Leopold von Ranke: Eine Auswahl aus seinen Schriften [Reprint 2019 ed.] 9783486751307, 9783486751291


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German Pages 166 [172] Year 1925

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Der Werdegang der abendländischen Staaten- und Kulturwelt
A. Der alte Orient
B. Die Griechen
C. Die Römer
D. Die Gestaltung der christlichen Welt des Abendlandes
E. Die neue Zeit
F. Neueste Zeit
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Leopold von Ranke: Eine Auswahl aus seinen Schriften [Reprint 2019 ed.]
 9783486751307, 9783486751291

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Der Dreiturmbücherei

9t r.

Herausgeber: Jakob Brummer, München und Ludwig Hasenelever, Würzburg

1 7/1 S

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Leopold von Ranke Eine Auswahl auS seinen Schriften

von

Paul Ioachimsen

*

München und Berlin 1925 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Vorwort. Leopold von Ranke, der größte deutsche Geschichtschreiber, wurde am ar. Dezember 1795 tu Wiehe au der Unstrut geboren. Er starb am 23. Mai 1886 zu Berlin. Sein langes Leben ist ausgefüllt von einer Forscher, und Gestaltertätigkeit, die tu dem gesamten Bereich der Wissenschaften wenig Vergleichbares hat; in der Beschicht, schreib»ng steht ste einzig da. Dies wurde zunächst dadurch möglich, baß Ranke stch sehr ftüh über seinen eigentlichen Beruf klar «nrde. Scho« als Student in Leipzig fand er aus Theologie und PHUologie seinen Weg zur Geschichte, als Oberlehrer zu Frank, ft»rt a. d. Oder wurde er aus einem Lehrer der Geschichte zum Erforscher ter Quellen. Schon hier führte ihn das Studium der Alten zu tem Leben ter Nationen im 1$. Jahrhundert, „wo alle Keime, die bas Altertum gesäet, «och einmal aufgiagen". Mit seinem ersten Merk, das er hier schrieb und 1824 erst einen ließ, den Geschichten der romanischen und germanische« Völker 1495—1535, «ahm er seine« Standpunkt am Beginne der Neuzeit, um von da aus den Zusammenhang der europäische« Staaten, «ad Kulturwelt zu entwickeln. Das tat er in einer ganzen Reih« großer, in stch abgeschlossener Werke. Die wichtigsten stad in zeitlicher Reihenfolge: Die Osmaaen and die spanisch« Monarchie (1827), Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert (1834—36, später erweitert bis auf die neueste Zeit), Deutsche Ge, schichte im Zeitalter der Reformation (1839—43), Reun (später zwölf) Bücher preußischer Geschichte (1847—48), Französisch« Ge, schichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert (1852—56), Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert (1859—68), Geschichte Wallensteins (1869), Die deutschen Mächte und ber Fürstenbund (1871), Ursprung und Beginn der Revolu, tionskrtege (1875). Schon 1867 hat Ranke all diese Werke, vermehrt um eine große Anzahl kleinerer gedruckter und ungedruckter Stücke, in einer großen Ausgabe seiner „Sämtlichen Werke* zusammen, gefaßt, di« 1881 mit dem 48. Bande ihren vorläufigen Abschluß

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fand. Aber and diesem Rückblick auf sein Lebenswerk erhob sich der 84 jährige Greis, der längst für Lesen und Schreibe» sich fremder Hilfe bedienen mußte, zu einem neuen: 1880 erschien der erste Band der Weltgeschichte. Bis zu seinem Lode erschien alljährlich zu Weih, nachten eia Doppelband, ein 7. ist von ihm noch in den ersten Monaten des Jahres 1886 diktiert worden, er führt die Darstellung bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Das letzte, was Ranke selbst noch auf dem Sterbebette diktiert hat, «ar eine Betrachtung über bas Kaisertum unter Heinrich III. Aus seinen Papieren und älteren Darstellungen könn en seine Gehilfen die Erzählung bis ins 15. Jahrhundert führen. — Das Schlußwort lautet: „Unter solchen Umständen treten diese Nationen in die neuere Geschichte ein, in der es ihnen bestimmt ist, die Wel Herrschaft über den Ecdkreis an sich zu bringen und mit hoher Ausbildung eine unerschöpflich. Kraft zu vereinigen. Unter den gt ößten S ürmen bewahren sie Ihre weit, historische Tradttion, die es denn ist, woraus sie die Fähigkeit zur Bildung neuer Formen des Lebens schöpfen. Oie reformierten Kirchen, die sich dem Papsttum entgegen und an die Seite setzen, besitzen geradezu den Nerv ihrer Kraft In der geistigen Beziehung auf die ursprünglicheren Formen der auch nach der Trennung immer noch gemeinsamen Religion. In den großen Mächten, welche sodann nach dem Abschluß der konfessionellen Kämpfe nebeneinander auf, tre en, um miteinander um Vorrang und Einfluß in der Weit zu freien, erscheinen die vordem historisch gestalte.en Nationen in dem erhöhten Bewußtsein ihrer selbständige», einander ebenbürtigen Berechtigung. Oie bürgerlich,demokratische» Tendenzen endlich, die wir im 14. und 15. Jahrhundert zu lokalen oder doch partiku, leren Erhebungen emporiauchcn sahen, begegnen uns nunmehr wieder in den großen, immer weitere Kreise der Dölkerwelt erschüt, ternden Revolutionen. Ihnen gegenüber aber behaupten die alten Rechisordnungen der Staaten nicht minder ihren Platz. In unauf, hörltcher, immer neue Schöpfungen hervorbringender Bewegung, und dennoch In allen Grunbzügen sich selber treu, gleichsam in jedem Moment fein eigener Erbe, vollzieht flch so das welthistorische Geschick! Damit schließt flch nicht nur das Lebenswerk Rankes äußerlich zusammen, eS zeigt flch auch, wenn wir diese Worte mit de» eiulei, tenden Betrachtungen seines Jugendwerkes (s. u. Stück D 5) ver, gleiche», daß die ganze Lebensarbeit Rankes von einem durch, gehenden Gedanken getragen wird, der flch in seinen verschiedenen

Werken in immer neuer Abwandlung verfolge» läßt. Es ist eine t«gleich religiSse und philosophische Auffassung von dem Zusammen, Haug des Weltgeschehens, um deren Gestaltung er ringt. Mit 25 Jahren schreibt er au den Brüter Heim ich: »Noch wenig will der Nebel einhüllenden, aagewöhntea Irrtums weichen. Es muß auch beute geben, deren ganze Lust ein Studium ist, bas sie fasse«, zu denen rechn' ich mich. Mein Glück wäre etwas Tüchtiges voll, enden, vielleicht ist mirs versag:; so sei mein Glück, nach etwas Tüchtigem zu streben: das will ich mir nicht vetfagea. Ist es weltlich? fragst Du. Giebt es wohl etwas Wel.licheS auf der Welt, et, was Gottloses? Ruhet nicht alles auf dem ewigen Gute, dem mütter, ltcheu Erdboden uud dem, der ihn geschaffen? Will nicht alles hinauf zu dem ewigen Glück, der ewigen Hoffnung und streckt die Arme gen Himmel zu dem, der thu geschaffen, der da oben wohnt nach aller Völker Ausspruch?" — Und schon vorher: »In aller Geschichte wohnt, lebet, ist Sott zu erkennen. Jede Tat zeuget von ihm, jeder Augenblick prediget seinen Namen, am meisten aber dünkt mich der Zusammenhang der große» Geschichte. Er steht da, wie eine heilige Hieroglyphe, au feinem Äußersten gefaßt und bewahrt, vielleicht damit er nicht verloren geht künftigen Jahrhunderten. Wohlan! Wie es auch gehe und gelinge, uur daran, daß wir au unserem Teil diese hell'ge Hieroglyphe euthüllen! Auch so biene» wir Sott, auch so sind wir Priester, auch so Lehrer." Es schien mir möglich diesen Zusammenhang der großen Se, schichte, wie ihn Ranke sah, auch in einer Auswahl zur Anschavuag zu bringen. Dadurch uuterfcheidet sich diese Auswahl von anderen schon vorhandenen. Es «ar dabei alkrbtngs nötig, innerhalb der ausgewählreu Stücke kleinere und größere Patttea auszulassea, «0, bet sich nicht vermeiden ließ, baß gelegentlich Hiuweise auf so Aus, gelasftaeS stehen geblieben sind; anderseits ist wohl auch et« und das, selbe Ereignis in mehreren Stücken erwähnt. Doch dürfte bas den Zusammenhang und den Aufbau des Ganzen kaum irgendwo stören. Es «ar ferner nötig für die ältere» Zeiten auch Stücke aufzunehme«, die nicht mehr überall dem heutigen Stande der Wissenschaft enb sprechen. Doch möchte ich, daß sich das Augenmerk des Lesers überhaupt nicht so sehr auf die erzählte« Tatsachen richte, als eben aufbie Stellung und Wertung, die ihnen Ranke in seiner uatversalhiflortschea Ans, fassung gibt. Ich wünsche deshalb, baß man dies Büchlein fortlaufend lese und damit Lust bekomme zu den Werken selbst zu greifen. Es flad entuommea: die Einleitung und die Stücke in A, B, sowie Stück

i, 3 und 4 von D aus der Weltgeschichte, D 2 uvd E 5 aus Die rö, mischen Päpste, D 5 auS de« Geschichten der romanisch«« «ad ger, mantscheu Völker, E1—4 auS der Deutschen Geschichte tm Zeitalter der Reformatio«, 6 avS Zur Deutschen Geschichte vom Religion-, stieben bis zum Dreißigjährige« Krieg, 7 au- Die große» Mächte, 8 au- der Französische« Geschichte, 9 «ad 10 au- der Englischen Ge, schichte, ii an- Der Urspruwg de- Siebenjährigen Kriege-, iruad iz an- die Deutschen Mächte und der Fürsienbunb, F1 au- Ursprung und Beginn der Revolution-kriege, die Stücke r—4 stehen in den Sämtlichen Werken Bd. 49/50 S. 67 ff. und Bd. 51/52 S. 557 und 576. Die erste nad bi- heute beste Würdigung Ranke- hat Alfted Dove in der Allgemeine« deutschen Biographie, Db. 27, gegeben. Der Aussatz ist mit anderen, für da- Derstäadat- Ranke- wich, tigea in Dove- Au-gewählten Schrtstchen vornehmlich historischen Inhalt-, 1898 abgedruckt. AIS Einführung in die einzelnen Werke ist Eugen Guglia, Leopold v. Ranke- Leben und Werke, Leipzig 1893, zu empfehlen. Don Han- F. Helmolt haben wir ein kurze- Leben Rauke- 1921 nad eine Raukebibliographie 1910. Die Bedeutung der geschichtlichen Betrachtung-weise Ranke- lernt maa vor allem auS den Aussätzen von Max Lenz (jetzt in dessen Kleinen historischen Schriften 3 Bde., München 1910 ff., besonder- Bd. 2) kenn«. Die Werk« Ranke- stad einzeln und in k'etneren Sammlungen wiederholt oeugebruckt. Eine historisch,kritische Gesamtau-gabe mit Benützung de- Nachlasse- «ad aller Hilfsmittel erscheint, von mir heran-gegeben, tm Drei Ma-k«averlag, München, al- An-gabe der Deusschea Akademie.

München, Oktober 1925-

Paul Joachimsen.

Inhaltsverzeichnis. Seite

Dorwort......................................................................................................................5 Die Aufgabe einer Weltgeschichte vom Standpunkt der Entwicklung des Abendlandes..............................................................................................13 A. Der alte Orient 1. Amon,Ra, Baal,Jehova und daS alt« Ägypten............................. 16 2. Medo,Persische- Reich............................................................................25

B. Die Griechen 1. Homerisches Zeitalter............................................................................29 2. Die Kolonisation und ihre Wirkuageu............................................ 32 3. DaS Werk d«S Solan........................................................................... 35 4. DaS Ergebnis der Perserkriege..........................................................36 5. StaatSverwaltuug des PerikleS.......................................................... 36 6. Die maiedontsche Weltmacht a) Betrachtung......................................................................................... 41 b) Der Zug Alexanders nach Persien............................................ 42 c) Die Ergebnisse seine- Lebens ..................................................... 44 C. Die Römer 1. Der Charakter der alte« römischen Überlieferung.......................... 47 2. HanntbalS Alpeoübergang...................................................................49 3. Die Bedeutung des Hannibalischen Kriege-................................... 50 4. Dor der Schlacht bei Zama .............................................................. 51 5. Haontbal und Scipio............................................................................54 6. Der Übergang der griechischen Btldnag aufRom........................55 7. DaS Wesen der römischen MachtauSbreituag...............................61 8. Cäsar als Herrscher..................................................................................63 9. Cäsar- Ermordung................................................................................ 66 10. Prinzipat des AugustuS.......................................................................68 D. Oie Gesialtuag der christlichen Welt de- Abendlandes 1. Jesu- Christus......................................................................................... 73 2. DaS Christentum in dem Römischen Reiche .............................. 76 3. Kaisertum und Papsttum....................................................................... 82 4. Die hierarchische Gestaltung de- Abendlandes iw 13.Jahrhundert 85 5. Do« der Einheit der romanische« und germanischen Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung.......................... 90

ent»

E. Die neue geit 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. ix. 12. 13.

Anfänge Luthers..............................................................................103 Die Lage Deutschlands im Jahre 1521..................................... 107 Die Lage deS deutschen Protestantismus im Jahre 1535 . . 110 Die Stellung Karls V. im Jahre 1549.................................114 Ignatius von Loyola.....................................................................117 Deutschland in der zweiten Hälfte deS 16. Jahrhunderts . . 121 Die Bedeutung der Nationalstaaten der neueren geit ... 127 DaS Königtum Ludwigs XIV........................................................128 DaS englische Parlament................................................................ 131 Cromwell...........................................................................................134 Die Grundlagen der preußischen Machteatwicklung...............137 Der Staat Friedrichs deS Großen.............................................. 139 Der AuSgang Friedrichs deS Großen......................................141

F. Neueste Zeit 1. Die französische Revolution und Europa.................................144 2. Frankreich und Deutschland nach der Julirevolution .... 153 3. Der Deutsch,franzöflche Krieg....................................................... 157 4. Das neue deutsche Kaisertum........................................................ 164

Der Werdegang der abendländischen Staaten- undKulturwelt

Die Aufgabe einer Weltgeschichte vom Standpunkt der Entwicklung des Abendlandes. Oie Erde war bewohnbar geworben nnd wurde bewohnt; die Völker waren geschieden und standen in mannigfaltigen De, ttehungen untereinander; fle besaßen Anfänge der Kultur, lange bevor die Schrift erfunden «ar: und auf diese allein ist doch die Geschichte angewiesen. Nur baö kann fle unternehmen, was sie mit ihren Mitteln erreichen vermag. Wie könnte flch der Seschichts, schreib«: zuttauen, das Geheimnis der Urwelt, also das Verhältnis der Menschen zu Gott und der Natur zu enthüllen? Man muß diese Probleme der Naturwiffenschast und zngletch der religiösen Auffassung anhetmgeben. An die Urwelt grenze» die Monumente einer noch immer un, vordenklichen Zett, gleichsam die Portale der Geschichte. Sie haben immer das Wunder nnd Rätsel der lebenden Generationen ausge, macht. Zn dem letzten Jahrhundert hat man fle bejstr kennen gelernt und ist ihrem Verständnisse näher getreten, als jemals früher. In unseren Lagen find tu den Ruinen verschütteter Städte Bauwerke aufgedeckt worden, an deren Wände« die einst mächtigsten Fürsten der Welt ihre Laten haben aufzetchnen lasten. Allenthalben widmet man der Erforschung der Altertümer et« Studium, das durch eine Art vou Pietät belebt wird; Kunst uad Altertum «erden gleichsam identische Begriffe. Mau verbindet damit die leider uur sehr ftagmen, tarischeu Denkmale der alte« Götterdtevste, Religionen, Staats, Verfassungen, welche auf uns gekommen find. Zeder neue Fund wird alt glückliche Entdeckung begrüßt. Um die verschiedenen Mittelpunfte her habe« flch Studienkreise gebildet, deren jeder ein eigenes Fach ausmacht und eine besondere, ihm gewidmete Lebenstätigkeit erfor, bett. Und zugleich ist eine allgemeine Sprachwissenschaft empor, gekommen, welche, auf ausgebreiteter und eingehender Gelehrsamkeit beruhend, die Dölkerverwandtschaften voneinander zu scheibeu und einander gegenüber zu bestimmen mit Erfolg unternimmt. Für den Unterricht der Laien nicht allein, sondern für die Orten# tierung der Mitarbeitenden selbst wäre nichts erwünschter als eine

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genetische Durcharbeitung dieser Stubieukreise und ihrer gegenseitige» Beziehungen. Eine solche Arbeit würde einer Enzyklopädie des historischen Wissens zur Zierde gereichen, aber in die Weltgeschichte könnte sie keine Aufnahme finden. Diese hat sich nur die evidenten Resultate der Forschung zu eigen zu machen. Die Geschichte beginnt erst, wo die Monumente verständlich werben und glaubwürdige schriftliche Aufzeichnungen vorliegen. Dann aber ist ihr Gebiet ein unermeßliches. In der Bedeutung, die wir mit dem Worte verbinden, umfaßt Weltgeschichte die Begebenheiten aller Nationen und Zeiten, wohlverstanden jedoch, nicht ohne eine nähere Bestimmung, welche ihre wissenschaftliche Behandlung erst möglich macht. Dor alters hat man sich mit der auS prophetischen Sprüchen überkommenen Vorstellung von den vier Weltmonarchien begnügt. Noch im 17. Jahrhundert herrscht« dieselbe vor; im 18. aber wurde sie durch den Fortgang deS allgemeinen Lebens zersprengt. Oer Be, griff der Weltgeschichte wurde durch den Umschwung der Ideen gleich, sam säkularisiert. Besonders durch die Publikation einer voluminöse« Dölkergeschichte unter dem Titel „Geschichte der Welt", die in England anS Licht trat und bei den deutschen Gelehrten entgegenkommende Aufnahme fand und einen gleichartigen Fleiß bei ihnen hervorrief, wurde «S unmöglich, an der bisherigen Auffassung festzuhalten. Aber auch bei der Geschichte der verschiedenen Völker konnte man nicht stehen bleiben. Eine Sammlung der Dölkergeschichte» in engerem oder weiterem Rahme» würde doch keine Weltgeschichte auSmachev: sie würde den Zusammenhang der Dinge auS den Ange» verlieren. Eben darin aber besteht die Aufgabe der welthistorische» Wissenschaft, diesen Zusammenhang zu erkennen, den Gang der großen Begebenheiten, welcher alle Völker verbindet und beherrscht, vachzu, «eisen. Daß eine solche Gemeinschaft stattflndet, lehrt der Augenschein. Die Ursprünge der Kultur gehören einer Epoche an, deren S«, heimviS wir nicht zv entziffern vermöge«. Aber ihre Entwickelung bildet die durchgreiftvbste Erscheinung der Zeiten, von welchen eine glaubwürdige Überlieferung vorhanden ist. Rur unvollkommen wird ihr Wesen durch ein einzelnes Wort auSgedrückt. ES umfaßt zugleich das religiöse und daS politische Leben, die Grundlagen deS RechtS und der menschlichen Gesellschaft. Zutveilea sind wohl die von uralter Zeit vererbte» Zustände eines oder deS andere» orientalische« DolkeS als Grundlage von allem be, trachtet worden. Unmöglich aber kann man von den Völkern eines ewigen Stillstandes auSgehev, um die innere Bewegung der Welt,

geschichle zu begreifen. Die Nationen können in keinem anderen Zusammenhang in Bettacht kommen, als inwiefern sie, die eine auf die andere wirkend, nacheinander erscheinen und miteinander eine lebendig« Gesamtheit ausmachen. In dem, was wir Kultur oder Zivilisation nennen, liegt eines der wirksamsten Motive ihrer inneren Entwicklung. Wollte man für diese ein bestimmtes Ziel angeben, so würde man die Zukunft ver, dunkeln und die schrankenlose Tragweite der welthistorischen Bewegung verkennen. Innerhalb der Grenzen der historischen Forschung ttettn uns nur die mannigfachen Phasen, in denen dies Element zur Er, scheinung kommt, vor Augen, und zwar zugleich mit dem Widerstand, den es bei jeder seiner Formen in den eingeborenen Eigentümlich, ketten der verschiedenen Völker und Stämme findet. Auch diese haben ihr ursprüngliches Recht und ein unbezwingliches Innere. Keineswegs allein auf den Kulturbestrebungen aber beruht die geschichtliche Ent, Wickelung. Sie entspringt noch aus Impulsen von ganz anderer Art, vornehmlich dem Antagonismus der Nationen, die um den Befltz des Bodens und um den Vorrang untereinander kämpfen. In diesem Kämpft, der allezeit auch die Gebiete der Kultur umfaßt, bilden flch historische Weltmächte, welche unaufhörlich um die Herrschaft mit, einander ringen, wobei denn das Besondere von dem Allgemeinen nmgestalttt wird, zugleich aber auch flch gegen dasselbe behauptet und reagiert. Die Weltgeschichte würde in Phantasten und Philosophen«« ausarttn, wenn fle sich von dem festen Boden der Rattonalgeschichten losreißen wollte; aber ebensowenig kann fle an diesem Boden hasten bleiben. In den Nationen selbst erscheint die Geschichte der Mensch, hett. Es gibt ein historisches Leben, welche- flch ftrtschreitend von einer Nation zur anderen, von einem Dölkerkrels zum anderen bewegt. Eben in dem Kampf der verschiedenen Dölkersysteme ist die allgemeine Geschichte entsprungen, sind die Natioualitättn zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen; denn nicht durchaus uatvrwüchflg find die Nationen. Nationalitäten von so großer Macht und so eigentümlichem Gepräge, wie die englische, die italienische, find nicht sowohl Schüp, fungen des Landes und der Raste, als der großen Abwandlungen der Begebenheiten. Was hat es nun aber auf sich, das allgemein« Leben der Mensch, heit und das besondere «venigstens der vorwalttndea Rationen zu erforschen und zu verstehen? Man bürste dabei die Gesetze der historischen Kritik, wie fle bei jeder Untersuchung im einzelnen geboten

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stad, nicht etwa hiatausetzea. Vraa nur kritisch erforschte Geschichte kaaa als Geschichte gelten. Der Blick bleibt immer ans das Allgemein« gerichtet. Aber avS falschen Prämissen würden sich falsche Äonfln# (tonen ergeben. Die kritische Forschung auf der einen, da- zusammen, fastende Verständnis auf der anderen Seite kbanen einander nicht anders als unterstützen.

In Gespräch mit vertrauten Freunden habe ich öfter die Frage erwogen, ob es überhaupt möglich sei, eine Weltgeschichte in diesem Eioue zu verfasten. Der Schluß «ar: den höchsten Anforderungen zu genügen, sei wohl nicht möglich, aber notwendig, es zu versuchen. Einen solchen Versuch biete ich dem Publikum dar. Mich leitet dabei noch der folgende Gesichtspunkt:

Im Lauft der Jahrhunderte hat bas Menschengeschlecht gleichsam einen Besitz erworben, der in dem materielle» und dem gesellschaft, lichea Fortschritt, dessen es sich erfteut, besonder- aber auch in seiner religiösen Entwickelung besteht. Einen Bestandteil dieses Besitzes, sozusagen das Juwel desselben, bilden die «asierblichea Werke des Genius in Poesie und Literatur, Wisteaschast und Jtunft, die, unter lokalen Bedingungen entstanden, doch das allgemein Menschliche repräsentieren. Dem gesellen sich, uuzertteanbar von ihnen, die Erinnerungen an die Ereignisse, Gestaltungen und großen Männer der Vorzeit bet. Eine Generation überliefert sie der anderen, und immer von neuem mögen sie aufgestischt in das allgemeine Gedächtnis zurückgeruftv «erden, «ie ich das zu «uteruehmen den Mut und das Derttauen habe.

A. Der alte Orient. i. Amon,Ra, Baal, Jehova und das alte Ägypten Die kosmische» Erscheinungen, von denen das Leben auf Erden überhaupt bedingt wird, beherrschen dasselbe doch nirgends so ein, greifend, «le auf dem dunkeln Erdreich, das man Ägypten nannte. Alles beruht darauf, daß der Ml durch seine Überflutungen die Ufer, lande mitten in der Wüste zu einem kulturfähigen Boden machte und durch seine steten Anschwemmungen den Meerbusen, an den es zu­ nächst stieß, nach und nach zu einer der reichsten Ebenen umschuf, welche die Erde kennt. Chemische Analyse hat erwiesen, daß es nirgends einen fruchtbareren Boden gibt, als den vom Nilschlamm gebildeten. Run sind aber diese Ergießungen, die das Land nicht allein ftuchtbar

gemacht, sondern zum Teil selbst geschaffen haben, an bestimmte Zeiten in dem Wechsel des Jahres gebunden. Eie treten, «en« gleich nicht immer in gleicher Stärke, aber doch unfehlbar zu den einmal bestimmten Zeiten ein. Ganz von der Natur umfangen, bildete das ägyptische Volk, in dessen Sprache man Urverwandtschaft mit den semitischen zu entdecken meint, eine ihm doch selbst ausschließend eigentümliche Religion, die eben in jenen kosmischen Beziehungen «urzelte, und ein« entsprechende Staatsverfaffung aus. Denn wie das Ereignis der Über­ flutung das gesamte Land beherrschte, überall wirksam, aber doch nur Eines «ar, so bedurfte dasselbe auch einer allgemeinen Macht, nm die Gewässer in die Landschaften zu leiten, die sie sonst vielleicht nicht erreicht hätten, die jeden Augenblick zerstörten Grenzen des indivi, duellen Eigentums «ieberherzustellen. Den» ein solches gab es; das Volk würde sonst nur zur Sklaverei verdammt gewesen sein. Wo die Verhältnisse des Landanbaues die regelmäßig etngewohnten find und bleiben, kann sich ein Landadel einrichten, der, in Städte zusammen, tretend, republikanische Forme« annimmt. Hier aber, wo der Bestand des Besitzes von Ereignissen, die alle gleichmäßig treffen, abhängig wird, ist die Dorausstcht einer höchste« Gewalt und deren lebendige Fürsorge notwendig. Die Gottheit, deren ordnende Hand in dem Laust der Sonne, von welchem alles abhängt, zu erkenne« ist, und der König, welcher die sichernden Anordnungen auf Erben trifft, gehören in der Idee ««bedingt zusammen. Auf den Denkmäler« fleht man wohl den König die bildlichen Repräsentanten der Bezirke, eine« jede« mit Attributen, die flch auf den Landbau beziehe«, dem Gott vor, stelle«. Die Götter treten unter abweichenden Namen auf, eben wie sie in den Hauptstädten und den Landbezirken verehrt «erde«. Den vornehmsten von ihnen, Ra, Ptah, Amon, werden dieselben Be, zeichnungen beigelegt. Sie bilden nur eine einzige Gottheit unter verschiedenen Namen. Einem Heros, der den Gott Amon schauen wollte, wurde dies versagt: denn die Gottheit gebe flch nur in ihren Wirkungen kund unttr mancherlei Gestalt. Der Gott ist nicht eigent, lich Weltschöpfer. Er hat nicht gesagt: „Es «erde Licht", — „und es ward Licht"; er hat die Sonne gerufen, die also schon da war, und ihren Lauf geordnet. Es gibt doch entgegengesetzte Elemente, welche die von der Gottheit eingeführte Weltordnung zu zerstören bemüht find. Oie Gottheit wirb mit dem das Leben begründenden Nil wieder identifiziert sowie mit der Sonne selbst ; fie tritt «och unmittelbarer in der animalischen Natur hervor, als in dem Menschen.

xvii-xvm/2

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Der Stier Apis ist das lebendige Abbild des Gottes Ostris, der besonders als der Geber alles Guten gedacht wird.

Der Mensch wird nicht als eine Inkarnation des Gottes betrach, tet, obwohl die Sage ihn aus dem Auge desselben, der Sonne, tut# springen läßt.

Aber er «ar anfangs selbst ohne die Sprache; diese

und alles andere habe« ihn die Götter gelehrt. Der religiöse Kultus ist daS vornehmste Geschäft des Ägypters; es gibt eigentlich nichts Profanes in diesem

Lande, eine zahlreiche Priesterschaft verttitt

diesen Kultus an jeder Stelle; aber diese Priesterschast ist zugleich im

Besitz der Kenntnisse und der Erfahrungen, welche alles regeln. Und nicht etwa verächtlich darf man von diesen Kenntnissen reden. Die Ägypter haben de« Lauf der Sonne, wie er auf Erden erscheint, nach welchem das Jahr abgeteilt wurde, hierin wetteifernd mit Baby,

Ion, auf eine wissenschaftliche und praktisch anwendbare Weise bestimmt, so daß Julins Cäsar den Kalender von de» Ägypter« herübernahm und im Römischen Reich einführte, dem die anderen Nationen folgten, worauf er siebzehn Jahrhunderte laug in allgemeinem Gebrauche gewesen ist.

Der Kalender möchte als die vornehmste Reliquie der

ältesten Zetten, welche Einfluß in der Welt erlangt hat, gelte» können.

Damit hängt nun aber auch die Autorität des Königtums zu,

sammeu. Der König ist nicht allein von Gott gesetzt; er ist selbst vom Stamme Gottes; er geht zu demselben zurück, wenn er stirbt. Niemals hat es Herrscher gegeben, welche es sich mehr hätten angelegen sein lassen,

der Vergänglichkeit der Dinge unvergängliche Denkmäler entgegen,

zusetzen. Wie wird dem Wanderer auf dem Pyramtdenfelde zu Gizeh so stille zu Mut, im Angesicht der gigantischen Denkmale des höchsten

Altertums und inmitten ihres Geheimnisses.

Einsam stehen sie da,

tu der Zeit, wie in dem Raume. Was ein großer Feldherr neuerer Zett seinen Truppen zurief, vierzig Jahrhundert sähen auf sie herab,

ist vielleicht noch nicht ausreichend. Ungezählte Jahrhunderte sind es, die von den Pyramiden auf die heutigen Geschlechter

herabblicken.

Ägypten bestand in seiner alle Teile des Landes umfassenden Einheit. Es «ar reich und blühend, die Kornkammer für alle benach,

barten Stämme, die das Land damals umschwärmten, wie eigentlich noch heute. Aber die Angriffe wurden allmählich stärker, als die Der, teidigung. Die Fremden nahmen das Delta ein und drangen selbst

noch «eiter vor. Cs waren arabische DedutnenstLmme; in den Grab, kammern finden sich auch phönizische Namen. Eine alte Behauptung

ist, daß kanaanitische Stämme, namentlich Philister, au der Eroberung teil hatten; 18

sie werden von den Späteren Hyksos genannt, unter

welchem Namen man arabische Führer angedeutet zu sehen meint. Es sind die Hirtenkönige, welche die Sage mehrere Jahrhunderte hindurch über das utedere Ägypten herrschen läßt: denn auf zweifel#

haste Berichte sind wir auch hier angewiesen. Auf de« Denkmalen hat man noch nicht einmal den Namen Hyksos gefunden. Unleugbar ist, daß durch de» Götterbienst, den sie mitbrachteu, der ägyptische »et# drängt wurde; der Name des Gottes Sntech, de« sie vor allem »er# ehrten, bezeichnet keinen anderen, als Baal, de« die Kanaaniter anbeteten. Es «ar ebenso ein religiöser Gegensatz, wie eia politischer. Aus einem fragmentarischen Papyrus entnimmt man, daß eine Bot# schast von dem Häuptling der Hirten an den Fürsten des Mittags ge# richtet «nrde, wahrscheinlich doch den Pharao der Thebats; daß dieser anssprach, er könne nicht zugeben, daß In dem Lande ein anderer Gott verehrt werde, als Amon#Ra. Aus diesem doppelten Gegensatze entsprang dann ein Krieg, durch welchen Agypen sich nach nnd nach

der schweren Fremdherrschast entledigt hat. Darin würde nun an sich keine Begebenheit von universaler Wichtigkeit liegen; Ägypten stellte sich eben nur so her, wie es stüher gewesen «ar. Aber der große Erfolg hatte das Selbstbewußtsein der Ägypter erweckt. Es gab jetzt nur einen König, der den Titel des oberen nnd des unteren Landes führte. Mau hatte die Feinde allenthalben ausgestoßen; man trat mit den Arabern in kommerzielle Verbindung; man fühlte sich mächtig tu den Waffen und reich versehen mit allem, was man zum Kriege brachte. Da geschah es, daß Thutmosts l. den Entschluß faßte, die in den letzten Epochen erlittene Unbill an den Feinden des Landes zu rächen, wie es eine Inschrift ausdrückt, „sein Herz zu waschen". Ahn#

ltches ist wohl alle Zeiten und aller Orten geschehen; hier aber hatte der Versuch der Rache einen Erfolg, der Über die btshttigen territorialen Verhältnisse hinausführte und immer forttvirkend die größten Weltveränderungen veranlaßt hat. Thutmosis I. gehört der glän# zenden Reihe von Pharaonen an, welche als die achtzehnte Dynastie bezeichnet «erden. Seine Züge gingen besonders gegen Ruten, unter welchem Namen man Palästina und Syrien versteht. Vollkommen Überwunden war jedoch Baal und Dölkersystem, da- ihn anbetete, keineswegs. DteBa«üreligiou, die sich von den Euph# ratländern Über einen großen Teil von Dorderasien ausgebreitet hatte, «ar ebenso mit Kulturelenrenten durchdrungen wie die ägyp# tische. Der Hauptunterschied möchte darin liegen, daß die ägyptische, indem sie von dem Anbau des Niltales abhiug, einen lokalen Charakter ttug, während die babylonische von universaler Natur war und einen

Glauben handeltreibender Nationen bUbete. Aber die astronomische« Stadien nad Wahrnehmungen waren ein Gemeingut; die Chaldäer, deren Ruhm in der ersten Begründung der Astronomie liegt, gaben flch selbst für eine Kolonie der Ägypter aus. Man hat bemerkt, daß die reine Lust, deren man flch in Babylon wie in Ägypten erfreut, die Beobachtung des Himmels und der Gestirne erleichtert, unter anderem schon dadurch, daß fie die Schwierigkeit hebt, die anderwärts aus der Wirkung des Luftdruckes auf das Wasser, dessen Ablaufen in einem gewissen Maße die Zeit bestimmt, entstehen würde. Damit hängt die Übereinstimmung beider Völker in vielen Dingen, die das tägliche

Leben und seinen Verkehr regeln, zusammen, namentlich in Maß und Gewicht. Auch das Duobezimalsystem des Waffermaßes, das wir anderwärts finden, scheint flch von den Babyloniern herzuschretben. Die Einteilung von Tag und Nacht in zwölf Stunden stammt allem Anschein nach von den Babyloniern her. Die Baal-Religion hatte zwei Mittelpunkte, den einen in Tyrus, den anderen in Babylon. Baal ist die Sonne, Astarte der Mond; die Planeten vereinen sich mit denselben zu einem einzigen System. Daß dies alles mit der Beob­ achtung der Gestirne überhaupt zusammenhängt und, wenn nicht ein theogouisches, doch ein kosmogonisches Prinzip in sich enthält, ist unbestreitbar. Die Naturkräste werden zugleich als siderisch und tellurisch be, ttachtet; neben Sonne, Mond, dem Heere der Gestirne erscheint die Erde als Mutter von allem. I« den Naturkräste« aber unterschied man die schaffenden und die vernichtenden, und in unaufhörlicher Wechselwirkung das männliche und weibliche Prinzip, aus denen alles hergeleitet wird. Diese Anschauung bürste als die älteste gelten, der sich aber sogleich eine zweite Stufe hinzugesellt, die Lokalisierung dieser Götter in den verschiedenen Landschaften. Daß die babylonische Mythologie vielfach an die oberasiatische und auch die indische anlautet, erklärt sich aus den geographischen Verhältnissen. So vermischte flch der phönizische Aberglaube mit den Kulten von Aftika und Europa, welche die Schiffahrten berührten. Ja der ganzen Anschauung liegt etwas vom Standpunkt der Natur aus Großartiges und selbst Tiefsinniges; doch läßt es sich schwer ergreift«. Aus den verschiedenen Mythologien hat Kaiser Julian in einer Zeit des entscheidenden Anta­ gonismus zwischen monotheistischen und polytheistischen Doktrinen ein Gewebe zusammengesetzt, das etwas Sinnreiches und Bedeutungs­ volles hat. Darauf aber kommt es bei den populären Auffassungen doch wenig an. Diese Religionen waren zugleich Götzendienst, und als

solcher erscheinen sie in der Welt. Es mag wohl sein, daß Baal nicht ohne Detiehung auf ein höchstes Wesen, das über allem schwebt, gedacht «ar, und möglich ist, daß der Kreis der Gestirne zugleich den Umschwung derselben, also eine aktive göttliche Kraft anbeutet. So mögen die Priester die Sache gefaßt haben. In dem Dienst deS Volkes aber tteten andere Momente hervor. Baal ist zugleich der Gott des Feuers und insofern furchtbar und verderblich; um dieser Gewalt nicht zu erliegen, bringt man ihr Opfer dar. Welche aber stnd das? Moloch, der auch unter dem Namen Baal erscheint, fordert das eben in der ersten Entwickelung Begriffene, Geschöpfe, die noch an der Mutter saugen, eiageschloffen die Erstgeburt aller Menschen. Di« Kinder müssen ihm dargebracht werden. Unstreitig lag in dem Ausdrucke „hin, durchgehen durch das Feuer zu Moloch" eine religiöse Beziehung, nämlich die der Vereinigung des Geschaffenen mit dem Gott, und wir «ollen nicht ableugnen, daß das mit der kosmischen Vorstellung von dem Weltbravde, der alles auflösen wirb, zusammenhängt. Bei alle, dem ist es doch nicht anders als daß der Dienst des Moloch in eine« greuelvollen Götzendienst auSartete, der die Völker barniederhielt und die Idee von menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung nicht auf, kommen ließ. Die gelehrten Untersuchungen machen es zweifelhaft, ob Astarte, die mit ihrem Stern erscheint und den Speer in der Hand hat, zugleich durch die Namen von Gottheiten bezeichnet wird, welche durch geschlechtliche Ausschweifungen gefeiert wurden; ob die mit diesem Dienst zusammenhängende Venus Urania wirklich eine ua, sinnliche oder aber eine im höchsten Grade sinnliche sei, wofür fast die meisten Zeugnisse sprechen. Mit dem Götterdienst schon in Babylon, «och mehr mit dem in Askalon waren Gebräuche verbunden, welche jedes sittliche Gefühl empören und die Natur des Weibes tief herab, würdigten. Die wilden, alle Sinne betäubenden Festlichkeiten, die sich an diese Vorstellung knüpften, nahmen von den beide» ge, nanatrn Mittelpuntten her die Welt in Besitz. Das vornehmste Der, dienst der Naturwissenschaft ist es, nach und nach jenes Dunkel zer, streut zu haben, welches diese Naturkulte über die Welt ausbreiteten; allÄu aber wäre sie dazu nimmermehr fähig gewesen. Wie irrig ist es doch, Naturwissenschaft und Religion im Gegensatz gegeneinander zu denken! Ohne eine reine, dem Geist des Menschen entsprechende Reli, gion, die man wirklich annahm und glaubte, wäre die Wissenschaft der Natur und des Menschen überhaupt nicht möglich geworben. Den geisti, gen Gegensatz gegen Amon,Ra und Baal, zugleich gegen Apis und Moloch, bildet die Idee und das Wort Jehova, wie sie Mose verkündigte.

Die Schöpfungsgeschichte der Genesis ist nicht sowohl eine öt# sprüngliche, kosmosgoaische Erinnerung, sondern vor allem der posi­ tive Gegensatz gegen die ägyptischen und babylonischen Dorstelluvgea. Diese haben sich in fruchtbaren oder durch einen ftühen Weltverkehr belebten Regionen gebildet. Die mosaische Idee tritt auf den ein­ samen Höhen des Sinai hervor, die von allen tellurischen Abwand­ lungen ftei geblieben sind, wo nichts ist zwischen Gott und der Welt. Wenn nun bei den Ägyptern und bei den Babyloniern alles Entwickelung der etngeboreaden Kräfte der Sonne, der Gestirne und der Erbe selbst ist, so erscheint hingegen Jehova als der Schöpfer des Himmels und der Erde, als der Urheber zugleich und der Ordner der Welt. Alles erreicht dann seinen Mittelpunkt in der Schöpfung des Menschen. Wenn bei den Ägyptern der Mensch gleichsam ununter­ scheidbar aus der Sonne hervorgeht, nicht als Geschöpf, sondern als Produkt, so ist das auch in der babylonischen Kosmogonie der Fall, wo das göttliche Element im Menschen nur durch das zufällig herabströmende Blut eines Gottes auf die Erde zum Vorschein kommt. Alle Geschöpfe sind dem Menschen gleichartig. In der mo­ saischen Kosmogonie dagegen werden die Elemente, Pflanzen und Tiere durch einen höchst intelligenten Willen hervorgebracht, der dann auch den Menschen schafft als sei» Ebenbild. Die Abweichung ist unermeß­ lich; der außerweltliche Gott tritt hervor, er erscheint dem Propheten in dem Feuer, ist aber nicht das Feuer; er ist in dem Worte, bas aus dem Feuer gehört wird. Dem Menschen ist die Sprache verliehen, er gibt allen Kreaturen ihren Namen. Darin liegt der Vorzug des Menschen, dem, wie schon Locke bemerkt, durch angeborene Abstraktion der Gattungsbegriff eigen ist, «ährend andere Geschöpfe bas einzelne nur als solches fassen. Die Abkunft von der Sonne oder den Sternen begründet einen Unterschied unter den Menschen, die Schöpfung durch den Hauch Gottes macht sie alle gleich. Unter dem außerweltlichen Gott erscheint die den Menschen etagepflaazte Würde als ein Prinzip, wir möchten fast sagen, der Gleichheit. In einem Spruch, den die Kritik für die älteste Fassung der Urkunde vindiziert, wird dem Menschen die Herrschaft über die Fische im Meer, daS Gevögel des Himmels und alle Tiere, die flch regen auf der Erbe, erteilt, was einen Unterschieb vom Ägyptenland konstituiert, wo der Stier als der Ausdruck der schaffenden Naturkrast göttlich ver­ ehrt wird. Die Idee von Jehova ist nicht etwa aus dem Naturdienst entsprungen, sie ist ihm entgegengesetzt. Die mosaische Schöpfungs­ geschichte ist eia Manifest gegen die Abgötterei, welche die Welt

beherrschte. Dieser Gegensatz ist es, welcher der nationalen Tradition der Hebräer, ohne Zweifel einer unschätzbaren Reliquie aus den Zeiten des hohen Altertums, ihren vornehmsten Wert verleiht. Das Wesentliche ihres Inhalts ist, baß sich inmitten der kanaamtischen Bevölkerung ein mächtiger Stamm bildete, der an der Idee des höchsten Gottes festhielt und jede Anmutung, Baal-Moloch zu verehren, von flch wies. Der Stamm, der mit Jakob, Isaaks Sohne, dem Enkel Abrahams zum großen Volke erwuchs, mußte bald erfahren, daß seines Bleibens in Kanaan nicht sei; er wandte flch nach dem reichen Ägypterlande, mit dem schon Abraham in Verbindung gestanden, und wo jetzt—so meldet die Sage—einer seiner Söhne, Joseph, von de» Brüdern dahin verkauft, zu einer hohen Stellung emporgestiegen «ar, einer Stellung, von der wir auch sonst in den ägyptischen In/ schriften Beispiele finden. Der ganze Stamm fand Ausnahme in dem Lande Gosen, wo er unter dem Pharao Frieden genoß und seine Herden weiden konnte. Nach einem langen Aufenthalt aber, dessen Zeit wir nicht zu bestimmen vermögen, wurden die Nachkommen Israels und seiner Söhne inne, daß ste auch hier nicht verweile« könnten, ohne ihr eigenes Selbst vollkommen einzubüßen. Der Stamm wurde zu einer Dienstbarkeit genötigt, wie ste der Religio« und der Verfassung des Nillandes entsprach, aber für jeden, der flch ihr nicht anschloß, erdrückend wurde. Da trat Mose unter dem Volke Israel auf: ein Man», von dem die einstimmige Tradition ist, daß er in ägyptischer Zucht und Sitte in dem Hause eines Pharao erzogen, die Gewaltsamkeiten, denen sein Volk unterlag, nicht länger mitansehen konnte, darüber mit den Eingeborenen in Streit geriet, einen derselben erschlug und alsdann flüchtete. Don den stammverwandten benachbarten Hirteakönigen aus­ genommen, weidete auch er seine Herde am Sinai. Eusebius sagt, er habe in der Wüste philosophiert, und manchem wird die wunderbare Regung bekannt sein, welche der Mensch in einer einsamen und wil­ den Gegend mit flch selbst allein Gott gegenüber empfindet; den höchsten Schwung erreichte ste in dem um seines Volkes willen ver­ bannten Mose. Da erscheint ihm der Gott seiner Väter; er schaut ihn nicht — denn davor weicht er zurück —, er hört ihn; er vernimmt seine« Namen uater dem erhabenen Wort: „Ich bin, der Ich bin". Das ewig Seiende setzt flch dem Phantom, dem die Welt anhängt, ent­ gegen. Mit Freuden vernimmt das Volk von dieser Erscheinung.

