227 Maia ...................................... 83, 85, 86 Malinowski, Bronislaw ..................... 11 Manilius ............................................ 37 Mars ..21, 60, 75, 76, 82, 83, 84, 85, 86, 89, 91, 121, 140, 143, 151, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 161, 163, 164, 165, 166, 168, 169, 175, 181, 195, 205, 210, 214, 219, 225, 226, 228, 251, 255, 259, 262, 273 Martial ............................................. 262 März ..63, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 82, 83, 86, 87, 90, 96, 102, 120, 121, 130, 137, 139, 140, 143, 151, 153, 154, 156, 157, 158, 159, 163, 164, 170, 171, 174, 175, 177, 215, 272 Matronalia151, 154, 157, 158, 159, 251 Megalensia .............................. 161, 225 Mehrfach-Aitiologie / -erklärung 18, 19, 20, 24, 47, 78, 84, 151, 153, 164, 241, 259 militia amoris ..... 28, 64, 155, 157, 195, 200, 201, 208, 209, 213, 217, 218, 220, 244, 266 Minerva ................... 156, 158, 205, 225 Momigliano, Arnaldo ........................ 45 Mommsen, Theodor .......................... 56

Indizes Monatsnamen 21, 59, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 90, 101, 143, 248, 256 Moritz, Karl Philipp ........................ 176 Musen ... 16, 22, 27, 36, 39, 87, 89, 100, 146, 159, 161 Mythos ........................................ 10, 50 Narziss ............................................ 118 Neujahr ..............................80, 136, 139 Nigidius Figulus ...............127, 128, 133 Nikander ........................................... 37 Numa 48, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 73, 74, 77, 78, 81, 120, 121, 141, 159, 171, 172, 182, 195, 224, 229, 231, 237, 263, 265, 270, 271, 272 Odysseus ........................................... 85 Öffnung . 88, 97, 99, 102, 108, 114, 121, 128, 139, 141, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 150, 151, 160, 161, 164, 167, 168, 169, 175, 183, 195, 213, 231 Ordnungsmuster, literarisches ........... 52 Ordnungsmuster, zeitliches .. 50, 53, 55, 57, 58, 74, 76, 81, 83, 90, 95, 142, 143, 154, 155, 159, 169, 175, 189, 214, 259 Othryades ........................................ 180 otium / negotium ........ 28, 202, 224, 230 Pales .................................162, 200, 256 Panegyrik .........................201, 219, 223 Parentalia ....................................... 173 Parilia10, 17, 19, 61, 81, 161, 213, 224, 256, 257, 258, 266 Parsons, Talcott ............................... 239 pax .. 194, 195, 199, 203, 218, 229, 230, 231, 252, 254, 255, 256, 273 Philologie ................................ 197, 272 Picus.................................................. 48 Platon ................................................ 45 Plausibilisierung, mythhistorische .... 59 Plinius d. Ä. .........................49, 68, 131 Plinius d. J. ................................ 54, 136 Plutarch . 19, 46, 49, 53, 63, 68, 71, 119, 120, 121, 182, 272 poeta doctus .....................21, 27, 39, 65 Poetologie28, 29, 30, 32, 198, 205, 207, 210, 275 Poetologie des Wissens ...28, 29, 30, 31, 32 Pontus ..................................... 139, 254 Praeneste ........................ 54, 80, 87, 256

