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German Pages 256 [264] Year 1988
Herausgegeben von
Peter J.Opitz
Späte Schriften
— eine Auswahl
In, Bewub Gesch ichte
Klett-Cotta
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Man hatte sich daran gewöhnt, die Moderne als Gipfel der Weltgeschichte zu interpretieren. , Moderne" heißt in Geschichte und Politik: erdachte und durch Menschensetzung fixierte vernünftige politische Ordnung.
Alles, was davor war,
versinkt diesem Blickwinkel zufolge in den Vorzeiten einer mythisierenden Unmündigkeit. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmuündigkeit." Dieser Satz von Immanuel Kant kennzeichnet die Zäsur. Nun hat es immer Denker gegeben, die solchem Überschwang mißtrauten. Und gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeichnet sich ab, daß dieser Überschwang
an
der Realität zerbricht. Eric Voegelin (1901-1985) stammt aus der Schule von Hans Kelsen. Er gehört zu den ,Politikphilosophen", die sich im Sinne von Plato und Aristoteles einer , Epistéme Politiké" verschreiben,
d. h. an ontolo-
gische Grundprinzipien der Politik und Geschichte glauben — also an Vorgegebenheiten. Die Bewußtseinsordnung repräsentiert eine vorgángige Seinsordnung. Ob „List der Vernunft" oder , Vorsehung" oder „Schicksal”: Eine Realität jenseits konkreter menschlicher Pläne und Setzungen muß gedacht werden. Dazu wird die
Eric Voegelin
Ordnung,
Bewußtsein, Geschichte Späte Schriften — eine Auswahl
Herausgegeben von Peter J. Opitz Klett-Cotta
Gregor Sebba (1905-1985) -- dem gemeinsamen Freund
Verlagsgemeinschaft Ernst Klett Verlag -J. G. Cotta'sche Buchhandlung Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages
© Ernst Klett Verlage GmbH u. Co.KG, Stuttgart 1988 Printed in Germany Umschlag: Klett-Cotta-Design Gesetzt im Bleisatz aus der 10 Punkt Candida bei Alwin Maisch, Gerlingen Gedruckt auf holzfreiem und säurefreiem Werkdruckpapier von Cartiere del Garda bei Verlagsdruck, Gerlingen Die buchbinderische Verarbeitung übernahm G. Lachenmaier, Reutlingen
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Voegelin, Eric:
Ordnung, Bewußtsein, Geschichte / Eric Voegelin. Hrsg. von Peter J. Opitz. — 1. Aufl. - Stuttgart: Klett-Cotta, 1988 ISBN 3-608-91483-8
Inhalt Geleitwort
9
Vorwort des Herausgebers
10
Ι Die Ordnung der Geschichte enthüllt sich in der Geschichte der Ordnung 19 Die Symbolisierung der Ordnung Menschheit und Geschichte Die Größe Max Webers
28
45 78
Aquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte
99
Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen
127
Der meditative Ursprung philosophischen Ordnungswissens Quod Deus Dicitur *
180
165
Anmerkungen
205
Bibliographische Nachweise
210
lI In Memoriam Eric Voegelin
215
von Peter J. Opitz
Bibliographie der Schriften von Eric Voegelin von Peter J. Opitz
Veróffentlichungen über Eric Voegelin Eine Auswahl
Namensregister
255
zu den Schriften von Erich Voegelin
245
226
Geleitwort Als mein Mann
im Sommer
1958 die Berufung als Ordina-
rius und Direktor des erst zu gründenden Instituts für Politische
Wissenschaft
in München
annahm,
war
einer
der
ausschlaggebenden Gründe für diesen Entschluß der Wunsch, mit seinen Erfahrungen eventuell „ein paar jungen
Leuten”,
schwierigsten Daß
wie
er
es
Zeiten
in
dieser Wunsch
ausdrückte,
Deutschland
zu
helfen,
über
die
hinwegzukommen.
sich erfüllt hat, wurde
mir in den Brie-
fen bestätigt, die ich nach seinem Tode von früheren Schülern bekam, in denen jeder davon sprach, wie entscheidend seine Gegenwart in dieser Zeit auf sie gewirkt hat. Dieses Bewußtsein, eben doch ein paar jungen Leuten geholfen zu haben, ist für mich die schönste Bestätigung für das, was wir beide gefühlt, aber nie recht ausgesprochen haben. Es
ist nun
an
diesen
jungen
Leuten
zu
helfen,
und
ich
freue mich sehr, daß endlich einige wertvolle Arbeiten Eric
Voegelins zungen
ins Deutsche
sind
nicht
von
übersetzt wurden. der
gewöhnlichen
Diese ÜbersetArt,
denn
mein
Mann hat im Englischen wie im Deutschen seine eigene Sprache geführt. Aber bei den Übersetzungen von Peter J. Opitz, Schüler und langjähriger Freund, hatte ich kaum je das Gefühl, eine Übersetzung zu lesen. Ihm möchte ich mit diesen Zeilen für seine Hilfe danken. Danken möchte ich für diese Edition aber auch dem Verlag Klett-Cotta. Lissy Voegelin Palo Alto/Cal., im Januar
1988
Vorwort des Herausgebers Das
letzte
Buch
Eric
Voegelins
in deutscher
Sprache
er-
schien vor 22 Jahren, im Jahre 1966. Es trug den Titel Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik und
war eine Sammlung von Arbeiten aus den vorangehenden zwei Jahrzehnten — genauer: aus der Zeit zwischen 1943 und 1965. Der Titel Anamnesis war nicht zufällig gewählt, sondern
bezog
sich bewußt
auf Platon,
der
den
Prozeß,
in
dem der Mensch die Ordnung seiner Existenz in der Ordnung seines Bewußtseins findet, unter den Begriff der Erinnerung, der anamnesis, gestellt hatte. Genau das gleiche beabsichtigte Voegelin in seinem Buche. Denn die von ihm in Anamnesis vorgelegten Studien stellten keine willkürliche des
Kollektion Prozesses
dar,
sondern
ab, in dem
steckten
sich sein
wichtige
eigenes
Stationen
Denken
hin zu
einer Philosophie des Bewußtseins entwickelt hatte. Die Philosophie des Bewußtseins aber stellte für Voegelin — wie es die einleitenden Sätze von Anamnesis programmatisch zum Ausdruck brachten — das ,Kernstück" der Philosophie der Politik dar. Denn da die Probleme menschlicher
Ordnung in Gesellschaft und Geschichte der Ordnung des
Bewußtseins entspringen, muß sich die politische Philosophie auf ihrer Suche nach den Prinzipien menschlicher Ordnung mit den Strukturen des Bewußtseins beschäftigen. Die seinerzeit letzte Station seiner Reflexionen hatte Voegelin erst kurz zuvor erreicht und entwickelt — nämlich in Anschluß an ein Grundsatzreferat, das er im Jahre 1965 zu dem Thema „Was ist politische Realität?" vor der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft gehalten hatte. „Das nachfolgende Durchdenken seiner Thematik" bemerkte Voegelin nachträglich, „ließ ihn auf das drei- bis vierfache seines ursprünglichen Umfangs anwachsen; und
10
das nicht vorausgesehene Ergebnis war eine umfassende und vorläufig befriedigende Neuformulierung der Philosophie des Bewußtseins.” Sie bildete den Schlußteil von Anamnesis. Doch die Befriedigung über die neugewonnenen Einsichten hielt nicht lange an. Schon bald entstanden weitere Arbeiten, in denen sie vertieft und ausgebaut wurden. Keine dieser Arbeiten erschien jedoch in deutscher Sprache. Das
hatte verschiedene Gründe. Einer lag wahrscheinlich in der Tatsache,
daß
sich
Voegelin
nach
seiner
Emeritierung
im
Jahre 1968 nach Kalifornien zurückgezogen hatte und dort vor allem in amerikanischen Zeitschriften publizierte. Ein anderer — wohl wichtigerer — war, daß die Kontakte, die Voegelin im Laufe seines zehnjährigen, durch zahlreiche Gastsemester in den USA unterbrochenen Aufenthaltes in der Bundesrepublik zur deutschen Politikwissenschaft hergestellt hatte,
eher
gering
waren
und
daß
sie nach
seiner
Rückkehr in die USA noch dünner wurden. Der wohl wichtigste Grund aber - und er hängt mit dem zuvor genannten eng zusammen — lag in der Tatsache, daß der Versuch Voegelins, die politische Wissenschaft unter Rückgriff auf die klassische griechische und christliche Philosophie wieder als Ordnungswissenschaft zu erneuern, in weiten Teilen der deutschen Politikwissenschaft auf Unverständnis, ja Widerstand gestoßen war - eine Tendenz, die sich in den unruhigen Jahren nach 1968 noch verstärkte. Insgesamt führten diese verschiedenen Faktoren zu einer paradoxen Situation: Während die Auseinandersetzung mit dem
Werke
Voegelins
in den USA,
aber auch
in ande-
ren Ländern Europas, ständig zunahm und zahlreiche seiner Schriften in andere Sprachen übersetzt wurden, blieb der deutsche Sprachraum von dieser Entwicklung weitgehend unberührt. Soweit mir bekannt, gibt es aus der Zeit
zwischen 1968 und 1982 nur eine einzige deutschsprachige Arbeit
von
Voegelin,
die
1981
unter dem
Titel
„Der
tative Ursprung philosophischen Ordnungswissens"
11
medi-
in der
Zeitschrift für Politik erschien. Doch auch bei ihr handelt es sich um keine originäre Schrift, sondern um eine vom Verfasser genehmigte Nachschrift der Tonbandaufnahme eines Vortrags, den Voegelin auf einem im September 1980 an der Politischen Akademie in Tutzing von seinen Schülern organisierten wissenschaftlichen Symposium gehalten hatte. Die in den vergangenen zwei Jahrzehnten entstandene Lücke kann zwar auch der vorliegende Band nicht ausfüllen, doch
er kann
sie ein wenig
überbrücken
- und
das
ist
seine Aufgabe. Er enthält unter anderem Übersetzungen von drei jener Arbeiten, in denen Voegelin in den Jahren zwischen 1966 und seinem Tode seine Philosophie des Bewußtseins weiterentwickelte. Es handelt sich dabei zum einen um den Aufsatz „Reason: The Classical Experience" aus dem
Jahre
1974, der als einzige Arbeit in die 1978 von
Gerhardt Niemeyer herausgegebene und übersetzte englische Fassung von Anamnesis aufgenommen wurde; zum anderen um „Equivalences of Experience and Symbolisation in History”,
ein
1970 veröffentlichter
Essay,
der
1981
in einer vom Autor leicht überarbeiteten Version in den Philosophical Studies der National University of Ireland nachgedruckt
wurde;
und
schließlich
um
„Quod
Deus
dici-
tur”, das Fragment eines Vortrages, an dessen Fertigstellung Voegelin bis zu seinem Tode gearbeitet hatte. In diesen drei Arbeiten liegen nun erstmals auch in deutscher Sprache wichtige Elemente der Philosophie Voegelins aus den letzten Jahren vor. Um den besonderen Charakter der Werke dieser Spätphase zu verdeutlichen, aber auch um die Kontinuität sei-
nes Denkens zu zeigen, wurden in der vorliegenden Sammlung auch die Einleitungen zu den ersten beiden Bänden
von Order and History ,Israel and Revelation" (1956) und „Ihe World of the Polis" (1957) aufgenommen. In diesen ersten Bänden seines magnum opus hatte sich Voegelin
unter dem
Einfluß von
Schelling und dessen 12
Philosophie
des Mythos von dem konventionellen Genre der politischen Ideengeschichte — wie es im englischen Sprachraum das Standardwerk von George H. Sabine, A History of Political neuen
Theory
repräsentierte
—
abgewandt
und
einen
theoretischen Ansatz formuliert, der auf einer Theo-
rie der Erfahrung basierte. Im Vorwort und in den beiden Einleitungen „Die Symbolisierung der Ordnung" sowie „Menschheit und Geschichte” hatte er sowohl die theoretischen Grundlagen dieses Erfahrungsbegriffs entwickelt wie auch die Grundzüge einer Philosophie der Geschichte, die
sich aus ihm ergab.
Während Voegelin die geschichtsphilo-
sophischen Konsequenzen seines neuen Ansatzes in den beiden letzten Bänden von Order and History in wichtigen Punkten
einer
Revision
unterzog,
baute
er seit Mitte
der
60er Jahre den zentralen Erfahrungsbegriff zu einer Theorie des Bewußtseins aus, die in den in diesem Buch enthaltenen Artikeln sowie in dem 1987 posthum veröffentlichten Abschlußband von Order and History „In Search of
Order" ihre Entfaltung fand.
Obwohl das Interesse am Denken Voegelins auch in Deutschland während der letzten Jahre erheblich zugenommen hat, stellt die Veröffentlichung seiner Schriften hierzulande bislang leider noch immer ein verlegerisches Wagnis dar. Um so mehr ist dem Verlag Klett-Cotta — insbesondere Herrn
Dr. Kerlen - dafür
zu danken,
daß
er nach
The
Philosophy of Order, der Festschrift zum 80. Geburtstag Eric Voegelins, die das Werk von außen her beleuchtete und die Bedeutung zeigte, die ihm international inzwischen beigemessen wird, mit der vorliegenden Edition nun auch wichtige Texte des Werkes selbst zugänglich macht. Es ist zu wünschen, daß dies den Anfang einer weiteren ErschlieDung dieses wichtigen Denkers für eine breitere wissen-
schaftliche Offentlichkeit im deutschsprachigen Raum darstellt.
Wenn
kommt,
eine
solche
so liegt das
Erschließung nicht zuletzt 13
nur
auch
langsam an den
voran-
Schwierig-
keiten
des
Werkes
selbst,
das den
Übersetzer
immer
wie-
der mitimmensen Schwierigkeiten konfrontiert. Das gilt insbesondere für die Spátschriften Voegelins und die in ihnen sich entfaltende Theorie des Bewußtseins. Denn mit seinen noetischen Analysen bewegt sich Voegelin nicht nur auf kaum
erschlossenem
Neuland,
sondern
vor allem in einem
Bereich nicht-gegenständlicher Realität, der sich selbst der konventionellen philosophischen Sprache immer wieder entzieht. Voegelin stand deshalb selbst häufig vor dem Problem, ein in Vergessenheit geratenes Vokabular der klassischen Philosophie neu zu erschließen, bzw. ein eigenes Vokabular zu entwickeln. Für viele seiner Begriffe, die lediglich in den englisch-sprachigen Arbeiten vorliegen, ist es aber schwer, passende deutsche Aquivalente zu finden - und diese Schwierigkeit hat sein Tod noch erhöht, da nun nicht mehr die Möglichkeit einer Klärung durch Rücksprache vorhanden ist. Solche Klärungen konnten noch in Zweifelsfällen bei den Einleitungen zu Order and History vorgenommen werden, deren Übersetzung Voegelin selbst noch mit großer Sorgfalt durchsah und verbesserte. Sie waren jedoch bei den ungleich schwierigeren spáten Arbeiten nicht mehr moglich. Um
so erfreulicher war es, daf sich für zwei dieser Arbeiten
in Herrn Helmut Winterholler völlig unerwartet ein Übersetzer fand, der sich ihrer mit großem sprachlichen Geschick, vor allem aber mit viel Verständnis für die Probleme,
um
die es in ihnen
geht,
annahm.
Ohne
seine
tatkräf-
tige Mitarbeit hätte sich das Erscheinen des vorliegenden Buches erheblich verzögert. Zu danken ist auch Frau Petra Nagelschmidt und Herrn William Petropulos, deren Hilfe bei der Übersetzung und
der
redaktionellen
Betreuung
ebenfalls
wesentlich
dazu
beigetragen hat, daß das Buch in jenem Jahr erscheinen kann, in dem das von Eric Voegelin 1958 gegründete Institut für Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-
Universität seinen 30. Jahrestag feiert. Dank gebührt last, 14
but not least Frau Lissy Voegelin für das wohlwollende Interesse, mit dem sie die Arbeit an diesem Buch aus der kalifornischen Ferne begleitete und förderte. Peter J. Opitz Wolfratshausen,
15
Januar
1983
Die Ordnung der Geschichte enthüllt sich in der Geschichte der Ordnung Jede Gesellschaft steht vor der Aufgabe, gebenen
Tatsache
Verháltnissen
ihrer
menschliche
symbolischen ausdrücken,
eine
Existenz
Ziele
Sinn
Formen sind zwar
Ordnung
im
Hinblick
verleiht;
zu finden,
und
unter den ihr ge-
zu schaffen,
auf
göttliche
und
die
Versuche,
die
die diesen
unvollkommen,
die der
bilden
Sinn
adäquat
aber keines-
wegs eine sinnlose Kette von Fehlschlägen. Denn beginnend mit den Zivilisationen des alten Nahen Ostens, haben die großen Gesellschaften eine Abfolge von Ordnungen hervorgebracht, die sinnvoll miteinander verknüpft sind als Annäherungen an oder Abweichungen von einer adäquaten Symbolisierung der Wahrheit betreffend der Ordnung des Seins, von der die Ordnung der Gesellschaft ein Teil ist. Damit soll nicht gesagt sein, daß jede nachfolgende Ordnung eindeutig als fortschrittlich oder rückschrittlich im Verhältnis zur vorhergehenden zu erkennen ist. Denn während neue Einsichten in die Wahrheit der Ordnung gewonnen werden, können Begeisterung und die dem Fortschritt innewohnende Leidenschaft Entdeckungen der Vergangenheit wieder in eine Wolke des Vergessens hüllen. Vergeßlichkeit bezüglich vergangener Leistungen ist eines der wichtigsten sozialen Phänomene. Während es somit kein einfaches Modell progressiver oder zyklischer Ge-
schichte gibt, wird der Verlauf derselben doch als ein Kampf um die wahre Ordnung verständlich. Diese intelligible Struktur der Geschichte kann nicht innerhalb der Ordnung 19
irgendeiner
der
an
diesem
Prozeß
teilhabenden
Gesell-
schaften aufgewiesen werden. Sie ist auch kein Vorbild für menschliches
oder gesellschaftliches Handeln,
Realität,
nur
die
rückblickend
in einem
sondern eine
Strom
von
Ereig-
nissen sichtbar wird, der sich durch die Gegenwart des Be-
trachters unbestimmt in die Zukunft hinzieht. Solange sie im Ambiente des Christentums lebten, sprachen Geschichts-
philosophen von dieser Realität als der Vorsehung; später, unter dem Trauma der Aufklärung, sprachen sie von der List der Vernunft. Im einen wie im anderen Falle aber verwiesen sie auf eine Realität jenseits der Pläne konkreter menschlicher Wesen - auf eine Realität, deren Ursprung und Ziel unbekannt sind und die aus diesem Grund auch nicht in den Griff finiter Aktion gebracht werden kann. Was erkennbar ist, ist lediglich jener Teil des Prozesses, der sich in der Vergangenheit entfaltet hat, und auch dieser Teil nur insoweit, als er den Instrumenten der Erkenntnis zugänglich ist, die aus diesem Prozeß selbst hervorgegangen sind. Die Studie über Order and History ist eine Untersuchung über die Ordnung
des
Menschen,
der Gesellschaft und
der
Geschichte, soweit sie der Wissenschaft zugänglich geworden ist. Die wichtigsten Typen der Ordnung sollen zusam-
men
mit den Symbolen ihrer Selbstauslegung
in der Ab-
folge ihres Auftretens in der Geschichte erforscht werden. Bei diesen Typen der Ordnung und der symbolischen Form handelt es sich: (1)
Um die Reichsorganisationen des alten Nahen Ostens sowie um ihre Existenz in der Form des kosmologischen Mythos; (2) um das Auserwählte Volk und seine Existenz in historischer
(3)
Form;
um die Polis und ihren Mythos
sowie um
die Entwick-
lung der Philosophie als der symbolischen Ordnungsform;
20
(4) um
die multi-zivilisatorischen
und
die Entwicklung
des
Reiche
seit Alexander
Christentums;
(5) um die modernen Nationalstaaten und die Entwicklung der Gnosis als der symbolischen Ordnungsform. Der
Band
Gegenstand
wird
in sechs
behandelt die Ordnungen
Bänden
ausgebreitet:
des Mythos
Ein
und der Ge-
schichte; zwei weitere Bände sind der Polis und der Form der Philosophie gewidmet; ein vierter Band beschäftigt sich mit den multi-zivilisatorischen Reichen und dem Christentum; und die verbleibenden beiden Bände werden die Nationalstaaten sowie die Gnosis als symbolische Form der Ordnung zum Gegenstand haben. Diese sechs Bände sollen die Titel tragen: I. II.
Israel and Revelation The World of the Polis
III.
Plato and Aristotle
IV. V. VI.
Empire and Christianity The Protestant Centuries The Crisis of Western Civilisation
Die Untersuchung der Ordnungstypen und ihrer symbolischen Formen ist gleichzeitig eine Untersuchung der Ordnung der Geschichte, die sich aus ihrer Abfolge ergibt. Der erste Band über „Israel and Revelation" erforscht nicht nur die Formen der kosmologischen und historischen Ordnung, sondern auch den Aufstieg des Auserwáhlten Volkes aus dem Ambiente kosmologischer Reiche. Eine Wahrheit über die Seinsordnung, die in den kompakten Symbolen der Gesellschaften Mesopotamiens, Kanaans und Agyptens nur dunkel
sichtbar
ist,
artikuliert
sich
mit
der
Entstehung
Israels zur Hóhe der Klarheit, wo sich der welttranszendente Gott selbst als die ursprüngliche und letzte Quelle der
Ordnung
für Welt
und
Menschen,
Gesellschaft
und
schichte — also für das gesamte weltlich-immanente
Ge-
Sein —
offenbart. Unter diesem Aspekt der Dynamik der Geschich21
te wird die an sich autonome Studie der kosmologischen Ordnung zum Hintergrund für die Entstehung von Geschichte als der Existenzform, die Israel als Antwort auf die Offenbarung durch den Exodus aus der Form kosmologischer Zivilisation gewann. Die Bände über Polis und Philosophie setzen sich dann nicht nur mit der philosophischen Ordnungsform auseinander, wie sie von Platon und Aristoteles entwickelt wurde,
sondern untersuchen
auch den Pro-
zeß, in dessen Verlauf sich diese Form von dem Mutterboden der hellenischen Variante des Mythos und dem noch fernen minoischen und mykenischen Hintergrund der kosmologischen Ordnung löste. Die älteren symbolischen Formen werden ferner nicht einfach von der neuen Ordnungswahrheit überholt, sondern behalten ihre Gültigkeit für jene Bereiche, die von den später gewonnenen Einsichten nicht berührt werden wenn
auch ihre Symbole
Bedeutungswandlungen
erfahren,
sobald sie in den Bannkreis der jüngeren und nun beherrschenden Form eintreten. So erlebt zum Beispiel die historische Ordnung Israels eine sowohl geistige wie pragmatische Krise,
wenn
deutlich wird,
daß
die Bedrohungen
der
Existenz in der Welt in einer von der Offenbarung am Sinai geprägten Ordnung vernachlässigt waren. Mit der Errichtung des Königtums, das im Wort Gottes am Sinai nicht vorgesehen war, strömt deshalb die kosmologische Symbolik wieder in die Ordnung Israels zurück; und die Konflikte zwischen den beide Ordnungserfahrungen und ihren Symboliken beherrschen von nun an über weite Teile die Geschichte Israels. Die Untersuchung muß deshalb auf eine Vielzahl weiterer Phänomene ausgedehnt werden - unter anderem auf die Interaktionen der symbolischen Formen. Dieser Teil der Studie, der mit dem vierten Band beginnt, mußte einen erheblichen Umfang annehmen, da nämlich die multi-zivilisatorischen Reiche die Bühne bilden, auf der sich die kosmologischen Formen Babylons und Ägyptens, der römische Mythos der Polis, die hellenische Form der
22
Philosophie, die historischen Symbole des frühen Israels und die apokalyptischen des frühen Judentums gegenüberstehen; wenn alle aufgezählten Ordnungstypen den großen Kampf mit der neuen Ordnung des Christentums aufnehmen; und wenn sich schließlich aus diesem Wirrwarr gegenseitiger Einschränkungen und Begrenzungen der Komplex der mittelalterlichen Ordnung des Westens erhebt. Und ganze zwei Bände werden schließlich notwendig sein, um
sowohl die Auflösung dieses mittelalterlichen Komplexes
durch eine Gnosis zu beschreiben, die während des frühen Mittelalters auf ein Rinnsal von Sektenbewegungen reduziert worden war, wie auch die Konsequenzen, die mit jener Auflösung verbunden waren. Der Leser, der sich nach Abschluß sechs Bänden gegenübersieht, erwartet zu Recht ein einleitendes Wort zur intellektuellen
Situation,
die
nach
Meinung
des
Autors
ein
Unternehmen dieses Umfanges sowohl möglich, wie notwendig macht. Dieser Erwartung kann nur innerhalb enger Grenzen entsprochen werden - denn der Umfang der Arbeit ergibt sich aus der Komplexität der Situation, und die Antworten
auf die Fragen, die sich aufdrängen,
können
nur im
Verlauf der Studie selbst gegeben werden. Dennoch sind einige kurze Bemerkungen möglich. Daß das Werk in unserer Zeit unternommen werden konnte, ist vor allem den Fortschritten in den historischen Disziplinen während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zu verdanken, die dazu die Materialbasis geschaffen haben.
Die enorme Ausdehnung unseres historischen Horizontes durch archäologische Entdeckungen, kritische Textausgaben und eine Flut monographischer Interpretationen ist so bekannt,
daß
sich
weitere
Ausführungen
dazu
erübrigen.
Die Quellen liegen bereit, und die konvergierenden Interpretationen durch Orientalisten und Semitisten, durch klas-
sische Philologen und Historiker der Antike, durch Theologen und Mediävisten laden geradezu zu dem Versuch ein, eine philosophische Studie der Ordung auf der Grundlage
23
der Primärquellen selbst durchzuführen. Die Lage der Wissenschaft in den verschiedenen Disziplinen, wie auch meine eigene Position bezüglich fundamentaler Fragen, wird im Verlauf der Studie selbst zur Sprache kommen. Soweit es den
Band
„Israel
and
Revelation"
betrifft,
darf
ich
auf
die Digressionen zum Stand der Bibelkritik (Kap.6 $1) verweisen sowie auf die Interpretation der Psalmen (Kap. 9 ὃ 5).
Der andere Grund, der die Durchführung dieser Studie in
unserer Zeit ermöglichte, ist weniger leicht greifbar als der erste, insofern er nur negativ beschrieben werden kann als die Beseitigung der ideologischen Hypotheken, die auf der Arbeit der Wissenschaft lasteten. Ich spreche von dem alles durchdringenden Meinungsklima, in dem eine kritische Studie von Gesellschaft und Geschichte praktisch unmöglich war, da die Vielfalt von Nationalismus, von progressivistischen und positivistischen, liberalen und sozialistischen, von marxistischen und freudianischen Ideologien, von neo-kantianischen Methodologien in Nachahmung der Naturwissenschaften, von szientistischen Ideologien wie Biologismen und Psychologismen, von der viktorianischen Mode des Agnostizismus und von neueren Moden des Existentialismus und Theologismus nicht nur die Verwendung kritischer Standards, sondern selbst den Erwerb des zu ihrer Bildung notwendigen Wissens sozial wirksam verhinderte. Die Behauptung, daß dieser Druck auf das Leben von
Geist
und
Intellekt
der
Qualifizierung
durch
verschwunden das
ist, bedarf
Bewußtsein,
daß
die
freilich Kräfte
des gnostischen Zeitalters auf der Weltszene noch immer soziale und politische Mächte sind und es noch auf lange Zeit bleiben werden. Das ,Verschwinden" muß als das Faktum verstanden werden,
das die Kriege und Revolutionen unserer Zeit ihre
Autorität ausgezehrt haben. Ihre Konzepte von Mensch, Gesellschaft und Geschichte stehen zu offensichtlich in einem Mißverhältnis zu der Realität, die in den Bereich unse-
24
res empirischen Wissens gerückt ist. Obwohl jene Ideologien zwar noch mächtig sind, üben sie ihre Macht doch nur noch über jene aus, die ihnen nicht den Rücken
gekehrt ha-
ben und nach grünen Weiden Ausschau halten. Wir haben
in der Wissenschaft eine neue Freiheit gewonnen,
und es
ist eine Freude, sie zu gebrauchen. Unsere Reflektionen über den ideologischen Incubus haben uns von der Möglichkeit zur Notwendigkeit unserer Studie über Order and History geführt. Der Mensch ist verpflichtet, die Situation zu verstehen, in der er sich befindet; Teil dieser Situation ist die gesellschaftliche Ordnung, in der wir leben; und diese Ordnung ist heute weltweit geworden.
Diese
weltweite
Ordnung,
ferner,
ist weder
neu
noch einfach, sondern enthält als sozial wirksame Kräfte die Ablagerungen des jahrtausendalten Kampfes um die Wahrheit der Ordnung. Das ist keine Frage der Theorie, sondern eine empirische Tatsache. Zum Beweis könnte man sich auf die Relevanz beziehen, die der Kampf noch weitgehend kosmologisch strukturierter Gesellschaften — wie China und Indien - um die notwendige Anpassung an jene politischen und technologischen Bedingungen hat, die das Werk des Westens sind für unsere eigene Angelegenheit. Ich ziehe es jedoch vor, die Aufmerksamkeit
des Lesers auf
die Analyse des metastatischen Problems im Band „Israel and Revelation" zu lenken (Kap. 13, ὃ 2,2). Er wird auf einen Blick sehen, daß die prophetische Vorstellung von einer Veränderung in der Struktur des Seins dem Glauben unserer Zeit an die Vervollkommnung der Gesellschaft durch
Fortschritt oder auf dem Wege einer kommunistischen Revolution zugrundeliegt. Nicht nur werden dabei die angeblichen Antagonisten als Brüder
schen
im
Geiste
entlarvt,
Abkömmlinge
des
Transfiguration der Welt;
nämlich
als
prophetischen
die späten
gnosti-
Glaubens
an eine
es ist offensichtlich auch von Be-
deutung, die Natur der Erfahrungen zu verstehen, die in den Glaubenshaltungen dieses Typus zum Ausdruck kom-
25
men sowie der Umstände, unter denen sie in der Vergangenheit sich entwickelten und aus denen sie heute ihre Stärke beziehen. Der metastatische Glaube ist eine der gro-
Den Quellen der Unordnung unserer Zeit, vielleicht sogar die wichtigste; und es ist für uns alle eine Frage von Leben
und Tod, das Phänomen zu finden,
bevor
es uns
zu verstehen und Mittel dagegen zerstört.
Wenn
heute
der Zustand
der Wissenschaft die kritische Analyse solcher Phänomene erlaubt, so ist es eindeutig die Pflicht des Gelehrten,
sie um
seiner selbst willen als Mensch durchzuführen und die Ergebnisse seinen Mitmenschen zugänglich zu machen. Order and History sollte in diesem Sinne nicht als ein Versuch verstanden werden, Kuriositáten einer toten Vergangenheit zu erkunden, sondern als eine Untersuchung der Struktur der Ordnung, in der wir gegenwärtig leben. Ich habe von den Heilmitteln gegen die Unordnung der Zeit gesprochen; eines dieser Heilmittel ist die philosophische Untersuchung selbst. Ideologie ist Existenz in Rebellion gegen Gott und den Menschen. In der Sprache der Ordnung Israels ist es die Verletzung des Ersten und des Zehnten Gebots, in den Worten von Aischylos und Platon ist es der nosos, die krankhafte Stórung des Geistes. Philosophie ist die Liebe zum Sein durch die Liebe zum góttlichen Sein als der Quelle seiner Ordnung. Der Logos des Seins ist das
eigentliche Objekt der philosophischen Untersuchung; und
die Suche nach der Wahrheit über die Ordnung des Seins kann ohne eine Analyse der Modi von Existenz in Unwahrheit nicht geführt werden. Die Wahrheit der Ordnung muf gewonnen und in einem unaufhörlichen Kampf gegen den Abfall von ihr verteidigt werden; und die Bewegung zur Wahrheit beginnt mit dem Gewahrwerden des Menschen, daß er sich in existentieller Unwahrheit befindet. In der Philosophie als einer Existenzform sind die diagnostischen und die therapeutischen Funktionen untrennbar eins. Und seitdem Platon in der Unordnung seiner Zeit diese Verbindung
26
entdeckte, blieb die philosophische Untersuchung eines der Mittel zur Schaffung von Inseln der Ordnung in der Unordnung der Zeit. Order and History ist eine philosophi-
sche Untersuchung
betreffend die Ordnung der menschli-
chen Existenz in Gesellschaft und Geschichte. Vielleicht hat sie eine heilende Wirkung - in dem bescheidenen Umfang,
der im leidenschaftlichen Ablauf der Ereignisse der Philosophie gewährt ist.
27
Die 5ymbolisierung der Ordnung Gott
und
Mensch,
Welt
und
Gesellschaft
bilden
eine
ur-
sprüngliche Gemeinschaft des Seins. Die Gemeinschaft mit ihrer Vierer-Struktur ist ein Datum menschlicher Erfahrung — und ist es auch wiederum nicht. Sie ist ein Datum von Erfahrung,
insofern sie dem
Menschen
kraft seiner Partizi-
pation am Geheimnis ihres Seins ist. Sie ist kein Datum von Erfahrung,
insofern
sie nicht
nach
Art
eines
Objektes
der
Aufenwelt gegeben ist, sondern nur in der Perspektive der Partizipation an ihr erkannt werden kann. Die Perspektive der Partizipation muß in der ganzen Fülle ihrer beunruhigenden Natur verstanden werden. Sie
bedeutet nicht, daß der Mensch, mehr oder minder günstig in der Landschaft des Seins plaziert, sich nur umzuschauen
und zu Protokoll zu nehmen braucht, was er sieht, soweit er
sehen kann. Eine derartige Metapher - oder ähnliche Variationen über das Thema Grenzen menschlichen Wissens — würde den paradoxen Charakter der Situation zerstóren. Sie würde auf einen autarken Betrachter deuten, der im Besitz wie im Bewuftsein seiner Fáhigkeiten, der Mittelpunkt eines — wenngleich begrenzten - Seinshorizontes ist. Doch der Mensch ist kein auf sich selbst gestellter Betrachter. Er ist ein Schauspieler, der im Drama des Seins eine Rolle spielt und durch das Faktum seiner Existenz verbunden
steht.
ist,
Es
sie
zu spielen,
ist verwirrend
ohne
genug,
Zufall in einer Situation findet,
zu wissen,
wenn
worin
jemand
sie be-
sich
durch
in der er nicht genau
weiß,
was gespielt wird und wie er sich zu verhalten hat, um nicht
alles zu verderben; doch mit etwas Glück und Geschick wird
er sich herauswinden und in die weniger verwirrende Rou28
tine des Alltags zurückkehren. Die Partizipation am Sein jedoch ist nicht eine Episode im Leben des Menschen, sondern nimmt seine gesamte Existenzin Anspruch, denn seine Partizipation ist seine Existenz selbst. Weder gibt es einen Blickpunkt
erkannt
außerhalb
und
der
Existenz,
planmäßiges
von
Verhalten
dem
aus
ihr
entworfen
Sinn
werden
könnte, noch eine Insel der Seligen, auf die sich der Mensch zurückziehen
kann,
um
sein
Ich wiederzufinden.
Die Rolle
der Existenz muß in der Ungewißheit ihres Sinnes gespielt
werden, als ein Abenteuer der Entscheidung auf der Grenze von Freiheit und Notwendigkeit. Das Spiel ist ebenso unbekannt wie die Rolle. Ja schlimmer noch: der Schauspieler weiß nicht mit Sicherheit, wer er selber ist. An diesem Punkt kann die Metapher des Spiels,
wird
sie nicht
führen.
Die
Metapher
notwendig,
insofern
mit
Vorsicht
verwendet,
ist gerechtfertigt, sie
die
Einsicht
in die
vielleicht
vermittelt,
Irre
sogar
daß
die
Partizipation des Menschen am Sein nicht blind erfolgt, sondern durch sein Bewußtsein erhellt ist. Es gibt eine Erfahrung der Partizipation, eine reflektive Spannung der Existenz, deren Sinnstrahlung sich auffangen läßt in dem Satz: Der Mensch, in seiner Existenz, partizipiert am Sein. Doch
dieser
gißt,
daß
Sinn
Subjekt
verkehrt und
sich in Unsinn,
Prädikat
dieses
wenn
Satzes
man
ver-
Ausdrücke
sind, die eine Spannung der Existenz artikulieren, aber nicht Begriffe sind, die Objekte bezeichnen. Es gibt nicht so etwas wie einen , Menschen", der am ,Sein" partizipiert, so als wáre das Sein ein Unternehmen, von dem er auch ebensogut
Abstand
nehmen
könnte;
vielmehr
gibt
es
ein
„Et-
was",
einen Teil des Seins, fáhig, sich selbst als solchen zu
erfahren und darüber hinaus auch fáhig, Sprache zu benutzen und dieses erfahrende Bewußtsein mit dem Wort ,Mensch" zu belegen. Dieses Nennen beim Namen ist ein fundamentaler Beschwörungsakt, ein Akt des Hervorrufens,
barer
in dem
Partner
dieser
in der
Teil
des
Seins
Gemeinschaft
29
als ein
des
Seins
unterscheid-
konstituiert
wird.
Dennoch,
so
fundamental
rung auch ist - denn
dieser
Akt
der
Beschwö-
er bildet für all das, was der Mensch
im
Laufe der Geschichte über sich lernen kann, die Grundlage — so ist er doch kein Akt der Erkenntnis. Die sokratische Ironie des Nichtwissens ist zum Paradigma für das Wissen um den blinden Fleck im Zentrum alles menschlichen Wissens über den Menschen geworden. Im Zentrum seiner Existenz ist sich der Mensch
selbst unbekannt
denn
Seins,
der
kónnte
Teil
nur
des
dann
voll
der
erkannt
sich
und
muf
selbst
werden,
es bleiben,
Mensch
wenn
nennt,
die Gemein-
schaft des Seins wie auch ihr Drama in der Zeit vollstándig bekannt wären. Die Partnerschaft des Menschen im Sein ist das dem
Wesen
seiner
Ganzen
Kenntnis
des
Wissenden wissen vom
ab,
Existenz, von
Ganzen
dem
und die
dieses
Wesen
Existenz
ein
Teil
ist.
Die
infolge
der
Identitát
des
ist jedoch
mit dem Partner ausgeschlossen, Ganzen
hángt
von
und das Nicht-
schließt wesentliches Wissen
vom Teil
aus. Diese Situation der Unwissenheit hinsichtlich des wesentlichen Kerns der Existenz ist mehr als nur verwirrend:
sie ist zutiefst beunruhigend,
denn
aus der Tiefe
die-
ser letzten Unwissenheit steigt die Existenzangst empor. Die letzte wesentliche Unwissenheit ist freilich keine völlige Unwissenheit. Der Mensch vermag betráchtliches Wissen über die Ordnung des Seins zu gewinnen, und der nicht geringste Teil dieses Wissens ist die Unterscheidung zwischen dem Erkennbaren und dem Unerkennbaren. Zu dieser Leistung kommt es allerdings erst spát in dem lang sich hinziehenden Prozef von Erfahrung und Symbolisierung, die beide Gegenstand der vorliegenden Studie bilden. Die sorge des Menschen über den Sinn seiner Existenz im Feld des Seins bleibt nicht aufgestaut in den Qualen der Angst, sondern vermag sich in der Schaffung von Symbolen Luft zu machen, die das Ziel haben, die Beziehungen und Span-
nungen
zwischen
den
unterscheidbaren
Momenten
des
Seinsfeldes einsichtig zu machen. In den frühen Phasen die-
30
ses Prozesses sind die Symbolisierungen noch erheblich durch eine verwirrende Vielfalt unerforschter Fakten und ungelöster Probleme beeinträchtigt. Weniges ist wirklich über die Erfahrung der Partizipation und die vierfache Struktur im Feld des Seins hinaus klar, und solche partielle Klarheit neigt dazu, eher Verwirrung als Ordnung zu stiften, was notwendigerweise
immer
dann
schiedenartige
unter
zu wenige
klassifiziert
Materialien
werden.
Trotzdem,
selbst
eintritt, wenn in
ver-
Oberbegriffe
der
Verwirrung
dieser frühen Phasen steckt genügend Methode, um einige typische Züge im Symbolisierungsprozeß zu unterscheiden. Der erste dieser typischen Züge ist das Vorherrschen der Partizipationserfahrung. Was der Mensch auch immer sein mag, Strom durch
er weiß, daß er selbst ein Teil des Seins ist. Der große des
Seins,
in
ihn durchfließt,
dem
er
dahinfließt,
ist derselbe
Strom,
während zu dem
dieser
alles
an-
dere gehórt, das in sein Blickfeld treibt. Die Gemeinschaft des Seins wird so intim erfahren, daß die Konsubstantialität der Partner die Getrenntheit der Substanzen in den Hintergrund drängt. Wir bewegen uns in einer verzauberten Gemeinschaft, in der alles, was uns begegnet, Kraft, Willen und Gefühl besitzt, in der Tiere und Pflanzen Menschen und Götter sein können, in der Menschen göttlich sein können und Götter Könige sind, in der der gefiederte Morgenhimmel der Falke Horus ist und Sonne und Mond seine Augen sind, in der die hintergründige Gleichheit des Seins ein Lei-
ter magischer Ströme von göttlicher und teuflischer Kraft ist, die über unterirdische Wege reichbaren
Partner
die auf der Oberfläche
erreichen,
in der
Dinge
dieselben
unerund
doch nicht dieselben sind und sich ineinander verwandeln kónnen. Der zweite typische Zug ist das absorbierende Interesse am Bleiben und Vergehen (das heißt an Dauer und Vergänglichkeit) der Partner in der Gemeinschaft des Seins. Ungeachtet der Konsubstantialitát gibt es die Erfahrung
der gesonderten Existenz im Strom des Seins, und die ver31
schiedenen ihrer
Existenzen
sind unterschieden nach dem
Dauer.
Der
eine
Mensch
hinscheiden,
und
er scheidet
bleibt, dahin,
während während
Grad
andere andere
dablei-
ben. Alle menschlichen Wesen werden von der Gesellschaft, deren
Glieder
sie sind,
vergehen, während
überdauert,
und
die Gesellschaften
die Welt bestehen bleibt. Und die Welt
wiederum wird von den Göttern nicht nur überlebt, sondern ist vielleicht sogar von ihnen geschaffen. Unter diesem Gesichtspunkt weist das Sein Züge einer Hierarchie auf, die von
der ephemeren
Existenz
des Menschen
bis zur
ewigen Dauer der Götter reicht. Die Erfahrung dieser Hierarchie liefert ein wichtiges Stück des Wissens über die Ordnung des Seins, und dieses Wissen vermag seinerseits zu einer ordnenden Kraft der menschlichen Existenz zu werden und wird es auch. Denn die dauerhafteren Existenzen, die auch die umfassenderen
sind,
bilden kraft ihrer
Struk-
tur den Rahmen,
in den sich die niedrigeren Existenzen ein-
zupassen
sofern
haben,
sie nicht bereit sind,
den
Preis des
Aussterbens zu zahlen. Ein erster Bedeutungsschimmer fallt insofern auf die Rolle des Menschen im Drama des Seins,
als
der
Erfolg
des
Darstellers
von
seiner
Einstim-
mung auf die dauerhafteren und umfassenderen Ordnungen von Gesellschaft, Welt und Gott abhängt. Diese Einstimmung ist jedoch mehr als bloß äußerliche Anpassung an die Notwendigkeiten der Existenz, mehr als ein geplan-
tes Einpassen
in eine Ordnung,
,über"
die wir Bescheid
wissen. ,Einstimmung" verweist auf eine Anpassung bis hinab auf die Ebene der Partizipation am Sein. Was dauert und vergeht, ist allerdings die Existenz, aber da Existenz Partnerschaft am Sein ist, offenbaren Dauer und Vergehen etwas vom Sein. Menschliche Existenz ist nur von kurzer Dauer,
wenn
doch
das
Sein,
die Existenz
an
endet.
dem
sie teilhat,
Existierend
hórt
erfahren
nicht
auf,
wir Sterb-
lichkeit; seiend erfahren wir etwas, das sich lediglich durch
die negative
Metapher
der Unsterblichkeit
symbolisieren
läßt. In unserem unterscheidbaren Abgegrenztsein als exi32
stierende Wesen
erfahren wir den Tod; in unserer Partner-
schaft am Sein erfahren wir das Leben. Doch hier stoßen wir schon wieder an die Grenzen, die durch unsere Perspektive der Partizipation gesetzt sind, denn Dauer und Vergehen sind Kategorien des Seins bzw. der Existenz, wie sie uns aus der Perspektive unserer Existenz erscheinen; sobald
wir
sie
zu
objektivieren
suchen,
verlieren
wir
das
Wenige, das wir haben. Versuchen wir das Mysterium des Vergehens zu erforschen, so als wáre der Tod ein Gegenstand,
so
finden
wir
nichts
als
das
Nichts,
das
uns
vom
Grund unserer Existenz aus angstvoll erschauern läßt. Versuchen wir, das Mysterium
der Dauer
zu erforschen,
so als
wäre das Leben ein Gegenstand, so finden wir kein ewiges Leben, sondern verlieren uns in der Bildwelt von unsterblichen Góttern und paradiesischer oder olympischer Exi-
stenz. Von diesen Erkundungsvorstößen fallen wir zurück in
das
Bewußtsein
Immerhin,
unserer
wir , wissen"
essentiellen
etwas. Wir
Unwissenheit.
erfahren unsere eigene
Dauer in der Existenz, vergánglich wie sie ist, und ebenso die Hierarchie der Dauer; und in diesen Erfahrungen wird Existenz transparent und offenbart etwas vom Mysterium des Seins, von dem Mysterium, an dem sie partizipiert, ohne freilich zu wissen, was es ist. Einstimmung wird deshalb
ein Zustand
hört,
was
der
dauerhaft
Existenz ist im
sein,
Sein,
in dem
in dem
diese
sie sich
auf
das
eine
Be-
wußtseinsspannung für ihre Teiloffenbarungen in den Ordnungen von Gesellschaft und Welt erhält, in dem sie aufmerksam den stillen Stimmen des Gewissens und der Gnade in menschlicher Existenz selbst lauscht. Wir werden in die Existenz das Warum
aufgenommen
und
das
Wie
und
aus
zu kennen,
ihr entlassen, aber
wáhrend
ohne wir
in
ihr sind, wissen wir, daß wir aus dem Sein stammen, zu dem
wir zurückkehren. Aus diesem Wissen erwächst die Erfahrung der Verpflichtung, denn wenn dieses Sein, das unserer teilweisen
Führung
in der
lange sie dauert und vergeht,
Existenz
anvertraut
ist, so-
auch durch Einstimmung
33
ge-
wonnen
werden
kann,
so
kann
man
es
doch
durch
ihr
schuldhaftes Verfehlen verlieren. Die Angst der Existenz ist daher auch mehr als eine bloße Furcht vor dem Tode im Sinne
biologischen
Schauder
davor,
Auslöschens;
mit
dem
Ende
sie
ist
der
viel
der
Existenz
tiefere
auch
den
schmalen Halt in der Partnerschaft des Seins zu verlieren, den wir als den unsrigen erfahren, solange die Existenz andauert. In der Existenz spielen wir unsere Rolle innerhalb
des göttlichen Seins, das in die vergehende Existenz
ein-
geht, um das prekäre Sein für die Ewigkeit zu retten.
Der dritte typische Zug im Symbolisierungsprozeß ist der Versuch,
die
im
wesentlichen
unerkennbare
Ordnung
des
Seins soweit als möglich durch die Schaffung von Symbolen verstehbar
zu machen,
von
Symbolen,
die das Unbekannte
durch Analogie mit dem wirklich oder nur vermutlich Gewußten deuten. Diese Versuche haben eine Geschichte insofern als die reflektierende Analyse, dem Druck der Erfahrung nachgebend, Symbole erzeugt, die ihrer Aufgabe zunehmend besser gerecht werden. Kompakte Einheiten des Erkennbaren werden in ihre Komponenten aufgespalten und das Erkennbare selbst wird nach und nach von dem essentiell Unerkennbaren geschieden. In diesem Sinne ist die Geschichte der Symbolisierung ein Fortschreiten von kompakten zu differenzierten Erfahrungen und Symbolen. Da dieser Prozeß das Hauptthema der gesamten folgenden Studie ist, wollen wir an dieser Stelle nur zwei grundlegende Symbolisierungsformen erwähnen, die große geschichtliche Perioden charakterisieren. Die eine ist die Symbolisierung der Gesellschaft und ihrer Ordnung als ein Analogon des Kosmos und dessen Ordnung; die andere ist die Symbolisierung der gesellschaftlichen Ordnung durch die Analogie mit der Ordnung einer menschlichen Existenz, die gut auf das Sein eingestimmt ist. In der ersten Form wird die Gesellschaft als ein Mikrokosmos symbolisiert, in der zweiten als ein Makroanthropos.
34
Die erstgenannte Form ist auch zeitlich die erste. Warum dies so ist, bedarf kaum näherer Erklärung. Himmel und Erde
sind
Ordnung,
in
so
in die
eindrucksvoller sich
menschliche
Weise
die
Existenz,
umfassende soll
sie
über-
leben, einpassen muß, daß der überwältigend mächtige und sichtbare Partner in der Gemeinschaft des Seins unvermeid-
lich seine Ordnung als das Modell aller Ordnung nahelegt,
einschließlich der Ordnung des Menschen und der Gesellschaft. Auf jeden Fall symbolisieren die alten Zivilisationen des Nahen handelt
Östens,
werden,
ein kosmisches
die im ersten Teil dieser Studie be-
die politisch Analogon,als
organisierte ein Kosmion,
Gesellschaft
als
indem sie vege-
tativen Rhythmen und Umwälzungen der Himmelskórper eine Modellfunktion für die Struktur- und Verfahrensordnung der Gesellschaft zuteilen. Das zweite Symbol bzw. die zweite Form — Gesellschaft als Makroanthropos — taucht gewöhnlich dann auf, wenn kosmologisch symbolisierte Reiche zusammenbrechen und ihr Untergang das Vertrauen in die kosmische Ordnung mitreißt. Trotz ihrer rituellen Einordnung in die kosmische Ordnung
ist
der Kosmos der
die
Gesellschaft
zusammengebrochen;
wenn
also nicht die Quelle dauerhafter Ordnung
menschlichen
Existenz
ist, wo
ist die Quelle
der
in
Ord-
nung zu finden? Angesichts dieser Frage tendiert die Symbolisierung dahin, sich auf etwas Beständigeres als die sichtbar existierende Welt zu verlagern - nämlich auf das unsichtbar existierende Sein jenseits allen greifbar existierenden Seins. Dieses unsichtbare göttliche Sein, das alles Sein in der Welt und die Welt selbst transzendiert, kann nur als eine Bewegung in der Seele des Menschen erfahren werden; und daher wird die Seele, sofern sie durch Einstimmung
auf den unsichtbaren
der Ordnung,
das Symbole
Gott
geordnet
zur Ordnung
ist, zum
Modell
der Gesellschaft in
Analogie zu ihrem Abbild liefert. Der Übergang zur makroanthropen Symbolisierung wird sichtbar in der Diffe-
renzierung von Philosophie und Religion aus den voraus35
gehenden empirisch obachtet
kompakteren Symbolisierungsformen und kann als ein Ereignis in jener historischen Phase bewerden,
die Toynbee
als die
,Zeit
der Unruhen"
bezeichnet hat. In Ägypten entstand die Osiris-Religiosität in der Periode des sozialen Zusammenbruchs zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich. Während der Auflösung des feudalen China tauchten philosophische Schulen auf, insbesondere die von Konfuzius und Lao-tzu. Die kriegerische Periode vor der Gründung des Maurya-Reiches war durch das Erscheinen des Buddha und des Jainismus gekennzeichnet.
Als
die
Welt
der
griechischen
Polis
zerfiel,
traten die Philosophen auf, und die späteren Unruhen in der hellenistischen Welt waren geprägt durch die Entstehung des Christentums. Es wäre allerdings unangebracht, dieses typische Zusammentreffen zu einem historischen ,Gesetz"
zu verallgemeinern,
denn
in den
Details
gäbe
es
Schwierigkeiten. Das Fehlen einer solchen Änderung beim Zusammenbruch der babylonischen Gesellschaft (soweit die spärlichen Quellen dieses negative Urteil zulassen), deutet ebenso
an,
daß
auch
ein
solches
die Tatsache,
,Gesetz" daß
Israel
„Ausnahmen” scheinbar
hätte;
die zweite
Form erreichte, ohne daß ein Zusammenhang mit einem spezifisch institutionellen Zusammenbruch und einer darauf folgenden Periode der Unruhe feststellbar wäre. Ein weiterer typischer Zug in den frühen Stadien des Symbolisierungsprozesses ist das menschliche Bewußtsein vom analogischen Charakter seiner Symbole. Dieses Bewuftsein manifestiert sich auf verschiedene
Arten,
die den
verschiedenen Problemen der Erkenntnis durch Symbole entsprechen. Obwohl die Seinsordnung im Bereich der es-
sentiellen Unwissenheit verbleibt, kann sie analogisch doch
durch mehrere Erfahrungen einer Teilordnung in der Existenz symbolisiert werden. Der Rhythmus pflanzlichen und tierischen Lebens, die Folge der Jahreszeiten, die Umläufe der Sonne, des Mondes
und der Sternbilder kónnen
36
als Mo-
delle für die Symbolisierung gesellschaftlicher Ordnung dienen. Die gesellschaftliche Ordnung kann als ein Modell zur Symbolisierung der Ordnung im Bereich der himmlischen Mächte dienen. Alle diese Ordnungen können als Ordnungssymbole im Bereich der göttlichen Kräfte fungieren. Und die Symbolisierungen göttlicher Ordnung können ihrerseits wieder für die analogische Interpretation existentieller Ordnungen innerhalb der Welt verwendet werden. In diesem Netz wechselseitiger Erhellung werden unvermeidlich konkurrierende und widersprechende Symbole auftreten. Solche Konkurrenzen und Konflikte werden über lange Zeiträume hinweg von den Menschen, die sie produzieren, mit Gleichmut hingenommen; Widersprüche erzeugen keinerlei Mißtrauen gegenüber der Wahrheit der Symbole. Wenn irgendetwas diese frühe Epoche der Symbolisierung
der
charakterisiert,
Formulierung
der
so
ist
Wahrheit,
es
die
der
Pluralismus
großzügige
in
Aner-
kennung und Toleranz gegenüber rivalisierenden Symbolisierungen derselben Wahrheit. Die Selbstinterpretation eines frühen Reiches als des einen und einzig wahren Repräsentanten kosmischer Ordnung auf Erden wird nicht im geringsten durch die Existenz von Nachbarreichen erschüttert, die denselben Interpretationstyp für sich in Anspruch nehmen. Die Repräsentation einer höchsten Gottheit durch eine besondere Form und Bezeichnung in einem mesopotamischen Stadtstaat wird durch eine verschiedene Repräsentation im benachbarten Stadtstaat nicht beeinträchtigt. Und die Verschmelzung von verschiedenen
Repräsentationen,
die eintritt, wenn
ein Reich meh-
rere vormals unabhängige Stadtstaaten vereint, der Wechsel von einer Repräsentation zur anderen, wenn die Dyna-
stien einander Mythen
von
ablösen,
dem
einen
die Übertragung
Gott
auf den
kosmogonischer
anderen
und
so fort,
all das zeigt, daß die Verschiedenheit der Symbolisierungen von einem lebendigen Bewußtsein von der Gleichheit jener Wahrheit
begleitet. wird, auf die sich der Mensch
37
mit
Hilfe seiner vielfältigen Symbole bezieht. Diese frühe Toleranz reicht bis weit in die griechisch-römische Periode hinein und fand ihren großartigen Ausdruck im Angriff des Celsus
auf
das
Christentum,
als
den
Störer
des
Friedens
unter den Göttern. Die
frühe
Toleranz
entspringt
dem
Bewußtsein,
Seinsordnung analogisch auf mehr als nur repräsentiert werden kann. Jedes konkrete wahr,
insofern
es
die
Wahrheit
anvisiert,
daß
die
eine Weise Symbol ist
aber
keines
ist
vollständig wahr, insofern die Wahrheit über das Sein sich wesentlich dem menschlichen Zugriff entzieht. In diesem Zwielicht der Wahrheit gedeiht eine reiche Flora -- üppig, verwirrend,
erschreckend und
bezaubernd
- von
Erzählun-
gen über Götter und Dämonen und ihre ordnenden wie zerstörenden Eingriffe in das Leben des Menschen und der Gesellschaft. Da gibt es eine großartige Freiheit an Variation und Ausarbeitung grundlegender Themen, jeder neue Zweig und jede neue Sprosse fügt dem großen Werk der Analogie, das die unsichtbare Wahrheit umgibt, eine weitere Facette hinzu; es ist die Freiheit, an der - auf der Ebene künstlerischen Schaffens - noch die Epen Homers, die Tragödie des fünften Jahrhunderts v. Chr. und die mythenbildenden Dichtungen Platons teilhaben. Diese Toleranz wird freilich an ihre Grenzen stoßen, wenn das Bewußtsein des analogischen Charakters der Symbolisierung von dem Problem angezogen wird, in welchem Maße die Symbole ihrem Zweck entsprechen die Seinsordnung transparent zu machen. Der Symbole sind viele, doch das Sein ist nur eines. Daß es eine Mehrzahl von Symbolen gibt, kann daher als eine Inadäquanz erfahren werden; und so mag man versuchen, diese Vielfalt in eine rationale hierarchische Ordnung zu bringen. In den kosmologischen Reichen nehmen diese Versuche bezeichnenderweise die Form an, eine Viel-
falt oberster lokaler Gottheiten als Aspekte des einen höchsten Reichsgottes zu interpretieren. Doch istpolitischer Summodeismus nicht die einzige Form der Rationalisierung.