Wie dort in Kanaan der Baalsdienst zurückgewiesen «ar, nm dem Höch, sten Sötte zu dienen, so erhebt sich in Ägypten der Wnnsch, von dem drückenden Joch der ägyptischen Götterdienste und des Königtums von Theben, in welchem sich eben Amon,Ra repräsentiert, bei dem höchsten Sott Befreiung zu suchen. Eie fordern von dem Pharao eine kurze Frist, nm diesem Gott an der geweihten Stätte zu dienen. Da die Erlaubnis versagt wird, so «andern fie aus. Der Lobgesang, durch welchen das Wunder des Auszugs ver, Herrlicht wird, drückt flch über denselben sehr einfach ans. „Die Wagen Pharaos nnd seine Macht warf Jehova ins Meer, und die aus, erlesensten Wagenkämpfer versanken im Schilfmeer." So gelangten ste an jene urweltlichcn Höhen, in welchen Mose mit dem Sott ihrer Väter zuerst geredet hatte. Sein Sinn war, das Volk dahin zn führen, wo er über den Gesichtskreis des ägyptischen Götterdienstes erhoben worden war. Hier nun, als stch das Volk dem Berge gegenüber gelagert hat — dahergettagen, wie die Stimme Gottes sagt, von ihm selbst auf Adlersfittigen —, vollendet sich das Ereignis. Der Gott, der von flch selbst sagt: „Die ganze Erde ist mein", will doch dies Volk als sein besonderes Eigentnm ansehen und es zu einem Priesterkönigreich gestalten. Festlich geschmückt nnd vorbereitet tritt das Volk herzu. Am Fuße des Sinai, wenn man eine Zeitlang bergan gegangen, breitet flch die Ebene er,Rühah ans, durch rauhe Berge von dunklem Granit eingeschlosien, wilde, gezackte, einander überragende Felsen, spitzen, einsam, stolz und erhaben; ste wird durch die senkrechte, dunkle, majestätische Wand des tzoreb, die sich 12—1500 Fuß hoch erhebt, be, grenzt. In dem Tale sammelte sich das Volk; es ist ein geheimnisvoll heiliger Ort, von der Welt durch das Gebirge abgeschlossen. Hier nun wird der Wille Gottes dem Volke offenbart. Gott spricht: „Ich bin Jehova, dein Gott, der ich dich aus, geführt aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft. Du sollst keine andern Götter haben vor meinem Angesicht. Du sollst Dir kein Bild machen, noch irgend ein Gleichnis weder des, was Im Himmel oben, und was auf der Erde unten, und was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten, noch dich dazu bringen lassen, ihnen zu dienen." Man könnte den Gegensatz gegen Ägypten, in welchem der Dienst mannigfaltiger Gottheiten herrschte, welche doch alle das Abbild der göttlichen Kraft selbst sein sollten, nicht schärstr ausdrücken. Dem Polytheismus entschwand in seiner Diel, gestaltigkeit die Idee selbst, aus der er hervorgegangen; er verwan,

beite sich in Götzendienst. Dem gegenüber trat hier die absolute Idee bet reinen Gottheit auf, frei von jeder Zufälligkeit der Anschauung. Diesem Sinne ist der Dekalog entsprungen. Man hat es tabelu wollen, baß bas sittliche Gesetz in bemselben als bas Gebot bes Gesetz, gebers betrachtet werbe. Darin aber liegt eben bas Wesen bet Sache: beim »wischen Religion, Sittengesetz unb bürgerlicher Orbnuvg konnte kein Unterschieb gemacht werben. Der Sabbath, bet an bie Stelle bet unzähligen Naturfeste bet Ägypter trat, wirb an bie Schöp, fung, tote sie in bet mosaischen Kosmogonie erscheint, angeknüpft. Unb ba bet Ruhetag auch ben Sklaven gilt, so liegt barin eine Umfass, ung aller Menschen in bem Gottesstaat, wie er nun gedacht wirb, eine Art von Emanzipation von bem persönlichen Dienst. Dann folgen bie einfachsten bürgerlichen Gesetze. An bie Beobachtung bes Gebotes, bie Eltern zu verehren, worauf bas Familienleben beruht, wirb bie Verheißung eines Segens geknüpft. Die The wirb noch besoabers geheiligt; ebenso bringenb, wie bas Leben, bas Eigentum. Unter bett unmittelbaren Schutz Gottes tritt bergestalt bas inbivibuelle Leben mit bett Anrechten, auf welchen alle bürgerliche Verfassung beruht. Hat stch nicht aus bem Begriff ttnb Bedürfnis bet Sicherheit des Lebens und des Eigentums alles bas entwickelt, was bie mobernea Staaten ihre Verfassung nennen? Der mosaische Staat enthält eine Opposition gegen das Königtum, welches eine Emanation bet Gottheit sein will, — eben im vollsten unb stärksten Gegensatz gegen Ägyptenlanb. Eine erhabenere Inauguration bes sittlichen Lebens in bet menschlichen Gesellschaft könnte nicht gebacht werben. Ägypten ist auch baburch bedeutend, baß es bas Gegenteil seiner Art unb Sitte in ben Auswanberern hervorrief. In bem einfachen Fort, gang eines nationalen Naturbienstes hätte es keine Geschichte bes Meschengeschlechts gegeben. Diese gewinnt erst In bem Monotheismus, bet sich von bem Naturdienst losreißt, Grund unb Boben. Er grünbet eine bürgerliche Gesellschaft, bie sich von aller Vergewaltigung fern hält. 2. Mebo-Persisches Reich. Auf biese Weises würben bie Provinzen, welche ben Kern bes persischen Reiches bilden, unter langen bluügen Kriegen, in welchen bie Gegner vernichtet würben, zur Unterwerfung gebracht. Der Achä, menibe behauptete ben Platz unb ben Thron. Das vornehmste Werk, zeug zur Erreichung bieses Zieles war bie mebisch,persische Armee, *) Durch die Eroberung de- DariuS.

die, soviel maa sieht, gleich »ach dem Tobe deS Magers*) gebildet, Babylon ullterworfell hatte uad alsdann beim Ausbruch der ivuereu Zerwürfatsie getreu a» Darius festhielt. Es si«d immer zweierlei Heere, die mit einander kämpfen: das eine, welches deu Köllig Darius anerkeuut und deshalb eben zuweilen angegriffen wirb; und ein anderes, von dem der König sagt, es «olle nicht sein Heer sein, das feindlichen Heersthrer folgt. Wen» Darius nun bei der Er­ zählung seiner Siege jedesmal versichert, diese seien ihm zuteil geworden durch die Gnade Auramazbas, so scheint das ungefähr dasselbe zu bedeuten, was wir bei Assarhaddon uad Affurbanipal lasen: daß alle ihre Siege dem Gotte Assur zuzuschretben wären; doch ist auch hier eine bedeutsame Abweichung nicht zu verkennen. Denn Affur uad die Göttin, die meistens mit ihm genannt wird, sind Kriegs­ götter; Auramazda ist ein Gott der Gerechtigkeit und Wahrheit. Untertänigkeit bedeutet bei den Assyrern Unterwerfung durch die Ge­ walt, bet der Persern Erfüllung eines höchsten Willens. Was DariuS am meisten hervorhebt, ist, daß seine Gegner, «eil ihr Dorgeben auf Lüge gegründet war, untergehev mußten. Den Schutz, deu ihm Aura­ mazda verleiht, leitet er daher, baß er der wahre König ist, vor dem die Könige der Lüge untergehen müssen. Die Voraussetzung ist dabei, daß den Achämeniden die Herrschaft mit Recht zugefallen und durch den Abgang der einen Linie auf die andere, die sich in Darius Hy, staspis repräsentierte, gelangt sei. Insofern ist er der wahre König, als welcher er von Auramazda anerkannt wirb. Ja diesem Sinne richtet Darius an seinen Nachfolger auf dem Throne die Ermahnung, alle Lüge zu vermeiden, keinen Lügner, keinen Verräter jemals zu begünstigen; denn dies würde der Idee des wahren Königtums zuwider laufen. Die Autorität bekommt dadurch einen moralische» Inhalt, dem das ganze Gefüge des Reiches und des Staates ent­ brechen soll.

Damit hängt aber die religiöse Weltanstcht auf das innigste zu­ sammen. Im Zend-Avesta, bas als die Haupturkuade der persischen Religion bewachtet «erden muß, findet sich vieles, was an die Mytho­ logie «ad Gebräuche des alten Indiens avlavtet. Identisch aber sind diese Auffassungen doch keineswegs. Man hat bemerk, daß der höchste Gott der Perser, Ahura, bei den Indern als Asura zu einem bösen Geiste geworden ist, wogegen dann wieder die Devas der Inder bei den Persern als Dävas zu bösen Geistern und Gehilfen des Angro*) Der sogenannte Pseudo,Smerdis.

maiuyus geworben sind. Wir wagen nicht, die Annahme einer ZdentitLt beider Systeme in der Urteil abznlengvev, ebensowenig sie geradehin vorauszusetzev. Zn der Epoche, wo die Religionen historisch nebeneinander erscheinen, stad ste einander doch aach wieder entgegengesetzt. Der Glavbe der Inder vnd der Glavbe der Perser mögen Brüder sein; gewiß aber stad ste feindliche Brüder. Der Charak, ter der persischen Religion liegt in ihrem Dualismus. Wenn man die Gegensätze der Länder und der Völkerschaften innerhalb Persiens und seiner Provinzen ins Auge faßt, den unauf, hörlicheu Kampf der angestedelten Bevölkerungen und der Bewohner der Steppe, des aagebautea Landes selbst und der zurückgeworfenen, aber immer wieder vordringendea Wildnis der Wüste, so erscheinen die Ideen des Zeud,Avesta gleichsam wie autochthoaisch und natur, gemäß. Auramazda ist der Gott der Laadbauer. Za dem Gespräche, mit welchem der Deadtbad beginnt, zwischen dem doch auch zur Mythe geworbenen helligea Stifter der Religion, Zarathustra, und dem Gotte des Guten, der hier in der Form Ahvra,mazda erscheint — eine dritte Form ist Ormuzd —, spricht dieser aus, er habe, als noch nirgends eine Möglichkeit «ar, zu wohnen, einen Ort der Anmut geschaffen: „eine Schöpfung der Anmut als die erste habe ich geschaffen; die zweite — ein Gegenteil derselben — eine menscheaverderbeabe hat Angro,mainyus geschaffen". „Den ersten und besten der Orte und Plätze habe ich geschaffen, ich, der ich Ahura,mazda bin." Es ist gleichsam eine sukzessive Schöpfung der iranischen Länder, welche sich Ahura,mazda nun zuschreibt. In den Namen erscheinen ziemlich erkenntlich Sogdtana, Merw,Baftrten,Arachoflen,Ragha in Medien, wahrscheinlich auch Taberistan, Indien. Alle dem setzt nun Ahriman, der voll Todes ist, Schöpfungen des Verderbens entgegen, große Schlangen, langdauerndea Winter, tödliche Wespen, merkwürdiger Weise aber auch eine intelleftuelle und moralische Opposition: große Zweifel, Trägheit, woraus Armut folgt, unaussühabare Hand, langen, Knabenliebe, Mord. Der vornehmste Gott, Ormuzd, erscheint allerdings als Welt, schöpfer und Geber alles Guten; aber nirgends war der Begriff des Dösen so stark, wie in der Religion des Zenb. Im Anfang, heißt es im Zend,Avesta, gab es Zwillinge, die Geister des Guten und des Dösen. Der Weltschöpfer ist der Geist des Guten, dem die verder, bende Macht des bösen Geistes, Ahriman, beinahe ebenbürtig gegen, übersteht. Wohl finden sich Andeutungen, als habe man, hiemit nicht zustteden, ein uraufängliches, über beiden Prinzipien stehendes Wese»

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angenommen. Rach einer Stelle des Duvdehesch ist es die Zeit, in der sich alles entwickelt, wie denn »um Kampf zwischen Ahriman «ad Ormuzb bestimmte Perioden festgesetzt «erden; allein das beweist doch, daß eine höchste Intelligenz, von der alles abhing und die das Böse nur zuläßt, von den Persern nicht angenommen wurde. Alles, was geschaffen ist, wirb als zum Kampf gegen das Döse bestimmt betrachtet. Was sonst als hellbringenbe Naturkraft hervortritt, wird hier als die dem Ahuramazda gegen das Döse dienende Kriegsgenoffenschaft angesehen. Alles ist der Kampf zwischen Licht und Finsternis, der stch in dem Weltall und auf Erden vollzieht. Den Griechen fiel es auf, daß die Gottheit ohne Bild noch Altäre verehrt wurde, daß das Opfer nichts als eia Darbriagen «ar. Aus Tenophoas Eyropäbie fleht man, daß sie auch den moralischen Impuls «ahrnahmen, der die perflsche Religion beseelte. Darin dürfte man wohl den unterscheidenden Charakter des perflschen Dualismus zu erkennen haben. Der Mensch ist der Verbündete Ahuramazdas, oder soll es doch sein. Alle Tugenden aber werden ihm dadurch zur Pflicht. Das dem Gott auf Erden Wohlgefälligste ist ein weiser Mann, der seine Opfer bringt; das Zweite ein heiliger und wohlgeordneter Haushalt mit allem, was zu demselben gehört; das Dritte die Stelle, „wo am meisten durch Anbau erzeugt wird an Getteide, Futter und Früchte tragenden Bäumen, wo man ttockenes Land bewässert oder allzu feuchtem Laude das Wafler entzieht." Die ägyptische Religion ist auf die Natur des Nillandes gegründet, die perflsche auf den Anbau von Iran. In den Satzungen der heiligen Bücher, die in eine spätere Epoche fallen, ist von dem Königtum wenig die Rede. Aber von selbst leuchtet ein, welch eine hohe Stellung demselben nun in den alten Zeiten zukam, denen Darius angehörte. Der König, der von dem höchsten Gott zwar nicht gesetzt, aber als der berechtigte anerkannt wirb, ist zugleich der Dorfechter alles Guten, das flch dem Dösen entgegensetzt; er vollzieht den Willen des Auramazda; das ganze Reich ist in diesem Sinne organiflert: der König, als der Ausdruck des göttlichen Willens, hat gleichsam ein Recht, die Welt zu beherrschen. Daran wäre aber nicht zu denken, wenn die dualistische Religion bereits in ein System gefaßt gewesen wäre und mit Gewalt den unterworfenen Nationen hätte aufgedrungen «erden sollen. Man bemerkt vielmehr, daß sie schon in den westlichen Regionen von Iran ftemden Einflüssen zugänglich gewesen ist, die aus Mesopo­ tamien stammen. In Armenien herrschte der Dienst der Anahit, urverwandt den Diensten der Astarte. Wenn, wie Herodot berichtet.

die Perser von allen Rationen fremde Gebräuche am leichtesten bei flch aufnahmen, so konnten fle solche unmöglich aus religiösem Liste verfolgen. Die persische Religion, welche dem König den höchsten Anspruch «indizierte, duldete doch in den Provinzen die einheimischen Kulte. Aber das gehörte dazu, um die universale Stellung, welche das persische Königtum einnahm, zu behaupten; darin besteht der Charakter des Reiches, welches nun eben unter Darius in eine haltbare Ordnung und Verfassung gebracht wurde.

B. Die Griechen. i. Homerisches Zeitalter.

Die deutsche Ration hat den Vorzug, baß ein Moment ihrer Lite, stea Vergangenheit durch einen gletchzeitigea Historiker ersten Ranges geschUbert worden ist; unvergleichlich größer ist der Vorzug der Griechen, aus uralter Zett ein einheimisches Gedicht zu befltzea, welches ihre ftüheren Zustände mit unverkennbarer Wahrhaftigkeit und in vollen, deter Form vergegenwärtigt. Ob Agamemnon und Priamus, Achilles und Hektor, Menelaos und Paris historisch sind, ober in welcher Beziehung diese Namen zu den Begebenheiten stehen, lassen wir hier unerörtert. Wir verzichte» darauf, die Zeiten zu bestimmen, in denen ein troischer Krieg, wenn es einen solchen jemals gab, wirklich stattgefunden hat. Aber die Zustände, wie sie sich in den homerischen Gedichten barstellea, können nicht erdichtet sein. Don den Griechen sind fle immer als vollkommen wahr betrachtet worden, gleichsam als Urkunden, aus denen sehr be, stimmte Ansprüche und Rechte hergeleitet wurden. Obgleich diese Urkunde ein Gedicht ist, so halte ich es doch, indem ich von den Griechen zu sprechen beginne, für erlaubt und angemessen, die Zustände, di« fle schildert und auf denen alles Spätere beruht, in ihren Grundzügea in Erinnerung zu bringen. An der Spitze steht überall ein König, nicht identifiziert mit den Göttern wie bei den Ägyptern, kein Gewalthaber, über unterworfene Gebiete herrschend, wie bei den Assyrern, eher den Häuptlinge» zu vergleichen, die in den kanaanitischen Städten walteten, aber doch durch und durch eigentümlich, Oberhaupt einer gegliederten Gesamt, heil. Daß die königliche Gewalt eine unbedingt erbliche sei, läßt flch nicht behaupten; denn sonst würbe z. D. Telemach, wie als Sohn, so als Nachfolger des Odysseus in Ithaka anerkannt worden sein, was doch nicht der Fall ist. Der Stuhl seines Vaters bleibt leer in den

Versammlungen, obwohl man ihm sagt, sein Stamm sei königlicher als die anderen, worin zwar kein Recht läge, aber doch eia Anspruch an die Erbfolge. Der König wird nicht ohne göttliche Autorität ge, dacht. Don Zeus kommt das Szepter, der Gott verleiht Ruhm und Glanz. Die Ehre des Königs ist von Zeus. Es ist eine Autorität, welche hohe persönliche Vorrechte gewährt, aber keine unbeschränkte Macht. Im Frieden genießt er die Einkünfte des Temeaos, d. h. der für ihn abgesonderten Landbezirke; von ihm hängt Rat und Tat ab; er sammelt vom Volke Geschenke, etwa für Fremde; man muß seinen Befehlen Nachkommen, vnd ihm Gaben darbrtngen, womit man iHv verehrt wie einen Gott, was ihm dann Reichtum verschafft. Im Kriege finden wir ihn Opfer vollziehen. Er beruft den Rat und entläßt ihn; er redet im Volke; ihm wird die Deute gebracht und er verteilt fie; er empfängt das größte Geschenk. Bei ihm schmausen die Alten. Das Volk gehorcht ihm, wo er einen Weg zu gehen oder tapfer zu streiten gebietet. „Ein zeusernährter König hat -roße Gedanken." Im Frieden ist der König von einem Rate, welchen die Ältesten bilden, umgeben. Es find die Greise, die nicht mehr in den Krieg gehen, aber die Rede pflegen; fie geben den Rat; fie fitzen bei dem König zu Haus, wie die Zwölf beim Alkinoos, und schmausen bei ihm und spenden den Göttern und höre» die Sänger. Der König der Phäaken erscheint an der Spitze der zwölf Volkshäupter als dreizehnter. Sie haben in der Versammlung einen besonderen Sitz. An dem Blut, geeicht haben sie den größten Anteil. So ist es nun auch im Krieg. Hier sind es die Ausgezeichnttsten der Achäer, welche zugleich als die „Alten" erscheinen. Auch sie sind szepterhalteude Könige; sie ordnen bas Volk zur Schlacht, das Volk bricht sein Geschrei ab und hört auf sie; sie halten sich dem Könige, dem die oberste Führung gebührt, dennoch für gleich, wie Achill; sie sind bei dem Gastmahl des Königs, und immer steht ihr Decher voll; »ach dem Steg über Hektor wird Ajax besonders mit dem Rücken des geopferten Stteres geehrt. Dem König stehen sie mit Rat bei; er tut nichts ohne diesen. Im Frieden ist es mehr das Alter, im Kriege ist es mehr die Tapferkeit, welche in den Rat des Königs dringt. Wenn eine Sache vor allem Volk beraten wird, hat auch diese eine Stimme. Zudem von Agamemnon die Rückgabe der Chrysets ver, laugt wird, ruft» ihm alle zu, er möge sie geben. Bet Agamemnons

Schiff haben sie ihre Dersammluag. Eie werden mit dem König ange, redet. Sie sind die Freunde, Heroen, Danaer, Diener des Ares. In der Regel werden sie still dnrch die Herolde zur Versammln»- be, schiede». Cs kömmt aber auch vor, daß Achill ste mit lavier Stimme tvsammearust. Hier rede» dann auch die Greise; »ad Nestor unter, scheidet, wenn er sagt: wir waren nie verschiedener Meinung, weder im Rat »och in der Versammlung. Sie antworte» durch Zuruf, jauchzendes Geschrei «ad andere Kundgebungen. Wie im griechische» Lager, so geht es auch in Troja her; bei dem Turure des Priamus versammeln ste sich, Alte und Junge, nicht ohne Lärm. Ja der Odyssee fiabe» wir zuweUen eine Art von Abstimmung, wo die Mehrheit sich ausspricht; in der Ilias wird eia Rechtsstreit vor versammeltem Volke geführt. Ebenso ist es in Ithaka. Telemach läßt die Achäer durch die He, rolde berufen; daun setzt er sich aufdea Sitz seines Vaters, die anderen, die „Alten", um ihn hernm. So ist der Markt der PHLaken voller Sitze. Auf diese Weise ist ihre rffentliche Verfassung beschaffen. Jagend nnd Alter machen den Unterschied zwischea ihnen. Die Abstammung bleibt keineswegs unberücksichtigt, aber ein ausgebildeter Adel findet sich nicht. Das Gedicht gewährt einem jeden seine Ehre; es bezeichnet, welches der beste Mana nach dem Achill, wer das beste Pferd reitet nach dem seinen, wer der schönste, der häßlichste ist, wer der trefflichste in seinem Gewerbe und in seiner Knast. Die Milden, Gütigen bekom, men ihr Lob. Für die Familieaverhältnisie haben sich herkömmliche Be, zeichnnagen gebildet: „mildgebig" von der Mutter, „ehrwürdig" von den Eltern überhaupt, „lieb, traut" von dem älteren Brnder; die Heranwachsenden jungen Menschen heißen „die Verschämten"*). Das Einzellebea kommt zur Anschauung: der einsame Mann, der fern von den Nachbarn ans der äußersten Laabspitze den Brand in die schwarze Asche steckt; der Jäger, der den weißzahnigen Hund ans den Eber hetzt; andere, die, in der Tiefe des Gebirges Bäume schlagend, Getöse verursachen; die Schnitter, die sich aufdem Gut des glücklichen Mannes von verschiedenen Seiten her entgegevarbeiten; der Herbsttag, «en» Zeus regnet, und alle Flüsse voll sind. Das ganze Leben mit allem seinem Wert, mit allen seinen Schwächen ist vor die Augen gestellt. DaS ist es, was das Gedicht vor allen anderen auszeichaet und daran fesselt. Die Farbe der Erdichtung verschwindet vor der Gegenständ, lichkeit der Darstellung selbst.

’Jtt sind die homerischen Beiworte: fyuM o^os, nitvios,

«Idotoe.

2. Die Kolonisation und ihre Wirkungen. Die Gründvag der Kolonien kann man als die erste Handlung des griechischen Volkes nach außen überhaupt betrachten. Ls ist die merkwürdigste Eroberung, die je gemacht worden ist. Die phönt, zischen Kolonien hatten mehr ein merkantiles und religiöses Inter­ este, das sich nur in Karthago zu eiuem politischen erweiterte. Aber die Besitznahme aller benachbarttn Küsten durch Kolonien, welche das eigentümliche griechische Leben nach allen Seiten ausbreiteten, hatte eine politische und nationale Bedeutung. Die Kolonien liebten es, ihren Ursprung auf Apollo und das delphische Orakel zurückzuführen; in der Tat aber haben innere Katastrophen und Stteitigkeite» den vornehmsten Anlaß zur Aus, führung gegeben. Einen eigenen uralten Mittelpunkt hatten die östlichen Kolonien in Delos, wo schon in den ältesten Zeiten Zusammen, künste der benachbarten Inseln stattgefunden haben; man «allfahrtete dahin mit Weib und Kind; es wurden Kampfspiele und Wettspiele in den Künsten der Musen angestellt. Ein homerischer Hymnus rühmt, weder Alter noch Tod scheine Macht zu haben über die Ionier. Das Fest wurde nicht bloß von den zwölf tonischen Städten Kleinasiens, sondern auch von Chalcis und Athen besucht. Diese zwölf Städte, deren Gründung auf die Bedrängnisse zurückgeführt wird, welche die Einwanderung der Dorier in dem inneren Griechenland verursacht habe, waren nicht durchaus ionisch, aber das ionische Element war doch das überwiegende. Man kann es mit dem Raub« der Sabinerinnen vergleichen, wie die Einwanderer sich Frauen verschafften, doch geschah es noch viel gewaltsamer; nicht allein Männer, wie es in einer ersten Stelle bet Herodot heißt, sondern auch die Väter und Kinder der Frauen wurden umgebracht. Rach Herodot wären die Nachwirkungen hievon immer bemerkbar geblieben. Auch die äolischen Pflanzungen, mehrenteils auf einem schmalen Landstrich um den elaitischea Meerbusen her gegründet, die von argtvt, schen Anführern hergeleitet werben, waren ursprünglich zwölf. Aber zwischen den griechischen Kolonisten wurde so wenig Friede gehalten, wie zwischen den Stämmen im Mutterland. Smyrna wurde von den Ioniern eingenommen und behauptet. Zn sich selbst waren jedoch die Stämme zu einer gewissen Einheit verbunden. In der Mitte zwischen Ephesus und Miet, bei dem Vorgebirge Mykale, war das Pantonion, bei welchem die Priester bas Opfer darbrachteu. Die mächtigsten

und regsamsten Städte blieben aber allezeit Milet und Ephesus: das letzte mehr auf Landbesitz bedacht, Milet dagegen eine der größten kolo, aiflerenden Pflaazstädte, die es jemals gegeben hat — fünfund, siebzig verschiedene Kolonien «erden ihm zngeschrteben, großenteils am Schwarzen Mer, dessen Küsten -adnrch in den Kreis des gri«, chischen Lebens gezogen wurden. Die Phönizier wichen hier überall zurück oder gräztsierten sich, wie denn der große Mlefler Thales von altphöaizischer Herkunft «ar. Für die Äolier wurde nach und nach Lesbos eine Art von Metro,

pole; Mtylene ist einer der vornehmsten Sitze der älteren griechischen Kultur. Gerade in diesen Regionen blieb das homerische Zeitalter in der lebendigsten Erinnerung; das ionische Lhios ist der Sitz der tzomeriden, welche die Überlieferungen festhielte». So wichtig und bedeutend für die Welt das nun aber auch alles ist, so hält es doch keinen Vergleich mit den dorischen Aasiedluagea aus. Oie südwestliche Küste von Kleinasien «ar von dorischen Aafled, langen umsäumt. Haltkarnaß, „die Burg des Meeres", bildete mit Knidos, Kos und Rhodos eine besondere dorische Amphtktyoaie. Eine Reihe von Inseln im südlichen Teile des Ägäischen Meeres beschrieb

gleichsam eine Linie dorischer Pflanzungen, darunter Thera; auch die kretensischen Kolonien an den Küsten Lyciens dürfen als dorisch betrachtet werden. Die Sage vergißt nicht, der Vermittlung von Kreta zu gedenken, wenn eine dorische Grüadnng an der Libyschen Küste, Eyrene, die von Thera ansgegavgen sein soll, zu mottviere» ist. Rach einer anderen Seite hin griff Megara et«. Dieser Stadt wird die Ehre zuerkannt, Ehalcedon gegründet, die weltbeherrscheade Stellang von Byzanz zuerst erkannt zu haben. Es könnte Bewnvberuag für den dorischen Namen eiaflöffea, wenn man die Kolonisation an der Propontts, in dem südwestlichen Kleinasien und in Lydien als im Zusammenhänge gedacht bettachtea dürste; es ist gleichsam eine Be, sitznahme der wichtigsten maritimen Positionen in dem östlichen Mittel, meer. Das ist aber noch nicht genug; man muß damit die Pflanzungen verbinden, die den griechischen Namen zugleich über Sizilien und das südliche Italien ausbreiteten. Die große Metropole für die westlichen Gründungen «ar Korinth. Don hier aus ist Korkyra und die gegenüberliegende tllyrische Küste kolo, nisiert worden; Epidamnus (Dyrrhachium) ist eine korinthische, Tarent eia« spartanische Anlage. Der Tradition nach «ar es ein Za, fall, durch welchen die Chalcidier nach der siztlischea Küste getrieben wurden; die Überlieferungen haben beinahe den Reiz von Entdek,

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kungsreisea. Die Hauptsache aber «ar die Niederlassung auf Sizilien.

Do« Ortygia aus, das sich zu Sizilien ähnlich verhält, wie Mttylene tu Lesbos, wurde Syrakus gegründet. Rhodos Hal keine Gründungen Im Osten, «ohl aber die wichtigsten Im Westen vollbracht. Don Rhodos stammen Gela und Arigent. Der Grund davon ist ohne Zweifel, daß es im Orient benachbarte mächtige Reiche gab, welche jeden weiteren Fortschritt hemmten, im Westen dagegen die Phönizier, d. h. die Kar, thager, mit den ihnen am bequemsten gelegenen Küsten fürs erste zufrieden waren und die anderen Teile der Insel den Griechen über, ließen, die dann die Eingeborenen leicht überwältigten, wie das auch tu Lydien geschah. Syrakus und Agrigent kamen bald empor, so wie Eyrene. So breiteten flch die Hellenen nach beide» Seite» ihres Mutter, lanbes, bas selbst eine Art von iittorale ist, nach Oste» und Westen hi» aus. Was man eine Macht nennt, zu bilden, davon waren sie «eit entfernt, es lag sogar nicht in ihrer Natur; aber sie bildeten ein Element, dem die größte Einwirkung auf die Welt bevorstand, und das sogleich nach allen Seiten flch Geltung verschaffte. Wohl das meiste hieju hat die Krtegsübung zu Laude und zur See beigetragev, in welcher die Dorier zu einer außerordentliche« Vollendung reisten, überhaupt erscheine« die Griechen als vortreffliche Kriegsleute.

Sie waren schon durch ihre Bewafsttung den Nachbarn überlegen. Die Erzarbeiten in Ehalcis galten für die besten der Welt, und obgleich fle ihre Waffen als Ware betrachteten und in die Fremde verbreiteten, so «ar doch die Ausrüstung der Hopliten eigentümlich hellenisch. Einen ähnliche» Aufschwung «ahm nun aber auch das maritime Kriegswesen. Die Triremen sind in Korinth erfunden worden und habe» dann gedient, Samos zu einer Seemacht zu erheben. Ein lebensvolles, wiewohl in tausend Besonderheiten gespal, teaes Volkstum, das sich an jeder Stelle «ach einem eigenen Antrieb bewegte. Diesen Mannigfaltigkeiten in jeder Beziehung nachgeheu zu wollen, würde zu «eit in die Erörterung lokaler Zustände führen. Aber das griechische Gemeinwesen bietet «och eine für alle Zett be, deutende Eigentümlichkeit dar. Eine allgemeine Politik hatten die Hellenen nicht. Mit den großen Potenzen, deren wir gedacht haben, lassen sie sich nicht vergleichen; ihre Landschaften und Städte waren doch nur von geringem Umfang. Aber wie diese Menschen, welche von niemand Antrieb und Muster nahmen, untereinander lebte« und ihre öffentlichen Angelegenheiten ordneten, verdient die aufmerk, samste Betrachtung. Ja ihrer Unabhängigkeit und Beschräastheit

haben sie, in stetem Kampfe Itt sich selbst und untereinander, dle Grund/ lagen der Staatsformen hervorgebracht, welche sich überhaupt tu der Welt gebildet haben. Wir seheu Monarchie, Aristokratie, Demokratie neben/ «ad nacheinander entstehen nach Maßgabe der Vergangenheit jede- Gemeinwesens und dem besonderen Interest« desselben für seine jedesmalige Gegenwart. Nicht einfach und einem bestimmtem Begriffe

gemäß traten diese Formen hervor, vielmehr modifiziert und erst bvrch diese Modifikation lebensfähig.

z. Das Werk des Solo«.

In inneren Zerwürftrisieu stellt sich dem gesetzgebenden Geiste immer als das erste Bedürfnis dar, das gestörte Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Sewalte« und Ständen wtederh«zustellea. Das ist es, was Solon für Athen beabsichtigte und großenteils ins Werk setzte. Daria besteht sein vornehmstes Verdienst. Doch ist seine Staats/ Veränderung nicht gleichsam durch natürliche Eutwtckkung aus Heimat/ lichem Boden hervorgegaagea; es «ar zugleich eine Rückwirkung des allgemeinen Zustandes der Welt, durch welche eine solche ausführbar und heilsam wurde. Wenn wir nicht irren, so hat zum erste» Male die Macht des Gelbes in das Innere eines bedeutenden Gemein/ wesens eingegriffen. Der allgemeine Verkehr bot Solo« die Mittel zu seinen vornehmsten Anordauagea dar. Eia anderes Moment liegt in der Unterscheidung des Menschen von der Sache und von dem Gelde. Das Geld wird, was es sein soll, ein Mittel der politischen Ausgleichung. Ls «ar nicht allein ein Vorteil für die ärmeren Klaffen, daß sie von der Gefahr befreit wurden, von Haus und Hof vertrieben oder als Sklaven verkauft zu werden; durch die solouischen Gesetze wurden sie zugleich an das Gemeinwesen geknüpft, das sie von nun an als uutteanbare Glieder umfaßte.

Ewig denkwürdig ist es, daß dies durch einen Gesetzgeber geschah, in welchem sich allgemeine Anschauungen und patriotische Gesinnung durchdrangen. Man dürste Solon nicht mit Mose vergleichen, der ein Volk aus eingelebten Vorstellungen herausrtß und in der Idee einer allgemeinen Religion organisierte, zugleich Heerführer, Prophet und Gesetzgeber, von einer unnachsichtigen Strenge, welche die Nation umschuf und eine große Eroberung vorbereitete. Solon nahm keine göttliche Mission in Anspruch; noch weniger dachte er daran, eine große Eroberung auszuführen; sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, eia nahes Eiland, das von alters dem Lande zugehört hatte, wieder zu

gewinnen rmd dann die verschiedenen Stände der iaadeseingeborenen durch Vermittlung ihrer Swetttgkeiten zu einem unabhängigen und starken Gemeinwesen zu vereinigen. Mose konnte nur symbolisch dargestellt werden; Solon erscheint in einer Büste des Altertums als ein wohlhäbiger, umsichtiger, kräftiger Mann; er war eine populäre Natur, gewandt und geschickt, voll von klugen Gedanken. Darin berühren sich die beiden Gesetzgebungen, daß sie der Idee der Sklaverei abhold sind; sonst sind sie von Grund aus verschieden. 4. Das Ergebnis der Perserkriege.

Jene Doppelschlacht bei dem cyprischen Salamis (449) kann als letzte Akt des Krieges zwischen den Hellenen und Persern in diesem der Stadium der Geschichte betrachtet werden. Die Hellenen hatte ihre Selbständigkeit behauptet und die Herrschaft zur See erobert, das per­ sische Gesamtreich aber bestand in seiner Integrität und großen Welt­ stellung. Wollte man sich erkühnen, den Gang der Weltgeschicke nach ihren inneren Momenten zu ermessen und abzuwägen, so dürfte man wohl sagen, die Zeit für die griechische Weltherrschaft war noch nicht gekommen. Die Griechen waren infolge des medopersischen Krieges und ihrer Siege in einer inneren Bewegung begriffen, in der sich der Kern ihres geistigen Daseins manifestierte. Ihre volle Aus­ bildung wurde durch die inneren Kämpfe, die immer fortbauerten, ohne zu großen Entscheidungen zu führen, nicht unterbrochen. Diese dienten vielmehr dazu, den Ehrgeiz zu erwecken, den literarische und künstlerische Produktionen nicht wohl entbehren können. Eia Kampf mit Persien aber wäre dafür verderblich geworden, selbst dann, wenn die Griechen gesiegt hätten; das Glück der Waffen und der Reiz der Eroberung würbe alle ihre Kräfte beschäftigt und nach anderen Zielen hin gerichtet haben. Eine Epoche des Gleichgewichts zwischen der persischen Mo­ narchie und den griechischen Republiken, wie es schon nach der Schlacht von Mykale bestand und durch die Schlacht am Eurymedon noch ent­ schiedener zutage trat, gehörte dazu, um den Griechen Zeit zu ihrer inn­ eren Entwicklung zu lasten. Dabei kam ihnen nichts so sehr zustatten, als die volle Unabhängigkeit von Athen, wo sich jene Verfassung ausbildete, die gerade durch die Verschiedenheit der Elemente, die fle konstituierten, der inneren Bewegung des Geistes Dahn machte und Raum verschaffte. 5. Staatsverwaltung des Perikles.

Perikles, der Sohn des Siegers bei Mykale und der Agariste, der Nichte des Klisthenes, welcher der Demokratie in Athen das Über-

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gewicht verschafft fyitte, gehörte durch seine Geburt beiden Tendenzen an, der äußeren Machtentwicklung und der Durchbildung der Derfassung. An den großen Perserkriegea hat er nicht persönlich Teil genommen; den Kampf um Sein oder Nichtsein hat er nicht mit durchgefochtea; er trat erst ein, als die Verhältnisse nach beiden Seiten gesichert waren. Für die Stellung, die er als leitendes Oberhaupt des Demos eianahm, war er durch seine Erziehung und Bildung recht eigentlich vorbereitet. Seine erste Bildung — ganz im griechischen Sinne — erhielt er durch einen geübten Lehrer, von dem man aber sagte, sein ganzes Sinnen sei auf die Redekunst gerichtet nach der Weise der sizilischen Schule, in welcher man Politik und Rhetorik verband, wie das denn auch in Athen jetzt Sitte wurde. Roch mehr vielleicht hatte es zu bedeuten, daß die Philosophen in Athen Eingang fanden und be­ sonders in dem Hause des Perikles gern gesehen wurden. Der beherr, scheade Geist in dieser Gesellschaft war AnaxoraS. Wenn wir unter seinen Ansichten diejenige hervorheben sollten, welche unmittelbar de« größten Einfluß ausübte, so würde es die Lehre sein, daß die Erschei­ nungen, welche andere mit Besorgnis vor der Zukunst erfüllten, als natürliche Ereignisse, derenthalben man nichts zu fürchten habe, aufzufassen seien. Es liegt am Tage, wie sehr ein Mana, der sich den Philosophen anschloß, in seinen Entwürfen, seinem Tun und Lasten über andere emporgehobea werden mußte, welche noch durch den herkömm­ lichen, an ungewohnte Phänomene anschließenden Aberglauben, der als Deisidämonie bezeichnet wirb, gefesselt wurden; er konnte allezeit nur die Sache selbst im Auge behalten. Man hat im Altertum ost gesagt, Perikles habe ursprünglich oligarchische Hinneigungen gehabt; persönlichen Wettstreit habe er vermieden und gestrebt, sich im Kriege hervorzutun; aber gleich im Anfänge seiner Teilnahme an den öffent­ lichen Geschäften, in denen eine ihm entgegengesetzte aristokratische Partei auftrat, sei er zu der Einsicht gelangt, daß er nichts zu bedeuten haben werbe, wenn er sich nicht auf baS Volk stütze. Wir sahen bereits, wie entschieden er das getan hat; er hat den Bestand des Demos als einer selbständigen Potenz in Verbindung mit Ephialtes eigentlich begründet. Ephialtes war indes ermordet worden, ohne daß man mit Bestimmtheit sagen könnte, durch wen es geschah; wäre dabei die Ab­ sicht gewesen, die Demokratie zu sprengen, so wäre eher das Gegenteil erfolgt. Perikles stieg um so höher empor. Zn seinem persönlichen Verhalten hatte Simon mehr eine Ader von Popularität als Perikles. Dieser wird der Hoffart bezichtigt; nicht diese Untugend, aber die ent­ sprechende Eigenschaft einer stolzen Zurückgezogenheit lag in seinem

Charakter. Ohnehin über das Treiben des Tages erhaben, hielt er sfr gut, sich den gewöhnlichen Beziehungen des gesellschaftlichen Lebens zu eutftemdea. Perikles hatte keinen anderen Gang, als den von seinem Hans nach der Versammlung, in der er redete. Ruhig schritt er einher; er soll gebetet haben, daß ihm nie ein unpassendes Wort entschlüpfen möge. Daraus, daß dies von ihm erzählt wird, darf man wohl schließen, daß er es wirklich dahin brachte. Nie ließ er einen Affekt wahrnehmen; Schmähungen selbst reizten ihn nicht auf. Mau muß sich erinnern, was alles auf de» Demos von Athen eiuwirkte: eine Bühne, deren gleichen es nie wieder in der Welt ge, gebe» hat, und eine gleich großartige plastische Kunst: der Schwung, de» die aufstrebende Kultur überhaupt de» Geistern mttteilt. Es gehörte etwas dazu, eine Versammlung dieser Art zu leiten und selbst zu beherrschen, wie das Perikles gelang. Wie Thvcydtdes sagt, er sei nicht der Menge gefolgt, sondern diese ihm; er schmeichelte ihr nicht; er schlug nicht selten eine der vorherrschenden entgegengesetzte Richtung ein; er machte Mut, wenn man strchtete, und betonte, wenn bas Volk et» unzuttägliches keckes Selbstgefühl verriet, alle daraus zu erwar, tenben Gefahren. Das Volk besaß die entscheidende Macht; aber P«, rikles wußte die Versammlung auf eine Weise zu leiten, daß die Macht des Volkes nur die Grundlage seiner eigenen Autorität wurde. Jedermann erkannte, baß er nichts für flch selber suche, daß eS ihm nur um die Größe und die Wohlfahrt von Athen zu tun war. Die Demo, kratie bekam fast einen monarchischen Charakter; der erste Bürger re, gierte die Stadt. Man hat von ihm eine aus dem Altertum stammende Büste, welche von vorn angesehen Würde und Energie, im Profil aber Beweglichkeit und selbst Absichtlichkeit auszudrücken scheint. Indem er den Staat in seinen allgemeinen Geschäfte» verwaltete, mußte er doch alles auwenden, um die Gegner »iederzuhalten. Es waren Aristo, krate«, die flch immer au Sparta hielten. €t hat mit ihnen mannig, fache Kämpfe bestanden, aber er hatte den Demos auf seiner Seite; es gelang ihm, die Gegner durch Ostrazimus zu beseiügeu; im Laufe dieser Stteittgkeiten erwarb er eine höchst außerordentliche Macht. Die Summe der Staatsgewalt vereinigte sich in seiner Hand; den» er führte den Vorsitz über die Strategen, womit auch die Befugnis, für die Ruhe der Stadt zu sorgen, verbunden «ar. Ihm «ar die Fürsorge für die öffentlichen Feste und, worauf es am meisten ankam, die Verwaltung des Geldwesens überttagen. Im Besitz dieser Macht, durch welche dem Staate überhaupt seine Richtung gegeben wurde, dachte nun Perikles nicht etwa, die

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erlittenen Verluste durch direkte Aggression, die doch vergeblich gewesen wäre, wieder herbeitubringen; sein Vorhaben ging vielmehr dahin, die maritime Autorität Athens, die durch den letzten Waffen, stillstaud bestätigt worden «ar, nicht allein zu behaupten, sondern zu einer Macht zu entwickeln, die auf die Peloponnefler keine «eitere Rücksicht zu nehmen brauche. Die Insel Samos, welche den Ruhm hatte, die erste namhafte hellenische Seemacht ansgebtlbet zu haben, wollte sich der Führung von Athen, welches jetzt den Schatz von Delos nach Athen gezogen hatte und auch auf die inneren Verhältnisse der Bundesgenossen einen empfindlichen Druck ausübte, nicht unterwerfen. Auch tu ihre Sonberverhältaisie, z. D. zu Milet, wollte die Insel keinen Angriff dulden. Durch das Unterliegen von Samos beherrschte Attika um so entschiedener den Bund. Die vornehmste Beschwerde der Duabesgenoffea, daß das zum gemeinschaftlichen Kampf bestimmte Geld, das sie zusammen brachten, in Athen uach Belieben verwendet «erde, hatte auch Widerhall in Athen geftruden: den« immer gab es hier eine gewisse Opposition. Perikles antwortete, Athen sei den Bundesgenossen schuldig, sie zu schützen; wenn es diese Pflicht erfülle, stehe es vollkommen in seiner Hand, mit den Betttägen derselben nach seinem Gefallen zu verfahren. Diese Derfügvag über die öffentlichen Gelder unter Teilnahme einer Dolksgemeiade, welche die übrigen beherrschte, «ar etwas Neues tu der Welt. Wir befltzen noch ein Denkmal dieses Momentes in den Rui, neu der Bauwerke des Perikles, die «och heute die allgemeine Dewu», berung fesseln. Zn der perikletschen Zeit scheint die bildende Kunst das trefflichste geleistet zu haben, was ihr überhaupt gelungen ist. Wer keuat nicht die Schicksale des Parthenon, welches Perikles auftichtete, und an dem sich bann die Wogen der Ereignisse der späteren Jahr, Hunderte bis in die neueste Zeit gebrochen haben; selbst die Wegführung der noch erhaltenen Reste hängt mit dem Verhältnis des Orients zu dem Okzident zusammen. — Suchen wir nur die historischen Beziehungen, in denen sich das Bauwerk in seiner Fülle und Größe erhob, zu fassen. Die von den Persern zerstörten Heiligtümer der Burg von Athen waren bereits wiederhergestellt. Zur Errichtung eines neuen wählte Perikles einen schon von den Ptststratiden zu einem ähnlichen Zwecke bestimmten Platz, das Hekatompedon, der damals noch leer war. Der Blick reicht von dieser Anhöhe von den marmorreichea Bergen AttikaS über die Küsten und das Meer nach Ägina hin. Hier nun wurde ein Heiligtum aufgeführt, das nicht gerade zum Kultus bestimmt «ar, aber doch zu Festzügen, und überdies einen sehr realen, selbst

politische» Zweck hatte. Dieser lag i» der Bewahrung des Staats, schatzes, der damals bedeutender war, als jemals ftüher ober später; er betrug gegen ioooo Talente, wozu die Bundesgenossen einen ausehuliche« Teil, etwa drei Fünftel, eiageliefert hatten. Diese Geld, summe, gemünzt oder auch nicht, war zu fernere» großen kriegerischen Unternehmungen bestimmt, wie Perikles selbst einmal ausgesprochen hat; fle bildete den Rückhalt, auf den man sich bet etwa eintreteaden Verlegenheiten verlassen konnte. Die Verwaltung des Schatzes war einer Anzahl athenischer Bürger anvertraut; das Geld selbst wurde aber, wie mehr als eine Inschrift bezeugt, in dem Opisthodomos des Parthenon verwahrt.

In der Lella befanden flch noch andere kostbare Weihgeschenke; an dem Eingang stand das Kolossalbild der Göttin, welches die Macht und den Geist von Athen, seine Zuverstcht zu flch selbst verfluabildet: es war eia chryselephantines Bildwerk der Athene, wie der olympische ZevS von der Hand des Phidias. Sie trug eine Nike — den Siegen verdankte man alles —, die mit Kränzen geschmückt «ar, auf der einen -and; auf der anderen Seite sah man Speer und Schild, und auf ihrer Brust die gorgonische Ägis. Wer sollte es wagen, ihr mit freveln, den Händen zu nahen.

Auch in den großen Angelegenheiten gibt es etwas Persönliches. Die Verherrlichung der Siege über die Perser diente zugleich zur Der, herrlichung des Miltiades und des Limo». So war auch hier am Schilde der Göttin daS Bild des Perikles angebracht. Man dürfte sagen, daß in diesem Monument die ganze Staatsverwaltung des Perikles zur Erscheinung kam: einmal die große Weltstellung selbst, die er erworben, dann das maritime Übergewicht; denn die Bundes,

genossen bienten dem mächtigen Vororte, fle hatten selbst über die Derweadnng ihrer Gelder nicht mitzuredea. Diesen Sinn bekunden auch die übrigen Bauten des PertkleS: jenes Theater am Vorgebirge Sunium, für welches die Übung der Triremen das Schaugebtet bildete im Angeflchte der Eykladen, vor allem die Hafenstadt des Piräus mit geräumigen Plätzen und weiten, in rechtwinkligen Linien aufeinander stoßenden Straßen, mit der Einrichtung der Häfen selbst für die Kriegsmarine und die Handelsmarine, welche die Furchtbar, keit und Opulenz des perikleischen Athen in flch schloffen und allen späteren Hafenbauten zum Vorbild gebient haben. In der Akropolis wurden die alten städtischen Heiligtümer durch eine Karyatidenreihe gleichsam abgeschlossen.