Indizes Properz ....10, 11, 18, 19, 28, 36, 40, 42, 57, 119, 161, 200, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 212, 213, 217, 220, 271, 272, 276 Proserpina........................................ 161 Pythagoras ............. 66, 73, 77, 147, 263 Quinquatrus............. 156, 158, 225, 272 Quintilian .......................................... 34 Quintilis........................... 81, 82, 83, 90 Raub der Sabinerinnen ............ 180, 251 recusatio ... 65, 164, 199, 200, 201, 202, 207, 209, 213, 214, 217, 220, 225 Regifugium .............................. 172, 174 Rhea Silvia ........................ 75, 153, 156 Rhetorik...... 31, 77, 109, 189, 213, 252, 272, 273 Riffaterre, Michael ............................ 91 Robigalia ................................. 161, 229 Rohde, Erwin....................................... 9 Romulus ..30, 40, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 72, 74, 75, 76, 77, 78, 82, 86, 105, 107, 119, 120, 121, 143, 151, 152, 154, 163, 164, 168, 172, 182, 195, 215, 223, 224, 231, 237, 256, 257, 258, 263, 266 Rousseau, Jean-Jacques ................... 237 Saturnalia .... 49, 51, 114, 133, 151, 266 Schwelle ..110, 112, 115, 119, 122, 126, 129, 134, 136, 138, 141, 142, 170, 172, 178, 215, 243 Selbstreflexion........... 91, 145, 233, 242 Sempronius Tuditanus ............... 43, 171 Sextilis ......................................... 83, 84 Šklovskij, Viktor ............................... 31 Snow, Charles Percy .......................... 25 Solinus............................................... 68 Sonnenjahr ........................................ 51 Sozialkonstruktivismus ..................... 50 Statius .............................................. 140 Steinkalender ............................... 14, 15 Struktur, konnektive .......................... 50 Sueton........................ 53, 54, 67, 73, 87 Sulpitius .......................................... 142 Surrogat ..................................... 97, 145 Syllepse ........................... 109, 115, 119 Tarpeia ............................................. 148 Tarquinius Superbus ........................ 174 Terminalia170, 172, 174, 175, 177, 178, 180, 182, 183

281 Terminus . 23, 58, 89, 91, 123, 150, 169, 170, 172, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 210, 215, 221, 226, 251, 253, 259, 268, 272 Tiberius ............................................. 28 Tibull ........... 10, 40, 198, 200, 212, 213 Tubilustrium ............................ 156, 158 Tullus Hostilius ................................. 65 vacare 63, 155, 156, 223, 224, 230, 232, 248 van Gennep, Arnold ........................ 123 Varro . 10, 11, 12, 19, 40, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 53, 54, 56, 63, 70, 71, 73, 76, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 100, 104, 106, 116, 119, 123, 124, 125, 130, 134, 135, 136, 139, 148, 150, 151, 165, 166, 167, 173, 175, 176, 195, 261, 263, 264, 267 vates operosus ............ 20, 21, 39, 40, 47 Velleius Paterculus.......................... 237 Venus 38, 49, 60, 66, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 91, 97, 98, 99, 100, 108, 143, 144, 150, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 175, 179, 181, 211, 214, 220, 221, 222, 223, 237, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 259, 276 Vergil 10, 33, 36, 37, 40, 42, 48, 77, 97, 101, 102, 141, 145, 146, 150, 166, 181, 212, 226, 230, 236, 261, 262, 265, 266, 267, 268, 273, 275 Verrius Flaccus.... 12, 19, 43, 47, 54, 76, 84, 86, 87, 111, 119, 128, 166, 173, 174, 184, 215, 234, 265 Vesta .................. 62, 123, 125, 181, 263 Vestalia............................................ 180 Vinalia ............................................. 161 vita activa. 200, 208, 221, 222, 225, 227 Vogl, Joseph ...................................... 28 Vulcan ............................................. 165 Waldenfels, Bernhard ........................ 95 Werkbiographie ...................... 146, 184 Wintersonnenwende .... 81, 94, 100, 104, 106, 110, 113, 119, 120, 134, 136, 143 Wissensdiskurs / -ordnung ... 14, 15, 25, 33, 40, 52, 53, 57, 137, 141, 142, 259, 260 Wissensgeschichte ... 13, 25, 28, 30, 141

282

Indizes

Wissenspoetologie 29, 89, 91, 114, 121, 142, 143, 155, 160, 162, 167, 175, 184, 215, 259 Wissowa, Georg . 84, 87, 110, 122, 123, 124, 134, 276 Zehnmonatsjahr .. 59, 61, 63, 64, 73, 74, 78, 79, 171

Zeit, soziale ................................. 49, 50 Zeitalter ... 203, 209, 210, 212, 227, 235, 253 Zwölfmonatsjahr ....................59, 64, 73 Zyklus, luni-solarer ........................... 51

Stellen Ammianus Marcellinus 26.1.12–14

68

Aristoteles Metaph. 5.2 Physik 2.3 Poetik 1, 1447b 18 Rhetorik 1415a 12 f.