38
Die Versuche können auch die mehr technische Form einer theogonischen
Spekulation
annehmen,
nach
der
die
ande-
ren Götter durch den einen wahren höchsten Gott erschaffen werden, wie zum Beispiel in der Theologie von Memphis, die wahrscheinlich ins frühe dritte Jahrtausend v. Chr. zu datieren ist. Solche frühen spekulativen Ausbrüche in monotheistischer
Richtung
klaren
Fortschritt
finden
wollen,
die
nicht
als „Vorläufer”
Historikern,
Polytheismus
als anachronistisch
Tatsachen
Monotheismus
vom
müssen
einfach
zum
eines späteren,
einen
Monotheismus
erscheinen;
ignorieren
die
da sich aber müssen
sie
legitimeren Auftretens
des
angesehen werden,
wenn
lassen,
nicht gar, als eine
noch weiterreichende Bemühung von Rationalisierung, nach einem Beweis für die geschichtliche Kontinuität zwischen dem israelischen Monotheismus und Echnaton oder zwischen der Logosphilosophie und der Theologie von Memphis gefahndet wird. Die frühen Ausbrüche überraschen jedoch weniger und die Suche nach Kontinuität wird weniger dringlich erscheinen, wenn wir uns klarmachen, daß die strikte Trennung zwischen Polytheismus und Monotheismus, nahegelegt durch die logische Unvereinbarkeit des Einen und des Vielen, in Wirklichkeit gar nicht existiert. Denn das freie Spiel der Phantasie mit einer Vielzahl von Symbolen ist nur darum möglich, weil die Wahl der einen oder anderen Analogie im Verhältnis der einen Wahrheit des Seins, auf die sie alle sich beziehen, als mehr oder weniger irrelevant empfunden wird. In jedem Polytheismus
gibt es einen
latenten Monotheismus,
der zu
jeder Zeit -- mit oder ohne „Vorläufer” — aktiviert werden kann, wenn der Druck einer historischen Situation auf einen sensitiven und aktiven Geist trifft. Mit dem politischen Summodeismus und der theogonischen Spekulation erreichen wir die Toleranzgrenze hinsichtlich rivalisierender Symbolisierungen. Dennoch
braucht auch jetzt noch kein ernsthafter Bruch aufzutreten. 39
Die theogonische Spekulation eines Hesiod war nicht der Beginn einer neuen religiösen Bewegung in Opposition zur polytheistischen Kultur Griechenlands, und der römische
Summodeismus
konnte
durch Konstantin sogar das Chri-
stentum in sein Symbolisierungssystem hineinziehen. Der Bruch mit der frühen Toleranz resultiert nicht aus rationaler Reflektion über die Inadäquanz pluralistischer Symbolisierung (obgleich eine derartige Reflexion erfahrungsgemäß ein erster Schritt in Richtung auf radikalere Unternehmungen
sein
kann),
sondern
aus
der
tiefen
Einsicht,
daß keine Symbolisierung durch Analoga existentieller Ordnung in der Welt auch nur andeutungsweise dem göttlichen Partner gemäß ist, von dem die Seinsgemeinschatt und ihre Ordnung abhängt. Nur wenn die Kluft in der Seinshierarchie, welche die göttliche von der irdischen Existenz
trennt,
empfunden
wird,
nur wenn
die erschaffende,
ordnende und erhaltende Quelle des Seins in ihrer absoluten Transzendenz über das greifbar existente Sein hinaus erfahren wird, wird jegliche analogische Symbolisierung als wesentlich inadäquat, ja geradezu unziemlich verstanden werden. Die Gemäßheit der Symbole -- um mit Xenophanes zu sprechen - wird dann ein dringendes Anliegen und jene bis dahin erträglicheSymbolisierungsfreiheit wird unerträglich werden, insofern als sie ein unziemliches Nachgeben, eine Verwirrung hinsichtlich der Seinsordnung verrät und tiefer noch, geradezu ein Verrat am Sein selbst ist, weil
einem
die richtige
Fall vom
Intoleranz, und
wahren Schauder
gie"
zu
Sein ins Nichts
die nicht
schwächeren
Gott
den
länger
Göttern
falschen
veranlaßte
schaffen
Einstimmung
und
Platon
fehlt. Der
gibt den Anstoß
bereit zu
Göttern
damit
ist, zwischen
unterscheiden, dazu,
Schauder
zu einer stärkeren
sondern
entgegenstellt. den
zwischen
Terminus
wahren
vor
den
Dieser
,Theolo-
und
fal-
schen Typen der Theologie zu unterscheiden und die wahre Ordnung der Gesellschaft von der Herrschaft solcher Menschen abhängig zu machen, deren richtige Einstimmung
40
auf das göttliche Sein in ihrer wahren Theologie offenbar wird. Wenn die Unziemlichkeit der Symbole in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit tritt, scheint sich auf den ersten Blick nicht viel im menschlichen Verständnis der Ordnung von
Sein
wurde
und
durch
Existenz
geändert
zu haben.
die differenzierende
Gewiß,
Betonung
einiges
des Bereichs
der essentiellen Unwissenheit gewonnen, wie auch durch die konsequente Unterscheidung zwischen erkennbarer immanenter und unerkennbarer transzendenter Realität, zwischen weltlicher und göttlicher Existenz; ein gewisser Eifer beim Schutz der neuen Einsicht vor dem Rückfall in erneutes Akzeptieren von Symbolen, die im Rückblick als illusionäre
Wahrheit
erscheinen,
könnte
als
verzeihlich
gelten. Dennoch kann der Mensch der essentiellen Unwissenheit durch Intoleranz gegenüber unziemlichen Symbolisierungen nicht entrinnen; ebensowenig gelingt es ihm, den Perspektivismus der Partizipation dadurch zu überwinden, daß er das Wesen dieser Symbolisierung versteht. Die tiefe Einsicht in die Unziemlichkeit der Symbole scheint sich in eine vielleicht übertriebene Betonung dessen aufzulösen, was man immer schon wußte und nur darum nicht stärker beachtete,
weil sich dadurch,
daß man
sich darüber
aufregt,
nichts an der Sache ändert. Und doch hat sich etwas geändert, nicht nur in den Methoden der Symbolisierung, sondern auch in der Ordnung des Seins und der Existenz selbst. Existenz ist Partnerschaft in der Gemeinschaft des Seins; und die Entdeckung, daß die
Partizipation unvollkommen ist, daß die Existenz mangels richtiger Einstimmung delt
wurde,
das
auf die Seinsordnung
Gewahrwerden
der
Gefahr
falsch behaneines
Abfalls
vom Sein löst in der Tat einen Schauder aus, der eine rad:kale Neuorientierung der Existenz erzwingt. Die Symbole verlieren nicht nur den Zauber ihrer Transparenz für die unsichtbare Ordnung und werden undurchsichtig, es ver-
blassen auch die Teilordnungen 41
der weltlichen
Existenz,
die bis dahin die Analogien für die umfassende
Seinsord-
nung geliefert hatten. Nicht nur werden die unziemlichen Symbole zurückgewiesen, der Mensch wendet sich auch von Welt und Gesellschaft als Quellen irreführender Analogien ab. Er wird die Erfahrung eines Sich-Umkehrens
machen, der platonischen periagoge, einer Umwendung zur wahren
Quelle
des
Seins.
Und
diese
Umkehr,
diese
Um-
wendung ergibt nicht nur ein Mehr an Wissen um die Ord-
nung des Seins - die Ordnung Denn
die Partizipation am
sie emphatisch
selbst ist anders geworden.
Sein ändert
in Partnerschaft
ihre Struktur,
zu Gott
wenn
tritt, während
die
Partizipation am weltlichen Sein auf den zweiten Platz absinkt. Die vollkommene Einstimmung auf das Sein durch Umwendung ist nicht eine Steigerung auf dem bisherigen Niveau,
sondern
wendung
eine
ein qualitativer
Gesellschaft
Sprung.
befällt,
wird
Wenn die
diese Um-
konvertierte
Gemeinschaft sich als verschieden von allen anderen Gesellschaften erfahren, die diesen Sprung nicht vollzogen haben. Ferner wird die Umwendung nicht als das Ergebnis menschlichen
Antwort
Handelns
erfahren,
auf eine Offenbarung
Akt der Gnade,
eine Erwáhlung
sondern
als Passion,
góttlichen Seins, zu ausdrücklicher
als
auf einen Partner-
schaft mit Gott. Die Gemeinschaft wird — wie im Falle Israel - ein auserwáhltes Volk werden, ein besonderes Volk, ein Volk Gottes. Die neue Gemeinschaft erzeugt damit einen besonderen Symbolismus, um ihre Besonderheit auszudrücken,
und dieser Symbolismus
kann
von nun
an dazu
verwendet werden, das neue strukturelle Element im Feld von Gesellschaften in historischer Existenz unterschiedlich herauszuheben. Sind die Unterschiede stárker entwickelt, wie etwa bei Augustinus, dann wird die Geschichte Israels zu einer Phase in der historia sacra werden,
in der Kirchen-
geschichte, als unterschieden von jener Profangeschichte, in der Reiche entstehen und vergehen. Infolgedessen enthebt die ausdrückliche Partnerschaft mit Gott eine Gesellschaft der Ebene der profanen Existenz und konsti-
42
tuiert sie als Repräsentantin der civitas Dei in historischer Existenz. Es hat also tatsächlich eine Veränderung im Sein stattgefunden - mit Konsequenzen für die Ordnung der Existenz. Nichtsdestoweniger ist der Sprung aufwärts im Sein kein Sprung, der über die Existenz hinaustrágt. Die ausdrückliche Partnerschaft mit Gott hebt keineswegs die Partnerschaft in der Gemeinschaft
des
Seins
auf, die nach
wie vor
das Sein in weltlicher Existenz einschließt. Sofern Mensch und Gesellschaft jenen Halt im Sein bewahren wollen, der erst den Sprung in die emphatische Partnerschaft ermóglicht, müssen sie der Ordnung der weltlichen Existenz angepaßt bleiben. Daher gibt es auch kein Zeitalter der Kirche, das auf der Ebene der kompakteren Einstimmung auf das Sein einem Zeitalter der Gesellschaft folgen würde. Stattdessen entwickeln sich Spannungen, Reibungen und Balancen zwischen den beiden Ebenen der Einstimmung, eine dualistische ren
Struktur
ausdrückt,
der
etwa
von
Existenz, theologia
die sich civilis
in Symbolpaaund
theologia
supranaturalis, von temporaler und spiritualer Macht, von säkularem Staat und der Kirche. Die Intoleranz gegenüber unziemlicher Symbolisierung löst dieses neue Problem nicht, und die Liebe zum Sein, von
der die Intoleranz inspiriert wird, muß mit den Bedingungen der Existenz einen Kompromiß schließen. Diese Bereitschaft zum Kompromiß zeigt sich im Alterswerk Platons, wo seine Intoleranz gegenüber unziemlicher Symbolisierung,
die in seinen
geprágt wiß,
war,
frühen und
mittleren Jahren
eine bemerkenswerte
die Einsicht in die Umwendung,
das MaD
des Menschen
Wandlung das
stark auserfáhrt.
Prinzip,
daß
ist, wird — weit entfernt davon,
fáhrdet zu werden - immer
kraftvoller herausgestellt,
GeGott geaber
die Formulierung ist vorsichtiger geworden und verbirgt sich tiefer hinter den Schleiern des Mythos. Er ist sich dessen bewußt, daß die neue Wahrheit vom Sein die alte Wahrheit
nicht ersetzt, sondern ergänzt. Die Nomoi
43
stellen
eine Polis vor, die als ein kosmisches Analogon gestaltet ist, möglicherweise unter dem Einfluß der politischen Kultur
des
Orients;
und
nur
soviel
von
der
neuen
Wahrheit
wird aufgenommen, als es das existentielle Gefäß zu halten vermag, ohne zu brechen. Darüber hinaus ist da ein neues Gefühl dafür, daß ein Angriff auf die unziemliche Symbolisierung der Ordnung mit dem Vertrauen auf die Analogien die Ordnung selbst zerstören könnte, daß es vielleicht besser
ist,
sehen,
die und
Ordnung Intoleranz,
Wahrheit daß
des
eine
Seins
verdunkelt
als
unvollkommene
der
Unordnung
inspiriert durch die Liebe
überhaupt
nicht
Einstimmung
vorzuziehen zum
zu
auf die
ist. Die
Sein, wird
durch
eine neue Toleranz ausbalanciert, die von der Liebe zur Existenz inspiriert ist und von Respekt vor den gewundenen Wegen, auf denen der Mensch sich geschichtlich der wahren Ordnung des Seins nähert. In den Epinomis spricht Platon das letzte Wort seiner Weisheit — daß jeder Mythos seine Wahrheit hat.
44
Menschheit und Geschichte Wenn
unsere Studie über Ordnung
sem Buch von
Israel zu Hellas
und Geschichte in die-
fortschreitet, so schreitet sie
doch nicht fort in der Zeit. Die hellenische Erfahrung von Gott als dem unsichtbaren Maß des Menschen steht nicht im Gefolge der israelitischen Erfahrung eines Gottes, der sich Moses aus dem Dornbusch und vom Berge Sinai seinem Volk offenbart; noch ist sie ein über diese Offenbarung hinausreichender intelligibler Fortschritt in dem Sinne, in dem jede dieser beiden Erfahrungen eine neue Wahrheit über die Seinsordnung, über die kompakte Wahrheit des Mythos hinaus, differenziert. Der Seinssprung, das epochale Ereignis,
das
die
Kompaktheit
des
frühen
kosmologischen
Mythos bricht und die Ordnung des Menschen unmittelbar unter Gott stellt, ereignet sich — dies muß anerkannt werden — zweimal in der Geschichte der Menschheit, ungefähr zur gleichen Zeit, im Nahen Osten und in den benachbarten
Zivilisationen der Ägäis. Zwar laufen beide Ereignisse zeitlich parallel und haben die Opposition zum Mythos miteinander
gemein,
doch sind sie voneinander
unabhängig;
und
die beiden Erfahrungen unterscheiden sich von ihrem Inhalt her so grundlegend voneinander, daß sie sich in den zwei verschiedenen Symboliken der Offenbarung und der Philosophie artikulieren. Vergleichbare Brüche mit dem Mythos,
ebenfalls von unterschiedlicher Beschaffenheit,
er-
eigneten sich zudem gleichzeitig im Indien des Buddha und
im China des Konfuzius und des Lao-tzu.
Diese
vielfachen
und
parallel
komplizieren die Probleme
verlaufenden
der Beziehungen
Ereignisse
zwischen den
Ordnungen konkreter Gesellschaften und der Ordnung der Menschheit,
die
in
jedem
dieser
einzelnen
Sprünge
ent-
stehen; und sie werfen neue Probleme auf, die in den ge45
sonderten Studien über israelitische und hellenische Ordnung nicht akut werden. Einige Betrachtungen über diese Klasse von Problemen sind hier als Einführung in den hellenischen Bruch mit dem Mythos am Platze. Das primäre Feld der Ordnung ist die einzelne Gesellschaft menschlicher Wesen, die sich für Aktionen zum Zweck der Selbstbehauptung organisiert. Wäre die menschliche Art jedoch nichts anderes als eine Vielfalt solcher Agglomerate, denen alle wie in den Insektenstaaten unter dem Zwang des Instinkts demselben Ordnungstyp zugehören, dann gäbe es keine Geschichte. Menschliche Existenz in Gesellschaft hat Geschichte,
weil sie über eine Dimension
des
Geistes und der Freiheit jenseits bloßer animalischer Existenz verfügt, weil soziale Ordnung eine Grundeinstimmung des Menschen in die Ordnung des Seins darstellt und weil diese Ordnung vom Menschen verstanden und in der
Gesellschaft mit zunehmender Annäherung an ihre Wahr-
heit realisiert werden kann. Jede Gesellschaft ist zum Überleben in der Welt organisiert, ebenso aber auch zur Partnerschaft in der Ordnung des Seins, die ihren Ursprung im welttranszendenten göttlichen Sein hat; sie muß mit dem Problem ihrer pragmatischen Existenz fertigwerden, sich aber zugleich auch um die Wahrheit ihrer eigenen Ordnung kümmern. Dieses Ringen um die Wahrheit der Ordnung ist die Substanz der Geschichte; und insofern Annäherungen an die Wahrheit tatsächlich von den Gesellschaften in ihrer zeitlichen Folge erzielt werden, transzendiert die einzelne Gesellschaft sich selbst und wird zum Partner im gemeinsamen Bemühen der Menschheit. Jenseits des primären Feldes
der
Ordnung
erstreckt
sich
ein Sekundärfeld,
der
Zu-
kunft gegenüber offen, in dem die Menschheit als das Subjekt der Ordnung in der Geschichte konstituiert wird. Die Menschheit ist daher weder eine bloße Spezies im biologischen Sinne, noch sind die einzelnen Gesellschaften nur Individuen der Gattung „menschliche Gesellschaft". Wäh-
46
rend die Gesellschaften und ihre Ordnungen Gattungsqualitäten besitzen, durch die sie als solche erkennbar sind, bleiben diese Qualitäten doch unentwirrbar verwoben mit
den
singularen
Qualitäten,
die
die
ihres Status im Geschichtsprozeß, am
Entfalten
einer
Ordnung
Gesellschaften
kraft
kraft ihrer Partizipation
besitzen,
die
die Menschheit
als etwas die Spezies Übersteigendes offenbart. Die Natur des Menschen ist beides: generisch und singular. Die generisch-singulare Natur des Menschen ist nicht in gleicher Weise der Analyse zugänglich wie das Wesen einer finiten pflanzlichen oder tierischen Spezies. Zum einen, weil sich die Geschichte der Menschheit,
in der diese
Natur sich entfaltet, unwißbar in eine unbestimmte Zukunft erstreckt. Geschichte hat keinen wißbaren Sinn (eidos, Wesen),
und aus demselben
Unerkennbarem ist sogar möglich
das, ist,
ausdrücklich dem
in der Natur
was
über
eine
keineswegs
bekannt.
der Mensch
Grunde
des
verbleibt ein Rest von
Menschen.
menschliche
zu
allen
Denn
Zeiten
Geschichte
seine eigene
Natur
Zum
andern
Natur
zu wissen
allen
Menschen
ist der Prozeß,
in
artikuliert; und weder
die Dimension noch die Begrenzungen des Menschen sind explizit bekannt, solange sie nicht erfahren wurden und die Erfahrung nicht die Ordnung menschlicher Existenz artikuliert hat. Das gilt besonders für die historische Dimension der menschlichen Natur. Obwohl sie eine wesentliche
Komponente
des
Menschen
ihre Präsenz erst mit dem Nur wenn der Mensch von
darstellt,
erhebt
sich
Seinssprung ins Bewußtsein. der Wahrheit göttlich kosmi-
scher Ordnung zur differenzierten Erfahrung transzendent-
göttlicher Ordnung voranschreitet, erreicht die Ordnung menschlicher Existenz in der Gesellschaft die Helligkeit bewußt historischer Form - wie etwa im Fall des Auserwählten Volkes durch das Mosaische Antworten auf die Offenbarung. Die eben umrissene anthropologische und epistemologi-
sche Situation ist die abgründige Quelle der Schwierigkei47
ten für eine Philosophie der Geschichte. Denn die Menschheit, von der so einfach angenommen wird, sie habe Ge-
schichte, ist keineswegs
ein Objekt finiter Erfahrung.
So-
viel wir auch über Menschheit und Geschichte reden, so als
waren sie Objekte der keit nur die konkreten glieder sich kraft des erfahren. Wenn solch über die Seinsordnung Abfolge
menschlicher
Wissenschaft — es sind in WirklichGesellschaften gegeben, deren MitSeinssprungs in historischer Form ein Zentrum, erhellt von Wahrheit und ihrem Ursprung in Gott, in der Gesellschaften
entsteht,
dann
strómt
das Licht dieser Entdeckungen auch auf jene Abfolge zurück und verwandelt sie in die Geschichte der Menschheit,
in der
der Seinssprung stattgefunden hat. Die Wahrheit ist gewiD keine Illusion; und die rückblickende Entdeckung einer Geschichte der Menschheit ist es ebensowenig. Akzeptiert jedoch der Philosoph
die Wahrheit,
und
er tut dies, wenn
er
Geschichte und ihre Ordnung zum Gegenstand seiner Untersuchung wählt, dann muß er auch die geistigen Mysterien und theoretischen Probleme zur Kenntnis nehmen, die mit den phänomenalen Manifestationen der menschlichen Natur, gattungsbestimmt und singular wie sie ist, entstehen. Vor allem aber muß er die Phänomene selbst zur Kenntnis nehmen. Es sind hauptsächlich vier Phänomene, die Schwierigkeiten verursachen: (1) Ereignet sich der Seinssprung, so verwandelt er die Abfolge zeitlich vorangehender Gesellschaften in eine Vergangenheit der Menschheit. (2) Während der Seinssprung eine neue Wahrheit über die Ordnung gewinnt, gewinnt er weder die ganze Wahrheit, noch errichtet er eine endgültige Ordnung für die Menschheit. Das Ringen um die Wahrheit der Ordnung setzt sich auf der neuen historischen Ebene fort. Wiederholungen des Seinssprungs korrigieren die anfángliche Einsicht und ergänzen sie durch neue Entdeckungen;
und
die
Ordnung
menschlicher
48
Existenz,
wie
tief
die neue
Wahrheit sie auch beeinflussen
mag,
bleibt
dennoch die Ordnung einer Vielzahl konkreter Gesell-
schaften. Mit der Entdeckung ihrer Vergangenheit hat die Menschheit nicht etwa das Ende ihrer Geschichte erreicht, sondern
kunft
bewußt
nung
des
ist sich des
offenen
geworden.
Der anfängliche
Seinssprung,
Mythos,
ereignet
Horizonts
ihrer Zu-
der Bruch mit der Ordsich in einer Vielzahl
pa-
ralleler Fälle, in Israel und Hellas, in China und Indien,
(4)
jeder davon gefolgt von einer eigenen einheimischen Geschichte von Wiederholungen auf der neuen Ebene der Existenz. Die parallel stattfindenden Seinssprünge unterscheiden sich erheblich voneinander,
sowohl
hinsichtlich der Ra-
dikalität ihres Bruchs mit dem kosmologischen Mythos wie hinsichtlich der Reichweite und des Tiefgangs ihres Vordringens zur Wahrheit über die Seinsordnung. Die parallelen Ereignisse sind nicht gleichrangig. Auch die Mysterien und Probleme, die inden phänomenalen Manifestationen gründen, lassen sich auf eine kleine Zahl von Haupttypen reduzieren: (1) Da sich der Seinssprung tatsächlich ereignet und durch die Menschheit als historisch zu höheren Formen der Existenz
in Wahrheit
fortschreitend
endeckt wird,
wird
die Beziehung zwischen diesem verstehbaren Fortschreiten der Menschheit und dem Sinn konkreter menschlicher Existenz problematisch. Inmitten des progressivistischen Rausches des 18. Jahrhunderts stellte Kant
die nüchterne
Frage,
welches
Interesse
eine
Ge-
neration von Menschen zu irgendwelcher gegebenen Zeit am Fortschritt der Menschheit zu einem kosmopolitischen Reich der Vernunft haben könnte. Selbst wenn ein Mensch die Mühen seines Lebens als einen Schritt
der Menschheit
in Richtung
deutete, würden
die Früchte
49
auf die Vollkommenheit
seiner Mühen
ja doch
erst
den Menschen einer fernen Zukunft zugute kommen. Folglich gibt der Sinn der Geschichte nicht die Antwort auf die Frage nach dem Sinn im menschlichen Leben. Vom Fortschritt in der Geschichte werden wir auf den Fortschritt der Pilger zur gnadenhaften Vollendung im Tode zurückverwiesen. Die Bestimmung des Menschen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Ewigkeit. Trotz-
dem beseitigt das Aufwerfen der Frage keineswegs die
(2)
Fortschritte der Menschheit auf die Wahrheit der Ordnung hin. Kant zweifelte nicht an der Realitát des Fortschritts. Die Relation zwischen persónlicher Vollendung und der Partnerschaft in Vollendung der Menschheit ist ein Mysterium. Kant fragt vom Standpunkt des Menschen, der von seiner Gegenwart in die Zukunft blickt. Die Fragestellung verschärft sich, wenn
auf einer höheren fahren
man
bedenkt,
wie die Nachfahren
Stufe im Geschichtsprozeß
auf der tieferen
Stufe behandeln,
ihre Vor-
die schließlich
auch einmal eine Gegenwart hatten. Denn nach dem Seinssprung wird der Ordnung der kosmologischen Reiche rückblickend nicht nur ein Vergangenheitspunkt angewiesen; sie sinkt auch in eine Vergangenheit essentieller
Existenz durch
den
Unwahrheit
ab,
die
unter Gott überholt Berith
sein
Leben
von
der
worden findet,
unmittelbaren
ist. Wenn wird
Israel
Ägypten
zu
scheol, der Unterwelt der toten Seelen; wenn Israel im Reiche Gottes seine Freiheit erlangt, wird die pharaonische Ordnung zum Haus der Knechtschaft. Auf dieselbe Weise degradieren auch die hellenischen Dichter und Philosophen von Hesiod bis Platon die Vergangenheit; durch
den
Seinssprung
zur aletheia,
zur
Wahrheit
der
Existenz, wird der alte Mythos zum pseudos, zur Falschheit der Lüge,
zu der existenziellen Unwahrheit,
in der
die Vorfahren lebten. Auch in den Händen der Modernen geht es der Vergangenheit kaum besser: die Primitiven sind ,prálogisch", die Antike gefällt sich in an-
ο0
thropomorphen Gotterdarstellungen, ohne ihre selbstfabrizierten Trugbilder zu durchschauen, und das Mittelalter ist einfach dunkel. Natürlich gibt es auch andere Einstellungen zur Vergangenheit der Menschheit: Den Abwertungen lassen sich leicht Lobreden auf die Vergangenheit, Bewunderung für klassische Zeiten und Ausdrücke generóser Anerkennung für die sogenannten ,Beitráàge" früherer Gesellschaften zu dem nunmehr erreichten Hóhepunkt der Zivilisation entgegenstellen. Deutlicher als diese Preisungen weisen aber die abschátzigen Urteile auf das Problem hin: daf die Ver-
gangenheit der Menschheit nicht ein Schauspiel ist, das inszeniert wurde,
um
einer Gegenwart,
die damals
Zu-
kunft war, Gelegenheit zu Lob oder Tadel zu geben. Die Natur des Menschen bleibt konstant, auch wenn sie sich im Verlauf der Geschichte aus der kompakten zur differenzierten Ordnung entfaltet. Die nachweisbaren Stufen der wachsenden existenziellen Wahrheit sind
nicht das Ergebnis einer Anderung der Natur des Men-
schen"; denn die würde die Einheit der Menschheit zerstóren und sie in eine Abfolge verschiedener Gattungen auflösen. Schon die Idee der Geschichte der Menschheit setzt bereits die Konstanz der menschlichen Natur voraus, und die Tatsache dieser Konstanz wird durch die Erfahrung des Seinssprungs selbst bezeugt, d. h. durch die Erfahrung eines Übergangs von der Unwahrheit zur existenziellen
Wahrheit,
worin
derselbe
Mensch
vor
der Eingebung göttlichen Seins der „alte Mensch"
und
nachher der ,neue Mensch" ist. Das Schauspiel der Ordnung wird vor Gott aufgeführt, nicht vor der Zukunft. Die Ordnung menschlicher Existenz steht in der Gegenwart Gottes auch in jenen Zeiten, in denen
das Bewußt-
sein dieser Gegenwart sich noch nicht aus der Kompaktheit des Mythos herausgelöst hat. Darum muß sich der Geschichtsphilosoph
Vergangenheit
immer
bewußt
bleiben,
daß
die
und Zukunft der Menschheit ein Horiοἱ
zont ist, der jede Gegenwart umgreift, auch wenn
ihn
nur der Seinssprung ins Bewußtsein erhebt. Zwar wissen wir dank unserer Existenz in historischer Form, daß sich die Wahrheit der Ordnung im Laufe der Geschichte differenziert, Menschheit
aber eine
weder
wissen
Geschichte
hat,
wir,
noch
warum
wissen
wir
die ir-
gend etwas über ihr Ziel in der Zukunft. Die Jahrtausende, in denen das Mysterium der Geschichte die Ebene des
Bewußtseins
erreicht,
haben
die
Distanz
zwischen
Geschichte und Ewigkeit nicht verringert. Der Philosoph muß sich vor dem Trugschluß hüten, das Bewußtsein von einem sich entfaltenden Mysterium in die Gnosis eines Fortschrittes in der Zeit umzuformen. Das Studium der Ordnung hat nicht den Zweck, die Primitivitát, die Naivität, den Mangel an Logik oder die generelle Umnachtung vergangener Epochen zu enthüllen; sie soll im Gegenteil Menschen
zeigen, die von der-
selben Natur wie wir sind und mit denselben Problemen kámpfen wie wir, wenn auch unter den Bedingungen kompakterer Realitátserfahrungen und dementsprechend undifferenzierterer Symbole. Dieses Problem der Geschichtsinterpretation ist kaum noch erkannt, und die Arbeit einer Neuinterpretation des historischen Materials nach kritischen, nichtideologischen Relevanzprinzipien steht noch in den ersten Anfängen. Nur wenn die Konstanz der menschlichen Natur und die Gleichheit ihrer Ordnungsprobleme in jeder Gegenwart theoretisch gegen ideologische Fehlkonstruktionen abgesichert sind, gibt das Problem einer Menschheit, die in der Geschichte hóheren Wahrheitsstufen
zu-
strebt, seine gewaltigen Ausmafe zu erkennen. Denn eben weil das Ordnungsproblem für alle Menschen zu allen Zeiten dasselbe ist und weil nicht weniger als die Existenz in Wahrheit unter Gott auf dem Spiele steht,
geht jede neu differenzierte Einsicht in die Wahrheit
der Ordnung einen jeden an. Der Seinssprung impliziert
92
sowohl die Pflicht mitzuteilen wie die Pflicht zu hören.
Offenbarung und Hören sind nicht Privatangelegenhei-
ten;
die
Offenbarung
wird
einem
Menschen
für
alle
Menschen gegeben, und in seinem Hören repräsentiert er die Menschheit. Und weil dieses Respondieren repräsentativ ist, verleiht es dem Empfänger der Offenba-
rung seines Mitmenschen gegenüber die Autorität des Propheten. Diese
Struktur
der
Autorität,
um
die
herum
Geschichte der Menschheit aufbaut, würde
sich
die
schon darum
wieder Schwierigkeiten erzeugen, weil sie die menschlichen Leidenschaften ins Spiel bringt. Weder ist spiri-
tueller Eifer notwendigerweise mit Taktgefühl verbunden,
noch
ist der Mensch
im
allgemeinen
eine neue autoritäre Stimme anzuerkennen,
gerne
bereit,
wennersie
hört. Diese Schwierigkeiten verschärfen sich durch die Vielzahl gleichzeitiger und sukzessiver Autoritäten, deren rivalisierende Ansprüche von historisch kontinuierlichen Gefolgschaften bis in unsere eigene Gegenwart hineingetragen werden. Auch der Philosoph der Ordnung und Geschichte kann diesen leidenschaftlichen Konflikten nicht entgehen. Wenn wir in unserer Arbeit von Israel auf Hellas übergehen, müssen wir bereit sein, den harten, aber legitimen Fragen zu begegnen, die man sofort aufwerfen wird: Warum gehen wir von Israel nicht auf China oder Indien über? Warum gehen wir überhaupt zeitlich parallel vor, anstatt dem Augustinischen Vorbild einer jüdisch-christlichen historia sacra zu folgen und die hellenische Philosophie auszuschlieDen? Oder ganz radikal: Warum begannen wir überhaupt mit Israel statt mit Indien oder China? Geben wir uns etwa bei der Wahl des Ausgangspunktes und der Richtung dieser Arbeit einem „abendländischen Vorurteil" hin? Wie immer unsere Antworten lauten werden- und nur die abgeschlossene Arbeit über Ordnung und Geschich99
te als Ganzes
kann
sie
geben
-, eines
sollte
nunmehr
klar sein: daß eine Geschichtsphilosophie nicht ein persönliches Festhalten erinnernswerter Ereignisse sein kann,
von
der
Hoffnung
beschwingt,
daß
jene
Leiden-
schaften, denen vergangene Phänomene ihr Überleben im Gedächtnis der Menschheit verdanken, ihre Auswahl sorgfältig getroffen haben. Eine solche Philosophie muß die autoritativen Strukturen in der Geschichte der Menschheit kritisch studieren. Weder darf sie die autoritativen Verkündigungen der Ordnungswahrheit, wie sie im Verlauf der Geschichte der Menschheit auftraten, sympathisch als gleichrangig behandeln - denn das
heißt,
in
den
Übeln
und
des Relativismus
des
Historismus,
versinken;
noch
der
darf man
Skepsis sie am
Maßstab einer letztgültigen Wahrheit messen und verwerfen, ob nun solche Letztgültigkeit einer vergangenen Wahrheit oder einer von uns selbst entdeckten neuen Wahrheit zugesprochen wird - denn ein solcher Absolutismus würde uns in den gnostischen Trugschluß verstricken, daß die Geschichte ihr Ende erreicht hat. Eine
Analyse,
die kritisch
sein will,
muß
die Tatsache
anerkennen, daß die Wahrheit über die Seinsordnung aus der Ordnung der Geschichte hervorgeht. Der Logos der Geschichte selbst gibt uns die Instrumente für die
kritische Prüfung ordnung Denn
ohne
der
und für die Bestimmung
autoritativen
Strukturen
an
der Rangdie
Hand.
den Seinssprung, der Gott und Menschinihre
gegenseitige Präsenz stellt, ohne die Differenzierung von Geschichte als der inneren Form der Existenz in Opposition zur kosmologischen Ordnungsform, gäbe es kein Problem einer Geschichte der Menschheit; und ohne die Differenzierung des Logos in der Psyche, ohne die Differenzierung philosophischer Existenz, wäre das Problem der Geschichte kein Problem der Philosophie. Die Vielzahl der Autoritäten muß kritisch beurteilt werden, und ihr relativer Rang bestimmt sich nach dem Maf ihrer
54
Nähe zur Klarheit historischen Bewußtseins und ihres Vordringens zur Ordnung der Psyche und der Welt. Die Prinzipien, die ich soeben zu formulieren suchte, sollen der kritischen Fundierung von Order and History dienen. Da sich diese Studie nun aber innerhalb der jahrtausendealten historischen und philosophischen Formen bewegt, die ihr
Gegenstand
sind,
und
da
im
Verlauf
dieser
tausend-
jährigen Geschichte mehr als nur einmal der Versuch unternommen wurde, das Wesen der Phänomene zu erforschen und die Prinzipien ihres Studiums zu formulieren, ist es notwendig, den vorliegenden Versuch zu seinen Vorgängern in Beziehung zu setzen. Zweimal in der Geschichte der Menschheit wurde das Problem aufeinanderfolgender und paralleler Seinssprünge akut: ein erstes Malin der Antike, durch die zeitgenössischen geschichtlichen Arbeiten zu den historischen und philosophischen Formen in Israel und Hellas und zur Absorbierung dieser Formen durch das Christentum;
dann
ein zweites
Mal
in der Moderne
durch
die
Ausweitung des historischen Horizontes, der die parallel laufenden Geschichten des Fernen Ostens mit einbezog.
In Israel ergaben
sich die Geschichtsprobleme
mit der
Entstehung des Auserwählten Volkes in Opposition zur Pharaonischen Ordnung. Sie fanden innerhalb Israels ihre
Fortsetzung im Widerstand
der Propheten gegen das Ge-
setz sowie im Seinssprung bei Deutero-Jesaja, wo sie den Gipfel symbolischen Ausdrucks in der Figur des Leidenden Knechts und dem Exodus Israels von sich selbst erreichten.
Diese aufeinanderfolgenden Klärungen der Existenz unter Gott wurden
mit Hilfe der ursprünglichen
Symbole
durch-
geführt: durch die Revision der Botschaft vom Berge Sinai, dadurch, daß ein Neuer Bund dem Alten Bund entgegen-
gestellt wurde, und durch die Transformation der Symbole des Gesalbten und des Knechts. Lediglich gegen Ende taucht bei Deutero-Jesaja etwas wie eine theoretische Behandlung des Problems
auf: eine Theologie
99
der Geschichte,
in der die
Welt, Israel und die Erlösung als die aufeinanderfolgenden Akte göttlicher Schöpfung und Offenbarung konstruiert werden. In Hellas, mit seinen verschiedenartigen Übergängen vom Mythos zur Philosophie wurde zuerst der alte Mythos als falsch von der neuen Wahrheit der mythischen Spekulation Hesiods abgesetzt; dann wurden sowohl der alte Mythos als auch die Spekulation Hesiods als falsch im Vergleich mit der Wahrheit der Philosophie erkannt; bis schließlich Platon das neue Konzept theologischer Typen entwickelte, an denen der Grad von Wahrheit und Unwahr-
heit in der Darstellung der Beziehung des Menschen zu Gott zu messen war. Die Phasen zunehmender Wahrheit wurden so in Hellas klar voneinander unterschieden; und spätestens in Platons Gorgias wurde der Übergang vom Mythos zur Philosophie als eine historische Epoche verstanden. Dennoch entstand eine, dem Deutero-Jesaja vergleichbare Geschichtstheologie erst in der hellenistischen Periode. Panaitios (ca. 180-110) entwickelte die sogenannte theologia tripertita — eine Unterscheidung göttlicher Gestalten in die physischen Götter der Philosophen, die politischen Götter der Ziviltheologie und die mythischen Götter der Dichter. Sein Schüler Poseidonius (ca. 130-50) konstruierte daraufhin eine Geschichtstheologie, derzufolge die Menschheit ursprünglich durch die Teilhabe ihres Logos an der schópferischen Kraft Gottes eine reine Vorstellung von dem einen unsichtbaren und nicht reprásentierbaren Gott besessen hatte, wáhrend die Diversifizierung in die unreinen Typen der theologia tripertita die Folge der Diversifizierung der Menschheit in eine Vielfalt von Vólkern war. Aus dieser Unreinheit der Diversifizierung mußte die Menschheit nun das einstige Verstándis der Wahrheit zurückgewinnen, eine Aufgabe, die repräsentativ von den stoischen Philosophen vollzogen wurde. Darüber hinaus wurden in dieser Konstruktion zum ersten Mal die parallelen Seinssprünge zum Problem. Poseidonius war Syrer - in die seiner Geburt vorausgehende Generation fielen die
56
Makkabäerkriege, und die Herrschaft der hasmonäischen Priester lief seiner eigenen Lebenszeit parallel. Er war daher mit dem Judentum durch die ,Tagesereignisse" vertraut. Er wußte von Moses: Er hielt ihn für einen ägyptischen
Priester
Anhángern
und
Herrscher
auswanderte
und
des
Deltas,
Jerusalem
der
als
mit
seinen
den
Ort
für
seine neue Siedlung eroberte. Moses war mit den Agyp-
tern und Hellenen wegen ihrer theriomorphen bzw. anthropomorphen Reprásentation der Gótter unzufrieden. Der Exodus wurde darum als Konflikt zwischen der frühen, wahren Konzeption des einen Gottes und den ágyptischen und hellenischen Entstellungen verstanden '. Die Phänomene, der Menschheit
in denen
wurzeln,
die Probleme
waren
einer Geschichte
sichtbar geworden,
ebenso
auch ein guter Teil der Probleme selbst. In Israel verstand man, daß das durch den Sinai-Bund konstituierte Auserwählte Volk nicht auf ewig glücklich in seinem Kanaan leben werde, sondern daß ein beschwerlicher Geschichtsprozeß auf der Stufe der Offenbarung eingesetzt hatte. Von diesem
Prozef
waren
die
Phasen
des
Gesetzes,
der
Pro-
pheten und der Rettung vom Exil schon durchlebt worden, und immer noch war kein Ende in Sicht. Ahnlich waren in Hellas die Phasen des alten Volksmythos, des spekulativen Mythos der Poeten und der Wahrheit der Philosophen bereits durchlebt und voneinander abgesetzt worden. Darüber hinaus war man sich sowohl in Israel wie auch in Hellas bewußt, daß diese Ereignisse nicht Lokalkontlikte waren, in
denen es um gesellschaftliche Macht ging, sondern daf im Kampf um die Wahrheit der menschlichen Existenz die Sache der Menschheit repräsentativ ausgetragen wurde. Dennoch gab es Faktoren, die einem tieferen Eindringen in die Probleme Grenzen setzten. Die Neuheit der Entdeckungen,
der
nale
Isolierung
Widerstand
einer
feindlichen
in verhältnismäßig
Umwelt,
kleinen
die
regio-
Gemeinschaf-
ten, der Kontrast zwischen der reprásentativen Bedeutung der Wahrheit und ihrer geringen sozialen Auswirkung, das 97
Andauern der weltlichen Vorherrschaft der kompakt geordneten
Gesellschaften,
die
im
Geist
vereinzelter
Menschen
und ihrer kleinen Gefolgschaft spirituell eine Vergangen-
heit der Unwahrheit repräsentieren - all das schuf eine Situation,
in
der
Entdeckerfreude
und
Wahrheitseifer
den
Mühen Gehör zu finden und dem Kampf gegen die Trägheit menschlicher Natur erlagen. In der Bitterkeit dieses Kampfs ums Dasein mußte der Akzent stärker auf den Unwahrheitscharakter der Vergangenheit als auf ihren Charakter einer Vorbereitung auf die neue differenzierte Wahrheit fallen. Der Konflikt zwischen dem repräsentativen Fortschreiten der Wahrheit und den empirischen Geschaften war noch so intensiv, daß der Charakter der wider-
standleistenden Gesellschaften als Mitglieder der reprásentierten Menschen sowie ihre historische Funktion als Matrix der neuen Wahrheit noch nicht klar erfaßt werden konnten. Ein tieferes Eindringen in die Probleme litt zudem darunter, daß der Bruch mit der kosmologischen Ordnung als solcher nicht so radikal wie der emotionale Schock massiv
war,
den
schon
der
teilweise
Bruch
auslóste.
In
Israel erkannte man nur allmáhlich, dab die Ordnung menschlicher Existenz unter Gott in der Tat eine universale Ordnung der Menschheit war und deshalb nicht adäquat durch die Konstituierung eines Auserwáhlten Volkes auf einem bestimmten Territorium reprásentiert werden konnte. Und als sich diese Einsicht schließlich durchsetzte, zerbrach das Volk an den beiden gleichermaßen vehementen Antworten: des Rückzugs ins Gehäuse des Judentums und der explosiven Ausdehnung des Christentums. In Hellas fand Platons Verstándnis der historischen Epoche, die durch die Philosophie geschaffen worden war, seine Grenze durch den Mythos der kosmischen Zyklen. Und schließlich dürfen mangelnde empirische Kenntnisse vom historischen Prozeß als Ganzem als ein begrenzender Faktor nicht unterschätzt werden. So muß z. B. in der Konstruktion des Po-
seidonius nicht nur die Begrenzung 98
durch den kosmologi-
schen Mythos
beachtet werden,
Ergebnisse des Seinssprungs
die ihn dazu verleitete,
die
in ein Goldenes Zeitalter zu
verlegen (nach Hesiodischer Art an den Beginn der kosmischen Geschichte), sondern auch das Fehlen präziser Kennt-
nisse von
der Geschichte
Chronologie,
das
es ihm
Ägyptens
und
gestattete,
Israels
Moses
zum
und ihrer Repräsen-
tanten eines ursprünglichen Wissens zu machen, der gegen dessen Entstellung rebellierte.
Zu einer entscheidenden
kam
es durch
Paulus,
Änderung
das Erscheinen
besonders
im Brief
Christi.
an
in dieser Situation
In den
die Römer,
Briefen von
stoßen
wir
zum
ersten Mal auf ein tiefgreifendes Verständnis der wechselseitigen Teilnahme des Menschen am Vordringen der Menschheit zur Wahrheit und der Menschheit an der Wahrheit von jedermanns Existenz. Das Gesetz Israels und der
Juden ist für Paulus keineswegs eine bloße Vergangenheit, die nunmehr
durch
den
Glauben
ersetzt wird,
sondern
ge-
rade die Bedingung für die Ausdehnung der göttlichen Gnade durch Christus. Denn Gnade wird nun auch auf den Sünder ausgedehnt; nur wenn der Mensch sich seiner Existenz in der Unwahrheit
der Sünde
bewußt
ist, nur wenn
er sei-
nes Todes gewahr wird, befindet er sich auf dem Weg zum Leben; und dieses Bewußtsein des Todes in der Sünde wird geweckt,
wenn
sich der Mensch
außerstande
sieht, das Ge-
setz zu erfüllen. „Ich habe die Sünde erst durch das Gesetz kennengelernt. Denn ich wüßte von der Begierde nichts,
wenn
nicht das Gesetz
sagte:
Du
sollst nicht begehren"
(Röm. 7,7). „So ist das Gesetz unser Erzieher (paidagogos) auf
Christus
hin
geworden,
damit
wir
durch
den
Glauben
gerechtfertigt werden. Seitdem aber der Glaube gekommen ist, stehen wir nicht mehr unter dem Erzieher" (Gal. 3,24-25). Dem Höhepunkt der Offenbarung, dem Eintritt Gottes in die Geschichte durch die opferbereite Annahme menschlicher Gestalt, folgte eine plötzliche Luminosität des spirituellen Lebens des Menschen. Drei Stufen werden von Paulus unterschieden: 99
(1) Die dunkle Existenz vor dem Gewahrwerden wahrheit der Existenz. (nomos)" Róm. 7,9).
(2) Das Bewußtsein
„Ich
lebte
einst
ohne
der Existenz in Unwahrheit.
der UnGesetz
„Sobald
aber das Gesetz (entole) kam, lebte die Sünde auf und ich verfiel dem Tode" (7,9-10). Die Wiedererweckung durch den Glauben. „Denn das
(3)
Gesetz des Geistes, der das Leben in Christus Jesus gibt,
hat mich befreit vom Gesetz der Sünde des Todes” (8,2). Diese gattungsmäßigen menschlichen Stufen des geistigen Prozesses sind gleichzeitig die historisch einzigartigen Phasen,
durch
die
die
Menschheit
in der
unerforschlichen
Ordnung der Schöpfung zur Erleuchtung der Existenz durch den
Glauben
2,14-16;
emporwächst
8,18-25).
Von
(Röm.
passim;
der natürlichen
und
Ordnung
1,18-32; der Helle-
nen und Barbaren über das alte Gesetz des Auserwählten Volkes schreitet die Menschheit zum Selbstverständnis im
neuen Gesetz der Christen vor.’ Die
Paulinische
Einsicht wirft Probleme
auf, die in den
Briefen sichtbar, aber nicht bis in alle Konsequenzen
durch-
dacht werden. Während die drei Stufen zeitlich aufeinanderfolgen, heben sie sich doch nicht gegenseitig auf. Weder löst sich mit der Entstehung des Auserwählten Volkes die kosmologische
Reichsordnung
auf, noch
lösten
sich die Ju-
den in die Christenheit auf, die aus ihnen entstand. Die Gesellschaften der neuen Wahrheit waren kleine Enklaven in einer Menschheit, die wenig Neigung spürte, sich der repräsentativen Autorität zu beugen. Die Folge der Stufen verbreitete
sich
zur
Koexistenz
von
Gesellschaften,
die
durch ihre Ordnungstypen verschiedenen Perioden der Menschheitsgeschichte angehören. Paulus reagierte auf dieses Phänomen mit den Theologomena der Prädestination, ohne allerdings im einzelnen die historischen Aspekte des Problems zu erforschen. In seiner Analyse des geistigen Prozesses beschäftigte er sich mit den Motiven der Fortdauer des Gesetzesgehorsams und des ihm korrespondie-
60
renden Widerstandes tive im Dämonismus
gegen den Glauben. Er fand die Modes Fleisches, das glaubt, es könne die
eigene Erlösung durch Werke, durch die Einhaltung des Gesetzes, bewirken, und darum die Erlösung durch göttliche Gnade (charis) zurückweist. Und gegen diesen Widerstand erklärt er: „Durch Gesetzeswerke wird kein Mensch gerechtfertigt“ (Gal. 2,16). Nicht so sehr die Verletzung des Gesetzes als das Vertrauen in die Rechtfertigung durch seine Erfüllung ist die Sünde, die in den Tod führt. Wenn wir auch die Tiefe dieser Einsicht nicht in Zweifel ziehen, können wir sie doch nicht als Antwort auf jene Fragen akzeptieren, die sich aus der Fortdauer des Judentums ergaben. Die Paulinische Methode historischer Interpretation leidet darunter, daß sie die Probleme der Kompaktheit und der Differenzierung nicht in Betracht zieht. Wenn Paulus den geistigen Prozeß interpretiert, insbesondere die Beziehung zwischen Gesetz und Sünde, so ergeben sich seine Einsichten aus der Erfahrung seines Glaubens an Christus. Nur im Rückblick, bens,
aus der Sicht des einmal erreichten Glau-
offenbart sich das Alte Gesetz
Gesetz des Geistes; nur wenn
als Führer
zum
Neuen
sich die Erfahrung der Recht-
fertigung durch den Glauben differenziert hat, wird der Gesetzesgehorsam jene differenzierte Bedeutung einer „Rechtfertigung durch Werke" annehmen, die sie in den Paulinischen Briefen besitzt. Für die Menschen, die ungebrochen in der jüdischen Tradition weiterleben, existieren Probleme dieser Art jedoch nicht. In der kompakten Ordnung des Auserwählten Volkes ist die Torah nicht vom Bund zu trennen; und der Bund ist ein bedingungsloser Akt göttlicher
Gnade,
gesondert wird
durch
den
als das am
Israel
Yahweh,
von
den
Nationen
das Volk
Gottes.
aus-
Das
Auserwähltsein Israels basiert nicht auf der Befolgung des Gesetzes,
sondern
—
was
Paulus
offensichtlich
nicht
zur
Kenntnis nahm - auf dem Akt göttlicher Gnade. Die „Söhne Gottes" sind schon „die von Yahweh Erlósten" und brauchen daher zu ihrer Erlösung keinen Sohn Gottes. Das Ju-
61
dentum hat seine eigene Theologie der Sünde und der Erlösung,
die
auf
der
Ebene
ethnischer
Geschlossenheit
pa-
rallel zur universalischen Theologie des Christentums ver-
läuft ἡ. Diese Anerkennung
der Parallelität leugnet natür-
lich nicht die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum hinsichtlich der Wahrheitsebene. Aber jede Ordnung hat ihre eigene Präsenz unter Gott, wie wir das Prinzip formulieren;
und diese Präsenz
wird
nicht aufgehoben,
wenn sie aus der Sicht einer differenzierten Ordnungserfahrung zu einer Vergangenheit wird. Daher ist der Widerstand gegen repräsentative Fortschritte der Wahrheit sowie die Fortdauer kompakt geordneter Gesellschaften Seite an Seite mit differenzierteren Ordnungen, ein Teil des Mysteriums der Menschheit, das sich in der Geschichte entfaltet. Dieses Mysterium darf weder durch progressivistische Slogans über ,rückstáàndige" Völker zerstört werden, noch dadurch, daß man das Überleben des Judentums mit dem pseudowissenschaftlichen Etikett ,Versteinerung" versieht. Es muß vielmehr mit äußerster Vorsicht und Respekt in einer kritischen Philosophie der Geschichte untersucht werden. Die Hellenen und Römer waren sensitiver für die Probleme koexistenter Ordnungen als die Propheten, Juden und Christen. Die theologia tripertita in der Form, wie sie Panaitios entwickelte, muß von einer Toleranz erfüllt gewesen sein, die einen Philosophen nicht dazu verpflichtete, sich mit jedermann anzulegen, der ihm nicht in der Befolgung seiner Wahrheit folgte. Denn die principes des republikanischen Roms konnten sie als Führer zur Schlichtung des Konflikts zwischen ihren eigenen philosophischen Neigungen und dem Kult der Stadt akzeptieren und sie in die römische Theologie umsetzen,
die noch von Augustinus
er
als
seine
Civitas
Dei
schrieb,
Christentums angesehen wurde. Scaevola (gestorben 82 v. Chr.), Roms,
war
sich
mit
seinem
die
Gegnerin
des
Der Pontifex Maximus der höchste Kultbeamte
Lehrer
62
große
als
Panaitios
hinsichtlich
der relativen Wertigkeit der Typen der Theologie einig, wenn er die philosophische als die höchste ansah; doch hielt er es für unklug,
das Volk
und
seinen
Kult durch
die Aus-
streuung höheren Wissens zu verwirren. Die zivilen und philosophischen Theologien würden in der Gemeinschaft Seite an Seite zu existieren haben; und Sceavola selbst bereitete es offenbar keine Schwierigkeiten, gleichzeitig Philosoph und Pontifex Maximus zu sein. Leider wissen wir praktisch nichts über die Ordnungserfahrungen, die eine solche Politik ermóglichten. Augustinus, unsere wichtigste Quelle, berichtet weder, warum Scaevola gewisse Teile der philoso-
phischen Wahrheit als überflüssig für das Volk ansah, noch welche Teile dies waren; und seine Angriffe auf die von den
Hohen Priestern praktizierten Täuschungen werden dem Problem ebensowenig gerecht wie die Kritik von Paulus den strittigen Fragen des Judentums ‘. Wir können nur das
Pattern
zweier
Ordnungen
zur
Kenntnis
nehmen,
die
gleichzeitig in derselben Gesellschaft maßgeblich sind und von einer Gruppe philosophischer Herrscher zusammengehalten werden, die in der Öffentlichkeit weiterhin den Kult des Volkes praktizieren. Das Pattern ist unverkennbar eine Alternative zu der Lösung, die Ziviltheologie mit der Wahrheit der Offenbarung zu verbinden, wie sie in der Erfahrung und im Symbolismus des Auserwählten Volkes enthalten ist. Derselbe Mangel an Quellen verhindert eine genauere Kenntnis der Erfahrungen, die die principes des kaiserlichen Roms Christentum
dazu veranlaßten,
auszudehnen,
ihre Toleranz
auf das
und die es ihnen - von Konstan-
tin bis Theodosius — ermöglichen, die Doppelrolle eines christlichen Herrschers und eines heidnischen Pontifex Maximus zu spielen. Die Erfahrungen des Konflikts zwischen den Ordnungen und die Motive für die Harmonisierung in der Führungspraxis lassen sich mit einiger Sicher-
heit nur in den literarischen Quellen der hellenischen Periode erkennen,
die in den vorliegenden
und Philosophie behandelt werden. 63
Bänden
über Polis
Die
Frage
der
vielfachen
und
parallelen
Seinssprünge
stellte sich ein zweites Mal mit der Ausweitung des historischen Horizontes - eine Periode, die im 18. Jahrhundert begann und bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Während keine grundlegend neuen Probleme zusätzlich zu den bereits erörterten aufgetaucht sind, ist die theoretische Situation aus zwei Gründen ziemlich verwirrend. Zunächst einmal waren die Probleme, die bereits in der Antike aufgetreten waren,
niemals
überzeugend
vorschnellen Verallgemeinerungen
Phänomene
analysiert worden.
der damals
Die
bekannten
waren in die Civitas Dei von Augustinus und
in die parallele Geschichte wider die Heiden von Orosius eingegangen. Diese Augustinische Konzeption von Menschheit und Geschichte war sodann durch das Mittelalter überliefert worden und brach nun, im 18. Jahrhundert, unter der
Last des angewachsenen Wissens zusammen. Dieses enorme Anwachsen phänomenalen Wissens fiel, zum zweiten,
in das
Zeitalter
des
intellektuellen
Zusammenbruchs
im Westen. Das Resultat war ein übermäßiges, geradezu vegetatives Anwachsen gnostischer Geschichtsspekulation, das die Natur des Problems eher verdunkelte als erhellte. Erst seit der letzten Generation ist eine Genesung von der theoretischen Konfusion feststellbar. Da diese komplexe Periode in der Geschichte der Ordnung ausführlich im letzten Band von Order and History behandelt werden wird, werde ich mich im gegenwärtigen Zusammenhang auf den Versuch
beschränken,
die
Probleme,
die
mit
dem
Zusam-
menbruch der Augustinisch-Orosischen Autorität zum Vorschein kamen,
aufzuzählen
und kurz zu charakterisieren.
Als die Periode begann, war die Geschichtskonstruktion von Augustinus in der Form, in der Bossuet sie ausgearbeitet und in seinem Discours sur l'histoire universelle von 1681 zum letzten Mal auf den neuesten Stand gebracht hatte, noch akzeptiert. Die Konstruktion hatte stets dar-
unter gelitten, daß die Ereignisse in der Geschichte Israels,
soweit
sie durch
die biblischen
64
Erzáhlungen
bekannt
wa-
ren, gefolgt vom Erscheinen Christi und der Geschichte der
Kirche, unter dem Titel einer historia sacra in den Rang der repräsentativen Geschichte der Menschheit erhoben worden waren, während die Geschichte der kosmologischen Reiche, von
Griechenlands
profaner
und
Geschichte
Roms
zu
gemacht
einer
Nebenhandlung
worden
war,
mit
der
repräsentativen Geschichte etwas mühsam verknüpft durch Kategorien
wie die praeparatio
evangelica,
die qualvollen
Leiden der Juden und Christen, die Vorsorge für einen imperialen Frieden, in dessen Schutz die christlichen Missionare sicher umherreisen und im ganzen Reich das Evangelium verbreiten konnten, und das erbauliche Schauspiel von Aufstieg und Fall weltlicher Macht. Das Problem der konkreten Gesellschaft, deren Ordnung
beides ist, eine Or-
ganisation für das pragmatische Überleben wie auch eine Grundeinstimmung in die Ordnung des Seins, war entweder völlig verschwunden oder in den Hintergrund theoretischen Bewußtseins zurückgetreten. In dieser Hinsicht war die Augustinische Konstruktion ein Erbe der Mängel der Paulinischen Methode historischer Interpretation. Schon in der Spätantike hatte die Konstruktion eine generöse Vernachlässigung widerspenstiger Phänomene erfordert, wie etwa die Existenz eines Sassaniden-Reiches Seite an
Seite
alters,
mit als
dem die
Römischen
Reich;
Organisation
des
im
Laufe
des
mediterranen
MittelRaumes
durch Rom zusammengebrochen war und den zentrifugalen, parallelen Organisationen der byzanthinisch-orthodoxen, der arabisch-islamischen und der westlich-christlichen Zivilisation Platz gemacht hatte, hatte sich der Konflikt mit der
Realitát noch weiter verschárft; und im 18. Jahrhundert schließlich war er mit dem Aufstieg Rußlands zur Großmacht und dem allmáhlichen Vertrautwerden mit der GróDe und dem zivilisatorischen Rang Chinas untragbar geworden. Die großen Mängel der vorherrschenden Konstruktion,
die Dauer
ihres Fortbestandes,
flikte mit den Phänomenen
sowie
65
das
Ausmaß
der Umfang
der Kon-
der Anpas-
sung,
die nötig
war,
um
Theorie
und
Realität
wieder
mit-
einander in Einklang zu bringen - all diese Faktoren müssen bei der Bewertung der Reaktionen auf den unbefriedigenden Stand der Dinge in Rechnung gestellt werden. Nicht die ganze intellektuelle Verwirrung in Sachen historischer Interpretation, nicht einmal der ganze Dilettantismus, der bei dieser Gelegenheit zutage kam, ist allein den modernen
Denkern zur Last zu legen. Den wuchtigen Schlag gegen die Augustinische Konstruktion wie sie von Bossuet repräsentiert wurde, führte Voltaire 1756 in seinem Essai sur l'histoire générale. Der Angriff wurde primär auf der Ebene der Phänomene geführt:
Der
Nachweis
war
leicht,
daß
eine
eurozentrische,
unilineare Geschichtskonstruktion Phänomene wie China, Rußland und die arabische Welt auslassen mußte. Aber kaum war der Schlag geführt, wurde es klar, daß selbst eine mangelhafte Konstruktion, die wenigstens das Problem im Griff
hatte,
dem
dilettantischen
Geschick
tion auf der Ebene der Phänomene das Problem
der Menschheit
der
Argumenta-
vorzuziehen war. Denn
und ihrer Geschichte, weit da-
von entfernt, durch ein Anwachsen
der Zahl der untersuch-
ten Zivilisationen Ins Blickfeld zu rücken, verschwindet, wenn keine von ihnen als konstitutiv für die Menschheit kraft des Bewußtseins repräsentativer Humanität anerkannt wird, d. ἢ. kraft ihrer eigenen Existenz in historischer Form. Und die Gnosis des Fortschritts zur Vernunft der Bourgeoisie des 18.
Jahrhunderts, die Voltaire an die Stelle
der Augustinischen historia sacra zu setzen suchte, konnte zur Interpretation der Phänomene nur unter der Bedingung verwendet
wo heit
und
werden,
daß
niemand
wie der Symbolismus
entstanden
war,
die
fundamentale
einer historischen
aufwerfen
würde.
Denn
Frage,
Mensch-
Menschheit
konstituiert sich nicht durch einen Überblick über die Phànomene,
selbst wenn
ten Historiker
dieser von
vorgenommen
einem
wird,
umfassend
sondern
gebilde-
in der Erfah-
rung von Ordnung in der Präsenz unter Gott. Deshalb löste 66
der Angriff Voltaires auch keine Probleme, sondern brachte
sie lediglich ans Licht. Als die Probleme unter dem Druck neuer Phänomene zur Sprache kamen, trugen sie die Merkmale der AugustinischOrosischen Konstruktion, von der sie sich losgelöst hatten. Ihr Charakter
änderte sich sehr langsam, und der Prozeß ist
bis heute noch nicht zum Abschluß gekommen. Es ist deshalb angebracht, die wichtigsten Ansätze zu einer Lösung
hinsichtlich ihrer Beziehung zur Augustinischen Konstruktion zu klassifizieren. Eine
erste
Revision,
motiviert
durch
die
Erfahrung
der
parallelen Geschichtsabläufe, die bis in die Gegenwart des 18. Jahrhunderts reichten, konnte Aufstieg und Niedergang der Reiche in der profanen Geschichte isolieren, die vernachlässigten Phänomene einbringen und die Konstruktion von Typen in Angriff nehmen, die für alle Fälle aufsteigen-
der und untergehender
Gesellschaften gültig sind. Dieser
Weg wurde tatsächlich eingeschlagen. Die Reiche der früheren Konstruktion wurden zur Pluralität zivilisierter Gesellschaften; Zyklentheorie
und
die
Morphologie
der
der Geschichte, wurde
Zivilisationen,
die
ein Zweig der moder-
nen Geschichtswissenschaft. Wenn das Problem in radikaler Isolierung gegen die historia sacra formuliert wurde, wie etwa von Spengler, wurden die Menschheit und ihre Geschichte eliminiert. Der Gegenstand der Untersuchung war der zivilisatorische Ablauf; die Zeit der Geschichte war die innere Zeit eines Ablaufs;
die Beziehung
zwischen
den
Phasen der isolierten Abläufe war jene der „philosophischen Gleichzeitigkeit". Die Untersuchung der Geschichte hatte sich in der Sackgasse der Selbstvernichtung verrannt -- ein Dilemma, das sich noch in den frühen Teilen des Werkes von Toynbee (Bd. I-VI, 1934-1939) bemerkbar macht. Das Werk
einer Revision konnte, zum
zweiten, vom
punkt der historia sacra aus in Angriff genommen
67
Stand-
werden.