Prächtige Säulengänge verbanden die obere Stadt mit der unteren und schieden sie doch wieder. Es sind die Propyläen, die bis in die spätesten Zeiten, sobald die Kunst sich regte, zum Vorbild ge, worden sind. In der unteren Stadt errichtete Pertkles Übungsplätze für die Heranwachsende Jugend im alten Lyceum, sowie in den Särtea der Akademie, welche, durch die Gewässer des Jliffus belebt, wieder ein ländliches Ansehen gewannen. Man braucht nur die Bezeichnungen zu nennen: Gymnasium, Lyzeum, Akademie, um inne zu werbe», wieviel diese Institute, die für die körperliche und die geistige Aus, bildung zugleich bestimmt waren, der Nachwelt wert gewesen sind. Sie sind gleichsam typisch für die Kultur. Man mag die Politik des Perikles bewundern oder nicht; aber durch die geistige Energie, mit welcher er seine mit treffendem Sinne entworfenen Schöpfungen ins Leben rief, hat er sich ein Denkmal für die Menschheit errichtet. 6. Die mazedonische Weltmacht.

a) Betrachtung. Ohne Waffen ist keine Aktion eines Gemeinwesens nach außen, ist aber auch kein fester Bestand eines solche» an sich denkbar. Das Leben der Menschheit bewegt sich nun einmal in natürlichen Feind, seltgkeiten der Völker und Staatsgenosienschastea untereinander. Jedes Gemeinwesen muß imstande sein, sich selbst und alle, die ihm angehören, zu verteidigen. Wie könnte es sonst den Schutz gewähre», der für die Freiheit und Tätigkeit eines jeden im Leben notwendig ist l Die individuelle Sicherheit setzt die allgemeine voraus. Diese zu be, Häupten, ist der vornehmste Zweck menschlicher Vereinigungen; die Summe der Verfassungen hängt davon ab. Naturgemäß vollzieht sich das in dem Maße, in welchem Feindseligkeiten zu erwarten sind, wie denn die griechischen Republiken nur auf einen Kampf mit ihres, gleichen eingerichtet waren. Wenn nun aber ganze Völker aufeinander stoßen, sind auch umfassendere Organisationen dafür notwendig. Es muß eine höchste Gewalt geben, welche die gesamten Kräfte gegen auswärtige Feinde zu vereinigen imstande ist. Macht gegen Macht bilden sich dann kriegerische Monarchien, zwischen denen die Frage nicht allein die ist, welche die größere Truppenzahl ins Feld führt, sondern vielmehr die, welche die beste Kriegsübung besitzt. Der Krieg ist unvermeidlich; eine gewonnene oder verlorene Schlacht entscheidet über das Schicksal der Nationen auf lange Zeit. Auf Angriff und Wi, verstand beruht der Verlauf der Weltgeschichte. Was ist eine Macht?

Rur eben ein solches Dolksgemeinwesen, welches zu Angriff und Der, teidigung gleich geeignet und eingeübt ist. Indem nun weder die Griechen, noch auch die Perser in ihrem langen Gegensatz zneinanber zu einer solchen Verfassung gediehen waren, traten die Mazedonier in der Mitte derselben auf; diese aber gelangten dazu, wirklich eine Macht zu bilden. Oie Einwirkung, welche sie ausübten, darf man als eine unermeßliche bezeichnen. Sie hat eine weltgeschichtliche Epoche begründet.

b) Der Zug Alexanders nach Persien.

Das Unternehmen Alexanders, welches aus der unmittelbaren Verwickelung des Momentes hervorging, hat zugleich eine Seite, die wir als die universal,historische bezeichnen dürfen. Unleugbar ist, baß das iranische Königtum mit der großartigen Fülle religiöser und polittscher Anschauungen dort, wo es entstanden «ar, seine Be, rechtigung besaß; aber die Welt zu regieren, «ar doch der perflsche Mann nicht geschaffen. Das perflsche Reich war allenthalben dadurch mächttg geworden, daß es den inneren Entzweiungen der Völker, mit denen eS in Berührung kam, ein Ende machte. Aber sollte Ägypten mit seinen durchaus lokalen Anschauungen immer an einen entfernten Thron gekettet sein? Sollten die seegewalügen Phönizier nur eben darum eine Art von maritimem Reich aufgerichtet haben, um den persischen Sattapen Lustgärten (Paradiese) anzulegen? Zwischen den syrischen Götzendiensten und dem persischen Dualismus war ein tiefer Widerstreit, wenn er gleich nicht jeden Augenblick hervortrat. Sollte bas Daalpriestertum von Babylonien, das einen ansehnlichen Teil der Welt beherrschte, nur eben damit zustieben sein, den Schutz des persischen Großkönigs und seiner Religion zu genießen? Auch schon deshalb «ar dies unmöglich, da noch die große lyrische Kolonie in dem westlichen Becken des Mittelländischen Meeres nicht allein be, stand, sondern in einem Teil des Okzidents geistig und politisch dominierte. Unaufhörlich «ar das westliche Asten in Gährung be, griffen. Die Dölkerschasten dieser Regionen erfreuten sich einer ge, wissen Schonung von feiten der Perser. Aber sie waren doch an den Stteittvagen des Großkönigs geschmiedet, dessen religiöse Ideen ihren Sipstlpnnkt in dem Gedanken, daß die allgemeine Herrschaft ihm ge, höre, erreichten. Wohin aber hätte eine solche geführt, wenn sie jemals erlangt worden wäre? Daß also die persische Macht in ihrer Ausdeh, nuug nicht bestehen bliebe, war gleichsam die Bedingung des ferneren Dölkerlebens. Sehen wir aber von Reflexionen dieser Art ab, so

gab es noch einen Impuls aus früherer Zeit, der eine analoge Trag, wette hatte. Wenn die Mazedonier an die Spitze der Grieche» traten, so waren sie dadurch eingeladev, der Antipathien, welche die Grieche» seit mehr als anderthalb Jahrhunderten gegen die Perser nährte», sich für sich selbst |u bedienen. Der Gedanke, die griechischen Götter an den Persern zu rächen, war von Perikles gefaßt und von Agesilaus in lebendigste Anregung gebracht worden. Dieser Enthusiasmus «ar bei weitem nicht ein allgemeiner der gesamten Ratio»; aber er «ar doch auch niemals erstorben und vertilgt. Die Gegner derer, die mit Persien in Verbindung standen, hielten ihn fest, und an die Spitze bet# selben traten nun die Könige von Mazedonien. Vergessen darf man nicht, daß die Hoheit, die Philipp und Alexander in Griechenland ausübten, an eine reltgtSse Verehrung ankaüpfte, welche die Grieche» znsammeahielt; sie waren als die Beschützer des delphischen Orakels, welches alle anderen Dienste der Griechen in sich schloß und in eia Ganzes vereinigte, in Hellas eiagetteten. Und niemals wäre eia Fürst fähiger gewesen, diese Gedanken in sich aufzuaehmen als Alexander. Sie entsprachen dem Selbstgefühl und der Tradition seiner Familie. Sein Stolz «ar, daß er nicht allein von Herakles abstammte, der infolge seiner Handlungen unter die Götter ausgenommen «ar, sonder» auch von den Äactden, deren Ruhm, in den homerischen Gedichten begründet, jedermann vor Auge» stand. Er glavbte beruft» zu sein, die Heroen des ttojanischen Krieges fortzusetze« nab den Kampf auszufechten, der zwischen Europa und Asien auch nach der Auffassung des älteste» Historikers von jeher vorgewaltet hat. In Alexander schlug zugleich eine poetische «nd religiöse Ader, die au- dem Heroendtenste und der durch die Poeten national gewor, denen Sage entsprang. Für ihn waren die homerischen Gedichte gleichsam eine Urkunde, von der er sein Recht herleitete. An dem Götter, glauben hielt er mit einer Art von Inbrunst fest. Man hat das wohl daher geleitet, daß seine Mutter Olympias, an die er sich in seiner Jugend mit um so größerer Hingebung anschloß, da sie von dem Vater Unrecht erlitt, in die samothrakischea Mysterien eiageweiht gewesen sei. Aber zugleich war er der Schüler des Aristoteles, der den Asiaten wünschte, von der persischen Herrschaft stet zu werden, um ihrer eigenen Ausbildung willen. In Alexander bet# band sich der Schwung der Phantasie mit den hellenische» Ideen überhaupt. Indem er die Griechen zwang, ihm Folge zu leisten, hatte er doch auch den Gedanken, ihren Krieg mit den Persern aufzunehmen und durchzuftchte», dadurch aber ihrer Kultur «eitere Bahn zu machen.

Alexander ist einer der wenigen Menschen, in denen flch die Biographie mit der Weltgeschichte durchdringt. Seine Impulse gelten der Aus, führung eines vor Jahrhunderte» begonnenen Kampfes, auf welchem dann der Fortgang der universalen Entwicklung der Menschheit beruht. c) Die Ergebnisse seines Lebens.

Alexander begab fich nach Susa, von da nach Ekbatana, endlich nach Babylon. Don dem, was man über die ferneren Absichten be, richtet, die Alexander in Babylon kundgegebea habe, wird das meiste nur Vermutung ober eine Vermischung von Dichtung und Wahrheit sein. Man erzählt, er sei vor allen Dingen die Einwirkungen der Araber auf die Grenzen seines Reiches durch einen großen Angriff auf dieselben zu Laude und zur See abzuwehren gesonnen gewesen. Nach den Mitteilungen, die später dem Heere gemacht worden flnd, wäre er mit dem Plane eines ernstlichen Angriffs auf Karthago umgegangeu; er habe zu diesem Zweck einen Weg von Eyrene durch Libyen für das Landheer ziehen und tausend Trierer» in Phönizien, Syrien, Cilicien und Kypern rüsten «ollen. Die perflschen Könige hatten einmal einen ähnlichen Plan gehegt, aber aufgeben müssen. In Alexander hätten fich die perflschen und die griechischen Ideen vereinigt. Die Eroberung von Karthago würde ihn zum Herrn des Okzident- gemacht haben.

Sehr möglich, daß flch in Alexander und seiner nächsten Um* gebung weitaussehende Pläne dieser Art geregt haben. Daß fle mit Bestimmtheit gefaßt worden seien, läßt flch jedoch nicht erweisenBet der Würdigung Alexanders darf man und muß man sogar davon abseheu. Seine Unternehmungen bieten vielmehr, soweit fle in dem Moment gediehen waren, eine gleichsam in flch abgeschlossene Einheit. Wir untersuchen nicht, ob ihm von Anfang an die Idee der Umwand, luag des Orients vorgeschwebt hat; aber der Augenschein zeigt, daß er durch die Verflechtung der Angelegenheiten Schritt für Schritt dahin geführt wurde. Don den Kriegszügen gegen die Ooaauvölker, die er auch deshalb unternahm, weil er sonst die Macht seines Vaters über die Griechen nicht hätte behaupten können, «ar er zur Dekämp, fung der in Hellas ihm noch widerstrebenden Staaten fortgegangen und hatte fle überwältigt. Dadurch daß diese noch einen Rückhalt an der persische» Macht in Kleinaflen fanden, wurde Alexander zu einem Angriff gegen die Perser selbst veranlaßt, dessen glücklicher Erfolg

alle Erwartungen übertraf. Noch aber beherrschte« die entgegengesetz­ ten Weltkräste die See. Er konnte bas Meer sich nicht unterwerfen, wenn er nicht auch Ägypten, vor allem Phönizien in seiner Hand

hatte. Das «ar jedoch unmöglich, wenn er nicht die Macht des Groß­ königs, der diese Länder in seinem Gehorsam festhielt, durch entschei­ dende Waffeutaten nieberwarf. Dies gelang ihm bet Jffus, worauf er die Herrschaft in den östlichen Gewässern des Mittelmeers und die Länder der ältesten Kultur an sich brachte. Don hier aus richtete sich dann sein Blick notwendig auf Babylon, welches in fortdauerndem religiösen Zusammenhang mit den von ihm besetzten Gebieten stand. Babylon aber konnte er nicht bezwingen, solange die Landschaften, von welchen die assyrische und medo,persische Weltherrschaft avsgegangea war, noch in den Händen der Perser blieben. Den größten aller Triumphe feierte die griechisch-mazedonische Armee in der Ebene von Gaugamela. Die Völker, die das große Reich ausmachten und ihm dort in ihren Waffen entgegentrate«, wurden auf einmal bezwun­ gen, dadurch aber nicht allein Babylon erobert, sonder« das persische Reich selbst, dessen Ausdehnung ihn gleichsam nötigte, bis nach Baktrien und dem Jaxartes auf der einen, und auf der andere« Seite bis zum Indus vorzudringen. Welch eine unvergleichliche Siegeslaufbahn hat er zurückgelegt! Man kann ihm schon einen entscheidenden Anteil an der Schlacht von Chäronea zuschreiben. Dana folgten unter seiner eigenen Führung die Schlachten am Granikus, bei Jffus, bet Gaugamela, endlich am Hydaspes. Fünf Schlachten, von denen jede eine neue Wendung der Weltverhältniffe bezeichnet. Hand in Hand gingen mit ihnen die Städtereoberungen von Theben, Halikarnaß, TyruS, Gaza, in Indien der Bergfeste Aornos, der Stadt der Mallier. Alles Waffentatea ersten Ranges in ununterbrochen glücklicher Aufeinanderfolge. Der Anteil Alexanders an dem Fortschritt der Erdkunde besteht haupt­ sächlich darin, daß er den Seeweg von de« Ausflüssen des Euphrat zu denen des Indus wieberfanb und zu wirklichem Gebrauch eröfsttete, wodurch erst das Ganze seiner Eroberungen zusammenschloß. Inner­ halb dieses Kreises aber kann man es fast als seine vornehmste Hand­ lung betrachten, daß er dem Polytheismus, dem durch die Herrschaft der Perser großer Eintrag geschehen «ar, in einem ungeheueren Gebiete wieder die Oberhand verschaffte. Durch ihn verschmolzen die griechischen, ägyptischen, syrischen Götterdienste miteinander. Die Juden hat er geduldet, denn in ihrer Religion sah er nur eben eine nationale Institution. Die Perser hat er niedergeworfea, ohne jedoch

ihre religiöse« Meinung«« zu unterdrücken.

Auch de« Brahumne«

gegenüber hat er die Sache der griechische« Götter verfochten. Allein «och etwas anderes, al- de« Sötterdienst, brachte er aus Griechenland mit sich herüber. Was läßt sich Größeres deuken? Die Grieche» hatteu es zu eiuer ideale« Weltanschauung gebracht, soweit sie mit menschlichen Mittel« zu erreiche« ist, zu einer alle Richtungen umfassendeu Literatur, der erste«, aber doch auch großartigsten, welche jemals hervorgetteten ist. Diese« Ideen eröffnete Alexander den Orient u«d unterwarf thuen denselben; de« Gedanken fügte er die Macht hinzu. Seine Stege stütz zugleich Fortschritte der allgemeinen Kultur, namentlich auch der technischea und der kommerzielle», denen er überall neue Stätten gründete, die er dann mit seinem Namen zu bezeichnen liebte. In der Vermischung des Polytheismus mit den großen Kulturbestrebuogen liegt die Signatur der Epoche. Die Religion des Menschen­ geschlechtes, welche später emporkam, hat doch immer die Verbin­ dung mit «isieaschastlichen und zivilisatorischen Ideen festgehalten. Wie Alexander uns geschlldert wird, liegt etwas von dem Ideal in ihm, welches die Griechen in ihrem Dionysos versinnbildlichen, der, vom Blitz erzeugt und von der Erde — denn das bedeutet doch wohl Semele — geboren, die Welt durchzieht: unwiderstehlich, siegreich: und der dann doch einen Kranz von Weinlaub trägt, oder auch zugleich Szepter und Becher. Auch Alexander liebte den Genuß des Lebens; er war schwelgerisch beim Gelag, verttaulich und liebenswürdig im Umgang, freigebig bis zur Vergeudung; doch «ehe dem, der ihn reizte: im Jähzorn «ar er seiner nicht mehr mächtig; dann aber gab er sich wieder dem bitterste» Gesthl hin, das den Menschen ergreifen kaun, der Rene über das nicht wieder gut zu machende. Er war ein Mensch durch und durch, leicht ergriffen von entgegengesetzten Erregungen. Er vermied die Gesellschaft der Thais nicht, verehrte aber die Stsy-ambis; er stieß Darius vom Throne und rächte seinen Tob. Bet allen seinen Mängeln bewährte er immer einen angeborenen Stu», gleich­ sam einen Instinkt für das Großarüge und das wahrhaft Große. Alexanders persönliche Erscheinung zeigte eine seltene Vereinigung von Muskelkraft und rascher Bewegung. In seinen Augen meinte man zugleich den Ausdruck der empfänglichen Weichheit und des Löwenmutes zu erkennen. Lharakteristisch erscheint in den Bildern, die das Altertum von ihm hatte, eine hohe freie Stirn mit rückwärts­ liegendem Haar, eine leichte Neigung seines Kopfes nach der linken Seite. Die Büste im Louvre mit griechischer Inschrift, die mau aus

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einer Wertstatt zu Athen herleitet, darf man wohl für eine Kopie eines bei Lebzeiten Alexanders gefertigten Originals halten. Sie atmet Seelenstärke, Feinheit und Gemüt. Der Beschauer kaun sich kaum von ihr losreißen, wenn er dabei der Taten und Eigenschaften deS Mannes gedentt, den sie vorstellt.

C. Die Römer. i. Der Charakter der alten römischen Überlieferung. Daß diese Traditionen der Gestalt, wie sie vorliegt, in dem Volke selbst entstanden sei, läßt sich nicht behaupten, überall findet mau die Spure« gelehrter literarischer Arbeit. Die Sage, welche die lotb nischeu Penaten mit den troischeu vereinigt, setzt die Kenntnis nicht allein der homerischen Geschichte, sondern auch der «eit ausgespoa, neuen Poeme über die Rückkehr voraus. Wenn man dann an den Fall von Troja selbst in chronologischer Hinsicht anknüpst, so ist dabei der Einfluß der alexaudrischen Gelehrsamkeit maßgebend gewesen. Ferner aber: die ausführliche Sage von Romulus wäre oho« die Erzählung Herodots über Herkunft und Jugend des Lyras schwerlich jemals zustande gekommen; die späteren Schriftsteller haben sie dann immer weiter ausgesponaea. Den Zusammenhang der Ereignisse bet der Verjagung der Könige kann man nicht lesen, ohne an die Geschichte von Athen erinnert zu «erden: Servius wirb zu einer Art von Solon; Tarquinius Superbus und dessen Söhne erinnern an Pisistratus und Hipparch. Die Wunder der Schlacht am Regtlltschea See sind aus der Geschichte der Kroioaiaten und Lokrer geradezu herübergenommen. So bemertt man auch bei den folgenden Eretg, nisten mancherlei Anklänge, die keine unwillkürlichen sei» können, z. B. bei Marctus Coriolanus, beste« Flucht zu den Volskern eine Nachbildung der Flucht des ThemistokleS zum König der Molosser ist. Man muß dabei aber noch weiter gehen. Die dezemviral« Usur, pation nach abgelaufenem Amtsjahr erinnert mit ihrem Vorwand, daß die Gesetzgebung noch nicht vollendet sei, so augenscheinlich an die dräßtg Tyrannen in Athen unter Kritias, daß man versucht wird, die römische Erzählung als eine Nachbildung der griechischen zu bettachten. Wenn aber dem so ist, wird man fragen, warum mau sich denn überhaupt mit dieser ältesten Geschichte, die so vieles Fabelhafte und Fremdartige enthält, angelegentlich beschäftigt? *) Nämlich die hauptsächlich bei Livius und DiouysiuS von Halikaroaß vorliegende Darstellung der römischen Geschichte bis zum Dezemvirat.

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Die Antwort ist: das Wesentliche, der Lern der Tradition ist doch durch und durch römisch und unentbehrlich yim Verständnis der römi, schen Geschichte, die wieder in der Weltgeschichte unter allen National, geschichten die bedentendste Stelle eiavimmt. Voran gehen die großen Gestatten des Romulus und des Numa, welche die Idee der unentbehrlichen Attributionen einer höchsten Gewalt repräsentieren. Dann folgt Servius Tullius, in dem Elemente zutage treten, welche die Herrschaft des Imperiums hinwiederum be, schränken — von dem man nicht weiß, ob er mehr Etrusker oder Römer, mehr Dolköhaupt oder berechtigter König gewesen ist — an dessen Andenken aber die militärischen und populären Institutionen anknüpfen, welche Rom zu dem gemacht haben, was es geworben ist. In den beiden Tarquinius, besonders dem zweiten, tritt eia Dor, gefühl der kommenden Oberherrschaft über Italien und die Welt zutage. Dem Mißbrauch der Gewalt der Könige macht ihr heroischer Gegner Brutus ein Ende, der als ein Vorbild der republikanischen Größe von Rom erscheint. Daran schließen sich die patriotischen Gestalten in dem Kampf gegen Porsenna, die römischen Tugenden in der Mutter CoriolanS, dem Vater des Cassius, dem Geschlechte der Fabier, das den Krieg der Römer mit den mächtigsten Nachbarn, den Dejentern, allein über sich nimmt und dabei zugrunde geht, dem Qutnctius Cincinnatus, gleichviel ob man sich denselben als Konsul in der Stadt oder als Diktator auf dem Schlachtfeld denkt. Das stad Dichtungen, die kein literarisches Talent erfunden hat, fle gehören dem Geiste des Volkes an. Da erscheinen auch die alten Geschlechter in ihrer Familieapolitik, die durch eine ihnen eigen angehörige Tradi, tioa in Erinnerung gehalten worben ist. Man kann die Geschichte der Elaudier in ihrer Reihenfolge und besonders die der Dalerier, die in verschiedenen Generationen gleichartig auftreten, nicht lesen, ohne flch zu erinnern, daß die Geschichte der Geschlechter flch in Laudatoniea bei ihren Begräbnissen festsetzte, woraus dann die Historiker wiederum schöpften. Manche von ihnen gehörten selbst zu diesen Geschlechtern; von andern ist es augenscheinlich, daß fle den Überlieferungen des einen ober des anderen folgten. Gewiß haben die politischen Anstchtea der späteren Zeit auf die Auffassung der früheren eingewirkt. Die vor, aehmstea Tatsachen bleiben dennoch unzweifelhaft; sie werden durch eine Serie annalistischer Aufzeichnungen, die als urkundlich betrachtet werben müssen, zu einem Ganzen verbunden. Anders aber kann es gar nicht sein, als daß sich hiebei mancherlei Unwahrscheinlichkeiten,

Widersprüche, Inkongruenten Herausstellen. Namhafte Autoren haben deshalb den historischen Charakter der älteren rbmischea Geschichte überhaupt abgelevgnet. Die deutsche Gelehrsamkeit ist beflisst!« ge, wesen, die Dichtung von der Wahrheit tu sonder«. Aber auch die Dichtung selbst hat ihre Wahrheit, inwiefern sie eine alte Tradition darstellt. Solche Zeiträume gibt eS, in denen Tradition «ad Geschichte sich untrennbar ineinander verschlingen. Cs «ar wohl der Müh« wert, diese traditionelle Wahrheit t»r Anschauung »» bringen. Ra, mentlich lud der Inhalt der großen Epoche von der ersten Sejeffion, durch welche die Tribunen geschaffen, bis zu der t«eiten, durch welche die Dezemvirn gestürzt wurden, Hirt« ein; sie hat etwas Vorbildliches für alle Zeiten. Den Patritiern und ihren Magistraten, «eiche geistlich« «ad well, ltche Gewalt in sich vereinigen, tritt eine kriegsbereite Geuosienschaft steter Männer gegenüber, deren jene nicht entbehren können, «m auch ihrerseits an der höchsten Gewalt den ihnen gebührenden Anteil |« erwerben, ohne jedoch diese selbst stürzen zu «ollen. Im Zusammen, greift» und Jnetnanberwirken beider Elemente liegt das Gehetmatder Größe von Rom. Und ist das nicht der vornehmste Gegenstand der polittschen Kämpfe aller Zeiten?

2. Hanaibals Alpenübergaag.

Den Zug über die Alpen, den Hanntbal nunmehr unternahm und aussthrte, hat man schon in den alten Zeiten als eine wunder, volle and gleichsam übermenschliche Handlung aufgefaßt und darge, stellt. Hauptsächlich darauf auch wird sich der Traum, von dem man erzählt, beziehen, nach welchem Hanaibal auf den Rat der Götter «ater dem Geleit eines ihm beigegebenen göttlichen Wegweisers sein« Zug «nttrnommen habe. Polybius bemerkt hiergegen einmal, daß der große Feldherr nicht so ganz ohne alle Vorsicht gewesen sein könne, um sich auf Wege zu wagen, die er gar nicht kannte; überdies aber seien ja die Alpen von der Rhone her schon von anderen bewaffnetea Haufen über, schritten worden. Die Alpen bieten überall Sttomtäler, Talschluchten und andere natürlich« Verbindungswege dar. Unzweifelhaft hat eia kommerzieller Verkehr von jenseits nach diesseits schon von ältester Zeit her stattgefundea. Wie kommt es nun aber, so kann man ftagea, daß doch das Unternehmen Hanaibals in allen Jahrhnadertea die allgemeine Aufmerksamkeit erregt und gefesselt hat? Auch abgesehen XVI1-XVI1I/4

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voll den Umständen, die es unmittelbar veranlaßten, hat es einen welthistorischen Charakter. Das hohe Gebirge, dem die Flüsse ent, strömen, welche die Länder, die zu seinen Füßen stch ausbreiten, mit Leben erfüllen, bildet, 180 Meilen lang, 60 Meilen breit, zwischen ihnen dahingestreckt, zugleich das vornehmste Hindernis der Kommune kation derselben untereinander. Wollte man stch denken, daß es dabei sein Verbleiben gehabt hätte, so würde das okzidentale Europa, welches auf der Verbind vng der verschiedenen Völker und dem Fort/ schritt der Kultur derselben beruht, niemals zustande gekommen sein. Hannibal nun durchbrach zuerst diese gewaltige Grenzscheide; der punische Semit eröffnete der europäischen Kultur ihren Weg. Nicht der Übergang über das hohe Gebirge allein war die Handlung, die man bewunderte, sondern noch mehr, daß derselbe in einem allge­ meinen Interesse und mit einer großen in Libyen und Spanien aus­ gerüsteten Armee vollzogen wurde. Hanntbals Unternehmen ging von einem Konflikte zwei großer Mächte über die Herrschaft im Mittelmeer aus und zog die Völker diesseits und jenseits der von den Alpen gebildeten Grenzscheide in denselben hinein: denn auch Jberien ttat durch seinen Zug in ein anderes Weltverhältnis als bas bisherige. Was er von der gallischen Seite ins Werk setzte, das mußten bald nachher die Römer von ihrer Seite her versuchen. Sie haben es in vollem Umfang getan; die weitere Eröffnung der Alpenpässe bildet einen wesentlichen Teil ihrer Geschichte.

3. Die Bedeutung des Hannibalischen Krieges. Unter allen Kriegen, welche Rom jemals bestanden hat, gebührt dem zweiten panischen der Vorrang. Weder das Altertum, noch selbst die neuere Zeit kennt einen Kampf von gleich universaler Be­ deutung: denn sein Ausgang mußte über das Schicksal des Ostens und Westens entscheiden. Die Weltstellung Hannibals kulminiert eben darin, daß er die Kräfte des Okzidents für Karthago gegen Rom heranführte und auch die orientalischen mit denselben in Verbindung brachte. Er ist der größte Antagonist gegen die emporkommenbe Römerherrschaft, welcher überhaupt gelebt hat. Wenn er, man braucht nicht zu sagen die Oberhand gewann, sondern nur das Gleichgewicht herstellte, so war damit das alte Dölkersystem in seinen besonderen nationalen Bildungen gerettet; stellte sich doch in Karthago selbst die ältere, erst durch die Perser, dann durch die Griechen gestörte Welt­ verbindung vor Augen. Wenn dagegen Hannibal unterlag, so

wurde der lyrische Herkules, sozusagen, nochmals niebergeworfeu, Karthago in seinem Dasein gefährdet: und sehr wahrscheinlich, daß Rom von den jetzt eiageleiteten Verhältnissen Anlaß nahm, seine Macht auch gegen den Osten zu wenden. 4. Dor der Schlacht bei Zama. Wen» in den letzten Konflikten eigentlich die Frage war, welche von de» beiden der miteinander um die Herrschaft ringenden Repu, büken die andere in ihrem Mittelpunkt am meisten gefährden würbe, so «ar fle zum Nachteil von Karthago entschieden. Jene Anstrengungen Magos, HannibalS, des Königs Philipp zerfielen in nichts; der letztere schloß eben damals seinen Frieden mit Rom. Die Römer beherrschten die See; eS war ihnen gelungen, in Sizilien und Spanien die Sympa, thiea eines großen Teils der Bevölkerung für sich zu gewinnen, die Anttpathien der anderen durch Gewalt ntederzufchlagen. Karthago dagegen mvßte erleben, daß flch unter den afttkantfchea Stämmen, von denen eS umgeben war, eine ihm systematisch entgegengesetzte Macht hervortat: es hatte weder einen Feldherrn, noch ein Kriegsherr, um den flegreichen Römern und Numidiern Widerstand zu leisten. In dieser Lage der Verhältnisse find nun auf beiden Seiten Beschlüsse, die derselben entsprachen, gefaßt worden. Ja Rom waren di« Einwendungen gegen daS Unternehmen ScipioS verstummt; mau feierte feine Sukzesse mit öffentlicher Supplikation und bestätigte ihm den Oberbefehl, bis er den Krieg mit Karthago glücklich beendigt haben werde. Dagegen drangen in Karthago zwei Beschlüsse von schein, bar widersprechender Tendenz durch: der eine, um Frieden zu bitten; der andere, den Mann zurückzuruftu, dessen Name den Krieg b«, deutete. ES mag sein, baß dies ein Kompromiß zwischen den beiden Parteien, die einander immer bekämpft hatten, von denen die eine mehr für den Frieden, die andere mehr für den Krieg «ar, gewesen ist; von panischer Treulosigkeit könnte man auch dann noch nicht reden. Aber in der Tat standen die beiden Befchlüfie nicht in Widerspruch miteiuauber. Man kam den Römern dadurch entgegen, daß man Italien aufgab; um aber die Metropole zu behaupten, bedurfte man der Erneuerung einer in Aftika selbst aufzustellenden Kriegsmacht und eines Führers von Ruf und Autorität. Unverzüglich schickten die Kar, thager unter dem Schutz eines Waffenstillstandes, den ihnen Scipio bewilligte, eine Gesandtschaft nach Rom, um dort die Friedensbitte zu wiederhoilen. Die Römer gaben keine definitive Antwort; fle

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stellten die Verhandlungen dem Scipio anheim «ater dem Beirat eines Ausschusies, den sie ihm znschickten. Die Uaterhandlnag ver, setzte sich also in das Lager des Scipio, der nun Bedingungen vorlegte, die zwar sehr schwer waren, aber Karthago noch lebensfähig erhalten haben würden: Abstehen von allen Werbnagea in Ligurien; Reduktion der puntschen Flotte auf dreißig Kriegsschiffe; Beschränkung der puni, scheu Grenzen auf den sogenannten libyschen Graben; Anerkennung Masiniffas in seinen alten Besitzungen nicht allein, sondern auch in dem, was er von dem Gebiete des Syphax erobern könnte; endlich Zahlung von 1600 Talenten. Die Karthager wiesen das nicht geradezu von sich. Cs erhellt nicht deutlich, wie weit man in den Unterhandlungen bereits gediehen war, aber man glaubte auf das Gelingen derselben hoffen zu dürfen, als Hannibal eintraf. Da ist nun in den genau aus, gearbeiteten Geschichtswerken des Altertums so viel von den schmerz, lichen Gefühlen, mit denen Hannibal Italien verkästen, von den Bewegungen, die seine Ankunst in Karthago hervorgeruftn habe, endlich von seiner Unterhandlung mit Scipio, mit dem er eine Zu, sammenkunst hielt, die Rede, daß man den Gang der Ereignisse fast aus den Augen verliert. Nur bas erhellt, baß die Ankunft Hannibals, seine Rüstungen und seine Nähe die unbotmäßige Menge der Haupt, stabt zu Ausschreitungen veranlaßte, durch welche der Waffenstillstand gebrochen wurde. Die römische« Gesandten wurden verhöhnt, es konnte kein Zweifel sein, daß der Krieg wieder angehen mußte. Ehe das geschah, hat aber Hannibal sich selbst so weit überwunden, daß er Scipio um eine Zusammenkunft bat, die ihm dieser gewährte. Nehme« wir Abstand von den Reden, die ihm in den Mund gelegt werden, die aber mehr ein allgemeines Interesse, als bas besondere vorsiegeade Betreffe». Was «ar es, was Hannibal eigentlich von Scipio verlangte? Es waren Ermäßigungen der von demselben im Namen von Rom gesetzten Bedtagungea. Hannibal, der für die Behauptung von Spanten die Waffen ergriffen und dann den Ge, banken gefaßt hatte, Sizilien für Karthago zurückzuerobern, «ar so «eit gebracht, daß er eine Derzichtleistung auf Spanten, Sizilien und die anderen streitigen Inseln anbot. Wenn wir ihn recht verstehen, so wollte er jedoch von den anderen Beschränkungen, welche Rom den Puatern aufzuerlegen meinte, nichts hören. Dor allem forderte er eine Herabsetzung der Kriegskontribution, deren hoher Betrag es eben sei, was das Volk von Karthago in Auftegung versetze. Darauf aber wollte und konnte Scipio nicht etngehen. Die mit den römischen Sena, toten vereinbarten Bedingungen, in welche die Karthager etngewtlligt

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hatte«, konnte er nicht deshalb auf-eben, weil ihm jetzt Hanatbal mit einem gerüsteten Heere gegeaüberstaad. Zwischen diesem und dem römtschea,.zwischea den beiden Feldherrn mvßte es noch einmal zu einem Waffeagaage kommen. Ja der Kriegsgeschichte ist es nicht so hävfig, wie man meinen sollte, daß große und ebenbürtige strate, gische Talente einander gegenüberstehen: hier ttafen die beiden großen Feldherrn, deren Ruhm alle Gemüter erfüllte, unmittelbar aufttu, ander. Oer eine hatte die Differenzen, die zwischen Rom und Karthago obwalteten, zu einem Kriege gesteigert, der das Schicksal der Welt umfaßte; er hatte an der Spitze einer kampfgeübten S-ldnerschar die D-lkerschaftea keltiberischer und keltischer Nationalität um sich vereinigt, allen Schwierigkeiten der Natur in den Alpen und bann in den Apenninen Trotz geboten, da- eine seiner Augen hatte er dabei eiagebüßt; den bis dahin unbesiegten römischen Legionen hatte er die afrikanischen Kriegsmittel und Kriegsart entgegengesetzt und sie in vier großen Schlachten überwunden; mehr als einmal war er in der Nähe Roms erschienen und hatte wenigstens einen Moment erlebt, in welchem die südliche Welt wieder das Übergewicht von Karthago

anerkannte. Niemals hat eia Kriegsoberhaupt Truppen verschiedener Herkunft und Sprache so gut zusammeazuhaltea gewußt, wie Hanatbal: er konnte in den verschiedenen Idiomen mit ihnen reden. So hat auch wohl niemals ein Heerführer den Kriegsschauplatz auf ftember Erbe besftr zu benutzen verstanden. Unbarmherzig gegen die eigentlichen Feinde, versäumte er doch nichts, um die Verbündeten von ihnen ab, trüaaig zu machen. Er «ar verschlagen, wachsam, erfinderisch und, wo er selbst erschien, in der Regel unüberwindlich. Ihm gegenüber «ar dann Scipio emporgekommen, der von einem defenflvea Gedanken ausgiag. Oie Unerschütterlichkeit, mit welcher Rom auch in den bedräagtesten Umständen jede Annäherung abwies, erschien in ihm zngleich mit einem Schwünge gepaart, der ihn hauptsächlich zu großen Erfolgen sthrte. Indem er den Untergang seines Vaters und seines Oheims in Spanien zu rächen unternahm, unterwarf er das große Laad und führte dessen Einwohner von den karthagischen zu den römischen Göttern über. Er besaß einen Anflug griechischer Kultur und besonders eine Erhebung der Seele, die ihm an jeder Stelle B«, wunderung und Ehrfurcht verschaffte; er hat etwas vom großen Ale, xaaber, dessen Kampf gegen die orientalischen Systeme er im Abend, lande eigentlich vollendet hat: in ihm schlug schon eine monarchische Ader. Aber inmitten der ausgebildeten Republik und ihrer strengen und mächtigen Oberhäupter hätte er einem solchen Gelüste, wenn es

in ihm war, keinen Raum geben können; in den republikanischen Formen wußte er doch seine Gedanken zur Ausführung zu bringen. Der Übergang nach Aftika war sein eigenstes Werk; Agathokles und Regulus brauchten ihn nicht zu schrecken, da er in den Eingeborenen kriegsfähige Verbündete fand. Jetzt waren, soiusagen, die Rollen gewechselt, Hannibal «ar in die Defensive gedrängt, Scipio wnrde durch das Mißlingen seiner Friedensverhandlungen zur Offensive %v, nötigt. So kam es zwischen den beiden Heeren zur Schlacht bei Zama. Dem glaubwürdigsten Bericht zufolge wurde die Schlacht dadurch veranlaßt, daß Scipio dem Feinde in der Besetzung einer Höhe zu, vorkam, so daß Hannibal gezwungen wurde, die Nacht in der Ebene zuzubringen, an einer Stelle, wo es ihm selbst an Wasser gebrach. Ein Teil seiner Truppen, wahrscheinlich in Erinnerung an den Über, fall bei Utika, blieb bis an den Morgen in Waffen. In dieser Erschöp, fung beschloß Scipio ste anzugreifen.

5. Hannibal und Scipio. Noch heute hegen namhafte Geister die lebendigsten Sympathien für Hannibal. Ausgezeichnete Zeitgenossen — aus politischen sowohl wie aus militärischen Kreisen —, welche im Gedränge des Tages die großen Männer der Vergangenheit nicht aus den Augen verloren haben, erklären Hannibal selbst in intimem Gespräch für den größten aller Feldherrn, die je gelebt haben. Und gewiß: niemals hat es einen Kriegsführer gegeben, der eben dies in so hohem Grade war, wie Han, nibal. Sein Emporkommen beruhte auf der Armee, die von seinem Vater und seinem Schwager auf ihre eigene Hand aus verschiedenen Dölkerstämmen gebildet worden war, und die ihn selbst seiner Kriegs, tüchtigkeit «egen zum Oberhaupt erkor. Er wurde nicht von seiner Republik beaufiragt, er riß sie selbst zu seinem großen Unternehmen fort. Indem er dann die bereits besiegte Provinz durch Geiseln in Gehorsam hielt, durchzog er unbezwungene und nicht einmal ver, bündele Länder und überschritt die hohen Gebirge, die jeden anderen zurückgeschreät hätten, mit eben so viel Energie wie Gewandtheit. Don Ligurien her drang er dann an das Adriatische Meer vor, be, drohte Rom, das nun von allen Seiten angegriffen wurde, von Unter, italien aus, wenn nicht mit Untergang, so doch mit einem immer, währenden Krieg. Wer könnte ihm seine Bewunderung versagen! Aber auch Scipio hat ein der Lage, in der er sich befand, allezeit ent, sprechendes, den Punkt, auf welchen alles ankam, mit sicherem Takte

unterscheidendes Talent gezeigt. Der Wettstreit zwischen den beiden Feldherrn «ar zugleich ein Stteit der WeltkrLste untereinander. Weuv Hanaibal obflegte, so würde, wie schon angedeutet, die Unab, häugigkeit der kelüschen uud iberischen Nationalitäten, wie fle bisher bestand, auftecht erhalten, die Unabhängigkeit der italienische» Völker, schäften wahrscheinlich wiederhergestellt worden sein; aber zu eigeut, licher Macht, die auf selbständiger Autonomie beruht, wären weder die einen noch die anderen gelangt; über allen hätte die Überlegenheit des karthagischen Handels oder vielmehr des karthagischen Geldes, dem fle als Söldner dienten, und zugleich die Einwirkung des kartha, gischen Götterdienstes gewaltet. An eine italienische Nationalität wäre nimmermehr zu denken gewesen. Diese aber war es, welche die Römer begründet hatten und zu verteidigen gedachten, als fle den ersten Krieg unternahmen. Eta Sieg der Karthager würde die Gallier zu Herren von Italien gemacht haben, wie fle in dieser Epoche Griechenland und einen Teil vom Orient beherrschten. Der Sieg der Römer beruhte auf der eigensten Machtentwicklung einer aus flch selbst erwachsenen kriegerischen Kommune. Don da aus ist dann die Kultur des Okzidents ausge, gangen. Es ist das Verdienst Scipios, daß er Spanien und Asttka überwand und dadurch den Römern das Übergewicht im Abendland verschaffte.

6. Der Übergang der griechischen Bildung auf Rom. Das Werk des Mummius «ar die Auflösung der achäischen, d. h. in diesem Augenblicke der griechischen Unabhängigkeit. Es ist zweifelhaft, ob Achaja sogleich damals förmlich in eine Provinz ver, wandelt worden ist; die Freiheit der Städte blieb auch bei den neuen Einrichtungen gewahrt; nur kam, wie es flch nicht anders erwarten läßt, das aristokratische Prinzip, welches ja die Freunde der Römer umfaßte, zum Übergewicht. Politische Bedeutung und munizipale Freiheit hatten bisher immer zueinander gehört, einander gegen, fettig belebt; die erste hörte auf, die letzte bestand, aber unter der Herrschaft von Rom. Der Einwirkung der Griechen auf die Welt war damit nicht etwa ihr Ziel gesetzt: ihr eigentliches Leben kam in der literarischen unb künstlerischen Produktion zutage; sie hatten dieselbe über den Orient auSgebreitet, aber ihre Bestimmung wäre nicht erfüllt worden, wenn sie nicht auch in den Okzident vorgedrungea wäre. Einst hatten die Hellenen auf diesen durch Kommerz, Krieg und Kolonien Einfluß SS

zu gewinnen gesncht; dabei waren sie gescheitert; sie waren den Römern, der größten Macht, die sich im Okzident selbst erhob, erlegen; aber diese Macht war schon mit der griechischen Kultur in enge Verbindung getreten und verschaffte derselben einen nicht hoch genug anzuschlagen, den Einfluß auch im Abendlande, besten Umfang und Bedeutung fftr die Zukunft niemand ahnen konnte. Die Bedingung dazu lag in der innigen Verschmelzung des römischen und des griechischen Wesens. Ls kam vor allem darauf an, daß die Werke der griechischen Literatur und Kunst Angang und Nach, ahmung in Rom fanden: Rom mußte die Hervorbringung des griechischen Geistes in sich austrehmen und sie verstehen lernen. Doch war diese gleichsam didaktische Aufnahme noch nicht genügend; das geistige Leben mußte ein gemeinsames sein und in ein Moment treten, in welchem es als solches zu neuen Gestaltungen fortschritt. In der einen und der anderen Hinsicht hat niemand eine größere Wirksamkeit entfaltet, als der alte Hipparch der Achäer, Polybius. Man hat ihm zum Dorwurfgemacht, daß er sich von dem Interesse seines Landes getrennt und an das römische angeschlosten habe, was dann von trefflichen Männern dadurch entschuldigt worden ist, daß es einem jeden so gehe, der sich längere Zeit in fremden Ländern aufhalte und anberweite Anschauungen in sich auftrehme. Hier ist der Fall, daß die Andrücke, welche Polybius in Rom empfing, die allgemeinen und die größeren waren und die Interessen seines Landes mitbegriffen. Er erhob sich von dem Partikularismus, der keine Hoffnung mehr hatte, zu einem Universalismus, auf welchem die folgende Geschichte beruht. Polybius befand sich, wie erwähnt, unter den tausend Achäern, welche nach Rom ÜbergefÜhrt wurden, weniger um sich zu verantworten, als weil ihre dauernde Anwesenheit in Achaja der römisch gesinnten Partei, die durch den Sieg emporgekommen war, hätte gefährlich werden können. Zu den Anhängern des Perseus zählte Polybius Überhaupt nicht; er gehörte selbst nicht zu der Partei, welche die Römischgesinnten auszuschließen beabsichtigte: er hatte sich innerhalb der gesetzlichen Schranken gehalten. Wenn er die Autonomie von Achaja verteidigte, so konnte ihm niemand darüber einen gegründeten Vorwurf machen, da sie ja im allgemeinen in den Verträgen vor, behalten war. Den Römern fehlte es nicht an einer gewissen Sym, pachte dafür. Namentlich erwarb Polybius die Hochachtung des Mannes, durch dessen römische Tugenden der Sieg erfochten war. Während den Übrigen Griechen ein einstweiliger Aufenthalt außerhalb 56