9 9 34 100

Augustinus De civitate dei 4.11 6.2.248 7.3

124, 177 44 124

Augustus Res gestae 8.3 13 26.3 34.2

47 145, 195 220 79

Aulus Gellius 3.16–9 3.16.6 13.23

63 73 156

Ausonius Ekloge 377.1 f.

141

Cassius Dio 43.26

68

Catull Carmen 50 f.

225

Cato Orig. fr. 18 HRR

257

Censorinus De die natali 19.1 20.1 20.2 20.4 20.8–12 20.11 f. 21.13 22.8 22.9 22.10 f.

71 71 63, 73 63, 74 68 71 106 15, 71 63, 86 76

Chrysipp Stoicorum veterum fragmenta II.509 f. 50 Cicero Academica 1.9 Ad Atticum 6.1.8 De legibus 2.29 De natura deorum 2.19 2.67 3.62 De re publica 2.25 De oratore 1.33 Pro Archia poeta Timaeus 1.1

44 171 51, 74 104 110, 124 124 62 252 132 1.33

283

Indizes Claudian De raptu Proserp. 1.25 f. 148

Epistulae 2.1.156 f.

77

Satiren Columella 9.14.12

106

Diogenes Laertios 5.32.1

9

Dioscurides Anthol. Palatina 7.430

181

Ennius Annales fr. 208–10 Skutsch 147 fr. 225 f. Skutsch 150 Fulvius Nobilior fr. 1 Funaioli Goethe, Johann Wolfgang Über das Lehrgedicht

82

34

1.3.99–111 2.6.20–3

169, 248 140

Isidor von Sevilla Etymologiae 5.33.3 f. 5.33.7 8.11.37

142 166 142

Johannes Lydus De mensibus 1.16 3.22 4.2

73 81 132

Kallimachos fr. 1.18 Pfeiffer fr. 1.21 Pfeiffer fr. 612 f. Pfeiffer

40 108 40

Hesiod Werke und Tage 1.276–86 102

Kant, Immanuel Kritik d. Urteilskraft B391 243

Herodot 1.83

Livius praef. 2 1.18 f. 1.19 1.19.6–20.7 1.21 1.32 1.44.5 2.1.7 37.33.6

181

Homer Ilias 5.749 ff. 8.393 ff. Odyssee 8.266–343 Horaz Carmen saeculare 57 f. Carmina 1.1 .3–36 1.4 1.4.1 f. 4.7 4.11.13–6 4.12

125

85

201

220 96 101 96 165 96

30, 245 63 f. 195 63 65 65 183 175 159

Lukan De bello civili (Pharsalia) 5.3 140 5.5 f. 140 Lukrez De rerum natura 1.1 1.2 1.6–8

97, 163 162 161

284

Indizes 1.10 f. 1.6–16 1.26–40 1.31–40 1.62–79 1.121–15 1.144 f. 1.256–61 3.18–22 4.8 f. 4.21 f. 5.900 ff. 5.1183–5

144, 167 89 97 85, 163 222 99 147 99 99 147 147 169, 250 222

Macrobius Saturnalia 1.9.8 1.9.9 1.9.10 1.9.14 1.9.15 1.12–16 1.12.3 1.12.14 1.13.1–5 1.13.3 1.13.14 1.13.20 1.13.21 1.14.2 f. 1.14.13–5 1.16.2–5

133 114, 133 133 128 104 54 63 166 74 141 175 73 171 67 67 63

Manilius 1.66–112

250

Martial Epigramme 8.2.1

140

Ovid Amores 1.1.25 f. 1.9 3.1.67–70 3.2.47 f. 3.541 f. 3.8 3.8.49 f.

