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German Pages 322 Year 2019
Susann Dahms Strukturen des Affektiven
Sozialtheorie
Susann Dahms (Dr. phil.), geb. 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Emotions- und Gewaltanthropologie sowie Sozialisation, Erziehung und Psychotherapie in der frühen Kindheit, Kindheit und Jugend.
Susann Dahms
Strukturen des Affektiven Kulturelle Ordnungen, Aufmerksamkeiten und affektive Hintergründe
Unter dem Titel: »Strukturen des Affektiven. Über Takt und Taktlosigkeit gelernter Aufmerksamkeiten« als Dissertation genehmigt von der Philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Tag der mündlichen Prüfung: 17.09.2018 Vorsitzende des Promotionsorgans: Frau Prof. Dr. Heike Paul Gutachter: Prof. Dr. Frank Adloff, Prof. Dr. Jan Weyand
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Katja Böger, Nürnberg & Dr. Sybille Strobel, Berlin Korrektorat: Alica Meiler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4743-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4743-7 https://doi.org/10.14361/9783839447437 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort | 7
Kapitel 1 Das soziale Wesen des Affektiven: gefühlte Beziehungen und kulturelle Grenzziehungen | 19
Affektive Dynamiken: Zur Unterscheidbarkeit affektiver Phänomene | 22 Affektive Bedingungen: »Innere Nähe« und affektive Hintergründe | 31 Affektive Dispositionen und Schnittstellen der Transformation | 36
TEIL I: AFFEKTIVITÄT UND BEGEGNUNG Kapitel 2 Affektive Modi und Gestimmtheiten in der Resonanztheorie Hartmut Rosas | 45
Affektive Modi und die Ebenen der Weltbeziehung | 53 Strukturen des Affektiven aus der Perspektive der Weltbeziehung | 69 Die affektive Seite eines postkapitalistischen Problemzirkels | 88 Kapitel 3 Affektive Prozesse und Dispositionen im Modell Emotionaler Energie Randall Collinsʼ | 107
Emotionale Prozesse und Rhythmen in der Interaktion | 119 Strukturen des Affektiven im Modell Emotionaler Energie | 136 Bedingungen des Affektiven und soziale Ungleichheit | 163
TEIL II : AFFEKTIVE HINTERGRÜNDE, MACHT UND AUFMERKSAMKEIT Kapitel 4 Vergleich der Konturen des Affektiven im Resonanzkonzept und im Modell Emotionaler Energie | 179
Anthropologische Grundbestimmungen des Affektiven | 180 Zur Gestalt affektiver Hintergründe | 188 Verschränkung affektiver und sozialer Strukturen | 198 Kapitel 5 Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten als Austragungsorte affektiver Hintergründe | 205
Aufmerksamkeit und affektive Modi in der Begegnung | 211 Die Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten | 222 Affektive Prädispositionen des Aufmerkens | 234 Kapitel 6 Prädispositionen affektiver Hintergründe: Kulturelle Ordnungen und Schemata des Aufmerkens | 243
Unterschiedliche Weisen des Aufmerkens | 244 Kulturelle Codierungen als kollektive Dispositionen des Aufmerkens und affektiver Hintergründe | 261 Prädisponierte Aufmerksamkeit und die Freiheit des Gefühls | 281
Schluss | 287 Literatur | 293
Vorwort
Niemand würde ernsthaft behaupten wollen, dass Gefühle, Leidenschaften, Empfindungen, Grundgestimmtheiten, Gemütslagen sowie hier und da gespürte Neigungen und Impulse – und darüber hinaus alles, was irgendwie zum Affektiven zu zählen ist – für die Weise, wie wir über etwas denken, wie wir etwas sagen, wie wir anderen Dingen und Menschen begegnen und miteinander leben, nicht von entscheidender Bedeutung wären. Dass uns einige soziologische Konzeptionen dies glauben lassen wollten, ist nur die halbe Wahrheit. Der Punkt ist, dass die Soziologie als Wissenschaft des Sozialen, der Gemeinschaft und des Gemeinsamen ihre Aufgabe gerade darin sieht, die alles verbindenden und interindividuellen Muster sichtbar werden zu lassen: umfassende Strukturen, die ermöglichen einzelne Ereignisse und individuelles Verhalten ins Verhältnis zueinander zu setzen. Wenn Heinz Bude einleitend zu Gesellschaft der Angst bemerkt, dass derjenige, der eine gesellschaftliche Situation verstehen will, die »Erfahrungen« der Menschen zum Sprechen bringen müsse (Bude 2014, 9), schickt er uns genau zu diesem Ausgangspunkt jeglichen Vergleichens und Bezugnehmens zurück. Doch dieser Punkt, die Erfahrung, das, was erlebt wird, hat es in sich, und zwar in doppelter Hinsicht. In der Erfahrung kommt alles zusammen, was das Individuum ausmacht, was es leitet, was gerade ist und was es will. Die Erfahrung macht dabei keinen Unterschied zwischen Orientierung und Orientierungslosigkeit, zwischen Verstehen und Gedankenlosigkeit, zwischen planvollem Handeln und steuerlosem Umhertreiben. Die Erfahrung als Ausgangspunkt hat es also auch in sich, weil sie doch im Grunde viel zu verworren, viel zu verwaschen und zugleich zu vielschichtig ist, als dass irgendjemand behaupten könnte, er hätte sie vollends erfasst und verstanden. Dies macht sie nicht minder bedeutsam für die Geisteswissenschaften, eher besonders ergiebig.
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Emotionen Die Soziologie mit ihrem Auftrag, das herauszustellen, was Gemeinschaften zusammenhält, tut sich naturgemäß leichter darin, eben jene Dinge in den Mittelpunkt zu stellen, die sichtbar oder zumindest benennbar sind. Genau aus diesem Grund fängt die Geschichte des Affektiven in der Soziologie bei den Emotionen an. Nicht, weil sie das wären, was in den ersten einschlägigen soziologischen Schriften thematisiert wurde, sondern weil sie Sichtbarkeiten und Präsenz für sich beanspruchen können. Und eben dies können Emotionen besonders gut. Die Emotionssoziologie hat sich in der Folge mit teils imposanten Gefühlen wie Wut (Katz 1999; Averill 1980; Stearns 1994), Freude (Katz 1999; Berger 1997), Ärger (Scheff 1979; Bowlby 1969), Liebe (Cancian 1987; Giddens 1992; Nussbaum 2001; Illouz 2011)1, Scham und Stolz (Shott 1979; Kemper 1981; Scheff 1990, 2000) auseinandergesetzt.2 Und mit ihnen zumeist mit konkreten Akten, Gedanken und Werten oder interaktiven Verkettungen. Im angloamerikanischen Raum begann ein verstärkter emotionssoziologischer Diskurs bereits vor gut 40 Jahren mit wachsendem Einfluss eines interaktionstheoretischen Paradigmas in der Soziologie (vgl. Senge und Schützeichel 2013, 14). Zumeist wird der Beginn dieses Diskurses in Zusammenhang mit Beiträgen Arlie Hochschilds (1979), Scheffs (1979) und Kempers (1978a,b) gebracht, als einige der bekanntesten Pioniere des sich etablierenden Forschungsgebietes.3 Zumindest gehören diese Autoren zu denen, die gute zehn bis fünfzehn Jahre später in der deutschsprachigen
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Vgl. auch die Darstellungen zur privaten Gefühlsarbeit u.a. von Hochschild (1983) und ähnlich Averill (1980).
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Die Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen lediglich das Bild der abgrenzbaren, konkreten Emotion als Thema konturieren, zumal sich ohnehin viele der Autoren mit mehreren Emotionen beschäftigt haben.
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Kemper datiert den Beginn der Debatte um Emotionen bereits auf das Jahr 1975, in dem Arlie Hochschild ihren ersten Artikel über Emotionen, The Sociology of Feelings and Emotions, veröffentlichte (Kemper 1990, 3). 1979 erschien Emotion Work, Feeling Rules and Social Structur und 1983 ihr wohl bekanntestes Werk The managed heart. Vergleichbar verweisen auch Gerhards (1986, 769), Vester (1991, 13), (1998, 20f.) und Flam (2002, 117) auf den Zeitraum Mitte der 1970er Jahre als Beginn des Forschungsdiskurses um Emotionen im angloamerikanischen Raum. Weitere Ausführungen zum historischen Abriss der Emotionssoziologie bietet etwa Senge einführend zum 2013 erschienenen Sammelband Hauptwerke der Emotionssoziologie, hrsg. von Konstanze Senge und Rainer Schützeichel.
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Soziologie gemeinsam mit der Übersetzung von Helena Flams The emotional man (1990a,b) beginnende Aufmerksamkeit erfuhren. Mittlerweile ist auch der wahrgenommene Kanon deutschsprachiger Emotionssoziologie breitgefächert. Neben grundlegenden kulturtheoretischen Beschäftigungen (etwa Vester 1991; Röttger-Rössler 2004) finden vor allem Themen der Liebe (Beck und Beck-Gernsheim 1990; Röttger-Rössler 2006; Illouz 2003, 2011, 2013; Hillenkamp 2012; Kuchler 2014) sowie Emotionen der Wut, des Neids und der Scham (beispielsweise Neckel 1991, 1999; Fries 2004) besonderes Interesse. Ein weiterer Themenbereich stellt die Auseinandersetzung mit Emotionen im Zusammenhang mit Sozialstruktur (von Scheve 2009; Henning 2012; Schützeichel 2012) und Rational-Choice-Ansätzen (Flam 1990a, b, 2006; Schnabel 2006; Esser 2006) dar. Darüber hinaus aber finden sich zahlreiche weitere Hinwendungsbereiche des Emotionalen, etwa die klassischen Wurzeln der Emotionssoziologie im engeren oder weiteren Sinne (Flam 2002; Senge und Schützeichel 2013; Landweer und Renz 2008; Rössel 2006, 2012) oder spezifische Akzentuierungen (etwa Esterbauer und Rinofner-Kreidl 2009; Schnabel und Schützeichel 2012). Die Familie des Affektiven Zurück zum Argument der Sichtbarkeit. Selbstredend macht das Affektive der sozialen Akteure weit mehr aus beziehungsweise ist deutlich vielschichtiger, als dass es allein mit Vorstellungen um die Begrifflichkeit der Emotionen abgedeckt wäre. Zum Gefühlsleben gehören ebenso fortdauernde Stimmungen und unbemerkte affektive Hintergründe. Darauf verwies bereits Heidegger mit der Feststellung, »daß das Dasein je schon immer gestimmt ist« (Heidegger 1972, 134). In dieser Hinsicht schloss sich Bollnow durchaus an, wenn er bemerkt, »daß die Stimmungen als notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil zum ursprünglichen Wesen des Menschen gehören« (Bollnow 2009, 37). Im Zusammenhang mit der relativen Beständigkeit von Stimmungen gegenüber den ansonsten eher wechselhaften und zu Extremen neigenden Emotionen ist auch Diltheys Bezeichnung der Lebensstimmungen zu sehen, die er bildungstheoretisch in Verbindung mit der Ausbildung einer stabilen Weltanschauung des Menschen bringt (Dilthey 1931). Viele emotionssoziologische Arbeiten haben auch verborgene oder subtile Aspekte des Affektiven adressiert oder schlicht impliziert, so etwa bereits Hochschild mit der Analyse der erlernten inneren Gefühlsarbeit, deep acting, am Beispiel der Freundlichkeit und Geduld von Stewardessen (Hochschild 1983). Vergleichbar wurzeln Scheffs Untersuchungen zu Scham und Stolz auf tiefgründigen und zunächst subtilen Weisen des Affektiven, etwa dann, wenn er
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sich auf Cooleys Darstellungen zu den social self-feelings bezieht: »[…] we do not think much of it so long as it is moderately and regularly gratified« (Cooley 1922, 208). In die gleiche Richtung gehen Goffmans Deutungen der höchst sensitiven Aufmerksamkeit zwischen Teilnehmern von Interaktionsritualen, die er auf die innere Empfindungsebene hin auszulegen sucht (vgl. Scheff 1990). Ebenso grundlegend muss das Verständnis von Affektivität in der Affektregulationstheorie Heises aufgefasst werden (Heise 1977, 1989; Heise und SmithLovin 1981; Lively und Heise 2004; Heise und Steven 2006). Das Modell »should show how nonnormative emotions lead to qualitative changes in our view of reality [and] emphasizes the fact that emotional responses are an integral part of social interaction, rather than generating separate theoretical statements for specific emotions.« (Smith-Lovin 1990, 238) Laut Sighard Neckel hat Georg Simmel (für den bekanntlich Gefühle eine besondere Bedeutung im Bereich alltäglicher Vergesellschaftung haben) subtile Gefühle unmittelbarer sozialer Interaktionen im Sinn, die nicht erst durch Zweckrationalisierungen intensiviert wurden. Affektivität stelle somit eine eigene Form des Weltbezugs dar (vgl. Neckel 2006; 126, Simmel 1908). So berücksichtigt Katharina Scherke in ihrer Überblicksdarstellung zu Emotionen als Forschungsgegenstand in der deutschsprachigen Soziologie (2009), dass das menschliche Gefühlsleben mit Blick auf das soziale Handeln doch aus zahlreichen Facetten besteht, die zum Großteil »aus unserer sozialen Existenz, d.h. aus unseren unmittelbaren Interaktionen oder unseren Erfahrungen mit anderen« (Scherke 2009, 13), hervorgehen. »Wenn wir mit anderen interagieren, reagieren wir (bewusst oder unbewusst) auch gefühlsmäßig auf diese, etwa mit Sympathie oder Antipathie« (ebd.). Vester unterstellt selbst der flüchtigen Begegnung »eine emotionale Atmosphäre« (Vester 2006, 243). Überhaupt teilen viele Autoren im Bereich der Emotionssoziologie die Vermutung, dass die unbemerkten, subtilen Affekte und Stimmungen, wenn auch schwer definierbar, dennoch einflussreicher für die Erklärung von Handeln und sozialen Praktiken sein könnten (vgl. Vester 2006, 241; von Scheve 2009, 205; Slaby 2008, 75; Pfaller und Wiesse 2017, 3ff.; Yilmaz 2017, 84). Das Affektive als Forschungsthema Das Forschungsfeld um diese, vor allem subtilen Bereiche des Affektiven beschreibt sich jedoch überwiegend als ein anderes, als sich nur aus der Emotionssoziologie heraus definierend. Mitunter unabhängig jener auszumachenden zentralen Fallrichtung thematischer und begriffstheoretischer Entwicklungen im Rahmen einer Emotionssoziologie ist das Affektive immer auch ein Thema der Soziologie als Ganzes und findet sich aus ganz verschiedenen Blickrichtungen
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und theoretischen Anknüpfungen heraus thematisiert. Der Begriff der Stimmungen beispielsweise taucht recht verstreut hier und da im Rahmen soziologischer Erörterungen auf; dabei mitunter auf differente Aspekte verweisend. Beispielsweise in Axel Honneths Beschreibungen von Gefühlslagen, welche den Kampf um Legitimität und Anerkennung sozialer Werte widerspiegeln (Honneth 1992, 219ff.). In Anlehnung daran finden sich Thematisierungen innerer Gefühlszustände der Angst (Ehrenreich 1992; Newman 2008), der depressiven Grundstimmung (Ehrenberg 2004) sowie Angst und Stimmung bei Bude (2015, 2016). In puncto einer Thematisierung des Affektiven als Ganzes in Form einer Annäherung an Vorstellungen zu den Grundmomenten, Charakteristika und Dynamiken des Affektiven allgemein beziehen sich diese auf eine davon getrennt zu betrachtende Traditionslinie der Cultural Studies und das sich davon auf der Grundlage eines nicht-physiologischen Körperbegriffs abgrenzende Feld der Affect Studies (Massumi 1995, 2002; Ahmed 2004; Clough und Halley 2007; Gregg und Seigworth 2010; Blackman 2008). Ausgehend von der Philosophie Spinozas erlangte dabei die Betrachtung des Affektiven einen erweiterten Horizont einer von biologischen Konstanten befreiten Vorstellung des Affektiven als grundlegend relationales Phänomen des Affizierens und Affiziert-Werdens (Slaby 2016). Die Grenzen des Poststrukturalismus neu definierend oder überwindend, lässt sich daran angelehnt in den letzten Dekaden die Tendenz beobachten, dass nun gerade diese eigentlich wissenschaftlich unpraktischen, weil diffus und methodisch schwer zugänglichen Themen wie affektive Kräfte, emotionale Atmosphären und Klimata, Präsenz und implizites Wissen, Weltzugänge und (länger schon) Aufmerksamkeit wachsende Beachtung und wissenschaftliche Reflexion in der Soziologie erfahren. Die bei der Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung sich ausbildenden Phasen – etwa jene des spatial, body und affective turn4 – waren diesbezüglich Wegbereiter. Im deutschsprachigen Raum sind dazu
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Der body turn und der affective turn können in der Affect Theory nicht klar voneinander getrennt werden. Der im angloamerikanischen Raum von Patricia Clough diagnostizierte affective turn zeigte von Anbeginn eine Spaltung zwischen einem körperlichen und einem emotionalen Fokus und reflektierte diesbezüglich das von Spinoza aufgeworfene Verhältnis von Körper und Affekt (vgl. Hardt 2007). Beispiele für körperbezogene Arbeiten finden sich vor allem in feministischen Arbeiten, etwa Judith Butlers Bodies That Matter: On the Discursive Limits of »Sex« (1993). Emotionsfokussierende Arbeiten werden hingegen mehr der Queer Theory zugeordnet, wie der von Eve K. Sedgwick, Adam Frank und Irving E. Alexander herausgegebene Band Shame and its Sisters: A Silvan Tomkins Reader (1995) oder die von Lauren
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umfangreiche, phänomenologisch orientierte Sammelbände (u.a. Pfaller und Wiesse 2017; Müller, Nießeler und Rauh 2016; Adloff, Gerund und Kaldewey 2015; Ernst und Paul 2013; Lehnert 2011; Goetz und Graupner 2007; Heibach 2012)5 und disziplinenübergreifende Arbeiten zum Affektiven für den soziologischen Diskurs relevant geworden (u.a. Illouz 2003, 2007, 2009, 2011; Reckwitz 2008; Slaby 2008, 2014; Schmitz 1969, 2009; Böhme 1995a, b, 2007). Unabhängig davon stellt all das, was zum Affektiven zu zählen ist, so unterschiedlich es im Einzelnen auch adressiert wird, einen gemeinsamen Fokus nicht nur der Sozial-, Kultur- und Erziehungswissenschaften, Anthropologie und Psychologie dar. Die Frage, welche sich die Soziologie nun stellen muss, ist die, warum jene soften Dimensionen des Sozialen verstärkte Beachtung erfahren. Sind sie schlicht relevanter für die Erklärung postmoderner Gesellschaften und Weisen, wie wir leben, denken und fühlen geworden? Schließlich erfahren Themen der Angst, der Stimmung, der impliziten Formen des Wissens und affektive Präsenzen ja seitens der Individuen selbst und seitens sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche erhöhte Beachtung und Relevanz. Was also steht hinter dem von Eva Illouz prognostizierten Wandel zum homo sentimentalis (Illouz 2007)? Mit Blick auf Phänomene der Aufmerksamkeit wurde längst vermutet, dass verstärkte Diskurse gebunden sind an »Modernisierungsprozesse und an kulturelle Transformationen der Subjektmodellierung, der Wissensordnungen sowie der Wahrnehmung und ihrer Medien« (Thums 2008, 12). Wenn jedoch Prozesse wachsenden Interesses von Aufmerksamkeit immer auch Prozesse der Selbstaufmerksamkeit und Subjektivierung sind (vgl. Ehrenspeck-Kolasa 2015, 23), dann sind Hinwendungen zu Stimmungen, affektiven Hintergründen, implizitem Wissen und Atmosphären dies ebenfalls. Damit implizieren solche Hinwendungen immer eine Auflösung bekannter Subjektgrenzen. Selbstaufmerksamkeit geht dann einher mit einer Auflösung des hinter sich gelassenen Subjekts im Raum bereits bekannter und damit abgrenzbarer Entitäten. Räumliche Bilder oder die meteorolo-
Berlant publizierten Bände Intimacy (2000) und Compassion: The Culture and Politics of an Emotion (2004). 5
Zu erwähnen ist hierbei auch der Sammelband Erleben – Erleiden – Erfahren (hrsg. von Junge, Suber und Gerber 2008), in welchem kultursoziologische Verknüpfungen zu affektiven Thematiken gefunden wurden. So etwa der Beitrag von Johannes Weiss Freundschaft in Einsamkeit. Eine soziologische Grenzbetrachtung, in dem Weiss das affektive Phänomen der Einsamkeit als sozialkonstitutive Weise des In-der-WeltSeins bestimmt (Weiss 2008). Oder aber auch der Versuch Jeffrey C. Alexanders, das »Gefühls-Bewusstsein« als eine Form der nicht-rationalen Werterfahrung über die Weise des Erlebens von Materialität zu bestimmen (Alexander 2008).
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gische Metapher des »Klimas« werden dabei vielfach als Hilfskonstrukt verwendet, um die Untrennbarkeit des Subjektiven und Öffentlichen benennbar zu machen (u.a. Schmitz 1969; Sloterdijk 2012). Die Abgrenzung des mentalen und symbolischen Subjekts findet sich mitunter in der Auslegung des Affektiven auf Körperlichkeit und Atmosphären (Massumi 2002; Seyfert 2011; Gugutzer 2006, 2015; Böhme 2007), unter Rekurs etwa auf Baruch de Spinoza, Henri Bergson, Gilles Deleuzes und Felix Guatarri, wobei Körperlichkeit und damit Affektivität mitunter bereits als technologisch und kulturell konstruiert angesehen werden (vgl. Clough 2007; Leys 2011; Blackman und MacCormack 2014; von Scheve und Berg 2017). The affective life und das Soziale Das, was sich die Soziologie in der Hinwendung zum Affektiven allgemein, zu dessen Kräften der Subjektivierung und Entsubjektivierung somit eigentlich zum Thema macht, ist Macht und Prozesse der Vergesellschaftung. Doch die, für die Moderne typische, Privatisierung subjektiven Empfindens reifiziert sich in der Soziologie überall dort, wo Themen der Macht, der Ungleichheit, aber auch der Lebensqualität nicht auf ihre verbindenden Strukturen des Affektiven, nach dem Gemeinsamen des innerst Empfundenen zurückverfolgt werden. Die Vorstellung einer erbarmungslosen Veräußerung des Innersten des Individuums ist und bleibt, spätestens seit Sigmund Freud, beängstigend. Es mag ertragbar sein, wenn Martha Nussbaum erklärt, dass Emotionen unsere tiefsten Wertzuschreibungen zu Tage treten lassen (Nussbaum 2001). Natürlich haben gesellschaftliche und kulturelle Werte Einfluss auf Prozesse der Subjektivierung, des subjektiven Erlebens und auf Bedeutungszuschreibungen. Die Erfahrungen selbst, das Erleben und Empfinden, bleibt dabei jedoch dem Individuum vorbehalten – in einmaliger, intimster und individuellster Art und Weise. Es mag Unbehagen bereiten, das Strukturelle und Geteilte in unserem Innersten zu glauben. Anzunehmen, dass nicht wir fühlend auf die Welt und auf andere antworten, sondern wir empfinden, was die Gesellschaft, die Kultur und andere uns zu fühlen und zu sehen gelernt haben, mag vertraut und quälend zugleich sein (Butler 2001, 7). Doch das Affektive ist eine geteilte und alles und jeden durchdringende Macht, die eins zum anderen kommen lässt. Die sich durchsetzt und Dinge real werden lässt. Texturen, die sich durchziehen, durch sich aneinanderreihende Szenen, Gedanken, Begegnungen und Menschen. Ein Blick auf das stets in Bewegung seiende, sich nie in seiner Gestalt zeigende, sondern mehr oder weniger zu Implizierende, Gestaltlose dabei. Mal nicht mehr als ein Hauch der Ahnung, mal ein heftiger Druckpunkt, mal ein treibender Impuls in die eine oder andere
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Richtung. Das Affektive, von dem die Rede sein soll, ist der rote Faden, der sich durch Roland Barthes Ausschnitte und Gedankenblitze im Tagebuch der Trauer zieht, der sich preisgibt als das zu Imaginierende diversester Szenen und Erzählungen des Glücks in Jörg Zirfasʼ Zusammenstellung Zum Glück. Es geht um stete Bestätigungen und Irritationen dessen, was verbindet und unterscheidet, was bleibt und sich wandelt, was uns angeht oder uns unberechtigt zu nahe gekommen ist. Und es geht um jene Orte, an denen das Affektive sich zeigt in der Verwandlung des Möglichen zu dem, was zur Verhandlung kommt, von Macht und Teilhabe, auf der Vorder- und Hinterbühne. Folglich haben Darstellungen starrer Mechanismen der Übersetzung emotionaler Erfahrungen in soziale Bedeutungen sowie gemeißelte Beschreibung und Definitionen des Affektiven bereits das Wesen des Affektiven, das stets sich in Bewegung und Gestaltung Befindliche, bereits verfehlt. Die Hoffnung ist, dass eine Näherung an das Wesen des Affektiven hilft zu zeigen, was vor sich geht. Wir haben einige Formeln und Definitionen zu den Zeiten, in denen wir leben. Konsumexplosion, Digitalisierung, Prekarisierung, die globale Entfesselung unumkehrbarer Kräfte, seien es ökonomische, politische, natürliche, technische oder soziale. Aber wir tun uns schwer Brücken zu bauen, zwischen diesen Formeln, Erklärungen, Anhaltspunkten und Meinungen einerseits und der Welt, in der wir tagtäglich leben, den Menschen, denen wir begegnen, und dem Mensch, der wir in dieser Welt sind oder sein wollen, andererseits. Doch das, was dazwischen liegt, zwischen Erfahrungen, zwischen Erkenntnissen und Situationen, zeichnet sich nicht als ein klares und wohlgefestigtes Bild der Welt, wie sie eben ist, ab. Es sind aber auch mehr als Ad-hocSpekulationen und Kuriositäten Einzelner (u.a. Stewart 2007, 1). Es sind Näherungsversuche wie jene von Kathleen Stewart, im Sequenzieren und Perspektivieren einzelner Szenen damit das Alltägliche und gleichsam Verbindende des Affektiven einzufangen. »Something throws itself together in a moment as an event and a sensation; a something both animated and inhabitable.« (Ebd.) Gleichsam damit aber auch das Bestimmende und Wirklichkeiten Gestaltende illustrierend, das es im Durchwandeln von Situationen erkennen lässt, dabei die Gestalt derer, die es durchwandelt, annehmend. Vergleichbar beschreibt Nigel Thrift in Knowing Capitalism das Affektive als jene Bindungen, Wirkmächte und Brüche in Gesellschaften vorschablonierendes Gefüge. Heinz Bude wiederum zeigt das Affektive als eine Gestalt auf, welche sich nicht aus Analysedaten, sondern aus dem Bauch der Einzelnen heraus dennoch als eine Vogelperspektive auf das Gemeinsame entwirft.
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Verschränkende Entitäten Behauptet wird damit aber, dass das alltägliche und allgegenwärtige affektive Leben für die Soziologie eine eigene und wesentliche Entität sei. Das Affektive unterwandert das Soziale dabei nicht subtil, sondern konstruiert und definiert es ganz essenziell. Es ist mindestens genauso wie Sprache, Handeln und Denken für die Soziologie eine genuine Entität. Die Soziologie findet ihren Zugang zum Affektiven jedoch nicht in der Tiefe des Individuums und der Breite des Erlebens, sondern den Kräften, die jene zusammenbringen. Doch fehlt es an methodischen Zugängen, generalisierbaren Orientierungspunkten und einer weniger wackeligen Anbindung an deren Verschränkung mit sozialen Beziehungsformen und Praktiken sowie kulturellen Ordnungen. Zumal gerade hier die Verknüpfung besonders interessant und für soziologische Fragestellungen notwendig zu sein scheint. Also einerseits danach zu fragen, wie sich Sequenzen des Erlebens in einer Begegnung: ein Blick, ein Geräusch, der Hauch von Liebenswürdigkeit, ein Moment des Zögerns, das Biedere der Dominanz, aber auch der Eindruck von Eloquenz vor einem holzvertäfelten Hintergrund eines Hörsaals oder das innere Erstarren und Sammeln im Ausgesetztsein eines sich bemächtigenden Gegenübers letztlich zu emergierten Bildern des Gegenübers, des Selbst und dem Beziehungsverhältnis zueinander werden. Wie aber auch andererseits aus benennbaren Ordnungen davon, wer eine Mutter, ein Chef, ein Freund ist, wer zu berichten, zu erklären, zu sorgen, zu grüßen, zu bestimmen hat, wer zu wem gehört, was Familie, Gemeinschaft, Gesellschaft, eine Nation ist, wiederum nicht in ihrer Form als Begriff, Idee oder Konstrukt per se, sondern als ebenso affektive Gestalten erst potenzielle Weisen des Begegnens vorab kartografieren. Wie verschränken sich Beziehungsverhältnisse einer Gesellschaft, die Wertstrukturen einer Kultur, die repetitiven Praktiken innerhalb von Lebenswelten mit grundständigen, alles durchziehenden Gefühlskulturen? Und wie wirken sich geteilte Gefühlswelten auf Begegnungsweisen, auf Beziehungsverhältnisse und Sozialstrukturen aus? Damit sind die Hauptintension und die Blickrichtung der Arbeit vorgestellt. Die Strukturen des Affektiven sind ein Gedankengerüst, ein Näherungsversuch, welcher der Annahme folgt, dass das Affektive mit all seinen hintergründigen Kraftrichtungen, seiner Definitionsmacht und unzähligen Fäden, die es zwischen Individuen, zwischen Momenten, zwischen sozialen Szenen und Settings, zwischen Begriffen und Bedeutungen spannt, doch mehr ist als eine vereinzelt relevant werdende oder beiläufige Dimension des Sozialen. Zugegeben, dies ist kein besonders konkreter und damit gleichsam schwer zu umgreifender Ausgangspunkt. Die Aufgabe, der sich diese Arbeit gegenüber gestellt sieht, zeichnet sich
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als ein Versuch ab, jene immanenten Kräfte eines alltäglichen, allgegenwärtigen und geteilten Feldes des Affektiven abzustecken und damit eine Brücke zwischen individuellen Begegnungen und kollektiven Sozialräumen vorzuschlagen. Es gilt damit aber auch das gestaltlose und fluktuierende alltäglicher Praktiken, impliziter Wissensformen und affektiver Kräfte mit dem systematisierenden Wesen des Sagens, Denkens und Zeigen-Könnens zu verbinden. Wenn also von Strukturen des Affektiven die Rede sein soll, dann beziffert dies keinesfalls dessen immanente Gestalt, sondern die Linienführung der Perspektive darauf. Nachdem im einführenden Kapitel die theoretische Verortung der Untersuchung in dieser Ausgangssituation näher erläutert und zentrale Begrifflichkeiten im Rahmen des Affektiven geklärt wurden, wird diese Perspektive zwei grundlegende Richtungen einschlagen. Der erste Teil der Arbeit macht sich zur Aufgabe, das Affektive als soziale Entität umreißen und an markanten sozialen Gestaltpunkten abbilden zu können. Dies vor dem Hintergrund zweier verschiedener Landkarten möglicher Darstellungsdimensionen des Sozialen und deren Transformationsorte. Dazu wird zum einen die Resonanztheorie Hartmut Rosas herangezogen. Deren fokussierte Orte des Sozialen sind zum einen die elementare Prozessebene des wechselseitigen Affizierens und Affiziert-Werdens, die mittelbare Ebene einer resonanten oder stummen Beziehung und eine davon generalisierbare Dimension des Sozialen in Form grundlegender Stellungnahmen der Einzelnen sowie institutionalisierter Praktiken, Achsen und Orte der Begegnung. Eine damit abzugleichende Landkarte der sozialen Darstellungsdimensionen des Affektiven liefert die Theorie der Interaktionsritualketten von Randall Collins. Die darin fokussierten Schnittstellen bilden einmal die voneinander abgrenzbaren Dynamiken der Interaktion: die rhythmischen Koordinationsmodi der Teilnehmer einerseits sowie die sich verkettenden Prozesse des emotional entrainments andererseits. Als mittelbare Ebene beschreibt das Modell Formen spezifischer Macht- und Statusverhältnisse, deren Inhaber sich insbesondere durch ihr Niveau Emotionaler Energie voneinander unterscheiden. Das Maß Emotionaler Energie bildet dabei zugleich eine generalisierbare Dimension des Sozialen in Form von fundamentalen Ressourcen in der Verknüpfung mit kollektiven und personalen Symbolen. Die in jenen Konzepten somit teils explizit thematisierten und teils beiläufig unterstellten Strukturen des Affektiven entlang einer Karte unterschiedlich abstrahierter sozialer Darstellungsebenen sowie die verschränkende Betrachtung affektiver Bedingungen und Folgen von Begegnungen sollen daher nachverfolgt und skizziert werden. Im zweiten Teil sollen über ein anthropologisches Skizzieren und ethnografisches Aufzeigen hinaus diese affektiven Druckpunkte des Sozialen, die imaginierten Richtungspfeile des Aufmerkens und impliziten Empfindungsimpulse in
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der Begegnung, die Arten und Weisen der Verschränkung des Affektiven mit sozialen Praktiken und Beziehungsverhältnissen sowie kulturellen Ordnungen systematischer adressiert werden. Damit dies gelingt, muss das Ziel eine Konkretisierung der Transformationsweisen des Affektiven sein. Federführend ist dabei die Annahme, dass die Grunddimension des Sozialen, nämlich das auszutarierende Verhältnis von Macht und Solidarität, von Beherrschung und Bindung, ein wesentliches Element im Verständnis auch des Affektiven als soziale Entität darstellt. Macht gilt es dabei auf die implizitesten und prädisponierenden Mechanismen dessen, was und wie in der Begegnung überhaupt aufgemerkt wird und was zu welcher sozialen Realität werden kann, zurückzuverfolgen. Von besonderem Interesse werden daher die Schnittstellen zum einen zwischen dem hintergründig Affektiven und der sozialen Interaktion sowie zum anderen dem affektiv Dispositionalem und dessen aufmerkenden Übersetzungen in der Begegnung sein. Über einen notwendigen Perspektivwechsel, ausgehend von affektiv-performativen Modi in der Begegnung in Richtung deren Prädisponiertheit mittels kollektiv disponierender Ordnungen der Weisen der Aufmerksamkeit, wird die Transformation in affektive Hintergründe in der Begegnungssituation differenzierter zu thematisieren sein. Damit ist zugleich aber auch der methodische Zugang zum Thema dargestellt, der sodann nicht nur auf phänomenologischer Analyseebene des Affektiven bleiben kann, sondern mit einer systematisierenden und prozessorientieren Lesart verknüpft werden muss. Es genügt nicht, Erscheinungsformen des Affektiven beschreiben zu können, sondern es bedarf einer Skizzierung affektiver Strukturen im Allgemeinen sowie deren Verschränkung in der Situation mit dem Sozialen und mit affektiv Dispositionalem.
Kapitel 1 Das soziale Wesen des Affektiven: gefühlte Beziehungen und kulturelle Grenzziehungen
Einleitungen zu Arbeiten, die sich mit Phänomenen menschlicher Affektivität auseinandersetzen, zumeist mit Emotionen, sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass sie zunächst verschiedene, unter Umständen gegenläufige Lesarten dieses Phänomens betonen, darunter anthropologische, soziologische, kulturwissenschaftliche, philosophische oder psychologische Bestimmungen, Charakterisierungen und Kategorisierungen. Im Anschluss dienen diese Diversa als Ausgangslage für die jeweils anvisierte, favorisierte Konzeption. Eine Bestimmung dessen, was Affektivität grundlegend meint und wie sich das jeweilige affektive Phänomen dazu verhält, bleibt zumeist beiläufig unterstellt oder gänzlich unbeachtet. Nun findet diese Arbeit ihren Ausgangspunkt nicht in der Besprechung eines spezifischen affektiven Phänomens, sondern hat gerade unterschiedliche soziologische Blickrichtungen einer solch wesentlichen Bestimmung des Affektiven überhaupt zum Thema. Sie befasst sich also mit der sozialen Genese und Bedeutung des Affektiven sowie inhärenten Strukturen differenzierbarer Aspekte und Phänomene. Doch auch dahingehend ist die Arbeit zu verorten und ihre richtungsweisenden Perspektiven und Grundannahmen sind zu klären. Perspektiven des Affektiven An den Beginn einer näheren Beleuchtung des sozialen Wesens des Affektiven soll eine Beschreibung gestellt werden, die Eva Illouz in Gefühle in Zeiten des Kapitalismus (2007) für den Begriff der Emotionalität im Speziellen vorgeschlagen hat, ohne behaupten zu wollen, Illouz hätte damit das Affektive substanziell zu umschließen angedacht. Dennoch bietet sich ihre Darstellung als eine
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Ausgangsdefinition des sozialen Wesens menschlicher Affektivität 1 an. Illouz beschreibt Emotionen so: »Emotionen sind also weit davon entfernt, präsozial oder präkulturell zu sein; in ihnen sind vielmehr kulturelle Bedeutungen und soziale Beziehungen auf untrennbare Weise miteinander verflochten, und gerade diese Verflechtung ist es, die ihnen das Vermögen verleiht, Handeln mit Energie aufzuladen. Emotionen besitzen diese ›Energie‹ aufgrund der Tatsache, daß sie stets das Selbst und seine Beziehung zu kulturell situierten anderen betreffen.« (Illouz 2007, 10)
Diese Kennzeichnung von Emotionalität ist vorläufiger definitorischer Unterbau des Affektiven im Ganzen, an dem sich die vorliegende Arbeit zunächst orientieren und die eingebrachten Fragestellungen konkretisieren wird. Denn noch vor jeder systematischen Beschäftigung mit dem Affektiven und einer Differenzierung affektiver Phänomene soll eine Komplexität und fundamentale Reichweite menschlicher Affektivität angenommen werden, die unterschiedliche situative Perspektiven ebenso einschließt wie Ebenen sozial definierter und überwachter Beziehungsverhältnisse und Praktiken, wie sie aber auch mit hintergründig prädisponierenden kulturellen Ordnungen und Schemata in Verbindung steht. Illouz gibt in ihrer Bestimmung des Emotionalen drei wesentliche Aspekte des Affektiven zu erkennen. Erstens ihr soziales Wesen, d.h. ihre Gestaltungsmacht für soziale Praktiken und ihre Bedeutung für Beziehungsarrangements zu anderen und zu sich selbst. Zweitens ihr kulturelles Wesen in der Weise einer engen Verflechtung kultureller Schemata und Ordnungen als prädisponierende Strukturen des Affektiven. Schließlich drittens ihr praktisches Wesen und damit ihr Praktisch-Werden in situativen Begegnungsprozessen mittels der Umsetzung affektiver Energie in Handlungen. Im Mittelpunkt Illouz’ Interesses stehen damit emotionale Definitionen des Selbst im Spiegel dessen Beziehungen zu kulturell situierten anderen. Das Selbst bestimmt sich hierbei in seiner Verortung innerhalb einer subjektiven und vielschichtig, also kognitiv, evaluativ, emotional und ästhetisch geprägten lebensweltlichen Landkarte, die vor allem durch andere, genauer: durch die kommunikativen Strategien der Beziehungskonstruktion und -definition mit anderen, geprägt ist. Dass Illouz summa summarum unter dem Begriff der Emotionalität weit mehr versteht als ein einzeln abgrenzbares Phänomen des Affektiven, wird allein
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Der Begriff der Affektivität wird in dieser Arbeit als Überbegriff für alle affektiven Phänomene (einschließlich Emotionen) und Strukturen verwendet und umfasst somit ebenso konstitutive Aspekte wie affektive Hintergründe.
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daran deutlich, dass sie Emotionen mit kulturellen Bedeutungen und sozialen Beziehungen schlichtweg gleichsetzt (Illouz 2007, 10). Das verlangt eine umfänglichere Perspektive auf das Affektive, die dieses mit Schemata des affektiv Dispositionalen und mit Mustern sozialer Praktiken und Beziehungsverhältnissen zu verbinden vermag. Klar ist damit auch, dass Emotionalität mehr umfassen muss als Emotionen: Grundstimmungen, prädisponierende Leidenschaften und existenzielle Feelings of Being (Ratcliffe) ebenso wie kurzzeitige, interruptive Emotionen, spontane Launen sowie unbemerkte, subtile affektive Hintergründe in der Begegnung. Eine differenzierte Struktur des Affektiven bieten Illouz’ Ausführungen zum Emotionalen nicht, aber sie verweisen auf die zentralen analytischen, zu unterscheidenden Betrachtungsebenen. Denn der Einbezug des Selbst nebst sozialen Nähebeziehungen, die Rekonstruktion emotional definierter Beziehungen aus kulturellen Bedeutungen sowie die Bestimmung des Affektiven als Ausgangsbedingung des handelnden Individuums sind ein perspektivischer Rundumschlag, der sich an mehreren Stellen festmachen lässt: an Illouz’ Behauptungen etwa, eine kulturell inszenierte und hierarchisierte Emotionalität konstituiere und definiere sich wechselseitig in der Beziehung zu sich selbst und zu anderen (ebd., 69). In dieselbe Richtung verweisen Forderungen, in die Analysen dieser sozialen Arrangements biografische, soziale, kulturelle und institutionelle Aspekte einzubeziehen und eine situationsanalytische Perspektive einzunehmen. Dies wäre also eine mehrgliedrige Verschränkung von Mikro- und Makroperspektiven, die in den Blick zu nehmen erlaubt, in welcher Weise situative affektive Prozesse und Dynamiken mit sozialen Beziehungsstrukturen und hierarchischen Verhältnissen wechselseitig verbunden sind. Darüber hinaus wäre sie aber auch in der Lage, Übersetzungen sozialer Bedeutungen in sich situativ realisierende affektive Prozesse darzustellen. Illouz’ Charakterisierung affektiver Grundlagen sozialen Handelns als eine Form von Energie rückt die systematische Fundierung des sozialen Wesens menschlicher Emotionalität zudem in Sichtweite zu Collins’ Modell der Emotionalen Energie. Diese theoretische Nähe ließe sich bereits an den gemeinsam herangezogenen kanonischen Wurzeln emotional intendierter Grundbegrifflichkeiten des Gesellschaftlichen vermuten, wie an jenen von Weber, Marx oder Durkheim. Was Illouz komplexer sozialer Verschränkung des Emotionalen jedoch nicht entnommen werden kann, ist die Antwort auf die Frage nach dem Wie: Wie kann ein ideelles Bild einer Beziehung sich in Emotionen praktisch äußern? Und umgekehrt: Wie können kollektive kulturelle Praktiken auf den Emotionen der Einzelnen gründen? Auf welche Weise stehen affektive Strukturelemente und Prozesse mit sozialem Handeln und kulturellen Ordnungen im Zusammenhang?
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Was die Definition außerdem nicht zu erkennen gibt, ist die Art und Weise der Verschränkung affektiver Prozesse mit konkreten gesellschaftlichen, soziokulturellen und lebensweltlichen Entitäten. Vorliegende Arbeit zu den allgemeinen Strukturen des Affektiven, zu dessen unterscheidbaren Aspekten, Prozessdynamiken und erfahrbaren Phänomenen wird daher nicht nur von Strukturen an sich und ihren sozialen Verschränkungsebenen ausgehen, sondern insbesondere nach der Art und Weise dieser Verschränkung fragen. Verankert ist die Studie demnach in der praktischen Ausrichtung am Prozess affektiver Begegnungsweisen und Interaktionen – an dem Punkt also, an dem laut Illouz mit Energie aufgeladenes Handeln praktisch wird. Von hier aus kann die Verschränkung affektiver Prozesse der Begegnungssituation mit Weisen der Gestaltung sozialer Beziehungen und Lebenswelten einerseits sowie mit kulturellen, zeitgeschichtlichen und lebensweltspezifischen Dispositionen und Ordnungen andererseits beleuchtet werden.
AFFEKTIVE DYNAMIKEN: ZUR UNTERSCHEIDBARKEIT AFFEKTIVER PHÄNOMENE Die Unterscheidung affektiver Phänomene des Menschen in abgrenzbare, spürbare Emotionen einerseits und diffuse, mitunter nur subtil erfahrbare Stimmungen andererseits scheint die zunächst naheliegendste und durchgängig akzeptierte zu sein. Differente Meinungen darüber, in welchem Verhältnis Stimmungen zu Emotionen stehen, lassen zwei klassische Bruchlinien unterschiedlicher Perspektiven auf das Affektive hervortreten. Dazu gehört zum einen die Verhältnisbestimmung von Kognition und Gefühl, die Beantwortung der Frage also, wie Beteiligungen in Form von Gedanken, Reflexionen und Wertungen als kognitiv definiert und in affektive Dynamiken notwendig involviert beschrieben werden. Als Gegenpol kognitiver Beteiligungen im engeren Sinne werden dann zumeist das leiblich-affektive Aufmerken als primäre Urteile des Körpers (Solomon 2009) oder aber affektive Nachwehen abklingender emotional-kognitiver Verstrickungen (Clore und Storbeck 2007) entworfen. Die zweite Trennlinie ist die Verortung des affektiven Phänomens als vordringlich entweder im Subjekt, im Außen oder im spezifischen Wechselverhältnis etabliert, welches Subjekt und dessen Umwelt unterhalten. Daran schließen sich Diskussionen an, ob nicht über die Unterscheidung von Stimmungen und Emotionen hinaus weitere affektive Phänomene, insbesondere entlang verschiedener Formen leiblichen, ästhetischen, kognitiven und evaluativen Beteiligtseins noch mehr differenziert gehören. Naheliegend ist dann die Frage, inwiefern sich,
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gegenüber mittelfristigen Emotionen, subtile Gefühle als einerseits besonders flüchtige Empfindungen und andererseits langfristig schwelende Grundstimmungen fundiert voneinander unterscheiden lassen. Eine solche Differenzierung wirft immer die Frage auf, ob sich hinter unterscheidbaren affektiven Phänomenen dann »überhaupt ein einheitlicher Gegenstand verbirgt« (Schützeichel 2006, 15). Geht man jedoch von einem gemeinsamen Kern, einem subsumierbaren Wesen aus, muss dieses auch in irgendeiner Form darstellbar gemacht werden, um davon ausgehend unterschiedliche Strukturen fundiert ins Verhältnis zueinander setzen zu können. Im Folgenden sollen in Annäherung an solche Fragen relevante Positionen vorgestellt und entlang ihrer Hauptscheidelinien skizziert werden. Emotionspsychologische Perspektiven Im Umfeld emotionspsychologischer Ansätze stellt sich die theoretische Unterscheidbarkeit affektiver Phänomene recht systematisch dar. Differenziert wird meist zwischen Emotionen, Stimmungen und affektiven Dispositionen. Letztere kommen am ehesten Vorstellungen allein im Subjekt befindlicher, relativ beständiger Persönlichkeitseigenschaften wie Jähzorn oder Ängstlichkeit nahe (vgl. etwa Mees 2006, 105). Affektive Dynamiken hingegen werden nach kognitiven Komponenten der Einschätzung von Ereignissen, Normen und Personen sowie handlungsbezogenen, motivationalen und intensionalen Aspekten unterschieden (ähnlich ebd., 107ff.; vgl. auch Rothermund und Eder 2011, 167). Hartmann grenzt den Aspekt der Wahrnehmung zudem gesondert ab (vgl. Hartmann 2010, 25). Wahrnehmungen werden dann zu expressiven Komponenten der Mimik, Haltung und Stimme und der Aktivierung psychophysiologischer Merkmale ins Verhältnis gesetzt. Am vordringlichsten bleibt dennoch letztlich die Unterscheidung nach der Intensität und Art und Weise des subjektiven Erlebens. Stimmungen wird im Gegensatz zu Emotionen kein spezifischer Beginn und kein festes Ende zugesprochen. Sie verändern sich langsamer und verweilen unbemerkt im Hintergrund (vgl. Watson und Clark 1994). Sie werden daher oftmals als tonisch und weniger intensiv deklariert (Parkinson et al. 2000, 16f.). Ungeachtet bestehender Divergenzen darüber, inwiefern das subjektive Erleben zum zentralen Bestimmungs- beziehungsweise Abgrenzungsgrund von Emotionen erhoben wird (Mees 2006, 116), hingegen Stimmungen unbemerkterweise Existenz beanspruchen dürfen, gilt das subjektive Erleben als profundester Referenzpunkt für den Abgleich mit kognitiven und evaluativen Elementen in der Diskussion um das Verhältnis affektiver Phänomene zueinander. Das zentrale Unterscheidungskrite-
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rium liegt dann in der Annahme, dass weniger präsente affektive Dynamiken weder im Zusammenhang mit einem spezifischen respektive aktuellen Ereignisbezug (vgl. etwa Parkinson et al. 2000, 18; Merten 2003, 11; Mees 2006, 119) noch mit einer konkreten Gerichtetheit in Verbindung stehen können (Parkinson et al. 2000, 19; Müller und Reisenzein 2013, 49). Zugleich weisen Clore und Ortony (2000) darauf hin, dass subtile affektive Zustände nicht unbedingt etwas mit »diesem und jenem« Objekt zu tun haben müssen, sondern sich quasi »frei flottierend« an irgendetwas heften können (Mees 2006, 120). Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass Stimmungen mit Ereignissen zu tun haben, die nicht mehr kognitiv, aber noch affektiv präsent sind – affektive Nachwehen also, die dann allerdings in gewisser Weise von kognitiven Prozessen unabhängig wären. Die von Zajonc postulierte These der grundsätzlichen Unabhängigkeit affektiver und kognitiver Entitäten (Zajonc 1980) weisen Clore und Storbeck jedoch zurück (2007). Stimmungen werden demnach in Zusammenhang mit der Verkettung mehrerer Ereignisse, anhaltender äußerer Bedingungen und/oder innerer Ereignisse gebracht (vgl. hierzu Watson und Clark 1994) oder als langfristige und stark subjektbezogene Einschätzung nicht aktueller, aber persönlich relevanter Situationen verstanden (vgl. Reisenzein 1994; Parkinson et al. 2000, 62ff.). Mithin können Stimmungen schwerlich mit aktuellen Entscheidungen und Handlungstendenzen in Verbindung gebracht werden. Trotzdem scheinen sie kognitive Aspekte erheblich beeinflussen zu können. Nach Schwarz und Clore (2003) schließen rationale Urteile und Entscheidungen immer die Beurteilung des eigenen affektiven Zustands, insbesondere der eigenen Stimmung ein. Auch erlangen Stimmungen vor allem in dem Maße an Bedeutung für die Bewertung der Situation und kognitive Urteile, in dem es an Zugänglichkeit und Relevanz konkreter Informationen in der Situation mangelt (vgl. etwa Schimmack und Oishi 2005; Saris und Sniderman 2004). Dass Stimmungen dann erheblichen Einfluss auf kognitive Bewertungen und Urteile, etwa über die politische Situation (Kämpfer und Mutz 2014; Isbell und Wyer Jr. 1999), das eigene Leben (Schwarz und Clore 1983), Erkrankungs- und Sterberisiken (Johnson und Tversky 1983) und sogar die Entfernung und Steilheit eines Berges (Proffitt 2006), haben können, trat in zahlreichen Studien zutage. Insgesamt stellt sich also das Verhältnis kognitiver Elemente wie Werturteile, Bewertungen anderer, seiner selbst und der eigenen (Lebens-)Situation sowie Wünsche, Intensionen und Handlungsabsichten nur systematisch unterscheidbar dar. Kognition und Gefühl Es ist allgemein bekannt, dass die Verhältnisbestimmung von Kognition und Affektivität einen ganz eigenen Diskurs ausmacht, geprägt von umfassender Histo-
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rizität und Komplexität, dem hier in aller Kürze nicht Genüge getan werden kann. Nur so viel: Nach Reack ist die Geschichte dieses Verhältnisses eine der wechselseitigen Behinderung bis hin zur Kontrolle. Das Zeigen von Gefühlen sei noch bis weit in die griechische Antike völlig normal gewesen. Die Darstellung stark emotionaler Physiognomie in der antiken Kunst sei allgegenwärtig gewesen und so weinten die Homerischen Helden »bei sich jeder bietenden Gelegenheit« (Raeck 2004, 300). Ebenso wie Raeck beschreibt Hermann Schmitz einen »Knick« im Welterleben, verursacht durch Platon (Schmitz 2009). Die Vorstellung, dass mit der Betonung des Denkens eine Polarisierung von Denken und Gefühl einerseits sowie eine Abwertung des Emotionalen andererseits einherging, scheint für viele Autoren nachvollziehbar und belegbar. »Der Ausschluss aller Dichter aus Platons Staat spricht Bände«, so Hartmann (Hartmann 2010). Ein zweiter epochaler Abschnitt dieser zentralen Tendenz, der das Vernunftdenken in den Mittelpunkt des normativen Telos stellte und das Emotionale des Menschen entsprechend als Gegenbild konstituierte, ist bekanntlich die Aufklärung. Die Betonung dieser Entwicklung mag allerdings Gegentendenzen vernachlässigen, die es immer schon gegeben hat – Tendenzen, die dem Leidenschaftlichen, Unsinnigen und »Unglatten« des Menschen einen besonderen Wert zusprachen, auch und vorrangig, was das Besondere, Einzigartige, das Genie und den gesellschaftlichen Fortschritt anbelangte. Die Renaissance, der Manierismus und der Humanismus haben bereits vom mathematischen Weltzugang zum ganzheitlichen In-der-Welt-sein aufgeschlossen. Die Romantik schlug sich dann zur Gänze auf die Seite des Emotionalen und Leidenschaftlichen als ungezähmten und natürlichen Weltzugang. Nietzsche führte die Dichotomie der Weltbegegnung in die Gegenüberstellung von Apollinischem und Dionysischem, jedoch in einer Art und Weise, die beide in ihrer Kontrastierung beinahe schon wieder überging. Doch scheint es, als sei die Vorstellung einer neuzeitlichen Polarität von Verstand und Gefühl so nicht aufrechtzuerhalten. Dafür sprechen zumindest einige deutliche Hinweise. So stellte Martin Hartmann jüngst fest, wie unberechtigt die Behauptung doch sei, »in der Tradition der abendländischen Philosophie hätten sich Gefühl und Vernunft stets unversöhnlich gegenübergestanden« (Hartmann 2010, 7). Er bezieht sich vor allem auf die historischen Arbeiten, wie sie Hilge Landweer und Ursula Renz im Handbuch Klassische Emotionstheorien in bereits mehrfacher Auflage veröffentlichten. Es wäre wohl ohnehin ein vorschnelles Urteil, legte man Raecks und Schmitz’ Behauptung, im neuzeitlichen und modernen Denken stünden sich im Gegensatz zum antiken Denken nun Verstand und Gefühl gegenüber, nur als intellektuellen Konflikt aus. Der Kern dieser Aussage, der so auch als Grundgedanke vorliegender Arbeit gelten darf, ist
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ein anderer. Es geht nicht nur um die Strukturierung und Thematisierung dieser Bereiche, sondern um grundlegende Weisen des In-der-Welt-seins. Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger als die Bestimmung des Subjekts und dessen Beziehung zu sich, zu anderen und zur Welt überhaupt. Die für die wissenschaftliche Betrachtung des Emotionalen des Menschen so federführende Verhältnisbestimmung von Verstand und Gefühl entfaltet sich in allen Zeitaltern und deren Diskursprozessen aufs Neue, jedoch immer schon aus der jeweils spezifischen Beziehung zwischen Mensch und Welt heraus. Wenn eines mit Sicherheit gesagt werden kann, dann das: Stets wurde und wird um die Verhältnisbestimmung dessen, was als legitim, als notwendig, als nützlich und fortschrittlich, als besonders und als wertvoll verstanden werden kann, gerungen. Komplex ist der Diskurs um die Rationalität des Affektiven nicht nur, weil es eine unübersichtliche Anzahl an Standpunkten dazu gibt, sondern auch, weil sich die einzelnen Standpunkte mitunter gar nicht so klar voneinander unterscheiden und miteinander vergleichen lassen. Allzu oft lösen sich die Differenzierungen in unspezifischen und abstrakten sprachlichen Abstraktionen selbst auf. Im Grunde geht es in kognitivistischen Ansätzen darum, das Verhältnis von Gefühlen zu handlungsleitenden Wünschen und Überzeugungen (Wollheim 1999; Helm 2001), zu Urteilen und Wertungen (Solomon 1993), zu Weisen der Aufmerksamkeit (De Sousa 1997), zu Erkenntnis (Green 1992) und Moral (Tugendhat 1993; Nussbaum 2001) zu beschreiben. Des Weiteren zielen sie darauf ab, spezifische Formen der Autonomie des Affektiven zu erklären (Goldie 2000; Flam 2000; Elster 1999) oder als eigene Aspekte des Kognitiven zu begründen (Döring und Peacocke 2002; Nussbaum 2001). Während Emotionstheorien keineswegs darin übereinstimmen, welcher Merkmale eine Emotion zwingend bedarf, um als solche zu gelten, und in welcher Weise Emotionen in enger Wechselwirkung zu Kognitionen oder als Kognitionen eigener Art beschrieben werden können, gilt diese Uneinigkeit im Hinblick auf Stimmungen eher nicht. Mit ihrer indefiniten Beteiligung am kognitiven Geschehen nehmen hintergründige affektive Zustände nach wie vor eine Sonderstellung ein. Ob der Stimmung mit dieser Deutung adäquat Rechnung getragen wird, sei dahingestellt, denn alle diese Argumente lassen nichtkognitivistische, insbesondere phänomenologische und soziologische Zugänge zu Stimmungen außer Acht. Daher sei diesen Perspektiven fortführend Aufmerksamkeit gewidmet.
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Phänomenologische Perspektiven Stimmungsbeschreibungen im Zusammenhang mit räumlichen und körperlichen Präsenzen und atmosphärischen Phänomendarstellungen sprechen eine ganz andere Sprache: Im Gegensatz zu Emotionen werden Stimmungen zumeist kurzlebiger beziehungsweise unmittelbarer, an das räumlich-leibliche Geschehen gebunden, beschrieben. Auch die für psychologische Ansätze typische Subjektzentrierung fehlt. Thomas Fuchs spricht von einer »Mittelposition« zwischen Subjekt und Objekt, wenn er Stimmungen als ein Phänomen skizziert, welches »offensichtlich zwischen dem umgreifenden Charakter einer Räumlichkeit oder Situation einerseits und der persönlichen Befindlichkeit andererseits« changiert (Fuchs 2013, 13). Doch was meint Mittelposition? Nach Fuchs deutet die Unbestimmbarkeit von Stimmungen, welche einmal eher äußerlichen Charakter, ein andermal mehr subjektiven Befindlichkeitscharakter haben, auf die Hinfälligkeit der Trennung zwischen psychischer, immaterieller Innenwelt und physikalischer Außenwelt. Das Phänomen der Stimmung zwingt dazu, diese im alltäglichen Denken, in Sprache und Tun so tief verwurzelte Grenze zu hinterfragen. Ein Ansatzpunkt dazu bietet die Ausdifferenzierung der Vorstellungen von Raum und den damit sich verbindenden Strukturen von Hier und Dort, von Innen und Außen, wie sie Binswanger bereits 1933 im Zusammenhang mit dem Raumproblem beschrieb (Binswanger 1994, 123ff.). Im Anschluss an ihn schlägt Fuchs vor, anstatt von einem physikalischen von einem affektiven Raum auszugehen. Unterstützung findet ein solcher Gedanke bekanntlich unter anderem bei der Dekonstruktion des geometrischen Raumes von Herman Schmitz (Schmitz 1969). Der affektive Raum sei, so Fuchs, von affektiven Charakteren bestimmt. Gemeint sind damit Aufforderungs- und Ausdruckscharaktere, Gestaltverläufe, Rhythmen und Muster, die als Weltpol das Subjekt zu affizieren vermögen. Das Subjekt reagiert in leiblicher Resonanz: »Als zwei Pole des affektiven Raums habe ich nun die affektiven Charaktere der Umwelt und die leibliche Resonanz bestimmt. Atmosphären, Stimmungen und Gefühle stellen dann die übergreifenden Erlebnisformen dar, in denen affektive Charaktere einer jeweiligen Situation oder Umgebung in leiblicher Resonanz erfahren werden. Dabei stehen Atmosphären eher dem äußeren Pol nahe, Gefühle eher dem inneren, während Stimmungen sich am ehesten in der Mitte halten.« (Fuchs 2013, 17)
Hiermit ist die Diskussion wieder beim Begriff der Mittelposition angelangt. Was nun meint »Mitte« bei Fuchs? Abstrahierend vom geometrischen Raum verlagert sich das Bestimmen der Stimmung im affektiven Raum auf das Dazwi-
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schen, zwischen affizierender Welt und resonantem Leib. Die Wechselwirkung, die sich übergreifend ereignet, wird somit auf den gemeinsamen Nenner der leiblich-räumlichen Bewegung gebracht. Eine Bewegung, die Raum und Leib gleichermaßen vollführen, sich in gewisser Hinsicht gegenseitig anstecken und seitens des empfindenden Subjekts als Befinden spürbar wird, »so dass wir uns etwa beengt oder befreit, gehemmt oder offen, beklommen oder entspannt erleben« (ebd., 16). Strittig hingegen ist, ob ein Raum per se affektive Charaktere besitzt oder nicht erst in der Begegnung des Subjekts entwirft. Das wiederum meint nicht, dass der Erlebende jenen Raum subjektiv gestaltet, sondern eine Begegnung immer als dynamisches und wechselseitig responsives Moment verstanden werden muss. Insofern können auch jene affektiven Charaktere nicht als feste Eigenschaften eines bestimmten Raumes oder auch des Raumes an sich definiert werden, vielmehr sind sie Ereignisse des In-der-Welt-seins. Wenn Bernhard Waldenfels von der »Gespanntheit« (Waldenfels 2007, 484), Peter Sloterdijk von den »wandlosen Treibhäusern der Nähe-Beziehung« (Sloterdijk 2012) und Hartmut Rosa von der »Gestimmtheit in der Begegnung« (Rosa 2016a, 633) spricht, so verweist dies darauf, dass sich in der Begegnung eine Dynamik des Wechselbezugs entwickelt. Eine weitere Einschränkung bringt die konsequente phänomenologische Blickrichtung schlicht auch dadurch mit sich, dass sie affektive Zustände nur von ihrer phänomenalen Gestalt her in den Blick zu nehmen vermag. Das ist der Zugang, der sich aufdrängt und das Phänomen, dessen Konturen und Wirkungen darstellbar macht. Bei genauerem Hinsehen lässt sich jedoch wieder feststellen, dass über die tatsächliche Prozessualität, Kausalität und Genese noch recht wenig gesagt werden kann. Entsprechend muss sich die soziologische Analyse, will sie sich mit konkreter, aber auch intersubjektiver Affektivität beschäftigen, auch zu reinen philosophischen Perspektiven der Beschreibung von Stimmungen als »ungegliederte Weite der Raumstruktur« (Schmitz 2009, 57) oder »quasi Objektives« (Böhme 2001, 49) abgrenzen und holistische mit prozessualen Standpunkten in den Blick nehmen können (Pfaller und Wiesse 2017, 8). Emotionssoziologische Perspektiven Beim unterstellten Verhältnis von Emotionen und Stimmungen herrscht in der soziologischen Theorie am wenigsten Einigkeit – ganz zu schweigen davon, dass beide in ein systematisch begründetes Verhältnis zu anderen affektiven Phänomenen wie kollektiven Gestimmtheiten, biografisch verfassten Grundgefühlen oder gar zu affektiven Hintergründen in Interaktionen gestellt werden könnten.
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Dies ist zum einem dem Sachverhalt geschuldet, dass sich die Soziologie dazu oftmals gewissermaßen auf einem interdisziplinären Streifzug zu orientieren sucht. Zugleich sind soziologische Ansätze und Interessen das Affektive betreffend sehr verschieden und sehr breit. Entsprechend schwer tut man sich bei der Suche nach einem gemeinsamen Fundament und einer begriffssystematischen Orientierung. Gleichwohl würde der logischen Forderung einer umfassenden und grundlegenden Theorie zu den Strukturen des Affektiven im Rahmen der soziologischen Theoriebildung wohl einhellig beigepflichtet werden (etwa Schützeichel 2006, 12). Dies gilt vor allem dann, wenn man den Anspruch erhebt, nicht ungefiltert Konzeptionen des Affektiven aus benachbarten Disziplinen zu übernehmen, sondern solche Konzeptionen aus dem eigenen spezifischen Interesse das Soziale betreffend heraus zu generieren. Schützeichel selbst spezifiziert in Emotionen und Sozialtheorie: disziplinäre Ansätze besagte Unterscheidung nicht, äußert aber Bedenken hinsichtlich der Machbarkeit eines solchen Vorhabens (vgl. ebd., 15). Christian von Scheve weist in Emotionen und soziale Struktur gar nur auf die Existenz subtilerer Emotionen, Stimmungen und intuitiver Hintergründe des Handelns hin (vgl. von Scheve 2009, 205). Im Sammelband Hauptwerke der Emotionssoziologie (2013) finden sich in der Einleitung von Konstanze Senge gar keine Hinweise auf den Einbezug oder eine Abgrenzung zu Stimmungen, affektiven Hintergründen, kollektiven Grundgestimmtheiten und dergleichen. Dabei steckt die Emotionssoziologie inzwischen nicht mehr in den Kinderschuhen und hat die ersten Euphoriewellen längst hinter sich gebracht. Sie scheint jedoch dann, wenn es über ihren namentlichen Gegenstand der Emotionen hinausgeht und sie gefordert ist, diesen in einem grundlegenden Begriff des Affektiven nebst anderen Phänomen zu verorten, doch noch erheblichen Orientierungsbedarf zu haben. Indessen mangelt es auch aus phänomenologischer Richtung und seitens der Affect Studies, die sich ihrerseits am weitreichendsten, vielgestaltigsten und aufschlussreichsten mit vor allem diskreten und beständigen Formen des Affektiven beschäftigen, an Annäherungsversuchen ihrerseits an emotionssoziologische Konzeptionen. Geschuldet ist dies unter anderem fehlender »genuin sozial- und kulturwissenschaftlicher Vokabulare« (Pfaller und Wiesse 2017, 4) und dem Umstand, »dass hier eine Reihe spezialisierter wissenschaftlicher Diskurse noch relativ fragmentiert nebeneinanderstehen« (ebd., 5). Ungeachtet jeglicher gelegentlich aufscheinender Parallelität philosophisch und kulturtheoretisch orientierter Affect Studies zu emotionssoziologischen und sozialwissenschaftlichen Diskursen ist für die vorliegende Arbeit richtungsweisend, dass es in der selbstbewussten Behandlung des Affektiven als genuin soziale Entität einer Verschränkung interaktionistischer und sozialtheoretischer,
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phänomenologischer und kognitivistischer Perspektiven bedarf. Dies ist nötig, um einerseits die verschiedenen Formen des Affektiven mikrosoziologisch begründen und andererseits deren kulturelle und sozialstrukturelle Verschränkung in Teilen sichtbar machen zu können. Hier deutet sich bereits an, warum die ungewöhnliche Gegenüberstellung der Theorie der Interaktionsritualketten Randall Collinsʼ und dem Resonanzmodell Harmut Rosas für eine Darstellung affektiver Strukturen des Sozialen überhaupt sinnvoll erscheint. Als einer der wenigen Sozialtheoretiker, die eine solche Differenzierung des Affektiven ihrer Arbeit voranstellen, unterscheidet Randall Collins nicht nur deskriptiv zwischen Emotionen und subtilen affektiven Aspekten. Die Verschiedenartigkeit der Formen des Affektiven werden generisch aus einer komplexen Interaktionstheorie heraus ins Verhältnis zueinander gesetzt und in eine Gesamttheorie der Erklärung sozialen Handelns integriert. Die Unterscheidung zwischen kurzfristigen Emotionen, hintergründigen emotionalen Energien und Symbolen als affektiv-dispositionale Ressource fußt bei Collins somit nicht nur auf phänomenologischen Anhaltspunkten, sondern folgt einer ritualtheoretisch fundierten Unterscheidung zwischen zwei grundlegend verschiedenen Dimensionen der Affektivität des Akteurs in der sozialen Begegnung. Dabei bestehen die Unterschiede jener Formen des Affektiven sowohl in Hinblick auf deren Genese als auch Funktion im Prozess der rituellen Interaktion.2 Hartmut Rosa hingegen stellt seinem Modell kein affektives Konzept voran, sondern impliziert ein solches in einem affektiv begründeten Bild subtiler Begegnungsweisen mit sich selbst, mit anderen und mit Welt, welches er ins Verhältnis zu affektiven Folgen und prädisponierten affektiven Bedingungen jener sich etablierenden Weltbeziehungen setzt. Ein zentraler Punkt, der dabei aufgegriffen wird, ist die Bedeutung des Affektiven in Hinblick auf Handlung und Motivation. Denn wenn es um Stimmungen und affektive Hintergründe geht, rückt die Frage nach der Handlungs- respektive Motivationsrelevanz in den Hintergrund. Die alleinige Vermutung jedoch, dass affektive Hintergründe in ebenso unbemerkter und unreflektierter Weise Handlungstendenzen lediglich nahelegen (Frijda 1986; Parkinson 2000), kann für eine soziologische Theorie der Strukturen des Affektiven nicht zufriedenstellend sein.
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Klar und prägnant findet sich diese Unterscheidung in dem 1990 verfassten Artikel Stratifikation, Emotional Energy, and the Transiant Emotions im Sammelband Kempers Research Agendas in the Sociology of Emotions (1990) wieder. Ausführlich hat sich Collins damit erst in seinem diesbezüglichen Hauptwerk Interaction Ritual Chains (2004) beschäftigt und die ritualtheoretisch begründbare Verschiedenartigkeit des Affektiven in Interaktionen detailliert herausgearbeitet.
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AFFEKTIVE BEDINGUNGEN: »INNERE NÄHE« UND AFFEKTIVE HINTERGRÜNDE In Otto Friedrich Bollnows Studie Das Wesen der Stimmungen, die der Autor rückblickend als sein Hauptwerk bezeichnete und die bereits 1941 in seinem ersten Studienband erschien, unterstellt er, die besondere Bedeutung der Stimmung liege in der Art und Weise, wie Menschen ihren Mitmenschen zu begegnen in der Lage seien. So bewege sich das Verhältnis unter Mitmenschen »zwischen den Polen der Einsamkeit und Geselligkeit, zwischen der Verschlossenheit in sich selber und der Offenheit für andere Menschen« (Bollnow 2009, 73). Je nachdem, wie gehoben oder gedrückt die Stimmung sei, zeige sich der Mensch in der Lage, in tragfähige Begegnungen mit anderen Menschen einzutreten oder aber unentrinnbar aus ihnen herauszufallen. Von Leid, Gram und Kummer gedrückte Stimmungen begründeten somit Beziehungen, die eher durch Misstrauen, Missgunst und Distanz denn durch Freude und Wohlwollen geprägt seien. So verschließe die gedrückte Stimmung den Menschen unwillkürlich vor seinen Mitmenschen, wie sie ihm in der gehobenen Stimmung nah und zugänglich erschienen (vgl. ebd., 74f.). Wenn Bollnow zunächst nur die gehobene der gedrückten Stimmung kontrastierend gegenüberstellt, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den Bereich affektiver Begegnungshintergründe als äußerst vielgestaltig und komplex beschreibt. Sprachliche Hinweise auf Stimmungen enthielten, so der Autor, oft die Worte »Sinn« und »Mut«, beispielsweise in »Trübsinn«, »Leichtsinn«, »Wehmut«, »Gleichmut« oder »Missmut«. Sie bezeichnen jene Diversitäten des »Zu-Mute-Seins«, welche nicht erst in der intensionalen und damit bewussten Aufmerksamkeit begründet liegen, sondern jeder intensionalen Gerichtetheit auf etwas zuvor in der unreflektierten Begegnung selbst verborgen liegen (vgl. ebd., 22; 25). Der Mensch könne dem nicht entrinnen. Zwar könne er seine Gefühle in der Begegnung mit anderen verbergen, aber Essenzen der Stimmung schlagen sich auf einer tieferen Ebene der Begegnung, der »inneren Nähe« (ebd., 75), nieder, die niemand – so sehr derjenige es auch versuche – hinreichend beeinflussen könne. Bollnow verdeutlicht die enge Verbindung zwischen Stimmungen und den Weisen möglicher Gemeinschaftsbezüge am Beispiel der gemeinschaftsbildenden Kraft des Lachens. Für ein gemeinsames Lachen sei die Verbindung zwischen, bis dahin vereinzelten, Individuen unabdingbar, eine Notwendigkeit, der man sich gar nicht widersetzen könne (vgl. ebd., 77). Überhaupt veranschlagt Bollnow die gehobene Stimmung als eine grundsätzlich gesellige und gemeinschaftsbildende.
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»Alle Freude fordert die Gemeinschaft, sie hat von sich aus den Drang, sich mitzuteilen, und hat dies so sehr, daß sie verkümmern muß, wenn ihr aus irgendwelchen Gründen die Möglichkeit der Gemeinschaft genommen ist. Selbst in der faktischen Einsamkeit orientiert sich die Freude noch immer an der Möglichkeit der Gemeinschaft, an der Hoffnung des Mitteilens oder an der gedanklichen Vorwegnahme der Gemeinschaft.« (Ebd.)
Das nun eigentlich Bemerkenswerte dieser Darstellung Bollnows zu Stimmungen macht aus, dass er eine Perspektive auf subtile Empfindungen einnimmt, die jene nicht nur als Ergebnis von Begegnungen und auch nicht schlicht als Vorbereitung einer besonderen emotionalen Dynamik in den Blick nimmt. Was Bollnow also seinen Lesern vor Augen führt, ist die Bedeutung des hintergründig Affektiven als einen ganz eigenen Aspekt der Begegnung, einen jene überhaupt in ihrer Gestalt mit konstituierenden. Dies legt er zudem in spezieller Weise für soziale Begegnungen aus. Bollnow beschreibt somit hintergründige Formen des Affektiven, die soziale Bindungen zu konstruieren oder aber zu zerstören in der Lage sind – bemerkt oder unbemerkt. Diese hintergründige Ebene der Begegnung ist dann auch, so lässt sich aus Bollnows Schriften schlussfolgern, die bedeutendste für die subtile und unbeeinflussbare Weise, wie Menschen grundlegend aufeinander zuzugehen imstande sind beziehungsweise auf subtile Weise aufeinander einwirken. Was hinter dieser subtil-affektiven Kraft, der »inneren Nähe«, steckt, die Menschen in Interaktionen unweigerlich in »Nähebezüge« (Sloterdijk 2012) oder Distanz zueinander stellt und die basalen Weisen ihrer Bezogenheit primär vorstrukturiert, konnte Bollnow nicht sagen. Aber gerade weil das gemeinsame Lachen oder die geteilte Freude und Begeisterung beim Beifall in gewissem Grad die Mechanismen der wechselseitigen Bezogenheit von Subjekten so sichtbar und hörbar werden lassen, sind sie von Soziologen gern herangezogene Phänomene. Ähnlich wie Bollnow beschäftigt sich auch Randall Collins dabei nicht nur mit der Frage, wie Emotionen in Begegnungen kollektiv aufbrausen, sondern setzt bei den Grundmodi der Begegnung selbst an – konkret dort, wo es noch nicht um affektive Zustände als Prozessfolgen der Interaktion, um Emotionen oder Stimmung im engeren Sinne geht und auch nicht um eine Verkettung von Aufmerksamkeiten, sondern um die basalen Weisen der wechselseitigen Bezogenheit. Collins macht hierfür das regenerierte Niveau Emotionaler Energie der teilnehmenden Individuen geltend. Dass damit nicht einfach nachwirkende Stimmungen gemeint sind, sondern die Begegnung überhaupt erst entwerfende affektive Grundformen der Begegnung, wird darin ersichtlich, dass Collins Emotionale Energie als ein komplementäres Modell für jeden Zeitpunkt der sozialen
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Interaktion, als Vorbedingung, als Bestandteil, als prozessbegleitende Dynamik und als Langzeitergebnis vorstellt (vgl. Collins 1990, 32). Eine andere, ebenso zentrale Perspektive auf affektive Hintergründe der Begegnungsweisen von Individuen wählt Hartmut Rosa. Er abstrahiert das hintergründig Affektive in Begegnungen aller Art auf die kontradiktorischen Grundempfindungen der »Angst« und des »Begehrens«. Diese dichotomen Grundbewegungen stellen sodann die affektive Seite elementarer Modi der Beziehungsgestaltung dar. Sie bilden als solche zudem den Hauptumschlagplatz soziokultureller und sozioökonomischer Prädispositionen dafür, in welcher Art und Weise Individuen in Begegnung mit anderen und mit Welt treten können (vgl. Rosa 2016a, 187ff.). Mit dem Begriffspaar der Angst und des Begehrens befindet sich Rosa in guter geisteswissenschaftlicher Gesellschaft. Vergleichbare Gegensatzpaare die Grundelemente des Affektiven betreffend gehen zurück bis zu den Vorsokratikern. So spricht schon Plato von unabweisbaren Affekten wie Lust und Schmerz (ἡδονή; λύπη), frechem Mut und Furcht (θάρρος καἱ φόβος) sowie Zorn und Hoffnung (καἱ θυμόςἐλπίς) als Ursachen allen Übels. Die Stoa unterscheidet dann nur noch zwischen Lust und Schmerz, Furcht und Begierde (έπιϑυμία); dies zwar ebenso in platonischer und aristotelischer Tradition, jedoch keineswegs nur negativ. Affektive Hintergründe verweisen bei Chryssip auf alle Hintergrundbewegungen des Individuums. Affektive Hintergründe werden erst dann zu problematischen Affekten, wenn sie unvernünftig – im Sinne von schädlich – werden, etwa wenn Freude (χαρά) zu (schlechter) Lust, vernünftiges Wollen (βούλησις) zu Begierde und Vorsicht (εύλάβεια) zu Furcht wird (vgl. Ritter 1971, 89ff.). In der Beschreibung affektiver Grundmodi der Begegnung lässt sich zudem die starke Orientierung der Resonanztheorie an existenzphilosophischen Traditionen erkennen, zumindest im Grundprinzip an Heideggers Unterscheidung zwischen Gefühlen und Stimmungen. Heidegger beschreibt Gefühle und Emotionen als stets auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet und damit objektbezogen und intensional. Stimmungen sind im Gegensatz dazu ungerichtet und unbestimmt, aber nicht ereignislos. Heidegger beschreibt Stimmungen als Erlebnisse, die das Miteinander von vornherein bestimmen (vgl. Heidegger 1983, 96ff.). Er sieht insofern in Stimmungen nicht nur eine affektive Begleitung eines primären Erlebens des In-der-Welt-seins, sondern eine affektive Voraussetzung der darauf aufbauenden Formen von Begegnungen, vor allem sozialer Interaktionen. Was bietet die systematische Unterscheidung des Affektiven? Welche Einsichten verspricht die Unterscheidung der Perspektiven auf das Affektive als Begegnungshintergründe in Abgrenzung zu jenen, die das Affektive als qualitative Zustände in den Blick nehmen, etwa in Form von spontanen Stimmungen, spür-
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baren Emotionen und steten Grundstimmungen, mithin als Begleit- und Folgeerscheinungen von Begegnungen? Revidiert sich eine solche Differenzierung nicht bereits mit der ohnehin schier unmöglichen Sezierbarkeit des tatsächlichen affektiven Erlebens und damit fehlenden Trennbarkeit zwischen affektiven Zuständen als Folge und Ursache in Begegnungen? Phänomenologisch richtig, aber systematisch ist diese Scheidung dringend notwendig – nicht qualitativ, aber strukturell. Den Unterschied soll folgendes Beispiel verdeutlichen. Das Hebb-Experiment Hartmann stellt in dem Überblicksband Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären (2010) Donald O. Hebbs Schimpansenexperiment vor. Hebb führte dieses in den 1940er Jahren durch, an dem sich in den Wissenschaften ein behavioristisch geprägter Diskurs durchzusetzen anbahnte, der Handlungen und Interaktionen auf sichtbare Modi hin zu objektivieren suchte. Es kann Hartmann beigepflichtet werden, dass das Prinzip des Experiments denkbar einfach war. Hebb wies seine Mitarbeiter, die das Verhalten der Schimpansen zwei Jahre lang beobachten sollten, an, bei Beschreibungen auf anthropomorphisierende Gefühlsbegriffe zu verzichten. Das Verhalten der Tiere untereinander und gegenüber den Betreuern sollte also nicht mehr unter Rückgriff auf Gefühlszuschreibungen interpretiert werden. Die Wissenschaftler waren außerstande, das Verhalten der Tiere unter dieser Einschränkung zu verstehen, zu systematisieren und zu antizipieren (vgl. Hartmann 2010, 14f.). Über die Intensionen Hebbs wird seither auch in der Emotionsforschung viel spekuliert. Aufschlussreich ist Hebbs einleitende Bemerkung: »Emotion is a term with more than one meaning. It is often used to refer to some distinctive mental state or conscious content, but sometimes it refers to more vaguely conceived states of excitation without any definite implications about consciousness. Now it happens, as we shall see, that competent students are agreed that there is no peculiar mental content referred to by the term emotion. In its most common use, therefore, the term has become meaningless. The second significance of the term seems more useful: at the time when an emotion is said to occur there is definitely a state of changed excitability or limen, with a selective effect on behavior. It used to be thought that the change of limen was due to a conscious event. This idea must now be rejected, but the fact of the changed responsiveness remains. It seems that ›emotion‹ could be used to refer to it.« (Hebb 1946, 89)
Dem lässt sich entnehmen, dass Hebb der drohenden Schwammigkeit und damit Inflation des Emotionsbegriffs etwas entgegensetzen und den Kern und damit die zentrale Bedeutung des Affektiven herausstellen wollte – vermutlich weniger
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mit Blick auf die Tiere, als mehr auf die Menschen. Die eigentliche Aussage läge dann weniger darin, dass Verhalten ohne Emotionen nicht beschreibbar ist, sondern dass unter dem Ausblenden des grundlegend affektiven Bandes zwischen Individuen eine wechselseitige Responsivität unmöglich ist. Denn ist nicht das eigentlich Interessante an der Studie das Verhalten der Wissenschaftler? Offenbar konnten sie das Verhalten der Tiere nicht mehr decodieren, aber vor allem: Sie wussten selbst nicht mehr den Tieren gegenüberzutreten, sie fanden keine Weise, mit ihnen in Verbindung zu treten und zu kommunizieren. Die schlussendliche Erklärung des Scheiterns ist dann eher Ausdruck der Resignation der Mitarbeiter angesichts des Verlusts der elementaren Basis des wechselseitigen Bezugs, der affektiven Basis der Begegnung. Es spielt daher kaum eine Rolle, ob die Tiere tatsächlich zu Emotionen fähig sind oder nicht. Entscheidender ist offensichtlich, ob Menschen dies unterstellen und somit sich selbst in der Begegnung eine affektive Responsivität erlauben. Offenbar ist es jene affektive Basis, welche, wie Hebb betont, noch vor jeder bewussten Steuerung den Modi der Aktion und Reaktion im Subtilen eine ordnende Struktur gibt. Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass es weder nur die explizit sichtbaren Emotionen noch die vordergründig geteilten affektiven Empfindungen sind, die zur ersten Begründung einer letztlich wie auch immer gestalteten und definierten Beziehung notwendig sind. Vielmehr ist die elementare Basis einer jeden Beziehung die Annahme, überhaupt in Begegnung zueinander treten zu können. Eine Begegnung ist hier die Möglichkeit, eine geteilte Begegnungsrealität des sich in irgendeiner Weise zueinander zu Verhaltens ko-konstruieren zu können. Die Weisen, sich auf so subtiler und spontaner Ebene zueinander verhalten zu können, sind dabei ganz offensichtlich zunächst affektive. Es sind somit wechselseitig affizierende Zuweisungen einer jeden Sequenz der Begegnung, eines jeden Tons und jeden Blicks, die in ihrer Aberkennung größte Schwierigkeiten bereitet, Begegnung wechselseitig sinnvoll zu strukturieren. Wenn also vom Affektiven des Sozialen die Rede sein soll, darf sich der Diskurs nicht nur auf offensichtliche Emotionen und ebenso wenig nur auf subtile Stimmungen beschränken, sondern muss deren Verschränkung zu individuellen und kollektiv geteilten Grundempfindungen sowie deren Bedeutung als affektive Hintergründe von Begegnungen ebenso in den Blick nehmen. Dem Begriff der affektiven Hintergründe in Abgrenzung zu affektiven Zuständen liegt also ad interim die Annahme zugrunde, dass soziale Interaktionen, möglicherweise jede Form von Begegnungen, nicht nur affektiv begleitet sind, sondern sich erst vor dem Hintergrund wechselseitig affizierender Modi heraus sinnvoll konstruieren lassen.
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AFFEKTIVE DISPOSITIONEN UND SCHNITTSTELLEN DER TRANSFORMATION Eva Illouz’ umfassende Thematisierung menschlicher Emotionalität und der Grund, warum ihr Ansatz als Ausgangspunkt für die sozialen Strukturen des Affektiven gewählt wurde, versteht sich erst vor dem Hintergrund der dritten einzunehmenden Perspektive auf das Affektive. Illouz hebt die enge Verschränkung des Affektiven mit einerseits kulturellen Bedeutungen und kollektiven Sinnhorizonten, andererseits mit institutionalisierten Praktiken und Beziehungsverhältnissen hervor, wie sie beispielhaft zwischen Männern und Frauen oder Vorgesetzten und Angestellten beschreibbar sind. Sie weist damit zugleich auf das Ineinandergreifen unterscheidbarer affektiver Wechselbeziehungen und Übersetzungsprozesse unter einem kultursoziologischen Blickwinkel hin und macht die Komplementarität beider analytischer Bewegungen deutlich: die auseinanderstrebende Ausdifferenzierung affektiver Prozesse auf mögliche Ebenen der Beziehungsgestaltung mit sich selbst und mit anderen bei gleichzeitig einholender Rückbindung jener affektiven Bereiche zu kollektiven kulturellen Mustern und deren wechselseitiger Genese. Somit müssen Sedimentationen affektiver Erfahrungen zu sozialen Verhältnissen und Bedeutungen zum einen auf kulturelle Strategien des Umgangs mit affektiven Empfindungen und deren Archivierung befragt werden. Zum zweiten stellt sich die Frage, auf welchem Wege diese Sedimentationen ihrerseits dispositionale Voraussetzungen künftiger, affektiv begründeter Weisen der Begegnung bilden. Dies erst macht die Frage nach den Strukturen des Affektiven zu einer soziologischen Frage. Damit ist zugleich unterstellt, dass affektive Strukturen nicht nur aus einer situativen, phänomenologischen Analyserichtung heraus skizziert werden können und müssen, sondern ebenso als kulturelle Bestände, die dabei zugleich emergiert sind mit kognitiven, evaluativen und ästhetischen Beständen. Außerdem müssen alle Theorien, die sich der verschiedenen analytischen Perspektiven bedienen, eine Idee der Transformation aufweisen. Es gilt also gerade jenen Umschlagorten affektiver Strukturen der unterschiedlichen Ebenen sozialer Wirklichkeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken – etwa da, wo beispielsweise Erfahrungen emotionaler Zustände im Rahmen von Collins’ Theorie des emotional entrainment oder der Resonanzsituation in Rosas Konzeption zu grundständigen, die eigentliche Situation überdauernden Beständen, Erfahrungen oder Ressourcen der Individuen oder der Kultur werden. Auch diese müssen keineswegs als dauerhaft fixiert verstanden werden und sind in ihrer Veränderbarkeit durchaus an Begegnungen gebunden. Sie beschreiben dennoch einen Aspekt begegnungsübergreifender Beziehungen beziehungsweise Bedeutsamkeiten.
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Die vorangegangene Benennung dieser als affektive Sedimentationen macht auf Folgendes aufmerksam: Alle Prozesse der symbolischen Vermittlung von Bedeutungen und Beziehungen, alle sich im individuellen und kollektiven Gedächtnis ablagernde Erfahrungen und Haltungen, Hoffnungen und Befürchtungen, sind auf die affektiven Maße diese erst begründenden sozialen Situationen zurückzuführen und gewinnen nur darüber wieder an Realisation. Damit aber ist die Institutionalisierung und Archivierung nicht der einzig relevante Umschlagort der Verschränkung des Affektiven mit dem Sozialen, an dessen Brechungen und sich abzeichnenden Grenzlinien die Bedeutung des Affektiven für das Soziale überhaupt erst sichtbar zu werden scheint. Denn ein gleicher Transformationsort zeichnet sich auch dort ab, wo die affektiven Sedimente überhaupt erst in Erscheinung treten und affektive Dispositionen sich unbemerkt in affektiven Hintergründen und subtilen Modi der Begegnungen realisieren. Hierin begründet sich nun, warum sich für eine soziologische Analyse affektiver Strukturen, insbesondere der bisher unbeachteten affektiven Hintergründe, aus sozialanthropologischer, emotionssoziologischer und kulturtheoretischer Blickrichtung die Resonanztheorie Hartmut Rosas und das Modell Emotionaler Energie von Randall Collins anbieten. In beiden Modellen findet nicht nur eine differenzierte Betrachtung verschiedener affektiv relevanter Ebenen der Begegnung statt. Vielmehr konzeptualisieren beide Modelle auch Vorstellungen der Transformation affektiver Zustände in dispositionale Aspekte, um basale affektive Weisen in ihrer Wechselbezüglichkeit als Folgen und als Voraussetzungen divergenter Begegnungsmodi erfassen zu können. Obwohl Collins gemeinhin ein konsequent situationsanalytischer Standpunkt unterstellt wird, was mit Blick auf seine methodologischen Überzeugungen sicherlich korrekt ist, findet sich in seinem Modell der Interaktionsritualketten das Prinzip der hintergründigen Bestände und der Transformation. Dieser hintergründige Bestand des Affektiven wird bei Collins bekanntlich anthropologisch situiert in Form eines affektiven Kontinuums Emotionaler Energie. Für das Modell der Transformation kommt indes Symbolen eine entscheidende Bedeutung als Formen affektiver Verkörperungen des Dispositionalen und damit für die sich situativ regenerierenden affektiven Bedingungen in der Begegnung zu. So wären die Hauptgründe für die Auswahl der Resonanztheorie Hartmut Rosas und des Modells der Emotionalen Energie von Randall Collins für eine exemplarische hermeneutische Analyse der Strukturen des Affektiven des ersten Teils dieser Arbeit benannt. Alle drei aufgeführten Analyseebenen einer sozialen Struktur des Affektiven finden sich in den Modellen in zum Teil differenzierter, mitunter jedoch nur impliziter Form wieder. Dies sind erstens die Beschreibungen unterschiedlicher affektiver Folgen von Begegnungen, zweitens die theoreti-
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sche und empirische Betrachtung affektiver Bestandteile der Begegnungsmodi selbst sowie drittens die Besprechung unterschiedlicher Wege der Transformationen und somit der Verschränkung des Affektiven mit sozialen Verhältnissen und kulturellen Ordnungen. Zudem entwerfen beide, Rosa und Collins, eine prozessuale Figur der kontradiktorischen Begegnungsweisen, die Affekt und Handlungsmodi auf mikrosituativer Ebene unreflektiert zusammenbringen. Anliegen der folgenden Ausarbeitungen ist, diese Ansätze an den Schnittstellen der Verschränkung affektiver Hintergründe und modaler Begegnungsgestaltung gegenüberzustellen, sie zu vergleichen sowohl mit Blick auf die affektiven Dynamiken und Zustände in Interaktion und sozialen Beziehungsarrangements als auch auf das Soziale und sozial Dispositive affektiver Begegnungsgestaltung. Besonderes Augenmerk gilt den Strukturen affektiver Hintergründe in Begegnungen und deren Bedeutung für besagte Verschränkung. Damit sind die zentralen Begrifflichkeiten, die in dieser Arbeit den Rahmen der Thematik des Affektiven aufspannen, abgesteckt und verortet, um der berechtigten Forderung einer transparenten Ausgangsposition und der Notwendigkeit der Verhältnisbestimmung verwendeter Begrifflichkeiten und Perspektiven Rechnung zu tragen. Eine nähere und vergleichend diskursive Bestimmung sei an der Stelle noch nicht vorweggenommen. Doch mag ein Hinweis zum Verhältnis sozialer Begegnungen und Begegnungen mit nicht-menschlichen Entitäten erlaubt sein: Zwar werden sich die folgenden Ausarbeitungen im Wesentlichen auf soziale Begegnungen und Beziehungen stützen. Im Hintergrund steht, dass erstens soziale Begegnungen eine vielschichtige und komplexere Verschränkung wechselbezogener Aufmerksamkeiten erlauben und damit Verkettungen und Intensivierungen von Emotionen erleichtern. Zweitens dürften soziale Begegnungen und Beziehungen für den Menschen als homo sociologicus eine erheblich größere Rolle spielen, wenn es um Bedürfnisse nach Anerkennung (Honneth), Resonanz (Rosa) oder schlicht Aufmerksamkeit (Franck) geht. Somit werden unter den Begriff der sozialen Begegnungen, wie in der soziologischen Diskussion üblich, nur zwischenmenschliche Begegnungen zwischen Menschen, nicht die von Menschen zu Tieren oder Dingen, Berücksichtigung finden – teils zu Recht, in Anlehnung an die vorherigen Begründungen. Aber wohl zum Teil auch zu Unrecht. Philippe Descola etwa hat uns vor Augen geführt, dass jene Grenzziehungen dessen, was und wer als adäquater Kommunikationspartner gelten könne, doch mehr auf kulturgeschichtlichen Definitionen und Bestimmungen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede beruhen denn auf anthropologisch gesetzten Schranken (vgl. Descola 2011). Die hier vorgenommene Unterteilung zwischen sozialen und nicht-sozialen Begegnungen sieht sich im klassischen westlichen Kulturkreis verankert, die Ränder der damit verselbstständigten
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Strukturen zwar ebenso zeitgemäß ertasten wollend, allerdings mit unklarer Reichweite. Zudem wird sich ab einer gewissen Beschreibungstiefe zeigen, wenn es erforderlich scheint, die Umrisse subtiler affektiver Strukturen und Phänomene nachzuzeichnen und zu benennen, dass es darüber gar nicht so viel zu sagen gibt. Nicht etwa, weil es die Strukturen und Phänomene nicht gäbe oder ihnen keine Bedeutung zukäme. Ganz im Gegenteil folgt die vorliegende Studie ja gerade der Annahme, dass die blinden Flecken des Sozialen mitunter aus der Tatsache heraus, dass sie weder als deutliche phänomenologische Gestalten noch als sprachliche und strukturierte Konstrukte vorhanden sind, eine bislang unterschätzte Relevanz besitzen. Angesichts der Kritik Eva Illouz’ an interessengeleiteten, vor allem kapitalistischen Logiken folgenden Veröffentlichungen des Emotionalen und der damit einhergehenden Trennung beziehungsweise Verfremdung des eigentlichen Fühlens und des Denkens und Redens darüber, muss dies kein Nachteil sein (vgl. Illouz 2007). Etwas bedenklich wird es, wenn man sich mit der Sichtbarmachung des hintergründig Affektiven, wie ursprünglich die feministische Bewegung, ein Aufzeigen und damit eine Angreifbarkeit subtiler Mechanismen der Machtreproduktion erhofft. Allerdings reden wir dann von anderen Dingen als von Emotionen. Denn subtile affektive Strukturen befinden sich an einer Grenze des semantisch Darstellbaren und sind entweder lediglich in der affektiv-leiblichen »Zuhandenheit« (Heidegger) zugänglich oder lassen sich allein mikro-strukturanalytisch unterstellen. Insofern dürfte, was das soziale Wesen des Affektiven betrifft, »klar sein, dass es keine einfache theoretische ›Rückkehr‹ zur Präsenz geben kann« (Adloff 2013, 99), im Sinne einer von Gumbrecht beschriebenen »Wiederverzauberung der Welt« (Gumbrecht 2004, 2007), jenseits einer Trennung der rationalen Erkenntnis und des materialen Inder-Welt-seins (vgl. Adloff 2013). Gleichzeitig aber stellen das Affektive allgemein sowie das hintergründig Affektive im Speziellen ein »fundamentales Existenzial« dar, das es »in seiner Struktur zu umreißen« (Heidegger 1972, 134) gilt. Wie sich also einem solch subtilen Bereich des Sozialen nähern? Collins und Rosa unterscheiden sich in ihrer Vorgehensweise grundlegend: Rosa versucht ausschließlich geistesgeschichtliche Fäden des Diskurses um den Begriff des Affekts mit physikalischen nebst psychologischen und neurobiologischen Fäden zu einem Modell der Resonanz als Begegnungsmodi zu spinnen. Collins hingegen stützt sich stark auf eine Verbindung interaktionistischer und empirische Zugänge zu den macht- und statusverhandelnden Mikro-Modi der Interaktion. Der nun hier verfolgte Ansatz der hermeneutisch vergleichenden Gegenüberstellung der beiden umfänglichen Konzeptionen aus der Blickrichtung des Affektiven im ersten Teil kann zwar phänomenologische und empirische Herangehensweisen in-
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tegrieren, muss sich aber die Grenzen der Vergleichbarkeit der beiden Herangehensweisen bewusst machen. Während Collins in seinen mikrosoziologischen Analysen überwiegend dem interaktionistischen Paradigma treu bleibt, soll hier der Versuch unternommen werden, diesem Paradigma ein für die Soziologie eher exploratives und mitunter begriffsfremdes Konzept vergleichend zur Seite zu stellen. Die Hauptgefahr besteht vor allem darin, dass logische Argumentationsbilder punktuell verknüpft werden, sich jedoch nicht ohne Weiteres schablonieren lassen. Zum anderen droht bei der Vermischung unterschiedlicher Begriffssysteme verschiedener disziplinärer Geneseprozesse eher Verwirrung denn Klarheit zu entstehen – eine Problematik interdisziplinär orientierter Ansätze, die oft vernachlässigt wird. Aus diesem Grund wurde auch die zusammenfassende Auswertung der Gegenüberstellung beider Modelle des ersten Teils dem zweiten Teil zugeordnet, der schließlich darum bemüht ist, den Diskurs auf einen phänomenologischen und kulturtheoretischen Pfad zu führen und mit Blick auf die Thematik des Verhältnisses von Macht, Aufmerksamkeit und Affektivität zu bündeln. Auch hier ist das Vorgehen als ein ertastend hermeneutisches zu verstehen, und zwar nicht nur der Methodik im engeren Sinne, sondern auch dem Begriff der Aufmerksamkeit selbst geschuldet. Denn die Aufmerksamkeit wurde bisher im soziologischen Diskurs eher kognitivistisch aufgegriffen, teils im Zusammenhang mit der Beschreibung ökonomisch geleiteter Aufmerksamkeitslenkung, aber auch als ästhetische Kategorie behandelt. Der zweite Teil der Arbeit will an diese Begriffstradition anknüpfen und den Begriff der Aufmerksamkeit mehr noch aus phänomenologischer Warte nicht kognitivistisch, sondern als leiblich gebundene, präreflexive Gerichtetheit erfassen, welche nicht nur die abgrenzbare kognitive Leistungsfähigkeit der Wahrnehmung beschreibt, sondern die zunächst affektivleibliche Eingebundenheit in ein materiales und untrennbares Wechselverhältnis zwischen Individuum und dessen aufgemerkter Umwelt. Aus dieser Auslegung heraus lässt sich der Begriff sinnvoll an den angestoßenen Diskurs um affektive Strukturen anbinden und ein Modell der Affektivität des Sozialen skizzieren, welches abschließend zur Diskussion stehen soll.
TEIL I AFFEKTIVITÄT UND BEGEGNUNG
»The ghost is not simply a dead or missing person, but a social figure, and investigating it can lead to that dense site where history and subjectivity make social life. The ghost or the apparition is one form by which something lost, or barely visible, or seemingly not there to our supposedly well-trained eyes, makes itself known or apparent to us, in its own way, of course. The way of the ghost is haunting, and haunting is a very particular way of knowing what has happened and what is happening. Being haunted draws us affectively, sometimes against our will and always a bit magically, into the structure of feeling of a reality we come to experience, not as cold knowledge, but as a transformative recognition.« (Avery F. Gordon 1997, 8)
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Der erste Teil der Ausarbeitung wird sich wie angekündigt zunächst der Resonanztheorie Hartmut Rosas (2016) und dem Modell der Interaktionsritualketten Randall Collinsʼ (2004) in ausführlicher Weise widmen. Dabei besteht das Hauptanliegen der intensiven und tiefgründigen Analyse beider Konzeptionen darin, zum einen die in jenen enthaltenen Strukturen des Affektiven nachzuzeichnen, zum anderen anschließend ein plausibel nachvollziehbares Bild des Affektiven zu rekonstruieren. Dazu werden einführend jene Modelle, auf die sich die Analyse hauptsächlich bezieht, in Umrissen überblickweise dargestellt, bevor sich im zweiten Schritt der Thematik des Emotionalen und hintergründig Affektiven im Besonderen zugewendet wird. Hauptaugenmerk liegt dann auf der strukturellen Unterscheidung von Emotionalität und Affektivität sowie implizit oder explizit unterstellten Substrukturierungen des Affektiven selbst. Mit Blick auf die Unterscheidbarkeit von Emotionalität und Affektivität stellt sich diese als tragfähiger Ansatzpunkt dar, den in durchaus vergleichbarer, jedoch gleichsam in sehr unterschiedlicher Weise sowohl Rosa als auch Collins vorgetragen haben. Rosas Unterscheidung von Affekt und Emotion baut dabei auf einer strukturell begründeten Autonomie des Affektiven gegenüber dem qualitativen Empfinden auf und gleicht jenen daher mit dem Affektbegriff, wie ihn Massumi seit jeher vertritt (vgl. Massumi 1995), ab. Der Kern der Resonanztheorie, der Begriff der Resonanz, steht somit aus struktureller Sicht sogar im Mittelpunkt des Affektiven. Nach Bösel identifiziere sich der Resonanzbegriff Rosas sogar mit dem Affektbegriff Massumis (vgl. Bösel 2017, 37). Collinsʼ Ausgangspunkt hingegen ist kein im Kern emotions- oder affekttheoretischer. Seine Ausgangsunterscheidung zwischen offensichtlichen Emotionen und hintergründiger Affektivität in Form von Emotionaler Energie begründet sich zum einen auf der Theorie ritueller Praktiken Durkheims sowie der nachfolgenden Theorietradition des Interaktionismus, vor allem Goffmans Öffnung des Ritualbegriffs. Die Grenzziehung zwischen hintergründiger Affektivität und kurzzeitigen Emotionen ist damit bei Collins ritualtheoretisch angelegt. Ein zweiter und damit in Verbindung stehender zentraler Aspekt stellt sodann die Darstellung von und Orientierung an den subtilen Handlungsmodi der Zu- oder Abwendung (Rosa) in der Begegnung beziehungsweise den Weisen mikrosituativer Bemächtigung oder Solidarisierung (Collins) in der rituellen Interaktion dar, insbesondere in der Verschränkung jener mit sozialen Beziehungsverhältnissen. Unterscheidbare Aspekte und Ebenen der Begegnung bilden in der Folge die Grundlage möglicher Substrukturierungen affektiver Phänomene und sozialer Dynamiken. Ein weiterer Fokus liegt folglich auf dem, in beiden Modellen zentral thematisierten, Verhältnis des Affektiven mit dem Sozialen und dem
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affektiv Dispositionalen einer Gesellschaft. Problematisiert wird dabei nicht nur die Tatsache, dass affektive Hintergründe in besonderem Maße lebensweltspezifisch, sozioökonomisch und soziokulturell prädisponiert sind wie auch gleichsam das Soziale prägen, sondern auch, wie jene Wege der Transformation bei Rosa und Collins beschrieben werden und mit welchen Folgen für die Individuen.