Roms angewiesen wurde, bewirkte Ämilius Paulas, daß Polybius t« seinem Hause bleiben durste zur Gesellschaft und Ausbildung seiner Söhne. Wer hätte daju geeigneter sein können, als der hoch, gebildete Hellene, der sich im Krieg und im Staat hervorgetan, und der nur deshalb entfernt worden «ar, weil die durch den Steg |«t Herrschaft gelangte Partei seine Anwesenheit nicht hätte ertragen können. Es war mehr eine Wendung des Glücks, als eine Schuld, die ihn aus seinem Vaterland verbannte. Auch in jeder männlichen Beschäftigung, t-B. der Jagd, «ar er geeignet, den Söhnen des Ämilius tur Sette zu stehen, vor allem aber in den Studien. Nicht als Pädagog konnte und sollte er leben. Für Polybius selbst war es ein Glück, daß er in diese Familie ausgenommen wurde, mit welcher die mächtigsten und angesehensten Römer in Verbindung standen. Die widerstrebenden Gegensätze, die dieser Kreis erstrhr, trugen um so mehr dazu bet, den Ankömmling in das römtjche Wesen nnd seine Eigentümlichkeiten etnznführen. Aus dem DoppelverhLltuis, in dem er lebt«, dem griechischen und dem römischen, entsprang ihm eine Anschauung der Welt, die er in einem großen GeschichtSwerk ausge, sprochen hat. Niemand ist lediglich ein Bürger des Gemeinwesens, dem er ange, hört: das Menschliche erhebt sich aus dem Nationalen nnd über das, selbe. Darauf beruht alle Religion, überdies aber auch alle Teilnahme an der Entwicklung des menschlichen Geschlechtes. In dieser Epoche nun vollzog sich vor aller Augen eins der größten universalhtstortschen Eretgntsie, welch« überhaupt vorge, kommen sind: die partikularen Dölkerbilbnngen verschwanden; sie unterlagen der römischen Republik, in welcher sich jetzt die Summe aller Weltbewegung konzentrierte. Der Spätnachlebende kann sich das nicht ohne schmerzvolle Erregung vergegenwärtigen. Aber über den Fall der hellenischen Freiheit muß man hier nochmals hinweg, kommen, wie in den Zeiten Alexanders des Großen, — zumal da die Griechen des 2. Jahrhunderts mit denen des 4. nicht zn vergleichen waren, nnd die in jener Epoche begonnene Ausbreitung des hellenischen Geistes, die den Orient umgestaltet hatte, sich auch im Okzident voll, ziehen mußte. Polybius «ar fern davon, sich in unnützen Klagen über den Unter, gang der hellenischen Autonomie zu verlieren. Er faßte die Weltlage fest ins Auge und legte flch die Frage vor: wie es komme, daß die rö, mische Republik alle Nachbarn und Feinde überwnnden und die Ober, Herrschaft erworben habe. Lr sah den Grund in der inneren überlegen,

heil derselben, hauptsächlich in ihrer wohlerwogenen Politik und ihren «awiderstehltchen Waffen. Er hat sich darüber eingehend vernehmen lassen: denn er liebte Doktrin und System. Allein diese Ansicht nur im allgemeinen aufzustellen und den Vorzügen der Römer die Mängel anderer eatgegeazusetzen, würde nicht «eit geführt haben. Er nahm sich vor, die Geschichte seiner Epoche ausführlich zu schreiben, in der er lebendig mitgewirkt hatte. Wie zuerst vom achäischen, so sah er sie jetzt vom römischen Standpunkt aus an, ohne doch den einen oder den anderen zu reproduzieren: in der Anschauung der Dinge, die sich ihm bildete, verband sich der eine mit dem anderen. Große Epochen fordern ihre Geschichtsschreiber. Nicht alle Zeiten aber finden geeignete Interpreten der Ereignisse, die sich in ihnen vollziehen. Polybius war ein solcher. Aus den Konflikten des Orients und der Griechen war Herodot hervorgegangen; in den Konflikten der Griechen und der Römer hat sich Polybius ausgebildet. Aber die Männer sind verschieden wie die Zeiten. Herodot Hatte de» Vorteil, daß er durch und durch ein Grieche bleiben konnte: denn die Griechen hatten damals den Steg erfochten; er sah den Orient mit Unparteilichkeit und Wißbegierde an. Polybius dagegen schrieb in Rom; dem damaligen Griechenland widmete er zuletzt weniger Teil, nähme, als den Römern. Auch den Römern aber konnte er sich doch nicht vollkommen anschließea. Die Hingebung derselben für ihre Götter, ihre Überzeugung, daß Steg und Macht ihnen vorbestimmt sei, lag ihm ferne; er sagt vielmehr unverhohlen, daß das römische Reltgtonssystem von weisen Männern aus Rücksicht für die Menge erftmden worden sei. Er widmete selbst der altrömischen Geschichte keine besondere Aufmerksamkeit. Das Lebendige in den Arbeiten des Polybius ist seine Anschauung von Rom, den Ursachen seiner Überlegenheit, den Mitteln und Wegen seiner Welteroberung. Seine Schilderungen einiger Schlachten sind unübertrefflich; die Erzählungen von den politischen Unterhandlungen der Mächte untereinander gehören zu dem Besten, was über Trans, aktionea dieser Art jemals geschrieben worden ist. Polybius hält au dem Urkundlichen fest, dem er sogar mit besonderem Eifer nachforscht. Die einwirkenden Umstände, die dabei vorkommen, erörtert er einfach und unterrichtend. Er ist ein Mann aus der Mitte des Lebens, der die Geschichte schreibt, um den nachfolgenden Geschlechtern zur Belehrung zu dienen. Weder auf Vaterland noch auf Religion legt er Wert. Beinahe entrüstet ist er über die Mazedonier, daß sie trotz des Vorteils der republikanischen Einrichtungen, welche ihnen Rom gewährte,

flch dennoch durch ritten unwürdigen Menschen wie Pseudo,Philipp zur Empörung verleiten ließen; daß sie durch ein vaterländisches Gemein, gefühl, durch Erinnerung an ihre alte Größe und Unabhängigkeit dazu fortgeriffen sein könnten, kommt ihm nicht bei; solche an ein Göttliches anknüpfenden Motive sind ihm fremd. Eine Schwierigkeit machen ihm Männer, wie Scipio Africanus, dem er die vollste Be, wunderuug zollt, und dem man Impulse dieser Art zugeschrieben hat. Aber er «eist diese Tradition als erfunden zurück und hebt nur die Überlegung und männliche Tugend seines Helden hervor. Polybius sah in den Ereignissen einen Wettkampf des Verstandes, der Tapfer, Mt, der militärischen Disziplin sowohl, wie der guten Ratschläge; alles kommt bei ihm auf Vernunft und Willen an. Bei der durch und durch rationalistischen Anschauungsweise, der er huldigt, kann er sich jedoch nicht verhehlen, daß Begebenheiten vorkommen, welche flch aus den von ihm anerkannten Motiven nicht erklären lassen. Bei schweren Unglücksfällen, von denen einzelne oder ganze Gemeinwesen betroffen «erden, etwa bei langer Dürre oder unauf, hörlichen Regengüssen, läßt er sich wohl gefallen, daß man die göttliche Hilfe anflehe und zu erkunden suche, was man sagen oder tun solfe, um dem Übel ein Ende zu machen. Seine Ausdrücke, die ziemlich ironisch lauten, verraten, daß er nichts davon erwartet. Ganz unzu, lässig aber findet er ein solches Verfahren in den Angelegenheiten des Lebens bei unglücklichen Zuständen, deren Ursachen man ent, decken kann: da dürfe man nicht bis auf die Götter zurückgehen. Er steht geradezu im Gegensatz zu Herodot, der den Göttern einen unmittelbaren Einfluß auf die menschlichen Dinge zuschrribt. Auch schweigt er von dem Göttlichen in den menschlichen Institutionen, welches Thucydides anerkennt. Wie dieser über die Abnahme der Frömmigkeit zu klagen, kann ihm nicht beikommen, da er ja an die Götter nicht eigentlich glaubt. Dennoch hat die Tyche, die er annimmt, auch einen Bezug auf das Schicksal der Welt. Er meint, daß durch die Tyche allem eine Wendung gegeben wäre, die dem Emporkommen der Römer förderlich gewesen sei. Einmal entschlüpft es ihm sogar, der Tyche einen Anteil daran zuzuschreiben, wenn das Verbrechen bestraft wird. Der Nemesis geschieht bisweilen bei ihm Erwähnung, doch nur in den Reden, die er anderen in den Mund legt, über seine religiösen Überzeugungen findet sich nichts, was man zu wiederholen versucht sein könnte. Schon genug, daß er bet allem Gewicht, welches er auf das persönliche Verdienst legt, doch auch eine über demselben obwal, tende Macht anerkennt, die er bald mit dem Namen der Gottheit,

bald der Lyche bezeichnet. Für den Menschen aber ist fie unzugänglich und unerbittlich: in den Kreis des menschlichen TuvS fällt nur eben Verstand «nd feste Gesinnung. überall tritt bet ihm ein lebendiger Stan für das Stttlichschöae, die höhere Moral, hervor. Er zeigt sich darin als ein echter Grieche. Don der Pflicht, seine Ehre zu behaupten, hat er den stärksten Begriff: er billigt nicht allein, sondern er bezeichnet es als eine Pflicht, daß man sich eher töten, als eine Schmach über flch et# gehen lassen solle. Maa könnte sagen, darin lag der Beruf des Polybtus, daß er, iudem er die Welthisiorie einer großen Epoche schilderte, die griechischen Ideen, wie sie flch in seiner Zeit entwickelt hatten, in die Auffassung derselben übertrug. Leiber ist sein Werk nur fragmeutarisch auf uns gekommen; aber es hat dadurch eine unbegrenzte Wirkung gehabt, baß es von den römischen Historikern in ihre Arbeiten ausgenommen wurde, wodurch es dann geschehen ist, baß die Ansichten des Polybtus in manchen Punkten die allgemeinen geworden sind. Don großem Werte ist nun aber auch die Einwirkung, welche Polybtus in seiner Stellung unmittelbar ausgeübt hat. In der Ge# sellschast des jüngeren Lälius, des Derttauten des Scipio Ämilianus,

traf er mit Panätius, der von Athen herübergekommen war und hier die Lehren der Stoa, aber in einer für die Römer annehmbaren Form, vorttug, zusammen. Daß zwei Grieche» von größter Begabung, ein Philosoph und ein Geschichtsschreiber, in dem angesehensten Hause von Rom einen gemeinschaftlichen Wirkungskreis fanden, kann als ein Ereignis bewachtet «erden, durch welches die Derbin# düng der römischen Kultur mit der griechischen wesentlich vermittelt wurde. Don Panätius weiß man, baß er auch auf die formale Aus# btlbung der Rechtswissenschast Einfluß ausgeübt hat. In den philoso# phtschen Schriften Ciceros begegnet allenthalben der Rame des Panä# ttus, in den politischen mit historischer Grundlage der des Polybtus. Ciceros Buch über die Pflichten mag flch zu Panätius verhalten, wie die römische Geschichte des Livius zu der historischen Arbeit des Polybtus, wo der Grieche dem Römer vorlag. Die Schrift Ciceros über die Republik beruht auf den Ansichten, die Polybtus aufgestellt hat; das Gespräch wird eben in die scipionischea Kreise verlegt. Die Gmvtrkung der Griechen auf Rom, welche die Signatur der Epoche ist und ein wesentliches Moment zur Fortbildung der Weltgeschichte, gelangt in diesen Männern zur persönlichen Erscheinung. Zugleich aber kaun mau nicht anders, als ihnen auch einen Anteil an den Unternehmungen zuschreiben, welche ihr gemeinschaftlicher Zögling,

Scipio ÄmiltaauS, ausgeführt hat. Er ist der Eroberer vo» Karthago und Numautia.

7. Das Wesen der römische» Machtausbreituag. Innere Unruhen pflegen sonst die äußere Macht zu schwLchea, zu zerrütten. Aber die römische Republik war von einer Naturbeschaffen, heit, daß bei ihr eben das Gegenteil eiatrat. Bürgerkriege brachen auS, die zu den erregtesten, zu den heftigsten gehören, deren die Geschichte überhaupt gedenkt. Aber fle führten Schritt für Schritt zur Erwei, terung der Macht auf dem bereits eiugeschlageuen Wege, und zwar mit definitiven Resultaten. In der Zett der Bürgerkriege hat flch die Bildung der italienischen Nationalität «ater der Hoheit von Rom voll, zogen. Da ist auch die Unterweftrng des Orients in verschiedenen Stadien, die immer mit den inneren Bewegungen zusammenhLagea, durchgeführt worden. Nicht vollständig wurden die Eroberungen Alexanders in de» römischen Erdkreis ausgenommen; nur etwa in dem Umfang, den dieselben vor der Schlacht von Arbela erreicht hatten. Die westlichen Provinzen des alten perstschea Reiches schloffen flch dann um so enger an das römische Gemeinwesen an «ad wurde» eia Be, standteil desselben. Und fast noch mehr haben die bürgerlichen Ent, zweiungeu zur Konsolidierung der okzibeatalen Herrschaft der Römer betgettageu. Das nördliche Aftika nicht allein, sondern auch bas innere Spanten stab durch zwei Vordermänner iu de» Bürgerkriegen, Marius und Pompejus, überwältigt worden; die vornehmste Bevölkerung des Okzidents, die kelttsche, unterlag demselben Manne, der als der Be, grünber der monarchischen Gewalt in Rom bettachtet wird. Die Ro, manisterung Galliens und aller Regionen, in denen der kelttsche Name das Übergewicht besaß, wurde der Hauptgegenstand der Sorge seiner Nachfolger. Aus den inneren Bewegungen -tagen die Impulse hervor, welche zu den auswärtigen Unternehmungen führten; durch diese gewannen die Machthaber alsdann die Kraft, um auf das Innere entscheidenden Einfluß auszuüben. Wie alles entsprang, flch fort, entwickelte und dann zusammeagriff; auf welchem Boden flch die großen Männer erhoben, deren Nachruhm die Welt erfüllt; welches ihre individuellen Aattiebe, Handlungen «ab Erfolge waren, soll nun dar, gestellt «erden. Es ist eine der wichtigsten Epochen der Weltgeschichte; denn so wurde das Römische Reich gegründet, welches Orient und Okzi, dent in einer oder der anderen Form mehr als eia Jahrtausend be, herrscht hat.

Rom war die Hauptstadt aller Gebiete geworden, die man mit dem Wort „Erdkreis" zusammenfaßte, und twar in ganj anderem Sinne, als es frühere oder spätere Hauptstädte gewesen find. Don Ninive, Persepolis, Babylon aus, später auch von Alexandrien her, waren Reiche ansehnlichen Umfangs regiert worden, aber nur durch das Gebot der Macht, die, übrigens absolut, die vornehmsten Impulse, deueu sie außerdem folgte, von der Religion hernahm. Don einer gesetzlichen Beteiligung der großen Metropolen an der Ausübung der Gewalt «ar nicht die Rede. Im Rbmischea Reiche aber bildete die Haupt, stabt selbst zugleich in ihrer republikanischen Form die herrschende Autorität. Eine ähnliche Position hatte einst Athen namentlich in der Zeit des delischen Bundes eingenommen. Allein wie hätte sich diese dem Umfang nach geringfügige Macht mit dem vergleichen lassen, was Rom geworden war. Rom besaß die Oberherrschaft über alle das Mit, telmeer berührende Küsten und Lande; es vereinigte dieselben nicht etwa zu einer konstitutionellen Einheit, die auf der Spontaneität der verschiedenen Teile beruht hätte. Es legte den unterworfenen Nationen vielmehr seine Gesetze auf. Indem es ihnen einen gewissen Grad munizipaler und selbst provinzieller Autonomie gestaltete, behielt es sich die Gewalten vor, welche alles bedingen, die militärisch«, die legis, lattve und die richterliche in höchster Potenz, und brachte sie allen«, halben zur Geltung. Diese höchste Gewalt besaß es aber in seiner städtischen Form. Selbst die Heere ttugen den Stempel der Zivität. Maa erstaunte darüber, daß die siegreichen Armeen aus Truppen bestanden, sowohl zu Pferd als zu Fuß, bei deren Aushebung auf den Zensus Rücksicht genommen war. Alle Stteitigkeiten aus den ent, ferntesten Regionen wurden der Entscheidung des Senats vorge, legt; die Administration beruhte auf der römischen Magistratur und den Gesetzen, die bas Volk genehmigte. Wir haben ausführlich erörtert, wie sich einst in Rom aus den einheimischen großen Familien und den eingewanderten, doch dabei fteigebliebenea Nachbarn das Verhältnis zwischen Pattiziern und Plebejern herausbildete, und die letzteren allmählich zu einem gleich, mäßigen Anteil an den höchsten Magistraturen gelangten. Diese Verfassung hatte sich ohne sehr wesentliche Veränderungen behauptet und war noch in lebendigem Bestand. Sie erregte auch in ihrer Form die Aufmerksamkeit und Anerkennung der politisch geschulten Griechen. Polybius hat in einem der gelungensten Kapitel seiner Geschichte das Zusammenwirken aller Momente, die eine haltbare Verfassung konstituieren, zu diesem großen Gemeinwesen geschildert, welches er höher

stellt, als irgend ein griechisches oder das karthagische. Es ist eben das, selbe, das sich im Gegensatz der freien Männer gegen die einheimischen Erbgeseffenen gebildet hatte; aber welch eia Unterschied. Was damals in sehr engen Verhältnissen »«stände gekommen und in unaufhörlich wie wiederholtem Kampfe mit den kleinen Völkerschaften am Liber be, festigt worden, das sollte nun für gan»e Nationen maßgebend werden, welche durch die Kriegserfolge ihm unterworfen worden waren. Man dürfte wohl behaupten, daß die Fortbildung der Welt darauf großenteils beruhte: denn in Rom vereinigten sich die Motive der Kultur und selbst die Religionen, die daselbst ausgenommen wurden und homogenen Grund und Boden fanden. Hauptsächlich aber hatte sich in Rom eine Idee von Recht und Gesetzmäßigkeit entwickelt, welche fortan von niemand nach seinem Belieben vernachlässigt «erben durfte, noch konnte. Es war gleichsam ein Zentrum da, welches andere selbständige Staatsbildvagea aufhob oder thuen doch keine eigene volle Entwicklung gestattete. Rom besaß die Rechte der Souveränität über alle besiegten Landschaften und Völker im vollsten Umfang; diese aber mußten nun in den städtisch eiagelebtea Formen ausgeübt werden. Wie das geschehen sollte, «ar das größte welt, historische Problem, das noch vorgekommen «ar.

8. Cäsar als Herrscher. Wollte man den wesentlichen Unterschieb »wischen der an Herr, schäft streifenden Autorität des Pompejus und der Autorität, welche Cäsar durch seine Siege errungen hatte, be»eichaen, so lag derselbe vor allem darin, daß Pompejus »u seinen Handlungen der Autori, sation des Senats und, nach den damaligen Formen, des Volkes bedurste und darüber mit ihnen verhandeln mußte; Cäsar aber die höchste Gewalt als den Preis des Sieges »«gleich über den Gegner und über den Senat in die Hand nahm. Die vorliegende Frage war nun, wie eine solche Autorität mit der bisherigen Verfassung, der sie im Grunde gerade»» entgegen lief, doch formell wieder in Einklang gebracht «erden konnte. Daran, daß Cäsar dem Volke die legislative Gewalt, die ihm durch die tribuni, »ischen Agitationen hatte verschafft werden sollen, »»gesprochen hätte, war nicht »u denken. Er nahm diese vielmehr selbst in Besitz. Cäsar hatte den Senat gestür»t; aber des Senats konnte auch er nicht ent, behren. Schon durch die unter der Zensur des Appius Claudius im Jahre 50 vorgenommenen Ausschließungen war diese Körper,

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schäft geschmälert; durch die Ereignisse des Krieges «ar sie vollkomme« auSeiuandergesprengt worben. Cäsar schuf sich einen neuen Senat, in# dem er die von ihm gesetzten Magistrate nach ihrem Austritt aus dem Amte als Senatoren bttrachtete. Dieser Senat nun faßte nach der Niederlage der altsenatorischen Partei bei ThapsuS Beschlüsse von der größten Wichtigkeit. Cr erkannte den Sieger als das Oberhaupt an; er überttng ihm durch die Diktatur die Unveranttvortlichkeit für die ganze Dauer ihres Bestehens. Indem nun hiemit auch die Zensur unter dem Titel: Praefectura Morum, verbunden wurde, der das Recht zukam, aus dem Senat auszuschließen, so erklärte sich der Senat, der seine Ext# stenz dem Sieger verdankte, in seiner ganzen Zusammensetzung für abhängig von demselben. Cäsar schloß nicht allein aus, wer ihm miß# fiel, sondern er nahm auf, wen er wollte. Cr brachte seine Waffen# genossen aus Gallien und Spanien, Tribunen nnd Centurionen seines Heeres nnd viele andere, von denen nicht allemal unzweifelhast «ar, ob sie Freigeborene seien, in den Senat. Gleich im Anfang wurde ihm eine bevorzugte Stelle bei den Sitzungen desselben, das Recht, seine Stimme zuerst abzugeben, votiert. An der Neubegründung des Senats nahm das Dolk keinen Anteil. Cs verlor sein Recht, zu den Magistratnren zu wählen, aus denen derselbe hervorging, wenn nicht gerade formell, aber faktisch. Dies mag damit entschuldigt worden sein, daß dem Unwesen der Bestechungen, welche in den letzten Zeiten das Forum beherrscht hatten, wie ja auch Sallust geraten, ein Ende gemacht «erden sollte. Insofern aber das Recht bestehen blieb, wurde ihm doch seine bisherige Beziehung zu der allgemeinen Der# fassnng möglichst entzogen. Cin Beispiel von Cäsars Verfahren bildet seine Anordnung in bezug auf die Quästur. Cäsar vermehrte die Zahl der Quästoren auf vierzig; er setzte jedoch fest, daß bei den zwanzig zuerst zu ernennenden seine Empfehlung berücksichtigt «erden müsse. Diese seine Kreaturen bildeten dann eine regelmäßige Ergänzung des Senats. Aber unabhängige Magisiraturen, die sich auf eine eigene Autorität gestützt haben würden, konnte es bei dem neuen Zustand der Dinge überhaupt nicht geben. Die Römer hatten jetzt ein Ober# Haupt, das nur noch Beamte brauchte, ohne alle republikanische Opposition. Dabei blieb es, baß die erledigten Provinzen an die ab, ttetenden Prätoren nnd Konsuln verteilt wurden, aber die Ernennung zu diesen Ämtern lag ganz in Cäsars Hand; die Amtsdauer der prä# torischen und konsularen Provinzen wurde von ihm neu bestimmt. Das öffentliche Vermögen behandelte er ganz nach seinem Gut#

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dünk» ducrch feine eigenen Lente, wie es denn auffiel, daß er dringende

Geschäfte, namentlich solche, welche besonderes Vertrauen erforderten, durch feine Freigelassenen ausführen ließ. Memand hätte ihm in den Weg tteten können. Die Tribunen, die an fich dazu berufen gewesen wären, hatten keine Bedeutung mehr. Ihre Jnviolabilität wußte Cäsar sogar )tt seinem Vorteil zu benutzen: er ließ sie auf sich selber übertragen. Das Oberpontifikat, das ihm die alten Gegner so &e, sonders beneidet hatten, verschaffte ihm auch Ansehen im Kreise der mächtigen Priesterschaften. Durch die Siege in Spanien gelangte der Oberbefehl über die bewaffnete Macht vollends in seine Hände. Er beherrschte die Pro, vinzen in ihrem vollen Umfang. An jeder Stelle finden wir die Tendenzen einer werdenden Monarchie, verbunden mit Repressionen der Mißbräuche und Sorge für das allgemeine Wohl. Ein Denkmal seiner Großes und Kleines umfassenden Tätigkeit ist die Lex Julia municipalis, welche unter seiner Autorität im Jahre 45 ins Leben trat. Darin finden sich eingehende Bestimmungen über die Steinl# gung und Erhaltung der Sttaßen in Rom und der nächsten Um, gegend, denen nur eine lokale Bedeutung zukommt; überdies aber eine Bestimmung über den Empfang der Getteidespenben, durch welche es möglich wurde, die Wohlhabenden von denselben anszuschließen, so daß die Zahl der Empfänger, wie berührt, verringert werben konnte. Die Hauptsache aber ist eine Art von Städteordnung für die Munizipien und Kolonien, welche dahin zielte, das Deknrionat und die städüsche Magistratur von dem Eindringen unwürdiger Mit, glieber zu reinigen. Zn denen «erden auch solche gerechnet, welche durch anderwärts ergangene Verurteilungen bettoffen worden waren. Der Mangel des erforderlichen Alters soll durch geleistete Kriegs, bleuste ergänzt werden können. Ein Zensus wird angeordnet, der mit dem Zensus in Rom in engster Verbindung stehen soll, so daß mau die Zahl und Qualität der römischen Bürger jeden Augenblick übersehen konnte. Eäsar selbst «ar damals nicht Zensor; aber als Praefectus Morum stellte er einen Zensus an, nicht mehr in den alten Gewohnheiten, sondern nach der durch die nunmehrige Lage der Dinge gebotenen Weise. Die durch den Besitz der Gewalt ihm zugeteilten Befugnisse übte er würdig und großartig aus. Mau muß davon absehen, die Reihenfolge der Attributionen, die Cäsar sich erteilen ließ oder ohne weiteres in Besitz nahm, eingehend aufzuzählen. Wir sind darüber viel zu dürftig unterrichtet. Aber über allen diesen Kumulationen magistratischer Befugnisse und der Aus,

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Übung der damit verbundenen Gewalten schwebte noch eine andere Idee, die, auS den Stege» entsprungen, einen höchst umfafienden persönlichen Anspruch in sich schloß. Nach dem spantschev Kriege stad Gold- uud Silberdenare geprägt worden, die auf dem Revers das lorbeerumkränzte Haupt Cäsars zeigen mit der Deischrift Caesar Imperator, auf der Rückseite die Venus Victrix mit der Lanze in der einen, der Viktoria in der andern Hand. Man sah in seinen Siegen und der aus denselben hervor­ gegangenen Gewalt bereits etwas Übermenschliches.

Das erhellt unter anderem auch daraus, daß man auf dem ehernen Bild des Weltkreises, wie man ihn verstand, ein Bildnis Cäsars angebracht hat mit der Beischrift: er ist ein Halbgott. Eine unterwürfige Dienstbeflissenheit, in der man doch mehr sehen darf, als bloße Schmeichelei. In dem Sieger, von dem alles abhing, erkanntem an etwas an die Gottheit Stteifendes, über die Grenzen des Menschlichen Hinausgehendes an, dem man sich «nterordnete. Don den Pharaonen Ägyptens war die Idee der Göttlichkeit der Höchsten Gewalt auf die mazedonischen Dynasten übergegangen. Durch Cäsar erlangte fie Eingang in Rom.

Die höchste Gewalt, die jetzt zum ersteumal in einer Hand ton# zentriert, gegen welche eine legale Opposition in Rom selbst unmöglich «ar, widmete ihre Tätigkeit universalen Zwecken; sie setzte sich große Ziele, welche den ganzen Umkreis der unterworfenen Völker umfaßten. Nicht mehr die Hauptstadt mit ihren inneren Umtrieben und Entzwei­ ungen, sondern der Gedanke eines Mannes, der diesen ein Ende gemacht hatte, sollte das Szepter führen. Don Stnope her bis nach Gades wurde eine Anzahl von Milttärkolonien angelegt, um den Verkehr auf dem inneren Meer zu sichern. Das wichtigste vielleicht von allem, was Cäsar geleistet hat, ist seine Ausbreitung des lateinischen Namens in der westlichen Welt. 9. Cäsars Ermordung.

Wollte man sich Cäsar als einen Fürsten denken, dem die Mörder durch Herkommen oder Huldigung zum Gehorsam verpflichtet waren, so müßte die Tat als eine der verabscheuungswürdtgsten bewachtet werden, die jemals vollzogen worden ist. Die Moral des Altertums erlaubte Handlungen dieser Art. Wie wurden die Tyranniziden in dem alten Griechenland von der öffentlichen Stimme als Landes# befteier gefeiert! Die Verschworenen sahen in Cäsar eben nur einen

Tyrann« und meinten, dnrch ihre blutige Handlung das Vaterland zu hefteten. Daß der faktische Gehorsam in eine Art von Unter, tauenpflicht verwandelt würde, dahin wollten fle es nicht kommen lasten. Unaufhörlich haben fle sich auf die Verjagung der alten Könige bezogen. Welch ein Unterschied aber in den Zeiten und den motivierenden Gedanken. Bei der Verjagung der Tarquinier ging alles von den übermütigen Gewalttätigkeiten der engeren Familie des Herrschers aus: hier war von einer solchen eigentlich nicht die Rede. Die Macht des zweiten Tarquintus lehnte flch an bas Übergewicht der Nachbarn über Rom; Cäsar beherrschte die Welt. In den alten Zeiten begnügte man sich, den König zu verbannen; Cäsar wurde ermordet. Die Republik wurde einst auf die Institutionen des Königtum- be, gründet; dem Diktator rechnete man es als die schwerste Verschuldung au, daß er bas Königtum, wenigstens unter gewissen Formen, habe «iederherstellen wollen. Um flch des Königtums zu erwehren, ver, einigte flch damals die Stadt zu einem auswärtigen Kriege; jetzt war alles das Werk der heftigsten inneren Parteiungen. Die Partei, welche die Ermordung vollzog, «ar durch patriotische Erinnerungen, die an Religion streifen, belebt; fie fußte auf dem republikanischen Gedanken, der seit Jahrhunderten der vorwaltende in der Welt ge, worden war. Doch hat man wohl erinnert: Brutus sei doch kein echter Stoiker gewesen; denn die Stoa vertrage stch mit dem Königtum. Abstrahieren wir aber von der republikanischen Moral; kommen wir auf die poliüsche Intelligenz, welche doch nicht ein Gefühl des Augen, blicks, sondern eine Erwägung der unfehlbar zu erwartenden Folgen voraussetzt. Die poliüsche Frage lag darin, ob der Senat, unter dem die Welt, Herrschaft erworben war, geeignet sei, dieselbe zu verwalten. Der Senat konnte doch dem inneren Bedürftüs der Republik nicht gerecht werden, einmal weil er flch in verschiedenarüge Jnteresten spaltete, die alle befriedigt sein wollten; hauptsächlich aber auch des, halb, «eil die Zivilgewalt nicht Kraft genug hatte, um die militärischen Oberhäupter in Pflicht zu halten. Cäsar war der Meinung gewesen, schon durch die JnviolabilitLt, die mau ihm votiert, die Verdienste, die er sich um alle namhaften Persönlichkeiten erworben hatte, die Notwendigkeit des großen Unternehmens, mit dem er umging, gesichert zu sein. Ein besseres Oberhaupt zu finden, war nicht möglich; und wie er dann, wenn es ihm gelungen wäre, die Parther zu besiegen, den Staat geordnet hätte: wer wollte es sagen? Er würde die Alleinherrschaft für seinen 5*

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Nachfolger unerschütterlich festgestellt, aber — kein Zweifel — er würde zugleich alles Lebensfähige in der Hauptstadt und den Provinzen zu konservieren Bedacht genommen haben.

Im Besitz dieser Stellung und der daran sich knüpfenden unermeß, lichen Aussicht ist er getötet worden.

Ja dem Ereignis kann ich nur den objektiven Konflikt der großen Interessen sehen. Der republikanische Gedanke, der in der Geschichte der vergangenen Zeiten wurzelte, erhob sich gegen den monarchischen, der eben in seiner Bildung begriffen war und den Anforderungen der Gegenwart entsprach.

io. Prinzipat des Augustus.

Es ist, wenn ich nicht irre, eia Mißverständnis, wenn man von einer Einführung der Monarchie in aller Form in Rom spricht, gleich als wäre dadurch etwas geschaffen worden, was dem alten orientalischen Königtum oder auch den Reichen der Nachkommen Alexanders ähnlich gewesen wäre. Die Unterordnung der römischen Republik unter eia einziges Ober, Haupt beruht auf ihrem eigenen Prinzip. Wie einst Alcibtades sich der Autorität des athenischen Gemein, wesens nicht entzog, aber doch widersetzte, so emanzipierte sich LajuS Julis Cäsar von der eingerichteten Staatsordnung in Rom. Im offenen Gegensatz mit den Beschlüssen des Senats überschritt er den Rubico und wurde durch einige große Feldzüge Meister der römischen Gebiete. Alcibtades «ar uatergegangen, weil er keine eigene Macht be, saß; Cäsar besaß eine solche, and als sein Glücksstern ihn verließ — wir wissen, wie er den Versuch der Alleinherrschaft mit dem Lobe büßte —, hinterließ er doch die Elemente und Grundlagen seiner Stellung, die nunmehr einen Erben geftmden hatten. Oktavian war nun noch in tiefgreifenderem Sinne Alletvherr, als Cäsar es gewesen war. Er hatte die zweifelhaft gewordene Gewalt behauptet, zugleich als Erbe und als Sieger. Die Legionen, welche die Siege errungen, waren eben dadurch an den einzigen Herrscher ge, knüpft, der sie durch Freigebigkeit zu fesseln, aber auch durch seine Autorität in Unterordnung zu halten wußte. Es waren die Legionen des alten Cäsar, die sich um den neuen gesammlt hatten, in welchem sie den rechten Erben des Julius Cäsar anerkannten. Bis auf einen

gewtsieu Grad «ar die Alleinherrschaft da; aber unbedingt konnte sie nicht sein; sie «ar immer an die Idee von Rom geknüpft, die sich in den alten Formen darstellie nnd doch auch wieder die Macht des Imperators selbst begründete. Neben den Bildern des Augustus hat mau überall das BUd der «eltbeherrschendea Roma aufgestellt. Die Idee der höchsten @e# «alt, die einer einzigen Persönlichkeit -«gefallen «ar, und die Idee von Rom und seiner Weltherrschaft ließen sich nicht voneinander trennen. Wie sie sich zu einander verhalten, miteinander ausgleichen würben, war das für die Weiterentwicklung des Gesamtlebens vor, liegende Problem. Oktavian brachte Frieden und Steg von seinem asiatischen Kriege zurück. Er gab der Hauptstadt im Jahre 725 der Stadt (29 vor unserer Ära) das Schauspiel eines dreifachen Triumphes über Illyrien, Ägypten und die Feinde bei Aftium. Was durch Antonius zweifel, hast geworben «ar, daß Rom die Hauptstadt der Welt sei, wurde nvu, durch jenen Triumph über seine Anhänger im letzte« Kriege, außer allen Zweifel gesetzt. Ium erstenmal nach dem ersten puutscheu Kriege wurde der Janustempel geschloffen. — Nachdem Oktavian den Jmperawrentitel auf gewöhnliche Weise oftmals geführt hatte, wurde ihm derselbe bleibend zuerkannt. Auf den Rang eines fortwährenden Imperators aber kam es nicht an, sondern auf die ganze mit demselben faktisch vereinigte Gewalt. Oktavian hat einmal den Gedanken — man weiß nicht, ob gehegt, aber doch geäußert, diese Gewalt ntederzulegea. Dazu habe ihn, sagt man, besonders der Dorwurf des Antonius veranlaßt, daß es nur ihm zugeschrieben «erben müsse, wenn die Republik nicht wieder, hergestellt worden sei. In einer SenatSsttzung des Jahres 727 (27 vor unstrer Ära) hat er nun wirklich den Antrag gemacht, daß dies in aller Form geschehen solle. Jetzt, sagte er im Senat, seien die Austührer bestraft oder durch Gnade herbeigebracht, die Freunde befestigt. Niemand könne Neuerungen anfaugen: er habe ein mächtiges Heer, Geld, Bundesgenossen, Gunst bei dem Senat und dem Volk. Allein et lege jetzt die ganze Gewalt nieder, Waffen und Provinzen: niemand solle sagen, baß seine politische Haltung die Alleinherrschaft bezweckt habe. Die Rede kam nicht allen unerwartet. Einige der Vertrauteste« waren im voraus davon unterrichtet. Indem Oktavian noch sprach oder vielmehr las — denn er pflegte seine Reden abzulesen —, wurde 69

er vielfach unterbrochen und, nachdem er geendigt, von allen Seiten bestürmt, die Gewalt, die er in Händen habe, zu behalten. Dena sie bedurften, wie unser Gewährsmann Dio nach den Begriffen seiner Zeit sagt, der monarchischen Gewalt. Ja der Tat wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das eben Geschehene ungeschehen zu machen. Hätte man dem Inhaber der Gewalt dieselbe wieder ent, ziehen «ollen, so würden die Irrungen und Leidenschaften der eben «ater den heftigsten Stürmen durchlebten Epoche wieder erneuert worden sein. Die Aufgabe lag vielmehr darin, die höchste Gewalt in der Form, wie sie nunmehr bestand, zu konservieren und dabei doch auch die aus der Republik herübergekommenen Ansprüche soweit als möglich zu beftiedtgen. Denn auch Volk und Senat bestanden. Oktavian hätte sich ihrer nicht entledigen können, wenn er nicht etwa als orientalischer Despot austreten wollte. Nach alledem, was bet Cäsars Leben und Tod, unter dem letzten Triumvirat, namentlich im Kampfe mit Antonius geschehen war, konnte Oktavian daran nicht denken. Dabei bekam seine Autorität einen eigentümlichen Charakter. Nicht ohne Bedeutung nach dieser Seite hin ist es doch, «en« er den Namen Cäsars, dessen Nachfolger er war, mit dem Nimbus der Divinität umgab. Dem Zusatz zu seinem Namen: Sohn des Casus, dessen er sich anfangs bediente, zog er später den anderen: Sohn des Göttlichen, vor. Diese Göttlichkeit war schon in den Tu, multen der Bürgerkriege dekretiert; dem Andenken Cäsars waren Altäre errichtet; baß man damit an die alten Sagen von dem Ur, sprung Roms aaknüpste, «ar immer von Einfluß, doch gab die Lage der Dinge dazu noch eine allgemeinere Beziehung. Wenn ich meine Mei, nong, wiewohl mit einigem Bedenken, aussprechen darf, so hatte sie einen gewiffen Anhalt in den Ereignissen. Denn war nicht alles, was damals die Welt beherrschte, von Cäsar begründet worden? Das weltbeherrschende Ereignis lag in den Siegen der Legionen Cäsars. Deren Bildung und Ruhm aber beruhten auf ihm; sein Werk lebte «ach seinem Tode fort. Der Nachfolger Cäsars konnte sich als den Sohn dieses göttlichen Menschen betrachten. Eine verwandte Beziehung hat auch der Titel Augustus, welchen Oktavian am Anfang des Jahres 27 annahm, der dann sein historischer Name geworden ist. Das Wort bezeichnet ursprünglich die durch die Augurien geheiligte Örtlichkeit. Bei den Dichtern ist es immer als ein Epitheton der

Götter gebraucht worden. Die Gewalt selbst hat keinen Namen; sie erscheint in der Person dessen, der sie besitzt, und der gleichsam eine

göttliche Mission dazu in Anspruch nimmt. Aus den großen Waffen­ taten und dem Zusammenhang der Degenheitea entsprang diese Auffassung. Aber ohne die Deistimmung des Senats und des Volkes von Rom hätte sie keine Gewähr noch Sicherheit gehabt. Diese beiden Grundpfeiler der Republik mußten erhalten bleiben. DaS Kaisertum, das von Läsar-Augustus den Namen trägt, ist nicht eine absolute Gewalt. Die Autorität ist immer durch Gesetze gebunden. Aber es besitzt eine über dieselbe hinausreichende, aus der Lage der Dinge entspringende, auf eigenem Entschlüsse beruhende Machtvollkommenheit. Don welcher Bedeutung nicht allein für Rom, sondern für die Welt überhaupt und für alle folgende Zeit waren die Verfügungen, welche Augustus in Gallien und Spanien traf! Die Romaatflerung des Okzidents ist durch Cäsar angebahnt worden: ihre feste Begründung ist bas Werk des Augustus, der dafür der Beistimmung des Senats bedurfte und eine solche nach der Umwandlung aller politischen Derhältnisie, die dieselbe einst erschwert hatten, ohne Widerspruch erhielt. Zu den welthistorischen Verdiensten des Augustus gehört die Organi­ sation der Provinz Gallien, in welcher auf den Grund der bisherigen Stammverfassungen und Gebiete Städte nach römischem Muster gegründet wurden, deren Ansehen dann für die folgende Zeit maß­ gebend geworden ist. Augustus hat unzählige Kolonien gegründet, die vornehmste in Gallien iugdunum, in Spanien Emerita Augusta. Auch «ach Aftika hat er einige tausend Kolonisten geführt. Die zivilisatorische Arbeit der Zeit war vornehmlich diesen Re­ gionen zugewendet. Auch darum nahm sie damals eine Richtung von dem Osten nach dem Westen, «eil dem Römischen Reiche im Orient unübersteigliche Grenzen gesetzt waren. Die Ehre des römischen Namens hat Antonius im Orient vielleicht hergestellt, die entgegen­ stehende selbständige Macht von Parthien und Indien aber keineswegs überwältigt. Wieviel fehlte noch daran, daß die Macht der hellenistischen Könige im Osten erneuert gewesen wäre I Aber eben in dieser Beschrän­ kung lag es, baß das Römische Reich seine Kraft um so mehr nach dem Westen richten konnte. Dahin warf Augustus auch die in Italien zu­ grunde gerichteten Landbesitzer und den Zug der militärischen Ansiede­ lungen. Hieraus ist dann eine Gemeinschaft zwischen Gallien, Spanien und Italien hervorgegangen, welcher in der Komplikation der Welt­ verhältnisse fortan die größte Rolle zufiel, und welche die Grundlage der romanischen Nationen in Europa und Amerika bildet. Italien wurde nun der Mittelpuntt der gebildeten Welt. Rom selbst wurde eS

antet den Cäsaren mehr, als es jemals in den Zeiten der Republik gewesen «ar. Eine der großartigsten Stellnngen in der Geschichte aller Zeiten nimmt Angnstns ein. Man darf ihn nicht als einen ersten Begründer, als einen schöp­ ferischen Genins betrachten: das Wesen seines ganze« Lebens ist, baß er ein Erbe «ar, aber ein solcher, der die Erbschaft, deren Rechte ihm »nfielen, in unaufhörlichem Stteit zur Geltung zu bringen gewußt hatte. Er hatte seinen Anspruch in allen Phasen seines Lebens vor Augen gehabt: zuerst gegen Antonius in Verbindung mit dem Senat, dann im Kampfe gegen den Senat in Verbindung mit Antonius, hierauf im Kampf gegen Antonius selbst. Durch besten Ausgang war er in unbestrittenen Befltz der Autorität gelangt, welche Cäsar besessen hatte, und das Geschäft seines Lebens bestand nun eben darin, diese Gewalt, die in dem Moment ihrer Selbstbilbung ver­ nichtet worden «ar, haltbar und auf immer zu begründen. Er tat das mit einer Verbindung von Energie und Geschmeidig­ keit, von politischer und kriegsmännischer Tätigkeit, welche nicht zum zweitenmal wieder vorgekommen ist. Er war in den verschiedenen Abwandlungen, welche seine Sache annahm, den Forderungen der­ selben immer gewachsen. Sein vornehmstes Talent war, wenn wir nicht irren, das der Organisation, nicht nach dem Belieben der Willkür, noch den Ansprü­ chen, die jeder nach altem Herkommen erhob, sondern nach Lage der Sache. Er glich die höchste Gewalt, insoweit das überhaupt möglich «ar, mit deu bestehenden Rechten aus. Dabei kam ihm dann nichts mehr zu statten, als die Erinnerung an den Sturm der bürgerlichen Kriege, die man soeben bestanden hatte. Er hatte nicht die imponie­ rende Erscheinung, die seinen Großoheim vor allen Menschen aus, zeichnete; er «ar eher klein von Gestalt: aber stei von aller Unruhe. Der Befltz der Gewalt gab ihm Würde; seinen Augen schreibt man einen überwältigenden Eindruck zu. Einst im hohen Gebirg ist in einem seiner Begleiter an einer Stelle, die hiezu geeignet war, der verruchte Gedanke aufgestiegen, den Herrscher der Welt vom Felsen herabzu­ stürzen. Der Mann hat bekannt, daß der Anblick des Imperators, das Selbstbewußtsein der Hoheit, das diesem eigen war, ihn davon zurückgebracht habe. Cäsar hatte keinen Freund: Augustus besaß deren zwei: den kriegsgewaltigen Agrippa, mit dem er in Familien­ verbindung trat, und den feinen, genußliebenden, aber sinnvollen 7-

MLceuas, unter dessen Protektion die großen Talente gediehen, tvelche die Epoche auszeichnen. Auch AugustuS hat Denkwürdigkeiten ge, schrieben, wie Cäsar. Sie sind leider verloren gegangen. So wichtig für die Nachwelt würden sie nimmermehr geworden sein. Seine per, sönliche Gesinnung würben wir aber daraus mit größerer Bestimmt, heit abnehmen können, als es jetzt möglich ist.

D. Die Gestaltung der christlichen Welt des Abendlandes. i. Jesus Christus. Niemand wird erwarten, daß ich die Lebens, und Leidens, geschtchte Jesu, wie sie in den Heiligen Schriften kindlich und populär, tiefsinnig und erhaben überliefert wird, in die Weltgeschichte eiustechte. Die Gebiete des religiösen Glaubens und des historischen Wissen- stehen nicht im Gegensatz miteinander, sind aber doch ihrer Natur nach getrennt. Der Historiker kann von dem eigentlich Religiösen abstrahieren; er hat nur die Ideen zu erforschen, welche durch ihre Macht die allgemeinen Deweguugen veranlassen und ihre Strömung beherrschen, und an die Tatsachen zu erinnern, in denen sie sich manifestiert haben. Dort an dem Galiläischen See hat Jesus von einem Schiffe her bas neue Evangelium von dem anbrecheuden Reiche Gottes verkündet, welches, eben im Gegensatz sowohl zu der Herrschaft der Cäsaren, als zu dem partikularen Gemeinwesen der Juden, der Menschheit eine allge, meine Bereinigung rein geistiger Art in Aussicht stellte. Er verstand darunter die Genossenschaft der Gläubigen. Er sprach unumwunden aus, daß sich diese Genossenschaft keineswegs auf die Juden allein beschränken werde. In Kapernaum fand er in dem römischen Centurio mehr gläubige Hingebung, als bet irgend einem Israeliten. Auf einer seiner Wanderungen, die ihn in die Nähe von Samarta führten, finden wir ihn bei einem Brunnen sitzend, wo er sich, ohne Rücksicht auf die Antipathie der Juden, aus dem Schöpfgefäße eines samaritauischen Weibes erlabt. Einige tiefsinnige Fragmente sind uns aufbewahrt, in denen von dem Verhältnis der sinnlichen Nahrung zu der geistigen die Rede ist. Dort in Samaria wurde er wohl zuerst al- der verheißene Messias anerkannt: ein Gedanke, der das Prinzip seines Lebens «ar, durch den er doch allezeit wieder an Sinn und Inhalt der jüdischen Lehren und der Heiligen Schrift anknüpste.

In ihrer zurückgedräugten Stellung hatten die Jude», «le gesagt, von jeher ans die Rettung durch einen göttlichen Menschen, der tugleich Gesandter Gottes und ihr König «erden sollte, gehofft. Was «Lee aber damit der Menschheit geholfen gewesen? Die Religion wäre zugleich in politische Herrschaft ausgeartet. Und niemand konnte sich in jenen Zeiten ohne fanatische Impulse ein Ereignis dieser Art auch nur möglich deuken. Christus belehrte die Juden, daß ihre messianische Erwartung nicht den Staat Betreffe, sondern die Religion. Die Religion sollte als solche die Menschheit durchdringen, der Monotheismus, frei von dem Zeremonialdienst, die Religion der Welt «erden im Sinne der Urzeit. Der Messias ist der Gründer des Reiches Gottes, welches eben darin besteht, daß der Mensch flch demselben hingibt, in ihm lebt und stirbt. So kann es den geistigen Boden bilden, auf welchem, neben dem politischen Bestand, flch bas Gefühl einer höheren allum­ fassenden Gemeinschaft der Menschheit erhebt und ausbilbet. Hätte flch nicht, so darf man fragen, die Idee der Menschheit auch auf eine andere Weise entwickeln können — in dem Sinne der plato­ nischen oder auch der stoischen Philosophie? Aber das wäre dann nicht Religion gewesen, es hätte nicht an die ältesten Überlieferungen der Menschheit und ihre Überzeugungen angeknüpfi. Auf diese Verbin­ dung kam es an. Gerade dadurch aber mußte der Stifter flch mächtige Wider­ sacher erwecken, deren Feindseligkeit sein Leben bestimmte. Hohe­ priester und Schristgelehrte nahmen an seinen Überschreitungen des

Zeremoaialgesetzes, besonders auch an seinen Heilungen am Sabbath Anstoß. Das uaerttäglichste aber «ar ihnen, daß der Gedanke, auf «elchem ihre Dolksgeuoffenschaft beruhte, Überboten und dadurch zerstört wurde. Als Jesus sich in den unmittelbaren Bereich dieser priesterlichen Gewalt begab, wie fle damals unter den Römern bestand, welche sie hätten vernichten können, aber doch anzuerkeanen verpflichtet waren, wurde er ergriffen und vor Gericht gestellt. Er hatte wohl gesagt, er würde den Tempel zu zerstören und in kurzem «iederherzustellen imstande sein, was doch unverhohlen anküadigt, daß die bestehende beschränkte Gottesverehrung aufhören und eine andere in seinem Sinne an deren Stelle treten werde. Damit greift es zu­ sammen, wenn er behauptete, der Messias zu sein, und eine unmittel­ bare göttliche Mission im Leben und selbst nach seinem Tod dafür in Anspruch nahm. Das Synedrium, das nach einem in der Nacht vor­ genommenen Verhör des Morgens ftüh zusammen berufen wurde, verurteilte ihn zum Tode.