Repräsentative Geschichte konnte über die jüdisch-christliche Heilsgeschichte hinaus ausgedehnt werden, indem man die Teilhabe aller menschlichen Gesellschaften an der Entfaltung des Logos in der Zeit nachweist. Dies wurde von Hegel unternommen. Der Erfolg dieses ungeheuren Unternehmens
war,
Phänomene
soweit
betraf,
er
Einbeziehung
bemerkenswert,
und
vor
Diagnose
allem
in
der
Anbe-
tracht der Grenzen des empirischen Wissens der damaligen Zeit. Denn die Chronologie der antiken Geschichte lag noch weitgehend im dunkeln - die relativen zeitlichen Positionen etwa der Reichsordnungen Ägyptens und Chinas waren
nicht allzu klar;
Testaments
war
die kritische
noch
eine
Untersuchung
Aufgabe
der
des
Zukunft;
Alten
und
als
Hauptquelle der Geschichte Ägyptens diente noch immer Herodot. Trotz solcher Handikaps vollbrachte der Hegelsche Genius bei der Bestimmung der Charakteristika auf
jeder Stufe intellektueller und spiritueller Ordnung
Mei-
sterleistungen an Einsicht, auf die sogar zeitgenössische Historiker und Philosophen öfter mit Gewinn zurückgreifen sollten, als sie diestun.
Der schwerwiegende Mangel des Unternehmens und die Ursache seines Scheiterns war der Versuch Hegels, den Logos der Offenbarung auf den Logos der Philosophie zu reduzieren, und den Logos der Philosophie auf die Dialektik des Bewußtseins. Philosophie (Liebe zum Wissen), so nahm Hegel an, schreite zur Gnosis (wirkliches Wissen)’ voran - eine Annahme,
philosophische Erkennbaren
die nur möglich war, wenn
Sensibilität
und dem
für die
Grenze
Unerkennbaren,
man
zwischen
die
dem
d.h. für den Punkt,
an dem die erkennbare Wahrheit der Ordnung im Eros zum transzendenten Sophon wurzelt, betäubte. Als Betäubungsmittel,
das
berühmten
den
„Fortschritt”
Identifikationen,
ermöglichte, die
die
dienten
Spannung
die
zwischen
Transzendenz und Immanenz reduzierten: Die Inkarnation war nicht mehr das Mysterium des góttlichen Eintritts in die Geschichte, sondern die Erscheinung der Identität von
68
Gott und Mensch als das Bewußtsein einer Wahrheit in der Welt; Gott und Mensch verschmolzen miteinander im Geist, Offenbarung und Vernunft in der Entfaltung der Idee; Vernunft wurde wirklich, und Wirklichkeit war darum vernünftig.
„Das
absolute
Objekt,
die Wahrheit,
ist der Geist,
und weil der Mensch selbst Geist ist, so ist er sich in diesem
Objekte
gegenwärtig
und
hat
so
in
seinem
absoluten
Gegenstande das Wesen und sein Wesen gefunden." Durch das Symbol Geist konnte die dialektische Gnosis von Gott zu Mensch gleiten, von Mensch zu Gott, und von beiden zum Subjekt als der Substanz der Welt. Die bewunderungswürdig geschickte Manipulation des gnostischen Symbolismus vermochte natürlich nicht das Mysterium
aufzuheben - weder das der Ordnung des Seins noch das einer
historischen
Menschheit
-,
aber
die
Massivität
des
dialektischen Werks, die gewaltige Ausdehnung des gnostischen Opus bis an die Grenzen der phänomenalen Welt, konnte das Mysterium soweit aus dem Gesichtskreis drängen,
daß
es zumindest
móglich geworden: des Seins.'
so
aussah,
der Logos
als sei das
Unmógliche
des Philosophen
im Besitz
Die Zweideutigkeit dieses monumentalen Werks der modernen Gnosis erregte die Kontroverse zwischen AntiHegelianern, die über die Überheblichkeit eines Philosophen spotten, der glaubt, die Geschichte der Menschheit sei im Jahre 1830, in Berlin, in seinem Werk zur Vollendung gekommen, und Pro-Hegelianern, die eine solche Verleumdung denen
empört zurückweisen hervorgeht,
daß
sich
und Texte Hegel
zitieren können,
durchaus
bewußt
aus war,
daß die Geschichte nicht ihr Ende erreicht hatte. Die Kontroverse bestátigt die Doppeldeutigkeit, ist darüber hinaus aber von geringem Wert. Von kritischer Bedeutung dagegen ist die Quelle der Doppeldeutigkeit in der Erfahrung des Bewußtseins, des Subjekts, als der Substanz des Seins. Denn hinsichtlich dieser Erfahrung besteht eine enge Verwandtschaft zwischen der Hegelschen Gnosis und der Spe-
69
kulation der Upanishaden über die Identität des atman, des Selbst (Bewußtsein, Subjekt) und dem brohma, der überpersönlichen und überweltlichen Realität. Die Operationen mit dem Geist, der ontologisch Gott und Mensch wie auch die Identität der beiden ist, gehört zu einem Spekulationstyp im Medium des kosmologischen Mythos, der vor-philosophisch in der indischen und nach-philosophisch in der Hegelschen Gnosis auftauchen kann, obgleich die akosmische Richtung der indischen Spekulation das genaue Gegenteil der protestantisch-immanentistischen Richtung
in der Spekulation eines Hegel ist *. Im übrigen hatten die ähnlichen
Erfahrungen
ähnliche
historische
Folgen:
Von
den späten Upanishaden führte der Weg zur atheistischen Erlösung des Buddha; von Hegel führte er, via Bruno Bauer und Feuerbach, zu der atheistischen Erlösung bei Marx; obwohl wiederum in beiden Fällen die akosmischen und immanentistischen Richtungen von dem Übergang unberührt blieben. Diese atheistischen Folgen bringen den ahistorischen Charakter der gnostischen Spekulation schärfer in den Blick. Der Ahistorismus der indischen Ordnungserfahrungen,
der vedischen wie der buddhistischen,
ist wohl
be-
kannt und allgemein akzeptiert. Im Falle Hegels dürfte die Anerkennung desselben Charakters erheblich schwerer zu erzielen sein, und zwar wegen der augenscheinlichen Absurdität, daß die umfassendste und tiefgreifendste Geschichtsphilosophie von einer ahistorischen Ordnungserfahrung motiviert sein soll. Nichtsdestoweniger muß die ahistorische
Motivation,
fürchte
ich,
Gnosis ist eine spekulative Bewegung des Mythos; schen
und die moderne
Identifikationen
anerkannt
werden.
innerhalb der Form
Gnosis ist, wie die Hegeliani-
zeigen,
ein
Rückfall
aus
der
Diffe-
renzierung in die prähistorische Kompaktheit des Mythos. Und
dieser
Charakter
bleibt
auch
dann
unberührt,
wenn
Gnosis in Gesellschaften auftaucht, die ihre historische Form durch Philosophie und Christentum erhalten haben,
oder wenn die Spekulation auf die angehäuften Wissens70
bestände einer historischen Tradition angewandt wird oder wenn unter diesen Umständen die Symbole Gott, Mensch-
heit und Geschichte irgendwo an den Rändern der beherrschenden gnostischen Form in der Schwebe bleiben. Weder Hegels eigene Proteste gegen die Anklage des Atheismus noch die Hegelianer vermögen die Tatsache aus der Welt zu
schaffen,
daß
in einer
konsequenten
Entwicklung
des
Hegelschen Werkes seine Doppeldeutigkeit den unzweideutigen Angriffen von Marx auf Philosophie und Christentum den Weg geebnet hat. Wenn sich eine finite Spekulation des Sinns der Geschichte bemächtigt, werden Philosophie und Christentum zerstört, und Existenz in historischer Form findet ihr Ende. Denn Menschheit und Geschichte
werden
auch
dann
vernichtet,
tung die Form einer Spekulation historischen Dramas annimmt.
wenn
die
Vernich-
über den Schlußakt
des
Eine dritte Art der Revision, die sich auf den Zuwachs an phänomenalem Wissen stützte, war möglich durch die Konstruktion paralleler Heilsgeschichten. Diese Idee drängte sich als Folge der Beobachtung auf, daß die westlichen Seinssprünge der Propheten in Israel und der Philosophen in Hellas, ihre Entsprechungen im Indien des Buddha und im China des Lao-tzu und Konfuzius hatten. Diese Beobachtung wurde im frühen 19. Jahrhundert von Orientalisten gemacht und war zu jener Zeit von der Annahme kulturel-
ler Diffusion begleitet *, um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand sie Eingang in das Werk der Geschichtsphilosophen ". In unserer Zeit erhielt die Konstruktion betráchtliches Gewicht durch die Arbeiten von Jaspers und Toynbee. Die Motivationen der neuen Konstruktion wurden von Jaspers gewissenhaft artikuliert. Er gab zu, daß Geschichtsphilosophie ihre Wurzeln im christlichen Glauben hat. Von Augustinus bis Hegel ist die Epiphanie des Gottessohnes die Achse der Weltgeschichte. Diese Konzeption sieht er jedoch durch das Faktum beeinträchtigt, daß der christliche 71
Glaube nur einer unter vielen ist. Er ist nicht der Glaube der Menschheit. Die christliche Sicht der Weltgeschichte hat nur für gläubige Christen Geltung. Die wahre Achse der Weltgeschichte müßte empirisch als ein Tatbestand gefunden werden, der für alle Menschen, die Christen eingeschlossen, Geltung hat; es hätte eine Epoche zu sein, in der geboren
wurde,
was
überwältigende Menschseins,
seitdem
der
Fruchtbarkeit
gleichermaßen
Mensch
in
sein
der
kann,
eine
Gestaltung
des
überzeugend
für
Orient
und
Okzident, so daß für alle Völker ein gemeinsamer Rahmen geschichtlichen Selbstverständnisses erwachsen würde. Eine solche Epoche findet sich in den geistigen Prozessen, diein China
und
800
und
um
500
Indien,
200
im
v.Chr.
v. Chr.,
als
Iran,
in Israel
stattfanden, Konfuzius,
mit
und
Hellas
einer
Lao-tzu,
zwischen
Konzentration
Buddha,
Deutero-
Jesaja, Pythagoras und Heraklit derselben Generation angehörten. In dieser Achsenzeit „wird der Mensch sich des Seins im Ganzen,
seiner selbst und seiner Grenzen
bewußt.
Er erfährt die Furchtbarkeit der Welt und die eigene Ohnmacht. Er stellt radikale Fragen, er drängt vor dem Abgrund auf Befreiung und Erlösung. Indem er mit Bewußtsein seine Grenzen
erfaßt, steckt er sich die höchsten Ziele.
Er erfährt die Unbedingtheit in der Tiefe des Selbstseins und in der Klarheit der Transzendenz". In dieser Epoche wurden die fundamentalen Kategorien geschaffen, mit denen wir bis auf den heutigen Tag denken, wurden die Grundlagen der Weltreligionen gelegt, von denen die Menschen bis auf den heutigen Tag leben. In jeder Hinsicht rückte die Menschheit zum Universalen vor ". Toynbee hegt zweierlei Bedenken dagegen. Zum einen will er die , Achsenzeit" derart erweitern, daD sie die Auflósungsperioden der indischen, syrischen,
chinesischen und
hellenischen Zivilisationen in ihrem Gesamtablauf einschließt. Mit dieser Erweiterung würde sie vom 10. Jahrhundert v.Chr. bis zum 13. Jahrhundert n. Chr. reichen. Nur am Ende dieser Periode kónne man das wirklich rele72
vante Resultat der Universalgeschichte, nämlich die Koexistenz der vier Hochreligionen - Mahayana-Buddhismus,
Hinduismus, Christentum und Islam - als gegeben ansehen. Zum
anderen
das Jahr
protestiert
500 v. Chr.
Denn
er gegen obwohl
die
Konzentration
Buddha,
Konfuzius
auf und
Pythagoras zur selben Zeit lebten, waren sie doch nur im chronologischen, nicht aber im philosophischen Sinne Zeitgenossen,
insofern
unterschiedliche
Phasen
in
der
Auf-
lösung ihrer jeweiligen Zivilisation ihr Auftreten bedingt
hatten ". Wichtig an diesen Einwänden ist weniger ihr Inhalt als die Tatsache,
daB
Toynbee
nunmehr
das
Problem
Jaspers' als prinzipiell stichhaltig anerkennen und darüber in eine Debatte eintreten kann. Dies wurde durch die groDe Revision móglich, die sich zwischen den frühen und spáten Teilen von Toynbees Werk ereignete. Im frühen Teil seines Werkes (Bd. I-VI) wurde Geschichte als die humanistische Untersuchung der Zivilisationsgesellschaft hinsichtlich ihrer inneren und äußeren Aspekte verstanden '*. Im späten Teil (Bd. VII-X) wurde die „Geschichte der Religion" zur eigentlichen Geschichte, und die verschiedenen Zivilisationsgesellschaften mußten nun nach ihrem Stellen-
wert im „Fortschritt der Religion" eingestuft werden ". Die Study of History, die sich im frühen Teil in dieselbe Sackgasse einer Selbstvernichtung der Geschichte hineinbewegt
hatte,
in die Spenglers
Werk
geraten war, hat sich im spä-
teren Teil durch ihre Annáherung an eine Augustinische historia sacra selbst wieder daraus befreit — allerdings bei Anerkennung von vier parallelen ,Hochreligionen" gleichen Ranges. Die Vorzüge und Begrenzungen der beiden Konstruktionen werden in diesen knappen Skizzen deutlich. Beide Denker akzeptieren das Phänomen paralleler Seinssprünge in den groDen Zivilisationen, und beide sind von Toleranz gegenüber
den
unterschiedlichen
Wegen
inspiriert,
auf
denen die Menschheit sich bei ihrer Suche nach Wahrheit voranbewegt. Damit hat die Geschichte der Menschheit 73
eine
Breitendimension
gewonnen,
eine
Breite
an
Bewe-
gung, die den eurozentrischen, einlinigen Konstruktionen fehlt. Beide Denker haben sich darüber hinaus von den schlimmsten Irrwegen der vorangehenden Generationen befreit. Die Vernichtung von Menschheit und Geschichte
durch die Beschränkung der historischen Untersuchung auf
die Morphologie von Zivilisationen wurde von Toynbee selbst im Laufe seines gigantischen Werkes überwunden; und beide Denker finden trotz ihrer unterschiedlichen Betonungen die Substanz der Geschichte jenseits der Gnosis des Fortschritts. Diesen Vorzügen sind allerdings die theoretischen Begrenzungen gegenüberzustellen, die selbst auf der Oberfläche phänomenaler Argumentation nur allzu deutlich werden. Während die Parallelismen richtig erkannt sind, wurden weder das Problem der aufeinanderfolgenden Seinssprünge innerhalb der verschiedenen Gesellschaften noch das Problem ihrer ranglichen Unterschiede durchgearbeitet. Die Folge ist, daß sich der Respekt für das Vorrücken zur Wahrheit in parallelen Gesellschaften gelegentlich mit einer erstaunlichen Mißachtung von Phänomenen paart, die sich nicht so leicht den Konstruktionen einfügen, für die sich die beiden Denker entschieden haben. Ob Jaspers nun das gemeinsame Menschsein in einem Querschnitt der ,Philosophien" um 500 v. Chr. findet oder Toynbee in einem Querschnitt der ,Religionen" zu einem späteren Zeitpunkt — was sie einbeziehen und was sie ausschließen, ist von einer gewissen Willkür geprägt. Toynbee hält das Judentum für ein ,Fossil" der syrischen Zivilisation und wirft es aus der repräsentativen Gruppe der „Hochreligionen" hinaus; Jaspers läßt die Propheten zwar höflicherweise zu, schließt aber seinerseits das Christentum von der „Geltung“
für die gesamte
Menschheit
aus; und keiner von
beiden scheint irgendeine Verwendung für Moses zu haben.
Ich beabsichtige nun nicht, den Ausgeschlossenen zu Hilfe
zu eilen - weder Judentum noch Christentum bedürfen der
74
Verteidigung; interessant ist die Willkür im gegenwartigen Zusammenhang nur als das Symptom eines fundamentalen Mißverständnisses hinsichtlich der Geschichte und ihrer Struktur. In seiner gewissenhaften Art hat Jaspers dieses Mißverständnis selbst zur Sprache gebracht und sogar den Konflikt zwischen der objektiven Struktur der Geschichte und seiner eigenen Konstruktion formuliert, zu dem diese unvermeidlich führen mußte. Denn auf der einen Seite anerkennt er, daß „Geschichtsphilosophie... im Abendland ihren Grund im christlichen Glauben" hatte, während
er andererseits
findet, daß
„eine Ansicht der Uni-
versalgeschichte", in der die Epiphanie Christi das Zentralereignis darstellt, nur für Christen Geltung haben
kann P, Selbst wenn man unberücksichtigt läßt, daß christlicher Glaube keineswegs die einzige Wurzel westlicher Geschichtsphilosophie ist — auch Israel und Hellas haben etwas
damit
zu tun - so bleibt doch
die Tatsache,
daß
Ge-
schichtsphilosophie im Westen entstanden ist und nirgendwo sonst. Es gibt nicht so etwas wie eine nicht-westliche Geschichtsphilosophie. Denn eine Geschichtsphilosophie kann nur dort entstehen, wo Menschheit durch ihre Existenz in der Präsenz unter Gott historisch geworden ist. Seinssprünge
haben sich natürlich auch anderswo
ereignet;
aber die persönliche Existenz eines Chinesen unter dem kosmischen tao oder die persönliche Existenz eines Inders in akosmischer Erleuchtung sind nicht gleichbedeutend mit einer israelitischen oder christlichen Existenz unter Gott. Denn wenn die Gesellschaften Chinas und Indiens auch zum Bewußtsein eines universalen Menschseins gelangt sind, so hat doch allein die jüdisch-christliche Antwort auf die Offenbarung historisches Bewußtsein geschaffen. Das Programm einer für alle Menschen gültigen Universalgeschichte kann,
wenn
es durchdacht
ist, nur
eines
von
zwei
Dingen bedeuten: die Zerstörung der historischen Form des
Westens und die Rückführung der westlichen Gesellschaften in eine kompakte Ordnungsform, in der die Differenzie75
rungen der Wahrheit durch Philosophie und Offenbarung aufgehoben sind; oder eine Assimilation der Gesellschaften, bei denen der Seinssprung die kosmologische Ordnung nicht so gründlich
zerbrochen
hat wie
im Westen,
an eine
Existenz der historischen Form des Westens. Dieselbe Unentschiedenheit hinsichtlich der theoretischen Streitfragen kennzeichnet die Haltung Toynbees. Wenn er die von ihm vertretene Gleichrangigkeit der vier , Hochreligionen" verteidigt, flüchtet er sich in das generelle menschliche Unvermógen, in geistigen Angelegenheiten Wahrheit zu er-
kennen ", Dies ist eine einnehmende
Demut - leider läßt
sich intellektuelle Demut zuweilen nur schwer von intellektueller Drückebergerei unterscheiden. Fassen wir zusammen: Das Problem vielfáltiger und paralleler Seinssprünge läßt sich theoretisch nicht mit der Resignation des 18. Jahrhunderts und der Weisheit von Lessings Nathan lósen. Was an Nathans Weisheit gültig ist und was auch gültig bleibt, wenn in ihrem Geist Jaspers und Toynbee eine weitere und farbigere historische Szene behandeln, ist der Respekt vor jeglicher Ordnung und vor jeglicher Wahrheit über die Ordnung; denn jede Gesellschaft, auf welcher Ebene der Kompaktheit oder Differenzierung sich ihre Ordnungserfahrungen und Ordnungssymbole auch bewegen, ringt um die Einstimmung in die seinsordnung. Dieser Respekt darf jedoch nicht zu einer
Toleranz
verkommen,
die die Unterschiede
im Rang,
so-
wohl hinsichtlich der Suche nach der Wahrheit als auch im Hinblick auf die erlangte Einsicht unbeachtet läßt. Die generose
These
von
Jaspers,
daß
in
der
Achsenzeit
die
„Grundkategorien geschaffen wurden ..., in denen wir bis heute denken", erscheint fragwürdig angesichts der Tatsache, daD die aristotelische Analytica Posteriora, das bis heute grundlegende Werk analytischen Denkens, nicht etwa in China oder Indien entstand, sondern in Hellas; und
daß die Einführung westlicher Denk weisen in die asiatischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts ungeheure An-
76
strengungen unter dem Druck schrecklicher Notwendigkeit erfordert. Bei der Behandlung der großen Frage des Eurozentrismus ist es daher ratsam, zwischen seinen phänomenalen und seinen philosophischen Aspekten zu unterscheiden. Während die phänomenale Beschränkung des historischen Horizonts
auf die Gesellschaften
des
Nahen
Ostens,
des mediterranen Bereichs und des Westens angesichts des gewachsenen historischen Wissens aufgegeben werden muß, darf der Geschichtsphilosoph den Eurozentrismus der Position nichts,
und was
der er
Maßstäbe
an
seine
wird überall gemacht,
nicht
Stelle
aufgeben,
setzen
wo Menschen
denn
könnte.
es
gibt
Geschichte
leben, ihre Philosophie
jedoch ist ein westlicher Symbolismus. Die
Philosophie
westlicher
ihre
von
Ordnung
Symbolismus,
historische
Form
weil
vom
und die
Geschichte
westliche
Christentum
ist
ein
Gesellschaft
empfangen
hat.
Und die Väter des frühen Christentums vermochten diesen Symbolismus zu schaffen, weil sie bei der Artikulation ihrer eigenen Existenzweise auf die israelitischen und hellenistischen Quellen zurückgreifen konnten. Clemens von Alexandria
sprach
genau
dies
aus,
als
er
schrieb:
„Den
Barbaren hat Gott das Gesetz und die Propheten gegeben, den Hellenen die Philosophie -- so daß die Ohren beider vorbereitet sein sollten, das Evangelium zu hören.” Und
im Rückblick auf denselben Zusammenhang:
das
Neue
Testament;
die Testamente
der
„Uns gab er
Juden
und
Hel-
lenen sind die Alten.” Die Schriften von Israel und die von
Hellas bilden das Alte Testament des Christentums ". Der Ursprung und die historische Struktur der westlichen Ordnung wurden
von denen, die diese Form
ser verstanden,
leben, So
ohne
sollte
einst schufen, bes-
als von ihren spáten Nachfolgern,
sich der Bedingungen
klargeworden
sein,
des
weshalb
Erbes unsere
die in ihr
zu erinnern. Studie
mit
Israel zu beginnen hatte und weshalb sie sich nun von Israel weiterbewegen muß - nach Hellas. 77
Die Größe Max Webers I. In der deutschen Geschichte des Geistes ereignet sich, in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, ein Stilbruch. Vor ihm liegt die Zeit des Idealismus in der Philosophie, der Klassik und Romantik
in der Literatur, die mit dem Tod
Hegels (1831) und Goethes (1832) endet. Sie kann von ihren geistigen Leistungen her als sinnhafte Periode verstanden und chronologisch umgrenzt werden. Nach ihm beginnt eine Zeit, die so wenig sinnhafte Kontur hat, daß sie kaum als verstehbare Periode des Geistes deutlich wird. Zwar gibt es auch für diese Zeit Kategorien — wir sprechen von der 48er Zeit, von der Zeit der Reichsgründung, von der Wilhelminischen Zeit -, aber sie orientieren sich an den politischen
Ereignissen, an dem sinnhaft Äußeren des Machthandelns. Es fehlt an geistiger Erhellung von innen und an Selbstverständnis. Nicht daß die Zeit arm wäre an bedeutenden Leistungen in den Naturwissenschaften, den positiven Geschichtswissenschaften oder in der Erkenntnistheorie — aber im ganzen ist sie negativ gezeichnet als eine des Epigonentums, des Historismus
und Relativismus. Und politisch mün-
det die ominóse Negativität in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges, die wieder gefolgt ist von den noch größeren Katastrophen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges.
Die Zeit, so will es scheinen,
hat kein Antlitz,
das vom Geist geprägt wäre. Oder will es nur so scheinen?
Denn gerade in dieser Zeit ohne greifbaren Charakter hat Deutschland vier Figuren von Weltrang hervorgebracht: Karl Marx (1818-1883), Friedrich Nietzsche Sigmund Freud (1856-1939) und Max Weber
78
(1844-1900), (1864-1920).
Vier Figuren von Weltrang - das ist nicht gerade wenig. Und
es wäre
halb
von
seltsam,
wenn
fünfzig Jahren
aus
einer
Gesellschaft
vier Männer
von
inner-
überragender
Statur hervorgingen, ohne daß ihr Auftreten der Ausdruck einer sinnhaft charakterisierbaren Situation wäre. Fragen
wir darum: Sind an der denkerischen Haltung dieser Män-
ner nicht Züge zu erkennen, die allen wesenhaft gemeinsam wären? Geben die vier Großen der undurchsichtigen verschwommenen,
epigonischen
Zeit
nicht
eine
Signatur,
durch die sie zu einer verstehbaren Periode des Geistes würde? Die Frage ist zu bejahen, denn ihr Denken läßt in der Tat gemeinsame Züge erkennen.
Vor allem sind sie einig darüber,
sein Handeln
aus der Perspektive
und des Trieblebens
daß der Mensch und
der Macht,
des Kampfes
zu verstehen sind. Ihr Interesse kon-
zentriert sich auf die Schicht der Existenz,
die in der klassi-
schen und christlichen Ethik unter den Titel der passiones, der concupiscentiae, der libidines fiel; die von Hobbes zur Natur
des
Menschen
erklärt
worden
war;
und
die
jetzt,
nach der Zerstörung der klassischen Ethik durch den deutschen Idealismus, im Klima der Verlassenheit von Vernunft und
Geist sozial
dominant
wird.
Ein solcher
Versuch,
den
Menschen aus der Perspektive reduzierter Menschlichkeit zu deuten, erfordert neue Symbole. Die vier Denker werden darum zu Sprachschöpfern und propagieren ein neues Reich
der
Sprache kampf,
Ausdrücke,
der
das
Philosophie
Nietzsche
den
mit
ökumenischem
verdrängt:
Willen
Marx
zur Macht,
Erfolg
den
Freud
die
Klassendie Libido,
Max Weber die Zweckrationalität des Handelns als die Ananke der Politik und Geschichte. — Zum zweiten: Ihnen allen ist das Bemühen gemeinsam, die Werte als Masken für Interessen, Kampf und Triebleben zu enthüllen. Das Unternehmen der Demaskierung wieder
erfordert
zwei
Serien
relation bis heute wenig
von
Ausdrücken,
deren
Kor-
beachtet wird. Erstens bedarf es 79
der Symbole, durch die Vernunft und Geist zu Masken der Triebsphäre werden. Wir hören darum von der Ideologie, die klassen- und situationsbedingt sei; von der Kultur als dem
Überbau
über
den
Produktionsverhältnissen;
ethischen Begründung des Handelns rung von Wünschen
von
der
als einer Rationalisie-
und Interessen; und vom
Geist
als der
Sublimierung der Triebe. Korrelativ zu der ersten muß jedoch die zweite Serie entwickelt werden, die bestimmt ist, die rationale Sprache der Güter- und Tugendlehre in Ethik und Politik zu verdrängen. Ich spreche von der Praseologie der Werte, der Werturteile jenseits rationaler Prüfung, der wertbeziehenden Methode und der wertfreien Wissenschaft. Ohne die gewollte Undurchsichtigkeit dieser zweiten Serie von Symbolen gäbe es nichts zu enthüllen. Denn in der Sprache der Philosophie sind die Motivationen des Handelns durch die Leidenschaften ebenso durchsichtig wie die Orientierung des Handelns durch Liebe zum göttlichen Sein.-Zum dritten: Ihnen allen ist gemeinsam die Abneigung - man darf sagen: der Haß — gegen den Bürger in seinen Spielarten vom Finanz- und Industriebürger bis zum kleinen Spießbürger, sowie gegen die bürgerlich-verklemmte Eigentums- und Sexualmoral. Und diesem Haß wieder korrespondiert ein Aristokratismus der Haltung, der sich gegen die geistige und intellektuelle, und damit sittliche Verrottung der Zeit auflehnt. Wenn aber die angedeuteten Züge als gemeinsame zu erkennen sind, warum werden die vier Männer nicht als die Figuren erkannt und anerkannt, die der Zeit ihre Signatur geben? Warum sprechen wir nicht von einer Periode, die, durch sie charakterisiert, der Periode des deutschen Idealismus, der Klassik und Romantik folgt? Oder genauer: Warum fehlt uns der sprachliche Ausdruck zur Bezeichnung einer
Periode,
die
zweifellos
erkennbare
hat?
Charakteristika
Die Antwort ist im Anti-Rationalismus der sprachlichen 80
Neuschöpfungen zu suchen. Zwar sind die gemeinsamen Züge — die Konzentration auf die sozial dominant gewordene Sphäre der concupiscentiae, die Abneigung gegen die verhüllend-undurchsichtigen
Werte,
und
der
Aristokratis-
mus der Haltung - als Reaktion auf den Verfall der Zeit zu erkennen, aber das reaktive Verhalten aus dem Geist der Platonischen andreia findet nicht die ihm angemessene Sprache - die Zeit ist so tief verrottet, daß sie auch die Erfahrung der Vernuft und des Geistes und deren Symbolik
diskreditiert hat. Der geistig-reaktiven Haltung, die wir in
jedem
der
vier
Fälle
finden,
korrespondiert
darum
keine
gemeinsame Sprache, in der die Gemeinschaft der Haltung artikuliert und mitgeteilt werden kónnte. Jeder entwickelt eine Sondersprache als Ausdruck seiner spezifischen Reaktion und vergróDert dadurch die Sprachverwirrung, die durch den Verlust der philosophischen Sprache entstanden war und nur durch ihre Wiederherstellung behoben werden konnte. Da der Sumpf der Zeit auch die sprachlichen Mittel der Kritik in sich hinabgesogen hatte, war die Zeit stárker als die Stárksten, die versuchten ihr Widerstand zu leisten. Das reaktive Verhalten wird infolgedessen eigentlich zwittrig: Es will die philosophisch-kritische Distanz zur Zeit
herstellen,
aber zur Durchführung
der
Intention
fehlt
es an der philosophischen Distanz; es will den Kampf gegen den Verfall der Zeit führen, aber es muß ihn in der Sprache des Verfalls führen. Der Zwittrigkeit dieser distanzlosen Distanz dürfte der Zug von aggressiver Selbstgewifheit
und Selbst-Darstellung entspringen,
der uns bei den vier
kämpferischen Denkern gegen die Zeit heute als merkwürdig berührt. Keiner von ihnen scheint von Mißtrauen gegen sich selbst und sein Werk geplagt gewesen zu sein — von jener Malaise des Mißtrauens, die den souveränen Denker auszeichnet. Die reaktive Haltung ohne geistige Artikulation bedingt die Sondersprachen und diese wieder machen die Leistung der vier Denker gedanklich undurchsichtig. Weder kónnen
81
die gemeinsamen Züge in der Sprache eines von ihnen dargestellt werden — wir können nicht das Werk der jeweils anderen Max
in der
Weber
Sprache
von
verständlich
Marx,
machen
Nietzsche, -, noch
Freud
wird
das
oder Werk
jedes einzelnen von ihnen transparent, wenn wir uns zur Deutung seiner eigenen Sprache bedienen. Die Pluralität der privaten Sprachen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts mußte erst durch die Wiederherstellung der óffentlichen Sprache des Philosophierens überwunden werden,
um
die gemeinsamen
Züge der Verfallszeit und der Auf-
lehnung gegen sie für die Vernunft verständlich zu machen. Mit der Wiederherstellung der Gemeinsprache aber klärt sich das Periodenproblem der Zeit, die keine besaß, insoferne als es wieder möglich wird, den Verfall der Zeit aus der Distanz der Vernunft und des Geistes kritisch zu bewältigen.
Durch
der Macht, ihrem
die
neue
des Kampfes
Situation,
in der wir
die Dominanz
und des Trieblebens
eigenen Vokabular
hinnehmen
nicht mehr
müssen,
in
konstituiert
sich eine neue Periode. Von ihr rückblickend wird die Zeit des Verfalls und der reaktiven Haltungen ihrerseits zu einer verstehbaren Periode des Geistes. Eingangs wurde von dem Stilbruch in der deutschen Geschichte des Geistes gesprochen. Abschließend sei dieser Punkt
noch
einmal
berührt,
um
einem
möglichen
Mißver-
ständnis vorzubeugen. Denn der Stilbruch darf nicht als ein Bruch in der Kontinuität des Geistes und seiner Geschichte verstanden werden. In der sinnhaft verständlichen, glanzvollen
Periode
Romantik sierbare
des
deutschen
Idealismus,
wird die undurchsichtige, Zeit, die nachfolgt,
der Klassik
nur schwer
vorbereitet.
Auch
und
charakteridie Zeit des
Glanzes war daher vielleicht nicht ganz so glanzvoll, wie sie dem Bürgertum der Nachzeit auch heute noch erscheint. Aber diese Frage können wir hier nicht mehr als andeuten. Wir haben uns mit der Periode der vier Großen zu befassen,
und mit der Stellung Max Webers in ihr.
82
11. Charakterisieren wir die Periode näher. Wir bemerken in ihr eine merkwürdige Verlagerung des Akzentes
in der Vorstellung von dem,
was Realität ist. Die
Realität der Vernunft und des Geistes, die sich in den noetischen und pneumatischen
Erfahrungen
erschließt, verblaßt;
und von ihr weg verlagert sich der Akzent auf die Erfahrung von der Welt der Dinge in raum-zeitlicher Existenz. Das hat verschiedenartige Folgen - teils bedenkliche, teils erfreuliche. Bedenkliche alle Realität,
die
nicht
in der Periode selbst, insoferne als die
Seinsweise
weltimmanent
exi-
stierender Dinge hat, zu Nicht-Realität absinkt; erfreuliche für uns in der neuen Situation des Philosophierens, insoferne als die energische Beschränkung des Ausdrucks Existenz auf den Seinsmodus weltimmanenter Dinge durchaus in der Richtung exakter Begriffsbildung liegt und daher angenommen werden sollte. Wir gewinnen dadurch die Freiheit, von den Bereichen der Vernunft und des Geistes mit Präzision als von nicht-existenter Realität zu sprechen. Jedenfalls scheint uns diese Ausdrucksweise sachlich klarer als der Versuch Heideggers, den Ausdruck Existenz für das transzendierende Dasein des Menschen in Anspruch zu nehmen und weiter mit dem Problem der Geschichtlichkeit zu verbinden, denn dieser Versuch eines Kompromisses wird weder den innerweltlich existierenden Dingen, noch unseren Erfahrungen von Transzendenz, noch der Geschichte gerecht. Aber bleiben wir bei unserer Periode. In ihr verlagert sich der Realitätsakzent auf immanentes Sein und für diesen Bereich monopolisiert sie die Ausdrücke Wissenschaft
und
Erfahrung;
Erfahrungswissenschaft
wird
zur
Wissenschaft von weltimmanenten Dingen. Was dagegen die nicht-existente Realität von Vernunft und Geist betrifft, so werden die Symbole der Philosophie und der Offen-
barung, in denen sich die Erfahrungen von Transzendenz 83
auslegen,
undurchsichtig
für ihren Erfahrungsgehalt;
und
die wachsende Undurchsichtigkeit wieder ist bedingt durch Atrophie der Erfahrung im Sinne des Versagens des meditativen Interesses und der Energie zur Artikulierung der nicht-existenten Realitátsbereiche. Es gibt keine lebendige Meditation mehr und die Sprache der Vernunft und des Geistes verdunkelt sich daher zu den berünmten Werturteilen,
die von
der Position
innerweltlicher
Existenz
ge-
sehen keine Basis in kritischer Erfahrung haben. Die episteme im klassischen Sinne ist tot. Aber wenn auch das Leben des Geistes zu aufgeklärter Vernunft,
zu
bürgerlicher
Moral
nicht-liberalen Weltanschauungen
und
zu
liberalen
oder
absinkt,
und wenn
auch
die Symbole der Transzendenz schwere Deformationen ihrer Bedeutung erleiden und diskreditiert werden, so ändert sich durch diese Vorgänge nichts an der Seinsordnung selbst. Auch wenn Hegel, Marx und Nietzsche Gott noch so gründlich ermorden und für tot erklären, so bleibt góttliches Sein ewig und der Mensch hat weiter mit seinem Leben fertig zu werden, das im Zeichen der Kreatur und des Todes steht. Wenn konkupiszente Phantasie die Akzente der Realität verlagert, dann überlagert sie die Realität mit einem falschen Bild. Von diesem Phantasiebild sprechen wir als der zweiten Realität. Und wenn der Mensch in dieser zweiten
Realität
Dei in eine imago
zu leben,
hominis
wenn
er sich aus
zu verwandeln
der imago
sucht, dann
er-
geben sich Konflikte mit der ersten Realität, deren Ordnung weiter besteht. Charakteristisch für die Periode sind daher die Phänomene der Friktion zwischen zweiter und erster Realität — wenn sie auch in ihren Anfängen weiter zurückgehen. Für uns sind vor allem die Friktionen von Interesse,
die
an
der
Bruchstelle
zum
diskreditierten
und
für nicht-real erklärten Bereich der nicht-existenten Reali-
tät der Vernunft und des Geistes auftreten. Ich zähle einige dieser Phänomene auf: (1) Da die nicht-existente Realität nicht abgeschafft werden
84
kann, muß die Leerstelle, die im Gefolge ihrer Diskreditierung entsteht, durch Symboliken
der zweiten Realität
aufgefüllt werden. Unter anderen Phänomenen
dienen
diesem Bedürfnis die innerweltlichen Apokalypsen Geschichte,
die von
Kant,
Condorcet,
Comte
und
der
Marx
geschaffen wurden. Da die neuen Geschichtsbilder ihren Ursprung in der innerweltlichen Konkupiszenz des
Handelns haben, gehóren zu ihnen auch wesentlich der progressive und revolutionäre Aktivismus sowie das revolutionäre Bewußtsein. (2) Mit dem Absinken nicht-existenter Realität zu NichtRealität entsteht das Phänomen der Desillusionierung,
sowie
das Gefühl
Illusionen
der Verpflichtung,
der Transzendenz
das
zu führen.
Leben
Die
ohne
Leugnung
des Geistes bringt das Leiden an der Gottverlassenheit hervor.
Denken
wir
an
das
Leiden
Nietzsches,
der
am
Beispiel Pascals erfahren hat, was Glaube heißt, aber sich seiner Disziplin nicht unterwerfen wollte. (3) Die Leugnung der nicht-existenten Realität des Transzendierens zu göttlichem Sein zerstört die imago Dei. Der Mensch wird entmenscht. Das Leiden an der Sinnlosigkeit eines gottverlassenen Daseins führt zu Ausbrüchen konkupiszenter
Schöpfung
eines
„neuen
Phantasie, zu der Groteske
Menschen”
— des
der
Übermen-
schen bei Marx und Nietzsche. (4) Da Aussagen über das Mysterium des Seinsgrundes nicht mehr als Exegese noetischer und pneumatischer Erfahrung auftreten dürfen, werden sie bei Nietzsche zu Masken des weltimmanenten „tiefen Geistes”. Die Suche nach dem Sinn des Lebens degeneriert zu ästhetischen
einem
Operationen
mit Symbolen
der Transzendenz,
zu
Spiel mit Masken von unverbindlicher Verbind-
lichkeit. Über den Fall Nietzsches hinaus wäre im allge-
meinen Macht,
zu sagen: Kampf,
Die innerweltlichen Phänomene
Trieben,
Klasse,
Nation
und
Rasse
von wer-
den mit dem Sinn nicht-existenter Realität beladen und
85
dadurch zu Masken der Transzendenz. Wir bemerken als charakteristisch das Phänomen eines die Transzendenzproblematik aufnehmenden, verzweifelten Jasagens zum innerweltlichen Spiel des Lebens, das mit einem Sinn belastet wird, den es in der Tat nicht hat. Nietzsche formuliert diese Belastung in einem brillanten Diktum. Er spricht von dem lebensbejahenden Menschen,
„der sich nicht nur mit dem,
was
war und
ist, ab-
gefunden und vertragen gelernt hat, sondern es so wie es war und ist wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo
rufend,
nicht nur zu sich, son-
dern zum ganzen Stück und zum Schauspiele, und nicht nur zu einem
Schauspiele,
sondern
im Grunde
zu dem,
der gerade dieses Schauspiel nötig hat — und nötig macht: weil er immer wieder sich nötig hat — und nötig macht — Wie? Und dies wäre nicht - circulus vitiosus deus?" Die göttliche Ewigkeit wird in ein immerwährendes, sich wiederholendes Spiel der Immanenz transponiert. Die Verborgenheit des Grundes wird zur Oberfläche des Spiel und in die Verborgenheit rückt der Mensch, der es spielt. Aber ist er noch Mensch? Denn
,alles was tiet ist, liebt die Maske"; und die Gegensátze
und Widersprüche der Masken sind ,die rechte Verkleidung für die Scham eines Gottes". In der Tat: circulus vitiosus deus. Das Spiel der Masken, das der GottMensch
Nietzsches
spielt, tritt an die Stelle von Platons
,ernstem Spiel" des Lebens.
IH. Wie steht Weber?
es
um
die
Phänomene
der
Friktion
bei
Max
Sie treten sehr viel gedämpfter oder gar nicht auf. Dieser Jüngste unter den vier Großen steht an der Grenze zum Neuen. Vor allem gibt es bei ihm keine Ideo86
logie, keine revolutionäre Apokalypse, keinen revolutionären Aktivismus, kein revolutionäres Bewußtsein. Sein Geschichtsbild erinnert an die Aufklärungsidee vom unendlichen Fortschritt zur Rationalität — die Formulierungen nähern sich manchmal denen von Kants Geschichte in weltbürgerlicher Absicht —, unterscheidet sich jedoch von ihr insoferne als das Fortschreiten zur Rationalität nicht optimistisch im Geiste der Aufklärung als ein Annähern an das Endreich
der
Vernunft
verstanden
wird,
sondern
als
eine
Notwendigkeit, eine Ananke der Geschichte, die schwer auf den Menschen
lastet. Und da für Weber
nicht, wie für Kant,
die Fortschrittsidee vom Glauben an die wahrhafte Sinnerfüllung des Lebens im Jenseits balanciert wird, steht zu befürchten, daß die seelische Spannung zum Zusammenbruch des Menschen führen wird. Die Realitäten der Industriegesellschaft
und
ihres
Rationalismus,
der
Massenge-
sellschaft und ihrer rationalen Verwaltung durch Bürokratien, werden zu einem Tunnel
immanenten
Geschehens,
aus
dem niemand entkommen kann. Und es gibt kein Entkommen, weil die Praxis des Lebens keine Dimension der vita contemplativa hat. Das Leben der Vernunft ist zur NichtRealität abgesunken und an seine Stelle ist der weltimmanente Betrieb der Wissenschaft getreten, in dem die Leistungen eines Gelehrten, wie immer bedeutend sie sein mögen, in spätestens dreißig-vierzig Jahren überholt sind.
Auch
die
Wissenschaft
unterliegt
der
Sinnlosigkeit
des
immanenten Ablaufs. Die seelische Atmosphäre des Fortschreitens hat sich also gegenüber der Aufklärung des 18.
Jahrhunderts
wesentlich
schwört Max
Weber,
schäftigt,
seine
Jedoch:
als
Weder
christentum",
verändert,
wenn
und
in der Tat
er sich mit diesen
Autorität
nicht
Kant,
Fragen
sondern
Nietzsches
Spiel
—
oder
be-
Tolstoi.
erlaubt er sich Tolstois Flucht in das noch
be-
sollte
„Urman
sagen: Spielerei? — mit dem circulus vitiosus deus. Die Illu-
sionslosigkeit der
Immanenz
nommen.
97
wird
unerbittlich
ernst
ge-
Es gibt darum für Weber auch keine Phantasie vom Übermenschen. Allenfalls könnte man etwas davon in sei-
nen Begriffen des Charisma und des Charismatikers finden
wollen. Aber Webers Assoziation von Charisma mit dem Adel des Seins verrät eher die Nähe zu Stefan George - von dem er sich jedoch wieder ironisierend distanziert, wenn er ihn gelegentlich, unter Vertrauten, den Weihen-Stefan nennt. Genauer läßt sich Webers Haltung in der Frage des Übermenschen durch Vergleich mit der G. B. Shaws bestimmen. Denn die Vorstellung vom Übermenschen, die Shaw in seinem Man and Superman (1904) entwickelte, deckt sich ungefáhr mit Webers Charismatiker — als Beispiele werden
Caesar, Luther, Cromwell,
Napoleon, Goethe
genannt. Das Symbol des Übermenschen wird übernommen, aber sein eschatologischer Sinn prallt am common sense
ab.
Shaws
Superman
läßt
deutlich,
sehr
viel
deut-
licher als Webers Charismatiker, den spoudaios des Aristoteles als seinen Ahnherrn erkennen. Nur wenn alle Mitglieder der Gesellschaft von so hohem geistigen und intellektuellem Rang sind, wie er uns in der Geschichte an seltenen Exemplaren begegnet, meint Shaw, seien die Übelstände zu überwinden, die unter den uns bekannten Rangverháltnissen von Menschen in Gesellschaft unvermeidlich zu Revolutionen führen. Wenn er von der Züchtung des Übermenschen spricht, träumt er von der Gesellschaft der patrizischen Plebejer, wie George Santayana sie genannt hat, und dieser Traum wieder liegt mit dem klassischen Hintergrund in der Politik des Aristoteles — auf der Linie von J. St. Mills improvement des Menschen und dessen
Fortschreiten
Shaw,
freien,
rationalen
Gesellschaft.
Für
der zwischen Traum und Realität sehr genau zu un-
terscheiden
Situation sind,
zur
wußte,
der
Zeit
andererseits
kommenheit
war aber
führen,
„Revolutionen
es
daher
Revolutionen
haben
den
klar,
daß
einerseits
in
nicht
zu
dem
sich
die
Revolutionäre
niemals
88
die
Last
Zustand
der
der
realen
unvermeidlich der
Voll-
erhoffen:
Tyrannei
er-
leichtert; sie haben sie nur auf andere Schultern gewälzt”. Eine proletarische Demokratie könne daher nichts anderes bringen als eine neue Herrschaft, belastet mit den gleichen, aus der menschlichen Natur entspringenden Mängeln wie die eben überwundene.
Die Nähe der Gedanken zu Max Weber möge man daran
ermessen,
daß
der
letzte
Satz
von
ihm
geschrieben
sein
könnte. In der späten Rede über Politik als Beruf spricht Weber davon, daß revolutionäre Sozialisten, Bolschewisten und Spartakisten von ihrem Unternehmen ablassen würden,
wenn
man
ihnen
klar
machte,
daß
sie durch
ihre
Revolutionen nichts erreichen als eine neue bourgeoise Industriegesellschaft, vermindert um einige feudale und
dynastische Elemente, und daß dieses Ziel die gewaltigen Blutopfer nicht wert sei. Die Parallele ist nahezu —
und
doch
markiert
sie
die
Stelle,
an
der
wörtlich
Weber
vom
Realismus eines Shaw radikal abweicht. Denn Shaw erlaubte sich den Traum von der übermenschlichen Gesellschaft, eben weil er angesichts der Realität von Mensch und Gesellschaft die Blindheit der gewalttätigen Lösungsversuche
für unvermeidlich
hielt; niemals
wäre
es ihm
einge-
fallen zu glauben, daß er durch seine bessere Einsicht in das
enttäuschende Nachspiel der Revolution diese aufhalten könnte. Sein common sense blieb immer offen zum göttlichen Grund, auch wenn er - ein Tribut an die Zeit — ihn Evolution nannte. Zwanzig Jahre nach Man and Superman wandelt sich darum die Komödie vom Übermenschen konsequent zur tragischen Chronik der Heiligen; und Saint Joan (1924) schließt mit der Klage: „Oh Gott, der Du diese schöne Erde gemacht hast, wann
wird sie bereit sein, Deine
Heiligen zu empfangen? Wie lange noch, oh Herr, wie lange?" Max Weber dagegen, in der fougue seiner Immanenz, glaubt das Rezept zur Lösung des Übels zu besitzen: Die Einsichten einer wertfreien Sozialwissenschaft sollen und können die Revolutionäre zur Verantwortung erziehen, indem sie ihnen die Konsequenzen ihres Handelns be-
89
wußt
machen.
selbst
die
vermag auch
Wenn
beste
wir bedenken,
daß im konkreten
Sozialwissenschaft
nicht
als jeder Mensch mit common
ohne
sie
weiß,
wird
uns
der
mehr
Fall
zu bieten
sense, wie z. B. Shaw, merkwürdige,
blinde
Punkt in der Haltung Max Webers deutlich. Weber sieht, daß diese Ausflüchte in die Apokalypse nicht gehen; er weiß, daß die Realität keine apokalyptische
Struktur hat. Aber er versteht nicht — und hier liegt wieder-
um
die
Schranke
seines
Transzendenzverstehens
-,
daß
diese Männer eben in einer falschen Transzendenzhaltung stehen, die durch rationale Überlegungen wissenschaftlicher Art nicht erschüttert werden kann, gerade weil es sich um
eine Transzendenzhaltung
bestimmter,
wenn
auch
deformierter Art handelt. Als einer der GroDen im Range des Geistes hat Weber wie viele große Männer mit dem Problem zu kämpfen, daß er die anderen für seinesgleichen ansieht. Auch dieses Problem hat Bernhard Shaw einmal vorzüglich formuliert,
tionary sehen,
feststellte:
als er im The Manual
Von
ist seine Distanz
dem
bedeutenden
zu den anderen,
of the Revolu-
Mann
kleineren,
her
ge-
gering;
darum kann er sie für seinesgleichen halten; von den Kleineren her gesehen ist dagegen die Distanz zum Großen enorm.
Um es noch einmal zu betonen: Für Weber gibt es keinen
;Ubermenschen",
keine
,Illusion". Sein Vokabular
besteht
aus Ausdrücken wie ,Entzauberung der Welt", „Entgöttlichung"; seine Schriften sind geprägt von der Resignation,
daß die großen Zeiten der Offenheit des Geistes und der
Prophetie vorüber sind, daD wir nicht mehr in einer Zeit der Prophetie leben — daß wir vielmehr reduziert sind auf die Nüchternheit der Verantwortlichkeit im innerweltlichen Handeln. Es gibt deshalb für einen Mann wie Max Weber kein Spiel der Masken wie bei Nietzsche, es gibt auch keine Maskenspiele anderer Art, die von anderen Männern in der gleichen Situation entwickelt wurden. Man mag an Picasso
denken und an die Folge der Phasen seines Stils — ein Mas90
kenspiel man
hinter
mag
an
dem
der
Bertrand
spanische
Russel
Mystiker
denken,
dessen
steht.
Oder
Philosophie
man eigentlich nicht kennt, weil er in den verschiedenen Phasen seines Lebens so viele verschiedene durchlaufen hat, daß man für jede philosophische Position aus seinem Werk Belege anführen kann. Doch auch bei ihm steht dahinter eine mystische Haltung. Anders dagegen Max Weber. Er ist gekennzeichnet durch die Konstanz in der Haltung und im Stil; hier macht sich bemerkbar,
wodurch
er
Weber
anderen,
die
Größere
unterscheidet.
und
sich
Nach
ihn
von
den
anderen
als
der
dem
Zeugnis
von Marianne
gut
gekannt
haben,
waren
seine Haltung und sein Stil spätestens in der Mitte seiner 20er Jahre abgeschlossen. Seine Persönlichkeit und sein Vokabular hatten sich in dem Jahrzehnt zwischen seinem 15. und seinem
25. Lebensjahr
geformt;
später hat sich dar-
an nichts Wesentliches mehr geändert. Doch diese Konstanz der Haltung und des Stils ist nicht eine Lösung für irgendetwas.
Wenn
Weber
weder
Illusionen
hatte,
noch
jene
Ausflüchte, die anderen zur Verfügung standen - in Ideologien, in Phantasien vom Übermenschen - so hat er für diese Nüchternheit und für sein Wissen, warum es da geht, mit dem zu bezahlen, was man den
,Zusammenbruch"
nennt.
Hier muß kurz an einige Daten erinnert werden: Weber wurde 1895 in Freiburg habilitiert, 1896 kam die Berufung nach Heidelberg, 1898 Erschópfung und Zusammenbruch, 1899 Amtsenthebung auf seinen Antrag hin und dann, nach einem
erneuten
Versuch
zwischen
1903
und
1904, das
end-
gültige Ausscheiden aus seiner Professur. Er hat keinen
Beruf,
den
er terminmäßig
ausüben
kann.
Dieses Verhalten wird nun gern als ein psychopathologisches Phänomen erklärt - zu Unrecht, wie mir scheint. Denn ich glaube nicht, daß es sich um
ein solches handelte,
wenn
vielleicht auch die äußeren Anzeichen denen irgendwelcher psychopathologischer Phänomene ähnlich waren. Denn diesem Zusammenbruch ging eine rasende Arbeitsüberhäu91
fung voraus, Arbeitens
die seine Unruhe
liegt
die
zeigte. In dieser Raserei des
eigentliche
Ursache,
die seinen
äußer-
lichen Zusammenbruch herbeigeführt hat. Und als dieser Zusammenbruch sich dann stabilisiert hatte, begann die große
Periode
des schöpferischen Schaffens, durch
das We-
ber das geworden ist, um dessen Willen wir heute seinen 100. Geburtstag feiern. Mit anderen Worten: Jener äußere Zusammenbruch ist eine bürgerliche Kategorie; in der Okonomie des Geistes manifestierte sich der Zusammenbruch in der vorangehenden Raserei
des Arbeitens;
und erst nach
Einstellen
dieser
Raserei kam es zur Gesundung. Doch selbst dann blieb etwas von jener früheren Spannung übrig, vollzog sich noch keine endgültige Erlösung von der Problematik des Zusammenbruchs; durchwegs
denn
das
Werk
fragmentarischen
das
Weber
Charakter,
hinterließ,
und
es
hat
ist gleich-
zeitig enzyklopädisch. Die ungeheure Unruhe war immer noch da, jetzt aber auf das Umspannen des gesamten Stoffes der Menschheitsgeschichte gerichtet, um aus ihm so etwas wie eine Philosophie der Menschheit herauszuarbeiten:
Das
Schicksal
ihrer
Ratio,
das
Ansteigen
zum
Ratio-
nalismus — vom Rationalismus des antiken Judentums über den Puritanismus bis zum Rationalismus der Industriegesellschaft. Alles jedoch bleibt fragmentarisch. Es gibt nur einige Punkte, an denen so etwas wie eine Vollendung des Werkes
zu bemerken
ist; einer davon ist, wie Weber
selbst
feststellte, der Abschnitt über das Naturrecht in Wirtschaft und Gesellschaft. Fassen wir die Charakterisierung zusammen: Für Weber ist -- im Unterschied zu anderen - das radikale Ernstnehmen der innerweltlichen Situation charakteristisch. Weber erlaubt sich keine Ausflüchte aus der Ananke des Handelns in der Welt. Trotzdem - oder gerade deshalb - leidet er an der
falschen
Haltung,
die
er nicht
die
er als situationsgebundener
auflösen
Mensch
kann,
in einer
sondern Zeit,
aus
der er ebensowenig völlig ausbrechen kann wie andere, zu 92
tragen hat. Das äußert sich in seinem politischen Verhalten in einer leidensduaftlichen Anteilnahme an der Politik,
gleichzeitig
aber im Rückzug
in entscheidenden
Situatio-
nen, in denen sich ihm Möglichkeiten zu politischer Tätigkeit, z. B. als Abgeordneter oder Staatssekretär eröffneten. In seiner wissenschaftlichen Arbeit zeigt sich dieses Leiden im Gefühl für die Sinnlosigkeit von wissenschaftlicher Tàtigkeit im Sinne von Wissen, dessen jeweiliger Stand spätestens nach einer Generation überholt ist. Es stellt sich hier das Problem, das Kant schon lange vor Weber in seiner Analyse des Fortschritts ansprach: Wohin kommen wir durch dieses ständige Fortschreiten der Wissenschaft? Was haben wir als Menschen hier und jetzt davon, daß in der Zukunft andere Menschen in einem vollkommeneren Reich der Ratio leben werden? Unser Leben wird dadurch nicht anders. Die letzte Sinnlosigkeit, die Kants ,Befremden" erregte, kann nur gelöst werden durch die Offenheit für Transzendenz als der Sinnöffnung des Lebens. Sie liegt nicht in der Welt. Dieser Sinnlosigkeit war Weber sich sehr bewußt, und das dürfte auch zum Teil den fragmentarischen Charakter seines Werkes erklären. Wir finden bei ihm also eine höchste geistige Sensitivität, aber keinen endgültigen Durchbruch, der die Falschheit anerkennt und die Spannung lösen würde. Es bleibt bei der Deformation der Wissenschaftsidee zu einer Wissenschaft vom innerweltlichen Handeln der Gesellschaft als Machtorganisation in der Form des Nationalstaats. Platon und Aristoteles und die Philosophie der Ordnung werden von der Rationalität der Immanenz als überholt verworfen. Das Webersche Ideal bleibt das der nachgalileischen Wissenschaft.
Dennoch
befindet,
klar
ist in alledem durchleuchtet.
die Und
Situation, gerade
in der
deshalb
er sich gibt
es
kein Zurück zu Max Weber oder gar hinter Max Weber. Er hat die Problematik klar dargestellt; wir haben von hier aus weiterzugehen in der Richtung der Transzendenzoffenheit und
der Restauration jener
93
Symbole,
in denen
die Er-
fahrungen Max
von
Weber
Vernunft
hat
diese
und
Geist
Situation
sich selbst
für uns
auslegen.
überwunden,
wir
haben in unserer Zeit die Realität wieder herzustellen. Lassen Sie mich diesen Teil meiner Ausführungen mit einer Anekdote beschließen, die im Werk von Baumgarten
über Max
Weber
enthalten
ist. Baumgarten
erzählt,
daß
Weber nicht erst nach seiner Krankheit von gelassener Höflichkeit gegen andere war, sondern selbst schon in der schwersten Zeit der Krankheit selbst. Als Marianne Weber den
Tiefpunkt
Widerstandes einreichte,
erlebte,
und
da
daß
ihrer
tröstete
ihr
Trauer der
Mann
trotz
sein
Kranke
ihres
inneren
Entlassungsgesuch die
leidenschaftlich
gegen sein Geschick sich auflehnende Frau mit einem ebenso gütigen, wie unverwüstlich selbstbewußten Satz: „Irgendwann finde ich schon ein Loch, aus dem ich wieder in die Höhe sause." Das ist die Symbolik des Aktivisten, der in der Nacht
sitzt, aber als Aktivist wie
eine
Rakete
durch
ein Loch aus der Höhle wieder in die Höhe saust. Man betrachte daneben das platonische Höhlengleichnis und den Mann, der für die Transzendenz offen ist und sich gezwungen fühlt, sich umzudrehen, die periagoge zu vollziehen und hinaufzusteigen zum Licht. Ganz anders Max Weber: Er saust wie eine Rakete aus dem Loch. Das Symbol für jene Zeit und für die ungelöste Spannung in ihr, könnte kaum charakteristischer sein.