224 200, 217 224 157 213 212, 227 222

3.8.35 f. 3.8.41–9 3.53–60 3.12.41 f.

209 f. 209 f. 209–11 16

Ars amatoria 1.405 f. 1.691–4 2.273–86 2.459–501 2.473 f. 2.477–80 2.511 2.467–92

85, 164 157 211 f. 252 f. 253 253 252 250

Epistulae ex Ponto 4.4.23–6 4.9.59–64

139 117

Fasti 1.1 f. 1.2 1.3–26 1.7 1.9–12 1.13 1.13 f. 1.17 1.21–6 1.25 f. 1.27 1.27–44 1.27–62 1.29–44 1.29 1.29 f. 1.30 1.31 1.37 1.37 f. 1.38 1.39 f. 1.43 f. 1.45–62

91, 222 61 92 20, 48 63 64 f., 152, 222 215, 232 93 196 92 130 59–61, 66, 82 38 74 64, 73 224 75 74 66 224 64, 237 76, 87, 163 73, 172 136

285

Indizes 1.61 f. 1.63 1.63 f. 1.65 f. 1.65–70 1.71–88 1.73 f. 1.81 f. 1.85–8 1.87 f. 1.89 1.89–288 1.93 f. 1.95 f. 1.95–8 1.96 1.99 1.101 1.101 f. 1.103 f. 1.103–13 1.105 1.111 f. 111–14 1.114 1.115 1.117 f. 1.118 1.123 f. 1.125–7 1.128 1.129 f. 1.131 1.133–40 1.135 f. 1.136–43 1.139 f. 1.144 1.149 1.149–60 1.149–64 1.151 1.153

14 117, 141 92, 129 111, 113 138, 144 92 225 81, 138 185 138 111, 118, 186, 194 186 93 179 191 111, 117 110 20, 108, 127 158, 193 127 f. 193 158 128, 253 193 f. 111, 116 193 128 133, 144 145 125 124 131, 133, 144 237 111 f. 179 229 133 179 101 93, 110, 144 27 66, 153 80

1.156 1.159

1.301–4 1.317 f. 1.389 1.459 f. 1.648 1.657–704 1.657 f. 1.668 1.674–704 1.711–6 1.678 1.681 f.

66 101, 153, 236 93 104 f. 108–10 115, 136 116 124 130 130 124 91 129 129 227 f. 111 20, 48 121, 152, 157, 195 111 116 121 149, 182 150 196 27, 66, 221–2 180 15 48 110 236 225, 231 20 236 255 256 25 99, 103

2.7–10 2.8 2.9–16 2.10 2.15–18 2.17 f.

217, 221 160 28 225 63 225

1.161 1.161–4 1.162–4 1.163 1.164 1.167 f. 1.168 f. 1.171–4 1.176 1.178 1.178–80 1.187 f. 1.193–226 1.228 1.289 1.253 1.254 1.257 f. 1.257–82 1.265–72 1.266 1.283–6 1.295–310

286

Indizes 2.19 f. 2.21–36 2.27 2.31–6 2.47–54 2.49 f. 2.50–2 2.55–66 2.79–118 2.122 2.133–44 2.149 f. 2.292 2.318 2.571–82 2.584 2.639–62 2.641–4 2.655 2.657 2.659–78 2.661 2.663–6 2.667–78 2.677 f. 2.669 2.673–78 2.679–84 2.680 2.683 f. 2.685–88 2.685–852 2.723 f. 2.851 f. 2.857–62 2.858–60

174 174 20 174 134, 171 176 173 223 f. 48 227 61 f. 110 237 236 20 20 179 178 181 180 f. 170 220 171 179 226 184 182 179 184 183 175 173, 175 224 138, 175 173 158