Um jedoch das Urteil zu vollstrecke«, «ar die Einwilligung «ad Mitwirkung des Prokurators notwendig. Dieser widmete de« gegen Jesus vorgebrachten Beschwerden keine besondere Aufmerksamkeit; au und für stch würde er zu keiner Verurteilung geschritten sein. Aber das Verhältnis, in dem er stch befand, war nicht dazu angetan, einem von den Landesbehörden gefaßten Beschluß zu widerstreben. Und überdies: Jesus hatte sich im Siune der Messias,Idee als König begrüßen lassen und wohl auch selbst bezeichnet. Er «ar entfernt davon, bas jüdische Königtum etwa den Römern gegenüber aufrichten zu «ollen: der Gedanke kam ihm nicht in die Seele. Allein der Hohe, priest« machte den Prokurator aufmerksam, daß sich Jesus als König der Juden gebärdet habe: Pilatus würbe der Freund des Kaisers nicht sein, wenn er eine« Menschen dieser Art am Leben lasse. Ange, wiesen, die de« Juden noch verbleibenden Reste der Selbständigkeit zu schonen, und mit einer Beschwerde bedroht, die ihm in Rom gefährlich werden konnte, gewann es Pilatus über sich, den Unschuldige» hin, richten zu lassen. Die hierarchische Gewalt, welche die eine, und die militärische, welche die andere Religio« bekannte, vereinigte« sich dazu, den Verkündiger einer von beiden unabhängige« Religio« um, zubrtngeu. Die Inschrift, die Pilatus über das Kreuz setzte, bezeichnete den Anspruch auf die Königswürde unter de« Jude« als die Ursache seiner Hinrichtung: denn in der den Römern unterworfenen Provinz durste es keinen König geben. Aber die Ankläger Jesu wußte« doch sehr wohl, daß ein weltlicher Anspruch, wie er in dieser Bezeichnung lag, von ihm niemals gehegt worden war. Sein Königtum war nur der Ausdruck der messianischen Idee, die bei ihm eine außerweltliche Bedeutung hatte. Ihr Unrecht bestand darin, daß sie, um sich selbst zu erhalten, dem göttlichen Meister eine Prätenston zuschrtebe«, an die er in Wahrheit nicht dachte. Das fleckenloseste, tiefsinnigste, menschenfteundlichste Wesen, das je auf Erben erschienen «ar, fand keinen Platz in der damalige« Welt. Jesus hatte seinen Tod mit voller Bestimmtheit komme» sehen; aber er wußte, daß damit seine Lehre bekräftigt und gerettet «erde. Was wir bas Nachtmahl nennen, war nicht ein bloßer Abschied; es «ar ein Bund zwischen ihm und den Jüngern auf der mystischen Grund, läge einer göttlichen Mission; Taufe und Abendmahl haben de» Charakter von gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Göttlichem und Menschlichem. Wer hätte nicht meinen sollen, daß mit dem Meister, dessen Jünger bisher stch oft sehr schwach und zweifelhaft erwiesen hatten, auch die

Lehre vertilgt fein werde? Allein der Tod selbst nnd die Erscheinungen, die ihn begleiteten und ihm folgten, von deren Realität sie so fest überzeugt waren wie von irgend etwas, das man mit Augen gesehen und mit Händen betastet hat, erhoben ihre Seele zu einer Freudigkeit,die sie bisher nie bewiesen: aus Jüngern wurden sie selbst Lehrer der Welt, Apostel des Meisters, den ste, seinen eigenen Äußerungen folgend, als Gottheit verkündigten. Ich vermeide, wie berührt, auf das Geheimnis einzugehen. Auf dem Staudpuukt der historischen Verknüpfung der Ideen drängt sich mir beim Anblick dieser Erscheinung mitten in der gräcorromani, scheu Welt noch eine Erinnerung auf, die ich nicht übergehen darf. In jenem Widerstreit der Naturkräfte, den die alte Mythologie als einen Kampf zwischen Göttern und Titanen auffaßt, in welchem die Götter den Sieg erringen, bildet vielleicht die in flch bedeutendste Gestalt jener Prometheus, der besiegt und an den Kaukasus geschmiedet wird. Die Götter bestraften ihn, weil er sich der Menschheit, ihren Bedürfnissen, ihrem Leben, der Ausbildung ihrer Kräfte, der geistigen sowohl wie der materiellen, gewidmet hatte. Die Menschheit war seitdem den Göttern des Olymp unterlegen. Seit vielen Jahrhunderten hatten die polytheistischen Vorstellungen die Welt beherrscht; jetzt aber waren ste In dem Widerstreit der nationalen Götter, der übrigen mit den römischen, dieser selbst miteinander, unhaltbar geworden. Das Extrem dieser Vorstellungen, die Divinität des römischen Cäsar, schien das System zu vollenden, ttug aber doch das meiste bei, es zu zerstören. Da mußte denn auch, wenn wir uns so ausbrücken dürfen, Prometheus von seinem Felsen gelöst und die Menschheit in ihr ursprüngliches Dasein zurückgerufen «erden. Sie trat in eine unmittelbare Derbin, düng mit dem Göttlichen, nicht aber den Naturkräften, sondern der Gottheit, welche über denselben allwaltend gedacht wurde, und diese Verbindung vor allem erscheint in dem christlichen Glauben. Dies höchste göttliche Wesen, Schöpfer des Alls, stand bisher zu hoch über der Welt, unerreichbar, jenseits aller Begriffe; in Christus erscheint es dem Menschen zugewandt, selbst menschlich, nicht allein mit seinem moralischen, sondern auch seinem intellettuellen Wesen innig vereinigt. Der Menschheit wurde damit eine neue Dahn eröffnet. 2. Das Christentum in dem Römischen Reiche. Überblicken wir den Umkreis der Alten Welt in den ftüheren Jahrhunderten, so finden wir ihn mit einer großen Anzahl unabhän,

giger Völlerschasten erfüllt. Um das Mttelmeer her, so weit von de« Küsten die Kunde in das innere Land reicht, wohnen sie: manaig, faltig gesondert, ursprünglich alle enge begrenzt, in lauter steten und eigentümlich eingerichteten Staaten. Die Unabhängigkeit, die sie genießen, ist nicht allein politisch: allenthalben hat sich eine örtliche Religion ausgebildet; die Ideen von Gott und göttlichen Dingen habe« sich gleichsam lokalisiert; nationale Gottheiten von den ver, schtedenfiea Amibuten nehmen die Welt ein; das Gesetz, das ihre Gläubigen beobachte», ist mit dem Staatsgesetz unauflöslich vereinigt. Wir dürfen sagen: diese innige Dereiaiguvg von Staat und Religio«, diese zwiefache Freiheit, die nur etwa durch die leichte Verpflichtungen der Stammesverwandtschast beschräatt wurde, hatte den größten Anteil an der Bildung des Altertums. Mau «ar in enge Grenze« etngeschlossen, aber innerhalb derselben konnte sich die ganze Fülle eines jugendlichen sich selber überlassenen Daseins in steten Trieben ent, wickeln. Wie wurde dies alles so ganz anders, als die Macht von Rom emporkam. Alle die Autonomie«, welche die Welt erfülle«, sehen wir eine nach der aaderea sich beugen und verschwinden: wie warb die Erde plötzlich so öde an freien Völkern. Zu anderen Zette« sind die Staate« erschüttert worden, weil man aufgehört hatte, an die Religio« zu glauben: damals mußte die Unterjochung der Staate« den Verfall ihrer Religionen nach sich ziehen. Mit Notwendigkeit, im Gefolge der politischen Gewalt, strömten sie nach Rom zusammen: welche Bedeutung aber konnte ihnen »och beiwohnen, sobald sie von dem Bode» losgerisien wurden, auf dem sie einheimisch waren? Die Verehrung der Isis hatte vielleicht einen Sinn in Ägypten, sie vergötterte die Raturkräste, wie sie in diesem

Lande erscheinen: in Rom ward ei« Götzendienst ohne alle« Sin» daraus. Indem dann die verschiedenen Mythologien einander be, rührten, konnten sie nicht anders als sich wechselseitig bestreite» und ansiösen. Es war kein Philosophem zu erdenken, das ihre« Wider, fpruch zu beseitigen vermocht hätte. Wäre dies aber auch möglich gewesen, so hätte es dem Bedürfnis der Welt schon nicht mehr genügt. Bei aller Teilnahme, die wir dem Untergange so vieler steter Staaten widmen, können wir doch nicht leugnen, daß aus ihrem Ruin unmittelbar eia neues Lebeu hervorgiug. Indem die Freiheit unterlag, sielen zugleich die Schranken der engen Nationalitäten. Die Nationen waren überwältigt, zusammen erobert worden, aber eben daburch

vereinigt, verschmolten. Wie man das Gebiet deS Reiches den Erdkreis nannte, so fühlten sich die Einwohner desselben als ein einziges, ein znsammengehdreades Geschlecht. Das menschliche Geschlecht fing an, seine Gemeiaschastlichkeit inne zu werden. In diesem Moment der Weltentwicklung ward Jesus Christus geboren. Wie so unscheinbar und verborgen war sein Leben, seine Beschäfti­ gung, Kranke zu heilen, ein paar Fischern, die ihn nicht immer ver­ standen, andeutend und in Gleichnissen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieser unserer weltlichen Betrachtung dürfen wir es sagen: unschuldiger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Erden nichts gegeben, als seinen Wandel, sei» Leben und Sterben; in jedem seiner Sprüche wehet der lautere Gottes-Odem; es find Worte, wie Petrus flch aus­ drückt, des ewigen Lebens; das Menschengeschlecht hat keine Erinne­ rung, welche dieser nur von ferne zu vergleichen wäre. Wenn die nationalen Verehrungen je ein Element wirklicher Religion in sich eingeschloffea haben, so war dies damals vollständig verdunkelt; sie hatten, wie gesagt, keinen Sinn mehr: in dem Menschen­ sohn, Gottessohn erschien ihnen gegenüber das ewige und allgemeine Verhältnis Gottes zu der Welt, des Menschen zu Gott. In einer Nation ward Christus geboren, die sich durch ein ein­ seitiges Ritualgesetz von allen andern am entschiedensten absoaderte, die sich aber das unermeßliche Verdienst erworben, den Monotheismus, den sie von Anbeginn bekannte, unwandelbar festzuhalten, flch ihn nie entreißen zu lassen. Allerdings dachte sie ihn eben auch als einen nationalen Dienst, nunmehr aber bekam er eine ganz andere Be­ deutung. Christus löste das Gesetz auf, indem er eS erfüllte; der Menscheusohn erwies stch nach seinem Ausspruch als Herr auch des Sabbaths; er entfesselte den ewigen Inhalt der von einem engen Ver­ stand uvbegriffeuen Formen. Aus dem Volke, das bisher durch uaübersteigliche Schranken der Gesinnung und der Sitte von allen anderen getrennt war, erhob sich dann mit der Kraft der Wahrheit ein Glaube, der sie alle einlud und aujuahm. Cs ward der allgemeine Gott verkündigt, durch den, wie Paulus den Athenern predigte, von einem Blut aller Menschen Geschlechter über den Erdboden wohnen. Für diese erhabene Lehre war, wie wir sahen, eben der Zeitpunkt eingetteten: es gab ein Menschengeschlecht, sie zu fassen. Wie ein Sonnenblick, sagt Eusebius, leuchtete sie über die Erde dahin. Ja kurzer Zeit sehen wir sie von dem Euphrat bis an den Atlantischen

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Otta», längs des Rheines «ad der Donau, über die gesamte« 6rt«|en

des Reiches ausgebreitet. So harmlos und unschuldig sie aber auch war, so mußte sie doch der Natur der Sache nach starken Widerstand in den bestehenden Diensten finden, die sich an die Gewohnheiten und Bebürftüsie des Lebens, an alle alten Erinnerungen aaschlossev, und jetzt eine Wendung genommen hatten, durch die sie der Verfassung des Reiches doch auch wieder entsprachen. Der politische Geist der antiken Religionen versuchte sich noch einmal in einer neuen Bildung. Die Summe aller jener Autono, mtea, welche einst die Welt erfüllt, ihr Gesamtinhalt «ar einem einzige» zuteil geworden: es gab nur noch eine einzige Gewalt, die von sich selber abhängig zu sein schien; die Religion erkannte dies an, indem sie dem Imperator göttliche Verehrung widmete. Man richtete ihm Tempel auf, opferte ihm auf Altären, schwur bet seinem Namen, und feierte ihm Feste, seine Bildnisse gewährten ei» Asyl. Die Der, ehrung, die dem Genius des Imperators erwieseu wurde, «ar viel, leicht die einzige allgemeine, die es in dem Reiche gab. Alle Götzen, dienste bequemten sich ihr: sie war eine Stütze derselben. Dieser Dienst des Casar und die Lehre Christi hatten im Verhält, nis zu den lokalen Religionen eine gewisse Ähnlichkeit; aber zugleich standen sie auch in einem Gegensatz, der sich nicht schärfer denken läßt. Der Imperator faßte die Religion in dem weltlichsten Bezüge, — an die Erde und ihre Güter gebunden: ihm seien dieselben übergeben, sagt Celsus; was man habe, komme von ihm. Das Christentum faßte sie in der Fülle des Geistes und der überirdischen Wahrheit. Der Imperator vereinigte Staat und Religion; das Christentum trennte vor allem das, was Gottes, von dem, was des Kaisers ist. Indem man dem Imperator opferte, bekannte man sich zur tiefsten Knechtschaft. Eben darin, worin bei der früheren Verfassung die volle Unabhängigkeit bestand, in der Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der damaligen die Besiegelung der Unter, jochung. Es war ein Akt der Befreiung, daß das Christentum den Gläubigen verbot, dem Kaiser zu opfern. Der Dienst des Imperators war endlich auf die Greuze» des Reiches, des vermeinten Erdkreises beschränkt; das Christentum «ar bestimmt, den wirklichen zu umfassen, das gesamte Menschengeschlecht. Das ursprüngliche älteste religiöse Bewußtsein, wenn es wahr ist, daß ein solches allem Götzendienst vorangegangen, oder wenigstens ein unbedingt reines, durch keine notwendige Beziehung auf den Staat

getrübtes, suchte der neu« Glaube in dea Nationen zu erwecke», uud setzte eS dieser weltherrschenden Gewalt entgegen, die, nicht zufttedev mit dem Irdischen, auch das Göttliche unterwerfen wollte. Dadurch bekam der Meusch ein geistiges Dement, in dem er wieder selbständig, stet und persönlich unüberwindlich wurde; es kam Frische und neue Lebensfähigkeit in den Boden der Welt; sie wurde zu neuen Hervor, bringungea beftuchtet. Es «ar der Gegensatz des Irdischen und des Geistigen, der Knechtschaft «ad der Freiheit, allmählichen Absterbens und lebendiger Verjüngung. Hier ist nicht der Ort, den langen Kampf dieser Prinzipien zn beschreiben. Alle Lebenselemente des Römischen Reiches wurden in die Bewegung gezogen und allmählich von dem christlichen Wesen ergriffen, durchdrungen, in diese große Richtung des Geistes fort, gerissen. Don sich selber, sagt Chrysostomus, ist der Irrtum des Götzendienstes erloschen. Schon ihm erscheint das Heidentum wie eine eroberte Stadt, deren Mauern zerstört, deren Hallen, Theater und öffentliche Gebäude verbrannt, deren Verteidiger umgekommea seien: nur unter dea Trümmern sehe man noch ein paar Alte, ein paar Kinder stehen. Bald waren auch diese nicht mehr, und es trat eine Verwandlung ohnegleichen eia. Aus den Katakomben stieg die Verehrung der Märtyrer hervor; an den Stellen, wo die olympischen Götter angebetet worden, aus dea nämlichen Säulen, die deren Tempel getragen, erhoben sich HeUigtümer, zum Gedächtnis derjenigen, die diesen Dienst verschmähet und darüber dea Tod erlitten hatten. Der Kultus, den man in Ein, öden «ad Gefängnissen begonnen, nahm die Welt eia. Maa wundert sich zuweilen, baß gerade ein weltliches Gebäude der Heiden, die Da, fllika, in eine Stätte christlicher Verehrung umgewaadelt worden. Es hat dies doch etwas sehr Bezeichnendes. Die ApflS der Dastüka enthielt ein Augusteum, die Bilder eben jeuer Cäsaren, denen man göttliche Ehre erwies. An die Stelle derselben ttat, wie wir es tu so vielen Basiliken noch heute sehen, das Bild Christi uud der Apostel; an die Stelle der Weltherrscher, die selber als Götter bewachtet wurden, ttat dtt Meascheasohn, Gottessohn. Die lokalen Gottheiten wichen, verschwanden. An allen Landstraßen, auf der stellen Höhe des Gebirgs, tu den Pässen durch die Talschluchten, auf den Dächern der Häuser, in der Mosaik der Fußböden sah man das Kreuz. Es «ar ein ent­ schiedener vollständiger Sieg. Wie man auf dea Münzen Konstantias

das Labarum mit dem Monogramm Christi über dem besiegten Drachen erblickt, so erhob sich über dem gefallene« Heidentum Der, ehruag und Name Christi. Auch von dieser Seite betrachtet, wie unendlich ist die Bedeutung des Römischen Reiches. Ja den Jahrhunderten seiner Erhebung hat es die Unabhängigkeit gebrochen, die Völker unterworfen, es hat jenes Gefühl der Selbständigkeit, das in der Sonderung lag, ver, nichtet; dagegen hat es dann in seinen späteren Zeiten die wahre Re, ligiou aus seinem Schoße hervorgehen sehen — de« reinsten Ausdruck eines gemeinsamen Bewußtseins, «elches «eit über seine Greuten reicht, des Bewußtseins der Gemeinschaft in dem einen wahren Gott. Dürfen wir sagen, daß das Reich durch diese Entwicklung seine eigene Notwendigkeit aufhob? Das Menschengeschlecht war uuumehr seiner selbst inne geworden: es hatte seine Einheit in der Religion gesunde». Dieser Religion gab nun auch überdies das Römische Reich ihre äußere Gestalt. Die heidnischen Priestertümer waren wie bürgerliche Äutter ver, geben worden; in dem Judentum war ein Stamm mit der geistlichen Verwaltung beauftragt: es uaterscheidet bas Christentum, daß flch in demselben ein besonderer Stand, aus Mitgliedern zusammengesetzt, die ihn frei erwählten, durch Handauflegung gehelligt, von allem irdischen Tua und Treiben entfernt, „den geistlichen und göttlichen Geschäften" zu widmen hatte. Anfangs bewegte flch die Kirche in republikanischen Formen, aber ste verschwanden, je mehr der neue Glaube zur Herrschaft gelangte. Der Klerus setzte flch nach und nach den Laien vollständig gegenüber. Es geschah dies, dünkt mich, nicht ohne eine gewisse innere Not, Wendigkeit. In dem Emporkommen des Christentums lag eine Be, freiung der Religion von den politischen Elementen. Es hängt damit zusammen, daß flch dem Staate gegenüber ein abgesonderter geist, lichar Stand mit einer eigentümlichen Verfassung ausbildete. Ja dies« Trennung der Kirche von dem Staate besteht vielleicht die größte, am durchgreifendsten wirksame Eigentümlichkeit der christlichen Zeiten überhaupt. Oie geistliche und weltliche Gewaft können einander nahe berühren, in der engsten Gemeinschaft stehen; völlig zusammenfallen können ste höchstens ausnahmsweise und auf kurze Zeit. Ja ihrem Verhältnis, ihrer gegenseitigen Stellung zueinander beruht seitdem eines der wichtigsten Momente aller Geschichte. Zugleich mußte aber dieser Stand seine Verfassung nach dem Muster des Reiches gestalten. Oer Stufenfolge der bürgerlichen

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Verwaltung entsprechend erhob sich die Hierarchie der Bischöfe, Metropolitane, Patriarchen. Es dauerte nicht lange, so nahmen die römischen Bischöfe den obersten Rang ein. Zwar ist es ein eitles Dor, -eben, daß denselben in den ersten Jahrhunderten und überhaupt jemals ein allgemeines von Osten nach Westen anerkanntes Primat tugestaudea habe; aber allerdings erlangten ste sehr bald eia An, sehen, durch das ste über alle anderen kirchliche Gewalten hervorragten. Es kam vieles zusammen, um ihnen ein solches zu verschaffen. Wenn flch schon allenthalben aus der größeren Bedeutung einer Provinzial, Hauptstadt ein besonderes Übergewicht für den Bischof derselben ergab, wie viel mehr mußte dies bet der alte« Hauptstadt des gesamten Reiches, von der es seinen Namen führte, der Fall sein. Rom war einer der vornehmsten apostolischen Sitze; hier hatten die meisten Märtyrer geblutet; «ährend der Verfolgungen hatten stch die Bischöfe von Rom vorzüglich «acker gehalten, und oft waren ste einander nicht sowohl im Amte, als im Märtyrertume und im Tode nachgefolgt. Nun fanden aber überdies die Kaiser geraten, das Emporkommen einer großen patriarchalen Autorität zu begünstigen. In einem Gesetz, das für die Herrschaft des Ehristeatums entscheidend geworden ist, gebietet Theodosius der Große, daß alle Nationen, die von seiner Gnade regiert werden, dem Glauben aahangen solle«, der von dem heiligen Petrus den Römern verkündet worden. Dalentiniaa 111. untersagte den Bischöfen sowohl in Gallien als in anderen Provinzen, von den bisherigen Gewohnheiten abzuweichen, ohne die Billigung des ehr, würdigen Mannes, des Papstes der Heilige« Stadt. Unter dem Schutze der Kaiser selbst erhob stch demnach die Macht des römische« Bischofs. Eben in diesem politischen Verhältnis lag aber zugleich eine De, schränkung derselbe«. Wäre eia einziger Kaiser gewesen, so würde das allgemeine Primat flch haben festsetzea können: die Tellung des Reiches trat demselben entgegen. Unmöglich konnten die morgenläa, bischen Kaiser, die flch ihre kirchlichen Rechte so eifersüchtig vorbehielten, bi« Ausdehnung der Gewalt des abendländischen Patriarchen in ihrem Gebiete begünstigen. Die Verfassung der Kirche entsprach auch hierin der Verfassung des Reiches. 3. Kaisertum und Papsttum.

Das Gefühl seiner Gesamtstellung mochte den Kaiser Otto I. beleben, als er stch nach seiner heimatlichen Pfalz und Kirche begab, nach Memleben an der Unstrut, da, wo dieser, an der Oberfläche

ruhige und stille, in der Tiefe aber in starker Strömung wogende Fluß sich aus dem Tale einen Weg durch die benachbarten Berge gebrochen hat, die noch ihre in das höchste Altertum reichenden Namen bewahrt haben. Man nimmt an, daß es eine altgermanische Degräbnisstätte gewesen sei. Wer jemals die Ruine» des Ortes besucht hat, wird dort weder ohne Freude an der lebensvollen Umgebung, noch ohne schmerzliche Teilnahme für die alten Gründer verwellt haben, die daselbst ihr Lebensziel erreicht, wie schon Heinrich L, so auch Otto. Er «ar am 6. Mat des Jahres 973 daselbst «»gekommen. Man hat mehr vorausgesetzt, als aus alten Nachrichten bestätigt wird, daß er mit Todesahnungen dahin gelangt sei. Aber der Tod war in ihm. Am 7. hat er noch die Stunden kirchlicher Andacht innegehalten, nicht ohne sie durch Ruhe zu unterbrechen, und den Armen, wie die Chronik sagt, seine Hand dargeboten. Bei Tische erschien er heiter. Att er in der Vesper de» Gesang des Evangeliums angehört hatte, ist er vom Tobesschauer betroffen worden. Don Hitze und Schwachheit überrascht, ward er auf einen Sessel gebracht, empfing daselbst noch das Abendmahl, bas den Menschen bei seinem Abschiede aus dem Jrdsschen mit dem Unvergänglichen in Berührung bringt; baun ist er ohne vorhergegangene Krankheit, ohne Todeskampf verschieden. So erlag der Mann, welcher als der Herr der abendländischen Welt angesehen werden konnte, unerwartet dem Schicksale der Sterbliche». Die Fülle einer unerschöpflichen Lebenskraft hatte ihn bis au sein Ende begleitet, dann ist sie plötzlich verflegt. Er war erst einund sechzig Jahre alt, als er verschied, wie auch sein Vater ungefähr in demselben Alter gestorben «ar, beide an demselben Orte, nach dem tatenvollsten Leben. Es sei mir erlaubt, über die Weltstellung der beiden großen Männer noch einige Bemerkungen htnzuzufügen. Dorangegangen waren ihnen Pippin und Karl der Große, ebenfalls Vater und Sohn, durch deren Aufeinanderfolge und Zu­ sammenwirken der Okzident seine definitive Gestalt erhalten hatte. Was der Vater mit genialem Blick entworfen hatte, führte der Sohn mit umsichtiger Politik und glücklichen Waffen aus; unter seiner langen ruhigen Verwaltung gestaltete sich das Abendländische Reich. Nicht gerade dasselbe war das Verhältnis zwischen Heinrich und Otto. Don Heinrich findet fich nichts, woraus man schließen könnte, daß seine Entwürfe den Unternehmungen seines Sohnes zugrunde gelegen hätten. Aber sie habe», nacheinander auftretend, unter veräadetten Umständen doch die größten Erfolge errungen. Ihnen vor allen ist

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zu bauten, daß das karolingische Reich im allgemeinen in seinem De, stände erhallen wurde. Vater und Sohn wirkten jnsammen, um die gefährlichsten Feinde, von denen Germanien jemals angefochten worden ist, vom Boden desselben zu vertreiben. Durch Otto wurde Italien wieder auf das engste mit dem Reich verbunden und das west, liche Francten in friedlichem Konnex mit demselben erhalten. Auf der Vereinigung der drei großen Lande beruhte die abendländische Welt, ihre Macht und ihre Kultur. Sehr wesentlich zur Konsolidation des Reiches war die Der, bindung Karls des Großen mit dem Papsttum, durch welche das geist, liche und weltliche Interesse so gut wie ineinander fielen. Die Kirche gehörte der romanischen Welt an; fle wirkte aber auf die germanischen Dölkerschafien auf das tiefste ein :ste verknüpfte die religiöse Anschauung mit der Idee der apostolischen Mission des heüigen Petrus und mit der Überlieferung des Altettums überhaupt. So wurde Sachsen, das Karl mit den Waffen bezwang, als Kirchenprovinz organisiert, Bayern nur durch eine dirette Einwirkung des Papstes dem Großkönigtum, welches dann das Kaisertum wurde, unterworfen. Ich will sagen, daß die Konstituierung des Reiches, wie sie die romanischen Clemente in sich begriff, so auch nicht ohne den Einfluß des Papstes durchgeführt worden ist. Die persönliche Autorität eines großen Fürsten aber ge, hörte dazu, um alles vereinigt zu halten. Seitdem aber war, wie oft bemerk, eine durchgreifende Der, Änderung eingetreten. Jener ebenfalls aus dem Altettum stammende Widerstreit zwischen Priestertum und höchster Gewalt war wieder aus, gebrochen: das Priestettum war zu einer Ausbildung und Stärke gelangt, bei der die weltliche Macht, die unter den Karolingern verfiel, nicht mehr selbständig bestehen konnte. Auch in Germanien drangen die hierarchischen Dottrinen vor, und es hätte wohl möglich scheinen können, daß die Wesenheit des germanischen Geistes dadurch absor, biert worden wäre. Wodurch nun ist es geschehen, daß es so weit nicht kam? Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß es Haupt, sächlich durch das Emporkommen eines Fürstenhauses geschah, welches, durch und durch germanisch, die Idee der weltlichen Gewalt wieder zur vollen Geltung brachte. Das Reich, das Heinrich 1. gegründet und Otto der Große zu einem prächtigen Aufbau erhob, hat eine germanische Ader von überwiegender Kraft und Schärfe, es gab der weltlichen Macht ihre Autorität zurück, nicht allein den höchsten Gewalten selbst, sondern auch den untergeordneten, die sich um sie gruppierten, denen auch die Bischöfe, frei von dem bisherigen absoluten Ansehen des

Papstes tu Rom, stch anschlossen. Wäre eine unbedingte Unterwerfung des Klerus ins Werk gesetzt worden, so würde bas die Fundamente des Reiches erschüttert haben. Die religiöse Idee wurde jedoch von den sächsischen Fürsten nicht bekämpft, aber die kirchenpolitische erfuhr eine Umwandlung. Das Bestreben ging nun dahin, die Unabhängig, keit der kaiserlichen und königlichen Gewalt von den klerikalen Eingriffen in die Regierung zu befteie«. Es zielte auf ein Nebeaeiaanberbestehea der beiden Gewalten mit einem Übergewicht der weltlichen. Das war das Prinzip des Deutschen Reiches, welches durch Heinrich und Otto auf den Grundlagen des Karolingischen autonom errichtet wurde. Die europäischen Dölkerverhältnisse wurden durch ein kompattes Zusammenhalten der deutschen Nation nen gestaltet. Ja England und Frankreich «ar man nicht so glücklich gewesen, wie in Deutschland; man hatte die nordischen Einbrüche nicht zurückzuweisen vermocht; die Rationalitäten selbst hatten stch unter dem Einfluß derselben verändert. Sie hatten andere Bedürfnisse, andere Mittelpunkte. Das Empor, kommen der weltliche» Macht verschaffte ihnen in stch selbst neue Grundlagen. Wenn das Kaisertum eine universale Autorität austrebte, so mußte doch dieser Versuch — wir «erden darauf zurückkommen — wieder aufgegeben werden. Dem Deutschen Reiche selbst wäre eine vollkommene Nullifijterung der päpstlichen Gewalt unerttäglich ge, worden, und die benachbarten Nationen waren «eit entfernt, stch einer jeattalen Superiorität unterwerfen zu wollen, wie sie hierdurch ent, standen wäre. An die Begründung des Deutschen Reiches mtt höchstem Anspruch knüpft stch vielmehr das Erwachen des nationalen Gefühls, ohne jedoch von der geistlichen Idee abweichea zu «ollen. Vielmehr gewann diese wieder im Laufe des folgenden Jahrhunderts eine inten, flve Kraft und Stärke. Aus allem tusammen bildete stch der Völker, komplex, den wir die abendländische Christenheit nennen, in dem dann die eigentümlichsten Kräfte und Tendenzen sich gestalteten und be, dingten. Diese Welt ist dann die Grundlage des heutigen Völker, lebens geworden. 4. Die hierarchische Gestaltung des Abendlandes im 13. Jahrhundert.

So erstreckte stch nun von Cypern und der phönizischen Küste bis zum Finnischen Meerbusen, von Grönland und Island bis zu den Säulen des Herkules die Gemeinschaft der lateinischen Ehristeaheit, jener priesterlich,kriegerische Staat romanisch,germanischer Völker, der stch

im Lauft der mittleren Jahrhunderte allmählich bis zu dieser Höhe aus, gebildet hatte. An seiner Spitze stand, durch alle seine Teile hin bis zu den äußersten Grenzen wirksam, die päpstliche Hierarchie. Es «ar nun doch geschehen, wogegen sich die alten Deutschen in karo, lingischen und sächsischen Zeiten mit so großer Kraft gesetzt: das geist, liche Prinzip war zu allgewaltiger Herrschaft gelangt. Das Kaiserreich selbst hätte seiner inneren Bestimmung gemäß die Einheit der Christen, heit darstellen müssen. Da ihm das nicht gelang, da es schon im elften Jahrhundert allenthalten von unübersteiglichen Grenzen umgeben ward, so mußte es einer Gewalt unterliegen, die dazu imstande «ar, die wirklich die gesamten Nationen des Abendlandes in allgemeiner Gläubigkeit um sich sammelte. Politische und kirchliche Geschichte hängen zu allen Zeiten eng zusammen, niemals aber enger als damals. Die höchste geistliche Macht ist zugleich die höchste weltliche. Sie ist es darum, weil sie die aus der Entwicklung der Vergangenheit emporstrebende Idee ausbrückt, von der dann wieder alles Tun und Bestreben des Abendlandes ausgeht. Zwar bestanden allenthalben Staatsgewalten; allein der Klerus bildet eine sie allesamt umfassende Macht, der die ihre im Innern lähmt und zersetzt. In ftüheren Jahrhunderten hatte die Geistlichkeit, vor allem das Bistum in den verschiedenen Ländern eine selbständige Haltung Rom gegenüber eingenommen; die weltlichen Obrigkeiten hatten an ihren Bischöfen eine Stütze in ihren Konfliften mit dem päpstlichen Stuhle gefunden. Jetzt ist die Unabhängigkeit aller Volks, und Landeskirchen verschwunden; es gibt nur lokale Behörden der universalen Kirche: der Bischof, dessen Befugnis überall so tief in die weltlichen Angelegenheiten eingreist, ist dabei nichts anderes, als das Organ des Papstes, sein Vertreter, sein Diener. Es kommt hinzu, daß die großen Fürstentümer auch sonst fast sämtlich von einer Auflösung ihrer zenttalen Macht bettoffen sind: aristokratische Gewalten sind hier wie dort an deren Stelle getteten. Auch die mächtigsten Reiche der Christenheit sind deshalb dem Einflüsse des Papsttums erlegen. Frankreich ist ihm tief ergeben, denn es verdankt ihm den Forsschritt seiner nationalpolitischen Entwicklung; England ist von ihm besiegt und unterworfen; in Deutschland war der letzte Kaiser durch den Papst, wie auf den Thron erhoben, so vom Throne gestürzt worben. In allen Streitigkeiten der spanischen, wie der nordischen Reiche führt die Kurie das entscheidende Wort. Die weltlichen Stände, welche über die Schranken der Staaten hinaus sich als große Genossenschaften fühlen, betrachten sich zugleich in gewisser Hinsicht als einen Anhang

deS geistliche«. DaS ritterliche Element, dessen Besitztümer von Palästina «nd AndaluflenHis in den hohe» Norden reichen, unterwirst sich der Jucht deS Klosters. Das bürgerliche Leben, dessen Tatkraft den Welthandel lenst, beruht in seinem täglichen Gange großenteils auf den religibsen Verbrüderungen. Die Unternehmungen der Völker selbst werden von geistlichen Impulsen beherrscht: die Romaniflerung der Pyreaäischen Halbinsel, die Germaniflerung der baltischen Regionen erscheine« als großartige Rückwirkungen der Kreuzzüge. Ich möchte eS wiederholen: bas welthistorische Fundament, auf welchem die Hierarchie deS Papsttums im dreizehnten Jahrhundert beruhte, erkenne ich darin, daß eS die Einheit der abendländischen Nationen, ihre große gemelnschastliche Tendenz, die mit der Pflanzung und Hegung des EhrtstentumS so enge verknüpft ist, repräsentiert und befördert, bet weitem besser und entschiedener als daS Kaiser, tum, wodurch es eben geschah, baß es dieses überflügelte. Es gelang ihm bas äußerlich durch dieselbe» Mittel geschickter Politik und all, mählicher Krastentwtcklung in Krieg und Frieden, durch welche die Mächte der Erbe überhaupt gegründet «erben. Aber diese päpstliche Weltherrschaft hatte zugleich das eigene, daß sie ihres geistlichen Eharasters «egen ihre Autorität für etwas unbedingt Notwendiges, Heiliges, mit der Idee Zusammenfallendes erklärte. Es warb eine Theorie der Kirche gepredigt, nach welcher diese Gewalt als die not, wendige Darstellung deS Göttlichen auf Erben erschien: der Papst als der Statthalter Christi, als die Einheit des geistlichen LebeuS auf Erden, von der alles andere so natürlich geleitet wird, wie das Fleisch von dem Geist; der Klerus durch das Sakrament der Weihe über den übrigen Menschen zu einem Orden erhoben, der zwischen Menschheit und Gott vermittelt. Die in dem Klerus versammelte Kirche ist un, fehlbar; sie ist die lebendige Inkarnation des ewigen Wortes. So vollzieht sie auch mystisch das Opfer der Versöhnung jeden Augen, blick als ein Wunder. Es ist indessen sehr wichtig, zu beobachten, wie diese Theorien, schon länger vorbereitet, doch zumeist der Entwicklung des Fastums zur Seite gegründet und auftrbaut werden. Die mystische Lehre von der Transubstantiatioa, auf der alles beruht, indem die Priester gleichsam durch ein Wunder den Leib Christi Herstellen und ihn zum Opfer barbieteu, wirb in einer Synode Gregors V I l. 1079 eben in dem Moment fixiert, wo der Kampf mit dem Kaisertum entbrennt. Es folgte notwendig die Anbetung des Sakraments, welche der Mit, telpunkt des ganzen äußeren Gottesdienstes wurde: sie datiert auS dem

i3. Jahrhundert. Die Lehre von dem Schatze der Kirche und der Aus­ teilung desselben durch den Papst, auf die hinwieder das gavte Pönitentiarsystem sich gründet, ward ebenfalls im 13. Jahrhundert ausgebildet. Da erst ward die Bibel in der Landessprache den Laien verboten; die Dewahrer des Geheimnisses waren fortan allein die Mtglieder des Klerus. Demnach war die Kirche in dieser Epoche weit davon entfernt, was fle ehedem gewesen, eine Lehranstalt der Völker zu sein; sie war vielmehr nur noch eine Darstellung des Geheimnisses, zur Repräsentation und Herrschast gegründet. Wehe dem, der von ihren Satzungen ab­ weicht! Diese Gewalt hat zugleich eine furchtbare Polizei: die Inqui­ sition der Dominikaner erstickte jeden Widerstand. Hohe Schulen bestanden, allein nur für den gelehrten Stand, in welchen jene dem Faktum der kirchlichen Oberherrlichkeit zugrunde gelegte Anschauung mit Scharfsinn ausgebildet und entwickelt wurde. In Paris und Bologna, nach deren Muster alle übrigen Universttäten der folgenden Zeit gegründet wurden, versammelten sich damals die Studierenden aller Nationen. Bildete in Paris die Theologie den Kern aller Studien, so erwuchs in Bologna neben der Wissenschaft des Zivilrechts die des kanonischen, dessen systematische Gestaltung, in beständiger Wechsel­ wirkung der Theorie mit der Praxis vollendet, zu den am meisten charakteristischen Erscheinungen des Zeitalters gehört. Oer Gesetz­ sammlung Justinians trat ein Corpus juris des geistlichen Weltreiches an die Seite. Alle großen Päpste von Alexander III. bis auf Inno­ zenz IV. waren zugleich hervorragende Kanonisten. Ihre Dekretalen geben dem Leben von Millionen Menschen Maß, gleich den Konsti­ tutionen der alten Imperatoren. Kam die wiederbelebte römische Rechtslehre, wie wir ftüher bemerkten, materiell einigermaßen der Staatsgewalt zugute, so hat sie doch anderseits formell die kirchenrechtliche Doktrin gefördert und so indirekt auch das Papsttum be­ günstigt.

Es «ar immer der nämliche oberste Gedanke, der die Gemüter vollkommen beherrschte, der alle Produktionen dieser merkwürdigen Epoche in Kunst und Literatur durchdrang. Er zeigt sich, auch abge­ sehen von der Theologie, in der ganzen lateinisch redenden gelehrten Literatur der Zeit. Im zwöften Jahrhundert hörte man auf, die Alten in den Schulen zu treibe», wozu ein so schöner Grund gelegt worden «ar. Rur die kirchlichen Ideen hatten in der Erziehung der Geister Geltung. Selbst die Poesie widmete sich mit Vorliebe ihrer

Verherrlichung. Die nationale Entwicklung wird dadurch gleichsam in Fesseln gehalten. Wie sind die romanischen Ideen in der deutschea Dichtung so vorwaltend und mächtig! Da ist kaum eine Literatur, die sich nicht den Kampf gegen die Sarazenen zu ihrem vornehmsten Gegenstände nähme. Artus mußte jetzt mit den Ungläubigen fechten, Karl dem Großen ward die Eroberung von Jerusalem zugeschriebeu. Der gothische Baustil mag seinen örtlichen Ursprung im nördlichen Frankreich, sein äußeres Motiv in bestimmten konstruktiven Erwägungen haben: wie er sich entfaltet und über das Abendland aus­ breitet, um mit dem Schwünge seiner Wölbungen die Seele emporzuztehen und doch wieder in strenger Einheit zu befangen, entspricht er durchaus dem Wesen des Jahrhunderts; es ist die Architektur der Hierarchie. Wohl reißen sich toskanische Bildhauer und Maler von den starren Linien der überlieferten Typen los; allein das neue Leben, das sie ihren Gestalten einzuhauchen «isien, ist für jetzt noch von geistlicher Empfindung bewegt. Der Mensuralgesang wird erfunden: der Pracht des Kultus dient der Fortschritt in der Musik. Alles zu kirchlichen Zwecken, in denselben Ideen, in denen beinah jede Unter­ nehmung gemacht, jeder Krieg geführt wird, von deren Ring das ganze Leben umfangen war, und die dann natürlich wieder dem Inhaber der geistlichen Gewalt ihren Tribut darbrachten.

Es war eine Schöpfung im größten Stil: nie war ihresgleichen in der Welt gewesen. Doch dürfte niemand sagen, daß sie auf diese Weise hätte fortbestehen können. Das Papsttum schien allmächtig, aber eS fand in der Natur der Dinge, der Selbständigkeit der Nationen wie der Individuen, in dem Bedürfnis der menschlichen Freiheit, dem Reichtum der göttlichen Gedanken einen unüberwindlichen, bald genug siegreichen Widerstand. Die Weltstellung des römischen Stuhles war aus den Prinzipien der Macht, der Kultur und der Re­ ligion hervorgegangen; sie führte zu einer niederdrückenben Über­ legenheit der klerikalen Interessen. Aber auch die weltlichen waren auf die nämlichen Prinzipien gegründet; selbst die Religion ging niemals in der Kirche auf, geschweige denn in der Hierarchie. Diese ewigen Kräfte waren es, die auch die wieder aufkommenden Selbständigkeiten belebten. Aber bei alledem ist es dennoch gewiß, daß die damalige Form der abendländischen Welt die Grundlage unseres ganzen euro­ päischen Wesens ist, auf welcher dieses in den folgenden Jahrhunderten sich mit allen seinen Entzweiungen und seiner bis zu diesem Augen­ blicke dauernden Einheit erhoben hat.

5. Don der Einheit der romanischen und germanischen

Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung. (Zuerst 1824 veröffeutlicht.)