IV. Man könnte diese Spannung, von der ich gesprochen habe, am
Gesamtvokabular
Max
Webers
nachweisen,
z.B.
an
den Kategorien, unter denen er die Politik als ein Feld faßt, in dem es auf Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß ankommt. Lassen Sie mich abschließend diesen Punkt noch kurz ansprechen.
Was
versteht
Weber
94
unter
,Leidenschaft"?
Ein
Blick auf die von ihm verwendeten Synonyme führt weiter:
Synonym gebraucht er den Ausdruck ,Sachlichkeit" und sy-
nonym mit ,Sachlichkeit" wiederum den Ausdruck
„Bändi-
gung der Seele". ,Leidenschaft" bedeutet somit genau das Gegenteil von
dem,
was
man
gewöhnlich
unter diesem
griff versteht:
Nicht, den Leidenschaften nachzugeben,
Beson-
dern die Seele zu bándigen und sich ganz auf die Sache zu konzentrieren,
um
die
es geht.
Oder
was
versteht
Weber
unter ,Verantwortung"? Auch sie ist Verantwortung gegenüber der Sache, und diese Verantwortung ist der Leitstern des Handelns. Auch diese Formulierung erinnert an die klassischen Probleme des hóchsten Gutes und an die Offenheit zu diesem hóchsten Gut. Oder betrachten wir schließlich das Wort „Augenmaß". Es bedeutet für Weber Distanz zu Dingen und Menschen. Das ist vielleicht die verráterischste Formulierung. Denn Distanz erfordert, daß man selber irgendwo steht. Die gesamte immanente Seinsrealität ist die Realität, zu der man Distanz haben muß. Doch wo findet man diese Distanz, außer in der nicht-existenten Rea-
lität der Vernunft und des Geistes? Überall also, wo diese Worte diskursiv ausgeführt werden, läßt sich am Gebrauch der Synonyma feststellen, daß Weber de facto seine Ethik genau in der gleichen Weise einstellt,
wie ein klassischer
Philosoph,
les, sie in seiner Politik formulieren
terschied zu entdecken und darum staunlichsten Parallelen. Man
etwa
würde.
ein Aristote-
Es ist kein Un-
finden sich auch die er-
darf wohl sagen, daD gewisse
Untersuchungen von Weber — etwa über modernes Parteienwesen oder über Bürokratie - in ihrer brillanten Analyse, in ihrer Distanziertheit zu der echten Problematik
der
Politik durchaus den aristotelischen Ausführungen über die Umwälzungen,
die stasis im 5. Buch der Politik an die Seite
zu stellen sind. Auf
dieser Hóhe
bewegt
sich Weber,
wenn
er aus der Distanz politische Untersuchungen anstellt. Im Hinblick auf diese Distanz ergeben sich dann die Todsünden der Distanzlosigkeit der aufgeregten Intellektuel-
95
len. Unter sie fällt alles, was überhaupt an Ideologien in der Zeit, speziell in der Revolutionszeit von 1918 vorhanden ist: die Eitelkeit und die Verantwortungslosigkeit, denn — ich gebrauche jetzt immer das Vokabular Webers, damit deutlich wird, wie sich bei ihm die Transzendenz wieder herstellt -- alle diese Handlungen sind oberflächlich gegenüber dem Sinn des menschlichen Handelns. Er weiß also, was
das ist, und dieser Sinn ist das Wissen
um
die Tragik,
in die alles Handeln verflochten ist. Wohlgemerkt um Tra-
gik im klassischen Sinn des Wortes.
Die Sachlichkeit
im
Verhalten zur Welt und ihrer Machtsphäre ist eine Forderung der Würde des Menschen. Der Verantwortungsethiker, wie Weber
ihn nennt,
ist der Träger dieser Würde.
Er
hat sich dem Übel zu widersetzen. Im Gegensatz dazu steht der Gesinnungsethiker - für ihn exemplifiziert durch Pazifisten, aber auch durch die Bergpredigt, verbunden mit würdeloser
Haltung,
aber
wieder
mit dem
Proviso,
würdelos
nur für den, der nicht Heiliger ist. Weber erkennt den Heiligen und die Gründe um deretwillen er Heiliger ist, im Sinne der sanctification des Lebens, durchaus an. Wir haben
hier eine ähnliche Situation wie bei Weber im allgemeinen in seinem Verhältnis zu Christentum und Judentum. Er versteht, letzten
worum
es geht,
Unmöglichkeit
aber
versagt,
ihm die
selber
ist es aus
einer
Verschlossenheit
zu
durchbrechen und wieder in die Transzendenz-Offenheit zurückzukehren. Man könnte dies für die gesamte Problematik der Gesinnung des Verantwortungsethikers durchführen. Lassen Sie mich abschließend auf noch einen Punkt hinweisen: Da Weber durchaus ein transzendenzbewußter Mensch war — wenn auch nicht offen dafür und nicht artikuliert in seiner Sprache, mußte er als Wissenschaftler alles das, was an Sinngehalt von der Transzendenzerfahrung, von der Symbolk der Vernunft und des Geistes her interpretiert werden sollte, in innerweltliche Typen umsetzen, d. h. er mußte aus innerweltlichen Sozialprozessen Idealty-
96
pen bilden, in denen sich die Ordnung auf den Geist und die Vernunft hin reflektiert. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung seines prachtvollen Abschnittes über das Naturrecht zu sehen. Das Naturrecht -- das der Stoa ebenso wie das moderne revolutionäre Naturrecht - hat ihn fasziniert. Denn in diesem Naturrecht manifestieren sich ja gerade die pragmatischen Paradigmen der richtigen Ordnung — einer Richtigkeit, die durch die Offenheit zur Transzendenz bestimmt wird, in der die Natur des Menschen
ihre an-
gemessene Ausgestaltung in Institutionen und Ordnungen der Gesellschaft findet. Das Naturrecht ist für Weber — um in seiner Sprache zu sprechen - einer der Idealtypen der richtigen Ordnung. Auf diese Weise bezieht er die richtige Ordnung wie Naturrecht in die Betrachtung ein. Und dieses Hereinziehen im Falle des Naturrechts ist das generelle Prinzip seiner Bildung von historischen Idealtypen, von denen er schon in den frühen Untersuchungen zur Methode der
Sozialwissenschaften
keineswegs
wertfrei
ausdrücklich
feststellt,
seien, da sie ja verursacht
daf)
sind
sie
durch
die Ideen der Menschen, die in Ordnungen der Vergangen-
heit gelebt haben. Und jene Ordnungen, die sich als Typische unter diesen Ideen herausgestellt haben, veranlassen jetzt die Aufstellung von Idealtypen, in denen sie erfaft werden. Doch die Ordnungen jener Zeiten enthielten ja im Gegensatz
zu
heit und die überziehen Idealtypen Webers und philosophie,
Webers
eigener
des Fortschritts
das
Problem
des
Puritaners
die
oder des Materialismus
der
ratio von
der
her verstanden
geht auf die Rationalitát des mus
Zeit,
Transzendenzoffen-
Ordnung aus Vernunft und Geist. Dieses Herder Ordnung der Vernunft und des Geistes in ist charakteristisch für das Gesamtwerk Max insbesondere für den Entwurf einer Geschichtsdie nicht einfach eine Geschichtsphilosophie
im besonderen,
sowie
ist, sondern
rationalen wird,
in der
Lebensführung
die wiederum
zurück-
Judentums und des Prophetisauf die Rationalität
97
des Mönch-
tums. Alles sind Fälle der Rationalität der Lebensführung, die aus der Distanz der Transzendenz zu der immanenten Ordnung gelangt, und diese Rationalität will \Veber zum durchlaufenden Leitbild, bzw. zum Idealtvpus der Geschichtsbetrachtung machen. Statt weitere Beispiele anzuführen will ih mit einer Anekdote schließen, die ebenfalls von Baumgarten mitgeteilt wird,
sich aber
zeitlich
nicht
datieren
läßt.
Sie
lautet
wie folgt: Im Saal des Heidelberger Hauses, auf der Ziegelhäuserstraße,
saßen
Max
und
Marianne
Weber
öfters
vor
dem Schlafengehen, meist schweigend, er mit einer Zigarre, diein das Dunkel des Raumes ab und zu kleine Lichtpunkte streute. Einmal sagte er durch den stillen großen Saal zu ihr hinüber
am
Fenster:
„Sag
mal,
kannst
Du
dir vorstel-
len, Du seist ein Mystiker?" Marianne Weber, die sehr viel common sense hatte, erwiederte: „Das wäre gewiß das letzte, was
ich mir denken könnte.
für Dich Dir vorstellen?"
Kannst Du es denn
Darauf Max
Weber:
etwa
„Es könnte
sogar sein, daß ich einer bin. Da ich mehr in meinem Leben
geträumt habe als man sich eigentlich erlauben darf, so bin ich auch nirgends ganz verläßlich daheim. Es ist als könnte und wollte ich mich aus allem ebensowohl auch ganz zurückziehen." Das ist eine prachtvolle Formulierung des Paulinischen hosne, des Als-Ob-Nicht, der christlichen Anordnung „Seid in der Welt, aber nicht von hier. Lebt in der Welt, als ob ihr nicht in ihr lebet und zu ihr gehórtet." Und mit dieser Formulierung
nun
wieder,
die nicht ganz
christ-
lich ist, sondern nur die Möglichkeit ausspricht, man könnte sich auch
aus
der Welt
zurückziehen,
steht
Weber
wieder
einem anderen Denker nahe, der am Anfang dieser Zeit der Spannung lebte — Thomas Morus. In seiner Utopia spricht im Dialog der Wanderer, der die wahre Ordnung und den sinn des Lebens auf seinen Wanderungen über die qanze Erde
sucht, zu seinem
nen Wanderungen,
weit weg von Gott.“
Freund:
, Wo
immer
ich bin auf mei-
stellt sich heraus, ich bin immer gleich
98
Aquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte Wenn
wir nach den Konstanten
Gesellschaft
und Geschichte
menschlicher
suchen,
Ordnung
in
wissen wir im Augen-
blick nicht recht, welche Sprache wir verwenden sollen. Denn eine Reihe traditioneller Begriffe erweist sich immer mehr als inadäquat, dieser Suche Ausdruck zu verleihen, während neue Begriffe mit ausreichender Präzision sich noch nicht herausgebildet haben. So sprechen wir immer noch von den unveränderlichen Werten im Prozeß der Geschichte, obwohl wir wissen, daß der Ausdruck , Werte" das caput mortuum einer vergangenen methodologischen Ära darstellt. Wir müssen ihn aber benutzen, wenn ständlich
ausdrücken
wollen,
weil
sich eine
wir uns ver-
Terminologie,
die der Erfahrung des Menschen von seiner eigenen tur besser entspricht, noch nicht soweit durchgesetzt
daD sie schon allgemein akzeptiert würde.
Nahat,
Während es also noch keine angemessene Sprache gibt, die sich mit der Autorität einer etablierten Theorie aufdrängt, benutzen wir eine solche schon längst bei unserer praktischen Arbeit an Symbolen. Wenn wir nämlich an vergleichenden
Untersuchungen
über
Ahnenkulte,
Initia-
tionsriten, Krónungsrituale, über Mythen vom ewigen Leben oder das Totengericht in verschiedenen Gesellschaften arbeiten,
dann reden
wir nicht von
, Werten",
sondern
wir
sprechen von ,áquivalenten" Kulten, Zeremonien, Riten und Mythen. Und dabei sind wir uns auch bewußt, daß es
Unterschiede zwischen den einzelnen Symbolen gibt, und
wir wissen sehr wohl, daß das Gleichbleibende, das es recht-
99
fertigt, von bolen
, Aquivalenzen"
selbst liegt, sondern
zu sprechen, nicht in den Symin den
Erfahrungen,
die diesen
Symbolen zugrundeliegen. Wenn wir also von ,Aquivalenzen" sprechen, bedeutet dies gleichzeitig die theoretische Einsicht, daß nicht die Symbole selbst, sondern die Konstanten der sie hervorbringenden Erfahrung die eigentlichen Gegenstände unserer Untersuchungen sind. Was in der Geschichte der Menschheit unverändert bleibt, sind nicht die Symbole, sondern das ist der Mensch auf der Suche nach seiner menschlichen Natur und ihrer Ordnung. Obwohl dieser Sachverhalt klar und einfach formuliert werden kann, hat er weitreichende Konsequenzen. Denn
eine vergleichende
Untersuchung,
die sich nicht dar-
auf beschränkt, die Symbole als Phänomene zu registrieren,
sondern zu den Konstanten der sie hervorbringenden Erfahrung vordringt, kann ja nur an Hand von Symbolen durchgeführt werden, die ihrerseits wiederum von den Konstanten hervorgebracht wurden, nach denen unsere vergleichende Untersuchung auf der Suche ist. Das Stu-
dium
von
Symbolen
ist ein reflektives
Fragen !', das die
suche nach der Wahrheit existentieller Ordnung zum Gegenstand hat. Wenn es einmal voll entwickelt ist, wird es zu dem
werden,
was
man
traditionell
eine
Philosophie
der Geschichte nennt. Das Suchen nach einer Theorie von ,Aquivalenzen" setzt also die Existenz eines Philosophen voraus, der sich der zeitlichen Dimension seiner eigenen
Suche bewußt geworden ist und sie zu der seines geschicht-
lichen Vorgängers in Beziehung setzen möchte. Das Bestreben,
eine
Theorie
,Aquivalenzen"
von
zu
,Werten"
ersetzen,
durch
markiert
eine den
Theorie
Punkt,
von
an dem
das vergleichende Studium von Symbolen dazu gekommen ist, sich zu verstehen als Suche nach der Suche. Die folgenden Reflexionen
sollen, soweit dies im Rahmen
eines Auf-
satzes móglich ist, die Hauptprobleme dieses neuen geschichtlichen Bewußtseins klären. Dabei will ich zuerst die Probleme betrachten, die sich aus der Begegnung des Phi-
100
losophen mit einem intellektuellen Klima ergeben, das von der Theorie von ,Werten" beherrscht ist.
I. Die eigene Natur zu verstehen und sein Leben im Licht der gewonnenen Einsicht zu ordnen, ist das Bestreben des Menschen in der Geschichte gewesen, soweit schriftliche Zeugnisse zurückreichen. Wenn sich heute ein Philosoph reflektiv
dem
Realitätsbereich
zuwendet,
den
man
menschliche
Existenz nennt, dann entdeckt er ihn nicht als eine terra incognita, sondern er bewegt sich inmitten von Symbolen für
die Wahrheit der Existenz, welche die Erfahrungen seiner Vorgänger repräsentieren.
Dieses Feld von Erfahrungen und Symbolen ist weder ein Gegenstand, den man von einem Standpunkt außerhalb beobachten könnte, noch bietet es für jedermann dasselbe Erscheinungsbild. Es ist vielmehr die Existenz in ihrer zeitlichen Dimension, die nur dadurch zugänglich wird, daß man an dieser Realität partizipiert. Und was der Philosoph, der sich in diesem Feld bewegt, sieht oder nicht sieht, was er versteht oder nicht versteht, und ob er sich überhaupt in ihm
zurechtfindet,
hängt
von
der Art und
Weise
ab,
in
der seine eigene Existenz geformt ist durch geistige Disziplin in Offenheit gegenüber der Realität oder deformiert durch unkritische Übernahme von Auffassungen, welche die Realität der unmittelbaren Erfahrung verdunkeln. Nehmen
wir einmal an, ein Philosoph habe sich selbst de-
formiert, indem er sich die Anschauung zu eigen machte, die
Wahrheit der Existenz sei eine Serie von Behauptungen über die richtige Ordnung des Menschen in Gesellschaft und Geschichte, die Richtigkeit dieser Behauptung könne bewiesen
mann
werden,
akzeptabel.
und
Wenn
deshalb
er nun 101
seien
sie
auch
für
jeder-
mit dieser Überzeugung
das Feld der Symbole betritt, wird er mit Sicherheit enttäuscht und bestürzt sein. Denn er wird vergeblich nach der einen und einzigen Serie wahrer Behauptungen Ausschau halten, die seiner Erwartung nach aus den Anstrengungen der Menschheit in einer Zeit von 5000 Jahren doch eigentlich hervorgegangen sein müßte. Das Feld der Geschichte wird sich ihm vielmehr als eine selva oscura solcher Serien darstellen, die alle voneinander verschieden sind, jede mit dem
Anspruch,
die einzig
wahre
zu
sein,
keine über die allgemeine Anerkennung
von
denen
aber
verfügt, die sie im
Namen der Wahrheit fordert. Weit davon entfernt, die unveränderlichen Werte der Existenz zu finden, wird er sich in dem lärmenden Streit unter den Inhabern dogmatischer Wahrheit verloren vorkommen - sei diese Wahrheit nun theologisch, metaphysisch oder ideologisch. Nun mag er vielleicht,
in dieser Weise
schichtlichen
Feldes
mit der Dogmatomachie
konfrontiert,
den
Kopf
des
verlieren
geund
sich seinerseits in die Schlacht stürzen. Hält er aber an seiner Überzeugung fest, daß existentielle Wahrheit, soweit sie überhaupt gefunden werden kann, ein endgültiger Katalog von Aussagen, Regeln oder Werten sein muß, dann wird er zu gewissen Schlußfolgerungen neigen. Vom intellektuellen Standpunkt
aus wird er vielleicht vermuten,
daß
eine Suche, die nun schon Jahrtausende andauert, eine Jagd nach dem Unerkennbaren sei, die man lieber aufgeben solle. Und wenn er dann das wenig erhebende Schauspiel der Dogmatomachie betrachtet, mit all der Enttäuschung, Angst, Entfremdung, mit den wilden Beschimpfungen und der Gewalt,
die
damit
verbunden
ist, dann
wird
er
es vielleicht
auch unter moralischen Gesichtspunkten für besser halten, sich nicht weiter an dieser Suche zu beteiligen. Und wir können
ihm
zu dem
Schluß kommt,
Weisheit
ist,
kaum und
Vorwürfe er
machen,
daß
Skepsis
deshalb
ein
wennn
ehrlicher
Historist wird. Die problematische Phase im Denkprozeß 102
er schließlich
die reifste Frucht Relativist
der und
unseres Philo-
sophen
ist nicht
die skeptizistische
dern seine Ausgangsüberzeugung,
Schlußfolgerung,
durch die er dem
son-
Feld
der Symbole das Erscheinungsbild einer unaufhörlichen Dogmatomachie aufzwingt. Gegenüber dem Vorwurf, dem Feld der Symbole
Gewalt
anzutun,
kann
er jedoch einwen-
den, daß er zu Unrecht beschuldigt werde: Die genannte Überzeugung sei ja nicht seine Erfindung; er habe sie in seinem Umfeld als ein Phänomen vorgefunden, das sich ihm massiv aufdrängte, und er tue schließlich nichts anderes,
als vernünftige Schlußfolgerungen aus seinen Beobachtun-
gen zu ziehen. Was sollen wir jetzt tun? Sollen wir erklären, daß seine Beobachtungen durchaus zutreffend, seine Schlußfolgerungen aber recht problematisch seien? Das Problem dieses Zirkels soll uns in Kürze beschäftigen. Für den Augenblick durchbrechen wir ihn, indem wir feststellen: Geschichte ist nicht ein stetig fließender Strom von Existenz in Wahrheit, sondern sie wird unterbrochen durch Perioden oder sozusagen durchsetzt von Schichten deformierter Existenz. Eine solche Periode oder Schicht von Deformation kann nun auf einen Menschen einen so massiven Druck ausüben, daß er ihm nachgibt und folglich sich selbst deformiert, indem er deformierte Existenz als Muster für wahre Existenz nimmt. Und der Philosoph, der sich deformierte Existenz zu eigen gemacht hat, wird schließlich das geschichtliche Feld von Erfahrungen und Symbolen deformieren, indem er ihm sein eigenes Deformationsmuster aufzwingt. Die deformierten Bereiche des Feldes bekommen
den
Status
wahrer
Realität,
während
die
Bereiche
wahrer Existenz durch die Bilderwelt der Deformation ver-
dunkelt werden.
Das
Ergebnis können wir eine scotosis ^
der Wahrheit nennen. Der unmittelbare Ursprung der Vorstellung, daß die Wahrheit menschlicher Existenz ein Kor-
pus
von
Doktrinen
mit immerwährender
Gültigkeit sein
müsse, vorzugsweise ein System, das allen Systemen ein Ende setzt, kann im Fall unseres zeitgenössischen Philoso-
phen auf die Krise zurückgeführt werden, in die Theologie 103
und Metaphysik im 18.
Jahrhundert geraten sind. Die Sym-
boliken, die durch noetische und pneumatische Erfahrungen
in Altertum und Mittelalter hervorgebracht worden waren,
hatten
ihre Transparenz
Realität verloren,
halten
von
Versuche, Realität
für die ihnen zugrundeliegende
existentieller Glaube
Lehrmeinungen diesen
der
Verlust
Existenz
war
vertrocknet.
wieder
zum
Die
wettzumachen
zurückzugewinnen,
Fürwahr-
kritischen und
Versuche,
die deren
Erfolg man unter anderen Gesichtspunkten weder leugnen noch zum
verkleinern Scheitern
muß,
waren
verurteilt,
im
entscheidenden
Punkt
weil sie unter so verführerischen
Bezeichnungen wie einem System der Wissenschaft oder einem System der positiven Wissenschaft den defizienten Modus doktrinärer Wahrheit als die Form beibehielten, welche die neue Erkenntnis annehmen mußte. Auf die dogmatische Theologie und Metaphysik des 18. Jahrhunderts folgten die dogmatischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts; ein älterer Typus fundamentalistischer Doktrin wurde so durch einen neuen Fundamentalismus fortgesetzt. Die Überzeugung, daß existentielle Wahrheit eine allgemein
anzuerkennende
Doktrin
sei, ist so zum
Kennzeichen
eines ,Zeitalters" geworden, das sich in groben Umrissen von 1750 bis 1950 erstreckt. Es ist das Zeitalter der modernen
Dogmatomachie,
das
häufig
auch
als
das
Zeit-
alter des „modernen Menschen” bezeichnet wird -- mit dem Unterton einer apokalyptischen neuen Zeit, des Zeitalters, in dem der Mensch mündig geworden ist, des vollkommenen und deshalb letzten Zeitalters menschlicher Geschichte. Dadurch, daß unser hypothetischer Philosoph das Merkmal des Zeitalters als Merkmal seiner eigenen Existenz übernommen hat, nimmt er an eben dem Akt von Anpassung
teil, den
ein
Philosoph,
der
seinen
Namen
verdient,
um jeden Preis vermeiden muß. Denn ,Zeitalter" sind sehr schlecht ausgestattet mit Bewußtsein und geistiger Ordnung, sie sind das gesellschaftliche und geschichtliche Feld deformierter
Existenz,
die, wenn
104
sie einmal
der
Kontrolle
des Bewußtseins entglitten ist, dazu neigt, die Autorität existentieller Ordnung zu usurpieren, eine Aufgabe, die
aber gerade dem Geist zukommt. Wir sind alle hinlänglich
mit dem ,Zeitalter" und seiner usurpierten Autorität vertraut, denn wir alle sind Menschen begegnet, die ihre menschliche Natur entschlossen von sich weisen, die darauf bestehen, daß sie moderne Menschen sind, und in sogenann-
ten Diskussionen
mierter
versuchen,
Existenz
uns
zu überschütten.
mit der Rhetorik
Dieser Art von
defor-
,Zeit"
kann zwar der Philosoph in unseren Tagen nicht aus dem Wege gehen. Denn sie ist das soziale Feld, in das er hineingeboren ist, und von allen Seiten dringt sie auf ihn ein. Doch darf er ihrem Einfluß nicht erliegen. Der Weg des Philosophen ist der Weg hinauf zum Licht, nicht der Weg hinab in die Höhle. Dem verführerischen Zwang, sich selbst zu deformieren und vielleicht sogar der Wortführer des ,Zeitalters"
zu
werden,
muß
man
mit
der
Antwort
ent-
gegentreten: Siehe,
mein
Name
wird übel
riechen
durch dich
mehr als der Gestank von Vogelmist an Sommertagen, wenn der Himmel heiß ist. Dies
ist die Antwort,
die
der Mensch
dem
,Zeitalter",
re-
präsentiert durch seine eigene Seele, gegeben hat, der Mensch in Gestalt eines unbekannten ágyptischen Denkers im 3. Jahrtausend vor Christus.
II. Es dürfte klar geworden sein, daß die Frage nach den Konstanten in der Geschichte der Menschheit weder durch Behauptungen über die richtige Ordnung beantwortet werden kann noch durch einen Katalog unveränderlicher Werte.
Denn der Strom der Existenz hat weder die Struktur von Ordnung noch, in dieser Hinsicht, von Unordnung, sondern 105
er hat die Struktur einer Spannung zwischen Wahrheit und Deformation von Realität. Nicht der sichtbare Besitz seiner wahren
menschlichen
Natur,
sondern
die
Sorge
um
ihre
volle Verwirklichung ist das Schicksal des Menschen. Existenz hat die Struktur des Zwischen, des platonischen metaxy, und wenn
irgendetwas
in der Geschichte der Mensch-
heit konstant bleibt, dann ist es die Sprache der Spannung zwischen Leben und Tod, Unsterblichkeit und Sterblichkeit,
Vollkommenheit
und
Unvollkommenheit,
keit; zwischen Ordnung wahrheit,
Sinn
und
Zeit und
Ewig-
und Unordnung, Wahrheit und Un-
Sinnlosigkeit
der
Existenz;
zwischen
amor Dei und amor sui, l'àme ouverte und l'äme close; zwischen den Tugenden der Offenheit gegenüber dem Seinsgrund,
wie Glaube,
Hoffnung und Liebe, und den Verirrun-
gen der Abkapselung und des Sich-Verschließens wie Hybris und Revolte; zwischen den Stimmungen von Freude und Verzweiflung; und schließlich zwischen Entfremdung in der doppelten Bedeutung der Entfremdung von der Welt und der Entfremdung von Gott. Wenn wir diese zusammengehórenden Symbolpaare aufspalten und die Pole der Spannung als unabhängige Gegenstände hypostasieren, zerstören wir die existentielle Realität, wie sie von denen erfahren wurde, die diese Spannungssymboliken geschaffen haben. Wir erleiden einen Verlust an Bewuftsein und Geist; wir deformieren unsere menschliche Natur und reduzieren uns selbst auf einen Zustand stiller Verzweiflung
oder
aktivistischer
Anpassung
an
die
,Zeit",
einen
Zustand von Drogensucht oder Fernsehabhängigkeit, von hedonistischer Betäubung oder mörderischem Besitz der Wahrheit, von Leiden an der Sinnlosigkeit der Existenz oder Schwelgen in jeder Art von Divertissement (im Sinn Pascals), das als ein , Wert" Ersatz für die verlorene Realitát verspricht. In der Sprache Heraklits und Platons: Das Leben im Traum verdrángt das wache Leben.
Absolut
gültige
Doktrinen,
Systeme
und
Werte
sind
Trugbilder, die durch deformierte Existenz hervorgebracht
106
werden. Was in der Geschichte der Menschheit’, d.h. in der zeitlichen Dimension der Existenz konstant bleibt, ist die Struktur der Existenz selbst. Und im Hinblick auf diese konstante Struktur können in der Tat gewisse Aussagen ge-
macht
werden.
An
erster
Stelle
steht
die
grundlegende
Aussage: (1) Der Mensch partizipiert am Prozeß der Realität. Die Implikationen dieser grundlegenden Aussage können dann durch folgende Sätze ausgedrückt werden: (2) Der Mensch hat Bewußtsein von der Realität als einem Prozeß, von sich selbst als einem Teil dieser Realität und von seinem Bewußtsein als einem Modus des Partizipierens an diesem Prozeß. (3) Indem er mit Bewußtsein partizipiert, kann der Mensch Symbole hervorbringen, die seine Erfahrung von der Realität, vonsich selbst als dem erfahrenden Subjekt und von seiner bewußten Erfahrung als dem aktiven und passiven Vorgang des Partizipierens zum Ausdruck bringen. (4) Der Mensch weiß, daß die Symbole, die er hervorbringt, Teil der Realität sind, die sie symbolisieren: dieSymbole Bewußtsein, Erfahrung und Symbolisierung bezeichnen den
Bereich,
in
dem
der
Prozeß
der
können
wir
Realität
für
sich
selbst durchsichtig wird *. Diesen
positiven
Aussagen
schließlich
noch
drei Sätze hinzufügen, die in diesen Aussagen zwar schon enthalten
sind, aber dazu
dienen
sollen,
Fehldeutungen
zu
vermeiden: (5) Realität ist nichts Gegebenes, das man von einem Standpunkt außerhalb ihrer selbst beobachten könnte, sondern
sie schließt das Bewußtsein
in sich, in dem
sie für
sich selbst durchsichtig wird. (6) Die Erfahrung der Realität kann nie total sein, sondern sie hat perspektivischen Charakter. (7) Die Erkenntnis der Realität, die durch die Symbole ver107
mittelt wird, kann nie zu einem endgültigen Besitz der Wahrheit
werden,
denn
die
für sich
selbst
durchsichti-
gen Perspektiven, die wir Erfahrungen nennen, ebenso wie die durch sie hervorgebrachten Symbole, sind Teil der Realität in ihrem Prozeß. Aussagen
wollen
wahr
sein, aber der spezifische
Inhalt
dieser Aussagen läßt hinsichtlich ihrer Gültigkeit Zweifel
aufkommen, denn sie bringen die Erfahrung des Partizipierens
an einem
Prozeß
zum
Ausdruck,
von welchem
der er-
kennende Mensch ein Teil ist. Da das Partizipationswissen sich nicht auf einen Gegenstand der äußeren Welt richtet, wird es zu einer Helligkeit in der Realität selbst, und folglich rücken der Erkennende und das Erkannte in die Position von Spannungspolen in einem Bewußtsein, das wir erhellt und für sich selbst durchsichtig nennen, insofern es die Symbole hervorbringt, welche die Erfahrung von der eigenen Struktur ausdrücken. Diese Konfrontation mit einem
erkennenden
Bewußtsein,
dessen
Erkennnen
in sich
selbst eingeschlossen ist, führt notwendigerweise zu folgenden Fragen: Können wir wirklich von einer konstanten Struktur der Existenz sprechen
und
annehmen,
daß die
Aussagen, die wir gemacht haben, diese Struktur adäquat ausdrücken? Sind nicht die verwendeten Symbole zugegebenermaßen
Bestandteil
der
Struktur,
die
sie
sollen? Gibt es, losgelöst von der Metaphorik sagen,
überhaupt
gen wirklich mehr such, aus einem
eine
solche
Struktur?
Sind
ausdrücken
dieser Ausdiese
Aussa-
als ein zwangsläufig vergeblicher
Prozeß
auszubrechen,
aus dem
Ver-
der Mensch,
nach eben diesen Aussagen, gar nicht ausbrechen kann? Diese Zweifel sind legitim. Die Existenz des Menschen im metaxy von Unvollkommenheit und Vollkommenheit, Zeit und Ewigkeit,
Sterblichkeit und Unsterblichkeit ist tat-
sachlich kein Gegenstand
Aussagen
der Sinneswahrnehmung,
eines Bewußtseins,
zipationsstruktur
reflektiert,
und die
das über seine eigene sind
108
in
der
Tat
ein
Parti-
Akt
der
Reflexion auf sich selbst. Aus dieser Lage der Dinge folgt jedoch nicht, daß wir damit in ,Subjektivitát" verfallen. Denn
der
wußtsein Flug
der
Prozeß
der
Selbstreflexion,
für sich selbst durchsichtig Phantasie,
noch
sind
durch
wird,
Symbole,
die
das
Be-
ist weder
den
ein
durch
diesen
Prozeß hervorgebracht werden, etwa nur noch eine weitere Ideologie oder ein weiterer Entwurf einer „Zweiten Realität”. Der Akt der Selbstreflexion ist real. Er ist erkennbar auf eine weniger reflektierte Partizipationserfahrung bezogen und auf ihre weniger differenzierte Symbolisierung. Und die Aussagen, die durch diesen Akt hervorgebracht werden,
sind erkennbar
Aquivalente
für die Symbole,
die
als unbefriedigend erkannt worden waren und deren Mangel an Differenzierung den Akt der Selbstreflexion motiviert
hatte.
Deshalb
kónnen
die
Aussagen,
die
aus
einem
solchen Prozeß der Selbstreflexion hervorgegangen sind, auch objektiv überprüft werden, wenn wir auch nicht die Kriterien benutzen können, die wir für Aussagen über Gegenstände der äußeren Welt anwenden. Die Gültigkeit der Aussagen kann und muß überprüft werden, indem man sie in das geschichtliche Feld von Erfahrungen und ihren Sym-
bolisierungen plaziert, d.h. in die zeitliche Dimension der
Existenz selbst. Die Fragestellung zur Überprüfung der Gültigkeit lautet: Müssen wir einen erheblichen Teil des geschichtlichen Feldes ignorieren oder im Dunkeln
lassen, um
die Wahrheit dieser Aussagen aufrechterhalten zu können, wie es ja die fundamentalistischen Anhänger dieser oder jener Ideologie tun müssen; oder sind diese Aussagen erkennbar äquivalent mit den Symbolen, die unsere Vorgänger in der Suche nach der Wahrheit der menschlichen Existenz geschaffen haben? Das Wahrheitskriterium ist — zugespitzt formuliert — der Mangel an Originalitát in diesen Aussagen. Bezüglich dieses Kriteriums kann ich mich kurz fassen, da Sie sicher die zahlreichen Anspielungen auf antike, mittelalterliche und moderne Vorgánger bemerkt haben: auf 109
Platon
und
Aristoteles,
den
Hl.
Augustinus
und
Thomas,
auf Bergson und Whitehead. Es genügt, an einige äquivalente Symbolisierungen des zentralen Problems zu erinnern, d.h. an die Symbolisierung der Partizipationserfahrung und der Identität und Nicht-Identität des Erkennenden mit dem Erkannten, die sich aus dieser Erfahrung ergibt. Daß Sein und Denken dasselbe sind, war die Erkenntnis des Parmenides;
daß der logos
seiner Rede
mit dem
lo-
gos der Realität, den die Rede zum Ausdruck bringt, identisch ist, war die Einsicht Heraklits. Die Symbolik
des Parti-
zipierens, also die Symbolik von methexis oder metalepsis, findet sich ebenso in der klassischen wie in der scholastischen Philosophie. Aletheia in der Doppelbedeutung von Wahrheit und Wirklichkeit ist platonisch-aristotelisch. Die Identität und Nicht-Identität des Erkennenden mit dem Erkannten hat ihr Äquivalent in Hegels subtiler Definition der absoluten Realität als der Identität von Identität und Nicht-Identität. In diesem Fall kann unsere Übereinstimmung allerdings nur bedingt gelten, da Hegel von der Analyse einer Bewußtseinsstruktur in die Konstruktion eines
Systems entgleist. Der Prozeß der Realität ist das Aquiva-
lent zu Whiteheads Konzeption der Erfahrung. Das „Zwischen” der menschlichen Existenz schließlich ist Platons metaxy. Und die Tugenden der existentiellen Spannung - Liebe, Hoffnung und Glaube - sind immerwiederkehrende Symbole von den Vorsokratikern und den klassischen Philosophen über den Hl. Paulus und Augustinus bis in die Gegenwart.
Die Symbole
der Entfremdung
schlieflich, die bei
den hellenischen Dichtern und Philosophen zu finden sind, wurden durch Clemens von Alexandrien anläßlich seiner Auseinandersetzung mit der gnostischen Antwort auf die Entfremdung zusammengetragen, und neue Varianten dieser Symbolik wurden von den Christen und Neuplatonisten entwickelt.
Indem
wir selbst auf der Suche
sind, beteiligen
wir uns also heute in der Tat an der gleichen Suche, auf die sich unsere Vorgänger zu ihrer Zeit eingelassen haben. 110
111. Daß
unsere
Aussagen
man
sie
das
auf
überprüft
historische
werden
Feld
können,
anwendet,
aus
indem dem
sie
durch einen Akt reflektiver Partizipation hervorgegangen sind, Können wir im Prinzip als gesichert ansehen. Aber eben jener zirkuläre Prozeß von Reflexion und Anwendung ist damit noch nicht hinreichend genau beschrieben. Wen-
dungen wie „Verlagerung der Suche von den Symbolen auf
die Erfahrungen" oder „der Mangel an Originalität als Kriterium der Richtigkeit”
sind klar genug,
um die irreführen-
de Annahme unveränderlicher Werte zu vermeiden, und auch suggestiv genug, um die Untersuchung in die richtige Richtung zu lenken, analytisch jedoch sind sie unbefriedigend. Zum Teil diente diese Unbestimmtheit dem Zweck, eine konventionelle Terminologie zu vermeiden, die stark von ideologischem Jargon durchdrungen ist. Zum anderen Teil sollte sie jedoch auch die Analyse vor der Gefahr bewahren,
in die Irrtümer
zu verfallen,
die sich aus Konkret-
heit am falschen Ort ergeben und in solchen Fällen hinter jedem unanalysierten Begriff lauern. Es wäre unsinnig, an die Stelle der irreführenden Auffassung von unveränderlichen Werten subtilere, aber ebenso falsche Auffassungen über existentielle Spannung und Partizipationserfahrungen zu setzen. An
erster Stelle muß
der Fehler
vermieden
werden,
Er-
fahrung als ein Absolutum zu hypostasieren. Wenn wir Symbole trotz ihrer Unterschiede als äquivalent auffassen, weil sie, wie wir sagten, erkennbar durch denselben Typus von Erfahrung hervorgebracht wurden, dann droht die Erfahrung der Fixpunkt bei unserer Suche nach Konstanten in der Geschichte zu werden. Diese Lösung des Problems wäre verführerisch, leider aber ist sie unhaltbar. Denn diese konstante
Erfahrung
identifiziert ist, wäre
das
müßte
werden
artikuliert
zu können,
Ergebnis
und
ein Symbol,
111
werden, sobald das
um
als solche
sie artikuliert
beansprucht,
nicht
dem
Schicksal
ausgeliefert zu sein, nichts
als eine weitere,
historisch äquivalente Wahrheit darzustellen. Wir wären wieder bei dem System, das allen Systemen ein Ende setzt
— die Lösung Hegels. Wenn
wir dieses unselige Ende ver-
meiden wollen, dann müssen wir die Unterschiede in den Symbolen in die sie hervorbringenden Erfahrungen zurückverlegen und folglich nicht nur von der Äquivalenz von
Symbolen,
sondern genauso
fahrungen
sprechen.
analytisch notwendig
Wenn
von
der Äquivalenz
wir
aber
dieses
der Er-
Ergebnis
als
akzeptieren, werden wir vergeblich
die Konstante in einer Erfahrung suchen, welche die Konstante als ihren Inhalt ja erst artikulieren soll. Die Konstante, die es rechtfertigt, von äquivalenten Erfahrungen zu sprechen, muß eine Schicht tiefer gesucht werden als in der Schicht von äquivalenten Erfahrungen, die äquivalente Symbole hervorbringen. Diese tiefere Schicht ist in der Tat von Denkern wahrgenommen worden, welche sorgfältig diejenigen Prozesse beobachteten, durch die sie zu differenzierteren Erfahrungen gelangten, welche dann wiederum differenziertereSymbole hervorbrachten, als sie zu ihrer Zeit verbreitet waren. In noch kompakter Form ist diese Tiefe gegenwärtig in den Aussagen der Vorsokratiker’ über die Identität von Sein und Denken und die Identität des logos der Rede mit dem
logos des Seins. Auf einer höheren Differenzierungsstufe hat die Beobachtung
des Prozesses
Heraklit, Aischylos
und
Platon dazu veranlaßt, das Symbol einer , Tiefe" der Seele zu entwickeln, aus der eine neue Wahrheit der Realität zu bewußter Erfahrung heraufgeholt werden kann. Und ihr
Symbol der „Tiefe“ ist über eine lange Kette von Aquiva-
lenten als Einsicht bewahrt worden bis hin zu den zeitgenössischen Tiefenpsychologien und den Psychologien des Unbewußten. Diese Tiefe der Seele wird jedoch von den hellenischen
Denkern
als eine
aller artikulierbaren Erfahrung das Symbol
, Tiefe"
ausgedrückt
112
Tiefe
erfahren,
die jenseits
liegt. Sie kann zwar durch werden,
aber dieses
Sym-
bol vermittelt unseren
nicht
etwa
Erfahrungen
einen
von
Gott,
substantiellen
Gehalt,
Mensch,
und
Welt
der
Gesell-
schaft, sowie den Erfahrungen der existentiellen Spannung und des Partizipierens etwas hinzufügen würde. Wir müssen daher den Fehler vermeiden, uns die Tiefe als einen Be-
reich vorzustellen, dessen Topographie durch eine Wissenschaft
erforscht
werden
könnte,
die
etwa
nicht
durch
die
Grenzen gebunden wäre, innerhalb deren wir die Wahrheit
der Realität erfahren können. Also dürfen wir diese Tiefe weder mit den Archetypen eines kollektiven Unbewußten bevölkern noch sie mit libidinösen Triebkräften ausstatten, um durch fornicatio fantastica ein Absolutum zu gewinnen, das eine kritische Analyse der Erfahrung nicht liefern kann. Obwohl also die Erfahrung der Tiefe dem substantiellen Gehalt der Erfahrungen und Symbole, mit deren Aquivalenz
wir
uns
beschäftigen,
nichts
hinzufügt,
hat
sie
doch
einen ihr eigenen Gehalt: Sie vermittelt Einsicht in den Pro-
zeß der Realität, Darüberhinaus
aus dem
haben
die Aquivalente
die Menschen,
hervorgehen.
die durch diesen
Pro-
zeß hindurchgegangen sind, in ihrem Bestreben, diese Erfahrung genau zu artikulieren, eine reichdifferenzierte Sprache entwickelt. Da ist an erster Stelle das Symbol psyche. Die hellenischen Denker haben den vorgefundenen Ausdruck transformiert zum Symbol für einen Situs bzw. die Matrix von Erfahrung, die den Bereich bewußter Erfahrung umgibt und umschließt. In der neuen, symbolischen Bedeutung hat die psyche Tiefe, und diese Tiefe ist ohne Grenzen: Man
kann in die Tiefe hinabsteigen und
ein Taucher kann der Mensch aus der über die Realität heraufholen, die bis artikulierte Einsicht vorhanden war; in der bewußten Erfahrung zu einem
sie erkunden;
wie
Tiefe eine Wahrheit dahin noch nicht als die Erkundung führt Zuwachs an Sinnge-
halt *. Aber da der Mensch sich auch der Kontinuität zwischen
Bewußtsein
und
Tiefe
bewußt
ist,
kann
man
auch
von einem Zuwachs an Sinngehalt in der psyche sprechen. Ein Abstieg in die Tiefe wird notwendig, wenn dasLicht der 113
Wahrheit trübe geworden ist, und die Symbole allmählich ihre Glaubwürdigkeit verlieren; wenn die Nacht auf die
Symbole herabsinkt,
zu hell
der Nacht erleuchtet
der
deren Zeit abgelaufen
Tiefe
ist für
zurückkehren, den
Menschen,
ist, muß
die von der
bereit
man
Wahrheit ist,
nach
ihr zu suchen. Die Tiefe zieht in ihren Bann sowohl als Bedrohung wie als Reiz - als der Abgrund, in den der Mensch fällt, wenn die Symbole, durch die er seinem Leben Orientierung gibt, so weit ausgetrocknet sind, daß die Wahrheit der Tiefe
aus
ihnen
verschwindet,
und
als die Quelle,
aus
der ein neues Leben der Wahrheit und neue Orientierung heraufgeholt werden kann. Die Rückkehr aus der Tiefe mit einer neu erfahrenen Wahrheit wird dann symbolisiert als renovatioin dem doppelten Sinn von Erneuerung der Wahrheit und Erneuerung des Menschen. Der neue Mensch kann die Erneuerung der Realität und der Wahrheit mit solcher Intensität erfahren,
daß
nur die Symbole
, Tod"
und
„Auf-
erstehung" sie adäquat ausdrücken können. Die Tiefe wird zu einem toten Punkt des Bewußtseins jenseits des Bewußtseins, so daß der Durchgang durch die Tiefe als ein Zustand von Ekstase oder Manie symbolisiert werden muß. Wenn die neue Wahrheit erfolgreich ein neues soziales Feld konstituiert, dann wird ihr Auftreten als das Ereignis angesehen, das den Beginn einer Epoche markiert und den Prozeß der Geschichte durch ein Vor- und Nachher artikuliert. Der Enthusiasmus der Erneuerung und der Entdeckung kann so stark sein, daß er die neue Wahrheit zur absoluten Wahrheit verklärt — zur endgültigen Wahrheit, die alle vorhergehende Wahrheit auf den Status von pseudos, von Lüge, degradiert. Der Enthusiasmus kann aber auch durch das Bewußtsein gemildert sein, daß die Wahrheit, die aus diesem Prozeß hervorgeht, nicht völlig neu ist, daß es sich nicht um eine Wahrheit über eine bisher unbekannte Realität handelt, sondern um eine differenzierte und deshalb überlegene Einsicht in dieselbe Realität, die durch die überlieferte 114
Wahrheit in kompakter Form symbolisiert worden war. Wenn ein kritisches Bewußtsein dieser Art stark genug ausgeprägt ist, wie bei Aristoteles, führt dies zu den ersten Schritten in Richtung auf eine Theorie von äquivalenten Symbolen und Erfahrungen: Aristoteles erkennt beides, sowohl den Mythos wie die Philosophie als Ausdrucksformen an,
die der Mensch
gleichermaDen
benutzen
Wahrheit der Realität auszudrücken,
kann,
auch wenn
um
die
er der Phi-
losophie den Rang zugesteht, das für die Aufgabe besser geeignete Instrument zu sein. Der im geschichtlichen Ablauf frühere Denker, der seine Wahrheit der Realität mit Hilfe des Mythos artikuliert, ist der philomythos. Er ist auf der Suche nach derselben Wahrheit wie der philosophos. Deshalb muß der philomythos als eine Art von philosophos
angesehen werden. Die Aquivalenz von Mythos
und Phi-
losophie, von philomythos und philosophos, wird in einem späten Brief noch stärker betont, in dem Aristoteles gesteht, daß er mit zunehmendem Alter immer philomythoteros werde. Das Ergebnis dieser Erkundung in der Tiefe kann in Sätzen wie den folgenden ausgedrückt werden: Es gibt eine psyche, die tiefer hinabreicht als das Bewußtsein, und es gibt eine Realitát, die tiefer hinabreicht als die Realität,
die wir
erfahren,
aber
es
gibt
kein
Bewußtsein,
das unter unser Bewußtsein hinabreicht. Oder: Wir erfahren psyche als Bewußtsein, das in die Tiefe der eigenen psyche
Realitát als
hinabsteigen
Realität,
die
zum
kann,
und
die
Bewußtsein
Tiefe
der
emporsteigen
kann, aber wir erfahren keinen anderen Inhalt der Tiefe als den,
der in unser
Bewußtsein
eingetreten
ist.
Oder: Mit Bewußtsein erfahren wir psyche als eine Realität die über die Grenzen des Bewußtseins hinausreicht. Der Bereich ,jenseits" dieser Grenzen ist von derselben Natur, wie die Realität des Bewußtseins. Diese zwei Bereiche sind
115
zudem ein Kontinuum psychischer Realität, in dem der Mensch sich bewegen kann durch die aktiven und passiven Prozesse, die als , Abstieg" und „Aufstieg“ symbolisiert werden. Analytisch kann man über Aussagen dieser Art nicht
hinausgehen. Dennoch vermittelt die Erkundung
in der Tiefe Ergeb-
nisse, die darüber hinausführen, wenn man die Einsicht, die
in den genannten Aussagen zum Ausdruck kommt, mit der substantiellen Wahrheit der Realität vergleicht und verbindet, die im Bewußtsein gegenwärtig ist. Das in der ursprünglichen Erfahrung gegebene Realitätsfeld ist die Gemeinschaft
von
Gott
und
Mensch,
von
Welt
und
Gesellschaft.
Die Erkundung dieses Feldes richtet sich auf die wahre Natur der Partner in dieser Gemeinschaft und der Beziehungen
zwischen
ihnen’.
Die zeitliche Aufeinanderfolge
der
ge-
fundenen Wahrheiten ist das geschichtliche Feld von äquivalenten Erfahrungen und Symbolen. Der Philosoph auf der Suche nach Wahrheit über die Realität will wissen, welche Art von Realität im Sinne des in der Primärerfahrung gegebenen Feldes betroffen ist, wenn der Mensch in die Tiefe seiner psyche hinabsteigt. Und da die Wahrheit, die er aus der Tiefe heraufholt, seine perspektivische Sicht des Feldes als ganzes berührt, wird er die Realität der Tiefe nicht mit irgendeinem der Partner in der Gemeinschaft identifizieren, sondern
mit der zugrundeliegenden
Realität,
die
sie zu Partnern in einer gemeinsamen Ordnung macht, d.h.
mit der Substanz des Kosmos. Dies war Platons Antwort auf diese Frage im Timaios. Die Tiefe der psyche unterhalb des Bewußtseins ist die Tiefe des Kosmos unterhalb des in der Primärerfahrung gegebenen Feldes. Die Realität des Kosmos in der Tiefe ist deshalb die anima mundi. Die anima mundi, die Welt-Seele und ihr Leben hat große Karriere gemacht bis zu ihren modernen Äquivalenten im Werk
von
Giordano
Bruno,
Jacob
Böhme,
Schelling
Hegel. Im Lauf dieser Karriere hat das Symbol 116
und
durch seine
Deformation in ein „metaphysisches Konzept” und durch seinen dogmatischen Gebrauch als Teil der philosophischen Tradition sehr gelitten. Was Hegel betrifft, können wir sagen,
daß er wohl
kaum
dazu
gekommen
wäre,
sich eins zu
sehen mit der ihren Logos entfaltenden Welt-Seele, und deshalb wohl kaum ein „System der Wissenschaft" konstruiert hätte, wenn er sich darüber klar gewesen wäre, was
seine Symbole ,Seele" und nicht. Aber daß ein Symbol,
„Leben“ implizieren und was das sogar für seinen Urheber
ein Rätsel darstellte, ein ungewöhnliches
würde,
Schicksal haben
das war nicht anders zu erwarten. Wenn
Platon ver-
suchte, den Typus von Wahrheit zu charakterisieren, welcher der Symbolik des Timaios eigentümlich war, dann schwankte er zwischen der mehr apodiktischen Bezeichnung alethinos logos und der eher zögernden Charakterisierung als eikos mythos. Aber ob nun seine mythische Erzählung vom Kosmos eine „wahre Geschichte” oder ein „wahrscheinlicher Mythos” ist, ganz sicher war er sich, daß diese Symbolik nicht durch Artikulation einer Erfahrung
hervorgebracht worden war.
Die anima mundi ist ein philosophischer Mythos: Dieser artikuliert weder die Erfahrung des primär gegebenen Feldes, noch die Erfahrung der psyche, sondern er ist das Ergebnis einer imaginativen Verschmelzung von Einsichten, die getrennt voneinander durch diese zwei Typen von Erfahrung gewonnen worden sind. Das soll nicht heißen, daß dieses Spiel der Phantasie etwa überhaupt keine Realität zum Ausdruck bringt. Wir haben zwar keine Erfahrung von der Tiefe des Kosmos als psyche; und Platon selbst ist vorsichtig genug, nicht mehr zu behaupten, als daß die psyche und der logos des Menschen mit der göttlichen psyche und dem göttlichen logos des Kosmos verwandt (syngenes) sind. Dieses Spiel der Phantasie hat jedoch einen festen realen Kern, da es motiviert ist durch das Vertrauen
(pistis) des Menschen,
daß die Realität erkennbar
net, daß sie also ein Kosmos
geord-
ist. Unsere perspektivischen
117
Erfahrungen der Realität in ihrem Prozeß mögen nur fragmentarische Einsichten vermitteln, diese fragmentarischen Elemente mögen ziemlich heterogen sein, ja sie mögen sogar als inkommensurabel erscheinen. Aber das Vertrauen in die zugrundeliegende
renz,
Dauerhaftigkeit
Ordnung
und
ihrer
Einheit
und
der Realität,
Konstanz
Erkennbarkeit,
in die Kohä-
ihrer Struktur, dieses
ihrer
Vertrauen
wird
das Hervorbringen von Bildern inspirieren, welche die geordnete Ganzheit ausdrücken, wie sie in der Tiefe empfunden wird. Das wichtigste dieser Bilder ist das Symbol kosmos selbst, dessen Entwicklung in der Geschichte mit der des Symbols psyche parallel läuft. Das Ergebnis ist der eikos mythos, dessen Grad an Wahrscheinlichkeit von dem
Umfang der disparaten Erfahrungen abhängt, die er in sei-
ner Metaphorik überzeugend miteinander verbinden kann. Das aber ist noch nicht das letzte Wort in dieser Sache. Denn Platon läßt den Timaios seine Geschichte mit der Versicherung
schließen,
daß
nach
diesem
wahrscheinlichen
Mythos des Kosmos in voller Wahrheit (te aletheia) ein zoon empsychon ennoun’ ist. Die früheren, zógernden Charakterisierungen des Mythos als doch nicht so ganz wirklich wahr, werden nun durch die Bekráftigung seiner Wahrheit im vollen Sinn ersetzt. Diese Erklärung wird mit undurchdringlichem Ernst abgegeben, aber in der Tiefe kónnen wir ein ironisches Lácheln spüren: Die tiefste Wahrheit der Realitát, die Wahrheit über den Sinn des kosmischen Spiels, in dem der Mensch seine Rolle übernehmen muß
und dabei sein Leben
als Einsatz riskiert, diese Wahr-
heit ist ein mythopoietisches Spiel, in dem die psyche des Menschen voller Vertrauen mit der Tiefe des Kosmos verbunden wird.
Das Symbol , Tiefe" weist auf eine Stufe in der Exegese
einer
Erfahrung
hin,
die nur
erreicht
werden
kann,
wenn
das Denken in kritischer Weise sich selbst gegenüber achtsam
ist. Nur
Artikulierung
wenn
einer
das
Denken
Erfahrung
118
auf jeden
achtet,
Schritt bei der
dringt
es
zu
der
Tiefe vor, die über das Bewußtsein hinausreicht. Wenn dagegen diese Achtsamkeit nachläßt, dann verwandeln sich die Symbole,
die auf früheren
Stufen hervorgebracht
wur-
den, in Hypostasen und blockieren den Prozeß. Da ich mich bemüht habe, die Analyse mit einem gewissen Maß an Achtsamkeit durchzuführen, wurde die Suche nach der Kon-
stante in der Geschichte von den Symbolen auf die Erfahrungen und von den Erfahrungen weiter bis zu der Tiefe der psyche zurückgeführt. Indem wir uns nicht mit einem angenehmen Ruheplatz auf einer der oberen Ebenen zufrieden geben wollten, indem wir es zuließen, uns immer weiter vorwärtsdrängen zu lassen zu den tieferen Schichten der psyche, indem wir Vergegenständlichungen von Symbolen und die Konstruktion eines absoluten Inhalts zurückwiesen, indem wir einwilligten, die Überzeugungskraft
des logos in der psyche zum logos unserer Darlegungen werden zu lassen, eben dadurch haben wir einen Abstieg in
die Tiefe durchgeführt. Aber sogar wenn die Tiefe der psy-
che erreicht ist, darf das Denken in seiner Achtsamkeit nicht
nachlassen, wenn es nicht einem der spezifischen Irrtümer hinsichtlich der Tiefe verfallen will, auf die ich vorher hingewiesen habe. Denn
die Tiefe ist weder
ein „Objekt”,
das
inhaltlich beschrieben werden könnte, noch ist sie ein leeres Areal, gut geeignet als Schuttabladeplatz für das psychoanalytische Unbewußte; sie ist auch nicht der Sitz einer Autorität, nerstimme
den ein
ein Denker System
okkupieren
etablieren
will;
kann, und
der mit Donschließlich
ist
sie auch nicht die Art von Dunkelheit, die dem Denken die Qualität ,tiefsinnig" oder ,unergründlich" im gewöhnlichen Sinn verleiht. Nur wenn auch diese letzte Serie von Vergegenständlichungen und Fehlern vermieden wird, kann der Weg hinab zur Quelle von Einsichten über die
Wahrheit der Realität und das Problem der Äquivalenzen werden. Daß die Suche das Ende ihres Weges
erreicht hat, ist die
erste Einsicht, die sich aus dem Weg hinab ergibt. Es ist da 119
eine Tiefe unterhalb des Bewußtseins,
unterhalb
der Tiefe in unendlichem
aber nicht eine Tiefe
Regreß.
Da
aber die
Tiefe keine andere Wahrheit als die äquivalenten Erfahrungen des primär gegebenen Realitätsfeldes hervorbringt, müssen wir die Suche nach einer substantiellen Konstante der Geschichte, die nicht den Status eines Aquivalents
hät-
te, als Irrweg aufgeben. Kein Phänomen in der Vergangenheit oder Zukunft des geschichtlichen Feldes ist eine end-
gültige Wahrheit der Realitát, welche die Suche nach der
Wahrheit in einen Besitz der Wahrheit verwandeln würde. Die Symbolik einer endgültigen Wahrheit wird durch den apokalyptischen Traum hervorgebracht, die Spannung der Existenz abzuschaffen: Der Besitz der endgültigen Wahrheit würde den endgültigen Menschen schaffen, der es nicht lánger nótig hátte, die Wahrheit
seiner Existenz zu suchen
— dies würde die Metastase des Menschen in der Geschichte bedeuten. Da aber eine solche apokalyptische Wahrheit der Realität
hinter
der
Realität
nicht
erfahren
werden
kann,
müssen wir daraus die Konsequenz ziehen und die Aquivalenz der Symbole, die wir schon auf die sie hervorbringenden Erfahrungen ausgedehnt haben, noch weiter zurückschieben bis zu der Tiefe, aus der die Erfahrung lebt. Indem wir die Aquivalenzstruktur von dem geschichtlichen Feld der Symbole über die Erfahrungen bis in die Tiefe ausdehnen, erkennen wir, daD die psyche des Menschen einen Realitátsbereich darstellt, dessen Struktur sich kontinuierlich von der Tiefe bis zu den Manifestationen des Bewuftseins erstreckt. Es gibt weder ein autonomes Bewußtsein
noch eine autonome
Tiefe, sondern
nur ein Be-
wußtsein in kontinuierlichem Zusammenhang mit seiner eigenen Tiefe. Diese Einsicht wollen wir nun auf die Probleme
des
geschichtlichen
Feldes,
der
Aquivalenzen
Konstante in der Geschichte anwenden. Die Aquivalenzrelation verláuft nicht den
Phänomenen
Aquivalenz
des
Feldes,
sondern
in der Tiefe der psyche, 120
direkt
und
der
zwischen
vermittelt durch
die
aus der die Erfahrun-
gen und ihre Symbolisierungen hervorgegangen sind. Daher sind weder die einzelnen Phänomene noch ihre Gesamt-
heit
Beobachtungsgegenstände
für
ein
Bewußtsein,
das
nicht selbst Teil des Feldes ist. Nur für den, der an dem Prozeß der Suche
teilnimmt,
aus dem
die früheren
Wahrheits-
symbole hervorgegangen sind, treten die einzelnen Phánomene in die Aquivalenzrelation und werden auf Grund dieser Relation erst als ein geschichtliches Feld erkennbar. Der Prozeß hat eine Vergangenheit nur für das Bewußtsein seiner eigenen Prásenz, d. h. nur an dem Punkt, an dem eine neue Wahrheit aus der Tiefe der psyche frei wird und sich absetzt gegen die áltere Wahrheit, die aus derselben Tiefe hervorgegangen ist. Die Präsenz des Prozesses also ist der Punkt, an dem zusammen mit der neuen Wahrheit
unser Bewußtsein des geschichtlichen Feldes und der Aqui-
valenz
seiner Phänomene
raklit, Platon
und
auftritt, wie wir im Fall von He-
Aristoteles
gesehen
haben,
wo
die neue
Wahrheit der Philosophie zusammen mit der Erkenntnis auftritt, daß sie mit dem Mythos äquivalent ist. Der Prozeß im Modus der Präsenz ist die Quelle unseres Wissens von der Tiefe der psyche und einem Prozeß in der Tiefe. Das Auftreten einer neuen Wahrheit in Konfrontation mit álterer Wahrheit
ist die Erfahrung,
die wir
durch
die Symbole eines geschichtlichen Feldes und der Aquivalenz zwischen seinen Phánomenen zu artikulieren versu-
chen. Diese Konzentration auf die Erfahrung von Bewußt-
sein im Zeitpunkt seines Auftretens macht noch einmal den Versuch
nótig,
naheliegende
Irrtümer
abzuwehren.