3.1–9 3.3 3.5 f. 3.7 3.10 311 3.24 3.69–150 3.71–6 3.71–8

156 160, 211 225 155 155 157 75 37 63 75

3.71–166 3.73–6 3.75 f. 3.79–86 3.85 f. 3.86 3.87–98 3.89–98 3.97–150 3.97 f. 3.99 3.99 f. 3.101 f. 3.103 f. 3.105–22 3.109 f. 3.115 f. 3.119–22 3.121 3.122 3.127 f. 3.135–8 3.143–6 3.147 3.149 f. 3.151–6 3.153 3.155–66 3.155 f. 3.159 f. 3.169–252 3.173 f. 3.175 f. 3.179 f. 3.191–6 3.197 f. 3.198 3.221 f. 3.225–32 3.233–44 3.235–42 3.243 3.253 3.255 3.259–392

74 86 f. 151 75 75 80 20, 48 75 58 75 77 173 77 78 78 105 223 73 107 80, 227 48 78 80 80 f. 82, 90 66, 68, 82 63, 73 26, 63, 68 f., 82 252 223, 226 151 157 158 157 251 f. 77 152, 159, 171 153 153 154 f. 96 130 152 152 159

287

Indizes 3.274 3.275–84 3.277–84 3.375 f. 3.379–82 3.389–92 3.391 3.393–8 3.519–22 3.523–42 3.523–696 3.681–84 3.779 3.809––50 3.811–4 3.877 f. 3.883 f.

48 159 62, 63 182 182 159 182 160 159 20 80 156 235 159 224 110 107

4.1–18 4.3 4.5 f. 4.11 4.11 f. 4.18 4.19–30 4.23–30 4.25–8 4.57–60 4.61–4 4.781–800 4.85–9 4.85–94 4.91–114 4.91–130

160 f. 157 98 48, 130 223 161 87 76 164 164 165, 249 255 49 167 168 98, 249–52 252 236 96, 161, 169 85 160 225 162 162 20 253 229

4.94 4.108 4.125–32 4.129 f. 4.133–62 4.187 f. 4.195 f. 4.247–348 4.377 f. 4.394–406 4.401–16

4.407 f. 4.417–620 4.679 ff. 4.683–90 4.685–88 4.725–8 4.837–40 4.845–61 4.901 f. 4.901–42 4.905–42 4.943–8

163, 254 162 48 20 15 20 224 258 110 230 20, 48 162

5.1 ff. 5.10–106 5.18 5.129–46 5.225 f. 5.421–5 5.451–80 5.545–98 5.601 f. 5.639–60

16, 22 89 227 20 118 173 61 219 110 49

6.3 f. 6.11 f. 6.17–96 6.21 6.55 f. 6.55–64 6.57–63 6.79–100 6.91–6 6.92 6.96 6.99 f. 6.219–34 6.237 f. 6.259 f. 6.349–94 6.395–416 6.655 6.710 6.771 6.789 f.

22 224 89 18, 75 224 235 20, 48 255 180, 251 181 181 21 20 48 62 181 10, 48 156 235 130 110

Heroides

288

Indizes 3.51 f. 14.1 f. 14.21 f. 14.65

116 116 115 157

Medicamina faciei femineae 11–26 234 Metamorphosen 1.6 f. 1.18–20 1.21 1.29 1.69 2.445–8 3.339–510 4.258 4.285–388 4.378 f. 4.387 4.535–7 5.385–571 11.388 12.377 14.35 f. 14.775–804 15.4 f. 15.144 f. 15.529

128, 194 128 127 158 194 96 118 69 118 118 122 164 162 116 116 116 148 62 147 116

Tristia 3.12 4.10.5–12 4.10.11 f. 5.10.7 f. Plinius d.Ä. Naturalis historia 18.211 f. 18.221 18.323 f. 34.33 Plutarch Caesar 59 Camillus 22.3 Moralia 268a–d

95 117 117 105

Numa 16.1–4 18 19.4 20.1 Quaestiones Romanae 15.267c 19 19.627 f. 25.268c f.