Im Anfang seines Glückes, nicht lange nach dem Anfang der Völkerwanderung, dachte der westgotische König Ataulf, aus RoManien ein Gölten und sich zum ELsar zu machen; die römischen Gesetz« wollte er erhalten. Verstehen wir ihn recht, so hatte er den Gedanken, zunächst die abendländischen Römer, die obgleich aus vielen und mancherlei Stämmen entsprossen, dennoch durch jahrhundertelange Vereinigung in ein Reich, zu einem Volk geworden waren, mit ger­ manischen Geschlechtern zu einer neuen Einheit zu verknüpfen. Er selbst verzweifelte später, dies auszuführen, aber die Gesamtheit der germanischen Nationen hat es zuletzt und in einem größeren Sinn ins Werk gerichtet. Nicht lange, so ward ans dem lugbunensischen Gallien zwar nicht ein Gotien, aber eia lugbuneastsches Germanien. Länger dauerte es, bis die Würde eines Cäsars auf die germanischen Geschlech­ ter, auf Karl den Großen überging. Endlich haben dieselben auch das römische Recht angenommen. In dieser Vereinigung haben sich sechs große Nationen, drei, in denen das romanische Element vorherrscht: die ftanzösische, spanische, italienische, drei, in denen das germanische: die deutsche, englische, skandinavische ausgeblldet. Worin kann sich die Einheit dieser sechs Nationalitäten, die jede wieder in besondere Telle zerfallen, die nie einen Staat ausmacht, die beinah immer Krieg wider einander geführt, offenbaren und kund tun? Sie sind von demselben oder von nah verwandtem Stamm, in Sitten ähnlich, in vielen Instituten gleich; ihre inneren Ge­ schichten hängen aufs genaueste zusammen, einige große Unter­ nehmungen sind ihnen insgesamt gemein. Diese sind die Völker­ wanderung, die Kreuzzüge, die Pflanzungen in fremden Weltteilen. Die Völkerwanderung hat die Einheit, von der wir reden, ge­ gründet. Die Begebenheit, die Bewegung ging von den Germanen aus; aber die romanischen Landschaften waren nicht etwa lediglich leidend; für die Waffen und das neue öffentliche Leben, welche sie emp­ fingen, teilten die den Siegern ihre Religion und ihre Sprache mit. Freilich mußte Reccared erst katholisch werden, ehe in Spanien wechsel­ seitige Heiraten zwischen den westgotische« und romanischen Geschlech­ tern gesetzlich erlaubt werden konnten. Hierauf aber haben sich die Stämme und die Sprachen vollkommen vermischt. In Italien ver­ wuchsen die Gemeinen lombardischer und römischer Herkunft aus

anfänglicher Trennung so eng, daß ihre Clemente kaum mehr unter, schieden «erben können. Cs ist unverkennbar, welch einen großen Ein, fluß die Bischöfe auf die Gründung Frankreichs gehabt; aber diese waren anfangs durchaus von romanischer Abkunst; erst im Jahre 566 findet sich ein fränkischer Bischof in Paris. Sind nun in diesen Na, tionen beiderlei Elemente in kurzem ineinander verschmolzen, so ver, hielt es sich allerdings mit den Angelsachsen, auf Leben und Tod Feinden der Briten, von denen sie weder Religion noch Sprache annahmen, und mit den übrigen Germanen in ihrer deutschen und skandinavischen Heimat anders; aber auch diese konnten sich zuletzt dem lateiuischen Christentum und einem großen Teil der romanischen Bevölkerung nicht entziehen. Zwischen beiden Bestandteilen dieses Dölkerkomplexes bildete sich eine enge Gemeinschaft verwandten Blutes, verwandter Religion, Institute, Sitten, Denkungsart. Den Einfluß stemder Dölkerstämme «ehrten sie glücklich ab. Don den Nationen, die außer thuen an der Völkerwanderung teilgenommen, drohten besonders Araber, Ungarn und Slaven störend, ja vernich, tend einzuwirken. Aber die Araber wurden durch den vollkommenen Gegensatz der Religion abgewendet, die Ungarn in ihre Grenzen ge, wiesen, die benachbarten Slaven zuletzt veruichtet oder uuterworfeu. WaS kann einzelne und was Nationen zu engerer Verwandtschaft verknüpfen, als Tellnahme an den nämlichen Schicksalen, als eine ge, meinschastliche Geschichte? In den Begegnissen dieser ersten Zeit, in, neren und äußeren, läßt sich beinah die Einheit einer einzigen abge, schlossenen Begebenheit erkennen. Die germanischen Nationen, von Anfang Inhaber eines großen Landes, ziehen aus, eroberu das römische Reich im Abendland und behaupten überdies, was sie schon inne haben. Um das Jahr 530 sehen wir sie im Besitz aller Länder von jenseits der Wasserfälle der Donau bis an den Ausfluß des Rheiues und hinüber bis an die Tweed, nicht minder aller, hoch von tzallin tzalogaland bis zu jenem Dätica, das von den Vandalen seinen Namen empfangen, und hinüber, bis «0 sich die Gebirge des Atlas gegen die Wüste senken. Wenn sie einig waren, konnte ihnen niemand diese Länder entteißen; aber ihre Vereinzelung und der Gegensatz arianischer und katholischer Lehre gereichte zuerst den Vandalen zum Verderben. Den Verlust, der hierauf durch den Untergang des ostgotischen Reiches erlitten ward, ersetzten zwar einigermaßen die Lombarden, als sie Italien einnahmen, nicht ganz, denn niemals haben sie Italien völ, lig, geschweige Sizllien ober Jllyrikum, wie die Goten, inne gehabt; aber durch eben diese Lombarden, welche zuerst Heruler und Geptden

vernichteten, darauf aber ihre ererbten und ihre eroberten Sitze einem sarmatischen Volk überließen, ging die Dona« bis nahe an ihre Quellen verloren. Ein neuer Verlust war die Zerstörung des thüringischen Reiches; das Vordringen der Slaven bis weit diesseit der Elbe hängt wahrscheinlich mit derselben zusammen. Aber die größte Gefahr drohte von den Arabern. Spanien nahmen fle im Flug, drangen in Frankreich und Italien ein, und hätten ste noch eine Schlacht gewonnen, so wäre es wohl wenigstens mit dem romanischen TeU unserer Nationen aus gewesen. Was war zu erwarten, da Franken und Lombarden, Franken und Sachsen, Angeln und Dänen in tödlicher Feindschaft gegeneinander lagen? Man verkenne nicht, daß in dieser Gefahr die Gründung des Papsttums und des Kaisertums gerettet hat. Darf ich sagen, wie es mir scheint, so ist die eigentliche Macht des Papsttums, diejenige, welche Bestand gehabt, nicht vor dem 7. Jahrhundert ge­ gründet worden. Damals zuerst erkannten die Angelsachsen in dem Papst, von dem ihre Bekehrung unmittelbar ausgegangen, ihren wahren Patriarchen, nahmen einen Primas von seiner Bestallung und zahlten ihm dem Romeschoß. Don England ging der Apostel der Deut­ schen, Donifaztns, aus. Nicht nur schwur dieser selbst, als er zu dem Stuhl von Mainz erhoben ward, dem helligen Peter und dessen Nach­ folgern Treue, unverfälschtes Anhängen und Hilfe; auch die übrigen Bischöfe schwuren der römischen Kirche bis zum Tod unter« orfen zu bleiben und die Verordnungen der Nachfolger St. Peters zu halten. Aber er tat noch mehr. Hundert Jahr lang vor ihm findet man kein einziges Schreiben eines römischen Papstes an die ftänkische Geistlich­ keit, so unabhängig erhielt sich dieselbe; Donifazius brachte auf Pipins Antrieb auch ste zur Unterwerfung, und die Metropolitane, die er setzte, nahmen bas Pallium von Rom. Das waren die drei Nationen, aus welchen, mit den Lombarden, nach dem spanischen Unglück die Christenheit im Abendland bestand. Auch von der Feindschaft der Lombarden befreite Karl der Große den Papst; er machte denselben zum fränkischen Patriztus, so daß er aufhörte, seine Dullen »ach den Regierungsjahren griechischer Kaiser zu datieren, und zog ihn völlig in den Kreis der neugebüdeten Welt. Hiedurch nun ward der Papst das kirchliche Oberhaupt der romanisch-germanischen Nationen; er ward es in eben den Zeiten, in welchen die Araber mächtig wurden und vor­ drangen; sein neues Ansehen besänftigte den Haß der entzweiten Stämme und stiftete zwischen ihnen eine wesentliche Vereinigung. Wider den Feind aber wurden dieselben allein durch die Gewalt der Ptpiniden und das Kaisertum Karls des Großen stark. Karl des Y2

Große» Verdienst ist, daß er alle romanisch-germanische« Nationen des Kontinents, sofern sie Christen waren oder wurden, vereinte (auch Egbert übrigens, der die Heptarchie der Augelu jur Monarchie gemacht, war sein Zögling), daß er ihnen eine jum Krieg uad Friede« gleich wohl geeignete Verfassung gab, daß er sie gegen ihre Feinde die Donau entlang, im Osten der Saale und Elbe und jenseits der Pyrenäen wieder vorrückea lehrte. Doch hiermit war noch nicht alles geschehen. Zu gleicher Zeit erschienen auf der einen Seite an allen Grenzen un­ widerstehlich, zu Pferd, mit ihren Pfellen die Ungarn, und auf der an, dern an allen Küsten, gleich kühn zu See und Land, zugleich Wikinger und Askemänner, die Normannen. Ebe» aber war Karl des Großen Regiment an den Fehlern seiner Nachfolger, die fast nur von ihren Schwächen Beinamen empfingen, zugrnnd gegangen, so daß sich die Gefahr erneute. Man kann sagen, daß die Völkerwanderung nicht eher geendet, als bis diese Bewegungen beruhigt waren. Die Ungarn wurden zurückgetriebea und «urden Christen; zu derselben Zett wurde« es auch die benachbarte« slavischen Nationen; die einen und die anderen habe« eine Zeit lang zwischen der römischen und der griechischen Kirchenform geschwankt, ehe sie sich, und ohne Zweifel durch de« Einfluß der deutsche« Kaiser, für die römische entschiede«. Man wird nicht sagen, daß auch diese Völker zur Einheit unserer Na­ tionen gehören; ihre Sitte und Verfassung hat sie von derselbe« immer­ fort entfernt; selbständige Einwirkungen haben sie damals eigenlltch nicht geübt, nur dienend oder widerstrebend erscheinen sie: die Wellen der allgemeinen Dewegungen laufen sozusagen zuweilen in ihnen ab. Die Normannen aber, germanisches Geblüt, wurden in den Kreis der übrigen Völker gezogen und nahmen in Frankreich und England Sitze. Sie vergalten dies gleichsam, indem sie im elften Jahrhundert germanisches Leben nach Neapel und Sizllten htnübertrugeu. Auch ihre Laudleute zu Haus waren indessen Christen geworden und in diesen Kreis, dem sie von Natur angehörten, bis auf unbedeutende Reste vollkommen eingetreten. Hiemit, in der Mitte des n. Jahrhunderts, endeten die Bewe­ gungen des Völkerwanderung. Die Entwickelung der Sprachen, eine geistige Frucht dieser stürmischen Jahrhunderte, war in ihrer Einheit uad Mannigfaltigkeit gegründet. Wirft man einen Blick auf die ftanzösische Eidesformel bet dem Schwur von Straßburg, so glaubt man darin die Spuren zugleich der italienischen, der stanzösischen und der spanischen Mundart zu entdecken. Wie dies von der Einheit der romanischen, eben so und noch besser zeugt von der Einheit

der germanischen Mundarten, daß es vor kurzem gelungen ist, sie fiimtlich tu eine etaztge Grammatik zu vereinigen?) Die Grundlage aller neueren Reiche und ihrer Versa, suagen waren gelegt. Kaiser, tum und Papsttum standen in allgemeinem Ansehen; jenes stellte gleichsam das germanische, dies das romanische Prinzip des große« Dölkervereins dar: eines unterstützte das andere. Hierauf nahm der ursprüngliche Trieb zur Wanderung dadurch, daß er mit der völligen Hingebung gegen das Christentum eins ward, eine neue Richtung; die Kreuzzüge lassen sich beinahe als eine Fort, setzung der Völkerwanderung betrachten. Das nämliche Volk, welches diese geschlossen, das normannische, nahm in demselben Jahrhundert, nicht allein durch drei vorzügliche Fürsten, Robert von der Nor, mandie, welchen alte Chroniken in Adel und Reichtum, ja selbst in geistigen Vorzügen über den obersten Anführer setzen, Doemund von Tarent, dessen Tellnahme Gleichzeitige mit Recht an seine ftüheren Unternehmungen wider die Griechen knüpfen, und Tancred, sondern überdies durch so viel einzelne, daß ein Krieg, in dem man lag, aus Mangel an streitlustigen Männern aufhörea mußte, an dem ersten Kreuzzug von allen Völkerschaften den lebhaftesten Antell. Vielleicht ist ein Norweger, der hellige Oluf, der erste gewesen, der zu einem Krieg sich und sein Heer mit dem Kreuz bezeichnet hat. Oie großen bewaff, ueteu Wallfahrten nach Jerusalem im ii. Jahrhundert scheinen zuerst von den Normannen ausgegangen z« sein; diesen vor allen schreibt Roger Hoveden den glüMchen Fortgang derselbe« zu. Aa dieser neuen Begeisterung nun nahmen alle romanisch,germanischen Nationen teil. Gleich bet dem erste« Zug waren Spanier, die Grafe« von Cerda« und Canet; Lope de Bega hat ei« großes Gedicht ge, schriebe«, das Verdienst der CastUianer um das hellige Land zu ver, herrlichen; in dem Jahr 1121 bereits verdiente Sigurd von Norwegen den Namen Jörsalafar, Jerusalemfahrer; von den andern ist es ohne, hin bekannt. Niemals hat eine ftemde Nation, nur einmal etwa ein ftemder Fürst, wie Andreas von Ungarn, doch dieser als das Haupt eines oberdeutschen Zuges und überdies der Sohn einer französischen Mutter, daran Tell genommen. Im ganzen sind die Kreuzzüge eine Unternehmung der romanischen und germanischen Völker tnsge, samt und allein.

x) Rauke bezieht sich hier auf die deutsche Grammatik vou Jakob Grimm, die 1819 zu erscheinen begonnen hatte.

Nun betrachte man, wie sie ju einer AnSdehnnng derselben nach allen Seiten, nach allen Richtnngen führten. Vornehmlich zwar gingen sie nach dem helltgen Land, doch auch an die Küste des Mittel, meers, keineswegs dahin allein. DaS lateinische Kaiserin« zu Kon, stantinopel hätte bei längerem Bestand das ganze griechische Reich in ein romanisch,germanisches nmwanbeln müssen. Ohne das nner, wattete Mißgeschick Ludwig des tzeüigen würde Ägypten eine Kolonie von Frankreich geworden sein; nnd es ist ein verständiges, über die Verhältnisse des Orients znm Okzident in dieser Zeit ohne Zweifel das belehrendste Bnch, ausdrücklich In der Absicht geschrieben worden, nm zn einer Unternehmung wider Ägypten nochmals auzufeuerv?) König Ruggteri von Sizilien — es ist Rogier Jarl der Reiche bet seinen alten Landsleuten — hatte im Jahr 1150 die afrikanischen Küsten von Tunis bis Tripolis und hatte Mahadta inne. Doch das Wichtigste und Bleibendste in der südlichen Welt geschah ohne Zweifel durch die Spanier. Ihr Campeador, der Ltd, hat noch die Zeiten der Krenzzüge erlebt. In denselben Zeiten behaupteten sie zuerst Toledo und das Tagotal, das Aldefons, Imperator, eben erobert, wider den heftigen Anfall der Almoraviden, gingen vorwärts und nahmen unter Alonso Ramon bas Tal des Guadiana (an der wahren Grenze seiner Eroberungen, denn die übrigen gingen wieder verloren, auf dem Gebirg Muratal, unter einer dichtbelaubten Eiche, starb Alonso); in denselben gewannen fie unter Alonso dem Edlen die große Schlacht von Navas de Tolosa, und faßten Fuß am Guadalquivir; eben damals endlich, kurz vor Ludwig des Helltgen erstem Kreuzzug, überwand Ferdinand der Heilige Jaen, Cordova und Sevilla, und da Granada ihm zinsbar war, ganz Andalusien, kurz vor dem zweiten, Alfonso der Weise Murcia. In eben diesen Zeiten ist Pottugal gegründet und auf, gerichtet worden; die Dereinignng von Aragon nnd Catalonien, die Eroberung von Dalenzia, die Taten des Conqutstador Jayme fallen In dieselben. Und nun hängt dies alles mit den Zügen nach dem heiligen Land genau zusammen. Den Erzbischof Richard von Toledo, der mit einer Schar Kreuzfahrer nach Rom kam, schickte der Papst zurück, well er und sie in ihrer Heimat nötiger seien, und statt wider Jerusalem fühtte er dieselben nun wider Alcala. Wir wissen, daß es vornehmlich auf einem Kreuzzug begriffene Niederdeutsche, Englän, der und Flanderer waren, die dem Fürsten, der sich zuerst einen König *) Oie Anmerkung nennt Marini Sanuti über Secretorum fidelium Crucis bei ßongars, Gesta Dei per Francos.

später Alonso des Zweiten vornehmste Eroberung nur durch dieselbe Hilfe von Portugal nannte, seine Hauptstadt eroberten, daß auch 70 Jahre geschah. Überhaupt ist die Besitznahme der pyreuäifchen Halbinsel nur durch Mitwirkung der verwandten Stämme gelungen; aus der Beute von Almeria gab Alonso Ramon den Genuesen zum Dank für ihre Dienste ein schönes Kleinod; auf den Navas von Tolosa stritten viele Tausend von jenseits der ParenLen im Heer Alonso des Edlen. Diesen Unternehmungen und Fortschritten unserer Nationen an den Küsten des Mittelmeeres, im Süden überhaupt, gingen andere zur Seite, im Norden, die aus demselben Geist entsprangen. Zener Sigurd Jörsalafar ließ es bei seiner Rückkunft sein erstes Geschäft sein, bei Calmar zu landen und die smaländischen Heiden, Mana bet Mann, zum Christentum zu nötigen. In demselben Sinn zog Erich der tzelltge mit den Schweden wider die Finnen. Er weinte, als er die Schlacht sah, aber er ließ nicht ab, bis die Finnen in der Quelle Lupisala getauft worden. Zur Zett des zweiten Kreuzzuges auf etue Bulle Papst Eugens zuerst verbanden stch Dänen, Sachsen und Westphalen zu einem gemeinschaftlichen Zug wider die benachbarte« Slaven, entschlossen, ste entweder zum Christentum zu bringen oder auszu­ rotten. Nicht viel später kam Bischof Meinhard mit Handelsleuten und Handwerkern von Wisby nach Esthland, um zu predigen. Diese drei Unternehmungen führten, wenn nicht sogleich, aber nach und nach zu einem glänzenden Erfolg. Diesseit der Oder wurden die Slaven noch in den Zeiten der Kreuzzüge so gut wie völlig ausgerottet; deutscher Adel, deutsche Bürger und Bauern waren der eigentliche Stamm der neuen Bewohner von Mecklenburg und Pommern, von Brandenburg und Schlesien; die vorderen Pommern hießen bet den Hintern seitdem nicht anders als Sachsen. Finnland ward nach langen Kämpfen, im Jahr 1248, endlich ganz christlich und schwe­ disch: seitdem wohnen Schweden längs der ganzen Küste und tu den festen Plätzen daselbst. Aus der unscheinbaren Kolonie von Pxkull ging die Herrschaft der Deutschen über alles Esthland, Livland und Kurland hervor, ja indem die Ritter vom Schwert, die man daselbst gestiftet, eine gewisse Feste wider die Preußen zu verteidig« ver­ zweifelten, und doch treffliche Proben der Tapferkeit gaben, trugen ste nicht wenig dazu bei, daß die deutschen Ritter zur Hllfe gerufen wurden, die denn das lettische Land ganz zu einem deutschen machten. In kurzem reichten die Besitzungen beider Ritterschaften vereinigt von Danzig bis Narwa: dort stießen ste an die Pommern, welche entweder 96

ganz oder durch die Unterwerfung unter Kaiser und Reich doch zum Teil germanisiert waren: hier wurden sie am finnischen Meerbusen die Nachbarn der Schweden: der germanische Name umfaßte den ganzen Belt. In den Kreis dieser Ereignisse gehören die Unternehmungen Heinrich Plantagenets in Irland. Er bewirkte, daß in Irland fortan gleichsam zwei Nationen gewohnt haben, die eingeborene, irische unterworfen, die englische, germanische, die durch ihn, wenn nicht zuerst übergeführt, doch fest gegründet worden, herrschend; eben damals hat Venedig die Dalmatiner italienisch reden gelehrt. Auch das ist hiermit zusammenzufassen; es ist eine neue Ausbreitung unserer Nationen, und Irland anzugreifen, reizte ebenfalls der Papst, dem dasselbe nie gehorchen wollte. Doch um nicht von dem Prinzip abzukommen, muß man hauptsächlich jene beiden Unternehmungen im Auge behalten, die nördliche und die südliche, die aus derselben Richtung des Gemüts stammen, durch dieselben Waffen, unter densel­ ben Zeichen und oft mit dem Beistand der nämlichen Menschen ge­ schehen sind. Sie zeigen die Einheit unserer Nationen in Idee, Tat, Entwickelung. Am vollkommensten aber spricht sich das Prinzip in den Kreuzfahrtzügen im Süden und Norden aus. Dies von einem geistigen Antriebe ausgehende, durch und durch regsame, nach allen Seiten hinausstrebende Leben fand in edlen Instituten und Erzeugnissen, die eben denselben, und zwar ausschließend angehören, einen angemessenen Ausdruck. Nur je zweier wollen wir gedenken. Wenn der Krieg zu jedem Ausbruch der Leidenschaft, der Rohheit und der tierischen Natur reizt, so hat das Rittertum die Bestimmung, den wahren Menschen zu retten, die Gewalt durch Sitte und Einfluß der Frauen zu mäßigen, die Kraft durch die Richtung auf das Göttliche zu verklären. Sein Ursprung in diesem Sinne trifft mit der Bildung der beiden ersten geistlichen Ritterorden, seine Blüte ohne Zweifel mit der Gründung des dritten zusammen. Nach den Kreuzzügen ist es zwar nicht unter­ gegangen, aber es hat eine andere, in den verschiedenen Ländern eine verschiedene Entwicklung genommen. Niemals hat es sich über andere Nationen erstreckt; selbst Johanniter und Tempelherren haben in einer anderen niemals eine Provinz und nie mehr, als einige Be­ sitzungen gehabt; die deutschen Ritter standen gegen Letten und Slaven in einem steten Gegensatz. Eine edle Blüte des ritterlichen Lebens ist die Poesie dieser Zeiten. Ist in der Tat, wie es denn gewiß erscheint, die Erzählung Beschadas von Gottfried von Bouillon der erste Roman XVU-XVIIl/7

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gewesen, und knüpfen sich die Fabelkreise von Karl dem Großen und Arthur, wie allerdings sehr wahrscheinlich ist, unmittelbar an diesen, so haben die Kreuzzüge an der Begründung der neueren Poesie, man sieht welchen Anteil. Übrigens knüpft dieselbe alle unsere Na­ tionen ausschließend zusammen. Die Vorreden der Wilkina und Niflungasaga gestehen, daß diese in Island deutschen Vorbildern nachgedichtet worden. Kein anderes Volk hat Teil an ihr. Nicht allein Ritter führen den Krieg, auch die Freiheit der Städte ist kriegerisch: ihr Ursprung fällt bei allen unseren Völkern in die näm­ liche, in diese Zeit. Die ersten Konsuln der italienischen Gemeinden, die sie selbst gewählt, auf welcher Wahl ihre ganze Freiheit beruht, erscheinen mit dem ersten Kreuzzug; unzweifelhaft finden wir sie zuerst in Genua bei einer Unternehmung im heiligen Land. Sie haben sich im Lauf unseres Zeitraumes die ganze Gewalt der alten königlichen Grafen verschafft. Bereits in dem Jahr 1112 finden wir dieselben Institute, freie Kommunen unter Schöppen und Majoren ihrer eigenen Wahl in Frankreich; so wie der König unter der Oriflamme, der Fahne von St. Denis—ein Bezug, welcher der wahre Ursprung dieses Reichs­ banners zu sein scheint — so ziehen alle Kommunen, jede unter der Fahne ihres Ortsheiligen, mit ihm ins Feld. In Kastilien hatten die Städte schon im Jahr 1169 um ihrer Streitbarkeit willen Sitz in den Cortes, und bei der Schlacht von Navas erscheint ihre Hilfe nicht als die geringste. Die deutschen Städte entwickelten sich durch die Befrei­ ung vom Vogt im Lauf derselben Zeit bis zu selbständigen Bünd­ nissen. Unter Heinrich III. wurden die englischen ins Parlament berufen. Zu Gotland auf schwedischem Grund und Boden blühte Wisby. Genug, zugleich mit Rittertum und Kreuzzügen entwickelte sich vom Norden bis zum Süden der romanisch-germanischen Nationen Freiheit und Bedeutung der Städte. Wie dem Rittertum unsere eigentümliche Poesie, so scheint den Städten unsere eigentümliche Baukunst anzugehören. In der nämlichen Zeit hat sie sich von dem flacheren Dach und dem Halbkreis zu jenem schönen Ebenmaß im Spitzbogensiil durchgebildet, der in dem Portal des Münsters zu Straß­ burg, in dem Chor des Domes zu Köln, in dem Turm zu Freiburg, in der ganzen Kirche zu Marburg—von 1235 — und in denKathedralen zu Siena, Rouen, Burgos sichtbar ist. Weder an dem Rittertum, noch an der Entwicklung der Städte, haben andere Nationen teilgenommen. Noch im Jahr 1501 baten die Russen zu Moskau ihnen einen Ritter, einen eisernen Mann, wie sie sagten, zu senden; und staunten ihn als ein Wunder an. Die 98

Lüreu an der Nowgoroder Kathedrale sind von Magdeburger Meistern. Gedenken wir noch einer anderen Erscheinung. Wie die Völkern Wanderung von der Bildung des Kaisertums und des Papsttums begleitet ward, so hat sich mit den Kreuzzügen der Kampf dieser beiden Gewalten entwickelt. Es ist nicht allein ein Streit des Kaisers und des Papstes; er hat augenscheinliche Beziehungen auf alle Bekenner des römischen Glaubens. Die Entzweiung Heinrichs II. von England mit Thomas Decket ist ihm in dem Interesse der Kämpfenden und in der Art der Waffen außerdem völlig analog; die beiden Fürsten, die beiden Geistlichen waren verbündete Auch übrigens geht er alle unsere Na­ tionen an. Friedrich I. hatte Schweden in dem Heer, mit dem er 1158 nach Italien zog; hauptsächlich durch englisches Geld wurden die Päpste zu ihren Kämpfen in Neapel in den Stand gesetzt; mit den Geschichten Konradins greifen auch die einheimischen Verhältnisse von Kastilien genau zusammen; Karl von Anjou, der diese Kriege endete, war der Bruder des stanzöfischen Königs. Es konnte nicht anders sein als daß der innere Kampf den äußeren störte. Mit Recht sehnte sich Friedrich I. mitten in seinen italienischen Kriegen nach Asien, wo ihm die Kraft, die er in jenen verschwendete, einen wahrhafteren Ruhm und ein vollständigeres Glück gewährt hätte. Aber auch die inneren Gewalten zerstörten sich selbst; das Papsttum glaubte fälsch­ lich durch den Fall der Hohenstaufen an Macht gewonnen zu haben; Konradin war noch nicht 40 Jahre tot, als es in die Gefangenschaft der französischen Könige fiel; seitdem ist es nie wieder das alte Papst­ tum geworden. Welche von unseren Nationen wäre hievon unbe­ rührt geblieben. Man kann bei den äußeren Unternehmungen zwei Zeiträume unterscheiden, den einen, wo sie in erster Frische beginnen und ihr Gedanke alle Gemüter beherrscht, den anderen der Fortsetzung, der Nachwirkung, der Erfolge. Wird dies dem Kundigen bei der Völker­ wanderung auf den ersten Blick einleuchten, so ist es bei den Kreuzzügen beinah noch deutlicher.

Nach dem Verfall der beiden großen Gewalten, nach dem all­ mählichen Erkalten des Interesses aller nach Außen in dem 14. und 15. Jahrhundert, entstand in dem Innern unserer Nationen, sozu­ sagen, ein allgemeiner Krieg aller gegen alle. Eben die Zusammenge­ hörenden entzweiten sich am heftigsten. Provenzalen und Katalanen sind von einem Stamm; durch die Ansprüche ihrer Fürsten, der

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Häuser Anjou und Darcellona auf Neapel terfielen sie damals auf Jahrhunderte in Feindschaft; tu eben diesem Kampf trennten sich Neapel und SizUien. Portugal «ar anfangs ein Lehen der kastilischen Krone; seit der Auflösung dieses Leheaverbandes faßte durch den Stolz beider Völker ein unvertilgbarer gegenseitiger Haß in ihnen Wurzel. Überdies ging die Partei der Nunoez und Gamboa durch ganz Spanien: die bürgerlichen Äriege wurden nur dann und wann — sonst war es umgekehrt — durch einen maurischen unterbrochen. Ja Italien bildeten sich Guelfea und Gtbellinen, deren Namen schwerlich vor dem Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden sind, zu jener Entzweiung aus, die das ganze Land, Stadt für Stadt, beinah Haus bei Haus trennte. Durch den Zwist der königlichen Geschlechter, nicht wie ftüher über einige Lehen, sondern über die Krone selbst, wurden Frankreich «ad England zu den heftigsten Kriegen entzündet; da ward anfangs Frankreich durch die englischen Waffen und eine große englische Partei, darauf England unter den Zeichen der roten und weißen Rose zerrüttet. In Deutschland stritten Stämme und Geschlechter nicht minder. Schwaben und Schweizer sind beide Alemannen; nun zerfielen sie in eine tödliche Feindschaft. Österreicher und Bayern sind desselben Stammes: die Schlacht von Mühldorf zeigt, wie wenig sie dessen eingedenk waren. Franken zerfiel in den Gegensatz ritterlichen und geistlichen Besitztums. Kriege um die Erbfolge, Kriege der Kinder gegen ihren Vater, Bruderkriege verwüsteten Thüringen und Meißen. Brandenburg und Pommer» waren beide von sächsischen Kolonisten bewohnt; aber die Ansprüche der brandenburgischen Fürsten an das Laad der Pommer« wurden zwischen ihnen zum großen Anstoß, und in pommerschea Chroniken wird der Märker stets mit Abneigung ge­ dacht. Hiezu kam die Erhebung der Fürsten wider die königliche Gewalt, der Landsaffeo wider die fürstliche; «0 man retchsunmtttelbar «ar, der Ritter wider die Städte, tu de« Städten der Zünfte wider die Ge­ schlechter. Oft «ar die Krone streitig. Da sind es nicht allein Völker und Stämme, Staaten ober Kabinette, welche öffentlich handeln, sondern Geschlechter, Korporationen, die einzelnen, an seinem Tell auf jedem Puntt ein jeder, so gut er kann. In diesem Zustand sollte man glaube«, werde sich die Einheit kaum eines Reiches, viel weniger der Gesamtheit unserer Nationen, erhalten haben. Die Pattei ttennt, aber sie verbindet auch. Vorzüglich greifen die englisch-ftanzösischen Kriege in die übrigen DerhÄtniffe ein und knüpfen sie zusammen. Was scheint weiter voneinander, als der Aufruhr unterdrückter Schotten wider die Engländer und der

Kampf Albrechts und Adolfs um die deutsche Krone? Die Schlachte« vou Lambus Kenneth, in der die Engländer unterlagen, und vom Hasenbühel, in der Adolf fiel, beide 1298, hängen dennoch genau zu, sammea: Albrecht «ar mit den Franiosea und durch sie mit den Schotten, Adolf mit den Engländern verbündet. Die englische Partei in Europa unterlag in beiden Schlachten. Oer Stteit jwischen Ludwig dem Bayer« und Karl von Luxemburg um dieselbe deutsche Krone ward nicht sowohl in Deutschland, als durch die Schlacht von Cressy ent, schieden. Kurz vor derselben ist Karl von vier Kurfürsten in aller Pracht auf den Königstuhl erhoben worben; gleich nach derselben — seine Partei, die französische hatte verloren — sehen wir ihn ohne Ansehen und Gewalt nach Böhmen zurückellen; Ludwig aber schickt und emp, fängt feierlich englische Gesandtschaften. In dem Interesse dieser beiden Patteien, und hauptsächlich mit ihrer Hllfe führten Peter der Gransame and Heinrich von Trastamar ihren Krieg über die Königs, würde von LastUiev. Da Peters Geiz den schwarzen Prinzen, der ihm geholfen, zu dem Foagtum nötigte, das Foagtum aber deffea Vasallen zur Unzufriedenheit anttieb, woraus der Verfall der englischen Macht in Frankreich kam, Heinrich dagegen mit den Franzosen in Spanten fiegte, kann man sagen, daß der Umschlag des eaglsschen Glücks in Spanien erfolgte. Durch andere Fäden hangen diese Ge, schichten mU holländischen und geldrischen, mit aragoatschea und sar, dtnischea, mit venetianischea und genueflschen zusammen; an eine Isolierung der Völker im Mittelalter, von der man so viel redet, ist htenach nicht zu glauben. Selbst große geistige Bewegungen gehen mitten durch fle hindurch und zeugen von ihrer inneren Einheit; um das Jahr 1350 findet man, fast wie in unseren Tagen, ein allgemeines Streben nach erneuten Verfassungen. Man bemerke, daß es damals «ar (1347), daß Cola Rienzi der Eiferer Italiens, den guten alten Instand, wie er es nannte, das ist eine Art republikanischen Regimentes zu Rom in der Tat herstellte; damals (1356), daß sich Plebejer und Doge von Venedig zu einer Verschwörung wider den Abel vereinigten, um in einer Mordnacht ihre alten Rechte herzustellen, und zu derselben Zeit (1355), daß in Frankreich eine erste Ständeversammluag zwar mit dem König zu leben und zu sterben versprach, aber seine Rechte nicht wenig beschränkte, eine zweite Reformation verlangte, und eine Liste von 22 abzusetzenden hohen Personen eingab, eine dritte endlich eine völlige Revolution einleitete, und den Dauphin ihre rot und grüne Mütze aufzusetzen zwang. Diese Bewegungen waren gesetzwidrig IOI

und vorübergehend. Andere, ju der nämlichen Zeil, hielten sich in engeren Schranken vnd hatten bleibendere Folgen. Za Aragon erhob sich (1348) statt der gewaltsamen Macht der Union das gesetz, mäßige Ansehen eines Justtcia. Damals zuerst (unter Eduard III.) drangen die Gemeinen von England ans eine Verantwortlichkeit der königlichen Räte, und vielleicht waren es ähnliche geistige Bewegungen in Deutschland, welche (1356) Karl IV. das Grundgesetz des deutschen Reiches auf Jahrhundette hinaus, die goldene Dulle, zu geben ver, anlaßten: wenigstens fallen die ersten Vereine der Landschaften zu Landständen, in Braunschweig, in Sachsen (1350), in anderen Serri; torien in dieselbe Zeit. Sollte dies Zusammentreffen zufällig sein? Die gemeinschaflliche Entwicklung unserer Nationen wird dieselben Ideen mit Notwendigkeit in ihnen hervorgerufen haben. Mitten in diesen Bewegungen gedachte man indes immerfort, so wie noch zuwellea der alte Zwist zwischen Kaiser und Papst aachwirkend hervortrat, des Morgenlandes und einer allgemeinen Unternehmung gegen die Ungläubigen. Ost ermunterte der Papst dazu; durch Romane, Märchen und Volksbücher warb die allgemeine Neigung zugleich ausgesprochen und genährt; im 14. Jahrhundert glaubten die Pastonreanx in Frankreich und England, die Eroberung des helltgen Landes sei an die Hitten und Banern gekommen und brachen dazu auf; noch zu Ende des 15., im Jahre 1480 hefteten sich viele Bürger von Parma eia rotes Kreuz auf die Schulter, mit der Ver­ pflichtung gegen die Heiden zu kämpfen. Domehmltch in Spanien und Portugal, wo der Maurenkrieg in gewissen Zwischenräumen fort­ gesetzt ward und endlich zn einem Angriff auf Aftika führte, blieb der Gedanke der Kreuzzüge lebendig. Ans eben diesem Gedanken entsprangen die Pflanzungen. Die Absichten der Portugiesen beziehen sich unmittelbar auf deu Mittelpuutt des arabischen Glaubens; sie wollen Jerusalem an Mekka rächen; ihre Siege sind nochmals in dem Enthusiasmus der Jerusalem­ fahrer erfochten worben. Die spanischen Unternehmungen dagegen, da sie wider Heiden «nd nicht wider Muhamedaner gingen, haben mehr die Idee der nordischen Kreuzzüge erneuert; eine Schenkung des Pap­ stes, eine Erklärung, „der Feind müsse zum Christentum bekehrt oder ausgerottet werden", enthält das ganze Recht dazu. Auch die Bauern, welche Battolemeo de las Casas zu einer friedlicheren Unter­ nehmung nach Cumana führen wollte, ttugen ein jeder eia rotes Kreuz. In der Tat bilden in Spanien und Portugal Dölkerwauderung, Kreuzzüge und Pflanzungen nur ein einziges in seinem Gange

zusammenhängendes Ereignis. Die Poblacionen, wie sie von den asturischen Bergen bis an die andalustschen und afttkanischen Küsten gezogen, wie fie noch 1507 in Almeria, 1512 in Oran vorgenommea worden, beginnen nun jenseits des atlantischen Meeres; die Spanier rühmen nichts so sehr, als daß fle selbst statt barbarischer Völker, wie fle sagen, die Söhne und Abkömmlinge erlauchter kastilischer Häuser augepflanzt haben. Die fünf Millionen weißer Menschen, die man da­ selbst zählt, stad wahre Spanier. Eine Million Portugiesen wohnt in Brasilien; eine nicht viel mindere Anzahl obwohl entartet, kann man noch an den aftikanischen und osttabischen Küsten unterscheiden. So starke Pflanzungen können wohl als Wanderungen angesehen werden. Die andere Idee, welche die Kolonisation belebt und die fle mit den Kreuzzügen gemein haben, ist die Verbreitung des Christentums. Line dritte ist ihnen eigen und unterscheidend für fle: die Idee der Weltentdeckung — an und für sich einer der größten, das menschliche Geschlecht und die Erde umfassenden Gedanken; gefördert und genährt wurde er von der Begierde nach den Gewürzen Indiens, nach dem Gold Amerikas, nach den Perlen der unbekannten Meere, von dem Interesse des Handels. Es wäre unnötig die allgemeine Tellnahme unserer Völker an diesen Dingen (der Italiener wenigstens an der Entdeckung) zu ent, wickeln; unnötig, weitläufig zu beweisen, daß sie ihnen ausschließend eigen sind. Andere Nationen haben diese Bestrebungen dann und wann berührt, in der Lat aber andere Missionen verfolgt. Die Einheit eines Volkes kann sich nicht besser zeigen, als durch eine gemeinschaftliche Unternehmung; wodurch konnte die Einheit und Zusammengehörig, kett mehrerer Völker, wie der unsrigen, sich besser betätigen? Oie Unternehmungen, von denen hier geredet worden, durch wie lange Jahrhunderte sie sich auch ziehen, sind ihnen allen gemein: fle ver, knüpfen beides, die Zeiten und die Völker; sie sind, daß ich so sage, wie drei große Atemzüge dieses unvergleichlichen Vereines.

E. Die neue Zeit. 1. Anfänge Luthers.

„Ich bin eines Bauern Sohn", sagt er selbst, „mein Vater, Großvater, Ahn sind rechte Bauern gewesen; darauf ist mein Vater gen Mansfeld gezogen und ein Berghauer geworden: daher bin ich". Das Geschlecht, dem Luther angehört, ist in Möhra zu Hause, einem Dorfe unmittelbar an der Höhe des Thüringer Waldgebirges,

unfern den Gegenden, an die sich daö Andenken der ersten Verkünd digungen des Christentums durch Bonifatius knüpft: da mögen die Dorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer Hofstätte gesessen haben, — wie diese Thüringer Bauern pflegen, von denen immer ein Bruder das Gut behält, während die anderen ihr Fortkommen auf andere Weise suchen. Don diesem Los, sich irgendwo auf seine eigene Hand Heimat und Herd erwerben ju müssen, betroffen, wandte sich Hans Luther nach dem Bergwerk t» Mansfeld, wo er im Schweiß seines Angesichts sei» Brot verdiente: mit seiner Frau Margret, die gar oft das Holz auf ihrem Rücken hereinholte. Don diesen Eltern stammte Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wohin, «le eine alte Sage ist, seine rüstige Mutter eben gewandert war, um Einkäufe ju machen. Er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft. Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt streng und rauh, so war es auch die Erjiehung. Luther erzählt, daß ihn die Mutter einst um einer armseligen Nuß willen blutig gestäupt: der Dater ihn so scharf gezüchtigt habe, daß er sein Kind nur mit Mühe wieder an flch gewöhnen können; in einer Schule ist er eines vormittags fünfzehn Mal hintereinander mit Schlägen gestraft worden. Sein Brot mußte er dann mit Singen vor den Türen, mit Neujahrsflngen ans den Dörfern verdienen. Sonderbar, daß man die Jugend glücklich preist und beneidet, auf welche doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur die strengen Notwendigkeiten des Lebens eiawtrken, in der das Dasein von ftemder Hllfe abhängig ist und der Wille eines andern mit eisernem Gebot Tag und Stunde beherrscht. Für Luther «ar diese Zeit schreckenvoll. Don seinem fünfzehnten Jahre an ging es ihm etwas besser. Ja Eisenach, wo er eine höhere Schule besuchte, fand er Aufnahme bei den Verwandten seiner Mutter; in Erfurt, wohin er zur Univer­ sität ging, ließ ihm sein Dater, der indessen durch Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Gedeihen in bessere Umstände gekommen, ftetgebtge Unterstützung zufließen: er dachte, sein Sohn solle ein Rechtsgelehrter «erden, sich anständig verheiraten und ihm Ehre machen. Auf die Beschränkungen der Kindheit aber folgen in dem müh, seligen Leben der Menschen bald andere Bedrängnisse. Der Geist fühlt flch frei von den Banden der Schule; er ist noch nicht zerstreut durch die Bedürfnisse und Sorgen des täglichen Lebens; mutvoll wendet er flch den höchsten Problemen zu, den Fragen über das Verhältnis des Menschen zu Gott, Gottes zur Welt: indem er ihre Lösung ge, «altsam zu erstürmen sucht, ergreifen ihn leicht die unseligen Zweifel.

Cs scheint fast, als sei der ewige Ursprung alles Lebens dem jungen Luther nur als der strenge Richter und Rächer erschienen, der die Sündhaftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenstrafen heimsuche, und den man nur durch Buße, Abtötung und schweren Dienst versöhne» könne. Als er einst, im Juli 1505, von dem väterlichen Hause zu Mans, seid wieder nach Erfurt zurückging, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie fle sich nicht selten hier am Gebirge lange ansammeln und endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen. Luther war schon ohnedies durch de» unerwarteten Tod eines vertrauten Freundes erschüttert. Wer kennt die Momente nicht, in denen das stürmische, verzagte Herz durch irgend ein überwältigendes Ereignis, wäre es auch nur eben der Natur, vollends zn Boden gedrückt wird. In dem Ungewitter erblickte Luther, in seiner Einsamkeit auf dem Feldweg, den Gott des Zornes und der Rache: ein Blitz schlug neben ihm ein: in diesem Schrecken gelobt er der hl. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloster zu gehen. Noch einmal ergötzte er sich mit seine« Freunden eines abends bet Wein, Saiteaspiel und Gesang: es «ar das letzte Vergnügen, das er stch zugedacht; hierauf eilte er sein Gelübde zu vollziehen und tat Profeß in dem Augustinerkloster zu Erfurt. Wie hätte er aber hier Ruhe finden sollen, in alle der aufstrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge Klosterpforte verwiesen, in eine niedrige Zelle mit der Ausflcht auf ein paar Fuß Gartenland, zwtschen Kreuzgängen, und zunächst nur zu den niedrigsten Dienste» verwandt. Anfangs widmete er fich den Pflichten eines angehenden Klosterbruders mit der Hingebung eines entschlossenen Willens. „Ist je ein Mönch in Himmel gekommen", sagt er selbst, „durch Möncherei, so wollte auch ich hineiugekomme» sein". Aber dem schweren Dienst des Gehorsams zum Trotz ward er bald von peinvoller Unrnhe ergriffe». Zuwellen studierte er Tag und Nacht und versäumte darüber seine kanonischen Horen; dann holte er diese wieder mit reuigem Eifer nach: ebenfalls ganze Nächte lang. Zuwelle» ging er, nicht ohne sein Mittagsbrot mitzunehmen, auf ei» Dorf hinaus, predigte den Hirte» und Dauern und erquickte stch dafür an ihrer ländlichen Muflk; dann kam er wieder und schloß fich Tage lang in seine Zelle ei», ohne jemand sehen zu wolle«. Alle früheren Zweifel und innere« Bedrängnisse kehrten von Zeit zu Zeit mit doppelter Stärke zurück. Wenn er die Schrift studierte, so stieß er auf Sprüche, die ihm ein Grauen erregten, z. B. Errette mich in deiner Gerechtigkeit,

deiner Wahrheit: „ich gedachte", sagt er, „Gerechtigkeit wäre der grim, mige Zorn Gottes, womit er die Sünder straft"; in den Briefen Pauli traten ihm Stellen entgegen, die ihn Lage lang verfolgten. Wohl blieben ihm die kehren von der Gnade nicht unbekannt: allein die Behauptung, daß dnrch dieselbe die Sünde auf einmal Hinwege genommen «erde, brachte auf ihn, der stch seiner Sünde nur allzuwohl bewußt blieb, eher einen abstoßenden, persönlich niederbeugenben Eta, druck hervor. Sie machte ihn, wie er sagt, das Herr bluten, ihn an Gott verzweifeln. „O meine Sünde, Sünde, Sünde!" schrieb er an Staupitz, der stch dann nicht wenig wanderte, wenn er kam, dem Mönche Beichte saß und dieser keine Tatsachen zu bekennen wußte. Es «ar die Sehnsucht der Kreatur nach der Reinheit ihres Schöpfers, der ste stch in dem Grunde ihres Daseins verwandt, von der fle stch doch wieder durch eine unermeßlicheKluft entfernt fühlt: ein Gefühl, das Luther durch unablässiges einsames Grübeln nährte, und das ihn um so tiefer und schmerzhafter durchdrang, da es durch keine Buß, Übung beschwichtigt, von keiner kehre innerlich und wirksam berührt wurde, kein Beichtvater darum wissen wollte. Es kamen Momente — damals oder später — wo die angstvolle Schwermut stch aus den geheimen Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln Fittige um sein Haupt schwang, ihn ganz baratederwarf. Als er stch einst wieder ein paar Tage unsichtbar gemacht hatte, erbrachen einige Freunde seine Zelle und fanden ihn ohnmächtig, ohne Besinnung ausgestreckt. Sie erkannten ihren Freund: mit schonungsvoller Einsicht schlugen fle das Saitenspiel an, das sie mitgebracht: unter der wohlbekannten Weise stellte die mit sich selber hadernde Seele die Harmonie ihrer inneren Triebe wieder her und erwachte zu gesundem Bewußtsein. Liegt es aber nicht in den Gesetzen der ewige« Weltorbnung, daß ein so wahres Bedürfnis der Gott suchenden Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeugung beftiedigt wird? Der Erste, der Luther in seinem verzwetflungsvolle« Zustande, man kann nicht sagen, Trost gab, aber einen Lichtstrahl in seine Nacht falle» ließ, war ein alter Augusttnerbruder, der ihn in väterlichem Zuspruch auf die einfachste erste Wahrheit des Christentums hinwtes, auf die Vergebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöser: auf die Lehre Pauli Römer am dritten, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Lehren, die er wohl auch stüher gehört haben mochte, die er aber in ihrer Der, dnnkelung durch Schulmeinungen und Zeremoniendtenst nie recht

verstanden, die erst jetzt einen vollen, durchgreifenden Eindruck auf thu machten. Er sann hauptsächlich dem Spruche nach: der Gerechte lebet feines Glaubens; er las die Erklärung Augustins darüber: „da ward ich stoh", sagt er, „denn ich lernte und sah, daß Gottes Ge, rechtigkeit ist seine Barmherzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtsein jusammen und ward meiner Sache gewiß". Eben bas war die Überzeugung, bereu seine Seele beburste: er ward inne, daß die ewige Gnade selbst, von welcher der Ursprung des Menschen stammt, die irrende Seele er, barmungsvoll wieder an stch zieht und ste mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß uns davon in dem historischen Christus Vorbild und un, widersprechltche Gewißheit gegeben worden: er ward allmählich von dem Begriff der finstern, nur durch Werke rauher Buße zu versöhnen, den Grechtigkeit frei. Er war wie ein Mensch, der »ach langem Irren endlich den rechten Pfad gefunden hat und bei jedem Schritte flch mehr davon überzeugt: getrost schreitet er weiter.