Kapitel 2 Affektive Modi und Gestimmtheiten in der Resonanztheorie Hartmut Rosas
Hartmut Rosas Resonanztheorie stellt sich im Wesentlichen als eine Resonanzkritik dar, die darauf zielt, unter dem Begriff der Resonanz eine grundlegende, gesellschaftskritische Theorie zu bündeln, die sich, in spezifischer Weise die Weltbeziehung der Menschen fokussierend, in den Theorietraditionen von Theodor Adorno, Walter Benjamin, Jürgen Habermas und Herbert Marcuse sowie natürlich Axel Honneth sieht. Daran ausgerichtet, insbesondere an Habermas’ Überzeugung einer notwendig normativ verfassten Grundlegung von Gesellschaftskritik anknüpfend, entwirft Rosa eine Kritik der Behinderungen, Störungen und Zerstörungen von Resonanzen, die in eine umfassende Analyse postmoderner Resonanzkatastrophen und Erstarkung von Instrumentalisierungslogiken des Spätkapitalismus mündet. Insgesamt lässt sich wohl behaupten, dass Rosas Resonanzkonzept grundsätzlich lösungsorientiert verstanden werden muss. An seine bisherigen Darstellungen zur Beschleunigungsproblematik moderner Gesellschaften anknüpfend, entwickelt sich die Soziologie der Weltbeziehung der Menschen explorativ abgleichend. Dabei wird dem Idealtypus der resonanten Begegnung die erstarkte und verdinglichte Weise der Weltbeziehung kontrastierend gegenübergestellt. Methodisch beruht Rosas Vorgehen, abgesehen von Bezügen, die von psychologischen bis hin zu physikalischen Modellparallelen reichen, im Kern auf zwei Argumentationsebenen: zum einen auf einer traditionellen sozialtheoretischen und zum anderen auf einer umfangreichen phänomenologischen Konturierung und Einbettung des Resonanzphänomens. Erstere sieht sich theoretisch in wesentlichen Teilen in der Tradition der Kritischen Theorie. Anknüpfungspunkte finden sich vor allem in der klassischen Frankfurter Schule. Neben konkreten Anknüpfungen schlägt sich die spezifische Orientierung der Resonanzkritik an
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der Kritischen Theorie als Ganze auch in der Re-Etablierung markanter, aber ebenso nicht unbescholten gebliebener Begrifflichkeiten nieder. Im Mittelpunkt steht wohl der Begriff der Entfremdung, wie er von Marx aufgeworfen und von Adorno übernommen wurde, wie er aber auch beispielsweise in Form des Begriffs der instrumentellen Vernunft oder Webers Entzauberung immer ein bestimmtes Weltverhältnis nahelegt, in dem »etwas nicht stimmt« oder, wie Rosa es formuliert, »die Welt als schweigend erfahren wird« (Rosa 2016a, 25). Die durch diese Begrifflichkeiten jedoch ebenso durchscheinenden Kontrastierungsskizzen von Bildern eines anderen – wie etwa Benjamins Konzept der Aura oder Webers Beschreibung von Charisma, wie sie aber auch Marcuses Beschreibung einer erotischen Weltbeziehung oder Adornos Idee eines mimetischen Weltverhältnisses bezeugen – verweisen in dieser Form auf den wesentlichen motivationalen Fluchtpunkt der Resonanztheorie Rosas. Diese Zielsetzung verfolgend sind darüber hinaus, neben der für Rosa bekannten Nähe zu den philosophischen Arbeiten Charles Taylors, etliche Bezüge der klassischen soziologischen Theorie, etwa Georg Simmels, Max Webers, Emil Durkheims und George Herbert Meads in seiner Argumentation, stützende Orientierungspunkte. Die zweite grundlegende Argumentationsbasis muss als im Kern phänomenologisch-anthropologisch bezeichnet werden. Einerseits stellt die Herangehensweise an die Betrachtung der Weisen des In-der-Welt-seins sowie die Beschreibung und Verknüpfung der verschiedenen Dimensionen von Geist und Leib, Affekt und Kognition, Intuition und Reflexion den Hauptteil Rosas Arbeit dar. Andererseits findet sich in der Folge eine breite Bezugnahme der Soziologie der Weltbeziehung auf vor allem klassische phänomenologische Traditionen, unter anderem Heideggers und Bollnows existenzphilosophische Gegenstandbereiche und Merleau-Pontys anthropologische Arbeiten zur Metaphysik im Menschen im Allgemeinen und der Leiblichkeit im Besonderen. Des Weiteren schließt die Resonanztheorie an den psychologischen und philosophischen Anthropologien beispielsweise von William James und Rahel Jaeggi an, aber auch an neueren phänomenologischen Arbeiten, insbesondere jenen des Leibes von beispielsweise Thomas Fuchs, Hermann Schmitz und Bernhard Waldenfels. Um alternative Weisen des In-der-Welt-seins, resonante und stumme, skizzieren zu können, greift Rosa mitunter durchaus auf lyrische Mittel zurück, im Sinne von Geschichten als Möglichkeit, etwas auf eine Weise darstellbar zu machen, was in seiner Fülle unterhalb der propositionalen Erfassbarkeit liegt. Dies kann Lyrik dann, wenn sie eine bestimmte Weise der Weltbeziehungen jenseits der Begriffe erfahrbar machen kann, indem sie an eigene Weisen unmittelbarer Erfahrungen anzuknüpfen vermag. Komplementär abgleichend wagt die Resonanztheorie jedoch ebenso Brücken zu schlagen zwischen gewöhnlichen All-
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tagserfahrungen und einer strukturell-analytischen Perspektive abstrakter Strukturen eines existenzialphilosophisch fundierten Modells der elementaren Weisen der Begegnung. Die Resonanztheorie als kritisches Konzept In zunächst rein deskriptiver Leseart erweist sich das Konzept der Resonanz als eine menschliche Grundfähigkeit und ein Grundbedürfnis, das sich nicht neben anderen sozialen und psychologischen Grundbedürfnissen des Menschen einreihen lässt. Beispielhaft wird dies deutlich an den im Modell der basic human needs von Ryan und Deci zusammengefassten anthropologischen Grundbedürfnissen der Kompetenz, Autonomie und sozialen Eingebundenheit von Individuen (vgl. Deci und Ryan 2008). In seiner elementaren Fundierung bündeln sich im Konzept der Resonanz all jene anthropologischen Grundanliegen als resonanzsuchendes Streben nach Selbstwirksamkeit in der Weltbeziehung. Die Taxis zwischen Öffnung und Selbstabgrenzung zur Welt ist dabei ebenso immer schon inkludiert. Die sich daraus ergebende Bedeutung von Resonanzbeziehungen erstreckt sich somit von der Konstruktion von Subjektivität bis hin zu kollektiven Identitäten. Auch wird Resonanz zum Umschlagort mikrosoziologischer Betrachtungen wechselwirkender Begegnungsweisen von Subjekt und Welt mit gesellschaftstheoretischen Perspektiven auf Ursachen und Folgen einer Be- und Verhinderung von Resonanz. Der Charakter des Kritischen begründet sich dann in der Folge darauf, dass Resonanz als grundlegendste Fähigkeit und Begehren des Menschen nach Identität und Sozialität überhaupt höchst prekär ist. Denn jenes elementare Streben nach Selbstwirksamkeit, sozialer Eingebundenheit und Autonomie kann in Teilen oder im Ganzen scheitern. Zugleich wirft die monolithische Verschränkung von grundlegendster Fähigkeit und elementarstem Bestreben des Lebendigen mit dem Duktus der existenziellen und sozialen Unabdingbarkeit von Resonanz die Frage nach der im naturalistischen Ansatz unzureichend erklärbaren Verschränkung von Selbst und Umwelt auf. Bereits hierin, in der Verschränkung von Grundstreben und Grundbedürfnis, zeigt sich die konzeptionelle romantische Grundhaltung Rosas – einer Grundhaltung der tendenziellen Überwindung eines schroffen Dualismus zwischen Subjekt und Welt, Individuum und Gemeinschaft, Verstand und Gefühl. Als normatives Konzept hat der Resonanzbegriff seinen zentralen Bezugspunkt bei der Frage nach dem »guten Leben«. Was zunächst womöglich in Richtung der sozialwissenschaftlich etablierten Begrifflichkeit der Ressourcenausstattung deuten mag, entwirft sich jedoch gerade aus den Konturen der mit dieser erkauften Schwachstelle. Denn obwohl zur Verfügung stehende Ressourcen wie
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Einkommen, Berufsgruppe, Status, Bildung etc. durchaus als bedeutende Bedingungen und Chancen ausgemacht werden können, sind sie nicht kurzerhand mit einem gelingenden Leben gleichzusetzen. Ein Kurzschluss, den die Soziologie spätestens seit Durkheims Studie zu den Ursachen des Selbstmordes aufgefordert war zu spezifizieren. Wie Bezugsvariablen und Begriffssysteme von Zufriedenheitsstudien jedoch ebenso wie Alltagspraktiken wachsender Konkurrenz- und Konsumneigung zeigen, ist dieser blinde Fleck als unerklärliche Unschärfe zwischen Erkenntnis und Handeln bestehen geblieben. Hinzu kommt, dass jene Unschärfe sich in wesentlichen Teilen dem wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Diskurs entzieht und damit dem individuellen, persönlichen und vor allem eigenverantwortlichen Lebensgeschick zugeschrieben werden muss (vgl. Rosa 2016a, 16f.). Doch das, was Leben letztlich gelingen lässt, so die Grundaussage der Resonanzkritik, sind nicht die konstituierenden Bedingungen, sondern die Art und Weise, wie es letztlich gelebt wird. Was zunächst recht vereinfacht klingen mag, verweist im Groben auf einen entscheidenden Perspektivwechsel: weg von denen das Subjekt-Welt-Verhältnis konstituierenden Bedingungen und Chancen seitens Subjekt und Welt, hin zum den Weisen deren Beziehung. Diese unterscheiden sich mitunter nach Rosas Vermutung beträchtlich. Leben meint dabei die permanente, zunächst ontisch verstandene Begegnung von Subjekt und Welt, begründet sich in der Folge jedoch auf der ontologischen Weise des In-der-Welt-seins, um es in Heidegger’scher Diktion zu sagen. Denn menschliches Leben in all seinen Dimensionen meint immer Begegnung. So Rosa: »Existenz ist geradezu Bezogenheit, sie verändert und entfaltet sich in und aus der Weltbeziehung.« (Ebd., 235) Die Frage, die sich die Soziologie daher eben auch stellen muss, neben der Frage, womit Menschen es im Leben zu tun haben, ist die, wie den Menschen ihre Welt begegnet und wie sie umgekehrt dieser ihrer Welt begegnen. Welt meint »[...] dabei die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen.« (Ebd., 24) Hartmut Rosa beschreibt in der Resonanzkritik daher eine Soziologie der Weltbeziehung, die auf der Kritik an einer Soziologie fußt, welche trotz aller Untersuchungen zu beispielsweise Mentalitäten und Lebensqualität doch recht wenig zur Beantwortung der Frage beitragen kann, warum Menschen ungeachtet durchaus vergleichbarer äußerer Bedingungen sehr verschiedene Beziehungen zur Welt entwickeln können, ohne dabei ungeklärte Abweichungen auf nichtsoziale Faktoren wie Hormone, Gene oder präsoziale Veranlagungen (vgl. ebd., 21) zu reduzieren. Der Anspruch, den Rosas Soziologie der Weltbeziehung demnach verfolgt, ist nicht, die vielfach diskutierten Mechanismen sozialer Ressourcenverteilung mit ihren subtilen Distinktionen und stratifizierenden Wirkungen weiter zu untersuchen. Hingegen soll sie diejenigen sozialen Bedingungen ausma-
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chen, welche die Weisen des In-der-Welt-seins selbst beeinflussen und darüber sozialen Wandel aus den sozial prädisponierten Modi der Weltbegegnung zu verstehen. Resonanz und Entfremdung Begegnungsmodi stellen eine »besondere Art des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt« (ebd., 331) dar. »Besonders« meint dabei nicht etwa, dass ihnen Exklusivität zukäme. Die von Rosa zugeschriebene Bedeutung rührt aus der Verschränkung des In-der-Welt-seins sowohl als spontaner Ausdruck aktueller Beziehungen von Subjekt und Welt als auch als Ergebnis bisheriger Weltbeziehungen her. Wenn also Resonanz in ein dialektisches Verhältnis zur Entfremdung tritt, dann braucht dies ein Gespür für das Verhältnis der jeweils stattfindenden Begegnungen zu deren Gewordensein aus einer sich etablierenden Beziehung zwischen Subjekt und Welt. Doch dieses Beziehungsverhältnis kann sich aus nichts anderem entwickelt haben als aus den jeweils stattfindenden Begegnungen jener, ebenso wie sich Subjekt und Welt selbst in ihrer Gestalt und Responsivität zueinander erst aus den Begegnungen zueinander konstituieren konnten. Wenn also Entfremdung eine verstummte und instrumentalisierte Weise des In-die Welt-gestellt-seins meint, steht sie unweigerlich in einem komplexen Bedingungsverhältnis mit der spezifischen Logik des Finanzmarktkapitalismus. Dies ist eine Logik, die nach Rosa eine systematische und »unaufhebbare Eskalationstendenz« birgt, »die ihre Ursache darin hat, dass sich die gesellschaftliche Formation der Moderne nur dynamisch stabilisieren kann« (ebd., 13). Die unter dem Begriff der Beschleunigung gefassten Dynamisierungs- und Steigerungstendenzen sowie deren Logik der Innovation und Veränderung beeinflussen unausweichlich das menschliche Weltverhältnis ganz grundlegend. Problematisch wird dies dann, wenn Störungen im Verhältnis zwischen Mensch und Welt in der Beziehung zur Sozialwelt und im subjektiven Weltverhältnis sichtbar werden, wie sie sich beispielsweise in modernen »Psychokrisen« (Rosa) oder Umweltkrisen niederschlagen. Diese nicht nur in den Sozialwissenschaften vielfach beschriebenen und diskutierten Krisen stellen jedoch für Rosa letztlich nur Symptome einer eigentlichen Pathologie der modernen Gesellschaft dar, in der sich die Frage nach dem Gelingen oder Misslingen des Lebens zunehmend aufdrängt (vgl. ebd., 13ff.). Resonanz entwirft sich in der Resonanztheorie demgegenüber vereinfacht ausgedrückt als wechselseitig zugewandte und damit lebendige Beziehung. Die Metapher des vibrierenden Drahtes soll die spezifischen Charakteristika dieser
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Beziehung verbildlichen. Resonante Beziehungen bedürfen begehrende Grundmovens, sowohl in rezeptiver als auch responsiver Weise. Wenn Rosa hierbei ab und zu von libidinösen Bindungen spricht, dann verweist dies auf die affektive Seite der Bindung – darauf, dass die Beziehung zwischen Subjekten, aber auch zu Tätigkeiten, Ideen oder Dingen durchaus sehr leidenschaftlich oder liebend, mitunter sogar erotisch sein kann. Man denke etwa an die Bindung zwischen Liebenden oder die Leidenschaft für Fußball oder Star Wars. Man muss aber nicht unbedingt Extreme im Sinn haben, wenn es um das Affektive der Begegnung geht. Affektive Bindungen finden im Alltag unentwegt und in unterschiedlichem Ausmaß statt. Auch wer morgens seinen Kaffee genießt, kurz den glitzernden Tau auf dem Weg zur Arbeit bewundert, im Büro wohlgemut seinen Lieblingsstift zückt oder sich beim Abholen der Kinder über deren lebendiges Umherspringen freut, hat zugewandte affektive Bindungen. Rosa verortet sich hierbei in der Nähe dessen, was Sozialpsychologen im Zusammenhang mit intrinsischen Interessen und Selbstwirksamkeitserwartungen beschreiben (vgl. ebd., 24). Das Prinzip der affektiven Bindungen geht jedoch noch darüber hinaus, genauer gesagt: Es setzt sehr viel elementarer an, nämlich dort, wo jene Begegnungen von Subjekt und Welt noch gänzlich unbestimmt, vorreflexiv und ungefiltert erfahren werden. Affektive Grundmovens, die Rosa in ihrer kontradiktorischen Weise als Angst und Begehren bezeichnet, lassen sich somit dem Bereich der Weltbeziehung zuordnen, den etwa Dewey oder Mead im Zusammenhang mit der affektiv durchdrungenen unmittelbaren Erfahrung diskutierten (vgl. hierzu etwa Mead 1973 [1934], 216). Ein weiteres, noch grundlegenderes Merkmal der Begegnung, auf welches der »vibrierende Draht« (Rosa) zu deuten vermag, gilt im Grunde für jegliche Begegnung in einer jeweils spezifischen Weise: die Grundannahme, dass Begegnungen nie mittels einer punktuellen Momentaufnahme eines Zustands erfasst werden können. Begegnungen beschreiben einen komplexen und höchst dynamischen Prozess, der eine stärkere oder geringere Stabilität aufweist und dem zugleich ein gewisses Maß an Unverfügbarkeit innewohnt. Erwartbarkeit und Eigenwirksamkeit einerseits sowie Unverfügbarkeit und Brechung andererseits bestimmen die Permeabilität der Bindung beider Seiten. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der über das Moment der Unverfügbarkeit hinaus die lebendige, entwicklungsoffene Resonanzbeziehung zur statischen und instrumentalisierten Begegnung abgrenzt: die Bedingung der Offenheit. Beide in die Begegnung eintretenden Pole bedürfen eines gewissen Maßes an Öffnung füreinander, um sich der Begegnung gleichsam anverwandeln zu können. Dem liegt der Kerngedanke zugrunde, dass Subjekt und Welt nur dann eine wechselseitige Bindung ausbilden können, wenn beiderseits Grenzen zu einem gewissen Grad durchlässig und
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damit Zustände überhaupt erst wechselwirkend beeinflussbar sind. Was sich physikalisch oder biochemisch als wechselseitiges Antwortverhältnis darstellen lässt, zeichnet sich interaktiv auf Ebene der affektiv-leiblichen Berührbarkeit und sozialkulturell in der Verflüssigung von Weltbildern ab. Resonanzkritik als Gesellschaftskritik Der Umschlag von der kritischen Betrachtung der spezifischen Weise des In-derWelt-seins hin zu einer gesellschaftskritischen Analyse bedarf dann jedoch neben der Darlegung der grundlegenden Bedeutsamkeit der sich sozial wandelnden Möglichkeiten der Menschen, leiblich, affektiv sowie kognitiv und evaluativ in die Welt gestellt zu sein, auch einen Erklärungsansatz dazu, wie etablierte soziale Strukturen und Prozesse sozialen Wandels sich als soziale Schemata in jene Weisen der Weltbeziehung übersetzen lassen. Rosa formuliert hierzu einen sich wechselseitig verstärkenden Problemzirkel zwischen der eskalativen Steigerungsdynamik moderner Gesellschaften einerseits und einer forcierten statischen Weltbeziehung der Menschen andererseits. Subjekt-Welt-Verhältnisse sind immer auch in einem hohen Maße soziale Verhältnisse, die kontextuell, kulturell und vor allem institutionell prädisponiert sind. Sie konstituieren sich in kollektiven Institutionen und Praktiken und sind in den »vorherrschenden Weisen des Seins, Denkens und Handelns im Sinne dispositiver Formationen tief verankert« (Rosa 2016a, 33f.). Als Beispiel macht Rosa illustrativ den Gerichtssaal geltend, welcher von Grund auf in seiner Architektur und Gestaltung nicht auf die Erzeugung von Resonanzbeziehungen ausgerichtet sei. Die Klarheit und Unpersönlichkeit eines solchen Raumes setze die institutionalisierten Praktiken der darin Agierenden um und rahme sie somit wiederum vorweg. Es gehe um kühles, strategisches und instrumentelles Handeln. Der wechselseitige Einfluss sei auf Beherrschung und Dominanz gerichtet, nicht auf ein ko-konstruktives, wechselseitiges Eingehen. Als Gegenbeispiel fungiert in Rosas bewusst idealtypischer Argumentation das Klassenzimmer. Rosa spricht hier von einer kategorialen Unterschiedlichkeit der Natur der Interaktionen. Denn: »Bildungsprozesse scheinen dagegen dadurch gekennzeichnet zu sein, dass sie die Begegnung, das wechselseitige Berührt- und Begeistertwerden, aber auch die genuine Anteilnahme voraussetzen, wenn sie erfolgreich sein sollen.« (Ebd., 29) Man würde Rosa jedoch missverstehen, legte man diese Gegenüberstellung dahingehend aus, dass in Gerichtssälen keine Etablierung von Resonanzachsen möglich wäre, hingegen in der Schule niemals instrumentell und beherrschend agiert würde. Zwar bleibt der prägnante Anhaltspunkt die grundsätzliche Strategie der Handelnden. Sie wird jedoch von den räumlichen, sozialen, kulturellen und institutionellen Rahmun-
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gen in der einen oder anderen Richtung dominanter oder subtiler nahegelegt. Gleichzeitig sind jene prädisponierenden Aspekte überwiegend sozialer Natur. Entsprechend wird sich je nachdem, welche Schulkultur insgesamt herrscht, dies in gewisser Weise auch in den Räumen, sozialen Ordnungen und Formationen, den schulspezifischen Normen und Riten sowie den institutionellen Praktiken wiederfinden (vgl. ebd., 27ff.). Wenn also die primäre Ebene der Weltbeziehung eine leiblich-affektive und damit präreflexive ist, so ist sie doch in keiner Weise präsozial (vgl. ebd., 238). Sodann stellt sich Resonanz nicht mehr nur situativ und individuell bedeutsam dar, sondern wird darüber hinaus zum zentralen Qualitätskriterium gesellschaftlicher Weltverhältnisse. In diesem Sinne lassen sich Gesellschaftsräume als resonanzverstärkend oder resonanzbehindernd beschreiben. Zudem stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen nach Bedingungen stabiler Resonanzverhältnisse sowie Konsequenzen fehlender beziehungsweise verstummter Resonanzbereiche (vgl. ebd., 294). Der ausgemachte, normative Fluchtpunkt einer so entworfenen Resonanzkritik – die Frage nach dem guten Leben – ist demgegenüber indes nicht unproblematisch. Er droht, wie Rosa selbst einräumt, schnell ins rein Philosophische oder gar Paternalistische zu entweichen und jeglicher sozialwissenschaftlichen Basis und Berücksichtigung sozialer Pluralität zu entbehren. Um dem zu entgehen, fußt die Auseinandersetzung mit Weltbeziehungen auf ihrer sehr allgemeinen, grundlegenden Beschreibung und Analyse als strukturell-dynamisches Prozessgeschehen. Diese Perspektive erlaubt das Subjekt-Welt-Verhältnis als wechselseitigen Vorgang darzustellen, ohne sich lediglich auf qualitative Wertungen, etwa von besseren und schlechteren Bedingungen und individuellen Beschreibungen des Wohlbefindens stützen zu müssen. Zugleich stellt die von Rosa anvisierte Abstraktion prozessualer Begegnung von affektiven Zustandsqualitäten, um diese letztlich aber wieder begründen zu können, eine der markanten Grenzgänge des Vorgehens dar. Folglich bleibt auch der konkrete Ort wechselseitiger Transformation sozialer Bedingungen mit prozessualen Weisen der Begegnung die eigentliche Krux der Resonanztheorie. Diesen abzubilden gelingt keineswegs bruchstücklos. Was bleibt, ist eine grundlegende Einsicht: Will die Soziologie mehr zum gelingenden Leben sagen, als dass es sich »gut anfühlt«, ist die Einsicht zentral, dass Weltbeziehung kein Zustand ist, auf den Reiz-ReaktionsKoppelungen anwendbar wären. Vielmehr ist die Weltbeziehung als Prozess zu erfassen. Doch ist eben dieser anvisierte Grenzgang genau der, den es in den Blick zu nehmen gilt, wenn es um die Verschränkung prozessualer affektiver Strukturen der Begegnung mit erfahrbaren affektiven Phänomenen einer postmodernen Gesellschaft geht. Seien es grundlegende Weisen des Sich-Anfühlens, so oder so in
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die Welt gestellt zu sein, seien es kollektive Stimmungen oder dominierende Emotionen. Die substanzielle Struktur, die Rosa sucht (und in der Prozessstruktur der Weltbeziehung findet), und in der Folge eine fundierte Darstellbarkeit, wie Subjekte mit anderen, mit Raum und Zeit und letztlich mit sich selbst in Interaktion treten können, wie (unterschiedlich) sie dies tun und mit welchen Konsequenzen für ihre Selbst- und Weltbilder, zeichnet sich gleichermaßen in einer Struktur des Affektiven ab. Wenn die Resonanzkritik die Frage, was vorhanden ist, zur Frage hin verschiebt, was stattfindet, und wenn sie soziales Leben und soziale Strukturen in eine detaillierte und dynamische Perspektive rückt, dann birgt die Analyse der hervortretenden affektiven Strukturen die Chance, zum sozialen Wesen des Affektiven mehr Auskunft zu geben als darüber, wie es sich anfühlt.
AFFEKTIVE MODI UND DIE EBENEN DER WELTBEZIEHUNG Eine systematische Betrachtung inhärenter Strukturen des Affektiven der Resonanztheorie verweist zunächst auf den Begriff der »Weltbeziehung« und dem darin verfassten steten und aktiven Verhältnis zwischen Selbst und Welt. Das dynamische Moment wohnt der Begegnung beider inne, und zwar einerseits hinsichtlich unterscheidbarer Modi im Prozess der Begegnung sowie andererseits mit Blick auf potenzielle Subjekt-Welt-Verhältnisse. Bei genauer Betrachtung wird jedoch zu zeigen sein, dass beide Aspekte der Weltbeziehung in einem engen Verhältnis zueinanderstehen. Nicht etwa, weil sich die kontradiktorisch verfassten Grundmodi der Begegnung je nach den sich begegnenden Entitäten unterschiedlich darstellen, sondern hinsichtlich der sich daran anschließenden möglichen Dynamiken und der damit einhergehenden affektiven Komplexität, die sich entwickeln kann. Was Rosa unter einem höchst komplexen und mehrfach verschränkten Resonanzsystem diskutiert, lässt sich mit Blick auf affektive Bedingungen und Verkettungen mit anderen Dimensionen des Beteiligtseins durchaus in unterschiedliche Ebenen der Begegnung unterteilen. Entsprechend lässt sich ausgehend von Rosas Darstellungen der Komplexität von Weltbeziehungen eine primäre Begegnungsebene des elementaren, affektiv-leiblich betroffenen Gewahrwerdens von Welt skizzieren, die sich gegenüber einer reflexiven, spezifisch gerichteten Ebene der komplexen und vielschichtig verschränkten konkreten Begegnung von Subjekt und Welt deutlich unterscheidet. Dieses Ebenenmodell der Weltbeziehung lässt sich in Richtung einer dritten Ebene der generellen Bezogenheit eines grundlegend Stellung nehmenden Subjekts gegenüber einer
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sich umgreifend und wesenhaft darstellenden Weltlichkeit weiter differenzieren und erweist sich sowohl hinsichtlich Erklärungen der Bedeutung affektiver Hintergründe als auch der Dynamik affektiver Phänomene als äußerst plausibel und anschlussfähig. Zunächst sollen jedoch die einzelnen Aspekte genauer vorgestellt werden. Konstitution und Verhältnis von Subjekt und Welt Unterstellter Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Annahme, dass eine Analyse der Strukturen des Affektiven einhergehen muss mit einer Analyse der dynamischen Beziehungen von Subjekt und Welt und damit der Modi der Begegnung beider. Die Perspektive, die dabei eingenommen wird, ist grundlegend eine prozessorientierte. Diese wird auch unabhängig davon beibehalten, ob die Modi des dynamischen Wechselverhältnisses von Subjekt und Welt auf der Mikro-, der Meso- oder der Makroebene thematisiert werden. Der Begriff der Begegnung bedeutet hier zunächst einmal, elementar betrachtet, dass jedem Gewahrwerden davon, dass etwas da ist (Subjekt-Pol), ein Angesprochenwerden von Welt (Welt-Pol) entspricht, womit beiden Polen eine grundlegende wechselseitige Bezogenheit unterstellt wird. Fragen danach, ob und inwiefern der Bezogenheit grundsätzlich bereits eine Beziehungsqualität – ausgehend von einem weltlosen Subjekt oder einer von der subjektiven Erfahrung unabhängigen Welt – vorausgeht, entgegnet Rosa mit dem grundlegenden Prinzip der Responsivität. Damit bildet die Bezogenheit das konstitutive Grundelement jeglichen Gewahrwerdens von Welt. Diese Behauptung entwickelt sich aus der existenzphilosophischen Grundannahme heraus, dass Subjekte sich nicht beziehungslos in die Welt gestellt erfahren, sondern in eine Welt, »die sie etwas angeht« (Rosa 2016a, 187). Andererseits, so stellt Rosa dem gegenüber, »wenn uns etwas nichts sagt, so impliziert dies, dass wir keine Beziehung dazu haben« (ebd.). Dem Angehen der Welt wird demnach zugleich ein Aufforderungscharakter zuteil, im Sinne der von Bernhard Waldenfels dargestellten Möglichkeit der appellativen Differenz, in welcher das Angesprochenwerden der Auffälligkeit gleichkommt (Waldenfels 2007, 484). Das In-derWelt-sein meint somit ein In-Beziehung-sein zu Welt. Eine Beziehung, die jedoch auf dem »Moment des Gespannten und Ungesättigten, das dem Auffälligen innewohnt« (ebd.) beruht. Der Subjekt-Pol bezieht sich dabei auf das Individuum als aktiv erlebendes Subjekt, während der Welt-Pol jenes appellierende und responsive Gegenüber meint, dem das Subjekt in dessen Erleben gegenübertritt. Welt kann hierin die natürliche, die kulturell gestaltete und die soziale Welt umfassen, aber ebenso
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andere Menschen oder wahrgenommene Ganzheiten »wie die Natur, de[n] Kosmos, die Geschichte, Gott oder auch das Leben« (Rosa 2016a, 331) meinen. Nicht zuletzt bezieht sich der Welt-Pol aber auch auf das Subjekt selbst, insofern es seinem Körper, seinen Handlungen und Worten oder Gedanken und Gefühlen gegenübertritt. Was also Selbst und Welt ist und worin sich Selbst und Welt je individuell unterscheiden, bestimmt nicht grundlegend die Grenzen der begegnenden Entitäten. Denn das Subjekt kann durchaus etwas, was es zu sich selbst gehörig zählt, ebenso zu Welt machen, allein dadurch, dass es ihm begegnet. Wenn Charles Taylor dabei vom punktförmigen Selbst spricht1, so meint dies gerade die nahezu vollständige Veräußerung des Selbst an Welt, ohne jedoch die Vorstellung eines im Raum gesetzten Selbst zur Gänze aufzugeben. All dies – etwa die Beziehung zum eigenen Körper, Gesundheit, Fitness, die sich zugestandene Kreativität, Intelligenz oder aber auch das eigene Unvermögen – kann somit immer als Element sozialer Vergleiche und als Instrumentalisierung herangezogen werden. Es gilt festzuhalten, dass in der Resonanztheorie weder Subjekt noch Welt diesem Verhältnis vorausgehen. Konstitutionen sowohl des Subjekts als auch von Welt entstehen erst in und aus der wechselseitigen Beziehung zueinander (vgl. ebd., 633). Sie sind daher auch nur aus ihrem Relationsverhältnis heraus beschreib- und verstehbar. Der ontologische Ausgangspunkt des in die Welt gestellten Subjekts ist damit immer schon ein wechselseitiger und von Grund auf in Relation zueinanderstehender. Affektive Modi als Grundlage der Weltbeziehung Subjekte sind demnach nicht beziehungslos in die Welt gestellt, sondern in eine Welt, »die sie etwas angeht« (ebd., 187). Im Angehen wird eine grundsätzliche Bedeutsamkeit dieser Beziehung für das Subjekt impliziert und damit eine qualitative und quantitative Dimension dieser, wenn auch zunächst in unbestimmter Richtung und Intensität. Wenn Rosa nun weiterführend ergänzt, »und dieses ›Angehen‹ ist von positiver oder negativer Bedeutsamkeit« (ebd.), so begründet sich auch diese Bedeutsamkeit auf jenem, die Begegnung von Subjekt und Objekt genuin konstituierenden, dichotomen Charakter des wechselseitigen Affizierens in der Form von Angst oder Begehren. Denn diese affektiven Grundempfindungen liefern folglich die ausgehenden Orientierungspunkte für das in
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Vgl. hierzu in ausführlicher Weise Rosas Aufsatz Poröses und abgepuffertes Selbst: Charles Taylors Religionsgeschichte als Soziologie der Weltbeziehung (Rosa und Kern 2012).
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die Welt gestellte Subjekt und sind somit Basis jeder Selbst- und Weltinterpretation. Jedoch sind sie dies nicht in spezifischer Weise, sondern ebenfalls grundlegend kontradiktorisch als angenehm oder unangenehm, positiv oder negativ beziehungsweise bejahend oder verneinend. Rosa beruft sich unter anderem auf Charles Taylors Konzept unhintergehbarer starker Wertungen. Taylor, nach dessen Auffassung sich Subjekte in Bezug auf ihr Selbst- und Weltverhältnis an qualitativen Unterscheidungen orientieren, also an Unterscheidungen etwa von schön oder hässlich, gut oder schlecht, tapfer oder feige, beschreibt diese Unterscheidungen als Wertungen in Bezug auf vom Subjekt ausgehende abneigende oder begehrende Qualitäten (vgl. Taylor 1994). Rosa sieht darin bestätigt, dass die Bedeutung von anderen, Dingen und Handlungen sich nur vor dem Hintergrund eines prozesshaften, ständig rekonstruierenden und transformierenden In-der-Welt-seins der Subjekte verstehen lässt (vgl. Rosa 2016a, 188). Selbst und Welt konturieren sich somit nicht nur strukturell, sondern auch qualitativ, in ihren evaluativen Höhen und Tiefen, vor dem Hintergrund des Begehrens dessen, was als attraktiv und dem Fürchten dessen, was als repulsiv erscheint. Die unhintergehbare und präkognitive Dimension der Verschränkung zwischen den basal-affektiven Bewegungen des Subjekts und den sozialen Grundstrukturen von Welt in der Attraktion oder Repulsion, einhergehend mit dem damit verbundenen »Zwang zur Stellungnahme gegenüber der Welt« (ebd., 189), stellen somit den Ausgangspunkt für eine zunehmend komplexer werdende kognitiv-evaluative Selbst- und Weltinterpretation dar (vgl. ebd.). Sich auf Merleau-Ponty und im Anschluss an ihn auch auf George Herbert Mead berufend, sieht Rosa den Sinn dafür, wer man selbst ist, was Welt ist und was wie von Bedeutung ist, sich von Anbeginn bereits vorsprachlich »durch Berührungen, durch Stimmen, durch Wechselblicke mit der Mutter [...], durch wiederkehrende Handlungen und rudimentäre Praktiken« (ebd., 215) entwerfend. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Rosa hier einen ähnlichen Standpunkt einnimmt, wie ihn zuvor natürlich schon George Herbert Mead vorbereitet hat, ihn aber etwa auch Frank Kermode (1985) und Aleida Assmann (2001) auf dessen Bedeutung rückführend für künftige Begegnungen mit anderen und mit Welt hin befragt haben. Selbst- und Weltbilder werden hierbei nicht nur als Ausdruck und Ergebnis mit konkreten Begegnungsprozessen zusammengebracht, sondern die sich daraus etablierenden gesellschaftlichen, kulturellen und individuellen Wertungen mit konkreten sozialen Praktiken des Rituals und der wiederholenden Präsentation in Verbindung gebracht. Rosas Fokus liegt allerdings nicht auf den sichtbaren Performanzen, sondern vielmehr auf den dahinterstehenden Mikropraktiken modaler Begegnungsgestaltung.
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Die existenzielle Verschränkung von Gewahr- und Angesprochenwerden aus der Perspektive der Bezogenheit von Subjekt und Welt entspricht selbiger Verschränkung seitens des Subjekts in der Form von Af←fekt und E→motion. Diese von Rosa gewählte Darstellung verweist auf die bidirektionalen Weisen des Affizierens und meint, dass ein Affiziert-Werden – und damit Berührt- und Bewegt-Werden – immer mit einer affektiven Bewegung seitens des Subjekts einhergeht und diese als nach außen gerichtete emotionale Bewegung im Sinne eines basalen Antwortens zu verstehen ist. Rosa spricht hierbei mitunter auch von einer bidirektionalen Schwingung oder auch Doppelbewegung (vgl. ebd., 279f.). Insofern meint der jeweilige Modus der Begegnung die Art und Weise der Bewegung der Entitäten. Formulierungen Rosas wie: »Die Dinge sprechen uns an oder sagen uns zu – oder sie stoßen uns ab« (ebd., 187), sind somit keinesfalls als irgendwie geartetes Geschmacksurteil zu verstehen, sondern verweisen auf die grundlegend kontradiktorischen Begegnungsweisen zwischen Subjekt und Welt. Wobei das Erleiden des Repulsiven mit der tendenziellen Abwendung einhergeht, wie sich entgegengesetzt die Attraktion in der Hinwendung übersetzt. Beide entgegengerichtete Grundmodi der Begegnung stellen elementare, präkognitive und unhintergehbare Movens des Subjekts in der Bezogenheit dar. Während jedoch Hin- und Abwendung tendenziell auf die körperliche Bewegung verweist, gleicht sich diese diametrale Grundbewegung auf affektiver Seite mit basalen Grundempfindungen der Angst und des Begehrens ab. Körper und Affekt stellen sich somit auf der elementaren Basis des In-der-Welt-seins verschränkt dar (vgl. ebd., 204). Ungeachtet dieses Perspektivwechsels auf existenzial-prozessuale Strukturen sieht sich Rosa in der Tradition vergleichbarer Unterscheidungen fundamentaler menschlicher Richtungskräfte, wie etwa William James »Ja!Ja!« sagenden Trieben und »Nein!Nein!« sagenden Hemmungen (vgl. ebd., 187) sowie Freuds psychologischem Bild des Triebes (weniger bekannt auch der Angst), wie es in ähnlicher Form beispielsweise Lacan und Deleuze aufgegriffen haben. Gegenüber dem Trieb indes aber distanzierte sich Freud von einer Verabsolutierung der Angst, wenn er anmahnte, dass man schwerlich affektive Prozesse verallgemeinern könne, wenn man nicht einmal wisse, was Affekte überhaupt seien. 2
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Ludwig Marcuse legte diese doch durchweg skeptische Haltung Freuds gegenüber einer verallgemeinerten, also über spezifisch herleitbare Ängste wie etwa die Geburtsangst hinausreichende Form einer Ur-Angst dar. Eine Skepsis, die seitens seiner Schüler Jung und vor allem Rank jedoch weniger geteilt wurde, welche dann letztlich die von Freud dezidiert beschriebenen verschiedenen Formen der Angst entgegen dessen ursprünglichen Intensionen zu einer allumfassenden »Trennungsangst« zusam-
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Angst und Begehren Als vorbewusste und unhintergehbare Urmomente der Beziehung selbst können Angst und Begehren jedoch auf nichts Spezifischeres gerichtet sein als die Bezogenheit selbst. Jenem rätselhaften Ursprung der Angst galt in bekanntlich hegelscher Distinktion Kierkegaards lebenslanges Kreisen um das Wesen der Angst in seiner reinsten Form, mit dem Ergebnis der Bestimmung der Angst als der Möglichkeit der Freiheit (vgl. Kierkegaard 1992, 181ff.). Entsprechend fiel auch Kierkegaards Freudkritik aus, wenn er der Psychologie jene Immanenz gar nicht erst zugestand. Wenn Heidegger ebenfalls das Nichts zum Gegenstand der Angst macht, dann jedoch mehr noch als Kierkegaard in existenzialontologischer Analyseabsicht (vgl. Kawamura 1973, 12). In der Intension, die ursprüngliche und ganzheitliche Struktur des In-der-Welt-seins zu bestimmen, derer sich nur faktisch mittels der alltäglichen Seinsart genähert werden kann, sieht Heidegger in der Angst jene der Seinsart wesenhaft zugehörigen Grundbefindlichkeit, in der dem Seienden in seinem Sein die ontologische Struktur selbst erschlossen ist (vgl. Heidegger 1972, 180ff.). Nichts meint hier ebenso kein totales Nichts, sondern nichts in der Welt, nicht bestimmbar im Hier oder Dort. Wovor die Angst sich abkehrt und somit in der Negativität verweist, ist das In-der-Welt-sein als solches. Sie gründet somit gerade nicht auf dem Vorhandenen (ebd., 186f.). Gemeint ist hier von Heidegger nicht die Welt als Gegenstand der Angst, als Summe allem Innerweltlichen, sondern eben jene strukturelle Ganzheit der Welt als solches. Die Angst als Grundbefindlichkeit ist somit ein Modus des Erschließens von Welt, in der das Sein dem Dasein selbst zu entfliehen sucht. Heidegger spricht daher auch von der »verfallenden Flucht des Daseins vor ihm selbst« (ebd.). Jene in der Angst fliehende Abkehr vor der Eigentlichkeit des Seins als Möglichkeit begründet den Modus des beruhigt-vertrauten In-der-Welt-seins, womit Angst als Grundbefindlichkeit des faktischen Daseins begründbar ist. Rekurrierend auf diese existenzphilosophischen Traditionen von Heidegger und Kierkegaard versteht auch Rosa Angst als Modus des Entfliehens, der Abkehr, jedoch nicht hin zum faktischen Zu- und Vorhandenen. Vor dem Hintergrund des prozesshaften In-der-Welt-seins bestimmt Rosa Angst eher als ein Zurückschrecken vor Welt im misslingenden Weltverhältnis oder als Angst vor dessen Verlust selbst. Angst bei Heidegger meint jedoch nicht Angst vor der Welt, sondern Angst vor dem Nichts und Nirgends der Welt an sich, dem »Unzuhause«, wie Heidegger es nennt. Es ist die Angst vor der Unsicherheit der Eigentlichkeit, der innerweltlichen, mit anderen geteilten Realität in der Kon-
menfassten, die aus der sozialen Abhängigkeit des Menschen von anderen Menschen herrühre. Vgl. dazu etwa Marcuse, L. (1956, 111f.) und Rank (1924).
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frontation mit dem In-der-Welt-sein selbst und damit der Relativierung jeder Realität zur Belanglosigkeit. Die Angst hat jedoch die Welt als das, was sie als Ganzes ist, bereits erschlossen (wenn auch nicht verstanden), insofern die Angst nicht vor der Welt flieht, sondern in der Angst um das In-der-Welt-sein gerade an jener Geborgenheit der innerweltlichen Realität wieder aufzugehen trachtet. Der Gegenstand der Angst entwirft sich also bei Rosa als ein anderer. Ist es bei Heidegger die Unheimlichkeit angesichts der Welt an sich, nicht im Sinne konkreter Weisen In-der-Welt-zu-sein, sondern der Kontingenz des Daseins selbst, richtet sich die Angst bei Rosa nicht auf das vor dem In-der-Welt-sein selbst, sondern nur um das In-der-Welt-sein. Den von Heidegger vorgetragenen Solipsismus macht Rosa somit nicht geltend. Angst bei Rosa meint mithin Angst um das In-der-Welt-sein, jedoch nicht, so die Vermutung, aus der »Bedrohlichkeit der Welt an sich« in der Angst. Vielmehr richtet sich das Wovor der Angst bei Rosa auf die »Bedrohlichkeit von Welt selbst«, nämlich der Bedrohung durch das zugewandte, gerade nicht in der Vereinzelung entbehrende In-derWelt-sein. Will man die Verschiebung von Rosas Angstbegriff zu dem Heideggers auf den Punkt bringen, so ließe sich wohl sagen, dass bei Heidegger die Angst das Subjekt unlängst aus der Welt gebracht hat, in welche dieses sodann in der Angst wieder zu fliehen sucht. Rosas Subjekt hingegen bleibt in der Welt, flieht indes jedoch in der Angst vor dem Verlust jenem In-der-Welt-seins in die Vereinzelung. Dies erklärt auch, warum Rosa das Subjekt in der Angst von der Welt zurückweichen, es gar gegenüber der Welt verschließen lässt. Der Gegenstand der Angst liegt hier sehr wohl in der Welt, jedoch in einem Ausschnitt der Welt, der dessen In-der-Welt-sein bedroht. Weiterführend zeigt sich hierin auch die von Rosa doch sehr viel markanter vorgetragene Bindung von Angst sowie Begehren in ihrer wechselseitigen Bedingtheit. Eine Bedingtheit, die selbst Rosa allerdings in ihrer Reichweite nicht hinreichend ausführt. Erklärt sich doch diese Angst vor dem Scheitern des In-der-Welt-seins erst und ausschließlich aus dem Begehren jener, wie auch umgekehrt jedes Begehren immer die Angst des Verlustes in sich trägt. Begehren muss demgegenüber ebenso grundlegend als Beziehungsbegehren verstanden werden und kann vielleicht sogar in die Nähe der von Heidegger gegenüber der Sorge (in der sich Angst enthüllt) geschiedenen Seinsphänomene Wille, Wunsch, Drang und Hang gesehen werden. Nur dass Rosa diese nicht der Grundbefindlichkeit der Angst unterordnet. Er erhebt das Begehren somit gegenüber Heidegger in einen gleichwürdigen Rang. Erschlossenheit und darauf gründende Befindlichkeiten und Verstehen sind somit kontradiktorisch, aber bedingen sich wechselseitig. Unangetastet bleibt dabei die von Rosa ebenso ange-
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führte Unterscheidung zwischen der spezifischen Furcht, etwa vor einer Spinne oder vor Arbeitslosigkeit, und der existenziellen Grundform der Angst. Begründungsansätze affektiv-leiblicher Grundbewegungen Stellt sich nun die Frage, was auf ein Subjekt repulsiv und was attraktiv wirkt? Was lässt ein Individuum in einem so vorbewussten und unreflexiven Bereich elementarer Grundbewegungen sich in der einen oder anderen Weise ausrichten? Zunächst einmal meinen Angst und Begehren in der Resonanztheorie keine Gefühlszustände, die auf etwas gerichtet sind, sondern elementare und vorreflexive Grundempfindungen als Grundmodi der Begegnung überhaupt. Rosa meidet daher selbst auch wertende Formulierungen, etwa in Form von positiven oder negativen, angenehmen oder unangenehmen Erfahrungen. Folgt man Rosas diesbezüglicher Argumentation zu Fritz Riemanns Grundformen der Angst und Emil Durkheims These zu den sozialen Ursachen des Selbstmords, so wird deutlich, dass er eben in den von beiden Theoretikern herausgestellten Polen der sozialen Bindung respektive Bindungslosigkeit sowie sozialer Strukturierung jene Randzonen identifiziert, welche die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer resonanten gegenüber einer stummen Beziehung wiedergeben (vgl. Rosa 2016a, 192ff.). Riemann skizziert in den Bereichen des Zuviel oder Zuwenig an sozialer Bindung die Grundformen der Angst vor dem Ich-Verlust einerseits sowie dem Welt-Verlust andererseits und beschreibt quer dazu verlaufend ein Zuviel oder Zuwenig an sozialer Strukturierung, innerhalb derer das sich tarierende Streben nach Wägbarkeit und Wandlung der Angst vor der unhaltbaren Wandlung oder aber der Angst vor der Unfreiheit anheimfallen kann (vgl. Riemann 1994). Vergleichbar mit Riemann lassen sich auch die von Durkheim unterschiedenen Typen des Selbstmordes als jene sozialen Extrempole einer aus dem Gleichgewicht geratenen Beziehungsdimension (egoistischer und altruistischer Selbstmord) oder Regulationsdimension (fatalistischer und anomischer Selbstmord) lesen. Bekanntlich mag die Zuspitzung zur These eines gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses leicht darüber hinwegsehen lassen, dass Durkheim ebenso explizit verdeutlicht, welche existenzielle und gesellschaftliche Bedeutung den konkreten Weisen sozialer Beziehungen beziehungsweise den subjektiven Bezugnahmen doch zukommt. Es wird also auch bei Durkheim bereits ein Anliegen deutlich, gegenüber äußeren Bedingungen die praktischen Weisen der Subjekt-WeltBeziehung in den Blick zu nehmen. »Der innere Zusammenhang der Familie ist kein entbehrlicher Luxus, den nur die Reichen sich leisten können, sondern im Gegenteil das tägliche Brot, ohne das die Gesellschaft
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nicht bestehen kann. So arm einer auch sein mag, so ist es sogar auch vom Standpunkt des persönlichen Interesses aus das Schlechteste, statt Kindern Kapital anzusammeln.« (Durkheim 1987, 222)
Was Durkheim hier auf die Familie zuspitzt, bedeutet keineswegs, dass diese Bindung nicht auch durch andere soziale Gruppen oder »soziale Elemente« (Durkheim) erreicht werden kann. Was er aber deutlich macht, wenn er vom täglichen Brot spricht, ist, dass Gefühle sozialer Verbundenheit, die Möglichkeit einer lebendigen, wechselseitigen Beziehung (Durkheim spricht hier vor allem vom Austausch von Gefühlen und gemeinsamen Erinnerungen) und das soziale Leben an sich für den Einzelnen wie für Gesellschaften konstitutiv sind. Die »Stärke« der Gesellschaft und des Individuums ergibt sich danach aus der Intensität des Gemeinschaftslebens, also aus dem lebhaften, aber auch regelmäßigen Verkehr zwischen den Individuen (vgl. ebd., 224). Hier spielt somit bereits die Regulationsdimension der Gesellschaft hinein, gemeint ist jedoch darüber hinaus die gesellschaftlich wirkmächtige Struktur der Regelhaftigkeit und damit Erwartbarkeit, woran Menschen ihre Bezugnahmen orientieren und Bedürfnisse normieren. In der Folge grenzt Durkheim den anomischen und fatalistischen Selbstmord dahingehend vom egoistischen Selbstmord ab, indem nicht die Beziehungslosigkeit im Mittelpunkt steht, sondern die Weisen, in der Welt zu sein, die durch nicht bewältigbaren Wandel oder fehlende Grenzen bodenlos oder durch Überregulierung bewegungslos geworden sind. Resonante und stumme Beziehungen Rosas Grundmotive elementarer affektiver Bewegungen im Prozess der Begegnung sind somit an den sozialen Grundbedürfnissen orientiert, jedoch in der Resonanztheorie gebündelt und damit letztlich am Bedürfnis einer resonanten Weltbeziehung ausgerichtet. Es bleibt nun jedoch zuletzt die Frage, woran sich, gemessen an den basal-affektiven Grundbewegungen, das Gelingen oder Misslingen einer Begegnung festmachen lässt. Um zu verdeutlichen, inwiefern sich mit den affektiv-leiblichen Grundbewegungen der Begegnung die Möglichkeit beziehungsweise die Unmöglichkeit von resonanten Beziehungen beschreiben lassen, sollen kurz die zentralen Charakteristika der Resonanzbeziehung skizziert werden. Resonanz ist in seinem Ursprung als akustisch-physikalisches Phänomen definiert als: »[...] eine spezifische Beziehung zwischen zwei schwingungsfähigen Körpern, bei der die Schwingung des einen Körpers die ›Eigentätigkeit‹ (beziehungsweise die Eigenschwin-
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gung) des anderen anregt. Schlägt man eine Stimmgabel an, beginnt die zweite, so sie sich in physischer Nähe befindet, in ihrer Eigenfrequenz mitzuschwingen.« (Rosa 2016a, 282)
Rosas Resonanztheorie übernimmt dieses zunächst mechanische Modell nun als strikt relationalen Begriff (vgl. ebd., 285) – und zwar als »eine spezifische Art und Weise des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt« (ebd.), behält dabei jedoch zentrale Voraussetzungen von Resonanz bei: zum einen den Umstand, dass es sich beim Resonanzphänomen um keine direkte Verbindung der Entitäten handelt, sondern um eine indirekte, aus der wechselseitigen Orientierung und Ausrichtung zueinander vermittelten Angleichungen der je eigenen Schwingungen – und damit Bewegungen. Übertragen auf die affektiv-leiblichen Grundbewegungen meint Resonanz also ebenso keine direkte Konstruktion von Grundbewegungen im Gegenüber, sondern ein zunehmendes Einpendeln der steten affektiv-körperlichen Grundmovens durch den Wechselprozess des Affizierens und Affiziert-Werdens, welches notgedrungen eine zunehmende Ausrichtung zueinander und aneinander bedarf. Zudem kommt ein weiteres mechanisches Charakteristikum zur Geltung. Denn die resonanzfähigen Entitäten müssen hinreichend geschlossen sein, um eine Eigenfrequenz entwickeln zu können, gleichzeitig jedoch hinlänglich geöffnet, um für die Schwingung von außen empfänglich zu sein. Diese etwas abstrakte Darstellung wird leicht verständlich, hält man sich beispielsweise die Form einer Gitarre oder Geige vor Augen. Modi der Begegnung lassen sich folglich danach unterscheiden, wie das Subjekt bewegt wird und sich gleichsam als wirksam in dieser Begegnung erfährt, inwieweit das Subjekt sich sowohl als zweite als auch als erste Stimmgabel erfährt, so Rosa. Ursachen für das Misslingen zugewandter affektiver Grundmovens können also sowohl seitens des Subjektpols zu finden sein, etwa »[...], weil sich das Subjekt ›verhärtet‹ oder verschließt, wenn es starr wird und damit unfähig, auf Welt empathisch zu reagieren, oder aber »sich das Subjekt zu radikal öffnet oder an die Welt verliert [...].« (Ebd., 191) Auf Weltseite hingegen sieht Rosa das Scheitern von Resonanzbeziehungen dann begründet, »[...], wenn die Welt sich ihrerseits als durchgehend verdinglicht und verhärtet [...] erweist« oder aber »wenn umgekehrt die Bewegungen der Welt so unberechenbar und chaotisch sind, dass in der Kakophonie keine Frequenz oder Stimme auszumachen ist [...].« (Ebd.) Angst, der Polarisierung der beiden Kontinuen der sozialen Bindung und Ordnung entlehnt, muss somit sehr elementar verstanden werden als Angst vor der Unmöglichkeit von Resonanz – nämlich dann, wenn die sozialen Bindungen und kollektiven Strukturen dem Subjekt als repulsiv erscheinen, also ein Anverwandeln nicht ermöglichen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Individuen ihre
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gesteckten Orientierungspunkte verlieren, notwendige Ziele durch gesellschaftlichen, technischen oder wissenschaftlichen Wandel ins Unerreichbare entschwinden beziehungsweise Empfindungen – ähnlich einem »Hamsterrad mit Karotte« – immer so weit verschoben werden, dass jeglicher bisher zurückgelegte Weg immer wieder bedeutungslos zu werden scheint. Vergleichbar hat auch Durkheim die eigentlichen existenziellen Risiken identifiziert, wenn er vorführt, dass Zeiten des Fortschritts, wie sie etwa Weltausstellungen markieren, mit nicht minder vielen Selbstmorden bezahlt werden müssten wie Zeiten ökonomischer Krisen (vgl. Durkheim 1987, 281f.). Das Individuum kann dann in seiner Welt nicht wirken. Mehr noch: Angst behindert oder verhindert gar das Sich-Öffnen oder Sich-Einlassen des Subjekts auf die Welt, lässt es zurückweichen und sich gegen Welt verschließen und »macht es tendenziell begegnungsunfähig« (Rosa 2016a, 206). Begehren stellt sich demzufolge dar als eben jenes existenzphilosophisch begründete Begehren nach dem Erlangen oder Aufrechterhalten eines resonanten, wenn man so will: lebendigen Verhältnisses zur Welt. Im Grunde ist damit jedes Begehren ein Beziehungsbegehren und »bildet den Antrieb für jede Bewegung in die Welt hinein« (ebd., 200). Mehr noch: Als Begehrensenergie (libido) beschreibt jene Bewegung nicht nur ein Streben hin zur Welt, ein Sein mit oder in der Welt, sondern eine Anverwandlung mit ihr. Dies schließt somit eine stückweise Transformation ein. Das Subjekt bestimmt sich selbst dann teilweise aus den Erfahrungen dessen, was Welt ist, wie umgekehrt sich Welt immer auch aus Konstitutionen des Selbst definiert. Auf der basalen Ebene der Weltbeziehung bleibt die Begehrensenergie des Subjekts ein ungerichteter wie auch unstillbarer affektiv-leiblich verankerter Antrieb. Er öffnet jedoch das Subjekt und macht es damit für die Welt zugänglich. Dabei sei jedoch an das von Rosa angeführte relationale Verhältnis von Subjekt und Welt erinnert. Affektive Grundmodi sind nicht nur Ausdruck, sondern immer auch bereits Ergebnis der Beziehung. Passungsverhältnisse der Attraktion und Repulsion, des Affizierens und affektiv Reagierens bestimmen sich nicht nur situativ, sondern immer erst biografisch komplementär. Insofern kann das, was situativ oder individuell als feindliche Welt, etwa als soziale Kälte oder Unsicherheit, empfunden wird, nur sehr vorsichtig verallgemeinert werden. Soziale Bedingungen, die Passungsverhältnisse so entscheidend beeinflussen können, sind entsprechend weniger über die Gestalt guter oder schlechter Ressourcen erfassbar als vielmehr über ihre Bedeutung für die Verhältnisse, die Menschen in eine bestimmte Weise in ihre Welt stellen. Schlussendlich aber bleiben die Grundbewegungen der Angst und des Begehrens als unhintergehbare, präkognitive und leiblich-affektive Tiefenstrukturen des Subjekt-Welt-Verhältnisses
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selbst in der Resonanztheorie etwas Ungreifbares (vgl. ebd., 202). Dies gilt zum einen deswegen, weil sowohl eine zu starke Ausprägung als auch ihr Verblassen als Zeichen für Entfremdungssituationen und damit als bedrohlich gedeutet werden können, zum anderen aber wohl auch, weil sie als Grundempfindungen unhintergehbar und mitunter mehrdimensional verschlungen sind (vgl. ebd., 188). Denn selbst die Differenzierung zwischen resonanten und stummen Weltbeziehungen ist nicht zu strikt zu sehen, sondern erfüllt eher methodische Zwecke. Rosa selbst geht sehr wohl davon aus, dass Weltbeziehungen sich als Mischformen darstellen (vgl. ebd., 56). Resonanzachsen und Ebenen der Begegnung Wurde eingangs angeführt, Welt sei alles, was dem Subjekt im In-der-Welt-sein gegenübertreten kann, also neben Menschen und Dingen auch Räume, Aufgaben, Ideen, Meinungen, Musik, die Natur etc., führt Rosa hierzu die Unterteilung zwischen horizontalen, diagonalen und vertikalen Dimensionen der Weltbeziehung ein. Die horizontale Achse umfasst alle sozialen Beziehungen von intimen, familiären Beziehungen und Freundschaften bis hin zu politischen Beziehungen. Diagonale Resonanzsachsen hingegen meinen Beziehungen zu Objektdingen. Die dritte, als vertikale Dimension bezeichnete Achse verweist indes auf die Beziehung von Subjekten zu umfassenden Wesenszügen von Welt und Dasein selbst, die Rosa mitunter auch als Kollektivsubjekte benennt. Diese von Rosa vorgenommene Unterscheidung dient allerdings weniger der systematischen Differenzierung des Resonanzmodells in Hinblick auf Erläuterungen dahingehend, in welcher Weise sich die sozioökonomisch und soziokulturell geprägten affektiven Grundbewegungen in situativ konkrete affektive Phänomene und Beziehungsverhältnisse übersetzen, denn der Darstellung der vielschichtigen und breitflächigen Bedeutung jener Modi der Begegnung. Mit Blick jedoch auf das Vorhaben einer systematischen Herausstellung der Strukturen des Affektiven muss differenzierter in Augenschein genommen werden, auf welchen unterscheidbaren Ebenen Subjekt und Welt in Beziehung zueinander stehen. Ausgangspunkt der Überlegung bildet die Annahme, dass je nach Art der sich begegnenden Entitäten sowie Voraussetzungen etwa einer leiblichen oder kognitiven Beteiligung ebenso die Ebenen der Begegnung und in der Folge auch die damit einhergehenden affektiven Dynamiken zu unterscheiden sind. Dazu soll sich an der in der Resonanztheorie weniger systematisch denn vorwiegend beiläufig unterstellten Unterteilung verschiedener zeitlicher Ebenen der Weltbeziehung – einer primären und vollständig vorreflexiven Ebene der Begegnung gegenüber einer voraussetzungsreicheren gerichteten Ebene der Verkettung kogni-
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tiver Wechselbezüge und schließlich einer kognitiv-evaluativen Begegnung mit transzendenten Entitäten – orientiert werden. Dimensionen des Beteiligtseins Grundsätzlich muss das Dasein immer als etwas Ganzheitliches verstanden werden. Ganzheit meint aber nicht Einheit. Beschreiben lässt sich das Dasein für Rosa daher nur in untereinander wechselwirkenden Verschränkungen verschiedener Dimensionen des Beteiligtseins: leibliche, affektive, kognitive und evaluative. Die Bedeutung und Präsenz dieser Dimensionen unterscheiden sich jedoch nach Art und Ebene der Begegnungen. Dem Körper räumt Rosa als eine Dimension in der Weltbeziehung einen hervorgehobenen Stellenwert ein. Nicht aufgrund einer herausragenden Dominanz, sondern eher begründet auf dem grundlegenden Charakter des Leiblichen. »Die naheliegendste und grundlegendste Antwort auf die Frage, wie wir in die Welt gestellt sind, lautet: Mit den Füßen.« (Rosa 2016a, 83) Neben dem unweigerlich leiblich bestimmten Richtungssinn, der unbestritten die Orientierung in der Welt prägt, sei es jedoch die Haut, die auf physischer Ebene die »entscheidende ›Schnittstelle‹ für jede leibliche Weltbeziehung« (ebd., 85) darstelle. Die Haut macht die physische Grenze zwischen innen und außen, zwischen Subjekt und Umwelt, auf körperlicher, wenngleich nicht zwangsläufig leiblicher Ebene aus. Insofern stellt sich der Bereich leiblicher Beteiligung und Grenzziehung zwischen subjektivem Leibgefühl und weltlicher Atmosphäre in Begegnungen als eine sich zwar ebenso räumlich beschreibbare Resonanzbeziehung dar, jedoch gerade nicht im Sinne physikalischer Räume. Deutlich unterscheiden lässt sich dieser Aspekt der Weltbeziehung gegenüber denen deutend-sinngebender und wertend-urteilender Art, die Rosa als kognitive und evaluative Kartierungen beschreibt. Sie konstituieren sich als kollektive Landkarten davon, was Welt ist und welche Bedeutung den verschiedenen Weltausschnitten zukommt. Das ganzheitliche In-der-Welt-sein meint also die Verschränkung räumlich-leiblicher, kognitiv-evaluativer und abstraktgrundlegender Begegnungen mit Welt, wobei sich Subjekt und Welt erst in jener komplexen Weise der Weltbeziehung quasi ad hoc konstituieren. Ad hoc meint dabei jedoch nicht, dass die Möglichkeiten von Selbst und Welt völlig unbedingt sind. Die verschiedenen Zeitlichkeiten der Begegnungen verbinden immer das zuvor Gewesene mit spontaner Präsenz, wie sie auch immer auf das, was sein wird, antizipierend vorgreifen.
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Primäre Ebene der Weltbeziehung Die primäre Ebene der Weltbeziehung beschreibt Rosa als die basale, unmittelbare Resonanzachse zwischen Leib und Raum. Diese unterste Ebene der Weltbegegnung stellt eine präkognitive und unhintergehbare Beziehung zwischen Subjekt und dessen Umwelt dar, deren Wechselspiel sich in der alle Entitäten umschließenden primären Stimmung widerspiegelt. Diese Ebene erachtet Rosa folglich auch als zentral prädisponierend für mögliche darauf aufbauende Weisen der Weltbeziehung. Die zeitliche Vorrangigkeit dieser räumlichen Weltbeziehung kann jedoch nicht schlicht linear zeitlich gemeint sein, sondern kann der primären Resonanzebene letztlich nur deshalb zugesprochen werden, weil sie schlicht reaktionsfähiger und damit auch fluktuierender ist (vgl. ebd., 633ff.). Angst und Begehren als Grundmovens der Begegnung erweisen sich gerade auf dieser primären, noch ungerichteten Ebene der Weltbeziehung als elementar für die sich daraus entwerfenden Konturen von Selbst und Welt. Gleichwohl geht Rosa bereits auf dieser grundlegenden Beziehungsebene davon aus, dass die Verkettung von affektiv-räumlicher Wahrnehmung und Angebotscharakteren kulturell geprägt und vorstrukturiert sind. Wenngleich also räumliche Begegnungen grundsätzlich kognitiven Strukturierungen vorauszugehen scheinen, sind sie von prädisponierenden Konturen des Selbst und Welt beeinflusst und überlagern oder verändern diese gar zunehmend (vgl. ebd., 204). In dieser Verkettung genuiner und kultureller Segmente zeigt sich die Nähe der Resonanztheorie zur anticartesianischen Grundüberzeugung von Charles Taylor, Hubert Dreyfus oder Paul Ricœurs, denen zufolge individuelle Selbst- und Weltdeutungen »all the way down« (ebd., 214, vgl. auch Dreyfus und Taylor 2016) reichen. Die Frage, worin der Kontakt zwischen Subjekt und Welt eigentlich bestehe, würde demnach damit beantwortet werden, dass das subjektive Verständnis von Welt auf der grundlegendsten vorbegrifflichen Ebene immer eine Koproduktion ist, die vom Subjekt und der Welt gemeinsam zustande gebracht wird. Das Verständnis von Welt liegt somit in der Interaktion begründet, rekurrierend auf den der Welt unabdingbaren Angebotscharakter, der lediglich in der umgreifenden Destruktion eines umfassenden Traumcharakters, des Irrealen, seine Unabdingbarkeit verlöre (Dreyfus und Taylor 2016, 175). Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass »Weltbeziehungen niemals schlechthin gegeben sind, sondern in individuellen und kulturellen Deutungsprozessen stetig artikuliert, rekonstruiert, verhandelt und transformiert werden« (Rosa 2016a, 215). Dies gilt jedoch uneingeschränkt für alle Ebenen der Weltbeziehung.
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Gerichtete Ebene der Weltbeziehung Hauptaugenmerk der Resonanztheorie gilt indes der gerichteten Weltbeziehungen, die sich in alltäglichen Begegnungen, institutionalisierten Praxen und soziokulturellen Riten realisieren. In jenen sind kognitive und evaluative Aspekte wie Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen und Wertungen in der Gerichtetheit auf Welt immer schon mit primären affektiv-leiblichen Resonanzachsen verflochten. Das heißt, Rosa sieht hier ein komplexes, mehrfach miteinander verwobenes wechselseitiges Antwortverhältnis. Entsprechend übersetzen sich die elementar ungerichteten Bewegungen der Angst und des Begehrens in konkreten Weltbegegnungen des Subjekts bereits in gerichtete Kräfte, als Furcht vor etwas oder Bedürfnis nach etwas. Als auf einen spezifischen Weltausschnitt gerichtetes Haben-Wollen, Hoffen, Entdecken oder eine Furcht vor Feuer oder Arbeitslosigkeit können sozial und kulturell generierte von anthropologisch invarianten Grundformen kaum mehr differenziert werden. Und noch ein weiterer Aspekt kristallisiert sich in dieser Argumentationslinie heraus: Konkrete Weltbeziehungen scheinen demzufolge das Ergebnis individueller, doch vor allem kultureller Praktiken und Riten zu sein und bestimmen über jeweils spezifische, ja praktische Modi der Weltbegegnung in der Folge nicht nur, wie dem Subjekt die Welt begegnet und es zur Stellungnahme gezwungen wird, sondern auch, was ihm überhaupt begegnet. Wie das Subjekt sich selbst und die Welt interpretiert, so Rosa, ist zuallererst Ergebnis von Handlungen, also den praktischen Weisen und Bedingungen des Begegnens. Dabei sind natürlich »Selbstinterpretationen immer und notwendig auch Weltinterpretation […] und umgekehrt« (Rosa 2016a, 215). Das Kriterium der Zeitlichkeit stellt sich auf der Ebene der gerichteten Begegnung zudem gegenüber der primären Ebene deutlich voraussetzungsreicher dar. In der gerichteten Verflechtung auch kognitiver Dimensionen menschlichen In-der-Welt-seins obliegt jener Beziehung eine Mittelbarkeit. Folglich könnte dieser Ebene die kognitiv erfassbare Zeitlichkeit dessen zukommen, was vom Individuum als Moment wahrnehmbar ist. Transzendente Ebene der Weltbeziehung Von der unmittelbaren, vorreflexiven Ebene sowie der alltäglichen, von routinierten und mitunter nur teilreflektierten Praktiken geprägten Ebene der Weltbeziehung unterscheidet sich die transzendente Ebene der Weltbeziehung durch eine relativ beständige, nur langsam und vor allem infolge bedeutsamer Erfahrungen wandelbaren Beziehung transzendenter Formeln von Welt und Selbst. Auch auf dieser Ebene der Weltbeziehung finden sich soziale und objektive Resonanzachsen, wenngleich nicht in situativ-gelebter, sondern in grundlegender Art und Weise, etwa in Hinblick auf Grundeinstellungen zur Bedeutsamkeit familiärer
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Bindungen oder Freundschaften für einen selbst oder für Gesellschaften als Ganzes. Im Kern trifft es jedoch vor allem jene Arten von Beziehungen, die Rosa mit der vertikalen Resonanzachse einführt. In dieser Achse kommt die Gesamtreaktion des Menschen auf das Leben3 zum Ausdruck und der Begegnung mit jenen Wesenheiten, die über das Leben selbst hinausreichen. Sie beschreibt damit jene Ebene der Weltbeziehung, auf welcher Rosas grundlegende Stellungnahmen und Grundhaltungen der Subjekte auf dem Spiel stehen. Vielleicht ließe sich hier auch der Gegenpol zu Charles Taylors punktförmigem Selbst erkennen, indem das Subjekt in der transzendenten Weltbeziehung seine eigene Oberfläche geradezu unbegrenzt vergrößern kann, in einem von Sinn und Zeit erfüllten Raum alles umfassender und alles verbindender Bedeutsamkeit. So Rosa: »Auch in den vertikalen Achsen geht es um Weltbeziehungen, nicht um Überweltliches, doch steht in dieser Dimension die Beziehung zur Ganzheit dessen, was uns als Subjekten gegenüber steht – was uns umgreift, auf dem Spiel.« (Rosa 2016a, 501) Diese Selbst- und Welttranszendenz ermöglicht erst die grundlegende Verortung des Individuellen im Ganzen, die Empfindung von Normalität, Kreativität und Lebendigkeit in Bezug zu einem antwortenden oder stummen Ganzen. Entsprechend kann bei dieser Ebene nicht von einer situativen, sich im aktuellen Geschehen entfaltenden Zeitlichkeit gesprochen werden. Gleichwohl muss angenommen werden, dass auch diese Ebene der Weltbeziehung einen permanenten Prozess und kein exklusives Ereignis darstellt, das Subjekt also in einem ständigen Wechselverhältnis eigener Stellungnahmen zu denen seitens Welt sich grundlegend präsentierenden Wesenszügen steht. Als beständige Narrativierung von Selbst und Welt sowie deren Geschichtlichkeit überdauert diese Ebene jedoch einzelne wandelbare Situationen und begründet somit überspannende Grundgestimmtheiten sowie die Qualität von Weltbeziehung überhaupt. Die Sorge um das Ende etwa der Natur oder des Natürlichen, das Ende der freien Künste oder das Ende der Geschichte, wie Rosa es einbringt, begründet sich somit nicht in deren tatsächlichem Ende, sondern in der Sorge vor einer fortschreitenden Zusammenhangslosigkeit, welche die innere Verbundenheit von Welt und Selbst betrifft. Diese Sorge gibt somit die Angst vor dem Verlust einer transzendenten Resonanzfähigkeit wieder, in welcher das Subjekt einer so existenzialen und unverfügbaren Macht gegenübersteht, der es sich jedoch in der Ich-Du-Beziehung nach Buber (vgl. Buber 1994) anzuverwandeln, sich dieser existenzialen Größe selbst hinzugeben und in ihr aufzugehen vermag. Nicht zuletzt können entsprechende Gegenszenarien des Verlusts aller Natürlichkeit oder
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Diese Aussage beruht auf einem von Rosa angeführten Zitat von William James zum Wesen der Religion. Vgl. Rosa (2016, 436); James (1982).
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Religion, immer auch so unerbittlich und beklemmend wirken, weil sie jene existenziale Ganzheit ebenso entwerfen, derer sich das Subjekt jedoch nicht mehr anverwandeln kann und somit auf seine räumlichen und situativen Grenzen verwiesen wird. Dadurch gibt die spezifische Art jener Weltbeziehungsebene bereits andeutungsweise ein nicht unwesentliches Einfallstor kollektiver Prädispositionsstrukturen sowie Ansätze zur Erklärung gesamtheitlich verfasster, jedoch nicht propositional hinlänglich umfasster sozialer Wandlungsprozesse vor.
STRUKTUREN DES AFFEKTIVEN AUS DER PERSPEKTIVE DER WELTBEZIEHUNG Ist man den bisherigen Skizzierungen zum Modell der Weltbeziehung soweit gefolgt, lässt sich resümieren, dass die prozessuale Figur kontradiktorischer Begegnungsmodi von Subjekt und Welt den argumentativen Kern der Resonanztheorie ausmacht. Denn ohne stete und hintergründig affektive Bewegungen lässt sich die Dynamik im wechselseitigen Prozess resonanter und stummer Weltbeziehungen nicht erklären. Die dynamische Prozessstruktur der Begegnung mindestens zweier Entitäten ist damit zugleich aber auch zentraler Ausgangspunkt, wenn es um eine nähere Differenzierung affektiver Strukturen geht. Wurde bisher entlang der Struktur der Resonanztheorie der Rahmen jener Komplexität des Affektiven abgesteckt, soll es im Weiteren nun vertieft darum gehen, zwischen affektiven Hintergründen im Prozess der Begegnung und abgrenzbaren affektiven Dynamiken entlang der differenzierbaren Ebenen der Begegnung zu unterscheiden sowie diese zu konkretisieren. Grundsätzlich möglich erscheint dies zunächst einmal aus der in der Resonanztheorie thematisierten Verschränkung mikroprozessualer Begegnungsweisen und (sozialer) Beziehungen wie sozialer Praktiken einerseits und dem sozioökonomisch und soziokulturell Prädispositionalem andererseits heraus. Einschränkend gilt es jedoch gleich mehrere Dinge zu beachten: Zunächst einmal behandelt die Resonanzkritik den Prozess der Weltbeziehung in seinem allgemeinen Ablauf, womit das Subjekt-Welt-Verhältnis in der Regel sehr grundlegend thematisiert ist. Dies hat zur Folge, dass die Betrachtung zumeist nicht über dyadische oder gegebenenfalls auch triadische Resonanzachsen hinausgeht und somit die im tatsächlichen In-der-Welt-sein zusammentreffenden, miteinander wechselwirkenden oder sogar miteinander konkurrierenden Angebotscharaktere nicht in den Blick nimmt. Unter dem Gesichtspunkt der Bestimmung komplex verfasster Ebenen der Begegnung wird jedoch eine differenziertere Betrachtung notwendig sein. Zumal Rosa unterstellt werden darf, dass er angesichts der grö-
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ßeren Erklärungsbedürftigkeit spezieller Weltausschnitte, wie etwa Natur oder Religion, andere, vor allem klassische Face-to-face-Interaktionen eher selbsterklärend behandelt hat. Nichtsdestotrotz muss man davon ausgehen, dass die soziale Dimension der Weltbeziehung, unabhängig davon, auf welcher Ebene diese relevant wird, für affektive Aspekte einen besonderen Stellenwert haben dürfte. Eine zweite erhebliche Einschränkung mit Blick auf die Rekonstruktion eines Modells des Affektiven bringt die Theorie der Weltbeziehungen schlicht dadurch mit sich, dass sie keine emotionssoziologisch ausgerichtete Arbeit ist. Diese Begrenzung sollte nicht unterschätzt werden. Es gilt sie vor allem dann zu berücksichtigen, wenn nicht ohne Weiteres von Beschreibungen spezifischer affektiver Beziehungsmodi auf gefühlsmäßige Qualitäten des Subjekts geschlossen werden darf. Zwar gibt Rosa an etlichen Stellen explizite Hinweise auf eine qualitative Übersetzung in Zustände des Beziehungsempfindens, dennoch bleibt diese Übersetzungsproblematik ein kritischer Punkt in der Übertragbarkeit dynamischaffektiver Prozesse auf Aussagen zu entsprechenden Formen des Erlebens, die es demnach mit besonderer Sorgfalt darzulegen gilt. Affektive Hintergründe und Prozesse der Begegnung Die zu beachtende zentrale Unterscheidung ist zunächst die zwischen den einander entgegengesetzten affektiven Modi des Begegnungsprozesses selbst, Angst und Begehren, und sich in konkreten Beziehungen dann dynamisch entwerfenden affektiven Prozessen. Sie haben sich in den Darstellungen zu den verschiedenen Ebenen möglicher Weltbeziehungen bereits abgezeichnet. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, ihre Charakteristika schärfer zu konturieren und sie somit voneinander zu unterscheiden. Performativ-affektive Grundmodi der Begegnung als stete affektive Hintergründe begründen sich in der Vorstellung einer zumindest im Dasein berechtigten zwingenden Gespanntheit zwischen dem erlebenden Selbst und dem von diesem Erlebten, die sich aus der in der notwendig wechselseitig aufeinander bezogenen Bewegung entwirft. So muss dieses Verhältnis als aus seiner relativen Differenz heraus betrachtet werden, nicht aus seiner möglicherweise absoluten Einheit. Kurzum, so macht es Rosa mit Blick auf Weltbeziehungen allgemein vor, können affektive Strukturen nur aus der komplementären Perspektive von Empfindungszustand und dynamischem Begegnungsprozess vollständig erfasst werden. Die Grundlage dafür bietet die Beschreibung der prozesshaften Strukturen von Begegnung selbst und mit ihnen der affektiven Grundmodi der Angst und des Begehrens. Als solche stellen Letztere zwar affektive Grundempfindungen dar, können vom Individuum jedoch in ihrer Reinform nicht erfahren wer-
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den. Angst und Begehren verweisen daher auf eine grundlegend binäre Grundstruktur affektiver Hintergründe und meinen als solche die konstitutiven Grundelemente des steten In-der-Welt-seins selbst. Um nun den Unterschied von affektiven Grundmodi zu den affektiven Prozessen deutlich zu machen, die sich erst in den jeweils spezifischen Weltbeziehungen entwickeln und zu beschreiben, wie sich affektive Prozesse als Stimmungen oder Grundgestimmtheiten der Weltbeziehung bei Rosa hervortreten, soll ein kurzes Beispiel angeführt werden. Grundlage ist die unterstellte Verschiedenartigkeit der Beteiligung existenzieller Aspekte des Daseins. Dieser Behauptung liegt die Annahme zugrunde, dass auf den verschiedenen Ebenen der Weltbeziehung, die realiter natürlich immer ineinander verwoben sind, analytisch unterscheidbare Bereiche des räumlich-leiblichen, kognitiv-evaluativen und evaluativ-transzendenten In-der-Welt-seins unterschiedliche Dominanz zeigen. So muss etwa davon ausgegangen werden, dass das leiblich-räumliche In-derWelt-sein ein sehr grundlegendes ist. Die primäre Ebene der Weltbeziehung meint eben dies. Auf der gerichteten Ebene der Weltbeziehung, etwa in sozialen Interaktionen oder beim Autofahren, kann das leibliche In-der-Welt-sein zumindest nicht mehr als das alleinige angenommen werden. Hingegen muss insbesondere mit Blick auf transzendente Weltbeziehungen die Dominanz kognitivdeutender und evaluativ-urteilender Beteiligungen als tendenziell zunehmend angenommen werden, während räumlich-leibliche Dimensionen zurückweichen. So lautet zumindest die Grundannahme hinter der Explikation jener Ebenen. Damit würde beispielsweise behauptet werden, dass Geschehnisse – etwa die Wärme eines berührenden Sonnenstrahls, das Fahren zur Arbeit am Morgen und das gleichzeitige Nachdenken über die für einen selbst vertretbarste Weise, jeden Tag diesen Weg zu absolvieren – eine gewisse Bedeutung für das Subjekt haben. Während sich jedoch der warme Sonnenstrahl als Ikon seine Bedeutsamkeit in der leiblich-räumlichen Präsenz dessen, was er selbst ist, ohne auf etwas anderes zu verweisen, bereits ausgeschöpft hat, verweist das Fahren zur Arbeit auf eine grundlegende gesellschaftliche Institution. Dessen Bedeutung trägt damit jedoch nichts für das einzelne Subjekt existenziell Bedeutsames bei, denn als gesellschaftlich institutionalisierte Praxis betrifft diese Praxis grundsätzlich sehr viele Menschen – sei es nun der tagtägliche Weg in die Firma, Klinik, Universität, Schule oder auch ins Kinderzimmer. Die Frage hingegen, wie man zur Arbeit kommen will, mit dem eigenen Auto, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß, zielt durchaus auf grundlegende Stellungnahmen und Wertungen ab. Die Notwendigkeit der analytisch gesonderten Betrachtung der Ebenen der Begegnungen führt dieses kurze Beispiel insofern vor Augen, als sich beispiels-
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weise der Frage zugewendet werden soll, warum sich prinzipielle Grundhaltungen von Individuen, etwa ökologische oder soziale Aufgeschlossenheit und generelles Verantwortungsbewusstsein, statistisch nicht mit dem tatsächlichen Verbraucherverhalten abgleichen lässt. Denn hierbei spielen neben konkret wertenden Aspekten beispielsweise ebenso spontan-ästhetische mit hinein, wie das Wetter, die qualitative Ausstattung des Autos gegenüber den lokalen Stadtbussen etc., um noch einmal das eben angeführte Beispiel aufzuzeigen. Es zeigt damit, dass jene Fragen nicht nur anhand kognitiver und evaluativer Aspekte hinreichend erklärbar sind, sondern ebenso einer differenzierten Betrachtung beteiligter affektiver Phänomene bedarf. Eine solche Differenzierung soll im Folgenden in Anlehnung an die Soziologie der Weltbeziehung zumindest angebahnt werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn affektive Hintergründe wie Angst und Begehren in ein nachvollziehbares Verhältnis zu affektiven Dynamiken, wie etwa Stimmungen und Grundgestimmheiten, gesetzt werden können, um damit die Verschränkung affektiver Prozesse mit sozialen Praktiken und Beziehungsverhältnissen einerseits, aber auch mit kulturellen Dispositionen andererseits adressieren zu können. Wie die vorangegangenen Überlegungen aber auch deutlich gemacht haben, lassen sich die bereits konturierten Umrisse affektiver Hintergründe und Phänomene nicht schablonenhaft und konvergent zur systematischen Entwicklung der Resonanzkritik entnehmen. Denn Annahmen dazu werden in der Soziologie der Weltbeziehung Rosas eher punktuell eingebracht und entwickeln sich sukzessiv. Die Analyse der Strukturen des Affektiven bleibt damit immer eine explorierend abgleichende. Stimmungen auf der primären Ebene der Beziehung Stimmungen finden sich in der Soziologie der Weltbeziehung auf der vorbewussten, primären Ebene der Begegnung wieder und gehören damit zu den kontextuell dispositionalen Elementen gerichteter Weltbeziehungen. Die dieser Zuordnung zugrunde liegende Annahme lautet, dass die Art und Weise der basalen Bezogenheit zwischen Subjekt und Welt im entscheidenden Maße davon abhängt, in welchem sozialen und physischen Raum sie stattfindet, genauer gesagt, wie die leiblich-räumlichen Resonanzqualitäten von Subjekt und Raum zusammenpassen. Räumliche Resonanzqualitäten unterscheiden sich mitunter stark, beispielsweise zwischen urbanen und ländlichen Siedlungen, zwischen freundlich-angenehmen und schroff-lebensfeindlichen Naturräumen, verschiedenen sozialen Konstellationen und Lebenswelten etc.:
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»So lassen sich etwa heitere und düstere, freundliche und feindliche, warme und kalte, gleichgültige und aggressive, trotzige und gelöste, melancholische und ausgelassene Stimmungen unterscheiden, die als solche ebenso dem Raum (der Landschaft, dem Wetter, der sozialen Gruppe) wie dem Subjekt selbst zuzukommen scheinen.« (Rosa 2016a, 636)
Stimmungen umfassen demnach Subjekt und Welt gleichermaßen, worin Rosa jedoch keine beiden Entitäten zukommende ursprüngliche Einheit begründet sieht, wie dies etwa Ludwig Binswanger oder Otto Friedrich Bollnow tun, wenn sie von »gestimmten Räumen« sprechen. Beide rekurrieren auf »das gemeinsame, Mensch und Welt zusammen umgreifende Durchzogensein von einem bestimmten Stimmungsgehalt« (Bollnow 2009, 26, vgl. auch Binswanger 1994, 123ff.). Rosa stellt sich dem entgegen. Wenn sich Stimmungen dennoch beiden Entitäten zuordnen lassen, dann versteht er dies nicht als deren gemeinsam zukommendes Merkmal oder partizipierte Eigenschaft aufgrund einer ursprünglichen Einheit, sondern es ist Ausdruck der situativen, aus ihrer jeweiligen Beziehung begründeten Bezogenheit und damit interaktiven Einheit heraus. Rosa sieht sich an dieser Stelle ganz in der Tradition Heideggers, der bekanntlich Stimmungen aus der Weise des In-der-Welt-seins selbst aufsteigen sieht. Insbesondere in Heideggers Beschreibung der Stimmung, die das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen hat und damit ein »Sichrichten« erst möglich macht (Heidegger 1972), zieht Rosa eben jene Bestätigung der Stimmung als Bezogenheit und Ausgang jeder gerichteten Begegnung. Insofern ist Stimmung nicht etwas, das innen und außen gleichermaßen durchzieht, sondern sich aus der Begegnung beider Entitäten heraus zwischen beiden aufspannt und somit erst mit dieser konstituiert. Zwei zentrale Grundannahmen Rosas zum Wesen von Stimmungen lassen sich demnach festhalten. Zum einen kann die Stimmung als Ausdruck ihrer Bezogenheit aufeinander weder vorangehend noch nachwirkend sein. Demgemäß bestimmt sich die Begegnung immer als eine Voraussetzung von Stimmung. Auch stellt damit der Rahmen kulturell und sozioökonomisch möglicher Weltbeziehungen, wie er sich jeweils individuell, schichtspezifisch, kulturell und zeitgeschichtlich formt, immer auch die zunächst räumliche Grenze begründbarer Stimmungen dar. Zum anderen können Stimmungen nicht als einfach gegeben angenommen werden, die aus einer ursprünglichen Einheit allen Seins sowohl Subjekt wie Welt gleichermaßen durchziehen, sondern als sich aus der primären Bezugnahme zweier Entitäten als Ausdruck der Bezogenheit zwischen beiden entfaltend. Es bedarf also mindestens zweier wechselwirkungsfähiger Entitäten. Im Klartext lässt sich daraus deduzieren, dass die noch so befriedende Stimmung, die einer sich im Lichte der Abenddämmerung ausbreitenden Landschaft
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zugeschrieben wird, nicht ohne das vernehmende Subjekt aufkommen kann. Ebenso kann jeder noch so tief im Subjekt verankerte Trübsinn erst in der entsprechenden situativen, räumlichen Eingebundenheit des Subjekts zur Stimmung in der jeweiligen spezifischen Weise avancieren, wenn auch in beiden Fällen die Hauptinitiatoren der anwandelnden Stimmung einmal eher im Außen und im anderen Fall eher im Subjekt verortet zu sein scheinen. Weitaus eingängiger indes erweist sich diese Einsicht mit Blick auf soziale Stimmungen, deren interaktive Genese augenscheinlich ist. Eine gelöste Stimmung auf einer Party entsteht erst im Zusammenspiel mehrerer Individuen, die diese Stimmung in just jenem Erleben entwickeln können. Eine einsam von der Decke herabhängende Discokugel vermag dies hingegen nicht. Etliche der die Stimmung merklich zu beeinflussen vermögenden physischen und sozialen Aspekte der Umwelt, wie sie etwa bei der Gestaltung von Shoppingcentern, Freizeitbädern und Themenparks zum Einsatz kommen, sind hinlänglich bekannt. Auch Rosa differenziert zwischen verschiedenen für die Stimmung relevanten Aspekten sowohl seitens des Subjekts als auch seitens des sozialen und physischen Raumes, in dem sich das Subjekt bewegt. Zum Bereich dessen, was Rosa als physischen Raum bezeichnet, lässt sich alles rechnen, was im Grunde räumlich wirkt oder räumlich vermittelt wird. Der physische Raum impliziert daher nicht nur den natürlichen oder architektonisch gestalteten Raum, die Größe oder Gestalt von Gebäuden oder die Anordnung der Tische, etwa in einem Klassenzimmer, sondern auch Farben, Klänge, Gerüche und »scheinbar nebensächliche Faktoren wie Beleuchtung und Belüftung, [...] [die] Materialität der Oberflächen, farbliche Kontrastwirkungen, die Anordnung von Ein- und Ausgängen« (Rosa 2016a, 462). Bei der Trennung von sozialem und physischem Raum hingegen bleibt die Resonanztheorie unspezifisch. Sie bezieht einerseits die Anordnung von Personen im Zusammenhang mit räumlichen Wirkungen ein und beschreibt zum anderen »die Erscheinung und Kleidung, die Physiognomie, die Gestalt, de[n] Klang der Stimme und de[n] Habitus von Interaktionspartnern« (ebd.) als die dispositionale Resonanzbereitschaft unwillkürlich beeinflussend. Seitens des Individuums steht für Rosa die leibliche und emotionale Verfassung des Subjekts im Mittelpunkt, wenn es um Stimmungsmanifestationen im Zusammenhang mit räumlichen Aspekten geht. Unter dem Eindruck von Schmerz oder Hunger lassen sich kaum resonante Beziehungen entwickeln. Neben leiblichen Regungen geht Rosa hier auf subjektive Empfindungen ein. So haben ebenso wie leibliches Unwohlsein auch unangenehme affektive Eindrücke wie Angst oder Stress einen erheblichen Einfluss auf die sich daraus zusammensetzende Stimmung und die daran anknüpfbaren Arten möglicher Beziehungen.
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Eine Vertiefung darüber hinaus liefert die Resonanztheorie jedoch in Hinblick auf Stimmungen nicht. Mithin bleibt es bei dem Vermerk, dass offenbar zwischen leiblichen und emotionalen Regungen und Bewegungen und räumlichen Elementen wie »Enge und Weite, Erhebungen und Niederungen usw.« (ebd., 640) ein »unwillkürliches Resonanzsystem« besteht (vgl. ebd., 639ff.). Inwiefern sich jedoch der ebenfalls angeführte soziale Kontext einer Handlungssituation als direkter, stimmungsrelevanter Aspekt einordnen lässt, bleibt unklar. Unbestritten hat laut Rosa die Tatsache, ob ein Gespräch zwischen Freunden oder Feinden stattfindet, einen erheblichen Einfluss auf die Resonanzoder Entfremdungsdisposition. Dies muss jedoch vermutlich auf die Aspekte des spezifischen Aufforderungscharakters der Situationen und Formen impliziten Wissens beschränkt werden. In Anlehnung an die bisherigen Ausführungen Rosas dazu muss jedoch davon ausgegangen werden, dass sich primäre Stimmungen vor allem auf Grundempfindungen, etwa des Wohlfühlens in Gegenwart eines guten Freundes im Gegensatz zum Unbehagen in der Begegnung mit jemanden, mit dem man noch eine Rechnung offen hat, beziehen. Stimmungen, wie bereits deutlich wurde, spannen sich zwischen dem erlebenden Subjekt und dem physischen und sozialen Raum auf und sind als solche Ausdruck des Prozesses ihrer Begegnung. Im Folgenden soll daher die Art der Wechselwirkung zwischen Subjekt und Raum spezifiziert werden, um darauf aufbauend konkretisieren zu können, wie sich die Beschreibung der Stimmung als Manifestation der Bezogenheit als Aufspannen zwischen Subjekt und Raum verstehen lässt. Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen dazu bietet Rosas eingehende Vermutung, dass Stimmungen wohl »die primäre Resonanzachse zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Gefühlen und Atmosphären« (ebd., 636) bilden. Wenn Rosa hier von Gefühlen und Atmosphären spricht, dann verweist er damit auf die quasi fundamentalste und vorbewusste Ebene möglicher Resonanzbeziehungen. Auf dieser ungerichteten und unhintergehbaren Ebene, auf der alle weiteren Ebenen möglicher Weltbeziehungen aufbauen, tritt zunächst nur die affektiv-leibliche Dimension des erlebenden Subjekts mit der atmosphärischen Dimension des Raumes in Begegnung. Wie die bisherigen Darstellungen zu den verschiedenen stimmungsrelevanten Faktoren beispielhaft gezeigt haben, geht es dabei nicht um die Qualitäten, etwa der Müdigkeit des Subjekts oder der Farbe und Beschaffenheit der Wand, sondern um ein primäres Resonanzsystem, welches sich zwischen dem affektiv-leiblichen Zustand des Subjekts und dem räumlich-atmosphärischen Zustand der Umwelt bildet. Insofern klärt sich hiermit die Frage, was Rosa unter dem Aufspannen zwischen Gefühl und Atmosphäre versteht. Die leiblich-affektive Dimension des Subjekts bildet mit der atmosphärischen Dimension des sozialen und physischen Raumes ein eigene, teilweise
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autonome Begegnungsebene der gegenseitigen Attraktion oder Repulsion. Unter Rekurs auf Moritz Geigers Aufsatz Zum Problem der Stimmungseinfühlung bei Landschaften von 1911 betont Rosa den Charakter von Stimmungen als Wechselspiel von Berührung und Selbstwirksamkeit (vgl. ebd., 638), welches ein gegenseitiges Affizieren impliziert. Zutage tritt wiederum Rosas Grundannahme von Weltbeziehung überhaupt, die er selbst als die Ausgangsidee der Resonanzkritik unterstreicht. Im Grunde geht es darum, wie sich die verschiedenen phänomenologisch beschreibbaren Entitäten zueinander verhalten, etwa was das Subjekt mit seiner Umwelt verbindet, in welchem Verhältnis eine Person zu einer anderen steht oder auch der eigene Leib zum umgebenden Raum, das Gehirn zum Leib etc. Wenn Rosa, wie bereits erwähnt, die Vorstellung einer ursprünglichen Einheit von innen und außen ablehnt, so kommt er doch ebenso wenig mit einer konstruktivistischen Auffassung überein, in welcher das konstruierende Subjekt das Außen in sich repräsentiert und konstruiert. Denn beide Standpunkte werden nach seiner Auffassung dem aktiven und antwortenden Charakter jeder Bezugnahme zweier Entitäten nicht gerecht. Daher macht Rosa die Annahme von Intersubjektivität zum anthropologischen Ausgangspunkt seiner Behauptungen. Denn erst in der antwortenden, wechselseitigen Begegnung zweier Entitäten kann ein dynamischer Prozess der Beziehungskonstruktion, des wechselseitigen Berührens und der Selbstwirksamkeit entstehen. Dies jedoch, so Rosa, ist Voraussetzung jeder aktiven Beziehung und bestimmt jedes Verhältnis zueinander (vgl. ebd., 246). Stimmung, so lässt sich schlussfolgern, ist der mitunter spürbare Ausdruck einer aktiven, prozesshaften und wechselseitigen Begegnung zwischen affektiv-leiblichen und atmosphärischen Aspekten von Subjekt und Welt. Die basale Stimmung kann somit erstens nicht als überdauernder Zustand beschrieben werden und ist zweitens nicht isolierbaren Subjekten oder Weltausschnitten zuzuordnen. Gestimmtheiten auf der gerichteten Ebene der Beziehung Die im Alltag erlebten und erfahrenden Modi der Weltbeziehung sind immer schon gerichtete (vgl. Rosa 2016a, 639). Gerichtet meint, dass in der konkreten Begegnung bereits alle Dimensionen menschlichen In-der-Welt-seins, also nicht nur leiblich-räumliche, unhintergehbar miteinander verflochten sind und sich in komplexer Weise aufeinander beziehen. Die gerichtete Begegnung meint dann bereits ein komplexes Resonanzsystem, in dem räumlich-leibliche ebenso wie kognitiv-evaluative Dimensionen seitens des Subjekts und der Umwelt in konkreter und gerichteter Weise miteinander verschränkt sind. Damit muss jedoch keine vollständig kognitive Durchdringung der Situation benannt sein, sondern
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lediglich die Einbindung sinngebender, deutender, wertender Aspekte gerichteter Intensionen. Rosa zeichnet auf dieser komplexen Ebene alltäglicher gerichteter Weltbeziehungen einen gestimmten Dreiklang und rekurriert damit auf die situativ »konvergierenden Bewegungen von Leib, Geist und erfahrbarer Welt« (ebd., 290). Eine Verstimmung dieses gestimmten Verhältnisses kann durch jede der wechselwirkenden Entitäten initiiert oder begünstigt werden: »Physisches Wohlbefinden kann ebenso wie ein Sonnenuntergang oder eine leise durch den Raum klingende Musik einen Anstoß dafür liefern, die Selbst- und Weltinterpretationen in ein positives, vielleicht durch ein Gedicht inspiriertes Licht zu tauchen – und dieser Dreiklang kann durch einen plötzlichen kalten Windhauch und Regenguss, durch jähe Magenschmerzen oder den Gedanken an einen Erbschaftsstreit gleichermaßen ge- oder zerstört werden; wir reden dann von Verstimmung in diesem Dreiecksverhältnis.« (Ebd.)
Wenn die Gestimmtheit vornehmlich (so muss Rosa verstanden werden) das Maß der wechselseitigen Abstimmung innerhalb dieser komplexen Bezogenheit bezeichnet, dann muss daran erinnert werden, dass damit noch keine Aussage zur emotionssoziologisch auslegbaren qualitativen Seite des Erlebens dieser Gestimmtheit getroffen wird. Das Empfinden selbst, etwa von Magenschmerzen oder eines warmen Sonnenstrahls, ist nicht gleichzusetzen mit dem Erleben der Gestimmtheit oder Verstimmung in der spezifischen Beziehung. Deutlich wird an dem zitierten Textausschnitt zudem, dass in der gerichteten Weltbeziehung auch Gedanken und Wertungen als Resonanzpartner einbezogen sind. Genauer ließe sich formulieren, dass über Gedanken und Wertungen ein kategorial anders geartetes Gegenüber in der Beziehung entsteht. Die Verschiedenartigkeit und Komplexität dieser gerichteten Beziehung macht dann auch die Unterscheidung von Stimmungen und Gestimmtheiten aus – nicht nur in ihrer Art und möglichen Intensität des Empfindens, sondern auch in der Dynamik wechselseitig interagierender Entitäten. Indes lässt sich die Resonanztheorie dann so verstehen, dass die absolute Resonanzerfahrung grundlegend mit dem Erleben der idealen Gestimmtheit zwischen den sich begegnenden Entitäten einhergeht, wie umgekehrt absolute Entfremdungserfahrungen mit der Erfahrung der maximalen Verstimmung gleichzusetzen sind. Die Bestimmung des Unterschieds bemisst sich nicht an der normativen Qualität, die den spezifischen Weltausschnitten konkret beigemessen wird, dass Gedanken an einen Erbschaftsstreit etwa, um bei Rosas Beispiel zu bleiben, als negativ erachtet werden. Als solche ist die resonante Gestimmtheit immer auf konkreter Ebene »an die Affirmation starker Wertungen gebunden« (ebd., 291), weswegen Rosa an dieser Stelle mit Plessner in Einklang steht, der Resonanz als
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durchgestimmte Angesprochenheit immer auch an einen direkten Weltbezug knüpft (Plessner 2003 [1941]). Folglich sieht Rosa die Gründe der Verstimmung eben auch darin begründet, dass Sein und Sollen als nicht stimmig erfahren werden. Subjekt und Welt gehen in eine gleichsam sich widersetzende Bewegung zueinander (vgl. Rosa 2016a, 290ff.). Mit dem gestimmten Dreiklang zeichnet Rosa somit das Bild einer sich wechselseitig zuträglichen, also hinreichend kongruenten Schwingung, wobei mit Schwingung der Prozess des wechselseitig verknüpften Affizierens gemeint ist, also zwischen dem spezifischen Ausschnitt der kognitiv-evaluativen Landkarte, dem erfahrenden und antwortenden Weltausschnitt und der affektivleiblichen Seite des Subjekts. Dies gilt, so Rosa, »auch dann, wenn wir vom Sein völlig überrascht werden, so dass wir unsere Sollenslandkarte spontan neu justieren müssen« (ebd.). Obwohl Rosa vordergründig nicht auf die Darstellung der Empfindungsqualitäten der verschiedenen Weisen der Weltbeziehung per se ausstellt, so macht er doch deutlich, dass die gelungene Resonanzerfahrung als situative Gestimmtheit rekonstruierbar ist und mit intensiven Momenten subjektiven Glücksempfindens einhergeht. Als solche scheint sie vergleichbar mit Beschreibungen von Flow-Erfahrungen, wie sie etwa Csikszentmihalyi beschrieben hat (vgl. Csikszentmihalyi 2014). Im gegenteiligen Fall stellen sich repulsive Erfahrungen einer ausgeprägten Verstimmung als Empfindungen des Unglücks ein (vgl. Rosa 2016a, 59, unter Bezug auf Taylor 2009, 523). Rosa lässt in diesem Zusammenhang auch Jaeggi zu Wort kommen, der in der Beziehung der Beziehungslosigkeit gerade auf jene Weltbeziehungen verweist, die, sobald vorhanden, allerdings bedeutungslos oder dem Subjekt gar zuwider werden (vgl. Jaeggi 2005). Was Jaeggi also mit Beziehungslosigkeit bezeichnet, bestimmt sich nicht im Fehlen der Beziehung, sondern im Fehlen der Verbindung und Offenheit füreinander, die ein Mindestmaß an Einstimmung und wechselseitiger Anverwandlung bedarf. Solche verstummten Verhältnisse können alle wechselwirkenden Entitäten betreffen: Wenn der ansonsten singende Wald einem gar nichts mehr sagt, die eigene Arbeit einem zuwider erscheint oder im schlimmsten Fall die Beziehung zum eigenen Körper oder den eigenen Gefühlen fremd wird (vgl. Rosa 2016a, 305f.). Die Verstimmung4 beschreibt somit also die von allen Entitäten in der Begegnung gemeinsam entworfene Frequenzstruktur im kokonstruierten Prozess der stummen Begegnung.