Wir müssen die Aquivalenzrelation bis in die Tiefe der psyche als ihre Quelle ausdehnen. Aber der Ausdruck „Aquivalenz in der Tiefe" kann nicht eine Relation zwischen Phánomenen bedeuten, die nun ihrerseits Gegenstände einer Untersuchung unabhängig von den Phänomenen des geschichtlichen Feldes werden könnten. Er kann nur auf einen Prozeß
menen
in der Tiefe hinweisen,
des geschichtlichen Feldes 121
der in den Phäno-
greifbar wird,
im übri-
gen aber unzugänglich bleibt. Die Ausdehnung der Äquivalenz bis in die Tiefe hat Folgen, die nicht sehr wünschens-
wert erscheinen: Wir werden uns des Prozesses in der Tiefe dadurch
bewußt,
daß
eine
Wahrheit
auftritt,
die
auf
eine
neue Weise differenziert ist, die aber gleichzeitig erkennbar aquivalent ist mit der kompakteren Wahrheit, die sie ersetzen soll. Und wir fassen die geschichtliche Sequenz áquivalenter Wahrheiten als Epiphänomen einer sich entfaltenden Wahrheit der Realität in der Tiefe der psyche auf. Die Tiefe droht
nun,
wie
in der theogonischen
Speku-
lation von Schelling, den Charakter eines Absolutums anzunehmen, den wir eben erst von dem geschichtlichen Feld ferngehalten haben. Halten wir aber andrerseits Tiefe und Oberfläche der psyche im Gleichgewicht, dann geraten wir in den circulus vitiosus,
das
Feld
der
Geschichte
sich in der Tiefe entfaltenden
und
den
Prozeß
in den
Wahrheit
in der Tiefe in den
Kategorien
einer
zu interpretieren
Kategorien
des ge-
schichtlichen Feldes von Aquivalenten und dem Sinn, den sie ergeben. Aus diesem Zirkel kónnten wir uns zwar retten in die konventionelle Auffassung des Bewußtseins als einer Serie von reflektiven Akten: Wir kónnten die Erfahrung des primár gegebenen Feldes aufspalten in eine Realität jenseits des Bewußtseins und eine Erfahrung, durch die diese Realität im Bewußtsein repräsentiert wird; wir kónnten dann das Bewußtsein reflektieren lassen auf die Er-
fahrung als seinen
Bewußtseinsinhalts;
Inhalt, sowie über die Genese wir
könnten
so
die
Tiefe
dieses
entdecken,
auf die Beziehung zwischen Bewußtsein und Tiefe reflektieren und diese Beziehung zu einem weiteren Gegenstand für das reflektive Bewuftsein machen, und so weiter. Wenn wir aber mit einer Erfahrung des Partizipierens am primär gegebenen Feld, mit der Erfahrung, wie Wahrheit aus der liefe heraufsteigt und meditativ durch Symbole artikuliert wird, ein solches Gemetzel veranstalten, dann zerstóren wir die Realität der Erfahrung, wie sie erfahren wird. So zu ver-
122
fahren wäre nicht nur mit den vorsokratischen und klassischen Analysen der psyche unvereinbar, sondern auch mit den
Versuchen
blem
des
20. Jahrhunderts,
auseinanderzusetzen,
wie
zum
sich mit diesem Beispiel
der
Pro-
Konzep-
tion und Analyse der „reinen Erfahrung“ von William James. Wenn wir eine Entgleisung der Analyse in Fehldeutungen dieser Art vermeiden wollen, dann müssen wir den Charakter von Ganzheit in dieser Erfahrung erkennen: Die Erfahrung erfährt sich selbst so, daß sie sich als Ganzes gegenwärtig ist. Daß die Erfahrung sich selbst als Ganzes gegenwärtig ist, kann als charakteristisches Merkmal in der Erfahrung selbst am besten durch das Symbol Hellig-
keit’ ausgedrückt werden. sagen,
Die Erfahrung,
ist erhellt; und das heißt,
so können wir
sie ist hell und durchsich-
tig für sich selbst als das Bewußtsein des Menschen, am primären Feld der Realität zu partizipieren, an der Tiefe der psyche und an einem Prozeß, durch den die Wahrheit
der Realität sich ihrer selbst bewußt wird im geschichtlichen Feld äquivalenter Wahrheiten. Diese Gegenwart als Ganzes für sich selbst darf dann aber nicht als Bewußtseinsstruktur
verstanden
werden,
die
nun
zu
einem
Untersu-
chungs,objekt" für unsere Analyse geworden ist, wobei dann die Analyse als Akt der Reflexion auf dieses „Objekt“ aufgefaßt wird. Die Analyse,
vielmehr
die wir hier durchführen, muß
als eine meditative
Exegese
der Erfahrung
ver-
standen werden. Sie wird durch die Erfahrung selbst her-
vorgebracht als Teil ihrer Selbstartikulation durch Symbole. Sie ist in Wirklichkeit eben der Prozeß, durch den die
Erfahrung auf der Ebene von Symbolen ihre eigene Helligkeit zum Ausdruck bringt. Soweit schließlich die Analyse dabei über
erfolgreich den
Stand
gewesen
hinaus
frühere Aquivalente
ist,
die
Wahrheit
zu differenzieren,
erreicht worden
der
Realität
der bereits durch
war,
bewegten
und
bewegen wir uns in dem Prozeß am Punkt seiner Präsenz, wo die Wahrheit aus der Tiefe heraufsteigt.
123
Wenn wir nun zum Schluß diese Einsichten auf das Problem einer geschichtlichen Konstante und das der Aquivalenz anwenden kungen. Es
ist
wollen, genügen dazu einige kurze Bemer-
unmóglich,
eine
Konstante
in der
Geschichte
zu
finden, weil das geschichtliche Feld von Aquivalenten nicht
als vollstándige Sammlung von Phánomenen vorliegt, auf welche die Verfahren von Abstraktion und Generalisation angewendet werden könnten. Geschichte hat ihren Ursprung in der Präsenz des Prozesses, in dem eine Wahr-
heit der Realität, die aus der Tiefe heraufsteigt, sich gegen-
über einer früher erfahrenen Wahrheit als äquivalent, gleichzeitig aber auch als überlegen erkennt. Wenn Irgendetwas im Verlauf unserer Suche zu Tage gefördert worden
ist,
das
den
Namen
Konstante
verdient,
dann
ist
es der Prozeß im Modus der Präsenz. Die Suche ist also nicht vergeblich gewesen, aber das Ergebnis stößt unsere Ausgangsfrage um. Denn wir haben nicht eine Konstante in
der
Geschichte
gefunden,
sondern
die
Konstanz
eines
Prozesses, der eine Spur von äquivalenten Symbolen in Raum und Zeit zurückläßt. Dieser Spur können wir dann den konventionellen Namen „Geschichte” geben. Geschichte
ist, wie
wir
dern ein Symbol,
ken, daß
gesagt
mit dem
haben,
nichts
wir unsere
Gegebenes,
Erfahrung
die Gesamtheit der Äquivalente
son-
ausdrük-
eine Spur dar-
stellt, welche von der sich bewegenden Präsenz des Prozesses hinterlassen wird. Aus denselben Gründen kann das Aquivalenzproblem nicht auf der Ebene der Symbole gelöst werden. In unserer praktischen Arbeit können wir zwar häufig damit zufrieden sein, gefühlsmäßig einen direkten Zusammenhang zwischen Symbolen zu erkennen. Wenn Ζ. B. ein Steinzeitsymbolist eine Zeichnung entwirft, in der die vier Himmelsrichtungen in einen Kreis eingetragen sind,
dann
können
wir
sicher
sein,
daß
damit
eine
Erfah-
rung des Kosmos ausgedrückt wird, die derjenigen Erfahrung äquivalent ist, die den Titel der assyrischen Könige 124
als Herrscher über die vier Teile des Landes hervorbringt. Als unmittelbare Erfahrung aber ergibt sich Äquivalenz nur an dem Punkt, an dem zwei Symboliken in der Präsenz des Prozesses miteinander konfrontiert sind.
Jenseits von Konstanz
und Äquivalenz
bleibt das Pro-
blem des Prozesses selbst. Unmittelbare Kenntnis von diesem Prozeß haben wir nur in seiner Präsenz. Ein Mensch, den wir konkret mit Namen nennen können - Heraklit, Platon,
Plotinus
oder
St. Augustinus
Modus
der Präsenz. Das
Prozeß
als
Spur
- erfährt
hinterläßt,
Ergebnis
konkreten davon,
die Vielzahl
daß
entsteht
Menschen die
Prozeß
im
geschichtliche Feld jedoch, das der nicht
zu einer Konfrontation von Wahrheit einzelnen
den
kommt,
Präsenz
konkreter Lebewesen
des
dadurch,
in der psyche sondern
Prozesses
bewegt,
daß
es
eines
es ist das sich durch
die Glieder der
Menschheit sind. Der Prozeß als ganzes, der die Spur zurückläßt, kann von niemandem
erfahren werden.
In unserer
Zeit wird dieses Problem selten mit kritischem Bewußtsein gestellt, obwohl es ein fundamentales Problem der Philosophie ist. Wenn ein Philosoph die Natur des Menschen erforscht und zu der generalisierenden Feststellung kommt: „Alle Menschen haben von Natur aus das Begehren zu wissen", dann kann man
an der generalisierenden Form dieser
Aussage Anstoß nehmen. Denn die Feststellung mag für den Philosophen zutreffen, dessen Erfahrung von seiner eigenen psyche sie hervorgebracht hat, aber empirisch gibt es keine Berechtigung, diese Einsicht auf ,alle Menschen"
auszudehnen. Und doch schieben wir diese Aussage nicht als wirklichkeitsfremd beiseite; denn wir teilen mit Aristo-
teles den Glauben an die Prämisse, daß eine Wahrheit, wel-
che die Realitát des Menschen betrifft und die konkret von einem einzelnen Menschen gefunden worden ist, in der Tat für alle Menschen gilt. Das Vertrauen in die Richtigkeit dieser Prämisse aber beruht nicht auf einer zusätzlichen Erfahrung von der menschlichen Natur, sondern auf der primären Erfahrung, daß die Realität mit der Konstanz und Dauer-
125
haftigkeit der Struktur
ausgestattet ist, die wir als Kos-
mos symbolisieren. Das Vertrauen in den Kosmos und seine Tiefe ist die Quelle der Prämissen, voraussetzen,
wenn
wir
uns
an
die wir als Sinnkontext
der
Suche
nach
Wahrheit
beteiligen — ob es sich nun um die Allgemeingültigkeit der menschlichen
Natur
handelt oder, wie in unserem
Fall, um
die Realität des Prozesses als einer sich bewegenden Präsenz. Die Suche nach Wahrheit ist nur unter der Voraussetzung sinnvoll, daß die Wahrheit, die der Mensch aus der Tiefe seiner psyche heraufholt, auch wenn sie nicht die endgültige Wahrheit der Realität darstellt, doch für die Wahrheit in der göttlichen Tiefe des Kosmos repräsentativ ist. Hinter jedem äquivalenten Symbol im Feld der Geschichte steht der Mensch, der es im Verlauf seiner Suche als repräsentativ für eine Wahrheit hervorgebracht hat, die mehr
als nur äquivalent ist. Die Suche, die eine nur äquiva-
lente Wahrheit Glauben,
daß
zu Tage der
fördert,
Mensch,
indem
beruht er sich
letztlich auf dem an
dieser
Suche
beteiligt, dadurch repräsentativ an dem göttlichen Drama teilnimmt, in dem die Wahrheit hell und durchsichtig wird.
126
Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen Vernunft ist zu allen Zeiten das, was
tur ' konstituiert,
aber ihre
die menschliche
Differenzierung
und
Na-
Artiku-
lierung durch Sprachsymbole ist ein geschichtliches Ereignis. Der Genius der hellenischen Philosophen entdeckte
Vernunft als die Quelle von Ordnung in der psyche * des
Menschen. Deshalb beschäftigt sich diese Untersuchung mit Vernunft
im
Sinn
des
platonisch-aristotelischen
nous,
mit
den náheren Umstánden und Folgen ihrer Differenzierung als eines Ereignisses in der geschichtlichen Entwicklung existentieller Ordnung. Ich werde mich dabei nicht mit dem ,Begriff" oder einer nominalistischen
,Definition"
von
Vernunft
befassen,
son-
dern mit dem Prozeß in der Realität, in dem konkrete Menschen, die „Liebhaber der Weisheit", die Philosophen, wie sie sich selbst nannten,
sich in einem
Akt des Widerstands
gegen die persónliche und soziale Unordnung ihrer Zeit engagierten. Aus diesem Akt tauchte der nous auf als eine Kraft kognitiver Helligkeit, welche die Philosophen zum Widerstand veranlaßte und sie gleichzeitig befähigte, die Erscheinungen der Unordnung als solche zu erkennen im Licht einer menschlichen
Natur,
die durch
den
nous
geord-
net ist. Vernunft im noetischen Sinn wurde also entdeckt sowohl als Ordnungskraft wie als Ordnungskriterium. Als die Vernunft so zu klarem Bewußtsein ihrer selbst aufstieg, wurden sich die Philosophen gleichzeitig bewußt,
daß dieses Ereignis einen epochalen Einschnitt darstellt, der eine Sinnrichtung ? in der Geschichte konstituierte. Sobald die Natur des Menschen für ihre Ordnung durchsichtig geworden
war,
konnte
man
von
der Ebene,
127
die durch
diesen
sinnkonstituierenden
Erkenntnisschritt
erreicht
war,
nicht
mehr zu weniger differenzierten Formen der Erfahrung und ihrer Symbolisierung zurückkehren. Die Entdeckung der Vernunft teilte die Geschichte in ein Vor- und Nachher. Dieses Epochenbewußtsein kam in der Bildung von Symbolen zum Ausdruck, welche die neue Struktur im Feld der Geschichte charakterisieren sollten. Das zentrale Symbol war dabei der ,Philosoph", in dessen psyche die menschliche Natur für ihre noetische Ordnung durchsichtig geworden war. Parallelsymbole waren Platons ,geistiger Mensch" (daimonios aner) und Aristoteles' ,reifer Mensch" (spoudaios). Der Mensch, der auf einem weniger differenzierten Bewuftseinsstand
zurückblieb,
war
weiterhin
der
,Sterb-
liche" (thnetos) der homerischen Sprache. Der Mensch schließlich, der sich aus Mangel an Empfänglichkeit diesem Erkenntnisschritt versperrte, sank zum ,tórichten" oder „stumpfsinnigen”
Menschen
ab, zum amathes. In der aristo-
telischen Metaphysik sind , Mythos" und , Philosophie" die Bezeichnungen für die beiden symbolischen Formen, durch die in historischem Nacheinander das kompakte kosmo-
logische und das differenzierte noetische Bewußtsein
ihre
jeweiligen Realitätserfahrungen zum Ausdruck brachten. Und hinsichtlich desselben epochalen Schritts entwickelte Platon in den Nomoi eine triadische Symbolik für den geschichtlichen
Prozeß,
in dem
das
Zeitalter
des
Kronos
und
das des Zeus nun durch das Zeitalter des Dritten Gottes - des nous — abgelöst wurde. Obwohl sich also die klassischen Philosophen der epochalen Bedeutung dieses Schrittes bewußt waren, vermieden sie die Entgleisung in apokalyptische Erwartungen eines kommenden Endreiches. Sowohl Platon wie Aristoteles bewahrten die Balance ihres Bewußtseins. Zwar erkannten sie in dem noetischen Ausbruch das unwiderrufliche Ereignis in der Geschichte, auch,
daß
die
das es wirklich war. Doch sie wußten
Vernunft
das
Konstituens
der menschlichen
Natur schon gewesen war, noch bevor die Philosophen die
128
Struktur
Menschen
der psyche
differenzierten,
und
ihre
Präsenz
im
es nicht verhindert hatte, daß die Ordnung der
Gesellschaft in die Unordnung verfiel, zu der sie nun in Opposition standen. Es wäre unsinnig gewesen anzunehmen, die Differenzierung der Vernunft würde dem Aufstieg und Niedergang von Gesellschaften ein Ende bereiten. Sie erwarteten nicht, Hellas werde sich nun zu der Art von Föderation paradigmatischer Poleis entwickeln, wie Platon
sie für wünschenswert
hielt. Im
Gegenteil,
Platon
sah
vorher, und Aristoteles erlebte es als Augenzeuge, daß die Polis einer Gesellschaft vom neuen Typ des ökumenischen Reiches unterlag. Die klassischen Philosophen hielten so das Feld der Geschichte offen für gesellschaftliche Prozesse in einer Zukunft, die man nicht vorhersehen konnte, ebenso
wie für die Móglichkeit einer weiteren Differenzierung des Bewußtseins. Besonders Platon war sich sehr wohl bewußt,
daß der Mensch in seiner Spannung
zum
Grund
der Exi-
stenz offen war in Richtung auf eine Tiefe der góttlichen Realitát noch über das Stratum hinaus, das sich als nous enthüllt hatte. Als Philosoph ließ er das Bewußtsein für zukünftige Theophanien offen, ebenso für die pneumatischen Offenbarungen vom jüdisch-christlichen Typ wie für die spáteren Differenzierungen in Gestalt von Mystik und Toleranz in dogmatischen Fragen. Es sollte klar geworden sein, daß Vernunft im noetischen Sinn der Geschichte nicht ein apokalyptisches Ende setzt, weder jetzt noch in einer progressivistischen Zukunft. Sie
durchdringt vielmehr die Geschichte, die sie erst konstituiert, mit einer neuen Durchsichtigkeit der existentiellen Ordnung, in kritischer Auseinandersetzung mit den Leidenschaften, die diese Ordnung
nicht
Umsturz,
Gewalttat
stóren. oder
Ihr modus
Zwang,
operandi
sondern
ist
Überzeu-
gung, die peitho, die im Mittelpunkt von Platons philosophischer Existenz steht. Diese kann die Leidenschaften nicht beseitigen,
so daß
aber sie kann
der Vernunft
das noetische Bewußtsein
129
Gehör
verschaffen,
eine überzeugende
Ord-
nungskraft wird durch das helle Licht, das von ihm auf die Erscheinungen persönlicher und gesellschaftlicher Unord-
nung fällt. Es ist die epochale Leistung der klassischen Phi-
losophen, daß sie die Spannung von existentieller Ordnung und Unordnung zur Durchsichtigkeit des noetischen Dialogs und Diskurses erhoben haben. Diese Epoche hat für das Leben der Vernunft in der Westlichen Kultur den Grund gelegt bis herauf in unsere eigene Zeit. Sie gehört deshalb nicht der Vergangenheit
an, sondern
ist die Epoche,
in der
wir immer noch leben. Die Entdeckung der Vernunft als das epochale Ereignis in der geschichtlichen Entwicklung existentieller Ordnung kann in einem Aufsatz nicht erschöpfend dargestellt werden. Ich muß daher eine Auswahl treffen. Da unsere eigene Situation als Philosophen im 20. Jahrhundert der platonisch-aristotelischen Situation im 4. Jahrhundert v. Chr. sehr ähnlich ist, und da wir uns heute in derselben Art von
kritischer Auseinandersetzung mit der Unordnung der Zeit befinden, empfiehlt es sich, daß ich mich auf die Entdeckung der Vernunft als der ordnenden Kraft in der menschlichen Existenz konzentriere.
I. Die Spannung der Existenz In ihren Akten des Widerstands gegenüber der Unordnung der
Zeit
erfuhren
und
erforschten
Sokrates,
Platon
und
Aristoteles die Bewegungen einer Kraft, die der psyche des Menschen
Struktur
verlieh
und
sie befáhigte,
der
Unord-
nung Widerstand zu leisten. Dieser Kraft, ihren Bewegungen und der sich daraus ergebenden Struktur gaben sie die Bezeichnung nous. Im Hinblick auf die ordnende Struktur seiner Natur charakterisierte Aristoteles den Menschen als das zoon noun echon, das Lebewesen, das nous besitzt. Diese Formulierung fand Anklang. Durch die lateinische Über-
130
setzung
des
zoon
noetikon
als
animal
rationale
ist der
Mensch das vernünftige Lebewesen geworden und Vernunft zur Natur des Menschen. Auf der topischen Ebene philosophischer Sprache entwickelte sich diese Charakterisierung zu einer Art von Nominaldefinition. Der Philosoph war jedoch nicht an Nominaldefinitionen interessiert, sondern an der Analyse der Realität. Die Charakterisierung des Menschen als des zoon noun echon, oder zoon noetikon,
war nicht mehr
als eine zusammenfassende
Kurzformel einer Analyse bezüglich der Realität von Ordnung in der psyche des Menschen. Wenn die Analyse sich nicht mit der persönlichen Ordnung des Menschen befaßte, sondern mit der Ordnung seiner Existenz in der Gesellschaft, kam sie zu der zusammenfässenden Charakterisierung des Menschen als des zoon politikon. Und wenn die Analyse der menschlichen Existenz in geschichtlicher Realität, der
,Geschichtlichkeit"
heute nennt, führt
von
worden
des
Menschen,
den klassischen
wäre,
als
es
wie
Philosophen
tatsächlich
geschah,
man
dies
weiter
ge-
wären
sie
vielleicht zu der formelhaften Charakterisierung des Menschen als des zoon historikon gekommen. Alle drei Charakterisierungen sind richtig, insofern sie eine gültige Analyse der Erfahrungsrealitát auf eine kurze Formel bringen, jede einzelne jedoch würde falsch, wenn sie die beiden anderen ausschlósse
gültige Mensch
und
beanspruchte,
Definition ist
ferner
der
Natur
nicht
eine
die
des
einzige
und
Menschen
kórperlose
die
zu
Seele,
einzig
sein. die
Der durch
Vernunft geordnet wird. Durch seinen Korper partizipiert er an der organischen Wirklichkeit, sowohl an der der Tiere wie
der Pflanzen,
ebenso
wie an dem
Bereich
der Mate-
rie. Und in seiner psyche erfáhrt er nicht nur die noetische Bewegung in Richtung auf Ordnung, sondern auch die Zugkraft der Leidenschaften. der
Vernunft,
schaftlicher
in ihren
und
Außer
seiner
Dimensionen
geschichtlicher
spezifischen persönlicher,
Existenz,
das, was Aristoteles seine ,synthetische"
131
hat
der
Natur, gesellMensch
Natur nennt. Von
spezifischer und synthetischer Natur zusammen können wir als der ,integralen" Natur des Menschen sprechen. Diese integrale Natur, die sowohl die noetische psyche mit ihren drei Ordnungsdimensionen umíaDt als auch die Teilhabe des Menschen an der Hierarchie des Seins vom nous bis hinab
zur Materie,
ist nach Auffassung
des Aristoteles
der
Gegenstand der philosophischen Untersuchung peri ta thropina, der Untersuchung der Dinge, die sich auf die tur des Menschen beziehen. Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, wenn wir dieses umfassenden Feldes der menschlichen Realitát
anNauns be-
wußt sind als des Feldes, in dem Vernunft ihren Ort hat und die
Funktion
eines
Ordnungszentrums
erfüllt,
von
dem
aus die Existenz geistig durchsichtig wird. Ich beginne nun
mit der Untersuchung der klassischen Erfahrung und Symbolisierung dieser ordnenden Kraft in der psyche des Men-
schen. Die Realitát, die von den Philosophen als spezifisch menschlich erfahren wird, ist die Existenz des Menschen in einem Zustand von Unruhe. Der Mensch ist nicht ein von ihm selbst geschaffenes, autonomes Wesen, das den Ursprung und Sinn seiner Existenz in sich selbst trüge. Er ist nicht eine góttliche causa sui. Vielmehr bricht aus der Erfahrung seines Lebens in unsicherer Existenz zwischen den Grenzen von Geburt und Tod die verwunderte Frage nach dem letzten Grund
auf, der aitia oder prote arche, dem letz-
ten Grund jeglicher Realitát und besonders seiner eigenen. Die Frage ist der Erfahrung, aus der sie aufsteigt, inhárent. Das zoon noun echon, das sich selbst als ein lebendiges Wesen erfährt, ist sich gleichzeitig des fragwürdigen Charakters bewußt, der mit seinem Status verbunden ist. Wenn der Mensch sich als existent erfährt, entdeckt er seine spezifische menschliche Natur als die des Fragers nach dem Woher
und
Wohin,
nach
dem
Grund
Existenz.
und
dem
Sinn
seiner
Obwohl dieses Fragen der Selbsterfahrung des Menschen 132
zu allen Zeiten inhärent ist, stellt, wie ich betont habe,
die
adäquate Artikulierung und Symbolisierung des fragenden Bewußtseins
als des
Konstituens
der menschlichen
Natur
die epochale Leistung der Philosophen dar. Man kann in der Tat in den platonisch-aristotelischen Formulierungen noch die Erschütterung des Übergangs von den kompakten zu den differenzierten Modi des Bewußtseins erkennen. Bei Platon sind wir der Entdeckung noch näher. Der Sokrates des Theaitet erkennt in der Erfahrung (pathos) des Sich-Wunderns (thaumazein) das Merkmal des Philosophen. „Philosophie hat in der Tat keinen anderen Ursprung." (155d) Eine Generation spáter, als die Wucht des ersten Eindrucks abgeklungen war, konnte Aristoteles seine Metaphysik mit
der programmatischen
Feststellung beginnen:
, Alle Men-
schen haben von Natur aus das Bestreben (oregontai) zu wissen (eidenai).^ Alle Menschen - nicht nur die Philosophen! Das Unternehmen der Philosophen ist für die Menschheit repräsentativ geworden. Jedermanns Existenz ist durch das thaumazein potentiell beunruhigt, aber einige drücken ihre Verwunderung in dem kompakteren Medium des Mythos aus, andere durch die Philosophie. Neben dem philosophos steht deshalb die Gestalt des philomythos, und ,der philomythos ist in gewissem Sinn ein philosophos." (Met. 982 b 18 ff.) Wenn Homer und Hesiod den Ursprung der Gótter und aller Dinge bis zu Uranos, Gaia und Okeanos zurückverfolgen, drücken sie sich im Medium der theogonischen
Spekulation
aus,
doch
sind
sie
auf
derselben
Suche nach dem Grund wie Aristoteles selbst (Met. 983 b 28 ff.). Die Stellung auf der Skala von Kompaktheit und Differenzierung berührt nicht die grundsátzliche Gleichheit der Struktur in der Natur des Menschen. Und doch ist das epochale Ereignis der Differenzierung eingetreten,
und
die
Philosophen
haben
den
in sich kohä-
renten Komplex von Sprachsymbolen geschaffen, mit denen sie die einzelnen Stationen ihrer Analyse bezeichnen. Da ist an erster Stelle die Gruppe von Symbolen, welche die
133
Erfahrung
der
Sich-wundern
Unruhe
und
Verwunderung
- thaumazein;
suchen,
tersuchung - zetesis; zweifelndes
ausdrücken:
forschen - zetein; Un-
Fragen - aporein,
dia-
porein. Ferner ist das zweifelnde Fragen in der Erfahrung mit dem Anzeichen der Dringlichkeit verbunden. Es ist nicht ein Spiel, das man spielt oder auch nicht. Der Philosoph
fühlt sich durch eine unbekannte Kraft bewegt (kinein), die
Fragen
zu stellen,
er fühlt sich in die Suche
hineingezogen
(helkein). Manchmal zeigt der verwendete Ausdruck ein drängendes Begehren als Moment des zweifelnden Fragens an, wie bei dem aristotelischen tou eidenai oregontai. Und manchmal ist der Zwang, die Frage zu stellen, groDartig ausgestaltet, fangene
wie
in Platons
Höhlengleichnis,
durch die unbekannte
Kraft bewegt
wo
der
Ge-
wird, sich her-
umzudrehen (periagoge) und den Aufstieg zum Licht zu beginnen. Nicht immer jedoch muß die unbekannte Kraft erst die Fesseln der Gleichgültigkeit sprengen. Die Unruhe in der Seele eines Menschen kann so durchsichtig für sich selbst sein,
daß
sie sich versteht
als verursacht
durch
Un-
wissenheit hinsichtlich des Grundes und des Sinns von Existenz, so daß der Mensch ein aktives Begehren verspürt, diesem Zustand von Unwissenheit zu entkommen (pheugein ten agnoian, Met. 982 b 21) und zum Wissen zu gelangen. Aristoteles drückt es kurz und bündig so aus: , Ein Mensch in Verwirrung (aporon) oder Verwunderung (thaumazon)
ist
sich
bewußt,
in
Unwissenheit
zu
sein
(oietai
agnoein)." (Met. 982 b 18) Die Analyse erfordert also weitere Sprachsymbole: Nichtwissen — agnoia, agnoein, amathia; Flucht vor dem Nichtwissen — pheugein ten agnoian; sich herumdrehen - periagoge; Wissen - episteme, eidenai. Der bis jetzt artikulierte Teil der Erfahrung liefert den Unterbau für die noetischen Einsichten im eigentlichen Sinn. Ich habe ihn mit einiger Sorgfalt dargestellt, da er weniger
bekannt
ist, als er es sein sollte.
Platon
und
Ari-
stoteles waren so erfolgreich in der Exegese ihrer Erfahrungen, daß die nachklassische Entwicklung der Philoso134
phie an die darüberliegende Schicht der noetischen „Resultate" anknüpfen konnte, während die differenzierte Existenzerfahrung, die das Symbol ,Philosophie" hervorgebracht
hatte,
in das
Halbdunkel
des beinahe
Vergessenen
verdrängt wurde. Gegenüber dieser Vernachlässigung muß ich betonen,
war, schen Blick ihre
daf dieser Unterbau
das katalytische Moment
das die Bescháftigung der Vorsokratiker mit noetiProblemen erst deutlich als ein Unternehmen in den brachte, das sich mit der Ordnung der psyche durch Spannung zum göttlichen Grund, dem aition aller
Wirklichkeit,
befaßte.
Auf
Grund
dieser
katalytischen
Funktion ist diese Schicht der Erfahrung der Schlüssel zum Verständnis des nous im klassischen Sinn. Der nous hatte die Aufmerksamkeit der vorsokratischen Denker, besonders des Parmenides und des Anaxagoras, auf sich gezogen im Zusammenhang mit ihren Erfahrungen von verstehbaren Strukturen in der Realität. Parmenides hatte die Bezeichnung nous für die Fähigkeit des Menschen
verwendet, zur Schau des Seins aufzusteigen, und die Bezeichnung logos für die Fähigkeit, den Inhalt dieser Schau zu analysieren.Er zog den präanalytischen Inhalt seiner Vision in den nicht-gegenständlichen Ausruf ,IST" zusammen. Die Erfahrung war so stark, daß sie zur Identifizierung von nous und Sein neigte, von noein und einai (B 3). Im Taumel der Vision verschmolzen der Erkennende und das Erkannte zu der einen wahren Realitát (aletheia), um erst dann wieder getrennt zu werden, als der logos daranging, diese Erfahrung zu untersuchen und die geeigneten Sprachsymbole für ihren Ausdruck zu finden. Von diesem parmenideischen Ausbruch hat die Erfahrung der klassischen Philosophen die Erbschaft übernommen, daf der Mensch mit nous begabt ist (das aristotelische zoon noun echon), was seine Seele zu einem Sensorium des góttlichen aition macht, sowie das Gespür für die Konsubstantialität des menschlichen nous mit dem aition, das er in seinem Bewußtsein erfaßt. Während Parmenides die noetische Fáhig-
135
keit differenzierte, den Grund
der Existenz zu erfassen, be-
schäftigte sich Anaxagoras mit der Erfahrung einer verstehbaren Struktur in der Realität. Konnte das göttliche aition
wirklich
eines
ker angenommen näher
waren,
gestaltende
der
Elemente
sein,
wie
Den-
hatten, die den Göttern des Mythos noch
oder
mußte
es
nicht
statt
dessen
Kraft sein, die der Materie Form
te? Anaxagoras
frühere eher
eine
geben konn-
entschied sich für den nous als die Quelle
verstehbarer Ordnung im Kosmos und wurde für diese Einsicht von Aristoteles hoch gepriesen. Von zwei Seiten her also, der des Erkennenden und der des Erkannten, hatten sich die Erfahrungen von intellektueller Wahrnehmung und von einer intelligiblen Struktur, die geistig wahrgenommen werden konnte, zunächst unabhängig voneinander entwickelt. Jetzt standen sie bereit zu verschmelzen in der Entdeckung der menschlichen psyche als dem Sensorium des göttlichen aition und zugleich als dem Ort, an dem sich diese gestaltende Kraft manifestiert. Die Differenzierung der psyche erweitert die Suche nach dem Grund um die Dimension kritischen Bewußtseins. Denn die kompakteren Symbole des Mythos oder der Vorsokratiker können nicht unangefochten bleiben, sobald die Erfahrungsprozesse der psyche als die empirische Quelle erkannt worden sind, von der die Symbole ihre Gültigkeit ableiten. Der Mensch, der Fragen stellt, und der göttliche Grund,
auf den sich die Fragen
richten, verschmelzen
miteinander in der Erfahrung des Fragens als einer göttlich-menschlichen Begegnung, und sie tauchen aus dieser Verschmelzung wieder auf als die Partizipierenden an dieser Begegnung, welche die Durchsichtigkeit und Struktur von Bewußtsein hat. In der platonisch-aristotelischen Erfahrung trägt die fragende Unruhe ihre beruhigende Antwortinsich, da der Mensch zu seiner Suche nach dem Grund
bewegt wird durch den göttlichen Grund, nach dem er auf der Suche
ist. Der
Grund
ist nicht ein räumlich
Gegenstand, sondern eine göttliche Gegenwart, 136
entfernter
die in der
Erfahrung der Unruhe und des Begehrens nach dem Wissen offenbar wird. Das Sich-verwundern und Fragen wird als der Beginn eines theophanischen Ereignisses erfahren, das nur dann ganz durchsichtig für sich selbst werden kann, wenn es die entsprechende Antwort in der psyche konkreter Menschen findet -- wie im Fall der klassischen Philosophen. Folglich ist Philosophie nicht ein Korpus von „Ideen“ oder „Meinungen“ über den göttlichen Grund, unter die Leute gebracht
durch eine Person,
die sich selbst Philosoph
nennt, sondern der Sachverhalt, daß ein Mensch auf die fragende Unruhe antwortet und ihr nachspürt bis zu dem göttlichen Ursprung, der die Unruhe erregt hat. Wenn dieses Nachspüren jedoch wirklich dem göttlichen Beweger antwortend entgegenkommen soll, erfordert dies den Versuch, die Erfahrung durch geeignete Sprachsymbole zu artikulieren. Und dieser Versuch führt zu der Einsicht in die noetische Struktur der psyche. Das Bewußtsein fragender Unruhe in einem Zustand des Nichtwissens wird sich selbst durchsichtig als eine Bewegung in der psyche in Richtung auf den Grund, der in ihr präsent ist als der, der sie bewegt. Die präkognitive Unruhe wird zu einem kognitiven Bewußtsein, einer noesis, die sich auf den Grund als ihr noema oder ihr noeton richtet. Gleichzeitig wird das Begehren (oregesthai) zu erkennen
zum
Bewußtsein,
daß
der
Grund
der
Gegenstand
des
Begehrens, das orekton ist (Met. 1072 a 26 ff.). Der Grund kann in diesem Prozeß des Denkens erreicht und erkannt werden als das Ziel des Begehrens durch den meditativen Aufstieg über die via negativa: Der Grund ist weder zu fin-
den unter den Gegenständen der äußeren Welt noch unter
den Zielen hedonistischen oder politischen Handelns, sondern er liegt jenseits dieser Welt. Platon hat das Symbol des Jenseits, das epekeina, in die philosophische Sprache eingeführt als das Kriterium für den schöpferischen, göttlichen Grund (Politeia 508-9). Und Aristoteles spricht vom
Grund
als „ewig,
ohne Bewegung 137
und getrennt
von den
Dingen
der Sinneswahrnehmung"
(Met.
1073 a 3-5). Posi-
tiv setzt Platon das Eine (to hen), das in allen Dingen als
der Grund gegenwärtig ist, gleich mit sophia Καὶ nous (Phileb. 30 c-e). Und Aristoteles identifiziert die Wirklichkeit des Denkens (nou energeia) als das ewige göttliche Leben, „denn das ist es, was Gott ist" (Met. 1072 b 27-31). Der Komplex der nous-Symbole umfaßt also alle Schritte in der philosophischen Exegese der Spannung des Menschen zum Grund seiner Existenz. Da gibt es sowohl einen menschlichen als auch einen góttlichen nous als Bezeichnung für den menschlichen und den góttlichen Pol der Spannung. Es gibt eine noesis und ein noeton, zur Bezeichnung der Pole des kognitiven Aktes. Und da ist ganz allgemein das Verbum noein, um die Phasen der Bewegung zu bezeichnen, die von der fragenden Unruhe zur Erkenntnis des Grundes als des nous führt. Wenn dieser Sprachgebrauch
auch
gewisse
Nachteile
hat,
so
macht
er
doch
eindrucksvoll klar, daß die Philosophen den Prozeß in der psyche als einen eigenen Realitátsbereich mit einer eigenen Struktur verstehen. Diese Struktur kann entfaltet werden entweder durch den Aufstieg von der existentiellen Unruhe auf dem Grund der Hóhle zu der Vision des Lichts oben, oder durch den Abstieg von dem Bewußtsein, das sich
selbst durchsichtig geworden ist, nach unten. Ohne die kinesis des Angezogen-werdens von oben gábe es kein Begehren
nach
dem
Wissen
vom
Grund,
ohne
das
Begehren
kein Fragen in Verwirrung, ohne Fragen in Verwirrung kein Bewußtsein des Nichtwissen. Es gäbe keine existentielle
Unruhe,
wenn
diese Unruhe
von
seiner
die
zu
Existenz
der
Suche
nach
dem
nicht schon das Wissen aus
einem
Grund,
der
Grund
treibt,
des Menschen nicht
er selbst
ist, wäre. Die Bewegungen dieser göttlich-menschlichen Begegnung bilden nach diesem Verständnis eine verstehbare Sinneinheit,
noetisch
sowohl
in ihrer Substanz
als
auch
in
ihrer Struktur. Dies
ist die
Sinneinheit,
auf die
138
ich mich
in aller Kürze
bezogen habe
als die Spannung
des Menschen
zum
gött-
lichen Grund seiner Existenz. Das Abstraktum „Spannung“ dagegen (es wäre das griechische Wort tasis) ist kein Bestandteil des klassischen Vokabulars. Wenn Platon und
Aristoteles von der göttlich-menschlichen Begegnung sprechen, dann
ziehen
sie Symbole
vor,
die sie von
ihren
Vor-
gängern in der Erforschung der psyche übernommen haben,
und die verschiedene konkrete Modi der Spannung benennen, wie z.B. philia, eros, pistis und elpis. Ich muß deshalb nun auf die Probleme in der Existenz des Menschen als eines zoon noun echon eingehen, welche die verschiedenen Abstraktionsebenen in der Analyse erforderlich machen.
II. Psychopathologie DaD Platon und Aristoteles sich auf die konkreten Modi der Spannung konzentrieren, ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des nous-Symbols, weil dadurch der Erfahrungskontext angegeben wird, in dem sich ohne Zweifel die Differenzierung der Vernunft ereignet: Vernunft als eine Struktur in der Realität differenziert sich aus den Erfahrungen von Glaube und Vertrauen (pistis) in den göttlich geordneten Kosmos, und von Liebe (philia, eros) zu der göttlichen Quelle von Ordnung. Sie differenziert sich aus dem amor Dei im Sinn Augustins, und nicht aus dem amor sui. Die Realitát, die durch die nous-Symbole zum Ausdruck gebracht wird, ist also die Struktur in der psyche eines Menschen, der sich in Einklang mit der göttlichen Ordnung im Kosmos befindet, nicht eines Menschen, der in der Revolte gegen diese Ordnung lebt. Vernunft hat als
bestimmten existentiellen Inhalt die Offenheit gegenüber der Realität in dem Sinn, in dem Bergson von der äme ouverte spricht. Bleibt dieser Kontext der klassischen Analyse unbeachtet und werden die Symbole nous oder Ver-
139
nunft so behandelt, menschliche
als bezögen
Fähigkeit,
nung zum Grund,
sie sich auf irgendeine
die unabhängig
ist von
der
Span-
dann ist die empirische Basis, von der die
Symbole ihre Gültigkeit herleiten, verloren gegangen. Sie werden zu Begriffen, die aus Nichts abstrahiert sind, und das Vakuum dieser Pseudo-Abstracta füllt sich bereitwillig mit verschiedenen nicht-rationalen Inhalten. Der Begriff „Spannung zum Grund”, der sowohl die voranalytischen wie die noetischen Modi
der Spannung bezeichnet, soll ver-
hindern, daß der Begriff Vernunft mißverstanden wird, indem unzweideutig die existentielle philia als die Realität hervorgehoben wird, die in der philosophia und im bios theoretikos der klassischen Philosophen noetisch durchsichtig wird. Angesichts des Zusammenbruchs der Philosophie in der westlichen Gesellschaft der Neuzeit muß die Verbindung zwischen Vernunft und existentieller philia, zwischen Vernunft und Offenheit gegenüber dem Grund ausdrücklich hervorgehoben werden. Da der Begriff Spannung die Verbindung zwischen Ver-
nunft
und
Existenz
in Offenheit
gegenüber
dem
Grund
deutlich macht, ist er unentbehrlich,
um den grundlegenden
Sachverhalt
Erscheinungen
stehen:
psychopathologischer
Wenn
Vernunft
existentielle
philia
ist,
zu wenn
versie
die Offenheit der Existenz ist im Zustand kritischen Bewußtseins, dann beeinflußt das Sich-Verschließen der Existenz oder jede Art von Widerstand gegen die Offenheit sicher die rationale Struktur der psyche in negativer Weise. Die Phänomene existentieller Unordnung durch das Sichverschließen gegenüber dem Seinsgrund waren schon mindestens ein Jahrhundert vor den klassischen Philosophen beobachtet und artikuliert worden. Heraklit hatte unter-
schieden zwischen Menschen, die in der einen und gemein-
samen Welt (koinos kosmos) des logos leben, der das gemeinsame Band der Menschheit ist (homologia), und den Menschen, die in den verschiedenen Privatwelten (idios kosmos) ihrer Leidenschaft und ihrer Einbildung leben,
140
zwischen
den Menschen,
die ein waches
Leben
führen,
und
den Schlafwandlern, die ihre Träume für Wirklichkeit ansehen (B 89). Und Aischylos hatte die Prometheische Re-
volte gegen den göttlichen Grund als eine Krankheit oder
Wahnsinn (nosos, nosema) diagnostiziert. Platon benutzte dann in der Politeia sowohl die herakliteischen wie die aischyleischen Symbole, um den Zustand von Einklang mitund Sich-Verschließen gegen den Grund als Zustand existentieller Ordnung und Unordnung zu charakterisieren. Und doch bedurfte es der erschütternden Erfahrungen der ökumenischen Reichsbildungen, und in ihrem Gefolge der existentiellen Desorientierung als Massenphänomen, um die Verbindung zwischen Vernunft und existentieller Ordnung in Begriffen festlegen zu können. Erst die Stoiker prägten die Ausdrücke oikeiosis und allotriosis, ins Lateinische übersetzt als conciliatio und alienatio, um zwischen den beiden existentiellen Zuständen zu unterscheiden, die
das Leben der Vernunft ermöglichen
bzw.
Störungen der
psyche bedingen. In den Tusculanae Disputationes referiert Cicero die grundlegenden stoischen Formulierungen: Wie es Krankheiten des Körpers gibt, gibt es auch Krankheiten des Geistes (morbi animorum); diese Krankheiten sind im allgemeinen durch eine Verwirrung des Geistes auf Grund verkehrter Meinungen verursacht (pravarum opinionum conturbatio), die in einen Zustand der Verderbtheit mündet
(corruptio opinionum);
die Krankheiten
dieses
Typs können nur auf Grund einer Zurückweisung der Vernunft (ex aspernatione rationis) entstehen; deshalb können Krankheiten des Geistes im Unterschied zu denen des Körpers nie ohne eigene Schuld auftreten (sine culpa); und da diese Schuld nur beim Menschen - weil er Vernunft hat —
móglich vor.’
ist, kommen
Die Analyse, einer
Passage
diese Krankheiten
bei Tieren nicht
die hinter solchen Formeln steckt, kann von
Chrysipp
erschlossen
141
werden:
aus
„Diese
Veränderung (des Geistes) und dieses Sich-Entfernen von sich selbst geschieht auf keine andere Weise als durch eine
vorsätzliche
Abwendung
(apostrophe)
vom
logos.” ” Die
apostrophe ist die Bewegung, die der Richtung nach der periagoge oder epistrophe Platons entgegengesetzt ist. Indem
der Mensch
von
seinem
sich vom
eigenen
Sich-Entfernen
von
Grund
Selbst
abwendet,
ab.
wendet
Entfremdung
der menschlichen
Natur,
er sich
ist also ein die durch
die
Spannung zum Grund konstituiert wird. Darüberhinaus treten in diesem Zusammenhang die ersten Versuche auf, die Erfahrung von ,Angst" auszudrükken. Ciceros anxietas in den Tusculanae Disputationes ist in ihrer Bedeutung zu unbestimmt, um uneingeschränkt mit der modernen , Angst" gleichgesetzt werden zu kónnen. Sie bezeichnet
vielleicht
unvernünftigen
nur
einen
Befürchtungen
Geisteszustand,
der
überläßt.° Aber
sich
Auferun-
gen, die Chrysipp zugeschrieben werden, machen klar, daß Angst als eine Spielart von Unwissenheit verstanden wird (agnoia). Ein Mensch ist vóllig rasend, wird an der betreffenden Stelle gesagt, wenn er unwissend ist (agnoian echon) im Hinblick auf sein Selbst und das, was für sein selbst von Belang ist. Diese Unwissenheit ist das Laster, das der Tugend wahrer Einsicht (phronesis) entgegengesetzt ist. Sie muß als ein existentieller Zustand charakterisiert werden, in dem die Begierden sich ohne Kontrolle und ohne Steuerung entwickeln, ein Zustand aufgeregter Unsicherheit
und
überreizter
Leidenschaften,
ein
Zustand
von Panik oder Schrecken, weil die Existenz ihre Richtung verloren hat. Diese Beschreibung wird in dem Ausdruck
agnoia ploiodes zusammengefaft
als der stoischen
nition" von Wahnsinn (mania).' Dem zoon noun spricht als sein pathologisches Gegenstück agnoian echon. Die Erforschung des pathologischen Gegentyps Stoiker präzisiert den Sinn noetischer Existenz. sche
Punkt,
der
beachtet
werden
142
sollte,
ist der
,Deti-
echon entdas zoon durch die Der kritiUmstand,
daß agnoia, Unwissenheit, als kennzeichnendes Merkmal sowohl im Zustand von Gesundheit (sanitas) als auch von Krankheit (insania) auftritt. Die fragende Unruhe, wie ich die Anfangsphase der noetischen Erfahrung neutral genannt habe, kann entweder des
folgen
und
sich
zu
der Anziehungskraft des Grun-
noetischem
Bewußtsein
entfalten,
oder sie kann sich vom Grund abkehren und anderen Anziehungskräften folgen. Die pathologische Entgleisung ereignet sich also in der Phase fragender Unruhe, in der Haltung des Menschen gegenüber der Spannungsstruktur seiner Existenz, und nicht auf den darauf aufbauenden Ebenen, auf denen die Entgleisung dann offenkundig wird in der Diskrepanz zwischen einem gutgeordneten Leben und einer
Existenz ohne Orientierung, oder der Diskrepanz zwischen
rationaler Artikulation der Realität und den in nicht geringerem Maße artikulierten „verkehrten Meinungen", den pravae opiniones. Natürlich ziehen die offenkundigen Symptome der Desorientierung die Aufmerksamkeit in erster Linie auf sich. Aus den Tusculanae Disputationes kann man
eine lange Liste von Syndromen
zusammenstellen,
die
ganz modern klingt: rastloses Geldverdienen, Streben nach gesellschaftlichem Prestige, Schürzenjägerei, übermäßiges Essen,
Hang
Reizbarkeit,
zu
Delikatessen
Ängstlichkeit,
und
Naschereien,
Ruhmsucht,
Starrsinn,
Zechen, Unnach-
giebigkeit und Ängste vor dem Kontakt mit anderen Menschen wie Weiberhaß oder allgemeine Menschenfeindlichkeit. Obwohl eine Symptomatologie dieser Art nützlich ist als Annäherung auf dem Niveau des gesunden Menschenverstands, ist sie jedoch analytisch nicht präzis genug. Denn es gibt nichts auszusetzen an den Leidenschaften als solchen, noch am Genuß von äußeren Gütern und denen des Körpers, noch an gelegentlichen Nachgiebigkeiten oder Exzessen. Wenn die Trennungslinien nicht genauer gezogen werden,
wird
man
zu der
Situation
kommen,
die Horaz
in
Satiren II 3 lächerlich gemacht hat. Deswegen unterscheidet
Cicero
sorgfáltig zwischen
akuten
143
Auferungen
von
Lei-
denschaften und Gewohnheiten, die chronisch geworden sind, zum Beispiel zwischen angor und anxietas, ira und iracundia. Und die Gewohnheitsbildung muf so gravierend sein, daß sie das Gleichgewicht der rationalen Ordnung der Existenz stört; sie muß auf eine Zurückweisung der Vernunft, auf eine aspernatio rationis hinauslaufen. Dieses letztere Kriterium steht in Zusammenhang mit einer früheren Stelle bei Chrysipp, wo er sich mit dem Menschen beschäftigt, der Argumenten nicht zugänglich ist, weil er seine Nachgiebigkeit gegenüber den Leidenschaften als ein ganz und gar rationales Verhalten ansieht. Das Phänomen
rationalen
Argumentierens
zu dem
Zweck,
die Flucht
aus der noetisch geordneten Existenz zu verteidigen, beeindruckte Chrysipp so stark, daß er annahm, der logos selbst könne korrumpiert werden. Poseidonios konnte nichts anderes tun, als diesen Irrtum zurückzuweisen und zu der Kraft in der menschlichen Existenz zurückzukehren, die Leidenschaften
schen
Spannung
als Mittel benutzen kann,
zu fliehen,
und
welche
aus der noeti-
gleichzeitig die Vernunft
als Mittel, diese Flucht zu rechtfertigen.’
Die Stoiker diagnostizierten also geistige Krankheit als eine Störung noetisch geordneter Existenz. Diese Störung betrifft sowohl die Leidenschaften als auch die Vernunft, aber sie ist weder durch das eine noch durch das andere verursacht. Sie hat ihren Ursprung in der fragenden Unruhe,
der
agnoia,
und
in
der
Freiheit
des
Menschen,
das
Ziel der menschlichen Natur, das in der Unruhe potentiell enthalten ist, zu verwirklichen oder dieses Ziel zu verfehlen. Gesundheit oder Krankheit der Existenz wird schon aus der Stimmungslage dieser Unruhe spürbar. Die klassische, besonders die aristotelische Unruhe ist unverkennbar freu-
dig, da das Suchen in sich eine Richtung hat. Die Unruhe
wird als der Beginn eines theophanischen Ereignisses erfahren, in dem sich der nous als die góttlich ordnende Kraft in der psyche des Fragenden und im Kosmos in seiner Ge144
samtheit offenbart. Die Unruhe ist eine Einladung, dem Ziel, das sie anzeigt, bis zur Aktualisierung des noetischen Bewußtseins nachzuspüren. Es gibt keinen Ausdruck für , Angst". Die Gefühlslage, in Panik oder Schrecken versetzt zu werden durch eine Frage,
auf
die
keine
Antwort
gefunden
werden
kann,
ist
der klassischen Erfahrung in charakteristischer Weise fremd. Die ,Panik" wurde erst durch die Stoiker als ein pathologisches Phänomen durch das Adjektiv ploiodes eingeführt. In der neuzeitlich-westlichen Geschichte der Unruhe dagegen, von Hobbes’ ,Todesfurcht" bis zu Heideggers ,Angst" hat sich die Stimmung verschoben von freudiger Teilnahme an einer Theophanie zu der agnoia ptoiodes, zur feindseligen Entfremdung von einer Wirklichkeit,
die sich mehr
verbirgt,
als daß
sie sich offen-
bart. Hobbes ersetzt das summum bonum durch das summum malum als ordnende Kraft in der menschlichen Existenz; Hegel baut seinen eigenen Zustand der Entfremdung zu einem System aus und lädt alle Menschen ein, Hegelianer zu werden;
Marx
verwirft die aristotelische Suche nach
dem Grund rundweg, und lädt uns ein, sich ihm als ,sozialistischer Mensch” in seinem Zustand der Entfremdung anzuschließen; Freud diagnostiziert die Offenheit zum Grund
als
eine
,lllusion",
,infantilismus";
als
Heidegger
„neurotisches
wartet
auf
die
Relikt", „Parusia
als des
seins", die nicht kommt, was die Erinnerung an Samuel Beckets ,Warten auf Godot" wachruft; Sartre fühlt sich „zur Freiheit verdammt" und schlägt wild um sich bei dem Versuch,
Ersatzziele
verfehlt
hat;
Wissenschaft
zu entwerfen
Lévy-Strauss betreiben
für das
versichert
kann,
wenn
eine Ziel, das er
uns,
man
daf
nicht
man Atheist
nicht ist;
das Symbol ,Strukturalismus" wird das Schlagwort einer modischen Bewegung der Flucht aus der noetischen Struk-
tur der Realität. Und wo weiter.’ Aber
mehr
wie
als um
diese
Fallsammlung
einen bloßen
zeigt,
Unterschied
145
geht
es dabei
um
in der Stimmung
zwischen klassischer und moderner Unruhe. Denn die Vertreter der modernen agnoia ptoiodes beanspruchen in ag-
gressiver
Weise
für ihre geistige
Krankheit
den
Status
geistiger Gesundheit. Im Meinungsklima der Neuzeit hat das zoon agnoian echon das zoon noun echon ersetzt. Die Pervertierung der Vernunft infolge ihrer Aneignung durch geistig Kranke, die schon Chrysipp beunruhigt hatte, hat sich in der neuzeitlichen Periode des Kulturverfalls zu der mörderischen Groteske unserer Zeit ausgewachsen. Von Pervertierung allein kann jedoch der Mensch nicht leben. Parallel zu der Kulmination der Groteske in Hitler, Stalin und der Orgie des ,Befreiungspóbels" nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs auch das Bewußtsein ihres pathologischen Charakters. Zwar hatte schon im 19. Jahrhundert
Schelling,
als er sich mit dem
Progressivismus
sei-
ner Zeit befaßte, den Ausdruck ,Pneumopathologie" geprägt. Aber bis in die jüngste Zeit wäre es sinnlos gewesen, die
, Meinungen",
die
die
öffentliche
Szene
beherrschen,
als psychopathologische Phänomene zu behandeln. Mittlerweile aber sind der „Trugschluß des Reduktionismus", die Hervorbringung imaginärer „Zweiter Wirklichkeiten" und die Rolle von Geschichtsphilosophien bei der Erzeugung einer Illusion von ,Unsterblichkeit" weithin als pathologische Symptome bekannt geworden. Ein Autor wie Doderer hat in seinen Dämonen die , Apperzeptionsverweigerung", die Weigerung wahrzunehmen, als das Syndrom des zoon agnoian echon erkannt. Und in der Existenzpsychologie, z. Bb. im Werk Viktor E. Frankls, ist die „noologische Dimension"
des
Menschen,
sowie
die Behandlung
seiner
Leiden
durch ,Logotherapie" wiederentdeckt worden. Es wäre nicht überraschend, wenn früher oder spáter Psychologen oder Sozialwissenschaftler die klassische Analyse noetischer Existenz als die angemessene theoretische Basis für die Psychopathologie des ,Zeitalters" entdecken würden.
146
III. Leben und Tod Das Leben der Vernunft im klassischen Sinn ist Existenz in der Spannung zwischen Leben und Tod. Der Begriff Span-
nung soll das Bewußtsein für dieses eigentümliche „Zwischen" der Existenz schärfen. Mit ,Zwischen" ' übersetze ich den Begriff
des metaxy,
den Platon
im Symposion
und
im Philebos entwickelt hat. Der
Mensch
erfáhrt
sich als
ein
Wesen,
das
über
seine
menschliche Unvollkommenheit hinaus nach der Vollkommenheit des góttlichen Grundes strebt, der ihn anziehend bewegt. Indem der geistige Mensch, der daimonios aner, auf der Suche nach dem Grund in Bewegung ist, bewegt er sich irgendwo zwischen Wissen und Nichtwissen (metaxy
sophias
kai
amathias).
„Das
ganze
Reich
des
Geistigen
(daimonion) ist in der Tat in der Mitte zwischen (metaxy) Gott und Mensch" (Symp. 202 a). Das Zwischen (metaxy) ist also nicht ein leerer Raum zwischen den Polen der Spannung, sondern das ,Reich des Geistigen". Es ist die Realität, in der „Götter und Menschen miteinander verkehren” (202-203), das wechselseitige Partizipieren (methexis, metalepsis) von menschlicher in góttlicher und von góttlicher in menschlicher Realität. Das metaxy symbolisiert die Erfahrung der noetischen Suche als einen Übergang der Seele von Sterblichkeit zu Unsterblichkeit. In der Sprache des Sokrates im Phaidon ist richtiges Philosophieren die Einübung in den Tod (melete thanatou), die der psyche die Fähigkeit verleiht, im Tod ihren göttlichen, unsterblichen und weisen Zustand in Wahrheit (alethos, 81 a) zu erreichen. In der Sprache des Aristoteles ist noetisches Philosophieren die Übung, unsterblich zu werden (athanatizein, NE 1177 b 33). „So ein Leben jedoch ist mehr als nur menschlich; es kann vom Menschen
nicht gelebt werden,
in-
sofern er Mensch ist, sondern nur kraft des Göttlichen (theion), das in ihm ist... Wenn also der nous im Vergleich zum Menschen göttlich ist, dann ist das noetische Leben 147
göttlich im Vergleich
zu menschlichem
Leben"
(NE
1177 b
27 ff.). Auf Grund der göttlichen Präsenz, die der Unruhe
ihre Richtung gibt, wird die Entfaltung des noetischen Bewußtseins als ein Prozeß des Unsterblich-Werdens erfah-
ren. Mit ihrer Entdeckung
des Menschen
als eines
zoon
noun echon haben die klassischen Philosophen entdeckt, daß der Mensch mehr ist als ein thnetos, ein Sterblicher: Er ist das unvollendete Wesen, das sich von der Unvollkommenheit des Todes in diesem Leben zu der Vollkommenheit des Lebens im Tode bewegt.