2. Die Lage Deutschlands im Jahre 1521.

Wir haben gesehen, wie aus der einseitigen Entwicklung, welche das lateinische Kirchenwesen genommen, die Notwendigkeit entsprang, dasselbe zu reformieren, wie die allgemeine Lage der WeltverhLlt, Nisse das forderte, die nationalen Regungen des deutschen Geistes, die Fortschritte der Gelehrsamkeit, die Gegensätze der Theologie dazu vor, bereiteten, wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran flch knüpfenden Stteitigkeiten, ohne daß jemand die bewußte Abflcht gehabt hätte, zu dem gewaltigsten Ausbruche der Oppofltion führten. War das nun unvermeidlich, so können wir doch keinen Schritt weiter tun ohne zu bemerken, wie höchst gefährlich es zugleich werben konnte. Denn in der Totalität des Bestehenden, wie es nun einmal gewor, den, ist alles verbunden, unterstützt flch alles; flnd die inneren Lebens, kräste einmal in Kampfgeraten, — «er kann sagen, wo dem flegretchen Angriff wieder Einhalt geschehen, ob er nicht alles Umstürzen werde? Bei welchem Institute auf Erden wäre aber diese Gefahr größer gewesen als bet dem Papsttum«, welches auf das gesamte Leben der europäischen Nationen seit Jahrhunderten einen so mächtigen Einfluß ausgeübt hatte? Was in Europa bestand, war doch im Grunde eben jener kriegerisch, priesterliche Staat, der im 8ten, yten Jahrhundert gebildet worden

unb, alle» Veränderungen, welche eingetreten sein mochten, zum Trotz, in seiner Tiefe, der Mischung seiner Grundbestandtelle immer derselbe geblieben «ar. Za, die Veränderungen, welche geschehen waren, hatten selbst doch in der Regel das priesterliche Element begünstigt; eben vermöge seiner Siege hatte es alle Formen des öffenllichen und des Privatlebens, alle Adern der geistigen Bildung durchdrungen. Wie war es möglich, es anzugreifen, ohne alles »u gefährden, in Frage zu stellen, ohne die Grundlagen des gesamten Daseins zu erschüttern? Man dürste nicht glauben, dem Dogma, in dem Fortgänge seiner hierarchisch,-scholastischen Formation, habe eine so unwidersteh­ liche Kraft, die Gemüter zu überzeugen, flch zu eigen zu machen, beigewohnt. Die kirchlichen Festsetzungen selbst hatten vielmehr un­ aufhörlichen Widerspruch gefunden, in der Regel wohl nur innerhalb des Kreises der einmal angenommenen Zdeen, zuweüen aber auch jenseit desselben in entschlossener Feindseligkeit. Allein das enge Verhältnis, in dem sich das Papsttum zu allen bestehenden Gewalten zu erhalten wußte, hatte immer bewirtt, daß die Oppositionen unter­ lagen. Wie hätte auch z. B. ein Kaiser es wagen können, eine dem herrschenden System der Gedanken nicht in einzelnen Bestimmungen, worauf wenig ankam, sondern innerlich und «esenllich entgegenge­ setzte religiöse Meinung in Schutz zu nehmen? Selbst einem Papste gegenüber, den er bekriegte, durste er es nicht wagen: er hätte fürchten müssen, den geistigen Grund zu untergraben, auf welchem feine eigene Würde beruhte; übrigens hätte er ja auch erst den Kreis der Vorstellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüter fesselte. Die Staatsgewalten fühlten flch immer in unauflöslichen Beziehungen zur Hierarchie: fle führten in der Regel die Verfolgungen der Anders­ gläubigen selber aus. Dazu kam, daß flch mit den letzten Angriffen auf das römische Kirchenwesen in der Tat Unternehmungen der gefährlichsten Art in Verbindung gefetzt hatten. Cs war nun anderthalb Jahrhunderte her, baß John Wicliffe in England, ziemlich mit denselben Waffen wie Luther und durch verwandte nationale Regungen unterstützt, den Kampf mit dem Papsttum unternommen hatte; aber auf der Stelle hatte flch ihm eine stürmische Bewegung der untersten Stände zugesellt, die, mit den Verbesserungen des Dogmas ober der Emanzipation von dem römischen Stuhle nicht zuftieden, aus die Dertllgung der gesamten pstündenbefltzenden Geistlichkeit, ja auf die Gleichmachung des Edel­ manns und des Dauern, d. i. auf eine vollständige Umkehr der Kirche

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und des Staates, ausging. Mochte nun Wicliffe an diesem Treiben AateÜ haben oder nicht, genug, von der Ungunst, «eiche es erweckte, warb auch er betroffen und von dem Schauplatze seiner Tätigkeit, der Uviversttät Oxford, wo er stch einen eigentümlichen Einfluß auf Eng, land «ad die Welt verschaffen konnte, hinweg ans den engen Wirkvngs, kreis einer Landpfarre verwiesen. Die Bewegungen in Böhmen, die infolge der Lehren und der Verdammung Hussens ausbrachen, hielten stch zwar zunächst an das geistliche Element, von dem fle ausgegangen; allein der Widerstand, de» fle fanden, erweckte gar bald eine höchst verderbliche fanatische Richtung. Die Tabortteu verwarfen nicht allein die Lehren der Kirchenväter so gut wie die spätesten Satzungen, sondern fle wollten die Bücher, in denen ste enthalten waren, vertilgt wissen. Sie erklärten es für eitel und uaevangelisch, ja sündlich, Studien zu treiben, Grade auf den Univerfltäte« zu empfangen. Sie predigten, daß Gott die Welt verderben wolle und »vr die gerechten Menschen in fünf Städte« erretten «erde; ihre Prediger hielten stch für die Racheengel Gottes, gesendet, um sein Gebot der Vernichtung zu vollstrecken; ste würden die Welt im Namen Gottes in eine Wüste verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte. Den» mit einer gelingenden Opposttion pflegen flch zerstörende Tendenzen zu verbinden, um so heftiger, je gewaltiger der Feind noch ist, mit dem fle kämpfe» muß. Und sollte au» in Deutschland, wo der Papst bisher einen Tell der Retchsgewalt in Händen gehabt, nicht auch ein ähnlicher Sturm zu befürchten sein? Die Nation war von einer allgemeinen Gärung ergriffe»; in der Tiefe hatte stch, der öffentlichen Ordnung gegenüber, schon immer die drohende Empörung geregt, — sollte dieselbe durch den Angriff auf die höchste irdische Gewalt, die man anerkannte, nicht aufgerufen «erden? sollten stch nicht die destruttiven Kräfte erheben, die flch in jeder Gesellschaft bergen, und welche dieser priesterlich,kriegerische Staat schlechterdings nicht hatte beseitigen können? Für die Zukunft der deutschen Nation kam nun alles darauf an, ob ste diese Gefahr bestehe« würde oder nicht, ob es ihr gelingen würde, stch von dem Papsttums zu ttenaen, ohne zugleich den Staat und die allgemeine, langsam gewonnene Kultur zu gefährden, zu welcher Verfassung — denn ohne große politische Veränderung konnte es nicht abgehea—die Nation alsdann flch entwickeln würde. Darauf be, ruhte zugleich die Möglichkeit einer Einwirkung auf die übrige Welt.

io.

z. Die Lage des deutsche« Protestantismus Im

Jahre 1535« Seitdem der menschliche Geist ia der Gemeinschaft der euto; päischen Nationen eine sichere Grundlage der Kultur gewonnen hat, unterscheiden wir lange Zeiträume, «0 er, durchdrungen von den einmal ergriffenen Privjipien und damit beschäftigt, dieselben in Staat und Kirche, Literatur und Kunst jur Erscheinung j« bringen, sich in ruhiger Stetigkeit fortentwickelt. Das Widersprechende stößt er alsdann von sich; wenn er Abweichungen duldet, so müssen sie sich doch ia einer höheren Einheit ausgletchen. Sollte aber von diesen Epochen irgend eine, wie umfassend auch ihre Bestrebungen sein mögen, die Triebe des Geistes alle zur Entfaltung bringen können? Wir dürfen vielleicht sagen: eben darum folgen die Zetten aufeinander, damit in allen geschehe, was in keiner eintelnen möglich ist, damit die ganze Fülle des dem menschlichen Geschlechte von der Gottheit ein­ gehauchten geistigen Lebens in der Reihe der Jahrhunderte zutage komme. Nachdem die Geschichte den stetigen Fortgang der Entwick­ lung eine Weile begleitet hat, findet sie sich plötzlich in der Mitte einer allgemeinen Bewegung. Die Geister fühlen gleichsam die Grenze, an welche sie auf dem bisher eiagehaltenen Wege gelaugt sind, und streben, sie zu überwinden. Nicht länger befriedigt von dem Erworbenen oder Erreichten, reißen sie sich vielmehr davon los; alle Kräfte, bewußt oder unbewußt, arbeiten, einen neuen Standpunkt zu ge­ winnen. Eine solche Zeit der Umwandlung, des Übergangs von einer Stufe zur anderen, und zwar eine der merkwürdigsten, entscheidendsten, die je in dem Leben der europäischen Nationen vorgekommen, macht den Gegenstand dieses Buches aus. Daß die hierarchische Gewalt, die bisher den Mittelpunkt der­ selben gebildet, die Normen des Glaubens gegeben, auf alle weltlichen Einrichtungen und Zustände beherrschenden Einfluß ansgeübt hatte, von einem Telle ihrer Gläubigen und zwar in der deutschen Nation, die ihr immer besonders ergeben gewesen, verworfen «ad verlassen ward, mußte, wenn es dabei blieb, eine unermeßliche Veränderung im Reiche der Ideen sowie in den politischen und bürgerlichen Ver­ hältnissen eine neue Welt hervorbringen. Wir haben gesehen, wie sich dieses Ereignis vorbereitete und unvermeidlich wurde; wir haben auch nicht verhehlt, welche Gefahr damit eiutrat, wie notwendig es war, daß die Führer der Bewegung HO

mitten in dem Sturme, den sie hervorgerufen, doch nicht weiter gingen, als ihr Vorhaben unbedingt erheischte. Denn darauf wird es in dem Wechsel der Zeiten immer atttom# men, daß die einmal gewonnene Grundlage der Kultur unverletzt bleibe, daß die wesentlichen Resultate, zu denen eS die vergangenen Geschlechter gebracht, von einem Jahrhundert dem anderen über/ liefert «erden. Die Reformatoren hielten sich selbst in der Religion, in bezug auf den Ritus sowohl als auf die Lehre, bei aller Abweichung von den Satzungen der Hierarchie, dem Herkömmlichen doch so nah«, als es mit den Urkunden des Glaubens, auf die sie zurückgingen, nur immer vereinbar schien; — auf dem Boden der Bildung und Gelehrsamkeit der lateinischen Christenheit überhaupt finden isir sie nicht allein in teil# nehmender, sondern in eigener schöpferischer Tätigkeit. Um sie her erhoben sich, — längst in der Tiefe wirksam und nun durch die gewaltige Erschütterung plötzlich entbunden, — destruktive Tendenzen in einer für das Jahrhundert besonders verführerischen Vermischung religiöser und politischer Formen und bedrohten die gebildete Welt mit allgemeiner Auflösung und Umkehrung. Die Reformatoren hatten Besonnenheit und Selbstbewußtsein genug, um flch denselben vom ersten Augenblick an zu widersetzen. Immer sehen wir Luther seine Waffen nach beiden Seiten hin richten, gegen das Papsttum, das die flch losreißende Welt wieder zu erobern sucht, und gegen die vielnamigen Sekten, «elche flch neben ihm erheben, Kirche und Staat zugleich antasten. Auf dem Gebiete des Geistes, im Reiche der allgemeinen Überzeugung haben die Protestanten zur über, wältiguug derselben wohl das Meiste beigetragen. Nicht als hätten sie in dem einen oder in dem anderen Falle klüglich erwogen, was sich erreichen lassen werde und was nicht; — vielmehr ist es ihr eigenstes Wesen, was sie zu diesem Verhalten führt. Don der Richtigkit der dem ursprünglichen Lehrbegriffe der lateinischen Kirche zugrunde liegenden Auffassung der heüigen Schrift sind sie voll# kommen überzeugt; nur die Willkürlichkeiten hierarchischer Entscheid düngen und Gebote, die derselben widersprechen, wollen sie «eg, schaffen. Und wie hätte Luther die Vermischung geistlicher und weit, kicher Elemente, die ihm am Papsttum fast am meisten verhaßt war, auf der entgegengesetzten Seite wieder um sich greifen lassen sollen? Er hätte damit sich selbst aufgegeben. Eben darin zeigt flch der echte, zu tätiger Teilnahme an der Fortbildung der Welt berufene Geist, daß seine innere Natur und die verborgene Notwendigkeit der Dinge

zvsammeatreffea. Der große Reformator war, wenn wir vnS hier eines Ausdrucks unserer Tage bedienen dürfen, zugleich einer der größten Konservativen, welche je gelebt haben. In verwandtem Sinne begriffen nun auch die Protestanten ihr Verhältnis zum Reiche. Wir wollen den Widerstand, den ste fanden, nicht auch, wie so oft geschieht, lediglich von Willkür oder Neigung zur Gewaltsamkeit her, letten. Zu tief waren die hierarchischen Einwirkungen in bas öffentliche Recht eingedrungen; zu eng waren schon seit den Zeiten Winftieds die Bischöfe des Reiches und seit mehreren Jahrhunderten auch die Kaiser dem römischen Stuhle verpflichtet, als daß ste einem Abfalle von demselben ruhig hätten zusehen sollen. Wenn die Reformation ihrerseits zur Vermehrung der Territorialmacht nicht wenig beitrug, so gab es doch auch auf der anderen Seite Fürsten, die in ihrer Der, binduag mit Rom die Mittel zu einem ähnlichen Wachstum suchten und fanden. Die Idee der ungetrennten Einheit der Christenheit, welche die Gemüter Jahrhunderte lang beherrscht hatte, konnte un, möglich mit einem Mal so unwirksam geworden sein, um gar keinen Anklang «eiter zu finden. Sollte nun aber, wie doch auch notwendig war, dieser Widerstand überwunden werden, so würde man die evangelischen Stände ver, kennen, wenn man ihnen die Absicht beimäße, das Kaisertum umzu, stürzen, das Reich zu zersprengen, — ein Gedanke, der ihnen gar nicht in den Sina kommen konnte. In dem Reiche sahen ste vielmehr eine göttliche Institution nach dem Propheten Daniel, in ihrer Der, btadung mit demselben die Grundbedingung ihres Bestehens und ihrer Macht, ihre vornehmste Ehre. Auch wollte nicht etwa einer oder der andere von ihnen die oberste Würde selbst in Besitz nehmen; dazu fühlte keiner die Kraft in sich, regte sich in keinem vielleicht auch uur ein vorübergehendes Begehren. Ihr Sweben ging allein dahin, der Reichsgewalt und namentlich dem Kaiser, welchen sie, nur mit dem Vorbehalt des unmittelbaren götüiche» Gebotes, als ihre Obrigkeit anerkannten, hinwieder die Anerkennung ihrer auf dem Grund der Schrift unternommenen Veränderungen abzugewinaen. Hatten ste doch auch Beschlüsse der früheren Reichstage und dadurch ein positives Recht für sich. Ste wünschten nichts, als in den Frieden des Reiches, aus welchem man sie in den letzten Jahren gestoßen, Wiederaufgenom, men zu werden: wie sich versteht, mit Beibehaltung der Reformen, die ste mit gutem Grunde getroffen haben. Hiezu bedarf es einer Modifikation der Reichsgerichte und der alten oder neuen Gesetze, auf

welche dieselbe» angewiesen sind, einer Milderung des Verhältnisses der Reichsgewalt ju dem römischen Stuhle; eben das ist alles, was ste verlange». Wie ste flch de» destruktive« Tendenzen überhaupt widersetzen, wie ste i» kirchlicher und dogmatischer Hinsicht nur das ihnen mit der Schrift im Widerspruch Erscheinende entfernen, so wollen ste auch in den Angelegenheiten des Reiches keinen Schritt «eiter gehen, als es jur Behauptung eben dieser Umwandlung unmittelbar erforderlich ist. Ein Ehrgeiz, der es unterntmmt, die Welt im Großen umzuge, stalten, sich von Erfolg zu Erfolge stürzt und bei jedem der Zukunft neue Aussichten eröffnet, wird den Blick und die Teilnahme des Zuschauers stärker fesseln; nur selten aber, vielleicht nur ein, oder zweimal, hat ein solcher Ehrgeiz große und nachhaltige Wirkungen hinterlassen; öfter ist er vergangen, wie ein Meteor; oder die Be, schränkung, die er in sich selber nicht finden konnte, ist ihm von üben legenen Weltkrästen gesetzt worden. Hier dagegen lag die Beschränk kung in dem ursprünglichen Begriff und Willen. Es war immer von unabsehbarer Bedeutung und Folge, wenn der Kreis der Hieran chten, welche die Welt umfaßten, an irgend einer Stelle durchbrochen ward; damit dies aber geschehen konnte, mußten die Gefahren eines allgemeinen Umsturzes, welche dem Widerstände doppelte Energie gegeben hätten, vermieden werden. Ja, erst dann war die neue Ktrchenform, der ausschließlich auf bas Evangelium gegründete Glaube befestigt, wenn ste in der großen Genossenschaft des Reiches Anerken, nung und Schutz fanden. Nur mit Ruhe, Selbstbeherrschung und Mäßigung ließ sich dies erreichen. Ich denke, eia Fortgang auf diesen Grundlagen ist auch ein der Aufmerksamkeit würdiges Schauspiel. Eines der Haupimomente hiebei lag nun aber, da die Protestanten der offenen Gewalt zu schwach gewesen wären, in dem eigenen Zustand und Derhältnis ihrer Gegner. Zu dem bereits beschlossenen Angriff hatten sich diese doch niemals wirklich vereinigen können. Daan waren die anderweiten Feindseligkeiten, die der am meiste» zu fürchtende Widersacher, der Kaiser, von morgenländischen und abendländischen Feinden erfuhr, den Protestanten trefflich zustatten gekommen. Ei» Anfall der Osmanen hatte ihnen im Jahre 1532 den ersten Frieden verschafft, der, so unzureichend und bedingt er sein mochte, doch als ein großer Schritt angesehen werden mußte. Wir wissen, welchen Wert die Restauration von Würtemberg und der Friede von Cadan für sie hatten; ohne den Rückhalt von Fraufteich

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wäre nicht daran j« denken gewesen. Noch «ar der Kaiser dieser Feindseligkeiten mit nichte« entledigt. Überdies aber, auch in der Region der allgemeinen Beziehungen nnd Gegensätze der großen Mächte treten dann und wann neue geistige Entwicklungen ein, und zwar eben die, welche die Welt am gewal, tigsten beherrschen. In den Zeiten, worin wir stehen, laffenflch, wenn ich nicht irre, Momente dieser Art «ahraehmen, die mit den De, strebungen des Protestantismus eine lebendige Analogie haben und ihn mittelbar nicht wenig unterstützen. 4. Die Stellung Karls V. im Jahre 1549.

Karl V. war ein Sprößling des burgundischen Hauses, das mit nationalen Bestrebungen nichts gemein hatte. In 15. Jahrhundert, als die kirchliche Einheit nicht mehr so unbe, dingt vorwaltete, die Erbfolgekriege zu haltbarem Besitzstände geführt hatten, England von Frankreich, Italien von Spanien, Polen von Ungarn abgesondert worden waren, und seitdem die Nationaltt-tea sich in festen Schranken zu entwickeln begannen, auch die deutsche Nation den Versuch machte, alle ihre Glieder durch umfassende Ein, richtuagen zu vereinigen, da war auch die burgundische Macht empor, gekommen, aber im Widerspruch mit allem nationalen Bestreben, nur auf Ansprüche der Erbfolge und Übergewicht der Kräfte über die jedesmaligen Gegner gegründet, auf diesem Grunde emporstrebead und vom Glück begünstigt. Karl der Kühne kam um, indem er seine Herrschaft über die Grenzlande von Deutschland und Frankeich auszudehnen suchte. Wie «eit aber sollte der Fortgang seines Hauses die Erwartungen übertreffen, die er hätte hegen können! Karl dem V., der an dem von seinem Ahnherrn gebildeten Hofe, welcher dessen Ideen festhielt, erzogen worden, der den dynastischen Gedanken Burgunds in seinem Wahlspruch „Mehr Weiter"*) auf seine Münzen prägen ließ, kostete es einige Mühe, in den verschiedenen Ländern, die ihm zufielen, in Besitz zu kommen, in den spanischen Königreichen, «0 er mit einer großen Rebellion zu kämpfen hatte, in Italien, «0 ihm ein mächtiger Nebenbuhler lange Jahre die Spitze bot; aber es gelang ihm damit: dieser Nebenbuhler, ursprünglich an Ansehen überlegen, vermochte doch das aufkommende Glück Karls V. nicht niederzuhalten; bald sehen wir es wie in selbständigem Fluge sich erheben und den Glanz der französischen Waffen und Macht verdunkeln. *) = Plus ultra.

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Nicht minder gelang es Karl dem V., die Beschränkung, die ihm jedes eintelne seiner Länder aufjulegen suchte, tu durchbrechen. Wir haben bemerkt, wie Kastilien zu seinen deutschen Kriegen beisteuerte; — eia Sohn jenes seines niederländischen Freundes, des Dtzeköatgs Laaaoy, führte ihm neapolitanisch« Reiter über die Alpen; — Deutsche und Italiener kämpften für ihn auf den afttkaaischen Küsten;—Antwerpen kam durch den Verkehr mit Spanien und die Rückwirkung der Kolo, nten in Asten und Amerika empor und vermittelte seine Geldhaus, Haltung. Eine gewisse Einheit ist dieser Macht nicht abjusprechea; aber man würde in Verlegenheit sein, wenn man fle mit einem bestimmten an eine Nation knüpfenden Ausdruck bezeichnen sollte. Noch bürste man nicht von einer spanischen Monarchie im späteren Sinne des Wortes reden; dazu «ar das spanische Element, da die Niederlande »och ungetteaat gehorchten, da die höchste Würbe, das Kaisertum, von so ganj anderem Ursprung herrührte, noch nicht vor, waltend genug; eher machten die Brabanter den Anspruch, alles t» re, gieren, doch waren auch sie durch die Masse der übrigen Bestandteile wett überwogen; die Einheit der Macht beruhte bloß in der Person, dem Haupte des Fürsten selbst, wie denn durch ihn allein geschah, daß die

Länder zusammengehötten. Wir werden uns, denke ich, nicht täusche», wenn wir aus dieser Lage der Umstände das Verfahren Herletten, das er in der inneren Regierung seiner Länder befolgte. Es «ar keines, aus dessen Mitte ihm nicht et» besonderer Wille entgegengetreten wäre, wo er nicht mit Landstäadea t» verhandeln gehabt hätte, von deren Dewilltguag die Summe seiner Einkünfte abhtug; er mußte ihre besonderen lokalen Interesse« schonen und fördern; aber niemals durste er irgend einem von ihnen überwiegenden Einfluß auf das Ganze seiner Derwaftung gestatten: er würde damit alle anderen verletzt habe» und überhaupt aus dem Mittelpuntt seiner Gedanken gewichea sein. Die Macht, die er besaß, war nichts Fertiges, Abgeschlossenes, sondern etwas noch immerfort Werbendes, sich Entwickelndes; noch hatte er nach allen Setten hin Ansprüche und Pläne, an die er große Gedanken anknüpste. Die Forderung, die er an seine Landschaften stellte, war hauptsächltch, ihn bet Verfolgung derselben in seinen auswLtttgen Angelegenheiten tu unterstützen, mit Leuten, Waffen und Geld, besonders mit Gel-, wofür alles andere leicht zu bekommen war; sie dazu zu stimmen, bildete einen vorzüglichen Geflchtspuntt seiner Staatsverwaltung. Es leuchtete ein, daß die deliberativea Versammlungen, die ftüher überall auf eine, wenngleich minder mächtige, aber doch uaabhängtge

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zentrale Regierung Einfluß gehabt, dadurch nicht wenig verloren. Gar bald finden wir in Kastüten zwar noch die Städte fich versammeln, welche Bewilligungen machen, nicht aber die Granden «nd hohen Prälaten, die den Königen einst Gesetze gegeben. Nicht mehr die großen Angelegenheiten, deren Entscheidung früher von Wirkung und Rückwirkung der entgegengesetzten Parteien abhing, sondern nur provinzielle Interessen kamen überall in de« ständischen Dersammlungen zur Sprache. Überhaupt muß mau sagen, daß die Regierung Karls V. dem Prinzip ständischer, republikanischer oder munizipaler Freiheit nicht günstig war. In Italien wollte er auch da, wo er nicht seine Herrschaft, nur seinen Einfluß gegründet, keine freie Bewegung der Kräfte, die leicht zu einem ihm unbequemen Umschwung hätte führen können. Er hat Florenz den Medici überliefert, in Genua alles getan, um das Übergewicht der Doria zu befestigen. Der letzte Mann, der die Herstellung der republikanischen Freiheiten in Italien in Sinn faßte, Franz Burlamacchi von Lucca, ist in einem seiner Gefängnisse zu Malland gestorben. Wir berührten, wie die Stadt Gent bet dem ersten Versuche, den fle machte, von dem alte« Begriffe ständischer Berechti­ gung aus auf die Kriegführung Einfluß zu gewinnen, behandelt wurde. Unter dem Umkreise dieser Gewalt, gleichviel, ob sie eine direfte oder eine indtrette Herrschaft ausübte, durfte kein Widerstreben sichtbar werden. Karl V. besaß die Mischung von Klugheit und Nachhültigkeit, die dazu gehörte, um ein solches Verfahren durchzuführeu, ohne doch das Selbstgefühl der verschiedenen Provinzen zur Empörung aufzureizen. Nun liegt am Tage, daß ein ähnliches System auch in Deutschland befolgt «erden mußte und befolgt ward. So höchst erwünscht der Besitz des Kaisertums war, welches dieser ganzen Macht erst einen Namen gab, so ging doch der Sinn Karls V. nicht dahin, außer vielleicht in einem Punkte, dessen wir bald gedenken werden, der Korporation, welche ihm die Würde übertragen, den Anspruch zu gestatten, den sie machte, bei der Verwaltung derselbe« einen wesentliche« Einfluß auszuüben. Er entzog seine Niederlande vollends der höchsten Gerichtsbarkeit des Reiches; während er ver­ sprochen, die abgekommenen Retchslande wieder herbetzubringen und bei dem Reiche zu lassen, riß er vielmehr ein altes Reichsland, bas Bistum Utrecht, davon ab und verleibte es seinen eigenen Landen ein; die italienischen Lehen, zuletzt auch Malland, nachdem es ihm so lange zu einem Moment seiner Unterhandlungen gedient, vergabte er ohne Rücksicht auf die Retchsfürsten; er sah das Reichssiegel mit

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Vergnügen ans den Händen des Reichserzkanzlers in die Hände seines vertranten Rates Granvella übergehen; der ihm aufgelegten Kapi­ tulation zum Trotz hielt er fremde Truppen im Reiche. Für die inuere Verwaltung des Reiches war ihm der religiöse Zwiespalt, der sie übrigens so schwierig machte, doch tu einer anderen Beziehung wieder vorteilhaft. Wir wisse», wie die Protestanten durch die Zugeständnisse, die ihnen geschahe», gewonnen «urden und dabei doch auch die Katholischen, besonders die Bischöfe, den vornehmsten Rückhalt, der ihr Bestehen stcherte, in der kaiserlichen Macht erblickten. Schoo bisher kam es denn doch zu allgemeinen Bewilligungen, gemeinschaftlichen Kriegszügen, wiewohl in der Regel erst nach zweifelhaften Unterhandlungen und neuen Konzessionen. Nunmehr aber «ar es ihm gelungen, auch dieser Notwendigkeit widersprechender Rücksichten zu entkommen; infolge des Krieges') beherrschte er die Be­ ratungen der Retchsversammlung zu Augsburg, wen» nicht voll­ ständig, doch in ihren wichtigsten Momenten; der deutsche Reichstag fing an, seinem Einfluß zu unterliegen, so gut wie andere Stände­ versammlungen seiner Lande. Auch die Autonomie der Städte hat er, obwohl er sich zuweüen als Städtefteund bezeichnete, in Deutschland so wenig begünstigt, wie in seinen erblichen Gebieten. Den Anteil an der Reichsregiervng, den sie unter seinen letzten Vorfahren, wenn nicht ganz rechtsbeständig, doch tatsächlich gewonnen, haben fle unter ihm, eben auch großenteils infolge des Krieges, welcher eine Art von Städtekrieg und zwar der unglücklichste von allen gewesen ist, wieder verloren. Genug, zu der Macht, welche die Regierung der übrigen dem burgundisch-österreichischen Hause zugefalleuen Länder bildete, kam nun auch eine tief eingreifende Reichsgewalt. Karl V. war in den Jahren, wo wir stehen, der große Fürst von Europa. 5. Ignatius von Loyola. Don allen Ritterschaften der Welt hatte allein die spanische noch etwas von ihrem geistlichen Clement behauptet. Die Kriege mit den Mauren, die auf der Halbinsel kaum geendigt, in Afttka noch immer fortgesetzt wurden, die Nachbarschaft der zurückgebliebenen und unterjochten Morisken selbst, mit denen man stets in glaubensfeiudlicher Berührung blieb, die abenteuerlichen Züge gegen andere Un­ gläubige jenseits des Weltmeeres erhielten diesen Geist. In Büchern wie der Amadts, voll einer naiv-schwärmerischen loyalen Tapferkeit, ward er idealisiert. *) Cs ist der Schmalkaldische. 117

Don Inigo Lopet de Recalde, der jüngste Sohn aus dem Hanse Loyola, auf dem Schlosse dieses Namens zwischen Ajpetlia und Azcoitia in Gnipuscoa geboren, aus einem Geschlechte, welches zu den besten des Landes gehörte — de parientes mayores —, dessen Haupt allemal durch ein besonderes Schreiben zur Huldigung ringe, laden werden mußte, ausgewachsen an dem Hofe Ferdinands des Katholischen und in dem Gefolge des Herzogs von Najara, «ar erfüllt von diesem Geiste. Er strebte nach dem Lobe der Ritterschaft: schöne Waffe« und Pferde, der Ruhm der Tapferkeit, die Abenteuer des Zweikampfs und der Liebe hatte für ihn so viel Reiz wie für einen ande, ren; aber auch die geistliche Richtung trat in ihm lebhaft hervor: den ersten der Apostel hat er in diesen Jahren in einer Ritterromanze besungen. Wahrscheinlich jedoch würden wir seinen Namen unter den übrigen tapferer spanischer Hauptleute lesen, denen Karl V. so viele Gelegenheit gab stch hervorzutun, hätte er nicht das Unglück gehabt, bei der Verteidigung von Pamplona gegen die Franzosen im Jahre 1521 von einer doppelten Wunde an beiden Deinen verletzt, und ob, wohl er so standhaft war, daß er stch zu Hause, wohin man ihn gebracht, den Schaden zweimal aufbrechen ließ—in dem heftigste« Schmerz kniff er nur die Faust zusammen — auf das schlechteste geheilt zu «erden. Er kannte und liebte die Ritterromane, vor allem den Amadis. In, dem er jetzt seine Hellung abwartete, bekam er auch das Leben Christi und einiger Helligen zu lesen. Phantastisch von Natur, aus seiner Dahn «eggeschleudert, die ihm das glänzende Glück zu verheißen schien, jetzt zugleich zur Untätigkeit gezwungen und durch seine Leiden aufgeregt, geriet er in den seltsamsten Zustand von der Welt. Auch die Taten des S. Frau, ziskus und S. Dominikus, die hier in allem Glanze geistlichen Ruhmes vor ihm erschienen, dänchten ihm nachahmungswürdig, und wie er ste so las, fühlte er Mut und Tüchtigkeit, fle nachznahmen, mit ihnen in Entsagung und Strenge zu wetteifern. Nicht selten wichen diese Ideen ftellich noch vor sehr weltliche« Gedanken. Er malte stch nicht minder aus, wie er die Dame, deren Dienste er stch in seinem Herzen gewidmet — fle sei keine Gräfin gewesen, sagte er selbst, keine Herzogin, sondern noch mehr als dies — in der Stadt, wo fle wohne, auffuchen, mit welchen Worten zierlich und scherzhaft er ste anreden, wie er ihr seine Hingebung bezeigen, welche ritterliche Übungen er ihr zu Ehren ausführen wolle. Bald von jenen bald von diesen Phantasten ließ er stch htnretßen: ste wechselten in ihm ab. 118

Je länger es aber dauerte, je schlechter» Erfolg seine Heilung hatte, um so mehr bekamen die geistlichen die Oberhand. Sollten «ir ihm wohl Unrecht tun, wenn «ir dies auch mit daher ableiten, daß er atk mählich einsah, er könne doch nicht vollkommen hergestellt und niemals wieder recht zu Kriegsdienst und Ritterehre tauglich werden? Auch «ar es nicht ein so schroffer Übergang tu etwas durchaus »er# schiedenem, wie mau vielleicht glauben könnte. Ja seinen geistlichen Übungen, deren Ursprung immer mit auf die ersten Anschauungen seiner Erweckung zurückgeführt worden, stellt er sich zwei Heerlager vor, eins bei Jerusalem, das andere bei Babylon: Christi und des Satans: dott alle Guten, hier alle Dösen: gerüstet, miteinander den Kampf ju bestehen. Christus sei ein König, der seinen Entschluß verkündige, alle Länder der Ungläubigen zu unterwerfen. Wer ihm die Heeres# folge leisten wolle, müsse sich jedoch eben so nähren und kleide» wie er: dieselben Mühseligkeiten und Nachtwachen erttagen wie er: «ach diesem Maße «erde er des Steges und der Belohnungen teühastig werden. Dor ihm, der Jungftau und dem ganten himmlischen Hofe werbe dann ein jeder erklären, daß er demHerrn so treu wie möglich Nachfolgen, alles Ungemach mit ihm teile», und ihm in wahrer, geistiger und leiblicher Armut dienen «olle. So phantastische Vorstellungen mochten es sein, die in ihm den Übergang von weltlicher tu geistlicher Ritterschaft vermittelten. Den» eine solche, aber deren Ideal durchaus die Taten und Ent# behrungea der Heütgen ausmachten, «ar es, was er beabsichtigte. Er rieß sich los von seinem väterlichen Hause «ud seinen Verwandten, und stieg den Berg von Monserrat hinan: nicht in Zerknirschung über seine Sünden, noch von eigentlich religiösem Dedürftlis ange# trieben, sondern, wie er selber gesagt hat, nur in dem Verlangen, so große Taten t» vollbringen wie diejenigen, durch welche die Heüigen so berühmt geworden: eben so schwere Dußübungen ju übernehmen, oder noch schwerere: und in Jerusalem Gott ju dienen. Dor einem Marienbilbe hing er Waffen und Wehr auf: eine andere Nachtwache als die ritterliche, aber mit ausdrücklicher Erinnerung an de» Amadis, wo die Übungen derselben so genan geschlldert «erden, kniend oder stehend im Gebete immer seinen Ptlgerstab in der Hand, hielt er vor demselben: die ritterliche Kleidung in der er gekommen, gab er weg: er versah sich mit dem rauhen Gewand der Eremiten, deren einsame Wohnung twischea diese nackten Felsen eingehauen ist: nachdem er eine Geaeralbeichte abgelegt, begab er sich nicht gleich, wie seine jeru# salemtsche Absicht forderte, nach Barcelona — er hätte auf der großen

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Straße erkannt zu werden gefürchtet — sondern zuerst nach Manresa, um nach neuen Dnßüduugea von da an den Hafen ju gelangen. Hier aber erwarteten ihn andere Prüfungen: die Richtung, die er mehr wie ein Spiel etngeschlagen, war gleichsam Herr über ihn geworden, und machte ihren ganje» Ernst in ihm geltend. Zn der Zelle eines Dominikanerklosters ergab er sich den härtesten Buß­ übungen: zu Mitternacht erhob er stch zum Gebet, sieben Stunden täglich brachte er auf den Knien zu, regelmäßig geißelte er stch dreimal den Tag. Nicht allein aber fiel ihm das doch schwer genug und er zweifelte oft, ob er es sein Lebenlang aushalten werde: was noch viel mehr zu bedeuten hatte, er bemerkte auch, daß es ihn nicht beruhige. Er hatte flch auf Monserrat drei Tage damit beschäftigt, eine Beichte über sein ganzes vergangenes Leben abzulegen; aber er glaubte damit nicht genug getan zu haben. Er wiederholte fie in Manresa; er trug ver­ gessene Sünden nach, auch die geringsten Kleinigkeiten suchte er auf; alletu je mehr er grübelte, um so peinlicher waren die Zweifel, die ihn befielen. Er meinte, vor Gott nicht angenommen, noch vor ihm ge­ rechtfertigt zu sein. In dem Leben der Väter las er, Gott sei wohl einmal durch Enthaltung von aller Speise erweicht und gnädig zu sei« bewogen worden. Auch er enthielt stch einst von einem Sonntag zum andern aller Lebensmittel. Sein Beichtvater verbot es ihm, und er, der von nichts in der Welt einen so hohen Begriff hatte wie von dem Gehorsam, ließ hierauf davon ab. Wohl war ihm dann und wann, als werde seine Melancholie von ihm genommen, wie ein schweres Kleid von den Schultern fällt, aber bald kehrten die alten Qualen zurück. Es schien ihm, als habe flch sein ganzes Leben Sünde aus Sünde fortgehend erzeugt. Zuweilen war er in Versuchung, flch aus der Fensteröffnung zu stürzen. Unwillkürlich erinnert man flch hiebei des peinlichen Zustandes, in welchen Luther zwei Jahrzehnte früher durch sehr ähnliche Zweifel geraten war. Die Forderung der Religio», eine völlige Versöhnung mit Gott bis zum Bewußtsein derselben, war bei der unergründlichen Tiefe einer mit flch selber hadernden Seele auf dem gewöhnlichen Wege, den die Kirche etnschlug, niemals zu erfüllen. Auf sehr ver­ schiedene Weise gingen sie aber aus diesem Labyrinth hervor. Luther gelangte zu der Lehre von der Versöhnung durch Christum ohne alle Werke: von diesem Punkte aus verstand er erst die Schrift, auf die er flch gewaltig stützte. Von Loyola finden wir nicht, daß er in der Schrift geforscht, daß das Dogma auf thu Eindruck gemacht habe. Da er nur in inneren Regungen lebte, in Gedanken, die in ihm selbst

entsprangen, so glaubte er die Eingebung bald des guten, bald des bösen Geistes ju erfahren. Endlich ward er flch ihres Unterschiedes bewußt. Er faud denselben darin, daß flch die Seele von jenen erstevt und getröstet, von diesen ermüdet und geängstigt fühle. Eines LageS war es ihm, als erwache er aus dem Traume. Er glaubte mit Händen zu greifen, daß alle seine Peine« Anfechtungen des Satans seien. Er entschloß flch von Stund an, über sein gaajes vergangenes Leben abjuschließea, diese Wunden nicht weiter aufzureißen, fle niemals wieder zu berühren. Es ist dies nicht sowohl eine Beruhigung als ein Entschluß. Mehr eine Annahme, die man ergreift, well man will, als eine Überzeugung, der man flch unterwerfen muß. Sie bedarf

der Schrift nicht, fle beruht auf dem Gefühle eines unmittelbaren Zusammenhanges mit dem Reiche der Geister. Luther hätte fle niemals genug getan: Luther wollte keine Eingebung, keine Geflchte, er hielt fle alle ohne Unterschied für verwerflich: er wollte nur das einfache, geschriebene, unzweifelhafte Gotteswort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantasien und innern Anschauungen. 6. Deutschland in der zweiten Hälfte des 16. Jahr, hunderts.

Es ist eine verbreitete Meinung, die geistige Entwicklung der Deutschen in Literatur und Poesie sei durch die Reformation aufge, halten worben. Allein «ar es nicht die kirchliche Bewegung, welche dem Meister, gesange, dessen etwas langwellige Formen schon lange an die Stelle der alten Poesie getreten waren, erst seinen Inhalt gab? Der begeisterte Ausdruck des religiösen Gefühles «ab Tiefsinnes unserer Nation in dem protestantischen Kirchenltede, wäre er für nichts zu achte«? Stnueswetse und Weltansicht des deutschen Bürgerstandes spricht Meister Hans Sachs ehrlich und anmutig, künstlich und belehrend aus; niemals hatte er wieder seinesgleichen; er gllt in seiner Art für alle Zeiten. Die Poesie der Rollenhagen und Fischart hat die ganze Kraft, Einfachheit, Wärme und Wahrheit des deutschen Geistes. Man verkenne nicht das Verdienst der Chroniken des 16. Jahr, hunderts. Sie haben Studium, Vaterlandsliebe, und den Ausdruck einer treuherzigen mannhaften Biederkeit, wie fle in Leben und Lehre so erwünscht und förderlich ist. Es lebte noch ungeirrt der alte in seinem Grunde schaffende ewtg hervorbringende Geist der Nation. Jene tiefsinnigen Fabeln, von Faust oder dem ewtgen Juden, und wieder wie viele schöne und zartgedachte

Volkslieder verdanken ohne Zweifel ihre Entstehung keinem andern als diesem Jahrhundert.

Collie auch der Genius der Nation, der aus eigenem Antriebe, mit großem und allgemeinem Schwünge, reinere und tiefere Religion wieder erweckt hatte, damit sich selber eatgegeagetreten sein?

Die Werke dieser Zeit ermangeln allerdings der Schönheit der Form, die nur aus selbstbewußter Beschränkung der eigenen Fülle hervorgeht; fle sind mehr künstlich, tiefsinnig, und mannigfaltig, als eigentlich wohlgestaltet. Welche andere unserer Epochen aber hätte so großes Recht, jene darüber ;u tadeln? Oder hätten wir es? Oer Vorzüge sinnreicher Vertraulichkeit wenigstens ermangeln wir überdies.») Der lebendige Geist des damaligen Deutschlands, gesund und noch sein eigen, schien nur den Augenblick zu erwarten, wo die theologischen Streitigkeiten stch beruhigen würden, um seine Kräfte auf allen großen Bahnen zu versuchen, die dem Menschen ehrenvoll und rühm­ lich sind. Auch hat man wohl behauptet, mit dem Handel und Wohlstand der deutschen Städte sei es gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts schon durch die Einwirkung ne« entdeckter Handelswege ziemlich am Ende gewesen. Ich kann dies so im ganzen nicht finden.

Wenigstens venezianische Gesandte sehen so gut nach wie vor dem schmalkalbtschen Kriege eine HauptstLrke von Deutschland in den Städten. Badoer findet sie an wohlgelegeaen Stellen erbaut, mit schönen Stadthäusern und Palästen, mit vielen und großen Kirchen ausgestattet, denen selbst der Vorzug vor den italienischen gebühre; reinlich gehalten; bewohnt von wohlhabenden Privatleuten und den geschicktesten Handwerker» der Welt; gut bewaffnet und eifersüchtig auf ihre Freiheit.

Ihm zufolge waren die Seestädte noch keineswegs in Verfall. Den Städten Hamburg, Lübeck, Rostock, Danzig und Riga schreibt er einer jeden hundert bis hundertfünfzig eigene Schiffe zu. Danzig «ar vielleicht der zweite oder dritte Handelsplatz der Welt. Hier trafen beide Wege zu dem Orient, der alte russische Landweg und der Seeweg der Portugiesen, wieder zusammen; der europäische Osten und Westen hatten hier ihren großen Austausch; häufig sah man 400 bis 500 Schiffe an der Rhede.

») Dies ist 1832 geschrieben.

Noch «ar der Verkehr im Norde« nicht verloren. Zn dem dänischen Reiche bestätigte der obevseetsche Vertrag noch 1560 die Hanse in ihren althergebrachten Freiheiten als die meistbegünstigten Fremden; fle blieben die Herren des Handels auf Schonen; fle hatten den He, rtngsfang an der norwegischen Küste, der so viel eiatrug. Ja Schweden hatten ste »war ihre großen Freiheiten, doch lange noch nicht Zutritt und Haudelschast verloren. Dem König j«m Trotz eröffneten fle die Fahrt nach Narwa, um mit Rußland unvermittelt in Verbindung ju bleiben. Ihre wichtigste Station war jedoch noch immer London. Das Privilegium, dessen ste genossen, war so wirksam, daß fle im Jahre 1551 44000 Stück Tuch aus England ausgefühtt haben, während die Engländer auf eigenen Schiffen nur 1100 verluden. Die Der, bindung Karls V. mit England und die Geschicklichkeit seines Ge, sandten Hans von Werdern erhielt fle ttotz aller Widersprüche bet ihren hergebrachten Rechten; 1554 verluden fle wieder 30000 Stück Tuch, wobei fle, wie leicht ju erachten, einen außerordentliche» Vorteil hatten. Aber freilich machte eia solches Übergewicht, jumal da man nicht

immer streng bei den Gesetzen blieb, eine Rückwirkung von England her unvermeidlich; und es kam alles darauf an, einer solchen mit Vernunft und Nachdruck ju begegnen. Der Zwischenhandel zwischen England und den Niederlanden «ar noch großenteils in den Händen der Hansen. Die Privilegien der brabanttschen Herzöge bestätigte ihnen 1561 Philipp II.; in Antwerpen, dem vornehmsten Sitze des damaligen Welthandels, bauetea fle eia neues prächtiges Reflbeazhaus. In Frankreich wuchs ihr Gewerbe dergestalt an, daß fle erst damals flch entschlossen, einen beständigen Restdeatea daselbst zu Hallen. Ja großen Gesellschaften unternahmen fle die Fahtt nach Lissabon. Hier sowie in Flandern, in Frankreich und in dem gesamten Westen ttafe» fle mit den oberdeutschen Landstädten zusammen, die nicht minder in großer Blüte standen. Diese oberlänbischen Städte hatten int Ausland ähnliche Privi, legien wie die Haase. In Frankreich erneuerte fle Franz I. und Hein, rich II.; fle wurden — ganz wie die Schweizer, die mit Frankeich in so engem Bunde standen — nur zu den alten gewohnten Auflagen verpflichtet und von allen neuen steigesprochen. Für die Messe von Lyon erhielten ste besondere Gerechtigkeiten. Die Parlamente zu Paris und Rouen, in der Dourgogne und der Dauphine haben die Frei, briefe registriert. Karl IX. hat fle noch 1566 bestätigt.

Für diese» Verkehr war Linda» von allen westlichen Plätzen, so viel ich weiß, der wichtigste. Der Warenjvg Mischen Danjig und Genna Mischen Nürnberg vnd Lyon ging über Linda«. Unser Kosmograph') nennt es das devtsche Venedig. In Wien hatten Italien, das Wein und Setdenwarea, und Un­ garn, welches Vieh und Häute sendete, ihren Verkehr mit den deutschen Donauländern, mit Pole» und Böhme». Die Straße von Wien nach Lyon ging über Lindau. Die Frankfurter Messe kam empor. Italiener und Ungarn, Engländer und Franzosen, Polen und Russen fanden stch daselbst ein. Da erkennt, sagt Scaltger, Okzident und Orient seine Landesprodukte wieder, auch sammelt man ewig dauernde Schätze für den Geist.

Diese großen Plätze hatten eine bedeutende Wirkung auf das ganze innere Deutschland. Wie sehr blühte z. B. die Altmark: Stendal, das allein 700 bis 800 Tuchmacher zählte, das Keine Gardelegen, das im Jahre 1547 700 Soldaten «erben konnte; man führte den Hopfen in viel tausend Wtnspeln aus; der Durchgang des Herings brachte einen sehr bedeu­ tenden Vorteil, man «ar — ein seltener Fall — reich zu Berlin. Das Salz, das von Lüneburg, das Korn, das von Magdeburg verschifft ward, erhielt diese Städte in großer Aufnahme. Magde­ burg war reich genug, Kaiser Karl gegenüber eine Besatzung zu halten, welche bei 4 Millionen Gulden gekostet hat. Man machte Saale und Spree schiffbar. Ja Schwaben betrieb man das Gewerbe bereits nicht ohne Kalkül und in Kompagnien. Männer und Frauen beschäftigte das Spinnen und Weben der Leinwand. Ja Ulm verkaufte man jährlich 100000 Stück Golsch und Barchent. Die Italiener berechnen, daß zu diesem Barchent doch auch Baumwolle gebraucht werbe, die man von ihnen hole, so daß der Doriell nicht ganz auf deutscher Sette sei.