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Allerdings impliziert der Begriff der Verstimmung nicht eine vorherige Gestimmtheit, sondern zielt eher auf das Negativ der Gestimmtheit. Vielleicht ließe sich an dieser Stelle besser von Missstimmung sprechen.
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Die auf das räumliche Resonanzverhältnis bezogene primäre Stimmung meint innerhalb dieses komplex gestimmten Dreiklangs somit nicht mehr die Gespanntheit zwischen den Entitäten, sondern, so lässt sich vermuten, wird zur eigenen Entität oder kann dies zumindest werden. Man hat daher durchaus gute Gründe annehmen zu können, dass Rosa sich mit der Unterscheidung von Stimmung und Gestimmtheit an der von Plessner vorgenommenen Scheidung zwischen innerer Durchstimmung und durchstimmender Angesprochenheit orientierte. Stimmung ist demnach vor allem dadurch abzugrenzen, dass sie zwar ein Angehen von Welt voraussetzt, dieses Angehen darüber hinaus aber nicht unbedingt dem Subjekt als grundlegend bedeutsam erscheinen müsse. Das Subjekt kann also vom »warmen Sonnenstrahl« durchaus in eine angenehme Stimmung getaucht werden, allerdings ohne das Gefühl zu haben, dass die Welt damit etwas Wesentliches an es heranträgt und damit zur Stellungnahme herausfordert. Die gelingende Gestimmtheit hingegen bedarf der Übereinstimmung von Sein und Sollen (vgl. ebd. 290ff.). Grundgestimmtheiten auf der transzendenten Ebene der Bezogenheit Das der Soziologie der Weltbeziehung vorausgehende Grundanliegen besteht, wie bereits vorgestellt, darin, das gelingende Leben substanziell und systematisch beschreiben zu können. Substanziell verweist auf die Hardware dessen, wovon Rosa annimmt ausgehen zu können: nämlich, dass es sich gut anfühlt. Systematisch hingegen meint: in seiner beschreibbaren Struktur, den Modi und Prozessen der Begegnungen. Diese Ausgangslage ist nun eine recht dürftige und damit kaum anzufechten. Im Grunde besteht das Ziel der Resonanztheorie darin, strukturell auf mikrointeraktionistischer Ebene nachzeichnen zu können, wie sich das Leben als Ganzes anfühlt. Dies darf natürlich nicht in dem Sinne verstanden werden, dass sich jeder Tag des gelungenen Lebens gut anfühlte, wie umgekehrt jeder Tag des misslungenen Lebens ein unglücklicher wäre. Doch wie ließe sich ausgehend von der interaktionistischen Ebene etwas Grundlegendes über das gesamte Leben sagen? Wenn Rosas Antwort darauf Resonanz lautet, dann nur, weil Resonanz dabei über eine Momentaufnahme hinaus auf überspannende Beziehungsverhältnisse verweist. Was dem Subjekt »die Weltbejahung oder die Weltverneinung als existentielle Stellungnahmen nahelegt, auch wenn diese dann durch kognitive und kulturelle ›Landkarten‹ überformt werden« (ebd., 190), sind affektive Grundgestimmtheiten. Was Grundgestimmtheiten daher von Gestimmtheiten gerichteter Beziehungen und Stimmungen der primären Begegnungen unterscheidet, ist ihr über kon-
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krete Situationen hinausgreifender Charakter. Als solche gründen Grundgestimmtheiten auf Erfahrungen extremer Resonanz- oder Entfremdungserlebnisse5 und auf markanten biografischen Orientierungspunkten der Individuen. In den von Rosa dargestellten fiktiven Lebensgeschichten Annas und Hannahs sind verschiedene Weisen der Beziehungen auszumachen. Diese Unterschiede bleiben nicht nur situativ auf die vorgestellten Lebensausschnitte beschränkt. Vielmehr finden in Annas und Hannahs Weisen, Beziehungen einzugehen, jeweils existenziell verschiedene Grundgestimmtheiten ihren Ausdruck, welche sich nicht nur, so unterstellt Rosa hier, auf biologische oder genetisch verankerte Persönlichkeitsprofile zurückführen lassen. Vielmehr entspringen sie in ihrer Genese wohl eher gegensätzlichen Erfahrungen affektiver Gestimmtheiten. Im Mittelpunkt stehen für Rosa dabei soziale Erfahrungen der Anerkennung, Wertschätzung und Liebe einerseits, die extremen Erfahrungen des Nichtgehörtwerdens, Nichtgesehenwerdens und Nichtwertgeschätztwerdens andererseits. Wenn er hierbei von einer Art der intrinsischen Verknüpfung von Erinnerung und Erwartung spricht, die als solche zentrale Orientierungspunkte für das Subjekt in Form eines richtungsweisenden Kompasses liefern (vgl. ebd., 196), dann scheint die Grundgestimmtheit des Subjekts jenen Kompass in affektiver Form widerzuspiegeln. In der Verbindung mit grundlegenden Stellungnahmen des Subjekts erlangen Grundgestimmtheiten folglich einen ebenso dispositionalen Charakter, der indes in seinem Einfluss auf affektive Grundmodi der Begegnung, unabhängig welcher Ebene, unbestimmt bleibt. Der affektive Zirkelschluss der Resonanztheorie Als wesentliche Charakteristika einer Struktur des Affektiven in der Resonanztheorie lässt sich zusammenfassend herausstellen, dass das Affektive immer im direkten Zusammenhang mit der prozesshaften Beziehung von Subjekt und Welt zu verstehen ist. Ausgehend von einer steten Gespanntheit zwischen dem erlebenden Subjekt und dem Erlebten ist auch das Affektive grundsätzlich als stetig, dabei jedoch hochdynamisch und komplex anzusehen. Angelegt in der Resonanztheorie ist darüber hinaus, dass die elementaren affektiven Grundmodi
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Diese Extremformen weisen durchaus eine gewisse Nähe zum Begriff der Lebensereignisse in der Biografieforschung auf, welche jedoch überwiegend den negativen Ereignissen im Sinne von krisenhaften Lebensereignissen eine zentrale Bedeutung beimessen. Rosa setzt die Bedeutung insofern anders an, als er sowohl den hervorgehobenen positiven wie negativen gleichermaßen Relevanz für die biografisch generierte Haltung des Subjekts zuschreibt.
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der Begegnung und die einzelnen, auf den verschiedenen Ebenen möglicher Weltbeziehungen entstehenden affektiven Prozesse durchaus ein komplexes, sich wechselseitig beeinflussendes Verhältnis ausbilden. Wie genau dies geschieht, lässt sich der Theorie indes nicht entnehmen. Dennoch scheint es naheliegend, weitere Überlegungen zu Wechselwirkungen innerhalb der Strukturen des Affektiven anzustellen, nicht zuletzt auch, um Verschränkungen des Affektiven mit kulturellen und sozialen Arrangements sowie gesellschaftlichen Schemata konkretisieren zu können. Affektive Emergenzen in der Weltbeziehung Stimmungen, Gestimmtheiten und Grundgestimmtheiten deuten sich in der Resonanztheorie als differenzierbare affektive Prozesse unterscheidbarer Ebenen der Beziehung zwischen Subjekt und Welt an. Ungeachtet dieser zwingend systematischen Trennung muss das tatsächliche Beteiligtsein jedoch als vielfach komplexer angenommen werden. Mit Blick zunächst auf die einzelnen Ebenen der Beziehung bedeutet dies: Anzunehmen ist, dass beispielsweise Stimmungen bereits zusammengesetzte Prozesse gleichzeitig stattfindender primärer Beziehungen benennen. Dies meint etwa leibliche-räumliche Bezogenheiten zu Gerüchen, Lichtverhältnissen, Enge und Weite des Raumes, Materialitäten, sozialen Konstellationen etc. Für den hier entworfenen Begriff der Stimmung muss somit vermutet werden, dass insbesondere mit Blick auf affektive Qualitäten die Stimmung bereits eine affektive Emergenz ganz verschiedener primärer Begegnungsprozesse darstellt. Gleiches gilt dann für Gestimmtheiten und Grundgestimmtheiten. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass das gesamte affektive Erleben entsprechend eines ganzheitlich gedachten In-der-Welt-seins ebenso als komplexe Emergenz aller affektiven Prozesse anzusehen ist. Wenn also Rosa in Anlehnung an Heidegger davon ausgeht, dass das Dasein schon immer gestimmt ist, so ließe sich nun zur Diskussion stellen, ob neben primären Stimmungen nicht immer auch Gestimmtheiten und Grundgestimmtheiten inkludiert und untrennbar emergiert sind. Der in der Resonanztheorie unterstellte grundsätzlich dichotome Charakter affektiver Phänomene ließe sich sodann ebenso dazu befragen. Denn ausgehend von kontradiktorischen affektiven Grundmodi der Begegnung beschreibt diese Theorie Stimmungen und auch Gestimmtheiten als in der Tendenz entweder resonierend oder entfremdet, im Sinne einer synchroneren oder asynchroneren Bewegungsabstimmung der begegnenden Entitäten. An dieser Stelle erscheint es notwendig, affektive Prozesse und Emergenzen voneinander abzugrenzen sowie die Notwendigkeit ihrer klaren Differenzierung zu verdeutlichen. An Brian Massumis Studie zur emotionalen Wirkweise von Virtualität (2002) verdeutlicht Rosa die Differenz zwischen Gefühlszustand und
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Resonanz als Modus. In dieser Studie spielt Massumi neunjährigen Kindern die traurige Geschichte eines schmelzenden Schneemannes in drei verschiedenen Versionen vor, mit dem für Rosa wesentlichen Ergebnis, dass die Kinder gerade die traurigsten Stellen, insbesondere dann, wenn diese durch emotionale Stimuli unterstützt wurden, als besonders schön (»pleasant«) bewerteten. Massumi selbst schrieb diesen Stellen die höchste Intensität zu und kam zu der Schlussfolgerung, dass Kinder in der virtuellen Begegnung Traurigkeit auch als schön beziehungsweise angenehm empfinden können. Rosa sieht jedoch genau hieran die Missachtung der notwendigen Unterscheidung zwischen Gefühlszustand und Resonanzerleben. Die Kinder würden demnach, so Rosa, nicht die intensive Erfahrung der Traurigkeit selbst als angenehm empfinden, sondern die intensive Erfahrung des lebendigen Wechselverhältnisses – die Resonanz. Nur so könnten Sätze wie »Der Film war so schön, ich habe so geheult« (Rosa 2016a, 288) überhaupt Sinn ergeben (vgl. ebd.). Das klingt einleuchtend, wirft weiterführend allerdings die Frage nach dem von Rosa unterstellten Verhältnis von qualitativem Gefühlszustand und affektivem Prozess überhaupt erst auf, anstatt sie zu beantworten. Zunächst einmal definiert sich der Prozess gerade als Zustandsänderung. Ein Prozess ist also nichts anderes als die strukturelle Transformation eines Zustands in einen anderen. Gewiss kann man auf der strukturellen Ebene der dynamischen Bewegungen der sich in einem bestimmten Zustand befindlichen Entitäten bleiben. Und dies tut Rosa auch, wenn er Resonanz als Beziehungsmodus beschreibt und damit auf die Dynamik der Weisen der wechselseitigen Zustandsänderungen ausstellt. Mehr noch: Eben jene Perspektive macht die analytische Reichweite der Soziologie der Weltbeziehung überhaupt aus. Aber einen Prozess ohne qualitativen Zustand kann es nicht geben. Und gerade hier liegt der motivationale Ausgangspunkt der Resonanztheorie. Was also meint Rosa, wenn er formuliert, dass Resonanz hierbei als positiv erlebt wird? Genauer gefragt: Worauf bezieht sich das positive Erleben dann? Denn eine als positiv empfundene negative Emotion ergibt ohne einen differenzierteren Blick auf die verschiedenen Ebenen der Begegnung keinen Sinn. Die eigentliche Trennlinie liegt folglich weder in der Intensität der Emotion begründet, wie Massumi behauptet, noch in der Trennung von Modus und Empfindung, wie Rosa erklärt. Gleichwohl liefert die Resonanztheorie den Ausgangspunkt zur Erklärung des Geschehens, indem sie aufzeigt, dass die verschiedenen Ebenen der Begegnung und damit Stimmungen, Gestimmtheiten und Grundgestimmtheiten etwas kategorial anderes sind. Denn wir haben es hier offenbar mit verschiedenen und ganz offensichtlich sehr unterschiedlichen emotionalen Zuständen gleichzeitig zu tun, die zudem sehr unterschiedlich bewertet werden. Dies scheint zwar ein Sonderfall zu sein, der sich als »ein spezifisches Charakte-
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ristikum ästhetischer Erfahrungen« (ebd., 289) verstehen lässt, dennoch lässt dieses Beispiel drei wesentliche Aspekte erkennen. Die Emotion der Trauer, verstanden als eine konkrete, in dem Fall intensive und damit bereits zur tatsächlichen Emotion avancierende Gestimmtheit in der gerichteten Begegnung, scheint sich zwar bei den Kindern in der Konzentration auf den Inhalt des Films mitunter durchzusetzen. Sie erlangt aber angesichts dreier Momente nicht die Präsenz, die eine »echte« Emotion, ausgelöst von einer realen Trauersituation, erreichen kann: erstens, weil die Beteiligung starker Wertungen wegen der Virtualität der Situation fehlt und Grundgestimmtheiten davon nicht berührt werden, zweitens aber auch, weil die Situation, in der sich die Kinder befinden, sehr viel komplexer ist, als dass sie auf den Inhalt des Filmes reduziert werden könnte. Somit fließen ebenso Stimmungsaspekte, etwa der Kinoräumlichkeit, der Anwesenheit anderer Kinder und der interessanten Experimentalsituation, in das affektive Gesamterleben der Kinder mit ein. All dies wurde von den Kindern dann offenbar als angenehm empfunden. Auch könnten drittens weitere direkte Begegnungen, beispielsweise der Kinder untereinander oder mit dem freundlichen Versuchsleiter, konkurrierende Gestimmtheitsmomente eingebracht haben, sodass sich Erfahrungen der Trauer auf minimale Sequenzen der gesamten Versuchssituation beschränkt haben. Denn ist dies nicht das eigentlich interessante Ergebnis von Massumis Studie? Dass die Kinder offensichtlich unterschiedliche affektive Qualitäten erspürt haben und diese dann aber als unterschiedlich bedeutsam gewertet haben. Nur so lässt sich doch letztendlich erklären, wie der Satz: »Der Film war so schön, ich habe so geheult«, tatsächlich zustande kommen konnte. Scheinbar haben die mit der sozialen Situation verbundenen affektiven Stimmungen doch eine eklatant höhere Gewichtung für die Kinder gehabt als die Gestimmtheiten, welche in der Begegnung mit dem Film selbst aufgetreten sind. Denn Traurigkeit ist ohne Zweifel, obwohl das Ergebnis Massumi zu diesem Urteil veranlasst, keine angenehme Empfindung. Das Beispiel macht daher die Notwendigkeit deutlich, trotz eines grundsätzlich dichotomen und emergierenden Charakters affektiver Strukturen ihre Unterschiede und Wechselwirkungsverhältnisse systematisch zu beschreiben. Das gilt sowohl für affektive Prozesse untereinander als auch für die Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen affektiven Prozessen und affektiven Hintergründen. Zum Verhältnis affektiver Emergenzen Rosa beschreibt die primäre leiblich-räumliche Stimmung als unhintergehbar prädisponierend für alle anderen Ebenen von Subjekt-Welt-Beziehungen. Auf dieser Ebene der primären Beziehung findet ein ständiges Oszillieren zwischen basalen leiblich-affektiven und räumlichen sowie sozial-räumlichen Entitäten
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statt. Diese Ebene muss daher als stark fluktuierend und stets auf die situativen Gegebenheiten reagierend verstanden werden. Individuen können folglich die affektiven Prozesse dieser Ebene, beispielsweise eine unreflektiert aufgenommene, jedoch nicht bewusst wahrgenommene Frequenzänderung der Stimme des Gegenübers, nicht oder nur im Einzelfall benennen. Beziehungen, in die komplexe kognitive oder evaluative Strukturen involviert sind, reagieren weniger fluktuierend. Gestimmtheiten und Verstimmungen sind somit mittelbarer. Insofern die Resonanztheorie also beschreibt, dass Wechselbezüge zwischen Resonanzachsen bestünden, die mittelbarer und unmittelbarer Ebene angehören, so können damit nur Anstöße gemeint sein. Konkret bedeutet dies, dass primäre Stimmungen als einzelne Sequenzen kognitive und evaluative Entitäten, also Erinnerungen, Ziele, Wünsche, Wertungen und Haltungen in der Tendenz nahelegen, jedoch nicht in ihrem gesamten Verlauf prägen können. Denn damit würde man es sich wohl zu einfach machen. Stimmungen, die von einer wahrscheinlich unüberschaubaren Vielzahl von räumlich wirkenden Aspekten beeinflusst werden, ändern sich vermutlich unentwegt, wenngleich nicht bewusst spürbar. Vielleicht ließe sich dieses Verhältnis sogar so beschreiben, dass ein einzelner Gedankengang permanent von in der Tendenz sich immer wieder wandelnden Stimmungen tangiert wird. Dieses bisherige Modell mag zunächst reichlich abstrakt rekonstruiert sein, vermag jedoch schon jetzt hinreichend affektiv-kognitive Wechselprozesse zu veranschaulichen, vor allem dann, wenn sich Empfindungen und daran festmachende Gedanken gegenseitig aufschaukeln und somit aus belanglosen Unstimmigkeiten handfeste Beziehungskrisen werden oder sich die Empörung über einen Seitenstreifenfahrer im Stau erst Minuten später oder gar erst zu Hause zu einem handfesten und wohlbegründeten Ärgernis auswächst. Wenn auch konkrete Weisen der Wechselwirkungsbeziehung zwischen affektiven Prozessen und Kognitionen noch ungeklärt sind, lassen sich hieran doch grobe Strukturdynamiken ablesen. Des Weiteren lässt sich der Resonanztheorie entnehmen, dass die sich in gerichteten Beziehungen entfaltenden Gestimmtheiten, insbesondere dann, wenn diese wegen starker Wertungen besonders intensiv sind, ihrerseits wiederum die Grundlage für mögliche grundlegende Stellungnahmen und Grundgestimmtheiten bilden. Letztere sind dann aber, so lässt sich Rosa verstehen, dennoch etwas kategorial anderes. Sie haben ihrerseits eine eigene Dynamik der Weltbeziehung, die als im Ganzen doch sehr viel langwieriger beschrieben werden muss. Sie verändert sich zumeist nur langsam im biografischen Verlauf. Folglich tragen Grundgestimmtheiten zum affektiven Befinden insgesamt eine wohl relativ beständige Note bei, die vermutlich umso stärker zum Tragen kommen dürfte, je weniger Präsenz Stimmungen und Gestimmtheiten in der konkreten Situation
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zukommt. Was hier unter Beständigkeit gefasst wird, soll den besonderen Charakter von Grundgestimmtheiten deutlich machen. Indem sich diese nicht situativ erschöpfen, kommt ihnen in der Resonanztheorie eine besondere Bedeutung zu. Sie werden als essenziell prägend für alle Formen von Weltbeziehungen und damit Beziehungsqualitäten beschrieben. Da Grundgestimmtheiten jedoch weder als eigene Entität in der Beziehung auftreten noch lediglich die qualitative Wirkung gemeint sein kann, können Stellungnahmen und Grundgestimmtheiten nur vermittelnd Weltbeziehungen prägen. Dies bedeutet, Grundgestimmtheiten wirken prädisponierend auf affektive Hintergründe. Worauf sich Angst und Begehren richten, wie das Begehrte und Gefürchtete jeweils erlebt und wie ihm begegnet wird – dafür sind im Wesentlichen dispositionale Grundgestimmtheiten ausschlaggebend. Zum Verhältnis affektiver Hintergründe und affektiver Prozesse Damit ist bereits das Verhältnis zwischen affektiven Hintergründen und affektiven Prozessen thematisiert. Grundgestimmtheiten schlagen in der Resonanztheorie die Brücke zwischen den beiden, sodass sich der Soziologie der Weltbeziehung ein affektiver Zirkelschluss eines komplexen Wechselverhältnisses affektiver Strukturen entnehmen ließe. Unverkennbar räumt die Resonanztheorie den grundlegenden Stellungnahmen und Grundgestimmtheiten einen besonderen Stellenwert hinsichtlich der Qualität von Weltbeziehungen ein. Wie ließe sich aber das Verhältnis affektiver Prozesse zu den affektiven Grundmodi beschreiben? Erinnert sei hier an die existenzielle Frage der Resonanztheorie: »Ist die Welt als solche begehrenswert – oder ist sie furchterregend?« (Rosa 2016a, 213) Damit wird behauptet, dass jemand, der bereits grundlegend ablehnend beispielsweise gegenüber Natur eingestellt ist, in dieser mehr eine Bedrohung denn die Möglichkeit einer Resonanzoase erkennt, bereits präreflexiv natürlichen Räumen anders gewahr wird, entsprechend eine ganz andere Stimmung erlebt als jemand, der in Natur eine der größten Resonanzzonen überhaupt sieht. Stimmungen wie etwa die des Unheimlichen finden anschließend in der gerichteten Beziehung ihren Ausdruck im spezifischen Fürchten vor etwas und tragen mittels prägnanter Erfahrungen wiederum zu verfestigten Stellungnahmen und Grundgestimmtheiten bei. Solche Grundgestimmtheiten prägen damit nicht nur die Weise des sich Richtens auf die oder des Abwendens von Welt, sondern bestimmen auch Intensitäten von Angst und Begehren sowie deren Gesamtintensität überhaupt. Davon wiederum sind alle Beziehungsverhältnisse betroffen, die eingegangen werden, wie daraus entstehende affektive Prozesse, Stimmungen und Gestimmtheiten sich zudem in der beschriebenen Weise der Wechselwir-
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kung der Ebenen gegenseitig beeinflussen. So muss letztlich auch die Hauptaussage der Resonanztheorie verstanden werden, »dass Weltverhältnisse nicht verstanden werden können ohne eine Analyse der Angst- und Begehrensverhältnisse« (ebd., 190). Unabhängig also davon, dass sich affektive Emergenzen wechselseitig beeinflussen, gestalten Angst und Begehren als affektive Grundmodi überhaupt erst Stimmungen, Gestimmtheiten und Grundgestimmtheiten. Sie begründen die verschiedenen Bewegungen im Resonanzraum zwischen Subjekt und Welt auf den verschiedenen Ebenen des Beteiligtseins. Um zu erläutern, wie dies gemeint sein kann, sei an die eingangs vorgestellten Bedeutungszuschreibungen von Angst und Begehren erinnert. Angst als basale Angst vor der Verunmöglichung von Anverwandlung mit Welt, an jenen Polen, an denen die (soziale) Welt entweder zu weit und unstrukturiert und damit ohne Sicherheit dominiert, oder aber zu eng und überreguliert dem Subjekt keinen eigenen Raum mehr bietet. Begehren indes meint das zuwendende Streben nach jener möglich erscheinenden Anverwandlung. Bereits in diesen allgemeinen Darstellungen werden Übertragungen auf räumlich-leibliche Ebenen der Weltbeziehung erkennbar, wozu die räumliche Enge einer traditionellen Amtsstube, um Rosas Bild aufzugreifen, ebenso herhalten kann wie das Beispiel des Meeres. Denn auch in dessen Beliebtheit sieht Rosa weniger den Wunsch, schwimmen zu gehen oder sich abzukühlen, als vordringlich die Stimmung anlässlich der räumlichen Weite und Offenheit (vgl. Rosa 2016a, 641). Ähnliche Vergleiche stellt Hermann Schmitz an, wenn er Stimmungen einen räumlichen Charakter beimisst, sodass sie sich dann in entsprechenden Merkmalen etwa der Weite und Gerichtetheit näher bestimmen lassen, wie Schmitz im System der Philosophie ausführlich darlegt (Schmitz 1969). Diese Stimmungen können entsprechend durch die umliegende Umgebung spontan geweckt werden, wie etwa die Stimmung des Überdrusses, des »ennui« (vgl. Schmitz 2009, 58). Sicherlich lässt sich nun aus einigem Abstand einschränkend festhalten, dass mit den primären Stimmungen als doch eher subtile Leib-Raum-Phänomene und den vereinzelten, momenthaften Glücks- oder Unglücksaufnahmen gelingender Resonanzerfahrungen respektive misslingender Entfremdungserfahrungen im Grunde noch nicht viel zur Bedeutung affektiver Hintergründe für alltägliche, gerichtete Beziehungen gesagt werden kann. Zunächst einmal, so muss Rosa verstanden werden, bestimmt sich Alltag nicht durch eine frequenzielle Aneinanderreihung vollkommen gelingender Gestimmtheiten und gänzlich misslingender Verstimmungen. Vielmehr stellen sich Weltbeziehungen im Alltag eher als ein Zwischenzustand dar, der komplex verwoben, einmal in die eine und einmal in die andere Richtung weisen mag. Angetrieben aber werden die Subjekte, wie im vorherigen Abschnitt schon angeklungen ist, von der Suche nach der
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gelingenden Resonanz und der Vermeidung starker Entfremdung. Grundlegende Such- und Vermeidungsbewegungen erscheinen im alltäglichen Lebensvollzug daher nicht in ihrer basalen Form als Beziehungsbegehren und Entfremdungsangst, sondern als konkrete Begierde nach spezifischen Dingen, die, auf kulturspezifischen, schicht- respektive milieuspezifischen und individuellen Erfahrungen aufbauend, eine bestimmte Art des In-der-Welt-seins versprechen. Das, was die dahinter stehenden affektiven Grundmodi der Angst und des Begehrens jedoch disponieren, sind zuallererst die vom Subjekt gemachten praktischen Erfahrungen sowie mitunter inkongruente und komplexe Konzepte davon, was es gibt, was möglich und was von Bedeutung ist, anlässlich einer permanent stellungnehmenden Oszillation von Sein und Sollen (vgl. ebd., 230f.). Abschließend nach dem Verhältnis affektiver Hintergründe mit dem transzendenten Subjekt-Welt-Verhältnis fragend, ist man auf eine biografisch-transzendente Ebene der Weltbeziehung verwiesen, in der es um Vorstellungen des Selbst, des grundlegenden Seins und Sollens, der Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit, um Gesellschaft, Normen und Werte als Ganzes geht. Hier treten komplexe, um mit Schütz zu sprechen, »aufgeschichtete« lebensweltliche Sinnzusammenhänge in resonante oder aber widersetzende Begegnungsweisen (Schütz und Luckmann 1988), die dem Subjekt als Ganzes sagen, wer es ist und was Welt ist. Nichtsdestotrotz muss von einem steten Begegnungsprozess ausgegangen werden, welcher von den affektiven Grundmodi der Angst und des Begehrens konstituiert wird. Dies jedoch auf einer Ebene der Beziehung, die eben jene Grundgestimmtheiten begründet, welche zuvor als zentral prädisponierend für Angst- und Begehrensverhältnisse sowie Intensitäten beschrieben wurden. Grundgestimmtheiten im Zusammenhang mit affektiven Hintergründen können demnach ungeachtet ihrer grundsätzlichen Beständigkeit nicht als starr oder unangetastet verstanden werden, sondern als ein Wechselbezug, der auf dem Prüfstand stehen kann. Die letztendliche Beständigkeit lässt sich am ehesten damit erklären, dass die von Rosa für die alltägliche, gerichtete Ebene angenommenen Strategien, Resonanz zu erlangen und Entfremdung zu vermeiden, welche sich als permanente Such- und Vermeidungsbewegungen äußern, wohl auch für die dispositionale Ebene gelten. Insofern werden auch grundsätzliche, dispositionale Begegnungen mit abstrakten, kollektiv geteilten Entitäten wie spezifischen Wertzuschreibungen und sozialen Bedeutungen durch zuwendendes Begehren oder abwendende Angst bestimmt. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass sich die Grundbewegungen des Affizierens und Affiziert-Werdens nicht ohne Weiteres auf den vorreflexiven Bereich des Daseins beschränken lassen. Wenn affektive Hintergründe selbst als Mikroelemente der Begegnung in ihrer eigentlichen Form nicht wahrnehmbar
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sind, würde man ihre Bedeutung für alle Arten und Ebenen von Weltbeziehungen doch unterschätzen. Als solche können affektive Hintergründe zwar nicht reflektiert werden. Unabhängig davon äußern sie sich jedoch als existenziale Grundempfindung davon – da zu sein – in einer Welt, die einen grundlegend angeht. Darin waren sich schon Binswanger, Heidegger und Bollnow einig.
DIE AFFEKTIVE SEITE EINES POSTKAPITALISTISCHEN PROBLEMZIRKELS Die bisherigen Ausführungen konnten die Strukturen des Affektiven als zentral konstitutives und zugleich differenzierbares Moment der Weltbeziehung selbst erfassbar machen. Daran schließt sich nun die notwendige und konkretisierbare Frage nach dispositionalen Strukturen affektiver Hintergründe und affektiver Zustände sowie deren Erklärungskraft in Hinblick auf zeitspezifische, gesellschaftliche und soziokulturelle Phänomene des sozialen Wandels an. Die Grundstruktur der Resonanzkritik ist dazu folgende: In der Weise, in der postkapitalistische Logiken und systematische Eskalationstendenzen die Weise der Subjekte bestimmen, in Begegnung mit Welt zu treten, werden dann diese soziokulturell und sozioökonomisch geprägten Weltverhältnisse wiederum die Ursache für die Verstetigung der Bedingungen. Hiermit konstruiert die Resonanzkritik einen klassischen Problemzirkel, der sich als solcher gleichermaßen in der Bestimmung des Affektiven wiederfinden lässt. Denn die Beziehungen der Individuen untereinander sowie mit Welt sind unbestreitbar in vielerlei Hinsicht sozial prädisponiert, stellen damit aber gleichzeitig wieder die soziale Basis kollektiver Dispositionen bereit. Dass die sich daraus ergebenden Schnittstellen, wie der Zirkelschluss des Gesellschaftlichen überhaupt, nicht ohne die Bedeutung affektiver Hintergründe und affektiver Prozesse in der Begegnung begründbar sind, war die Ausgangsthese und Motivation dieser Arbeit. Die Resonanztheorie systematisiert im Anschluss daran die affektiven Hintergründe der Angst und des Begehrens als Umschlagplätze individueller Interessen und Resonanzstrategien einerseits sowie gesellschaftlicher und kultureller Prädispositionen andererseits. Rosas grundlegende These lautet nun, »dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, das heißt auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen« (Rosa 2016a, 19). Denn zu leben, kann erst aus der Verschränkung beider Richtungen bestimmt werden: die Welt zu erleben, ihr aber auch zu begegnen.
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Das stellungnehmende Subjekt der Weltbeziehung Punktuelle Anknüpfungspunkte an Modelle intrinsischer Interessen, auf die Rosa mitunter verweist, finden sich etwa in dem Aspekt, dass eine begehrende, offene Hinwendung zur Welt zumeist auch mit der Vielfalt und Intensität der auf die Welt gerichteten Interessen einhergeht. Was jedoch Modelle intrinsischer Interessen oder Empathie weiterführend nicht zu erfassen vermögen, ist ein zumindest ebenso entscheidender Aspekt, der die Qualität des Weltverhältnisses nicht minder mitbestimmt. »Nach dem hier entwickelten Verständnis von Weltbeziehungen lässt sich von intakten Weltverhältnissen vielmehr erst dort reden, wo Subjekte auch als erste Stimmgabel zu fungieren vermögen: Resonanz […] bezeichnet ein wechselseitiges Antwortverhältnis, bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich zu berühren, das heißt, handelnd Welt zu erreichen vermögen. Subjekte wollen Resonanzen gleichermaßen erzeugen wie erfahren.« (Rosa 2016a, 270)
Natürlich sind die Weisen der Stellungnahmen des Subjekts zur Welt nur schwerlich trennbar davon, wie Welt erfahren wird. Sie werden von komplexen und zum Teil widersprüchlichen attraktiven und repulsiven Grunderfahrungen von Angst und Begehren bestimmt, wie Stellungnahmen ihrerseits wieder über Selbstwirksamkeitserwartungen Einfluss auf Angst und Begehren und damit Interesse und Lust nehmen können (vgl. ebd., 270ff.). Studien zu Selbstwirksamkeitserwartungen (auch auf solche weist Rosa hin), wie sie häufig mit Alfred Bandura verbunden werden, verdeutlichen, dass Selbstwirksamkeitserwartungen nicht nur im Hinblick auf separate Prozesse, wie etwa Lernprozesse im Bildungsbereich, auschlaggebend sind. Vielmehr müssen sie für das gesamte menschliche Leben, alles Handeln und Denken, jede Interaktion als grundlegend erachtet werden. Selbstwirksamkeitserwartungen müssen demnach zunächst ganz allgemein betrachtet werden, als individuelle Dispositionen des Subjekts dazu, inwieweit es seinem Handeln eine kausale Wirkmacht zuschreibt (vgl. etwa Bandura 1986, 390ff.). Dies meint Grundhaltungen davon, ob man selbst andere, Dinge, die Gesellschaft etc. durch eigenes Zutun erreichen, bewegen oder gar verändern kann. Diese Tatsache, die natürlich wiederum damit einhergeht, inwieweit die Welt als solche als erreichbar, beherrschbar und gestaltbar oder aber eher als stumm und tendenziell übermächtig oder gar bedrohlich erfahren wird, zeigt die enge Verzahnung beider Seiten.
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Passiv versus aktiv Bei einem Vergleich existenzieller Stellungnahmen mit den normalen existenziellen Problemdefinitionen Gerhard Schulzes lassen sich bei aller Unterschiedlichkeit doch Übereinstimmungen erkennen. Beide Modelle systematisieren eine Quintessenz verschiedener Weisen, die Welt zu erleben und zu ihr Stellung zu nehmen. Was Schulze Sinnstreben nennt, versteht Rosa aus dynamischer Perspektive als Resonanzstreben, welches sich neben individuellen Lebenserfahrungen im pragmatischen Umgang mit sozioökonomisch-institutionalisierten Rahmenbedingungen des Alltagshandelns begründet (vgl. Schulze 1996, 231ff.). Entsprechend erkennt Rosa in den diversen existenziellen Motiven Rang, Konformität, Geborgenheit, Selbstverwirklichung und Stimulation die zwei Grundrichtungen der Stellungnahmen, nämlich die entweder passiv-pathische oder aktiv-intensionalistische Tendenz. Sie spielen dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob das Subjekt in erster Linie hofft, »von etwas Begegnendem zum Klingen gebracht zu werden – oder aber im Sinne der ›ersten Stimmgabel‹ so lange [zu] suchen, bis sie ›Widerhall‹ finde[t]« (Rosa 2016a, 212). Basierend auf der Unterstellung eines anthropologischen Resonanzstrebens vermutet Rosa, dass Schulzes Scheidelinie zwischen weltverankertem und ichverankertem Ich-WeltBezug auch ungefähr die Differenz abbildet, »ob wir resonante Weltbeziehungen als erste (Ich-Verankerung) oder als zweite Stimmgabel (Welt-Verankerung) suchen« (ebd., 243). Der Gedanke liegt durchaus nahe, dass jene Milieus, die Welt als eher gestaltbar verstehen, dies auch aktiv tun. Dem ließe sich jedoch entgegenhalten, dass eine Weltverankerung eine mindestens ebenso aktive Ich-Gestaltung fordert, um mit Welt ein resonantes Verhältnis entwickeln zu können. Die im Falle des »Rangstrebens« benötigten eigenen Fähigkeiten zum Erreichen von Macht und Besitz stellen sich aus dieser Sicht als die am meisten Erfolg versprechenden Strategien der Vermeidung von Entfremdung und des Erreichens von Resonanz dar. Das Streben nach »Konformität« muss dann in Strategien der Entsprechung sozialer Erwartungen gelesen werden. Den überwiegend jüngeren ich-verankerten Gesellschaftsgruppen muss dann hingegen unterstellt werden, in ihren Such- und Vermeidungsstrategien grundsätzlich an der Veränderung außerhalb des Selbst anzusetzen. So macht auch Schulze darauf aufmerksam, dass weltverankert nicht bedeute, dass es etwa unmöglich wäre, »daß sich das Subjekt selbst an der Veränderung der Welt beteiligt, etwa im Rahmen von beruflichen, politischen, kulturellen Funktionen« (Schulze 1996, 235). Weltverankert meint eher, dass die Orientierung der Lebensgestaltung ausgehend von einer Welt gedacht wird, die so ist. So wird beispielsweise die »Bedeutung eines Werkes […] als
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geheimnisvolle, vom Betrachter unabhängige Eigenschaft gesehen, die er vorfindet und nicht etwa selbst definiert« (ebd., 285). Es spricht jedoch einiges dafür, dass weltverankerte Milieus mit Blick auf die Welt doch eher die Bedrohungen denn die Chancen auf Resonanzen im Blick haben. So bleibt zumindest die Vermutung, dass die Ich-Anpassung mehr für eine Dominanz der Vermeidung spricht und die Weltanpassung eine Dominanz der Resonanzsuche nahelegt. Unterstützung findet Rosa in den Arbeiten Max Webers und darauf Bezug nehmend auch Jürgen Habermas’, welche bekanntlich die religionsspezifischen Grundhaltungen der Weltbejahung und Weltverneinung jeweils mit der aktiven und der passiven Haltung zu Welt kreuztabellierten (vgl. Habermas 1995, 283ff.). Weltbejahung meint dann eine grundsätzliche Akzeptanz möglicher Weltbeziehung (objektiver und sozialer), während sich die Weltverneinung als eine grundlegende Ablehnung lesen lässt, die nur durch Zucht, Kontrolle und Erziehung beherrschbar ist und letztendlich überwunden werden muss (vgl. Rosa 2016a, 221). Mit Blick auf ein aktives und passives Weltverhältnis differenziert sich aus, ob die jeweilige Weise, wie die objektive, soziale und subjektive Welt erfahren wird, als pathisch erlitten beziehungsweise genossen oder intensionalistisch bekämpft respektive erkämpft beschrieben werden kann. Dabei ist es keineswegs so, dass eine grundlegend positive Haltung zur Welt per se mit einer aktiven Beziehung zu dieser einhergehen muss. Ebenso wenig muss die Bewertung der Welt, vor allem des Selbst, als grundlegend schlecht den passiven Rückzug oder die Vermeidung von Weltverhältnissen mit sich bringen. Wie bereits Weber deutlich machte: Mit der Übertragung der asketischen Gesinnungsethik der christlichen Orden auf außerreligiöse berufsethische Bereiche konnten sich rationalistische Potenziale der protestantischen Ethik gesellschaftlich durchsetzen. Es konnte sich aktiv eine Welteinstellung durchsetzen, welche auf eine Beherrschung der entwerteten und objektivierten Welt abzielte. Auf dieser Grundlage wiederum verstärkten sich die Fundamente der auf Beherrschung zielenden finanziellen, materiellen und letztlich auch sozialen Akkumulationsprozesse (vgl. Weber 1969). Wenn sowohl Weber als auch Habermas hervorheben, dass diese objektivierende Ablehnung des Seienden immer erst die Konsequenz aus der Orientierung an einer vermeintlich wertvolleren, irgendwie gearteten anderen Welt sei, erkennt Rosa darin keine grundlegende Verneinung von Resonanz. Unterschiede im Weltverhältnis stellen sich dahingehend lediglich als Unterschiede in der kulturell variablen Strategie der Suche nach Resonanz und der Vermeidung von Entfremdung dar. Weltbeziehungsdifferenzen lassen sich Rosa zufolge ganz grundlegend auf Unterschiede darin zurückführen, »ob das Weltbegehren oder die Weltangst überwiegt, ob die Sehn-
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sucht nach den (möglichen) Oasen die Furcht vor den Wüsten übersteigt oder […] die Vermeidungsstrategien dominieren« (Rosa 2016a, 200). Beherrschung und Anverwandlung Im Anschluss an Herbert Marcuses Unterscheidung von Logos und Eros beschreibt Rosa darüber hinaus die Strategien der Weltbeherrschung im Gegensatz zu jener der Weltanverwandlung als maßgebliche Erfolgsstrategien des Erreichens von Resonanz (vgl. ebd., 31f.). Spätestens dann begibt sich die Resonanztheorie jedoch in die Wirren einer unauflöslichen Polarisierung von Verstand und Gefühl, von der die abendländische Kultur seit jeher geprägt ist und die lange vor der Domestizierung der instrumentell subsumierten westlichen Kultur einsetzte. Rosa beruft sich somit auf eine Tradition der vermeintlichen Unversöhnbarkeit zweier Erkenntniswirklichkeiten, deren Realitätsanspruch jedoch in der westlichen Kultur lediglich die repressive Vernunft für sich behaupten kann, ohne dabei den Widerspruch der sinnlichen Erkenntnis gänzlich zum Verstummen gebracht zu haben (vgl. Marcuse 1979, 139). Auf die konstruierte Unverträglichkeit von Vernunft und Sinnlichkeit beruft sich auch Freud, wenn er der Phantasie und dem Traum einen Wahrheitsgehalt unterstellt, der mit jenem der Vernunft unvereinbar sein muss (Freud 1948, 234). Daran orientiert, stellt sich Rosas Strategie der Anverwandlung als individuelle »große Verweigerung« dar, nämlich als Verweigerung einer vollständigen Unterordnung unter das Leistungsprinzip, dessen Logos letztlich kein anderer ist als jener der Ökonomie. Die mit der westlichen Kultur zutiefst verwurzelte – und bekanntlich nach Freud erst begründende – Vernunft fordert den triebbeherrschenden Verzicht, die Mühsal und Nutzbarmachung als unvermeidlichen Preis. Für die Entwicklung dieser Kultur ist der männliche Typus des Prometheus kulturheroisches Symbol. Daneben reiht sich das Gegenbild der weiblichen Pandora, deren Versinnbildlichung der Sinnlichkeit und Lust doch vor allem den Mangel an ökonomischer Nutzbarkeit impliziert. So merkt auch Marcuse an: »Die Anklage gegen das weibliche Geschlecht, mit der das Kapitel [über Prometheus in Hesiod] schließt, betont vor allem ihre [der Frauen] ökonomische Nutzlosigkeit; sie sind zwecklose Drohnen, ein Luxus im Budget des armen Mannes. Ihre Schönheit, das Glück, das sie versprechen, sind in der Arbeitswelt der Kultur nur verhängnisvoll.« (Marcuse 1979, 140)6 Gleichsam lässt sich Rosa nicht unterstellen, jene Prinzipien als typisch weiblich oder typisch männlich auszulegen. Stattdessen muss man Rosa eher so verstehen, dass die Fähigkeit auch der anverwandelnden Welthaltung grundsätz-
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Marcuse nimmt dabei Bezug auf Norman O. Browns Hesiod’s Theogony und Hermes the Thief (1947).
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lich jedem innewohnt, es jedoch weniger den Individuen selbst als den kulturellen und institutionellen Obliegenheiten anheimfällt, welche Strategien sich richtungsweisend durchzusetzen vermögen. Als solches verweist die auf Anverwandlung mit der Welt gerichtete Beziehung auch eher auf das Bild der Befreiung der Kultur, Sinnlichkeit und Freude, ihren Sinn in der Schönheit findend, deren Endzweck nach Schiller das freie Spiel ist. Es ist der Stillstand der Zeit, die Erlösung der Lust und damit letztlich das Leben selbst, das gesucht wird und dem die Kultur als Repression der Wirklichkeit geopfert wird, wie es Marcuse mit mythologischen Traditionen des Orpheus und Narziss darstellt (vgl. ebd., 141ff.). Hierin fügen sich Rosas Darstellungen des Resonanzbegehrens zum Bild eines im Grunde sinnlichfreudvollen, libidinösen Lebensbegehrens im freien Spiel der wechselseitigen Verbundenheit mit Welt. Dieses Spiel findet gerade nicht sein Endziel in der genuinen Einheit beider Grundhaltungen, wie häufig in der Bezugnahme auf die monistische Idee einer Alleinheit behauptet wird. Vielmehr ist deren Element der Entfremdung, welches die beherrschende Strategie einbringt, immer auch konstitutiv. Kulturelle, kontextuelle und institutionelle Bedingungen der Weltbeziehung Weltverhältnisse sind vorwiegend kollektive Weltverhältnisse und als solche tief in der jeweiligen Kultur verankert – im jeweiligen Sein, Denken, Handeln, in Institutionen und Räumen, in denen sich die Angehörigen der Kultur bewegen. Meint eine Analyse affektiver Strukturen also immer eine Analyse der Weltbeziehungen, so fordert dies nicht nur eine Beschreibung von Dispositionen seitens der Subjekte, sondern auch der Konfigurationen von Welt sowie deren Passungsverhältnisse. Aufgrund des dynamischen und prozesshaften Charakters von Weltbeziehungen sind es nun insbesondere die sich jeweils ergebenden Bedingungen des Handelns und Begegnens, welche die Grenzen möglicher resonanter oder stummer Beziehungen abstecken und die dispositionale Struktur jeder Begegnung konstruieren. Als solche unterliegt die Bezogenheit nicht nur vermittelt über das Subjekt, sondern unweigerlich auch direkt auf Weltseite der Bedingungen (spätmoderner) gesellschaftlicher Räume, Institutionen und Kultur (vgl. ebd., 35). Zu den kulturellen Bedingungen der Begegnung rechnet Rosa im Großen und Ganzen das, was man unter sozialstrukturell und kulturell vermittelten Deutungs- und Handlungsschemata fassen kann. Damit sind im engeren Sinne bestimmte Rollenbilder, Stereotype und Lebensstile gemeint, aber auch sehr weit
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gefasste, jeweils kulturgeschichtlich wandelbare Verhältnisbestimmungen zwischen Subjekt, Gemeinschaft und Welt. Unter anderem erneut auf Charles Taylor rekurrierend, unterstellt Rosa ein durchaus historisches, vom Porösen zum Geschlossenen wandelbares Selbst, das somit die Fähigkeit der Resonanzsensibilität erst im sozioökonomischen Wandel erlangt hat (vgl. Taylor 2009). In eine vergleichbare Richtung weist Gesa Lindemann, wenn sie darstellt: »Ein leibliches Selbst unterliegt einer historisch kontingenten Formung, die den Leib dividualisiert oder abgrenzend individualisiert und dabei sensibilisiert beziehungsweise desensibilisiert.« (Lindemann 2014, 107) Eine solche Offenheit durch Geschlossenheit erweist sich nach Rosa jedoch als äußerst prekär, da sie – insbesondere unter spätmodernen Bedingungen – stets droht in eine »Geschlossenheit durch Geschlossenheit« (Rosa 2016a, 654) umzuschlagen und damit in eine Dominanz der Entfremdung. Darüber hinaus erweisen sich die im engeren Sinne kontextuellen Bedingungen von Weltbeziehungen, unter denen Rosa alle situativ räumlich wirkenden Aspekte bündelt, als ebenso dispositional bedeutsam für die Art und Weisen möglicher Begegnungen. Deren Charakteristika drücken sich in räumlichen oder sozialen Atmosphären aus, die auf dieser Ebene mit der präkognitiven, affektivleiblichen Ebene des Subjekts in Wechselwirkung treten können (vgl. ebd., 635ff.). Diese primäre und basale Bezogenheit von Subjekt und Welt tritt in der Form der Stimmungen hervor, auf die an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird. Neben den beschriebenen kulturellen und kontextuellen Bedingungen spricht Rosa jedoch den institutionellen eine ungleich größere Bedeutung zu. Die jeweiligen Weisen zu handeln können nicht erst als praktische Ausformungen von Denkstilen und situativen Reaktionen betrachtet werden, sondern sind doch tief mit den konkreten Weisen des In-der-Welt-zu-seins verankert. Entsprechend wandelt sich Weltbeziehung nicht schlicht und einfach mit der Übernahme neuer Einsichten. Demgegenüber bestimmt das, was Menschen tun, ungleich stärker, wie sie jeweils in die Welt gestellt sind. Praktiziert, routiniert und verankert werden spezifische Praxisformen in entsprechenden institutionellen Zusammenhängen, in denen Menschen sich regelmäßig bewegen und ihre wiederholend alltäglichen Handlungsformen ausbilden. Rosa rekurriert auf Charles Percy Snow, der 1959 (1960) in The two cultures and the Scientific Revolution von einer tiefen und unüberbrückbaren Spaltung schrieb zwischen einerseits der naturwissenschaftlich geprägten Kultur, die grundsätzlich zukunftsorientiert sei und nach Weltveränderung trachte, und andererseits einer Kultur der Geisteswissenschaften, die demgegenüber eher rückblickend und bewahrend ausgerichtet sei. Dem entnimmt Rosa die Spaltung zwischen institutionell geprägten Praxen der
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Reichweitenvergrößerung einerseits und jenen der Resonanzorientierung andererseits. Grundlegend an Rosas Aussage ist, dass er gerade nicht den dahinterstehenden Selbst- oder Weltbildern oder kulturellen Kontexten die primäre, dispositionale Bedeutung beimisst, sondern den gesellschaftlichen Institutionen, die diese reproduzieren. Entscheidend daran ist, dass dieser mehrfach verwobene und komplexe Wechselbezug ein Netz von starken Wertungen, Deutungen, Praktiken und Bedürfnissen entstehen lässt, die durchaus im Widerspruch zueinander stehen können. Dies hat zur Folge, dass In-die-Welt-gestellt-sein nicht nur bedeutet, Verhältnisse zu Mitmenschen, zu Geschichtlichkeit, zu Sterblichkeit etc. bestimmen zu können, sondern auch zu müssen. Es ist somit nicht verwunderlich, dass es in spätmodernen Gesellschaften, in denen sich Sinnhorizonte, Wertzuschreibungen und Bedürfniskonstruktionen immer weiter ausdehnen, aber eben auch aufstapeln und wechselseitig vielfach verknüpfen, zu den bekannten Pluralitäten und Unsicherheiten von Werten, Lebensweisen und Seinsweisen kommt, wie sie beispielsweise Beck 1986 in Risikogesellschaft ausführlich nach außen getragen hat (Beck 1986). Rosa geht jedoch davon aus, dass ein evaluativer Rahmen 7 unabdingbar für stabile Identitäten und planvolles menschliches Handeln ist. Hinweise darauf, welche Bedeutung evaluative Landkarten für die Orientierung des Menschen haben, lieferte bereits Merleau-Ponty, demzufolge der Verlust von Wertungen mit Einbußen in der räumlichen Orientierung einhergeht (Merleau-Ponty 1966). Die Bewertungslandkarte der Welt, die vor allem durch kulturelle und institutionalisierte Praktiken vermittelt und erst später theoretisch – mithin sprachlich – reflektiert wird, stellt sich Rosa zufolge der Landkarte des affektiven Begehrens durchaus entgegen. »Die Art des In-die-Welt-Gestelltseins umfasst deshalb auch eine Art des Sich-selbstGegenübergestelltseins beziehungsweise Sich-selbst-Gegebenseins. Verdrängung […], Askese, gelegentliche Exzesse, vielleicht gefolgt von einer Beichte etc., bezeichnen Möglichkeiten der Vermittlung zwischen Begehren und Bewerten oder, in Taylors Terminologie, zwischen dem, was wir (je aktuell) wollen, und dem, was wir für eine Person sein wollen.« (Rosa 2016a, 231)
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Angelehnt ist dieser Rahmen an Charles Taylors Beschreibung einer moralischen Landkarte. Vgl. hierzu etwa Rosa (2016, 227); Charles Taylor, Quellen des Selbst (1994, 55); Charles Taylor, Das Unbehagen an der Moderne (1995, 40ff.).
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Rosa spricht mitunter sogar von einer evaluativen Doppelkodierung der Dinge oder einer Spaltung der evaluativen Dimensionen der Weltbeziehung zwischen starken Wertungen, die scheinbar von außen an das Subjekt Anforderungen stellen, und den situativen eigenen Wünschen und Bedürfnissen des Subjekts selbst. Insofern nun diese Dimensionen für das Subjekt nicht vereinbar sind, entwickeln sich Spannungen und Widersprüchlichkeiten, welche die Lebensführung von Subjekten wesentlich charakterisieren. Sozialer Wandel und der Wandel affektiver Strukturen Im Folgenden sollen entlang den bisher allgemein dargestellten dispositionalen Bereichen des Affektiven einige Überlegungen zu konkreten Verschränkungen affektiver Strukturen mit dem kollektiv Dispositionalen einerseits sowie ökonomischer, sozialer und kultureller Strukturen andererseits angestellt werden. Im vorigen Kapitel wurde bereits zwischen synchronen und asynchronen Begegnungsmustern unterschieden, die auf der Basis entsprechender zu- oder abgeneigter affektiver Begegnungsmodi entstehen. Diese Modi sollen auch hier als Grundlage affektiver Emergenzen der eher positiven oder negativen Stimmungen beziehungsweise (Grund-)Gestimmtheiten verstanden werden. Weiterführend wird auf struktureller Ebene zwischen Gestimmtheiten intensiver und schwacher Amplitude sowie im Hinblick auf die Beständigkeit und Homogenität der einzelnen Begegnungsmuster, aus denen sich diese Gestimmtheiten zusammensetzen, unterschieden. Ein weiteres, letztes Mal sei darauf hingewiesen, dass darüber hinaus schwerlich Aussagen zum tatsächlichen subjektiven Empfinden der einzelnen Weisen affektiver Prozesse getroffen werden können. Diesen Umstand gebührend berücksichtigend verweisen jene affektiv-modalen Muster bereits in grober Weise unweigerlich auf deren qualitative Kehrseite. Wenn also von einem beschleunigenden Wechsel der Gestimmtheitsmotive oder einem häufig starken Ausschlag affektiver Bewegungen die Rede ist, deutet dies natürlich bereits auf generelle Empfindungsweisen hin, ohne deren Qualität indes genau benennen zu können. Das moderne Selbst Mit der Frage danach, wie sich unter der Herausbildung der Moderne die kulturellen Weltbilder und Institutionen gewandelt und sich entsprechend auf affektive Strukturen ausgewirkt haben, scheint die Natur des In-der-Welt-seins bereits im Ansatz verfehlt. Man trifft sie weder, wenn man von einer sich wandelnden Welt ausgeht, welche die Subjekte prägt, noch, indem das Subjekt gesetzt wird, welches seine Welt gestaltet. Natürlich haben sich Formen kultureller und struk-
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tureller Modernisierung sowie die Herausbildung des modernen Subjekts gemeinsam entwickelt, allerdings nicht schlicht in wechselseitiger Wirkung aufeinander. Vielmehr ändert sich die kulturelle und sozialstrukturelle Welt und das Selbst immer aus der, wie es Rosa bezeichnet, Gestalt der Bezogenheit selbst heraus. Das macht Rosa immer wieder mit Nachdruck deutlich: »Die Beziehung, so lautet der Ausgangspunkt der Resonanztheorie, geht sowohl dem erfahrenden und handelnden Subjekt als auch dem begegnenden, gestalteten und gestaltbaren Objekt voraus, sie wird aber in der Begegnung, in deren Aufeinandertreffen auch jeweils stabilisiert und bekräftigt.« (Rosa 2016a, 671) Man muss also daran ansetzen, dass sich Subjekt-Welt-Beziehungen immer als Ganzes wandeln, woraus auch Welt, und damit Kultur und Sozialstruktur, sowie Selbst gewandelt hervorgehen. In der Auseinandersetzung mit Latour führt Rosa zudem an, dass »[j]ede Existenzweise, jeder Seinsmodus […] je eigene Transzendenzen, Entitäten und Strukturen, je eigene Ontologien mit jeweils spezifischen Formen auch der Wahrheit und des Wahrsprechens« (Rosa 2016b, 555) erzeugen und Latours Konzeption folgerichtig auf eine »›Viele-Welten-Theorie‹ der Moderne« (ebd.) ziele. Mit Blick auf affektive Hintergründe, welche von Grund auf konstitutive Bestandteile der Begegnung von Subjekt und Welt meinen, muss jedes SubjektWelt-Verhältnis immer auf seine Tendenz einer synchroneren oder asynchroneren Modigestaltung und auf sich daraus entwerfende affektive Phänomene hin befragt werden. Wenn sich etwas auf den Prozess der Begegnung und damit affektive Prozesse auswirken dürfte, dann nicht die kulturellen Inhalte, Weltbilder und Werte an sich, sondern, wie sie Grenzen und Bereiche der sich begegnenden Entitäten überhaupt artikulieren, zulassen oder verstärken. Das bedeutet, dass gerade dadurch, dass in modernen Gesellschaften das Individuelle und Körperliche an Aufmerksamkeit gewonnen hat, eben diese Bereiche dem Selbst entzogen werden – allein dadurch, dass ihnen begegnet wird. Die Grenzen des eigentlichen, begegnenden Selbst und des kulturell konzipierten, begegneten Selbst dürften somit zwischen Sprach- und Lebensgemeinschaften beträchtlich abweichen. Gestimmtheiten unterscheiden sich mit Blick auf kulturelle Sinngehalte dann je nachdem, welche Gespanntheit jene Begegnungen erlauben. Ein Beispiel: Steigt die kulturelle Präsenz körperbezogener Begegnung, ist deren Beziehung aber keine harmonische und klaffen damit Sein und Sollen – um mit Rosa zu sprechen – häufig auseinander, dürfte dies eher asynchrone Gespanntheiten in der Weltbeziehung begünstigen.
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Dynamisierte Praktiken Institutionalisierte Praktiken beziehen leibliche Ausdrucksformen ebenso ein wie Sprache und Kunst sowie die Gestaltung von Raum und Zeit. Sie können jedoch als prädispositionale Strukturen erst dann verstanden werden, wenn ersichtlich wird, in welcher Weise sie sich in affektive Hintergründe übersetzen. Die Frage ist also, welche gemeinsame Logik den Praktiken inhärent ist, die ihnen erlaubt, sich mittels Weltbeziehungen nicht nur zu etablieren und realisieren, sondern auch zu stabilisieren und zu reproduzieren. Rosas Antwort auf diese Frage ist bekanntlich Dynamisierung. Dieser Begriff meint eine materielle, soziale und geistige Dynamisierung und will damit die für die Moderne typischen Prozesse der Transformation fortlaufender Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung und Domestizierung auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Dieser gemeinsame Nenner stellt somit die Logik der kontinuierlichen, und zwar exponentiellen und folglich im Grunde eskalatorischen Steigerung dar (vgl. Rosa 2016a, 673). Die Struktur, die damit stabilisiert und reproduziert werden soll, ist die der grundlegenden institutionellen und sozialstrukturellen Ordnung moderner Gesellschaften sowie ihre Logik selbst (vgl. hierzu ausführlich Rosa 2014). Und diese Grundstrukturen der Moderne, ihre autonomisierten gesellschaftlichen Teilbereiche und allokativen Mechanismen, sind es auch, welche die materiellen, sozialen und geistigen Dynamisierungstendenzen vor allem infolge wachsender Konkurrenz takten und über Weltbeziehungen etablieren. Damit fordern sie jedoch spezifische affektive Hintergründe und Gestimmtheiten ein als prozessuale Basis der Umsetzung und Sicherung einer soziokulturellen Formation, die sich nur dynamisch stabilisieren kann. Individuen sind demnach in eine Welt gestellt, die sich zunehmend und immer schneller wandelt. Dies gilt für den Arbeitsmarkt, Politik und Recht, das Bildungs- und Gesundheitssystem ebenso wie für Beziehungs- und Lebensformen. Damit einhergehend verbindet sich jedoch die zunehmende Erosion von Orientierungspfeilern und Erwartbarkeiten. Dass dies nicht einfach bedeutet, dass sich Subjekte an nichts mehr orientieren können, sondern dass sie das, wonach sie sich ausrichten, immer wieder verlieren und ihnen Welt infolge dessen immer unerreichbarer, befremdlicher und stummer entgegentritt, sie selbst sich zunehmend als defizitär und unwirksam erfahren, hat bereits Durkheim (1987) ausgemacht. Entsprechend diagnostiziert auch Rosa, dass Erfolg und damit Ziele nie abschließbar sind. Im Gegenteil, sie führen zur Verschärfung der Lage, da sie stets überboten werden müssen. Jede Vorstellung eines Endziels bleibt immer ein nicht eingelöstes Versprechen. Diese Logik nimmt Einfluss auf nahezu alle Bereiche des Lebens und wird zum Zwang, alles besser, effizienter, schneller und innovativer zu machen. Etwas so zu lassen, wie es ist, bedeutet dabei nicht einfach nur Stillstand, sondern gleichsam Regression,
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sei es in Hinblick auf beruflichen Erfolg, unsere technische Ausrüstung, den nächsten Urlaub oder unsere Fitness. Entsprechend lässt sich auch Rosas Fazit nachvollziehen, dass sich mit Blick auf die grundlegenden Modi der Weltbeziehung die Logik der Beschleunigung mit Resonanz nicht gut vertragen dürfte. Das bedeutet nicht, dass Resonanzen in der Moderne nicht mehr möglich wären. Doch der Versuch, sie innerhalb der ihnen zugewiesenen Sphären der Familie, Freundschaft oder Freizeit zu institutionalisieren, scheitert in weiten Teilen daran, dass sie damit zunehmend ebenso Dynamisierungslogiken anheimfallen8. Wenn etwa Feste wie Kindergeburtstage in reine Konsumschlachten übergehen oder das aktuelle Vorhaben, eine neue Sprache zu lernen, möglichst in nur wenigen Wochen über die Bühne zu bringen ist, lassen sich hierin Strategien der Suche nach Resonanz erkennen. Resonanzen sind jedoch weder planbar noch käuflich und schon gar nicht erzwingbar. Häufig benötigen Resonanzen Zeit, feste Bindungen und gefestigte Resonanzachsen (vgl. Rosa 2016a, 692f.). Zudem entziehen sie sich nahezu jedem Versuch, sie zu greifen. Hier macht Rosa nachvollziehbar, warum der Akt des Kaufens allzu oft glücksverheißender ist als das eigentliche Konsumieren der Ware. Welche Konsequenzen lassen sich aus Rosas Ausführungen für den Wandel affektiver Strukturen ableiten? Mit Blick auf den Niederschlag soziokultureller Formationen, Welt- und Selbstbilder, Werte, Normen und Ordnungen wurde zuvor festgestellt, dass sich diese insbesondere in der jeweiligen prozessualen Struktur der Begegnung, das heißt in den tarierenden Grenzziehungen und Permeabilitäten von Selbst und Welt und deren frequenziellen Bewegungen in der Interaktion zueinander bestimmen. Eine sich aus den routinierten und praktischen Weisen der Begegnung realisierende Beschleunigung schlägt in Anknüpfung daran doch zuallererst in eine beschleunigte Transformation affektiver Modi und Begegnungsmuster um, wie sich auch generell dominierende Gestimmtheiten aus einer tendenziell steigenden Anzahl an asynchronen Motiven zusammensetzen dürften. Was ist damit gemeint? Stimmungen und Gestimmtheiten müssen als affektive Emergenzen basal-affektiver Hintergründe in der Begegnung verstanden werden. Das bedeutet, dass sich die im Prozess der Begegnung wechselseitigen Bewegungen von Angst und Begehren nicht einfach auf die Entitäten affiziert und affizierend auswirken. Vielmehr eröffnen sie damit einen Resonanzraum dazwischen, der das Subjekt und Welt als sich begegnende Enti-
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Der von Wolfgang Endres gemeinsam mit Hartmut Rosa herausgegebene Band Resonanzpädagogik: Wenn es im Klassenzimmer knistert (Rosa 2016c) darf demnach als Anstoß verstanden werden, wie einer solchen Entwicklung in Bildungsinstitutionen begegnet werden kann.
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täten erst definiert und liminalisiert. Ausgehend von den bidirektionalen Weisen des Affizierens lassen sich somit verschiedene Grundmuster zu- oder abgewandter Bewegungen unterscheiden, die seitens des Subjekts als zunächst synchrone oder asynchrone Gestimmtheiten in unterschiedlicher Intensität erfahrbar werden. Da sich die tatsächliche Weltbeziehung jedoch kaum einfach bipolar und isoliert von anderen ausmachen lässt, vor allem nicht im Hinblick auf jene subjektiven und objektiven Entitäten, die als affektiv relevant gelten dürften, wird hier von einem Rapport, also einer Art dreidimensionalem Muster aus den verschiedenen sich wiederholenden Motiven, gesprochen. Der Begriff des Rapports affektiver Muster gibt somit die prozessuale Gestalt des Affektiven in der Begegnung wieder. Es geht zunächst also darum darzustellen, wie sich Eindrücke von Weisen der Begegnung, die von Institutionen dominant präfiguriert werden und der Logik der Dynamisierung unterliegen, auf die affektiven Hintergründe der Subjekte übertragen lassen. Natürlich ist dies eine sehr schematische und abstrakte Herangehensweise. Jedoch soll es gerade nicht um die sich phänomenal darstellende Vielfalt des Gefühlslebens gehen, sondern um die diesen zugrunde liegenden mikrointeraktiven Grundmomente affektiver Hintergründe. Unbeständigkeit affektiver Hintergründe Ausgehend von den bisherigen Darstellungen zu den gedrängten Weisen der Begegnung und den prozessualen Grundstrukturen affektiver Hintergründe drängt sich die Vermutung auf, dass entweder die Bewegungen der basal-affektiven Grundmomente von Angst und Begehren selbst dynamisiert werden, also in gewisser Weise die Frequenz im Prozess der Begegnung steigt oder aber sich doch zumindest die Dynamik der Grundmuster, die diese bilden, sich beschleunigen und differenzieren dürfte. Dynamisierung und Differenzierung der Muster bedeutet sowohl, dass sich der Wechsel der Motive schneller vollzieht, als auch, dass die Art der Muster schneller wechselt. Um diese zugegebenermaßen vereinfachende abstrakte Überlegung wieder etwas einzubetten, folgt eine konkretere Betrachtung. So lässt sich vermuten, dass mit einer steigenden Dynamisierung von Selbstund Weltdefinitionen, wie sie vorangehend erwähnt wurden, auch die sich in der Begegnung setzenden Liminalitäten, die interagieren, einem häufigeren Wandel unterworfen sein könnten. Dies wiederum hätte zur Folge, dass affektive Prozesse insofern ebenso beschleunigt im Wandel sind, als sie an Bestimmungen daran gebunden sind, wer man selbst ist und in welcher Welt man sich verortet. Es bleibt vorerst anzunehmen, dass affektive Hintergründe fluktuierender, gedrängter und weniger erwartbar wären. Auch dies stellt keine Wertung dar. Es könnte einerseits positiv gelesen werden, in der Art einer Anpassungsfähigkeit affekti-
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ver Hintergründe an sich schneller wandelnde Umstände, oder andererseits als affektive Irritation und Beunruhigung des spätmodernen Subjekts diagnostiziert werden. So scheint eine Dynamisierung und Differenzierung dann besonders folgenreich, wenn man bedenkt, dass jene Gestimmtheiten sich nicht nur aus den Stimmungen einer ohnehin fluktuierenden basalen Resonanzebene räumlicher Begegnung zusammensetzen, sondern ebenso Ge- und Verstimmungen auf der Ebene situativ-reflektierter gerichteter Interaktionen einbeziehen und sich vor allem immer auch auf Grundgestimmtheiten der Ebene relativ beständiger Grundhaltungen stützen. Konkludierend lässt sich mit dem Modell also begründen, warum die mit den Prozessen der sozialen Verdichtung und Dynamisierung einhergehenden beschleunigten Praktiken moderner Institutionen, die sich mittels räumlich und zeitlich komprimierter Begegnungen von Subjekt und Objekt realisieren, im Ganzen zu einer gleichermaßen veränderten Zeitstruktur affektiver Hintergründe führen. Dominanz asynchroner Gestimmtheiten Nun stehen für Rosa nicht die Dynamisierung als solche, das eskalierende Wachstum und der sich verschärfende Wettkampf im Mittelpunkt seiner Gesellschaftskritik, sondern die damit einhergehende Verunmöglichung von Resonanz. Denn der Modus der dynamischen Stabilisierung »erodiert in der Spätmoderne alle Nischen, in denen wir heimisch werden und uns Welt anverwandeln können« (Rosa 2016a, 692). Die Vermutung liegt zumindest dann nahe, wenn Resonanzachsen nur noch bis auf Widerruf verfügbar sind und selbst die noch verbleibenden Resonanzhäfen, etwa Familie, Natur, Kunst und Religion, letztlich drohen mit »Defaulteinstellungen« unterwandert zu werden. Entsprechend dem geschilderten Szenario der Resonanzkritik wirkt sich dies sehr langfristig und tiefgründig auf die Strukturen des Affektiven als dynamische Bestandteile des sich wandelnden Subjekt-Welt-Verhältnisses aus. Kern der Argumentation um die für die Spätmoderne diagnostizierte Krise der Resonanz ist die zumindest grundsätzliche Unverträglichkeit von Resonanz und Beschleunigung sowie Resonanz und Konkurrenz. Erstere bilden schon aus ihrer je eigenen Zeitstruktur heraus eine Art Gegensatzpaar, und zwar sowohl in Hinblick auf ihre zeitliche Prozessstruktur als auch auf ihre zeitlichen Voraussetzungen. So scheinen Resonanzerfahrungen zeitlich unterschiedlich voraussetzungsreich zu sein, insbesondere, was die zeitliche Investition betrifft. Zwar können sich vor allem primäre Resonanzen durchaus
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spontan einstellen,9 doch bedürfen bereits konkrete Interaktionen, etwa mit anderen, Übung, wenn sie gelingen sollen. Säuglinge üben sich darin zweifelsohne von Anfang an (vgl. Zirfas 2009); trotzdem können sie noch nicht selbstständig eine bindende Interaktion aufrechterhalten. Sie fordern zunächst dazu auf und lernen zunehmend differenzierter zu antworten. Worauf diese Ausführungen aber hinauswollen, ist, dass alle Formen von konkreten sozialen Interaktionen, sei es mit Freunden, mit dem Lebenspartner, mit dem Briefträger oder, wie Rosa anbringt, mit der Geige oder dem Roman, eine gewisse Zeit und Dauer brauchen, um diese Interaktionen zu resonanten Begegnungen werden zu lassen. Noch entscheidender indes stellt sich dies wiederum im Bereich der transzendenten Weltbeziehung dar. Auch diese geht jeder Mensch ein, indem er sich mit der Gesellschaft, dem Leben, dem Symbolischen, der Zeit, dem Sinn, dem Fremden, dem Unerreichbaren etc. auseinandersetzt. Einmal mehr scheint hierbei jedoch die zweckfreie und sich langfristig entwickelnde Begegnung der generalisierten Entitäten die grundlegenden Stellungnahmen und stabilen Grundgestimmtheiten der Individuen zu beeinflussen. Jedoch spielen auch hier Erfahrungen von Resonanz und Entfremdung in der Begegnung eine bedeutende Rolle. Unter das zweite Gegensatzpaar – Resonanz und Konkurrenz – lässt sich der Modus der Beschleunigung ebenfalls grundsätzlich fassen. Die wachsende Konkurrenz zieht jedoch mehrere Aspekte nach sich, die vor allem in Hinblick auf die Resonanzsensibilität einen direkten Einfluss auf die Weisen der Begegnung haben. So scheint es einmal einsichtig, dass sich unter den Bedingungen von Konkurrenz und Wettkampf Subjekte eher verschließen denn füreinander öffnen. Ein gewisses Maß an Öffnung, welches sich in Bildungsprozessen etwa in Vertrauen und Interesse äußert, ist Voraussetzung, um überhaupt resonante Beziehungen eingehen zu können. Darüber hinaus forciert Konkurrenz einen sich verändernden Umgang mit Welt. Weltausschnitte werden verdinglicht, sie sollen möglichst erwerbbar, beherrschbar und erweiterbar sein. Anstelle der momentanen Beziehungsqualität tritt das vorausschauende Akkumulieren von resonanzversprechendem Kapital. Aus der Angst davor, von anderen uneinholbar abgehängt zu werden, und zudem aus dem Begehren heraus, möglichst viel Kapital
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Dies bedeutet jedoch nicht, dass primäre Stimmungen von jedem gleich erfahren werden oder überhaupt erfahren werden können. Rosa macht darauf aufmerksam, dass vor allem Kinder beispielsweise landschaftliche oder ästhetische Stimmungen noch gänzlich anders, wenn überhaupt, erleben (vgl. Rosa 2016a, 693). Es lässt sich also in gewisser Hinsicht begründen, warum nicht nur Geschmack an sich einen biografischen Entwicklungsprozess durchläuft, sondern auch die Fähigkeit, verschiedene Geschmäcker an sich auszubilden, einer zeitlichen Entwicklung unterworfen ist.
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zu akkumulieren, welches überhaupt erst Resonanz in der Zukunft verspricht, wird die Strategie der Resonanzsuche zu einer Strategie der vorausschauenden Reichweitenvergrößerung. Damit geht jedoch unweigerlich sowohl eine verdinglichte Begegnung mit Welt als auch eine Verdinglichung von Zeit einher. Indem die aktuelle Beziehungsqualität, die momentane Präsenz des Daseins, der Planung für die Zukunft weichen muss, wandeln sich unweigerlich der Modus der aktuellen Begegnung und das, worauf sich Angst und Begehren überhaupt erst richten. Wenn Rosa von einem vorübergehenden Verlust von Zeit in der Resonanz spricht, so kann mit Zeit nur das Konzept einer Zukunft gemeint sein, welches sich überhaupt erst in der verdinglichten Begegnung von Welt entwirft. Vielleicht ließe sich daher anstatt von einem Verlust von Zeit besser von einem Verzicht auf die instrumentelle Strukturierung von Zeit und vom Verweilen in dieser selbst sprechen. Dies wird deswegen so genau ausgeführt, weil es offenbar für die Übersetzung in affektive Modi und damit Gestimmtheiten der Subjekte als entscheidend erscheint. Denn folgt man Rosa dahingehend, dass im Zuge des unaufhaltsamen Ausbreitens der Strategie der Reichweitenvergrößerung auf nahezu alle Lebensbereiche Resonanzachsen brüchig oder zeitlich begrenzt werden oder gar erodieren, so könnte man daraus schließen, dass neben den Grundgestimmtheiten auch räumliche Stimmungen tatsächlich weniger erfahrbar werden würden, zumindest im positiven Sinne. Die Ästhetisierung der Lebenswelt würde somit erneut neu bestimmt werden müssen, und zwar dahingehend, dass, wie zuvor festgestellt, Stimmungen einerseits für die Grundgestimmtheit der Subjekte eine größere Relevanz hätten, jedoch auch weniger erfahrbar wären. Vielleicht könnten hieraus Ansätze zur Erklärung gesteigerter Ästhetisierung des Raumes abgeleitet werden. Dies würde sich somit gerade nicht aus einer gestiegenen Stimmungssensitivität heraus begründen, sondern aus einer dieser wieder suchenden. In das Zentrum dessen, was die Affektivität der Subjekte bestimmt, rückt folglich mehr und mehr allein die teilreflexive, situative Ge- und Verstimmung in der konkreten Begegnung. Als vorläufiges Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass sich im Zuge der von Rosa beschriebenen Dynamisierung der Sozialformation und der sich damit verstärkenden Resonanzkatastrophe die Gestimmtheit zunehmend auf die Weisen konkreter Verstimmungen und Gestimmtheiten in situativen, konkreten Begegnungen verwiesen wird. Die den Bereich affektiver Hintergründe differenzierenden und vertiefenden Ebenen der räumlichen Stimmungen und transzendenten Grundgestimmtheiten verlören an Bedeutung für das aktuelle Befinden der Subjekte.
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Erschöpfung und Depression Deutlich ablesbar indes wird das Ausmaß einer gesellschaftlichen Krise erst an den großen Manifestationen gesamtgesellschaftlicher Kernprobleme, seien es Umweltprobleme oder humane Krisen, wie Rosa in der Resonanzkritik betont. Angesichts des unterstellten Anstiegs psychosomatischer und psychischer Erschöpfungssymptome bis hin zu Depressionen drängt sich eine Betrachtung veränderter Bedingungen der Strukturen des Affektiven geradezu auf. Genau genommen trifft es sogar im Kern affektive Hintergründe, wird die depressive Gestimmtheit doch häufig als unterstes Ende möglicher Ausprägungen von Stimmungen definiert10. Für Rosa stellt sich die Depression als die radikalste Form der Entfremdung dar, in der alle Resonanzachsen zum Erliegen kommen. Rosa setzt also die Depression mit dem völligen Stillstand aller basalen Bewegungen sich begegnender Entitäten gleich. Welt und Selbst üben keine Attraktion und keine Repulsion mehr aufeinander aus, sie stehen sich schweigend und gleichgültig gegenüber, unfähig dazu, selbstwirksam und gestaltbar aufeinander einzuwirken. Nichts vermag den Depressiven mehr zu erreichen – weder der beste Freund noch die Lieblingsmusik oder ein Lottogewinn –, wie auch er Welt nicht mehr zu realisieren vermag oder gewillt ist (vgl. Rosa 2016a, 202; 277). Doch bedeutet nicht die Beziehung in der Beziehungslosigkeit, das Fehlen von basalen Grundbewegungen gleichsam auch das Fehlen von Gestimmtheit? Dies widerspräche allerdings der Grundannahme, dass das Dasein niemals nicht gestimmt sein kann. Dennoch empfindet der Depressive sich selbst und die Welt als leer, farblos und tot. Zentral ist wohl: Er empfindet es, er ist es nicht. Auch der Depressive ist in die Welt gestellt, er ist da, wenngleich in der wohl unangenehmsten Art und Weise. Der Punkt ist, dass im Dasein der Resonanzraum trotzdem aufgespannt sein muss, sonst würde der Betroffene sich selbst und Welt nicht mehr erfahren können. Die bisher bereits mehrfach erwähnten Grenzen zwischen Subjekt und Welt sind jedoch starr und verschlossen. Das Selbst ist gefangen und isoliert. Folglich kann sich die Gespanntheit zwischen den Entitäten nicht mehr verändern. Aus einer lebendigen, wechselseitig konstruierten Frequenz wird ein gleichbleibendes Rauschen. Nur so lässt sich indes erklären, warum in der reinen Depression (räumliche) Stimmungen nicht mehr erfahren werden können, Farben nur noch Grautöne sind und kognitive und evaluative Haltungen nur noch um sich selbst kreisen.
10 Auch Collins beschreibt den Bereich Emotionaler Energie als ein Kontinuum, welches sich von einem oberen Niveau der sozialen Offenheit und gestärktem Selbstbewusstsein bis hinab zu einem unteren Ende des sozialen Rückzugs und der emotionalen Leere, was er als Depression benennt, erstreckt (vgl. u.a. Collins 2004; Bollnow 2009).
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Nun beschreibt dieser Zustand eine sehr radikale Art und Weise des In-derWelt-seins. Relevant scheint daher ebenso der Weg in die Depression und die damit einhergehenden, sich pandemisch ausbreitenden Formen der Erschöpfung. In den Arbeiten zu Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung sah Rosa noch die Hauptursachen dieser Entwicklung im wachsenden Stress aufgrund der Desynchronisation verschiedener Zeitmuster zwischen Individuum und sozialer Welt11, sozialer und außersozialer Welt, beispielsweise der Natur, sowie innerhalb gesellschaftlicher Bereiche, wie etwa Wirtschaft und Politik oder Wirtschaft und Bildungssystem. Hinzu kommt die zeitliche Überforderung im Zuge der aus der Dynamisierung resultierenden Verdichtung der Anforderungen an das Subjekt (vgl. Rosa 2013, 291ff.). In der Resonanzkritik rückt dann neben der Dynamisierung selbst der Zwang zur verdinglichten Ressourcenorientierung in den Mittelpunkt, wenn es Rosa um die Ursachenanalyse der Depression geht. Rosa lässt sich dazu so verstehen, dass es vor allem doch der Aspekt der über Kapital vermittelten Resonanzsuche ist, die es überhaupt erst ermöglicht, dass jegliche Ressourcen, seien es physische und psychische, aber auch ökonomische und kulturelle, überhaupt ausgebeutet und damit zum Erlöschen gebracht werden können (vgl. Rosa 2016a, 179). Die Depression begründet sich damit nicht lediglich als Stress- oder Überforderungsreaktion, sondern aus einem, wenn man es so nennen kann, Rückkopplungseffekt. Jeder, der schon einmal auf einem Rockkonzert war, kennt diesen Effekt, der sich in einem unangenehm schrillen und ansteigenden Ton äußert. Er entsteht, wenn die akustische Welle, die über das Mikrofon zum Verstärker transportiert wird, sich über jenen verstärkt wieder im Raum ausbreitet und erneut zum Mikrofon gelangt. Hält man diesen Prozess nicht auf, indem man beispielsweise das Mikrofon zuhält, entsteht eine Endlosschleife, die das gesamte System letztendlich zum Erliegen bringt. Es sei erlaubt, dieses Modell gedanklich auf den Prozess der Ressourcenanhäufung zu übertragen. Wenn Rosa argumentiert, dass sich die Depression als eine Art Kollaps aller Resonanzachsen einstellt und letztendlich als Folge der physischen und psychischen Ressourcenausbeutung zu verstehen ist, dann meint dies doch nichts anderes, als dass eben hier eine Endlosschleife in der Ressourcennutzung entstanden ist, die just
11 Rosa stützt sich mit Blick auf die wachsende fehlende Passung des Zeitrahmens von Subjekt und die dieses umgebende Welt vor allem auf die Arbeiten von Fritz Reheis (1996), Lothar Baier (2000) und insbesondere Alain Ehrenberg (2004), welcher explizit die ansteigende Diagnosehäufigkeit von Depression mit den auseinanderfallenden zeitlichen Mustern des Subjekts und der sozialen Welt zusammenbringt. Siehe auch Depression: Unbehagen in der Kultur oder neue Form der Sozialität (2016).
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dadurch ermöglicht wird, dass überhaupt das Bedürfnis nach dem wechselseitigen, resonanten In-der-Welt-sein der Subjekte nicht mehr direkt befriedigt wird, sondern stets vermittelt über resonanzverheißendes Kapital. Indem nämlich Subjekte eigene Ressourcen aufbringen, um eine resonante Weltbeziehung realisieren zu können, tun sie dies in modernen Gesellschaften immer weniger ganz unvermittelt in der spontanen Begegnung, sondern in der vorsorgenden Präparierung des zukünftigen In-der-Welt-seins. Jede sorgfältige Ausstattung aller möglichen Kapitalresorts mit resonanzversprechendem Kapital bewirkt eine kleine Feedback-Resonanz mit dem Versprechen, bald eine noch größere Resonanz zu erfahren. Diese Feedback-Resonanz nun wiederum bestärkt Subjekte darin, weiter Kapital anzuhäufen und mehr Ressourcen dafür einzusetzen, nur dass letztlich das gesammelte Resonanzpotenzial nicht mehr eingelöst werden kann. Legt das Subjekt also nicht irgendwann »die Hand aufs Mikrofon«, kommt es zum vollständigen Verbrauch aller Ressourcen in einer derartigen Geschwindigkeit, dass sie sich nicht regenerieren lassen. Die Rechnung geht schlicht nicht auf.
Kapitel 3 Affektive Prozesse und Dispositionen im Modell Emotionaler Energie Randall Collinsʼ
Randall Collins darf gewiss zu den wichtigsten Theoretikern der zeitgenössischen amerikanischen Soziologie gezählt werden (Müller und Sigmund 2000; Münch 2003; Vester 2010; Rössel 2012). Er trat schon früh mit eigenen Grundlagenbezügen zur Wissenschaftstheorie und mit Systematisierungsansätzen klassischer Theorietraditionen (vgl. Vester 2010), vor allem von Marx, Durkheim und Weber, in Erscheinung. Im Laufe der letzten Jahrzehnte profilierte er sich als einer der wichtigsten Vertreter einer Konflikttheorie gesellschaftstheoretischer Lesart. Collinsʼ wissenschaftlicher Werdegang begann bei Talcott Parsons. Dessen in The Structure of Social Action (1937) erstmals präsentierte systemtheoretische Theorie konnte Collins nicht überzeugen. Sie bildet ein eigenes, von der Empirie immunisiertes Konstrukt und selektiert einen empirischen Zugang zur sozialen Praxis stark vor (vgl. auch Balog 2001, 65ff.). Man kann davon ausgehen, dass die Zeit bei Parsons in Harvard Randall Collins maßgeblich geprägt hat in Richtung einer tiefgehenden Skepsis gegenüber der Erklärungskraft abstrakter, sinnzuweisender Konstruktionen wie Normen, Werte und Rollen. Das Grundprinzip der Synthese einer internen, an subjektiven Handlungsmotivationen ansetzenden Perspektive und einer externen, das Umfassende sozialer Phänomene fassen wollenden Perspektive, dürfte ihm zwar durchaus Anlass dazu gegeben haben, die Verhältnisbestimmung zu makrosozialen Strukturen, vor allem Herrschaftsordnungen, nie aus den Blick zu verlieren – ungeachtet seiner Begeisterungsfähigkeit für mikrosoziologische Analyseperspektiven, die auf seine Zeit in Berkley
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bei Herbert Blumer und Erving Goffman zurückgeht1. Doch erst in der Kombination mit dem Umgang mit Reinhard Bendix, der Collins die makrosoziale Konflikttheorie nahegelegt hat, begründet sich dessen lebenslange Ausrichtung daran, die häufig stark makrosoziologisch ausgerichtete Konflikttheorie einer mikrosoziologischen, empirischen Basis zu entlehnen. 2 In der Folge lässt sich Collins durchaus anrechnen, das konflikttheoretische Paradigma in der Soziologie, inspiriert vor allem von Weber, auf eine breitere Basis gestellt zu haben. Mit der Ritualisierung des Konflikts aus mikrosozialer Perspektive hat Collins eine dezidierte und vor allem prozessorientierte Auffassung sozialer Begegnung, sozialen Handelns und sozialer Strukturbildung eingebracht, die entgegen der bis dahin vorherrschenden strukturell-funktionalen Gesellschaftstheorie den Konflikt und den sozialen Wandel nicht pathologisiert oder lediglich in deren dramatischsten Erscheinungsformen fokussiert (Rössel 2012). Stattdessen ist mit einer situativ begründeten und interaktiv ausgetragenen Reibungsfläche ein dynamischer Moment grundlegend emotionaler Provenienz in die soziologische Theorie eingezogen, der jedoch immer auch von sozialen und kulturellen Differenzstrukturen in Form von Bedingungen und Folgen gespeist wird. Als zentralen Mechanismus, der dieses übergreifende konflikttheoretische Paradigma systematisch umsetzen kann, entwickelt Collins das Gesamtkonzept der Interaktionsritualketten, zusammen mit dem Modell Emotionaler Energie. In diesem jenem Modell begründen sich nicht nur die Strategien und Weisen des Konflikts, sondern auch jene der Solidarität und Normalität. In ihnen verbinden sich soziale Dekonstruktion und kollektiver Sog in der Abfolge und Dynamik sozialer Begegnungen. Während dabei die situative Ebene sozialer Begegnung insistierter Ausgangspunkt ist, stellt das Emotionale immer den zentralen Ankerpunkt dar. Die empirische Basis des Sozialen und das Affektive Die Unterscheidung zwischen einer empirischen sozialen Wirklichkeit und einer abstrakten sozialen Realität war für Collins von Anbeginn seines wissenschaftlichen Arbeitens federführend. Seinem Grundsatzartikel On the Microfoundations of Macrosociology aus dem Jahre 1981 lässt sich eine grundlegende Gegenüberstellung sozialer Wirklichkeiten auf der Basis physischen versus abstrakten Vor-
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Zweitere Perspektive müssen sich sowohl der Interaktionismus Blumers als auch die Ethnomethodologie um Garfinkel vorwerfen lassen zu wenig beachtet zu haben (vgl. Balog 2001, 89ff.).
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Vgl. u.a. Rössel (2012).