Historisch ist die Erfahrung, in der Entfaltung des ratio-
nalen
Bewußtseins
unsterblich
zu werden,
das
Sturmzen-
trum gewesen - und sie ist es noch -, von dem Mißverständnisse,
irreführende
Fehldeutungen
ausgegangen sind. Wenn der Mensch im metaxy „zwischen
Mensch
und
Gott”,
und
wütende
Angriffe
existiert, in der Spannung dann
zerstört
jede
Auffas-
sung des Menschen als eines weltimmanenten Wesens sinn
von
Existenz,
weil
sie den
Menschen
seines
den
spezifi-
schen Wesens beraubt. Andrerseits dürfen die Pole der Spannung nicht zu Objekten vergegenständlicht werden, die unabhängig sind von der Spannung, in der sie als ihre Pole erfahren werden. Diese Mißdeutungen können die Form elementarer logischer Fehler annehmen, wie die oben zurückgewiesene Umformung des zusammenfassenden Symbols zoon noun echon in eine Nominaldefinition. Oder sie können, detaillierter ausgeführt, die körperliche Existenz
des
Menschen
für den
Zweck
mißbrauchen,
die
me-
taleptische Spannung durch Kausalerklärung auf die organischen und anorganischen Seinsschichten zu reduzieren, in denen die Spannung fundiert ist. Oder man kann, da die Entdeckung des nous und die Symbolisierung des metaxy Tatsachen
in der
Geschichte
der
Menschheit
sind,
versu-
chen, die Symbole, die durch die Spannung hervorgebracht worden sind, psychologisch als Projektionen einer immanenten Seele zu erklären. Die Urheber dieser Mißdeutun-
148
gen können ferner ihre Absicht offen erklären durch eine derjenigen direkten Attacken auf die noetische Struktur der Existenz, von denen ich repräsentative Beispiele angeführt habe. Welchen Grad an Ausführlichkeit und bewußter Absicht auch immer sie haben mögen: die Deformationen des menschlichen Pols der Spannung zu einem weltimmanenten Gegenstand sind Attacken auf das Leben der Vernunft, eine aspernatio rationis im stoischen Sinn. Sie sind psychopathologische Phänomene. Da die gröbste Sorte von Fehldeutungen, durch welche die neuzeitliche Periode ideologischen Denkens beherrscht wird, mittlerweile notorisch geworden
ist, erübrigt
es sich, mehr
darüber
zu sa-
gen. Viel subtiler
ist die Entstellung,
die die klassische
Ana-
lyse noetischer Existenzordnung durch eine restriktive Konzentration auf den Konflikt zwischen der Vernunft und den Leidenschaften erfahren hat. Diese Entstellung hat nun schon eine mehr als tausendjáhrige Geschichte. Sogar die Stoiker
waren
bestürzt,
Psychopathologie
als
sich
herausstellte,
bei
ihrem
Versuch
einer
daß auch ein Übermaß
an
Leidenschaft das Syndrom geistiger Krankheit nicht in befriedigender Weise erklären konnte. Auf den Leidenschaf-
ten als der einzigen Quelle der Unordnung herumzureiten,
führte zu der albernen Sackgasse, die Horaz satirisch dargestellt hatte. Und überdies konnte keine Art der Nachgiebigkeit gegenüber den Leidenschaften die Ablehnung der Vernunft
im Namen
der Vernunft
erkláren,
die Chry-
sipp beunruhigt hatte. Da war hinter den Leidenschaften eine rätselhafte Kraft am Werk, die die noetische Ordnung der Existenz störte und sich in der agnoia ptoiodes manifestierte. Die Ursache dieses Rätsels war und ist die Isolie-
rung
sowohl
der
Vernunft
wie
der
Leidenschaften
aus
ihrem Kontext in der Spannung zwischen Leben und Tod. In den Nomoi hat Platon den Mythos vom Puppenspieler entwickelt, der die menschlichen Puppen an verschiedenen
Metallschnüren
zieht,
an der
149
goldenen
Schnur
der
Ver-
nunft und an den weniger edlen Schnüren der Leidenschaften. Man konnte und kann auf diesen Mythos verweisen, um das Wechselspiel der Anziehungskräfte in der menschlichen Existenz
zu verstehen,
aber man
darf das kosmische
Drama nicht vergessen, in dem dieses Wechselspiel stattfindet. Die Zugkraft (helkein) der Vernunft und die ihr entgegenwirkenden Zugkräfte (anthelkein) der Leidenschatten sind nur zu wirklich,
aber es sind Bewegungen,
die die
psyche erfährt in ihrem Zustand der Eingeschlossenheit in einen sterblichen Körper. Der Grund, warum der Mensch mehr der einen als der anderen Kraft folgen sollte, kann nicht in der ,Psychodynamik" des Puppenspiels noch in irgendwelchen moralischen Normen gefunden werden, sondern in der potentiellen Unsterblichkeit, die durch die gótt-
liche Prásenz im metaxy als Móglichkeit angeboten wird. In der Mensch
klassischen
Erfahrung
frei, sich entweder
noetischer
auf den Prozef
Existenz
ist der
des Unsterblich-
Werdens einzulassen, indem er der Zugkraft des góttlichen nous folgt, oder den Tod zu wáhlen, indem er der entgegenwirkenden Zugkraft der Leidenschaften folgt. Die psyche
des Menschen
ist das Schlachtfeld der Entscheidung
zwi-
schen den Kráften von Leben und Tod. Das Leben ist nichts Gegebenes. Der Gott der Nomoi kann es nur anbieten durch die Offenbarung seiner Gegenwart. Das Leben zu gewinnen erfordert die Mitwirkung des Menschen. Wenn Leben und Tod als die bewegenden Kráfte hinter der Vernunft und den Leidenschaften sichtbar geworden sind, so wird eine weitergehende Analyse des melaxy erforderlich. Platon hat diese im Philebos gegeben, indem er das Mysterium des Seins als Existenz zwischen (metaxy)
den
Polen
des
,Einen"
(hen)
und
des
,Unbegrenzten"
(apeiron) symbolisierte (16 d-e). Das Eine ist der göttliche Grund (aitia), der als die gestaltende Kraft in allen Dingen präsent ist, gleichzusetzen mit Weisheit und Vernunft (sophia kai nous) (30 b-c). Das Unbegrenzte ist das apeiron Anaximanders,
der
kosmische
150
Grund,
aus
dem
die
Dinge
ins Sein (genesis) hervorgebracht werden und in das hinein sie auch
wieder
vergehen
(phthora),
„denn
sie zahlen
ein-
ander Bußgeld für ihr Unrecht (adikia) nach der Anordnung der Zeit” (B 1). Hinter den Leidenschaften ist die Existenzgier am Werk, die aus der Tiefe des kosmischen Grundes kommt
(d. h. das
Unrecht,
auf das
das
Gesetz
des
Kosmos
die Strafe des Todes in der Zeit gesetzt hat). In christlicher Psychologie
superbia
ist aus dieser apeirontischen
vitae geworden,
Existenzgier
die
oder die libido dominandi,
die
für die Theologen als Definition der Erbsünde gilt. Der Konflikt zwischen Vernunft und Leidenschaften erhält also seinen spezifischen Charakter durch das Partizipieren der psyche im metaxy, dessen Pole apeiron und nous sind. In der psyche des Menschen erreicht die Spannung in der Realität den Status des Bewußtseins. Die Folgen für den Sinn menschlicher Existenz hat Platon im Timaios dargelegt: „Wenn nun ein Mensch sich seinen Begierden (epithymia) und seinen ehrgeizigen Wünschen (philonikia) überläßt und ihnen zügellos frónt, dann werden notwendigerweise all seine Gedanken (dogmata) sterblich und folglich er selber, soweit dies überhaupt móglich ist, ganz und gar sterblich, weil
er seinen
sterblichen
Teil genáhrt
hat. Wenn
er
aber mit Eifer seine Liebe zur Erkenntnis und zur wahren Weisheit gepflegt hat und wenn er vor allem seine Fähigkeit geübt hat, unsterbliche und göttliche Dinge zu denken, dann
wird
er in
dem
Maße,
rührt, notwendigerweise
in dem
er
die
unsterblich werden,
Wahrheit
be-
soweit es für
die menschliche Natur móglich ist, an der Unsterblichkeit teilzuhaben." Und
doch:
(90 a-b) auch wenn
er seiner Existenz nen.
Selbst
wenn
ein Mensch
,sterblich wird",
als eines zoon noun er die Vernunft
kann
echon nicht entrin-
zurückweist,
muß
diese
Zurückweisung die Form der Vernunft annehmen, will er nicht Stimmungen wie Niedergeschlagenheit, taedium vitae, akedia und so weiter verfallen. Je stárker er seiner sterblichmachenden
libido
dominandi
151
nachgibt,
umsomehr
muß
der Tod, den er wirkt, in das Bild des Lebens
gekleidet
werden. Deshalb erfordert eine radikale, voll bewußte aspernatio rationis, wie sie in den Ideologien der Neuzeit
zu finden ist, eine ebenso radikale Symbolisierung in Form eines rationalen Systems,
wenn
möglich eines
Systems
der
», Wissenschaft" im Hegelschen Sinn. Tatsächlich haben die radikalen Systeme der Neuzeit, besonders die geschichtsphilosophischen, beträchtlich zur Klärung des Problems bei-
getragen, weil ihr Zweck schon im 18. Jahrhundert festgestellt und kritisiert worden ist. In seiner Vorlesung über Universalgeschichte (1789) erklärte Schiller, der Zweck einer progressivistischen Geschichtsphilosophie sei, eine imaginäre Unsterblichkeit zu erlangen durch Partizipation am imaginären Sinn der Geschichte. Der Sinn einer Universalgeschichte, die einem Reich der Vernunft entgegengeht, ersetze
den
Sinn
der
Existenz,
der
mit
dem
Verlust
des
Glaubens an die Unsterblichkeit der Person verlorengegangen war. Aber schon fünf Jahre vorher hatte Kant bemerkt, satz
daß
für
den
Partizipation Sinn
der
am
Sinn
der
individuellen
Geschichte Existenz
kein
Er-
ist, weil
sie
auf das Problem des individuellen Todes eines Menschen in
der Zeit keine Antwort gibt." Heute, fast zweihundert Jahre danach, ist die Bemerkung Kants eine erschütternde Neuigkeit entdeckt
für haben,
osteuropäische daß
der
Marxisten
Glaube
an
das
geworden,
die
kommunistische
Dogma im Angesicht des Todes kein großer Trost ist. An der eben zitierten Stelle des Philebos hat Platon die theoretischen Implikationen des Problems verdeutlicht, indem er analytische Begriffe schuf, die noch heute in Gebrauch oder vielmehr Mißbrauch sind. Der Mensch existiert in der Spannung zwischen apeirontischer Tiefe und noetischer Höhe. Das apeiron und der nous reichen bis in seine psyche und er hat Anteil an ihnen, aber er ist weder mit dem
einen noch mit dem
anderen
identisch,
und
er verfügt
auch nicht über sie. Dieser Bereich der metaleptischen Rea152
lität ist die eigentliche Domäne
des menschlichen Denkens,
seines Suchens, Lernens und Lehrens (skopein, manthanein,
didaskein). Sich innerhalb des metaxy zu bewegen, es nach
allen Richtungen zu erforschen, für sich selbst die Orientierung
zu
finden
aus
der
Perspektive,
die
dem
Menschen
durch seine Stellung in der Realität gegeben ist, das ist die eigentliche Aufgabe des Philosophen. Um diese Bewegung des Denkens oder der Erörterung (logos) innerhalb des metaxy zu bezeichnen, verwendet Platon den Ausdruck ,Dialektik" (17 a). Da das menschliche Bewußtsein sich aber auch bewußt ist, an den Polen der metaleptischen Spannung teilzuhaben (d. h. am apeiron und am nous) und das Begehren
nach
Wissen
dazu
neigt,
über
die
Grenzen
partizipa-
torischen Wissens hinauszukommen, wird es Denker geben — „diejenigen,
die bei den Menschen
unserer Zeit als weise
angesehen werden" - die dazu neigen, sich die ,Inmitten"-
Realität (ta mesa) entkommen zu lassen (ekpheugein) in ihrem libidinósen Drang nach kognitiver Herrschaft über das hen oder das apeiron. Zur Bezeichnung dieses Typs spekulativen Denkens benutzt Platon den Ausdruck „Eristik" (17 a). Auch hier haben die radikalen Bewußtseinsdeformationen der Moderne wesentlich dazu beigetragen, Platons Problemstellung zu verstehen, indem sie Anschauungsunterricht in Eristik lieferten. In Symbolen wie dem Marxschen Sein, das das Bewußtsein
determiniert,
oder in dem
Freud-
schen Symbol der Libido, das den erklárten Zweck hat, die Autorität des Acheron gegen die Autorität der Vernunft zu
mobilisieren ", werden
Phánomene
im metaxy, von wirt-
schaftlicher oder psychologischer Natur, vorschnell mit der apeirontischen Tiefe identifiziert. Als Symbol dieser Revolte erscheint ferner das Unbewufte in so verschiedenartigen Zusammenhängen wie Freuds Psychoanalyse, Bretons Surrealismus oder Jungs Psychologie eines kollektiven Unbewuften,
den wurden,
in der Symbole, die vom Menschen
um seine Erfahrungen im metaxy
153
erfun-
auszudrük-
ken, in apeirontische Archetypen verwandelt werden. Am instruktivsten jedoch ist Hegel. Denn als kenntnisreicher und gewissenhafter Denker fühlt er sich verpflichtet, seine
Deformation der noetischen Erfahrung der klassischen Philosophen mit entsprechenden Belegstellen zu untermauern. Es gibt eine Stelle in der aristotelischen Metaphysik, die man mißverstehen kann, wenn man sie um jeden Preis miß-
verstehen will, weil sie von der überschwänglichen Freude
durchdrungen ist, für einen Augenblick mit göttlicher Unsterblichkeit in Berührung zu kommen, wenn im Akt kognitiver Partizipation der góttliche nous berührt wird (oder erfaßt wird, thigganein). Hegel fügt diese Passage (Met. 1072 b 18-31) als Appendix seiner Enzyklopädie an und weist durch diese strategische Plazierung auf die zentrale Bedeutung hin, die sie für ihn hat. Der entscheidende Satz in der Passage ist folgender: ,Denken (nous) denkt sich selbst durch Partizipieren (metalepsis) am Gegenstand des Denkens (noeton). Denn Gegenstand des Denkens wird es dadurch, daß es berührt und gedacht wird (thinganon, noon), so daB Denken (nous) und Gedachtes (noeton) dasselbe sind" (Met. 1072 b 20 ff.). Im aristotelischen Kontext artikuliert dieser Satz das dynamische Verhältnis zwischen Identitát und Verschiedenheit des Erkennenden und des Erkannten im Akt der noetischen Partizipation, ungeachtet
der Freude momentaner Identität mit dem Göttlichen. Liest
man jedoch diesen Satz im Kontext der Enzyklopädie, so drückt er den Beginn eines philosophischen Unternehmens aus, das durch Hegel zu seinem erfolgreichen Abschluß gebracht worden ist. Denn in der Konzeption Hegels beginnt die Philosophie als ,Liebe zur Weisheit" im klassischen sinn und bewegt sich von diesem unvollkommenen Zustand auf ihre Erfüllung hin im Hegelschen System als ,Wirklichem Wissen". Von der klassischen Teilhabe am göttlichen nous schreitet sie durch den dialektischen Fort-
schritt des ,Geistes" in der Geschichte voran zur Identifizierung mit dem nous im Bewußtsein, das sich selbst re154
flektiert. Die Spannung
zum
Grund
der eigenen
von Hegel als ein Zustand der ,Zerrissenheit"
Existenz,
oder „Ent-
fremdung" betrachtet, soll durch einen Zustand der , Versóhnung" ersetzt werden, wenn der göttliche Grund in der Welt fleischgeworden ist durch die Konstruktion des Hegelschen Systems. Das metaxy ist in Immanenz umgewandelt worden. Diese spekulative Magie (,Zauberworte", ,Zauberkraft"), durch die der Denker den góttlichen Grund in seinen Besitz bringt, ist das, was Platon ,Eristik" genannt hat. Hegel seinerseits nennt es ,Dialektik". Auf diese Weise ist die Bedeutung der Ausdrücke in ihr Gegenteil verkehrt worden. Darüberhinaus führt Hegel als erstrangiger Denker mit den paulinischen Symbolen des góttlichen pneuma und der „Tiefe Gottes" (I Kor. 2:6-13) die gleichen Kunststücke auf wie mit dem nous des Aristoteles. Wieder rückt er seine Umkehrung in eine strategische Position: Auf der letzten Seite der Phänomenologie zieht er das göttliche pneuma in das metaxy, indem er sein System als die erschópfende Offenbarung
der Tiefe darstellt, die von Christus und
Pau-
lus zwar intendiert, aber nur teilweise erreicht worden war. In einem Aufwasch überträgt er die Autorität sowohl der Vernunft wie der Offenbarung auf sein System und auf sich als seinen
Schöpfer.
Die libidinóse
Stoßkraft,
die in dieser
egophanischen Revolte gegen die theophanische Realität steckt, wird manifest in seiner Überzeugung, daß die Konstruktion des Systems durch ihn das Äquivalent des Nichtkombattanten für den Tod des Kombattanten auf dem
Schlachtfeld der Revolution darstellt. Und aus seinen Kom-
mentaren zu Napoleon geht er gar als der Große Mann der Weltgeschichte hervor, der der französischen Revolution den Sinn gegeben hat, der von dem Empereur verfehlt wurde. Der
imperiale
ist ganz
Stil, von
allgemein
Hegel
zur
charakteristisch 155
Perfektion
entwickelt,
für die egophanische
Revolute
der Neuzeit
gegen
die Vernunft
in ihren
ver-
schiedenen ideologischen Arten und Unterarten. Über die individuellen Fälle existentieller Unordnung hinaus wird
dieser
Stil eine gesellschaftliche
Groteske,
wenn
sich im
Lauf der Zeit die gesellschaftliche Bühne mit kleinen Empereurs füllt, von denen jeder den Anspruch erhebt, im Besitz der einen und einzigen Wahrheit zu sein. Und dieser Stil wird
mörderisch,
genug nehmen, es wagen,
wenn
einige
von
den Massenmord
anderer
Meinung
zu
ihnen
sich selbst
ernst
all derer zu betreiben, sein. Als
instruktives
die Bei-
spiel, an dem man den Übergang von intellektuellem Imperialismus zur Befürwortung des Massenmordes in allen wohlüberlegten
Details studieren kann,
muß annehmen,
daß die allgemeine gesellschaftliche Situa-
rice Merleau-Ponty’s
Humanisme
empfehle
et Terreur
im Mau-
(1947). Man
tion im ganzen eher dazu beiträgt, diesen Stil auszubreiten
als ihn wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Diese Entwicklung in Richtung auf ein ebenso groteskes wie morderisches Massenphänomen ist dadurch bestimmt, daß sie ihren Ursprung in der Zerstörung des Lebens der Vernunft im metaxy hat. Am Fall Hegels — und man sollte nicht vergessen, daD nur ein sachlich kompetenter Denker von der Statur Hegels ein solches Meisterstück vollbringen konnte — kann man beobachten, wie das Bewußtsein
des Menschen
von seiner Spannung zum góttlichen Grund durch die ,Zauberworte" des Systems in einen ,dialektischen" Prozeß innerhalb eines imagináren ,Bewuftseins" verwandelt wird, das unter die Kontrolle des spekulativen Denkers gebracht werden kann. Da aber „dialektisches Bewußtsein” nicht das Bewußtsein
konkreter
Menschen
ist, sondern
scher Ausdruck,
der in der Realität
schen
einer
Phantasie
libidinós
den
gestórten
ein symboli-
Status
der eristi-
psyche
hat,
be-
sitzt das System nicht die Autorität der Vernunft, die es zu usurpieren versucht. Sobald der góttliche nous menschlicher Konstruktion unterworfen wird, ist Gott tatsächlich tot. Was stattdessen ins Leben getreten ist, ist der imperiale 156
Appeal, den das System auf die libido dominandi ausübt. Dieser Appeal ist nicht mit irgendeinem speziellen System
verknüpft
(etwa dem Hegels
oder Comte’s),
sondern
mit
der Form des Systems als solcher und ihrer außerordentlichen Flexibilität. Denn die Vernunft kann sich in eristischer Weise mit jedem beliebigen Weltinhalt verbinden, sei es Klasse,
Rasse
Arbeiterklasse, Dritte Welt;
oder
Nation;
sei es eine
Technokratenklasse
oder
Leidenschaften
und Sex; oder Wissenschaften
oder gleich die ganze
wie
wie
Mittelklasse,
Gewinnsucht,
Physik,
Macht
Biologie,
Sozio-
logie, Psychologie. Die Liste erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Man kann sogar sagen, daß die Anziehungskraft eines speziellen Systems weniger in den Lehren seines Schöpfers liegt als in der Möglichkeit,
an ihnen unter
dem Titel „Revision“ herumzubasteln, während der imperiale Stil absoluter Wahrheit aufrechterhalten wird. Im Ablauf dieser libidinösen Groteske läßt sich jedoch eine gewisse Ordnung feststellen. Sie wird sichtbar, wenn die eristische Phantasie dem Druck der Realität ausgesetzt wird. Da der Sinn von Existenz in noetischer Spannung im Prozeß des Unsterblich-Werdens besteht, wird der sterblichmachende Druck der apeirontischen Tiefe in wachsendem Maße
spürbar,
bindung man
wenn
erfolgreich
in der Deutung
der
nous
deformiert der
durch
worden
Existenz,
die
eristische
Ver-
ist. Deshalb
kann
die man
modern
nennt,
eine Akzentverschiebung feststellen von der überschwänglichen aspernatio rationis im Namen
der Vernunft,
die dem
18. Jahrhundert seinen Namen gegeben hat, hin zu der zeitgenössischen Beschäftigung mit Existenz unter den Stichworten von abgründiger Tiefe, Tod und Angst. Da ferner die eristische Phantasie die Vernunft mit einem bestimmten Weltinhalt verbindet, wird die Wahrheit des Systems fragwürdig, wenn das Wissen von dem Weltinhalt über den Zustand
hinaus
fortschreitet,
in dem
der eristische Denker
es in seine Konstruktion eingebaut hat. Daher entwickeln alle epigonischen Anhänger eines Systems die wohlbe157
kannte Vielfalt von Kunstgriffen, die das jeweilige System gegen den unvermeintlichen Konflikt mit der Realität abschirmen sollen. Da gibt es den eben erwähnten Kunstgriff der
, Revision",
der oft benutzt wird, um
keit des Systems zu erhalten, obwohl
die Glaubwürdig-
er andrerseits auch zu
Meinungsverschiedenheiten unter den Anhängern führen kann und zu zornigen Neudefinitionen orthodoxer und abweichlerischer Positionen. Dann gibt es das grundsätzliche Tabu auf Fragen, die die Voraussetzungen der eristischen Verschmelzung
betreffen,
wie
es
von
Marx
ausdrücklich
gefordert und von den Anhängern der Marxschen Spielart der Eristik befolgt wird. Dann die altehrwürdige Taktik, von vernichtender Kritik einfach keine Kenntnis zu nehmen,
und das weniger
ehrwürdige
Verfahren,
den Kritiker
persönlich zu diffamieren. Und wo schließlich die Anhänger eines Systems die Regierungsgewalt errungen haben, können sie dem sie
Druck
der Realität Widerstand
die Andersdenkenden
einsperren
leisten,
oder
töten,
indem
oder
in-
dem sie kurzerhand eine physische Mauer um das Territorium ziehen, das unter ihrer Herrschaft steht.
All dies mag sich wie eine Selbstverständlichkeit anhören, und ist es auch, soweit es die Fakten betrifft. Nicht so selbstverständlich
ist
wahrscheinlich,
daß
ich
soeben
mit
dem Vokabular der klassischen Einsichten in die Spannung der Existenz den gesellschaftlichen Prozeß einer geistigen Krankheit in ihrem geschichtlichen Ablauf beschrieben habe, eine kinesis im thukydideischen Sinn. Sowohl hinsichtlich ihrer Natur als ihres Verlaufs kann man die moderne kinesis verstehen, wenn man
die Kategorien benutzt,
die von den klassischen Philosophen bei der Analyse des metaxy entwickelt worden sind. Und umgekehrt wird die Gültigkeit der klassischen Analyse durch die Phänomene bestätigt,
die
man
empirisch
als
Phänomene
zwischen einer eristischen Phantasie und Struktur der Realität beobachten kann.
158
des
der
Konflikts
noetischen
IV. Anhang Daß sich noetisches Bewußtsein in der psyche der klassischen Philosophen entfaltet hat, ist nicht eine „subjektive Idee" oder eine „tradierte Meinung", sondern ein tatsächliches Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Die Sym-
bole, die im Verlauf dieses Ereignisses entwickelt wurden, sind
,wahr"
in
dem
Sinn,
daß
sie
in
nachvollziehbarer
Weise die Erfahrung existentieller Unruhe
im Verlauf des
Prozesses artikulieren, in dem diese Unruhe
sich selbst gei-
stig durchsichtig wird. Obwohl die klassische Analyse weder die erste noch die letzte Symbolisierung der Natur
des Menschen
auf der Suche
göttlichen Grund tur
der
Suche
nach seiner Beziehung
darstellt, hat sie doch
selbst
artikuliert:
Der
zum
als erste die StrukUnruhe,
die
für
das
Fragen eine Antwort bereithält, des göttlichen nous, der die Suche in Gang setzt, der Freude des Partizipierens, das sich selbst durchsichtig wird, wenn der Mensch auf die Theophanie antwortet, und der Existenz, die geistig durchsichtig wird für ihren Sinn als einer Bewegung im metaxy von Sterblichkeit zu Unsterblichkeit. Die Artikulierung dieser Struktur ist in der Tat so erfolgreich gewesen, daß sogar die egophanische Revolte der Neuzeit gegen die Konstituierung der menschlichen Natur durch Theophanie die Sprache der noetischen Analyse benutzen muß, wenn sie verstanden
werden
will. Gerade
dadurch
bestätigt sie, daß
die Philosophen diese Struktur in gültiger Weise artikuliert haben. Ohne Zweifel wurden wahre Einsichten bezüglich der Vernunft ais ordnender Kraft in der Existenz gewonnen, aber sie konnten nur gewonnen werden als Exegese des Widerstands der Philosophen gegenüber der persönlichen und gesellschaftlichen Unordnung der Zeit, die sie zu überwältigen drohte. Wenn man die Wahrheit der Einsicht von dem
Versuch des Widerstands
sicht in die
trennt, entsteht aus der Ein-
,Zwischen-Struktur"
159
der
Existenz
barer
Un-
sinn. Das Leben der Vernunft ist nicht ein Schatz von Informationen, den man zur Seite legen und aufbewahren kann - es ist der Kampf im metaxy um die unsterblichmachende Ordnung der psyche im Widerstand gegen die sterblichmachenden Mächte der apeirontischen Gier nach Sein in die Zeit. Existenz in der Mitte zwischen Góttlichem und Menschlichem, Wissen
zwischen
und Nichtwissen,
Vernunft
und Leidenschaften,
Unsterblichkeit und Sterblichkeit
wird nicht abgeschafft, wenn die Existenz sich selbst durchsichtig wird. Was sich durch die Differenzierung der Vernunft änderte, war das Niveau
kritischen Bewußtseins
hin-
sichtlich der Existenzordnung. Die klassischen Philosophen waren sich dieser Anderung als eines epochalen Ereignisses bewußt; sie erkannten voll die erzieherischen, diagnostischen und
therapeutischen
Aufgaben,
die sich aus
ihren
Entdeckungen ergaben. Und sie legten die Fundamente einer kritischen Psychopathologie, die später von den Stoikern weiter ausgearbeitet wurde. Was sie jedoch nicht vorhersehen
konnten,
waren
die wechselhaften
Schicksale,
denen ihr Werk ausgesetzt sein würde, sobald es in die Geschichte eintrat und ein wesentlicher Faktor in der Kultur der
Hellenistischen,
Christlichen,
Islamischen
und
unserer
Westlichen Gesellschaften wurde. Sie konnten weder die Einbeziehung der Philosophie in verschiedene Offenbarungstheologien noch ihre Transformation in dogmatische Metaphysik voraussehen. Vor allem aber konnten sie nicht voraussehen, daß die Symbolik der Noese, die sie geschaffen hatten, von ihrem Erfahrungskontext so gründlich getrennt wurde, daß das philosophische Vokabular dafür ein-
gesetzt werden konnte, dem Angriff auf die Vernunft den Mantel der Vernunft umzuhängen. Die Dynamik ihres Widerstands bewegte sich vom Verfall des kosmologischen
Mythos und von der sophistischen Revolte in Richtung auf die „Liebe zur Weisheit”.
Sie konnten nicht eine ferne Zu-
kunft vorausahnen, in der die egophanische Revolte den Sinn der noetischen Symbole so sehr pervertiert hat, — also 160
die umfassende
„degradation
des symboles",
wie Mircea
Eliade dieses moderne Phänomen genannt hat — daß heute die Dynamik des Widerstands ausgehen muß von dem System von Denkern, die sich in einem Zustand der Entfremdung befinden, um sich von neuem in Richtung auf noetisches Denken hin zu bewegen. Die klassischen Einsichten als doxographische Relikte darzustellen,
wáre nicht nur zwecklos,
sondern würde
auch
ihren eigentlichen Sinn zerstören, nämlich den Widerstand des Menschen gegen die sterblich-machende Unordnung der Zeit auszudrücken. Die Aufgabe besteht nicht darin, die Erinnerung an diese Einsichten wachzuhalten, sondern den
Widerstand gegen das , Meinungsklima" zusetzen,
wenn
anders
das
Leben
(Whitehead) fort-
der Vernunft
lebendig
bleiben soll. Die vorliegende Untersuchung ist offenkundig ein Akt des Widerstands in engem Zusammenhang mit dem klassischen Versuch. Es ist sicher deutlich geworden, wie ich dabei vorgegangen bin. In erster Linie war es notwendig, den praktisch vergessenen Erfahrungskontext wiederherzustellen, von dem die Bedeutung von , Vernunft" abhängt. Ich habe dann versucht, soweit dies auf dem engen Raum móglich war, den inneren Zusammenhang von Teilstücken der Analyse
herzustellen,
die in den Quellen
über
ein weites literarisches Korpus verstreut sind. Auf der Basis der wiederhergestellten Erfahrung war es dann möglich, die Untersuchung auf die Psychopathologie der Entfremdung und die aspernatio rationis auszudehnen. Und auf dieser durch die Analyse der Stoiker noch erweiterten Basis
konnte dann die moderne Revolte gegen die Vernunft sowie das Phänomen des Systems beschrieben werden. Bei dieser Beschreibung mußte ich mich jedoch auf besonders krasse Fálle beschránken; die generelle Bedeutung der klassischen Analyse als Instrument der Kritik wurde dadurch nicht in vollem Umfang deutlich. Es ist deshalb vielleicht hilfreich,
zu geben,
eine
schematische
die in jeder
Darstellung
Untersuchung
161
der
menschlicher
Punkte
Ange-
legenheiten, der peri ta anthropina im aristotelischen Sinn, berücksichtigt werden müssen:
Person
Gesellschaft
| Geschichte E
-—
Δ
Göttlicher nous
psyche-noetisch psyche-Leidenschaften Natur-animalisch
Natur-vegetativ Natur-anorganisch apeiron-Tiefe
Die linke vertikale Spalte ist eine Aufzählung der verschiedenen Ebenen der Seinshierarchie vom nous bis zum apeiron. Der Mensch hat an jeder von ihnen Anteil. Seine Natur ist ein Abriß der Seinshierarchie. Der nach unten
zeigende Pfeil bezeichnet die Reihenfolge der Organisation von oben nach unten, der nach oben zeigende
Pieil die Rei-
henfolge der Fundierung von unten nach oben. Die oberste horizontale Spalte ist eine Aufzählung der Dimensionen der Existenz des Menschen als einer Person
in Gesellschaft und Geschichte. Der nach rechts zeigende Pfeil bezeichnet die Reihenfolge der Fundierung.
Prinzip der Vollständigkeit: Eine Philosophie peri ta anthropina muß
das gesamte Netz, das durch die beiden Koor-
dinaten gebildet wird, umfassen. Kein Teil des Netzes darf unter Vernachlässigung des Kontextes zu einer selbständigen Entität hypostasiert werden. 162
Prinzip der Organisation und der Fundierung: Die Reihenfolge der Organisation und der Fundierung darf nicht umgekehrt oder auf andere Weise entstellt werden, wie zum
Beispiel durch ihre Umformung
in eine Kausalität, die
von oben oder unten wirkt. Insbesondere sind alle Deutungen von Phánomenen einer hóheren Ebene als Epiphánomene
von Prozessen einer tieferen Ebene,
die sogenannten
reduktionistischen Trugschlüsse, als falsch auszuschlieDen. Diese Regel berührt jedoch nicht die bedingende Kausalität, die den eigentlichen Kern der Fundierung ausmacht. Ebensowenig erlaubt sind Umstellungen in der Reihenfolge der Fundierung in der horizontalen Spalte. Insbesondere alle , Geschichtsphilosophien", die Gesellschaft oder Geschichte als ein Absolutum hypostasieren und dadurch die Existenz der Person und ihren Sinn verdunkeln,
sind damit
als falsch ausgeschlossen. Prinzip
der metaxy-Realität:
Koordinaten
bestimmt
solche erkennbar apeiron als ihrer Phantasien",
wird,
Die
Realität,
die durch
die
ist die Zwischen-Realität,
als
durch das Bewußtsein von nous und begrenzenden Pole. Alle „eristischen
die versuchen,
die Grenzen
des metaxy
-- sei
es die noetische Höhe oder die apeirontische Tiefe - in ein Phänomen innerhalb des metaxy zu verwandeln, sind als falsch auszuschließen. Diese Regel betrifft nicht genuin eschatologische oder apokalyptische Symboliken, die durch die Kraft der Imagination die Erfahrung einer Bewegung innerhalb der Realität in Richtung auf ein Jenseits des metaxy ausdrücken, wie zum Beispiel die Erfahrungen von Sterblichkeit und Unsterblichkeit. Dieses graphische Schema hat sich für Studenten als besonders wertvoll erwiesen, weil es ihnen einen Minimalbe-
stand an objektiven Kriterien für ,wahr" und ,falsch" in die Hand gibt in ihrer Auseinandersetzung mit der Flut zeitgenössischer Meinungsliteratur. Mit Hilfe dieses Schemas ist es möglich, falsche theoretische Aussagen zu klassifizieren, indem man ihnen ihren Platz in dem
163
Netz zuweist.
Zuweilen wurde es für die Studenten zu einem aufregenden Spiel, Ideen, die sich momentaner Beliebtheit erfreuen, auf eines der einundzwanzig Felder zu plazieren. Über seine Funktion als technische Hilfe bei der Bewältigung zeitgenössischer Phänomene geistiger Unordnung hinaus hatte
das Schema den wichtigen psychologischen Effekt, bei den Studenten das Gefühl der Desorientierung und der Ver-
lorenheit zu überwinden in der unüberschaubaren Flut falscher Meinungen, die auf sie Tag für Tag eindringt.
164
Der meditative Ursprung philosophischen Ordnungswissens Eine Untersuchung des meditativen Ursprungs philosophischen Ordnungswissens muf) von der Situation ausgehen, in der wir leben und von der her das Wahrheitsproblem überhaupt erst ein Problem wird. Woher weiß man, daß das, was man gerade zur Verfügung hat, nicht die Wahrheit ist; und wie gelangt man zu dieser Einsicht, wenn schon
weiD,
was
die Wahrheit
ist, die man
man
erst zu
nicht
suchen
hat? Wir befinden uns also von Anfang an in einer existentiellen Spannung, die darin besteht, daß Unwahrheitsphänomene, Unordnungsprobleme in der Umgebung beobachtet werden und man aufgrund solcher Beobachtungen versucht, eine Ordnung zu finden, von der man
im voraus weiß,
so etwas gibt es, aber es muf) erst gefunden werden. Diese Spannung von Bewegtwerden, von Suchen und Finden ist eine erste solche meditative Spannung. In den griechischen Ursprüngen des philosophischen Denkens haben wir daher solche Begriffe wie die zetesis, das Suchen, die kinesis, das
Bewegtwerden zum Suchen, und den nous, das Medium der Seele,
in
dem
sich
dieses
abspielt.
Wir
fangen
also
von
vornherein nicht mit irgendwelchen Definitionen an, sondern mit Bewegungen, geistigen Spannungen, in denen der Mensch in einer konkreten Gesellschaft lebt. In jeder konkreten Gesellschaft, in der auf diese Weise gedacht wird, mehr oder weniger gründlich, mehr oder weniger erfolgreich, sind solche Spannungen vorgegeben, wenngleich sie im Einzelfall verschieden sind. Aber diese Grundspannung, die wir Philosophie nennen, sollte immer
in ihrem ursprünglichen Sinn als Liebe zur Weisheit ver165
standen
werden
und nicht im Sinne Hegels,
der in der Pha-
nomenologie des Geistes die Liebe zur Weisheit abschafft, um sie durch Weisheit zu ersetzen. Hier wird folgendes Problem
deutlich:
Erstens
ist
die
Spannung
prásent,
die
historisch eben die philosophische Spannung ist; zweitens haben Sie hier schon eine Fehlkonstruktion dieser Spannung, die ich egophanisch nenne. Die Fehlkonstruktion besteht darin, dab man die Spannung selber aufheben und in einen aufgelösten Besitz von Weisheit verwandeln möchte. oie sehen,
es geht hier nicht um ein hegelianisches
phieren,
ich würde
aufgrund
jener
im Gegenteil
These,
die Liebe
sagen,
daß
zur Weisheit
Philoso-
Hegel
schon
in Weisheit
zu verwandeln, kein philosophischer Denker, sondern ein magischer Konstrukteur war. Soviel zur vorläufigen Erklärung einer Situation, in der wir leben. Das meditative Denken hat in jeder solchen Situation die Unordnungselemente seiner Zeit wegzuräumen, um wieder zu einer Wahrheit über die Realitát zu gelangen. Deswegen habe ich hier das Unordnungselement genannt, das wir bei Hegel finden. Das gleiche gilt für Marx oder Comte, die beide letztgültige Doktrinen formulieren. Letztgültige Doktrinen dieser Art gehóren zu den Dingen, die in der gegenwärtigen Situation als Ursache der óffentlichen Unordnung philosophisch beiseite geráumt werden müssen. Nun werden Sie sagen, das ist ein recht ambitiöses Unternehmen
zu glauben,
Marxismus kann
man
usw.
daß man
einfach
es nicht,
Hegelianismus,
beiseite
aber man
kann
räumen
kann.
immerhin
sellschaft, in der diese Unordnungsphänomene nant sind, Unordnungsphänomene
gegen sie argumentieren,
Positivismus,
Natürlich
in jeder
Ge-
sozial domi-
als solche benennen und
solange es keine totalitäre Kon-
trolle gibt, die dies verbietet.
Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Lassen Sie mich nun ein wenig solcher Aufräumungsarbeit leisten.
Eines der großen historisch überlebten Konstrukte, das 166
ausgeräumt werden muß, ist theologischer Natur. Es ist die theologische Unterscheidung von natürlicher Vernunft und Offenbarung,
die
auf
das
Mittelalter
zurückgeht.
Natür-
liche Vernunft und Offenbarung gibt es meines Erachtens nicht, weder das eine noch das andere. Vielmehr handelt es sich hier um eine im Interesse theologischer Systematisierung vollzogene Fehlkonstruktion bestimmter realer Sachverhalte. Diese sind wie folgt näher zu bestimmen: Wir haben auf der einen Seite eine sogenannte philosophische Entwicklung,
die, abgesehen
davon,
daß
sie philosophisch
ist, auch eine ethnische Entwicklung ist, nämlich ein Ereignis, das in der hellenischen Kultur stattgefunden
hat. Es ist
dies ein hellenisch-ethnisches Kulturereignis, das in seinen Zusammenhängen, Begründungen und Resultaten verstanden werden muß. Auf der anderen Seite gibt es die soge-
nannte revelatorische Kultur, die zurückgeht auf Israel und die
Bewegung
des
Judentums,
die
dann
in
Christus
kul-
miniert hat. Wir habenhier eine israelisch ethnische Kultur. Wir haben es also mit Kategorien zweier ethnischer Kulturen zu tun, die beide auf der Suche nach der Wahrheit
sind,
dies aber in sehr verschiedenen Formen tun. Diese unterschiedlichen Formen wurden dann in eine Form der natürlichen und eine Form der göttlich revelatorischen Wahrheitssuche umgewandelt mit der Absicht, die jüdisch-christliche dominieren zu lassen. Historisch sieht die Sache natürlich anders aus. In der gesamten ethnischen Geschichte der Hellenen war es, seit wir literarische Aufzeichnungen hellenischen Denker bewußt, nicht aus seiner
natürlichen
haben,
also seit Hesiod, jedem
daß das, was Vernunft
er zu sagen
kommt,
sondern
hat, aus
göttlicher Offenbarung, und weiterhin, daß er in der Spannung von Suchen und Empfangen lebt, also in einer Doppelbewegung göttlich-menschlicher Art, in der eine menschliche responsio stattfindet auf eine Bewegung, die vom
Göttlichen ausgeht. Alle hellenische Kultur von Hesiod bis
Platon und Aristoteles ist sich dieses revelatorischen Mo167
mentes bewußt und spricht es auch aus. Die Behauptung, daß es sich hier um natürliche Vernunft gehandelt habe, ist eine grobe und unzulässige Verfälschung der historischen Dokumente. Auf der anderen Seite haben wir das Problem der israelisch-christlichen Wahrheitssuche, die wieder ganz anders akzentuiert ist. Wenn wir den ethnischen Unterschied feststellen
wollen,
schen
immer
zetesis.
was
dann
der
Ist dann
bisher
paktere
Akzent eine
geglaubt
Vorstellung
pseudos,
der
werden
wir
auf
dem
Wahrheit
worden von
Falschheit
finden,
Suchen
gefunden,
ist, z.B.
Göttern,
oder
israelitischen Zusammenhang
daß
Griechi-
liegt,
auf der
dann
wird
das,
eine mythisch kom-
in
der
im
die
Lüge
Kategorie
des
eingeordnet.
sieht die Sache
anders
Im
aus.
Die Vorgänger werden nicht als Lügner oder Fälscher hingestellt,
sondern
als Personen,
die auch
schon
eine
Wahr-
heit gesehen hatten, die aber jetzt neu interpretiert werden muß. Wir haben also ein Schema der Reinterpretation - ein allgemeineres
Phänomen,
das nicht nur in der israelitischen
Kultur beobachtet werden kann. Wir haben z. B. in der indi-
schen
Kultur
den
Rückgang
auf
die
Veden,
und
dieser
Rekurs hat zur Folge, daß alle weitere hinduistische Philosophie, soweit sie sich auch von dieser ursprünglichen Form entfernt
Hier
hat,
werden
in denen
die
als
Interpretation
der
Veden
auftreten
Interpretationszusammenhänge alte
Wahrheit
neu
interpretiert
muß.
hergestellt, wird,
wenn
auch diese neue Wahrheit mit der alten nicht mehr sehr viel zu tun hat. Dies tritt stets in Kulturen
auf, in denen
das Be-
wußtsein der göttlichen Bewegtheit im Suchen besonders stark akzentuiert wird. Dieses Phänomen dürfte soziale Ursachen haben. Wir haben in Hellas die fast einzigartige Situation, daß die geistige Ordnung der Gesellschaft nicht durch eine nationale oder imperiale Priesterschaft repräsentiert war. Die Priesterschaft der Hellenen war lokal und ritual, aber nicht doktrinär,
gemeinkulturell,
national
168
oder
imperial
organi-
siert wie die ägyptische oder die israelitische Priesterschaft. Die kompakt mythischen Darstellungen der Wahrheit vollzogen
ziehung
sich
auf
der
weniger
Lokalebene,
von
einer
so
daß
man
in
dieser
hellenisch-ethnischen
Be-
Kultur
sprechen kann, sondern eher von den städtischen Lokalkulturen, die gewisse gemeinsame Züge aufweisen. Entsteht auf dieser Ebene der Lokalkultur dann eine Bewegung der Art,
wie
sie die Philosophie
darstellt,
findet
sie einen
größeren Freiheitsraum vor als in sozialen Zusammenhängen, in denen eine national oder imperial organisierte Priesterschaft bereits doktrinár festgestellt hat, was die Wahrheit man
ist, mit der man
darangeht,
dann
in Konflikt
eine Gegenwahrheit
kommt,
wenn
aufzustellen.
Das war also in Hellas nicht das Problem. Wir finden daher in der klassischen Philosophie sogar einen konkreten
Fall, an den man für gewóhnlich nicht denken würde, bei
Aristoteles záhlungen
in seiner Metaphysik, von
Buch
Wortbedeutungen,
Delta,
z. B. des
einfach Auf-
Wortes
arche,
gefolgt von der Aufzáhlung der Bedeutungen des Wortes aition, die sich zum Teil überschneiden. Aus dieser Aufzählung von unterschiedlichen Wortbedeutungen wird dann
allmählich
herausgearbeitet,
was
in einem
meditati-
ven Sinn solche Worte wie Ursprung oder Grund und dergleichen möglicherweise in der geistigen Bewegung des Suchens nach Weisheit bedeuten können. Es ist also von vornherein eine Art wissenschaftlich-philologische Voraussetzung, mit der hier gearbeitet wird. Ganz anders sieht es im israelitischen Zusammenhang aus: Hier geht ein Prophet ausdrücklich auf Offenbarungsformen zurück, die babylonischen und ägyptischen Ursprungs sind. Wenn ein Jeremias sein Offenbarungserlebnis erzählt, dann erzählt er es in der Form, in der ein ágyptischer Pharao erzählen würde, wie er von Gott vorgeboren wurde zu diesem Amt usw. und er daher der Sohn Gottes ist, der
die Wahrheit
imperialer
auszusprechen
Zusammenhang
der 169
hat. Hier
Ordnung
ist also
vorhanden
ein
und
nicht über
eine den
wissenschaftlich-philologische
falschen
giert werden
menhang,
wie
muß.
Gebrauch
von
In einem
Wörtern,
solchen
Untersuchung der jetzt korri-
Offenbarungszusam-
ihn die israelitisch-christliche
stellt, wird dann immer
Kultur
dar-
zurückgegriffen auf den göttlichen
Geist, auf die ruah, woraus
in der griechischen Übersetzung
das pneuma wird. Dieser Geist — ich nenne deshalb diese Offenbarungsakzente pneumatisch - bestimmt ethnisch das Problem eines Christentums, das aus den jüdisch-israelitischen Zusammenhängen herauswáchst. Das Wort pneuma kommt natürlich auch im griechischen Kontext vor. Anaximenes Buches
hat eine pneuma-Theorie, Genesis
die sehr áhnlich jener des
ist, aber es handelt sich hier nicht um
eine
dominante Theorie. Die dominante Theorie wird die noetische zetesis, die Suche. Wir haben es also mit zwei verschiedenen Typen der Wahrheitssuche zu tun. Wenn nun diese beiden unterschiedlichen ethnischen Kulturen in einen imperialen Zusammenhang gebracht werden, wie dies in den großen oikumenischen Reichen geschehen ist, gibt es wechselseitige kulturelle Beeinflussungen. Daraus resultiert der Versuch, einen Wahrheitstypus zu formulieren, der die verschiedenen erfolgreichsten Unternehmungen der Wahrheitssuche,
die vorher stattgefunden haben,
Weise verbindet. Das war das Problem,
auf irgendeine
aus dem zuerst eine
jüdische Theologie bei Philo entstanden ist und dann eine christliche Theologie in starker Abhángigkeit von der philonischen Theologie: eine Theologie, die Offenbarungselemente aus dem israelitisch-jüdischen Zusammenhang verbindet mit der philosophischen Sprache, die aus dem hellenischen Kontext stammt. So entsteht also aus großen kulturgeschichtlichen oikumenischen
Reiche
Ereignissen, darstellt,
wie eine
sie die Bildung Mischkultur,
in
der der
man ethnische Differenzen durch eine systematische Dokirin von natürlicher Vernunft und pneumatischer Offen-
barung auszugleichen sucht.
170
Eine
solche
systematische
Doktrin,
die
versucht,
Offen-
barung und natürliche Vernunft in eine Konstruktion zu bringen, gehört zu den Dingen, die heute ausgeräumt werden müssen. Dies hat zu geschehen weder aufgrund von antitheologischen oder antichristlichen Affekten noch aus einem pro- oder antiphilosophischen Grunde, sondern einfach
deswegen,
weil
man
sie
heute
nicht
mehr
benötigt.
Unser historisches Wissen ist heute ungleich größer. Wir kennen die Geschichte Israels und die Geschichte von Hellas. Wir können historische Vergleiche ziehen zu Indien, Persien
und
China,
und
wir
können
die Probleme,
um
die
es
geht, genau benennen. In der gegenwärtigen oikumenischen Wissenschaftssituation wäre es unsinnig, diese Kategorisierung wissenschaftlich aufrechterhalten zu wollen, was nicht
bedeutet,
daß
sie in einem
vielleicht
aufrechterhalten
theologischen werden
muß,
Zusammenhang der
es schließlich
mit dem Problem einer kirchlichen Organisation einer groDen Menschenmenge zu tun hat; hier ist ein behutsames Vorgehen geboten. Aber im wissenschaftlichen Zusammenhang muf man sich darüber klar sein, wie es zu solchen Din-
gen gekommen ist. Im übrigen stóren solche Untersuchungen in keiner Weise das Wahrheitsproblem, das solche Einsichten involviert. Auch die noetische Formation im Griechischen wird nicht beeinträchtigt dadurch, daß man versteht, worum es geht, und die Quellen kennt. Es handelt sich um Wahrheitssuche. Damit rückt nun das meditative Problem in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Es kann von der einen Seite
her,
nàmlich
von
akzentuiert werden. nennen. Seite,
Von
kann
der man
Das
der
würde
anderen den
menschlichen, Seite
als
das
Suchen
ich die noetische Haltung her,
Bewegungsfaktor
der
revelatorischen
akzentuieren;
das
würde ich die pneumatische Haltung nennen. Beides ist im meditativen Problem prásent. Die Spannung besteht zwischen Bewegtwerden von der göttlichen Seite her und
Suchen von der menschlichen Seite her. Die góttliche Seite 171
und die menschliche Seite werden also in einem Prozeß des
Suchens
und
Bewegtwerdens
boliken,
wie
ich sie eben
Realität,
die bewegt,
Prozeß
des
Suchens
einen Komplex. Unter Komplex
Bewegung
vorausgesetzt.
gebraucht
ein konkreter und
habe,
Solche
eine
Mensch,
daß
göttliche sucht,
ein
nenne
ich
dieser Prozeß
der
darf, derart,
daß
Bewegtwerdens,
ist zu verstehen,
Sym-
der das
und des Suchens, der hier erforscht wird, nicht
zerstückelt,
nicht fragmentarisiert
werden
aus der Konzentration auf die menschliche Seite eine Untersuchung über den Menschen, also eine Anthropologie, entsteht oder aus der Beschränkung auf die göttliche Seite eine Theologie formuliert wird. Unzulässig ist auch die Herauslösung des Prozesses in Gestalt einer Prozeßphilosophie,
die
allein
den
Prozeß,
der
zwischen
den
beiden
Polen vorliegt, untersucht und zu einer Psychologie führen würde. Alle drei Formen ,Anthropologie", ,Theologie" und ,Psychologie" sind Typen der Deformation und unzulássig in einer meditativen Untersuchung. Es handelt sich dann um Hypostasen der Pole in einer Spannung. Keines der Elemente
in einem solchen Prozef, den wir kennen,
darf fragmentarisiert und hypostasiert werden. Sie sehen also, welche große praktische Bedeutung unsere Überlegungen haben. Damit ist alle Fragmentarisierung in ,,Anthropologien", ,Theologien" und ,Psychologien" ausgeschlossen. Man
hat sich mit den Prozessen
lich stattfinden,
mit
den
meditativen
zu befassen,
die wirk-
Ereignissen.
Die
Er-
eignisanalyse darf nicht ausarten in deformierende Fragmentarisierung. Sie wird umgekehrt damit wieder Analyse der
Unordnung
der
Zeit,
denn
Methodologien
und
Schul-
bildungen, die eben dies tun, sind fehlerhaft und inkompetent
im
Licht
der
historischen
Kenntnisse,
die
wir
heute
haben. Dieses Ereignisproblem, das wäre eine Grundkategorie, mit der man arbeiten muß, ebenso wie der Komplex, der nicht fragmentarisiert werden darf. Hierbei ist bereits ein 172
Wort
aus dem platonischen Vokabular
auch in der eigenen Analyse Die
Realität
ist
nicht
die
aufgetaucht,
verwende
menschliche
- das
das ich
,Zwischen".
Realität,
nicht
die
göttliche Realität, sondern das, was ,zwischen" diesen Realitäten passiert, ohne daß dieses ,Zwischen" wieder selbständig fragmentarisiert oder hypostasiert werden dürfte. Es geht also nicht um eine Psychologie des Subjekts, nicht
um
eine
Aktivität
Gottes
allein,
sondern
immer
nur
um die responsio, die Bewegungen und Gegenbewegungen. Damit
weiteren
haben
meditativen
stoteles
wir
nun
Komplexen
aber
Komplex
gesprochen,
herausgearbeitet
sich ein weiteres
ein
Problem
erörtert,
das
zu
führt. Ich habe bisher vom zentralen
Problem.
worden
der von Platon und
ist; aber hieraus
Offenbar
ist das,
was
Ari-
ergibt
seit dem
17. Jahrhundert die Subjekt-Objekt-Spannung genannt wird, unvertráglich mit dieser Interpretation. Lassen Sie mich nun auf einige Begriffe aufmerksam machen, die auch wieder zu denen gehören, die ausgeräumt werden müssen. Da ist einmal die Metaphysik. Es handelt sich um eine arabische Deformation des aristotelischen Titels ,meta ta physika“, die in den westlichen Sprachen durch den Tho-
mas-Kommentar
zur
Metaphysik
eingedrungen
ist.
Die
Metaphysik des 13. Jahrhunderts ist ein philologisches Mißverständnis. Es ist also nicht Metaphysik, was ich hier betreibe,
sondern
ganz
etwas
anderes.
Ein anderes solches Wort, das ausgeräumt werden muß, weil es ständig verwendet wird, ohne daß es Sinn hätte, ist Ontologie. Es stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das Wort wurde von Goclenius 1636 wohl zum ersten Mal benutzt. Der Cartesianer Clauberg sorgte für seine Verbreitung und erfand dazu das Synonym Ontosophie, um philosophisch von Dingen zu sprechen und dabei Gott als einen Gegen-
stand zu behandeln, nicht als einen Bewegungsfaktor in der meditativen Bewegung. Ein dritter Terminus dieser Art ist die Erkenntnistheorie oder Epistemologie. Reinhold spricht 1832 erstmals von 173
einer Theorie der Erkenntnis. Im Englischen gibt es die Epistemologie erst seit 1856. Ein weiteres solches Wort ist der Wert. Er wird in Anlehnung an Lotze von der südwestdeutschen Schule zu Ende des 19. Jahrhunderts in die Wissenschaftssprache eingeführt. Im Englischen erscheint er erstmals 1906 in einer Übersetzung der Arbeiten Brentanos und erlangt in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Amerika eine gewisse Verbreitung. Wir sehen also, daß das gesamte kurante, moderne Vokabular sehr spät entstanden ist. Es handelt sich um Inkrustationen von Realitäten, die heute aufgelöst werden müssen, um wieder zur Realität selbst zu gelangen. Dieser
Komplex
also,
den
ich hier
als
erstes
herausge-
arbeitet habe und der nicht zerstückelt werden darf in bezug auf den jeweiligen Pol oder den Prozeß selber, gerätin Konflikt mit der Subjekt-Objekt-Spannung. Wenn wir das Subjekt als Erkenntnissubjekt konstruieren, dann folgen wir damit einem Sprachgebrauch, der, glaube ich, in allen westlichen Sprachen üblich ist: Wir haben ein Bewußtsein von irgend etwas, wir sprechen über irgend etwas, wir denken, wir imaginieren irgend etwas. Im Englischen ist es immer „something“, darum nenne ich diesen Sachverhalt eine Realität im Modus der Ding-Realität, die einem Bewußtsein diese
von
,Etwas"
Ding-Realität,
die
korrespondiert.
Ich
dieses
ist, dieses
,Etwas"
vermute,
daß
„some-
thing", über das man denkt, von dem man spricht usw., eine Folge davon ist, daß das menschliche Bewußtsein körperlich lokalisiert ist und daß in der Relation zu unserer körperlichen Lokalisierung alles das, wovon man Bewußtsein hat, dieses ,Etwas" als ein „Außerhalb“ dieser körperlichen Existenz miterlebt wird. Dem Objekt des Bewußt-
seins haftet also eine Aura von Äußerlichkeit an. Aber wenn
man
diese Realität
dann
entsteht das Problem,
jekte erkennt
nun
mit
der Objektseite daß das Subjekt,
oder nicht erkennt
oder
identifiziert, das diese Ob-
über sie spricht, ja
auch zu derselben Realität gehört, zu der die Objekte ge174
hören, so daß also der Objektcharakter, die Ding-Realität, ein Modus von Realität ist in Relation zu einer Bewußtseinshaltung, die eine Wahrheit als Objekt intendiert. Darum nenne ich diese Charakteristik des Bewußtseins die „Intentionalität des Bewußtseins”. In dieser Intentionalität gibt es ein Subjekt des Bewußtseins, lokalisiert in einem physisch-konkreten
Menschen,
und dann
Objekte,
über die
er spricht, wobei man offenlassen kann, ob es die äußeren Objekte sind oder die Noemata in einem phänomenologischen Sinne. Es sind also immer Dinge, über die man spricht. Nun haben wir das weitere Problem, daß das Subjekt zu derselben Realität gehört, die als Objekt erkannt werden soll - und diese Subjekt-Objekt-Relation, das ist ein weiterer solcher Komplex. Es ist ein Ereignis in einer anderen Realität. Es ist weder die Subjekt-Realität noch die ObjektRealität in ihrer Dingheit,
sondern
umfaßt,
Realität.
eine
umfassende
eine Realität, Für
diese
die beide
umfassende
Realität gibt es philosophisch, soviel ich weiß, keinen gebräuchlichen Ausdruck. Nietzsche hat sich öfters damit befaßt und sie das , Es" genannt, und ich würde dabei bleiben. Im Englischen spreche ich von der ,It-reality", von der „EsRealität”. Wir finden also in der Bewußtseinsstruktur Realität in zwei Modi:
eine Ding-Realität,
die der Intentio-
nalitätdes Bewußtseins korrespondiert, und eine „Es-Realität”, die näher zu bestimmen
ist. Diese
„Es-Realität”
ist ein
„Es”, in dem sich so etwas wie Bewußtsein ereignet in demselben
Sinne,
wie
sich so etwas
wie die Genesis
von
Ato-
men und Molekülen, Spezies, Rassen und dergleichen ereignet. Das heißt, diese
, Es-Realitát"
wird, wenn
man
sie jetzt
auf das Bewuftsein bezieht, luminós. Entsprechend der Intentionalitát spreche ich also von der Luminosität. Das Subjekt
dieser
wuftsein" Ich,
Luminosität, prädikativ
sondern
die
in
der
ereignet,
,Es-Realitát".
sich ist
dieses nicht
Diese
das
wird
Ereignis
„Be-
menschliche luminös.