183 73 120 120

Romulus 21.3

120

Properz 1.1.25 f. 1.1.33–6 1.4.3 f. 1.6 1.6.5 1.6.21–3 1.6.26–30 1.6.29 f. 1.7.5–10 1.7.21 f. 1.8A.1 f. 1.8B.37 f. 2.14 3.4 3.5.1 f. 4.1.57 4.1.69 4.1.71–150 4.1.135 4.6.3–8 Quintilian 10.1.55

68 f. 106 136 131

68 234 63

183 63, 73 f. 166 194

204 223 220 220 208 208 209 217 207 f. 223 223 211 209 209 194 18 57 213 200 213

35

Scholia Vetera in Hesiodi Theogoniam 116b 127 Servius ad Georgica 1.43 ad Aeneida 7.607 7.610

73 134, 142 144

289

Indizes 8.663 Solinus 1.35.36 1.43–45

159

6.33

73 68

6.33 f. 6.34 7.34 7.70

Statius Silvae 2.2.38 4.1 Sueton De anno Romanorum De illustribus grammaticis 17.1 Divus Iulius 6 40.1 Tibull 1.1 1.1.1–36 1.1.57 1.1.74–6 2.1 2.5

148 141

54 54 87 63, 67

220 200 221 200 10 10, 212

Varro Antiquititates rer. human. et div. fr. 2A Cardauns 44 fr. 17.1 Mirsch 86 fr. 67 Cardauns 134 fr. 231 Cardauns 124, 177 De lingua Latina 5.69 5.113 5.156 5.165 6.3 6.5 6.8 6.10 6.12 6.13 6.18 6.29–33

152 39 148 150, 195 50 116 104, 106 136 71 54, 176 54 55

82, 86, 166 63 134, 174 39 39

De re rustica 1.27

51

De vita populi Romani

54

Vergil Aeneis 1.8 1.278 1.278 f. 1.279 1.286–96 1.293 f. 6.847–53 7.45 7.526 7.635 f. 7.601–25 7.601–40 7.607–10 7.616–18 7.620–2

100 184 150 183 184 150 73 108 226 212, 226 194 231 150 150 150

Eklogen 1.1 5.5 f. 10.75 f.

146 146 146

Georgica 1.1 1.5 1.6–16 1.33–45 1.43–6 1.43–203 1.43–6 1.51 f. 1.63–70 1.71 1.147–9

255 100 98 250 100 f. 100 101 226 100 101 229

290

Indizes 1.160–7 1.160–2 1.276 f. 1.204–30 1.217 f. 1.257–310 1.338–40 1.493–7 1.503–11 1.511 2.142 2.175 f. 2.490 f. 3.242–4 4.566

182 225 102 100 102, 166 100 166 229 226 256 227 147 222 250 146

Velleius Paterculus 2.95.2

237

Verrius Flaccus Fasti Praenestini

88, 167

Verrius Flaccus apud Festus De verborum significatu 76, 84, 86, 125, 174

christian badura

badura Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders

Ovids Fasti und das kulturelle Wissen des römischen Kalenders

  m vorliegenden Buch wird das kulturelle Wissen des   römischen Kalenders untersucht, wie es Ovid in den Fasti darstellt und selbst mitgestaltet. Die Studie geht von der These aus, dass das Gedicht sich in einem gemeinsamen Wissensdiskurs mit einer Reihe von poetischen wie auch historiographischen und antiquarischen Prosatexten befindet, was u. a. durch die zentrale, diesen Texten gemeinsame Gedankenfigur der Aitiologie oder Ursprungserklärung deutlich wird.   Die Art und Weise dieses Zusammentreffens von Wissen und Literatur wird am Kernthema der Fasti dargestellt: der Geschichte der Kalenderkonstitution und der aitiologischen Erklärung der Gestalt, Ordnung und Namen des römischen Jahres. Die Studie stellt einen Beitrag zu einer literarischen Wissensgeschichte der römischen Literatur dar, ist also eine über historische Darstellungen der faktischen Ereignisse und Reformen des Kalenders hinausgehende Interpretation der poetischen Verarbeitung sozialer Zeitverhandlung in Rom.

badura

  Ovids Fasti und das kulturelle Wissen   des römischen Kalenders

Universitätsverlag

win t e r

Heidelberg