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handenseins entnehmen, womit jedoch eine wechselseitige Durchdringung beider Realitäten in keiner Weise ausgeschlossen wird. Dennoch beharrt Collins auf einer prinzipiellen Unterscheidung der unterschiedlichen sozialen Wirklichkeiten, wenn es darum geht, aus soziologischer Perspektive auf jene zu rekurrieren. »Microsociology is the detailed analysis of what people do, say, and think in the actual flow of momentary experience. Macrosociology is the analysis of large-scale and longterm social processes, often treated as self-subsistent entities such as ›state‹, ›organization‹, ›class‹, ›economy‹ ›culture‹, and ›society‹.« (Collins 1981, 984)
Physisch real meint folglich nicht einfach beobachtbar oder gegenständlich beziehungsweise körperlich gegeben. Soziale Wirklichkeit im engeren Sinne, wie es mitunter auch bezeichnet wird, bedeutet, dass eine soziale Entität zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmbaren Ort im Raum real existiert. Das von Collins proklamierte Gegenbild dazu ist die abstrakte soziale Realität, die, abgehoben von einer raum-zeitlichen Verortung, eine abstrakte soziale Wirklichkeit bildet, auf die Subjekte in je unterschiedlicher Weise Bezug nehmen. Empirisch real existieren diese abstrakten Wirklichkeiten nicht, sondern sie sind »only collections of individual people acting in particular kinds of microsituations – collections which are characterized thus by a kind of shorthand« (ebd., 988). Beide sozialen Wirklichkeiten sind für soziologische Modelle unentbehrlich. Collins’ Kritik an einem zu hohen Abstraktions- und Aggregationsniveau soziologischer Theorien begründet sich eher darin, dass er die elementare Ebene der Mikrosoziologie vernachlässigt sieht, und dies nicht nur quantitativ, sondern vor allem in ihrer fundierenden Bedeutung. Zwar stellt sich das Verhältnis von Mikro- und Makrosoziologie grundsätzlich als ein rein graduelles dar, eine Frage des vom Soziologen gewählten Ausschnitts in Hinblick auf die Dimensionen von Zeit und Raum. Denn die Bandbreite soziologischer Analyseperspektiven erstreckt sich von zeitlich umfangreichen Ausschnitten über Jahre oder gar Jahrhunderte hinweg, etwa bei biografischen oder genealogischen Ansätzen, bis hin zu einer ultramikroanalytischen oder phänomenologischen Betrachtungsweise des mikroskopischen Moments, wie auch auf den Raum angewendet die Blickreichweite der Soziologie von ganzen Gesellschaften über Gruppen verschiedensten Umfangs bis hin zum einzelnen Individuum reicht. Dennoch bleibt die realwissenschaftliche Basis des sozialen Geschehens immer die gleiche – die von denkenden, fühlenden und handelnden Menschen konstituierte empirische Situation. Auch wenn diese nur einen kleinen Bereich dieses soziologischen Fel-
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des ausmacht, liefert sie in Form von Primärdaten die Grundbausteine komplexer Konstruktionen, beispielsweise von Kultur, Schichtung oder Staat. »You, the reader, sitting at your desk or in your car, or standing by your mailbox, etc., are in that microsituation, […] and it is impossible for anyone ever to be in any empirical situation other than this sort. All macro-evidence, then, is aggregated from such microexperiences. […] Everyone's life, experientially, is a sequence of microsituations, and the sum of all sequences of individual experience in the world would constitute all the possible sociological data.« (Ebd., 987)
In der Unterscheidung zwischen empirischen mikrosozialen Primärdaten und abstrakten sozialen Konstruktionen lässt sich, wie bereits angeklungen ist, eine Argumentationslogik erkennen, wie sie der Unterscheidung von Erfahrungs- und Formalwissenschaften zugrunde liegt. Collins interessiert daran jedoch vor allem die sich daraus empirisch erfassbare Verhältnisbestimmung von Wiederholung und Wandelbarkeit. An dieser Stelle sei noch einmal an Collinsʼ Einführungssatz zum Artikel On the Microfoundations of Macrosociology verwiesen, in welchem es heißt, dass die Mikrosoziologie den Fluss des unmittelbaren Erlebens zum Gegenstand hat, und zwar den Fluss des Denkens, Sprechens und Tuns. Diese Mikrosituationen finden immer und überall statt. Das bedeutet, sie verteilen sich auf den zentralen Makrodimensionen des Raumes, der Zeit und in Hinblick auf die Anzahl und damit Verteilung der Individuen. Dies geschieht natürlich nicht gleichmäßig und unabhängig voneinander, sondern mit spezifischen Anhäufungen und Wiederholungen sich gleichender Prozesse. Eben diese Wiederholungen sind einerseits der Grund dafür, dass der Anschein einer kontinuierlichen Realität mit makrosozialen Elementen entsteht. Andererseits sind sie dafür verantwortlich, dass sich Prozesse auf der Mikroebene kumulieren und damit überhaupt erst eine Wirkung auf künftige Situationen entfalten können. Collins beschreibt diese sich in einer spezifischen Art wiederholenden Mikrointeraktionen als Muster, welche den zentralen methodischen Bezugsrahmen darstellen. Sie ergeben ein Raum-Zeit-Anzahl-Kontinuum, das, wenn es nach Collins geht, Bewährungsgrundlage aller makrosoziologischen Aussagen ist (vgl. ebd., 987ff.). Dem sich hierbei kurzerhand aufdrängenden Einwand, dass die mikrosoziale Situation des Handelns, Sprechens und Denkens nichts anderes wäre als die spezifische Realisierung abstrakter Strukturen in Form der Orientierung an Vorstellungen, etwa von Gemeinschaft und Staat, an Normen, Werten, Rollen und damit antizipierten Erwartungen unter nutzenmaximierenden Abwägungen, stellt sich Collins vehement entgegen. Doch was bleibt, wenn Individuen sich vor ihrer Handlungsentscheidung nicht an komplexen kognitiven Elementen orientieren
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können? Denn für Collins können Individuen nicht situativ die Rollenzuschreibungen und gegenseitigen Handlungsoptionen und deren mögliche Nutzen und Risiken, überhaupt die Komplexität der Situation, abwägen, bevor sie beispielsweise den Gruß eines Vorgesetzten erwidern oder die optimale, angemessene Wahl ihres Platzes im Konferenzraum treffen. Und dies ist auch nicht nötig. Soziale Strukturen werden durch repetitives Verhalten erzeugt. Collins hat dabei vor allem sich wiederholende kommunikative Handlungen im Sinn, wobei kommunikativ nicht nur verbal meint, sondern auch implizite und subtile Kommunikationsinhalte und -weisen einschließt. Die Ausführung bedarf nicht der Kenntnis der sozialen Strukturen, die damit reproduziert werden (vgl. ebd., 994ff.). Denn, so Collins, »the social structure is not a set of meanings that people carry in their heads« (ebd., 995). Das soll keineswegs bedeuten, dass Individuen grundsätzlich nicht dazu in der Lage wären, die sozialen Strukturen zu erkennen, in denen sie leben. Collins vertritt jedoch die Ansicht, dass sie diese oft verzerrt oder nur begrenzt wahrnehmen. Vieles von dem, worüber Individuen reden, sei es von »Staat« oder von »Herrschaft«, werde gar nicht umfänglich verstanden beziehungsweise jeder verstehe diese Abstraktionen etwas anders. Collins macht damit deutlich, dass es nicht so sehr auf die sich wiederholenden Inhalte von Kommunikationen ankommt, sondern dass es die repetitiven Muster der Weisen der Begegnungen selbst sind, die soziale Strukturen erklären (vgl. ebd.). Dazu gehören institutionalisierte Praktiken, Menschen, die sich immer wieder begegnen, Objekte, die regelmäßig im Mittelpunkt stehen und die sich wiederholenden Räume und Zeiten, in und zu denen Interaktionen stattfinden. »The most easily identifiable part of this repetition, moreover, is physical: the most enduring repetitions are those around particular places and objects. Most of the repetitive structure of economic organization takes place in particular factories, office buildings, trucks, etc. The most repetitive behaviors that make up the family structure are the facts that certain people inhabit the same dwelling places day after day, that the same men and women sleep in the same beds and touch the same bodies, that the same children are kissed, spanked, and fed. The ›state‹ exists by virtue of there being courtrooms where judges repeatedly sit, [...].« (Ebd., 995)
Menschen handeln in aller Regel genau so, wie sie es immer tun. Der Grund dafür liegt für Collins darin, dass unbewusste, nicht verbalisierbare Hintergrundannahmen, auf denen der überwiegende Teil des alltäglichen, repetitiven Verhaltens und jegliches stillschweigende Verständnis beruhen, sich auf die physische Welt einschließlich des Körpers beziehen. Denn die physische Welt ist im alltäg-
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lichen Fluss sehr viel präsenter und sichtbarer, als dies kognitive Konstruktionen sind. Menschen fühlen ihren eigenen Körper und setzen dessen Größe in ein Verhältnis zu den Dimensionen, beispielsweise des Gerichtssaals, in dem sie sich gerade befinden. Menschen leben in einer physischen Welt und sind von dieser umgeben. Dazu gehören sie selbst und andere, deren Interaktionen, aber auch Gebäude und Parks, Wohnungseinrichtungen genauso wie Autos und Tablets. Da Collins davon ausgeht, dass die kognitiven Fähigkeiten der Individuen, ihr Handeln in einer so komplexen Welt bewusst zu planen, begrenzt sind, liegt die Annahme nahe, die überwiegende Orientierung des Menschen auf der wahrnehmbaren physischen Welt zu gründen. Eine Bestätigung dieser Annahme findet Collins in Garfinkels Feststellungen zu indexikalischen Aussagen, die immer in der physischen Welt verankert sind. »Begriffe wie ›du‹, ›ich‹, ›hier‹ und ›dieses‹ sind unaufhebbar an einen bestimmten Kontext gebunden, da Handlungen immer an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit stattfinden.« (Ebd.) Die relativ beständige physische Welt stellt damit auch einen verhältnismäßig stabilen Bezugspunkt für repetitives Verhalten dar und schafft somit wiederum beständige Hintergrundannahmen davon, was normal und angemessen ist (vgl. ebd., 991f.). Für Collins ist soziales Verhalten mithin zum überwiegenden Teil von nicht kognitiv repräsentierten, unbewussten und physisch geprägten, körperlichen Routineprozessen bestimmt. Das bedeutet zunächst nur, dass die handelnden Akteure mit den vorgefundenen Gegebenheiten so agieren, wie es von der physischen Umwelt vorbereitet wird und wie es folglich als irgendwie passend und normal empfunden wird, solange daraus keine zu großen Störungen oder Konflikte entstehen. Dies erklärt aber bisher nur einen Teil menschlichen Verhaltens, insbesondere wenn es um sich wiederholendes, alltägliches Verhalten geht. Es macht nicht nachvollziehbar, warum Menschen sich für bestimmte Alternativen entscheiden, einen bestimmten Wohn- oder Arbeitsplatz wählen und vor allem Routinen brechen, etwa indem sie umziehen, den Arbeitsplatz oder gar den Beruf wechseln oder eine Familie gründen oder auflösen. Denn die bisherigen Überlegungen zur Bedeutung alltäglicher Routinen und Konstruktionen von Normalität beziehen Herrschafts- und Besitzverhältnisse, wenn überhaupt, nur indirekt mit ein. Doch Routinehandlungen, so unterschiedlich diese im Einzelnen auch ausfallen mögen, bestätigen und rekonstruieren vor allem soziale Ungleichheiten. Collins schließt damit Formen korrektester Einhaltung bestehender Eigentumsgrenzen ebenso ein wie alltägliche Grenzüberschreitungen. Die Akteure sind sich dessen allerdings in der Regel kaum bewusst. Entscheidend jedoch ist, dass differierende Herrschafts- und Besitzverhältnisse affektive Dynamiken schüren. Jene erst veranlassen zur kognitiven Reflexion und lassen Ge-
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sellschaftsmitglieder zu bestimmten Zeitpunkten bewusste soziale Konzepte heranziehen. Diese affektiven Dynamiken scheinen dann vor allem »auf das Gefühl hin zentriert, Mitglied in verschiedenen Vereinigungen zu sein« (Collins 2000, 114). Letztendlich sei sowohl Eigentum als auch Herrschaft immer auf Gruppen bezogen, die in der Lage seien, ihre Macht- und Herrschaftsinteressen gegenüber anderen durchzusetzen. Denn Gruppenzugehörigkeiten definieren und bestätigen Gefühle von Richtigkeit und Normalität, vor allem, wer zu welchen Orten gehört oder nicht gehört, wer Ansprüche durchsetzen kann und Macht auszuüben in der Lage ist (vgl. Collins 1981, 997). Methodik der Sozialwissenschaften Ein umfassendes kausales Modell sozialer Strukturen im Sinne Collinsʼ, wie allgemein oder detailliert auch immer, muss in erster Linie mikro- und makrosoziologische Elemente zusammenbringen können. Motivationen und Einstellungen etwa, die bisher nur im Individuum verortet waren, sollen als Bestandteil der sozialen Situation aufgegriffen und in Beziehung zu überindividuellen Verhaltensweisen und sozialen Strukturen gesetzt werden können. Collins fordert damit letztlich eine Verankerung von Makrokonzepten soziologischer Theorie in realen Interaktionen ein. Man würde Collins also missverstehen, unterstellte man ihm, methodischen Konstruktionen keine Bedeutung beizumessen. Zum einen macht er deutlich, dass die soziologische Analyse ohne derartige Konstruktionen nicht auskommen kann, da die Erfassung der Gesamtheit aller einzelnen mikrosozialen Prozesse zu umfangreich und wenig sinnvoll wäre. Diese Konzepte bilden zwangsläufig Aggregate von Mikrophänomenen ab, was sich an der sozialwissenschaftlichen Methodik der Aggregation und Abstraktion zeigt. »This can easily be seen if one examines empirically how researchers go about studying macrosubjects. Researchers themselves never leave their own microsituations; what they do is compile summaries by a series of coding and translating procedures until a text is produced which is taken as representing a macroreality, standing above all the microsituations that produced it (Garfinkel 1967, Cicourel 1975[b]). This is true whether the researcher is relying on conversation with informants or on closed-item questionnaires, or even on direct personal observation. In each case there are a series of tacit summaries between the actual life experiences and the way in which they are finally reported.« (Collins 1981, 988)
Zum anderen spielen in den Mikrosituationen selbst abstrakte Konstruktionen in vielerlei Hinsicht eine Rolle. Dem spielt etwa die Erkenntnis zu, dass sich zwar
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Institutionen und Organisationen letztlich aus in Routinen handelnden Akteuren zusammensetzen, wie sich auch Wandlungsprozesse nur dann realisieren, wenn sie praktisch werden, sich diese Akteure jedoch selbst auch auf abstrakte Strukturen und die Vorstellung konstanter sozialer Gebilde wie eine Schule, eine Universität, eine Familie etc. beziehen. Dennoch bleibt Collins dabei, dass die mikrosoziologische Basis unentbehrlicher Referenzpunkt aller soziologischen Theorien ist und macht sich somit konsequent für einen situativen Ansatz der Soziologie stark. Makrostrukturelle Konstruktionen und Prozesse können und sollten von der Soziologie in ihre spezifische Form der Aggregation von Mikroprozessen übersetzt werden. Ziel muss jedoch sein, den Mechanismus aufzuklären, der sowohl die Dynamik als auch Trägheit von Verhalten und Strukturen mikrosituativ begründen kann. Dieser Mechanismus kann allerdings selbst nur mikrosituativer Art sein, denn auch wenn makrosoziale Bedingungen auf Handlungsmotivationen wirken, sind sie dennoch nur Formen der Ansammlung von Mikrosituationen (vgl. ebd., 990). Collins’ Konzeptionen sind daher vor dem Hintergrund seines grundlegenden Anliegens der Beschreibung eines solchen kausalen Erklärungsmodells der Sozialstruktur zu verstehen. Dieses soll unter Rückbezug auf typische Mikroereignisse erklären können, warum sozial Handelnde motiviert sind, sich in einer bestimmten Situation in einer bestimmten Weise zu verhalten, und warum sich situationsspezifische Motivierungen in einer bestimmten Form räumlich und zeitlich wiederholen und wandeln können. Mikrotheoretische Ansätze, die sich mit den kleinsten Elementen des sozialen Geschehens auseinandersetzen, sind in der Soziologie nichts Neues. Insbesondere Bereiche phänomenologisch basierter und empirisch gestützter mikrosoziologischer Ansätze haben unverkennbar an Einfluss gewonnen. Für Collins geht aber keine der bestehenden Theorien weit genug, was die Bedeutung des Affektiven anbelangt. Denn letztlich stellen sich ihm auch mikrosoziologische Ansätze, die den Bereich des Affektiven nicht als etwas Inhärentes einbeziehen, nach wie vor zu kognitiv begründet dar, wie seine Kritik etwa am symbolischen Interaktionismus, der Phänomenologie oder kognitiven Soziologie deutlich macht (vgl. Collins 1990, 28). Zwar konnte die radikale Mikrosoziologie durchaus darauf aufmerksam machen, dass tatsächliches Alltagsverhalten und soziale Interaktionen vielmehr auf ungeklärten Selbstverständlichkeiten und zum Großteil nicht einmal verbalisierbaren Verständnissen beruht. Die für Collins wesentlichen Belege dafür, was das spontane Verhalten der Akteure leitet, noch bevor kognitive Elemente Motive begründen und Strukturen Sinn zusprechen, erbrachten sie nicht. Grundlegend könne daher nur ein Erklärungsmodell weiter führen, das einzubeziehen in der Lage sei, dass die Grundlagen sozialer Interaktivität und deren begleitender Kognitionen gerade nicht kog-
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nitiv seien. Dazu müsse die Soziologie aber ihre wohlbekannte Komfortzone der verbalen Aggregate und kognitiven Strukturen verlassen. Richtungsweisend dafür, dass es nicht-kognitive Ebenen sozialen Verhaltens gibt, die darüber hinaus einen umfangreichen Einfluss auf menschliches Handeln vermuten lassen, sind für Collins soziologische Ansätze, die sich an die Grenzen des Kognitiven wagen. Eine besondere Rolle spielen dabei ethnomethodologische Arbeiten, insbesondere Garfinkels, die sich mit den Elementen sozialen Verhaltens und Kommunikation beschäftigen, die im Alltäglichen zwar sinnhaft und nachvollziehbar erscheinen, aber bei genauem Hinterfragen ihres objektiven Bezugs diesen verlieren. Die Einsicht darin, dass es Aspekte menschlichen Verhaltens gibt, die keiner logischen Struktur standhalten können, weil sie komplexen und nicht verbalisierbaren kulturellen Ordnungen folgen und damit jede kognitiv basierte Erklärung in einen infiniten Regress zu geraten droht (vgl. ebd., 990), bestätigt ihn in seiner Annahme. Ebenso stellen die an Garfinkels Kommunikationsstudien anknüpfenden Analysen Cicourels (1973, 1975a) zur Indexikalität sozialer Kommunikation für Collins einen einschlägigen Hinweis darauf dar, dass Sozialverhalten letztlich nicht von Kognitionen geleitet werden kann. Denn wie, so argumentiert Collins, sollen sich Akteure an verbalisierbaren Normen und Werten, Situationsdefinitionen und Rollenzuschreibungen in ihrem Handeln orientieren, wenn sie die eigentlichen, in nonverbalen Anteilen der Kommunikation und deren Struktur und Dynamik selbst begründeten Motive ihres Handelns gar nicht oder nur zu geringen Teilen verbalisieren und damit nur zu diesem Anteil in kognitiven Strukturen repräsentieren können. Von einer schlichten Umdeklarierung gesellschaftlicher Normen und Regeln zu unbewussten Mustern menschlicher Handlungsorientierung hält Collins ebenso wenig. Die Konzepte sozialer Normen und Werte, wie auch Modelle der Situationsdefinition und Rollenübernahme, sind seiner Ansicht nach überholte soziologische Konstrukte aus der Beobachterperspektive, die mit den wirklichen Mechanismen, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen, nicht viel zu tun haben. Sie entsprechen mehr dem, was Menschen tun, wenn sie ihr Handeln retrospektiv zu begründen und verstehen suchen. Zumal es ihm unmöglich scheint, im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse derart komplexe kognitive Modelle dem Handeln und Kommunizieren vorzuschalten und mit der externen Situation zu koordinieren (vgl. Collins 1981, 990f.). Für Collins steht demnach fest, dass sich Menschen im Alltagsgeschehen aufgrund der unmöglich vollständigen Durchdringung übernommener Konventionen sowie begrenzter kognitiver Erfassbarkeit von Situationen überwiegend auf unbewusste Prozesse verlassen müssen und auf Grundlage einer angenommenen Normalität handeln, während der reflektierte Umgang mit sozialen Situa-
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tionen im Alltag keine herausgehobene Rolle spielt. Hier stellt sich doch die Frage, wie er dann Spielräume für Verhandlungsprozesse als möglich erachtet. Organisationsstudien vor Augen, die vorgeführt haben, in welchem Maße Mitglieder einer Organisation um Macht und Kontrolle kämpfen und im Interesse ihres eigenen Einflusses und ihrer Laufbahn agieren, beispielsweise Lombard (1955) oder Dalton (1959), lassen Collins einbeziehen, dass Routinehandlungen nicht »unter völliger Ausblendung von Kontingenzen« (Collins 1981, 993) ablaufen müssen. Vor allem dann, wenn es um die Aufrechterhaltung von Machtund Besitzverhältnissen geht, spielen Prozesse der gegenseitigen Überwachung der Gruppenloyalität und des Vertrauens in Machthabende eine entscheidende Rolle. Doch gerade da komme zum Tragen, »that negotiations are carried out implicitly, on a different level than the use of consciously manipulated verbal symbols« (ebd., 994). Wie die Mechanismen der sozialen Handlungsorientierung dabei konkret aussehen, ist damit indes noch nicht gesagt. Collins geht jedoch grundlegend davon aus, »that the mechanism is emotional rather than cognitive« (ebd.). Das Affektive des Sozialen Die affektive Basis einer Gemeinschaft im grundlegenden und beständigen Sinne von Gefühlen der Solidarität und Legitimität, von Verlässlichkeit und Normalität einerseits sowie affektiven Erfahrungen der Einzelnen in Form von Liebe, Trauer, Freude und Wut, Zugehörigkeitsgefühlen oder Ausgrenzungsrepressionen, Vertrauen oder Orientierungslosigkeit andererseits, kommt in der Situation mit der sozialen Begegnung zusammen. Allerdings ist Collinsʼ Zugang zum Gefühlsleben von Menschen und zu den Bedingungen, der Genese und Bedeutung dieses Gefühlslebens im Rahmen sozialer Macht- und Ungleichheitsstrukturen insofern ein anderes, als er weniger affektive Strukturen in ihrer Gestalt, ihren Inhalten und unterscheidbaren Formen zu bestimmen und abzugrenzen sucht. Im Gegenteil, so darf schon die Benennung Emotionaler Energie als Energie verstanden werden, schlägt Collins doch von Anbeginn gegenüber dem Affektiven allgemein eine sehr viel grundlegendere, in Teilen ihnen gegenüber unverfügbare Saite an. Fast schon scheint Collins vor dem Wesen, der Dynamik und der Macht des Emotionalen, welche sich nirgendwo anders als im tagtäglichen interaktiven Geschehen realisiert, mehr als bewundernder Beobachter denn als beherrschender Systematiker zu stehen. Erst in seinem jüngst veröffentlichten Aufsatz Napoleon never slept: How great leaders leverage social energy: Microtechniques of success from Jesus to Steve Jobs (2015) findet sich immer auch seine Hinwendung zu dem, was er mit Emotionaler Energie verbindet. Das af-
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fektive Befinden ist mehr als ein einzelner Aspekt des menschlichen Daseins, mehr als ein Glied in der Kette zur Erklärung sozialen Handelns. Vielmehr beschreibt er Gefühle als den Grundmodus des Beteiligtseins am sozialen Leben überhaupt. Das Maß Emotionaler Energie gibt an, was möglich ist, was gedacht und getan werden kann, wer das Subjekt gerade ist und wie es auf andere wirkt – dies natürlich nie unabhängig von kognitiven Prozessen. Collins will keineswegs kognitive Erklärungsstrategien schlicht mit affektiven umdeuten. Sein Anliegen begründet sich wohl am ehesten in dem Ziel, soziologische Grundlagentheorien erwachsen werden zu lassen – sie nicht stur auf einzelne Blickwinkel zu begrenzen, sondern all jene in ihren wechselseitigen Bedingtheiten darstellbar zu machen. Die bisherige sträfliche Vernachlässigung des Affektiven in der Soziologie und die abstrakte Behandlung von Emotionen als Pseudo-Kognitionen mögen dazu geführt haben, dass die Soziologie ihre essenziellen Erklärungsgrundsätze dazu, was Gesellschaft ist, was sie zusammenhält, was soziales Handeln bestimmt und wie makrosoziale Strukturen sich wandeln, schlicht: zum Kern der Sozialität, nie vervollständigt hat. Diese Vernachlässigung ist wohl auch zu beklagen, wenn die gesonderte Betrachtung von Emotionen und Stimmungen unberührt von anderen Akteursmodellen bleibt. Collins lag es völlig fern, das Affektive des Sozialen einem nur noch nicht ganz hinreichend erforschten soziologischen Teil- oder gar Randbereich zuzuordnen, dem an der einen oder anderen Stelle soziologischer Theoriebildung eine begründbare Relevanz zukommt. Collinsʼ Anliegen ist die Primarität affektiver Aspekte als das wesentliche (wenngleich nicht alleinige) Moment zur Erklärung bekannter und allgemeiner soziologischer Fragestellungen, wie auch die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schlechthin. Den Ansatzpunkt einer soziologischen Grundlagentheorie, die das Affektive nicht nur zu berücksichtigen vermag, sondern auch als Basis der Erklärung sozialen Handelns und sozialer Strukturen in Erscheinung treten lässt, bilden die klassischen Konzeptionen der Soziologie Webers und Durkheims. Dies dürfte nicht weiter verwundern, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Collins doch auch immer in seiner intensiven Aufarbeitung zentraler soziologischer Traditionen in Erscheinung trat. 3
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Bekannt hierfür sind insbesondere seine Studienausgaben Three Sociological Traditions (1985) und dessen Erweiterung Four Sociological Traditions (1994). In jener Zeit der intensiven Beschäftigung mit den klassischen Wurzeln soziologischer Theoriebildung, vor allem während der Autorentätigkeit, bevor er die Professur an der University of California, Riverside, annahm, rückte vermehrt Max Weber in den Fokus der Aufmerksamkeit Collins’. Im Rahmen dessen veröffentlichte er die
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Collins erkennt in jenen Grundweisen der Beschreibung von Sozialität und Legitimität die konstitutive Lesart des Affektiven, mal mehr und mal weniger direkt vorgelegt. Für Collins stellt ganz besonders Durkheims Ritualtheorie einen entscheidenden Bezugspunkt einer auf das Affektive ausgerichteten soziologischen Grundlagentheorie dar. Vor allem die Mechanismen zur Erzeugung moralischer Solidarität zeigen ihm die eindeutige Relevanz von Gefühlen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ähnlich legt er auch Webers Darstellung der Legitimität, auf der stabile Macht beruht, im Wesentlichen als affektiven Aspekt aus. Dass Collins damit mit gewissem Recht als Vorreiter einer klassischen Emotionssoziologie gelten darf, die sich der systematischen Reinterpretation klassischer soziologischer Arbeiten in Hinblick auf den Einbezug affektiver Aspekte sozialen Handelns und sozialer Strukturen, Praxen, Kultur und Riten verschrieben hat, belegen die vor allem in den letzten 20 Jahren erschienenen zahlreichen Arbeiten in diesem Bereich.4 Um die Grundlage für eine soziologische Theorie zu schaffen, die den seiner Meinung nach wesentlichen Aspekt des Sozialen, die Strukturen des Affektiven, nicht nur am Rande einbezieht, sondern ins Zentrum zu stellen in der Lage ist, lehnt sich Collins methodisch besonders an zwei Arbeitsfelder der Soziologie an: die Ethnologie und die Ethnomethodologie. Ersterer, vor allem den Arbeiten Goffmanns, entnimmt er die Ent-Exklusivierung des Durkheim’schen Ritualbegriffs auf nahezu alle Formen der Begegnung, in denen es gelingt, einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herzustellen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es nicht die Formalisierung von Interaktionsabläufen selbst ist, die geteilte Solidarität erzeugt, sondern die im Zusammenhang mit einem geteilten Aufmerksamkeitsfokus ebenso geteilten Empfindungen. Dies kann in einer spontanen, unverbindlichen Situation, beispielsweise an einer Bushaltestelle, ebenso zustande kommen, wie es in einem geplanten Ritual im Durkheim’schen Sinne gleichermaßen scheitern kann. Den zweiten theoretischen und methodischen Eckpfeiler liefert die Ethnomethodologie um Garfinkel. Sie stellt zwar das Emotionale nicht bewusst ins Zentrum ihrer Krisenstudien, lässt jedoch in der Nega-
Schriften Max Weber: A Skeleton Key (1986a) und Weberian Sociological Theory (1986b). 4
In diesem Sinne lässt sich etwa der von Monica Greco und Paul Stenner veröffentliche erfolgreiche klassische Reader Emotions. A social science reader (2008) anführen. Im deutschsprachigen Raum gilt der von Konstanze Senge und Rainer Schützeichel herausgegebene Sammelband der Hauptwerke der Emotionssoziologie (2013) als ebenso umfassende Sammlung der Auseinandersetzung mit klassischen soziologischen Werken aus der Perspektive emotionssoziologischer Fragestellungen.
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tion der Dekonstruktion des Kognitiven nichts anderes als Erklärung übrig als das Affektive. Collinsʼ Ziel ist jedoch nicht die Fortführung der ethnologischen Traditionen. Vielmehr unternimmt er den Versuch, auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und denen der Konfliktforschung die zentralen, altbekannten Fragen der Soziologie unter dem Aspekt des Affektiven neu aufzurollen und um eine Erklärungsdimension zu bereichern. Denn an erfolgreichen Erklärungsmodellen sozialer Strukturen, die das Verhalten von Individuen und deren Ursachen in einem wirklich umfangreichen Maße erklären können, mangelt es Collins zufolge in der Soziologie nach wie vor (vgl. Collins 1981, 985). Das Hauptproblem sei die zu geringe Bezugnahme soziologischer Theoriebildung auf die tatsächlich stattfindenden Mikrosituationen der eigentlich handelnden Individuen sowie das über lange Zeit stark präsente rational geprägte Akteursmodell in der soziologischen Forschung (vgl. ebd.).
EMOTIONALE PROZESSE UND RHYTHMEN IN DER INTERAKTION Collinsʼ früheren Ansätzen lässt sich vor allem das Interesse entnehmen an gesellschaftlichen Differenzen, Stratifikationen und Konflikten und deren Ursprung in alltäglichen, dabei zumeist unbemerkten affektiven Verschränkungen der Beteiligten in Begegnungen. Der eigentliche Ansatzpunkt zur Konzeption ritueller Interaktionsketten war daher die Intension, soziale Schichtung ausgehend von interaktiv erzeugten Bindungen und Brüchen zwischen Individuen mikrosoziologisch zu fundieren und zu systematisieren (vgl. Collins und Hanneman 1998). Das Konzept der rituellen Interaktionsketten hat Collins als ein soziologisches Gesamtkonzept konstruiert, welches die zentralen Elemente sozialen Handelns und sozialer Strukturen zu verbinden und zu erklären sucht, dabei das Affektive im Verständnis eines systematisierten Modells Emotionaler Energie ins Zentrum rückend. Das Modell setzt Klammern, die erstens die Aspekte der Solidarität und Legitimität verbinden, zweitens gesellschaftlichen Zusammenhalt und Reproduktion mit gesellschaftlichem Wandel und Konflikt in Beziehung setzen und drittens soziale Mikrosituationen mit makrosozialen Strukturen verknüpfen. Für die erste Klammer, welche für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt wie auch das subjektive Befinden unabdingbar Solidarität mit der kollektiv hinreichenden Legitimität und einer geteilten sozialen Realität verbindet, erweisen sich die erwähnten Arbeiten Goffmans und Garfinkels als anschlussfähig. Denn
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Interaktionsrituale erlauben detaillierte Einblicke in die daraus resultierenden spezifischen Arten von Gefühlen, insbesondere die der moralischen Solidarität. Interaktionsrituale legitimieren darin konstruierte soziale Ordnungen und kollektive Wirklichkeiten, deren kontingenter Charakter den Teilnehmern in der Regel nicht bewusst ist (vgl. Garfinkel 1967). Collins schlussfolgert daraus, dass soziale Ordnungen nicht auf rationalen Einigungen basieren, sondern »es sich bei der Wirklichkeitskonstruktion des Alltags um einen emotionalen Prozess handelt« (Collins 2012a, 125). Die in Interaktionen erzeugte Solidarität begründet damit erst Gefühle von Legitimität und Normalität, welche folglich in den sich aneinanderreihenden Begegnungen immer wieder neu generiert und kollektiv überwacht werden, während Brüche sanktioniert werden. Mit der Erweiterung der Durkheim’schen Ritualtheorie auf ständige, alltägliche und flüchtige Situationen sind sie jedoch grundlegend und häufig genug, um gleichzeitig makrosoziale Strukturen abzubilden. Die zweite Klammer der notwendig wechselseitigen Verschränkung sozialer Bindung und Destruktion haben ebenso ihren gemeinsamen Nenner im Affektiven. Die überwiegend makrosozial orientierte Konflikttheorie hat kollektive Verhältnisse im Blick. Sie kann Verwerfungen, die sich durch Gruppen, Gesellschaften und organisationale Netzwerke ziehen, herausstellen. Je nachdem, wie sie die Dimensionen der Zeit, des Raumes und der Anzahl der Beteiligten definiert, fokussiert sie auf soziale und kulturelle Differenzen und deren Konfliktpotenziale und makroeskalativen Ausbrüche. Sie hat jedoch ihre Grenzen, wenn es darum geht, die zwischen den einzelnen Akteuren prozessierten Konfliktdynamiken, aus denen sich nach Collins kollektive Konfliktphänomene zusammensetzen, zu erfassen. Das eigentlich Folgenreiche ist, dass diese Klammer die grundsätzliche Verschränkung von Zusammenhalt und Konflikt innerhalb einer Gesellschaft nicht erklären kann. Denn sowohl das Moment der sozialen Bindung und sozialen Konstruktion als auch das, was diese bedroht, kommt in den einzelnen Interaktionen zum Prozess. Insgesamt kann eine Gesellschaft nicht nur über den Konflikt und ebenso wenig nur über Solidarität erklärt werden. Das komplexe gesellschaftliche Gefüge, welches sich im permanenten Wandel befindet und zugleich statische Elemente aufweist, kann erst über die kontradiktorischen Bewegungen des Konflikts und der Destruktion in Verbindung mit bindenden Beziehungen sowie kollektiv konstruierten und akzeptierten Strukturen erfasst werden. Dies begründet sich jedoch erst auf der Grundlage affektiver Mikrodynamiken sozialer Begegnungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft. Makrosoziale Konfliktlinien ebenso wie strukturelle Stabilitäten lassen sich also in der Anhäufung repetitiver Mikrodynamiken erkennen, die grundlegend emotionaler Art sind. Collins postuliert entsprechend:
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»Was eine Gesellschaft zusammenhält – der Klebstoff der Solidarität – und was Konflikte hervorruft – die Energie mobilisierter Gruppen – sind Emotionen; genauso sind es hierarchisch bedingte Gefühle, die Schichtung aufrecht erhalten – seien sie dominanter, unterwürfiger oder grollender Art.« (Collins 2012a, 122)
Grundsätzlich also gilt, dass der sich dahinter verbergende Mechanismus grundsätzlich mehr affektiver denn kognitiver Natur sein muss sowie mehr unbewusst denn reflektiert vonstatten geht. Die dritte Klammer bildet die bereits ausgeführte Verschränkung physischer Ebenen der realen sozialen Begegnung und emotionalen Dynamik mit der Ebene der vom ständigen Fluss an Gedanken, Handlungen und Gefühlen abgehobenen kognitiven Konstruktionen. Auch hierfür bietet Garfinkel einen Ansatzpunkt: Konkret macht Collins an Garfinkels Spezifizierung Parsons’ Frage danach, wie gesellschaftliche Ordnung im Hinblick auf soziales Handeln in seiner Unterschiedlichkeit, in seiner Nicht-Rationalität und Wandelbarkeit, möglich ist, fest. Denn damit richtete sich Garfinkels Blick unweigerlich auf die Prozesse der subjektiven und intersubjektiven Verhandlung und Gesprächsführung, welche die Verbindung von situativen und strukturellen Aspekten des Sozialen zusammenbringen. Der Prozess der rituellen Interaktion Bei der Beschreibung von rituellen Interaktionen orientiert sich Collins im Wesentlichen an der Grundstruktur des Durkheim’schen Modells der Interaktionsrituale zur Erzeugung von Solidarität. Daher setzt er zum ersten die physische Anwesenheit von mindestens zwei Personen voraus. Wie bereits für Durkheim, so ist dies auch für Collins ein grundlegender Aspekt für das Stattfinden aufeinander bezogener affektiver, körperlicher und kognitiver Prozesse, zumindest in dem angenommenen Maße. Bereits die physische Präsenz im selben Raum, etwa an einer Bushaltestelle oder in einem Wartezimmer, hat eine gegenseitige Ko-Orientierung zur Folge. »There is a buzz, an excitement, or at least awareness when human bodies are near to each other.« (Collins 2004, 53) Gesten und Geräusche der Begegnenden werden bereits gemeinsam koordiniert, ob sich die Betroffenen dessen bewusst sind oder nicht. Personen verfolgen die Anwesenheit anderer und machen sich selbst für andere sichtbar (vgl. dazu Goffman 1981, 103). Um eine rituelle Interaktion in Gang zu bringen, die sich in bestimmten Sequenzen selbst erhalten kann, muss jedoch ein spezifischer Schwellenwert der Ko-Orientierung und damit der geteil-
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ten Aufmerksamkeit überschritten werden (vgl. Collins und Hanneman 1998, 219). Natürlich schließt sich in Zeiten nach wie vor anschwellender und inzwischen zum alltäglichen Leben gehörender medial vermittelter Interaktionen und Begegnungen zwischen Menschen die Frage an, ob diese erste zentrale Bedingung des Zustandekommens von rituellen Interaktionen, die Collins so von Durkheim übernommen hat, überhaupt noch aufrechterhalten werden sollte oder nicht doch zumindest großzügiger ausgelegt werden kann. Collinsʼ Antwort darauf ist eindeutig: Die direkte körperliche Präsenz mache zweifellos einen Unterschied für die Ausbildung des zustande kommenden Interaktionsrituals aus. Collins erkennt medial vermittelten Interaktionen mit eingeschränkter leiblicher Beteiligung keineswegs jegliche rituelle Bedeutsamkeit ab. Doch macht er klar, dass die direkte physische Anwesenheit bei Interaktionen eine im Vergleich zu medial vermittelten Interaktionen deutlich höhere Bedeutung für die Entwicklung, vor allem der Intensität und Stabilität, von Interaktionsketten hat. »Ritual is essentially a bodily process.« (Collins 2004, 53) Denn erst unter Einbezug aller mikrophysischer Kommunikationsaspekte, wie beispielsweise die Körperhaltungen der anderen, Blicke und Bewegungen, das wechselseitige Feedback kleinster Gesten, Frequenzabstimmung der Stimme, optimale Pausensequenzierungen im Sprecherwechsel oder auch Gerüche der Teilnehmer, kann sich eine wechselseitig abgestimmte Interaktionssequenz ungehindert aufbauen und über einen gewissen Zeitraum erhalten und können sich die Teilnehmer als Teil einer spezifischen Gemeinschaft identifizieren. Collins sieht sich in dem Punkt nicht nur von theoretischer Seite von Durkheim und Goffman bestärkt, sondern findet detailliertere Unterstützung in Ergebnissen der theoretisch nahen Mikrointeraktionsforschung. Erkennt man zudem an, dass für Collins die physische Realität die Basis aller soziologischen Theoriebildung darstellt, dienen mikroanalytische Ergebnisse ihm nicht nur der Unterstützung seiner theoretischen Ausgangslage, sondern erlangen den Status generischer Referenz. Insbesondere im 2004 publizierten Gesamtwerk Interaction Ritual Chains kommt entsprechend der empirischen Darstellbarkeit etwa von mikrogestischen Abstimmungen innerhalb der Konversation das Hauptaugenmerk zu. Im Ergebnis zeigt sich für Collins, dass bei medial vermittelten Interaktionen der Wechselprozess und somit die entstehende Bindung zwischen den Teilnehmern umso stärker belastet ist, je weniger es gelingt, einen Interaktionsfluss in Gang zu bringen (vgl. ebd., 63). Zum einen fehlt die körperliche Nähe vollständig. Gerade jedoch bei Begegnungen, bei denen geteilte Emotionen eine große Rolle spielen, hat der Körper für die Ausbildung jener Emotionen eine besondere Bedeutung. Dies zeige sich etwa daran, so Collins, dass Hochzeiten nicht per Videokonferenz abgehalten werden können
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beziehungsweise in einem solchen Fall viel von dem, was sie ausmachen, verloren ginge. Denn vor allem starke Emotionen wie Überraschung oder Freude, manchmal auch Trauer, wollen körperlich geteilt werden. Nur so können sie im hohen Maße wechselseitig antizipiert und verstärkt werden sowie schließlich einen Höhepunkt erreichen. Dies geschieht Collins zufolge mittels der Abstimmung körperlicher Rhythmen im Prozess wechselseitig bestärkten emotionalen Aufbrausens und kann sogar von direkten körperlichen Berührungen begleitet werden und gegebenenfalls schließlich in Umarmungen und Küssen gipfeln (vgl. ebd., 56). Doch selbst der verbale Rhythmus kann bei medial vermittelten Interaktionen beeinträchtigt sein. Dies kann vor allem dann, wenn die Stimmübertragung bereits geringste Zeitverzögerungsdifferenzen im Millisekundenbereich aufweist oder gar Störgeräusche einfließen, zu einer empfindlichen Störung der wechselseitigen Koordination bis hin zum Abbruch der Interaktion führen. In dem Umfang also, in dem der wechselseitig antizipierende Aufbau eines geteilten Rhythmus körperlicher und verbaler Art gestört ist, ist die gesamte rituelle Interaktion beeinträchtigt. Collinsʼ Fazit dazu lautet daher: »IR theory has a prediction here too: the more that human social activities are carried out by distance media, at low levels of IR intensity, the less solidarity people will feel; the less respect they will have for shared symbolic objects; and the less enthusiastic personal motivation they will have in the form of EE.« (Ebd., 64)
Später grenzte Collins hierzu den Aspekt der Grenzziehung als gesondertes Moment im Prozess der wechselwirkenden Hauptbestandteile von rituellen Interaktionen ab. Er geht dabei davon aus, dass bereits mittels einer Ko-Orientierung im Raum eine Grenze zwischen Teilnehmern und Außenseitern gezogen wird, selbst wenn diese spontane und unverbindliche Form der Gemeinschaftsbildung nicht bewusst vonstatten geht. Das bedeutet, dass Teilnehmer, die in engerer physischer Präsenz miteinander in Beziehung stehen, gleichsam einen Sinn dafür haben, wer zu diesem engeren Kreis gehört und wer nicht – noch bevor eine Form verbaler oder gestischer Kommunikation stattgefunden hat (vgl. ebd., 48). Der Grund, warum Collins dies als eigenständigen Bestandteil hervorhebt, lautet, dass er davon ausgeht, dass gespürte Grenzen, die manche Teilnehmer situativ stärker aneinanderkoppeln als andere, einen eigenen Schwellenwert für Rückkopplungen mit anderen Prozessbestandteilen haben. Dies meint, dass Menschen, die beispielsweise näher zusammenstehen und sich so von anderen Anwesenden unterscheiden, die dies nicht tun, einen verstärkten Rückkopplungseffekt der
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wechselseitigen Wahrnehmung der Präsenz des anderen haben und sich dadurch zudem leichter geteilte Aufmerksamkeit bündeln lässt. Der zweite zentrale Aspekt in Durkheims Ritualkonzept ist der geteilte Aufmerksamkeitsfokus auf ein Objekt oder eine Handlung. In dem Maße, in dem es den Teilnehmern einer Interaktion gelingt, ihre Aufmerksamkeit auf das Objekt der Unterhaltung oder eine Tätigkeit zu bündeln, produzieren sie eine geteilte Wirklichkeit. Gesprächsinhalte spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Sie dienen dann als Symbole der Solidarität, wie Fachgespräche bestimmten Berufsgruppen zugeordnet oder Geschmacksäußerungen mit bestimmten Kulturgruppen in Verbindung gebracht werden. Die gemeinsame Fokussierung gilt mehr dem Realitätsgehalt der Unterhaltung und bestätigt damit die Mitgliedschaft in dieser Zusammenkunft.5 Offensichtlich wird diese Dynamik im gegenteiligen Fall, nämlich dann, wenn ein Konversationsteilnehmer die vorgeschlagene Wirklichkeit infrage stellt oder ablehnt. In diesem Fall driftet die Begegnung auseinander, da keine gemeinsame Realitätskonstruktion stattfinden kann (vgl. Collins 1981, 998f.). Die Nähe zu Durkheims heiligem Gegenstand des Rituals ist beabsichtigt, jedoch zugleich in einem weiteren Sinne gefasst. Die Missachtung oder gar Zerstörung des Gemeinsamen ruft bei der Glaubensgemeinschaft des »Mythos« (Durkheim) negative Emotionen wie Ärger und Wut hervor. Wer hingegen den gruppenspezifischen Realitätskonsens, ob dieser wahr oder falsch ist, mitträgt, ist demgegenüber gut, da er die Gruppe bestätigt und eigene Zugehörigkeit signalisiert. Durkheim spricht in diesem Fall von »moralischer Solidarität« (1933 [1893]). Entscheidend für Collins ist jedoch mehr noch die wechselseitige Wahrnehmung der Aufmerksamkeit der anderen, wobei die Gruppe selbst als »transindividual reality« (Collins 1990, 127) zum Objekt der geteilten Aufmerksamkeit wird. Unter Berufung auf Goffman (1967) macht er aber deutlich, dass nicht der eigentliche Anlass des Treffens entscheidend für das Zustandekommen des Rituals ist, sondern jede alltägliche (natürliche) Situation dazu dienen kann, sobald eine solche geteilte Aufmerksamkeit zustande kommt. Den Prozess geteilter Aufmerksamkeit in sozialen Situationen, insbesondere in Hinblick auf die wechselseitig gleichgerichtete Aufmerksamkeit, versteht Collins entsprechend ähnlich dem, was George Herbert Mead im Modell der Rollenübernahme beschrieben hat. Man kann hier durchaus sagen, dass Collins die vorreflexiven und ganzheitlich gedachten Weisen alltäglichen Handelns, wie sie Mead beschrieben hat, durchaus unterschätzt, wenn er die vordergründigen Kognitionen Meads und des Symbolischen Interaktionismus kritisiert (vgl. Collins 1990, 28). Denn was Aufmerksamkeit auf sich zieht, muss nicht reflektiert sein,
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Vgl. hierzu Goffman (1967).
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sondern gehört zu dem, was Mead als unmittelbare Erfahrung dessen, wie wir körperlich mit unserer Welt verschränkt sind, beschreibt (vgl. Adloff und Jörke 2013). Aufmerksamkeit meint also auch bei Mead nicht gleich reflexive Aufmerksamkeit, sondern meint eine unmittelbare, affektiv-leiblich vermittelte Aufmerksamkeit, wie sie auch Collins unterstellt. Rollenübernahme meint zwar einerseits kognitivistisch betrachtet den Versuch der reflexiven Objektivierung und damit intersubjektiven Gültigkeit von identitätsstiftenden Symbolen, aber andererseits immer auch die situative, affektiv-leibliche Erfahrung der nicht notwendig symbolischen Art und Weisen der Begegnung. »Man hat in emotionellen Situationen natürlich Sympathiegefühle; doch sucht man dabei mit anderen letztlich das, was die eigene Erfahrung unterstützt.« (Mead 1973 [1934], 190) Die Bedeutung dieser Fähigkeit wird dann am deutlichsten, wenn sie nicht oder noch nicht vorhanden ist beziehungsweise im Begriff ist, sich auszubilden. Collins führt hierfür etwa Tomasellos Arbeiten an, der Verhaltensstudien von Menschenaffen (zumeist Schimpansen oder Bonobos) mit vergleichbaren Situationen, in denen menschliches Verhalten experimentell untersucht wurde, verglich. Tomasello ging es weniger darum, die menschenähnlichen Verhaltensaspekte von Affen zu markieren, sondern gerade die nicht von der Hand zu weisenden Unterschiede aufzudecken – insbesondere, was die gemeinschaftliche Aufmerksamkeitsfokussierung und das kollektive Handeln anbelangt. Im Gegensatz zu manch anderen Schimpansenforschern (vgl. etwa Boesch 2009, 2010, 2012) sieht es Tomasello keineswegs gerechtfertigt, Schimpansen eine bewusste und gezielte kollektive Aufmerksamkeit zuzusprechen, welche eine koordinierte Rollenzuteilung in sozialen Situationen erlaubt. Im Gegensatz zu Menschen seien Affen gerade nicht in der Lage, sich der wechselseitigen Aufmerksamkeit des anderen bewusst zu sein, sondern reagierten rein auf ihre individuelle Perspektive beschränkt, aber in zielgerichteter Bewusstheit dessen, dass andere da sind. Doch gerade das mache, so Tomasello, einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Verhalten von Primaten und dem von Menschen aus. Eben dies erlaube Menschen eine Weise der geteilten und wechselseitig antizipierten Aufmerksamkeit, die eine solidarische und kollektive Koordination in der Form, wie sie Menschen leben, erst ermögliche (vgl. Tomasello 2014, 37ff.): »In general, humans are able to coordinate with others, in a way that other primates seemingly are not, to form a ›we‹ that acts as a kind of plural agent to create everything from a collaborative hunting party to a cultural institution.« (Ebd., 3) Zugleich weist Tomasello darauf hin, dass bereits Säuglinge ab einem Alter von etwa neun Monaten einen bewusst geteilten Aufmerksamkeitsfokus mit einem interagierenden anderen entwickeln können. Dies meint, dass Kinder unabhängig davon, wie sie das Objekt der Aufmerksamkeit erfassen können, bereits
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ein Bewusstsein davon haben, dass ihre Aufmerksamkeit demselben Objekt gewidmet ist wie die des Interaktionspartners. So lässt sich daran anknüpfend die Vermutung aufstellen, dass der geteilte Aufmerksamkeitsfokus eine Grundvoraussetzung für die Herausbildung von fortgeschrittenen Resonanzbeziehungen darstellt. Erst dieser ermöglicht den Rückgriff auf eine angenommene geteilte Wirklichkeit und in der Folge das Teilen von Symbolen und schließlich das Erlernen von Sprache und Kultur. Darüber hinaus jedoch birgt die Fähigkeit der geteilten Aufmerksamkeit eine entscheidende soziale Komponente: Sie lässt die Bildung gemeinsamer Wirklichkeiten und gemeinsamer Ziele zu, was nicht nur eine emotionale, sondern auch soziale Bindung der Teilnehmer bewirkt. Tomasello beschreibt dies wie folgt: »Importantly, when children of this same age [drei Jahre] have it in their common ground with a collaborative partner that each is counting on the other to come through (we are interdependent), they both feel obligated to the other (see Gilbert, 1989, 1990). Thus, Gräfenhain et al. (2009) had preschoolers explicitly agree to play a game with one adult, and then another adult attempted to lure them away to a more exciting game. Although two-year-old children mostly just bolted to the new game straightaway, from three years of age children paused before departing and ›took leave‹, either verbally or by handing the adult the tool they had been using together. The children seemed to recognize that joint goals involve joint commitments, the breaking of which requires some kind of acknowledgment or even apology. No study of this type has ever been done with chimpanzees, but there are no published reports of one chimpanzee taking leave from, making excuses to, or apologizing to another for breaking a joint commitment.« (Ebd., 40)
Noch offensichtlicher wird dieser Aspekt bei Kindern mit autistischen Symptomen. Sie haben nicht nur Probleme in der Sprachentwicklung und in der Ausbildung eines geteilten Aufmerksamkeitsfokus, sondern daraus folgend auch in der sozialen Koordination mit anderen Kindern (vgl. hierzu auch Collins 2004, 80). Entsprechend werden in jüngster Zeit immer mehr Differentialbetrachtungen der Verknüpfung von Autismus mit anderen Bereichen des Sozialverhaltens angestellt (vgl. u.a. Freitag und Petermann 2014; Kabsch 2018). Je besser der Fokus der Aufmerksamkeit aufeinander abgestimmt werden kann, umso besser finden die Teilnehmer in einen gemeinsamen Rhythmus. Je stärker sie sich also auf ein und dieselbe Sache fokussieren und diese geteilte Fokussierung wechselseitig antizipieren, umso stärker fädeln sich die Teilnehmer in eine gemeinsame Gangart ihrer Gespräche und körperlichen Bewegungen ein. Hierzu beruft sich Collins unter anderem auf Arbeiten von Rebecca Warner (vgl. Collins 1990, 32), die sich detailliert der zeitlichen Organisation von Spra-
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che und sozialen Interaktionen widmet. Warner macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass die vielfältig miteinander verflochtenen Rhythmen sprachlicher und physischer Interaktionsebenen verschiedene zeitliche, sich wiederholende Zirkel ausbilden, in welche verschiedene situative Faktoren einfließen, und damit den Ablauf und die Dauer von Interaktionen bestimmen. Vor allem jedoch dient die rhythmische Organisation von Interaktionen, ähnlich den Rhythmen biologischer Systeme, der dynamischen Stabilisierung von Begegnungen und ermöglicht überhaupt erst die synchrone oder asynchrone Koordination zwischen Individuen (vgl. Warner 1979). Entscheidend ist also die Wechselwirkung der rhythmischen Abstimmung der Interaktionsteilnehmer mit der daraus entstehenden Situationsdynamik. Der Prozess der rhythmischen Koordination tritt damit in wechselseitige Antizipation zu der sich daraus entwickelnden Situation. Es entstehen mikrosoziale Zirkel, die ursächlich für die entstehenden affektiven Prozesse der Teilnehmer, den dritten Aspekt ritueller Interaktionen, sind. Somit ist die dritte Voraussetzung für ein gelungenes Interaktionsritual die zunehmende Angleichung der affektiven Prozesse der Mitglieder bis hin zu einer kollektiven Emotion. Das Modell beruht mithin darauf, dass sich die dominanteste der eingebrachten affektiven Bewegungen durchsetzt und auf alle Anwesenden überträgt. Die Emotionen müssen dabei nicht zwangsläufig die gleichen sein, sondern können auch in einem spezifischen Komplementärverhältnis zueinander stehen. Die Angleichung bezieht sich vordergründig auf die Intensität und damit die affektive Dynamik. Dessen ungeachtet handelt es sich aber zumeist dann doch um die gleiche Emotion. Voraussetzung ist laut Collins das Zustandekommen der bisherigen Umstände, also räumliche Nähe und ein geteilter Aufmerksamkeitsfokus der Gruppenmitglieder sowie die wechselseitige Wahrnehmung dieses Fokus. Denn dies gehe einher mit einer wechselseitigen Beobachtung und Angleichung auf Empfindungsebene. Aufmerksamkeiten und affektive Prozesse verschränken sich sodann miteinander, werden wechselseitig wahrgenommen und überwacht. Dieser Prozess läuft Collins zufolge auf der Ultra-Mikroebene ab, in einer physiologischen rhythmischen Angleichung der involvierten Personen, so »that is to say, activities and emotions have their own micro-rhythm, a pace in which they take place« (Collins 1990, 32). Collins beruft sich hierzu unter anderem auf Chapple, welcher Interaktionen in Abgrenzung zum Begriff der Kommunikation als »primary speech« pointiert, »affecting human beings« (Chapple 1981, 636). Jener Rhythmus, der auf nichts anderem beruht als auf spezifischen Spielarten von Mustern der Synchronität und Asynchronität paralinguistischer und körperlicher Interaktionsaspekte (vgl. hierzu ebenfalls Chapple, ebd.), ist nach Collins ausschlaggebend für das Gefühl grundlegender Verbundenheit zwischen den Interagierenden und der situativen und
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längerfristigen Zugehörigkeit zu einer Gruppe (vgl. Collins 1981, 999). Beide gemeinsamen Annäherungen, einmal auf Ebene der Realitätskonstruktion und einmal auf der Ebene affektiver Prozesse, wirken wechselseitig aufeinander und verstärken sich. Je stärker also die Aufmerksamkeit aufeinander bezogen ist, umso leichter gelingt eine Angleichung affektiver Prozesse, wie auch umgekehrt ein affektiver Gleichklang die geteilte Wirklichkeit verstärkt (vgl. Collins 2000, 117ff.). Collins veranschaulicht diesen Prozess am Beispiel der Traurigkeit, welche sich gemeinsam während einer gelungenen Trauerfeier entwickelt, sowie am Ablauf einer Party, in deren Dynamik die beteiligten Gruppenmitglieder immer geselliger werden. Diese von Collins herausgestellten mikrosozialen affektiven Prozesse stellen einen entscheidenden Aspekt in Collinsʼ Modell Emotionaler Energie (MEE) dar. Er zeigt, dass die in Interaktionsritualen verursachten Emotionen weniger mit den einzelnen Individuen selbst zusammenhängen, als vielmehr kollektiv erzeugt werden. Rückkopplungseffekte und Emotionen Alle Bestandteile, die ein Interaktionsritual ausmachen, tendieren dazu, sich wechselseitig zu verstärken. Je besser der Fokus der Aufmerksamkeit aufeinander abgestimmt ist, die Teilnehmer ihre Rhythmen auf verbaler und körperlicher Ebene aufeinander abstimmen, werden sie von gemeinsamen Gefühlen mitgerissen. Die Teilnehmer werden somit je nach dem Grad des gemeinsamen Mitgerissenwerdens (collective entrainment) von der Situationsdynamik vereinnahmt (vgl. Collins 2004, 48). Rückkopplungsschleifen zwischen dem Maß geteilter Aufmerksamkeit und der Intensität geteilter affektiver Prozesse finden auf unterschiedlichen zeitlichen Ebenen statt. Sie entfalten sich in der Interaktion im feinkörnigen Fluss von Mikroprozessen, die lediglich Bruchteile von Sekunden ausmachen, und bilden Muster im Periodenbereich von Sekunden und Minuten aus, die dann langfristig, mitunter über Tage und Wochen, abebben, lange nachdem die eigentliche Interaktion bereits beendet ist (vgl. ebd., 47; Warner 1979). Im Grunde beschreibt die gesamte Interaktionsritualkette eine sehr langfristige, komplexe Rückkopplungsdynamik zwischen geteilten Aufmerksamkeiten und Empfindungen. Greift man sich jedoch einzelne Sequenzen dieser Kette heraus, wird ersichtlich, dass die in den Interaktionen ko-konstruierten sozialen Realitäten und affektiven Bindungen nicht konsistent sind, sondern stets erneuert werden müssen, um nicht zu verblassen. Collins und Hanneman führen hierauf die Zeitintervalle gesellschaftlicher Organisation zurück: »[M]ost strong solidarity groups such as churches or political movements meet at least weekly, and highly intense groups meet daily.« (Collins und Hanneman 1998, 216) Sehr hohe Grup-
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penintensitäten dürften dann für Familien, vor allem Paarbeziehungen und ganz besonders Eltern-Kind-Beziehungen, gelten. Auf allen Ebenen zeigen sich gleichsam Verfallsprozesse, die nicht erst allmählich eintreten, sondern offenbar auch gerade dann ihr Maximum erreichen, wenn eine gewisse Sättigungskurve der geteilten Aufmerksamkeit und Empfindung erreicht ist. Dies verhindert, dass Interaktionen selbst dann, wenn sie optimal synchronisiert ablaufen, sich dennoch nicht unendlich fortsetzen können, sondern immer wieder erneut angestoßen werden müssen, um einen neuen Zirkel in Gang zu bringen (vgl. ebd.). Heiterkeit als Ergebnis kollektiven Aufbrausens Der Prozess der steten Rückkopplung ist Grundlage dafür, dass sich affektive Prozesse in dem Maße wechselseitig verstärken können, dass sie zu einer geteilten Emotion werden können. Collins nennt diesen Prozess der wechselseitigen Verstärkung kollektives Aufwallen oder Aufbrausen (collective effervescence), welches sich am Beispiel des geteilten Lachens gut ablesen lässt. Denn gerade die zumeist nur gemeinschaftlich herstellbare Ausgelassenheit (hilarity) ist laut Collinsʼ Ergebnis bereits vorangegangener gemeinschaftlicher Lachsequenzen und erhöht gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass das Lachen weiter fortgeführt oder gar gesteigert werden könne. Dies zeigt sich dann daran, dass sich ab einem hohen Maß an Ausgelassenheit Lachsequenzen sehr unwillkürlich einstellen und von Dingen ausgelöst werden, die unter normalen Umständen wohl kein Gelächter evozieren würden. Dies ist sogar notwendig, denn um die geteilte Stimmung 6 aufrechtzuerhalten oder gar weiter zu verstärken, müssen immer
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Den Begriff der Stimmung verwendet Collins mitunter zweideutig. Er taucht als Bedingung, als Situationsvariable und als Ergebnis von rituellen Interaktionen auf. Er wird damit zum einen als kurzzeitige Emotionsdynamik ebenso eingebracht, wie auch Emotionale Energie als eine im Grunde spezifische, nämlich die soziale Grundform von Stimmungen betreffende, beschrieben wird. Es ist daher sinnvoll, die zentrale Unterscheidung zwischen situativen affektiven Dynamiken und Emotionaler Energie im Blick zu behalten. Spricht Collins von Stimmungen oder Emotionen im Zusammenhang mit Interaktionsrhythmen, so meint dies in der Begegnung und damit wechselseitig erzeugte emotionale Effekte wie Traurigkeit, Ärger, Neid, Scham etc. Diese können dann je nach Intensität als Stimmung oder Emotion bezeichnet werden. Collins selbst wechselt zwischen beiden Ausdrücken, ohne den Unterschied genauer auszuführen. Sie sind jedoch strikt abzugrenzen von affektiven Prozessen, wie sie Collins unter dem Begriff der Emotionalen Energie fasst. Diese Prozesse betreffen die langfristigen affektiven Grundkonstanten zwischen Individuen. Zu ihnen gehören
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wieder neue Bemerkungen oder Gesten einfließen, die nicht einmal lustig sein müssen. Ihre Funktion ist lediglich die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit auf einen geteilten Aufmerksamkeitsfokus. Hierzu eines der Beispiele, welche Collins den Arbeiten zu den Mikroprozessen des Lachens von Jefferson entnommen hat: »Joe:
Yih'n heah comes the inspecta.
Carol: eh-huh-huh-huh-[huh HA HA HA HA] HA HA HA HA [ha ha ah! Mike: [Uh- It's Big Daddy] James: [Oh: : let's seh let's seh ... .« (Jefferson 1985, zit. v. Collins 2004, 66)
Der Prozess des kollektiven Mitreißens zeigt sich im vorangehenden Beispiel etwa dann, wenn Mike sich mit einer Äußerung in die Interaktion einbringt, die ohne die vorangegangenen Sequenzen der kollektiven affektiven Einstimmung wohl keinen Sinn ergäbe. Nur auf der Grundlage des geteilten Aufmerksamkeitsfokus einerseits und der bereits gemeinsam entwickelten ausgelassenen Empfindung andererseits kann die Äußerung relativ unabhängig vom semantischen Inhalt als weiteres, verstärkendes Bindeglied in der Koppelung von Aufmerksamkeit und affektiven Prozessen wirken. Wird dieses Beispiel etwas systematischer betrachtet, zeigt sich, dass es vor allem die Emotion der Ausgelassenheit selbst ist, die in Verbindung mit der geteilten Aufmerksamkeit an Intensität gewinnt. Im Beispiel bildet die Bemerkung Joes: »Yih'n heah comes the inspecta.«, sowie die wechselseitig antizipierte Wahrnehmung aller Beteiligten, dass Joe einen Scherz gemacht hat, den geteilten Fokus der Gruppe. Eine geteilte Gruppenwirklichkeit entsteht, indem Carol belustigt reagiert und damit die Aussage in ihrem Wahrheitsgehalt als Scherz anerkennt. Mikes Einsatz bezieht sich somit bereits auf das Lachen Carols. Demnach hat sich der Aufmerksamkeitsfokus hier bereits von Joes Eingangsbemerkung gelöst; nun bündelt die geteilte Emotion die Gruppenrealität und damit den Aufmerksamkeitsfokus. Dies veranlasst Mike, zur Emotion mit einer inhaltlich belanglosen Bemerkung etwas beizusteuern. Das Beispiel veranschaulicht daher sehr gut die von Collins und Hannemann vorgestellten Aufmerksamkeits-AffektSchleifen im Detail. Denn erst mit dem Anwachsen der Emotion der Ausgelassenheit, das bereits mit dem ersten Kommentar Joes beginnt und sich mit dem Gelächter fortsetzt, kann sich die Aufmerksamkeit immer stärker auf die Grup-
Gefühle von sozialer Eingebundenheit und Normalität. Sie werden in dieser Arbeit daher als Grundempfindungen bezeichnet, um den Unterschied hervorzuheben.
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penrealität einer geteilten amüsanten Situation richten, ganz gleich, welche einzelnen inhaltlichen Aspekt diesen Zirkel dann füttern. Der Aspekt der wechselseitigen Verstärkung zeigt sich vor allem darin, dass die Bemerkung Mikes: »Itʼs Big Daddy«, genau in der Sequenz einsetzt, in der das Lachen Carols droht zu versiegen. Denn zerlegt man die Lachsequenz Carols in einzelne Abschnitte, so zeigt sich, dass diese aus drei Teilen jeweils genau gleich langer Lachepisoden aufgebaut ist: Episode 1 ist ein viertaktiges, leichtes Lachen, das in direkter Reaktion auf die Aussage Joes folgt. Im letzten Viertel dieser Lachepisode setzt Mike mit seiner Äußerung ein, die bereits von Carol, scheinbar unabhängig vom Inhalt, als Verstärkungsimpuls antizipiert wird. Denn bereits das Sprechen von Mike wird von einer erneuten, diesmal stärkeren viertaktigen Lachepisode Carols begleitet. Die Klammern [ ] symbolisieren, dass beide zur gleichen Zeit vokalisieren. Im Anschluss an die Äußerung Mikes schließt sich noch eine dritte viertaktige, ebenso intensive Lachepisode an. Mit der Bemerkung James’ jedoch, der die Situation auf einen anderen Handlungsfokus umlenkt, verändert sich der Sprechakt und Carol beendet abrupt ihr Lachen, und zwar in einer lediglich zweitaktigen herabgesetzten Lachepisode ihres Lachaktes. Dies sind genau die beiden Takte, in denen James mit einem langgezogenem »Ohhhh« die Aufmerksamkeit auf sich zieht und Carol zu verstehen gibt, was sie zu tun hat. Den Kern der Gruppenrealität bildet der wahrgenommene geteilte Aufmerksamkeitsfokus sowohl auf das Lachen als auch die geteilte Emotion. Würde einer der Anwesenden sich auch nur einem Aspekt entziehen, etwa indem er sich von seinem Handy ablenken lässt und nicht zuhört, oder würde er den Eingangsscherz nicht lustig finden, sodass ein anderer affektiver Prozess abliefe, wäre er nicht Teil der transzendierten Wirklichkeit der Gruppe. Interaktionsprozesse und Rhythmen Zentral für Collinsʼ Erklärungsmodell ist die Einsicht, dass nicht der semantische Gehalt des Gesprochenen ausschlaggebend für den Prozess der Interaktion und der darin sich entwickelnden affektiven Prozesse ist, sondern die Koordinationsdynamiken der Beteiligten. Zumal Collins sehr viel mehr und basalere affektive Prozesse im Sinn hat als nur aufgeschaukelte Emotionen. Das grundlegende Moment jedoch, welches jegliche Koordination in Interaktionen ermöglicht, ist der Rhythmus. Dies zum einen deshalb, weil Individuen selbst wie auch ihre affektiven Empfindungen immer rhythmisch verfasst sind. Das zeigt sich etwa am Beispiel des Lachens, welches selbst in der Wiederholung des stockenden Atems im Wechsel mit dem stoßartigen Ausstoßen von Luft einen Rhythmus hat (Collins 2004, 66). Eine Koordination zwischen Individuen bedarf daher immer eines
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Abgleichs wechselseitig eingebrachter Rhythmen. Das noch entscheidendere Argument aber stellt für Collins dar, dass der Großteil wechselseitiger Interaktionsaspekte offenbar in einem so subtilen Bereich stattfindet, dass die Teilnehmer diese nicht bewusst wahrnehmen können. Der Grund dafür ist vor allem die hohe Geschwindigkeit und wechselseitige Präzision, etwa kleinster Gesten oder Tonänderungen, die weniger von einer Reaktion denn von Antizipation sprechen lassen. Collins geht von einer Synchronisationsgeschwindigkeit von unter 0,021 Sekunden aus (vgl. Collins 2004, 76f.). Dass so unmittelbare und präzise Synchronisationen zwischen Menschen überhaupt ablaufen können, kann man nur mit Rhythmen erklären, die Menschen quasi die kommenden Takte beiderseits bereits antizipieren lassen und damit überhaupt erst einen gemeinsamen Fluss des kollektiven Erlebens ermöglichen. Reaktionen hingegen können kaum in einem Bereich unter 0,04 bis 0,05 Sekunden bewusst wahrgenommen werden. Hatfield et al. (1994) haben dies in Frequenzanalysen von Filmen nachweisen können. Neueste Studien mit hochfrequenten Video-Konversationsanalysen, wie sie am Max-Planck-Institut für Paralinguistik in Nijmegen eingesetzt werden, bestätigen diese Richtwerte aktuell (vgl. Levinson 2016; Holler, Kendrick und Levinson 2017). Sprecherrollenwechsel Als zeitlich grobkörnigstes Level rhythmischer Koordination hat Collins die Weisen der Sprecherwechsel im Blick. Bereits die gelungene Koordination der Sprechaktwechsel bringt ein hohes Maß an Synchronität in eine Konversation. Collins bezieht sich hierbei auf Studien von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) sowie darauf aufbauend von David Gibson (1999, 2001). Die Forscher haben ein Set von Sprecherwechselregeln aufgestellt, bei deren Verletzung die Abfolge von Interaktionssequenzen sehr empfindlich gestört werden kann (vgl. auch aktueller Selting 2000; Mondada 2006, 2013; Streeck 2014). Holler und Kollegen konnten jüngst empirisch mittels Videoanalysen demonstrieren, in welcher Weise selbst kleinste Handbewegungen die Sprecherwechsel unterstützen und beschleunigen (vgl. Holler, Kendrick und Levinson 2017). Ähnlich zeigte auch Mondada die Bedeutung körperlicher Haltungen für die Projektion der ihnen bereits innewohnenden Verweise auf den Abschluss des Interaktionsparts (vgl. Mondada 2007). Reibungslose Konversationen sind dabei dadurch gekennzeichnet, dass die Sprecher sich weder vorzeitig unterbrechen, wie es etwa in einem Streitgespräch oder bei machtungleichen Gesprächen der Fall ist, noch die Sprecherwechsel zu holprig ablaufen respektive durch größere Pausen unterbrochen sind. Collins und Hanneman stellen hierzu wie folgt heraus:
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»In fact the gaps need not to be very large in order to signal that there is a breakdown in solidarity; what is colloquially known as an ›embarassing pause‹ is often on the order of 1.5 s or less (examples in Heritage, 1984, p. 248). The baseline of normal solidarity conversation is that turns are coordinated at tempos of tenths of seconds; anything as long as 0.5 s is already missing several beats, and longer periods are experienced subjectively as huge gaps.« (Collins und Hanneman 1998, 217)
Diese Sprecherwechsel müssen nicht inhaltlich begleitet sein. Synchronität und damit Solidarität wird bereits dadurch generiert, dass dem Sprecher die geteilte Aufmerksamkeit bestätigt wird, indem eine bestimmte gestische Abfolge oder Stimmfrequenz wiederholt wird (vgl. Goffman 1967; Rocca und Martin 1998). Paralinguistische und körperliche Rhythmen Zudem zieht Collins etliche paralinguistische Aspekte der Kommunikation heran, wenn es darum geht, Rhythmen der wechselseitigen Koordination anzeigen zu können. Entscheidend ist dabei die Art und Weise, wie gesprochen wird, wie sich Interaktionspartner wechselseitig einstimmen. Solche Aspekte beziehen paralinguistische Aspekte im engeren Sinne wie Stimmlage, Tonfall, Betonungen, Lautstärke, Sprechtempo, Sprachmelodie mit Ansteigen, Wiederholungen und Pausen ebenso ein wie gestische und mimische (Mikro-)Bewegungen und Haltungen (empirische Bezüge v. Collins hierzu etwa Gregory 1983; Jaffe und Feldstein 1970; Warner 1979; Warner, Waggener und Kronauer 1983; aktuell Breyer et al. 2017)7. Zu den körperlichen Aspekten im engeren Sinne lassen sich jene zählen, die direkt körperlich in Erscheinung treten, wie etwa Körperhaltung, Blick, Augenkontakt und Blinzeln, minimales Kopfnicken und kleinste Gesten bis hin zu Hirnwellen. Solche Körperbewegungen laufen zumeist in hoher Geschwindigkeit und subtil ab, passen sich aber in Konversationen dem Rhythmus der Stimme an (Condon, Ogston und Horton 1971; Capella 1981). Dass dies selbst in der Interaktion zwischen Säuglingen und Müttern auf hochsynchronem Niveau stattfindet (Condon und Sander 1974; neuer u.a. Benson und Rosen 2017), also lange vor dem Spracherwerb, ist für Collins ein deutlicher Hinweis darauf, dass die rhythmische Synchronisation die Basis von Interaktionen dar-
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Der von Breyer et al. herausgegebene Band Resonanz – Rhythmus – Synchronisierung: Interaktionen in Alltag, Therapie und Kunst integriert die soziologische Perspektive auf sprachliche Synchronisation und Resonanz (Wetzel 2017) ebenso wie Arbeiten zu interaktionistischen Synchronisationen und Sympathie, beispielsweise in therapeutischen Settings (Buchholz 2017).
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stellt und damit auch die Basis darauf aufbauender sprachlicher Konversationen (vgl. Collins 2004, 75). Es ist durchaus schwer zu sagen, welche verbalen und vor allem nonverbalen Aspekte der Interaktion dabei als symbolische Vermittlung im engeren Sinne des Transports einer kulturspezifischen Information verstanden werden können und was davon im sehr weiten Sinne als spontane, natürliche Intersubjektivität, gegründet auf rhythmischer Antizipation, des quasi-symbolischen Verständnisses aufgefasst werden muss. Collins selbst spricht mit Blick auf Momente der subtilen Rhythmusgestaltung noch nicht von symbolischen Aspekten. Jene sind seiner Auffassung nach komplexer zusammengesetzte und zumindest erst in der Verkettung von Emotion und Aufmerksamkeit geteilte Bedeutungsgehalte, die besagte Mikromomente der Rhythmusgestaltung zwar beeinflussen, aber wohl nicht mit ihnen gleichgesetzt werden können (vgl. u.a. Collinsʼ Ausführungen zu symbolischen Wirkungen 2004, 81ff.). Insofern kann Collins’ Beschreibung paralinguistischer, körperlicher und mitunter verbaler Aspekte der rhythmischen Begegnungsgestaltung im Sinne kollektiv geteilter Objekte verstanden werden, selbst wenn er mitunter von kommunikativen Ressourcen spricht. Geteilt wird von allen zunächst einmal der physische Raum, aber auch die sozial-emotionale Verortung der einzelnen Individuen darin. Auf deren sehr tiefgreifende und grundlegende Verschränkung weisen die Ergebnisse der Fast Fourier Transformationen (FFT) hin, die sichtbar machen können, dass körperliche Schwingungen und rhythmische, stimmliche Hintergrundgeräusche einen Grundton, ein Brummen, ausbilden, das weit unter einer 0,2-Sekundentaktung liegt (vgl. Gregory, Webster und Huang 1993; Gregory 1994). Nonverbal meint in dem Zusammenhang dann, dass die entstehenden Geräusche der Kommunikation so niederfrequent wahrgenommen werden wie ein »mumbling sound such as one might hear in a conversation that is being ›filtered‹ through a wall« (Gallagher et al. 2005, 192). Gregorys ursprüngliche, auch von Collins lange Zeit unterstützte Vermutung, die Funktion dieser Hintergrundgeräusche läge im Transport der emotionalen Inhalte der Konversation nebst den konkreten, verbalen Inhalten (vgl. Gregory et al. 2009), wird von Gregory selbst inzwischen in Zweifel gezogen, vor allem, weil neuere Untersuchungen aufzeigten, dass dieser Hintergrundton oft nicht im gleichen Maße von beiden Teilnehmern erzeugt, sondern mitunter nur einem zugeschrieben werden kann (Kalkhoff, Thye und Gregory 2017). »In many cases, the amplitudes of the lower frequencies in one person’s voice exhibit greater variability and adapt to another person’s lower vocal frequencies during interaction.« (Ebd., 343) Dennoch oder gerade deswegen wird nochmals deutlicher, dass die wechselseitigen Anpassungsbemühungen in Richtung eines gangbaren gemeinsamen Rhythmus und damit die Möglichkeit der antizipativen
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und affektiven Verschränkung hochkomplex, körperlich gebunden und subtil ablaufen und zudem nicht gleich verteilt sein müssen (vgl. hierzu Gregory und Webster 1996; Kalkhoff und Gregory 2008). Der Umstand der nicht gleichen Verteilung jener Koordinationsbemühungen der Rhythmusgestaltung geht auch bei Collins mehr auf individuelle Haltungen zum jeweiligen Status- und Machtverhältnis (in Form Emotionaler Energie) denn auf physische Gegebenheiten zurück. Zeitliche Rhythmuszirkel Die elementarste Ebene ist die der unmittelbaren rhythmischen Koordination der Beteiligten in der Situation der Begegnung. Dies lässt sich ungefähr so beschreiben, dass Beteiligte, die bereits einen gewissen Schwellenwert der gemeinsamen Ko-Koordination überschritten haben, ihre jeweils eigene Beteiligung und die des Gegenübers in einem gewissen Maße antizipieren und in Relation zueinander setzen. Diese Ebene der rhythmischen Mikroantizipationen findet jedoch nicht nur auf physischer Ebene empirisch aufzeigbarer Mikrobewegungen sowie sprachlicher und paralinguistischer Sequenzen statt, sondern gleichermaßen auf affektiver Ebene und der Ebene der koordinierten Aufmerksamkeit. Bildhaft gesprochen beginnt so das Interaktionspendel langsam auszuschlagen. Dabei bezieht sich die Ko-Koordination nicht nur auf den geteilten Aufmerksamkeitsfokus der Interaktion, sondern zuvor schon längst auf die wechselseitige Aufmerksamkeit auf die Präsenz der Anwesenden. Darüber hinaus beschreibt Collins eine mittelfristige Ebene, die sich durch Zyklen mikrorhythmischer Koordinationen konstruiert. Übergreifende Rhythmen werden infolge von zyklischen Wiederholungen in Sekunden- oder Minutenabständen gebildet. Man kann sagen, dass Interaktionen von sich immer komplexer verschränkenden Rhythmen verschiedener zeitlicher Ebenen strukturiert werden. Diese ineinandergreifenden Rhythmen treten je nach Intensität und Dauer der Interaktion unterschiedlich hervor. Collins beschreibt dazu, dass sich die körperlichen, aufmerksamkeitsbezogenen und affektiven Rhythmen sogar über die direkte Interaktion hinaus ausdehnen können. Demnach würden einmal in Gang gesetzte Aufmerksamkeits-Affekt-Schleifen nicht unbedingt abrupt mit dem Gespräch abbrechen, sondern ein bestimmter Aufmerksamkeitsfokus und kollektiv erzeugte Emotionen könnten aus der Interaktion hinausgetragen werden. Dies könne, so Collins, Stunden bis wenige Tage andauern (vgl. Collins und Hanneman 1998, 102f.). Ferner sieht Collins eine langfristige Ebene affektiver Empfindungen gegeben. Dauerhaft jedoch kann auch Emotionale Energie nicht in ihrer energetischen Form als Konglomerat affektiver Zustände per se erhalten bleiben. Denn
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ihre dynamische Komponente, die affektiven Bewegungen, sind einem kontinuierlichen Regress unterworfen. Collins illustriert dies an einigen Stellen mit dem Bild des Sich-Auspendelns affektiv aufgeschaukelter Energien. Symbole indessen können eine kognitive Brücke zwischen affektiven Erfahrungen und deren Regeneration in passungsgleichen Arten von Begegnungen bilden, indem sie kognitiv kodierte Grundhaltungen Emotionaler Energie an sich binden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Erinnerung treten lassen können (Collins 1990, 40). Jenen symbolgestützten Mechanismus der Rekapitulation affektiver Erfahrungen beschreibt Collins daher oft im Zusammenhang mit time-bubbles, die beschreiben sollen, dass sich affektive Zyklen über einen sehr langen Zeitraum erstrecken können, bei einschneidenden Ereignissen wie beispielsweise dem Terroranschlag vom 11. September 2001 über drei bis sechs Monate (vgl. Collins 2012b). Dies gilt aber eben nur, wenn ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gebunden wird, beispielsweise, wenn ritualisierte Interaktionen einen großen Umfang annehmen und mit Massenversammlungen und Massenpartizipation einhergehen. Die an solche Interaktionen gebundenen Symbole sind weniger von externen Bedeutungsinhalten bestimmt denn von internen emotionalen Aufständen. Letztlich sind aber, auch dies adressiert der Begriff time-bubbles, alle affektiven Zyklen endlich. Symbole sind in ihren spezifischen emotionalen Aufladungen einem unaufhaltsamen Verfallsprozess ausgesetzt. Die Gefahr bei Symbolen, wie etwa bei Statuen, Denkmälern oder auch Feiertagen, besteht also immer darin, sie nach ihrer Bedeutung zu beurteilen, ohne zu berücksichtigen, was Partizipierende aktuell tatsächlich im Hinblick auf das Symbol empfinden, denn »symbols can be living, dead or lukewarm« (ebd., 384f.).
STRUKTUREN DES AFFEKTIVEN IM MODELL EMOTIONALER ENERGIE Eingangs wurde bereits versucht zu skizzieren, was Collins eigentlich ganz grundsätzlich unter dem Emotionalen des Menschen, wie er es nennt, versteht. Auch wurde die Frage kurz aufgegriffen, welche Bedeutung er damit dem Affektiven allgemein nicht nur in seiner Wirkweise, sondern prinzipiell für die Erklärung sozialen Handelns, sozialer Beziehungsverhältnisse und sozialer Strukturen beimisst. Nun markiert bereits hier der Sprung von der Begrifflichkeit des Emotionalen zum dem in dieser Arbeit verwendeten Begriff des Affektiven die sich anbahnende Thematisierung und zugleich Problematisierung. Der hier verwendete Begriff des Affektiven wird, wie einführend definiert wurde, als Überbegriff für alle affektiven Strukturen und Phänomene verwendet. Er umfasst mithin
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affektive Hintergründe ebenso wie verschränkte affektive Prozesse wie Stimmungen, Emotionen und Grundgestimmtheiten. Collins selbst hat den Begriff des Emotionalen jedoch nie ausreichend systematisiert und differenziert. Die Übertragbarkeit seiner Beschreibungen verschiedener emotionaler Aspekte auf die dieser Arbeit zugrunde gelegte Systematik des Affektiven stellt dabei auch gar nicht das eigentliche Problem dar. Hingegen erweist sich das Konzept der Emotionalen Energie nicht nur wegen deren Erfassung als grundständige Energieform, sondern auch wegen der konzeptionellen Genese aus der Durkheim’schen Tradition der rituellen Interaktion als äußerst sperrig, wenn es darum geht, an gängige affekttheoretische Differenzierungen anzuschließen. Collins war sich dieser Problematik durchaus bewusst, hat sie selbst dennoch nicht weiterverfolgt. Um Collins’ Konzeption Emotionaler Energie für die in diesem Rahmen verfolgte Frage nach der Verschränkung affektiver Strukturen mit sozialen Beziehungsverhältnissen und kulturellen Ordnungen fruchtbar zu machen, ist es unumgänglich, seine Darstellungen so konkret wie möglich mit den bisherigen Systematisierungen des Feldes des Affektiven abzugleichen. Collins’ eigene Perspektive auf eine interaktive Genese und Bedeutung affektiver Prozesse und Phänomene wird explizit herauszustellen sein. Denn es ist für die spezielle Thematik nicht zielführend, Collins’ Modell so zu abstrahieren, dass das, was den besonderen Wert und die Erklärungsreichweite ausmacht, verloren geht. Zentrale Aufgabe dieses Kapitels wird daher sein, ausgehend von dem Modell der Emotionalen Energie die inhärenten Wesenszüge, Strukturen und Wechselbeziehungen der verschiedenen Bereiche des Affektiven herauszustellen und zu bisherigen Darstellungen unterscheidbarer affektiver Strukturen ins Verhältnis zu setzen. Schließlich wird zur Diskussion stehen, inwieweit Emotionale Energien als Formen von Stimmungen, Grundgestimmtheiten oder affektiven Hintergründen verstanden werden können und welche prädisponierenden Wechselbeziehungen jener Aspekte des Affektiven Collinsʼ Modell dazu vorgestellt hat. Der Begriff des Affektiven wird somit als Überbegriff aller affektiven Strukturen und Prozesse beibehalten. Ist die Rede von Emotionen oder dem Emotionalen, gibt dies also Collins’ Betitelung wieder, welche es zu den verschiedenen Bereichen des Affektiven dieser Arbeit ins Verhältnis zu setzen gilt. Zum Verhältnis von Kurzzeit- und Langzeit-Emotionen Zunächst einmal gilt es zwischen dem Modell Emotionaler Energie und Emotionaler Energie zu differenzieren. Das Modell beruht auf dem Vorhaben, das Affektive des Menschen abstrakt so zu systematisieren, dass die Soziologie einen
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Erklärungsmechanismus an der Hand hat, mit dem soziales Handeln realitätsnah und in einem breiteren Umfang erfasst werden kann als mit jenen Modellen, die den Aspekt des Affektiven zum großen Teil außen vor lassen. Eine solche Systematisierung macht es erforderlich, affektive Prozesse auf eine Matrix zu reduzieren, die Bilanzierungen erlaubt und in der soziale Akteure definierten Interaktionsschemata zugeordnet werden können. Die eigentliche Gestalt des Affektiven wird indes erst ersichtlich, wenn Emotionaler Energie detaillierter betrachtet und nach ihrem Beteiligtsein im Prozess der Interaktionsritualketten befragt wird. Collins selbst stellt die grundlegende Verschiedenartigkeit von KurzeitEmotionen (auch als dramatische Emotionen oder disruptive Emotionen bezeichnet) zu Langzeit-Emotionen (auch als undramatische Emotionen bezeichnet) in den Vordergrund seiner Differenzierung des Emotionalen des Menschen. Bestätigung hierfür findet er in der Unterschiedlichkeit des jeweiligen physiologischen Ausdrucks. Denn während die Basisemotionen Wut und Angst als neurologische Muster explizit in der Amygdala lokalisierbar und gerichtet sind, zeigt sich für die Basisemotionen der Freude und der Traurigkeit eine auch neurophysiologisch fehlende Abgrenzbarkeit zu den verschränkten Weisen des Denkens und Befindens (vgl. Collins 2004, 106f.). Collins sieht folglich in den unterscheidbaren Aspekten des Emotionalen, die er als kurzfristige, disruptive und langfristige, hintergründige Emotionen voneinander abgrenzt, kategorial verschiedene Weisen des Affektiven. Während konkrete und gerichtete Emotionen auf ein situativ abgrenzbares Ereignis verweisen, zielen hintergründige Formen des Affektiven in irgendeiner Weise auf das Gesamtbefinden des Menschen ab. Diese Unterscheidung und die Bedeutung, die Collins ihr beimisst, soll zunächst näher betrachtet werden. Kurzzeit-Emotionen Unter kurzfristigen, disruptiven Emotionen sind jene affektiven Phänomene zu fassen, die üblicherweise als Emotionen im engeren Sinne verstanden werden. Sie beziehen sich auf affektive Prozesse, welche die Resonanztheorie als Gestimmtheiten oder Verstimmungen innerhalb gerichteter Weltbeziehungen beschreibt – zunächst einmal, weil sie mit kognitiven Momenten komplex verschränkt und damit direkt gerichtet sind, nicht zuletzt aber auch, weil sie aufgrund ihrer Intensität von außen sichtbar und zumeist folgenreich sind, wie beispielsweise im Falle der Angst, der Wut oder der Scham. Zudem beschreibt Collins sie als plötzlich und oft mit erkennbaren Ursachen auftretend. Sie folgen einem bestimmten Verlauf und verschwinden relativ schnell wieder (vgl. Collins 2004, 125ff.). Dies entspricht dem in der modernen emotionssoziologischen Forschung am häufigsten vertretenen Konzept von Emotionen im engeren Sinne (u.a.
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Merten 2003; Hartmann 2010; Schnabel und Schützeichel 2012; vergleichend Schützeichel 2006). Darüber hinaus verdeutlicht Collins, dass Kurzzeit-Emotionen zumeist das Ergebnis von Gruppenprozessen sind. Auch wenn Collins damit alle anderen Formen möglicher Begegnungen unbeachtet lässt, ist dies mit Blick auf die potenzielle Intensität, die Emotionen annehmen können, ein zentraler Hinweis. Hintergrund dieser Annahmen ist das bereits vorgestellte Modell des emotional entrainment. Nachvollziehbar wird hierbei Collinsʼ Charakterisierung von Emotionen als vorwiegend destruktiv. Kollektive erzeugte Dynamiken der Freude und Begeisterung sind natürlich grundsätzlich nicht negativ. Deren eigentliche Bedeutung der Begründung von Solidaritäten und Selbstsicherheit findet sich aber auch auf einer anderen Ebene affektiver Strukturen wieder. Der potenziell destruktive Charakter kommt Emotionen indes zu, da sie auf der Grundlage eines hochdynamischen kollektiven komplexen Geschehens stattfinden, welches schlicht durch darin entstehende wechselseitige Verkettung und eskalative Tendenz enorme Intensitäten hervorzurufen imstande ist. Langzeit-Emotionen Insgesamt weist Collins den unscheinbareren, hintergründigen Emotionen – Collins bezeichnet sie meist als Langzeit-Emotionen – eine wesentlich größere Bedeutung für die Erklärung sozialer Strukturen und Dynamiken zu. Eine Ansicht, auf die Garfinkel bereits hinwirkt, wenn er von einer beständigen Grundstimmung spricht, in der alles seine Ordnung hat und normal ist. Eine solche Grundtönung, die nicht verändert, sondern allenfalls erschüttert werden kann, ist mehr Gefühl denn Kognition. Collins bezieht sich aber auch auf Darstellungen Durkheims und Goffmans zu Gefühlen der Solidarität, der Selbstwahrnehmung, der Zugehörigkeit oder des Ausgestoßenseins. Alle beziehen sich auf hintergründige affektive Elemente, nicht auf kognitiv reflektierte. Diese hintergründigen Emotionen sind beständig und subtil und betreffen das gesamte alltägliche Leben eher grundlegend denn situativ vereinzelt (vgl. Collins 1990, 31). Eine hervorgehobene Bedeutung für die Erklärung alltäglicher Handlungen und der Weise, wie Individuen miteinander interagieren, kommt diesem Bereich des Affektiven für Collins dann dadurch zu, dass bezogen auf den gesamten Alltag und das soziale Leben ungleich mehr Aufwand betrieben werden muss, jene affektiven Momente aufrechtzuerhalten, nicht zuletzt, um damit in Interaktionen intensive positive Emotionen generieren beziehungsweise negative, wie beispielsweise Ärger und Neid, vermeiden zu können. Dem Aufspüren und der Beschreibung dieser subtilen Sequenzen der Rekonstruktion stabiler und hilfreicher affektiver Strukturen galt sodann auch Collinsʼ wissenschaftliche Arbeit. Dass
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dies kein leichtes Unterfangen ist, ist Collins zufolge dem Sachverhalt geschuldet, dass darüber hinaus noch weitaus mehr Aufwand betrieben wird, diese subtilen, aber steten Strategien der Aufrechterhaltung in Interaktionen generierter hintergründiger Emotionen nicht zu erkennen. Dies entnimmt Collins zumindest den erwähnten Krisenexperimenten Garfinkels, welche eben jene kontingenzverschleiernden Strategien in der Negation kognitiv elaborierter Lebensweltstrukturen sichtbar machten (vgl. Collins 2004, 106). Wenn also hintergründige Emotionen keine dramatischen Handlungsmotivationen bereithalten, sind sie in Hinblick auf die Konstruktion und vor allem die Aufrechterhaltung sozialer Bindungen und stabiler Handlungswelten, also für das soziale Leben im Ganzen, von vordringlichster Wichtigkeit. Denn die Grundstimmung davon, »dass alles in Ordnung ist«, ist nicht per se vorhanden, sondern ein Ergebnis gelungener Wirklichkeitskonstruktionen auf der Grundlage überwiegend affektiv ausgelegter Akteure. Langzeit-Emotionen sind somit keine im Alltag auffallenden, spektakulären und »bunten« Emotionen. Doch gerade dies macht sie zu einem so essenziellen und stabilen Gewebe des Sozialen. Sie wirken im Verborgenen, überwiegend ungestört und damit kaum steuerbar (vgl. ebd.). Wenn Collins also kurzfristige, dramatische und disruptive Emotionen von hintergründigen Emotionen unterscheidet, hat er damit einen gänzlich anderen Ansatz als klassische emotionssoziologische, phänomenologische oder psychologische Interessen. Denn die Unterscheidung zwischen Kurzeit- und LangzeitEmotionen lässt sich weder schlicht mit der Gegenüberstellung von Emotionen und Stimmungen parallelisieren, noch ist sie einem Interesse an der phänomenologischen Vertiefung jener Bereiche geschuldet. Die Unterscheidung begründet sich ausgehend von der Grundannahme, dass die mikrosituative dynamische Struktur des Sozialen von einer die Individuen zusammenhaltenden Substanz respektive Kraft bestimmt wird, die affektiver Natur ist. Collins ist daher weniger an einer Spezifizierung ihrer Erscheinungsformen interessiert als vielmehr an einer Erfassung ihres Grundprinzips, das er als Modell Emotionaler Energie systematisiert. Wechselbeziehungen zwischen Kurzzeit- und Langzeit-Emotionen Das Modell Emotionaler Energie setzt kurzzeitige, dramatische Emotionen in ein systematisches und sich wechselseitig bedingendes Verhältnis zu hintergründigen Emotionen. Systematisch meint dabei, dass in einer ritualtheoretisch fundierten Vorstellung aufeinander aufbauender Interaktionsabfolgen beiden Formen des Affektiven ein unterschiedlicher Platz zugewiesen wird. Genauer stellt sich
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Collins eher ein komplexes Netz alltäglicher Interaktionen vor. In diesem Prozess beschreiben Kurzzeit-Emotionen und hintergründige Emotionen kategorial unterschiedliche Aspekte des Affektiven, die jedoch das Bild der Interaktionsritualketten überhaupt erst erklären. Dieser Begründungszusammenhang fußt auf einem spezifischen Wechselverhältnis der unterscheidbaren affektiven Elemente. Kurzzeit-Emotionen haben, wie beschrieben, ihren Platz in der bereits wechselseitig verschränkten Interaktion der kollektiven Verkettung von Aufmerksamkeiten und geteilter Stimmung. Dies ist ein ganz entscheidender Unterschied zu hintergründigen affektiven Bereichen. Denn dadurch, dass Emotionen ko-konstruiert werden, werden sie zum konstitutiven Element der wechselseitigen Verkettung der geteilten Aufmerksamkeiten der Teilnehmer einer Interaktion. LangzeitEmotionen hingegen sind nun einmal Resultate aus daraus generierten solidarischen Bindungen, aber damit gerade nicht mehr konstitutiver Bestandteil der spezifischen Interaktion. Zu einem konstitutiven Element werden jene erst als hintergründige, affektive Bedingungen der jeweils Interagierenden. Als solche werden sie jedoch nicht geteilt und ko-konstruiert. Vielmehr bestimmt ihr jeweiliges Passungsverhältnis die subtilen Prozesse, auf deren Grundlage emotionale Prozesse in Gang gebracht werden können. Langzeit-Emotionen stehen somit in keinem direkten, qualitativen Zusammenhang mit Emotionen im engeren Sinne, sondern nur in einem strukturellen. Hintergründige Emotionen umspannen die vereinzelten Situationen der kollektiven Intensivierung und werden als solche von Collins in einem Kontinuum Emotionaler Energien gebündelt. Will man das Verhältnis der beiden von Collins unterschiedenen Arten des Affektiven beschreiben, wäre also zunächst einmal darzustellen, dass ein hohes Maß dieser Emotionalen Energie tendenziell die Chance, überhaupt an sozialen Interaktionen teilzunehmen und damit starke kollektiv erzeugte Emotionen zu erfahren, erhöht. Ein niedriges Niveau dieser hintergründigen Emotionen hindern Individuen eher daran und lassen sie tendenziell vereinzeln. Emotionale Energie lässt sich somit zum einen am Maß der interessierten Hinwendung zu anderen festmachen, insbesondere dann, wenn es um positive Emotionen wie Freude, Enthusiasmus und Albernheit geht. Erfahrungen intensiver Emotionen bilden dabei gleichzeitig wiederum den Ausgangspunkt, neue Emotionale Energie zu generieren und damit hintergründige Emotionen zu beeinflussen. Häufig gibt es dabei einen emotionalen Mittelpunkt der Gruppe, einen Anführer, der für emotionale Prozesse den entscheidenden Anstoß geben kann und als emotionale Batterie der anderen fungiert. Demnach braucht es zum einen überhaupt erst ein gewisses Niveau Emotionaler Energie, um an rituellen Interaktionen, die positive Emotionen erzeugen, teilnehmen zu können. Zum anderen bedarf es sozusagen einen energetischen Mittelpunkt, um starke emotionale Prozess in Gang zu bringen.
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Dies kann nur jemand sein, der bereits über ein sehr hohes Maß an Emotionaler Energie verfügt (vgl. Collins 2004, 127). Demgegenüber lassen sich negative Kurzzeit-Emotionen wie Ärger, Angst und Scham nicht ausnahmslos im Zusammenhang mit einem niedrigen Niveau Emotionaler Energie erklären. Auch solche Emotionen können sich als dominierend in kollektiven Prozessen des emotional entrainment etablieren und letztlich mitunter einen Gewinn an Emotionaler Energie eines oder mehrerer Interaktionsteilnehmer bedeuten. Collins unterscheidet daher zwischen Formen aggressiven Antriebs, die nur mit einem gewissen Maß an Emotionaler Energie möglich sind, und antriebslosen, negativen Emotionen. Letztere sind, wenn sie überhaupt als Energie zutage treten, eher von spontanen und besonders heftigen Energieeruptionen geprägt. Da eine andauernde Energieausschüttung auf einem niedrigen Niveau Emotionaler Energie nicht möglich ist, zeichnen sich negative Emotionen allerdings überwiegend durch Rückzugstendenzen und stilles Erleiden denn durch Aktivität aus. Das Bild eines wütenden Managers kann dies illustrieren. Ist diese Wut kennzeichnend für ein aggressives und zuversichtliches Streben, ein Hindernis zu überwinden, wird die Wut eher als Stärke ausgelegt. Hat der Wutausbruch jedoch verzweifelnde und aufgebende Tendenzen und endet in einem Rückzug, wird dem Manager dies als Schwäche und Resignation ausgelegt (vgl. Collins 2004, 126ff.). Grundsätzlich muss Collins aber so verstanden werden, dass schädliche Formen von Emotionen – Emotionen also, die eher zerstörerisch wirken – Folgen geringer Ressourcen Emotionaler Energie oder Übergangsformen auf dennoch eher unterem Niveau Emotionaler Energie darstellen. Collins führt hierfür Formen des gewaltbegleiteten Ausdrucks von Wut an, die vor allem dann auftreten, wenn gerade ein sehr niedriges Niveau Emotionaler Energie verlassen wird. Solche Formen von Gewalt kommen vor allem dann zum Tragen, wenn sich ein Subjekt erstmals nach einer stark zehrenden und repressiven Situation in der Lage sieht, die Ursache der Frustration erfolgreich zu bekämpfen. Genügt die vorhandene Emotionale Energie dafür nicht, kann Wut kaum ausreichend mobilisiert werden. Es entstehen Ärger, Angst und Verzweiflung, die letztlich in Depressionen enden können (vgl. Collins 1990, 41ff.). Emotionale Energie Zum Verhältnis der von Collins unterschiedenen affektiven Bereiche kurzfristiger Emotionen und langfristiger Emotionaler Energien lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass jenes sich erst unter Rekurs auf Wechselwirkungsprozesse im Prozess vernetzter Interaktionsdynamiken verstehen lässt. Grundsätzlich aber
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bahnt sich in Collinsʼ Darstellungen ein Relationsverhältnis affektiver Strukturen an, dem nicht schlicht eine gemeinsame Dynamik unterstellt wird. Collins’ Modell bringt eine komplexe Struktur des Affektiven zum Vorschein, in der hintergründige affektive Elemente nicht schlicht als anbahnende oder abklingende Sequenzen vordergründiger affektiver Phänomene beschrieben werden. Im Modell sind ebenso Mechanismen der Fokussierung, Intensivierung und Transformation affektiver Strukturen angelegt. Dies meint, dass im Verlaufe des gelingenden Ineinandergreifens wechselseitig geteilter Aufmerksamkeit und Emotionen die Interaktionsteilnehmer mitunter reflektierende, generalisierende und antizipierende Leistungen erbringen, die dazu beitragen, Erfahrungen sozialer Interaktionen in langfristige affektive Hintergrundbestände zu transformieren. Das Modell Emotionaler Energie beschreibt somit nicht nur einen Mechanismus der interaktiven Intensivierung, sondern vor allem der Transformation affektiver Strukturen. Der dargestellte Einfluss Emotionaler Energie auf den Ablauf des Interaktionsrituals macht diese nicht nur zur Ressource für das Zustandekommen künftiger erfolgreicher Begegnungen, sondern stellt damit auch eine Grundlage für die entstehende typische Gestalt der sich neu generierenden Emotionalen Energie dar. Bedingungen Emotionaler Energie Das Konzept Emotionaler Energie beschreibt ein Konglomerat der verschiedenen emotionalen Aspekte, die von der jeweiligen Art der Situation, in der sie kontextualisiert, bestätigt, überwacht oder erschüttert werden, abhängig sind. Von Bedeutung sind dabei weniger die Inhalte der sozialen Interaktionen denn das Maß und die Intensitäten geteilter Emotionen sowie schlicht deren Häufigkeit. Darüber hinaus spielt die Art der sozialen Gruppe beziehungsweise des Netzwerkausschnitts, etwa dessen Prestige oder Ressourcenpotenzial, eine entscheidende Rolle für die spezifische Form der entstehenden Emotionalen Energie: »Some persons feel full of confidence and initiative in a party of professional acquaintances, but not in a sexual situation; some feel confidence in a business negotitation, but not a political one.« (Collins 1990, 40) Der bedeutendste Aspekt ist aber die soziale Konstellation von Macht- und Statusverhältnissen. Die Menge und die konkrete Form Emotionaler Energie fällt je nach Machtverhältnis und Position innerhalb der Gruppenkonstellation sehr unterschiedlich aus. Sie nimmt je nach Art der Interaktion typische Charakteristiken an. So Collins: »Not all conversations, however, are equally successful rituals. Some bind individuals together more permanently and tightly than others; some conversations do not come off at all. Among those conversations that do succeed in evoking a common reality, some produce a feeling of egalitarian membership among the conversationalists, while others pro-
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duce feelings of rank differences, including feelings of authority and subordination. These types of variability are, in fact, essential for producing and reproducing stratified social order. Conversational interaction ritual, then, is a mechanism producing varying amounts of solidarity, varying degrees of personal identification with coalitions of varying degrees of impressiveness.« (Collins 1981, 999)
Grundlegend generiert sich das Maß Emotionaler Energie abhängig vom Maß der erreichten Solidarität. Interaktionen sind daher nicht immer für alle Beteiligten gleich erfolgreich. Die in der Interaktion erreichbare Emotionale Energie ist entscheidend abhängig vom Status innerhalb der Gruppe und der Möglichkeit, Macht über andere auszuüben. Nicht alle Interaktionen begründen eine Verbundenheit egalitärer Art, sondern viele rufen Gefühle von Macht oder Entmachtung, von hoher Anerkennung oder Unterordnung hervor (vgl. ebd.). Soziale Beziehungen sind dabei niemals statisch, sondern verändern sich fortwährend. Insbesondere dann, wenn Macht- und Besitzverhältnisse oder Statusfragen verhandelt werden, entwickeln sich komplexe Dynamiken im Rahmen ritueller Interaktionsketten. Collins vergleicht die Prozesse mit einem Marktplatz, auf dem mit der Status- und Machtposition letztendlich der Gewinn an Emotionaler Energie verhandelt wird. Ausschlaggebend dafür, welche Position und Macht eine Person im Rahmen der Begegnung vertreten kann, sind Collins zufolge jedoch situativ nicht nur ökologische und materielle Bedingungen. Entscheidend für die Marktposition der Individuen sind letztendlich kommunikative und vor allem emotionale Ressourcen (vgl. ebd., 1000f.). Unter Ersterer versteht Collins allgemein kommunikative oder kulturelle Ressourcen. Sie wird in Form von Gesprächsinhalten oder -stilen eingebracht und ist vor allem relevant, wenn es darum geht, die gemeinsame symbolische Wirklichkeit einer Gruppe zu teilen. Collins verwendet den Begriff der kommunikativen Ressourcen, um zu verdeutlichen, dass nicht nur ein bestimmtes Fachwissen notwendig ist, um sich als Mitglied einer entsprechenden Berufsgruppe zu fühlen, sondern die kommunikativen Interaktionssituationen, in denen im Gespräch ein gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus entwickelt wird, entscheidend sind, um Gefühle der Gruppenzugehörigkeit entstehen zu lassen. Für die Produktion und Reproduktion einer geschichteten Sozialstruktur spielt nicht nur die Menge der verfügbaren kommunikativen Ressourcen eine Rolle, sondern auch die Art. Generalisierte, langsam wachsende Inhalte, die sich auf allgemeine Ereignisse oder Dinge beziehen, haben Einfluss auf Zugehörigkeitsgefühle zu allgemeineren Statusgruppen wie Berufs- oder Kulturkreisen. Konkrete Bindungen informeller Art, aber auch an Organisationen oder an Macht- oder Eigentumspositionen bewirken dagegen partikularisierte Gesprächs-
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inhalte, die Bezug zu konkreten Personen, Orten oder Dingen herstellen. Denn ausgehend von der Vorstellung, dass Herrschafts- und Besitzverhältnisse vom alltäglichen Routineverhalten der Individuen reproduziert werden, stellen auch Gesprächsroutinen einen Teil dieser physisch fundierten Orientierung dar (vgl. Collins 2000, 117f.). So Collins: »Insofern werden Herrschafts- und Besitzverhältnisse immer dann aktualisiert, wenn sich Menschen auf jemandes Haus, Büro, Auto beziehen, wie auch wenn jemand eine bestimmte Anweisung erteilt und der Empfänger zumindest für diesen Moment die Wirklichkeit dieser Anweisung anerkennt.« (Ebd., 118)
Die entscheidende Ressource im Zusammenhang mit rituellen Interaktionen ist die der emotionalen Art. Denn Emotionale Energien beeinflussen in mehrfacher Hinsicht Interaktionssituationen zu jedem Zeitpunkt. Zum einen sind sie entscheidend am Ausgangspunkt von Begegnungen. Die einzubringende emotionale Bereitschaft legt Collins mitunter als sehr grundlegend für das Zustandekommen von Gesprächen aus. Seiner Auffassung nach bedarf es eines zumindest minimalen emotionalen Engagements jedes Beteiligten in Form des Aufbringens eines, wenn auch geringen, Zusammengehörigkeitsgefühls, damit überhaupt eine rituelle Interaktion stattfinden kann. Dieses kann »von einer minimalen Zurschaustellung von Zuneigung bis hin zu warmherziger gegenseitiger Verbindung und leidenschaftlichen gemeinsamen Aktivitäten« (Collins 1981, 1001f.) reichen. Grundlage sind emotionale Ressourcen, die in früheren Interaktionen aufgebaut wurden. Erfahrungen aus erfolgreichen Interaktionsritualen, insbesondere dann, wenn diese in mächtigen Gruppen abliefen, die entstandenen Emotionen sehr intensiv waren oder die eigene Position dominant in der Gruppe war, begünstigen den Aufbau Emotionaler Energie im besonderen Maße. Denn wenn, so Collinsʼ Überzeugung, Personen Vertrauen und Akzeptanz erfahren, gewinnen sie emotionale Ressourcen, die sich wiederum in Vertrauen, Herzlichkeit und Begeisterung ausdrücken. Waren bisherige Interaktionen jedoch von misslungenen Mitgliedschaftsbemühungen, Zurückweisungen und extremer Unterordnung geprägt, können im Extremfall keine emotionalen Ressourcen aufgebaut werden, was zu Schwierigkeiten bei künftigen Verhandlungen über mögliche Zugehörigkeiten führt. Doch im Vergleich zu kommunikativen Ressourcen sind emotionale sehr viel flüchtiger. Eine Aneinanderreihung erfolgreicher Interaktionserfahrungen, in denen man deutlich akzeptiert wurde, kann emotionale Energie sehr schnell steigern, wie auch im negativen Fall Emotionale Energie durch Misserfolge schnell sinken kann. Collins geht davon aus, dass jeder im Leben viele solche Interaktionsketten sowohl positiver als auch negativer Art durchlebt (vgl. Collins 2000,
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119ff.). Die Bedingungen, Emotionale Energie in Interaktionen zu generieren, können sich daher je nach Art dieser unterschiedlich schnell wandeln. Charakteristika Emotionaler Energie Kern und Ausgangspunkt der Generierung Emotionaler Energie ist das Gefühl der Solidarität, weswegen Collins es als Ergebnis gelingender Interaktionsrituale mitunter neben der Emotionalen Energie gesondert hervorhebt. Das Gefühl von Verbundenheit oder Gruppensolidarität beschreibt bereits Durkheim als das eigentliche Ergebnis des erfolgreichen Aufbaus einer affektiven Koordination im Zuge eines gelungenen Interaktionsrituals. Der Aufbau von Solidarität bewirkt (Selbst-)Vertrauen, ein starkes Selbst und Wohlgefühl in der Gruppe und begünstigt weitere soziale Interaktionen. Ein misslungenes Interaktionsritual bewirkt hingegen genau das Gegenteil: eine mangelnde Bindung an die Gruppe, deren Ansichten und Symbole. Künftige Gruppeninteraktionen sind unwahrscheinlicher. Jedoch bewirkt dies nicht das Maß an Solidarität für sich, sondern es bildet die Vorbedingung des Erwerbs Emotionaler Energie als Ganzes. In Anlehnung an Durkheims Konzept der moralischen Empfindung besitzt Emotionale Energie zudem eine Kontrollfunktion innerhalb der Gruppe. Personen, die über hohe Emotionale Energie verfügen, empfinden sich als moralisch und gut, während Personen mit geringer Emotionaler Energie dieses Gefühl fehlt. Auf der Grundlage der Vorstellung einer moralischen Solidarität erklärt Collins auch bestimmte Formen von Altruismus und Liebe, jedoch in Hinblick auf den Schutz der Gruppe auch Formen von rechtschaffener Wut und Verfolgung etwa Ungläubiger oder Abtrünniger. Diese spezifischen Eigenschaften Emotionaler Energie werden durch die beiden stratifizierenden Dimensionen Macht und Status erreicht. Die wesentlichen Kennzeichen eines hohes Niveaus Emotionaler Energie beschreibt Collins als Gefühle von sozialer Eingebundenheit, sozialer Sicherheit und einem großen Vertrauen in die Gruppe und sich selbst. Sie manifestiert sich in Gefühlen eigener Stärke und Enthusiasmus, im Vertrauen, bevorstehende Interaktionen dominieren beziehungsweise einen bestimmten Status einnehmen zu können. Emotionale Energie sieht Collins mit positiven Empfindungen bis hin zu Hochgefühlen verbunden, die den einzelnen Teilnehmer zu einem initiativen Mitglied der Begegnung machen. Je nach Situation und Interaktionsform zeigt sich Emotionale Energie in Form spezifischer Handlungsbereitschaften und antizipierter Erwartungen, etwa darin, die bevorstehende Situation zu dominieren oder sich unterzuordnen. Auf Statusrituale angewendet meint dies dann Annahmen zu der Frage, ob man innerhalb des Interaktionsrituals ein zentrales Mitglied oder nur eine Randfigur ist. Folglich resultieren aus Machtsituationen ty-
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pische Aspekte Emotionale Energien, ebenso aus Statussituationen (vgl. Collins 1990, 40). Das untere Ende von Emotionaler Energie zeichnet sich dagegen durch sozialen Rückzug und im Extremfall Depressionen ab. Der soziale Rückzug bezieht sich nicht nur auf den Rückzug aus Interaktionen, sondern bereits auf den Rückgang von Ausdruckskraft und Handlungsdiversität innerhalb von Interaktionen. Ein maximaler Tiefpunkt Emotionaler Energie äußert sich in einem erheblichen Energieverlust und dem Verlust von Antrieb. Dies kann mitunter zur kurzweiligen massiven Energieausschüttung in Form von Wut oder Aggressionen führen, so Collins. Nach Frijda (1986) stellt dies einen Versuch dar, sich aus repressiven sozialen Situationen zu befreien. Auch Gefühle von Scham und Zorn, wie sie Scheff im Zusammenhang mit einem niedrigen sozialen Status und mit Blick auf misslingende soziale Bindungen und Abstimmungen beschreibt, bringt Collins entsprechend in Verbindung zu einem sehr niedrigen Niveau Emotionaler Energie, welches durch Status-Energieverluste verursacht wurde. Ursächlich ist das Nicht-Erreichen von Zugehörigkeit zu Gruppen im Rahmen der Gruppenrituale, was einem sozialen Versagen gleichkommt. Die daraus resultierende geringe Emotionale Energie äußert sich in Schamgefühlen, einhergehend mit entsprechenden Vorstellungen zum eigenen Selbst und der Rolle innerhalb der Gruppe (vgl. ebd., 41). Grundsätzlich will Collins Emotionale Energie so verstanden wissen, dass sie ungeachtet ihres zusammengesetzten Charakters insgesamt eine generalisierbare Komponente darstellt, die sich auf einer zweidimensionalen Skala eines emotionalen Zustands zwischen einem maximalen Hoch und einem absoluten Tief bewegt (vgl. Collins 1990, 39). Entsprechend dieser Eigenschaft besteht die Möglichkeit der Kumulation über die Zeit hinweg. Ausschlaggebend dafür sind nicht einzelne erfolgreich durchgeführte Interaktionsrituale, sondern die kettenförmige Verbindung aller stetig stattfindenden Begegnungen. Die Aneinanderreihung von Interaktionen im Alltagsleben von Individuen führt zu einem ständigen Strom Emotionaler Energie, der zeitweilig von Hochs, aber auch von Tiefs geprägt sein kann. Der jeweilige Zustand der emotionalen Energie im Ganzen stellt daher in dem Fall für Collins eine Art Ressource dar, die in Verbindung mit den emotionalen Ressourcen potenzieller Interaktionspartner entscheidend ist für das Zustandekommen und Gelingen von Interaktionsritualen. Ein bereits hohes Maß an Emotionaler Energie stärkt zusätzlich die Bereitschaft und die Möglichkeit, an weiteren Begegnungen teilzunehmen, die wiederum bei Gelingen zu einem höheren Niveau Emotionaler Energie führen. Im Gegenzug kann eine geringe Emotionale Energie zu Desinteresse und Abscheu vor weiteren Interaktionen führen, womit gleichzeitig die Möglichkeit, emotionale Ressourcen anzu-
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häufen, verringert wird. Mit Kumulation meint Collins daher in diesem Zusammenhang zunächst lediglich ein Steigen oder Sinken der jeweiligen Menge Emotionaler Energie in Abhängigkeit zu den Resultaten der einzelnen Interaktionsrituale innerhalb der ständigen Begegnungskette (ebd.). Nicht unbeachtet soll zudem bleiben, dass Collins dem Charakteristikum der Energie einen hohen Stellenwert einräumt. Mitunter verwendet er den Begriff der Emotion und der Energie sogar synonym (vgl. Collins 1990, 32). Zu vermuten ist daher, dass Energie ein Maß verdeutlicht, welches sich zwar aus verschiedenen Komponenten zusammensetzen und auch von diversen Einflussvariablen abhängig sein kann, sich aber dennoch einheitlich zwischen einem maximalen Hoch und einem maximalen Tief bestimmen lässt. Auch rückt die Bestimmung des Affektiven als Energie diese in die Nähe psychologischer Konzeptionen von Antrieb oder Motivation. Collinsʼ Vorstellung von Energie geht jedoch noch weit über konkrete Handlungsmotivationen hinaus und erstreckt sich auf Grundhaltungen des Zutrauens und des Initiativwillens in sozialen Interaktionen in Verbindung mit körperlicher Kraft und Enthusiasmus. Wenn man so will, könnte man Emotionale Energie sogar in Hinblick auf Vorstellungen von Lebensenergie oder einer Form grundlegender sozialer Energie – also einer Energie, die überhaupt erst Menschen noch unabhängig von konkreten Nutzenerwägungen oder formulierten Zielen aufeinander zubewegen und in Interaktionen zueinander treten lässt – auslegen (vgl. Collins 2004, 107f.). Dynamiken Emotionaler Energien Als Ergebnis affektiver Passungsverhältnisse in Interaktionssituationen sind Individuen dann eher mit gesamtheitlichen emotionalen Tönungen (tones) konfrontiert, die verglichen werden. Emotionale Tönungen verweist hier auf einen subtil-affektiven Gesamteindruck der Situation auf Grundlage der hintergründigen Wechselbeziehungen der Individuen. Auf besagten Gesamteindruck haben verschiedene affektiv bedeutsame Aspekte Einfluss, die auf Menschen subtil ansprechend oder abstoßend wirken, aber nicht partikular und konkret wahrgenommen und abgewogen werden. Stattdessen geben verschiedene mikrosituative Eindrücke von Bekanntheit, Vertrauenswürdigkeit, ästhetischen Komponenten oder Authentizität vor dem Hintergrund eigener affektiver Ressourcen den Anstoß, in Interaktionsritualen prozessual zugewandt oder abgewandt zu reagieren. Erst die Summe dieser multiplen Mikrotendenzen des Verhaltens der einzelnen Akteure bestimmen dann konkrete Entscheidungen, Gedanken, Bewegungen und Sprechhandlungen. Die emotionale Tönung zeigt sich den Teilnehmern von Interaktionsritualen daher eher als unterschwelliger Eindruck der Situation, der ebenso unreflektiert verglichen wird (vgl. Collins 1981, 1005).