Wir
haben es also mit zwei Strukturen im Bewußtsein zu tun, eine Intentionalität, von der wir sagen können, der Mensch
175
ist das Subjekt, müssen,
das
und eine Luminosität,
,Es"
ist das
Subjekt,
und
von der wir sagen das
Bewußtsein
ist
das prädikative Ereignis im , Es". Wenn wir daher von Bewußtsein sprechen, so müssen wir uns immer darüber im klaren sein, daß nosität umfaßt;
das Bewußtsein man
darf das
Intentionalität und
eine nicht vom
anderen
Lumitren-
nen. Es gibt also nicht eine Luminosität als Gegenstand einer Spezialuntersuchung über das ,Es" und auch keine Psychologie oder Phänomenologie als eine Spezialuntersuchung über die Intentionalität des Subjekts. Das menschliche Bewußtsein weist immer beide Strukturen auf. Das hat im großen philosophiegeschichtlichen Zusammenhang eine Konfusion von Begriffen zur Folge gehabt, die bis heute noch nicht ganz aufgeklärt ist. Ich würde folgendes sagen: Der Intentionalitätskomponente des Bewußtseins entspricht die Vorstellung, die aus dem Begriff des Begriffs resultiert. Man formuliert Begriffe von einer Realität; während also der Begriff durch die Intentionalität
bestimmt wird, möchte ich bei der Rückbeziehung des Be-
wußtseins auf die Luminosität von Symbolen sprechen. Der Ausdruck ,Symbol" ist immer bestimmt durch die dominierende Bewußtseinskomponente der Luminositát des ,Es". All
das,
was
in
Bewuftseins-
und
Sprachsymbolen
auf-
taucht, ist die Luminosität des ,Es". Aber mit diesen beiden Komponenten - Intentionalität und Luminositát — ist der Komplex des Bewuftseins noch nicht vollstándig. Was ist denn das, was wir jetzt hier tun? Handelt es sich um eine Untersuchung intentionalen Bewußtseins, in der wir Begriffe von etwas bilden, oder sprechen wir in den Kategorien der Luminosität? Ich würde sagen, daD wir weder das eine noch das andere tun, sondern
wir
reflektieren
haben
es
mit
auf
einer
den
Komplex
Reflexhaltung
des zu
Bewußtseins. tun,
die
Wir
auftaucht,
wenn man über solche Dinge zu sprechen hat. Wenn Platon einen Dialog schreibt, dann handelt es sich teilweise um analytische Begriffsbildung, teilweise um einen Mythos 176
mit Symbolen,
und das Ganze ist ein Dialog von Platon, der
von ihm geschrieben ist, aber weder im ganzen eine Analyse noch im ganzen einen symbolischen Mythos darstellt. Worum handelt es sich also bei dem Resultat der Reflexion? Ich möchte von einer weiteren Komponente in der Struktur des Bewuftseins sprechen, die ich die „reflexive Distanz" nenne. In der reflexiven Distanz wird das ganze Problem der Luminosität und der Intentionalitát jetzt in eine Reflexionssprache transponiert, in der von diesem Problem gesprochen wird, als ob es eine Realitát wáre, die unabhàngig ist von der Reflexion. Natürlich kónnten wir nicht über sie sprechen, wenn
die Reflexion nicht schon vorher
als Be-
wußtseinskomponente präsent wäre; denn nur so kann man sie differenzieren. Hieraus ergibt sich aber ein weiteres Problem. Wir können in diesem Bewußtseinskomplex Intentionalitát als den Strukturbereich unterscheiden, in
dem Partizipation an Realitát sich ereignet, und wir kónnen
dann darüber sprechen, als ob es Dinge wáren, über die man
Aussagen machen kann. Dadurch entsteht nun wiederum die Gefahr der Fragmentarisierung. Wenn wir annehmen, daß die reflexive Distanz und die Sprache, in der man über eine Partizipation spricht, dieselbe Sprache sind, in der die Erfahrung der Luminosität und Intentionalität sowie ihre Begriffe und Symbole ausgedrückt werden, dann kommen wir zu einer Identifizierung dieser reflexiven Distanzkomponente im Bewuftsein mit der partizipatorischen Komponente, die wir hier in diesem Komplex gefunden haben. Wir begehen in diesem Fall also den Fehler, daß wir die menschliche Komponente im Partizipationskomplex mit der Reflexionskomponente, die sich auf den Gesamtkomplex richtet, identifizieren. Das ist wiederum der Fehler des hegelschen
Systems.
Das
reflexive
Ich
in der
Distanz,
das
Pla-
ton immer sorgfältig trennt vom partizipatorischen Selbst, wird derart mit dem partizipatorischen Selbst identifiziert, daß dann das intentionale oder luminóse Bewußtseinsele177
ment in eins gesetzt wird mit dem reflexiven. Dann bekommen Sie solche Vorstellungen wie z. B. im Gefolge Hegels die Konzeption von Feuerbach und Marx, nach d?r alles göttliche Sprechen eine Projektion des menschlichen Bewußtseins ist und die volle Humanität erst dann entsteht, wenn dieses jenseitige Göttliche wieder in den Menschen zurückgenommen wird. Ich gebe hier solche Beispiele, damit man sieht, daD in der Tat hier erhebliche Aufklärungsarbeit geleistet werden muß, damit man überhaupt über solche Dinge sprechen kann. Wir hätten also hier drei Komponenten im Bewußtsein, die alle immer gleichzeitig in verschiedenen Graden der Artikulierung präsent sind und die nicht miteinander identifiziert werden dürfen. Es handelt sich also um eine sehr komplizierte Bewußtseinsstruktur, die verdeutlichen soll, was hier unter , Komplex" in einem solchen Zusammenhang zu verstehen ist. Hier wird eine Beziehung zu Freud deutlich, die mir auch erst in den letzten Wochen zum Bewuftsein gekommen ist. Freud hat in seinen Spátwerken über das ,Es", das , Ich" und das , Über-Ich" die sehr interessante Beobachtung gemacht, daß nämlich das „Über-Ich" nicht dem Unbewußten entgegengesetzt ist, sondern daß im „Über-Ich" auch unbewußte Elemente präsent sind. „EsElemente” nennt er sie. Und dieses Problem eines unbewußten nicht
, Über-Ich", eines Über-Ich”, das unbewußt operiert,
voll
kontrolliert
wird,
steckt
auch
in
einem
Begriff,
den ich in einem anderen Kontext entwickelt habe, im Begriff des „öffentlichen Unbewuften". Das heißt, jede óffentliche Situation wird durch die Tatsache bestimmt, daß in den sozialdominanten Sprachformen Elemente des Unbewußten
stecken
oder
vielmehr
nicht
stecken,
insofern
es
sich um Dinge handelt, die präsent sein sollten, aber nicht bewußt artikuliert werden und daher zu allen möglichen Unordnungsstörungen führen. Damit hat sich schon Heraklit befaßt. Er unterscheidet deshalb zwischen privat und öffentlich
in dem
Sinne,
daß
,privat"
178
alle Ansichten
sind,
die
eben
private,
unvollkommene
Horizonte
haben,
wäh-
rend das Vollbewußtsein ein Öffentliches Bewußtsein ist und nur Elemente enthalten darf, die tatsächlich im Menschen gemeinschaftlich sind und daher öffentliche Realität
konstituieren können. Das nennt Heraklit den Logos. Dar-
um müßte dann der Logos des Philosophen, wenn der Philosoph
spricht, den Logos
der Realität
enthalten,
den er aus-
spricht. So finden wir auch schon bei Heraklit den Unterschied zwischen der Luminosität, der Intentionalität und der reflexiven Distanz. Dieses „öffentliche Unbewufte", so glaube tet
ich, ist auch eine der Kategorien,
werden
müssen.
Es
besagt,
daß
die heute verbrei-
unsere
Gesellschaft
dominiert wird von Personen, die weitgehend durch das charakterisiert sind, was Heraklit Privatmeinungen genannt hat. Diese Privatmeinungen schaffen eine Schein-
Öffentlichkeit,
die Unordnung
hervorbringt.
Gegen
diese
Unordnung muß die wahre Öffentlichkeit der meditativen Realität durchgesetzt werden.
179
Quod Deus Dicitur Die im Titel dieses Vortrags aufgeworfene Frage erhielt ihre spezifische Form durch Thomas von Aquin in seiner schrift Summa
Theologiae,
1.2.3.
Die Frage erlaubt keine einfache Antwort, so als wáre ihr góttlicher
Gegenstand
ein Wesen
das man Aussagen Außenwelt machen
in derselben könnte. Wir
einem
sondern
Gegenstand,
mit Eigenschaften,
über
Art wie über Dinge der begegnen Gott nicht als
als dem
Partner
in einer
fra-
genden Suche, die sich innerhalb einer Realitát bewegt, die durch eine partizipatorische Sprache geformt wird. Überdies sind wir selbst Teil der in Frage stehenden Realitát, auf die wir stand
sprachlich
hinweisen,
der Außenwelt,
über
so
als
den wir
wáre reden
sie
ein
könnten
Gegenwie
er-
kennende Subjekte in Hinblick auf Objekte der Erkenntnis. Die
noetische
Suche
nach
der
Struktur
einer
Realitát,
die
auch Göttliches umfaßt, ist selbst ein Ereignis innerhalb der Realität, nach der wir fragen. Wir Punkt
unserer
Suche
vor
dem
stehen deshalb
Problem,
etwas
suchen, das wir als wirklich erfahren haben,
an jedem zu
unter-
noch bevor die
Untersuchung der Struktur seiner Realität begonnen hat. Der Prozeß unseres intellectus auf der Suche nach unserer fides — ein Prozeß, der auch als Suche unserer fides nach un-
serem intellectus formuliert sprüngliches Ereignis.
werden
kann
- ist
ein
ur-
xx
Das Ereignis der Suche ist ein historischer Prozeß. Die Welt
der
Symbole,
die
die
Realität
zu jedem
denkbaren
ge-
gebenen historischen Zeitpunkt kompakt symbolisieren, muß dem Druck der noetischen Analyse weichen. Das Ergebnis ist, daß der Grund der Realität, der bis dahin als „die
180
Götter”
symbolisiert wurde, in dieser Symbolform
muß, um neuen Symbolen
sterben
für jenen , Gott" Platz zu machen,
dessen Gegenwart jenseits der Götter diesen Anspruch auf notwendiges Sein verleiht.
erst
ihren
Die beiden großen zivilisatorischen Kontexte in der Ge-
schichte des Westens,
die exemplarisch für diese Struktur
der Suche stehen, sind zum einen das Auftauchen
des „Got-
tes" aus der polytheistischen Symbolwelt der hellenischen Kultur, und zum anderen das Auftauchen des „Gottes" aus der Spannung zwischen dogmatischer und mystischer Theologie in den christlichen Gesellschaften seit der Antike. Die aus der paradoxen Struktur des Prozesses sich ergebenden sprachlichen Komplikationen wurden nie einer ausreichenden noetischen Analyse unterzogen. Die Sprache des angeblich analytischen Diskurses über Fragen nach dem Göttlichen hat sich durch kulturellen Konsens auf einer Stufe der Kompaktheit verhärtet, die nicht genau unterscheidet zwischen der paradoxen Struktur der göttlich-menschlichen Begegnung im Verlauf der Suche einerseits und den Symbolen, diesich aus der Reflexion als kulturell konkrete Aus-
drucksform der Suche andererseits ergeben. Dieser unbefriedigende Zustand der Analyse zwingt die Diskussion in die altbekannten reflektiven Dichotomien theologischer Diskurse. Die dominierenden Symbole reflektiver Sprache auf dem schmalen Grad zwischen Kompaktheit und Diffe-
Non
mwN
m
renzierung sind:
Philosophie und Religion
Philosophie und Theologie Natürliche Theologie und Offenbarungstheologie Glaube und Vernunft
Vernunft und Offenbarung
Wissenschaft und Religion
Natürliche Theologie und Übernatürliche Theologie
Jede dieser Dichotomien gibt Gelegenheit zu endlosen Debatten auf dem kompakten Niveau, ohne dabei jedoch je181
mals zu der grundlegend paradoxen Gedankenstruktur vorzudringen, die die Besonderheit der partizipatorischen Beziehung zwischen dem Prozeß des Denkens und der Realität, in der er sich vollzieht, ausmacht. *
In dem stiert,
x* x
Abschnitt der Summa auf den
über die Frage, ob Gott exi-
sich der Titel dieses
Vortrages
bezieht,
ge-
langte Thomas zu einiger Klarheit über diese paradoxe Struktur. Die Frage nach dem quod Deus dicitur wird nicht willkürlich aufgeworfen,
sondern setzt einen Glaubensarti-
kel der Heiligen Schrift voraus. Es handelt sich bei diesem Artikel um die Formel des ego sum qui sum in Exodus 3:14. Gäbe es nicht schon ein historisch existierendes Glaubenssymbol, dann gábe es auch keine Frage. Dieser Glaubensartikel ist Teil des Vorgangs noetischen Fragens nach seiner Bedeutung. Die „Frage nach Gott" kann gar nicht verstándlich gemacht
werden,
wenn
nicht die Frage
nach Gott
Teil der untersuchten Realität ist. Das Symbol des Göttlichen ego sum ist Teil des forschenden Bewußtseins, das sich dem Glaubenssymbol als der Antwort auf die Frage nähert, die von den besonderen Realitätserfahrungen ausgelöst wurde. Denn das ego sum der Heiligen Schrift symbolisiert den notwendigen Pol einer Realität, die in der phänomenalen Besonderheit lediglich als kontingent erfahren wird. Die erfahrene Spannung zwischen Kontingenz und Notwendigkeit ist jene Struktur der Realität, um die es
bei der Frage nach dem Göttlichen geht. Thomas geht dieser Struktur dann in den fünf wohlbekannten Erfahrungen kontingenter Realitát nach. Im ersten der erfahrenen Spannungszustände befindet sich die Realität in Bewegung, Bewegung aber erfordert einen Beweger. Auf dieser besonderen Stufe kann man nur von einer besonderen Bewegung zu ihrem besonderen Beweger fortschreiten und das würde endlos so weiter gehen, ohne zu
einer Erklárung des Phánomens 182
der Bewegung zu führen.
Um
verständlich
zu
werden,
erfordert
der
Prozeß
der
be-
sonderen Bewegung einen ersten Beweger (primum movens). Und in diesem noetischen Prozeß der Analyse identifiziert Thomas den ersten Beweger als das Etwas (hoc), in dem
„omnes
intelligunt Deum",
d.h. als das Etwas, das hoc,
das alle als Gott verstehen. Der Deus dieser Aussage ist die
Antwort, die der Struktur der noetischen Frage entspricht. Thomas argumentiert áhnlich im Hinblick auf die causa efficiens. In einer Kette von Wirkursachen wird es sinnlos, unendlich fortzufahren; zu einer sinnvollen Erklärung gelangt man nur durch die Symbolik einer ersten, nicht verursachten Ursache; und auch hier bezeichnet Thomas wieder das als erste Ursache, ,quam omnes Deum nominant", die Ursache, die alle Gott nennen. Dasselbe Symbolisierungsverfahren wird auf die anderen sogenannten Gottesbeweise angewandt: Die notwendige Ursache aller anderen
Dinge
ist,
,quod
omnes
dicunt
Deum";
und
wenn
es
schlieBlich um die Symbolisierung des letzten Grundes des Guten und der Vollendung in allen Dingen geht, so heißt es wieder „hoc dicimus Deum". Schließlich wird das Verfahren auf das Ende aller Wirklichkeit angewandt: Es gibt ein klar Erkennendes (intelligens), von dem alle naturlichen Dinge auf einen Zweck zugeordnet sind, und dieses klar Erkennende (intelligens) ist das hoc, welches „dicimus Deum". Es gibt nichts Góttliches außer der Notwendigkeit in Spannung zur Kontingenz, die in der noetischen Frage erfahren wird. “xx
Die Thomasische Analyse berührt die paradoxe Struktur der Spannung zwischen den kompakten Symbolen des Glaubens und der Tätigkeit des noetischen Verstandes. Sie wird allerdings in der Klarheit ihrer Formulierung durch die Kompaktheit der gedanklichen (reflektiven) Symbole beeinträchtigt, die Thomas in seiner historischen Situation zu verwenden hat. Es handelt sich um die Symbole einer
183
Offenbarungswahrheit
in der Tradition des jüdisch-christ-
lichen Glaubens, sowie um die philosophischen Symbole aus dem kulturell andersartigen Kontext der hellenischen Zivilisation. Um einige dieser Schwierigkeiten zu klären, erscheint ein kurzer Blick auf die analytischen Fortschritte in den cartesischen und nach-cartesischen Unternehmun-
gen hilfreich.
Nehmen wir zum Beispiel die Formulierung des Problems durch Leibniz in dessen Principes de la nature et de la
gräce. Leibniz’ ,metaphysische"
Analyse nimmt das Prin-
Zip des zureichenden Grundes (raison suffisante) als die Erklärung
für
alles
an,
was
in
der
Realität
geschieht.
Die
suche nach dem zureichenden Grund gipfelt in zwei Fragen: (a) Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts? und (b) Warum sind die Dinge so, wie sie sind? Auf dieser Symbolisierungsstufe kommt Leibniz zu Formulierungen, die denen von Thomas sehr ähneln. Die Erfahrung kontingenter Realität impliziert einen nicht-kontingenten Grund für das, was als kontingent erfahren wird. ,Et cette derniére raison des choses est appellée Dieu." Obwohl die Formulierung von Leibniz an jene von Thomas
erinnert,
sollte man
sich doch
ihrer
nach-cartesischen
Aura bewußt sein. Es kommt hier zum Vorschein, daß die Antwort in der Frage schon enthalten ist. Und jenes imaginative
Merkmal
bei
Leibniz,
das
über
die
einfache
An-
nahme eines Offenbarungssymbols hinausgeht, entstammt der cartesischen Einsicht, daß die Antwort im Vorgang des Zweifelns und Begehrens enthalten ist. Die Erfahrung des Übergangs von einem offenbar sicheren cogito ergo sum zu einem in seiner Vorstellung (imaginatively) zweifeln-
den und suchenden
ego ist die meditative Quelle der Er-
kenntnis, daß es kein ego ohne eine umfassende Realität gibt, die man als jene Vollkommenheit symbolisieren kann, nach der das imaginative ego strebt. Ein ego, das zweifelt und
danach
strebt,
sich selbst zu überschreiten,
ist
nicht sein eigener Schöpfer, sondern bedarf eines Schópfers 184
und
Erhalters
seiner
zweifelnden
Existenz,
Grund ist der ,Gott", der in den Analysen
und
dieser
der Dritten Medi-
tation und in den Prinzipien erscheint. Es gibt keine zweifelnde Kontingenz ohne die Spannung zu der Notwendig-
keit, die den Zweifel erst als solchen sichtbar macht.
Dieser Vorstoß in die imaginative Struktur der noetischen Frage wird jedoch noch durch ein anderes kompaktes Element in der thomasischen Analyse beeintráchtigt, nàmlich durch den Aufbau einer meditativen Analyse als syllogistischem Beweis. Sogar Descartes und Leibniz wollen noch die Untersuchung als einen Beweis für die Existenz des Gottes der
Offenbarung
verstehen,
eine
Annahme,
deren
Un-
haltbarkeit Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft nachweist. Da jedoch Kants positive Analyse der imaginativen Frage unzureichend war, fiel Hegel die Aufgabe zu, gegen die Kritik Kants ,die sogenannten Beweise vom Dasein Gottes ... nur als die Beschreibungen und Analysen des Ganges des Geistes in sich" zu erkennen. „Das Erheben des Denkens über das Sinnliche, das Hinausgehen desselben über das Endliche zum Unendlichen, der Sprung, der mit der Abbrechung der Reihen des Sinnlichen ins Übersinnliche gemacht
werde,
alles
dieses
ist
das
Denken
selbst,
dies
Übergehen ist nur Denken." (Enzyklopädie 1830, $ 50) In dieser Passage Hegels werden die historischen Schichten der Analyse sichtbar. Dies sind (a) das thomasische Argument (das letztlich auf Aristoteles basiert), (b) der Cartesische Vorstoß zum Argument als ein imaginatives Ereignis, (c) die Kantianische Kritik an seiner syllogistischen Struktur und (d) eine neue Klarheit über den Prozeß noetischer Analyse. Die Hegelsche Einsicht ist jedoch immer
noch
unbefriedigend
infolge
der
Neigung,
Struktur, wie sie sich in der reflektiven
die paradoxe
Dimension
des Be-
wußtseins offenbart, zur endgültigen Lösung des Problems des Göttlichen zu erheben. Diese Hypostasierung des reflektiven
Bewußtseins
noetische
Bewegung
verdunkelt
selbst,
daß
die
die göttlich-menschliche
Be-
185
die
Tatsache,
gegnung, noch immer ein aktiver Prozeß in Spannung zu den Glaubenssymbolen ist. Die Hypostasierung der reflektiven Symbole führt zu einer Konstruktion des Denkprozesses, die diesen zu dem abgeschlossenen Denken eines Systems begrifflicher Wissenschaft deformiert. xx x
Die Schwierigkeiten moderner Denker bei ihren unzureichenden positiven Analysen des Realitätsbewußtseins resultieren aus der unzureichenden Unterscheidung zwischen dem Prozeß noetischer Analyse und den reflektiven Symbolen, die den historischen Prozeß der Untersuchung beschreiben.
Der
Punkt,
auf den
in der Erfahrung
die Konfu-
sion zurückgeht, wird von Thomas (ibidem 1.2) als der Unterschied zwischen dem Deus in se und dem Deus quoad nos auf eine Formel gebracht. Im Glauben leben wir in der Spannung zwischen Kontingenz und göttlicher Notwendigkeit, während in den reflektiven Symbolen die beiden Spannungspole der Notwendigkeit und der Kontingenz gedanklich zu transzendenten und immanenten Wesenheiten hypostasiert werden. Daß die göttliche Notwendigkeit nicht ein Gegenstand
ist, den man
erkennt, wird zwar von Thomas
an seinen
Eigenschaften
eindeutig als Quelle der
Schwierigkeiten identifiziert. Aber er bestimmt nicht mit der gleichen Klarheit jene Schwierigkeit, die Plato bereits ım Phaedros und im Timaios erkannte, die nämlich aus der intentionalen Struktur der Sprache erwächst: unsere Neigung, in dinglichen Propositionen über Erfahrungen nachzudenken, die nicht Erfahrungen von Dingen sind. Die Primärstruktur der göttlich-menschlichen Begegnung muß unterschieden werden von der gedanklichen Symbolisierung der Pole der Begegnung, die als Spannung erfahren wird, als dingliche Wesenheiten. Thomas geht nur soweit, zwischen dem Apriori göttlicher Notwendigkeit und dem Aposteriori ihres Beweises aus der Wirkung in den kontingenten Erfahrungen zu unterscheiden, wobei ihm aber be-
186
stimmte Vorzüge der Untersuchungen von Anselm von Canterbury sowie der hellenischen Philosophen verlorengehen. Es erscheint daher angebracht, die gedankliche Problematik der syllogistischen Konstruktion in ihren Hauptpunkten aufzuzeigen. Der von Thomas abgelehnte ,ontologische Beweis" existierte zu seiner Zeit noch nicht in dieser symbolischen Form. Der Begriff ontologia erscheint im 17. Jahrhundert in Claubergs Elementa philosophiae sive Ontosophiae
(1647)
(oder móglicherweise
in Goclenius'
sophicum (1613)) und findet Eingang Vokabular infolge seiner Verwendung
Lexicon
Philo-
ins philosophische im 18. Jahrhundert
durch Leibniz, Wolff und Kant. Die Meditationen
von Des --
cartes sind noch nicht mit diesem Begriff belastet, und vielleicht ist dies auch der Grund,
warum
sie noch der früheren
Suche Anselms' nahestehen (die Descartes móglicherweise nicht kannte), da sie sich hinsichtlich der Dynamik der suchenden Bewegung auf die Spannung zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit beziehen. In seiner Kritik der reinen Vernunít verwendet Kant das Symbol ,ontologischer Beweis" in Hinblick auf die Cartesianischen Meditationen als einen schon allgemein gebräuchlichen Begriff. Die eben angeführten Daten deuten auf einen Bereich des Diskurses, der sich ziemlich am Rande der exakten erfahrungsmäßigen Analyse bewegt; sie lassen den Versuch vermuten, ,Ontologie" als ein präziseres Synonym für ,Metaphysik" und damit Metaphysik als die polemische Alternative zu Theologie einzuführen. Der Begriff , Metaphysik" selbst war von Thomas in seinem Kommentar zur aristotelischen Metaphysik in die abendländische Philosophie eingeführt worden, unter Berücksichtigung der Entwicklung, die der Begriff durch die arabischen Philosophen erfahren hatte. Wir berühren hier das Problem der gedanklichen Deformierung der in der Erfahrung gegebenen Wirk-
lichkeit
durch
gedankliche
Symbolismen,
kreter historischer Situationen. 187
als Folge
kon-
Damit ist weder gesagt, daß der Deformation kein wirkliches Erfahrungsproblem zugrunde liegt, noch daß dieses Problem von Thomas selbst nicht erkannt und formuliert wurde. Die Unterscheidung der ,priora simpliciter" des Glaubens
von den
„posteriora“
seiner Realität,
die von
ih-
ren Wirkungen gewonnen werden, macht es móglich, die priora zu leugnen, deren Eigenschaften nicht erkannt werden kónnen als wáren sie Eigenschaften eines Dinges. Und da die dinglichen Eigenschaften nicht bekannt sind, außer durch ihre Wirkungen, kónnen die priora des Glaubens hinsichtlich ihrer Realitát geleugnet werden. Die Erfahrungsgrundlage dieser Konsequenz stellt Thomas in der Symbolik der Heiligen Schrift dar: , Dixit insipiens in corde suo: non est Deus." Die deformierende Verwirrung im , Her-
zen"
des insipiens
(in der
englischen
Übersetzung:
des
Toren) ist die Erfahrungsquelle, die das Problem der nichtdinglichen Struktur góttlicher Symbole in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Das cor suum im Menschen ist der Erfahrungsort einer hypostasierenden Position oder Negation des Göttlichen. “x ox
Trotz ihrer deformierenden gedanklichen Konstruktion kommt Hegels Analyse dem Verstándnis des noetischen Prozesses, wie er von Anselm von Canterbury zu Beginn der
Scholastik
lyse scher
erfahren
im Proslogion Suche
betrifft.
worden
ist eindeutig, Im
zweiten
war,
nahe.
Anselms
was
die Grenzen
Teil
seines
Ana-
noeti-
Werkes,
im
Proslogion XIV, erkennt er an, daß der Gott, der in der Wahrheit der Vernunft gefunden wird, noch nicht der Gott ist, den der Suchende in der Gestaltung und der Umgestaltung seiner Existenz als gegenwärtig erfahren hat. Er betet zu Gott: , Sprich zu meiner begehrenden Seele, was bist Du anderes als das, was sie gesehen hat, damit sie klar erkennen kann, was sie begehrt." Und im Proslogion XV formuliert er das strukturelle Problem mit klassischer Exaktheit: 188
„Oh Herr, Du bist nicht nur das, wovon
man
nicht erken-
nen kann, was größer wäre, sondern Du bist auch größer als das, was
man
erkennen
noetisch-begrifflichen Bemerkenswert
losophie"
kann."
Analyse,
ist, daß Hegel
Dies
ist die Grenze
die Hegel
auDer
in seiner „Geschichte der Phi-
zwar ausführlich und sachkundig den
schen Beweis"
behandelt,
der
acht lieD.
den
zweiten
,ontologi-
Teil des Proslogion
mit seiner analogen Erforschung des góttlichen Lichts jenseits der menschlichen Vernunft jedoch nicht erwáhnt. Die noetische Suche Anselms nimmt also die Form eines Bittgebets an um ein Verständnis der Glaubenssymbole durch den menschlichen Verstand. Hinter der Suche und hinter der fides, die die Suche verstehen soll, wird nun im lebendigen Begehren der Seele, dem góttlichen Licht entgegenzugehen,
die wahre Quelle der Anstrengungen Anselms sichtbar. Die
göttliche Wirklichkeit läßt das Licht ihrer Vollkommenheit in die Seele fallen; die Erleuchtung der Seele weckt das Bewußtsein,
daß
die
menschliche
Unvollkommenheit
ist, und
Existenz
dieses
ein
Zustand
Bewußtsein
der
provoziert
wiederum die menschliche Bewegung als Antwort auf den göttlichen Ruf. Die Erleuchtung, wie Augustinus diese Erfahrung bezeichnet, hat für Anselm
tatsáchlich den Charak-
ter eines Rufs, ja sogar eines Rats und Versprechens. Denn um die Erfahrung der Erleuchtung auszudrücken zitiert er Johannes
16:24:
„Frage und du wirst vernehmen,
Freude vollkommen Die
daß deine
sein kann."
Johannes-Worte von Christus und dem Hl. Geist, der
in seinem Namen
zurät, - Worte,
die in ihrem Kontext ver-
standen werden müssen - bringen die góttliche Bewegung zum
Ausdruck,
auf
die
Anselm
mit
der
freudigen
Gegen-
bewegung seiner Suche antwortet (XXVI). Daher preist der letzte Teil des Proslogion durchgehend das göttliche Licht in der analogen Sprache der Vollendung. Anselms Gebet ist eine meditatio
Suche tende
de ratione fidei, wie er die Natur
dieser
im ersten Titel des Monologion ausdrückt. Die beSuche antwortet auf den Ruf der Vernunft in der 189
fides; das Prologion ist die fides in Aktion, im Streben nach
ihrer
eigenen
schließen,
daß
rationalen St. Anselm
Grundlage. die
kognitive
Metaxy gehörig, dem ,Dazwischen-Sein" tonischen Sinne klar erkannte.
Wir
müssen
Struktur
also
als
zum
der Seele im pla-
Die Bedeutung des Metaxy in diesem Kontext kann viel-
leicht am deutlichsten am Mythos des Phaedros verstanden werden. In diesem Mythos stellt Platon die Olympischen Götter zusammen mit ihren menschlichen Anhängern als jene Wesen im Kosmos, die Seelen haben und daher ihre Unsterblichkeit im Auge haben. Die Olympier, die schon den
Status
von
Unsterblichen
genieDen,
brauchen
diesen
nur durch geeignete Handlungen bewahren; wáhrend die menschlichen Seelen, die Unsterblichkeit begehren, sie erst noch durch Anstrengung erlangen müssen. Diese Anstrengungen werden in verschiedenem Mafe durch ihre sterblichen Kórper behindert, deren Leidenschaften sie herabziehen. Aber weder die bewahrenden Maßnahmen der Götter, noch die strebenden Bemühungen ihrer menschlichen Gefáhrten kónnen so ihr Ziel durch Vorgànge innerhalb des Kosmos erreichen. Denn die Quelle der Unsterblichkeit ist die außerkosmische göttliche Realität jenseits des Himmels (exo tou ouranou), die den Kosmos umgibt, und die beseelten innerkosmischen Wesen müssen sich zu dieser
Quelle mittels der noetischen , Schwingen" erheben, die sie
befáhigen, zur Wahrheit des Jenseits aufzusteigen. Dieser Aufstieg der Seelen ist keineswegs für den Alltag. Normalerweise, so läßt Platon den Mythos erzählen, gehen die Götter und ihre Anhänger intra-kosmischen Geschäften nach und nur bei festlichen Gelegenheiten steigen sie zu den jenseitigen Gefilden auf (hyperouranios topos). Und dort, vom Dach des Kosmos
aus, werden
sie die ousia ontos
ousa betrachten, die nur für den nous, den Führer der Seele, sichtbar ist. Doch in welchem Sinne kann Anselm den Begriff ,Beweis" mit einer noetischen Suche in Verbindung bringen, 190
die
auf die Bewegung
wortet,
— mit
einer
sieht? Der Schlüssel
der Begriff sondern
,Beweis"
des
Suche,
göttlichen die
er zu
zur Antwort
Recht
(spirit)
als
ant-
Gebet
an-
liegt in der Tatsache,
daß
im Proslogion
nur in der Diskussion
Geistes
gar nicht vorkommt,
mit Gaunilo.
Es gibt
auch
keinen Grund für die Verwendung des Begriffs im Proslogion. Denn wenn ein Gläubiger die rationale Struktur seines Glaubens erforscht, steht für ihn die Existenz Gottes nicht in Frage. Anselm jedoch muß in seiner Antwort den Begriff „Beweis“ verwenden, weil Gaunilo die Rolle des Tors, des insipiens spielt, der behauptet „es gibt keinen Gott" und annimmt, der Erforscher des Glaubens bemühe sich um einen ,Beweis" für die Behauptung, daß Gott existiert. Nur in der Konfrontation mit dem insipiens, der die negative
Proposition,
Gott
existiere
nicht,
aufstellt,
ge-
winnt die noetische Reflektion des Pneumatikers (spiritualist), den Charakter einer affirmativen Proposition über die Existenz Gottes. Die Symbolik der noetischen Suche droht in einen Kampf über die Beweisbarkeit oder Nicht-Beweisbarkeit einer Proposition abzugleiten, sobald der Tor in die
Diskussion werden, Der
eintritt. Die
Existenz
da der Tor — ohne
Tor
kann
nicht leicht
jeden
Gottes Zweifel
abgetan
kann
zweifelhaft
— existiert.
werden.
Die
Torheit,
auf den góttlichen Ruf mit einem Nein oder mit einem Ausweichen
zu
antworten,
ist dem
Menschen
ebenso
móglich,
wie die positive Antwort. Potentiell ist das Nein in jedem Menschen vorhanden, auch im Gláubigen, und in gewissen historischen Situationen kann ihre Aktualisierung zu einer massiven gesellschaftlichen Kraft werden. Doch wer - oder was — ist ein Tor? Die philologische Situation ist klar. Wenn Anselm und Gaunilo von dem insipiens sprechen, bezieht sich ihre Spra-
che auf Psalm
13 (14) — in der Übertragung
der Vulgata.
,Der Tor (insipiens) sagt in seinem Herzen, ,es gibt keinen Gott". Der παρα] des hebräischen Textes ist in der Vulgata als
insipiens
übersetzt,
in
der
191
Standardversion
und
auch
in der Jerusalem Bible als ,fool". Die letzte Übertragung ist vielleicht nicht die beste,
denn
das
englische
Wort
fool
leitet sich aus dem lateinischen follis ab, das einen Blasebalg oder Windbeutel bezeichnet. Es hat von dieser ursprünglichen Bedeutung die Aura von Windbeutel, Schwachsinn und fehlender oder schwacher Urteilskraft behalten, die jedoch weder die grundlegende Korruption der Existenz, noch das ganze Spektrum der Symptome der Korruption andeutet, welche das Wort nabal beinhaltet. Der Tor des Psalms
lektuelle
Schärfe
ist aber gewiß
oder
Übersetzungsversuche
Verwegene,
kein Mensch,
Weltklugheit wie
der
fehlen.
Gottlose,
der
dem
intel-
Alternative Profane,
der
oder der Nichtswürdige haben alle ihren Sinn,
zeigen aber zugleich die Schwierigkeit, den ganzen Bedeu-
tungsreichtum eines so kompakten Symbols wie nabal wiederzugeben. Da es jedoch keine Übersetzung zu geben scheint, die befriedigender ist und dem zeitgenössischen
Sprachgebrauch
entspricht, werde
ich den
geläufigen Be-
griff ,fool" beibehalten und mich lediglich darum bemühen, seine Bedeutung klar zu machen. Im Psalm 13 (14) bezeichnet der nabal das massenhafte Auftreten von Menschen, die das Böse lieber tun als das Gute, weil sie nicht „nach Gott suchen” und seiner Gerechtigkeit, die „mein Volk
verzehren
wie Brot”, weil sie nicht
an göttliche Strafe für ungerechte Handlungen glauben. Die persönliche Verachtung gegenüber Gott äußert sich in einem mitleidlosen Verhalten gegenüber den Schwachen und schafft in der Gesellschaft allgemeine Unordnung. Die Situation, die im Psalm vor Augen steht, scheint dieselbe zu sein, wie die Verachtung gegenüber Gott und seinen Propheten, die von Jeremia 5:12 und schon im 8. Jh. v. Chr. von Jesaja 32 beschrieben wird. In diesen israelitischen
Kontexten
bezeichnet
die
Verachtung,
die
nebala,
nicht notwendigerweise eine so differenzierte Erscheinung wie den dogmatischen Atheismus - sondern eher einen Zustand geistiger Stumpíheit, der es erlaubt, sich der Habgier, 192
dem Sex und der Macht hinzugeben, ohne Furcht vor dem göttlichen Gericht. Die verachtungsvolle Torheit kann sich zwar zum radikalen „Es gibt keinen Gott” steigern, doch scheint der Ausdruck nicht als eine noetische Herausforderung verstanden worden zu sein. Der Tor opponiert gegen den geoffenbarten Gott, nicht gegen eine fides quaerens intellectum. Diese zusätzliche Komponente, die für die Anselm-Gaunilo-Debatte
charakteristisch
ist, muß
eher
in
der philosophischen Überlieferung gesucht werden, die Eingang in die christliche Theologie gefunden hat. Es ist Platon,
der
in der
Politeia
II und
Phänomen
der existentiellen
forderung,
welche
den
Nomoi
Torheit,
X
sowohl
als auch
sie für die noetische
Suche
darstellt,
Fall der sophistischen Torheit, der anoia, beschreibt.
In der griechischen Gesellschaft hat das Potential,
dem göttlichen Ruf zu verweigern,
Aussagen
Ausdruck
Breite
Erfahrungsspektrums
des
gefunden,
das
die Herausam
sich
in einer Serie negativer
die
umsichtig
abdecken.
die
ganze
Sowohl
in der
Politeia (365 b-e), als auch in den Nomoi,
stellt Platon diese
Propositionen als eine triadische Gruppe
dar:
1.
Es scheint,
daß
2.
Gesetzt jedoch,
es keine
Götter
gibt.
es gibt sie, so kümmern
sie sich nicht um
die Menschen. 3. Gesetzt jedoch, sie kümmern sich um die Menschen, so kann man sie mit Geschenken besänftigen. Obwohl Platon keine spezifische Quelle für diese Trias anführt,
sondern
sie
so
verwendet,
als
sei
sie
in
seiner
intellektuellen Umwelt allgemein gebräuchlich, handelt es sich wahrscheinlich um ein Produkt der sophistischen Schule. Denn sie hat dieselbe Struktur, wie die Gruppe von Pro-
positionen, die im Essay Über das Nicht-Seiende von Gorgias überliefert ist: 1. Nichts existiert. 2.
Wenn
etwas existiert, dann ist es unbegreiflich.
3. Wenn es begreiflich ist, dann ist es nicht zu vermitteln. Die beiden Satzgruppen deuten an, daß in den sophisti-
193
schen Schulen die Mißachtung der Götter zu einem
allge-
meinen Verlust des Erfahrungskontaktes mit der kosmisch-
göttlichen
Realität geführt hatte. Die
triadischen
Muster
negativer Propositionen scheinen sich als ein Ausdruck der daraus resultierenden Kontraktion der menschlichen Existenz entwickelt zu haben. Die massenhafte Übernahme dieses Musters wurde von Platon so stark als Herausforderung
für seine
eigene
noetische
Suche
empfunden,
daß
er
das ganze 10. Buch der Nomoi seiner Widerlegung widmete. Die Einzelheiten dieser Widerlegung, die schließlich in die positive Aussage mündet, daß die Götter existieren, daß sie sich um die Menschen
kümmern,
und daß sie nicht durch
Bestechungen aus dem Profit ihrer Verbrechen zu Komplizen menschlicher Kriminalität gemacht werden können, sind nicht unser Thema. Aber wir müssen Platons Analyse der noetischen Herausforderung und die Sprache, die er dabei
entwickelte,
betrachten.
Das sophistische Argument für die negativen Triaden beruhte offensichtlich auf einer radikalen Verneinung göttlicher Realität, wie sie in der Ordnung des Kosmos oder in der Seele des Menschen als gegenwártig erfahren wird. Um in der hellenischen Kultur des 4. Jh.s v. Chr. plausibel zu sein, mußte die Verneinung in die Form eines Gegenmythos
gebracht werden,
welcher der Symbolisierung
der góttli-
chen Ordnung in der Realitát durch den kosmogonischen Mythos des hesiodischen Typs entgegentrat. Die Form, die dieses Argument konkret annahm, war wahrscheinlich eine Kosmogonie, in der die Gótter des Mythos durch die Elemente,
im Sinne von
Materie,
als der
„ältesten”
schópferi-
schen Realitát, ersetzt wurden. Auf jeden Fall betrachtet Platon die negativen Triaden als im Prinzip auDer Kraft gesetzt, wenn er die Annahme widerlegen kann, daf die Realitát in ihrer Gesamtheit ihren Ursprung in der Bewegung materialer Elemente hat. Gegen diese Annahme argumentiert er so: es gibt keine sich selbst bewegende Materie; alle materiellen Bewegungen sind durch die Bewegungen ande-
194
rer
Materie
verursacht;
die
Ursache und Wirkung muß
regelhafte
Verflechtung
von
ihrerseits wiederum durch eine
Bewegung verursacht werden, die außerhalb dieses Netzwerkes
ihren
Ursprung
hat;
die einzige
wir wissen, daß sie sich selbst bewegt,
Realität,
von
der
ist die Seele. Folg-
lich können in einer genetischen Konstruktion des Seins die Elemente nicht als die ,álteste" Realität fungieren; nur die göttliche Psyche, wie sie durch die menschliche Psyche erfahren wird, kann die „älteste”
im Sinne der Selbstbewe-
gung sein, in der alle geordnete Bewegung in der Welt ihren Ursprung hat. Das Argument mutet in seinem Rekurs auf die Realität der Seele und ihre Erfahrungen modern an, gegenüber Konstruktionen, welche den Verlust der Realitát und die Kontraktion des Selbst ausdrücken. Ein Unterschied besteht freilich
darin,
daß
die
modernen
Konstrukteure
für
ihre
Zwecke nicht erst einen hesiodischen Mythos deformieren müssen, sondern lediglich den göttlichen Grund des Seins durch einen Gegenstand aus der weltimmanenten Hierarchie des Seins als den letzten ,,Grund" aller Realität zu ersetzen brauchen. In Wirklichkeit ist das Argument allerdings weder modern noch altertümlich, sondern taucht immer dann auf, wenn das Suchen nach göttlicher Realität in einer Situation wiederaufgenommen werden muß, in der
die
,Rationalisierung"
der kontraktierten
Existenz — die
Existenz des Toren - zu einer Massenerscheinung geworden ist. Natürlich ist das Argument nicht ein , Beweis" im Sinne einer logischen Beweisführung, eine apodeixis, sondern nur im Sinne einer epideixis: es weist auf einen Bereich der Realität hin, welchen der Konstrukteur der negativen Propositionen lieber übersehen oder außer acht gelassen hat oder den wahrzunehmen er sich weigerte. Man kann Realität nicht durch einen Syllogismus beweisen; man kann nur auf
sie hinweisen
Die mehr
und
oder weniger
den
Zweifler
bewußte
195
bitten,
hinzuschauen.
Konfusion
zwischen den
beiden Bedeutungen des Wortes ,Beweis" ist ein Standardtrick, den die Leugner auch in den ideologischen Debatten der Gegenwart noch verwenden. Und er hat bei der Entstehung
der
, Beweise"
für die Existenz
Gottes
seit der
Zeit Anselms immer eine wichtige Rolle gespielt. Daß es sich bei den negativen Aussagen nicht um den Befund eines Philosophen über eine Struktur in der Realität handelt, zens"
zum
gewonnen nicht
allein
sondern
daß
sie
eine
Ausdruck
bringen,
hat.
sophistische
ein
Die
analytischer
ist
Deformation
des
die
die
Einsicht,
Torheit,
Irrtum,
sie
die
,HerPlaton
anoia,
ist vielmehr
ist eine
nosos, eine Krankheit der psyche, für deren psychologische Therapie Platon in den Nomoi den Zeitraum von fünf Jahren ansetzte. In der Politeia II entwickelt er zudem das Vokabular,
welches
die existentielle Krankheit
beschreibt,
indem er zwischen der Unwahrheit in Worten und der Un-
wahrheit
oder Lüge
(pseudos)
in der Seele selbst unter-
scheidet. Die „Ignoranz in der Seele" (en te psyche agnoia) ist „wirklich die Unwahrheit" alethos pseudos), während die Unwahrheit in Worten nur das „später aufsteigende Bild" (hysteron gegonon eidolon) ist. Die unwahren Worte sind deshalb auch nicht eine ,ungemischte Falschheit" wie die „essentielle Falschheit" in der Seele (to men de to onti pseudos). Die verbale Falschheit, die „Rationalisierung” sozusagen,
ist die
Form
der
Wahrheit,
in
welcher
sich
die
kranke Seele ausdrückt (Politeia 382). Wie die Unterscheidungen zeigen, ringt Platon um eine analytische Sprache, die dem vorliegenden Fall entspricht. Aber er ist noch weit davon entfernt, die Aufgabe oder Entwicklung der Begriffe einer ,Pneumapathologie" — wie Schelling diese Disziplin nannte — vollendet zu haben. Er hat z. B. noch nicht einen Begriff wie die agnoia ptoiodes, die ,schreckenserregende Ignoranz" des Chrysippus, die zur , Angst" der Moderne wurde. Auch fehlt ihm noch die chrysippische apostrophe, die die Umkehrung jener Bewegung der epistrophe bedeutet, die den Gefangenen
aus
der Höhle
196
aufwärts
zum
Licht
führt; und es fehlt ihm auch Ciceros Charakterisierung der Krankheit
des
Geistes,
des
morbus
animi
als einer
asper-
natio rationis, einer Ablehnung der Vernunft. Dennoch hat er den Punkt erkannt, auf den es ankommt: daß die negativen Propositionen dasSyndrom einer Krankheit sind, durch
die die Natur
des Menschen
beeinträchtigt und die Ord-
nung der Gesellschaft zerstört wird. In der Analyse der Krankheit und ihres Syndroms
schuf
Platon einen Neologismus von weltgeschichtlichen Folgen:
denn bei der Behandlung der triadischen Propositionen benutzte er — soweit wir wissen — zum erstenmal in der Ge-
schichte der Philosophie
den
Begriff „Theologie“.
In der
Politeia spricht Platon von den negativen Propositionen als typoi peri theologias, als Typen der Theologie (379 a), und stellt ihnen die positiven Gegen-Propositionen als die wahren Typen entgegen. Beide Typen, die negativen wie die positiven,
sind
Theologien,
denn
sie
sind
beide
mensch-
liche Antworten auf den göttlichen Ruf. Beide sind in der Sprache Platons die verbale Nachahmung (mimesis) der menschlichen Existenz in der Wahrheit bzw. in der Unwahrheit. Nicht die Existenz Gottes steht auf dem Spiel, sondern die wahre Ordnung der menschlichen Existenz. Nicht Propositionen stehen einander gegenüber, sondern
die Antwort und die Nicht-Antwort auf den göttlichen Ruf:
Die Propositionen selbst, ob positiv oder negativ, besitzen
keine eigene Wahrheit. positionen
ist weder
logischen Beweises. tiven, wären
Die Wahrheit
selbst
evident,
der positiven
noch
Sie wären genauso
eine
Sache
Prodes
leer wie die nega-
sie nicht erfüllt von der Realität der göttlich-
menschlichen
Bewegung
und
Gegenbewegung,
von
dem
Gebet, das in der Seele des Befürworters den Ruf beantwortet; und
Platon
stattet diese Wahrheit
mit seiner
glänzen-
den Analyse und Symbolisierung dieser Erfahrungen aus. Daher kann die verbale Nachahmung des positiven Typs, da sie keine
eigene
Wahrheit
besitzt, auch nicht mehr
sein
als eine erste Richtlinie der Verteidigung oder der Über197
zeugung in einer gesellschaftlichen Konfrontation mit der verbalen Nachahmung des negativen Typs. Noch entscheidender: Die positiven Propositionen beziehen einen wesentlichen Teil ihrer Bedeutung aus ihrem Charakter als einer Verteidigung gegen die negativen Propositionen. Die Folge ist, daß die beiden Typen der Theologie zusammen die verbale Nachahmung der Spannung des Menschen zwischen den Möglichkeiten von Antwort oder Nicht-Antwort auf die göttliche Präsenz in persönlicher, gesellschaftlicher und historischer Existenz darstellen. Wird die Rolle des Toren in den positiven Propositionen vergessen, so besteht immer die Gefahr der Entgleisung in die Torheit, zu glauben, die Wahrheit dieser Propositionen sei endgültig. Doch die Annahme, die Wahrheit der Propositionen sei endgültig, würde
genau zu dem führen, was die Toren behaupten:
sie wäre dann wirklich die hinter ihr steht.
leer von der Erfahrungswahrheit, “x x
Die Erfahrungswahrheit im Hintergrund der Analyse Platons ist nicht eine Sache einfacher Feststellungen. Sie müßte sowohl Platons eigene analytische Leistung im Kampf um
die
Klärung
von
Problemen
enthalten,
welche
seine
Vorgänger aufgeworfen hatten, als auch die in Platons Werk kompakt gebliebenen Bedeutungen. Für eine adäquate Darstellung der Kernfragen wäre deshalb mehr als ein Band über hellenistische Philosophie, Literatur und Kunst nötig, und sie müßte den Zeitraum von Homer und Hesiod bis zum Neoplatonismus behandeln. Hier kann ich nicht mehr tun, als auf einige wichtige Phasen in diesem Prozeß sich differenzierender Erfahrungen und Symbolisierungen hinzuweisen. Eine zentrale Frage ist dabei der differenzierende Übergang vom polytheistischen Sprechen über die Gótter zum Sprechen über die eine Gottheit jenseits der Götter. Die Erfahrungsspannung in Platons kultureller Situation ist 198
durch Veränderungen in den Anrufungen der Götter ange-
deutet, die einer Analyse der Realitätsstruktur vorausge-
hen. Im Timaios zum Beispiel lädt Sokrates den Timaios ein, sich als der nächste Redner in einer imaginativen Schöpfung der angemessenen Sprache zu versuchen, welche diese Struktur symbolisieren soll, und bittet ihn, seine Rede mit einer Anrufung der Götter einzuleiten. Daß die imaginative Analyse ein Gebet sein soll, wird vorausgesetzt. In seiner
Antwort
stimmt
Timaios
zu, daß
jeder,
der bei Sin-
nen ist, vor einem Unternehmen - groß oder klein - , Gott" anrufen wird. Ein angemessener Diskurs über das All (to pan) müßte — sofern wir nicht von Sinnen sind - die Götter und Göttinnen anrufen: Betet, daß alles, was wir sagen mögen, erstens ihnen und zweitens uns genehm sei. Laßt uns also annehmen, daD wir auf angemessene Art und Weise die Gottheiten angerufen haben, und laßt uns auch uns selbst anrufen, damit wir aufs klarste unsere Ansichten über das All darlegen können (27 c). Die Anrufung ist in ihrer Sprache sparsam geworden und nennt nicht den angerufenen „Gott”. Die symbolische Ausarbeitung (elaboration),
die
mentale
den
einen
Anrufung,
„Gott“ die
anruft,
im Akt
des
ist reduziert Beginns
auf
enthalten
eine ist.
Die „Götter” sind weder verschwunden, noch ganz durch den einen , Gott" ersetzt worden. Um die kulturelle Spannung in dieser mentalen Anrufung
muß
man
sich des Verfalls der fides in die vielen Götter bewußt
,Gottes"
ohne
ihn zu benennen,
zu spüren,
sein,
wie er zum Beispiel in der parodistischen Anrufung in den Thesmophoriazusae des Aristophanes mit ihrem feministischen Unterton erscheint: Betet zu den Göttern, den Olympiern und Olympierinnen, zu den Pythiern und Pythierinnen, zu allen Deliern und Delierinnen (330-333). Der platonische eine „Gott” ist diejenige Gottheit, welche als gegenwärtig jenseits der vielen Götter erfahren wird, die, wie
die Anrufung des Aristophanes zeigt, für die Erfahrung nicht mehr lebendig sind. Die noetische Analyse schafft
199
eine neu differenzierte Form des Gebets jenseits der früheren Anrufungen der Musen und Götter. Was sich in der
noetischen Erfahrung differenziert, ist die Einheit der Gottheit jenseits der Vielzahl der Götter. Diese Differenzierung zur Einheit (oneness) der Gottheit verlangt eine Veränderung in der Sprache, die Realität darstellt: von den seienden Dingen im Plural zum Singular des einen ,Seins". In der Sprache Hesiods wird die Realität der Dinge noch mittels des Plurals ta eonta ausgedrückt — in der Kompaktheit dieser Sprache sind die Götter Dinge, die unter denselben Begriff wie die Gegenstände der Aussenwelt subsumiert werden. In der Sprache des Parmenides ist diese in der Erfahrung gegebene Offenbarung der Einheit (oneness) durch den Übergang vom Plural to eonta
zum Singular to eon gekennzeichnet. Durch diese Verände-
rung der Sprache beginnen die „seienden Dinge" von einem alle Dinge umfassenden ,Sein" unterschieden zu werden. Im Werk des Parmenides ist der Übergang so radikal, daß die „seienden Dinge" etwas von ihrem Realitätsstatus einbüßen in ihrer Beziehung zu dem überschattenden ,Sein" im Singular. Der Druck, der von der Offenbarung des einen Seins jenseits der seienden Dinge ausging, wurde offensichtlich als so intensiv erfahren, daß sich die Struktur eines kosmischen Ganzen der Realitát in der Spannung zwischen dem Sein und den Dingen nur unzureichend sprachlich symbolisieren ließ. Deshalb mußte Platon im Timaios hinter das to eon zurückgehen, in dem er das Symbol to pan prägte im Sinne des einen Alls, das die seienden Dinge umfaßt (periechein). Das to pan, die intelligible Ordnung des Universums, ist jetzt symbolisiert als der Kosmos in der Spannung zwischen der Ordnung (taxis), die von einem Demiurgen auferlegt wurde, und der Unordnung (ataxia) einer raum-zeitlichen chora, der die Ordnung auferlegt wird. Dadurch wird Realitát eine geordnete Einheit (oneness), die einer mathematischen Analyse zugänglich ist. Die Symbolisierung dieser Erfahrung führt bei Platon
200
jedoch zu keinem System. Die Struktur der erfahrenen Gottheit bleibt ein Mysterium. Es gibt einen Demiurgen, der eine ungeordnete Realität ordnet, doch er ordnet sie gemäß eines Paradigmas der Ordnung, das selbst ein Gott ist. Darüber hinaus ist der nach dem Paradigma organisierte Kosmos seinerseits das einzigartige oder eingeborene (monogenes) göttliche Abbild des Paradigmas. Die Ordnung
des Paradigmas
ist die letzte Realität,
die alle seien-
den Dinge in dem einen Kosmos umgreift. In Platons Erfah-
rung war diese Einheit des Alls von so großer revelatori-
scher Bedeutung, daß er den Begriff monosis (31 b) für sie prágte, ein Begriff, der spáter aus dem Vokabular der Philosophie verschwand. Das Symbol , Ordnung" gewinnt die ausdifferenzierte Bedeutung von Einheit (oneness), welche eine Pluralitát von Universen ausschlieBt und dabei das
Mysterium der Unordnung in der Ordnung läßt.
Ein wichtiger — jedoch
des Alls offen
allzu oft vernachlässigter — Be-
standteil in Platons Ringen um eine Möglichkeit, einen Gott jenseits
der Götter
zu sprechen,
von dem
sind die Erfah-
rungen der Göttlichkeit, die sich in den Anrufungen der Hesiodischen Theogonie entfalten. Die Quelle der Wahrheit über die Realität göttlicher Gestalten sind für Hesiod sicherlich die Musen. Doch die Musen gehören nicht zu den olympischen Göttern, sondern sind fern von diesen von Zeus in seiner Vereinigung mit Mnemosyne gezeugt worden. Die
Quelle der Wahrheit ist transolympisch und der die Musen erzeugende
Zeus
ist
selbst
ein
wurde, jedoch nicht stirbt. Was welche
auch
die Götter
Gott,
der
zwar
geboren
die Musen über die Realität,
umfaßt,
singen,
richtet
sich zudem
nichtin erster Linie an die Menschen, sondern an die Götter selbst,
insbesondere
an einen
Zeus,
der sich nicht ganz
im
klaren zu sein scheint über seine Stellung und Macht als die göttliche ordnende Kraft in der Realität. Für Hesiod ist Zeus kein Gott, sofern es nicht eine göttliche Realität jenseits der Götter gibt. In diesen hesiodischen Symbolisierungen er201
kennen
wir
die
ersten
(periechon) Jenseits, werden wird.
Andeutungen
das schließlich zum
des
umgreifenden
epekeina Platons
xx ox
(Anmerkung des Hrsg.: Wenn der Leser, resp. die Leserin, das Vorwort des Herausgebers bislang noch nicht berück-
sichtigt hat, so sollte er/sie dies vor dem Weiterlesen tun.) [1. Das
All-umschlieDende
,Gottliche"
und wie, nach Aristoteles Physik
des
Anaximander
4, 203 b 7, darüber
zu re-
den sei:] „Aber für das Unendliche (apeiron) sei ein Prinzip (arche) undenkbar;
...
vielmehr
möchte
man
meinen,
daß
um-
gekehrt dieses das Prinzip alles Konkreten darstelle, all das Konkrete in sich beschließe (periechein) und es beherrsche, was ja auch wirklich die Meinung derer ist, die neben das Unendliche (apeiron) kein weiteres Prinzip mehr stellen wollen -- Weltvernunft, Liebe oder dergleichen. Und so gilt es denn dann als das Göttliche (to theion). Denn es sei unsterblich (athanaton) und unvergänglich (anolethron), wie es die ausdrückliche Meinung des Anaximander und der meisten Naturphilosophen ist.“
(Aristoteles,
Wagner,
Akademie
Physikvorlesung, Verlag,
Berlin
übers.
von
Hans
1967, S. 67, IIl.4.203 b
7—14) [2. Das Gott anrufende Gebet in Plotin V.1.6., das der Suche nach einer angemessenen Sprache vorausgeht, in der über das Eine und das Mysterium seiner Emanation gesprochen wird; über das nur in traumáhnlichen Metaphern gesprochen werden kann, wie der Parfum-Metapher, die Plotin wählte („parfumierte Dinge"):] „So sei denn das Folgende gesagt — zuvor aber Gott selbst angerufen nicht mit dem Schall von Worten, sondern indem wir uns mit der Seele zum Gebet nach ihm 202
strecken, denn auf diese Weise können wir für uns allein zu ihm beten ..." (Plotins Schriften, übers. v. Richard Harder, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1951, Bd. 1, S. 221/223, V.1.6) [3. Das soter"
Gebet in Platons anruft
(48 d),
Timaios,
als Platon
den
das diesmal Versuch
den
„theos
beginnt,
eine
angemessene Sprache zu finden für das Sprechen über den nicht-dinghaften Pol in der Spannung zwischen der gestaltenden Gottheit und der empfangenden, aber widerstrebenden ungestalteten chora (Raum):] ,indes wir auch jetzt, beim Wiederbeginn unserer Rede, den Beistand
Gottes
anrufen,
daß
er als Retter aus einer
seltsamen und ungewohnten Darstellung zur Ansicht des Wahrscheinlichen uns gelangen lasse, wollen wir von neuem unsere Erörterung anheben." (Platon, Sämtliche Werke Bd.5, nach der Übersetzung von Friedrich
Schleiermacher, Hamburg
1974, S. 171)
[Wiederum die Sprache muß traumähnlich und metaphorisch werden - Timaios 48 e-53 c, insbesondere 51 b-c.] [4. Das
„mentale
„Das mentale
Gebet" Gebet,
Goethes:]
das alle Religionen
einschließt und
ausschlieBt und nur bei wenigen, gottbegünstigten Menschen den ganzen Lebenswandel durchdringt, entwickelt sich bei den meisten nur als flammendes, beseligendes Gefühl des Augenblicks; nach dessen Verschwinden sogleich der sich selbst zurückgegebene unbefriedigte, unbescháftigte Mensch in die unendliche Langeweile zurückfällt.” (Goethe, West-Ostlicher Diwan, Noten und
Abhandlungen,
,Altere
Perser",
Insel-Verlag,
Leipzig
1912, S. 142)
[5. Die Manifestation der äquivalenten christlichen Erfahrung und
der Ausdruck
des
,Góttlichen:"
203
a) Die pleroma und theotes in Kolosser 2:9] „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle (pleroma) der Gott-
heit (theotes) leibhaftig."
[b) Der ,tetragrammatische" Name des „Göttlichen” in Thomas, Summa Theologiae 1.13.11.1:] „AD PRIMUM ergo dicendum quod hoc nomen est est magis proprium nomen Dei quam hoc nomen Deus, quantum
ad id a quo
imponitur,
scilicet
ab
esse,
et quantum
ad modum significandi et consignificandi, ut dictum est.
sed quantum ad id ad quod imponitur nomen ad significandum, est magis proprium hoc nomen Deus, quod im-
ponitur
ad
significandum
naturam
divinam.
Et adhuc
magis proprium nomen Tetragrammaton, quod est impositum ad significandam ipsam Dei substantiam incommunicabilem,
„Zu Name
1. ‚Der Gottes
et, ut sic liceat loqui,
Seiende
ist in höherem
als der Name
singularem."