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Das alles erklärt allerdings noch nicht, warum Menschen sich in Interaktionen begeben, in denen sie Emotionale Energie verlieren. Auch stößt die Analogie des Marktes dann an ihre Grenzen, wenn erklärt werden soll, warum sich Ressourcen- und Machtverhältnisse ändern. Zum Teil lassen sich Handlungsentscheidungen im Sinne von Collinsʼ Kritik an Rational-Choice-Modellen bereits über routinierte Handlungspraktiken und gegebenenfalls auch über Zwang erklären. Der entscheidende Punkt für Collins ist jedoch die Einsicht, dass auch dann, wenn Individuen vermeintlich konkrete Güter rational abwägen und anstreben, der Prozess der Handlungsentscheidung immer das Niveau verfügbarer Emotionaler Energie als gemeinsame Grundlage hat. Denn die Emotionale Energie eröffnet zum einen den Raum, in dem überhaupt Güter angestrebt werden, und spannt zum anderen den Rahmen dafür auf, welche Güter im Lichte der eigenen emotionalen Atmosphäre attraktiv erscheinen. Denn selbst wenn Individuen konkrete Güter anstreben, fehlt es an einem einheitlichen Maßstab für diese (Collins 1981, 1005). Verschiedenartige Güter – ein schönes Haus, Anerkennung im Beruf, Gesundheit etc. – können weder verglichen noch kann ihre Erreichbarkeit errechnet werden. Ebenso wenig haben sie für jeden die gleiche Bedeutung. Zwar schließt Collins die Möglichkeiten der Reflexion über Wahlentscheidungen oder der rationalen Abwägung eigener Ressourcen im Vergleich zu denen der anderen Mitglieder keineswegs aus. Tatsächlich muss aber davon ausgegangen werden, dass Individuen hierbei vor allem affektiven, subtilen Zu- respektive Abneigungen folgen. Demnach nehmen Emotionale Energien sowohl Einfluss darauf, wie die Situation hintergründig bewertet wird – was erwartet, erhofft und gefürchtet, wie die Situation erlebt wird –, aber auch schon darauf, was überhaupt erzielt werden soll beziehungsweise welche Situationen den Individuen als affektiv passend erscheinen, welchen affektiven Part der Begegnung sie sich also als den ihren vorstellen können. Ebenso werden kulturelle Ressourcen automatisch in spezifischen Situationen, in denen sie von Bedeutung sind, eingebracht, ohne dass der Handelnde sich dessen zwangsläufig bewusst sein muss oder kann. Würde ein Akteur versuchen, sich alle in Interaktionsritualen eingebrachten kommunikativen Inputs, etwa in Form von angebrachten Gesprächsstilen, Formulierungen, Floskeln und körperlichen Gesten, bewusst zu machen, würde dies eine flüssige Unterhaltung völlig unmöglich machen. Dieser Mechanismus beschreibt sich als situationsspezifische Inputserie, welche sich wiederum auf das emotionale Empfinden der Verfügbarkeit und Attraktivität von Gruppenzugehörigkeiten auswirkt (Collins 1981, 1005). Individuen nehmen zudem an verschiedenartigen Märkten teil. Allgemein beschreibt Collins vertikale Koalitionen als vergleichsweise träge; in ihnen müs-
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sen mittels ritueller Wiederholungen organisationale Strukturen aufrechterhalten und Besitz- und Machtverhältnisse reproduziert werden. Demgegenüber können sich horizontale Verbindungen, beispielsweise Freundschaften, schneller verändern und sie streben, so vermutet Collins, eher ein Gleichgewicht eingebüßter und erhaltener Ressourcen an (vgl. ebd.). Letztlich entscheidet also erst die Gesamtheit der innerhalb der Ketten von Interaktionsritualen gesammelten Erfahrungen darüber, ob diese emotional positiv oder negativ sind. Am grundsätzlichen Streben der Individuen nach Emotionaler Energie hält Collins ungeachtet dessen fest. Emotionale Energie und die Strukturen des Affektiven Im Folgenden soll sich nun der Frage gewidmet werden, wie sich Collinsʼ Beschreibungen des Wesens Emotionaler Energie als affektives Gefüge zu den bisherigen Strukturierungen des Affektiven in dieser Arbeit verhält. Dass kurzzeitige, disruptive Emotionen durchaus dem nahe kommen, was gemeinhin als Emotionen im engeren Sinne verstanden wird, und auch mit dem konform geht, was die Resonanztheorie grundlegend als gerichtete Gestimmtheiten betitelt, wurde bereits erwähnt. Einführend kam aber zur Sprache, dass neben Stimmungen in Abgrenzung zu Emotionen zudem mindestens eine Form affektiver Hintergründe in umfänglichen Beschreibungen des Affektiven zu berücksichtigen ist. In der Auseinandersetzung mit der Resonanztheorie konnten drei maßgebliche Aspekte nachgezeichnet und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Hinzu kam ein weiterer, offenbar zentraler Bereich affektiver Strukturen, die Grundgestimmtheiten. Nun gilt es zu diskutieren, in welchem Verhältnis das, was Collins unter Emotionale Energie fasst, sich zu den bisherigen Annahmen affektiver Strukturen verhält. Emotionale Energie als Stimmung Ausgangspunkt zur Bestimmung der Emotionalen Energie stellt bei Collins die Hervorhebung dessen dar, was Goffman und Garfinkel als »dauerhaft existente Grundtöne und Stimmungen, die das soziale Leben durchziehen«, geltend machen (Collins 2012, 125, in Rückgriff auf Goffman und Garfinkel). Die Behauptung, Collins’ Begriff der Emotionalen Energie ziele im Wesentlichen auf das ab, was unter Stimmungen zu fassen sei, hat hier ihre Wurzel. Unterstützung findet diese Annahme in Äußerungen Collins’ wie: »Garfinkel forces us to see that there are also emotions that are undramatic; they are long-lasting, underlying tones or moods that permeate social life.« (Collins 2004, 106) Obwohl sich Collins’ Interesse auf das Affektive als disponierende Hintergründe sozialer Struktu-
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ren und damit auf diese konstituierenden Interaktionspraktiken richtet, geht er mit Blick auf die Gestalt Emotionaler Energie von beständigen und hintergründigen Grundgefühlen aus. Wenn Collins daher von Langzeit-Emotionen spricht, dann ordnet er jenem adressierten affektiven Bereich eine dennoch spürbare Empfindungsqualität zu. Die Attribuierung »hintergründig« verweist in diesem Zusammenhang also gerade nicht auf affektive Hintergründe als konstitutive Grundmodi der Interaktion, sondern auf eben im Hintergrund durchaus spürbare, wenngleich nur selten tatsächlich reflektierte affektive Prozesse. Denn Collins schreibt Emotionaler Energie eine phänomenale Gestalt zu, etwa in Form von Gefühlen des Selbstvertrauens und der Beständigkeit. Des Weiteren spricht für eine Erfassung Emotionaler Energie als Stimmung, dass Collins trotz der Komplexität und des zusammengesetzten Charakters doch an einem einfachen Kontinuitätsspektrum zwischen einem maximalen Hoch und einem maximalen Tief festhält. Dies hat nicht nur systematische Gründe, sondern folgt der grundlegenden Überzeugung, dass trotz aller differenzierbaren Aspekte und Arten Emotionaler Energie jene dennoch eben eine emotionale Grundverfassung der Individuen beschreibt, die situativ passend ein konkretes Niveau annimmt. Ein drittes Argument, dass für eine Vergleichbarkeit von Emotionaler Energie mit Stimmungskonzeptionen spricht, ist die inhaltliche Beschreibung der mit bestimmten Energiezuständen verbundenen Empfindungszustände der Betroffenen. Diese offenbaren sich am deutlichsten in den Randbereichen des Kontinuums Emotionaler Energie, also dann, wenn diese Energie ein außergewöhnlich hohes oder ein dramatisch niedriges Niveau erreicht. So Collins: »It is a continuum, ranging from a high end of confidence, enthusiasm, good self-feelings; down through a middle range of lesser states, and to a low end of depression, lack of initiative, and negative self-feelings.« (Collins 1990, 32) Gleichwohl stellt sich das untere Ende Emotionaler Energie gegenüber einem hohen Niveau sehr viel komplexer und vielschichtiger dar. Neben dem Fehlen jener Gefühle, die ein hohes Niveau Emotionaler Energie kennzeichnen, kommen Existenzängste des sozialen Versagens, der Isolation und Selbstaufgabe, häufig gepaart mit Empfindungen von Neid, Ärger und Verzweiflung, hinzu. Einschränkend bleibt zu hinterfragen, in welcher Art und Weise sich dann Stimmungen im engeren Sinne, also spontane Empfindungen etwa der Langeweile oder des Sichwohlfühlens, zu Emotionaler Energie verhalten. Denn welches Modell man auch immer heranzieht – Stimmungen haben doch niemals ein solches Maß an Beständigkeit und Verallgemeinerbarkeit, wie es Collins für Emotionale Energie beschreibt. Stimmungen sind für sich gesehen grundsätzlich höchst flüchtig und vielgestaltig.
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Emotionale Energie als Grundgestimmtheit In Anlehnung an Durkheim, Goffman und Garfinkel vertritt Collins die Auffassung, dass Gefühle von sozialer Beständigkeit, sozialer Ordnung, von Selbstsicherheit im sozialen Gefüge und Enthusiasmus, Moralempfinden und Solidarität weitaus bedeutender für das Funktionieren von Gesellschaften, ihren inneren Zusammenhalt und ihre Strukturen sind als explizit kognitive Dispositionen oder Verträge. Mehr noch als frühere Autoren macht er sich daher für eine Konzeptualisierung dieser sozialen Aspekte in Form von Emotionaler Energie stark, indem er sie grundlegend als affektiv beschreibt. Hauptantrieb bildet also die Einsicht, dass Empfindungen von Alltäglichkeit und Normalität, von sozialer Bindung und Sicherheit keineswegs allein Produkte lückenloser kognitiver Konstruktionen sein können, ebenso wenig wie die Empfindung, in sozialen Interaktionen in seiner Rolle als soziales Mitglied anerkannt zu werden. Rationale Begründungen dienen eher im Krisenfall dazu, solche Gefühle der Normalität und Selbstsicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Mehr oder weniger vertraute Konzepte davon, was Gesellschaft, Solidarität, Verantwortung, Staat oder Familien meint, sind folglich erst das kollektive Ergebnis reflektierter Erfahrungen sozialer Grundempfindungen. Diese Grundempfindungen sind es, die Individuen nicht reflektiert und rational zueinander stellt, sondern sie von Anbeginn in affektiven Bindungen zueinander hält. Wie aber kann die affektive Gestalt jener sozialen Grundempfindungen, die sich als Emotionale Energie bündelt, verstanden werden? Wurden im vorherigen Abschnitt Argumente dafür angeführt, dass Emotionale Energie in ihrer Charakteristik mit Stimmungen vergleichbar sei, soll nun zur Diskussion gestellt werden, ob es sich nicht auch um Grundgestimmtheiten handle. Anlehnend an die Soziologie der Weltbeziehungen können Grundgestimmtheiten von Stimmungen durchaus unterschieden werden. Doch auch ungeachtet der in der Resonanztheorie engen Bindung von Stimmungen an leiblich-räumliche Begegnungen verweisen Grundgestimmtheiten per se auf eigene spezifische Weisen der zusammenfassenden, reformulierenden und präferierenden Auseinandersetzung von Individuen mit ihrer Welt. Grundgestimmtheiten sind damit affektiv empfundene Zeugnisse des steten Abgleichs von Definitionen des Selbst mit deutenden und wertenden Formeln von Welt. Gewiss ließe sich dieser Auslegung Emotionaler Energie entgegenhalten, dass Collins jede Form kognitiver und evaluativer Beteiligung von vornherein ausschloss. Er wollte in erster Linie Grundaspekte wie Solidarität und Normalität, die Gesellschaften primär begründen, in ihrer zunächst affektiven Realität, ihrem Empfinden, stark machen. Dem kann man zwei Aspekte entgegenhalten: zum einen, dass Collins Emotionaler Energie durchaus ebenso kognitive Komponenten zugesteht, insbeson-
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dere dann, wenn er glaubhaft machen will, wie sich affektive Zustände über einen sehr langen Zeitraum erhalten können. Denn dann beschreibt das Modell zeitweilige kognitive Verschlüsselungen Emotionaler Energie in Form von Grundannahmen sich selbst oder andere betreffend. Zum anderen sei daran erinnert, dass Emotionale Energie in Anlehnung an Durkheims Konzept der moralischen Empfindung eine durch die Gruppe ausgeübte Kontrollfunktion besitzt. Anhand der Idee einer moralischen Solidarität erklärt Collins auch bestimmte Formen von Altruismus und Liebe, in Hinblick auf den Schutz der Gruppe auch Formen von rechtschaffener Wut und Verfolgung Ungläubiger oder Abtrünniger. Diese spezifischen Eigenschaften Emotionaler Energie werden durch die beiden stratifizierenden Dimensionen Macht und Status erreicht und lassen sich letztlich mit evaluativen Haltungen vergleichen, auch wenn diese mehr gefühlt denn gedacht werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Gemäß Collins’ Konzept zeigt sich die Emotionale Energie in einer qualitativen Gestalt vergleichbar mit Stimmungen und weist außerdem in ihrem Niveau der Grundsätzlichkeit und Bedeutsamkeit die Charakteristik von Grundgestimmtheiten auf. Emotionale Energie als affektive Hintergründe Der dritte noch nicht in Betracht gezogene Aspekt der Strukturen des Affektiven sind die affektiven Hintergründe. Dies sind keine affektiven Qualitäten im Zuge verketteter affektiver Prozesse einer Begegnung, sondern wurden bisher als konstitutive Elemente der Begegnung selbst beschrieben. Als solche waren sie in der Resonanztheorie elementar verbunden mit performativen Bewegungen des Individuums im steten Prozess des wechselseitigen Affizierens und AffiziertWerdens. Bisher wurden Collinsʼ Beschreibungen zu Emotionaler Energie nur in Hinblick auf deren qualitative Gestalt vorgestellt. Nichtsdestotrotz stuft Collins sie ebenso als eine zentrale Ressource ein. Ihr Fehlen oder Vorhandensein prädisponiert in entscheidender Weise die Möglichkeit, sich in soziale Interaktionen zu begeben, sowie die Fähigkeit, sich in Hinblick auf Macht- und Statusverhältnisse in sozialen Gruppen behaupten und in dieser Rolle wohlfühlen zu können. Wenn jedoch das Maß an Emotionaler Energie die entscheidende Prädisposition für das Zustandekommen und den Verlauf von Interaktionen darstellt, rückt Collins alternative Erklärungen dafür wie Intelligenz, Persönlichkeit und Talent ins Abseits. Um zu zeigen, dass es weniger allgemeine Charakteristika von Menschen denn individuelle Strategien der aufbauenden Akkumulation Emotionaler Energien sind, die dazu führen, als Mitglied einer Gruppe stärker zum Unterstützer als zur Randfigur zu werden, nimmt Collins gern im öffentlichen Interesse präsente Personen in Augenschein, seien es charismatische und durchsetzungs-
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fähige Politiker, religiöse Führer oder Spitzensportler. Es handelt sich um Persönlichkeiten, denen es gelingt, die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf sich zu lenken. Ihnen wird bisweilen eine besondere Aura, Charisma, ein außergewöhnliches Talent oder gar übermenschliche Fähigkeiten zugesprochen. Unter Rekurs auf Chambliss’ (1989) Darstellungen zur mundanity of excellence lehnt Collins all solche Erklärungen ab. Chambliss hat in seinen Studien zu Exzellenz dargelegt, dass Menschen, die grundsätzlich oder in einem spezifischen Bereich deutlich herausragen, dennoch zumeist keinen essenziellen Unterschied zu anderen aufweisen. Sie haben, sind oder tun nichts besonders Außergewöhnliches im Vergleich zu Menschen, die derartige Erfolge nicht erreichen. Konzepte von »Talent« lehnt Chambliss entsprechend strikt ab: »But talent fails as an explanation for athletic success, on conceptual grounds. It mystifies excellence, subsuming a complex set of discrete actions behind a single undifferentiated concept.« (Chambliss 1989, 10) Vielmehr haben sich viele kleine Praktiken, Bedingungen, Umgangsformen, Motivationsstrategien etc. angesammelt, die letztlich zu einem besonderen Ergebnis führen. »Looking at such subtleties, we can say that not only are the little things important; in some ways, the little things are the only things.« (Ebd., 13) Außenstehenden, also jenen, die nicht zum Bereich der Gewinner gehören, erscheint dies jedoch grundlegend anders. Chambliss beschreibt eine solche Erfahrung so: »Say, for instance, that one day I turn on the television set and there witness a magnificent figure skating performance by Scott Hamilton. What I see is grace and power and skill all flowing together, seemingly without effort: a single moving picture, rapid and sure, far beyond what I could myself do. In phenomenological terms, I see Hamiltonʼs performance ›monothetically‹, at a single glance, all-at-once. (Schütz und Luckmann, 1973, p. 75) ›His skating‹, I may say, referring to his actions as a single thing, ›is spectacular‹.« (Ebd., 11)
Was sich also aus kleinen Mikrosequenzen zusammensetzt und auf einem hohen Bestand an Emotionaler Energie aufbaut, erscheint für Außenstehende als unüberbrückbare Differenz, eine unüberwindbare Kluft, zwischen Normalität und Außergewöhnlichkeit. Von einer niedrigeren Ebene Emotionaler Energie aus wirken dominante Personen schnell wie heilige Objekte des Rituals im kleinen Maßstab, so Collins (vgl. Collins 2004, 124). So oder so steht dahinter jedoch lediglich eine Ansammlung kleinster, interaktiv erworbener Mikrosequenzen, die in der Summe zu einem mehr oder weniger hohen Niveau Emotionaler Energie geführt haben. Das damit einhergehende Selbstvertrauen und die Zuversicht in
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die Angemessenheit und Gewöhnlichkeit (ordinary) dieses Zustandes seitens der Statusinhaber treibt diesen Prozess weiter voran. Was lässt daran anschließend zu einer Beschreibung Emotionaler Energie als affektive Hintergründe in der Begegnungsgestaltung selbst sagen? Ganz gewiss gesteht Collins seinem Modell Emotionaler Energie nicht nur die Bedeutungen von Begegnungen nachverfolgenden Gestimmtheiten und einer aus der Summe aller Begegnungserfahrungen resultierenden Grundgestimmtheit der Individuen zu. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Emotionale Energie ad hoc in der Situation die Interaktionssteilnehmer Mikroentscheidungen treffen lässt und Mikrosequenzen der Weisen des Wechselbezugs konstituiert. Welche Gestalt aber muss dies dann haben und welche Entscheidungen und Mikrosequenzen sind gemeint? Erstere Frage lässt sich mit Collins nicht umfänglich beantworten. Er erläutert hierzu, dass sich in vergleichbaren Begegnungssituationen aus vereinzelten Erinnerungen, Vorstellungen, Sinnbildern und Erwartungen gleichsam affektive Erfahrungen in ihrer gebündelten Form als Emotionale Energie reaktualisieren. Wachgerufen werden sie durch die Anbindung an Symbole, wobei der Symbolbegriff hier sehr umfassend verstanden werden muss. »Instead, certain symbols come to mind, or appear in the external environment, and spark off propensities (positive or negative) for social action.« (Collins 1990, 40) Collins spricht damit prädisponierenden affektiven Hintergründen im Gegensatz zur Resonanztheorie eine Form qualitativer Empfindung zu, die sich jedoch nicht stetig, sondern ad hoc realisiert. Die Weise, wie dieser Aspekt Emotionaler Energie dann im ko-konstruierten Wechselbezug der Interaktion wirkt, lässt sich zu Rosas Vorstellungen affektiver Grundempfindungen sehr ähnlich beschreiben. Zunächst jedoch zu dem markantesten Unterschied beider Konzepte: Collinsʼ Dreh- und Angelpunkt dessen, worauf Mikrosequenzen in der Interaktion gerichtet sind, wonach die eine oder die andere Richtung der Bewegung, etwa von Mikromimiken und -gesten, Stimmfrequenzen, Tonhöhen etc., strebt, bilden die Macht- und Statusverhältnisse der Interaktionsteilnehmer. Damit sei nicht behauptet, dass Teilnehmer von Begegnungen grundsätzlich immer eine Bemächtigung anstreben. Doch auch ein egalitäres Machtverhältnis etwa zwischen Kollegen will sich in der Balance von Dominanz und Dominiertwerden bestätigt wissen. Besonderes Interesse widmet Collins trotzdem ungleichen Machtverhältnissen. Sich auf Gibsons Untersuchungen zum Sprecherrollenwechsel in Management Meetings (1999, 2001) berufend, stellt Collins die Behauptung auf, dass der aktuelle Sprecher selbst in großen Gruppen erheblichen Einfluss darauf habe, wer sich am Gespräch beteiligen könne und wer lediglich zum Zuschauer des Gesprächs degradiert werde. Dies nicht nur mittels direkter Ansprache beziehungsweise deren Verweigerung
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und auch nicht nur durch Monopolisierung von Gesprächsdyaden. Grundsätzlich bauen jegliche Gesprächsdyaden und Monologe, die Aufmerksamkeit sehr stark zu bündeln imstande sind, eine enorme Hürde für andere Teilnehmer auf, sich egalitär zu beteiligen. Dies sei, so Collins, nicht mangels Verfügbarkeit symbolischer und kultureller Ressourcen der Fall, sondern ein Zeichen des unterschiedlichen Niveaus Emotionaler Energie der Beteiligten (vgl. Collins 2004, 72f.). Stärker noch als kulturelles Kapital muss daher Emotionale Energie in enger Korrelation zum Status innerhalb der Gruppe betrachtet werden. Denn um andere Kapitalformen überhaupt geltend machen zu können, bedarf es zunächst des nötigen Vertrauens und Selbstbewusstseins, ein zentrales Mitglied der Gruppe zu sein. Folglich stellt das Eindringen in einen Aufmerksamkeiten stark bündelnden Monolog oder Dialog dann auch eine entsprechend starke Bemächtigung in der Situation dar, die gleichzeitig mit einer Entmachtung der anderen Beteiligten einhergeht. Noch feinkörniger und subtiler setzen Mikromechanismen des Sprecherwechsels an, wie sie Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) formuliert haben. Denn Sprecherwechsel dienen nicht zwangsläufig der reibungslosen Koordination und Aufrechterhaltung von Konversationen. Vielmehr können sie bei einer Verletzung der Regeln gleichzeitig einer Verschiebung der Machtverhältnisse und Statuskämpfen gleichkommen. Deutlich wird dies etwa an Streitgesprächen, wenn die Sprecher sich gegenseitig unterbrechen oder aber den direkten Anschluss an die Aussage des anderen verweigern. Hierzu ein Beispiel eines politischen Streitgesprächs, welches Collins Schegloffs Studien (1992) entnommen hat: »... A:
Sorry sir, I'd suggest yuh check yer facts.
B:
I think y-I uh [( )
A:
[I will refrain from telling you you don't know what cher talking abou[t,
B:
[I [wish you would.
A:
[I just suggest you [talk- you check yer facts.
B:
[I wish you would.
B:
Because this's what I read in- in the newspapers. [That we represent-
A:
[Well, then you been reading some pretty ba:d newspapers.
B:
[We represent the U.N. there. …« (Collins 2004, 70f.)
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In dem Streitgespräch entwickelt sich an dem Punkt, an dem beide Positionen dargelegt und als gegensätzlich erkannt wurden, ein Kampf um die jeweilige Anerkennung des eigenen Standpunkts. In diesem Kampf, den der Ausschnitt illustriert, geht es weniger um die differierenden politischen Standpunkte als solche, sondern mehr darum, dem Gegner die eigene Macht zu demonstrieren, indem er entweder vorzeitig unterbrochen oder ihm keine Redezeit überlassen wird. 8 Während das in diesem offensichtlichen Streitgespräch äußerst vordergründig geschieht, finden minimale wechselseitige Interruptionen und Kämpfe um Redezeit auch in unscheinbarer Form in alltäglichen Gesprächen statt. Hinweise auf paralinguistische Aspekte der Konstruktion von Synchronität oder Asynchronität in der wechselseitigen Koordination sind neben der synchronisierenden Rhythmusbegleitung unter anderem die Wahl der Lautstärke, des Tonfalls oder der Betonung von Silben. In Streitgesprächen kommt es häufig vor, dass die Streitenden sich gegenseitig in der Lautstärke übertrumpfen wollen. Aber auch das Gegenteil, das gezielte Herabsetzen der Lautstärke, ist dann distinguierend statt synchronisierend gemeint. Ebenso wirkt das Absetzen des eigenen Tonfalls in eine ruhige und scheinbar beherrschte Tonlage gegenüber einem aufgewühlten und hastigen Tonfall des Gegenübers klar distinguierend. Direkte körperliche Distinktionsmittel in Interaktionen lassen sich Collins’ Darstellungen ebenfalls entnehmen. Wenn er beispielsweise ausführt, dass ein lang andauernder Augenkontakt oder die synchrone Spiegelung von Körperbewegungen (vgl. dazu Perper 1985, 77ff.) charakteristischer für synchrone Konversationen seien (vgl. Collins 2004, 76), dann lässt dies zumindest im Ansatz Schlüsse auf die Status- und Machtdimension von Blicken und Haltungen zu. Nicht nur kann der intensive Blickkontakt verweigert werden, auch könnten die in unterschiedlichen Kulturen stark abweichenden Umgangsformen zum direkten Blick hier ihre Begründung finden. Dass der Blick nicht nur eine Form der Bemächtigung über den anderen, sondern gleichzeitig ein Akt des Sich-selbstZeigens ist, hat jüngst Bernhardt Marx vorgestellt (Marx 2017). Collins liefert hierzu noch einen etwas anderen Zugang am Beispiel des sportlichen Wettkampfes. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der direkte Augenkontakt, sondern die Wahrnehmung der Präsenz des anderen. Unter Bezug auf Chambliss’ (1989) Studien zum Verhalten von Wettkampfschwimmern konstatiert er, dass die Körperhaltung und die gesamte Ausrichtung der Athleten sehr unterschiedlich sein kann, je nachdem, ob die Athleten davon ausgehen, zu den Favoriten oder zu den Verfolgern zu gehören. Je mehr ein Teilnehmer davon überzeugt ist, sich gegen
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Erneut der Hinweis, dass die eckigen Klammern [] symbolisieren, dass gleichzeitig gesprochen wird.
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andere durchsetzen zu können, desto mehr richtet er seine Aufmerksamkeit auf sich selbst statt auf die Kontrahenten. Er antizipiert nicht mehr den Rhythmus der anderen, sondern setzt unbeirrt den eigenen durch, etwa im Tempo. Dieses Selbstvertrauen äußert sich darin, dass ein Athlet, solange er sich unter den Siegern wähnt, andere Teilnehmer deutlich weniger beachtet. Zurückliegende Teilnehmer hingegen richten ihren Blick mehr auf die Sieger denn auf das Ziel. Auch gelingt es ihnen nicht, ihren eigenen Rhythmus durchzuhalten, sondern sie antizipieren immer wieder den des Siegers (vgl. Collins 2004, 122). Collins sieht hierin eben jene Mechanismen deutlich hervortreten, wie sie auch Teil alltäglicher Konversationen sind, insbesondere dann, wenn Begegnungen zwischen dominanten Personen und von diesen dominierten stattfinden. Teilnehmer, die über situationsspezifisch mehr passende Emotionale Energie verfügen, können mit einem stärkeren Selbstvertrauen und einem größeren Selbstverständnis in Interaktionen gehen, diese zu kontrollieren. Sie antizipieren nicht die Erwartungen des Gegenübers, sondern setzen sie gleichsam um sich selbst herum. Sie kontrollieren die Situation und geben den Rhythmus vor. Den davon dominierten Teilnehmern bleibt nichts anderes übrig, als die Situation entweder zu verlassen oder sich unterzuordnen. Ersteres hätte, so Collins, den noch größeren Verlust eigener emotionaler Ressourcen zur Folge, denn dann widersetze man sich im höchstmöglichen Maße gegen eine vorgegebene Aufmerksamkeits-Affekt-Schleife. Die Folger von dominierenden Personen hingegen haben die Möglichkeit, einen gewissen Teil an Emotionaler Energie zurückzugewinnen. Indem sie den vorgegebenen Rhythmus antizipieren, folgen sie den Zielen der dominanten Person und treten damit nicht in Widerstreit zum heiligen Objekt des Rituals, welches in dem Fall die dominante Person selbst ist. Die Art des Folgens kann natürlich zwischen Formen von ehrlicher Bewunderung bis zu missgönnender Rivalität sehr unterschiedlich sein. So oder so besteht zwischen dem Gruppenzentrum und den mehr oder weniger folgenden Randteilnehmern ein ganz entscheidender Unterschied im Grundbestand Emotionaler Energie, den Collins wie folgt beschreibt: »Persons inside the social realm of winning / dominance experience a mere routine, in which they have smooth anticipated control of situations – that is, a great store of ›emotional energy‹ available to them in contest situations. But persons on the outside looking in see a mystifying difference, a gulf to greatness that they feel they cannot cross. These differences are, of course, most exaggerated in highly publicized contest situations, like the Olympic athletes Chambliss studied.« (Collins 2004, 124)
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Was jedoch auch deutlich wird und Collins immer wieder hervorhebt, ist, dass diese Formen der rhythmischen Koordination, im synchronisierenden wie im asynchronen Fall, mehr gefühlt als bewusst initiiert sind. Das Maß der rhythmischen Koordination und Synchronität steht in direkter Rückkopplung zur affektiven Abstimmung, wobei ein hohes Maß an Synchronität die geteilte Aufmerksamkeit intensiviert und als solidarisch empfunden wird. Was nun macht diese komplexen Aspekte der Interaktionsgestaltung vergleichbar mit den kontradiktorisch gerichteten affektiven Grundmodi der Begegnung der Resonanztheorie Rosas? Im Gegensatz zur affekttheoretischen Formel der Dialektik von Angst und Begehren beschreibt Collins einen äußerst situationsspezifischen Komplex affektiver Grundempfindungen, die aus affektiven Erfahrungen sozialer Interaktionen herrühren. Dennoch lassen sich die beiden entgegengesetzten Pole Emotionaler Energie als einerseits sozial zugewandt und andererseits sozial zurückweichend zusammenfassen und kontrastieren. Insbesondere dann, wenn Emotionale Energie in Hinblick auf den prädisponierenden Charakter als affektive Hintergründe in Begegnungen betrachtet wird. Die sich mit diesen affektiven Hintergründen realisierenden Mikrointeraktionsbewegungen der Teilnehmer lassen sich sodann ebenso kontradiktorisch bündeln; dies jedoch nicht schlicht in der Übersetzung als soziale Hinwendung versus Abwendung, sondern immer tendenziell in Hinblick auf Synchronisation gegenüber auf Asynchronitäten gerichteten Mikrointeraktionsmodi. Die jeweiligen Strategien sehen in den verschiedenen körperlichen, sprachlichen und paralinguistischen Dimensionen gewiss anders aus; das Ergebnis ist das gleiche. Jedoch lassen sich so verstandene affektive Hintergründe der sozialen Interaktion bei Collins nicht direkt auf die entgegengesetzten Handlungsmodi auslegen, sondern werden quer dazu immer zunächst über spezifische Macht- und Statusverhältnisse der jeweiligen Begegnungssituation vermittelt. Denn zuvor angenommene, in der Situation erfahrene sowie im Interaktionsverlauf angestrebte Macht- und Statuspositionen durch die Teilnehmer bilden letztlich das, was mittels synchronisierender und unterbrechender Interaktionsmodi eigentlich verhandelt wird. Die bisherigen Erläuterungen zur Emotionalen Energie im Vergleich zu den Strukturen des Affektiven lassen sich wie folgt zusammenfassen: Collins bündelt mit dem Begriff der Emotionalen Energie einen Komplex, der sich letztendlich auf verschiedene zeitliche Ebenen und damit unterscheidbare Aspekte des Affektiven aufzuteilen scheint. Emotionale Energie als Resultante konkreter Interaktionserfahrungen wirkt sich folglich aus auf verschiedene affektive Strukturen, situative Stimmungen der Zugehörigkeit und des Akzeptiertwerdens, Grundempfindungen von sozialer Einbindung und Normalität sowie Grundhaltungen und Motivation als Prädispositionen künftiger sozialer Interaktionen. Alle jene As-
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pekte sind also auf unterschiedlichen Ebenen des affektiven Beteiligtseins anzusiedeln. Rhythmus und Affektivität Einem spezifischen Charakteristikum des Affektiven ist diese Analyse affektiver Strukturen im Modell Emotionaler Energie abschließend gesondert gewidmet: dem Rhythmus. In Ansätzen wurde bereits auch dem der Resonanztheorie inhärenten Modell affektiver Hintergründe, allein in Anbetracht dessen elementarsequentiellen und damit stets wechselbezüglichen Charakters, eine Erscheinungsgestalt in Form von Frequenzen oder einer Art Puls unterstellt. Einen besonderen Stellenwert erlangt dieser Aspekt in der Resonanzkritik allerdings nicht. Im Modell Emotionaler Energie ist das anders. Nicht zuletzt ist die große Bedeutung, die Collins dem Rhythmus in der Interaktion beimisst, den zahlreichen empirischen Bezügen entnommen, mittels derer er seine Beschreibungen mikrosituativer Strategien der Macht- und Statussicherung zu bestätigen und konkretisieren sucht. Eine der richtungsweisenden Grundeinsichten, die Collins diesen Studien entnehmen konnte, ist bereits angeklungen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit und wechselseitigen Präzision interaktiver Wechselbezüge können diese von den Beteiligten nicht bewusst wahrgenommen und reflektiert werden. Sowohl für die Ausrichtung am Gegenüber als auch für die Vorbereitung eigener Reaktionen und Sprechakte müssen Interagierende die kommenden Sequenzen vorwegnehmen können. Alle Aspekte der wechselseitigen Koordination, seien es leibliche, sprachliche oder paralinguistische, sind dabei von sich aus rhythmisch: Sie bilden innerhalb eines gewissen Zeitintervalls sich regelmäßig wiederholende Muster aus. Was daher in der Interaktion antizipiert wird, sind nicht konkrete Akte, sondern die kommenden Takte. Collins spricht von einer spezifischen »Gangart« jeder Interaktion, unter Verweis auf die von Warner nachgewiesenen vielfältig miteinander verflochtenen Rhythmen sprachlicher und physischer Interaktionszirkel (vgl. Warner 1979). Diese Rhythmen sind nicht nur entscheidende Aspekte zur Erklärung komplexer Interaktionsprozesse allgemein, sondern begründen auch erst die Bedeutung und die Entwicklung affektiver Prozesse. Dies wurde bereits ansatzweise beim Prozess des emotional entrainment aufgegriffen. Denn je besser Teilnehmer in einen gemeinsamen Rhythmus zueinander finden, indem sie ihre Aufmerksamkeit aufeinander abstimmen, umso stärker finden sie in gemeinsame affektive Rhythmen, die sich auf diesem Wege zu Emotionen intensivieren können. Dieser Umstand trifft jedoch nicht nur auf Emotionen zu. Collins muss hier so verstanden werden, dass subtile Rhythmen verbaler und körperlicher Sequenzen
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in der Interaktion immer auch mit einem Takt affektiver Prozesse einhergehen. Die vorangegangenen Darstellungen Emotionaler Energien als affektive Hintergründe im Prozess der ko-konstruierten Interaktionsgestaltung haben sichtbar werden lassen, dass Collins offenbar eine Verschränkung affektiver Grundempfindungen etwa des Selbstvertrauens in die spontane Rolle mit entsprechenden Bewegungen in der Interaktion annimmt. Die unreflektierte und unbemerkte Wiederholung der vorangegangenen Takte des Gesprächspartners oder aber auch der abrupte Sprung in einen anderen Rhythmus sind Ausdrücke des affektiven Empfindens in der Situation. Dieses Empfinden inkludiert dabei all das, was Collins als Emotionale Energie in seiner Funktion als affektive Hintergründe beschrieben hat. Gegenüber Bewegungen der Rhythmussynchronisation beschreiben sich jene der Rhythmusinterruption als durchaus vielgestaltiger. Beispielsweise offenbaren Videoaufnahmen von Beratungsgesprächen zwischen Schulpsychologen und Schülern von Erickson und Schultz (1982) einige dieser Bewegungen. In Interaktionen, die in der Regel durch eine synchrone Basis gekennzeichnet sind, stechen Unterbrechungen dieser Synchronität besonders heraus. Dazu sei erwähnt, dass eine Synchronisation nicht meint, dass die Teilnehmer sich auf einen gemeinsamen Rhythmus einigen. Jeder Teilnehmer bringt immer den jeweils eigenen Rhythmus ein. Synchronisation meint hierbei, dass die verschiedenen Rhythmen sich in einer synchronen Art und Weise zueinander verhalten, also gemeinsam einen wechselbezüglichen, stimmigen Takt bilden. Störungen können darin bestehen, dass eine Person über einen längeren Zeitraum den Rhythmus so dominiert, dass damit der bisherige rhythmische Wechsel der Koordination beider individueller Rhythmen unterbunden wird. Dies hat zur Folge, dass andere Interaktionspartner ihre eigenen Rhythmen kurzzeitig verlieren. Collins beschreibt dies in der Analyse der erwähnten Videoaufnahmen so: »[T]he other person flounders for fractions of seconds […] in an unrhythmic pattern, then follows the pattern maintained by the first.« (Collins 2004, 124) Andere Unterbrechungen der Synchronität beschreibt Collins so, dass beide ihre Rhythmen in einer Weise anschlagen, dass sie die des jeweils anderen gezielt stören oder aber beide Gesprächspartner ein Weile ihre Rhythmen parallel zueinander führen, ohne diese überhaupt zu koordinieren (vgl. ebd.). Welche Rückschlüsse lässt dies in Hinblick auf affektive Hintergründe der Interagierenden zu? Zunächst einmal müssen die Mikrobewegungen der Störungen von Synchronität als Dominanzstreben in der Situation verstanden werden. Die Annahme, eine dominante Rolle in der Interaktion einnehmen zu können, setzt ein gewisses Maß an Emotionaler Energie und damit an Selbstvertrauen, an Enthusiasmus und Zuversicht in die wechselseitige Anerkennung der sozialen
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Situation voraus. Die Störungen lassen sich darüber hinaus aber auch als Konflikt hinsichtlich der Annahmen der wechselbezüglichen Machtpositionen lesen. Die Demonstration des eigenen Rhythmus wäre demnach immer als ein Angriff auf das Niveau der Emotionalen Energie des Gegenübers und somit sein affektives Befinden zu verstehen. Es zeigt einen Machtkampf, wenn man so will, der affektiven Grundfeste der Individuen das eigene Selbst und die soziale Einbettung betreffend. Dieser hat Folgen für Empfindungen der solidarischen Verbundenheit. Die Teilnehmer der angeführten Beratungsgespräche beschrieben im Nachhinein die Störungssequenzen als nicht bewusst reflektierte, dennoch aber als »uncomfortable« empfundene Momente (vgl. Collins 2004, 125). Ganz allgemein sieht Collins die Erzeugung eines synchronen Rhythmus in Zusammenhang mit Empfindungen bestätigter respektive erworbener Solidarität. Demgegenüber zeigen unkoordinierte Rhythmen der Beteiligten einen Mangel an Solidarität an. Der soziale Erfolg oder Misserfolg von Interaktionsritualen wird demnach mehr gefühlt denn gedacht (Collins 2004, 74). Am deutlichsten wird dies am offenkundigen kollektiven Phänomen des Applauses und Ausbuhens. Im Falle der Zustimmung der Zuhörer zu einem Sprecher, beispielsweise in politischen Debatten, verfangen sich, so Collins, Redner und Publikum in einem synchronen Takt ihrer Rhythmen. Denn der Sprecher gibt in seiner Rede Muster der Spannung und Entspannung, Wiederholungen und Steigerungen der Stimme vor, auf die das Publikum in verschiedener Weise, in dem Fall durch Klatschen, eingeht. Der Applaus zeigt aber gleichermaßen, dass sich auch das Publikum untereinander koordinieren muss. Nur wenn diese Koordination innerhalb des Publikums beziehungsweise eines gewissen Teils des Publikums gelingt, kann sich ein Applaus oder aber ein um sich greifendes Buhrufen entwickeln. Gerade bei Letzterem legt Collins das Hauptaugenmerk auf die Koordination innerhalb des Publikums, denn das Phänomen des Ausbuhens zeigt, dass es im Gegensatz zum Applaus den Rhythmus des Sprechers eben nicht aufnimmt, sondern durchkreuzen soll. Gleichwohl wird Clayman (1993, 113) zufolge dennoch der Rhythmus des Sprechers respektive der des Applauses antizipiert und das Buhrufen entsprechend ausgerichtet. Die meisten Interaktionen sind allerdings eher von einem ständigen Wechsel zwischen Aufbau und Verlust von Synchronisation gekennzeichnet. Studien, die beispielsweise zeigen, dass Paare ein hohes Maß an Synchronität teilen und über lange Zeit erhalten können (Capella und Planapl 1981) oder frisch Verliebte sich hochsynchron wechselseitig ihre körperlichen Bewegungen spiegeln (Perper 1985, 77ff.), lassen Collins dennoch verallgemeinernd schlussfolgern, dass sich grundsätzlich am Umfang der Synchronität des geteilten Rhythmus ablesen lässt, wie die Konversationsteilnehmer zueinander stehen. Darin erkennt Collins zu-
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dem den eigentlichen Grund dafür, warum Menschen sich überhaupt in Interaktionen begeben. Denn nach Collins ist es die Erfahrung der intensiven Synchronität selbst, die Menschen verbindet. Tatsächliche Emotionen und Situationen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wonach Interaktionsteilnehmer somit vordergründig streben, ist die Intensität geteilter Rhythmen. Je synchroner und je vertiefter diese zustande kommen, umso mehr haben Menschen das Gefühl der gemeinschaftlichen Eingebundenheit und sozialen Akzeptanz einer geteilten Realität. Das ist der Punkt, an dem Menschen als Einzelne in der Gemeinschaft aufgehen und ein von der eigentlichen Situation unabhängiges Gefühl der Freude, sozialen Öffnung und Bestärkung bekommen. Dies sind jene affektiven Momente, die Collins unter dem Aspekt der Emotionalen Energie zusammenfasst und folglich immer an die rituelle Interaktion gebunden sind. Ebenso wie die Ethnomethodologie verfolgt Collins nicht nur das Interesse, modale Gangarten einer gelingenden Interaktion herauszustellen. Der eigentliche Nenner des geteilten Interesses sind vor allen jene Variabilitäten, die subtile Strukturen von Über- und Unterordnung, von Macht und Schichtung erzeugen und bezeugen. Diese zeichnen sich im Denken, Fühlen und Handeln ab und haben damit ihren empirischen Fundus in den Mikrosequenzen. Obwohl auch die neuere Ethnomethodologie explizit Emotionen einbezieht, schließt Collins an diese Ausgangslage anders an. Er umgeht den Aspekt der kognitiven Reflexion als notwendige Variable, indem er einen direkten Bogen von den alltäglichen Praxen der Konversation zur Genese langzeitlicher Emotionen, wie kollektive und moralische Solidarität, schlägt. Collins ist also im Kern daran gelegen, plausibel darzustellen, dass physisch gebettete Handlungsweisen der basale empirische Ausgangspunkt der Genese affektiver Prozesse sind und wiederum jene es sind, die soziale Strukturen zu generieren und transformieren in der Lage sind.
BEDINGUNGEN DES AFFEKTIVEN UND SOZIALE UNGLEICHHEIT Solidarität und Mitgliedschaft, geteilte soziale Wirklichkeiten und Emotionale Energie sind das Ergebnis gelungener Interaktionen. Ihr Besitz ist jedoch nicht von Dauer und bedarf daher einer regelmäßigen Regeneration. Zudem können sie ganz unterschiedliche Intensitäten annehmen und im Bezug zu ganz verschiedenen gesellschaftlichen Statusgruppen stehen. Was aber macht nun den Unterschied aus? Der Grundgedanke dazu ist zunächst einfach: Wenn es synchron verschränkte Rhythmen sind, die Solidarität und Emotionale Energie generieren, dann ist der Rhythmus ebenso Ansatzpunkt, um danach zu fragen, was
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Strukturen der Ungleichheit kollektiv vermitteln. Wer hat die Macht, rhythmische Koordination in Gang zu bringen oder den Takt anzugeben? Und im Kontext welcher Gemeinschaft kann dies jemand tun? Welche Folgen hat dies für den Taktgeber und für den Taktfolger? Die Tragweite dieser Überlegungen wird deutlich, wenn man den Grundgedanken bis ins Detail weiterverfolgt. Collins allgemeine Vermutung lautet, dass Teilnehmer derselben Statusgruppe bessere Chancen haben, an hochdynamischen und damit sozial erfolgreichen Interaktionen teilzunehmen (vgl. Collins 2004, 72), vor allem deswegen, weil sie über ähnliche Arten und Niveaus geteilter Gruppensymbole und Emotionaler Energie im Ganzen verfügen. In jedem Fall aber sind die Bedingungen situativer Passungsverhältnisse in Interaktionen nicht im Akteur per se zu suchen, sondern in den vorangegangenen Gliedern der Interaktionskette. So Collins: »From an evolutionary perspective, it is not surprising that human beings, like other animals, are neurologically wired to respond to each other; and that social situations that call forth these responses are experienced as highly rewarding.« (Ebd., 78) Collins beruft sich hierzu auf Arbeiten von Patricia Barchas und Sally Mendoza (1984), die maßgeblich an der Herausbildung einer Soziophysiologie als eigenständige Disziplin in den 1970er und 1980er Jahren beteiligt waren, einer Querdisziplin, die Neurobiologie und Soziologie interdisziplinär zusammenzubringen suchte. Im Mittelpunkt standen Fragen nach dem Zusammenhang zwischen menschlicher Physiologie und zwischenmenschlichen Beziehungen. Collins interessierte hauptsächlich der soziologische Ausgangspunkt, sprich: inwiefern die Weisen zwischenmenschlicher Beziehungen Einfluss auf die individuelle physische Verfassung von Individuen wie die Hirnentwicklung oder das Energiesystem haben. Die physiologischen Bedingungen würden somit mit den Weisen zwischenmenschlicher Begegnungen ein verbundenes System – eine soziophysische Einheit – bilden. Ungeachtet physiologischer Komponenten greift das Modell Emotionaler Energie weit darüber hinaus, wenn es unterstellt, dass sich die stabilen gesellschaftlichen Strukturen ebenso wie soziale Veränderungen auf Basis der Reproduktion, Wirkung und Dynamik affektiver Prozesse erklären lassen. Komplexe und für Gesellschaftsmitglieder abstrakt und metasubjektiv erscheinende Organisationsstrukturen sowie Besitz- und Machtverhältnisse beruhen demnach auf einem ständig zum Prozess gebrachten, fluktuierenden Kern affektiver Wechselwirkungen und unterschiedlicher affektiver Phänomene. Dies bedeutet, dass Veränderungen umso mehr an Bedeutung gewinnen, je empfindlicher sie diesen affektiven Kern tangieren. Dies tun sie dann, wenn sie entweder grundlegenden Einfluss auf das Zustandekommen oder den Verlauf von Interaktionen haben oder einen Aspekt Emotionaler Energien direkt betreffen. Je nach Umfang und
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Stärke der affektiven Ströme innerhalb von Interaktionsnetzwerken, die davon betroffen sind oder davon ausgelöst werden, lassen sich entsprechende Folgen makrostruktureller Veränderungen ableiten. Denn in dem Maße, in dem die Möglichkeit, Emotionale Energie zu gewinnen, an Status- und Machtverhältnisse gebunden ist, reagieren eben diese Strukturen besonders empfindlich auf Veränderungen der Verteilung der Emotionalen Energie. Collins beschreibt dies im Hinblick auf kulturelle Routinen und Prozesse, die Verteilungsmuster Emotionaler Energie reproduzieren oder aber durch Veränderung entsprechend empfindlich stören können. Kulturelle Routinen und Emotionale Energie Es erscheint durchaus nachvollziehbar, inwiefern sich Status- und Machtverhältnisse auf der Mikroebene wechselseitiger Koordination primär reproduzieren. So stellen sich Herrschaft und Besitz zunächst als das Ergebnis unzähliger und konsistenter Zuweisungen und Definitionen in aufeinander folgenden Interaktionen dar und damit als Folge spezifischer, mittels partikularer kultureller Ressourcen gerichteter Realitätskonstruktionen. Beinahe alle Aspekte des sozialen Lebens werden über persönliche Reputationen sichergestellt (vgl. Collins 1981, 1008f.). Der Begriff Reputationen meint die zum Teil unabhängig von eigenen Interaktionen zirkulierenden Gesprächsressourcen, welche die eigene Person betreffen. Dies können banale Betitelungen sein, beispielsweise »seine Frau« oder »der Vorsitzende« (vgl. Collins 1981, 1004) oder auch akzeptierte Zuweisungen von Besitz oder Macht. Dennoch implementieren diese bereits eine abstrakte Position im Status- und Machtgefüge. So kann die Bezeichnung »seine Frau« auf einen spezifischen Einfluss hindeuten. Zumeist ist sie jedoch als eine Abwertung im Status und in der Machtposition in Hinblick auf die entsprechend vertretene Gruppe, zum Beispiel eine Berufsgruppe, gemeint. Dies geschieht immer dann, wenn ein Mitarbeiter, Politiker, Vorgesetzter etc. namentlich benannt wird, die daneben stehende Frau hingegen nicht mit Namen vorgestellt, sondern bezüglich ihrer Gruppen(nicht)zugehörigkeit als eben »seine Frau« bezeichnet wird. Häufig finden sich derartige Diffamierungen in Untertiteln von Abbildungen. Auf derartige Reputationen hat der Einzelne wenige Einfluss. Partikulare, personenbezogene Reputationen werden von vielen Faktoren wie kollektiven Meinungen, Situationen, gegebenenfalls medienspezifischen Routinen etc. beeinflusst. Sie können eine erhebliche Bedeutung auf das Niveau der Emotionaler Energie der betreffenden Person haben, da sie als Situationsfaktoren den Verlauf und damit die Möglichkeit, einen hohen Status und Macht in Interaktionen einzunehmen, erheblich prädisponieren können, in positiver wie in negativer Hinsicht. Dies
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lässt sich an bedeutenden gesellschaftlichen Veränderungen verfolgen, denn zumeist sind Krisen, Skandale oder Erfolge begleitet von raschen Umwälzungen personenbezogener Reputationen. »Persons become powerful (or ›charismatic‹) when a dramatic event, usually involving success in a conflict, makes large numbers of people focus on them. The widespread and rapid circulation of their new reputation gives them the self-reinforcing power of commanding the largest, and therefore dominant, coalition in that society. Conversely, powerful persons usually fall because of dramatic events – scandals or defeats in conflicts – which suddenly circulate their negative reputation.« (Collins 1981, 1008f.)
Die Formen prädisponierender Gesprächsressourcen sind indes flüchtig und unbeständig, ebenso wie die von diesen beeinflussten kulturellen Routinen. Entscheidend an den physischen Raum gebunden ändern sich jene vor allem dann umfänglich, wenn sich etwa durch einen Arbeitsplatzwechsel oder Umzug auch die räumlichen Bedingungen grundlegend wandeln. Dadurch können sich völlig neue Routinen und Gespräche bilden und »a new particular social reality is promulgated« (Collins 1981, 1004), die andere Chancen, Emotionale Energie zu erwerben, mit sich bringt. Überhaupt erachtet Collins für die Chance, im Laufe des Lebens viel Emotionale Energie akkumulieren zu können, weniger Persönlichkeitseigenschaften oder Begabungen als zentral denn die situativen Möglichkeiten, an gewinnbringenden Interaktionen teilzunehmen. Insofern sind Charaktereigenschaften von Menschen – ob jemand eher melancholisch oder fröhlich ist, aggressiv oder passiv auftritt, offen auf Menschen zugeht oder sich schüchtern gibt, offenherzig oder arrogant ist – eher als sich ständig erneuerndes Ergebnis denn als personenbezogene Vorbestimmung ritueller Interaktionen zu verstehen. Selbst institutionalisierte Routinen und relativ stabil erscheinende Herrschafts- und Besitzverhältnisse haben dann im Kern eine hochdynamische mikrosituative Grundsubstanz. Dem Modell Emotionaler Energie zufolge werden sie nicht von beständigen Normen und Werten oder sonstigen verankerten Regeln reproduziert, sondern sind ebenso abhängig von partikularen Interaktionsritualen, die ihren Gehalt ändern können. Für die Verteilung emotionaler Ressourcen bedeutet dies, dass sie nicht von institutionalisierten Regeln oder organisationalen Strukturen dauerhaft stabil geregelt werden können. Wenn dies so erscheint, dann Collins zufolge nur in Phasen relativ stabiler Mikroreproduktion, die jederzeit von Umwälzungsepisoden beendet werden können. Erst dann werden instabile und auf interaktiven Ressourcen begründete institutionelle Strukturen ersichtlich (vgl. 1981, 1004).
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Generalisierte kulturelle Routinen Mit dem Wandel partikularer, aber auch generalisierter kultureller Routinen stehen immer auch affektive Verhältnisse im Einzelnen oder einer Gesellschaft als Ganzes auf dem Spiel. Gemeint sind damit Verteilungsstrukturen Emotionaler Energie sowie Zugänge, Emotionale Energie zu erwerben. Bisherige Beschäftigungen mit sozialen Wandlungsprozessen und Verhältnissen sozialer Ungleichheit haben jedoch zumeist ökonomische, soziale und kulturelle Ressourcen im Blick, ohne deren Konsequenzen für affektive Prozesse und kollektive affektive Ströme zu reflektieren. Dem Modell Emotionaler Energie zufolge bliebe damit aber nicht nur das individuelle Empfinden der Gesellschaftsmitglieder, sondern auch die für den Zusammenhalt der Gemeinschaft entscheidende Ressource, das Affektive, übersehen. Für die Verteilung Emotionaler Energie relevante gesamtgesellschaftliche Prozesse sind laut Collins unter anderem im Zusammenhang mit der Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien und der Entwicklung von Institutionen, die auf die Produktion und Verbreitung kultureller und affektiver Ressourcen spezialisiert sind, zu sehen. So birgt der Ausbau der Bildungsinfrastruktur sozialstrukturell betrachtet affektive und reputationsbezogene Vorteile für die davon profitierenden Gruppen oder äußert sich gesamtgesellschaftlich in der Zunahme von Bildungsanstrengungen und Mobilität sowie einem Zuwachs an Organisationen (vgl. Collins 1981, 1008). Damit ändern sich erheblich Preise und die Zusammensetzung jener Märkte, auf denen emotionale und kulturelle Ressourcen angeboten werden. Eine Folge kann die Verschiebung der Verteilung von Chancen sein, an gewinnbringenden Interaktionen teilzunehmen und damit Emotionale Energie in Form von Gefühlen der Zugehörigkeit, der aktiven Teilhabe und des sozial reflektieren Selbstwerts generieren zu können. Unter dieser Perspektive kaum berücksichtigt bleiben beispielsweise Prozesse im Zusammenhang der Veränderungen der Märkte durch umfangreiche Migrationsbewegungen. Auch diese dürften dem Modell Emotionaler Energie zufolge ab einem gewissen Umfang oder einer bestimmten Dauer einen beträchtlichen Einfluss auf die mikrosozialen Prozesse innerhalb einer Gesellschaft haben, insbesondere dann, wenn sich die betreffenden Bevölkerungsgruppen in Hinblick auf ihre emotionalen und kulturellen Ressourcen stark unterscheiden. Die in den letzten Jahrzehnten in Europa stattfindenden Flüchtlingsströme dürften einen solchen erheblichen Umfang und eine solche Ressourcenungleichheit aufweisen, weswegen es dringend notwendig erscheint, mögliche Langzeitfolgen auch auf affektive Prozesse und Folgen für die Beteiligten, besonders im Interesse eines gelingenden Zusammenlebens, zu hinterfragen. Das Modell Emotionaler Energie von Collins sowie die hier aufgeführten Differenzierungen unter dem Gesichts-
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punkt einer reflektierten Struktur des Affektiven bieten einen möglichen theoretischen Ausgangspunkt, um eventuelle Risiken der zusätzlichen Verschlechterung der Ressourcenlage von Geflüchteten bei wachsenden Chancen auf Verbesserung der Ressourcenlage der ohnehin schon ressourcenreicheren Bevölkerungsteile zumindest ansatzweise in Betracht zu ziehen. Damit ein solcher theoretischer Ansatz gelingen kann, müssten allerdings überhaupt erst die Bedingungen und Weisen der interaktionalen Verflechtung besonders ressourcendifferenter Gruppen definiert und zur Diskussion gestellt werden. Was Untersuchungen zu Fragen langfristiger Entwicklungen und Folgen von Migration grundsätzlich benötigen, ist der Einbezug detaillierter und affekttheoretisch angebundener Mikrointeraktionsanalysen. Ansätze zur Diskussion vergleichbarer Fragestellungen existieren tatsächlich bereits seit mehreren Jahrzehnten. Auf die Bedeutung kultureller und in Teilen affektiver Ressourcenungleichheiten gelang es etwa im Zuge der steigenden Präsenz von PISA-Studien ab dem Jahr 2000 aufmerksam zu machen. Immer dann, wenn der Zuzug bewusst ressourcenärmerer Bevölkerungsteile politisch forciert oder zumindest toleriert wurde, hat sich die Zusammensetzung der innerdeutschen Märkte entsprechend angepasst. Deutlich wurde dies an veränderten Bildungschancen innerhalb unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Waren es in den 1950er Jahren vor allem noch junge Frauen aus ländlichen, katholischen Arbeiterfamilien, die wenig Chancen hatten, ihre affektiven und kommunikativen Ressourcen innerhalb der für sie erreichbaren Interaktionsverflechtungen zu steigern, sind inzwischen vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund von einem Interaktionsumfeld betroffen, das wenig Chancen der Generierung Emotionaler Energie bereithält. Auch wenn dieser Modellansatz sicherlich nicht allen Aspekten der Entstehung von Ungleichheit gerecht werden kann, könnte er doch auf die affektiven und mikrosituativen Grundlagen der makrostrukturellen Entwicklung aufmerksam machen. Emotionale Routinen Veränderungen kultureller Praktiken, seien es partikulare Gesprächspraktiken oder generalisierte Kommunikationspraktiken über Technologien, wie etwa Massenmedien oder Entwicklungen von Bildung und Kultur, können einen so erheblichen Einfluss auf makrosoziale Strukturen nur erlangen, indem sie Interaktionsstrukturen verändern. Dieser Wandel sozialer Mikrosituationen, so das Modell Emotionaler Energie, wird jedoch nicht (zumindest nicht hauptsächlich) durch veränderte kognitive Elemente, wie Ziele oder Vorstellungen, und schon gar nicht über komplexe Konstrukte, wie Normen oder Rollenerwartungen, an sich hervorgerufen. Wenn überhaupt, dann sind sie als Ergebnis der Wandlung
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von Grundempfindungen von Individuen zu sehen. So können sich beispielsweise die Gespräche über einen Politiker nur dann markant wandeln und damit Folgen für machtbezogene Reputationen haben, wenn vor allem Gefühle wie das Vertrauen der Gesprächskreise betroffen sind. Soziales Verhalten kann sich also nur dann nachhaltig und strukturell bedeutsam wandeln, wenn sich etwa Grundstimmungen davon, ein Teil der Gesellschaft zu sein, einer bestimmen sozialen Gruppe oder Koalition anzugehören oder auch keiner Gruppe, nicht einmal der Familie, vollständig anzugehören, ändern. Im engen Zusammenhang damit stehen Empfindungen hinsichtlich dessen, was als geteilte Welt und damit als Wirklichkeit anerkannt wird. Denn erst auf Grundlage des Gefühls, dass es eine gemeinsam akzeptierte Realität gibt, können Empfindungen von Normalität entstehen. Grundstimmungen der Solidarität und Normalität dürfen dabei nicht als Bonus des Gefühlslebens verstanden werden, sondern sind die basalsten Empfindungen, die soziale Gemeinschaft generieren und regenerieren. Collins wird nicht müde zu betonen, dass die Grundsubstanz der damit zusammenhängenden kognitiven Strukturen und aggregierten Rollen- und Wertvorstellungen zunächst rein affektiver Natur ist. Erst wenn sich die Grundempfindungen der Subjekte wandeln, und zwar durch wandelnde Begegnungspraktiken, können sich erst die rechtfertigenden und stabilisierenden kognitiven und sozialen Strukturen bilden. Entsprechend erachtet Collins Veränderungen, die direkt den Bereich emotionaler Ressourcen betreffen, als noch weitreichender. Partikulare Änderungen Emotionaler Energie hingegen beziehen sich auf begrenzte Interaktionsnetzwerke. Dennoch können auch innerhalb dieser, starke und unvermittelte Veränderungen des Niveaus Emotionaler Energie, die dabei im Fluss ist, umfangreiche Folgen nach sich ziehen. Nicht ohne Grund gilt in politischen und vor allem unternehmerischen Führungspositionen, welche sich ganz genauso im Interaktionsnetzwerk regenerieren müssen, nach wie vor das Ideal der sachlichen Stärke und emotionalen Kühle als unausgesprochenes charakterliches Credo. Es wird nicht nur im Verhalten gepflegt, sondern spiegelt sich auch in nüchterner Kleidung, kühlen Farben und klaren Gestaltungslinien von Büros wider. Dies sind keineswegs nur rein stilistische Distinktionsakzente, sondern sollen die Illusion einer emotionalen Unantastbarkeit erzeugen. Dabei demonstriert gerade die Imposanz und Präsenz dieses Reduktionsschemas die subtile Bewusstheit der Gefahr affektiver Umwälzungen. Damit sind nicht nur, nicht einmal hauptsächlich, kurzfristige emotionale Krisen infolge von Trauer oder Angst gemeint, sondern der Bestand affektiver Ressourcen und Gestimmtheiten wie Vertrauen, Energie und die Zuversicht, genau da hinzugehören, wo man gerade ist. Natürlich spielen Formen moralischer Solidarität hinein, die
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Empfindungen der Normalität und der Richtigkeit dessen, was man tut und wer man ist, produzieren. Gerade soziale Gruppen und zentrale Figuren innerhalb von Gruppen, die durch interaktive Reputationen darauf angewiesen sind, ihre Stellung und damit ihr hohes Niveau Emotionaler Energie zu erhalten, müssen deren Bilanz einerseits stetig regenerieren und andererseits nach außen glaubhaft stabil präsentieren. Die Vermutung liegt nahe, dass dies mittels Demonstration eines affektiven stabilen Umfeldes – man demonstriert beispielsweise ein glückliches Familienleben – gelingt und hier eine entsprechende Instrumentalisierung erfolgt. Dabei bergen gerade familienfeindliche Berufssituationen die Gefahr belasteter privater Beziehungen. Collins sieht einerseits gerade in Paarbeziehungen das größte Risiko, durch Konflikte beträchtlich an Emotionaler Energie einzubüßen. Andererseits birgt eine Paarbeziehung – wie wohl auch andere Formen enger Beziehungen, die von einer hohen und überwiegend positiven Interaktionsdichte gekennzeichnet sind – die Chance, viel Emotionale Energie zu regenerieren. Überhaupt scheint der Bereich familieninterner Interaktionsritualketten und der sich darin institutionalisierten Verhältnisse affektiver Prozesse in Hinblick auf geschlechterspezifische Verteilungsverhältnisse Emotionaler Energie besonders relevant zu sein. Dies gilt vor allem, weil ungeachtet gegenläufiger Tendenzen (vgl. u.a. Kühn 2004) überwiegend nach wie vor eher Frauen denn Männer bereit sind, eigene Karriereziele für die Unterstützung des Partners hintanzustellen (Wetterer 2002; Abele, Hoff und Hohner 2003; Bertram 2015). Die bisherigen Überlegungen lassen sodann daran zweifeln, dass hierfür allein unterschiedliche materielle Ressourcen sowie gesellschaftliche Normen und Rollen ausschlaggebend sind. Mittels des Modells Emotionaler Energie lässt sich dagegen argumentieren, dass vor allem asymmetrische Interaktionsritualketten innerhalb von Paarbeziehungen dafür den Ausschlag geben könnten. Wenn also Männer durch einen höheren Status innerhalb der Familie oder schlicht durch ein bereits stärkeres Selbstbewusstsein im Durchschnitt mehr Emotionale Energie aus den regelmäßigen Interaktionen ziehen als Frauen, dann bietet die Familie jenen Männern zwar einerseits eine relativ stabile Quelle Emotionaler Energie, im selben Maße zehren asymmetrische Beziehungsverhältnisse aber an der Emotionalen Energie der Partnerin. Deren Grundlage, überhaupt an erfolgreichen Interaktionsritualketten im Berufsleben teilzunehmen, wird bereits durch das Privatleben geschwächt. Der Effekt könnte natürlich auch grundsätzlich in entgegengesetzter Richtung beschrieben werden: berufliche Interaktionen und deren prädisponierende Tendenzen für Paarbeziehungen. Grundsätzlich ist dafür selbstverständlich nicht das Geschlecht der Interaktionsteilnehmer verantwortlich, sondern die etablierte Interaktionskultur einer Beziehung in Hinblick auf Macht-
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und Statusstrategien. Hieran illustriert sich zudem die Art und Weise der Verknüpfung verschiedener sozialer Bereiche, insbesondere mit Blick auf deren zugesprochene Relevanz und Interaktionsdichte. Grundsätzlich aber tragen soziale Bedingungen, die asymmetrische Beziehungen begünstigen, zur Ausbreitung und damit zum Fortbestand unterschiedlicher Verteilungsverhältnisse emotionaler Ressourcen bei. Letztlich müssten demnach alle gesellschaftlichen Teilbereiche, ebenso wie Medien, Wirtschaft, Kultur und Gesundheitssystem, auf ihren Einfluss auf Ungleichverteilungen Emotionaler Energie hin befragt werden. Da insbesondere der Gesundheitszustand einen beträchtlichen, bereits an den physiologischen Bedingungen ansetzenden Einfluss auf mögliche Dynamiken Emotionaler Energien hat, ließen sich hier durchaus Überlegungen zu den Folgen einer ungleichen medizinischen Versorgung und deren wachsende Ökonomisierung als Dienstleistung anschließen. Darüber hinaus stellen neue Kommunikationstechnologien einen zentralen Ansatz dar, vor allem, weil sie nicht nur neue Medien generieren, sondern auch neue Interaktionskulturen begründen. Dies tun sie zum einen, indem sie die Herstellung von Emotionen etwa durch Emojis oder sonstige Gadgets oder über die Weise der Gestaltung von Meinungsportalen direkt vorstrukturieren. Im Vergleich zur Produktion kurzzeitiger Emotionen wie Freude, Neugier, Neid oder Ärger gewinnen neue, medial realisierte Interaktionskulturen aber hauptsächlich dadurch an Bedeutung, dass sie Begegnungsweisen von Interaktionsteilnehmern grundsätzlich neu kontextualisieren und damit veränderte Strategien der Macht- und Statussicherung entwerfen. Gleichzeitig bleiben damit produzierte Solidaritäten und geteilte Realitäten immer partikular und unbeständig. Grundsätzlich müssen alle Medien auf beständige und kurzfristig wandelnde gefühlsdelegierende Praktiken analysiert werden. Hierbei rückt mit Blick auf die Tragweite Emotionaler Energie die Bedeutung kurzzeitiger Emotionen gegenüber grundlegenden Gefühlen der Teilhabe an Gemeinschaften und Lebensstilen sowie der Konstruktion geteilter Wirklichkeit in den Hintergrund. So müssen die über Werbung, Nachrichten, Unterhaltungsangebote, soziale Netzwerke, Blogs etc. inszenierten und jederzeit verfügbaren Realitäts- und Partizipationsangebote als sehr viel grundlegender und bedeutsamer erachtet werden, was die Grundempfindungen der Interagierenden angeht. Verlustgeschichten Dem Modell Emotionaler Energie zufolge können sich Veränderungen der Bedingungen und der Verfügbarkeit kultureller und emotionaler Ressourcen auf den Umfang und die Struktur affektiver Ströme innerhalb von Interaktionsnetz-
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werken auswirken. In seiner Bedeutung des Affektiven als Voraussetzung, Bestandteil und Resultante der in Interaktionen verhandelten Macht- und Statusbeziehungen lässt sich die Struktur affektiver Ströme an der Struktur sozialer Ungleichheiten ablesen. Dies wiederum bedeutet: Alle Bestimmungsfaktoren sozialer Ungleichheit müssen sich auf ihre Bedeutung für die Verteilung Emotionaler Energie befragen lassen – nicht nur, weil diese den zentralen Prädiktor für Macht und sozialen Status darstellt, sondern sich der Wert von Bestimmungsfaktoren sozialer Ungleichheit erst in ihrer Bedeutung für den affektiven Status ablesen lassen. Macht und Ruhm, die mit einem hohen affektiven Status verbunden sind, hat Collins anhand von imposanten Persönlichkeiten beleuchtet. So deutlich hier das Wesen und die Macht des Affektiven zutage tritt, bleibt doch die Kritik nicht aus, der tristen Schattenseite affektiver Erfolgsgeschichten wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Nach dem Modell Emotionaler Energie bedeutet der Gewinn Emotionaler Energie innerhalb von rituellen Interaktionen zumeist die Übervorteilung eines anderen. Eine asymmetrische Chancenstruktur in Interaktionen produziert also tendenziell immer Gewinner und Verlierer emotionaler und kultureller Ressourcen. Tendenzen affektiver Verluste werden dann zu Verlustbiografien, wenn geringere Erfolgschancen in Interaktionsketten dauerhaft zu einem Abwärtsstrudel Emotionaler Energien werden. Selbst wenn betroffenen Individuen einzelne Interaktionsabfolgen positiver Emotionen gelingen, hätte ein langfristig niedriges Niveau Emotionaler Energie tendenziell den Verlust gewinnbringender Solidaritäten und geteilter sozialer Realitäten zur Folge. In einer konsequenten Lesart birgt Collins’ Modell somit einen Ansatz dafür, wie aus affektiv-interaktionistischer Perspektive der Prozess der Isolierung Einzelner oder ganzer Minderheiten, die sich nicht mehr zur Gesamtgesellschaft zugehörig fühlen, beschreiben ließe. Parallele soziale Realitäten beziehungsweise der Grad der Überschneidung geteilter Wirklichkeitskonstruktionen müssten so nicht nur auf geteilte Semantiken und soziale Praktiken zurückgeführt, sondern bereits mit der Art und Weise der Begegnung und deren affektiven Dynamiken in Verbindung gebracht werden. Kontradiktorisch gerichtete Zirkel affektiver Dynamiken ließen sich somit nicht nur an der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ablesen, sondern in grundlegend unterschiedlichen Weisen, sich selbst als Teil der Gemeinschaft erfahren und in Begegnung zu anderen treten zu können. Erst dieses Selbst- und Gesellschaftsverständnis begründet Collins’ Hinweis, dass selbst die Teilhabe an gewinnbringenden, egalitären sozialen Gruppen wie Familie, Freundeskreis oder Freizeitverein keine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Lage mit sich bringen würde. Hieraus eröffnen sich Erklärungsansätze für ausgeprägte
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und mitunter gewaltbelastete Machthierarchien in Familien oder zwischen Kleingruppen, vor allem in den bildungs- und damit tendenziell an Emotionaler Energie ärmeren sozialen Schichten. Analog sind Überlegungen zu der sich zuspitzenden Situation von Menschen, die sich als social underdogs der Gesellschaft wahrnehmen, möglich. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass Collins mehr die Gewinner denn die Verlierer von Interaktionsritualketten in den Fokus stellt. Ein gesamtgesellschaftlicher Blick auf das untere Ende der Skala Emotionaler Energie erweist sich jedoch als ebenso zielführend, was die Möglichkeit angeht, soziale Problemzirkel aus affektiver und mikrosoziologischer Perspektive analysieren zu können. Wie würde sich also beispielsweise der affektive Gegenpol zu Napoleon zeichnen lassen? Wie begegnen Individuen sich selbst und anderen, die ohne Enthusiasmus, ohne Zuversicht, ohne Selbstvertrauen und Vertrauen in eine teilbare und gemeinschaftlich ko-konstruierte Realität auskommen müssen? Welche Art von Interaktionen führen Menschen, deren Maß Emotionaler Energie durch eine ständige Negativbilanz gekennzeichnet ist, mit allen gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Konsequenzen? Es sei hierbei zudem nochmals darauf hingewiesen, dass Collins die Chancen, erfolgreich an Interaktionsritualen teilzunehmen, nicht auf persönliche Eigenschaften oder individuelle Fähigkeiten zurückführt. Umgekehrt, so Collins, seien individuelle Eigenschaften eher Folge sich anhäufender Erfahrungen in der Abfolge ständiger Interaktionsrituale. Die Bündelung sich in Interaktionen begründender Grundempfindungen sozialer Eingebundenheit und Orientierung erinnert an die von Rosa aufgegriffene und zuvor unter anderem von Durkheim und Riemann in ähnlicher Form erläuterte Bedeutung sozialer Grundbedürfnisse, insbesondere des Gefühls, für andere erreichbar zu sein und sich selbstwirksam zu erfahren. Der Verankerung affektiver Prozesse in Mikroprozessen geteilter oder verweigerter Synchronität kommt darüber hinaus dem, was in Kapitel 2 unter dem Resonanzbegriff beschrieben wurde, zumindest sehr nahe. Wenn Collins in Anlehnung an McClelland behauptet: »[P]erhaps the strongest human pleasures come from being fully and bodily absorbed in deeply synchronized social interaction« (McClelland 1985, 66), führt dies jenen geteilten Grundgedanken vor, nämlich, dass nicht der Inhalt, sondern der jeweilige Modus, in dem eine Begegnung stattfindet, ausschlaggebend dafür ist, wie sich Interaktionsteilnehmer in die Welt gestellt erfahren. Offen bleibt bei Collins indes die Frage, warum sich Individuen, trotz der grundlegenden Fähigkeit, sich feinkörnig in Konversationen abstimmen zu können und in ihrer Sensibilität derartige Mikroaspekte beantworten zu können, von anderen unterscheiden. Das Modell bietet demnach keine Erklärungsansätze für Unsichtbarkeiten in Interaktionen. In realen Interaktionen muss jedoch davon
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ausgegangen werden, dass nicht nur die tatsächlich abgelaufenen affektiven Prozesse und Bewegungsmodi ausschlaggebend sind, sondern auch unterschiedliche Empfänglichkeiten sowie Reflexions- und gegebenenfalls Korrekturstrategien. Insgesamt zeigt sich bei Collins häufig das Gedankenmodell der modellhaften Reduktion und Abstraktion des spezifisch Kognitiven zum grundlegend Affektiven – sei es in der Übertragung des Konstrukts der kollektiven Ordnung auf das Gefühl von Legitimität und Normalität allgemein oder im Herunterbrechen inhaltlich bestückter Austauschtheorien auf die subtile Bewertung affektiver Atmosphären. Eine solche Reduktion des Spezifischen und Komplexen auf subtile affektive Hintergründe muss sich den Einwand gefallen lassen, konkreten kognitiven Operationen in der Beziehung zwischen Subjekten sowie zwischen Subjekten und Welt nicht hinreichend gerecht zu werden. Obendrein bleibt festzuhalten, dass Collins das, was er als wesentliche Substanz des Sozialen zu begründen sucht, das Affektive, nur schwer in seiner Persistenz vertreten kann. Auch jene Speicherung in Form von Symbolen löst dieses Problem nicht zur Gänze, solange Collins affektive Hintergründe ausschließlich an soziale Begegnungen gebunden rekonstruiert.
TEIL II AFFEKTIVE HINTERGRÜNDE, MACHT UND AUFMERKSAMKEIT
»Power can be invisible, it can be fantastic, it can be dull and routine. It can be obvious, it can reach you by the baton of the police, it can speak the language of your thoughts and desires. It can feel like remote control, it can exhilarate like liberation, it can travel through time, and it can drown you in the present. It is dense and superficial, it can cause bodily injury, and it can harm you without seeming ever to touch you. It is systematic and it is particularistic and it is often both of the same time. It causes dreams to live and dreams to die. We can and must call it by recognizable names, but so too we need to remember that power arrives in forms that can range from blatant white supremacy and state terror to ›furniture without memory‹.« (Avery F. Gordon 1997, 3)
Teil II Affektive Hintergründe, Macht und Aufmerksamkeit | 177
Der zweite Teil dieser Arbeit besteht aus drei Schritten, die in den Kapiteln vier, fünf und sechs vollzogen werden. Im Folgenden, dem vierten Kapitel werden die im ersten Teil dieser Arbeit nachgezeichneten Aspekte affektiver Strukturen resümiert. Dies primär mit Blick auf die Unterscheidung zwischen affektiven Phänomenen und affektiven Grundelementen der Begegnung selbst, die hier als affektive Hintergründe bezeichnet werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass den beiden herangezogenen Theorien kein bruchloses Ganzes einer Theorie des Affektiven zu entnehmen ist. Sie sind in ihren theoretischen Bezugnahmen, ihren Begrifflichkeiten und ihren leitenden Fragestellungen zu unterschiedlich. Dies haben die bisherigen Darstellungen deutlich erkennen lassen. Es kann im Folgenden also nicht um die Modellierung einer in sich schlüssigen und zugleich komplementären Theorie gehen. In der Rückbesinnung auf die Ausgangsfrage danach, wie sich das Affektive nicht im Einzelnen oder im Speziellen, sondern in seiner Grundstruktur, als das allen affektiven Aspekten gemeinsame Wesen, erfassen lässt, geht es um wechselseitige Bezüge untereinander. Es geht um das Familienähnliche, das Verbindende an den verschiedenen benennbaren Orten und Transformationsmomenten des sozialen Akteurs. Denn nur auf diese Weise kann das Affektive konkreter in seiner Verschränkung mit sozialen Beziehungsverhältnissen und sozialen Bedeutungen und Ordnungen adressiert und in der Art und Weise der Verknüpfung beschrieben werden. Das Affektive verweist darin aber nicht auf eine irgendwie diffuse, sich in Teilen mehr oder weniger durchsetzende Gestalt des Empfindens, sondern eine doch ganz essentielle Grundstruktur des existenziellen Seins und damit des Denkens, Handelns, Fühlens des sozialen Akteurs. Das Affektive ist somit nie irrelevant. Die Fäden, entlang derer man zwischen verschiedenen Dimensionen ein und derselben sozialen Situation oder entlang verschiedener Situationen die Strukturen des Affektiven nachzeichnen kann, sind jedoch nur bedingt erkennbar und zu exponieren. Es scheint daher als weiterführende Schritte des zweiten Teils der Arbeit dringend notwendig, das Affektive nicht nur in der Richtung seiner Entfaltung als affektive Phänomene und damit Ereignisse des Empfindens zu verfolgen. Um das Affektive in seiner Grundstruktur als Verknüpfungselement des Sozialen aufzeigen zu können, muss die Situation des Begegnens und deren Bedingungen sich verschränkender Aufmerksamkeiten der Akteure näher in Augenschein genommen werden. Das fünfte Kapitel wird sich somit der Frage zuwenden, ob sich affektive Hintergründe der Begegnung in einer näheren Betrachtung des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes der Begegnung ebenso differenzieren lassen. Das sechste Kapitel wird demgegenüber noch einen weiteren Schritt zurück gehen und sich der Frage der Weisen der Prädisponiertheit des Aufmerkens in der Be-
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gegnung zuwenden. Denn erst dann lassen sich überhaupt Verschränkungen kollektiver Dispositionen mittels spezifischer kultureller Ordnungen in Hinblick auf Weisen des Aufmerkens und damit Weisen des wechselseitigen Affizierens und Affiziert-Werdens beschreiben. Im Zuge dessen wird sich also dem Punkt zugewendet werden müssen, wie der Zusammenhang jener als höchst subjektiv und intim empfundenen affektiven Zustände mit kulturellen Praktiken und kollektiven Ordnungen als doch geteilte und aus dem Sozialen akquirierte Kräfte des Prädisponierens von Aufmerksamkeiten und damit affektiven Phänomenen verstehbar und in Hinblick verschiedener Symbolsysteme auch konkretisierbar sind.
Kapitel 4 Vergleich der Konturen des Affektiven im Resonanzkonzept und im Modell Emotionaler Energie
Wollte man die Ergebnisse der hermeneutischen Analyse zu den Strukturen des Affektiven, wie sie sich aus der Resonanztheorie Hartmut Rosas und dem Modell Emotionaler Energie Randall Collins heraus explorieren und systematisch erläutern lassen, auf einen Kern reduzieren, dann ließen sich einige grundsätzliche Aspekte des Affektiven allgemein sowie affektiver Hintergründe im Speziellen herausstellen. Trotz aller nicht unerheblichen Einschränkungen, was die begriffstheoretische und die methodische Vergleichbarkeit beider Modelle als Ganzes angeht, können hieraus zentrale Orientierungspunkte einer weiterführenden und theoretisch fundierten Betrachtung affektiver Phänomene und der denen zugrunde liegenden affektiven Hintergründe festgehalten werden. Der folgende Vergleich beider den Arbeiten zugrunde gelegter Konturen des Affektiven dient daher weniger der Markierung ihrer Differenzen denn vordergründig der Zusammenfassung konsensfähiger Eckpunkte einer soziologischen Theorie des Affektiven, insbesondere mit Blick auf den Bereich des Vorbewussten und Unreflektierten. Diese Skizzierungen gilt es sodann in Überlegungen zu einer konkreteren und nachvollziehbaren Darstellbarkeit der Verschränkung des Affektiven mit kulturellen Schemata einerseits sowie Beziehungsverhältnissen und sozialen Praktiken andererseits einzubeziehen. Dies jedoch nicht nur hinsichtlich des Aufzeigens eines möglicherweise wechselseitig bestehenden Begründungszusammenhangs überhaupt, sondern darüber hinaus hinsichtlich gerade jener Transformationswege, anhand derer sich der Wandel kultureller Bedingungen auf veränderte affektive Modi und Begegnungsverhältnisse einerseits wie auch indi-
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viduelle und kollektive Brechungen affektiven Empfindens andererseits nachskizzieren lassen.
ANTHROPOLOGISCHE GRUNDBESTIMMUNGEN DES AFFEKTIVEN Gerade jene Themen, die leidenschaftliche Emotionen, tragende Stimmungen oder scheinbar unveränderliche Lebensgefühle betreffen, lassen nur allzu leicht qualitative Deskriptionen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Qualitative Bündelungen in Form einheitlicher Phänomene, welche dann beispielsweise einen Wutausbruch den Emotionen, sich ausbreitende heitere Leichtigkeit den Stimmungen und ein ernsthaftes Wesen den Grundgestimmtheiten zuordnen lassen, finden darüber hinaus allerdings kaum Rückbezug auf strukturelle Unterschiede im Begegnungsgeschehen. Unreflektiert bleibt dann auch deren kleinster gemeinsamer Nenner. So darf doch zum einen als grundlegendste Charakteristik, wenngleich mit unterschiedlicher Konsequenz ausgelegt, zu den Strukturen des Affektiven allgemein festgehalten werden, dass diese immer an die Begegnung gebunden sind, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um unbemerkte, flüchtige Sequenzen oder überdauernde affektive Grundhaltungen handelt. Zum anderen gilt es sodann affektive Phänomene in ihrer Unterscheidbarkeit an die differenzierbaren Strukturen jener Begegnung zurückzubinden und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Das Affektive als Begegnungsphänomen Die häufig unspezifiziert bleibende Unterstellung einer ursprünglichen Einheit von Subjekt und Welt, die jede weitere Befragung des konkreten Beziehungsverhältnisses der sich wechselseitig affizierenden Entitäten ohnehin vermeintlich ad absurdum führt, legt ein vorschnelles Urteil nahe. Folgt man jedoch Rosas Darstellung einer zumindest im Dasein berechtigten, zwingenden Gespanntheit zwischen dem erlebenden Selbst und dem von diesem Erlebten, die sich aus der in der wechselseitig aufeinander bezogenen Bewegung entwirft, muss jenes Verhältnis aus seiner relativen Differenz heraus betrachtet werden, nicht aus seiner möglicherweise absoluten Einheit. Rosas existenzphilosophische Bestimmung des sozialen Akteurs als ein stets und auf verschiedenen Ebenen in Beziehung zur sozialen Wirklichkeit gestellter ist wohl auch der für die systematische Bestimmung des sozialen Wesens des Affektiven wesentlichste Beitrag der Resonanztheorie. Für den Entwurf eines explorativen Modells des Affektiven erweist
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sich somit die existenzialistische Begründung der Begegnungskontinuität überhaupt sowie die strukturelle Differenzierung zwischen affektiv-konstitutiven Elementen der Begegnung selbst und affektiven Gespanntheiten im Prozess der Beziehung der sich begegnenden Entitäten als zentral. Denn diese Perspektive ermöglicht erst die Unterscheidung zwischen affektiven Prozessbestandteilen einerseits und affektiven Emergenzen und damit Phänomen andererseits. Vergleichbar bestimmt Collins das Affektive grundlegend aus der Prozessperspektive einer wechselbezüglich konstruierten Interaktion heraus. Was jedoch in der Resonanztheorie die Beständigkeit des In-Begegnung-Seins ist, ist im Modell Emotionaler Energie der Rhythmus. Er schafft wechselseitige Verbindlichkeiten in der sozialen Interaktion und bringt die Akteure in eine zwangsläufig stets aktive Rolle der Begegnung. In dieser Spezifizierung auf die Begegnung sozialer Entitäten thematisiert Collins nicht die Kontinuität des In-BegegnungSeins allgemein, sondern das dieser verbindlichen Wechselbezüglichkeit immanente Moment des Konflikts. Die Bestimmung der prozesshaften Begegnung als grundlegend kritischer Austragungsort von Macht und Gegenmacht spezifiziert sich dabei auf jeder Ebene der Interaktion anders. Macht, hier grundsätzlich verstanden als ein Ungleichgewicht potenzieller Handlungsoptionen der Beteiligten, bringt sich auf der elementarsten und unmittelbarsten Ebene des Wechselbezugs als ebenso kontinuierliche Aufgabe der Interagierenden ein, etwa in der Weise, wie sich Grundfrequenzen des Sprechens zueinander verhalten oder Tonhöhen aufeinander abgestimmt werden. Somit unterstellen sowohl Collins als auch Rosa gewisse anthropologische Konstanten des Affektiven. Rosa spätestens dann, wenn er zwar die wechselseitigen Pole von Subjekt und Welt als kulturspezifisch variabel öffnet, indem er die »stimmende Stimme eines Anderen […] auch von einer Dyade, einer Triade, einer Gruppe oder einem Kollektiv« (Rosa 2016a, 653) als vernehm- und beantwortbar beschreibt – dabei jedoch gleichzeitig das interaktive Prinzip der wechselseitig affizierenden Responsivität als Urgrund beibehält (vgl. ebd.). Die kontradiktorischen Weisen der affektiven Grundmodi bilden damit existenzielle Grundkonstanten. Auch Collins behält eine anthropologische Grundkonstante entgegen jeder möglichen kulturellen Variabilität der Kommunikation, etwa der spezifischen Länge von Sprechpausen, Überlappungen, Lautstärke etc., bei, nämlich das Grundmodell der solidaritätsbegründenden rhythmischen Koordination. »The key process is to keep up the common rhythm, whatever it may be.« (Collins 2004, 71) Der ko-koordinierte gemeinsame Rhythmus der Begegnung, welcher einerseits affektiv durch die situative Passung Emotionaler Energien begründet und andererseits beschreibender Modus affektiver Zustände der Individuen ist, des Gefühls von Solidarität im gelingenden, Aggressivität oder
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Entfremdung im misslingenden Fall, skizziert somit die anthropologische Konstante der Affektivität des Sozialen bei Collins (vgl. ebd.). Mit dieser ersten Zusammenfassung der Strukturen des Affektiven allgemein soll zunächst einmal zum Ausdruck gebracht werden, dass sowohl Hartmut Rosa als auch Randall Collins affektive Phänomene als niemals rein private Zustände bestimmen. Sie können somit nicht primär der einen oder anderen Entität zugesprochen werden, sondern müssen als eine sich aus dem Geschehen der Wechselbezüglichkeit beider zueinander beschreibbare Ereignisgestalt verstanden werden. In der Resonanztheorie gilt dies uneingeschränkt ebenso für affektive Grundhaltungen und Grundgestimmtheiten. Für das Modell Emotionaler Energie gilt dies für die Genese, Veränderbarkeit und den Ort des wechselbezüglichen Ausprägens des Affektiven, während Formen der Speicherung affektiver Ressourcen im Individuum kognitiv vermittelt sind. Das Affektive hat folglich jedoch immer mit Begegnungen mit anderen und mit dem Anderen zu tun. Als solches markiert es nicht nur den Möglichkeitsraum, in dem Individuen sich selbst, anderen und der Welt zunächst einmal ganz grundlegend zuzuwenden in der Lage sind, sondern charakterisiert auch das tatsächliche Passungsverhältnis ad hoc als affektiv. Die Betrachtung des Affektiven ist daher immer an eine phänomenologische Erfahrungsperspektive einerseits und eine strukturelle Prozessperspektive andererseits gebunden. Damit unterscheidet sich der Ausgangspunkt des Affektiven bereits ganz grundlegend von Beschreibungen emotionspsychologischer Kategorisierungen, welche das Affektive zunächst ausgehend von inneren Zuständen des Subjekts unterscheiden, und Darlegungen in neophänomenologischer Tradition, die auch Nicht-Individuen wie etwa sich räumlich erstreckenden Atmosphären oder Klimata grundlegend affektive Qualitäten beimessen, unabhängig von der Prozesshaftigkeit in der aktiven Wechselwirkung mit dem Individuum. Zugleich äußert sich hierüber die Verwandtschaft dieses Blicks auf das Affektive mit den Traditionen der Affect Studies, insbesondere mit der zentralen Diskursachse der Hervorhebung des »Körpers« als Ort des Affiziert-Werdens und Affizierens (vgl. Seyfert 2012) gegenüber poststrukturalistischen Betonungen der Bedeutung des »Diskurses« und entsprechender Diskusformationen (u.a. Butler 1997). Dabei thematisiert die Prozessperspektive die Natur des Diskursiven in ganz eigener Weise, wie auch das Moment des wechselseitigen Affizierens weniger stark auf den Körper denn auf alle Formen von Bewegungen ausgedehnt wird. Dies können letztlich alle Bewegungen sein, die rhythmisch verfasst sind: körperliche wie Atmung und Puls ebenso wie kleinste Gesten und Mimikbewegungen, Blickrichtungen und leiblich-körperliche Zuund Abwendung, sprachliche und sogar stimmliche, para-linguistische Rhythmen der Tonhöhen, Pausensequenzierung und Intonationen.
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Zur Unterscheidbarkeit affektiver Phänomene Die Notwendigkeit der Verschränkung unterschiedlicher Perspektiven auf das Affektive, einer phänomenologisch-erfahrungsorientierten und einer auf die Strukturbestandteile der Wechselbezüglichkeit gerichteten, erstreckt sich nicht nur auf die systematische Bestimmung des Affektiven allgemein, sondern davon ausgehend insbesondere auch auf die Möglichkeit der Unterscheidbarkeit differenter affektiver Phänomene, etwa affektiver Hintergründe zu Stimmungen, Emotionen oder Grundgestimmtheiten. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise Stimmungen von Emotionen nicht schlicht durch Unterschiede etwa der qualitativen Intensität und Gestalt des Sich-Anfühlens voneinander unterschieden werden können. Eine grundlegendere und alle affektiven Phänomene einschließende Differenzierung bedarf der strukturellen Zuordnung zum jeweiligen Prozess der Begegnung. Nun ist diese Forderung in gewisser Hinsicht irreführend. Im Grunde gibt es keine bekannte philosophische, psychologische oder soziologische Tradition, die sich einer radikalen Feeling-Theorie zuordnen ließe. Nicht einmal der Neuen Phänomenologie, ausgehend von den Arbeiten Hermann Schmitz’ zum leiblichen Spüren von Gefühlen, lässt sich dies unterstellen. Hilge Landweer und Catherine Newmark weisen beispielsweise darauf hin, dass selbst bei Schmitz die Unterscheidung von Gefühlen eine kognitive Erfassung der Situation benötige (vgl. Landweer und Newmark 2009, 97). Eingangs wurde daher die Vermutung angestellt, dass die häufigste Differenzierung affektiver Phänomene, die zwischen Stimmungen und Emotionen, keineswegs nur anhand ihrer qualitativen Erscheinungsgestalt stattfindet, aber eben auch nicht vordringlich anhand ihrer kognitiven Beteiligung. Vielmehr stehen beide Aspekte – wohlgemerkt: mitunter neben anderen wie dem der physiologischen Erregung oder dem Gefühlsausdruck – in einem wechselseitigen Begründungszusammenhang. Dieser wird in seiner Prozessualität zumeist nicht hinreichend reflektiert und begründet nun eben jene hier vollzogene Unterteilung in erfahrungsbezogene und prozessuale Perspektiven. Es lässt sich also der so verstandenen erfahrungsbezogenen Perspektive zuordnen, in dem Fall einer für psychologische Betrachtungen typische, wenn Emotionen häufig eine Gerichtetheit auf etwas außerhalb des Subjekts Verortbares unterstellt wird, hingegen Stimmungen eine gerichtete Beziehung zu Objekten der aktuellen Situation aberkannt wird. Bei näherem Hinsehen wird indes ersichtlich, dass nicht die Gerichtetheit selbst den eigentlichen Unterschied ausmacht, sondern die Deutung ihres Gegenübers – die Abgrenzbarkeit. Entscheidend ist also der häufig beiläufige Hinweis, dass sich Emotionen auf abgrenzba-
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re Entitäten beziehen, also Ereignisse, Objekte und dergleichen. Dabei macht erst genau jene kognitive Grenzziehung eines konkreten und damit ersichtlich werdenden Gegenübers aus beiläufigen Stimmungen gerichtete affektive Prozesse. Folglich greift eine allgemeine Unterteilung nach der Gerichtetheit zu kurz und bedarf einer Differenzierung der Weisen kognitiver Beteiligung und ihrer Objekte und damit des jeweils unterstellten Kognitionsbegriffs überhaupt. Letztlich auch, um daran anschließend über eine bloße Unterteilung von Stimmungen und Emotionen als eben vermeintlich ungerichtete respektive gerichtete Phänomene des Affektiven hinaus doch differenzierte und klarer fundierte Unterscheidbarkeiten aller affektiven Phänomene, einschließlich affektiver Hintergründe und Grundgestimmtheiten, anbahnen zu können. Die Resonanztheorie Harmut Rosas und die Theorie Emotionaler Energie Randall Collins’ haben ihren Teil zu einer solchen Differenzierung beitragen, wenngleich in sehr unterschiedlicher Weise. Collins’ Verdienst besteht aus dieser Sicht dann darin, nicht nur die prinzipielle Unterscheidung von geteilten Emotionen und affektiven Hintergründen der einzelnen Individuen als für soziologische Erklärungsmodelle unverzichtbar hervorgehoben zu haben, sondern darüber hinaus ihre systematische Verknüpfung im Rahmen des Modells ritueller Interaktionen beschrieben und empirisch unterlegt zu haben. Eine ritualtheoretisch begründete Unterscheidbarkeit meint dabei, dass anhand einer Zergliederung des Interaktionsgeschehens in eine subtil-affektive Ebene der spontanen Mikrokoordination und eine reflektierbare, dynamische Ebene der wechselseitigen Verkettung von geteilten Aufmerksamkeitsfokussen und erfahrbaren Emotionen eine prinzipielle Unterscheidung affektiver Prozesse, wenn auch unter Umständen gleichzeitig stattfindend, nachvollziehbar wird. Collins unterschied in der Folge zwischen kurzzeitigen disruptiven Emotionen und langfristiger, hintergründiger Emotionaler Energie. Das Letztere weder nur den affektiven Hintergründen noch vorwiegend den Stimmungen oder Grundgestimmtheiten zuzuordnen ist, begründet sich vor allem darin, dass Emotionale Energie die Verschränkung affektiver Kurz- und Langzeitfolgen mit affektiven Weisen der Mikro-Interaktionsgestaltung zusammenbringt. Erschwerend kommt wiederum hinzu, dass Collins bisweilen den Begriff der Stimmung gesondert verwendet, nämlich als eine Form gespürter affektiver Zustände, die von vornherein die affektive Dynamik von Interaktionen beeinflussen können. Rosas Hauptaugenmerk gilt indes vor allem den verschiedenen Entitäten der Begegnung. Eine Unterscheidung affektiver Phänomene lässt sich erst aus beinahe schon beiläufigen Hinweisen differenter Resonanzebenen heraus nachvollziehen, wobei zwischen Stimmungen als Folge primärer Resonanzebenen, Gestimmtheiten und Verstimmung im Zusammenhang gerichteter Begegnungen und
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zumindest teilkognitiver Beteiligung und Grundgestimmtheiten, welche sich im Zusammenhang mit grundlegenden Auseinandersetzungen kollektiver Dispositionen und individueller Stellungnahmen ausbilden, unterschieden werden konnte. Die von Rosa hier subtil unterlegte Dreiteilung der Begegnungsebenen steht zumindest in der Nähe von Peirces Unterteilung der Einheit, Zweiheit und Drittheit, mittels derer zwischen der unmittelbaren Wahrnehmung, dem Symbol und der transzendenten Idee unterschieden wird. Ohne eine zu große Tiefe der Gemeinsamkeit behaupten zu wollen, soll mit diesem Vergleich nur ein zentraler Aspekt verdeutlicht werden, nämlich der des Interpretanten. Peirce nimmt bekanntlich an, dass irgendeine Weise der Interpretation immer stattfinden muss, ohne eine Zielgerichtetheit unterstellen zu müssen. Dass sodann mit der Fähigkeit der Intentionalität nicht nur das in der Philosophie klassische Sich-auf-etwas-Richten per se gemeint ist, wurde bereits angedeutet. Wenngleich schon dem Sich-aufetwas-Richten ein Minimum an kognitiver Leistung zugesprochen werden muss, wird diese Leistung in der Diskussion mehr als affektiv-attentionale Leistung subsumiert. Wenn in diesem Rahmen daher von einer kognitiven Beteiligung die Rede ist, dann bezieht sich das, wie zuvor erwähnt, bereits auf die der Attentionalität übergeordneten Leistungen der identifizierenden Grenzziehung und systematisierenden Begegnung zur Welt. Diese muss selbstverständlich selbst nicht reflektiert sein. Eine solche Weise der Betrachtung eröffnet damit aber auch den Blick auf die gänzlich vorbewussten und somit nicht nur unreflektierten, sondern auch unbestimmten Formen des Affektiven unter dem Blickwinkel der reinen Attentionalität. Bei Rosa geben Beschreibungen der existenziellen Verschränkung von Gewahr- und Angesprochenwerden aus der Perspektive der grundlegenden Bezogen- und Betroffenheit von Subjekt und Welt, die sich seitens des Subjekts als selbige Verschränkung in der Form von Affekt und Emotion zu erkennen gibt, eine vergleichbare Scheidelinie des Kognitionsbegriff preis, der jene Formen der ungefilterten Attentionalität exkludiert. Die gesamte Grundlage der Differenzierung unterscheidbarer Ebenen der Begegnung und damit affektiver Phänomene findet sich jedoch darüber hinaus ausgehend von der unterschiedlichen Beteiligung beziehungsweise Anforderung an alle Aspekte des In-der-Welt-Seins. Unterscheidungen zwischen affektiven, leiblichen, emotionalen, kognitiven und evaluativen Aspekten menschlicher Weltbeziehungen wie bei Rosa verweisen auf eine analytische Betrachtung phänomenal differenzierbarer Momente des Daseins, die sich in unterschiedlicher Form und Präsenz in die Begegnung einbringen respektive mittels derer die Weisen der Begegnung ihren Ausdruck finden. Collins’ Abgrenzung emotionaler Energien von vordergründigen Emotionen und deren Übersetzung in subtile Begegnungsmodi auf mikrointeraktionistischer Ebene unterstellt in durchaus ver-
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gleichbarer Weise eine analytische Unterscheidbarkeit verschiedener Ebenen der Begegnung, nicht nur deren kognitiven Beteiligung. Einige der von Collins angeführten Aspekte der performativen Übersetzung affektiver Hintergründe lassen sich dem Bereich des vorreflexiv Leiblich-Affektiven zuordnen. Darunter fallen verbale und körperliche Mikro-Interaktionssequenzen wie imitierende und antizipierende Mimik oder Silbenwiederholungen. Dazu gehören jedoch vor allem paralinguistische Aspekte, etwa der Pausensequenzierung, Tonhöhen und Betonung im Sprechrhythmus oder der hochfrequenten Rhythmusbegleitung des Interaktionspartners (vgl. Collins 2004, 76f.). Wie erwähnt, können den auf dieser Mikroebene stattfindenden synchronisierenden oder repressiven Modi schon allein aufgrund ihrer rapiden Reaktionsgeschwindigkeit von mitunter weniger als 0,02 Sekunden keine kognitiven Reflexionen vorangestellt sein (vgl. ebd.). Entsprechend muss Collins ein Rosas ähnlicher Kognitionsbegriff unterstellt werden. Denn zum einen beschreibt Collins die vorreflexiven, nicht intensional gerichteten Weisen der Begegnungsgestaltung als affektiv begründet. Dies meint, dass sich elementare Formen eines evaluativ-prädisponierten Aufmerkens affektiv realisieren. Denn ohne Zweifel unterstellt Collins jenen synchronisierenden oder interruptierenden Modi Bewertungen das eigene Selbst und die soziale Situation betreffend. Diese Bewertungen aber werden gefühlt, nicht gedacht. Vergleichbar zu Rosas Theorie beschreibt Collins zum anderen aber auch jene affektiven Grundempfindungen eng verwoben mit Kognitionen. Was Rosa prädisponierend als grundlegende Stellungnahmen konzeptualisiert, beschreibt Collins als sich an Symbole bindende Annahmen und kognitive Codierungen sozialer Erfahrungen besonderer Macht- und Statuserfahrungen. Darüber hinaus definieren beide Emotionen respektive gerichtete Gestimmtheiten als notwendige inhaltliche wechselseitige Verschränkung sozialer Akteure, bezogen etwa auf konkrete Gedanken oder einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, die keineswegs zwangsläufig in ihrer Bedeutung für die daraus entstehenden emotionalen Dynamiken reflektiert werden müssen. Dies macht die Emotion aber zu einer mehrschichtigen, mehrere Ebenen etwa der kognitiven, evaluativen, leiblichen und ästhetischen Bezogenheit zweier Subjekte verbindenden und damit aus einer komplexen Verschränkung heraus sich entwerfenden Realität. Sie lebt nicht nur aus der reinen Begegnung selbst, sondern bedarf der teils bewussten Auseinandersetzung der Begegnenden. Zwar thematisiert Collins nur die direkte soziale Interaktion, grundsätzlich ließe sich das beschriebene Prinzip aber auch auf eine rein ästhetische und performative Begegnung anwenden, in welcher Form auch immer eine Aufmerksamkeitsverkettung unterstellt werden kann. Im Gegensatz dazu bedürfen affektive Hintergründe nicht der komplexen, kognitiv-affektiven Verschränkung in der Begegnung. Wie bereits erwähnt, un-
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terscheidet Collins in der rituellen Interaktion zwischen dem Prozess des wechselseitigen kollektiven Aufbrausens, bei dem Emotionen an Intensität gewinnen, und den Mikromechanismen der rhythmischen Koordination der Teilnehmer. Was Collins unter dem Begriff der Emotionalen Energie bündelt und sich in der Interaktion als affektive Hintergründe realisiert, ist nicht direkt relevant für die Entwicklung von Emotionen, zumindest nicht für deren inhaltliche Gestalt. Rhythmische Koordinationen geben den Takt an und bestimmen darüber die Intensität und damit das Maß der Verschränkung und Bindung zwischen den Beteiligten. Zudem bestimmen sie die Art der Beziehung in Hinblick auf Macht- und Statusverhältnisse. Darüber also, ob eine Begegnung eher egalitär ablaufen kann oder von Status- und Machtunterschieden geprägt ist, entscheiden mikroprozessuale Interaktionsmodi und damit affektive Hintergründe. Nur so können diese affektiven Elemente sowohl Voraussetzung, Bedingung, als auch Ergebnis von Begegnungsprozessen sein. Collins hat auf diese allzeitige Bedeutsamkeit von Emotionaler Energie hingewiesen. Wenn sich Aspekte des Beteiligtseins in Begegnungen in den verschiedenen Formen der Weltbeziehung als jeweils unterschiedlich beteiligt beschreiben lassen, wenn etwa Rosa das affektiv-leiblich-räumliche Erleben der gerichteten, teilreflexiven Weltbeziehung grundlegend voranstellt, so darf dies nicht verkennen lassen, dass eben jene Aspekte in ihrer spezifischen Präsenz diese Unterteilung erst begründen. Es gibt keine anderen Dimensionen des Daseins, lediglich unterscheidbare Beteiligungen dieser, als Dringlichkeitscharaktere im wechselseitigen Prozess des Affizierens. Dies berücksichtigend, läuft jede Unterscheidung innerhalb des Begegnungsprozesses damit auf eine Unterscheidung auf der Grundlage der Dominanz der verschiedenen Aspekte der Weltbeziehung und der ihr unterstellten Zeitlichkeit hinaus, innerhalb derer ein als einheitlich beschreibbares affektives Phänomen der Begegnung erfassbar ist. Zudem gibt Rosa zu bedenken, dass Resonanzbeziehungen nicht nur auf einer Ebene, sondern als komplexes Resonanzsystem auf den verschiedenen Ebenen der Weltbeziehung stattfinden. Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Ebenen der Begegnung sowie der daran vordringlich beteiligten Aspekte und deren spezifischen Zeitlichkeiten ist somit immer eine analytische Bündelung innerhalb des komplexen Prozesses der Subjekt-Welt-Beziehung. Jene lässt sich in gleicher Weise dann auch auf soziale Situationen und Interaktionen in dieser Form übertragen beziehungsweise hilft dabei, soziale und nicht-soziale Aspekte einer Situation aus affektiver Sicht zu unterscheiden und einander gegenüberzustellen. Gleichzeitig nimmt die affektive Dimension insofern eine Sonderstellung ein, als ausgehend von der Beschreibung basal-affektiver Hintergrundmodi keine Begegnung ohne affektive Beteiligung gegenüber keiner Entität und auf keiner
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Ebene möglich wäre. Gleiches darf für die leibliche Beteiligung angenommen werden, wobei diese sich auf leibliche Haltungen beschränken kann. Überhaupt veranschaulicht der im deutschen Sprachgebrauch verwendete Begriff der »Haltung« die damit anvisierte Verschränkung affektiver und leiblicher Bewegungen sehr treffend. So bietet Rosas Modell der Weltbeziehung in der hier vorgestellten, ausdifferenzierten Form Ansatzpunkte, danach zu fragen, wo und wie affektive Hintergründe in der Situation überhaupt anzusetzen sind, welche affektiven Prozesse in der komplexen Begegnungsgestaltung sich davon ausgehend beschreiben lassen und wie sich aber auch rückverfolgend affektive Modi mit affektiven Dispositionen in Verbindung bringen und rekonstruieren lassen.