Maße
,Gott', wenn
eigentlicher
wir darauf
ach-
ten, woher dieser Name gekommen ist (vgl. Art. 8), nämlich vom Sein; aber auch in Anbetracht seiner Bedeutung und des in ihm Mitbezeichneten (vgl. oben). Wenn wir aber darauf sehen, wozu der Name gebraucht wird, so ist ‚Gott’ der eigentlichere Name, da er die göttliche Natur bezeichnen soll; in noch höherem Grade eigentlicher Gottesname ist freilich das Tetragrammaton; denn es soll die unmittelbare und sozusagen einzigartige (ein-
malige) Wesenheit Gottes selbst bezeichnen.“ (Die Deut-
sche Thomas-Ausgabe, vollständige, ungekürzte deutschlateinische Ausgabe der Summa Theologiae, übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und
Österreichs,
Bd.
1, S. 303,
Verlag
Koln 1982)
204
Styria,
Graz/Wien/
Anmerkungen Menschheit und Geschichte 1
Siehe
Max
Pohlenz,
Die
Stoa,
2 Bde.,
Göttingen
1948,
unter
dem Stichwort theologia tripertita. Zur Theologie des Poseidonius und zum Moses-Fragment siehe Pohlenz, Stoa und Stoiker, Zürich
1950, S. 266 f., 341 f.; deutscher Text nach Kon-
stantin Rösch, München 1967 (Anmerkung des Übersetzers). 2 Zur Paulinischen Konzeption von Geschichte und Menschheit siehe Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1948, S. 258—266. 3 Zur jüdischen Theologie der Sünde und Erlósung siehe Hans Joachim Schoeps, Aus frühchristlicher Zeit, Tübingen 1950, 5.184—211. 4
Augustinus,
Civitas Dei, IV, 27.
9 Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 12. 6 Hegel, Vorlesung über die Philosophie der Geschichte, hrsg. von Brunstád, Leipzig (Reclam 1961), S. 440. Das Zitat ist bei Brunstád gesperrt gedruckt; (der Übers.) 7 Ibid., S. 42 f. 8 Uber die Beziehung zwischen indischer und hegelianischer Spekulation siehe Georg Misch, The Dawn of Philosophy, Cambridge, Mass. 1951, unter dem Stichwort Hegel. Hegel selbst war sich des Problems der „orientalischen“ Spekulation bewußt, aber er zog es vor, den Unterschied zwischen Akosmismus und Immantismus stärker zu betonen als die Ähnlichkeit der Gnosis. Siehe Hegel, Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, insbes. das Kapitel über Spinoza. 9
J.-P.
Abel-Remusat,
Lao-Tseu,
in:
„Memoire
Académie
des
sur
la vie
Inscriptions
et les et
opinions
de
Belles-Lettres,
VII, Paris 1824, S. 1—54.
10 Zuerst erschienen in E. von Lasaulx, Neuer Versuch einer Philosophie der Geschichte, München 1856. Siehe Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, Zürich 1949, S. 28.
205
11 Jaspers, Ursprung, S. 18—20. 12 Arnold J. Toynbee, A Study of History, S. 420—426. 13 Ibid., I, S. 46. 14 Ibid., VII, S. 423 und S. 499. 15 Jaspers, Ursprung, S. 19. 16 Toynbee, Study, VII, S. 494—4995. 17 Clemens von Alexandrien, Stromateis, VI.
VII,
London
1954,
Aquivalenz von Erfahrungen und oymbolen in der Geschichte
„a reflective inquiry" — die geläufigen deutschen Ausdrücke ,reflexiv"
oder
,reflektierend"
sind zu spezifisch, um
den Ge-
danken auszudrücken, der für diesen Text zentral ist, nämlich eine
Suche,
Suche,
zum
die
sich
selbst,
Gegenstand
bzw.
hat,
und
die die
früheren sich
Phasen
insofern
dieser auf
sich
selbst zurückwendet. Deshalb wurde für die Übersetzung der Neologismus ,reflektiv" gewählt. (Anm. d. Ub.) Verdunkelung, Verfinsterung (Anm. d. Ub.) „What is constant in the history of mankind..." in der Fassung
des Erstdrucks
1970,
S. 220;
der Nachdruck
von
1981
hat
„What is constant is the history of mankind", S. 92. Dabei kann es sich nur um einen Druckfehler handeln. (Anm. d. Ub.) ,luminous to itself" — die Übersetzung folgt hier und später der Sprechweise Voegelins in seinen deutschen Veröffentlichungen (z. B. Anamnesis S. 293 ff.). Dort wird der Sachverhalt, den er hier und anderswo englisch als luminous bzw. luminosity bezeichnet, je nach sachlichem oder auch syntaktischem Zusammenhang
entweder
durch
,hell",
,Helle",
„Bewußt-
seinshelle" oder mit ,durchsichtig" bzw. ,Durchsichtigkeit" ausgedrückt. (Anm. d. Üb.) „pre-Socratic intimations" in der Fassung des Erstdrucks von 1970 (5. 224); ,Socratic intimations" im Nachdruck von 1981 (S. 96) kann nur ein Druckfehler sein (Anm. d. Üb.). ,augmentation of meaning"; Ausgangspunkt der Formulierung ist wohl Heraklit B 115 psyches esti logos heouton auxon,
206
dessen ,logos" mit ,meaning" wiedergegeben wird (Anm. d. Üb.). In der Fassung von 1981 fehlt der Halbsatz „und der Bezie-
hungen zwischen ihnen" (Anm. d. Üb.).
ein Lebewesen, das mit Seele und Vernunft Platon Tim. 30 b-c (Anm. d. Üb.). ,dluminosity"; vgl. Anm. 4 (Anm. d. Üb.)
ausgestattet ist;
Vernunft — Die Erfahrung der klassischen Philosophen „humanity”; Voegelin verwendet nebeneinander humanity, man's nature (z.B. S. 92, 1978), man's humanity (S. 89, 1978), und human nature (S. 90, 1978). (Anm. d. Ub.) In den beiden englischen Fassungen ist psyche teils (als griechisches Wort) kursiv gesetzt, teils ohne Kursivdruck, wobei allerdings die beiden Fassungen im einzelnen in dieser Unterscheidung nicht übereinstimmen. In der Übersetzung wurde, wo immer das griechische Wort gemeint sein kann, statt ,oeele" psyche verwendet. Zur Bedeutung von psyche vgl. S. 111 in diesem Band (Anm. d. Ub.). ,meaning"; Anamnesis (1966) spricht Voegelin in ähnlichem Zusammenhang von „Richtung“ (S. 273) oder von ,Sinnhaftigkeit" (S. 270). (Anm. d. Üb.)
cod OO οἱ
Tusculanae Disputationes IV, 23—32.
Arnim,
Stoicorum
Vete-
rum Fragmenta III, pp. 103—109. SVF III, p. 125, 20—21. Tusculanae Disputationes IV, 27. SVF III, p. 103, 10—17. SVF III, no. 663.
Für diese sachlich komplizierte Kontroverse vgl. Max Pohlenz, Die Stoa (1947) I, pp. 141—147. Die Aufzählung bezieht sich auf wohlbekannte Quellen: Hobbes, Leviathan; Hegel, Phänomenologie; Marx, Nationalókonomie
und Philosophie
Zukunft
einer
Illusion;
phvsik;
Sartre,
L'Etre
(Pariser Manuskripte
Heidegger, et
le
Neant;
Sauvage.
207
1844); Freud, Die
Einführung
in die Meta-
Lévi-Strauss,
La
Pensée
10
,in-between";
in den Texten,
aus
denen
Voegelin
diesen
Be-
griff entwickelt, ist metaxy als Präposition verwendet (Platon, Symp.
11
202 a9 und
202 el, Platon,
Philebos
16 6). Auch
Anam-
nesis (1966) S. 271 spricht Voegelin von „jenem ‚Zwischen‘, dem Platonischen metaxy“. (Anm. d. Ubs.) Schiller, Was heiBt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte
(1789), letzter Absatz.
Kant, Idee zu einer allge-
meinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784). 12
,Flectere
si
nequeo
superos,
Acheronta
movebo"
ist
das
Motto von Freuds Traumdeutung.
Quod Deus Dicitur Dies letzte Werk Eric Voegelins wáre ohne die verstándnisvolle Hingabe Paul Caringellas nie zu Papier gelangt: Er schrieb
unter
traurigsten
Umständen
nieder,
was
eine
kaum
vernehmbare Stimme diktierte. Dafür wollte mein Mann ihm mit der Widmung dieses Werkes danken; unglücklicherweise traten Schicksal und Tod dazwischen und hinderten ihn, zu tun, was
er so sehr wollte.
Gedanken und
Aber
da mir
sein Herz
und
seine
so wohlvertraut sind, kann nun ich für ihn sprechen
unserem
Freund
Paul
für
die
Liebe
danken,
die
er uns
gegeben hat, seit wir ihn kennen.
Lissy Voegelin Dem Abdruck des Vortrags „Quod Deus dicitur" im „Journal of the American Academy of Religion" stellte dessen Herausgeber ein kurzes Vorwort voran, dessen wichtigste Teile im folgenden wiedergegeben werden: , Als ich Professor Voegelin zu einer Festansprache zur 75sten Jubiláumsversammlung der American Academy of Religion einlud, sagte er aufgrund seines labilen Gesundheitszustands nur widerstrebend und mit einigem Zögern zu. Als offenkundig wurde,
daf
er nicht
teilnehmen
konnte,
bat ich ihn nach-
drücklich, seine Ansprache zur Veróffentlichung vorzubereiten. Von seiner Frau Lissy und seinem Freund und Assistenten Paul
senen
Caringella
Natur
bis
erfuhr ich, daß
zuletzt
treu
208
er seiner eisern entschlos-
blieb
und
das
Krankenhaus
verließ,
um
zu
Hause
zu
sterben
und
um
sein
letztes
Werk
zu Ende zu führen. Das erste und letzte Werk Eric Voegelins war, wie für Platon, der Aufstieg der Seele zu Gott. Caringella schrieb zu diesen Seiten: „Eric Voegelin begann am 2. Januar 1985
‚Quod
Deus
Dicitur ' zu diktieren,
einen
Tag
vor
seinem
84sten Geburtstag. Er überarbeitete die letzten Seiten am 16. Januar; weitere Überarbeitungen erfolgten am 17. und Nachmittag des 18. Januar, sein letzter Tag vor seinem Tode am Samstag, den 19., gegen acht Uhr morgens. Als er beim Diktieren zum Gebet des Anselm kam, fügte Voegelin vorsorglich passende Seiten aus einem früheren Manuskript mit geringfügigen Anpassungen ein. Auf gleiche Weise fügte er zu Beginn von Abschnitt 5 einen Absatz aus seiner ‚Response to Professor Altizer' (JAAR 43:1975, S. 77 f.) ein. Seine Diskussion der Theogonie von Hesiod und des Timaeus von Platon auf den letzten Seiten sowie im vorgesehenen Schluß beruhen auf der vollständigen Analyse auf den letzten gut dreißig Seiten des unvollendet gebliebenen fünften und letzten Bandes seines Werkes Order and History. Voegelin hatte davon gesprochen, drei oder vier weitere Seiten zu diktieren (was für gewöhnlich sieben oder acht Manuskriptseiten habe
hieß),
die fünf Texte,
um
die
Arbeit
die er besprechen
abzuschließen.
Ich
wollte, miteinbezogen,
weil sie in die Richtung wiesen, die er einschlagen wollte.” Die Angaben in Klammern gegen Ende des Aufsatzes enthalten Bemerkungen von Paul Caringella über die Richtung, die Voegelin dem Kommentar zu jedem der fünf Texte zu geben beabsichtigte.
209
Bibliographische Nachweise Bei den ersten drei Arbeiten handelt es sich um das Vorwort und die Einleitungen zu den ersten beiden Bánden von
Order
and
History;
sie
wurden
1980
anläßlich
des
80. Geburtstags Voegelins von mir ins Deutsche übersetzt und von Voegelin selbst korrigiert. Veröffentlichungen erschienen
in
den
Politischen
Studien,
Jg. 32,
(1981),
H.
1,
9. 13-23 bzw. H. 3, S. 231-36 und in der Zeitschrift für Poli-
lik, J. 28, (1981), H. 2, S. 150-68. (Übersetzt von Peter J. Opitz) „Die Größe Max Webers.” Es handelt sich hierbei um einen bislang unveröffentlichten Vortrag, den Voegelin im Rahmen der Max-Weber-Feier der Ludwig-MaximiliansUniversität zum 100. Geburtstag von Max Weber am 23.6. 1964 hielt. Der erste Teil des Vortrages wurde von Voegelin später selbst gründlich überarbeitet und für eine Veröffentlichung vorbereitet. Der zweite Teil wurde auf der Grundlage eines Tonbandmitschnitts von mir rekonstruiert. Um möglichst viel von seinem ursprünglichen Charakter zu bewahren, habe ich mich im wesentlichen auf eine stilistische Glättung und Straffung des Textes beschränkt. „Aquivalenzen von Erfahrung und Symbolisierung in der Geschichte" erschien erstmals auf Englisch und Italienisch in Eternitá e Storia: I valori permanenti nel divenire Storico (Florenz, Vallecchi,
überarbeiteten
Fassung
National University nachgedruckt.
of
1970), und wurde
in den Philosophical Ireland,
Jg. 28,
in einer leicht
Studies
(1981),
der
5. 88-104
(Übersetzt von Helmut Winterholler)
210
„Vernunft - die Erfahrung der klassischen Philosophen" erschien
erstmals
in
(1974), H. 2, 237-64; sung
von
der
Southern
er wurde
Anamnesis
(1978),
Review,
N.S.,
Jg.
später in die englische S. 89-115
aufgenommen
10,
Fasund
1979 ins Italienische übersetzt in Trascendenza e Gnosticis-
mo
in Eric Voegelin,
hrsg.
von
Giuliano
Borghi,
Rome,
5. 41-93. (Übersetzt von Helmut Winterholler) „Der meditative Ursprung philosophischen Ordnungswissens". Es handelt sich hierbei um die genehmigte Nachschrift der Tonband-Aufnahme eines Vortrages auf dem wissenschaftlichen Symposium „Philosophie heute" vom 22.-24. September 1980 in Tutzing. Der Vortrag erschien in der Zeitschrift für Politik, Jg. 28, (1981), H. 2, S. 130-37. Eine englische
Übersetzung
findet
sich
im
Lawrence,
The Beginning and the Beyond, Chico/Cal.
F.,
(ed).
1984, S. 43-51.
Bei ,Quod Deus Dicitur" handelt sich um die letzte Arbeit Voegelins, wáhrend deren Fertigstellung er verstarb; sie wurde im Journal of the American Academy oí Religion, Jg. 53, (1985), H. 3, S. 569-84
veröffentlicht.
(Übersetzt von Peter J. Opitz in Zusammenarbeit mit Petra Nagelschmidt und William Petropoulos) „In
um im der ten
Memoriam
Eric
Voegelin".
Es
handelt
sich
hierbei
die Rede, die ich anläßlich des Todes von Eric Voegelin, Rahmen der von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät Ludwig-Maximilians-Universitát München veranstalteGedenkfeier am 26. 6. 1985 hielt. Peter J. Opitz
211
I1
In Memoriam Eric Voegelin Von
Selbst nachdem waren
viele von
Peter
J. Opitz
Eric Voegelin schon schwer erkrankt war, denen,
die ihn näher
kannten,
fest davon
überzeugt, daß er nicht sterben würde, bevor er den fünften Band seines magnum opus Order and History abgeschlossen hatte. Denn auch als seine Kräfte nachließen, schien die Konzentration, mit der er seit gearbeitet
hatte,
der
die
Jahren an diesem Schlußband
Summe
seiner
neugewonnenen
Einsichten enthalten sollte, ungebrochen. Doch die Prognose erwies sich als falsch. Am 19. Januar 1985 starb Eric
Voegelin
im Alter von 84 Jahren in Stanford/Calif.,
wo-
hin er sich nach seiner Emeritierung im Jahre 1969 zurückgezogen hatte. Auf einer Reise nach Israel, in jenes Land also, mit dessen geistiger Tradition der erste Band von Order and History einsetzt, hatte er sich eine Krankheit zugezogen, von deren Folgen er sich nicht mehr erholen sollte.
Als 1956/57 die ersten drei Bände von Order and History
bei der Louisiana State University Press erschienen, hatte Voegelin - geographisch wie geistig — schon einen weiten Weg zurückgelegt. 1939 war er aus Wien, wo er zuerst Assistent von Hans Kelsen, spáter Privatdozent gewesen war, vor den Nazis geflohen und über die Schweiz in die USA emigriert. Dort war er nach mehreren Zwischenstationen — u. a. an der Harvard University — schließlich an die Louisiana State University berufen worden. — Doch auch geistig schien Voegelin sich von den Themen der Wiener Zeit inzwischen weit entfernt zu haben. Jedenfalls ließen
die in den Anfangsbánden
von Order and History vorge-
legten Untersuchungen zum Ordnungsverstándnis der kosmologischen Reiche des Nahen Ostens, des alten Israel und
der Welt der griechischen Polis auf den ersten Blick keinen 215
Zusammenhang mit den Titeln seiner noch in Europa veröffentlichten Bücher erkennen. Doch dieser Schein trog. Schon Rasse und Staat (1933), das
erste Buch,
das
des amerikanischen
seiner
Studie
von
1928
Über
die Form
Geistes folgte, bringt klar die Über-
zeugung zum Ausdruck, zu der Voegelin inzwischen gelangt war: daß die Probleme menschlicher und gesellschaftlicher Ordnung nicht adäquat im Rahmen der traditionellen
Staatslehre
und
eines
dogmatischen
Naturrechtsdenkens
— wie Kelsen es vertrat — behandelt werden war,
so
zeigte
sich es ihm,
nur
auf der
konnten. Dies
Ebene
einer philo-
sophischen Anthropologie möglich, die den „menschlichen Grunderlebnissen" gerecht wurde, die Staat und positivem
Recht zugrunde
liegen. Die neugewonnene
Einsicht,
„daß
die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen zu suchen seien" waren für sein Denken von zentraler Bedeutung;
sie
gab ihm jene grundlegende anthropologische Wendung, die sein Werk bis zum Schluß einhalten sollte. Sie zeigt sich schon in seinen folgenden Arbeiten: Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus (1933), Der Autoritäre Staat (1936), besonders deutlich jedoch in der kleinen Schrift. Die politischen Religionen von 1938 — eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der geistigen Tradition, in der Voegelin ihn sah. Wie er zuvor die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen gefunden hatte, so fand er im menschlichen Wesen nun auch die religiósen Wurzeln des Nationalsozialismus. Denn im Gegensatz zu dessen meisten Kritikern, sah er diesen nicht nur als moralisches und politisches Skandalon, über das man sich empóren konnte, sondern vor
allem als eine religiöse Erscheinung. , Religiós" freilich nicht im Sinne der alten Religionen, für die das Góttliche jenseits der Welt liegt, sondern ,religiós" im Sinne jener seit dem
Mittelalter in die Offentlichkeit drángenden Bewegungen,
die das Göttliche in , Teilinhalten der Welt finden", und in denen
er daher,
auch wenn
sie sich atheistisch
216
gebárdeten,
innerweltliche Religionen sah. Diese innerweltliche Religiosität aber sah er in ihrem Wesen als „Abfall von Gott" eine Haltung, die nur, wenn sie als solche erkannt wurde, angemessen bekámpft werden konnte. In den Arbeiten Voegelins kommt nun jenes existentielle Engagement zum Durchbruch, das nicht nur die Leser seiner Schriften faszinierte und seine Hörer an den Universitäten in Bann schlug, son-
dern das letztlich auch die Quelle seines eigenen unermüd-
lichen Schaffens darstellt. Der bios theoretikos des Wissenschaftlers stellt für ihn kein Leben der Muße dar; Wissenschaft selbst ist keine bloße intellektuelle Beschäftigung, sondern Teil des Kampfes um die Wahrheit der menschlichen Existenz und die sie begründende, doch auch ebenso von ihr bedingte Existenz der Wahrheit. Eine offene Kampfansage stellte denn auch seine nächste Schrift
dar,
die Voegelin
in den
USA
weit über
den
Kreis
der Fachwelt hinaus bekannt machen sollte — die 1952 erschienene New Science οἱ Politics. Die Erkenntnis nämlich,
die schon in den Politischen Religionen „Sakularisierung
des
Lebens,
mit sich führte, eben der Boden
welche
anklang,
daß die
die Humanitätsidee
ist, auf dem
anti-christliche
religiöse Bewegungen wie der Nationalsozialismus erst aufwachsen konnten", wird hier in einer prägnanten geistesgeschichtlichen Skizze ausgeführt, die Michael Oakeshott in seiner berühmten Rezension des Buches im Times Literary Supplement „one of the most enlightened essays on the character of European politics that has appeared for half a century"
nannte.
Aufklärung,
Humanismus,
Libera-
lismus, Positivismus und andere die Neuzeit bestimmende Bewegungen enthüllen sich unter seinem analytischen Blick als Momente eines geistigen Zusammenhangs, der sich durch die neuere Geschichte Europas zieht und in den totalitären Bewegungen der Gegenwart seinen politischen Ausdruck findet. „Gnostizismus” - die sie alle verbindende
Haltung weltimmanenter Selbstlösung - wird für Voegelin zum Signum und Wesen der Moderne. 217
Der Beifall, den seine Analyse des Nationalsozialismus ausgelöst hatte, schlug nun um in die Entrüstung derer — vor allem der aufgeklärten ,modernen" Intellektuellen -, die sich zu Unrecht angegriffen fühlten. Und ihre Zahl war groß, vor allem in der eigenen Zunft. Für die meisten von ihnen wurde Voegelin zum „Konservativen”, mit dem man sich somit nicht weiter zu befassen brauchte. Diesem Verdikt kam entgegen, daß Voegelin bei der Grundlegung seiner „neuen Wissenschaft der Politik” nicht nur auf das
Christentum zurückgegriffen
hatte, sondern
auch auf die
platonisch-aristotelische Gründung der episteme politike, in der er einen ersten gelungenen Entwurf einer Anthropologie sah, die dem Wesen des Menschen und seiner Teilhabe an allen Seinsbereichen gerecht wurde. Daß sie für ihn lediglich ein Anfang war, auf den man sich wieder besinnen und an dem man anknüpfen mußte, über den man aber natürlich hinauszugehen hatte, wurde in der selbstgerechten Entrüstung weitgehend übersehen. Das Verdikt war gesprochen, und Voegelin gelang es nur schwer, sich von diesen Mißverständnissen zu befreien. Das Programm, das Voegelin in der New Science nur knapp skizziert hatte, sollte in der ursprünglich auf sechs Bände angelegten Order and History im einzelnen ausgeführt werden. Sie sollten die geistigen Fundamente freilegen,
auf denen
die abendländische
Kultur
basierte,
aber
auch die Krise, in die sie schließlich geraten war. Sie sollten dem Gang und der Geschichte des Geistes nachspüren, aber damit zugleich auch dem Geist der Geschichte selbst folgen. Denn, so Voegelin im einleitenden Vorwort, „die Erforschung der Typen der Ordnung und ihrer symbolischen Formen wird zur selben Zeit eine Erforschung der
Ordnung
der Geschichte
sein, die aus ihrer Aufeinander-
folge emporsteigt". Die Nähe zu Hegel, dessen „imperatorischen weltordnenden Verstand" er schon früher bewundert hatte, ist deutlich spürbar. Doch die Bewunderung ist
ambivalent, das Gefühl für ihn gebrochen. Denn in Hegel 218
sieht Voegelin nicht nur den Denker, der „den Stoff der Geschichte in die Offenbarung des Geistes, zwang, sondern zugleich auch denjenigen, der in seiner Philosophie der Geschichte „den Logos der Offenbarung auf den Logos der Philosophie und diesen wiederum auf die Dialektik des Bewußtseins” reduziert hatte und damit dem Trugschluß erlegen
war,
„das
Bewußtsein
von
einem
sich
entfaltenden
Mysterium des Geistes in die Gnosis von einem Fortschritt in der Zeit" verwandeln zu können. Hegel wird der große Gegenspieler bleiben, der Antipode, dem er später noch einmal eine eigene, eigenwillige Studie widmet -- mit dem bezeichnenden Titel On Hegel - a Study in Sorcery (1971). Zu dieser Zeit aber hatte Voegelin den ursprünglichen Plan eines linear sich entwickelnden Ordnungsverständnisses, der Order and History zugrundegelegen hatte, wohl schon aufgegeben - vielleicht auch wegen der Nähe zu Hegel und Co., in die er dabei
geriet. Im vierten Band
von
Order
and
History jedenfalls, der schließlich 1974 nach langer Verzögerung unter dem Titel The Ecumenic Age erschien, war an die Stelle des linearen Prozesses ein komplexes Geflecht
von Bedeutungslinien nicht an den Wenn fast dritten und nicht allein
in der Geschichte getreten, die sich
Zeitlinien orientierten. zwei Jahrzehnte zwischen dem Erscheinen des vierten Bandes lagen, so war dies allerdings auf die theoretischen Schwierigkeiten zurück-
zuführen, die sich dem Unternehmen in den Weg
hatten. versität
gestellt
1958 war Voegelin, einem Ruf an die Münchner Unifolgend,
wieder
nach
Deutschland
Der Anfang gestaltete sich mühsam.
zurückgekehrt.
Nichts war vorhanden,
auf dem aufgebaut werden konnte — und es sollte noch einige Jahre dauern, bis das von ihm gegründete Institut für politische Wissenschaft durch weitere Berufungen ausgebaut und Voegelin selbst entlastet wurde. Eine Bibliothek, die internationalen Standards
entsprach,
fehlte ebenso
wie
wissenschaftliches Personal, das seinen Ansprüchen gerecht
wurde,
anfangs
auch Studenten für das unbekannte 219
neue
Fach,
für das
es noch
keine
eingefahrene
Berufs- und
Kar-
rierebahnen gab und das viele Studenten -- und wohl auch einige Kollegen - deshalb mit offenem Mißtrauen betrachteten. Doch das Miftrauen verwandelte sich bald in Interesse. Denn die Antrittsvorlesung Voegelins über das Thema „Wissenschaft,
Politik
und
Gnosis",
eine kompromiß-
und
schonungslose Abrechnung mit Hegel, Marx und Nietzsche, hatte Aufsehen erregt; seine offene, polemische Sprache, seine Streitbarkeit und Kompromißlosigkeit im Grundsátzlichen bei Teilen der Hörer Fassungslosigkeit ausgelöst. Diesen Ton war man nicht gewöhnt. Schon nach wenigen Semestern waren Voegelins Vorlesungen überfüllt. Doch es waren nicht nur seine analytische Schärfe und sein enzyklopádisches Wissen, das die Hórer anzog, auch nicht seine rhetorische Brillanz und die átzende Polemik, die auch nicht vor hohen Reprásentanten von Universitáten, Kirchen und der Politik halt machte. Es war wohl vor allem das existentielle Engagement Voegelins, das betroffen machte — auch die zahlreichen Hörer, die nicht das neue Fach studierten. Hier wurde keine ,Demokratiewissenschaft" vermittelt, auch kein totes antiquarisches Wissen, wie manche argwóhnt hatten, sondern Probleme behandelt, die jeden angingen. Hier wurde nicht flachbrüstige Zeitgeschichte be-
trieben, sondern die Ereignisse und Entwicklungen der Zeit an Maßstäben
gemessen,
setzt
sondern
wurden,
die nicht einfach dogmatisch deren
historische
Entstehung
geund
theoretische Valenz gerade den Mittelpunkt dieser ,neuen Wissenschaft von der Politik" bildeten. Noch Jahre spáter erinnerte man sich an Vorlesungen wie jene über die sog. „Spiegel-Affäre”, vor allem aber an „Hitler und die Deutschen" und „Die deutsche Universität im Dritten Reich". Als Voegelin nach seiner Emeritierung nach Amerika zurückkehrte, war das von ihm gegründete Institut zum größten seiner Art in der Bundesrepublik herangewachsen. Er
hätte stolz darauf sein können -- und war doch eher depri220
miert.
Denn
vieles
war
anders
gelaufen,
als
er
es
zehn
Jahre zuvor geplant hatte — inhaltlich, aber auch organisatorisch. Ein theoretisches Zentrum, wie er es sich vorgestellt hatte, das auf interdisziplinärer Basis die relevanten theoretischen und praktischen Probleme der politischen und historischen Existenz des Menschen durcharbeitete und dabei dem internationalen Forschungsstand gerecht wurde, war es jedenfalls nicht geworden. Dazu war der , Personenverband",
wie
er das
inzwischen
am
Institut versammelte
Kollegium gelegentlich ironisch nannte, zu heterogen. Und organisatorisch? Statt neuer, sachgerechter Strukturen nach dem Vorbild amerikanischer Political-Science-Departments, in denen sich die Vertreter der verschiedenen Disziplinen trafen und geistig austauschten, hatte er die Rückbildung der ersten von ihm initiierten Ansátze nach dem Muster der traditionellen Ordinarien-Universitát erlebt. Memoranden an das Kultusministerium waren wirkungslos geblieben. Die Enttäuschung schlug schließlich in Verbitterung um. Das Institut wurde ihm fremd - er selbst in ihm zunehmend zum Fremden. „Die Erziehung junger Menschen”,
so schreibt
er später
aus
Kalifornien
während
der
Querelen über seine Nachfolge, „war der wichtigste und erfreulichste Teil meiner Tätigkeit in München“. Daß es ihm nicht einmal möglich war, einen seiner eigenen Schüler als Nachfolger auf seinen Lehrstuhl zu bringen, traf ihn sehr; die spätere Umwandlung dieses Lehrstuhls in eine internationale Gastprofessur war eine Geste der Wiedergutmachung. Ob sie versöhnte? Vielleicht -- der Groll saß tief.
Doch der Entschluß zur Rückkehr in die Vereinigten Staaten hatte auch politische Gründe, Hintergründe. Denn
Voegelin sah Deutschland nicht nur noch immer tief in den braunen Schatten seiner jüngsten Vergangenheit, für deren mangelnde Bewältigung die Zeitungen täglich neue Belege
lieferten. In den ausgehenden
60er Jahren hatten zudem
die ersten Ausläufer der neomarxistischen Renaissance, der
Studentenbewegung,
der Anti-Vietnam-Demonstrationen 221
die Bundesrepublik erfaßt. 1969, unmittelbar vor der Abreise, finden sich in einem letzten Interview an eine Münchner Tageszeitung die bitterbösen Worte von den „sitzengebliebenen Dummköpfen der Tradition und den apokalyptischen Dummköpfen der Revolution", die es schwer machen,
in
Deutschland
frei
zu
arbeiten.
Der
Abschied
fiel
leicht. Wenn der Aufbau des Münchener Instituts und die Lehrverpflichtungen die eigene Forschung auch nicht gerade beflügelten, schien
ein
so lähmten neues
Werk,
sie diese doch ein
auch
Sammelband
nicht.
unter
1966
dem
er-
Titel
Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik. Gleich die ersten
Sätze
markieren
den
Punkt,
der
in seinem
Zen-
trum steht: „Die Probleme menschlicher Ordnung in der Ge-
sellschaft und Geschichte entspringen der Ordnung des Bewußtseins. Die Philosophie des Bewußtseins ist daher das Kernstück einer Philosophie der Politik”. Im Entwurf einer tragfähigen Philosophie des Bewußtseins sieht Voegelin von nun an seine Hauptaufgabe; noch seine letzte größere Schrift Wisdom and the Magic of the Extreme ist ihr gewidmet. Die Einsicht war nicht neu, sondern ergab sich folgerichtig aus der Weiterentwicklung seines bisherigen Ansatzes; sie mußte lediglich zu größerer Klarheit gebracht werden. Denn wenn den Entwürfen individueller und gesellschaftlicher Ordnung „Erfahrungen“ zugrunde liegen, die Einblick in die Stufen und Strukturen der Realität vermitteln, so mußte sich die Analyse von Ordnungsproblemen letztlich auf jenen Ort konzentrieren, an dem jene ,Erfahrungen" auftreten, faßbar werden - auf das menschliche Bewußtsein, auf seine Strukturen, seine Ordnung. „Die Ordnung des Bewuftseins" lautet denn auch der Titel des dritten Teils von Anamnesis, der nur eine einzige Studie enthält, das erheblich ausgearbeitete
Grundsatzreferat,
das Voegelin im Juni 1965 in Tutzing auf der Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft gehalten hatte: Was ist politische Realität? 222
Thema
war jedoch nicht nur die Ordnung
des Bewußt-
seins, sondern auch dessen Unordnung. Denn die Ordnung des Bewußtseins schließt — wie schon Platon in der Politeia gezeigt hatte — die Gefahr seiner Unordnung mit ein. Als Ursachen solcher Unordnung aber sah Voegelin weniger
die Unfähigkeit des Menschen,
jene Ordnung
konstituie-
renden ,Erfahrungen" zu machen, auszulegen oder nachzuvollziehen, als die Unwilligkeit, dies zu tun. Die mutwillige Verschließung gegenüber transzendentem Sein und den Bewegungen, die von ihm ausgehen, die moderne westliche Verweigerung,
seine Existenz
anzuerkennen,
und
die
sie begleitende Verkürzung der Realität auf ihre materielle Hülle erschienen ihm deshalb als die eigentlichen Wurzeln des Übels - der Sünde gegen den Geist und gegen Gott. Oder auch umgekehrt: denn dem Verlust der Transzendenz folgt der Verfall der Humanität. Solange der Mensch am Göttlichen partizipiert, ist er - zumindest theoretisch — gegen seine Verdinglichung und Versachlichung geschützt. Denn jeder Angriff auf den Menschen wird zum Angriff auf Gott. Ist diese Teilhabe aber nicht mehr vorhanden, dann wird er schnell zur verfügbaren Sache. Dann gilt Dostojewskis Satz: Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt. Dann fällt die Scheu und die Scham: der Mensch wird zur , Maschine" bzw. zu einer Ansammlung von Molekülen und Atomen, frei zur Manipulation durch Politik und Wissenschaft. Dem Menschenmord der Moderne geht deshalb bezeichnenderweise der Gottesmord voraus; und der Vergóttlichung des Menschen im Rahmen einer innerweltlichen Apokalypse, wie sie spekulativ von den Denkern des 19. Jahrhunderts vorgenommen wurde, entspricht ebenso konsequent seine Ent-Menschlichung. Die Wiedergewinnung der Menschlichkeit — und damit auch die Herstellung einer gesellschaftlichen Ordnung, die ihre Erhaltung ermöglicht - verlangte deshalb für Voegelin als notwendiges Korrelat die Beseitigung jener existentiel-
len Verschließung
und die Wiederherstellung 223
der Offen-
heit des Menschen gegenüber jenen Erfahrungen transzendenten Seins, die ursprünglich seine Göttlichkeit im Sinne der Teilhabe am göttlichen nous bzw. seine Gottesebenbildlichkeit im christlichen Verständnis begründet hatten. Die Philosophie des Bewußtseins ist bei Voegelin somit eng verknüpft mit der Suche nach Gott, was ihn in einer Zivilisation, die in der Nachfolge Comtes stolz darauf ist, die „theologische Phase” der Menschheitsentwicklung über-
wunden zu haben, verdächtig machen mußte. Vielleicht sogar unheimlich — vor allem in einer Wissenschaft wie der Politischen, deren Wurzeln zu ihren philosophischen Ursprüngen dünn und dürr geworden sind und deren Vertreter sich in ihrer Mehrzahl von den großen bewegenden Prinzipienfragen abgewendet haben und sich mit einer arbeitsteilig organisierten und auf zunehmende Spezialisierung abgestellten Erforschung der Phänomene der politischen Alltagswelt begnügen. Es ist somit kein Wunder, daß der Dialog mit ihnen im Laufe der Jahre seltener wurde und daß es vor allem die Philosophen und Theologen sind, die sich immer intensiver mit Voegelin auseinandersetzen. Bezeichnenderweise war es ein Manuskript für einen Vortrag vor der „American Academy of Religion”, an dem
Voegelin noch am Tage vor seinem Tode arbeitete: „Quod
Deus Dicitur” -- der Titel weist zurück auf das augustinische Motto, unter das er Jahre zuvor Order and History gestellt hatte: „In consideratione creaturarum non est vana et peritura curiositas exercenda;
sed gradus
ad immortalia
et
semper manentia faciendus." Die zunehmend stárkere Hinwendung Voegelins zu Problemen, die man gemeinhin als ,religiós" etikettiert, ist unbestreitbar. Und doch trügt der Eindruck, daß er sich im Laufe der Zeit immer mehr vom Bereich des Politischen entfernt habe;
dieser wird
selbst in den letzten Schriften noch
umfangreich behandelt. Nur sind die Perspektiven weiter geworden, in denen Voegelin Politik sieht. Ein Vergleich
drängt sich auf, oder besser: ein Symbol: In gewissem Sinne 224
ähnelte er jenem Menschen, den Platon in seinem Höhlengleichnis beschrieb und auf dessen Schicksal Voegelin
immer wieder zu sprechen kam. Auch bei ihm begann das Philosophieren der Wand,
mit dem
Unbehagen
an den
Symbolen
an
deren Leerheit er früh durchschaute; und auch er
wandte sich daher um und begann den mühsamen
Aufstieg
aus der Höhle, empor zur Quelle der Ordnung. Doch wie
jener, so wußte auch er, daß er die Höhle letztlich nicht verlassen konnte - oder eben doch erst zum Schluß, im Tode und daß ihm das Wissen, das er bei diesem Aufstieg gewonnen hatte, Verantwortung für das Schicksal jener auferlegte, die in der Tiefe der Höhle zurückgeblieben waren. In seiner Meditation Weisheit und die Magie des Extrems gibt er von diesem Gefühl der Verantwortung Rechenschaft. Auch der Philosoph darf nicht der Faszination des Extremen
erliegen,
sondern
muß
sich
der
Vielfalt
der
Be-
reiche, in die menschliche Existenz eingebettet ist und auch
bleibt, bewußt sein. Oder besser - und abschließend — mit seinen eigenen Worten: „DieErfahrungen der Partizipation an den verschiedenen Bereichen der Realität bilden den Horizont der Existenz in der Welt. Die Betonung liegt auf dem Plural ‚Realitätserfahrungen‘, gegenüber allen offen zu sein und sie in Balance zu halten. Das ist es, was
ich un-
ter
das
einer
philosophischen
Haltung
verstehe,
und
ist
auch die Haltung, die ich in der offenen Existenz aller gro-
Den Philosophen fand. Diese Offenheit gegenüber der Realität wiederzugewinnen, erschien mir immer tigste Aufgabe der Philosophie.“
225
als die wich-
Bibliographie der Schriften von Eric Voegelin Von Peter J. Opitz
I. Selbständige Veröffentlichungen 1928 1933 1933
1936 1938
Über die Form des amerikanischen Geistes. Tübingen, J. C. B. Mohr, 2465. Rasse und Staat, Tübingen, J. C. B. Mohr, 227 5. Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus. Berlin, Junker & Dünnhaupt, VIII + 160 S. Der Autoritäre Staat. Wien, Springer, VII + 289 S. Die politischen Religionen. Wien, 65 S. 2. Aufl., mit neuem
1952
1956
1957 1957
(10)
1959
(11)
1959
Bermann-Fischer,
Vorwort,
Stockholm,
Ber-
mann-Fischer, 1939, 67 S., erschienen in der Schriftenreihe , Ausblicke" des Verlages. The New Science of Politics/An Introduction. Chicago, University of Chicago Press, XIII + 193 S. New foreword by Dante Germino, 1987, XIV + 193 S. Order and History, Vol. I: Israel and Revelation. Baton Rouge, Louisiana State University Press, XXV + 5335S., Neudruck, 1958. Order
and
History,
Vol. II: The
World
of the Polis.
Order and History, Vol. III: Plato and Aristotle. Plato. Part One von Plato and Aristotle. Baton Rouge, Louisiana State University Press, XVIII + 389 5. Baton Rouge, Louisiana State University Press, XVII + 383 S. Wissenschaft, Politik und Gnosis, München, Kósel, 93 S. Die neue Wissenschaft der Politik. München, Verlag Anton
Pustet, 264 S., übersetzt von
226
Ilse Gatten-
hof; mit einem
(12)
1966
(13)
1968
(14)
1968
La Nuova Renato
1968
(16)
1970
(17)
1974
(19)
1975
(20)
1978
versehene
Überset-
mit
einer
Science of Politics von Einführung
von
A. Del
Noce: ,Eric Voegelin e la critica dell' idea di modernità." Zwischen Revolution und Restauration. Politisches Denken im 17. Jahrhundert. (Hrsg.). München, List Verlag, 180 S.; erschienen in der Reihe Geschichte des politischen Denkens, Bd. 1, hrsg. von Jürgen Gebhardt, Manfred Hennigsen und Peter J. Opitz. Il Mito del Mondo Nuovo, Saggi sui movimenti del
nostro
tempo.
Milano,
Rusconi,
153 S.; ital. Ubersetzung von Ersatzreligion (S. 19— 61) und Wissenschaft, Politik und Gnosis (S. 63— 151) von Arrigo Munari; mit einer Einführung von Mario Marcolla. Anamnesis: Teoria della Storia e della Politica. Milano,
(18)
von The New
Pavetto;
rivoluzionari
1972
Vorwort
Scienza Politica. Turin, Borla, 273 S.; ital.
Übersetzung
(15)
neuen
zung zur deutschen Ausgabe von The New Science of Politics. Sonderausgabe Stifterbibliothek im Universitátsverlag Anton Pustet, Salzburg, 1977, 270 S. Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik. München, R. Piper & Co. Verlag, 395 S. Science, Politics and Gnosticism. Chicago, Regnery, Gateway Editions 168, IX + 114 S.; engl. Übersetzung von Wissenschaft, Politik und Gnosis von William J. Fitzpatrick; mit einem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe. Im Anhang: Ersatzreligion.
Giuffré.
269
S.;
ital.
Übersetzung
von
Anamnesis von Carlo Amirante. Order and History, Vol. IV: The Ecumenic Age. Baton Rouge, Louisiana State University Press, XVII 4- 3408. From Enlightenment to Revolution. Edited by John H.
Hallowell.
Durham,
North
Carolina,
Duke
Uni-
versity Press, IX + 307 S. Anamnesis. Translated and edited by Gerhart Niemeyer. Notre Dame and London, University of Notre Dame Press, XXII + 217 S.; teilweise Über-
227
setzung
der
deutschen
Ausgabe,
mit
neuem
ersten
Kapitel. Nachdruck des ersten Kapitels in: Lawrence, Fred., ed. The Begining and the Beyond, Chico/Cal. 1984, S. 3 —41.
(21)
1980
(22)
1986
Conversations
with
Eric
Plato and Aristotle von
(23)
1986
(24)
1987
(25)
1988
Voegelin,
ed.
and
with
inroduction by Eric O'Connor, Thomas More Institute Papers 76, Montreal. Transcript of four lectures and discussions (S. J.) in Montreal in 1965, 1967, 1970 and 1976. 154 S. Ordine e storia. La filosofia politica di Platone. Bologna; ital. Übersetzung von Plato. Teil I von Gianfrancesco
Zanetti;
mit
einer Einführung von Nicola Matteucci. Political Religions; engl. Übersetzung von Die Politischen Religionen von T. J. DiNapoli und E. S. Easterly III mit einer Einleitung von Barry Cooper. Toronto Studies in Theology, vol. 23. (Der deutsche Text der 1939er Stockholmer Ausgabe ist im Anhang abgedruckt.) Lewiston, N.Y. Order and History, Vol. V: In Search of Order. Baton Rouge, Louisiana State University Press, 120 S. Ordnung, Bewußtsein, Geschichte. Hrsg. v. Peter J. Opitz, Stuttgart, Klett-Cotta Verlag. S. 253.
II. Aufsätze
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1922
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(28)
1924
1925
Leipzig,
Franz
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Neue
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Folge,
2. Bd.,
Zeitschrift
für
und Leipzig, Franz Deu-
ticke, IV. Bd. 1. u. 2. Heft, S. 80—131. Über Max Weber. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Halle, Niemeyer, Bd. III, S. 177—193.
228
(29)
1925
(30)
1926
(31)
1926
(32)
1927
(33)
1927
Zur Lehre von der Staatsform. Zeitschrift für Offentliches Recht, Wien und Berlin, Julius Springer, Bd. VI, Heft 4, S. 572—608. Kelsen's Pure Theory of Law. Political Science
(34)
1927
La Follette und die Wisconsin-Idee.
Die Zeit in der Wirtschaft. Archiv für SozialwissenSchaft und Sozialpolitik, Tübingen, J. C. B. Mohr, 93. Bd., Heft 1, 5. 186—211. Die Verfassungsmäßigkeit des 18. Amendments zur United States Constitution. Zeitschrift für Offentliches Recht, Wien und Berlin, Julius Springer, Bd. V, Heft 3, S. 445—404. Wirtschafts- und Klassengegensatz in Amerika. Unterrichts-Briefe des Instituts für angewandte Sozio-
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S. 309—321.
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1928
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(36)
1928
(37)
1928
Der Sinn der Erklárung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Zeitschrift für Offentliches Recht, Wien und Berlin, Julius Springer, Bd. VIII, Heft 1, 5. 692—120. Zwei Grundbegriffe der Humeschen Gesellschaftslehre. Archiv für angewandte Soziologie, Berlin, Selbstverlag des Instituts für angewandte Soziologie, Jahrgang
(38)
1928
Die ergänzende Bill zum Federal Reserve Act und die Dollarstabilisation. Mitteilungen des Verbandes österreichischer
(39)
(40)
1, Heft 2, 5. 11—16.
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Bankiers,
Jahrgang, Nr. 11/12, S. 321—328.
Wien,
X.
1928
Die ergänzende
1929
Werksgemeinschaft GmbH, 2. Jahrgang, 2. Heft, 5. 225—229. Die Souveränitätstheorie Dickinsons und die Reine
tionalwirtschaft,
Bill zum Federal Reserve Berlin,
229
Act. Na-
Nationalwirtschaft
und
Rechtslehre. Zeitschrift für Öffentliches Recht, Wien und
1929
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Springer,
Bd. VIII, Heft 3, S. 413
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1930
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(44)
1930
Die
(45)
1930
(46)
1930
ósterreichische
Zeitschrift
Bd., Max gie, Heft
(47)
1932
(50)
1935
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1929.
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Rudolf M. Rohrer, Jahrgang
1930/31,
Heft 1/2, S. 58—89. Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien. Zeitschrift für öffentliches Recht, und
Berlin,
Julius
Springer,
Bd. XI,
Heft
1,
S. 89—109. Das Sollen im System Kants. Gesellschaft, Staat und Recht, Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Festschrift für Hans Kelsen zum 50. Geburtstag, hrsg.
(49)
Carl
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Wien
1931
Berlin,
Heft 9, S. 585—615. Weber. Kölner Vierteljahrshefte für SozioloMünchen, Duncker & Humblot, Jahrgang IX, 1/2, S. 1—16.
Rechts, Brünn,
1931
Verfassungsreform
für Politik,
von
Alfred
Verdross,
Wien,
Julius
Springer,
1931, S. 136—173. ,Nachwort" zu Die Kunst des Denkens. Ein Buch für Jedermann von Ernst Dimnet. Herder & Co GmbH Verlagsbuchhandlung, Freiburg i. Br., 1932, S. 279 bis 296.
Le
Régime
Administratif.
230
Avantages
et
Incon-
vénients, zusammen
mit Adolf Merkl.
Mémoires
l' Académie Internationale de Droit Compare, II,
1935
1936
Troisiéme
Partie,
S.
126—149,
Paris,
de
Tome
Recueil
Sirey. Rasse und Staat. Psychologie des Gemeinschaftslebens, hrsg. von Otto Klemm, Jena, Gustav Fischer, 5, 91—104. Volksbildung, Wissenschaft und Politik. Monatsschrift für Kultur und Politik, Wien, Österreichischer Kulturverlag, I. Jahrgang, Heft 7, S. 594—003.
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Changes in the Ideas of Government and Constitution in Austria Since 1918. Three Reports by Otto Brunner, Eric Voegelin and Gregor Sebba. Austrian Memorandum
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Studies
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1940
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1940
(58)
1941
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The Journal
rida,
Southern
The
International
A New
Relations.
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Notre
Dame,
Intellectual
Technique
of Dynamic
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Indiana,
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Florida, The
Flo-
Vol.
2,
of Poliof
Notre
The Journal
Southern
Poli-
tical Science Ass., Vgl. 3, No. 2, 5. 154—168.
1941
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Mongol
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1944
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The
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Wahr-
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of
Dame,
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Notre
und
Indiana,
The
11,
4,
No.
Review
of Politics,
versity
of Notre
Nachdruck simons,
lem
Text
cionaria
Dame,
The
Thomas
University Spanische
in:
Notre
T.
La
of Man,
McAvoy, Dame
Übersetzung,
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Formación
ed.
Frank
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verkürzt
Hechos
232
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The
477
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Image
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Marxista,
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Uni-
S.
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The
1959,
M. A. FitzO'Malley, S. 265—291.
1950 und
mit vol-
la Idea
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de
e Ideas,
Buenos
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1951, Bd. XXII, S. 227—250. Italienische Übersetzung, La formazione della idea marxiana di rivoluzione,
Caratteri
Gnostici
della
Moderna
Politica
economica e sociale. 4 saggi di Eric Voegelin, hrsg. Giuliano Borghi, mit einem einführenden Essay von Gian
Franco
Lami,
Carteggi, Roma,
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1951
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1951
(70)
1951
(71)
1952
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of Notre
Notre
Dame,
and
Dame,
Nuovi
Formation. Indiana,
The
Vol. 13, No. 2, 5. 142—
Osterreichische
Gnostische
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Zeitschrift für Of-
Merkur,
Stuttgart,
Deutsche
Verlags-Anstalt, IV. Jahrgang, 4. Heft, S. 301—317. Italienische Übersetzung, Politica Gnostica, Trascendenza e Gnosticismo in Eric Voegelin, hrsg. von Giuliano Borghi, mit einem einführenden Essay von Franco
Lami,
Carteggi, Roma
1952
Utopia.
ed.
Hammer,
Carl
erschienen
In: Goethe Jr.,
Rouge,
The World of Homer. Dame,
after
Louisiana
5. 55—62.
Press Inc., Port Washington,
1953
in der
Reihe
Nuovi
1979, S. 137—179.
Goethe's
Press, Baton
(73)
Reihe
fentliches Recht, Wien, Julius Springer-Verlag, Neue Folge, Bd. III, Heft 4, S. 451—468. Wissenschaft als Aberglaube. Die Ursprünge des Szientifismus. Wort und Wahrheit, Wien, Herder, VI. Jahrgang, Heft 5, 5. 341—360. Deutsche Übersetzung von: The Origins of Scientism, 1948.
Gian
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Background
of Politics,
Utopia.
in der
1980, S. 81—130.
Prince:
Review
University 168.
erschienen
Two
Centuries,
State
University
Sowie
in: Kennikat
N. Y., 5. 57—62.
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Indiana, The University of Notre Dame,
Vol.
15, No. 4, S. 491—523.
(74)
1958
Der
(75)
1959
Jahrgang, 4. Heft, S. 325—339. Diskussionsbereitschaft. Erziehung zur Freiheit, ed. Albert Hunold, Erlenbach-Zürich und Stuttgart,
Prophet
Rentsch, sis,
1966,
1959,
Elias.
Hochland,
S. 355—372.
S. 239—253:
München,
Nachdruck
John
Stuart
Kösel,
50.
in: AnamneMill,
Diskus-
sionsfreiheit und Diskussionsbereitschaft. Englische
233
Übersetzung: On Readiness to Rational Discussion. 1961.
(76)
1959
Demokratie im neuen Europa: Festvortrag anläßlich der Eröffnung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Gesellschaft — Staat — Erziehung, Stuttgart, Ernst Klett/Moritz Diesterweg, 4. Jahrgang, Heft 7, S. 293—300. Nachdruck in: 25 Jahre Akademie
für
Politische
Bildung,
hrsg.
Akademie
für
Politische
Bildung,
Tutzing,
von
der 1982,
S. 20—31.
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El concepto de la , buena sociedad". Cuadernos del Congresso
por
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la
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Paris,
Suplemento 40, S. 25—28.
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1960
Religionsersatz. Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit. Wort und Wahrheit, Freiburg i. Br., Herder, XV. Jahrgang, Heft 1, S. 5—18. Englische Übersetzung im Anhang von: Science, Politics and Gnosticism, 1968, S. 81—114.
(79)
1960
La Société Industrielle à la Recherche de la Raison. Colloques de Rheinfelden, par Raymond Aron, George Kennan, Robert Oppenheimer et autres, Paris, Calmann-Lévy, 1960, S. 44—64. Deutsche Übersetzung: Die industrielle Gesellschaft auf der Suche nach der Vernunft,
in: Die industrielle
und die drei Welten, Das Seminar Zürich,
EVZ-Verlag,
1961,
Gesellschaít
von Rheiníelden,
S.46—
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1960
Der Liberalismus und seine Geschichte. Christentum und Liberalismus, Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern, Heft 13, ed. Karl
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München,
Übersetzung: view
Zink,
Liberalism
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Dame,
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1960,
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hrsg.
1974,
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M. Müller
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von
Schmaus, Freiburg— München 1960. Umgearbeitet in Anamnesis, 1966, S. 76—116. Umgearbeitet und erweitert
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1961
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1961
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No. 2,
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zung: Democrazia e società industriale, in: Caratteri Gnostici della Moderna Politica economica e sociale, hrsg. von Giuliano Borghi, Roma, 1980, S. 163—195. Der Mensch in Gesellschaft und Geschichte. Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. XIV, Heft 1/2, Julius Springer-Verlag, Wien, S. 1— 13. Italienische Übersetzung: L'uomo nella società e nella Storia, in: Caratteri gnostici della Moderna Politica
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hrsg.
von
Giuliano
Borghi, Roma, 1980, S. 131—161.
(92)
1965
Was ist Natur? Historica, Festschrift für Friedrich Engel-Janossi, hrsg. v. H. Hantsch, F. Valsecchi, E.
Voegelin,
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1966
Herder,
Wien/Freiburg/Basel,
S. 1—18;
Nachdruck in: Anamnesis, 1966, S. 134—152. Englische Übersetzung: Anamnesis, 1978, S. 71— 88. Die deutsche Universitát und die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Die deutsche Universität im Dritten Reich. Mit Beiträgen von Helmut Kuhn u. a., hrsg. von Ludwig Kotter, München, R. Piper & Co.,
S. 241—282. Nachdruck, Universität und Üffentlich-
keit: Zur Pneumopathologie schaft, Wort und Wahrheit, 518. Englische Übersetzung Intercollegiate Review, Vol. 27.
(94)
1966
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Was ist Politische Realität? Politische Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 7. Jg., 1966, Heft 1, Westdeutscher Verlag, Kóln und Opladen, S. 2—54. In erweiterter
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Namensregister zu den Schriften von Eric Voegelin
Aischylos
26, 112, 141
Alexander
Comte, A.
21
Anaxagoras
150, 202
Anaximenes
Descartes, R.
170
Doderer, H.
Eliade,M.
21, 22, 88, 93, 95,
55, 72
146
161
Feuerbach, L.
110, 115, 125, 128—134, 136—138, 145, 147, 154, 155, 167, 169, 173, 185, 202 Augustinus
184,185,187
Deutero-Jesaja
Anselm von Canterbury 197—191, 193, 196 Aristophanes 199 Aristoteles
85
Cromwell,O. 88
135, 136
Anaximander
85, 157, 166
Condorcet, L.
Frankl, V.
70, 178
146
Freud, S. 78, 79, 82, 145, 153, 178
42, 62, 63—66,
Gaunilo
73,110, 125, 139,189
191, 193
George, St.
88
Bauer,B. 70
Goclenius, R.
173, 187
Baumgarten, E. 98
Goethe,J. W. Gorgias 193
78, 88, 203
Becket, S.
145
Bergson, H.
110, 139
Hegel, G. W. F. 68—71, 78, 84, 110, 112, 116, 117, 145, 152, 154—157, 166, 178, 185, 188, 189 Heidegger, M. 83,145 Heraklit 72, 106,110, 112, 121, 125, 140, 178—179, 206 (Anm. 6) Herodot 68
Böhme, I. 116 Bossuet, I. 64, 66 Brentano 174 Bruno,G.
Buddha
116
36, 45, 72, 73
Caesar
88
Celsus
38
Christus
59, 65, 75, 167
Chrysippus
141,142,
Hesiod
144,
146, 196 Cicero 141—143, 197 Clauberg, J.
173, 187
Clemens v. Alexandrien 110
40, 50, 56, 59, 133,
167, 194, 195, 200, 201 Hitler, A. 146 Hobbes, T. 79,145 77,
Homer Horaz
259
38, 133, 198 143,149
James, W.
123
Jaspers, K.
71,
Jeremias
128—130, 133, 134, 136— 139, 141, 142, 149, 150, 152—155, 167, 173, 176, 177, 190, 193, 194, 196—198, 200—203 Plotin 125, 202, 203 Poseidonius 56, 58, 125, 144 Pythagoras 72, 73
74—76
169, 192
Johannes 189 Jung, C. G. 153 Kant, I. 49, 50, 73, 85, 87, 152, 187 Konfuzius
36, 45, 72
Konstantin der Große Lao-tzu
40, 63
Reinhold, K. Russel, B.
36, 45,71,72
Leibniz, G. W.
184,187
Lessing, G. E. 76 Lévy-Strauss, Cl. Lotze, R. H. 174 Luther, M. Marx, K.
145
Sartre, J. P.
Thomas
88, 155 78, 79, 82, 84—
110, 135, 200
von Aquin
Voltaire
110, 180,
87
36, 67, 71—73,
66, 67
Weber, Marianne Weber, Max Whitehead,
Wolff, Ch.
21, 22, 26, 38, 40, 43,
44, 50, 56, 58, 81, 86, 93, 106, 110, 112, 116—118,
63
Toynbee, A. 76
Pascal,B. 85, 106 Paulus 59, 63, 65, 110, 155 Philo 170 Picasso, P. 90 Platon
B. 88—90 130,133, 147, 199 O. 67, 73 146
Tolstoi, L.
56, 62
Parmenides
152
182—186, 188, 204 Thukydides 158
64,07
Panaitios
F. W. J. 12, 116,
Theodosius
87, 90, 175 Orosius
62,63
Shaw, G. Sokrates Spengler, Stalin, J.
47, 57, 59, 74
Nietzsche, F.
Scaevola Schelling, Schiller, F.
98
Napoleon
145
122, 146, 196
70,71, 78, 79,82,
84, 85, 145, 153, 158, 166, 178 Merleau-Ponty, M. 156 Mill,J. St. 88 Moses
91
Sabine,H. G. 13 santayana,G. 88
88
Morus, Th.
173
121, 125,
Xenophanes
256
91, 94, 98
78, 79, 82, 86, 87 A.N.
187 40
110, 161
Weltgeschichte zum Zeugen aufgerufen: Die Reichsorganisation des Alten Nahen Ostens und ihre kosmologischen Mythen,
das Auserwählte
Volk
Israels mit seinem Geschichtsverständnis, die Mythen und symbolischen Ordnungsformen der griechischen Polis: Wie lassen sich diese Formen mit dem Paradigma der Aufklärung fassen? Das Christentum und die Spätantike seit Alexander bescheren Europa so etwas wie eine (, Multi-Zivilisation",
schließlich
die modernen Nationalstaaten als Ausdruck autonomer und gewollter Identitáten. Der Bogen wird gespannt, um den
angeblichen Hóhepunkt der
Moderne
zu relativieren.
Der Autor: Eric Voegelin (1901-1985), mußte 1938 aus Wien in die
Emigration gehen. Er lehrte und
forschte an der Stanford University. 1958 wurde er nach München an das Geschwister Scholl Institut berufen. Bei KlettCotta erschien 1981 , The Philosophy of Order", die Festschrift zu Voegelins 80. Geburtstag. Die Louisiana State University Press bringt die vielbändige Gesamtausgabe des Werkes unter dem Titel , Order and History" heraus.
Der Bogen der Weltgeschichte wird gespannt,
um den angeblichen Höhepunkt
der Moderne zu relativieren.
3-608-91483-8