ZUR GESTALT AFFEKTIVER HINTERGRÜNDE In Anlehnung an die bisherigen Skizzierungen einiger grundlegender Strukturen des Affektiven allgemein sollen jene der affektiven Hintergründe im Speziellen näher beleuchtet werden. Wenn die Rede von Strukturen ist, muss spätestens im Zusammenhang mit affektiven Hintergründen darauf hingewiesen werden, dass sich der Begriff der Strukturen auf das bezieht, was an der erwähnten Verschränkung der Perspektiven sichtbar zu werden scheint. Keinesfalls soll der Begriff der Strukturen suggerieren, es könnte quasi das Grundgerüst des Affektiven in seiner Vollständigkeit freigelegt und nun als ausgegrabenes Fundstück präsentiert werden. Strukturen bezieht sich vielmehr auf die Konturen, die jene Perspektiven abzubilden in der Lage sind, um daran anschließend Überlegungen beispielsweise zu der Einbettung in und den Verschränkungen mit andernorts vorgenommenen Beschreibungen etwa zu kulturellen Schemata und Lebenswelten anstellen zu können. Der Begriff der Strukturen beschreibt damit letztlich ein analytisches Instrument zur Untersuchung affektiver Hintergründe. Affektive Hintergründe als konstitutive Bestandteile elementarer Begegnungsmodi In der Resonanztheorie bezeichnet der Begriff der Existenz die Tatsache des Indie-Welt-gestellt-Seins. Existent zu sein, zu leben, meint damit immer, in Begegnung zu sein. In Anlehnung an entsprechende existenzphilosophische und phänomenologische Traditionen meint Begegnung bei Rosa jedoch kein schlichtes Da-Sein oder gar nur das beobachtende Erleben einer äußeren Umwelt, sondern bringt das von Grund auf betroffene und diese Existenz konstruierende Individuum wie auch die Umwelt in eine aktive Rolle der Realisation von Begeg-
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nung und damit Existenz. Aktiv meint einerseits performativ, d.h. das Individuum realisiert Begegnung immer leiblich beteiligt in der performativen Dimension der elementaren Weise des sich Ausrichtens. Entsprechend beschreibt Rosa als elementare Begegnungsmodi die Richtungen des »Sich-Abwendens« gegenüber dem »Sich-Hinwenden«. Mikrosequenzielle Zu- und Abwendungen bilden somit die elementaren Grundbausteine jeder Begegnung, an denen andererseits eben auch affektive Hintergründe anzusetzen sind. Die Resonanztheorie beschreibt die Grundweisen des Affektiven jedoch nicht als Folgen jener basalen movens, sondern als deren affektive Korrelate selbst. Affekt und Performanz müssen folglich auf jener elementaren Prozessebene der Begegnung als untrennbar verschränkt miteinander betrachtet werden. Das eine lässt sich also nicht als Reaktion auf das andere verstehen. Auch wird weder dem Körper noch dem Affekt im Prozess des wechselseitigen Affiziert-Werdens und Affizierens Priorität eingeräumt – sie bilden entsprechend die zwei Seiten einer inneren Bewegung. Angst bezeichnet sodann die affektive Seite der Abwendung, während Begehren die der Hinwendung adressiert. Beide Begrifflichkeiten meinen keine Emotionen im eigentlichen Sinne. Sie gründen auf affekttheoretischen Vorstellungen basaler Weisen menschlicher Grundempfindungen, wie sie sich bis zur Lehre der Stoa und der Vorsokratiker zurückverfolgen ließen. Affektive Hintergründe als affektive Dimension innerer Bewegungen der begehrenden Zuwendung oder ängstlichen Abwendung sind somit, so kann als eine Grundannahme des hintergründig Affektiven bei Rosa festgehalten werden, konstitutive Bestandteile der elementaren Ebene der Begegnung selbst. Eine Unterscheidbarkeit von Affekten und körperlichen Bewegungen und damit eine willentliche Trennung jener Bewegungen bedürfen somit immer eines Mindestmaßes an Reflexion. Entsprechend gilt des Weiteren festzuhalten, dass Rosa diese affektiven Grundmodi nicht erst in der sozialen Begegnung in antizipativer Weise einer konkreten sozialen Situation gegenüber identifiziert, sondern zunächst einmal ganz grundsätzlich als Formen kontradiktorischer Weisen des Aufmerkens überhaupt thematisiert. Rosa gibt damit einen Ausgangspunkt affektiver Hintergründe vor, der sich nicht erst aus der sozialen Begegnung heraus deuten lässt, sondern im Einklang mit existenzphilosophischen Argumentationen das Affektive im In-der-Welt-sein der Individuen selbst begründet und mit diesem einhergehend sieht. Dieser Ansatzpunkt ermöglicht Rosa konfligierende Begegnungsmodi zur Begründung divergierender Weisen von Beziehungen und deren affektiven Folgen, unabhängig von wechselseitigen Interessen sozialer Akteure, zu beschreiben. Dies erlaubt zudem einen multiperspektivischen Blick auf verschiedene Arten und Ebenen der Begegnung. Insbesondere mit Blick auf affektive Bedingungen und Folgen von Begegnungen ergibt sich daraus eine klare Unter-
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scheidung affektiver Hintergründe von Angst und Begehren einerseits sowie unterschiedlicher, aus komplexen Situationsebenen emergierender affektiver Folgen andererseits. Die dem Resonanzmodell Rosas immanenten Strukturen affektiver Hintergründe beinhalten ganz grundlegend betrachtet einen so basalen Anspruch an die affektiv-soziale Weise des Menschen, in der Welt zu sein, sich auch in der sozialen Begegnung und aus ihr heraus zu orientieren und sich selbst zu entwerfen, wie er gegenüberstellend Collins inhärenten Grundannahmen zum affektiv Hintergründigen ebenso unterstellt werden kann. Will man die wechselseitig verschränkte Genese und anthropologische Dimension Emotionaler Energie erfassen, setzt diese ebenso bei keinen konkreteren oder voraussetzungsreicheren Gefühlen an als denen der sich in der sozialen Begegnung gemeinsam entwerfenden sozialen Wirklichkeit und der gegenseitigen Versicherung der Zugehörigkeit zu dieser – im Bestand der Grenzziehung sozialer Nähe. Darüber hinaus bietet das Modell Emotionaler Energie gegenüber einer genuin anthropologischen Auffassung der affektiv-performativen Weisen der Begegnung der Resonanztheorie eine mikrosoziologische Konkretisierung jener. Zwar liegen beiden Ansätzen die anthropologische Bestimmung affektiver Hintergründe im universellen Bedürfnis nach sozialer Bindung und geteilter Ordnung zugrunde, jedoch kommt Rosa in der Ausweitung dieses Verständnisses des grundlegend in Beziehung gestellten sozialen Akteurs auf den Begriff der Existenz schlechthin naturgemäß nicht über eine Verallgemeinerung affektiver Weisen als Formen der Hin- oder Abwendung zum Gegenüber hinaus. Auch wenn Rosa damit nicht zu Unrecht die affektive Basis des sozialen Akteurs in dessen gesamtem In-die-Welt-gestelltsein und nicht nur in der sozialen Beziehung begründet sehen will, geht darunter die dennoch übergeordnete Bedeutung der sozialen Begegnung für die Dynamik und Intensität und vor allem Gestalt affektiver Prozesse beinahe schon unter. Gleichwohl räumt auch Rosa der sozialen Beziehung und der Erfahrung positiver affektiver Begegnungen im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen durchaus eine übergeordnete Bedeutung ein. Collins Zugang ist an dieser Stelle jedoch ein deutlich anderer. Im Mittelpunkt stehen für das Modell Emotionaler Energie empirisch erkennbare Mikromodi der sozialen Interaktion. Diese stellen sich in ihrer Gestalt etwa als Sequenzen der Pausenfrequenzierung und Tonhöhenregulation des Sprechens, Intonationen sowie mimischer und gestischer Ausrichtung am Interaktionsgeschehen und am anderen dar. Wesentlich daran ist, dass Collins gerade nicht von abgrenzbaren Resonanzeffekten ausgeht, sondern Individuen in steten und je eigenen Rhythmen verfasst sieht. Diese können entsprechend Collins Blickrichtungen seiner Untersuchungen zu den wechselseitigen Mikrosequenzen der Interak-
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tion ebenso körperliche wie gedankliche und sprachliche Rhythmen sein. So ist es nur folgerichtig, dass Individuen, wann immer sie sich begegnen, sich in ihren Rhythmen in irgendeiner Weise zueinander verhalten müssen. Dies geschieht, je nach unterstellter Beziehung zueinander, in zunehmend synchronisierenden Modi oder in Modi, die jene zunehmende Synchronisation stören oder gar unterbinden. Summierend ließen sich daher auch bei Collins auf der Mikrointeraktionsebene grundlegend entgegengesetzte Modi der Begegnungsgestaltung beschreiben, synchronisierende oder interruptierende. Bei Collins sind jedoch angenommene und antizipierte Verhältnisse zwischen den Beteiligten in die basalen Interaktionsmodi der Begegnung bereits involviert, indem er jene Modi als von Grund auf sozial beschreibt. Das zuvor erwähnte Beispiel der videogestützten mikroanalytischen Arbeiten von Erickson und Schulz (siehe Kapitel 3.3.4) macht dies deutlich. Die zwischen Schüler und Schulpsychologe synchron performierten Rhythmen legt Collins nicht nur als situatives affektives Passungsverhältnis, sondern als bereits angenommenes solidarisches Verhältnis zwischen den Beteiligten aus. Sequenzen der Interruption und damit Verhinderung der synchronen Rhythmusgestaltung, etwa dadurch, dass ein Teilnehmer in einen anderen Rhythmus der Betonung oder Geschwindigkeit von Silben wechselte und damit die kollektive Rhythmusgestaltung kurzweilig dominierte oder irritierte (vgl. Collins 2004, 124f.), können erst davon ausgehend als Unstimmigkeit und wankende solidarische Bindung interpretiert werden. Insofern kommen die Momente der Synchronisation im Sinne der Rhythmusaufnahme beziehungsweise -fortführung im Gegenzug zur Rhythmusbrechung oder -verweigerung zwar dem nahe, was auch Rosa als Momente der Hinwendung oder Repression anführt, jedoch entwerfen sich im Vergleich dazu die affektiven Hintergründe nicht neutral als Angst und Begehren, sondern als soziale Momente ausgehend und hinführend spezifischer Macht- und Statusdimension. Teilnehmer von Wettkampfsituationen, die sich selbst als überlegen wahrnehmen, zeigen sich daher von Beginn an weniger bereit, in ko-konstruierten Rhythmusgestaltungen mit anderen zu synchronisieren. Ihre Aufmerksamkeit ist mehr auf sich selbst und ihre antizipierten Ziele gerichtet. Diejenigen Teilnehmer hingegen, deren Aufmerksamkeit stärker anderen gilt, etwa weil sie diese als überlegen einschätzen und sich entsprechend an ihnen ausrichten, zeigen verstärkt Synchronisationsneigungen (vgl. Collins 122ff.; unter Bezug auf die Studien von Chambliss 1989). Festzuhalten ist, dass Collins ebenso zum einen kontradiktorisch gedachte Grundbewegungen in der Begegnungsgestaltung unterstellt, wie er zum anderen die Vorstellung einer Verschränkung des hintergründig Affektiven und modal Performativen auf der basalsten Ebene der Begegnungsgestaltung vertritt. Denn ohne diese wären Beschreibungen davon, dass Formen Emotionaler Energie sich auf Mikroebenen
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der Begegnung in synchronisierende oder störende Modi der geteilten Rhythmusgestaltung übersetzen, gar nicht plausibel. Wenn behauptet wird, dass Collin das Verhältnis von Affektivität und sozialer Beziehungs- und Wirklichkeitskonstruktion als ein soziales Verhältnis beschreibt, dann deswegen, weil Collins jene grundlegenden affektiv-performativen Weisen der Begegnung von Grund auf als soziale Weisen sieht. Damit ist gemeint, dass Collins nicht von affektiven Grundbewegungen der Angst und des Begehrens spricht, sondern bereits in jenen Grundformen des hintergründig Affektiven sozial konstruierte Weisen möglicher Beziehungsverhältnisse sieht. Konkret bedeutet das, dass Collins die affektiven Hintergründe des sozialen Akteurs bereits als sozial konstruierte und konstruierende Hintergründe in Form der solidarischen Verbundenheit und dem Vertrauen in eine geteilte Realität beschreibt. Ein hohes Maß an Emotionaler Energie adressiert somit nicht nur eine grundlegende Fähigkeit der Responsivität, die Resonanz und Befriedigung verspricht, sondern involviert ein Konglomerat sozialer Hintergründe, wie Gefühle der Normalität der Situation und damit Vertrauen in die erwartete Teilung des Realitätsanspruchs des ko-konstruierten Wirklichkeitsausschnitts. Emotionale Energie meint aber auch das Vertrauen in die Möglichkeit der, wenngleich nur kurzfristigen, solidarischen Bindung und das damit zusammenhängende Selbstvertrauen, ein sozialer Partner dieser Bindung sein zu können. Dies macht einen ganz entscheidenden Unterschied aus, wie sich vor allem mit Blick auf die konkreten Modi der sozialen Begegnung und Beziehungsgestaltung zeigen wird. Denn erst damit lassen sich Unterschiede in den Begegnungsweisen zwischen den Teilnehmern einer sozialen Interaktion in Hinblick auf Macht- und Statusunterschiede beschreiben und auf die damit verbundenen affektiven Hintergründe zurückverfolgen. Dies kann die Resonanzkritik in der Unterscheidung zwischen resonanten und stummen Begegnungen nicht leisten, weswegen die Dimensionen der Macht und subtilen Diskreditierung folglich unbeleuchtet bleiben müssen und nicht mit den affektiven Weisen generisch in Verbindung gebracht werden können. Damit jedoch abstrahiert der existenzialistische Ansatz der Bestimmung der Begegnungsweisen als abwendende Angst und hinwendendes Begehren den elementarsten Aspekt des sozialen Wesens des Affektiven, die Machtdimension. Mit dem Einbezug Collins’ Theorie der Interaction Ritual Chains lassen sich die Strukturen des Affektiven und affektiver Hintergründe der Begegnung auf ihre soziale Natur basal konfligierender und wechselseitig einfordernder Bezugnahmen jedoch konkretisieren. Der wesentliche Beitrag des Modells Emotionaler Energie von Randall Collins besteht somit in der mikrointeraktionistischen Hinwendung und empirischen Unterlegung jener affektiven Dimension zwischenmenschlicher Machtverhältnisse.
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Beschreibbarkeit affektiver Hintergründe Es gibt demnach Gründe dafür, dass sich Beschreibungen affektiver Hintergründe nur schwerlich vor dem Hintergrund eines etablierten Emotionsvokabulars wiederfinden und daran anschließend konkretisieren lassen – und dass man dies auch unterlassen sollte. Zwar werden in vorliegender Untersuchung affektive Hintergründe als ein Bereich des Affektiven behandelt, ja sogar als allen beschreibbaren Phänomenen des Affektiven zugrunde liegende Elemente thematisiert. Dennoch kommt dem Bereich affektiver Hintergründe ein ganz eigenständiger und von zusammengesetzten, emergierten affektiven Prozessen klar zu unterscheidenden Charakter zu. Dieser soll im Folgenden anhand dreier Aspekte, erstens der unvereinbaren Divergenz der Strukturen affektiver Hintergründe, zweitens dem Moment der Energie sowie drittens dem Verhältnis von Flüchtigkeit und Konstanz diskutiert werden. Alle drei Aspekte lassen sich den bisherigen Konturierungen der Strukturen affektiver Hintergründe entnehmen. Es gilt sie besonders dann zu berücksichtigen, wenn ausgehend von den bisherigen Ergebnissen der hermeneutischen Analyse zu den affektiven Strukturen daran anknüpfende Überlegungen angestellt werden zu einer weiteren Konkretisierung affektiver Hintergründe sowie deren Verschränkung mit prädisponierenden kulturellen Schemata einerseits und emotional konstruierten und eingeforderten sozialen Arrangements andererseits. Unvereinbare Divergenz Entsprechend dem grundsätzlich dialektischen Verhältnis der Begegnungsmodi auf der elementaren Ebene mikrosequenzieller Begegnung sowie der noch unreflektierten Verschränkung von Affekt und Performanz jener Ebene müssen konsequenterweise auch affektive Hintergründe grundlegend als diametral strukturiert verstanden werden. Sowohl die Resonanztheorie als auch die Theorie Emotionaler Energie entwerfen in der Folge affektive Hintergründe grundsätzlich divergierend. Erstere in der eindimensionalen Bündelung affektiver Hintergründe in der Gegenüberstellung eines anhaftenden Begehrens gegenüber einem ablehnenden Zurückweichen. Zweitere in der Einreihung Emotionaler Energien in ein bipolar gedachtes Kontinuum, dessen Pole einerseits ein hohes Maß etwa an Selbstvertrauen, Zielgerichtetheit und Sicherheit in der sozialen Situation sowie andererseits gerade deren Mangel agglomerieren. Der definierenden Bestimmung der Strukturen affektiver Hintergründe als unvereinbar divergent wäre indes zu entgegen, dass mitunter auch einigen affektiven Prozessen ein entgegengesetztes Verhältnis unterstellt werden kann. Im Falle von Stimmungen fänden sich hierfür leicht zahllose Beispiele, wie etwa
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Melancholie zu Heiterkeit, Schwermut zu Leichtigkeit, Freudlosigkeit zu Vergnügtheit etc., ohne die Grenzen dazwischen klar ziehen zu können. Auch Emotionen kennen plausible Gegenspieler, beispielsweise Liebe zu Hass, Freude zu Trauer und Neid zu Wohlwollen. Im Falle von Emotionen verliert diese Gegensätzlichkeit jedoch bereits in einigen Fällen ihre Intransigenz. Schließlich können Liebe und Hass ebenso eng verwoben sein wie Trauer mit Freude und Neid mit Wohlwollen. Diese kurze Auflistung lässt daher in Anlehnung an Rosas Abgleich der verschiedenen Ebenen und Dimensionen der Begegnung zumindest vermuten, dass mit zunehmendem Einfluss kognitiver und evaluativer Aspekte des Beteiligtseins und damit Entfernung zu den eigentlichen respektive ursprünglichen affektiven Hintergründen die unterstellte diametrale Gestalt des Affektiven ihre Unvereinbarkeit verliert. Unabhängig davon drängt sich die Frage auf, welche Bedeutung die hier unterstellte intransigente Divergenz affektiver hintergründiger Strukturen für eine differenziertere Beschreibung der Grundmomente des Affektiven hat? Wie also lassen sich davon ausgehend die Strukturen affektiver Hintergründe konkretisieren? Klar ist bisher nur, dass affektive Hintergründe gerade nicht als qualitative Gestalt beschrieben werden können, sondern in ihrer Struktur sui generis ins Verhältnis zu beschreibbaren Basismodi der Begegnung gesetzt werden müssen. Entsprechend können jene intern stets nur relational verstanden werden, sich also aus dem divergierenden Bewegungsraum des Begegnungsausschnitts heraus generierend. Affektive Hintergründe beschreiben somit keinen erfahrbaren affektiven Zustand, sondern ein mehr oder weniger einer definierbaren Mikrobewegung in der Begegnung. Folgerichtig müssen affektive Hintergründe in der Weise, wie sie in Begebenheit treten, als höchst flüchtig und damit schwer benennbar verstanden werden und können somit nicht schlicht abgleichend an emotionalen und damit erfahrungsgeprägten Begrifflichkeiten orientiert und beschrieben werden. Im Gegenteil, ein solcher Abgleich wäre doch eine höchst unzutreffende und irreführende Abstraktion affektiver Hintergründe aus dem existierenden Kanon an Emotionswissen. Möglichkeiten der Beschreibbarkeit sind damit mehr als affektive Prozesse an Differenzierungen der Begegnungssituation selbst sowie deren prädisponierende Faktoren und beschreibbare Folgen gebunden. Das Moment der Energie Für eine weiterführende Konkretisierung affektiver Hintergründe wäre zudem das bei Collins namensgebende und daher hervorstechende Moment der Energie zu berücksichtigen. Wie eingangs vorgestellt, stellt dieser Aspekt auch bei Eva Illouz ein zentrales Charakteristikum des Affektiven dar, und zwar, wenn es um den aktiven sozialen Akteur geht. Dass vor allem Emotionen oft in die Nähe
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möglicher Handlungsimpulse gebracht werden, ist bekannt; dies geschieht jedoch zumeist unter kognitivistischen Annahmen, dass Emotionen mit spezifischen Urteilen verbunden sind, wie etwa bei Martha Nussbaum. Oder aber sie werden primär als Urteile des Körpers verstanden, wie bei Solomon. In einer elementaren Leseart der Affect Studies werden sie dann grundlegend als körperliche Weisen des Affizierens und Affiziert-Werdens ausgelegt. Auf der Ebene der Begegnung aber geht es noch nicht um eine irgendwie geartete Welterschließung. Es geht vielmehr um das Dasein zunächst in ko-konstruierender und wechselseitig betroffener Art und Weise, stets relational zueinander gedacht (vgl. Slaby 2016). Folglich kann mit Blick auf diametral aufgebaute Strukturen affektiver Hintergründe Energie nicht lediglich in Hinblick auf die Stärke oder Intensität affektiv-performativer Begegnungsmodi ausgelegt werden. Energie kommt stattdessen vor allem dem nahe, was man als aktiv-zutrauende Hinwendung zur Begegnung und damit möglicher Beziehungen allgemein beschreiben könnte, und zeigt sich mit den Begegnungssituationen der Resonanztheorie daher als durchaus verwandt. Wie Collins in praktischer Weise führt auch Rosa vor Augen, dass jene zu- oder abwendende Energie, die der Begegnung stets innewohnt, niemals nur rein körperlich zu verstehen ist. Der Aspekt der Energie als Kraft der Attraktion und Repulsion bündelt somit affektive Hintergründe ebenso wie leibliche und in Teilen auch Bedeutsamkeiten zuweisende (vgl. Rosa 2016, 187). Energie, verstanden als attrahierende Zug- und repulsive Abstoßungskräfte, umschreibt demnach ein Charakteristikum der Begegnung selbst, das sich nicht nur im elementar Affektiven realisiert, sondern die Bindung überhaupt meint. Dies macht zugleich deutlich, dass jenes Moment der Energie kein einzelner Aspekt im Gefüge affektiver Hintergründe ist, sondern ein Grundcharakter. Dessen Berücksichtigung fordert sodann, dass ungeachtet dessen, in welcher Weise sich affektive Hintergründe spezifizieren und näher darstellen lassen, sie nicht nur jeweils als kontradiktorische Modi beschrieben werden können, sondern sich grundsätzlich an den Polen der aktiven Begegnungs-Ko-konstruktion bzw. der passiven Begegnungsbefolgung oder gar -entgleitung bündeln lassen müssen. Flüchtigkeit und Konstanz Eine der am weitest verbreiteten und damit hartnäckigsten Annahmen im Rahmen der Emotionsforschung ist die, dass Stimmungen gegenüber Emotionen langwieriger und beständiger seien. Diese Behauptung lässt sich auf Beschreibungen qualitativ-affektiver Zustände davon, über einen längeren Zeitraum einen vergleichbaren hintergründigen affektiven Tonus zu erfahren, zurückführen und ist aus rein qualitativer Perspektive durchaus nachvollziehbar. Unter Einbezug einer komplementären Perspektive steht diese Grundannahme zum Verhältnis
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von Stimmungen und Emotionen jedoch zur bisherigen Skizzierung der Strukturen des Affektiven im direkten Gegensatz. Denn Letzterer zufolge haben Emotionen aufgrund ihrer komplexen Einbettung in kognitive und evaluative Verkettungen und damit Wechseldynamiken mit Affekten doch ein viel größeres Potenzial zu einem längeren Verlauf. Stimmungen allein sind höchst spontan und an eine leiblich-räumliche Einbettung gebunden. Diese Einbettung befindet sich jedoch entweder im ständigen Wandel oder wird auf Dauer nur noch in Hinblick auf besondere Aufforderungscharaktere erfahrbar. Dies allein kann die Grundannahme einer vermeintlichen Beständigkeit von Stimmungen gegenüber Emotionen also nicht untermauern. Unter Einbezug der spezifischen Strukturen affektiver Hintergründe jedoch eröffnen sich in puncto Flüchtigkeit und Beständigkeit des Affektiven weitere Erklärungswege. Zuvor wurden affektive Hintergründe im Rahmen der Strukturen des Affektiven auf der basalsten Ebenen elementarer Begegnungsmodi verortet. Auf jener Ebene sind sie auch nicht als davon ausgehende affektive Folgen zu verstehen, sondern ganz grundlegend konstitutive Bestandteile jener diametralen Bewegungen des in ständige Begegnung gestellten Individuums. Als solche, also als Begegnungsmodi und damit Prozessbestandteile, nehmen affektive Hintergründe einen maximal flüchtigen Charakter an. Besonders treffend auf den Punkt gebracht hat diesen Sachverhalt Kathleen Stewart mit den von Alfonso Lingis inspirierten Darstellungen zum »jump of affect« (Stewart 2007, 40). Jump meint bei Stewart nicht nur ein augenblickliches Entstehen des Affektiven. Selbst der erfassbare Moment des Augenblicks ist bereits jener nach dem Affekt. Die Basis des Affektiven in Interaktionen und Nähebezügen wird daher von Stewart beschrieben als »jump in a quick relay to floating sensibilities and the conditions of connection that link us« (ebd., 31). Die Metapher des Fließens affektiver Hintergründe kann zwei Hinweise bebildern: Sie eignet sich zum einen, um zu verhindern wieder am Einzelnen und Abgrenzbaren zu haften, je mehr die Grundsequenzen des Affektiven erreicht werden. Denn der Fluss macht einen im Grunde unzerlegbaren Prozess im Ganzen deutlich, dessen Einzelteile doch nur in der Summe Sinn ergeben können. Die Metapher führt zudem den zuvor besprochenen Aspekt der Energie vor Augen; nämlich, dass dem, was mit jump of affect adressiert werden soll, der Charakter einer Kraft zukommt. »And just about everyone is part of the secret conspiracy of everyday life to get what you can out of it.« (Ebd., 41) Jede Interaktion und jede Begegnung ist somit zuallererst ein Spiel jener Kräfte, die als affektive Hintergründe im steten Fluss sind. Dennoch scheinen affektive Hintergründe mehr als alle anderen affektiven Phänomene, so lässt sich der Resonanztheorie ebenso wie der Theorie Emotionaler Energie entnehmen, ein hohes Maß an Beständigkeit aufzuweisen. Es macht
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gerade den Wert jener beider soziologischen Ansätze aus, beständige oder sich in einem skizzierbaren Wandel befindliche soziale Verhältnisse und soziale Arrangements auf jene subtile und flüchtige Ebene affektiver Hintergründe zurückführen zu wollen. Das diesen Ansätzen gemeinsame und leitende Gespür der situativen Macht einerseits, aber auch die enge Verschränkung mit sozialen Strukturen anderseits verweist auf eine erfahrungsgebundene Prädisponiertheit spontaner Begegnungsmodi. Insofern realisieren sich in vergleichbaren Situationen unreflektiert individuelle und kollektive Formen impliziten Wissens, welches in beiden Modellen allerdings mehr oder weniger konsequent affektiv gedacht ist. Die Frage nach der Zeitlichkeit von Stimmungen nochmals aufgreifend bleibt zunächst die Tatsache unberührt, dass Stimmungen im hier definierten Sinne höchst flüchtige affektive Prozesse meinen. Mit Blick auf die qualitativ erfahrbare Beständigkeit subtiler affektiver Phänomene ließe sich daher in zwei Richtungen denken: zum einen in Richtung der ohnehin recht beständigen Grundgestimmtheiten. Damit könnte eine Erklärung also lauten, dass das, was dabei als qualitativ überdauernd erfahren wird, nicht die Stimmungen selbst sind. Vielmehr sind es damit emergierte Grundgestimmtheiten, welche die grundlegende Wechselbeziehung zwischen dem, was das Selbst im Kern ausmacht, und den Grundaspekten der diesem Selbst begegnenden Welt, zu der es sich nach relativ beständigen Formeln stets verhält, konstituieren. Eine zweite Erklärung könnte lauten, dass sich stets in vergleichbarer Weise konstituierende Stimmungen auf eine spezifische Beständigkeit der diese erst begründenden affektiven Grundmodi verweisen. Denn auch, wenn affektive Hintergründe im Gegensatz etwa zu Stimmungen und Emotionen keinen vergleichbaren qualitativen Gehalt für sich geltend machen können, realisieren sie sich als affektiv-performative Mikrosequenzen der Begegnung in tatsächlichen Interaktionen. So wäre durchaus denkbar, dass individuelle affektive Dispositionen und kulturelle Schemata mit Blick auf konkrete Entitäten der primären Begegnungsebene verallgemeinernd gleich bleiben. Oder vereinfacht dargestellt: Individuen würden auf sich gegebenenfalls leicht wandelnde Umwelten immer vergleichbar gestimmt antworten, möglicherweise insbesondere dann, wenn jene kulturellen Muster, nach denen überhaupt aufgemerkt und affektiv geantwortet wird, stets nur vergleichbare Aspekte aufmerken lassen. Vermutlich dürfen beide Erklärungsrichtungen Gültigkeit beanspruchen. Zumal beide Richtungen auf vergleichbare Ursprünge verweisen, die sowohl die Resonanztheorie als auch das Modell Emotionaler Energie in unterschiedlicher Gewichtung beschrieben haben. Grundgestimmtheiten gründen laut der Resonanztheorie auf Erfahrungen herausragender Resonanz- und Entfremdungsbe-
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gegnungen. Diese führen vor allem zu grundlegenden Stellungnahmen als kognitive Komponente und grundlegenden Gestimmtheiten als affektive Komponente. Auch Collins stellt als Ergebnisse besonders emotionaler Interaktionsdynamiken kognitive Komponenten dar. Diese betreffen in Form von Codierungen vor allem die eigene Macht und den Status sowie die Machtlandkarte der sozialen Umwelt. Affektive Folgen sind entweder das direkte affektive Nachschwingen nach der Interaktion selbst oder die Regenerierung Emotionaler Energie aus jenen kognitiven Codierungen heraus. Das leitet zum beschriebenen Begründungszusammenhang zur erfahrungsgebundenen Prädisponiertheit affektiver Hintergründe über. Dieser Zusammenhang wird jedoch in beiden Theorien direkt aus konkreten Begegnungserfahrungen vermittelt beschrieben. Damit legen beide theoretischen Ansätze zugleich ihre primären Blickrichtungen offen, aus welcher sie fundamental affektive Grundmodi der Begegnung heraus überhaupt definieren und charakterisieren. Denn beide tun dies im antizipierenden Blick auf potenzielle, sich daraus generierende Beziehungsverhältnisse. Hier setzt daher der zentrale Kritikpunkt der Bestimmung affektiver Hintergründe in der Resonanztheorie Rosas und der Theorie Emotionaler Energie Collins’ an. Zwar muss insbesondere Collins’ Interesse an einer differenzierten Beschreibung affektiver Hintergründe gewürdigt werden, die nicht primär an klassischen Emotionen orientiert ist, sondern deren elementare soziale Genese als Formen von Gefühlen sozialer Einbindung und Beständigkeit respektiert. Dennoch verspricht ein differenzierter Blick auf die Verschränkung affektiver Strukturen mit kulturellen Ordnungen und schematisierenden Prädispositionen eine weitere Annäherung an affektive Hintergründe.
VERSCHRÄNKUNG AFFEKTIVER UND SOZIALER STRUKTUREN Laut der Resonanztheorie Rosas gründen Angst und Begehren als affektive Hintergründe auf dem grundlegenden Bedürfnis nach Resonanz. Solidarische Beziehungen dienen als stabile Resonanzachsen der Ermöglichung von Resonanz. Bei Collins ist dieses Verhältnis solidarischer Begegnungen und Emotionaler Energie nicht so eindeutig. Zwar brauchen auch hier Individuen gelingende Begegnungen, um Solidarität und eine geteilte soziale Wirklichkeit herzustellen, doch bestimmt sich das Ergebnis für affektive Hintergründe nicht nur nach dem Grad der solidarischen Bindung, sondern eher danach, was aus Sicht des Individuums als emotional gewinnbringende Begegnung angesehen wird. Die Bestimmung Emotionaler Energie leitet sich bei Collins aus vorangegangenen Begegnungen
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entlang der Dimensionen erfahrener Macht- und Statusverhältnisse ab. Handlungsleitend und damit zentrale Begründung ist sie selbst. Emotionale Energie lässt sich somit nicht mit dem Gefühl gelingender Resonanz oder deren Ermöglichung gleichsetzen. Ebenso wenig lassen sich affektive Hintergründe bei Collins einfach auf das Gefühl von Macht oder Unterlegenheit reduzieren, wie sich die Ausrichtung affektiver Hintergründe auch nicht schlicht als Streben nach Dominanz im Machtverhältnis in Begegnungen verstehen lässt. Der Unterschied, welcher hier herausgestellt werden soll, ist kein unwesentlicher und ein für die Verknüpfung affektiver Strukturen mit sozialen Praktiken und Strukturen einerseits sowie kulturellen Ordnungen andererseits zentraler Aspekt. Verdeutlichen lässt sich dieser in der Unterscheidung der Begriffe der solidarischen Einbindung bei Collins entgegen dem der Resonanz bei Rosa. Meint Resonanz die wechselseitig zugewandte Verknüpfung in der Begegnung und bildet in der Resonanztheorie den motivationalen Fluchtpunkt affektiver Hintergründe, bedeutet Solidarität bei Collins etwas anderes. Solidarität beschreibt die soziale Einbindung, das Bestehen im stets in Interaktionen verhandelten kollektiven Beziehungsnetz. Denn Begegnungen sind bei Collins von Grund auf konfligierend gedacht. Macht, verstanden als Möglichkeit modaler Repression, und Solidarität schließen sich daher nicht aus, sondern müssen im Ganzen ins Verhältnis gesetzt und austariert werden. Die Ausrichtung affektiver Hintergründe kann somit nicht die gelungene Begegnung als Fluchtpunkt haben, weil deren Nutzen und Notwendigkeit jeweils unterschiedlich sein kann. Affektive Hintergründe können nur sich selbst zum Fluchtpunkt haben, weil sie auf das affektive Vermögen abzielen, Solidarität und Macht zusammenbringen zu können. Nichts anderes meint die von Collins gezeichnete affektive Gestalt Emotionaler Energie. Um es noch einmal anders klarer zu machen: Während der Fluchtpunkt der Resonanztheorie sich in der Beziehung, nämlich der resonanten, erfüllt, zielt der des Modells der Emotionalen Energie auf den affektiven Zustand der potenziellen Ermöglichung einer solidarischen Einbindung. Jedoch immer erst als Folge unterschiedlicher Begegnungen und mit dem Fokus darauf, eigene affektive Ressourcen erhalten oder verstärken zu können. Beide Theorien machen damit auf zwei verschränkte Perspektiven aufmerksam: einmal die der eigentlichen Realisierung affektiver Prozesse in der Begegnung und deren Folgen für soziale Beziehungsverhältnisse und Praktiken. Eine zweite Perspektive richtet sich indes darauf, in welcher Weise affektive Modi in der Begegnung prädisponiert sind. Beide hängen eng zusammen, da affektive Erfahrungen und deren Folgen immer auch affektive Dispositionen kommender Begegnungen begründen. Beide Theorien bieten entsprechend Erklärungen affektiver Dispositionen an; Collins eher in der Beschreibung des Transports Emotionaler Energie
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und deren Bedeutung als affektive Hintergründe in der Begegnung. Rosa hingegen thematisiert vor allem kulturspezifische und institutionalisierte Rahmungen der Begegnungssituation. Soziale Beziehungsverhältnisse Die Bedeutung, die Collins Emotionaler Energie für das Soziale, für institutionalisierte Praktiken und Beziehungsverhältnisse unterstellt, lässt sich gar nicht so leicht verdeutlichen – nicht, weil sie so speziell oder gar marginal wäre, sondern eher im Gegenteil. Im Grunde lassen sich alle sozialen Strukturen, seien es spezifische hierarchische Verhältnisse in Organisationen, seien es generalisierte Geschlechter-, Generationen- und Familienverhältnisse oder persönliche Statuspositionen, auf affektiv begründete Modi der Interaktionsgestaltung und emotionale Verkettungen in Begegnungen zurückführen. Auch Eva Illouz muss, entsprechend der einführend vorgestellten Bestimmung des Affektiven, in dieser Grundauffassung der Bedeutung des Affektiven für das Soziale verstanden werden, wenn sie hervorhebt, dass sich das Emotionale mit sozialen Beziehungen nicht nur in ein wechselseitiges Einflussverhältnis stellen lässt, sondern sich Affektives und Soziales wechselseitig definieren und konstituieren (Illouz 2007). Mit Blick auf die Resonanztheorie scheint ein zentraler Ansatzpunkt hierzu die Typisierung verschiedener Beziehungsstrategien als Folge konkreter, vor allem sehr prägender Begegnungserfahrungen zu sein; Interaktionen also, in denen Repressionserfahrungen oder aber Erfahrung von Resonanz als besonders intensiv erlebt und entsprechend bedeutsam beurteilt wurden. Diese Erfahrungen prägen jedoch nicht per se soziale Praktiken und Beziehungsverhältnisse, sondern die darauf zurückzuführenden steten Suchbewegungen nach Resonanz und Vermeidungsbewegungen von Entfremdungserfahrungen. Es würde jedoch zu kurz greifen, würde man jene Begegnungserfahrungen lediglich als Orientierungspunkte für Individuen begreifen. Rosa macht hierzu deutlich, dass Selbst und Welt dieser Beziehung nicht vorangehen können. Sie konstituieren sich wechselseitig eben aus jener Bezugsweise zueinander heraus. Insofern gründen soziale Praktiken und gesellschaftliche Beziehungsverhältnisse nicht einfach auf Erfahrungen gelungener Begegnungsgestaltungen. Diese Vorstellung würde übersehen, dass Prozesse der Subjektivierung immer im Kontext jener bereits etablierten Praktiken, Institutionen und Logiken stattfinden, die sich im gesamten Netzwerk aller Begegnungen der Individuen realisieren. Daran anschließend folgen beide Modelle bei der grundlegenden Bestimmung affektiver Hintergründe derselben Blickrichtung, denn beide leiten die kontradiktorische Gestalt affektiver Hintergründe von der Vorstellung einer kontradiktorischen Beziehungsgestaltung ab. Im Falle Rosas bezieht sich dies
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auf die resonante gegenüber der stummen Beziehung. Bei Collins meint dies die vorteilhafte Macht- und Statusposition gegenüber einer untervorteilhaften und damit schlechter solidarisch eingebundenen Beziehung. Es ist daher nur folgerichtig, die Verschränkung der daran sich abzeichnenden Gestalt affektiver Hintergründe vor allem mit sozialen Praktiken, kulturellen Institutionen und dem physischen Raum in den Blick zu nehmen. Denn diese bilden die Rahmenbedingungen, unter denen jene Begegnungen stattfinden können. Die bisherigen Darstellungen des Affektiven in der Resonanztheorie und im Modell Emotionaler Energie haben erkennen lassen, dass es doch vor allem die affektiven Dimensionen der Begegnung sind, die einerseits soziale Beziehungsverhältnisse begründen und definieren, andererseits es aber auch sie sind, die vor allem sozial eingefordert, überwacht und sanktioniert werden. Insofern müssen affektive Prozesse der Begegnung mit gesellschaftlichen, kulturellen und lebensweltlichen Praktiken der Hierarchisierungen, Statuszuweisung und der Resonanz- und Solidarisierungsverhinderung und -behinderung abgeglichen sowie deren Weisen der Organisation, Überwachung und Diskursivierung von Emotionen und Stimmungen reflektiert werden. Postmoderne Gesellschaftsstrukturen stehen nicht nur im engen Zusammenhang mit den Weisen des affektiven Umgangs miteinander und mit Welt, sondern sie bedingen und entwerfen sich wechselseitig (vgl. auch Illouz 2006). Sowohl Rosa als auch Collins haben dies im Rahmen ihrer Modelle der affektiven Fundierung und Bedeutung von Begegnungen zu systematisieren und mit Blick auf unterschiedliche Formen der Begegnung zu begründen versucht. Soziale Ordnungen und affektive Dispositionen Im Kern setzten beide Modelle somit situationsanalytisch an. Hauptfokus bleibt die Begegnung respektive Interaktion, die in ihrer unmittelbaren und mittelbaren affektiven Prozessualität erfasst und in ihren Folgen für affektiv begründete Beziehungsverhältnisse beschrieben wird. Was aus dieser Blickrichtung der Bestimmung affektiver Hintergründe von der Resonanztheorie und dem Modell Emotionaler Energie weniger beachtet wird, sind die Prädispositionen der Transformationsformen zu affektiven Hintergründen und die Bedeutung kulturell und historisch geprägter Ordnungen dabei. Mit der Fokussierung auf grundlegende Stellungnahmen stellt Rosa eine Form des latent Affektiven zur Diskussion, das sich ebenso wie alle anderen Ebenen der Begegnung auch in der Auseinandersetzung, in der Gespanntheit zwischen individuellen und kollektiven Dispositionen, entwirft. Im Grunde wird damit die Vorstellung eines dauerhaften Bestands an kulturellen Ordnungen reinterpretiert und transzendente, kollektive Strukturen werden auf eine andere zeitliche Struktur des Situativen bezogen. Die situative
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Transformation grundlegender Stellungnahmen in affektive Hintergründe kann damit in Hinblick auf ein komplexes Passungsverhältnis evaluativer, kognitiver und affektiver Aspekte ausgelegt werden. In dieser Hinsicht steht Rosa, insofern seine Ausführungen zu diagonalen Resonanzachsen und grundlegenden Stellungnahmen dies so zu interpretieren erlauben, Collins durchaus nahe, der bekanntlich ebenso wenig von kollektiven, abstrakten Strukturen des Sozialen hält. Gleichwohl beschreibt die Resonanztheorie diese Dispositionen als relativ beständige Strategien der Resonanzsuche und Entfremdungsvermeidung. Collins Medium der Transformation des Affektiven zur Disposition darauffolgender affektiver Begegnungsmodi stellen Symbole dar. In dem Maße, in dem sich affektive Dynamiken in Interaktionen an Symbole binden, können diese an Bedeutung für affektive Hintergründe künftiger Begegnungen gewinnen. Symbole bereiten damit nicht nur allgemeine Handlungsbereitschaften zur sozialen Kontaktaufnahme vor, wie sich schon bei Frijda (1986, 13; 71) nachlesen lässt, sondern vermitteln das Selbstverständnis und die dahinterstehende Energie, sich einer definierten Gruppe zuzuordnen, sich darin zu positionieren und in bestimmten Formen sozialer Begegnungen die Initiative zu ergreifen (vgl. Collins 1990, 40). Der sozial ordnende Aspekt daran ist vor allem in Collins’ Hinweis zu finden, dass jene Symbole kollektiv zirkulieren (vgl. Collins 2004, 87). Dies meint, dass kollektive Aufmerksamkeiten überhaupt erst die Bindung affektiver Erfahrungen an spezifische Symbole im hohen Maße vorstrukturieren und damit kollektive Passungsverhältnisse vorbereiten. Denn das, was Grenzen zieht zwischen Individuen, zwischen Gruppen, zwischen innen und außen, ist nach Collins die Aufmerksamkeit (vgl. Collins 2004, 76). Die sich in der Aufmerksamkeit auf kollektive Symbole solidarisierende Gruppe bleibt dabei jedoch eine überwiegend anonyme Masse. Innerhalb von persönlichen Interaktionsnetzwerken hingegen zirkulieren eigene Symbole, die weniger objektgebunden denn mehr in engmaschigen Konversationen narrativ reproduziert werden. Für Collins ist die jeweilige Art des Symbols dabei weniger relevant. Er gibt hierzu lediglich zu erkennen, dass es sich bei generalisierten Symbolen vor allem um Objekte handelt, die eine entsprechend große Aufmerksamkeit erlangen können. Dies können in der Öffentlichkeit stehende Personen ebenso sein wie Statuen, Gebäude, Begriffe oder beispielsweise eine Filmmusik. In welcher Weise sich diese kollektiven Symbole konkret in der Situation in affektive Hintergründe übersetzen, bleibt indes offen. Ebenso bleibt die Frage ungeklärt, ob jene kollektiven Symbole nicht nur über die ihnen zuteil gewordene Aufmerksamkeit, sondern über sich damit fortpflanzende kulturelle Generierungsprozesse inhärenter Präsenzen und Aufmerksamkeitscharaktere zu ihrer Bedeutung in der Interaktionssituation gelangen. Obwohl das Modell der Emotionalen Energie die Bedeutung
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affektiver Folgen von Begegnungen für affektive Dispositionen als eigentlichen Fluchtpunkt ausmacht, werden die Weisen der (Re-)Transformation nur innerhalb des Affektiven selbst beleuchtet. Die Resonanztheorie fasst demgegenüber kulturelle und institutionalisierte Bedingungen der Beziehungsgestaltung in den Blick. Konkrete und differenzierbare Wege der Re-Transformation affektiver Grundhaltungen und Ressourcen in situative affektive Hintergründe thematisieren darüber hinaus beide Ansätze nur marginal. Dabei stellt sich jedoch gerade daran anschließend die Frage, inwiefern in der steten Wiederholung spezifischer Beziehungspraktiken soziale Bedeutungen und Werte, wenn nicht in objektiver Gestalt, so doch als kulturelle Logiken der Transformation, mit beschreibbaren affektiven Hintergründen ins Verhältnis gesetzt werden können. Genauer lässt sich danach fragen, ob nicht ungeachtet situativer Bedingungen der Begegnung, antizipierter Beziehungsverhältnisse und affektiver Ressourcen kulturspezifische Ordnungen und deren Wandel Bedeutung in der Transformation affektiver Dispositionen in affektive Hintergründe erlangen. Sowohl die Resonanztheorie als auch das Modell Emotionaler Energie beschreiben affektive Prozesse in ihrer Grundsätzlichkeit und tun sich entsprechend schwer, kulturelle Unterschiede herauszustellen. Wie jedoch prädisponieren kultur- und lebensweltspezifische Wert- und Bedeutungsstrukturen und sedimentierte Ordnungen hierarchisierter Beziehungsverhältnis ganz hintergründig die Umsetzung affektiver Ressourcen in der Begegnungssituation? Dazu bedarf es zum einen unabdingbar einer Differenzierung affektiver Hintergründe, die nicht nur an offensichtlichen, kontradiktorischen Beziehungsverhältnissen abgelesen werden können. Zum anderen bedarf es aber auch einer näheren Beleuchtung der Begegnung als Ort der Transformation und des wechselseitigen Aufmerkens selbst und deren Prädispositionen.
Kapitel 5 Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten als Austragungsorte affektiver Hintergründe
Erklärungen dazu, warum sich Weisen des affektiven In-der-Welt-seins voneinander unterscheiden – zwischen Menschen, zwischen Kulturen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Kindern und Erwachsenen, zwischen Berufsständen, zwischen »Machern« und »Gescheiterten« – sind vielfältig. Ebenso Erklärungen dazu, welche affektiven Muster bei allen gleich zu sein scheinen, seien diese neurobiologisch begründet als physiologisches Bedürfnis, seien sie an psychologischen Axiomen der Bedürfnisbefriedigung natürlicher basic human needs orientiert oder anthropologisch auf breiter Basis hermeneutischer, philosophischer und phänomenologischer Methodologien aufgezeigt. Auch die soziologische Beachtung des sozialen Wesens des Menschen als Ausgangspunkt emotionssoziologischer oder kulturwissenschaftlicher Perspektiven auf das Affektive findet seine Berechtigung. Rosas Bündelung zwischenmenschlicher Weisen der Begegnung auf den Begriff der Resonanz findet eben hier ihren Fluchtpunkt. Ebenso knüpft Collins’ Bestimmung des Menschen als mit seinem Emotionshaushalt wesentlich an die Prozesse und Folgen sozialer Begegnungen gebunden an das Bild des homo sentimentalis an. In dieser Perspektive bildet die Begegnung selbst und die sich darin entfaltende Dynamik und Macht des Wechselbezugs den heißen Kessel sozialer Bindungen und Verwerfungen, sowohl in ihrem Wandel als auch in ihrer Konstanz. Deren unscheinbare Substanz, das Bindende und Spaltende zugleich, ist das Affektive und ist das, was vor allem anderen im Topf ist. Allerdings, auch dies wurde bereits erläutert, sind die jeweiligen Perspektiven auf den homo sentimentalis des sozialen Wesens unterschiedlich. Sieht die Resonanztheorie das affektive Erleben direkt in der Begegnung auflebend und erfüllt, lässt sich dies für das Modell Emotionaler Energie nicht uneingeschränkt
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behaupten. Mehr als Rosa sieht Collins das Affektive des Individuums in sich selbst begründet und nach sich selbst strebend. Die soziale Realität ist dann bedingender Aspekt des affektiven Individuums. Alles in allem haben die bisherigen Ausführungen auch deutlich werden lassen, dass affektive Modi der gemeinsamen Begegnungsgestaltung zwar auf anthropologische Konstanten in ihrem Wesen hindeuten, in ihrer individuellen und kollektiven Genese und Bedeutung jedoch differenziert betrachtet werden müssen. Die vorgestellten Konzepte eines universellen Strebens nach Emotionaler Energie oder dem Bedürfnis nach Resonanz bündeln anthropologische Konstanten somit zum Preis einer begrenzenden Sicht auf Diversitäten des Affektiven und die Vielgestalt kultureller Unterschiede. Notwendig scheint daher, über die bisher angebahnte Verschränkung affektiver Phänomene und Hintergründe mit gesellschaftlichen, kulturellen und lebensweltlichen Strukturen mehr sagen zu können. Denn es ist nach wie vor wenig ersichtlich, auf welchem Wege sich individuelle und kollektive Dispositionen zu affektiven Hintergründen in der Begegnung umsetzen und mit welchen Folgen für affektive Prozesse. Ziel muss darüber hinaus sein, gezielt auch kulturelle Ordnungen als kollektive Dispositionen des Affektiven in den Blick zu nehmen und diese über die Art und Weise ihrer Transformation konkreter systematisieren zu können. Im Folgenden soll sich der Prädisponiertheit affektiver Hintergründe daher gesondert gewidmet werden, genauer: jener Schnittstelle der Transformation, welche die im Grunde doch komplementären Strukturen des Affektiven der Resonanztheorie Hartmut Rosas und dem Modell Emotionaler Energie Randall Collins bisweilen undifferenziert lassen. Bisher dazu festgehalten werden kann Folgendes. Zum einen begründen disparate Begegnungsmodi grundsätzlich disparate Formen von Beziehungsverhältnissen, in welchen komplexen Beziehungsnetzwerken sich diese in der sozialen Realität dann auch immer darstellen. In der Resonanztheorie stellen dies Formen resonanter oder entfremdeter Beziehungen dar, welche sich auf allen Resonanzachsen finden lassen. Die Theorie der Interaktionsritualketten hingegen beschreibt konfligierende gegenüber solidarisierenden Beziehungsformen, welche sich dann in einem Maß an errungener Solidarität ausdrücken. Zum zweiten stützen sich beide Modelle in der Mikroperspektive der Begegnung auf kontradiktorisch verfasste Modi der wechselseitigen Interaktion. Ausgehend von differenten Konzeptionen definierter Beziehungsverhältnisse jedoch unterscheiden sich die jeweiligen Perspektiven auf und Definitionen von affektiven Hintergründen erheblich. In der Resonanztheorie skizzieren diese zu- oder abwendende affektiv-performative Movens zueinander. Collins dagegen baut auf einem empirischen Erfahrungssatz verschiedenster Mikrointeraktionsweisen von
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Subjekten auf, die sich zusammen genommen ebenso als Set entgegengesetzter Modi konfligierender gegenüber synchronisierender Weisen der Begegnung einordnen lassen. Dies zeigt sich darin, dass konfligierende Weisen stets solidarische Grundannahmen erschüttern, wie auch umgekehrt solidarisierende Weisen konfligierenden Grundannahmen zuwiderlaufen. Als dritte Gemeinsamkeit bieten beide Modelle kognitiv-evaluative Verstetigungsformen affektiver Begegnungserfahrungen an. Wenn bei Collins also die Rede von Grundannahmen ist, so bezieht sich dies auf situativ antizipierte und erfahrene Annahmen zum Selbst, zum Gegenüber und zum Beziehungsverhältnis in Begegnungen, welche sich jedoch zumeist affektiv in der Form Emotionaler Energie realisieren. Annahmen, etwa stets von anderen respektiert zu werden oder aber ein kaum beachtetes Mitglied der Gruppe zu sein, realisieren sich als Empfindungsweise und nicht zwangsläufig als konkreter Gedanke. Bei Rosa gründen affektive Beziehungserfahrungen in grundlegende Stellungnahmen und verallgemeinerte Strategien der Resonanzsuche in Beziehungen. Auch diese Stellungnahmen entfalten sich in der Begegnung wiederum als Grundempfindungen. Die vierte Parallele besteht somit darin, dass jene erfahrungsbegründeten Dispositionen erst in ihrer Transformation zu affektiven Hintergründen in der erneuten Begegnung an Bedeutung erlangen. Dies tun sie somit grundlegend affektiv. Kognitiv archivierte affektive Dispositionen beschreiben damit spezifische Formen impliziten, handlungsleitenden Wissens. Bei Collins objektiviert sich dieses Wissen in aufgemerkten Symbolen der Begegnung, die über Passungsschemata wiederum zu affektiven Dispositionen der Situation werden. Bei Rosa hingegen bleiben jene Dispositionen als Grundgestimmtheiten stets in Begegnung und damit immer auch affektiv. Die fünfte und entscheidende Übereinkunft beider Modelle besteht damit jedoch in der Blickrichtung, ausgehend von affektiven und teils impliziten Beziehungserfahrungen hin zu Weisen der Re-Transformation dieser in erneute affektive Begegnungsmodi. Die Genese der Formen des Affektiven und die Richtung der Transformation sind somit an die Bedeutungszuweisung divergierender Beziehungsformen gebunden. Dies meint, dass erst Bedeutungsbeimessungen affektiv differenter Beziehungen, entlang der Dimension der Resonanz im Falle der Resonanztheorie respektive der Dimension der Macht im Falle des Modells Emotionaler Energie, die Vorstellung affektiver Hintergründe und ihrer Transformationsweisen bestimmen. Definierender Zenit affektiver Grundmodi ist in beiden Fällen die Unterscheidung gegensätzlich disparater Beziehungsformen. Collins’ Ansatz der Interaktionsritualketten bietet die Perspektive aus der dialektischen Mikrosituation heraus in Richtung der Genese, Struktur und Bedeutung
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affektiver Hintergründe für künftige, disparate Handlungsmodi. Rosas Modell bietet ein Bild der Transformation in Form der kulturellen und institutionellen Prädisponiertheit der Begegnungsgestaltung in Richtung resonanter und entfremdeter Beziehungen. Was bleibt offen? Die zentrale Frage, die sich aus der vergleichenden Gegenüberstellung der Strukturen des Affektiven beider Modelle ergibt, lautet: Was genau unterstellt diese Transformation spezifischer Beziehungserfahrungen und sozialer Praktiken in affektive Hintergründe? So kann weder die Resonanztheorie noch das Modell Emotionaler Energie Aussagen dazu machen, welche affektiven Dispositionen sich wie in spezifischen Situationen in welche affektiv-performativen Modi realisieren. Denn sie verfügen über keine Differenzierung affektiver Transformationswege in affektive Hintergründe. Das Erklärungsmodell der emotionalen Aufladung durch Resonanzerlebnisse oder mittels der Bindung an Symbole und deren Re-Aktualisierung durch irgendwie geartete Passungsverhältnisse erscheint als Grundprinzip plausibel. Es bleibt nichtsdestotrotz aber unkonkret. Zudem wird damit impliziert, dass die prädisponierte Transformation affektiver Dispositionen in affektive Hintergründe in der Begegnung direkt vermittelt ist. Es gibt somit keine schräge Schnittfläche zwischen dem erfahrungsgebundenen, affektiv Dispositionalem und der Weise der tatsächlichen Realisation affektiv-performativer Modi in der Begegnung. Es gibt auch keine Konflikte individueller und kollektiver Dispositionen. Kulturelle Strukturen setzen dann gewiss an den institutionalisierten Rahmungen der Begegnungspraktiken, an Gestaltungsweisen, Definitionen und Verteilungen von Ressourcen und dergleichen an – zuallererst natürlich auch an der Bestimmung und Grenzziehung potenzieller Entitäten der Begegnung. Doch ließe sich der Ort der Transformation in affektive Grundempfindungen nicht nur in einen Begründungszusammenhang stellen, sondern detailliert beschreiben, könnte sich in der Folge bisher offen gebliebenen Fragen gewidmet werden. Fragen etwa danach, inwiefern sich affektive Gründe nicht nur an disparaten Beziehungsformen, welche sie selbst begründen, bestimmen lassen müssten. Die Vermutung liegt zumindest nahe, dass ein differenzierter Blick auf Transformationswege in der Begegnung dann auch einen differenzierten Blick auf Formen affektiver Hintergründe erlauben. Daran anschließend ließe sich des Weiteren fragen, ob nicht kulturelle Ordnungen und Schemata direkt an jenen Weisen der Transformation selbst ansetzen; soziale Beziehungen und kulturelle Bedeutungen somit nicht nur mit den Beziehungsformen sozialer Akteure wech-
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selseitig verschränkt beschrieben werden müssen, sondern konkreter auch mit Schemata der Realisation zugrunde liegender affektiver Hintergründe selbst. Damit wäre zumindest eine Erklärungstiefe gewonnen. Erklärungen also dazu, wie denn überhaupt Definitionen und Bilder spezifischer Beziehungsverhältnisse in konkreten Begegnungen real werden können. Dass dies überwiegend unreflektiert affektiv geschieht, ist höchst plausibel. Damit ist jedoch noch nicht erklärt, wie genau sich jene Realisation affektiver Grundempfindungen aus was übersetzt. Ferner würde sich ansatzweise danach fragen lassen, inwiefern sich vergleichbare Grundannahmen und Erfahrungen sozialer Begegnungen dennoch jeweils historisch und kulturell spezifisch entlang der Überlagerung verschiedener Sinnordnungen unterscheiden und wandeln können. Denn gewiss gab es Resonanz- und Entfremdungsbeziehungen ebenso wie Macht- und Statusungleichheiten schon immer und ganz sicher waren die dahinterstehenden Grundannahmen und Strategien des Umgangs damit gar nicht so verschieden. Es gibt aber auch Unterschiede, wenngleich weniger in der Definition bindender oder schlechter Beziehungen oder hierarchischer Beziehungsverhältnisse im Allgemeinen. Unterschiede lassen sich doch eher dort vermuten, wo bestehende Verhältnisse gesichert werden sollen und die subtilsten Hebel gesellschaftlicher Wandlungsprozesse anzusetzen sind. Jener Ort der Transformation spezifischer Dispositionen in affektive Hintergründe der elementaren Begegnungsgestaltung verspricht kulturelle Ordnungen zu verschränken, welche, ungeachtet reflektierter Grundannahmen und Beziehungsverhältnisse, die Weisen affektiv-performativen Begegnungsgestaltungen und damit sozialer Beziehungsverhältnisse prädisponieren. Perspektivwechsel Es scheint also durchaus vielversprechend zu sein, jene Mechanismen der Adhoc-Regenerierung affektiv-performativer Modi in der Begegnung näher zu beleuchten. Die Notwendigkeit eines solchen Perspektivwechsels und damit der differenzierten Bestimmung affektiver Hintergründe ergänzt um eine systematische Betrachtung der Transformationsschemata affektiver Dispositionen ergibt sich daraus, dass affektive Hintergründe, sobald man beginnt sie konkreter in Augenschein zu nehmen, sehr deutlich erkennen lassen, dass die phänomenologische Diversität und Subtilität affektiver Grundempfindungen und bereits schon latenter Stimmungen eine davon ausgehende umfassende Konzeptualisierung universaler Familienstrukturen verhindern. Am ersichtlichsten wird diese Tatsache darin, dass es unmöglich scheint, affektive Phänomene konkret und vollständig zu erfassen. Diese Schwierigkeit äußert sich bei Rosa im Versuch, von
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der phänomenologisch-qualitativen Seite der Erscheinung affektiver Dynamiken auf eine rein systematische Betrachtungsweise affektiver Begegnungsmodi zu abstrahieren. Collins hingegen wendet sich sehr wohl der qualitativen Weise von affektiven Prozessen und latenten Grundempfindungen zu. Sein Versuch, dieser fehlenden Fassbarkeit affektiver Qualitäten entgegenzuwirken, zeigt sich daher eher in der Fokussierung einer konflikt-interaktionistischen Perspektive und der daraus abgeleiteten Bündelung unter dem Aspekt der Energie. Rosa und Collins sind mit dieser Problematik natürlich nicht allein. Im Grunde lässt sich immer dann, wenn Theoretiker, seien sie wie auch immer anthropologisch, sozial- und kulturwissenschaftlich, psychologisch oder philosophisch ausgerichtet, an einer Auflistung und Bestimmung affektiver Phänomen interessiert sind, eine Form der perspektivgeleiteten oder interessenspezifischen – und damit immer im gewissen Maße willkürlichen – Kanonisierung vermuten. Eine fundierende Perspektive auf die basalen Transformationsstrukturen affektiver Elemente, nicht als bereits dynamischer Prozess, sondern als Bedingung der Situation, dient somit zunächst einmal dazu, den Blick auf das Affektive zu erweitern. Wesentlich dabei ist das Modell der Transformation als jenes der Vermittlung und Übersetzung zwischen dem non-situativ Dispositionalem und den situativ-realen affektiven Hintergründen. Ausgehend der Mikrosituation der Begegnung und der gegenseitig antizipierten und somit sich wechselseitig bedingenden Modi der Beziehungsgestaltung erlaubt dies jedoch einen ebenso hier ansetzenden Perspektivwechsel. Der Blick richtet sich ausgehend der empirischen Befundlage beschreibbarer Mikrodetails nicht auf die sich herauskristallisierenden Beziehungsformen, sondern wendet sich abstrahierend davon auf die eigentlichen Mechanismen des Hervorbringens affektiver Modi. Die Frage lautet, wie sich von einer bereits generalisierten Ebene affektiver Grundmodi eine systematische Struktur der Transformation affektiver Dispositionen ableiten lässt. Basalster Ansatzpunkt einer Dekomposition der Begegnungssituation kann dabei nichts anderes sein als deren Grundbedingung, das Moment der Aufmerksamkeit. Die Aufgabe ist somit, diese unterstellte Vielgestalt affektiver Empfindungen, trotz einer grundlegenden Polarität zu- versus abwendender affektiver Grundmodi, mit den darstellbaren Mustern des Ineinandergreifens jener Grundmodi mit den Grundbedingungen wechselseitiger und in sozialen Begegnungen geteilten Aufmerksamkeiten zusammenzubringen. Vorgeschlagen wird somit die Einnahme einer Doppelperspektive auf affektive Hintergründe – zum einen in Richtung der von diesen begründeten Begegnungsformen und zum anderen in Richtung der diesen vorangehenden Weisen der Aufmerksamkeit. Diese Doppelperspektive könnte zudem erreichen, den nach wie vor teilweise mystischen Hauch des hintergründig Affektiven zu ver-
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klaren. Denn trotz der Rückbindung Emotionaler Energie an Macht- und Statuserfahrungen im Modell Collins’ respektive Angst und Begehren an kulturelle Resonanzbedingungen bleibt jenen affektiven Grundempfindungen in beiden Ansätzen stets etwas anthropologisch Basales und damit ein Stück weit Magisches des Menschseins verhaftet. In der Differenzierung der Strukturen der Transformation aber gibt es keine absoluten affektiven Hintergründe. Grundempfindungen also, die unabhängig von der Situation mit demselben Maß gemessen werden können. Affektive Hintergründe können somit nur in ihrem doppelten Wechselbezug, als Folge und als Bedingung zur Begegnungssituation, verstanden werden.
AUFMERKSAMKEIT UND AFFEKTIVE MODI IN DER BEGEGNUNG Der Begriff der Aufmerksamkeit ist in der soziologischen Theorie durchaus häufig vertreten. Nur die Perspektiven und Ansatzpunkte unterscheiden sich mitunter so beträchtlich, dass von einem soziologischen Interesse am Phänomen der Aufmerksamkeit als zentrale Kategorie des Sozialen eher nicht die Rede sein kann (vgl. Schroer 2014, 194). Empirische Forschung auf dem Feld der Aufmerksamkeit knüpft zumeist an psychologische Traditionen an und wendet sich beispielsweise Fragen danach zu, wie Wahrnehmung gelenkt und Informationen ausgewählt werden (u.a. Roth 2003; Ansorge und Leder 2011, 2017; Karnath und Thier 2012). Für soziologische Fragestellungen helfen solche Zugänge jedoch aus Sicht kultureller Diversität und Historizität nur bedingt weiter (vgl. Crary 2002; Hahn 2001; Schroer 2014). Den Mittelpunkt des aktuellen soziologischen Interesses bildet zudem der über lange Zeit randständig gebliebene makro-soziale Kampf um Aufmerksamkeit, der erst seit den Arbeiten Georg Francks (1998) intensive Aufmerksamkeit erfährt (Beck und Schweiger 2001; Nolte 2005; Bublitz 2014; Bleicher und Hickethier 2002). Der Rückgriff auf die Begegnungsebene des wechselseitigen Aufmerksamkeitsbezugs ist dagegen kaum theoretisch systematisiert. Dabei ist schon aus Gründen des sozialen Zusammenhalts die Fähigkeit, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, dem anderen Sichtbarkeit zuteilwerden zu lassen sowie sich der geteilten Aufmerksamkeit zu vergewissern, eine Grundbedingung des Sozialen (Mead 1973 [1934]). Alles in allem bleibt eine explizite Thematisierung von Aufmerksamkeit aus situationsanalytischer Perspektive ko-konstruierter Aufmerksamkeit in Interaktionen allermeist aus oder orientiert sich an der phänomenologischen Dialektik von Aufmerksamkeit und Gewohnheit (Benjamin 1974; Schütz und
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Luckmann 1988), der Aufmerksamkeit des Subjekts in der Lebenswelt also, nicht der Konstruktion eines wechselseitigen Aufmerksamkeitsfeldes. Doch erst hierin wird das konfliktäre Wesen von Aufmerksamkeit erkennbar. Bezogen werden kann dies auf das Prinzip einer Über- und Unterordnung und Selektion konkurrierender Entitäten. Auf diesem Grundgedanken bauen Annahmen davon auf, dass unterschiedliche Aufmerksamkeitsfokusse zwischen Amateur und Profession, zwischen Erfolg und Verlust und zwischen Weltanschauungen unterscheiden. »Von soziologischer Bedeutung ist darüber hinaus, dass sich nicht nur Gesellschaften im historischen und aktuellen Vergleich hinsichtlich ihrer Aufmerksamkeitsfokusse unterscheiden, sondern auch nach Geschlecht, Beruf und Milieu differenziert die Aufmerksamkeit auf Verschiedenes gelenkt wird.« (Schroer 2014, 200) Macht der Aufmerksamkeit So ist man spätestens an dieser Stelle, wenn man von Aufmerksamkeit ausgehend der Mikroebene subtiler Koordinationspraktiken sprechen will, auf die Macht der Aufmerksamkeit verwiesen, wie sie etwa von Waldenfels differenziert diskutiert worden ist (Waldenfels 2015). Mit Aufmerksamkeit wird dabei die Vorstellung des Sichtbarwerdens und damit die Realisierung einer Möglichkeit aus einem Fundus potenziell unzähliger Möglichkeiten verbunden. Modi der subjektiv möglichen und intersubjektiv konstruierten Aufmerksamkeit werden damit zur Schnittstelle zwischen potenziellen Dispositionen respektive sozialen Möglichkeiten und beobachtbarer sozialer Wirklichkeit. Das Verhältnis von Macht und Aufmerksamkeit stellt sich dann dar als Macht des »Aufmerksammachens«. So Waldenfels: »Die Aufmerksamkeit gewinnt eine praktische Dimension, wenn es zur Ausbildung von Aufmerksamkeitspraktiken kommt und sich eine Aufmerksamkeitspolitik wie auch eine Aufmerksamkeitsökonomie herausbildet.« (Waldenfels 2015, 228) Waldenfels nennt dies die Macht der Auffälligkeit beziehungsweise Unauffälligkeit, ohne dabei jedoch ausgangs die kollektive Realitätskonstruktion in der sozialen Begegnung thematisiert zu haben. »Die Steuerung der Aufmerksamkeit bleibt nicht beschränkt auf die Steuerung von Kräften in einem Aufmerksamkeitsfeld, sie potenziert sich in Form einer Selbst- und Fremdsteuerung, einer Einwirkung auf uns selbst und auf andere, die wir mit einem geläufigen Wort als Aufmerksammachen bezeichnen. Damit erreicht das Aufmerksamkeitsgeschehen seine soziale Dimension. Die Wirkkraft, die an dieser Stelle tätig wird, bezeichnen wir als Macht.« (Waldenfels 2015, 233)
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In seinen Überlegungen erfasst Waldenfels Aufmerksamkeit als Geschehen, Ereignis und Akt wie Disposition und Können zugleich und damit auf eine Doppelstellung als Disposition und Situation zugleich (vgl. Waldenfels 2015, 9). Möglicherweis ist die Aufmerksamkeit aber ein Zwischen, zwischen Disposition und Situation, und damit im Grunde keines von beiden zur Gänze. Sie wäre dann der schräge Schnitt durch die Verschränkung von potenziell Möglichem und situativ Zu-Tage-Tretendem – und damit Ereignis des Sichtbarwerdens. Sichtbar aber wird nicht das, was ist, sondern das, was vom steten Mittelwert abweicht (vgl. Waldenfels nach Cahiers, 34). Damit ist nicht gemeint, dass in dieser Brechung nicht auch eine Ordnung bestätigt oder zumindest gesucht wird, aber auch umgekehrt zu dem Duft, der Farbe, dem Blick, der Geste oder gar zu dem historischen Ereignis werden kann (vgl. Waldenfels, 34f.). Was es ist, wird hier nicht entschieden. Was aber entschieden wird, ist die eigene Beziehung zum Aufgemerkten. Erst dann, wenn das, was sich ereignet, nicht einer vom Subjekt entrückten Regelhaftigkeit zugeordnet werden kann, fällt es auf das Subjekt zurück – fällt es an. Wie ein unbemerkt bleibendes Rauschen fahrender Autos, das erst dann bemerkt wird, wenn eines der Autos langsamer fährt und schließlich in der Nähe zum Stehen kommt. Oder aber der eigene Herzschlag, der erst bemerkt wird, wenn er aus dem Takt gerät. Ebenso stört erst jedes »regelwidrige« Niesen, Husten oder Stottern den Takt eines Gesprächs. »In diesem Geschehen wird etwas sichtbar, hörbar, fühlbar, indem es uns einfällt, auffällt, anzieht, abstößt […]«, gibt Waldenfels hier zu bedenken. Damit macht er auch auf die Beziehung von Subjekt und Aufgemerkten aufmerksam, denn im Erfahrungsfeld gibt es keinen alleinigen Akteur und auch nicht den Getroffenen. Die Verschränkung von Aktion und Passion, von Affekt und Emotion bedarf »der Namentlichkeit und Namenlosigkeit meiner selbst« (ebd., 35), so Waldenfels, und bedarf einer Form der Zurechnung. Festhalten lässt sich somit an dieser Stelle, dass jene schräge Schnittstelle zwischen dem affektiv Dispositionalem und dem sich affektiv Realisierenden nicht das getroffene, sondern das betroffene Subjekt steht, wie auch Rosa hervorgehoben wissen will. Die Macht der Aufmerksamkeit kommt einerseits dem verantwortlichen Subjekt zu, das sich selbst in Beziehung zu etwas setzt, dabei aber andererseits das Gegenüber aus seiner Verantwortung nicht entlässt (vgl. Waldenfels, 40f.). Damit wird die Macht des Aufmerkens und Sichtbarmachens im wechselseitigen Erfahrungsfeld aber immer auch zum Schicksal und zur Ohnmacht. Denn das, was aufgemerkt und damit sichtbar, fühlbar und denkbar wird, beschränkt den Moment auf genau diese Wirklichkeit. Das Unauffällige bleibt unbemerkt. Was aber hat die Macht, Sichtbarkeiten zu schaffen oder zu verwehren? Hans Blumenberg fragt in seiner Schrift Von den Sachen und zurück (2002) danach,
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»ob Kontur und Struktur das am Gegebenen vorgefundene Regulativ der Aufmerksamkeit sind oder ob die Aufmerksamkeit als entschlossener Eingriff in das Überangebot möglicher Bewusstseinsbindungen Konturen und Strukturen verortet induziert […]« (Blumenberg 2002, 182). Vermutlich ist es weder ganz das eine noch das andere. Mit Blick auf den Akteur als stets von Anfang an sozial interagierendes Individuum können dies weder bestehende äußere noch innere Charaktere sein. Vielmehr entscheidet die im sozialen Kontext erlernte Art und Weise aufzumerken, was und wie aufgemerkt wird. Ungeachtet dessen ist die Begegnung immer für den Moment das, was sie ist und was wechselseitig affiziert wird. Auch wenn das potenziell Mögliche und damit affektive Dispositionen davon nicht berührt sind, gehen Subjekt und Welt aus jedem Wechselverhältnis neu und verändert hervor. Das, was das Subjekt ist, definiert sich aus dem, was aus der Sicht des Subjekts als möglich erscheint (vgl. Massumi 2010, 26ff.). Macht und Solidarität durch Aufmerksamkeiten Macht im umfassenden Sinne Collins’ bedeutet die Macht zu haben, aus Interaktionen emotionalen Gewinn ziehen zu können. Im Allgemeinen meint dies bei Collins die Macht über Inhalte und Reputation, aber auch Macht über den anderen. Gemeinhin wird Macht auf die Beziehungsebene von Interaktionen ausgelegt, in Hinblick eines Gefälles der Weisungsmöglichkeiten zwischen den Interagierenden. Die Statusdimension nimmt dazu eine andere Perspektive ein, indem sie kenntlich macht, dass die Position innerhalb des Gruppengefüges erheblichen Einfluss auf die Präsenz und damit letztlich auf die Machtdimension hat. Die Resonanztheorie macht hingegen sehr deutlich, dass sich Macht in der Begegnung anders realisiert, nämlich als Macht über den Prozess und damit der Art und Weise der Begegnung. Auf der Begegnungsebene realisiert sich Macht als Möglichkeit, Einfluss auf die wechselseitige Koordination der Beteiligten zu nehmen. Macht ist hier feinkörniger und meint das, was Collins mit den subtilen Mechanismen der Rhythmusdominanz und -interruption vorführt. Macht auf der Begegnungsebene kann also beschrieben werden als Set spezifischer Modi kokonstruktiver Begegnungsverschränkungen, und zwar in Richtung einer asymmetrischen Verteilung dieser. Macht in der Begegnung meint damit letztlich Macht über den nur gemeinsam konstruierbaren Takt. Abstrahierend davon auf die notwendige Bedingung verschränkter Aufmerksamkeiten setzt Macht ebenso wie Solidarität aber genau hier an: an der Macht über Aufmerksamkeiten und der Solidarisierung in deren wechselseitiger Anerkennung.
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Grundlegender Ansatzpunkt soll also die elementare Ebene der wechselseitigen Aufmerksamkeit in der Begegnungssituation sein. Beide Autoren erfassen die Begegnung in ihren elementaren Sequenzen als diametral, also mal in die eine, mal in die andere Richtung der Zu- oder Abwendung beziehungsweise der Synchronisierung oder Konfligierung weisend. Soweit die Übereinkunft auf dieser Ebene affektiver Hintergründe. Wie aber verhalten sich an dieser Stelle die in ihren affektiven Korrelaten auseinandergehenden Ansätze zueinander, wenn man die Begegnung im Detail beleuchtet? Die Resonanztheorie benennt mit der Zuwendung gleichsam die affektive Bewegung der Hinwendung, während die Abwendung auf ein affektives Zurückweichen verweist. Im Modell Emotionaler Energie ist das anders. Hier meint die Mikrobewegung der Synchronisierung das Mitgehen im angeschlagenen Takt im Sinne einer wechselseitig zuträglichen Verschränkung individueller Rhythmen. Das Konfligieren stört diesen Prozess der Verschränkung oder verhindert ihn sogar. Beide performativen Bewegungsrichtungen lassen sich somit nicht mit einer affektiven Zu- oder Abwendung gleichsetzen. Angst und Begehren verhalten sich hierzu eher als transversal dazu. Denn sowohl die Synchronisierung als auch die Konfligierung können je nach Situation zu- oder abwendende affektive Bewegungen belegen. Eine Synchronisierungsbewegung kann entsprechend einer wachsenden solidarischen Bindung zugewandt sein. Sie kann aber auch eine zurückweichende beziehungsweise unterordnende Antwort auf eine Machtdemonstration sein. Gleiches gilt für die konfligierende Bewegung. Diese kann einerseits ein Macht- oder Statusbegehren demonstrieren und damit eine starke Zuwendung sein. Gleichzeitig können Rhythmusunterbrechungen und Dominanz durchaus auch eine Weise des ängstlichen Zurückweichens vorführen. Das Zurückweichen richtet sich damit abwendend gegen eine Solidarisierung. Hieraus wird zudem ersichtlich, warum Collins affektive Hintergründe nicht als Angst und Begehren betitelt, sondern als Maße der Eigeninitiative und des Vertrauens in das Selbst der Begegnung und die anzuerkennende Realität dieser. Im Grunde muss an dieser Stelle sogar geschlussfolgert werden, dass das, was Collins als Emotionale Energie beschreibt, mehr mit affektiven Dispositionen und Empfindungsphänomenen zu tun hat denn mit affektiven Hintergründen im engeren Sinne. Denn eine Umsetzung des Aufmerkens kann zunächst nur eine Hin- oder Abwendung sein. Die elementare Bedeutung dieser Grundbewegungen wird daran deutlich, wie schwer es zu sein scheint, sich von etwas Begehrtem abzuwenden beziehungsweise sich zu etwas Abstoßendem hinzuwenden. Waldenfels weist hierzu auf einen klassischen Schimpansenversuch von Wolfgang Köhler hin. In diesem Versuch hat ein Schimpanse größte Schwierigkeiten damit, an eine Frucht zu gelangen, indem er diese erst von sich wegschieben
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muss in Richtung einer offenen Seite des Versuchskastens. Köhler legt dies als mangelnde kognitive Fähigkeit aus, den Bewegungsmittelpunkt aus sich selbst heraus in das Objekt zu verlagern (vgl. Waldenfels 1987; bezugnehmend auf Köhler 1921). Später griff Merleau-Ponty (1942) dieses Experiment auf und deutete es mit Blick auf die komplexe Verschränkung von Raumbeziehungen im Indie-Welt-gestellt-sein. Dass Raumbeziehungen dabei unweigerlich, ja primär mit dem affektiven In-der-Welt-sein verschränkt sind, darauf macht bezugnehmend auf Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung (1965; 1967) dann Hartmut Rosa aufmerksam (vgl. Rosa 2016a, 83ff.). Dies alles deutet letztlich darauf hin, dass der fehlgeschlagene Versuch des Tieres, die Frucht von sich wegzuschieben, primär als eine fehlende Trennung affektiven Empfindens und leiblichen Agierens zu lesen ist. Etwas, das begehrt wird, kann nur schwer losgelassen und damit der Fremdheit überlassen werden. Kognitive Leistungen müssen demgegenüber sehr viel pragmatischer als systematische Strategie der Überwindung dieser Hürde verstanden werden. Unterschiedlich ist hingegen das, wozu sich jeweils hin- oder wovon sich abgewendet wird. In sozialen Begegnungen können dies sehr verschiedene und unterschiedlich priorisierte Ebenen sein. Was das Modell Emotionaler Energie damit aber sehr deutlich zeigt, ist, dass zu- und abwendende Bewegungen der sozialen Begegnung immer Solidarität und Macht austarieren müssen. Selbst eine egalitäre Beziehung, dies wurde unter Hinzuziehung des Modells Emotionaler Energie aufgezeigt, sieht sich gefordert, Machtansprüche auszubalancieren, wie gleichermaßen ein Konflikt ein Mindestmaß an Solidarität benötigt, um Realität zu beanspruchen. Die Vorstellung einer harmonisierten wechselseitigen Zuwendung kann somit nur eine Momentaufnahme sein, die den Konfliktcharakter im steten Prozess der Begegnung außen vorlässt. Der Bedeutung des hervorgehobenen Moments räumt die Resonanztheorie dann gegenüber der Prozessualität der Begegnung Priorität ein. Soweit zu den essentiellen Grundstrukturen affektiver Hintergründe, wie sie ausgehend von der Resonanztheorie und dem Modell Emotionaler Energie diskutiert werden können. Um an dieser Stelle die Begegnungssituation genauer in den Blick zu nehmen und zu beleuchten, worauf sich jene zu- oder abwendenden Bewegungen genau richten, um überhaupt Macht und Solidarität im Einzelnen tarieren zu können, soll wie angekündigt die Bedeutung der Aufmerksamkeit im Prozess jener zu- oder abwendenden Bewegungen näher beleuchtet werden. Die dahinterstehende Grundannahme ist die, dass jeder Sequenz einer elementaren, affektiv-performativen Bewegung ein gewisses Maß an vorangegangener Aufmerksamkeit unterstellt werden muss. Zu- oder Abwendungen meinen insofern eine affektiv-performative Realisation spezifischer Weisen der Aufmerksamkeit.
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Aufmerksamkeit und affektive Hintergründe Infolge des zur Diskussion gestellten Wechsels der Perspektive auf die Grundbedingungen verschränkter Aufmerksamkeiten bahnt sich eine sich ausdifferenzierende Ausgangslage affektiv-performativer Begegnungsmodi an. Ein Rückblick: Der Ansatz der Resonanztheorie ist bereits orientiert an der Unterscheidung zwischen resonanter und entfremdeter Beziehung. Rosas Bestimmung affektiver Hintergründe der Angst und des Begehrens fußt zwar auf dem klassischen Modell der Affekttheorie, allerdings nicht auf die Weisen des Aufmerkens selbst blickend, sondern seinen Fluchtpunkt bereits in der Resonanz suchend. Die Zu- oder Abwendung wird ohne Umwege in den Dienst der Beziehungsgestaltung zwischen Resonanzbegehren und Entfremdungsvermeidung gestellt. Dies wohlbegründet aus der Theorietradition der Anerkennungsproblematik stammend, jedoch zu dem Preis, dass eine nähere Bestimmung wechselseitig geteilter Aufmerksamkeit, wie sie die soziale Begegnung charakterisiert, nicht mehr möglich ist. Schon die Begründung wechselseitig aufeinander bezogener beziehungsweise von Aufforderungscharakteren von Objekten respondierter Aufmerksamkeit erweist sich als schwierig. Collins’ Bestimmung affektiver Hintergründe stützt sich im Interesse der Akkumulation Emotionaler Energie auf die Ebenen von Macht und Status in Interaktionen. Der Bezugsrahmen für die Bestimmung affektiver Hintergründe in Form Emotionaler Energie musste sich in der Folge auf Aspekte beschränken, welche auf die Konstruktion von Machtund Statusbeziehungen in der Begegnung verweisen. Zentrale Aspekte Emotionaler Energie, beispielsweise Initiativbereitschaft in der Begegnung, Selbstbewusstsein, soziale Offenheit und Vertrauen in die soziale Position und geteilte Wirklichkeit, beruhen also auf jener Ausrichtung der Begegnungsweisen. Der Verdacht, der sich aufdrängt und für eine nähere Betrachtung anbahnender Aufmerksamkeiten richtungsweisend sein soll, ist der, dass diese Bestimmung jene Aspekte affektiver Hintergründe schuldig bleibt, welche die Betrachtung dialektischer Beziehungsformen nicht offensichtlich werden lassen. Aus der Sicht des Konzepts Emotionaler Energie etwa bleiben in der Folge rein solidarische Begegnungen, die eine egalitäre Beziehung begründen, recht uninteressant. Denn mit dem Konzept ist allenfalls die initiative solidarische Einbindung und Selbstsicherheit erklärt, nicht jedoch ein Wachstum affektiver Ressourcen, die einen Erhalt von Begegnungen auf egalitärer Ebene rechtfertigen könnten. Angesichts der gesellschaftlich großen Bedeutung egalitärer Beziehungen, wie sie etwa in Freundschaften, Partnerschaften oder kollegialen Verhältnissen angestrebt werden, lässt das Modell Emotionaler Energie eine Erklärungslücke. Es scheint daher gefordert, mittels affektiver Hintergründe nicht nur generalisierte
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Macht- und Solidarverhältnisse abbilden zu können, sondern darüber hinaus die Vielgestalt zwischenmenschlicher Beziehungsverhältnisse vorbereitend skizzieren zu können. Ungeachtet dessen bleiben die Aspekte der Macht und der Solidarität Grunddimensionen möglicher Beziehungen. Geschuldet ist dies der grundlegend kontradiktorischen Gestalt zu- oder abwendender Bewegungen affektiver Hintergründe. Denn diese lassen das Pendel der Begegnung einmal mehr in eine solidarisierende und einmal mehr in eine konfligierende Richtung ausschlagen. Die eigentlich entscheidende Einsicht lautet, dass Differenzierungen affektiver Hintergründe somit nicht diese selbst, also die basalen Grundbewegungen der Begegnung adressieren können, sondern die Begegnungssituation betreffen, auf denen sich affektive Hintergründe überhaupt realisieren können.Es gilt also den Prozess des Aufmerkens zu konkretisieren und zwischen jenen Ebenen der Aufmerksamkeit in der Begegnungssituation zu differenzieren. Aufmerksamkeiten bilden sodann auch das zentrale Einfallstor für Fragen danach, auf welche Weise sich kulturelle Ordnungen und erfahrungsgebundene Prädispositionen wie in affektiven Hintergründen in der Begegnungssituation übersetzen. Verschränkte und verschränkende Aufmerksamkeit Der wesensmäßige Aspekt der Aufmerksamkeit und der Grund, warum Aufmerksamkeit nicht mit Wahrnehmung gleichgesetzt werden kann, ist zunächst, dass Aufmerksamkeit eine sich selbst verschränkende und wechselseitig verschränkte Grundbedingung jeder Begegnung darstellt. Aufmerksamkeit greift ein und auf sich selbst zu, indem sie weitere Aufmerksamkeit entweder gewährt oder verwehrt. Zu- oder Abwendungen meinen dabei immer auch für sich selbst diametral gerichtete, eskalierende Tendenzen. Die sich aus einer spezifischen Aufmerksamkeit übersetzende affektive Grundempfindung der Hinwendung meint also nicht nur die Hinwendung zu etwas, sondern gleichzeitig die damit verlangte Aufmerksamkeit des Gegenübers für einen selbst. Ein affektives Zurückweichen ersucht dementgegen um ein Ablassen des Gegenübers. Auf diese Doppeldeutigkeit des Phänomens der Aufmerksamkeit weist Georg Frank in seinem Buch zur Ökonomie der Aufmerksamkeit hin, indem er das Begehren unterteilt in die beiden Arten »Neugier« und das »Verlangen« nach Zuwendung. »Neugier und das Verlangen nach der Rolle im anderen Bewußtsein sind die Arten der Begehrlichkeit, die das Bewußtsein von sich aus entwickelt. Ihre Zeit ist gekommen, wenn für die leiblichen Bedürfnisse gesorgt ist. Ganz folgerichtig sind sie es, die in der nachindustriellen Gesellschaft die Führungsrolle übernehmen.« (Franck 1998, 12)
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Die gestiegene Aufmerksamkeit, die etwa Stimmungen und affektiven Hintergründen selbst zunehmend zukommt, begründet sich demnach nicht in etwaigen Diversitäten oder Intensitäten dieser. Franck folgend gründet sie vor allem auf der von sonstigen Bedürfnissen befreiten Aufmerksamkeit – der Aufmerksamkeit, die auf das Hervortreten der Wechselbezüglichkeit der Aufmerksamkeit in den Grundweisen des affektiven Empfindens selbst gerichtet ist. So banal dies auch erscheinen mag, rührt die wachsende Aufmerksamkeit für Stimmungen aus den affektiven Hintergründen, auf der Grundlage geleisteter und erhaltener Aufmerksamkeit, selbst heraus. Diese Wechselseitigkeit der Aufmerksamkeit greift Collins in seinem konflikttheoretischen Ansatz in Form einer wechselseitig verschränkten Aufmerksamkeit ebenfalls auf. Die Versicherung der wechselseitig geteilten Aufmerksamkeit bildet sogar eine Grundvoraussetzung des Interaktionsgeschehens. Collins hat dabei jedoch wohl eher Durkheims Ritualtheorie denn Mead im Sinne, weswegen er den sich wechselseitig versicherte Aufmerksamkeit eher auf den geteilten Fokus als auf die Präsenzen des anderen und des Selbst thematisiert. Praktisch bezieht er jedoch ebenso andere Ebenen verschränkter Aufmerksamkeit mit ein. Dies insbesondere dann, wenn es um Macht geht. Macht meint dann etwa auch, Aufmerksamkeiten um sich selbst setzen zu können und anderen die eigene Aufmerksamkeit dabei vorzuenthalten. Die Erfassung der Begegnungssituation als Macht- oder Statussituation erscheint hier sogar entscheidend. Es gibt einen Hinweis darauf, dass das Tarieren von Macht und Solidarität nicht erst an den affektiv-performativen Bewegungen ansetzt, sondern bereits an den diese rahmenden Ebenen wechselseitig verschränkter Aufmerksamkeiten der Begegnung. Präsenz und Aufmerksamkeit Der Begriff des Schönen, wie er sich im abendländischen Kontext als natürlich oder von einer irgendwie transzendenten Idee der Natur ausgehend entwickelt hat, findet im Japanischen keine Entsprechung. Schönheit wird im japanischen Kulturkontext, wie Peter Ackermann aufzeigt, doch immer von einem in Beziehung zu anderen stehendenden und diese Beziehung mitkonstruierenden Individuum aus verstanden (vgl. Ackermann 2007). Hierin lässt sich bereits erahnen, in welcher Weise historisch-kulturelle Kontexte der Bedeutungszuweisung Aufmerksamkeit schaffen. Das Beispiel zeigt in ganz praktischer Weise zudem, dass Aufmerksamkeit an den Prozess der affektiv-leiblichen Begegnung und an die sozial definierte Beziehung der Begegnenden gebunden ist. Ackermann berichtet
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von seinem Eindruck zur Vorstellung von Schönheit in der Analyse eines japanischen Kalligrafie-Lehrbuchs: »[...] ›schön‹ [hier: schönes Schreiben] ist immer etwas von Menschen Geschaffenes und steht in direkter Abhängigkeit von der körperlichen Leistung und Konzentration, die erbracht wird mit der Absicht, einen Bezug zu einer anderen Person angemessen zu gestalten.« (Ebd., 272)
Erhellend ist dieses Beispiel, weil es zeigt, inwiefern Weisen des Aufmerkens als zunächst vorbewusste Zuhandenheiten in der Begegnung verstanden werden müssen und damit in irgendeiner Weise auf einen individuellen und kollektiven Wissensvorrat impliziter Art verweisen. In dieser Lesart zeigt sich die Kultur in Kodierungen, die dem einzelnen Individuum eine spezifische Weise des Aufmerkens nahelegen. Deutlich macht dieses Beispiel somit auch, dass man die hier intendierte Vorstellung von Aufmerksamkeit beziehungsweise vom transformativen Moment zwischen intersubjektiv geteilten und erfahrungsgebundenen affektiven Dispositionen und den je situativen Weisen der Begegnung, würde man jene rein kognitivistisch auslegen, doch verfehlen würde. Insofern meint Aufmerksamkeit eher den Moment des Ineinandergreifens präsenter Zuhandenheit und subjektiver Zurechnung. Aufmerksamkeit verschränkt dabei körperliche und affektive Präsenzen in verschiedener Weise. Insofern unterscheidet sich der hier entworfene Begriff von Aufmerksamkeit deutlich von dem der Intension und geht darüber hinaus, was das phänomenologisch-kognitivistisch ausgelegte Konzept der Attentionalität in Abgrenzung zu Intentionalität betrifft, wie es Thiemo Breyer etwa unter Rekurs auf Husserls Aufmerksamkeitsmomente der »Meinung« und des »Interesses« oder im Zusammenhang mit Merlau-Pontys kritischer Gegenüberstellung von Empirismus und Intellektualismus entwirft (Breyer 2011). Der Begriff der Aufmerksamkeit rückt somit zunächst in die Nähe eines Vorgriffs auf affektiv-leibliches Gerichtetseins, etwa im Sinne Hans Joas »vorreflexiven Strebungen und Gerichtetheiten« (Joas 1992, 232) des Körpers, wie sie Frank Adloff unter Rückgriff auf Shaun Gallaghers (2005) Begriff des Körperschemas (body schema) in Hinblick auf die primäre Körperlichkeit des Emotionalen auslegt (Adloff 2013, 109). Das hier entworfene Transformationsmodell der Aufmerksamkeit in das Konzept des Körperschemas einzureihen, unterstellt mithin aber auch, dass eben nicht nur Emotionen ein körperliches Beteiligtsein des »es fühlt sich an, wie« haben (Katz 1999), sondern im Grunde mit jeder Begegnung eine Beteilung affektiver und körperlicher Präsenzen einhergeht. Wenn also der Körper in der nicht-emotionalen Situation auch zurücktreten mag (Ad-
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loff 2013, 107), so doch nicht zur Gänze. Allein das stete In-der-Welt-sein, welches immer auch ein Angehen impliziert, fordert unweigerlich eine Zuhandenheit körperlicher, affektiver und mentaler Präsenzen. Der Begriff des Körperschemas bietet sich hierbei in seiner Doppelbedeutung an. Denn mit Blick auf körperliche Präsenzen braucht es doch Schemata der Kodifizierung, ob diese Präsenzen überhaupt eine subjektive Zurechnung und damit das Aufmerken nahelegen und in welcher Weise. Schemata sind damit nicht nur subjektive Körperschemata, sondern verweisen auf jede Form erfahrungsgebundener und vorbewusster Dispositionen des Aufmerkens dessen, was körperlich überhaupt präsent werden kann. Körperbilder sind dann als Zwischenergebnis ständiger Antwortbeziehungen affektiv-leiblicher Wechselbewegungen zu verstehen, die alle körperlichen Dimensionen wie Mimik und Gestik, Berührungen, Größe, Silhouette, Geruch, Hautgefühl etc. integrieren. Wenn von diesen körperlichen Erfahrungen nur die wenigsten tatsächlich bewusst werden, werden jene körperlichen Präsenzen als relevant, angenehm, bedrohlich oder intensiv aufgemerkt. Auch darf dieses In-der-Welt-sein keineswegs als monoton oder gleichbleibend verstanden werden. Vielmehr ist es gespickt mit permanenten kleineren Brüchen und Irritationen. Auch soll der Leibbegriff hierzu nicht zu scharf als bewusste Wahrnehmung des Leibes abgedrängt werden. Denn auch aus der Leibphänomenologie heraus lässt sich argumentieren, dass leibliche Empfindungen in der hintergründigen Affektivität verbleiben können. Darauf deuten etwa Beschreibungen Hermann Schmitz zu den reinen Stimmungen des Gefühlsraumes. Denn diese erstrecken sich auf umgreifende Raumqualitäten schlechthin, die in dieser Form als stetes Im-Raum-Sein verstanden werden können. Dies meint nichts anderes, als dass räumliche Orientierungen und affektive Richtungen als Präsenzen aufgemerkt werden. Diese bilden somit zwar die Grundlage affektiv-performativer Begegnungsmodi, werden als solche jedoch nicht aufgemerkt. Umgreifende Raumqualität meint bei Schmitz, dass selbst Richtungen des Gefühls, die als gerichtete Kräfte verstanden werden können, nicht mehr als untergründige Stimmungen gewertet werden können. Schmitz legt die reinen Stimmungen dann als mehr oder weniger gefüllt aus. Bewusst wahrgenommen werden bestenfalls die Extrempole des reinen erfüllten Gefühls (Zufriedenheit) oder des reinen leeren Gefühls (Verzweiflung) (vgl. Schmitz 2009, 58). Wiederum hat Schmitz keine Emotionen im engeren Sinn im Blick, sondern aufgemerkte Präsenzen der Erfüllung oder Entleerung wie »z.B. im Zwielicht des verbleichenden Tages, wenn alles […] fahl, kühl und ungreifbar wirkt, wie hinter Glas entrückt, oder im hässlichen, schmutzigen Häusermeer einer Großstadt an einem naßkalten Morgen« (ebd.). Doch selbst darüber hinaus ließe sich wohl kaum ernsthaft behaupten,
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dass gerichtete Kräfte, welche Schmitz dann »reine« Erregungen nennt, immer ins Bewusstsein treten. Am Begriff des Schönen wird beispielhaft ersichtlich, dass gesellschaftliche, kulturelle und lebensweltliche Prädispositionen körperlich gebundener Aufmerksamkeiten immer auf komplementäre Beziehungen zum Selbst, zum anderen, zur Gemeinschaft, zum Raum etc., in Hinblick auf Bemächtigung und Hingabe, Nähe und Distanz in der Begegnung hinwirken. Dies zeichnet sich vielleicht skizzenhaft am Begriff des Kampfes ab, wie er in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern mit unterschiedlichen Bedeutungen verbunden ist. Impliziert der Begriff des Kampfes in westlichen Kulturen eher eine Form der äußeren, körperlichen Bemächtigung über den anderen, erstrecken sich traditionelle östliche Kampfvorstellungen auf weit mehr als die körperliche Bemächtigung, vor allem wenn sie in daoistische oder buddhistische Kontexte eingebettet sind (vgl. Gerstner 2010, 269). Viele asiatische Kampfkünste beziehen die Bemächtigung der Situation, der Präsenzen des anderen und des Selbst mit ein, häufig nicht im Sinne einer einmaligen Destruktion, sondern der langfristigen Regulierung der Beziehung (vgl. ebd.), welche ohnehin als nicht abschließbar verstanden wird.
DIE EBENEN VERSCHRÄNKTER AUFMERKSAMKEITEN Wurde sich bisher dem Wesen der Aufmerksamkeit allgemein gewidmet, soll sich im folgenden Abschnitt dem zentralen Charakteristikum der Aufmerksamkeit zugewendet werden – jenem, welches nicht nur eine dringend notwendige Differenzierung des Aufmerksamkeitsgeschehens selbst nahelegt, sondern diese gleichsam systematisch vorbereitet. Grundlage ist die Einsicht, dass es die Aufmerksamkeit nicht gibt. Das Bild, das dieses unterstellte Charakteristikum vom Aufmerksamkeitsgeschehen skizziert, ist, dass jedes Gewahr- und Angesprochenwerdens als Grundbedingung eines wechselseitig aktiven In-der-Welt-seins stets verschiedene Ebenen des Beteiligtsein einbezieht. Als elementare Dimensionen dieses Beteiligtseins gelten affektiv-leibliches, leiblich- (sozial)räumliches, kognitives und evaluatives In-der-Welt-sein. Entlang dieser Dimensionen wurden unter Rekurs auf die Resonanztheorie die verschiedenen Ebenen affektiver Phänomene voneinander abgegrenzt. Da nun allen Dimensionen der Begegnung, seien es vorbewusste, gerichtete oder transzendente Begegnungen, immer affektive Hintergründe als konstitutive Bestandteile unterstellt werden müssen, finden die damit einhergehenden Unterscheidungen des Beteiligtsein von Affekt, Leib, Kognition und Evaluation folglich ebenso ihren Ausgang auf der elementaren Basis der Begegnung. Eine angenommene Vielschichtigkeit an Ebenen des
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Aufmerkens auf dieser elementaren Basis der Begegnung dürfte sich dann in gewisser Weise in den Dimensionen des Beteiligtseins wiederfinde. Es soll im Folgenden also ein komplexes Feld geteilter Aufmerksamkeiten skizziert werden, das zwischen verschieden Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten einer jeden sozialen Begegnung differenzieren kann. Mit Blick auf das Modell Emotionaler Energie spielen Aufmerksamkeiten hier an vier Punkten der rituellen Interaktion eine entscheidende Rolle. Zwar werden sie von Collins nie systematisch herausgestellt, sie lassen sich jedoch einigen seiner Ausführungen zum Prozess emotionaler Dynamiken in rituellen Interaktionen entnehmen. (1) Wenn es erstens darum geht, ob überhaupt eine wechselseitige Verschränkung von Aufmerksamkeiten zustande kommt. Damit ist jedoch noch keine Bindung der Beteiligten gemeint und schon gar kein geteilter Fokus der Aufmerksamkeit. Denn Grundbedingung dafür ist, so lässt sich bereits der klassischen Ritualtheorie entnehmen, ein Mindestmaß an wechselbezüglicher Aufmerksamkeit. Worauf jedoch bezieht sich diese? Collins macht deutlich, dass hierfür vor allem soziale Präsenzen ausschlaggebend sind. Stehen zwei Personen innerhalb einer Gruppe beispielsweise näher beieinander als zu den anderen, wird dies subtil aufgemerkt. Auch werden soziale Präsenzen abgeglichen, wenn sich Personen einen begrenzten Raum, beispielsweise eine Bushaltestelle oder einen Warteraum teilen. Doch erst, wenn die leibliche Orientierung zueinander einen gewissen Schwellenwert überschreiten kann, etwa durch Blickkontakt oder Ansprache, sind weitere Verschränkungen von Aufmerksamkeiten gefordert. (2) Collins macht hierfür als zweite und in der Ritualtheorie besonders beachtete Ebene den geteilten Aufmerksamkeitsfokus geltend. (3) Die dritte Ebene der Aufmerksamkeit bezieht sich sodann auf das Wissen um und die Versicherung der wechselseitig geteilten Aufmerksamkeit (vgl. Collins 2004, 35f.). Aufmerksamkeiten gelten dann nicht mehr nur dem Abgleich wechselseitiger Präsenzen im Raum und dem geteilten Fokus, sondern beziehen eine MetaAufmerksamkeit hinsichtlich der Art und Weise der damit zutage tretenden Bindung zueinander ebenso mit ein. Aus einer Begegnung reiner Präsenzen wird somit eine wechselseitig zugewandte Begegnung, die in jener Bindung ebenso aufmerkt wird. Inwieweit dieser Ebene der Aufmerksamkeit nun alle anderen Ebenen der Aufmerksamkeit vorangehen müssen, kann hier nicht final geklärt werden. Es lässt sich eher vermuten, dass jeder direkten inhaltlichen Koordination eine Form von aufmerkender Reflexion der Weise des Zueinanderstehens zumindest nachgeht. (4) Hinzugefügt werden muss diesen drei Ebenen, die Collins innerhalb des Modells Emotionaler Energie skizziert, eine vierte, abstrakte Ebene der Aufmerksamkeit auf das Selbst in der gesellschaftlichen Situation. Diese Ebene unterstellt, dass ein geringer oder größerer Teil der Aufmerksam-
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keit immer auch (außer bei Säuglingen) der gesellschaftlichen Situation gilt und im Sinne Meads Konzeption des »I« entsprechend als verinnerlichte, generalisierende Perspektive berücksichtigt werden muss. Das ko-konstruierte Aufmerksamkeitsfeld lässt sich somit nach verschiedenen Ebenen der Aufmerksamkeit differenzieren. Die unterscheidbaren Ebenen bilden zugleich die Austragungsorte, wenn man so will, der bereits mehrfach erwähnten Mechanismen des Tarierens von Macht und Solidarität mittels affektivperformativer Modi der sozialen Begegnung. Denn obwohl Collins dies in keiner Weise expliziert hat, kann keine natürliche Gleichverteilung der Aufmerksamkeiten angenommen werden. Derjenige etwa, dem in der Begegnung schon allein mehr leibliche Präsenz zukommt, wird zum Dreh- und Angelpunkt des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes, womit dem Gegenüber zwangsläufig zunächst nur die Gegenposition zuteil wird, nämlich die des Folgens und der Bindungsvergewisserung. Was hier also skizziert werden soll, ist ein differenzierteres Bild verschiedener, jedoch komplex miteinander verschränkter Ebenen im geteilten Aufmerksamkeitsfeld der sozialen Begegnung, um die Machtsituationen dieser elementaren Ebene der Begegnung, ausgehend von prädisponierten Aufmerksamkeiten, in den Blick nehmen zu können. Der Aufmerksamkeit kommt dann eine Vermittlerposition zwischen affektiv Dispositionalem und affektiv-performativen Begegnungsmodi zu. Die Ebenen der Aufmerksamkeit bilden zwar noch nicht das prädisponierende Element, denn dieses bezieht sich nicht auf den Ort, sondern die Art und Weise des Aufmerkens selbst – was und wie also aufgemerkt wird. Die Unterscheidung der Ebenen, auf denen verschiedene Weisen des Aufmerkens stattfinden, machen jedoch erst deren eigentliche Bedeutung für affektive Hintergründe und damit für die Weisen der Begegnungsgestaltung ersichtlich. Es lohnt sich daher, zunächst die verschiedenen Ebenen der geteilten Aufmerksamkeit näher zu betrachten. (1) Die Aufmerksamkeitsebene sozialer Präsenzen Das Aufmerken verschiedener Präsenzen scheint, wie erwähnt, die primäre Ebene verschränkter Aufmerksamkeiten zu sein. Im Modell Emotionaler Energie ist hierbei nicht explizit von »sozialen Präsenzen« die Rede. Der hier verwendete Ausdruck soll lediglich ein Sammelbegriff für alle relevanten wechselbezüglichen Präsenzen dieser Ebene sein. Hierzu zählen räumliche Präsenzen etwa der eigenen Position im Raum sowie die der Anwesenheit anderer. In welchem Maße also macht man sich selbst sichtbar für andere und in welcher Gestalt? Gleichzeitig verfolgen Menschen die Zugegenheit anderer und werden deren Ausdrucksgestalt gewahr (vgl. Collins 2004, 54). Collins legt dies in Anlehnung
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an Goffman in keiner Weise als Neugier oder konkretes Interesse am anderen aus, sondern zunächst als basalen wechselseitigen Respekt der Anerkennung von Sichtbarkeit und der Bestätigung einer geteilten sozialen Realität (ebd., 22). »When human bodies are together in the same place, there is a physical attunement: currents of feeling, a sense of wariness or interest, a palpable change in the atmosphere. The bodies are paying attention to each other, whether at first there is any great conscious awareness of it or not.« (Collins 2005, 34)
Ebenso bezieht sich dieser Aspekt auf körperliche Präsenzen im engeren Sinne, wie etwa die Kleidung, die Haltung der Arme oder des Kopfes, nonverbale Gesten der Präsenz in Form von Augenkontakt und Kopfnicken. Aber auch Geräusche, angefangen bei einem Niesen oder Rascheln bis hin zur Lautstärke der Rede, gehören dazu. Die subsummierende Kennzeichnung als sozial hat den Hintergrund, dass keine dieser Präsenzen rein materiale oder gestalthafte Präsenzen meint. Vielmehr scheinen sie immer zugleich sozial konnotiert zu sein. Das dominante Einnehmen von Raum durch ein Gegenüber macht nicht nur den objektiven Raum streitig (wie eine zu enge Umkleidekabine), sondern immer zugleich auch den sozialen. Denn im Grunde, so Collins, sei der soziale Raum für Individuen sehr viel unsicherer als der physische Raum: »[T]here is always the possibility of fighting, or spreading on alarm; or, on the positive side, possible sexual contact and more generally sociable gestures.« (Ebd., 54) Zugleich verweist die Verwendung des Begriffs der Präsenz auf eine Unverfügbarkeit und implizite Dimension dieser Ebene des Aufmerkens, bei jedoch gleichzeitiger, wenn auch nicht explizier- oder gar verbalisierbarer, Gewissheit jener (vgl. Ernst und Paul 2013, 11). Wenn diese Ebene als vorbereitende für alle anderen Ebenen von Aufmerksamkeiten der sozialen Begegnung angesehen werden soll, so bedeutet dies natürlich keineswegs, dass ihr in der verketteten Interaktion nicht die gleiche Bedeutung zukäme. Entsprechend müssen jene Sequenzen ausgelegt werden, die Collins auf der subtilsten Ebene des unbewussten Aufmerkens paralinguistischer, nonverbaler und körperlicher Modi beschreibt. Hierzu zählen im Grunde alle von Collins vorgestellten paralinguistischen Aspekte, etwa Lautstärke, Frequentierung oder Betonung des Gesprochenen oder auch nur der Grundtonus des Sprechens. Zu unterscheiden sind diese subtilen Formen wechselbezüglicher sozialer Präsenzen in der Begegnung, selbst wenn sie als Modi elementarer Machtbeziehungen ausgelegt werden, von Formen der Konkurrenz oder gar Feindschaft. Es geht vielmehr um eine subtile Form des Sich-Durchsetzens, nicht des Auffallens
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im Prozess der Aufmerksamkeit (vgl. Waldenfels 2015, 235). In mikroanalytischen Auswertungen von Konversationen wird dies etwa dann deutlich, wenn ein Großteil dieser Synchronisations- oder auch Desynchronisationsprozesse von den Akteuren als solche nicht erkennbar und kontrollierbar sind. Die Erfahrung eines in dieser Form ausgetragenen hintergründigen Machtkampfes macht sich dann oftmals nur gefühlsmäßig kenntlich. So etwa in der Schüler-SchulberaterStudie von Erickson und Shultz (1982), in welcher die Beteiligten anschließend jene Sequenzen der Rhythmusirritation wechselseitig lediglich als unangenehm beschreiben konnten, ohne näher benennen zu können, was stattgefunden hat. (2) Die Aufmerksamkeitsebene inhaltlicher Fokusse Im Mittelpunkt einer erfolgreichen rituellen Interaktion steht bei Collins der geteilte Aufmerksamkeitsfokus. Macht über den geteilten Fokus setzt zum einen an der Macht über Inhalte des geteilten Aufmerksamkeitsfokus an und bezieht immer auch eine Gestaltungsmacht der geteilten Realität insofern ein, als der Akteur sich selbst und den anderen etwas sehen, hören und fühlen lassen kann (vgl. Waldenfels 2015, 234). Das Machtmoment dieses Aspekts des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes geht jedoch darüber weit hinaus. Denn erst die Übereinkunft eines Ausschnitts geteilter Wirklichkeit bildet den Ankerpunkt, der einen Vergleich von Macht und Gegenmacht in der Begegnung ermöglicht. Obwohl Collins’ Modell eines Maßes emotionaler Energie dies suggerieren mag, ist jede subjektive Macht in der Begegnung absolut – wie Waldenfels betont: irrelativ (vgl. ebd.). Somit ist dieser Fluchtpunkt der Reziprozität jedoch noch grundlegender anzusetzen als selbst Waldenfels das tut, wenn er schreibt: »Die Vergleichbarkeit setzt erst ein, wenn wir uns auf gemeinsame Ziele, Regeln und Interessen beziehen.« (Ebd.) Auch Collins betont die Bedeutung der Situation für die jeweilige Reichweite spezifischer Formen emotionaler Energie, jedoch folgten daraus seinerseits keine näheren Bestimmungsversuche. Die Macht der Aufmerksamkeit auf einen geteilten Realitätsausschnitt bestimmt aber nicht nur schlicht die Macht über die Aufmerksamkeitsrichtung, sondern vor allem die Möglichkeiten der Teilhabe der Beteiligten anhand machtrelevanter Dispositionen. Andererseits bedeutet die Einwirkung auf ein geteiltes Aufmerksamkeitsfeld in actu immer auch eine Selbst- und Fremdsteuerung. Hier gibt es kein absolutes Maß der Präsenz, sondern ein relatives Verhältnis dessen, inwiefern das Zeigen und das Gezeigte beziehungsweise auch der Zeigende selbst und dessen Präsenz, wem im Aufmerksamkeitsfeld welchen Anteil der Aufmerksamkeit zukommen lässt. Vorstellungen davon, dass der Zeigende selbst in der Interaktion immer die
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höchste oder gar alleinige teilnehmerbezogene Aufmerksamkeit erhält, scheinen also einige Aspekte der Präsenz nicht zu berücksichtigen – Aspekte, die vor allem bei ausgeprägten Ungleichgewichten deutlicher zum Vorschein treten. Dies beispielsweise dann, wenn ein im Machtniveau sehr viel höher gestellter Vorgesetzter trotz der Situation, dass ein ihm deutlich Untergeordneter zeigend den Aufmerksamkeitsfokus reproduziert, der Vorgesetzte also nicht der Zeigende ist, dennoch einen hohen Anteil der Präsenz behält. Hierin äußern sich zudem die basalsten Mechanismen der Machtreputation. In der Folge hat es der Vorgesetzte leichter, wieder in den Mittelpunkt des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes zu gelangen. Zum anderen aber hat auch der gemeinsame Aufmerksamkeitsfokus, also das Gezeigte, insofern, als es ebenfalls subjektbezogene Reputationen enthält, Einfluss auf die Verteilung der teilnehmerbezogenen Aufmerksamkeit. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn sich der Aufmerksamkeitsfokus auf einen der Teilnehmer direkt bezieht oder wenn beispielsweise über ein Buch, ein Projekt, einen Fall etc. gesprochen wird, bei dem ein oder mehrere Teilnehmer bekanntlich involviert sind oder waren. Darüber hinaus aber ist die Macht über den geteilten Aufmerksamkeitsfokus und damit die Macht darüber, was von einem selbst und dem Gegenüber als geteilte Wirklichkeit realisiert wird, nicht schlicht als ein Prozess der Auswahl des zu Zeigendem zu verstehen, sondern meint eine Konstruktion von Realität, die von der Kreativität, der Ausrichtung zueinander und dem gemeinsamen Fundus der Beteiligten im Konstruktionsprozess abhängig ist. Denn das Gezeigte ist niemals genau so schon zuvor da gewesen, sondern muss stets neu konstruiert werden. Der Einfluss und die Gestaltungsmacht der am Konstruktionsprozess Beteiligten ist damit auch Maß für die Macht geteilter sozialer Realitäten. (3) Die Aufmerksamkeitsebene der Bindung Das bereits von Durkheim aufgebrachte Merkmal der wechselseitigen Aufmerksamkeitsversicherung bildet den dritten Aspekt des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes und ist als solcher ebenso eine Grundbedingung der sozialen Interaktion. Der Aspekt der wechselseitig versicherten Aufmerksamkeit geht davon aus, dass ein geteiltes Aufmerksamkeitsfeld in der sozialen Begegnung immer eine doppelte Verschränkung meint: nicht nur hinsichtlich der Aufmerksamkeit auf den geteilten Fokus und den anderen beziehungsweise sich selbst, sondern immer auch auf einer Metaebene der Verschränkung wechselseitiger Aufmerksamkeiten. Entsprechend finden in der Interaktion Mechanismen der Prüfung und Einforderung geteilter Aufmerksamkeiten statt. Der Aspekt der Versicherung der geteilten Aufmerksamkeit stellt dabei die eigentliche Bindung zwischen den Teilneh-
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mern her. Die Bindung fordert jedoch gleichzeitig Aufmerksamkeit für die antizipierte Perspektive des anderen, denn die Prüfung der Aufmerksamkeitsbindung des anderen wirft immer auch einen Blick auf dessen Perspektive der eigenen (»meiner«) Bindungsleistung. Die Gewissheit der geteilten Bindung dürfte mit einem sich zunehmend verschränkenden Aufmerksamkeitsfokus ebenso steigen und somit zugleich im engen Zusammenhang mit den sich gegenseitig bekräftigenden geteilten Stimmungen stehen. Denn in dem Maße, in dem die Teilnehmer einer Interaktion sich zunehmend der wechselseitigen Inhalte und Gefühle des Gegenübers bewusst werden, können sie sich der geteilten Aufmerksamkeit sicher sein. Hieran wird zudem deutlich, dass die von Collins relativ unbeachtete Ebene der Bindung dem nahe kommt, was die Resonanztheorie im Rahmen des Resonanzphänomens mit dem Bild des vibrierenden Drahtes doch sehr viel deutlicher werden lässt. Es veranschaulicht, dass mit steigender verschränkter Verkettung der Teilnehmer auch die wechselseitige Zugewandtheit zunimmt. Dass sie sich dabei stärker aufeinander ausrichten, etwa indem sie körperlich näher rücken, bezeugt den bindenden Sog einer gelingenden Begegnung. Das Bild des vibrierenden Drahtes illustriert, dass es hierbei nicht um einzeln zerlegbare Teile der Begegnung geht, sondern um etwas ganzheitlich Emergierendes, gleichzeitig kraftvoll und energiegeladen. Der Bindung kommt zudem neben allen anderen Ebenen der Aufmerksamkeit eine ganz spezielle Zeitlichkeit zu. Einbeziehend das, was bereits vor der Begegnung bestand, aufmerkend das, was gerade geschieht und zugleich antizierend das, was einmal sein könnte. Erwartbarkeit und Eigenwirksamkeit einerseits sowie Unverfügbarkeit und Brechung andererseits bestimmen die Permeabilität der Bindung beider Seiten, so Rosa (vgl. Rosa 2016a, 294f.) Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass die Resonanztheorie das Phänomen der gelingenden Resonanz durchaus exklusiviert in Richtung einer besonderen ästhetischen Erfahrung eines »Faustischen Augenblick[s], der verweilen möge« (ebd., 204). Das Bild des vibrierenden Drahtes macht daher nur das Prinzip der Bindung deutlich. Dass auch der Aspekt der Bindung ein wesentliches Machtmoment enthält, tritt beispielsweise dann zutage, wenn die wechselseitige Aufmerksamkeit auf die Bindungsversicherung nicht gleich verteilt ist. Wenn also die Theorie der wechselseitigen Versicherung der Aufmerksamkeit an Überlegungen von Mead angelehnt ist, dann nur in Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen Versicherung. Dennoch konstituieren Begegnungssituationen, in denen sich einer der Teilnehmer aufgrund eigener Präsenzen weniger an der Bindung der Interagierenden beteiligen muss, nicht minder eine spezifische Machtreputation. Was aber meint eine solche Ungleichverteilung? Hieran
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setzen die meisten empirischen Belege Collins’ subtiler Machtmodi in der Interaktion eigentlich an, wenn sie aufzeigen, dass etwa die Unbeirrtheit in der eigenen Rhythmusgestaltung oder die Irritation respektive Störung anderer Sprechrhythmen nicht nur dazu dienen, den eigenen antizipierten Aufmerksamkeitsfokus durchzusetzen und die angestrebte Verteilung personenbezogener Präsenzen zu erreichen, sondern dabei auch jene Grenze abtasten, auf der die Bindung der Begegnung erhalten bleibt, jedoch die eigene Aufmerksamkeit auf die antizipierten Perspektiven der anderen so gering wie möglich ist. Bei Collins findet sich diese Aufmerksamkeitsebene als entsprechender Aspekt Emotionaler Energie wieder, wenn es um das Selbstbewusstsein geht, eine spezifische Position in der Begegnung einnehmen zu können und darin akzeptiert zu werden. Was Collins Selbstbewusstsein nennt, meint eben vor allem das Vertrauen in diese Grenze möglicher Verteilung der Versicherung geteilter Aufmerksamkeit, bei der eine spezifische Machtposition eingenommen werden kann und die Begegnung dennoch erhalten bleibt. (4) Die Aufmerksamkeitsebene der gesellschaftlichen Situation An dieser Stelle, so scheint es, bedarf es einer Erweiterung der bisherigen Ebenen der verschränkten Aufmerksamkeiten. Hintergrund ist der ursprüngliche Grundgedanke Meads, dass nicht nur das aufgemerkt wird, was in der Situation jeweils individuell geteilt wird und damit zeitlich und räumlich präsent ist, sondern damit ein abstrakter Ausdruck dieser Situation als gesellschaftliche Situation einhergeht (vgl. Mead 1973 [1934], 231). Gespeist wird dieser Eindruck nicht nur von den individuellen Erfahrungen der Akteure, sondern den dabei verinnerlichten »generalisierten Anderen« der gesamten Gesellschaft. Es geht daher nicht um Erfahrungen per se, sondern um Haltungen – also die Blickrichtung aller. Aufgemerkt wird die Begegnung als gesellschaftliche Begegnung daher nicht nur aus den sich Begegnenden heraus, sondern sie impliziert immer auch einen Blick von außen. Dieser Blick ist kein unbeteiligter, aber kann auch nicht als rein subjektiv angesehen werden. Er ist eher Ausdruck des steten Dialogs des Individuums mit eigenen und aus einer generalisierten Perspektive an das Individuum herangetragenen Bedeutungen und Wertungen. Er trägt damit in gewisser Hinsicht der dritten Ebene der Begegnung in der Resonanztheorie Rechnung. Aufgemerkt werden keine eigenen Stellungnahmen oder Gestimmtheiten dieser Ebene. Vielmehr erhält die stete, hintergründige Auseinandersetzung eine eigene Form von Präsenz und damit Zugegenheit in der Begegnung. Diese Ebene nimmt also eine gewisse Sonderstellung ein, da sie weder die Präsenzen des Gegenübers noch die mit diesem geteilten Aufmerksamkeitsfokus und die Bindung
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adressiert, sondern generalisierte Präsenzen. Diese könnten dabei durchaus vielgestaltig und zudem widersprüchlich sein. Asymmetrische Aufmerksamkeiten und Verteilungen von Macht All diese nun vorgestellten Ebenen im Feld verschränkter Aufmerksamkeiten fordern in jeder Begegnung einen Teil der Aufmerksamkeit der Beteiligten ein. Weiterführender Gedanke ist nun, dass es weniger die Inhalte dessen, was aufgemerkt wird, denn die wechselbezüglichen Verteilungen der Aufmerksamkeiten sowie deren Gesamtverteilung sind, in denen jene Mechanismen des Einforderns oder Überlassens von Macht und Solidarität zur Geltung kommen. Die verschiedenen Ebenen der Aufmerksamkeit stehen dabei in einem wechselbezüglichen Zusammenhang. Collins führt als Beispiel für eine Situation, in welcher der Aufmerksamkeitsfokus sehr direkt ausgerichtet ist, der Großteil der Aufmerksamkeit also von einer Seite der Begegnung aus nahezu ausschließlich auf den Inhalt des Aufmerksamkeitsfokus direkt gerichtet ist, ohne sich der geteilten Aufmerksamkeit nicht mehr sicher sein zu können, den berühmten Fall der New Yorker Firefighter zum Zeitpunkt des Angriffs auf die Türme des World Trade Centre am 11. September 2001 an. »The ›courage‹ that outsiders interpret the firefighters as having is a version of Chambliss’s (1989) ›mundanity of excellence‹ – the sense that members of an elite occupation have that their situation, for themselves if not for outsiders, is a routine one, where they can accomplish what others cannot, by focusing carefully on their skills and not being distracted by anything else. In this case, they are not being distracted by fear; their collective focus and their routine excludes it from the centre of their experience. IR theory adds that the mundanity of excellence is based on group participation, collective focus and mood, keeping each other calm and focused on the routine task.« (Collins 2004, 91)
Aus diesen Ausführungen sticht Collins Hervorhebung der stringenten Fokussierung heraus, welche die Feuerwehrleute nicht nur in einer solch extremen Situation handlungsfähig und kühn agieren lässt, sondern vor allem die Solidarität im Gruppenkern eher noch verstärkt denn schwächt. Der wesentliche Unterschied zu denen, die sich nicht zum inneren Gruppenkern zugehörig fühlen, besteht dann weniger im geteilten Fokus der Aufmerksamkeit – denn der ist bei allen gleich, nämlich die drohende Gefahr des Einsturzes und damit der Tod unzähliger Menschen – sondern die Vermitteltheit der Aufmerksamkeit.
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Die Aufmerksamkeit ist bei Nichtgruppenmitgliedern vermittelt über diejenigen, die den direkten Fokus auf die Sache haben und somit die Sache zu ihrer Sache machen. Demzufolge muss die Ebene der versicherten Aufmerksamkeit auf die Bindung vom Gegenüber geleistet werden. In diesem Fall sind das die Randfiguren und Zuschauer, die nicht direkt zum Gruppenkern gehören. Die Bindungsbemühung und -sicherung ist somit maximal asymmetrisch verteilt. Ebenso ist die Aufmerksamkeitsverteilung auf soziale Präsenzen extrem einseitig. Die Darbietung von Präsenzen und die Einnahme von Raum wird allein dem excellence-part überlassen. Zuschauer müssen dabei nicht tatsächlich »im Weg stehen«. Sie haben schlichtweg in dieser (in dem Fall notwendigen) Machtkonstellation keinen Anspruch auf Raum. Die Feuerwehrleute hingegen, so beschreibt es Collins, »follow the normal routine of doing their job« (ebd., 90). Insofern bleibt die Sichtbarkeit beim Gruppenkern. Dem Gegenüber obliegt das Aufmerken jener Präsenzen, das Innehalten und Beobachten. Die Aufmerksamkeit der Situation als gesellschaftliche Situation muss hier zunächst grundsätzlich beiden Seiten unterstellt werden. Denn erst diese legitimiert das extreme Machtungleichgewicht beiderseits. Aber wiederum dürfte der Aufmerksamkeitsanteil der zuschauenden Masse größer sein, denn die Feuerwehrmänner folgen ihren Arbeitsroutinen und fokussieren darauf, was sie zu tun haben. Die Zuschauer hingegen haben in dieser Extremsituation keine Routinen, denen sie folgen können, und keine enge Gruppensolidarität, in welche sie sich einordnen könnten. Die Frage also, wie die Situation als kollektive Situation, als gemeinschaftliche und historische, einzuordnen ist und was zu tun ist, dürfte somit sehr viel mehr im Vordergrund stehen. Entgegen diesem notwendigerweise extremen Machtungleichgewicht wird der Unterschied, den eine ungleiche Verteilung verschränkter Aufmerksamkeiten im Aufmerksamkeitsfeld ausmacht, noch an einem weiteren Beispiel Collins deutlich. Darin bezieht er sich direkt auf die Studien von Chambliss (1989) zum differenten Interaktionsverhalten von Athleten in sportlichen Wettkämpfen: »The difference is manifested in the details of behavior: winners are meticulous in performing their routines in ways that they have deliberately developed; they have built up their own rhythms and stick to them in the face of competitive opposition. The winners make themselves the focus of attention; they set the expectations around themselves. Losers, however, let the winners become the focus, and adapt their micro-behavior toward them. This implies that a winner (perhaps dominant persons generally, in dominance contests more widely as well as in athletics) has a sense of control throughout the situation: winners maintain and build up their own rhythmic coordination, their anticipation of what they will do, setting the micro-rhythmic pace. Losers (and persons who are subordinated
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in dominance contests) allow someone else to break their own flow of anticipation of what will happen in their own activities. These dominated persons can cope with the situation, can maintain some anticipation about what will happen only by focusing on the other person as the lead, rather than by projecting their own volitional future. In effect, such a person can recoup some emotional energy from the situation by becoming a follower, attaching themself to someone elseʼs lead.« (Collins 2004, 122)
Die Beispiele verdeutlichen, wo die Ausführungen hinführen. An beiden von Collins angesprochenen Punkten der geteilten Aufmerksamkeit, nämlich der Wahrnehmung und Vergewisserung der geteilten Aufmerksamkeit und der Fokussierung, kann nicht schlicht von einer natürlichen Gleichverteilung ausgegangen werden. Stattdessen soll aufgezeigt werden, dass sich genau hier jene Asymmetrien wiederfinden, um welche in den von Collins vielfach empirisch aufgezeigten Machtmechanismen eigentlich gerungen wird. Denn entgegen Collins’ Auffassung, dass sich die subtilen Machtmodi in der sozialen Begegnung mit dem Vorhandensein Emotionaler Energie quasi automatisch umsetzen, und zwar ihrer selbst wegen, scheint es in der entgegengerichteten Perspektive der analytischen Betrachtung der Grundbedingungen der Begegnung, der unterscheidbaren Ebenen der Aufmerksamkeit, eher so, dass Aufmerksamkeiten nicht nur Grundbedingungen der Begegnung, sondern auch Grundinteresse interagierender Subjekte sind. So illustriert das erste Beispiel in aller Deutlichkeit, dass die Sicherung der wechselseitig antizipierten Aufmerksamkeitsfokus in Interaktionen keineswegs gleich verteilt sein muss. Es demonstriert eine sehr einseitige Bindungsbemühung, während der Gegenüber sich der geteilten Aufmerksamkeit dennoch sicher sein kann. Dieses ausgeprägte Ungleichgewicht impliziert ein starkes Machtgefälle, wie es auch in Interaktionen zwischen Vorgesetzten und Angestellten, Eltern und Kind, Lehrer und Schüler etc. denkbar ist. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass auch in egalitären Interaktionen die Bindungsbemühung der geteilten Aufmerksamkeit nicht immer gleich verteilt sein muss, sondern darum durchaus wechselseitig unterschiedlich gerungen werden kann. Das zweite angeführte Beispiel hebt den Aspekt des geteilten Aufmerksamkeitsfokus in anderer Weise hervor. Spricht Collins selbst zumeist nur vom gemeinsamen Fokus, womit zunächst eine gleiche Beteiligung suggeriert wird, geht er in diesem Fall davon aus, dass Machtinhaber in der Situation sind, die Aufmerksamkeit um sich herum zu setzen oder sich selbst zum Fokus der Aufmerksamkeit zu machen (vgl. Collins 2015, 16). Doch auch dabei geht es nicht um den Gegenstand der Aufmerksamkeit selbst, sondern um die Macht der Realitätsauswahl in Form einer Macht der Präsenz des Zeigens, des Gezeigtem und des Zeigenden. Aber wiede-
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rum spielen Sichtbarkeiten und das Aufmerken sozialer Präsenzen eine entscheidende Rolle. Indem dominierende Personen ihren eigenen Gedanken und Handlungen unbeirrt folgen, verweigern sie gleichzeitig andere Sichtbarkeiten und setzen damit eigene Präsenzen durch. Verschränkte Aufmerksamkeiten in der nicht-sozialen Begegnung Die bisherigen Ausführungen lassen erkennen, dass sich die Vielgestalt möglicher Resonanzebenen der Resonanztheorie in den hier ausgeführten Ebenen der Aufmerksamkeit nicht ohne weiteres wiederfinden lassen. Übertragen auf nichtsoziale Begegnungen abstrahiert sich das Aufmerksamkeitsfeld auf eine Verteilung von Aufmerksamkeiten auf das Selbst und das Begegnende sowie den eigenen Inhaltsfokus. Das Moment des Machtverhältnisses kann nicht ganz außer Acht gelassen werden, sondern bestimmt sich aus der erreichbaren Eigenpräsenz und der Dominanz von Angebotscharakteren. Beispielsweise mag ein Waldspaziergang ein erhebliches Maß an Eigenpräsenz, verstanden als Anteil der Aufmerksamkeit auf das Selbst oder vermittelt über das Selbst, in der Begegnung zulassen. Dies ändert sich jedoch, wenn dabei beispielweise eine große Herde Wildschweine auf den Spaziergänger zusteuert. Denn die Tierherde würde eine enorme Präsenz einfordern. Dies jedoch nicht unabhängig vom Betrachter, sondern abhängig von dessen affektiven Grundbewegungen und daraus resultierenden affektiven Empfindungen dazu. Dieses simple Beispiel macht die Rolle der affektiven Grundbewegungen der Zu- und Abwendung im Aufmerksamkeitsgeschehen deutlich. Denn handelte es sich nicht um eine Herde Wildschweine, sondern einen Schwarm Schmetterlinge, hätte dies unter Umständen einen völlig anderen Einfluss auf Verteilungsdynamiken von Aufmerksamkeiten zu eigenen und fremden Präsenzen sowie ungeteilten Aufmerksamkeitsfokussen. Anders fällt das Aufmerksamkeitsfeld auch aus, wenn es sich weder um Wildschweine noch um Schmetterlinge handelt, sondern um Ameisen im Waldboden. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass auch die angenommenen Grunddimensionen affektiver Hintergründe, die der affektiven Zu- oder Abwendung, zum einen mit der weiteren Gewährung und Verwehrung von Aufmerksamkeiten verknüpft sind und zweitens immer auf spezifischen, kulturell und individuell geprägten Dispositionen beruhen. Eine retroperspektivische Analyse muss also die Transformation von Dispositionen in affektive Hintergründe beschreiben können, welche nur die Aufmerksamkeit als Medium haben kann.
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AFFEKTIVE PRÄDISPOSITIONEN DES AUFMERKENS Ausgehend nun von der Annahme, dass die Gestaltung des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes und damit die wechselbezügliche Verteilung von Aufmerksamkeiten auf affektive Dispositionen dazu verweist, müssen die Spurrinnen differenziert werden, auf deren Grundlage sich dies Aufmerksamkeiten realisieren. Die Annahme lautet also des Weiteren, dass diese systematische Differenzierung der Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten im Begegnungsgeschehen einen ebenso differenzierten Zugang zu affektiven Dispositionen zulässt. Ohne direkt zu systematisieren, in welcher Weise erfahrungsgebundene Dispositionen affektive Modi in der Begegnungssituation direkt realisieren, unterstellen dies sowohl die Resonanztheorie als auch das Modell Emotionaler Energie. Ebenso wenig differenzieren beide Ansätze deren Vermittlung über Weisen der Aufmerksamkeit. Gleichwohl aber thematisieren beide dies. Die Resonanztheorie etwa dann, wenn sie Resonanz ein intensional und libidinös auf die Welt gerichtetes Subjekt voranstellt (vgl. Rosa 2016a, 273). Ebenso, wenn sie die Art und das Ausmaß von Selbstwirksamkeitserwartungen als entscheidend dafür erachtet, wie das Subjekt auf Welt grundlegend zuzugehen in der Lage ist und in welcher Weise es zugleich Welt auf sich zukommend erfährt (vgl. ebd., 272). Das Modell Emotionaler Energie stellt gegenüber der Resonanztheorie den Aspekt des Aufmerkens differenziert heraus. Es bringt die Aspekte affektiver Dispositionen in Form von Emotionaler Energie damit näher mit den entsprechenden Weisen des Aufmerkens auf den unterscheidbaren Ebenen jener in Verbindung. Daher soll das Konzept der Emotionalen Energie noch einmal herangezogen werden, um es mit den Weisen des Aufmerkens hinsichtlich der unterstellen Ebenen im geteilten Feld der Begegnung abzugleichen. Denn hier realisieren sich Dispositionen des Vertrauens, des Enthusiasmus und des Selbstbewusstseins in affektive Begegnungsmodi. Deren erhebliches Fehlen äußert sich dann entsprechend in Misstrauen dem anderen gegenüber, in Leidenschaftslosigkeit und gedämpfter Stimmung, fehlendem Selbstbewusstsein, in Scham oder gar Angst sowie fehlender Antriebsenergie und Unsicherheit. Vertrauen Mit Blick auf soziale Präsenzen ließe sich »Vertrauen« hinsichtlich einer wechselseitigen Anerkennung als legitimer Gegenüber der Begegnung interpretieren und damit als grundlegende Bedingung des sich Zeigens und Sichtbarmachens. Denn erst das Vertrauen in eine zumindest grundsätzlich geteilte Realität lässt das, was vom Individuum in Szene gesetzt und damit preisgegeben wird auf gemeinsamen Nenner des Sehens und Verstehens bringen. Das Maß des Vertrauens
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bemisst dabei zugleich den Umgang mit Fremdheit und damit mit Präsenzen, die nicht und nur unsicher zugeordnet und damit verstanden werden können. Bezugnehmend auf rein räumliche Präsenzen bedingt das Vertrauen in das Selbst und den anderen der Begegnung zudem die sozialen Positionen im Raum, die eingenommen und anerkannt werden. Ebengleich bedingt das wechselseitige Vertrauen in die Realität der geteilten Wirklichkeit und die wechselseitige Rekonstruktion dieser auch das Zutrauen und das Vertrauen in den geteilten Fokus. Es erstreckt sich letztlich auch darauf, ob das Gezeigte und die Weise des Zeigens sich in das geteilte Aufmerksamkeitsfeld einfügt und es nicht zerstört. Zudem versichert erst das Vertrauen in die erwiderte und wechselseitig gültige Bindung überhaupt die Möglichkeit, aus einer Begegnung eine soziale Beziehung entstehen zu lassen. Nicht zuletzt richtet sich das Vertrauen dann aber auch auf eine vergleichbare Vorstellung von Gesellschaft als Summe der Haltungen aller und damit den aus Erfahrungen gewonnenen verallgemeinerten Blick, der für einen spricht und dem man sich aussetzt. Enthusiasmus Die affektive Disposition des »Enthusiasmus« meint demgegenüber die prädisponierenden Aspekte der Energie und der Initiativbereitschaft der Individuen. Sichtbarkeit erlangen diese Aspekte nicht nur gestalthaft über körperliche Dynamiken. Vielmehr transportieren durchaus innere Haltungen ebenfalls subtile Präsenzen. Folglich dürfen auch die Dimensionen innerhalb einer Begegnung, die sich etwa als Maße des Energischen, des Nachdrucks der Hinwendung, des Schwungs oder der Freude und Erregung sowie des angeschlagenen Zugs in der Interaktion, eigene Präsenz beanspruchen und werden entsprechend implizit aufgemerkt. Ein absolutes Maß existiert gewiss auch hierbei nicht. Das Aufmerken energetischer Präsenzen dürfte sich eher an einer Triangulation des eignen, des fremden und dem generalisierten Anspruch der Situation orientieren. Auf der Ebene des geteilten Aufmerksamkeitsfokus kann Enthusiasmus dahingehend ausgelegt werden, in welcher Art und Weise inhaltliche oder gegenständliche Aufmerksamkeiten grundsätzlich eingebracht oder verfolgt werden. Das Maß an Initiativbereitschaft meint somit nicht nur, ob überhaupt die Initiative des Zeigens selbst übernommen wird, sondern auch, was und vor allem wie und mit welcher Beteiligung gezeigt wird. Dies kann sich durchaus auch auf gezeigte Inhalte anderer beziehen. Gemeint kann damit auch sein, mit welcher Intensität etwa ein spezifischer, eigener Fokus gegenüber anderen Angeboten des Zeigens vertreten und durchgesetzt wird. Die Übersetzung von Enthusiasmus und Energie auf der Bindungsebene kann sehr vielfältig ausgelegt werden. Enthusiasmus kann ganz naheliegend als Initia-
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tive in der Bindungsaufnahme und der Intensität der Zugewandtheit verstanden werden. Gleiches Maß an Enthusiasmus kann nun aber auch anderen Aufmerksamkeitsebenen gelten und die Bindungsversicherung im hohen Maße dem Gegenüber überlassen. In der Auslegung Collins’ Konzeption der Energie kann jener Aspekt hingegen ebenso als Leidenschaftlichkeit und Erregung gelesen werden und kommt spätestens in dieser Hinsicht dem nahe, was die Resonanztheorie mit einer wechselseitig interessierten bis hin zur libidinösen Bindung einer erfolgreichen Resonanzbeziehung in Verbindung bringt. Grundsätzlich aber müssen sowohl Collins als auch Rosa so verstanden werden, dass eine positive, also energiereichere und freudige Haltung die Aufnahme von Interaktionen insbesondere in Hinblick auf die Bindungsgestaltung unter den Beteiligten allgemein begünstigt, wie Energie allgemein ohnehin mit allen anderen Dispositionen in Verbindung steht. Selbstbewusstsein Der Aspekt des »Selbstbewusstseins« der Emotionalen Energie meint gegenüber dem Vertrauen in die Situation allgemein das Vertrauen in sich selbst und kann in gewisser Hinsicht mit dem abgeglichen werden, was die Resonanztheorie mit Selbstwirksamkeit in der Begegnung betitelt. Die Sichtbarkeit beziehungsweise das In-Szene-Setzen eigenen Zutrauens dürfte in vergleichbarer Weise wie die bisherigen Dispositionen verschiedene Präsenzen beinhalten. Entscheidend dürfte sich ein hohes Maß an Selbstwert auf der Ebene des geteilten Aufmerksamkeitsfokus in der Wahl des geteilten Fokus bemerkbar machen. Insbesondere dann, wenn dieser von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung des Hebels ist, an dem Macht und Gegenmacht verglichen werden können. Eigenes Zutrauen richtet sich auf dieser Ebene auf das Zutrauen im Vergleich und dem eignen Bestehen im Feld gruppenspezifischer Symbolsysteme, etwa innerhalb von Berufsgruppen oder Jugendszenen. Selbstbewusstsein prädisponiert daher das Maß, in dem eigene Machtansprüche in der Wahl des geteilten Fokus vertreten oder aber anderen überlassen werden. Inhalte und Gegenstände als eigene Reputationen setzen insofern immer am Vertrauen in sich selbst und dem Anspruch an die eine eigenen Position gegenüber anderen an. Noch zentraler jedoch setzt sich Selbstbewusstsein darin um, woran respektive an wen sich in der Konstruktion dieser geteilten Inhalte orientiert wird. Zuvor wurde beschrieben, dass mit dem Zeigen nicht nur eine Auswahl des bereits Vorhandenen gemeint sein kann. Der Prozess der wechselseitigen Rekonstruktion einer geteilten Realität ist immer eine Ad-hoc-Konstruktion, die sich in ihrem Maß der Orientierung an bestehenden und von Solidargemeinschaften vertretenen Inhalten unterscheiden kann. Affektive Dispositionen des Zeigenden setzen sich im Zeigen also nicht nur da-
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rin um, ob überhaupt etwas gezeigt wird und was ausgewählt wird, sondern vor allem auch darin, wie frei oder gebunden konstruiert wird. Dies zeigt sich darin, ob die Konstruktion mehr am Eigenen, am Geteilten oder am anderen orientiert ist. Selbstbewusstsein umschreibt dann die stärkere Orientierung am Selbst im Prozess des Zeigens, wohingegen sich fehlendes Selbstbewusstsein in einer ausgeprägteren Orientierung am anderen beziehungsweise an durchgängiger akzeptierten Inhalten zeigen dürfte. Eigene Reputationen bauen bei einem geringen Selbstwert, der eingebracht werden kann, dann stärker auf den Schultern der Reputationen anderer auf. Ein starker Selbstwert kann nun auch auf Bindungsebene ganz unterschiedlich gerichtet sein. Dem Gedanken der Selbstwirksamkeit der Resonanztheorie folgend kann sich diese auf Bindungsebene als ein Zutrauen in die eigene Fähigkeit, andere erreichen und bewegen zu können, umsetzen. Gleichzeitig kann ein sehr hohes Selbstwertgefühl ebenso die Sicherheit in die zukommende Aufmerksamkeit bewirken. Teilnehmer von Interaktionsritualen trauen sich dann eher zu, die Grenzen der Bindungsleistungen des Gegenübers abzutasten, während sie ihre Aufmerksamkeit auf andere Ebenen richten können. Collins macht hierzu jedoch deutlich, dass dieses Zutrauen je nach Art der Begegnung, etwa berufliche, freundschaftliche, therapeutische oder sexuelle, sehr unterschiedlich ausfallen kann. Denn: »[...] these emotional energies tend to be specific to particular networks and groups, or to particular kinds of them: some persons feel full of confidence and initiative in a gathering of professional acquaintances, but not in a sexual situation; some feel confidence in a business negotiation, but not a political one; persons who dominate the centre of attention in an intellectual gathering may fade into shyness at a drinking party.« (Collins 2004, 118)
Vielgestalt affektiver Dispositionen Die dargestellte Aufteilung der Aspekte Emotionaler Energie auf die verschiedenen Ebenen des verschränkten Aufmerksamkeitsfeldes kann nun einerseits den angestrebten differenzierten Blick der Transformation affektiver Dispositionen auf die Weisen des Aufmerkens darstellen. Das eigentlich Entscheidende daran kann sie andererseits nicht preisgeben. Denn eigentlich aufschlussreich kann diese Perspektive erst sein, wenn unterschiedliche Dispositionen eine Gegenüberstellung erfahren und es gelingt, jene Muster ihrer Übersetzung auf die sich dahinter verbergenden kollektiven Schemata und kulturellen Ordnungen zurückzuführen. Alle hier dargestellten Aspekte affektiver Dispositionen, die auf das Modell Emotionaler Energie zurückgehen, müssen also im Zusammenhang zuei-
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nander gesehen werden. Sie stellen eine Emergenz in actu dar, die in entscheidender Weise das affektive Wechselverhältnis der Beteiligten zueinander prädisponieren. Sie können auf der einen Seite keine Ausschließlichkeit beanspruchen. Wie bereits angedeutet wurde, sind sie sehr einseitig am Ergebnis von Machtpositionen abgelesen. Auf der anderen Seite sind sie bereits zu komplex, um jene von einem spezifischen Bild, welches jene Dispositionen zur Gänze umschlagen kann, herleiten zu können. Dabei sind die beschriebenen Mechanismen der Prädisponiertheit des Aufmerkens alltäglich und vielfältig und zudem konstruktiver Bestandteil jeder sozialen Situation, sei es eine ökonomische, therapeutische, pädagogische, freundschaftliche oder romantische. Immer bedarf es dabei einer Macht, und zwar der Macht, Aufmerksamkeit zu binden, versichern zu lassen und Auffälligkeiten zu schaffen. Die vorangegangene Darstellung dessen, inwiefern sich auf mikroprozessualer Ebene der Begegnung die Machtdimension als Macht im geteilten Aufmerksamkeitsfeld verstehen und differenziert beschreiben lässt, verweist auf die eigentlichen Transformationswege und damit gleichzeitig die zu fokussierende Systematik affektiver Dispositionen. Die Erweiterung des Blickfeldes von den subtilen Mechanismen der wechselseitigen Rhythmusgestaltung rückblickend auf die Weise der kollektiven und damit wechselbezüglichen Konstruktion eines geteilten Aufmerksamkeitsfeldes begründet eine Perspektive auf die Dimension der Macht in ihrer elementarsten Bestimmung. Das eigentliche Ziel soll aber sein, damit selbst »machtferne« affektive Dispositionen ausmachen zu können, welche die Perspektive auf konkrete Begegnungsweisen und Beziehungsformen nicht offensichtlich werden lassen. Die bisherigen Überlegungen fortführend ließe sich doch ergänzend danach fragen, welche Rolle etwa Dispositionen der Sanftmütigkeit, der Freundlichkeit oder Besonnenheit, aber auch in Stellenbeschreibungen gern geforderte Dispositionen der Teamfähigkeit, Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit im geteilten Feld der Aufmerksamkeit spielen. Wie also wirken sich eigene Zuschreibungen oder Forderungen jener auf Weisen der Beteiligung an der Ko-Konstruktion von Aufmerksamkeiten und Präsenzen aus? Ausgehend also von der Annahme, dass die basale Machtdimension auf wechselbezügliche Weisen des Aufmerkens verweist, müssen affektive Dispositionen sich zunächst in ihrer Bedeutung für die Strukturen des ko-konstruierten Aufmerksamkeitsgestaltung befragen lassen. Überlegungen ließen sich dann auch dahingehend anstellen, inwiefern sich Gruppen jener Dispositionen definieren lassen, die ähnliche Richtungen der Aufmerksamkeitsgestaltung in Hinblick auf Macht- und Statuspositionen kodifizieren. In gewisser Hinsicht spiegeln sich Annahmen dazu in Beschreibungen zu persönlichen Charaktereigenschaften und emotionalen Dispositionen bereits wider.
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Individuelle und kollektive Dispositionen Die bisherigen Darstellungen machen allerdings deutlich, dass es äußerst schwierig ist, den Zusammenhang affektiver Dispositionen mit den Weisen der Gestaltung des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes sprachlich wiederzugeben. Die gewählten Formulierungen sollten deutlich werden lassen, dass hierbei gerade keine Transformation im Sinne einer Veränderung eines Zustands in einen anderen beschrieben ist. Denn affektive Dispositionen meinen in diesem Sinne keinen affektiven Zustand. Sie meinen aber auch keine individuellen oder kulturellen Grundannahmen, sich selbst und andere betreffend, wie auch keine affektiven Erfahrungen früherer Begegnungen per se. Ihre zu benennende Gestalt bezieht sich aus dieser Perspektive auf die Systematik ihrer Realisation der Verteilung wechselseitig verschränkter Aufmerksamkeiten auf den verschiedenen Ebenen des Aufmerkens. Die Verteilungsstrukturen von Aufmerksamkeiten bilden folglich die Grundstrukturen sich umsetzender Grundmodi der Begegnung. Affektive Hintergründe erlangen somit erst an Bedeutung im Rückbezug auf die Austragungsorte ihrer Realisation. Affektive Qualitäten etwa in Form des Sichselbstbewusst-Fühlens bezeugen diese Dispositionen damit keinesfalls direkt, sondern erst in Zuge ihrer rechtfertigenden Realisation in der Begegnung oder im Nachwirken jener. In der Begründung sich daran anschließender affektiver Dynamiken also. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass grundlegende affektive Empfindungsreaktionen ganz unwillkürlich und unreflektiert die Folge spezifischer Aufmerksamkeiten auf den verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen sind. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass affektive Hintergründe untrennbar verschränkt sind mit der leiblich-performativen Seite elementarer Begegnungsmodi. Affektive Hintergründe rufen Begegnungsmodi nicht erst als Reaktionen hervor. Denn dies würde suggerieren, dass der emotionale Zustand dem vorrangig sei. Davon kann jedoch keine Rede sein. Zusammenfassend ließe sich darstellen, dass sich erfahrungsgebundene Grundannahmen davon, wie man selbst und zu anderen in die Welt gestellt ist, ebenso wenig wie emotional konnotierte Symbole direkt in spezifischen Weisen des Aufmerkens umsetzen. Vielmehr gilt es erst jene immanenten Strukturen, wie sie dies tun, wie also soziale Dispositionen zu Dispositionen des Aufmerkens werden, herauszustellen. Denn es sind die Weisen des Aufmerkens, die sich auf verschiedenen Ebenen durchaus unterschiedlich in affektiv-performative Grundmodi realisieren und dort die Ausgangslage sich daraus entwickelnder affektiver Dynamiken bilden. Erst hier realisiert sich also die tatsächliche Weise, in der Welt zu sein, und damit die Möglichkeit affektiven Empfindens sowie pa-
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ralinguistischer, sprachlicher und körperlicher Performanzen. Entscheidendes Ergebnis ist, dass Grundannahmen davon, wie man selbst und zu anderen in die Welt gestellt ist, sich nicht zwangsläufig mit sich realisierenden Weisen, in der Welt zu sein, abgleichen lassen müssen. Letztlich ausschlaggebend ist, in welcher Art und Weise sich affektive Dispositionen realiter in Weisen der Aufmerksamkeit transformieren. Soziale und individuelle Erfahrungsbestände können damit nicht mit affektiven Dispositionen gleichgesetzt werden. Das macht deutlich, dass der eigentliche Kern dieses Perspektivwechsels, also die Benennbarkeit affektiver Dispositionen und deren Transformation in affektive Hintergründe, noch aussteht. Dass das Medium der Transformation die Aufmerksamkeit ist und diese auf verschiedenen Ebenen anzusetzen ist, wurde nun erläutert. Unklar bleibt, wie affektive Dispositionen als Prädispositionen der Weisen der Aufmerksamkeit tatsächlich zu systematisieren sind. Man machte es sich wohl zu einfach, würde man behaupten, dass sich Annahmen der Individuen etwa davon, grundsätzlich selbstbewusst und initiativbereit, freundlich und wohlwollend zu sein, als tatsächliche Weisen der Aufmerksamkeit der verschiedenen Ebenen auswirken. Gleichzeitig ist damit jener Ort der Transformation bereits adressiert, an dem eingangs vermutet wurde, dass sich hier individuelle Dispositionen und kulturelle Ordnungen verschränken und zu affektiven Dispositionen der Weisen des Aufmerkens in der Begegnung werden. So wird zugleich behauptet, dass dies teilweise unabhängig von konkreten individuellen Begegnungserfahrungen geschieht. Wurde zuvor in Erwägung gezogen, dass mit Blick auf individuelle Dispositionen durchaus typische Gruppierungen im Zusammenhang mit bereits bekannten Beschreibungen, etwa zu Persönlichkeitstypen, stehen könnten, gilt dies für kollektive Dispositionen vermutlich auch. Abgleichen ließen sich diese dann etwa mit gesellschaftlichen Zuschreibungen des unemotionalen Mannes gegenüber der emotionalen Frau (vgl. Collins und Coltrane 1995, 15). Jene würden in dieser Betrachtung jedoch nicht auf Emotionen, sondern auf affektive Dispositionen abzielen, welche die Gestaltungsmöglichkeiten im Feld sich verschränkender Aufmerksamkeiten entsprechend entgegengesetzt prädisponieren. Würde man Bildern des Weiblichen, die Frauen klassischerweise Freundlichkeit und Einfühlungsvermögen, Rücksichtnahme und Irrationalität zuschreiben, aus dieser Perspektive als affektive Dispositionen betrachten, müssten sie in dem Fall als ganz spezifische Prädispositionen von Gestaltungsweisen im geteilten Feld der Aufmerksamkeit gelesen werden. Aus dieser Perspektive kann man darüber hinaus aber auch Überlegungen dazu anstellen, inwiefern Anforderungen an Kommunikation und Sprache zugleich Anforderungen an affektive Hintergründe und damit wiederum an die Ge-
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staltung des verschränkten Aufmerksamkeitsfeldes stellen. Aus dieser Sicht erscheinen nicht nur der Zustand der Sprache und des Rechts als strukturelle Rahmen gesellschaftlicher Anerkennungsdynamiken (Honneth 1992), sondern ebenso prädisponierende Strukturen affektiver Hintergründe. Auch wären Lebensweltkonstruktionen aus dem Zusammenhang von Handeln, Denken und Sprechen (Srubar 2009) dazu aufgerufen, affektive Dimensionen dieses Zusammenhangs, insbesondere in Hinblick auf kulturelle Differenzen, zu reflektieren. Gleichermaßen müssten Habermas’ Forderungen an den verständigungsorientierten Gebrauch von Sprache (Habermas 1992) auf damit implizierte Forderungen als affektive Dispositionen der Verhandlungen wechselbezüglicher Aufmerksamkeiten des Kommunikationsgeschehens hin befragt werden. Gleiches gälte dann für Verhältnisbestimmungen von Semantik und Kultur. Sich derartigen Fragestellungen annähern zu können, soll Aufgabe des letzten Abschnitts dieser Arbeit sein.
Kapitel 6 Prädispositionen affektiver Hintergründe: Kulturelle Ordnungen und Schemata des Aufmerkens
Die diametrale, also zu- oder abwendende Grundstruktur affektiver Hintergrundbewegungen in der Begegnung, findet, das hat die bisherige Untersuchung deutlich gemacht, auf den verschiedenen Ebenen gleichzeitigen Aufmerkens statt. Dies grundsätzlich unabhängig davon, welche Ebenen man jeweils definieren und unterscheiden mag. Eine elementare Analyse der Dispositionen affektiver Begegnungsmodi und affektiven Erlebens kommt damit nicht umhin, nach den Dispositionen des Aufmerkens auf den unterschiedlichen Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten zu fragen. Dass diese affektiven Dispositionen nicht schlichtweg mit affektiv konnotierten Symbolen und grundlegenden Stellungnahmen anlässlich affektiver Erfahrungen gleichgesetzt werden können, wurde ebenso vorgestellt. Dieses letzte Kapitel wendet sich daher der bisher noch schuldig geblieben Antwort auf die Frage zu, was unter affektiven Dispositionen verstanden und wie sie systematisch darstellbar gemacht werden können. Das Hauptaugenmerk, auch darauf wurde hingewiesen, soll auf der Rolle interindividueller, kultureller Schemata liegen und deren Weisen der Transformation in Aufmerksamkeitsbeziehungen. Naheliegend scheinen Zugänge zu Formen impliziten Wissens zu sein. Dieses Wissen wird zumeist praxeologisch ausgelegt als Strukturen vorbewussten und semiotisch nicht zugänglichen Handlungswissens. Häufig liegt hierbei der Fokus mehr auf dem körperlichen Akt denn auf den damit verschränkten affektiven Bewegungen. Auch sind mitunter komplexere Handlungen adressiert. Thematisierungen impliziten Wissens systematisieren somit nicht direkt Weisen des Aufmerkens selbst. Sie liefern dennoch hilfreiche Strukturierungsansätze
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impliziter, leitender Schemata. Zudem bewegen sich jene Auseinandersetzungen ebenso im Diskursfeld um Wechselbeziehungen von Subjekt und Welt, personaler und objektiver Präsenzen, zwischen Produktion und Widerfahrnis (Heidegger), Alltäglichem und Besonderem. Orientiert daran, wird jedoch zunächst eine Differenzierung kulturell disponierender Strukturen des Aufmerkens, wie sie Schroer (2014) zusammengetragen hat, herangezogen. Denn erst, wenn überhaupt Eindrücke davon gewonnen werden können, wie kollektive (aber auch individuelle) Weisen des Prädisponierens von Aufmerksamkeit aussehen können, eröffnet dies den Raum differenzierter Beschreibungen affektiver Dispositionen. Jene Beschreibungen erlauben sodann Bezugnahmen zu verschiedenen Typologien impliziten Wissen, etwa hinsichtlich der Unterscheidung kollektiver Kodifizierungen von Körperwissens (Taylor 2003) oder der Klassifikation impliziter Wissensformen nach »relational, somatic, and collective« (Collins 2010, 3). Damit kann man sich aber zugleich Fragen nach dem Verhältnis individueller, emotionaler Begegnungserfahrungen und kollektiven Wissens nähern. Einschränkend muss an dieser Stelle jedoch ebenso angemerkt werden, dass all diese Fragen sich hiervon ausgehend nicht umfänglich beantworten lassen, vermutlich nicht einmal im vollen Umfang aufgeworfen werden können. Das folgende Kapitel reiht sich daher ein in Versuche der Sichtbarmachung kollektiver Hintergründe und einer strukturierten Näherung an affektive Hintergründe, jedoch mit dem expliziten Fokus auf die Weisen der Gestaltung eines wechselseitig verschränkten Aufmerksamkeitsfeldes.
UNTERSCHIEDLICHE WEISEN DES AUFMERKENS Schroer stellte heraus, dass der Begriff der Aufmerksamkeit soziologische Bedeutung im Umfeld von drei zentralen Begriffsdimensionen erlangt hat. (1) Die erste Dimension bezieht sich auf die vielfach angeführte Dialektik von Aufmerksamkeit, dem Neuen und Unbekannten gegenüber der Routine des Gewohnten und Bekannten. (2) Davon zu unterscheiden sei zweitens die Differenzierung von Aufmerksamkeit als einschlägige Fokussierungen im Gegensatz zur Zerstreuung von Aufmerksamkeiten und lässt das Phänomen der Aufmerksamkeit eher als eine Form der Konzentration auf das Wesentliche oder Relevante verstehen. (3) Eine dritte Dimension von Aufmerksamkeit eröffne sich in der Beschreibung von Aufmerksamkeit als Selektion allgemein. Gemeint ist hiermit das grundlegende Moment der Auswahl aus einer potenziell unendlichen Anzahl kontingenter, zunächst gleichwertiger Möglichkeiten, die sich je nach Sinnhorizonten etwa
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historisch, kulturell, milieu-, berufs- oder geschlechtsspezifisch unterscheiden (vgl. Schroer 2014). Auf den ersten Blick liegen diese von Schroer vorgeschlagenen Unterscheidungen durchaus nah beieinander, unterscheiden sich die umrissenen Begriffsdimensionen nicht in ihrem Grundverständnis von Aufmerksamkeit, sondern in ihrer Perspektive auf verschiedene Dimensionen dessen, Was und Wie aufgemerkt wird. Das, was diese unterschiedlichen soziologischen Blickwinkel auf Aufmerksamkeit aber vereint, ist, dass sie nicht vor schwarzem Hintergrund danach fragen, was das Phänomen des Aufmerkens denn grundlegend meint, sondern Weisen des Aufmerkens bereits ganz selbstverständlich in ihrer Einbettung in kulturelle Ordnungen beleuchtet werden. Überhaupt lassen sich, mit Blick auf das Thema der Aufmerksamkeit, nur schwer Aussagen unabhängig gesellschaftstypischer und soziokultureller Kontexte treffen (Hahn 2001; Waldenfels 2015; Assmann und Assmann 2001; Schroer 2014). Im Interesse einer Hinterfragung zugrunde liegender affektiver Dispositionen muss dies als Chance verstanden werden, die gesellschaftlichen und soziokulturellen Prädispositionen der Weisen des Aufmerkens nachfahren und bezüglich ihrer Bedeutung für affektive Strukturen der Begegnung auslegen zu können. Daher sollen im Folgenden systematische Überlegungen dazu angestellt werden, inwieweit die unterscheidbaren soziologischen Blickwinkel auf kollektive Strukturen des Aufmerkens als Rahmen kultureller Dispositionen des Aufmerkens dienen. (1) Aufmerksamkeit zwischen Alltäglichem und Besonderem Beginnend mit der Bedeutungsdialektik der Aufmerksamkeit bezüglich des Alltäglichen und des Besonderen eröffnet sich ein breites Feld soziologischer Anknüpfungspunkte. Das routinierte Handeln und das als selbstverständlich Anerkannte stellt ein wesentliches Begründungsmoment in der soziologischen Theorie dar. Es bildet gemäß der phänomenologischen Handlungstheorie von Alfred Schütz die selbstverständlich gegebene Lebenswelt dar (Schütz und Luckmann 1988), ebenso wie in den daran anschließenden Diskursen um Konfrontationslinien mit Rational-Choice-Ansätzen der Soziologie (vgl. etwa Esser 1991, darauf bezugnehmend Schmidt 2000), ohne dass dabei das andere des Routinierten notwendigerweise zur Sprache kommt. Dem mag die Annahme zugrunde liegen, dass letztlich alles, was einmal als etwas Ungewohntes, Besonderes oder ganz und gar Neues Aufmerksamkeit erregt, entweder der eigenen Seltenheit Rechnung trägt oder aber recht bald diesen Status und die damit erworbene besondere Aufmerksamkeit verliert. Sich an dieser Dialektik orientierend, verweist Walter Benjamin in Aufmerksamkeit und Gewohnheit auf Goethe:
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»Die erste aller Eigenschaften, sagt Goethe, ist die Aufmerksamkeit. Sie teilt jedoch den Vorrang mit der Gewohnheit, die ihr vom ersten Tage an das Feld bestreitet. Alle Aufmerksamkeit muss in Gewohnheit münden, wenn sie den Menschen nicht sprengen, alle Gewohnheit von Aufmerksamkeit verstört werden, wenn sie den Menschen nicht lähmen soll.« (Benjamin 1974, 107f.)
Routine und Gewohnheit kann so leicht als etwas Bedrohliches, den Fortschritt behinderndes konzipiert werden und wird mit dem Projekt der Moderne, die auf unentwegte Innovation und Aktivierung aller potenziellen menschlichen Kräfte setzt, unvereinbar (Beck 1986; Luhmann 1996). Die Resonanzkritik setzt hier an, wenn sie den auf soziale Sicherheit und Resonanz erprobten Menschen in einer sich kontinuierlich beschleunigenden Gesellschaftsordnung verstummen sieht, deren Stabilität nur noch in der Steigerungslogik verhaftet ist. Denn Stabilität meint hierbei nicht mehr Ordnung und Konstanz, sondern Komprimierung eines Entwicklungsstromes in eine einzige Richtung unter Herrschaft einer einzigen Logik (Rosa 2016a, siehe auch Sennett 1998, Boltanski und Chiapello 2003). Der Mensch in einer solchen Gesellschaft sieht sich zeitspezifischen Bedingungen (Lenk 2000, 123ff.) und dem Zwang zur Kreativität ausgesetzt (Reckwitz 2012, 2010), der nicht schlicht eine permanente Loslösung vom Bekannten fordert, sondern sich einer klaren Hierarchisierung dessen gegenübergestellt sieht, was der steten Erneuerung unterworfen werden und an welchen Logiken festgehalten werden muss. Die postmoderne Logik findet somit ihre Kontrastierung zwischen dem Zurückbleiben und der Neuheit, und zwar als Gegensatzpaar des Schon-Vorhandenen und der Verheißung des »Unerwartbaren« und »Noch-nieda-Gewesenen«. Dem Zuhandenen wird damit nicht nur nach dem Ausmaß und der subjektiven Nähe des Bruchs des Gewohnten subjektive Zurechnung zuteil. Im Vorfeld dessen, was und wie aufgemerkt wird, gibt es zunächst zeit- und kulturspezifische Grenzziehungen, was überhaupt als bekannt und als Abweichung gelten darf und welche Bedeutung dem zukommt. Hier setzen Überlegungen an, inwiefern in der verdichteten Postmoderne die Schwellensetzung, was als Bruch gelten darf, entsprechend exklusiviert und hierarchisiert sein dürfte. Affektive Hintergründe entwerfen sich hierbei ausgehend von einer Dimension der Unterscheidung und Bedeutsamkeit von Stabilität und Veränderung. Grundsätzlich kann aber zunächst festgehalten werden, dass Weisen des Aufmerkens zum einen danach befragt werden müssen, wo individuelle und kollektive Bruchlinien des Gewohnten zum Nennenswerten verlaufen und welche Bedeutung dem zukommt.
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Kollektive Grenzgänge zwischen Ereignis und Routine Stephen Greenblatt hat sich in diesem Zusammengang der Bedeutung des Staunens und Wunderns gewidmet und sich der Frage zugewendet, welche Bedeutung diese besondere Weise, in der Welt zu sein, für Prozesse der Wertschätzung hat (vgl. Greenblatt 1998). Um zu zeigen, dass Grenzziehungen zwischen alltäglicher Routine und dem, was außerhalb derselben liegt, von kollektiven Wertungen des Ereignishaften abhängt, sei eine empirische Untersuchung von Schimmack und Diener (1997) vorgestellt. Es handelt sich um eine klassische Tagebuchstudie mit Ereignisstichprobe, in welcher 147 Studierende um eine Beurteilung ihrer Stimmung anhand der Items angenehm, unangenehm, wach, müde, erregt und ruhig gebeten wurden. Als tägliche Zeitpunkte, so die Aufgabe, sollte neben denen der Vorlesung und des Zubettgehens je ein positives Ereignis und ein negatives Ereignis des Tages ausgewählt werden. Die Ergebnisse waren nicht besonders überraschend. Neben dem zu erwartenden Unterschied in der LustUnlust-Dimension zwischen positivem und negativem Ereignis zeichneten sich Letztere durch ein höheres Maß an Erregung aus. Die Abweichungen der Zeitpunkte des Zubettgehens und der Vorlesung fielen dagegen deutlich geringer aus. Sie wurden daher auf tagesrhythmische Effekte zurückgeführt und waren für Schimmack und Kollegen entsprechend uninteressant (vgl. Schimmack und Diener 1997; auch Stone et al. 1996; Reisenzein 1994). Diese Einordnung erfolgte zu Unrecht, zumindest hinsichtlich der Frage, was das Ergebnis über die antizipierten Bewertungen der verschiedenen Situationen preisgibt. Denn das, was als Ergebnis am deutlichsten heraussticht, ist die von den Studierenden (und den Untersuchungsleitern) vorgenommene Unterscheidung zwischen dem, was für sie als Ereignis gelten darf, und dem, was kein Ereignis ist. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass von vornherein der Besuch von Vorlesungen ebenso wie das tägliche Zubettgehen als Nicht-Ereignis im nennenswert positiven oder negativen Sinne bewertet wird. Denn die quasi nicht vorhandene Unterscheidung zwischen den Situationen dürfte als eine geringere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Nicht-Ereignisse interpretiert werden, weshalb nicht nur das Lustniveau gleich niedrig ist, sondern ebenso das Niveau der Erregung der Teilnehmer. Die von Schimmack vorgestellte Interpretationsweise der Ergebnisse unterliegt somit einer klaren Situationsorientierung. Das Ereignis beziehungsweise die Situation wird als notwendige Bedingung gedacht, zu der sich die Stimmungsdimensionen als bestimmbare Variablen verhalten. So Schimmack: »Getrennte Varianzanalysen für jede LEW Dimension zeigten, daß die Situation 84 %, 45 % und 64 % der Varianz (partielles η2, alle ps < .01) in den LEW Dimensionen erklärte.« (Schimmack 1999)
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Doch entgegen den Annahmen der Autoren der Studie kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ursache der positiven oder negativen Stimmungen schlicht auf dem positiven oder negativen Charakter der Situation beruht, hingegen die Vorlesungssituation und die Situation des Zubettgehens keine besonders positiven oder negativen Aspekte enthalten. Vielmehr stellt die vorausgehende Bewertung der Situation als Ereignis oder Nicht-Ereignis bereits einen wesentlichen prädisponierenden Aspekt der Aufmerksamkeiten der Situation dar. Diese Unterscheidung ist folglich eine zentrale Disposition dessen, was und wie überhaupt aufgemerkt wird und welche Stimmungen folglich zutage treten können. Bereits die antizipierte Unterscheidung zwischen Ereignis und Nicht-Ereignis prägt den Erwartungshorizont. Ohnehin ist die Vorstellung, eine Stimmung könne auf einer bestimmten Situation per se beruhen, irreführend. Was sollte eine Situation klar markieren, um als solche abgrenzbar zu sein und zudem mit latenten Stimmungen in Verbindung gebracht zu werden? Die Perspektive auf Weisen der Aufmerksamkeit in den einzelnen Sequenzen der Begegnung scheint den eigentlichen Prozess doch sehr viel differenzierter darstellbar zu machen und kann darüber hinaus hinsichtlich gesellschaftlicher und soziokultureller Grenzgänge befragt werden. Hinzu kommt, dass der Aufbau der vorgestellten Untersuchung mit der bereits induzierten Erwartung, Ereignisse gegenüber anderen Situationen abgrenzen zu wollen, die Aufmerksamkeit auf das, was als besonders gelten darf, inklusive der damit ausgelösten Stimmungen, sogar noch verstärkt haben dürfte. Grenzgänge zwischen Alltäglichem und Besonderem als affektive Dispositionen Sollen nun diese Grenzziehungen zwischen Alltäglichem und Besonderem als affektive Dispositionen der Begegnung beschrieben werden, bliebe zu klären, in welcher Gestalt sie beschreibbar sein können. Wie wollte man also mehr dazu sagen können, als dass irgendeine Form der Zuordnung als entweder bekannte Routine oder umgekehrt von der Routine abweichend die Weise der Begegnung beeinflusst. Zumal hierzu bereits etliche Formen der Diskursivierung im Rahmen impliziten Wissens einer Berücksichtigung bedürfen. Die bisherigen Überlegungen liefern jedoch vier ganz grundlegende Orientierungspunkte für eine Charakterisierung impliziter Schemata in der Begegnung. Zum einen können hintergründige Ordnungen aus dieser hier eingenommenen Perspektive zunächst einmal auf nichts anderes gerichtet sein als auf die Weise der Aufmerksamkeit. Dies kann jedoch nicht nur als ein diffuses Geschehen behandelt werden. Wie zuvor dargestellt wurde, müssen sich daher zweitens implizite Schemata nach den verschiedenen Ebenen des Aufmerkens befragen
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lassen können, welche je nach Art der Begegnung durchaus unterschiedlich sein können. Eine dritte und mindestens ebenso entscheidende Einschränkung liefert das hier skizzierte Modell mittels des Umstandes, dass sich Weisen der Aufmerksamkeit der verschiedenen Ebenen auf der elementaren Stufe der Begegnung als nichts anderes realisieren können denn als kontradiktorisch gerichtete Grundmodi der Zu- oder Abwendung. Prädispositionen dieser diametralen Bewegungssequenzen müssen jene Tendenzen vorzeichnen können. Die vierte notwendige Berücksichtigung bei der Beschreibung impliziter, kollektiver Ordnungen liefert der bisherige Gang der Untersuchung, indem er aufgezeigt hat, dass auch strukturelle Sedimentationen individueller und kollektiver Erfahrungen keiner bewussten Reflexion bedürfen. Es ist also davon auszugehen, dass kulturelle Archive prädisponierender Grenzgänge des Aufmerkens stets eher gefühlt denn gedacht werden. Dies soll jedoch nicht ausschließen, dass dann immer wieder an verschiedenen Punkten der Transformation kognitive und evaluative Reflexionen dazu stattfinden und im Grunde auch untrennbar miteinander verflochten sind, wie Rosa unterstreicht. Es soll jedoch der Grundannahme gefolgt werden, dass der Grundtonus impliziter Schemata eher ein affektiver denn ein kognitiver ist1. Dies meint aber im Grunde nichts anderes, als dass der Gestalt jener kollektiven Ordnungen eher nahegerückt werden kann, wenn diese von Weisen des so oder so Empfindens aus verstanden werden denn von Weisen, wie darüber reflektiert werden kann. Zusammenfassend ließe sich somit als allgemeine Bestimmung affektiver Dispositionen sagen, dass diese als diametrale Grenzgänge die Weisen des Aufmerkens in der Gestalt prädisponieren, dass sie sich auf den verschiedenen Ebenen der Aufmerksamkeit in Tendenzen affektiver Zu- oder Abwendung umsetzen. Mit Blick nun auf die Beschreibung von Grenzziehungen des Alltäglichen zum Besonderen als eben solche affektive Dispositionen der Begegnung wäre jene diametrale Gestalt ebenso wie ihre Weise der Umsetzung im Aufmerksamkeitsfeld zu spezifizieren. Wenn dabei bisher überwiegend von Alltäglichem und Besonderem die Rede war, so sollte dies lediglich das Grundprinzip dieser anzunehmenden Grundkategorie disponierender Grenzziehungen kenntlich machen. Dieses Grundprinzip bestünde dann in Grenzgängen dessen, was überhaupt aufgemerkt wird auf Grundlage von Unterscheidungen des »Bekannten zum Unbekannten«, des »Erwartbaren zum Unerwarteten«, des »Gewohnten zum Ungewohnten«, des »Benutzten zum Neuen«, des »Vertrautem zum Fremden«, des »Eingespieltem zum Störenden« usw. Diese Aufzählung soll genügen, um zu
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Zumindest dann, wenn Kognition in dem Falle in seinem eng gefassten Sinne als bewusste Reflexion von Inhalten, Strukturen und Intensionen verstanden wird.
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zeigen, dass jene damit veranschlagten Grenzgänge je nach Situation zwar ganz unterschiedlich ausfallen, aber doch mehr oder weniger eine Zu- oder Abwendung nahelegen. Während jedoch die Gestalt des Grenzgangs mehr auf die Seite der subjektiven Zurechnung im Aufmerken verweist, meinen kulturelle Ordnungen dazu nicht die Grenzgänge per se, sondern gerade das, was mit ihnen in der Situation impliziert wird. Damit sind zum einen zeit- und kulturspezifische Schablonen und Wertungen davon gemeint, was die eine oder die andere Seite der Grenze denn meint. Ob das Gewöhnliche etwa das Sichere, Vertraute, Wertvolle impliziert oder aber das Hinderliche, Biedere und Rückschrittliche markiert. Im Gegenzug dazu können mit dem Ungewöhnlichen dann positive Wertungen des Innovativen, Zukunftsweisenden und Rettenden ebenso verschlüsselt sein wie Abwertungen des Fremden und Befremdenden. Diese dispositionalen Muster müssen demnach beispielsweise mit Blick auf sedimentierte, verallgemeinerte Strukturen ökonomischer, vor allem spätkapitalistischer finanzmarktwirtschaftlicher Logiken in gesamtgesellschaftlichen Strukturen der Prädispositionen der Aufmerksamkeitsweisen hin befragt werden. Wenn Weber vor gut einhundert Jahren konstatierte, dass der Markt sich seine Subjekte selbst heranziehe (Weber 2016 [1904/05], 44), dann zeigt sich damit der Weg, auf welchem sich jene Erziehung realisiert. Auch bietet das hiermit skizzierte Modell der prädisponierten Aufmerksamkeit entsprechende Anknüpfungspunkte zur Beschreibbarkeit gesellschaftlicher Haltungen der Toleranz gegenüber der Fremdenfeindlichkeit. Ebenso lassen sich hieran Überlegungen dazu anschließen, anhand welcher Grenzziehungen sich Charles P. Snows entgegengesetzt gerichtete geistige Kulturen scheiden (vgl. Kreuzer 1987) und wie sich auch theoretische und empirische Anknüpfungspunkte der Analyse, etwa traditionaler, medialer oder ökonomischer Wandlungsprozesse, anbieten. Die Intensität und Richtung des Gefälles jener Grenzgänge können entsprechend gesamtgesellschaftlich, soziokulturell und lebensweltspezifisch kontrovers ausfallen. Dies gilt es herauszustellen, ebenso wie die Weisen des Umgangs damit. Grundlegend kann aber festgehalten, dass individuelle und kollektive Ordnungen dazu, was die eine oder die andere Seite steter Grenzgänge des Aufmerkens denn meint, in ihrer Wertung eher subtil gefühlt denn gedacht werden. Für die Betrachtung der differenzierbaren Ebenen des Aufmerkens bleibt noch festzuhalten, dass jene Grenzgänge nicht nur vor dem Hintergrund divergierender Schemata dazu, was sie denn bedeuten, untereinander konfligieren können, sondern auch mit Blick auf die verschiedenen Ebenen der Aufmerksamkeit zueinander. So können beispielsweise Weisen des Aufmerkens äußerlicher Präsenzen der Erscheinung eines Gegenübers als vertraut und einschätzbar und damit zuwendend in Konflikt mit Weisen des Aufmerkens etwa innerer Präsen-
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zen der Haltung als unbekannt oder gar bedrohlich geraten. Gleiches könnte auch mit Blick auf Aufmerksamkeiten der Bindungsbeteiligung oder des geteilten Aufmerksamkeitsfokus beschrieben werden. (2) Aufmerksamkeit zwischen Bündelung und Zerstreuung Im Anschluss an die bisherigen Betrachtungen muss das Phänomen des Aufmerkens jedoch weitaus komplexer beschrieben werden als nur hinsichtlich dessen, wonach Aufzumerkendes geschieden wird. Als nächstes gilt es in Anlehnung an Markus Schroers Unterteilung die Intensitäten und Verteilungen von Aufmerksamkeiten in den Blick zu nehmen. Wurde zuvor Walter Benjamin in Anlehnung an den Titel seines Essays Aufmerksamkeit und Gewohnheit in der Dialektik jener Begriffsdimension ausgelegt, enthält das angeführte Zitat gleichzeitig eine Doppelperspektive. Diese Dialektik wird insofern unterlaufen, als der Begriff der Aufmerksamkeit nicht nur als Gegenpol zum Gewohnten bestimmt wird, sondern Aufmerken hierbei gleichzeitig auch ein Sich-Festhalten an etwas, ein Verharren in der Konzentration auf etwas meint. Damit jedoch entweicht dem Aufmerken das ihm eigene dynamische Moment und kehrt sich um in lähmende Gewohnheit, die dem kleinsten Geräusch, so Benjamin, anheimfallen kann (vgl. Benjamin 1974, 108). Die Brücke, die Benjamin hiermit baut, verbindet die beiden Bedeutungsdimensionen der Aufmerksamkeit, die des Herausstechens aus der Routine alltäglicher Gewohnheiten und die der Konzentration auf etwas. Gegenüber den vielgestaltigen Anknüpfungspunkten der Begriffsdimension der Gewohnheit und Routine finden sich in der Soziologie jedoch nur wenige Konzepte der Konzentration als Gegenpart zur Zerstreuung. Hier schlagen eher Grenzbereiche zu Nachbardisziplinen, allen voran die Pädagogik und Psychologie, zu Buche. Zerstreutheit wird von pädagogischer Seite zumeist als eine Form der Unaufmerksamkeit verstanden, die als mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft in Erziehungs-, Lern- (Montessori) oder Bildungssituationen (Hegel 1986 [1830], 249) ein pädagogisches Problemfeld umreißt. Im Gegensatz zur Zerstreuung als Defizitdiagnose führt Schroer jedoch auch die Perspektive der an die Bedingungen der Moderne angepassten Weise der verteilten Aufmerksamkeit an (vgl. Schroer 2014, 199f.; auch Matussek 2001; Timimi und Taylor 2004, 8). Eine Sprunghaftigkeit der Aufmerksamkeit und der schnelle Wechsel der Fokussierung wird hierbei als notwendige Fähigkeit des »Multitasking« behandelt. Viele der postmodernen Anforderungsdilemmata des Subjekts, wie etwa die autonome und gleichzeitig fürsorgepflichtige Mutter oder das sich in verschiedenen sozialen Welten bewegende mediatisierte Subjekt, finden hierunter ihre Legitimierung. In der mediatisierten und durch eine wachsende Zahl gleichzeitig
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einströmender Reize und Informationen geprägten Welt bildet sich folglich die moderne Sozialfigur des homo simultans heraus (vgl. Geißler 2010). Zudem attestiert Hayles (2007) der verstreuten Aufmerksamkeit (hyper attention) einen wesentlich älteren zeitgeschichtlichen Status gegenüber der Weise der konzentrierten und gebündelten Aufmerksamkeit (deep attention) als generisch kulturgeschichtliche Errungenschaft. Denn die intensive Fokussierung, etwa innerhalb einer sozialen Begegnung, hätte den Preis, die Reize und Informationen der Umwelt bedingt ausschalten zu müssen, und sei aus evolutionsbiologischer Sicht daher eher als Luxus denn anthropologische Ausgangsbedingung anzusehen. Überhaupt erfordere eine kanalisierte Aufmerksamkeit in sozialen Interaktionen durchaus Training (vgl. ebd.). Florian Rötzer erhebt die Disziplinierung der Aufmerksamkeit auf »die höhere Ebene der Konzentration« (Rötzer 1999/2000, 63) und damit ebenso zur kulturgeschichtlichen Errungenschaft als Kulturtechnik (Kermode 1985). Angewendet auf die Ebenen verschränkter Aufmerksamkeiten in der Begegnung muss das Verhältnis von Zerstreutheit gegenüber einer gebündelten Fokussierung somit als Verhältnis der Verteilung von Aufmerksamkeit auf jene Ebenen des gleichzeitigen Aufmerkens gelesen werden. Die vertiefte Fokussierung etwa auf einen Inhalt würde damit einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber sozialen Präsenzen und der wechselseitigen Bindung implizieren und damit letztlich ein Mangel an Aufmerksamkeit dem Interaktionspartner gegenüber. Einseitige Aufmerksamkeiten haben somit erhebliche Auswirkungen auf den Ablauf von Interaktionen und die Modi des Aushandelns einer geteilten Realität, verschränkter Emotionen und Solidarität. »Jegliches Abschweifen, die kleinste Unaufmerksamkeit, ein interessierter Blick in eine andere Richtung, können als illegitimes Desinteresse gewertet werden, das zu einem misslungenen Abend, ernsthaften Auseinandersetzungen oder gar zur Auflösung der Beziehung führen kann«, so Schroer (Schroer 2014, 198). Auch Rosa sieht hier die Möglichkeit, eine resonante und damit emotional wechselseitige Bindung aufrechtzuerhalten, empfindlich gestört. »Der Blick zur Uhr signalisiert daher stets eine Unterbrechung, wenn nicht das Ende der Resonanzerfahrung.« (Rosa 2016a, 693) Unterschiede der Fokussierung und Zerstreuung Unterschiede der Fokussierung und Zerstreuung von Aufmerksamkeiten in Begegnungen zielen also darauf ab, wie und mit welcher Intensität sich Aufmerksamkeiten innerhalb des verschränkten Feldes verteilen. Dass dabei von entscheidender Bedeutung ist, welchen Ebenen mehr oder weniger Aufmerksamkeit zukommt, soll folgendes Beispiel deutlich machen. Der Frage nachgehend, wie viel Schlaf Menschen für ihr tägliches Wohlbefinden und ihre Konzentrationsfä-
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higkeit benötigen, reduzierten die Psychologen Müller, Paterok, Hoffmann und Becker-Carus (1997) der Universität Münster kontinuierlich die Schlafdauer von 45 Versuchspersonen, mit der Folge einer kontinuierlich und hochsignifikant steigenden subjektiv empfundenen Tagesmüdigkeit und zusätzlich einer zunehmenden Einschlafneigung der Teilnehmer. Die Auswirkungen erhöhter Müdigkeit auf die Aufmerksamkeit und die Stimmung der Probanden wurde anhand etlicher Messinstrumente, wie Einfach- und Wahlreaktionstests, Befindlichkeitsfragebögen und dem Pittsburgher Schlafqualitätsindex ermittelt. Insgesamt waren die Ergebnisse allerdings zu heterogen, um eine klare Tendenz behaupten zu können. Die Teilnehmer ließen sich jedoch in vier Gruppen aufteilen. Drei dieser Gruppen zeigten erhebliche Beeinträchtigungen durch den Schlafentzug, entweder in ihrer Stimmung, in ihrer Leistungsfähigkeit oder ihrem Müdigkeitsempfinden. Die vierte Gruppe zeigte keinerlei oder nahezu keine Reaktionen. Um Erklärungen dieser unterschiedlichen Reaktionen bemüht, wurden diese zusätzlich nach dem Freiburger Persönlichkeitsinventars (FPI) bewertet. Das FPI unterteilt nach verschiedenen Grundhaltungen, etwa zur grundlegenden Lebenszufriedenheit, sowie nach subjektiven Einschätzungen eigener Leistungen und Beanspruchung, nach Weisen der sozialen Orientierung, der Offenheit und Extraversion oder aber Gehemmtheit, nach Erregbarkeit und Aggressivität, aber auch nach Beurteilungen körperlichen Beschwerden und Gesundheitssorgen. Die Ergebnisse waren ebenso komplex wie eindeutig und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Alle Teilnehmer, die starke Beeinträchtigungen während der Versuchsdurchführung geltend machten, fielen im FPI durch ebenso hervortretende Beeinträchtigungen auf, durch eine auffällig niedrige Lebenszufriedenheit, ein hohes subjektives Beanspruchungsempfinden, körperliche Beschwerden, Neigung zu Introversion und Aggression oder ein niedriges Leistungsniveau (vgl. Müller et al. 1997). Die einzelnen Zuordnungen interessieren an dieser Stelle nicht. Wie aber kann es sein, dass die Personen, die ohnehin durch eine gute soziale Einbindung, eine hohe Leistungsfähigkeit bei niedrigem subjektivem Belastungsempfinden, geringer Neigung zu Emotionalität, Aggression, Gehemmtheit oder Sorgen auffallen, gerade diejenigen sind, die am wenigsten Beeinträchtigungen erleiden? Erklärungen können gewiss unterschiedlich ausfallen und mehr oder weniger Gültigkeit für sich beanspruchen. Mit Blick auf die Verteilung von Aufmerksamkeiten soll jedoch eine näher vorgestellt werden: Die »glückliche« Gruppe vier, sie soll hier als »Positivgruppe« bezeichnet werden, fällt demnach nicht nur durch ihren Mangel an negativen Reaktionen auf, sondern auch durch das Fehlen von Sorgen die eigene Gesundheit, die eigenen Leistung, die eigene Zukunft, die soziale Einbindung usw. betreffend. Jene Teilnehmer hingegen, die mit sich
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selbst und ihrer Umwelt weniger zufrieden waren, sich selbst als emotional, leicht erregbar, ängstlich, aggressiv oder schüchtern einschätzten, ließen sich von den Versuchsbedingungen deutlich stärker beeinflussen. Diese Beeinflussung fiel unterschiedlich aus und äußerte sich etwa in psychosomatischen oder psychischen Problemen, einer signifikanten Verschlechterung der Leistungsfähigkeit oder einer erheblichen Verschlechterung von Wachheit und Stimmung insgesamt. Was also macht den eigentlichen Unterschied zwischen den Teilnehmern aus? Es ließe sich nun einerseits vermuten, dass die Teilnehmer der Gruppen eins bis drei schlechtere Ausgangsbedingungen hatten, was ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit oder ihre sozialen Kompetenzen und Bedingungen anbelangt. Demgegenüber könnte man jedoch behaupten, dass weit mehr als die eigentlichen Bedingungen doch die Weisen des Aufmerkens ausschlaggebend dafür sind, welche Art von Begegnungen stetig zustande kommen. Damit wäre behauptet, dass die Teilnehmer der Positivgruppe nicht zwangsläufig bessere Ausgangsbedingungen hatten, sondern schlichtweg dadurch nicht negativ auffielen, weil sie selbst ihre Aufmerksamkeit nicht darauf richteten. Somit hatten diejenigen Teilnehmer, die sich am wenigsten von der Veränderung ihrer Lebensbedingung, dem Schlafenzug, beeindruckt zeigten, von Anbeginn einen schwächeren Fokus auf ihrer Befindlichkeit, ihrer Mündigkeit und Erregbarkeit oder ihrem Belastungsniveau. Ganz im Gegensatz zu jenen Teilnehmern, die sich bereits vor Beginn des Schlafentzugs diesen Aspekten gegenüber kritisch positionierten und ihnen damit offenbar eine erhöhte Aufmerksamkeit schenkten. Denn erst, wenn beispielsweise die eigene Aggression, Stimmung, Unzufriedenheit oder Introversion überhaupt aufgemerkt wird, nehmen sie einen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch. Es ist daher davon auszugehen, dass die Teilnehmer der Positivgruppe ihre Aufmerksamkeit stärker auf diejenigen Dinge fokussiert halten konnten, die auch außerhalb der Versuchsbedingungen einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit beanspruchte. Da es sich ausschließlich um Studenten handelte, könnten dies das Studium, Hobbys, Sport, Freunde oder Familie gewesen sein. Die Ergebnisse dieser Studie erinnern daher nicht ohne Grund an jene zur mundanity of excellence von Chambliss (1989), in denen Chambliss anführt, dass der entscheidende Unterschied zwischen jenen Teilnehmern, die Erfolg hatten, und jenen, die diesen nicht erreichten, letztlich nur darin bestand, wie sorgfältig es ihnen gelang, ihre Aufmerksamkeit und somit Energie zu bündeln (vgl. Chambliss 1989, 73f.). Damit ist jedoch nicht unterstellt, dass nur eine Vorstellung der konzentrierten Fokussierung existiert. Gegen eine solche Annahme sprechen etliche Versuche, Formen der konzentrierten Aufmerksamkeit zu differenzieren. So etwa die
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von Georg Franck in Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998) vorgenommene Unterscheidung der zielgerichteten Aufmerksamkeit und der ungerichteten Bewusstwerdung (awareness). Auch scheint die Annahme, die Fähigkeit der konzentrierten Aufmerksamkeit wirke sich in der Ko-Konstruktion eines geteilten Aufmerksamkeitsfeldes immer als Machtvorteil aus, übereilt. So kann ebenso die Verweigerung ungeteilter Aufmerksamkeit und damit die Unterbindung einer gleichberechtigten Aufmerksamkeitskonstruktion der Sicherung bestehender Machtdifferenzen dienen. Studien zur Empathie und Theory of mind zeigen zudem auf, dass Interaktionsteilnehmer, die ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte im Begegnungsgeschehen verteilen können, mehr die Perspektive des Gegenübers zu übernehmen in der Lage sind. Sie können demnach neben der Fokussierung auf den geteilten Inhalt auch auf die Gefühle, Bedürfnisse, Absichten und Erwartungen des anderen eingehen (vgl. hierzu Leslie 2001; Ruigendijk 2009; Schrepfer 2013). Dies unterstützt darüber hinaus die Annahme der Wechselseitigkeit sozial ko-konstruktiver Performance und basaler Emotionalität (vgl. auch Astington, Harris und Olson 1988; Harris 1992), nach Avis und Harris (1991) sogar ganz universell. Neurophysiologisch begründet sich die Weise der zerstreuten Aufmerksamkeit und der Perspektivübernahme in den Strukturen des präfrontalen Cortex, denn dieser ist sowohl für die Fähigkeit des Multitasking, also mehrere Informationen gleichzeitig zu bearbeiten, als auch für die affektive Regulierung zuständig (vgl. u.a. Roca et al. 2011). Unter Annahme der Begegnungskontinuität verwundert auch nicht, dass affektive Selbstregulierung immer mit der Fähigkeit einhergeht, Gefühle und Vorstellungen anderer einschätzen zu können. Die Weise der Aufmerksamkeit spielt demnach eine entscheidende Rolle in Hinblick auf soziale Aspekte der Interaktion. Ebenfalls interessant ist, dass Schroer auf das Bild des »zerstreuten Professors« anspielt (vgl. Schroer 2014), dessen gesellschaftlicher Status ja gerade mittels der Abwesenheit der Fähigkeit, sich in der Begegnung auf ein geteiltes Aufmerksamkeitsfeld einzulassen und stattdessen in der Fokussierung auf die wissenschaftliche Arbeit zu verharren, legitimiert wird. Das kulturhistorische Bild des zerstreuten Professors führt ebenso vor, dass Fragen nach dem Wie der Aufmerksamkeit immer auch kulturell kontrovers bewertet sind und zugleich durchaus distinguierenden Charakter besitzen. Grenzgänge zwischen Fokussierung und Zerstreuung als affektive Dispositionen Zusammenfassend lassen sich affektive Dispositionen nicht nur hinsichtlich dessen strukturieren, entlang welcher Grenzziehungen des Alltäglichen und Besonderen wie aufgemerkt wird, sondern ebenso danach, welchen Ebenen der Auf-
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merksamkeit welche Intensität und Verteilung zukommt. Hinsichtlich sozialer Begegnungen wurden die Ebenen des verschränkten Aufmerksamkeitsfeldes beschrieben. Daran orientiert ließe sich also danach fragen, welche kollektiven Schemata eine spezifische Verteilung innerhalb wechselseitiger Aufmerksamkeiten nahelegen. Inwiefern sich also kulturelle Ordnungen beispielsweise danach bestimmen lassen, wie sie über Zuteilungen der Verantwortlichkeiten etwa der Bindungsbemühung oder des Aufmerkens sozialer Präsenzen affektive Hintergründe und damit Machtchancen bereits vorstrukturieren. Dies ist in vielerlei Hinsicht entscheidend, und zwar nicht nur für den Begegnenden selbst, sondern auch für sein Gegenüber. Denn spezifische Verteilungsverhältnisse von Aufmerksamkeiten schaffen immer auch Gegenpositionen und damit andere Chancen der Einnahme von Machtpositionen. Dispositionen des Verhältnisses der Fokussierung spezifischer Aufmerksamkeiten wie auch der Zerstreuung auf verschiedenen Ebenen haben damit grundsätzlich immer Bedeutung für die Begegnungsgestaltung und die Möglichkeiten, Macht und Solidarität auszutarieren. Eine verstärkte inhaltliche Fokussierung kann somit der inhaltlichen und personellen Präsenz durchaus zuträglich sein. Andernfalls ist es durchaus denkbar, dass zerstreute Aufmerksamkeiten und damit eine komplexe Verteilung der Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der Begegnungssituation, unter anderem auch der Gefühle und Perspektive des anderen, einen Vorteil in der Konstruktion des geteilten Aufmerksamkeitsfeldes begründen können, nämlich dann, wenn es sich um Begegnungssituationen handelt, in denen die Präsenz weniger auf inhaltlichen Aspekten denn auf der Beziehungsgestaltung beruht wie beispielsweise in Beratungsgesprächen oder therapeutischen Begegnungen. Über soziale Begegnungen hinaus macht indes das zuvor angeführte Beispiel der Schlafentzugsstudie deutlich, dass im Grunde in allen Begegnungen unterschiedlichen Bereichen des Aufmerkens mehr oder weniger Bedeutung zukommen kann. Affektive Dispositionen prädisponierend im umfassenden Sinne, wie fokussiert Individuen Aspekte der Situation selbst, Präsenzen oder Inhalte aufmerken oder aber Aufmerksamkeiten auf Metaebenen der Bindung, der gesellschaftlichen Situation, der historischen Situation, der emotionalen Situation und dergleichen zerstreuen. Aber erneut: Auch wenn das Bild der Studie im Groben anders aussieht, kann beides affektive Zu- oder Abwendungen zur Folge haben. (3) Selektierendes Aufmerken Markus Schroer arbeitet in seiner Untersuchung zur Aufmerksamkeit noch eine weitere, im gewissen Sinne grundlegende Dimension der Prädisponiertheit dessen, in welchem Rahmen überhaupt aufgemerkt wird, heraus. Diese gilt es zum
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einen gegen den prädisponierenden Aspekt der Verteilung von Aufmerksamkeiten, aber auch gegen den Aspekt der Grenzziehung zwischen Alltäglichem und Besonderem als eine Art der Wertung und Gewichtung in die eine oder andere Richtung abzugrenzen. Die Beschreibung der Aufmerksamkeit unter dem Aspekt der Selektion als Weise der grundlegenden Auswahl ist der Möglichkeit und Notwendigkeit des Auswählens per se geschuldet. Selektive Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang definiert als eine Weise des die subjektive Lebenswelt ordnenden Aufmerkens. Dies in einem Netz sich wechselseitig bedingender und überlagernder kontingenter Lebenswelten. Denn das Problem der Selektion ergibt sich bereits daraus, dass in den meisten Situationen die potenziellen Optionen dessen, was und wie aufgemerkt wird beziehungsweise werden kann, gegen Unendlich gehen, hingegen die Fähigkeit, im Augenblick Aufmerksamkeit selektiv zu richten und zu bündeln, erst eine Informationsverarbeitung möglich macht (vgl. u.a. Ansorge und Leder 2017, 17). Neben der Auswahl von Informationen kommt der grundlegenden Selektion des Aufmerkens jedoch noch eine größere Bedeutung zu. Denn das stets in Begegnung stehende Individuum sieht sich gefordert, sich selbst, andere und die Situation in einem identitätsstiftenden Rahmen zu verorten. Verallgemeinert ließe sich dies so darstellen: Trotz kontingenter Ordnungen müssen Individuen in einer immer wieder vergleichbaren Weise aufmerken, um sich selbst und ihre Umwelt als real zu konstruieren. Notwendig erscheint nun diese doch sehr grundlegende Perspektive auf das Aufmerken dann, wenn es weniger um individuelle denn mehr um kollektive und insbesondere kultur- und zeittypische Ordnungen geht. Denn so allgemein diese identitätsstiftende Struktur des grundlegend selektiven Aufmerkens auch sein mag, müssen doch genau in ihr die fundamentalsten Schemata vermutet werden. Denn auch wenn die bisher vorgestellten Aspekte des Aufmerkens aufschlussreich hinsichtlich etlicher Aspekte des Begegnens sein mögen, können sie auf einige Fragen keine befriedigende Antwort bieten, beispielsweise dazu, warum Frauen scheinbar anders aufmerken als Männer, Ärzte anders als Tänzer, Asiaten anders als Europäer, Kinder anders als Erwachsene oder Eltern anders als Kinderlose. Weisen des Aufmerkens implizieren immer auch gesellschaftliche Wertungen dessen, was einen Realitätsgehalt beanspruchen darf und was Fiktion ist, was zugehörig ist und was nicht, was wichtig und notwendig ist und dergleichen – schlicht: was ist und was nicht ist. Spezifische Aufmerksamkeiten und deren Verteilung spiegeln soziale und kulturelle Bedingungen, Notwendigkeiten und Wandlungsprozesse wider, die in Zeiten wachsender Arbeitsteilung, expandierender Konsum- und Werbepraktiken und Medienwelten deutlicher nicht sein könnten. Aufmerksamkeit als grundlegende Selektion bezieht insofern
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Bedeutungsdimensionen um die Begriffe der Wahrnehmung, des Geschmacks und der Ästhetik ebenso mit ein. Der Aspekt der Aufmerksamkeit ist in seiner selektiven Dimension folglich immer auch ein organisierender, so Mead. »Unsere Aufmerksamkeit ermöglicht es uns, jenen Bereich zu organisieren, in dem wir handeln werden.« (Mead 1973 [1934], 64) Dieser Hinweis Meads, den auch Schroer hervorhebt, macht deutlich, dass Selektion nicht schlicht eine als irgendwie subjektiv und sozial-kulturell prädisponierte Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten meint, sondern Aufmerksamkeit immer eingebunden ist in ein Netz lebensweltlich konstruierter und sich wechselseitig bedingender Dispositionen des Aufmerkens. Wertigkeit erwächst nicht nur aus Wertungen des Besonderen, sondern auch des Notwendigen, Moralischen oder Ästhetischen. Kermode stellt dabei heraus, dass jene Mechanismen, die dazu führen, dass spezifische kulturelle Inhalte in Gesellschaften Wertschätzung erfahren und dadurch Aufmerksamkeit erlangen, mehr mit individuell-historischen Zufälligkeiten zu tun haben denn auf ihren immanenten Wert zurückzuführen sind (vgl. Kermode 1985). Dieser Gedanke kann durchaus über die von Kermode anvisierten kulturellen Güter hinaus auf alle Inhalte kultureller Praktiken übertragen werden insofern, als diese etwa schicht-, gender- oder berufsspezifische Repetitionen erfahren. Jene kulturellen Praktiken, welche der Verstetigung der Aufmerksamkeit dienen, müssten demnach über die der Interpretation (Kermode) hinaus grundsätzlicher gedacht werden als kulturelle Praktiken der Reproduktion. Identitätsstiftende Prädispositionen des Aufmerkens erlangen über kulturelle Praktiken der Wiederholung, in Form von wiederholten Interpretationen, Inszenierungen oder Präsentationen, eine Verstetigung von Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit beziehungsweise das »Aufmerksam-Machen« ist insofern selbst eine sozial-kulturelle, institutionalisierte und dabei distinguierende kulturelle Praxis zur Reproduktion spezifischer Strukturen, jedoch nicht der Inhalte, sondern der Aufmerksamkeitsweisen wegen. Wertschätzung meint dann deren Wert, gemessen am Umfang der Reproduktion etwa von Begrüßungsformen, Kleidungsstilen oder Ernährungsgewohnheiten im Zusammenhang mit deren Bindung an Identitätshorizonte. Aleida Assmann macht in diesem Zusammenhang auf die Veränderung der Aufmerksamkeit im medialen Zeitalter aufmerksam, denn globalisierte Netzkommunikation ermöglicht eine kurzfristige Perpetuierung durch Aufmerksamkeiten. Kulturelle Inhalte können durch einen plötzlichen Anstieg der Wiederholung Aufmerksamkeiten kanalisieren. Der fehlende institutionelle Rückhalt der Inhalte führe jedoch dazu, dass die Aufmerksamkeiten ebenso schnell wieder verschwinden können (vgl. Assmann 2001, 13). Wenn sich also junge Medizinstudenten in ihrem Berufsverständnis »irgendwie wie Dr. House« beschreiben
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und gehetzt durch Flure laufen – nicht, weil sie Zeitdruck hätten, sondern weil sie Bilder von »Scrubs«, »Chicago Hope«, »Grey’s Anatomie« und »Emergency Room« vor Augen haben –, dann wurden Aufmerksamkeiten stark von medialen Praktiken der Wiederholung geprägt, die nicht an institutionalisierte Praktiken gebunden sind2. Die generelle Sorge, die sich hiermit verbindet, hat nicht nur mit der Frage zu tun, welche Inhalte im Einzelnen Aufmerksamkeit erlangen, sondern damit, welche Inhalte ganze Gesellschaften überhaupt noch zu bemerken in der Lage sind und was übersehen wird beziehungsweise ungesehen bleibt. Wiederholung und Aufmerksamkeit Alois Hahn beruft sich auf die Phänomenologie Husserls, wenn er konstatiert, dass das selektive Aufmerken und die sich darin begründende Weise, in der Welt zu sein, immer zugleich eine Form disponierter Hinwendung zu etwas ist, wohl wissend, dass diese Hinwendung immer auch etwas anderem gelten könnte (Hahn 2001). Das Empfinden ist somit immer mehr oder weniger kontingent, eine Stimmung nur eine Option auf Kosten potenziell anderer Stimmungen. Gesellschaftliche Normalität dient aus dieser Perspektive der Regulierung der Aufmerksamkeit, der Festlegung also dessen, »worauf man aufmerksam sein muss und worauf man unter Umständen keine Aufmerksamkeit verschwenden darf, wovon man also absehen muß. Das ist ein universales soziales Phänomen.« (Ebd., 47f.) Das Beispiel einer Duftstudie soll diesen Gedanken veranschaulichen. Julia Eidt untersuchte in einer 2008 durchgeführten Studie an der LMU München den Einfluss verschiedener Gerüche (Lavendel und Orange) auf die Stimmung älterer Probanden (ab 60 Jahre). Gemessen wurde die Stimmung anhand des klassischen LEW-Modells (Eidt 2008). Als Ergebnis konnte Eidt präsentieren, dass die Gruppe, die tatsächlich die Düfte erhielt, eine hochsignifikante Stimmungsaufbesserung gegenüber der Vergleichsgruppe aufwies, die ein Placebo in Form von »keinen Düften« erhielt.
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Gemeint sind in keiner Weise subjektive Inszenierungen von Stress, sondern lediglich affektive und körperliche Schemata, die entsprechend in sozialen Praktiken codiert und in der Aufmerksamkeit decodiert werden. Damit wird ebenso wenig behauptet, dass der Einfluss »pseudo-professioneller« Serien nicht durchaus auch gewinnbringend sein kann, wie der immer häufigere Einbezug von »Krankhausserien« in die reale universitäre Lehre angesichts zunehmender Realitätsnähe nahelegt (vgl. u.a. die Artikel von Felicitas Witte: Dr. House, Liebling der Medizinstudenten (SZ, 03.12.2012), und Stefanie Walter: Medizinstudenten lernen jetzt mit Dr. House (Die Welt, 09.02.2009).
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Es muss also zunächst einmal davon ausgegangen werden, dass allein schon in der Bekanntheit dessen, dass in der Studie die Wirkung von Düften erforscht werden soll, Düften eine besondere kulturspezifische Wertschätzung zukommt. Die negativen Wirkungen des duftlosen Placebos haben daher weniger mit den Düften selbst als mit den spezifischen Wertdispositionen der Teilnehmer Düften gegenüber zu tun, die der Placebogruppe verwehrt blieben. Ähnlich ließe sich eine von Ebster und Jandrisits (2003) durchgeführte Studie zur Wirkung von Düften auf die Freude beim und Lust zum Einkaufen auslegen, in welcher es einen erheblichen Unterschied für die affektive Wirkung der Düfte machte, ob die Teilnehmer überhaupt einen Duft erhielten und wenn ja, ob sie ihn zuordnen konnten (vgl. Ebster und Jandrisits 2003). Denn ohne eine Zuordenbarkeit zu zuvor vermittelten Wertungen erlangt eine Entität keine selektive Aufmerksamkeit und keine affektive Reaktion. Hierzu ließen sich zahlreiche andere Studien zu Wirkungen auf Stimmungen aufzählen, beispielsweise die von autogenem Training (Bühler 2005). Unabhängig davon allerdings, ob Objekte wie Kleidungsstücke, Autotüren oder Gebäude bereits »natürlichen« Angebotscharakter enthalten oder als Symbole mit spezifischen Wertzuschreibungen in Verbindung gebracht werden, sind diese für Aufmerksamkeiten erst relevant, wenn sie über kulturelle Praktiken der Wiederholung Aufmerksamkeit in selektiver Weise prädisponieren. Affektive Hintergründe beruhen demnach vor allem auf Dispositionen dazu, was zur subjektiven und kulturellen Lebenswelt Zugehöriges und Zugewiesenes sedimentiert und als Schönes, Bewundernswertes oder Notwendiges kultiviert wurde. Diese gesellschaftlichen und kulturell produzierten Werte erlangen erst über jene Wertschätzung Aufmerksamkeit und damit Bedeutung für affektive Hintergründe. Im Falle der Studie ist somit davon auszugehen, dass die Teilnehmer bereits vor der Studie wussten, was ein Duft ist, und zudem Duft einen kulturspezifischen Wert beigemessen haben. Selektives Aufmerken als affektive Dispositionen So drängt sich in besonderer Weise die Frage auf, wie reproduzierte und sich reproduzierende selektive Aufmerksamkeiten zu affektiven Dispositionen werden. In welcher Art und Weise schlagen sich also kollektive Schablonen des Aufmerkens auf affektive Weisen des Begegnens um? Natürlich lassen sich erneut die verschiedenen Bereiche kollektiver Schablonen des Aufmerkens auf die unterscheidbaren Bereiche des Aufmerkens entsprechend ausdifferenzieren. So ließe sich auf der Ebene sozialer Präsenzen zeigen, dass soziale Bedeutungsbeimessungen und Identifizierungen mit beispielsweise Begrüßungsformeln, Kleidungsstilen, Gestik und Mimik, Tonhöhen etc. schon allein durch ihre stete Re-
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produktion zu Prädispositionen des Aufmerkens werden. Gleiches gilt für Ebenen geteilter Inhalte, etwa von Gesprächsfloskeln und Fachwissen, wie auch Ebenen der Bindung und der gesellschaftlichen Perspektive. Dies aber bedeutet, dass Aufmerken nicht nur das grenzziehende Aufmerken zwischen Routine und Besonderem und damit die Abweichung vom Mittelwert einbezieht. Aufmerksamkeiten haben immer auch einen Hintergrund des Aufmerkens des Mittelwertes selbst. Das Stete und Bekannte ist auch das Zuzurechnende und bildet erst den Rahmen, innerhalb dessen Verteilung von Aufmerksamkeiten und Bewertungen von Grenzgängen überhaupt möglich sind. Das eigentlich Entscheidende aber ist der gleichermaßen affektive Charakter. Es wurde bereits angeführt, dass impliziten Dispositionen des Aufmerkens eher ein Gefühlsgehalt denn eine reflektierte Struktur zukommt. Dies nun macht auch deutlich, welche Bedeutung selektierende Dispositionen für affektive Hintergründe in der Begegnung haben. Gewiss sind stete Zu- und Abwendungen in ständiger Fluktuation. Die Muster, die sie dabei ergeben, so die Annahme, sind doch aber im Grunde zumeist sehr ähnlich. Denn erst in der Wiederholung vergleichbarer affektiver Weisen des Begegnens in ähnlichen Situationen entstehen Erwartbarkeiten und damit Identitäten. Folglich müssen selektierende affektive Dispositionen als affektive Schablonen verstanden werden, die Weisen des Aufmerkens und damit Muster affektiv-performativer Modi vorstrukturieren.
KULTURELLE CODIERUNGEN ALS KOLLEKTIVE DISPOSITIONEN DES AUFMERKENS UND AFFEKTIVER HINTERGRÜNDE Macht in der Begegnung wird über affektiv-performative Modi inszeniert. Sie nimmt ihren Ausgang bei der Macht über affektive Dispositionen wechselbezüglicher Aufmerksamkeiten jener Begegnung. Das Bild, welches die analytische Differenzierung des Aufmerksamkeitsphänomens hinsichtlich einerseits der Weisen des Aufmerkens selbst sowie deren Umsetzung auf den verschiedenen Ebenen des Aufmerkens skizziert, zeichnet sich als ein komplexes Netz individueller und kollektiver Grenzgänge ab. Die Weisen des Aufmerkens lassen sich zudem differenzieren nach erstens Weisen des Wertens und Gewichtens zwischen Alltäglichem und Besonderem, zweitens Weisen der Verteilung respektive Fokussierung von Aufmerksamkeiten und drittens nach Weisen des grundlegend selektierenden, rahmenden und damit identitätsstiftenden Aufmerkens. Damit sind mögliche grundlegende Bereiche des Prädisponierens von Aufmerksamkeiten und damit die Umsetzungsdimensionen affektiver Zu- oder Abwendungen
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aufgezeigt. Sie zeichnen damit jedoch noch keinen Gehalt unterscheidbarer Formen impliziten Wissens ab, sondern zeigen Gestaltränder impliziter Dispositionen auf. In Anlehnung an Diana Taylors Beschreibung kollektiver, kodifizierender Archive sollen diese im Folgenden um konkrete Beispiele ergänzt und ihnen damit mehr Sichtbarkeit verliehen werden. Zudem soll abschließend exemplarisch aufgezeigt werden, in welcher Richtung sich an die hiermit ausgearbeiteten Strukturen des Affektiven sowie deren Prädispositionen im Feld geteilter Aufmerksamkeiten weitere soziologische und gegebenenfalls auch konkretisierbare, insbesondere ethnologische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Anknüpfungspunkte ergeben könnten. Gleichzeitig wird zu zeigen sein und soll an dieser Stelle nochmal deutlich hervorgehoben werden, dass jene Unterscheidungen der verschiedenen Ebenen des Aufmerkens sowie der Dimensionen ihrer sozialen Prädispositionen rein analytische Unterscheidungen darstellen. (1) Kulturelle Praktiken des Alltäglichen und Besonderen Einige Bereiche, in denen Grenzgänge der Aufmerksamkeit zwischen der Gewohnheit des Alltäglichen und dem Besonderen beschreibbar sind, sollen beispielhaft die unterstellte Bedeutung für Weisen des Aufmerkens und damit Weisen affektiv-performativer Begegnungen illustrieren. Jene Grenzgänge spielen etwa eine Rolle bei der Gestaltung des physischen Raumes. Das sich Wiederholende und Monotone bereitet dabei erst die Präsenz des Besonderen vor und inszeniert so auf plastische Weise die Grenzen des Alltäglichen und Besonderen. Dieses Prinzip findet sich in natürlicher oder geplanter Weise und kann auf unzählige Bereiche des Aufmerkens übertragen werden – sei es die Weite des Meeres und die ebenen Flächen, welche die Steilheit der Küste zur Schau stellen, sei es die eintönige Farbe der Haut, dank derer die Farbe der Augen an Auffälligkeit gewinnt, sei es der monotone Straßenlärm, der einem Hupen erst den nötigen Rahmen bietet, um auffallen zu können, sei es eine ästhetische Performanz in Tanz, Gesang, Theater und Kunst. Zuvor wurde nun versucht herauszustellen, dass sich kollektive Dispositionen des Affektiven weniger auf die Grenzziehung zwischen Gewöhnlichem und Auffälligem per se beziehen denn darauf, welche Gestalt die Grenzziehung tatsächlich annimmt; ob es also eine Grenzziehung zwischen dem Bedrohlichen und dem Begehrenswerten, zwischen dem Schönen und dem Langweiligen, zwischen dem Erwartbaren und dem Unerwarteten und dergleichen ist. Kollektive Dispositionen der Grenzgänge des Schönen, des Bedrohlichen oder des Unerwarteten machen sich seit jeher autokratische Machtsysteme zunutze, sich bei-
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spielsweise äußernd in der großzügigen Anlage von Gebäuden, in der massiven Einebnung großer Flächen, der einheitlichen Gestaltung ganzer Stadtteile, um Präsenzen des Bedeutungsvollen – was eine mittig aufgestellte imposante Statue, ein Regierungspalast oder eine religiöse Stätte ebenso sein kann – zu inszenieren. Entscheidend daran ist, dass hierbei nicht nur Aufmerksamkeiten gelenkt werden, sondern genau darüber affektive Grundbefindlichkeiten des Angenehmen und Unangenehmen sowie des Aufregenden und Uninteressanten gezielt konstruiert werden. Diese erlangen jedoch erst Bedeutung in der sozialen Interaktion, im Prozess der geteilten Aufmerksamkeit. Denn geteilte Aufmerksamkeiten sind bekanntlich jene Orte, an denen geteilte soziale Realitäten geschaffen und Machtverhältnisse legitimiert werden. Formen der Inszenierung des Gewöhnlichen und Hervorhebungen des Besonderen finden sich aber auch in der Werbeindustrie in anschaulicher Weise wieder. Auch hier werden kulturspezifische Prädispositionen des Aufmerkens genutzt und neu geschaffen. Deutlich wird dies etwas dann, wenn bereits das Schrille, Bunte und Laute als gewöhnlich markiert und das Leise und Tiefgründe als neue Werbestrategie den Platz des Besonderen einnimmt, um noch aufgemerkt zu werden. Alida Assmann beschreibt hierzu etwa eine Werbung von Daimler Chrysler: »So wirbt etwa die Daimler Chrysler Schweiz AG in einer Tageszeitung für einen Jeep Grand Cherokee mit einer Serie von fünf ganzseitigen Farbphotos, die in änigmatischer Reihung eine Information aufbauen, die erst mit dem letzten Bild zu einer expliziten Aussage gebündelt wird. Hier wird der Prozeß der Bewußtwerdung selbst simuliert, indem eine unbewusste Wahrnehmung stimuliert wird, die visuelle Eindrücke ›subliminal‹ unter der Bewusstseinsschwelle sammelt wird, bevor sie zur prägnanten Information gesteigert werden. Gegenüber solchen auf Zeit und Latenz angelegten Werbestrategien gibt es kein willentliches Weggucken mehr.« (Assmann 2001, 19)
Wenn Assmann diese Form der Aufmerksamkeitsökonomie als unbewusst stimulierend einordnet, würde dies bedeuten, dass Strategien der üblichen lauten und schrillen Werbung auf Bewusstheit setzen. Das hier entworfene Modell der aufmerksamkeitsbegründeten Prädisponiertheit affektiver Hintergründe macht hingegen ersichtlich, dass es weniger um Bewusstheit geht denn um Weisen der Aufmerksamkeit, die affektive Hintergründe zunächst vorreflexiv begründen. Der Unterschied findet sich also keineswegs in der Bewusstheit, sondern in den spezifischen Grenzen des Üblichen und Unüblichen. Der Unterschied ist demnach weniger explizit kognitiv denn kulturell-schematisierend zu begründen. Somit sind auch Aussagen, die sich darauf berufen, dass Werbung zunehmend
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stärker auf Emotionen setze (vgl. Gleich 2010), irreführend. Emotionen zu präsentieren und hervorzurufen versuchte und konnte Werbung schon immer. Lediglich die Auslotung dessen, was mehr Aufmerksamkeit gewinnt und darüber mehr Einfluss auf Emotionen erhält, hat sich gewandelt. Denn Emotionen und Informationen können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. »Information ist nichts Festes und Fertiges«, so Franck, »sondern der Neuigkeitswert, den wir aus Reizen ziehen« (Franck 2014, 194). Er macht zudem deutlich, dass der Wandel einer zunehmenden Entmaterialisierung von wirtschaftlicher Wertschöpfung nicht verstanden werden kann, wenn Güterströme einfach durch Informationsströme ersetzt werden. Denn den Engpass bildet hierbei nicht das Medium der physischen Materialität und räumlichen Kapazität, sondern nun nur noch allein die Aufmerksamkeit (vgl. ebd.). Folgt man Francks Gedankengang, lässt sich die These vertreten, dass sich mit der Ausweitung der Wissens- und Informationsdimension die Schnittstelle dessen, was gesellschaftlich, ökonomisch, politisch und sozial-kulturell möglich ist, mehr auf die Weisen der Aufmerksamkeit und damit auch auf Stimmungen konzentriert. Die Kunst versteht sich hier ebenso als ein Bereich – und zwar ein ästhetischer –, der an diesen Dispositionen der Gewohnheit und Routine ansetzt und über den künstlerischen Blick Aufmerksamkeiten gezielt lenken und affektive Weisen hervorrufen will. Der Ansatzpunkt der Kunst ist damit ebenso wenig das Kognitive – im Sinne strukturierter Logiken und Argumente –, sondern das Affektive (vgl. Assmann 2001, 15). Dem Verständnis der Kunst geschuldet, kommt ihr jedoch damit die Aufgabe zu, die fraglosen affektiven Hintergründe und Weisen der Aufmerksamkeit zu irritieren und der Reflexion anheimzustellen. In einer Informationsgesellschaft, in welcher die Weise der Aufmerksamkeit und affektive Hintergründe zur hart umkämpften Ressource werden, kommt der Kunst nicht nur mehr die Aufgabe zu, aufzuzeigen, wo essentielle Dinge durch den täglichen Umgang ihrer Aufmerksamkeit entzogen wurden, sondern gerade hinter jene Machtkämpfe um Grenzen des Gewohnten und Besonderen und die damit verschleierten Mechanismen der Aufmerksamkeit auf das affektive Befinden der Subjekte blicken zu lassen. Ansonsten bringt sich die Kunst selbst in den Konkurrenzkampf mit der Ökonomie und den Machtkampf um Aufmerksamkeit und Konstruktion affektiver Welten ein. (2) Kulturelle Praktiken der Verteilung von Aufmerksamkeiten Der Kampf um Aufmerksamkeit, der sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens erstreckt, bezieht sich nicht nur darauf, was aufgemerkt wird und als was es aufgemerkt wird – als gewöhnlich oder be-
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sonders. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass kulturelle Ordnungen davon, wie genau Aufmerksamkeiten im verschränkten Aufmerksamkeitsfeld mit welcher Intensität verteilt sind, die Art und Weisen, wie sich begegnet werden kann, ganz entscheidend bestimmen. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist also immer auch quantitativ, nicht nur qualitativ zu verstehen. Obwohl Autoren wie etwa George Franck erläutern, warum die Aufmerksamkeit ein Nadelöhr des Erlebens ist, lässt sich hinsichtlich verschiedener Zeitintervalle der sozialen Interaktion beschreiben, dass dennoch viel gleichzeitig aufgemerkt werden kann, aufgemerkt wird und aufgemerkt werden muss. Begegnungen könnten ohne die Komplexität sich verschränkender Aufmerksamkeit gar nicht stabil sein. Dass sich soziale Begegnungen erheblich darin unterscheiden, in welchem Maße Aufmerksamkeit dann etwa dem geteilten Fokus, dem Selbst (der eigenen Rolle, Präsenz, dem eigenen Körper oder Gedanken), der Perspektive des anderen, der generalisierten Perspektive der anderen oder der Versicherung der geteilten Aufmerksamkeit zukommt, wurde aufgezeigt. Die Weisen affektiver Hintergründe dazu müssen daher bereits als eine Form der Emergenz nicht nur dessen angesehen werden, was und mit welcher Bedeutung aufgemerkt wird, sondern auch, in welcher Verteilung und Stringenz der Fokussierung. Wenn im Zusammenhang mit der fokussierten oder verstreuten Aufmerksamkeit dabei häufig von »Fähigkeiten« die Rede ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass hierbei weniger individuelle Möglichkeiten denn ebenso mehr kulturell geprägte Dispositionen darüber entscheiden, in welchen Situationen welche Konstellationen fokussierter und zerstreuter Aufmerksamkeiten und damit letztlich affektiver Handlungsmodi zum Tragen kommen. Dass diese sich je unterschiedlich auf Machtdimensionen im geteilten Aufmerksamkeitsfeld auswirken, wurde bereits nachgezeichnet. Die Frage, die sich somit anschließt, lautet, wie gesellschaftliche und soziokulturelle Prädispositionen der Verteilung von Aufmerksamkeiten und deren Übersetzung in Macht- und Solidarbeziehungen beschrieben werden können. Freundlichkeit Es soll ein Beispiel herangezogen werden, das wie kaum ein anderes vor Augen führen kann, in welcher Gestalt kulturelle Schemata Verteilungsdispositionen von Aufmerksamkeiten kodifizieren. Dazu sei noch einmal auf die Darstellungen zu Gefühlen in Zeiten des Kapitalismus zurückgegriffen. Hier rekurriert Eva Illouz darauf, dass sich klassische Bilder der »Emotionalität der Frau« mit emotionalen Dispositionen wie Freundlichkeit, Sanftmütigkeit, Einfühlungsvermögen und Opferbereitschaft verbanden. Auf der Grundlage des hier skizzierten Modells lässt sich zeigen, dass damit weder naturgemäße Eigenschaften von Frauen noch verinnerlichte, gesellschaftliche Normen oder Rollen beschrieben
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sind. Die prädisponierten Weisen des Aufmerkens legen demgegenüber eine ganz andere Perspektive auf kollektive Bilder des Weiblichen nahe. Denn verstanden als affektive Dispositionen, begründen diese Bilder zunächst nichts anderes als spezifische Weisen darin, was und wie in sozialen Begegnungen aufgemerkt wird, jedoch geschlechtsspezifisch zugewiesen. Systematisiert sind damit keine Rollenmuster oder komplexen Anforderungen, sondern Verteilungsverhältnisse von Aufmerksamkeiten in der sozialen Begegnung; Grenzziehungen dessen also, was in der Begegnung an Aufmerksamkeit verdient und in welchem Ausmaß respektive welche Aufmerksamkeiten vom Gegenüber eingefordert werden können. So stellt sich die Bedeutungsdimension um die »emotionale Veranlagung« der Freundlichkeit als die affektiv konnotierte Struktur eines spezifischen Verteilungsmusters von Aufmerksamkeiten dar. In Freundlichkeit bilden sich Anforderungen an die Verteilung von Aufmerksamkeit sich selbst und dem anderen gegenüber ab. Sie impliziert dabei ein großzügiges Zulassen der Präsenzen des anderen sowie deren Beachtung, ohne dabei vom Gegenüber die Beachtung eigener Präsenzen einzufordern. Aufmerksamkeiten richten sich somit überwiegend auf das Gegenüber, in der Antizipation seiner Interessen, Situation, Bedürfnisse und Gefühle, währenddessen die eigene und fremde Aufmerksamkeit auf eigene Präsenzen dem unterzuordnen ist. Mit Freundlichkeit verbindet sich demnach eine sich selbst zurücknehmende Hinwendung zum anderen. Gleiches ist für den geteilten inhaltlichen Fokus disponiert. Auch hierbei fordert die Freundlichkeit das großzügige Überlassen der Auswahl des zu Zeigendem und das Zeigen dem Gegenüber. Die eigene Beteiligung an der Konstruktion einer geteilten sozialen Realität darf demgegenüber der Beteiligung des Gegenübers nicht entgegenstehen, sondern muss diesem zuträglich sein. Insgesamt gilt die Aufmerksamkeit den Inhalten des anderen, seiner Sache, nicht der eigenen. Mit Blick nun auf die wechselseitige Verteilung von Aufmerksamkeiten auf die geteilte Bindung legt Freundlichkeit die verstärkte eigene Aufmerksamkeit auf die Bindungsversicherung nahe und fordert erhebliche eigene Bindungsleistungen ein. Zudem gebietet sie die beträchtliche Aufmerksamkeit auf die Perspektive des generalisierten Anderen. Der freundliche Gegenüber antizipiert gesellschaftliche, kulturelle und soziale Anforderungen der Situation und überwacht deren Einhaltung in der Begegnung. Freundlichkeit fordert damit jedoch nicht nur spezifische Aufmerksamkeiten ein, sondern sie beschränkt auch andere, etwa die stringente Fokussierung auf einen eigenen Fokus, welcher der Beachtung der Inhalte und Präsenzen des anderen sowie der Aufmerksamkeit auf die Bindungsperspektive und die generalisierte Perspektive der anderen abträglich sein könnten. Das Bild der männlichen
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Disposition um die Begriffsdimension der Rationalität ließe sich hierzu als entsprechendes Gegenstück konstruieren. So fordert Rationalität sehr wohl die stringente Fokussierung auf die inhaltliche Sache ein, während die Beachtung wechselseitiger Bindungsverhältnisse und Bindungsleistungen dem untergeordnet ist. Auch fordert das kühne Abwägen die Präsenz der Sache gegenüber der Berücksichtigung der Interessen, Bedürfnisse und Gefühle des Gegenüber oder der eigenen. Die Schwierigkeit, typisch männliche und typisch weibliche Emotionen wie Rationalität und Sanftmütigkeit zusammenzubringen, begründet sich demnach letztlich darin, dass beide Dispositionen konträre Weisen der Aufmerksamkeitsverteilung verschlüsseln und auf entsprechend entgegengesetzte Positionen in der Begegnung abstellen. Weitere emotionale Zuschreibungen des »typisch Weiblichen« und »typisch Männlichen« reihen sich darin ein, gewichten jedoch die Ebenen der Aufmerksamkeit unterschiedlich. So betont etwa Einfühlungsvermögen die Aufmerksamkeit auf die Perspektive des anderen, Schüchternheit die Zurückhaltung der eigenen Präsenz gegenüber der des anderen, Sittsamkeit die Aufmerksamkeit auf die universalistische Perspektive der Gesellschaft oder Kultur und Naivität die geringe Gewichtung der Ebene der Aufmerksamkeiten geteilter Inhalte. Die Liste ließe sich um einige Beispiele ergänzen. Die Ausführungen sollen jedoch genügen, um zu veranschaulichen, dass kulturelle Bilder des »typisch Weiblichen« oder »typisch Männlichen« nicht auf differente Persönlichkeitsstrukturen per se zurückgehen, sondern zunächst auf affektive Disposition zu Verteilungsverhältnissen von Aufmerksamkeiten verweisen. Was nun auf individueller und kollektiver Ebene zur Konstitution dieser affektiven Dispositionen führt, kann nicht abschließend geklärt werden. Deutlich ist jedenfalls, dass sie erst in Weisen der Begegnung generiert und regeneriert werden, ebenso kann angenommen werden, dass die dispositionale Gestalt zunächst affektiver Natur ist. Klar ist somit aber auch, dass immer dann, wenn Freundlichkeit oder Rationalität gefordert, angenommen oder unterstellt wird, diese sich selbst zurechnet oder einem unangebracht erscheinen, subtil auf Muster von Verteilungsverhältnissen von Aufmerksamkeiten in der Begegnung abgestellt wird, die in ganz grundlegender Weise Macht- und Solidarbeziehungen bereits vorstrukturieren. Auf diese Weise sozialisierte affektive Dispositionen legen die Eignung für beispielsweise mütterliche und hausfrauliche Aufgaben im emotionalen Ausgleich des Mannes als quasi »automatisch« und »natürlich« nahe. Was jedoch der Persönlichkeit entstammend erscheint, ist das Ergebnis einer mikroaffektiven Tiefe kollektiver Dispositionen, die alles andere als naturwüchsig sind, sondern in hohem Maße auf kulturellen Praktiken der Rekonstruktion sozialer Grenzen aufbauen. Daran anschließend lässt sich sogar die These formulieren, dass es
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selbst in der Postmoderne weniger strukturelle Barrieren sind, die familiale und berufliche Rollenmuster so hartnäckig am Leben erhalten respektive ihre Dynamiken beeinflussen, sondern die unerkannte Verschränkung spezifischer kultureller Schemata mit Weisen des Aufmerkens und der Transformation in affektive Hintergründe in der Begegnung. Wenn etwas Frauen in die Berufswelt verholfen hat, dann doch eher die Änderungen der Anforderungen an die Weisen der Beziehungsgestaltung im Beruf, wie Kommunikations- und Teamfähigkeit, als gewandelte geschlechtsspezifische Dispositionen. Und auch hier: nicht, weil etwa Sanftmut und Empathie eher weibliche Stärken sind, sondern weil kulturelle Ordnungen spezifische Weisen des Aufmerkens jener unreflektiert prädisponieren. Erst Änderungen deren gesellschaftlicher beziehungsweise ökonomischer Notwendigkeit hat Frauen in den letzten Jahrzenten mehr Teilhabe und Selbstvertrauen gewinnen lassen. Es ist also davon auszugehen, das kollektive Ordnungen die Verteilungsmuster des Aufmerkens kodieren und über implizite Zusprüche dieser, etwa dem der Freundlichkeit oder Sanftmütigkeit, jene auch regeneriert werden. In Anbetracht der Tatsache, dass sich Differenzen der Aufmerksamkeitsverteilung so erheblich auf affektive Hintergründe und damit unterschiedliche Modi der Begegnung auswirken, finden Argumente zu kulturellen Praktiken gesellschaftlicher Hierarchisierung und Kontrolle etwa genderspezifischer Dispositionen hier ihren Ansatzpunkt. Dieser Ansatz weist somit aber auch Vorstellungen davon, dass weibliche oder männliche Handlungsmuster und Empfindungsweisen direkt über gesellschaftliche Normen und Rollenbilder vermittelt werden, ebenso zurück, wie er Annahmen skeptisch gegenübertritt, die Empfindens- und Handlungsweisen als überwiegend physiologisch begründete Weisen in der Welt zu sein bestimmen. Damit wird nicht behauptet, dass unterschiedliche Weisen des Aufmerkens nicht mit kollektiv geteilten und individuell identifizierenden Bildern des Weiblichen und Männlichen in Zusammenhang stehen. Es ist aber ein notwendiger Zwischenschritt ergänzt, der deutlich macht, dass kollektive und individuelle Bilder nicht mit Mustern und Wirkweisen affektiver Dispositionen gleichgesetzt werden können. Folglich können auch Bilder, in Form von Normen oder Rollen, nicht pauschal veranschlagt werden, sondern müssen dezidiert auf die damit implizierten Anforderungen an das verschränkte Aufmerksamkeitsfeld befragt werden. Management der Aufmerksamkeit Freundlichkeit ist nun gewiss keine Forderung, die nur an Frauen herangetragen wird. Daher soll eine weitere Perspektive zur Beantwortung der Frage, was af-
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fektive Dispositionen der Verteilung von Aufmerksamkeiten meinen, eingenommen werden. Wenn ein Personaler bei potenziellen Mitarbeitern auf Zuschreibungen wie beispielsweise Freundlichkeit, Kontaktfreudigkeit, Teamfähigkeit, Aufgeschlossenheit und Konfliktfähigkeit oder aber Zielstrebigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfreudigkeit und Durchsetzungsfähigkeit Wert legt, dann sind dies zum einen nur vermeintlich Eigenschaften von Menschen, Aspekte also, die an der Person, seinen Emotionen oder Kognitionen per se orientiert sind. Vielmehr richtet sich das Interesse des Personalers auf affektive Weisen der Begegnungsgestaltung der Bewerber. Von Interesse sind daher jene affektiven Dispositionen, die aufgabenspezifische Aufmerksamkeiten hervorrufen und damit spezifische affektive Hintergründe und Begegnungsmodi begründen, die vom Tätigkeitsprofil gefordert werden. Oder aber es geht darum, jene Weisen der Aufmerksamkeit beeinflussen, schulen und überwachen zu können. Entscheidend für die Auswahl sind somit die Begegnungen, die der Angestellte haben wird. Handelt es sich um die Stelle der persönlichen Assistenz eines leitenden Angestellten, sodass viele soziale Begegnungen mit einem Vorgesetzen das berufliche Handeln prägen werden, dann sind eher Weisen verteilter Aufmerksamkeiten von Bedeutung. Gleiches gilt für die sozialen Kontakte mit Kindern im Falle von Erziehern oder mit Kunden im Falle von Verkäufern. Diese Tätigkeiten verlangen gänzlich andere Formen von Begegnungsgestaltung denn im Falle eines Ingenieurs, Chemikers oder Wissenschaftlers, der Aufmerksamkeiten eher fokussieren denn streuen können muss. Der Punkt ist, dass es nicht um die Emotionen oder Tätigkeiten selbst geht, sondern um Weisen der Gestaltung geteilter Aufmerksamkeitsfelder mit Personen und Dingen und damit um affektive Hintergründe. Das Recht, sich Aufmerksamkeit für geteilte Inhalte und eigene Präsenzen vorzubehalten, ungeachtet der Konsequenzen für die Aufmerksamkeit für andere und die Perspektive anderer, darf bereits als Machtvorsprung ausgelegt werden. Ungeachtet dessen sind Macht und Status in der Begegnungsgestaltung nicht gleichbedeutend mit der Autonomie gegenüber ökonomischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Anforderungen an affektive Hintergründe. Arlie Hochschilds Veröffentlichung The Managed Heart (1983) gilt als eine der ersten Arbeiten aus dem Umfeld der in den USA inzwischen florierenden Emotionssoziologie, welche die Emotionalität als eine längst von Unternehmen angezapfte humane Ressource offenbarte, dabei erzwungene Emotionen einfordernd und instrumentalisierend. Nach Hochschild unterliegen Gefühle von Angestellten ökonomischen Logiken und zielen darauf ab, Macht und Status in Begegnungen entweder abzugeben oder einzufordern. Um aufzuzeigen, dass die Aufführung
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verlangter Gefühle und die Unterdrückung anderer dazu dient, aufgabenspezifische Interessen durchzusetzen, stellt Hochschild zwei unterschiedliche Dienstleistungsberufe, den des Flugbegleiters und den des Geldeintreibers, kontrastierend gegenüber (vgl. Hochschild 1983). Dass es sich dabei jedoch seltener um konkrete Gefühle denn zumeist um affektive Dispositionen handelt, die eingefordert worden waren, lässt sich leicht zeigen. Hochschilds Formulierungen lauten beispielsweise, dass die Angestellten bestimmte Emotionen zur Schau stellen sollen (»to act nice«) und zum Ausdruck bringen müssen. In keinem Falle geht es allerdings um die Emotionen selbst, sondern um Art und Weise des Umgangs mit anderen. Im Falle der Flugbegleiter sind dies Gefühle des Verständnisses und der Freundlichkeit. Es wird keineswegs erwartet, echtes Verständnis aufzubringen oder ehrliche Freude gegenüber anderen zu empfinden. Es geht schlicht darum, Gefühle in Begegnungen zur Performanz zu bringen. So lautet ein Auszug aus einem Interview mit einem Angestelten: »[…] In telephone sales you’ve got to be nice no matter what, and lots of times I don’t feel like being nice. To act enthusiastic is hard work for me.« (Hochschild 2012, 139) Worum es also geht, sind die affektiv-performativen Modi der Begegnungsgestaltung der verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen und damit um Weisen des Aufmerkens. Seien es die Bedürfnisse und Interessen der Passagiere, der gut sitzende Anzug des Managers oder das vom Gast eingebrachte Gesprächsthema, seien es unterstellte gesellschaftliche oder religiöse Konventionen in der Situation. Keineswegs sollen tatsächliche attentional-affektive Verkettungen in Gang gebracht und intensive Emotionen wie Freude erzeugt werden – jedenfalls zumeist nicht3. Vielmehr geht es darum, berufsspezifische Statusund Machtpositionen an die Status- und Machtpositionen des Gegenübers anzupassen, berufsspezifische Status- und Machtkonstellationen also mittels konstruierter Aufmerksamkeitsweisen herzustellen. Die Flugbegleiterin ist in Ausübung ihrer Tätigkeit dem gut zahlenden First-class-Geschäftsmann im Status untergeordnet. Hingegen muss der Geldeintreiber sich seinen Klienten gegenüber in eine Machtposition bringen. Dies kann er nur tun, indem er seinen Klienten genau diese Aufmerksamkeiten, wie sie die Flugbegleiterin bietet, vorenthält. Geldeintreiber müssen lernen, ihre Aufmerksamkeit auf das zu richten, was notwendig ist, das Maß der drohenden Gefahr und die Möglichkeiten, wieviel Geld in wieviel Zeit hereinzuholen ist, einzuschätzen, die Jobidentität zum richtigen Zeitpunkt anzunehmen und wieder abzulegen etc. (vgl. ebd., 140ff.). Es geht folglich nicht um die Darstellung von Gefühlen per se. Eine vor Freude überschäumende
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Das von Hochschild erwähnte deep acting zielt durchaus auch, in privaten Bereichen sogar vordergründig, auf eine Form innerer Gefühlsarbeit ab.
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Flugbegleiterin ist nicht erwünscht, wenn sie die Freude nicht an ihre Kunden heranträgt. Es geht um Begegnungsmodi der Gestaltung geteilter Aufmerksamkeit und damit um affektive Hintergründe. Was also Hochschild als Gefühlsmanagement beschreibt, geht zunächst auf ein sehr viel subtileres Management wechselbezüglicher Aufmerksamkeiten zurück. Die Aufforderung: »Sei freundlich!«, bedeutet beispielsweise nicht: »Fühle dich freundlich!«, sondern meint eine spezifische Anforderung an Weisen des Aufmerkens. Die Frage, die sich daran nun anschließt, lautet, wie diese Weisen zur Umsetzung gebracht werden. Denn es ist keineswegs leichter, eigene Verteilungen des Aufmerkens zu beeinflussen als Gefühle. Wie also können beispielsweise Unternehmen Einfluss auf die affektiven Dispositionen ihrer Mitarbeiter gewinnen? Hochschild beschreibt hierzu vor allem ein Management sozialer Praktiken der Begegnungen. Die unternehmerischen Strategien, die sie herausstellt, sind die der Personalschulung und der Überwachung. Sie stellt zunächst einmal fest, dass das Training der Flugbegleiter dafür wesentlich aufwendiger ist als das der Geldeintreiber (vgl. ebd., 138). Offenbar bedarf es wesentlich mehr Übung, sich auf dem Aushandlungsfeld geteilter Aufmerksamkeit quasi kampflos unterzuordnen und seine Aufmerksamkeit überwiegend anderen zu widmen, zumindest gegenüber Menschen, denen man keine tatsächlichen Gefühle – welche dies natürlicherweise bewerkstelligen – entgegenbringt als umgekehrt. Was Hochschild als deep acting bezeichnet, geht jedoch über die Kontrolle von Begegnungspraktiken hinaus und setzt sehr viel tiefer an. Jedoch nicht an den Gefühlen selbst, wie Hochschild vermutet, sondern an den Weisen der Aufmerksamkeit. Das eigentliche Problem ist dann die Trennung unterschiedlicher Weisen der Aufmerksamkeit zwischen Job und Privatleben. Dass das Gefühlsleben damit nicht mehr nur private Lebensqualität meint, sondern eine öffentliche Angelegenheit geworden sind, ist längst klar. Hochschild erahnt, dass das freie Herz zunehmend ein knappes Gut, Emotionen eine umkämpfte Ressource werden (vgl. ebd., 192). Ihr wurde jedoch immer wieder vorgeworfen, den Akteuren nicht genügend Autonomie einzuräumen. Helena Flam bemerkt dazu kritisch: »Hochschild übersieht, dass sich die Angestellten, wohl wissend einer Manipulation ausgesetzt zu sein, wehren, indem sie Strategien entwickeln, die es ihnen erlauben, die Manipulation und Überwachung zu umgehen.« (Flam 2002, 202; vgl. aber auch Taylor und Tyler 2000, 88ff.) Autonomie äußert sich jedoch nicht im fake acting insofern, als Macht- und Statuserfahrungen dennoch entqualifizieren4 ;
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Bogner und Wouters weisen darauf hin, dass sich Machtdifferenzen und Anforderungen an Angestellte, sich künstlich anderen unterzuordnen, bereits deutlich
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sie zeigt sich auch nicht in der Erfahrung erzwungener Friktion affektiver und performativer Begegnungsmodi. Autonomie setzt gegebenenfalls ebenso an verweigerter Aufmerksamkeit an. Dies relativiert die Frage nach Autonomie natürlich nicht, verändert jedoch ihren notwendigen Ansatzpunkt. Genauer gesagt ermöglicht die Berücksichtigung der Aufmerksamkeit überhaupt erst einen Ansatzpunkt zur Diskussion dieser Frage. Das freie Herz Hochschilds als knappes Gut geht daher Hand in Hand mit der Diagnose der Aufmerksamkeit als umkämpfte Ressource (Schroer 2013; Franck 1998; Bernardy 2014; Bleicher und Hickethier 2002; Nolte 2005). (3) Kulturelle Praktiken der Selektion An dieser Stelle soll die eingangs vorgeschlagene Definition von Affektivität von Illouz wieder aufgegriffen werden. Illouz stellt Emotionen in enger Verflechtung mit sozialen Beziehungen und kulturellen Wertzuschreibungen dar, über welche jene das Handeln affektiv prägen (vgl. Illouz 2007, 10). Wie diese Verflechtung von affektiven Färbungen und kulturellen Dispositionen im Handeln praktisch wird, bleibt bei Illouz zwar offen. Ihre Darstellungen erweisen sich jedoch als hilfreich, um den Bereich affektiver Dispositionen selektiver Aufmerksamkeit und deren Transformationsweisen in affektive und praktische Modi der Begegnung näher zu betrachten. Den Zusammenhang zwischen Emotionen und sozialen Beziehungen sowie Bedeutungszuschreibungen illustriert sie wie folgt: »Wenn jemand zu mir sagt: ›Du bist schon wieder zu spät gekommen‹, dann wird die Antwort auf die Frage, ob ich Scham, Wut oder Schuld empfinde, fast vollständig von
abgemildert hätten (vgl. Bogner und Wouters 1990). Dies ist sicherlich richtig, doch beschränken sich diese Fälle ebenso auf Lebensbereiche, die etwa im Zuge von Frauenbewegungen eigene Aufmerksamkeit erlangt haben und aufgrund von Öffentlichkeit starken Aufmerksamkeitscharakter hatten. So müssen etwa Flugbegleiter sich nicht mehr persönlich beim Kapitän vorstellen, sondern sich dieser bei ihnen (vgl. ebd.). Die Verhandlungsprozesse von Macht und Status, die im Gespräch zwischen Flugbegleiter und Kapitän ablaufen, dürften davon jedoch recht wenig tangiert sein. Es sei dem Einwand der wachsenden Egalisierung von Machtverhältnissen also entgegnet, dass zumindest auf der Ebene der gemeinsamen Aufmerksamkeitsgestaltung Machtdiskrepanzen der Präsenz oder Bindungsverpflichtung wenig Platz zum Unterspülen lassen, denn die Anforderungen an differente Weisen der Aufmerksamkeit sind demgegenüber noch sehr viel beharrlicher.
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meiner Beziehung zu dieser Person abhängen. Kommt die Bemerkung von meinem Chef, werde ich mich vermutlich schämen, kommt sie von einem Kollegen, macht sie mich wahrscheinlich wütend; kommt sie dagegen von meinem Kind, das vor der Schule auf mich wartet, dann fühle ich mich mit ziemlicher Sicherheit schuldig. […] Über Emotionen verwirklichen wir kulturelle Formen des Personseins, so wie sie in konkreten und unmittelbaren, aber stets kulturell und sozial definierten Beziehungen ausgedrückt werden.« (Illouz 2007, 10)
Illouz spielt also auf die Bedeutung unterschiedlich definierter Beziehungsverhältnisse für die Herausbildung affektiver Reaktionen in der Begegnung an. Wie aber lässt sich diese Beschreibung anhand der bisherigen Ausführungen zur Bedeutung prädisponierter Aufmerksamkeiten für affektive Begegnungsweisen konkretisieren? Nun mag man zunächst grundlegend unterstellen, dass in diesen drei unterscheidbaren Situationen eben jeweils unterschiedlich aufgemerkt wird. Die Situationen werden also als jeweils gänzlich andere erfahren, sonst könnten nicht derart unterschiedliche Reaktionen folgen. Was aber unterscheidet die Situationen voneinander? Zum einen bilden die von Illouz beschriebenen Beziehungen ein idealtypisches Modell der drei möglichen Machtverhältnisse ab: das zum »Kind«, dem die Mutter im Machtverhältnis naturgemäß übergeordnet ist, das zum »Kollegen«, welches ein egalitäres Beziehungsverhältnis beschreiben soll, und das zum »Chef«, welches dann ein Unterordnungsverhältnis gegenüber einem Vorgesetzten meint. Mithilfe Collins’ Modell Emotionaler Energie lässt sich nun erklären, warum unterschiedliche Machtverhältnisse verschiedene Emotionen hervorrufen. Der Vorwurf, man komme »erneut zu spät«, lässt sich sodann nach Collins als Bruch im angenommenen solidarischen Gefüge verstehen, denn er meint eine Bemächtigung im geteilten Aufmerksamkeitsfeld. Je nach angenommener Beziehungsform lassen sich nun ganz unterschiedliche Emotionen ableiten. So wird die unterstellte egalitäre Machtbeziehung zwischen Kollegen durch die Bemächtigung gebrochen. Die Emotion des Ärgers bringt mithin nicht die Situation oder die Aussage an sich hervor, sondern die gebrochene Egalität. Folgerichtig lässt sich die Emotion der Scham in dem Fall aus der als legitim erfahrenen Bemächtigung seitens des Chefs heraus interpretieren. Denn Scham verurteilt nicht die Aufmerksamkeit des anderen, sondern will sich dieser entziehen. Im gegenteiligen Fall der Bemächtigung des Kindes folgt kein Ärger über die Bemächtigung, auch kein Versuch, sich jener zu entziehen. Mit Blick auf die generelle Machtunterlegenheit des Kindes gegenüber der Mutter ist der Machtanspruch des Kindes zunächst nicht legitim. Doch hat die Mutter eine Situation zu verantworten, in welcher eine solche, dennoch oppositionär erscheinende, Bemächtigung seitens
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des Kindes überhaupt notwendig geworden ist. Die Schuld richtet sich hiermit nicht auf das Kind, sondern auf die Verantwortlichkeit für die Situation. Scham und Schuld sind daher recht ähnliche Affekte, zumindest als präreflexiv-affektiv hintergründige Weisen. Beides sind affektive Dimensionen im Wechselprozess aufgemerkter legitimer Machterhebungen. Der eigentliche Punkt ist noch ein ganz anderer. Mit Blick auf die drei idealtypischen Machtverhältnisse könnte man behaupten, dass die Figuren entsprechend dieser Kategorien austauschbar sind. Das Kind könnte auch der Angestellte, der Patient oder der Schüler sein. Mit Blick auf ein egalitäres Verhältnis würde es auch der Partner, der Freund oder die Schwester tun. Ebenso wäre der Chef durch die Figur des Vaters, des Lehrers, des Arztes entsprechend ersetzbar. Wieso aber lässt sich dies, wohlgemerkt in einem spezifischen Kultur- und Zeitkontext, behaupten? Was lässt den Protagonisten in Illouz’ Beispiel jeweils verschieden aufmerken? Es müssen also kulturelle Schemata bereits als Filter des Aufmerkens der Situation, als eben so oder so eine Machtsituation, unterstellt werden. Kulturelle Ordnungen als affektive Dispositionen meinen dann spezifische Kodierungen, die Situationen als von Grund auf nach ihrem Machtverhältnis vorselektiert aufmerken lassen. Dies natürlich nicht reflektiert, sondern, wie mehrfach erwähnt, affektiv. Somit bleibt zunächst anhand des Beispiels festzuhalten, dass sich prädisponierende Ordnungen des Aufmerkens nicht auf spezifische, komplexe Beziehungsverhältnisse oder konkrete Emotionen richten, sondern zunächst ein situatives Machtgefüge aufmerken lassen. Dies erscheint dann als äußerst einsichtig, wenn man bedenkt, dass Macht und Solidarität die Grunddimensionen der sozialen Begegnung sind und das, was mittels affektiver Hintergründe der Zu- oder Abwendung austariert wird. Jene affektiven Dispositionen der Wertzuschreibung spezifischer Machtbeziehungen beruhen ebenso auf kulturellen Praktiken der steten Repetition von Beziehungsegalität und Machtdifferenz. So sedimentieren sich wiederholende Performanzen, beispielsweise von Freundschaftswerten, in dispositionale Formen der Grenzziehung und Bewertung von Machtverhältnissen. Also immer dann, wenn egalitäre Beziehungen dadurch wiederholt werden, dass mal der eine und mal der andere anruft, das Essen spendiert, den Film aussucht, einen gut gemeinten Ratschlag gibt oder beim Umzug mit anpackt. Sodann lässt sich die angeführte Verschränkung in der Argumentation Illouz’ konkretisieren und macht verständlich, warum die Struktur emotionaler Wertigkeiten moralischen und sozialen Arrangements zugrunde liegen kann. Denn in der Weise, wie affektive Empfindungen soziale Beziehungen begleiten, rekonstruieren sie auch Beziehungsverhältnisse. Erzeugte Machthierarchien, etwa zwischen Frauen und Männern, Kindern und Erwachsenen, Politikern und Bürgern, Vorgesetzten und Angestellten, stehen mit emotionalen Hie-
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rarchien nicht nur im Wechselverhältnis (vgl. Illouz 2007, 11f.), sondern sie sedimentieren auch in affektiven Kodierungen und grundlegenden Mustern des Aufmerkens. Affektive Dispositionen und Emotionen Nun soll die Blickrichtung sich von den Beziehungsformen weg noch einmal hin zu den entstehenden Emotionen wenden. Zuvor wurde eine »Ökonomie der Emotionen« mit einer »Ökonomie der Aufmerksamkeiten« abgeglichen, und zwar hinsichtlich der Verteilungsverhältnisse wechselseitig verschränkter Aufmerksamkeiten. Das vorangegangene Beispiel zeigt auf, dass Emotionen auch hinsichtlich der Weisen des selektiven Aufmerkens relevant sein dürften. Also dann, wenn es nicht mehr darum geht, wie sich Aufmerksamkeiten in der Begegnung verteilen, sondern was und wie grundsätzlich aufgemerkt wird. Selektive Aufmerksamkeiten wurden als die Lebenswelt ordnende und rahmende Aufmerksamkeiten definiert, in einem Netz sich wechselseitig bedingender und überlagernder Lebenswelten. Selektive Grenzziehungen erlangen über kulturelle Praktiken der Wiederholung, in Form von wiederholten Interpretationen, Inszenierungen oder Präsentation Wertzuschreibung und damit eine Verstetigung von Aufmerksamkeit. All dies wurde bereits vorgestellt. Insofern müssen nun mit Blick auf affektive Dispositionen, in dem Fall des Emotionalen, die Praktiken in den Blick genommen werden, bei denen es um die Frage geht, wie sich kollektive Ordnungen des Emotionalen zu Weisen der Selektivität des Aufmerkens und damit affektiven Hintergründen transformieren. Einfacher aufgedrückt: Wie bewirken kulturelle Bilder des Emotionalen spezifische Weisen des Aufmerkens in der Begegnung und werden damit zu affektiven Dispositionen tatsächlicher affektiver Empfindungen? Dahinter verbirgt sich somit auch die Annahme, dass kulturspezifische Weisen, wie über Emotionen gesprochen und gedacht wird, auf unterschiedliche affektive Dispositionen dazu verweisen und erst darüber Weisen affektiven Empfindens sehr unterschiedlich sein können. Dass in unterschiedlichen sozialhistorischen und kulturellen Kontexten Emotionen, beispielsweise Mitgefühl, Toleranz, Angst, Zorn oder Scham, ganz verschiedene Bedeutungen, Situationskontexte, Bilder und Beziehungsverhältnisse transportieren, ist bekannt. Derartige kulturelle Unterschiede haben Neckel (1991) für Scham oder Menninghaus (1999) für Ekel (ähnlich Kolnai 2007 [1930]) beschrieben. 2017 haben Jonas Bens und Olaf Zenker eine Sammlung ethnografischer Studien zum Gerechtigkeitsgefühl im Vergleich zwischen Madagaskar, Südsudan, Indonesien, Israel (Palästina), Peru und innerhalb afrikanischer Staaten herausgegeben (Bens und Zenker 2017). Demnach können kulturelle Bilder von Emotionen nicht mit Emotionen gleichgesetzt werden und müssen auf dahinterstehende spezifische
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Prädispositionen affektiver Modi in der Begegnungsgestaltung erst hinterfragt werden. Hilfreich erscheint, hierzu die einzelnen Aspekte nochmals voneinander abzugrenzen. Emotionen, also die Art und Weise des affektiven Empfindens, kommt kein spezifischer kultureller Wert per se zu. Ihr Wert reproduziert sich erst mittels selektiver Filter des Aufmerkens. Denn Emotionen können nicht getrennt von den Begegnungen, in welchen sie sich jeweils realisieren und den dabei sich begegnenden Entitäten betrachtet werden. Denn im Grunde müssen nicht die anthropologischen Grundweisen des Empfindens verschieden sein. Was sich kulturspezifisch jeweils unterscheidet, sind affektive Dispositionen und damit Weisen des Aufmerkens selbst. Denn diese entscheiden, was und wie aufgemerkt wird und mit Blick auf welche Begegnungen entsprechend wie empfunden wird. Ebenso wenig können affektive Dispositionen des Aufmerkens mit kulturellen Bildern von Emotionen gleichgesetzt werden. Sonst gäbe es aus dieser Perspektive schlichtweg keine Unterschiede des Aufmerkens von Emotionen innerhalb von Kulturgemeinschaften. Aber die gibt es. Was den Unterschied macht, sind je spezifische Präsentationen dessen, wie begegnet, was gefühlt und was erlebt wird. Stellvertretend soll für diesen Gedanken Judith Butler zu Wort kommen, die in Fühlen, was im anderen lebendig ist: Hegels frühe Liebe folgende Feststellung trifft: »Die Art der Präsentation muss den Erfordernissen des Präsentierten entsprechen; was ›ist‹ verlangt seine Präsentation, um überhaupt zu sein. Anders formuliert ist die Präsentation der Liebe eine Entfaltung oder zeitliche Ausarbeitung des Objekts der Liebe; wir können die Liebe selbst als Objekt, Thema oder Fragestellung nicht genau von ihrer Präsentation unterscheiden. […] Liebe kann kein stummes, innerliches Objekt bleiben, sondern verlangt in gewisser Weise nach Präsentation der Liebe.« (Butler 2012, 22)
Gleichsam stehen Art und Weisen, wie jeweils über Emotionen gesprochen und gedacht wird, in einem engen Zusammenhang mit sedimentierten affektiven Dispositionen des Emotionalen. Letztlich aber sind es affektive, dispositionale Schemata, welche spezifische Weisen des affektiven Begegnens chiffrieren. Das, was dann als Emotionen gehandelt wird, sind wiederum erst Reflexionen dieser affektiven Begegnungsweisen und damit konstruierte Entitäten der Begegnung selbst. Was wohl am ehesten affektiven Dispositionen des Emotionalen nahekommt und als kollektive Filter des Aufmerkens hinsichtlich in diesem Falle Emotionen benannt werden kann, sind eher jene affektiven Gehalte, die im Reden und Denken über Emotionen eigentlich kodiert sind. Dies mag nun insge-
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samt etwas verwirrend erscheinen, lässt sich aber in einem kurzen Ausflug zur affektiven Struktur von Sprache leicht klarer machen. Zur affektiven Struktur von Sprache Ausgangspunkt der Überlegung zur affektiven Struktur von Sprache soll die Affektregulationstheorie5 David R. Heises sein. Heise verstand die Affektivität als ein kybernetisches Moment sozialer Akteure zu beschreiben und empirisch einzureichen (Heise 1977, 1979; Heise und Smith-Lovin 1981; Heise 1989; Heise und Lerner 2006). Er ging davon aus, dass Individuen sich selbst gegenüber, in Interaktionen mit anderen und in ihrem sozialen Umfeld affektive Kohärenz anstreben, um stabile Identitäten ausbilden zu können sowie soziale Erwartbarkeiten zu schaffen. Das Selbst beruht hierbei erst retrospektiv auf Narrativierungen biografischer und lebensweltlicher Kohärenz, die wiederum lediglich Ausdruck affektiver Kohärenz sind. Erfahrungen also davon, in ähnlichen Situationen ähnlich emotional zu reagieren sowie mit den zugeschriebenen Identitäten anderer ähnliche affektive Begegnungen konstruieren zu können (vgl. Heise 1989, 10f.). Das hintergründig Affektive steht nach Heise dabei im engen Zusammenhang mit den semantischen Interpretationen einer Sprachgemeinschaft. Kulturell geteiltes Wissen wird weniger über Inhalt als über affektive Konnotationen transportiert. Denn die zentrale Feststellung der Affektregulationstheorie lautet, dass sich affektive Erfahrungen sozial angemessener und unangemessener Handlungen in der affektiven Struktur der Sprache wiederfinden (vgl. Schröder 2012). Angehörige einer Sprachgemeinschaft müssen demnach weniger genau benennen können, was denn eine »Mutter« ist, was sie tut, als das, was sie mit dem Begriff »Mutter« affektiv verbinden. Heise und Kollegen haben empirisch aufgezeigt, dass affektive Empfindungen gemessen an EPA-Profilen nicht nur kulturell äußerst einheitlich sind, sondern zudem über einen längeren Zeitraum äußerst stabil zu sein scheinen (Sewell und Heise 2010). EPA-Profile gehen auf Charles Egerton Osgood und Kollegen (Osgood, Suci und Tannenbaum 1957) zurück und beschreiben einen an gegensätzlichen Adjektiven aufgespannten Raum einer affektiven Wortbedeutung. Die drei Hauptdimensionen solch semantischer Potenziale sind Evaluation (gut, angenehm vs. schlecht, unangenehm),
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Im Original wird die Theorie als »Affect Control Theory« bezeichnet. Die deutschen Übersetzungen fallen unterschiedlich aus (vgl. Schröder 2012). Da der Begriff der Kontrolle im Deutschen jedoch fälschlicherweise die Vorstellung einer Kontrolle über Affekte nahelegen könnte und die Alternative der Steuerung eine reflexive Beteilung der Steuerung affektiver Modi implizieren könnte, wird hier die Übersetzung »AffektRegulierungs-Theorie« verwendet.
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Potenz (stark, kraftvoll vs. schwach, zart) und Aktivität (erregt, lebhaft vs. still, ruhig) und sind über alle Sprachen und Kulturen hinweg universell gültig (Osgood, May und Miron 1975), fallen jedoch je nach Kultur sehr unterschiedlich aus (Heise und Lerner 2006). Nun zeigt die Nähe der EPA-Profile zu Konzeptionen globaler Stimmungsmodelle (LEW-Modelle), dass das, was hier gemessen wird, affektive Empfindungen und damit die Folgen spezifischer Weisen des Aufmerkens sind. Dennoch scheinen die Grundempfindungen von gut vs. schlecht, stark vs. schwach und aktiv vs. ruhig zu den affektiven Grundeindrücken zu gehören, die darüber hinaus eine unterschätzte Bedeutung für die Grundweisen kultureller und gesellschaftlicher Strukturen haben. So sah bereits Kemper (1978) die Grundempfindung von goodness und powerfulness in direkter Verbindung sozialer Dimensionen von Status und Macht, wie in vergleichbarer Weise die Arbeiten des Symbolischen Interaktionismus aufzeigen, dass Grundempfindungen der Akteure in Begegnungen nicht nur auf dem wahrgenommenen Verhalten der anderen beruhen, sondern auch die Zuweisung eigener Identitäten und Verhaltensoptionen an der antizipierten Grundempfindung (fundamental impressions; vgl. Heise und Smith-Lovin 1981, 93) der anderen orientiert sind (vgl. u.a. Goffman 1959). Das eigentlich Interessante daran ist, dass Heise dem Affektiven der Individuen damit gerade nicht den Charakter des Individuellen, Unberechenbaren und potenziellen Bruchs unterstellt. Ganz im Gegenteil bildet für Heise die Struktur des Affektiven eine Passungsgröße zwischen Subjekt und sozialer Umwelt. Ähnliche soziale Situationen und Verhaltensweisen rufen bei Angehörigen einer Sprachgemeinschaft auch ähnliche affektive Reaktionen hervor. Emotionale Reaktionen sind folglich im hohen Maße kulturell angemessen und sozial konform. Reibungslose soziale Interaktionen sind so auch erst auf der Grundlage wechselseitig erwartbarer affektiver Reaktionen möglich. Dies verweist somit auf die selektiven Prädispositionen affektiver Begegnungsweisen, die innerhalb von Gemeinschaften umso vergleichbarer sein müssen, je mehr gemeinsame Identitäten in ihr vorhanden sind. Kurzum: Dies verweist auf im Ganzen doch recht stabile kollektive Dispositionen. Gemessen wurden nun aber keine affektiven Dispositionen selbst, sondern einheitliche affektive Reaktionen. Denn vor dem Hintergrund der bisherigen Ausarbeitungen lässt sich plausibel zeigen, dass das, was Heise als affektive Grundempfindungen an EPA-Profilen abliest, etwas grundsätzlich anderes ist als das, was mit affektiven Konnotationen von Sprache benannt ist. Unter Einbezug des Moments der Aufmerksamkeit wird somit ein notwendiger Zwischenschritt sichtbar, der Sprache als prädisponierendes Symbolsystem mit affektiven Weisen der Begegnung verbindet. Festgehalten werden kann somit, dass affektive
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Konnotationen auf die mit einzelnen Begriffen kodierten affektiven Dispositionen verweisen, als spezifische Filter des Aufmerkens. Auch wenn sich affektive Dispositionen vermutlich nicht direkt in ihrer Gestalt an affektiven Empfindungen ablesen lassen, sind diese dennoch auch, wie bereits erwähnt, grundlegend affektiver Natur. Ob deren Gestalt ebenso in den Dimensionen der EPA-Profile beschreibbar ist, lässt sich hingegen kaum feststellen. Symbole als Präsenzen affektiver Dispositionen Affektive Konnotationen von Sprache als selektive affektive Dispositionen des Aufmerkens sollten demnach klar von affektiven Grundempfindungen als Ausdruck der Art und Weise der Begegnung unterschieden werden. Dass das dringend notwendig ist, beweist die bestehende Einschränkung der Affektregulationstheorie. Denn diese konnte bisher wenig dazu sagen, warum Angehörige eines gemeinsamen Sprachraumes durchaus unterschiedlich affektiv reagieren können. Zwar führt Heise den generischen Ursprung affektiver Konnotationen auf soziale Interaktionserfahrungen zurück, doch eingeschränkt auf sprachlich codierte affektive Inhalte. Dem lässt sich zum einen hinzufügen, dass die selektive Disposition des Aufmerkens nicht die einzige Disposition des Aufmerkens ist. Zum anderen können derartige affektive Konnotationen als affektive Dispositionen nicht nur Sprache zugesprochen werden. Affektive Konnotationen als selektierende affektive Dispositionen des Aufmerkens müssen im Grunde allen Formen von Präsenzen zugesprochen werden, insofern sie komplex genug sind, um eine disponierende Kraft zu transportieren. Dies können neben Sprache beispielsweise Geräusche oder Melodien sein. Ähnlich wie Collins dies tut, sollte Sprache als ein Symbolsystem neben anderen betrachtet werden, die nicht für sich, aber in ihrer Bindung an affektive Konnotationen selektiv prädisponierend wirken können. Denn im Sichtbarwerden des Symbolischen verweisen Symbole gerade nicht nur auf sich selbst, sondern auf »die Kraft des Sozialen«, welche diese »gleichsam akquirier[t]« haben (Adloff 2012, 242), so Adloff über das Verhältnis des Symbolischen und Sozialen bei Mauss. »[B]eide Dimensionen verweisen aufeinander: Die Kraft des Sozialen muss immer auch als eine symbolisch repräsentierte Kraft gesehen werden.« (Ebd.) Kraft meint folglich das, worauf bisher mit dem Begriff der affektiven Konnotationen der Dispositionen des Aufmerkens verwiesen werden sollte. Die Benennung jener als Kraft verweist zugleich auf damit verbundene Gestaltweisen des Imaginierens des Sozialen hinsichtlich denkbarer Symbolbereiche. Dies können neben einzelnen Begriffen ganze Redewendungen ebenso sein wie Gebäude, Gegenstände, Embleme oder abstrakte Bilder.
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Das Bild der Kraft steht bei Mauss dabei im engen Zusammenhang mit dem Magischen, der mana. Wohin aber gilt es das Magische zu setzen? Obwohl das Soziale, die soziale Begegnung, soziale Riten und affektive soziale Zustände und das Symbolische nicht getrennt voneinander gedacht werden können, kann die mana keinen von beiden und ebenso wenig beiden zugleich zugeordnet werden. Sie beschreibt sich irgendwo dazwischen, gleichzeitig sich aber auch im Einzelnen als individuell Empfundenes zuschreibend. Collins nimmt dies zum Anlass, die mana als Form Emotionaler Energie aus rituellen Interaktionen entstanden zu beschreiben und sich so an den Einzelnen anheftend. Demgegenüber muss die mana jedoch als komplexeste affektive Disposition des Aufmerkens überhaupt betrachtet werden. Denn das Magische offenbart sich nicht nur darin, was aufgemerkt wird, sondern immer auch wie. Somit umschließt das Magische als eine besondere Weise, in Begegnung zu etwas zu sein, sowohl das Selektive des Aufmerkens, das Aufmerken des Besonderen als auch die Gerichtetheit von Aufmerksamkeit. Dies mag auch der Grund dafür sein, warum dem Magischen kulturhistorisch und gesellschaftlich eine kaum mit anderen Phänomenen des Sozialen vergleichbare Bedeutung zukommt und als solches ein kontroverses Verhältnis zur Wissenschaft und zur Religion unterhält (vgl. Frazer 1968 [1890]; Durkheim 1981 [1912]; Malinowski 1973; im historischen Überblick Otto 2011). Die Werbeindustrie hat sich das Magische entsprechend geschickt zunutze gemacht. Mit jedem Kauf eines neuen Smartphones, dem Gang ins Kino und sogar dem Trinken einer Cola an Weihnachten verbindet sich ein Hauch des Magischen. Denn das Magische beherrscht die prädisponierenden Weisen des Aufmerkens in der wohl ausgeprägtesten Art und Weise. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass das Verständnis von Symbolen an dieser Stelle weit über das von Collins hinausgeht. Der zentrale Grundgedanke lautet, dass nicht der semantische Gehalt des Wortes »Mutter«, nicht die Besonderheit des Songs, nicht die Form des Rings und auch nicht die Geste des Gegenübers per se eine affektive Disposition darstellen. Sie alle transportieren einen aus dem Sozialen erhobenen Kraftgehalt akustischer, materialer oder dynamischer Art, der als kulturelle Ordnung affektiv konnotiert ist und erst darüber das Aufmerken in spezifischer Weise prädisponiert. So wird von den Angehörigen eines Kulturkreises ähnlich aufgemerkt, weil ihre Zuhandenheit eine vergleichbare Zurechnung und damit Identifizierung erfährt.
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PRÄDISPONIERTE AUFMERKSAMKEIT UND DIE FREIHEIT DES GEFÜHLS Wenn Existenz Begegnung meint (Heidegger), dann meint sie immer auch, etwas aufzumerken. Der lateinische Begriff attentio ist damit jedoch keineswegs bedeutungsgleich. Er wurde lange Zeit synonym zu intensio gebraucht (vgl. von Moos 2001, 92) und würde demnach lediglich dem nahekommen, was wir unter »absichtlicher Konzentration auf etwas« verstehen. Dieser Wortgebrauch verweist jedoch auf eine antizipierende und damit aus Erfahrungen erlernte Ausrichtung unseres Erlebens in Erwartung auf etwas, vergleichbar mit dem französischen attendre, attente (vgl. ebd.), oder aber auf die eine Seite der von Franck angeführten Weise des Begehrens, die Neugier – als anthropologisch begründete Zuwendung des Subjekts zur Welt. Begehren fordert demnach Aufmerksamkeit jener zurück. Die Aufmerksamkeit kennt aber auch die Angst in der wachenden Ausrichtung auf das Bedrohliche und Einfordernde. Von Moos weist auf die Bedeutung der Aufmerksamkeit und Andacht des vigilantia, der Sorge und Wachsamkeit, in der alttestamentlichen Sprache hin (vgl. ebd.). Hier zeigt sich allerdings bereits, dass Sorge und Wachsamkeit keineswegs begründet, schon gar nicht bewusst und auch nicht gerichtet sein müssen, ebenso wenig wie Neugier und das Begehren nach Aufmerksamkeit. Die Autonomie des Affektiven setzt somit an der Aufmerksamkeit selbst an, in einer Art der Selbstaufmerksamkeit oder Aufmerksamkeitskontrolle durch Praktiken der Wiederholung. Autonomie über Weisen des Aufmerkens und damit über affektive Begegnungsmodi des sozialen Akteurs verweisen darüber hinaus jedoch vor allem auf die zuvor skizzierten Formen der Grenzziehungen und kulturellen Schemata – also die Dispositionen der Aufmerksamkeit. Es gibt etliche Ansatzpunkte, sich der Frage nach dem Verhältnis prädisponierter Weisen des Aufmerkens und Autonomie zu stellen. In den bisherigen Darstellungen wurde der Standpunkt vertreten, dass die Konstruktion von Realitäten immer nur geteilte Realitäten betreffen kann und damit an Weisen der Begegnung und Gruppenzugehörigkeiten gebunden ist. Dispositionen des Aufmerkens müssen somit überwiegend vorbewussten Formen impliziter und im hohen Maße kollektiv geteilter Schemata zugeschrieben werden. Erst jene begründen Erwartbarkeiten, Handlungsroutinen und Identitäten. Nach Dewey ist das Wesen von Gewohnheiten »an acquired predisposition to ways or modes of response« (Dewey 1988, 32), welches die Grundlage bildet, sich in der Welt und aus ihr heraus orientieren zu können (vgl. hierzu auch Adloff, Jörke 2013, 26). Autonomie kann folglich nicht als Gegenstück zu affektiven Prädispositionen konstituiert werden, sondern beschreibt in diesem Rahmen eine spezifische Weise des Umgangs damit, nämlich einen be-
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wusst werdenden. Auslöser ist bei Dewey die Krise als Verlust der Routine aufgrund einer Störung des Gewohnten. In dem Fall wäre dies die Störung im Sinne einer Inkongruenz gewohnter Weisen des Aufmerkens und der Routine erlebter und erfahrender affektiv-performativer Antwortmodi. Entgegen Deweys Fokussierung auf die Krise soll der Umstand der problematic situation nicht nur in seiner engen Fassung als Widerfahrnis der Störung aufgegriffen werden. Mit Blick auf die Frage nach Autonomie stellt sich das Moment der Irritation anlässlich einer Inkongruenz dann als ein im gewissen Rahmen reflektierbares Maß dessen dar, wann etwas als Krise wahrgenommen wird und wann nicht. Autonomie meint in diesem Sinne keine Autonomie über die Krise, aber über den Ort der Krise und damit den Ort, wo bisher vorbewusst gebliebene Aufmerksamkeiten sich nicht mehr unbemerkt in Routinen des affektiv Hintergründigen übersetzen lassen. Das affektive Erleben ist sensibelster Fühler dafür, die Qualität von Situationen zu erfassen. Das Spüren affektivleiblichen Empfindens und dessen Reflexion ist somit auch Ansatzpunkt, wenn es um Autonomien im Umgang mit erlernten Dispositionen des Aufmerkens geht. Nur mit dem Wissen um ohne das Erfahren des sind pädagogische Bemühungen des Lernens und der Erziehung oder aber verhaltenstherapeutische Ansätze, etwa bei der Behandlung von Depressionen oder aggressivem Verhalten, obsolet. Denn genau hier werden erlernte Gewohnheiten und Verstärkungen spezifischer Aufmerksamkeiten sichtbar und beschwerlich und offenbaren an den Grenzen des Normalen oder Notwendigen ihre Übersetzungsgrundlage für affektive Hintergründe in der Begegnung. Dass Möglichkeiten der Autonomie über erlernte Aufmerksamkeiten bei Erfahrungen und Umgangsweisen mit elementaren Empfindungen affektivperformativer Modi beginnen, lässt sich an weiteren Beispielen darstellen. So zeigt sich beispielsweise, dass Extremkampfsportler weniger mit ihrem Wissen über Techniken und Bewegungsabläufe eskalative Gewaltsituationen zu beherrschen lernen. Vielmehr setzt die Kontrolle über Aufmerksamkeiten dort ein, wo es um das Erspüren affektiver Hintergründe und Körperwahrnehmungen geht. Dann, wenn jeder Ungeübte den Situations- und Gruppendynamiken der Gewalt bereits hilflos ausgeliefert wäre, seine eigenen Rhythmen längst zu denen der Gruppe geworden sind, müssen Extremkampfsportler ihre Aufmerksamkeit gezielt auf Beherrschung richten und Gewaltsituationen kontrollieren können. Dies kommt ungefähr dem Versuch gleich, in einer Gruppe mit anderen über einen Witz zu lachen und schlagartig nicht amüsiert zu sein. Eine vergleichbare Situation wäre auch, im Kreise mitfiebernder Fußballbegeisterter während eines WMFinalspiels genau dann, wenn ein Tor fällt und alle in einen akustischen und kör-
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perlichen Rhythmus verfallen, jubeln und springen, die eigene Aufmerksamkeit in der Form kontrollieren zu können, nicht in diesen Rhythmus zu geraten. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt Collins am tragischen Fall des getöteten Oscar Grant in der Neujahrsnacht 2009 in Oakland. Zahlreiche Videoaufzeichnungen von Handys der Anwesenden ließen eine detaillierte Mikroanalyse der Situation zu. Auf den Videos ist zu sehen, wie ein weißer Polizist während der versuchten Festnahme mehrerer randalierender junger Männer seine Waffe ansetzt und den am Bahnsteig auf dem Boden liegenden Mann erschießt. Sie zeigen aber eben auch, dass der Fall sich nicht so leicht dem Klischee des rassistischen weißen Polizisten, der brutal gegen Schwarze vorgeht, zuschlagen lässt. Denn der Polizist, der den Schuss abgab, gehörte nicht zu denen, die deutlich aggressives und rassistisches Verhalten an den Tag legten. Einige seiner Kollegen hingegen schon. Wie kam es also, dass der eigentlich sehr ruhige, am Rande des Geschehens stehende und um Deeskalation bemühte Polizist seine Waffe zog? Er selbst gab später an, gedacht zu haben, den Taser anstatt der Waffe in der Hand zu haben. Für viele war dies unglaubwürdig. Situationsanalytisch betrachtet jedoch fand sich der junge Polizist in einer Situation wieder, in der er inmitten einer sich aufschaukelnden Gewaltsituation zwischen schwarzen Jugendlichen und aggressiven, rassistischen Kollegen einzugreifen gezwungen zwar. Collins vertritt die Ansicht, dass der schießende Polizist nicht als isolierte Person behandelt werden kann. Die gesamte Situation und alle involvierten Personen waren emotional stark erregt, die Atmosphäre angeheizt vor allem von denen, die tatsächlich sehr aggressiv handelten. Diese Situation kommt Durkheims Version von kollektiver Erregung nahe. In Fällen solcher kollektiven Verkettungen von Emotionen passieren nach Collins mehrere Dinge: Der Körper ist hochangespannt, das Herz schlägt 160-mal pro Minute, Adrenalin und Cortisol überfluten den Körper. Der Mensch handelt dann nur noch nach starren Schemata, er ist im Rausch. Collins führt Studien von Grossman und Christensen (2004) an, um zu zeigen, dass die Feinmotorik dann nicht mehr funktioniert. Je höher das Niveau der emotionalen Erregung, umso ungenauer werden die Handlungen. Etwa 50 Prozent aller Kugeln, die aus nächster Nähe abgefeuert werden, verfehlen genau deswegen ihr Ziel. Dies betreffe Polizisten ebenso wie Soldaten oder Kriminelle, so Collins6. Sein Fazit lautet daher: »Angesichts des allgemeinen Musters […], dass Personen in Gewaltsituationen sehr emotional, angespannt und ungenau in ihrem Gewalthandeln sind, ist es durchaus plausibel, dass der Offizier seine Waffe für seinen Taser hielt; er schien wirklich überrascht, als der Schuss fiel.« (Collins 2016, 16)
6
Collins bezieht sich u.a. auf Darstellungen von Glenn (2000) und Holmes (1985).
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Nun sei erlaubt, diese Situation einmal aus der Perspektive der Aufmerksamkeit zu betrachten. Wieso kann es einem Extremkampfsportler gelingen, durch gezielte Aufmerksamkeit eine hochgefährliche Situation zu beherrschen, einem Polizisten jedoch passiert ein solch fataler Fehler? Schuld ist nach Collins ein falsches Bild von Polizisten, das ihnen zwar das perfekte Beherrschen der Waffe, aber nicht der Gewaltdynamik nahelege (vgl. ebd.). Collins hat natürlich eher die Dynamik der rhythmischen Verkettung im Sinn. Mit Blick auf Aufmerksamkeiten lassen sich jene möglichen Ansätze der Ausbildung von Polizisten jedoch konkretisieren und mit denen von Kampfsportlern durchaus vergleichen. Aufnahmen, die etwa eine Minute vor dem Schuss gemacht wurden, zeigen einen sichtbar verwirrt und desorientiert blickenden Polizisten. Er hatte offenbar nicht nur seine Motorik, sondern seine gesamte Aufmerksamkeit nicht unter Kontrolle. Er war nicht in der Lage, seine Aufmerksamkeit gezielt darauf zu fokussieren, was nötig gewesen wäre, die Situation tatsächlich zu deeskalieren. Die Stresssituation beanspruchte stattdessen vollständig seine Aufmerksamkeit, sie fesselte die wechselseitig gebundene Aufmerksamkeit. Dies bezeugen Polizisten etwa dann, wenn sie in Schießereien verwickelt waren. David Klinger, der selbst früher als Polizist derartige Erfahrungen sammeln musste, veröffentlichte 2004 seine späteren Studien zu extremen Gewalterfahrungen von Polizisten. In dafür durchgeführten Interviews häufen sich Berichte veränderter Aufmerksamkeit in akuten Situationen der Betroffenen. Mitunter veränderten sich die Zeitwahrnehmung und Wahrnehmungen des eigenen Körpers, das Blickfeld war eingeschränkt, unwichtige Einzelaspekte drängten sich auf, andere Aspekte der Situation wurden hingegen überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Darüber hinaus zeigt Klinger auf, dass sich die Weise der Aufmerksamkeit mitunter so stark verändert, dass Situationen gar nicht mehr als reale Situationen erlebt werden. Sie können nur noch als surreal, traumhaft erfahren werden (vgl. Klinger 2004). Das eigene Handeln kann dann nicht mehr mit Normalitätsschemata abgeglichen werden. Methoden der Selbststeuerungsfähigkeit von Aufmerksamkeit, der Möglichkeit also, in bestimmten Situationen bewusst die eigene Aufmerksamkeit zu reflektieren und zu trainieren, setzen unter anderem bei Strategien des inneren Dialogs an. Solche Methoden der Rückkopplung der eigenen Aufmerksamkeit sind bekannt bei Kampfsportlern sowie Auftragskillern und Scharfschützen (vgl. Collins 2016), aber auch bei Polizisten (vgl. Klinger 2004; Artwohl und Christensen 1997). Ohne diesen Diskurs an dieser Stelle weiter verfolgen zu wollen, kehren wir zurück zur Frage, wo die Autonomie des Affektiven anzusetzen ist. Dem seien zwei Punkte vorangestellt: Erstens bleibt das Subjekt eben das, was es ist, das tatsächlich empfindende und sozial handelnde Individuum. Wenn hier von
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Transformationen des kollektiv Dispositionalen in Weisen der Aufmerksamkeit die Rede war, dann beschreibt dies zwar kollektive Weisen. Diese werden jedoch empirisch vom einzelnen Subjekt realisiert, in vom Individuum selbst vollbrachten performativen und kreativen Situationen (vgl. Joas 1992, 11). Zweitens lässt sich, wenn man von Dispositionen des Aufmerkens spricht, nicht von konkreten Inhalten ausgehen. Aufmerksamkeiten meinen Grenzziehungen, Blickrichtungen und Identifikationshintergründe. Zwar hat das Subjekt durchaus Einfluss darauf, für was es seine Augen öffnet und vor was es sie verschließt. Autonomie indes meint eher die explorative Reflexion jener Grenzen und deren Übersetzungsmöglichkeiten in affektive und performative Weisen der Begegnung mit tendenziell immer kontingentem Ausgang. Denn es scheint weniger entscheidend zu sein, wohin geschaut wird, als was dabei gesehen wird (Wiesing 2001, 217). Die Macht des Prädispositiven hingegen kommt weniger in seinen Inhalten zum Ausdruck als in dem, was es sichtbar zu machen bereit ist7. Die Grenzen des Sichtbaren und Unsichtbaren beschreibt Flam als jene Ränder, an denen Subjekte sich dem Ausgesetztsein ihres affektiven Lebens bewusst werden und Strategien entwickeln, sich zur Wehr zu setzen (vgl. Flam 2002, 202). Der Unterschied zwischen Disposition und Aufmerksamkeit bildet somit das Verhältnis zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit ab (vgl. hierzu ebd.).
7
Hier soll der Begriff der Sichtbarkeit jedoch gerade nicht in Wiesings Wortsinn, als grundsätzliche Disposition, die nicht an die Möglichkeit der Aufmerksamkeit gebunden ist, verstanden werden. Wiesing kritisiert damit die soziologische Sichtweise als strukturalistisch, die dem Nicht-Aufgemerkten den Status der Unsichtbarkeit verleihe. Dies tut die Soziologie etwa dann, wenn sie kulturellen Minderheiten, Gegebenheiten, Situationen oder Werten aufgrund deren fehlender Möglichkeit, gesellschaftlich Aufmerksamkeit zu erlangen, ihre Sichtbarkeit im kulturellen Kontext aberkennt. Wenn der Begriff der Sichtbarkeit hier jedoch in Verbindung zur tatsächlichen Aufmerksamkeit gesetzt wird und der nicht aufgemerkten Kontingenz somit nur die Unsichtbarkeit überlassen werden kann, dann deswegen, weil von kulturellen Dispositionen die Rede sein soll, die nicht der freien Kontingenz möglicher Wahrnehmung entstammen, sondern immer rückverweisend auf soziale Realitäten und Beziehungen zu verstehen sind.
Schluss
I Es sollte deutlich geworden sein, warum die theoretische Betrachtung von Affektivität im Allgemeinen und affektiven Hintergründen im Besonderen für soziologische Debatten so zentral ist – Debatten, die den Anspruch erheben, einen komplementären Blick auf das Soziale, auf soziale Begegnungen und Praktiken, Beziehungsverhältnisse und kulturelle Hintergründe zu werfen. Affektivität lässt sich weder individualistisch verkürzt auf das psychologische Innenleben von Individuen hinreichend erfassen, noch kann man sie einseitig strukturalistischen oder normativen Aporien überlassen. Anliegen dieser Arbeit war es, eine Perspektive herauszustellen, die hintergründige affektive Strukturen nicht innerweltlich mystifizieren, normativ verklären oder zweckrational instrumentalisieren muss. Die Studie stellte (Mikro-)Prozesse der Begegnung, Kräfte symbolischer Vermitteltheit, dispositionale Grenzziehungen sowie Ebenen und Weisen der Aufmerksamkeit in den Mittelpunkt. So wurde eine Blickrichtung auf das Affektive eingenommen, welche nicht nur eine Wechselbezüglichkeit des Affektiven mit dem Sozialen in einer tiefgründigen und differenzierten Weise skizzieren, sondern beide gleichsam in ihrer wechselseitigen Durchdringung erahnen lässt. Die grundständigen affektiven Weisen, in der Welt zu sein, die denkbaren Modi von Begegnungen und sich realisierende soziale Beziehungsformen sowie in sozialen Praktiken der Präsentation und Repetition sedimentierende affektive Dispositionen verschiedener Lebenswelten und Kulturen – all diese Elemente definieren, konstituieren und beleben sich erst wechselseitig. Die Grenzen, die Gesellschaften, Kulturen und Lebenswelten um die Begegnung, das zu Begegnende und die Begegnenden ziehen, sind die gleichen Grenzen dessen, was und wie diese Individuen in der Begegnung aufzumerken in der Lage sind, was sie empfinden und welche Begegnungsmodi sie zur Performation bringen können. Die
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Begegnung und das affektive Leben sind gleichzeitig aber auch jene Orte, an denen diese Grenzen immer wieder verflüssigt und in Bewegung gehalten werden.
II Eine leicht verständliche Zusammenfassung der Ergebnisse bieten hermeneutische Arbeiten nie (vgl. Joas 1997). Erschwerend kommt hinzu, dass der Ausgangspunkt der Arbeit eine doch eher grobe These darstellte. Diese fußte auf der Annahme, dass sich das Affektive in der Soziologie als ein Themenbereich des Sozialen spürbar aufdrängt, und zwar als eine Entität ganz eigener Art. Zudem lässt sich das Affektive nicht allein aus dem emotionssoziologischen Diskurs heraus besprechen, sondern findet sich an komplexen Schnittstellen verschiedener Themenbereiche um und Perspektiven auf das Emotionale und Affektive wieder. Anliegen dieser Arbeit war daher, einen bewusst allgemeinen und umgreifend strukturierenden Blick einzunehmen, welcher affektive Phänomene und affektive Hintergründige zwar nicht im Einzelnen zu erfassen vermag, sich dafür jedoch ihren wechselseitigen Bezügen und verbindenden Annahmen zum Wesen und den Strukturen des Affektiven allgemein zuwenden kann. Die gewählte Perspektive auf den soziologischen Diskurs um das Affektive der Individuen sollte damit gezielt das Grundlegende akzentuieren. Im Mittelpunkt standen Fragen danach, was das Affektive denn meint, wie es sich in seiner erfahrbaren sowie überwiegend verborgenen Gestalt abbilden und schließlich in dieser Struktur als eine eben soziale Struktur verstehen lässt. Es erfolgte eine Konkretisierung bisher unterstellter Begründungszusammenhänge des Affektiven mit sozialen Beziehungsverhältnissen einerseits sowie sozialen Bedeutungen und Werten andererseits. Als leitend müssen Fragen danach angesehen werden, in welcher Art und Weise affektive Strukturen so beschrieben werden können, dass ihre Verschränkung mit Weisen dessen, wie Menschen sich begegnen, wie sich soziale Beziehungsverhältnisse konservieren, hierarchisieren und auch novellieren, aber auch mit Weisen kollektiver Bedeutungszuweisungen und sinnhafter Ordnungen differenziert erfasst werden. Diese Arbeit zu den Strukturen des Affektiven war nie mit der Erwartung verbunden, etwas vom Affektiven aufdecken zu können – das Affektive zu beschreiben, seine Gestalt abzubilden oder Definitionen zu bieten. Es ging in der Skizzierung prädisponierter Strukturen um die Zeichnung einer Perspektive auf das Affektive, und zwar einer soziologischen, vor dem Hintergrund möglicher Darstellbarkeiten sozialer Orte und Entitäten. Was nun konnten die Überlegungen dieser Arbeit dazu beitragen? Wohl ein Gedankenmodell, nicht mehr als ein
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Schnappschuss in Walter Benjamins Arcades Project, ein Fragment neben vielen anderen, eine Momentaufnahme, die später schon wieder ganz anders aussehen könnte. Ohne die zentralen Eckepfeiler dieses Gedankengerüsts an dieser Stelle noch einmal vortragen zu müssen, scheint der Thematik geschuldet doch zumindest die Frage angebracht: Was hat sich verändert? Welche Sicht auf das Affektive wirkt nach? Gewiss forderte bereits der Titel der Arbeit, der von vorherein das Affektive ganz umfassend zu strukturieren, zu definieren und zu erklären ankündigte, eine entsprechend kühne und klare Haltung der Thematik gegenüber. Und sie hat es auch verdient, nicht nur hier und da für einige Unwägbarkeiten und Unsichtbarkeiten, für unerklärliche Brüche, gesellschaftliche Tiefen der Angst und Lust sowie persönliche Dramen und Inkongruenzen herhalten zu müssen. Das Affektive scheint doch demgegenüber eine der elementaren Zutaten des Gesellschaftlichen, des Politischen und des Ökonomischen zu sein und zwar als Bestandteil aller Begegnungen und Diskurse, mittels derer sich jene stets erst rekonstruieren und bemächtigen. Sind nun aber Gefühle überhaupt in einer Art und Weise kommunizierbar, um sie als eben solche zentralen Bestandteile dingfest machen zu können? Dieser sich aufdrängenden Frage, die Heinz Bude analog für die Angst stellt (Bude 2014, 122), konnte die Bearbeitung mittels zweier gewählter Standpunkte doch zumindest hinreichend entgegentreten. Anspruch der Arbeit war, das Affektive nicht nur in seinem phänomenologischen Umfang des Erfahrbaren umgreifen zu können, sondern in seiner gesamten Struktur auch hintergründiger Kraftvektoren des Aufmerkens und elementarer Prozessbestanteile, die im Ganzen ein komplementäres Gefüge des sozialen Wesens des Affektiven andeuten können. Zum einen hatte die Arbeit somit einen ganz wesentlichen Aspekt auf ihrer Seite, nämlich, dass doch nicht das Affektive selbst diffus und ungreifbar zu sein scheint, sondern die Bezugsobjekte. Es ist die Erfahrung, die in ihrer fehlenden Abgrenzbarkeit und Komplexität doch einer Unordnung und Vielschichtigkeit anheimfällt. Natürlich ist die Erfahrung damit immer auch Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Arbeit, also Weisen, wie über etwas gedacht, gesprochen oder wie etwas empfunden wird. Dies gilt gleichermaßen uneingeschränkt für die Strukturen des Affektiven. Der zweite Punkt ist jedoch, dass die Arbeit sich den verschiedenen Orten des Affektiven des sozialen und in Begegnung stehenden Akteurs nähern konnte, ohne dem Affektiven immer in seiner Gänze und Diffusität des Empfindungsraums nachspüren und es transportieren zu müssen. Damit bewegt sich das Thema der Affektivität des Sozialen immer schon im Spannungsfeld zwischen intersubjektiv geteilten Prädispositionen und individuellen Erfahrungen und Stellungnahmen, zwischen kollektiv verschränkten Erwartbarkeiten und einmaliger Gefühlsdiversität, zwischen vorreflexivem Affizie-
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ren und kognitiver Durchdringung und schließlich zwischen linienführender Skizzierbarkeit und gestaltlosem Gehalt. Auch konnte das methodische Vorgehen bei dieser Thematik naturgemäß keine eindeutig induktive und deduktive Perspektive für sich beanspruchen, sondern muss als von Anbeginn thesengeleitet und explorativ abtastend verstanden werden. Der erste Abschnitt der Ausarbeitung muss daher einerseits unter dem Anspruch verstanden werden, diese Diskursspielräume innerhalb der Thematik des Affektiven aufzugreifen und damit an die bekannte und gegenwärtige soziologische Thematisierung anschließen zu können. Andererseits stand zunächst die Notwendigkeit im Vordergrund, angesichts einer erheblichen Komplexität verschiedener Standpunkte und mitunter inkongruent verwendeter und an unterschiedliche Theoriehintergründe gebundener Begrifflichkeiten eigene Annahmen und Standpunkte zu reflektieren und transparent zu machen. Als Hauptfokus wurde auf den interaktionistischen Standpunkt der Arbeit verwiesen, dies jedoch nicht nur im engeren Sinne der Bedeutung, sondern die Grundannahme vertretend, dass das Affektive sich aus soziologischer Perspektive aus einer prozessorientierten Blickrichtung darbietet. Die Beachtung der Wechselseitigkeit, aber auch die Unterscheidung zwischen Strukturen dynamischer Begegnungsprozesse und phänomenologischen Gestalten affektiver Qualitäten erwies sich für die Ausarbeitungen als maßgeblich. Im Anschluss daran bestand das weitere Vorgehen aus zwei aneinander anknüpfenden Teilschritten, in deren Verlauf der Grundfrage nach der Struktur der Affektivität des Sozialen in ganz eigener Weise nachgegangen wurde. Der erste Teil der Arbeit galt der tiefgründigen Analyse der beiden ausgewählten beispielhaften Bezugstheorien nach inhärenten Strukturen des Affektiven. Dieses Vorgehen muss sich gewiss der Kritik aussetzen, ein erhebliches Maß an Weitwinkel eingebüßt zu haben. Eine gestreute Bezugnahme auf alle möglichen Szenen bisheriger Diskursbemühungen um das Affektive und Emotionale wäre eine Herangehensweise ganz anderer Art gewesen. Der hier aber möglich gewordene pointierte Tiefgang lässt nun jedoch der Arbeit, dem Experiment, eine spezifische Textur der Thematik, einen verankerten Ausgangpunkt, von dem aus weitere Verschränkungen mit anderen Perspektiven sich durchaus anschließen ließen. Diese Textur weist den unterscheidbaren affektiven Strukturelementen, affektiven Phänomenen wie Stimmungen, Emotionen und Grundgestimmtheiten sowie affektiven Hintergründen und kulturellen affektiven Kraftvektoren des Aufmerkens, wechselbezügliche Plätze und Charakteristika allein hinsichtlich der in den Blick genommenen Dimensionen sozialer Begegnung zu. Der damit nachgezeichnete einheitliche Rahmen affektiver Strukturen im Allgemeinen sowie affektiver Hintergründe und Dispositionen im Besonderen musste im zweiten Schritt jedoch hinsichtlich des Theoriegebäudes erweitert werden, um Wege der
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Verschränkung des Affektiven mit sozialen Beziehungsverhältnissen und sozialen Bedeutungen konkreter in den Blick nehmen zu können. Aus der Diversität von Begegnungssituationen, Beziehungsverhältnissen und affektiven Qualitäten heraus war somit ein Perspektivwechsel zu Weisen der Übersetzung affektiver Dispositionen in affektive Hintergründe und deren nähere Differenzierung gefordert; dies unter Berücksichtigung der Unterscheidbarkeit verschiedener Weisen und Ebenen des Aufmerkens und damit der differenzierbaren Transformationsmodi- und orte des Affektiven.
III Die Arbeit an diesem Thema ist keineswegs zu einem Ende gekommen. Ebenso wenig soll behauptet werden, es läge nunmehr die zentrale Grundstruktur des Affektiven in der Begegnung komplett vor, an welcher nun angeknüpft werden könne. Natürlich lassen sich in Anlehnung an die Struktur der vorliegenden Studie einige Bereiche markieren, in welchen dringender Forschungsbedarf besteht. Solche Bereiche hat die hier vorliegende Darstellung dezidiert in kleinen Schritten erkundet, angefangen bei den unterscheidbaren affektiven Phänomenen, diese rückverfolgend zu den elementaren affektiven Hintergründen der Begegnung und jenen Ebenen der Aufmerksamkeit, auf welchen diese sich realisieren, bis hin zu den Schemata affektiver Prädispositionen. Überhaupt scheint die Hinterfragung inhärenter affektiver Dispositionen verschiedenster Symbolsysteme, seien es neben Sprachsystemen Systeme kollektiver Bewegungsstrukturen, Gestaltstrukturen der Lebenswelt oder gemeinschaftsspezifische habits, in Verbindung mit deren Auslegung auf affektive Dimensionen des verschränkten Aufmerksamkeitsfeldes ein breites Forschungsfeld zu eröffnen. Einschränkend wäre jedoch mit Turner zu ergänzen, dass nicht nur Vorstellungen kollektiver habits, sondern grundsätzlich kollektiver Dispositionen des Affektiven immer das Problem bergen, dass Fragen nach der Transformation womöglich gar nicht hinreichend geklärt werden können (Turner 2014; vgl. auch Kostan und Wehling 2017). Viel mehr noch wäre an diese Weise der Beschäftigung mit dem Affektiven eine fortführende grundlegende Befragung der Verknüpfung des Affektiven mit kulturellen Bedeutungshorizonten und Beziehungsverhältnissen zu leisten. Betrachtungen also, die sich angehalten sehen, das Affektive weiterführend in seinem grundsätzlichen Wesen zu hinterfragen, als immanente Gestalten von Begegnungen, von Situationen und Möglichkeiten, von Geschichten und ihren Nebenerzählungen sowie als bewegende Wirkmächte der Transformation zwischen
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jenen. Betrachtungen also, die gleichzeitig das Gemeinsame, das Verbindende und das Gewöhnliche des Affektiven herausstellen können, aber dennoch in dessen lebendigen, aufgeladenen und soziale Wirklichkeiten durchflutenden Art und Weise. Wie ein unsichtbarer, aber doch höchst lebendiger Geist. Ein Geist, der nicht unterscheidet zwischen sinnvollen Gedanken und Gedankenlosigkeit, zwischen sicherem Wissen und purer Spekulation, zwischen endlosem Spiel und dem Ideal, das es zu perfektionieren gilt. Abschließend sei eine allgemeine Einschränkung erwähnt. Insbesondere in Hinblick auf die nicht unerhebliche Komplexität des vorgestellten Gedankengerüstes, die sich bietenden Interpretations- und Auslegungspotenziale sowie den erwarteten Anspruch erfahrungsbegründenden Imaginierens dessen, was denn mit dem Affektiven, mit Grundempfindungen, mit Aufmerksamkeitsebenen und nicht zuletzt mit affektiven Kraftvektoren als affektive Dispositionen des Aufmerkens gemeint ist, scheint der Hinweis angebracht, dass das hier entworfene Gedankenmodell der Strukturen des Affektiven in keiner Weise den Anspruch einer umfassenden, ahistorisch oder akulturell gültigen Konzeption erheben will. Die Darstellung ist hingegen als Beitrag zu verstehen, das Thema des affektiven Lebens als Ganzes, als ein Grundmoment des sozialen Lebens, für den gegenwärtigen soziologischen Diskurs theoretisch und systematisch transparent und plausibel zu machen. Zudem soll sie Ansatzpunkte bieten, um theoretisch reflektiert und disziplinär selbstkritisch mit der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit und Perspektive mit der Thematik des Affektiven umzugehen.
Literatur
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