Wenn es stch ja so verhielt, selbst wenn, wie fle behaupten, die Bilanz in der Tat im ganzen zum Nachtell der Deutschen ausfiel: so war dies damals eher zu ertragen. Vielleicht flnd die teutschen Erzgruben niemals ergiebiger gewesen. Man kennt jene Sage, die stch an so mancher Stelle wiederholt, von dem Alten, der tief da drinnen in den Bergen hinter eisernen Türen reiche Schätze hüte. Ihre Bedeutung — leicht ist fle zu

*) Es ist Sebastian Münster.

errate» — hatte damals aa viele» Orte» eine glänjeudere Erfüllung, als man jemals ermatte» hätte können. Dor allem im Erzgebirge. Zwar «olle» wir nicht die »»geheure» «ud unglaublichen An, gaben der Chronica Carionis über die Schneeberger Ausbeute wiederholen, so viel Mühe sich auch der gutt Albinus gegeben hat, sie wahrscheinlich zu »lacheu; allein außerordentlich waren fle doch, wie schon ihr Ruf bezeugt. Die Register, obwohl unvollständig, ergebe» i» den ersten 79 Jahren, bis 1550, bei 2 Millionen Güldengroschen, das ist gegen 3 Millionen Taler, die »ater die Gewerke vettellt worden. I» Annaberg hat man zwischen 1500 und 1600 über vietthalb Millionen Gülbengroscheu, das ist über 5 Millionen Taler, in Freiberg jährlich lange Zett zwischen 50000 und 60000 Güldengroschen, zusammen in 71 Jahren über 4 Millionen Taler, in Marttnberg endlich—wir haben von allen diesen Otten die genauen Verzeichnisse — zwischen 1520 und 1564 über 2 Millionen Güldengroschen, nach späterer Währung bet 3 Millionen Taler, ausgeteilt. Die stärkste Ausbeute, Trinitatis 1540, ward durch eia Lttd gefeiett, welches uns erhatteu ist. Nun stad dies nur die bedeutendsten Werke, «eben denen noch andere blühten; von jener Summe stad alle Berg, und tzütteukoste» beretts abgezogen; der Zehnte und Schlagschatz des Landesherrn, der sehr bedeutend, ist dabei nicht gerechnet; viele Zechen baute man frei. Gewiß ist der Ettrag der sächsischen Bergwerke in diesem Jahrhundert auf 37 bis 40 Millionen Taler gestiegen. Unser Venezianer behauptet, man habe in Dresdeu täglich 3000 Taler geschlagen, was denn im Jahr eine Million bettagen haben würde. Nicht vttl minder reich waren einige östeneichische Landschaften. Auch was Joachimstal eingebracht, ist von Bergmeister zu Berg, meister genau verzeichntt. Zwischen 1516 und 1560 hat man daselbst über 4 Millionen Taler reinen Überschuß ausgeteilt; der Fuudgrübuer Metten Heidler hat ganz allein mit seiner Frau 100000 Gülden Aus, beute gehabt. Erst im Jahre 1525 hat man im Lebettale zu bauen angefangeu. Es wareu bereits über 30 Sllbergrubea im Gange, welche das Jahr niemals unter flebenthalbtausead Mark SUbers geliefett haben, als man zu Dachofen und S. Wilhelm überdies auf gediegene Sllber, stufen stieß. Unerschöpflich zeigte flch Schwatz. „Da baut und schmllzt man, sagt Münster, ein unsäglich Gut für und für. Tag und Nacht." Die Einkünfte Ferdinands aus diesem Bergwerk werden jährlich auf

2$oooo Gulden angeschlagen. In der Tat hat es twtschea 1526 und 1564 über 2 Millionen Mark Brandsilber, das ist über 20 Millionen Gulden, ertragen. Indessen aber gingen auch die alten Gruben nicht ein. An dem Rammelsberge ließ schon Herzog Heinrich der Jüngere, ein guter Bergmann, fleißig arbeiten. Wo er aufgehört, an dem Goslarischea Stollen, setzte es Herzog Julius mit noch größerem Eifer fort. Lr brachte seinen jährlichen Überschuß auf 20000 Taler höher als sein Vater. Faßt man dies alles zusammen, so möchte man sagen dürfen, daß Densschland die Masse der im Wettverkehr befindlichen ebttn Metalle in diesem Jahrhundert um nicht viel minder vermehrt habe, als Amerika — dessen Ertrag, wie wir wissen, flch anfangs lange nicht so hoch belief, als man hat glauben «ollen — in den ersten fünfzig Jahren nach der Entdeckung. Allein es «ar nicht allein um das Sllber. Au die bergmän, uischeu Beschäftigungen, die in ihrer abgeschiedenen, besonderen Freiheit und Art auch an und für sich etwas bedeute», knüpfte stch das mannigfache Handwerk an. Wie jener Herzog Julius „ein rechter Vater aller Handwerksttute" das Eisenwerk zu Gittelde, die Messing, Hütte« zu Buntheim ihnen zum Nutzen in gutem Stande zu hatten wußte. Die Waffenschmieden von Suhl versorgten bereits Densschland und Welschland, Ungarn und Pottn. Wie reich an neuen Erfindungen oder Erwetternngea der alten ist diese Periode; von der feinen Hand, arbeit des Spttzenklöppelns auf der einen Seite bis zu den gewatttgen Maschinen des Bergbaues auf der anderen, oder den künstlichen Uhr, werkn, den sinnreich erdachten Himmelskugeln, jenen Kompassen, die unser Georg Hartmann rott so viel Beobachtung verfertigk, daß er dabei die Deklination der Magnetnadel entdeckte. Unmittelbar be, finden wir uns wieder bei den großen geistigen Interessen. Cs war eine allgemeine nach dem Neuen suchende, das Cttment bezwingende kunstfertige Regsamkeit, welche mit dem geistigen über, gewicht, das man überhaupt in der Welt noch hatte, zusammeuhtug. Da hatte sich denn, wie man auch in Münsters Beschreibung wahr, nimmt, über den ganzen Boden hin Behage« und Wohlhabenheit ausgebreitet. Wir sehen bei ihm, wie sich der Landertrag nach den Städten sammelte, etwa der Kornhandel nach Schweinfurt oder Überlingen, wie 200 Städte, Flecken und Dörfer zu Markte nach

Worms gingen; wie mau dann das Getreide des Elsaß in alle Länder umher und auch durch Churwalen hinauf in die italienischen Grenzen

führte, wie die Kastanien durch die Thüringer Fuhrleute nach dem Nor, den oder flußabwärts nach Eagland gebracht wurden, auch der Wein vou Weißenburg in Brabant und Riederland setueu Markt faad. Mit Vergnügen folgen wir dieser Beschreibung. Don dem Gebirg herab, dessen heilende Kräuter sie namhaft macht, führt sie nas die Flüsse entlang durch die iaudschasteu, von unjähligen Dörfern und «ohlgelegenea Schlössern erfüllt, mit Bache» und Eichen umzäunt, nach den Bergen, wo der Wein kocht, »ach der Ebene, wo die Korn, ähren so hoch wachsen, daß sie dem Reiter auf den Kopf reichen, zu de» gesunden Brunnen, den heißen Quellen; sie eröffnet uns Deutsch, land wie eine Sommerlandschast mit den bunten Streifen ihrer Feldftüchte, über und über von geschäftigen Händen angebant; aber, was mehr ist, von einem treuherzigen, in seinen Sitten und dem Ruhme alter Tugeud verharrenden tapfern Volke bewohnt. 7. Die Bedeutung der Nationalstaaten der neueren Zeit.

Ja den meisten Epochen der Wetthistorie stad es religiöse Der, btadungea gewesen, waS die Völker zusammengehalten hat. Doch hat es zuweilen auch andere gegeben, die man mit der unseren eher vergleichen kann, in denen mehrere größere durch ei» politisches System verknüpfte Königreiche und freie Staaten nebeneinander bestanden. Ich will nur die Periode der mazedonisch,griechischen Königreiche nach Alexander erwähnen. Sie bietet manche Ähnlichkeit mit der unserigen dar. Eine sehr «eit gediehene gemeinschaftliche Kultur, müitärische Ausbildung, Wirkung und Gegenwirkung ver, wickelter auswärtiger Verhältnisse; große Bedeutung der Handels, intereffen, der Finanzen, Wetteifer der Industrie, Blüte der exakten, mit der Mathematik zusammenhängenden Wissenschaften. Allein jene Staattn, hervorgegaagea aus der Unternehmung eines Er, oberers und der Entzweiung seiner Nachfolger, hatten keine besonderen Prinzipien ihres Daseins weder gehabt noch sich aazubildea vermocht. Auf Soldattn und Geld beruhte» sie. Eben darum wurden sie auch so bald aufgelöst, verschwanden sie zuletzt völlig. Man hat ost geftagt, wie Rom sie so rasch, so vollkommen bezwingen konnte. Es geschah darum, well Rom, «enigstens so lange es Feinde von Bedeutung hatte, mit bewunderungswürdiger Strenge an seinem Prinzipe festhielt. Auch bei uns schien es wohl, als sei nur noch der Umfang der Besitzungen, die Macht der Truppen, die Größe des Schatzes und ein gewisser Aatell an der allgemeinen Kultur für den Staat von Wett.

Wenn es je Ereignisse gegeben hat, geeignet einen solchen Irrtum zu zertrümmern, so sind es die Ereignisse unserer Zeit gewesen. Sie haben die Bedeutung der moralischen Kraft, der Nationalität für den Staat endlich einmal wieder zur Anschauung in das allgemeine Bewußtsein gebracht. Was wäre aus unsern Staaten geworden, hätten sie nicht neues Leben aus dem nationalen Prinzip, auf das sie gegründet waren, empfangen. Es wird sich keiner überreden, er könne ohne das­ selbe bestehen. Nicht ein solch zufälliges Durcheinanderstürmen, Übereinander­ herfallen, Nacheinanderfolgen der Staaten und Völker bietet die Welt­ geschichte dar, wie es beim ersten Blicke wohl aussieht. Auch ist die oft so zweifelhafte Förderung der Kultur nicht ihr einziger Inhalt. Es sind Kräfte und zwar geistige, Leben hervorbringende, schöpferische Kräfte, selber Leben, es sind moralische Energien, die wir in ihrer Entwickelung erblicken. Zu definieren, unter Abstraktionen zu bringen sind sie nicht; aber anschauen, wahrnehmen kann man sie; ein Mit­ gefühl ihres Daseins kann man sich erzeugen. Sie blühen auf, nehmen die Welt ein, treten heraus in dem mannigfaltigsten Aus­ druck, bestreiten, beschränken, überwältigen einander; in ihrer Wechsel­ wirkung und Aufeinanderfolge, in ihrem Leben, ihrem Vergehen, oder ihrer Wiederbelebung, die dann immer größere Fülle, höhere Bedeutung, weitern Umfang in sich schließt, liegt das Geheimnis der Weltgeschichte.

8. Das Königtum Ludwigs XIV. In den Berichten der Gesandten, deren Aufmerksamkeit auf den emporwachsenden Fürsten gerichtet war, findet man wenigstens einige Notizen über den Eindruck, den er in den Jahren seiner Jugend machte. Schon in seinem zehnten Jahre fiel nach dem Berichte Nani's der Ernst und die Würde seiner Erscheinung auf; er schien sich zur Melancholie zu neigen: man hielt für möglich, daß er menschenscheu, vielleicht selbst einmal grausam werden könnte.

Er war fünfzehn Jahre alt, als eines Tages der venezianische Gesandte Michel Morostni in der Unterhaltung mit ihm absichtlich, um sich einen Begriff von seinen Fähigkeiten zu verschaffen, das Ge­ spräch auf öffentliche Angelegenheiten brachte. Er bemerkte, daß in seinem Geiste etwas keime und lebe, und glaubte alles Gute voraus­ sagen zu dürfen. Besonders von den Grundsätzen der katholischen

x) Geschrieben 1833, bezieht sich auf die Freiheitskriege. 128

Kirche und von der Notwendigkeit, sie zu stützen, zeigte sich Ludwig XIV. durchdrungen. Man hörte, daß er den Sitzungen des Konseils mit Aufmerksamkeit beiwohne, zuweilen eine eigene Meinung äußere, ohne jedoch darauf zu bestehen, von denen, die mehr wußten, sich belehren ließ und den Dingen weiter nachfragte. In seinem achtzehnten Jahre erschien er jedoch von Geist und Charakter noch wenig ausgebildet; man wußte nicht, ob er nicht einst eben wie sein Vater die Regierung in die Hände eines anderen werde fallen lassen. Wie schon seit einigen Jahren sein vornehmstes Ver­ gnügen in militärischen Übungen bestand, in Aufrichtung und Erobe­ rung kleiner Kastelle, Anwendung der Feuerwaffe, so schien er nach nichts als nach Waffentaten und Kriegruhm zu verlangen.

Von jeher ward seine dem Alter entsprechende Schönheit bewun­ dert, damals auch seine Fertigkeit in allen körperlichen Übungen — wie er nach der Sitte der Zeit sein Ballet tanze, sein Pferd tummle — seine jugendlich aufblühende Manneskraft. Von sinnlichen Aus­ schweifungen hielt er sich noch einige Jahre später vollkommen frei. Auch für geistig unbedeutend hielten ihn die nicht mehr, die ihm nahe standen. Daß er die Autorität des Kardinals*) nicht schmälerte, galt nicht mehr für einen Beweis von Unfähigkeit, sondern von Vertrauen und Hingebung. Man setzte voraus, daß er den Anweisungen, die er von demselben erhielt, einst durch seine Regierung Ehre machen werde. Nur das erwartete man nicht, daß er den Fleiß haben oder die Zeit finden dürfte, die zur Erledigung der Geschäfte erforderlich sei. Aber es gehörte zum Ehrgeiz des Königs, auch in dieser Beziehung die Meinung, die man von ihm hatte, nicht allein zu erreichen, sondern zu übertreffen. Alle seine Kräfte, seine ganze Tätigkeit widmete er der Erfüllung seiner Pflicht. Ob das nun aber reines Pflichtgefühl war, oder nur lebendig angeregter Ehrgeiz? Ich denke, ausschließend weder das eine noch

das andere. Er besaß von Natur die zum Geschäft der Regierung erwünsch­ testen Eigenschaften, richtigen Verstand, gutes Gedächtnis, festen Willen. Er wollte nicht allein ein weiser oder ein gerechter oder ein tapferer Fürst sein: nicht allein vollkommen frei von fremdem Einfluß, unab­ hängig im Innern, gefürchtet von seinen Nachbarn, sondern alle diese Vorzüge wollte er zugleich besitzen. Er wollte nicht allein sein, noch viel weniger bloß erscheinen, er wollte beides: sein und dafür gelten,

x) Majarin. xvii-xvm/9

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was er war. Wie der venezianische Gesandte Giustiniani sagt, es schien als sei es die Absicht der Natur gewesen, in Ludwig XIV. einen Mann hervorzubringen, der durch persönliche Vorzüge wie durch das Landesgesetz der König dieser Nation sein solle. Boffuet gibt sich in seinen politischen Abhandlungen viele Mühe absolute Gewalt und Willkür zu unterscheiden; die höchste Autorität soll nach ihm der Ausdruck der Religion und der Gerechtigkeit sein. Ich weiß nicht, ob Ludwig XIV. diesen Gedanken mit Bestimmtheit ergriffen hatte. Zunächst sah er sich als den Herrn an; als einen solchen jedoch, dem vor allem die Pflicht obliege, die allgemeinen Interessen aufrecht zu erhalten; er spottete der Engländer, die ihrem König die Mittel, diese Pflicht zu erfüllen, nicht bewilligen wollten; seine Maxime war, so zu verfahren, als wenn nichts im besonderen sein Eigentum sei und doch alles eben ihm gehöre. Welcher politischen Meinung man auch huldigen mag, niemand kann leugnen, daß diese Monarchie, wie sie war und immer mehr wurde, eine der größten welthistorischen Erscheinungen ist. In ihr leben noch alle Elemente des romanisch-germanischen Staates, welche von jeher miteinander in so mannigfaltigen Gegen­ sätzen gestanden und lange Zeiträume mit ihrem Kampfe erfüllt haben: der Adel mit seinen Rangesvorrechten, die sich nicht von dem König herschrieben, der Klerus, der sich in gewissem Bezug ihm gleich stellte, der dritte Stand, zunächst repräsentiert von den Korporationen, welche ihre Rechte erkauft hatten und als wohlerworbenes Eigentum be­ trachteten; ihrer Selbständigkeit eingedenke Provinzen, die beweg­ liche gährungsvolle Hauptstadt, eine das ihr aufgelegte Joch ungern tragende, zur Empörung gegen Adel und Beamte geneigte Bauern­ schaft. Nun aber war ihr Widerstreit, ihr selbständiges Tun und Treiben am Ende. Freiwillig oder gezwungen folgen sie alle einem einzigen Willen. Der König hält sich für verpflichtet, die Stände gleich hoch zu schätzen, denn keiner sei entbehrlich, und glaubt, es sei seines Amtes, einen gegen den andern, alle gegen den auswärtigen Feind zu ver­ teidigen. In dem Klerus soll die Religion in voller Übung, in dem Adel Ehre und Unterordnung, in den Parlamenten Handhabung des Rechtes, jenseits ihrer Prärogative erscheinen; der Bürger wird durch die industriellen Bestrebungen zu einem eigentümlichen Leben gefördert, in den Bauern sieht der König die Proviantmeister des Landes und nimmt sich ihrer eifrig an. Als ein besonderes Verdienst des Königtums bezeichnet er es, daß die bewaffnete Macht, welche unentbehrlich sei, gehindert werde, Gewaltsamkeiten, zu denen sie

sonst schreiten würde, ju begehen. Indem er aber die Erhaltnag der Rechte und die Förderung der Wohlfahrt aller zu seinem Zweck macht, liegt es ihm doch fern, durch Beratungen zu finden, wie dies geschehen solle: denn wolle er Stände berufen, so würden fle nur miteinander in Entzweiung geraten; die höchste Macht behielt er flch selber vor. Er übte sie mit Männern aus, die ganz von ihm abhängig waren, und seinem Willen keinen andern Widerstand entgegensetzen konnten als einen solchen, der aus der Forderung der Sache selber entsprang. Don den Untertanen wollte er nichts als unbedingten Gehorsam. Gehorsam galt ihm an sich als Verdienst: jedes Widerstreben als strafwürdiges Verbrechen. Fürwahr eine der größten Stellungen, die der Mensch auf Erde» ergreifen kann, die eine ungeheure Verantwortlichkeit in sich schließt, eine unendliche Fähigkeit voraussetzt. Das persönliche Selbst faßt sich auf als den Inbegriff der allge, meinen Interessen; das Ich wird der Staat. Ist es fähig, die Aufgabe, die es sich setzt, zu erfüllen, die Persönlichkeit dahin zu erweitern, daß der Gedanke des Staates in ihr aufgeht?

Und wenn sie, wie sie ist, durch flch selber herrscht, würde nicht zu ihrer absoluten Selbstbestimmung gehören, daß auch von außen her ihre Autonomie durch nichts eingeschränkt würde?

y. Das englische Parlament.

Es ist hauptflichlich in großen europäischen Konflikten gewesen, daß bas eaglische Parlament seine Macht und Bedeutung errungen hat. Eigentlich verdankt es einem solchen seine Dlldung. Als im Jahre 1265 Königin Eleonore mit den im Okzident vorwalteaden Mächte«, dem Papst und dem König von Frankreich verbündet, in Flandern ein Söldnerheer zu einer Invasion von England rüstete, hat hier Simon von Montfort, um eine breitere Grundlage für den Widerstand zu gewinnen, den niederen Abel und die Abgeordneten der Städte in den Rat der geistlichen und weltlichen Magnaten ringe, führt. Za der Abwehr hat sich das Parlament gebildet; bet den Unter, nehmuagen der Könige gegen Schottland und gegen Frankreich hat es dann seine wichtigsten Befugnisse erworben. In der vornehmsten Streitfrage des 14. und 15. Jahrhunderts, über die Erbfolge auf dem französischen Throne, kam es seinen Königen, die eia Recht auf denselben in Anspruch nahmen, mit populärem Beistand auf das

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kräftigste zu Hilft. Könige wie Eduard III. und Heinrich V. gelangten,

hierauf gestützt, pt einer persönlichen Weltstellung ohnegleichen: aber ihr Regiment nahm zugleich einen parlamentarischen Charak, ter an. Im 16. Jahrhundert traten die kirchlichen Fragen allenthalben in den Vordergrund. Ja England machten die Krone und das Par, lament gemeinschaftliche Sache, um die geistliche Unabhängigkeit des Landes in Formen, die übrigens von den bisherigen so wenig wie möglich abwichen, festzustellen. Die Idee der legislativen Omni, poteaz der einheimischen Gewalten, die sich hiebei durchsetzte, wurde zugleich das oberste Prinzip des nationalen Lebens; entschiedener als in irgend einem anderen Reiche der Welt: in Einklang mit der ins», larea Absonderung Britanniens von dem europäischen Kontinent. Wenn dann die kontinentalen Mächte, namentlich die damals vor, waltende unter ihnen, die spanische Monarchie, in Verbindung mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche, den Versuch machten, die klerikale Abhängigkeit, welche zugleich eine politische geworden wäre, wieder herzustellen, so hatte das die Folge, daß Parlament und Krone von England alle ihre Kräfte dagegen anstrengten, und sich dabei auf das engste zu einer Art von Kampfesgenosseaschaft aneinander schlossen. Beides kam mit einander empor, die Prärogative der Krone, die zur Unterdrückung der inneren Feinde mit neuen Vorrechten aus, gestattet wurde, und das Ansehen des Parlaments, ohne dessen betstimmendes Wort und fteudige Beihllfe kein wirksamer Schritt gegen den äußeren Feind hätte geschehen können. Die stolze und auf ihren Rang, wie auf ihre Rechte eifersüchtige Königin Elisabeth wurde im Gedränge des Wettstreits, der ihr eigenes Dasein gefährdete, doch auch bewogen, dem Parlament sehr weitreichende Befugnisse, deren fie sogar bedurfte, zuzugestehen. Der Gegensatz der beider, fettigen Ansprüche, der allerdings hervottauchte, trat doch hinter der Notwendigkeit zurück, sich gegen den gemeinschaftlichen Feind, der beide mit dem gleichen Verderben bedrohte, zu verteidigen. Unter den Stuarts hörte die Kampfesgenoffenschast auf; Parla, meut und Krone gerieten vielmehr untereinander in jene Entzwei, ungen, die durch ihre innere Bedeutung und den Wechsel großattiger Ereignisse, zu dem sie führten, die Aufmerksamkeit der folgenden Geschlechter gefesselt haben. Ein äußeres Moment dafür ging aus dem politischen Verhältnis der Epoche hervor. Es waren die Zetten, in denen die ftanzösische Monarchie und das Haus Österreich in Spa,

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nie» und Deutschland um das Übergewicht in Europa kämpften. Die englischen Parteien standen in unaufhörlichen Beziehungen zu dem Streit der beiden Mächte, ohne doch jemals von demselben ganz ergriffen zu werben. Da in dem Widerstreit selbst eine Gewähr des Gleichgewichts lag, so ward das Interesse des Landes davon nicht in so hohem Grabe betroffen: man brauchte keine Katastrophe zu fürchten. Eine andere Gestalt aber gewannen die Dinge gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Es war wieder eine Krisis des europäischen Lebens, als die französische Monarchie, die allmählich bas Übergewicht über die spanische davoagetragea hatte, im Jahre 1672 die Republik Holland, damals bas Bollwerk aller religiösen und politischen Unabhängigkeit, ntederjuwerfea unternahm. Daß nun Karl II. sich dabei mit dem König von Frankreich vereinigte, und zwar in der Absicht, »«gleich den Widerstand zu überwältigen, den ihm das englssche Parlament ent, gegensetzte, brachte eine Verbindung der Antipathie gegen Frankreich mit dem Widerstreben gegen ihn selbst zuwege, die ihm zum größten Nachteil ausschlug. Das Parlament setzte damals Statuten fest, welche eben die, die er fördern wollte, von dem Aatell an der legis, lativea Gewalt ausschlossen, und dieser einen vollkommen protestan, tische» Charakter gaben. Nach Verlauf einiger Jahre erneuerte sich jedoch dieselbe Gefahr in noch höherem Grade. Was bet Karl II. nur ein Versuch gewesen, von dem er bald abstand, das wurde für Jakob II. die ernstlichst« Angelegenheit seines Lebens. Die Stellung Ludwigs X IV. «ar indes für die Unabhängigkeit der europäischen Staaten noch drohender geworden und «ar es damals mehr als je; Jakob 11. stellte sich dennoch, «en« nicht bei jeder einzelnen Handlung, aber doch im ganzen auf die Seite desselben, in der Hoffnung, in diesem Bunde jene Satzungen wieder abzustelle«, und seinen religiös­ politischen Ideen, ohne Rücksicht auf das Parlament, freie Bahn zu machen. Welch ein Irrtum aber, sich mit der europäischen Notwea, digketi in Widerspruch zu setzen und diese falsche Stellung zur Durch, fühmng einseitiger Machtbestrebungea benutzen zu «ollen. Die Folge konnte keine andere sein, als daß das parlamentarssche Interesse und die Mehrheit der Nation mit den Vertretern des europäische« Gleich, gewichts in Verbindung trat und dadurch den unentbehrlichen Rück, halt gewann, um sich dem König im offenen Widerstand entgegenzu, werfen. — In diesem zugleich europäischen und englischen Konflikt ist die englische Revolution entsprungen.

io. Cromwell. Doa der nächsten Nachwelt ist Cromwell als ein moralisches Ungeheuer verdammt, von der späteren Zeit als einer der größten Männer des menschlichen Geschlechts gefeiert worden.

Ihm «ar das Ungeheure gelungen, den Kreis, der in den euro, päischen Nationen den Privatmann fesselt, zu durchbrechen: er hat mit souveräner Autorität, die keiner höhern Sanktion bedurfte — er brauchte nicht erst wie Richelieu seinen König durch Gutachten zu überzeugen, oder seinen Blick auf die Intriguen des Kabinetts zu richten —, in die Geschicke der Welt etngegrtffen. Der König, der hundert Ahnen in Schottland zählte und kraft des Erbrechts, auf welchem die meisten Staaten beruhen, den Thron von England besaß, «ar hauptsächlich durch die von ihm gebildete bewaffnete Macht gestürzt und bann durch ihn ersetzt worden. Doch hatte Cromwell die Zurückhaltung, die Krone selbst nicht anzunehmen: sondern was er «ar, General der siegreichen Armee, bekleidet mit der höchsten bürgerlichen Gewalt, das wollte er bleiben.

Denn nachdem einmal das Parlament dem Königtum die mUb tärische Gewalt entrissen hatte, war In dieser die Tendenz empor, gekommen, sich auch dem Parlament nicht mehr zu unterwerfen. Die bürgerliche Gewalt wurde ein Anhang der militärischen. Cromwell nahm sie in die Hand, und «ar entschlossen, sie gegen alle Feindselig, ketten zu behaupten. Vornehmlich mußte er die Institutionen, die mit den alten Zuständen verbunden waren, ntederhalten: von der Organi, sation der Aristokratie, oder dem Bistum konnte so wenig die Rebe sein, wie von dem Königtum selbst. Am wenigsten meinte er den Katholizismus dulden zu dürfen. In dem politischen und religiösen Gegensatz gegen alle diese Elemente sah Cromwell den Zweck seines Daseins; er erblickte darin die Wohlfahrt des Landes, die Förderung der Religion und der Moral, aber auch zugleich seine eigene Recht, fertignng, wenn er nun, um seine Sache durchzuführen, dazu schritt, auch die Widersacher aus dem Schoß der eigenen Pattet zu bekämpfen; er hielt für notwendig alle Kräfte des Landes seinem Willen dienstbar zu machen. So hat er sich eine Gewalt gegründet, die kein Beispiel und keinen ihr entsprechenden Namen hat. Es ist gewiß, die großen Motte, von denen sein Mund überströmt, waren zugleich die Hebel seiner Macht und nicht gegen diese ließ er sie gelten: aber eben so gewiß ist: die oberste Gewalt «ar nicht sein Ziel an und für sich: sie sollte ihm dienen, die Ideen von religiöser Freiheit im protestantischen

Sinne, bürgerlicher Ordnung und nationaler Unabhängigkeit, die seine Seele erfüllten, t« realisieren. Diese Ideen sah er nicht in sub­ jektiver Genugtuung, sondern in ihrer objektiven Notwendigkeit. Ein Kraft von tiefem Antrieb, ureigener Bewegung, breiter Mächtigkeit — langsam und feurig, beständig und treulos, zerstörend und konservativ, — die den ungebahnten Weg immer geradeaus vor sich hintreibt; alles muß vor ihr «eichen, was ihr widerstrebt, ober es muß jugrunde gehen. Fragt man, was er ausgerichtet hat, was »ach ihm blieb, so liegt das nicht in einzelnen Formen des Staates und der Verfassung. Es erhellt nicht einmal mit Bestimmtheit, ob er auf eine Verpflanzung der Macht, die er selber besaß, Bedacht genommen hat; weder sein Haus der Lords, noch seine Commons waren von Bestand; weder die Armee, die er gegründet, noch die separatistischen Versuche, von denen er auSging. Die Zetten haben das alles wieder weggetrieben. Dennoch hat er eine Wirksamkeit von folgenreichstem Inhalt ans-

geübt. Wir sahen, wie der große Koafltft aus de» historischen und natür­ lichen Grundsätzen der drei britannischen Länder entsprang, welche Rolle die republtkanssche Organisation bet der Unterwerfung der beiden andern Teile des britannischen Gemeinwesens unter England gespielt hat. Aber es waren doch die Siege Cromwells, die das möglich machten. Was dem letzten Protektor vor ihm, Somerset, vorge­ schwebt hatte, die Vereinigung der drei Reiche in und durch den Protestantismus, das hat er glänzend durchgefochten. Seine Erhebung ging von einem vorzugsweise englischen Gedanken aus, der sich zugleich dem Eindringen der Schotten und der irischen Selbständig, kett entgegensetzte; er verschaffte ihm Raum mit den Waffen, «ad hat dann zuerst die tttsche» und schottischen Deputierten, wenn auch unregel­ mäßig, in das englische Parlament eingeführt. Kaum läßt sich an­ nehmen, daß eine parlamentarische Regierung der drei Reiche damals mögllch gewesen wäre. Wie die Ereignisse gegangen waren, so drängten sie nach einer monarchisch-militärischen Gewalt. Cromwell hat das Verdienst, eine Reihe von Jahren htndurch die britannischen Reiche von einem Gesichtspuntt aus regiert, ihre Kräfte zu gemeinschaftlichen Unternehmnnge» vereinigt zu haben. Das letzte Wort der Geschichte war bas nicht, die Dinge sollten sich noch auf eine ganz andere Mise ausbilben. Aber vielleicht müssen die großen Gestaltungen durch die unbedingte Autorität eines einzelnen Willens präformttrt «erden, um später ein freies Leben in ihrem Schosse zu entwickeln.

Für die allgemeine Geschichte von Europa ist nun aber nichts wichtiger als daß Cromwell die Kräfte von England gegen die spanische Monarchie richtete. Es «ar sein eigenster Gedanke; die Republik hätte es schwerlich getan. Wir untersuchen nicht den politischen Wert der Handlung, gegen den flch vieles eiawenden läßt, wir begreifen nur ihre Wirkung. Diese lag darin, daß die Gestalt der europäischen Welt, die aus dem dyuastischen Emporkommen des Hauses BurgundÖsterreich hervorgegangen «ar, und seit beinahe jwet Jahrhunderten vorgewaltet hatte, zurücktteten und eine neue flch Dahn machen mußte; den Engländern selbst, namentlich ihrer Seemacht, fiel dabei vom ersten Augenblick an eine große Rolle zu. Cromwell hat die eng­ lische Marine nicht geschaffen: die Tendenzen ihrer Führer waren ihm vielmehr entgegengesetzt, aber er hat ihr ihre vornehmste Richtung gegeben. Wir sahen wie gewaltig fle sich in alle Wett aufnahm: vornehmlich hatten die ozeanischen und mittelländischen Küsten von Europa das Gewicht der englischen Waffen empfunden; zuwellen ist von Besitzergreifungen, an der italienische», selbst an der deutschen Küste die Rede gewesen: an der niederländischen war eine solche gelungen und sollte erweitett werden: man sagte, der Schlüssel des Konttneuts hange an dem Güttel Cromwells. Widerstrebend, aber gezwungen folgte Holland damals dem Impuls, den es von England erhielt: um seiner eigenen Erhaltung willen nahm ihn Portugal an. England konnte ruhig die Verwickelungen erwarten, die sich später auf dem Kontinent zutrage« mochten. Wenn nun der protestantische Gedanke die innere Einheit von England begründete, und zwar in unerwarteter Freiheit von sek­ tiererischem Beigeschmack, so war es die Idee des Protestantismus und seiner Austechterhaltung, was zur Begründung des Systems der Macht den Anstoß gab, und in demselben mächtig zutage kam. Durch die Einwirkung von Frankreich «ar der Protestantismus vor seiner Vernichtung gerettet, aber zugleich in Unterordnung gehalten worden. Dagegen nahm durch Cromwell der Protestantismus unter de« Mächten der Welt eine selbständige Haltung ohne alle weitere Der, Mittelungen ein. Die Abweichung von der alten Doktrin und Der, fassung der abendländischen Kirche gewann noch eine eben so große Stellung, wie die besaßen, welche daran festhtelten, und selbst noch eine größere, zukunftsreichere. Für die innere Regierung hatte Cromwell zwei einander ent­ gegenlaufende sich gegenseitig ergänzende Eigenschaften, eine gewisse Nachgiebigkeit in den Grundsätzen und eine feste Hand in der Aus136

Übung der Autorität. Hätte er de« Tendenzen der Separatisten und der demokratisch angeregten Armee, mit der er emporgekommen war, ihren Lauf gelassen, so würde alles in eine chaotische Verwirrung geraten und das Bestehen des neuen Staates unmöglich gewordea sein. I« Sinnesweise, Charakter und allgemeiner Richtung dem König Karl vollkommen entgegengesetzt, hatte Cromwell dennoch eine analoge Einwirkung auf die englische Verfassung. Der König hielt die Idee der englischen Kirche aufrecht: er ist dafür gestorben. Cromwell stand für das bürgerliche Gesetz und das persönliche Eigentum ein: er brach mit seiner Pattei, als ste diese Fundamentalgrundlagen der Gesell, schast und des Staates aatastete. Cs «ar von nachwitteadem Einfluß auf England, daß er dies mit einer gewiffen Emanzipation von dem Begriff der königlichen Gewalt, nur auf die Notwendigkeit der Dinge gestützt, durchfühtte. Doch ward es ihm unmöglich, eine einigermaßen haltbare politische Verfassung damit zu vereinbaren. Seine Autorität «ar lediglich fattischer Natur, auf die Waffen und seine Persönlichkeit gründete sich ihr Bestehen. Wie ste «ar, wurde ste als eia schwerer Druck empfunden: im Lande von denen sowohl, welche nach der alten Gesetzlichkeit zurückstrebten, als von seiner Pattet, die er von der Teil, nähme an der öffentlichen Gewalt ausgeschlossen: im Auslande von denen, die er bedrohte, und die mit ihm verbündet waren. Ja Amster, dam kam dies Gefühl zu einem grotesken Ausdruck. Bei der Nachricht von dem Tode Cromwells trat ein augenblicklicher Stillstand in Kauf und Verkauf eia; man sah die Menschen auf den Sttaßea tanzen, denn so sagten ste: „der Teufel sei tot"; — so hat man in London das gemein« Volk fluchen hötta, als Richard Cromwell, Sohn Olivers, zum Protettor ausgerufen wurde. ii. Die Grundlagen der preußischen Machtentwicklung.

In seinem Buche über die Größe und den Verfall der Römer, welches im Jahre 1734 erschien, hatte Montesquieu, bet große Politiker der Epoche, die Bemerkung gemacht, daß man das rasche Emporkom, men Roms in neuern Zeiten kaum begreife: denn in denen «ätt es undenkbar, daß ein kleiner Staat mit seinen eigenen Kräften dieSchran, ken durchbräche, in welche die Vorsehung ihn gewiesen habe: so gleich, atttg seien Bewaffnung und Kriegsübung, und so unverhältnismäßig die Übermacht der großen Reiche. Im Aliettum habe die gleichere Detteüung des Eigentums und die gesellschaftliche Ordnung es mög, ltch gemacht, von acht Menschen einen ins Feld zu schicken, jetzt komme

rmr einer auf huudett: ein Fürst, der eine Million Untertanen zähle, könne, ohne sich zugrunde richten, nicht mehr als ioooo Mann unter, halten. Nur die großen Nationen, rüst er aus, können Armeen haben. Schon als dies geschrieben wurde, traf es nicht mehr zu; König Friedrich Wühelm I. von Preußen hielt bei einer Landbevölkerung von noch nicht dritthalb Millionen 80000 Mann unter den Waffen. Darunter befand sich ftellich eine beträchtliche Anzahl angeworbener Fremder: aber das Laad brachte die Mittel auf, sie ohne auswärtige Svbfldien zu erhalten; und für die Einheimischen waren die Ein, richtungen so sparsam und umsichtig getroffen—die Kaatonverfaffung ist vom Jahre 1733 —, daß das brandenburgisch,preußische Gebiet dabei doch mit allen anderen in Wohlstand wetteiferte. Montes, gute« konnte das übersehen, well die preußische Politik damals noch immer eine untergeordnete Rolle spielte. Ganz anders, als Friedrich I I. dem Besitze der Macht anch den Willen sich ihrer zu bedienen htnzufügte, und in ihm selbst der Genius erschien, der dazu gehörte sie selbständig zu führen. Er durchbrach die Schranken, welche seinem Staate gezogen waren: nach der ersten Eroberung, die ihm gelang und die sein Gebiet um ein Drittell ver, vermehrte, stellte er über 130000 Mann ins Feld, eine Armee, durch welche er wie au Streitkräften, so an Ansehen den großen Monarchen nahezu gleich «urde. Fragt man nach den eigentümlichen Grundlagen der auflom, mendeu Macht, so lassen sich deren drei unterscheiden: die geographische Ausdehnung der durch die Geschicklichkeit und das Glück der Dor, fahren vereinigten Landschaften, deren Beziehung zu den verschiedenen Systemen, welchen die Nachbarn im Norden und Westen angehörten, eine unabhängige Politik notwendig machte; ferner die Rechte des deutschen Landesfürstentums, die eine fast ungeschmälerte Selbständig, kett der inneren Verwaltung verliehen und dabei zugleich den Anspruch, au der Verwaltung des Reiches Antell zu nehmen, begründeten; end, lich bas religiöse Bekenntnis. Wie tief «ar der Protestantismus vor hundert Jahren herab, gebracht gewesen. Die Landschaften und die Religion schienen einer Gewaltherrschaft zu verfallen, gegen welche sie bisher immer ange, kämpft hatten, und dem Untergange bestimmt zu sein. Wenn damals nur durch eine große europäische Kombination und die Einwirkung stemder Mächte die Rettung derselben möglich wurde, so gewährte nun nach langem neuen Kampfe der preußische Staat dem ProtestantiS,

mus eine Repräsentation ans dem Kontinent, wie er dieselbe so solid nnd bedeutend noch nie besessen hatte. Dom allgemeinen historischen Standpunkte aus bettachtet, kaun es so viel Erstaunen nicht erregen, wenn ein zu selbständiger Macht gekommenes Prinzip des Denkens und Lebens eine Provinz wieder, zngewlnnen suchte, in der es einst ohne Frage geherrscht hatte, nnd die jetzt in Begriff «ar, unter einem eifrig katholischen Regiment dem, selben vollkommen entrissen zu werden. Wäre Schlesien bereits so gut rekatholiflett gewesen wie Böhmen, so würbe es Friedrich nim, mermehr erobett haben. Für ihn blldete das Bedürfnis der politischen Lage, zusammentreffend mit einem bisher zurückgedrängten Erbanspruch, den vornehmsten Antrieb. Indem sich nach Abgang des alten Mannesstammes ein neues Haus Österreich erhob, wollte das Haus Brandenburg nicht auch vor diesem zurückweichen, noch die Mißach, tung fortgehen lassen, die es bisher ttotz seiner inneren und Lnßeren Bedeutung ettrug. Hatte doch der Vater Friedrichs diesen anfgefor, bett, ihn für die Unbill, die ihm in der Verwickelung der allgemeinen Angelegenhetttn kurz vorher widerfahren «ar, am Hause Österreich zu rächen. Der Unterordnung mußte endlich einmal ein Ziel gesetzt, der alte Druck gebrochen «erden. Daß es damit selbst über die ursprüngliche Jntenüon hinaus gelang, gab der preußischen Macht den Ruf von Unternehmungsgeist und Waffenfettigkeit, der ihr fortan geblieben ist; und welche Erwer, bung «ar für sie dieses Schlesien! Rach allen Seiten hin verstärk, bekam sie dadurch erst wahrhaftes Gewicht in Europa.

i2. Der Staat Friedrichs des Großen. Das Regentenleben Friedrichs II. wird durch drei Handlungen erfüllt, die Eroberung von Schlesien, die Erwerbnng von Westpttußen, die Auftechttrhaltung des deutschen Reichssystems. Dadurch hat er seinen Staat zu einer selbständigen Potenz unter den Mächten von Europa erhoben und die autonome Stellung enungen, welche die Summe des preußischen Ehrgeizes ausmacht. Alle Welt bewunderte das Resultat; das Staatswesen jedoch, wie es nun «ährend seines Lebens zustande gekommen, und wie man es vor sich sah, besaß bereits nicht mehr die Sympathie der Zeitgenossen. Fttedrich hielt sich für den ersten Beamten des Volkes, an dessen Spitze er dnrch den Zufall der Geburt gestellt sei: verpflichttt, alle seine Tätigkeit dem allgemeinen Wohl zu widmen; und deshalb allerdings für verantwortlich, jedoch nicht gerade gegen lebende Persönlichkeüen.

Das Gefühl der Pflicht verschmolj In ihm mit der freien Aktion der un­ beschränkten Monarchie. Da er das allgemeine Wohl in der Unab­ hängigkeit des Staates erblickte, welcher, weniger ans alte Berechtigung und Würde, als auf effektive Macht gegründet «ar, so hielt er sich für schuldig und befugt, alle Kräfte tu diesem Zweck anzustrengen. Don den Einkünften des Landes, die zuletzt etwa 20 Millionen Taler betrugen, verwandte er dreimal mehr auf das MUitär, als auf den Zivildienst und den Hof. Und well eS notwendig «ar, die Mittel nicht allein zu einer raschen Mobllmachung, sondern auch für ein paar Feldzüge bereit tu halten, so mußte ein bettächtlicher Tell der finanziellen Ctträge in einen Schatz, der dat« hinreichen konnte, vereinigt werden. Dabei ward doch die Idee des Privatlebens, die späterhin auf dem Kontinent fast abhanden gekommen ist, möglichst gewahrt; die Be­ völkerung sollte nicht durch das militärische Bedürfnis erschöpft werden, was ja die Selbständigkeit des Landes in anderer Htnstcht gefährdet hätte. Seine Kriege wollte Friedrich mit dem Überschuß der Kräfte des Landes führen, ohne damit den ftiedlichen Einwohnern In ihrer Behausung oder ihrem Gewerbe jur Last zu fallen. Er behielt die Staatsverwaltung, wie fle sein Vater mit Umflcht und Sinn ein­ gerichtet hatte, im ganzen bet; er scheute stch, an die bürgerlichen Ver­ hältnisse zu rühren: auch die religiöse Organisation ließ er seiner Ekepfls zum Trotz bestehen, wie er ste vorfand. Ideen einer allgemeinen Reform lagen ihm ferne: aber innerhab des Kreises der herkömmlichen Regierungsgewalt folgte er nur seinen eigenen Intentionen, die er mit rückstchtSloser Beharrlichkeit festhielt; unter allen Umständen sollte die Administration die für das Heer und seine Kriegsbereisschaft erforderlichen Mittel tiefern. Er verband gerechte Landesväterlichkeit und wohlwollende Füssorge miteinseitig durchgreifender Anordnung, die nicht immer ihr Ziel erreichte, und eisernem Gebot. Der preußische Staat bildete das eigentümlichste Ganze, in welchem ein Moment das andere bedingte, eines in bas andere etngriff, alle zn dem Zwecke der Macht zusammenwirtten, ein Gemetnwssen, bas aber keineswegs durch steten Entschluß aus der Nation hervor­ gegangen, sondern aus dem Gefühl der Gesamtstelluyg, die flch In der Persönlichkeit des Fürsten konzentrierte, erwachsen war: zwaugsvoll und drückend für die Individualitäten, die aber wieder durch die politische Bedeutung, an der fle Anteü hatten, befttedigt wurden. Eine Art von Kultus, den man dem König widmete, von dem »an wußte, daß er nur in dem öffentlichen Dienst lebte und webte, bedeckte alle Mängel.

lz. Der Äusgang Friedrichs des Große«. Do« dem kleiaea Landhaus, in welchem er einsam klösterlich lebte, wo ihn aber Nachrichten ans aller Welt aufsuchteu, die, wenn sie auch nicht das Geheime enthüllten, doch immer die Kunde des yim Vorschein Kommenden brachten, überschaute er die europäische Welt und ihre Bewegungen. Nicht alles «ad jedes beschäftigte ihn; nur darauf «audte er sein Augenmerk, was seinen Standpunkt irren konnte und seine Einwirkung «aabweisltch Herausforderle. Sein Blick ward durch keine stemdartige Rücksicht getrübt, noch durch das Alter ge, schwächt; sein Gedanke war souverän und richtig. Der politische Genius Friedrichs hat in der modernen Staatengewalt kaum seinesgleichen gehabt. Durch die Mäßigung und Umsicht, mit welcher der König auft trat, gelang es ihm wirklich, die feindseligen Elemente, die allenthalben jum Kampf gegeneinander gerüstet waren, noch von demselben zu, rückjuhalten. Damals lauteten — wie Hertzberg, der jugegen «ar, versichert — alle eingehenden Briefe friedlich «nd befriedigend.

Die Aufmerksamkeit Europas «ar immer auf Sanssouci gerichtet, damals jedoch nicht alleül darauf, was dort getan und beab, sichtige wurde, sondern fast noch mehr darauf, wie lauge der Geist noch «alten werde, den jedermann verehrte oder fürchtete. Was man hörte, ließ schon seit ein paar Jahren den baldigen Tob Friedrichs erwarten. In einem Moment der Anerkennung hat Kaiser Joseph einmal gesagt, der Tod scheine vor den grauen Haaren des Helden Respekt zu haben. Friedrich war auf seine Weise auf sein Ende gefaßt. Seinem Bruder Heturtch schreibt er einmal, er beklage sich nicht über seine Leiben, denn die alte stebenjigjährige Maschine sei nun verbraucht. Wenn man die Weft kennen gelernt habe, könne man sich ruhig an­ schicken, sie zu verlassen; man verliere wenig dabei. Jugend und Uner­ fahrenheit möge sich an das Leben halten: aber Wahrheit und Erfah­ rung enttäusche gar bald. „An Stelle des vermeinten Glückes sieht man das Nichts der menschlichen Eitelkeit. Unser Dasein ist weniger als ein Zwickern unserer Augen, zu gering, um bemerkt zu werdeu. Wer sollte glauben, daß ein erbärmliches Wesen, in dem elendesten Zustand vegetierend, in seinem Stolz sich den Göttern gleichstellt?"

Geradezu als Materialismus darf man es nicht bezeichnen, wenn Friedrich in seinem Testament sagt: „Ohne Bedauern gebe ich den Lebenshauch, der mich beseelt, der wohltätigen Natur zurück, die mir ihn verliehen, und meinen Körper den Elementen, aus denen er

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zusammengesetzt ist." Denn was ist die Natur, die ihm den vom Körper geschiedenen Geist verliehen hat? Wie sich aus den am meisten durchdachten Driesen Friedrichs ergibt: eine höchste Intelligent nahm er an, und stellte sich ihr Verhältnis zn dem Universum vor wie das der Seele jum Leibe. Bet dem le# stament mag es ihm begegnet sein, baß er Natur nannte, was andere Gott nennen. Das geheimnisvolle Ich aller Existent, welches der Welt verschwindet, indem es fle erfüllt, verehrte er als über das Menschenwesen unendlich erhaben. Die mystischen Betiehungen, durch welche die Religion Gott vud Mensch vermittelt, hielt er für eia# gebildet; für ihn bestand diese Kluft in ihrer alles Sinnens der Der# nunst spottenden, geistig «nausfüllbaren Wette; von der Offenbarung im Wott wollte er nichts hören. Mtt dem Ewigen verband ihn nur die ungeschriebene Offenbarung desselben in jeder Seele, das moralische Pflichtgefühl, welches bei ihm in der Sorge für den Staat und dessen Angehörige, der weisen und sichern Leitung des von ihm beherrschten Gemeinwesens erschien. Im Sommer 1786 hatte Friedrich wie gewöhalich einige Freunde bet sich, die er nicht mehr bet Tafel um sich sah, wie er sonst sehr liebte. Er versammelte sie aber ju anderen Stunden des Tages, wo denn alle Dinge der Welt besprochen wurden, die politischen Ereignisse, die Er# schetaungen der Literatur, Landwirtschaft und Gartenkunst; seiner Krankhett, obgleich sein Chtrurgus ihn täglich besuchte, geschah jedoch nie Erwähnung. Dean nur an andere Dinge wollte er denken, nur nicht an sein hinfälliges Selbst. Eine «eitere Beschäftigung gewähtte ihm die fottgesetzte Lettüre ausgezeichneter Werke, vornehmlich aus der alten Literatur und Geschichte, nach seiner Wahl —'denn er kannte sie alle — in ftanzöflschea Übersetzungen, die ihm vorgelesea worden. Aber das Wichtigste blieb die Vollziehung seines königlichen Amtes, dem er, durch Krankheit und Schmerzen nicht unterbrochen, mit voller geistiger Kraft oblag. Er las nach wie vor die eingehenden Berichte seiner Gesandten, die mllitärischen Rappotte, die Eingaben der Ztvilbehörben, Privat# schreiben und Bittschriften; alle Morgen bereits halb fünf Uhr er# schienen die drei Kabinettssekretäre, um die Antworten des Königs auf die eingegaugeuen Eingaben, ein jeder tu seinem Fache, aus seinem Munde ntederzuschreiben. Gegen abend mußten sie bereits ausgefettigt sein und zur Unterschrift vorgelegt werden. Noch am 15. August waren die Kabinettssekretäre zur gewohnten Stunde erschienen. Friedrich hatte jene an seinen Legationsrat in

Petersburg gerichtete Depesche diktiert'), mit der vollen Energie seines Geistes. Am Abend zur gewohnten Zeit unterzeichnete er die Ausferti, gungen, die ihm vorgelegt wurden; das wurde ihm bereits uicht mehr leicht. Und gleich darauf verfiel er in einen Zustand, der zwischen Wachen und Schlafen schwankte, «ad der ihn den Tag darauf uicht wieder verließ. Sein Leiden war in diesem Augenblick, wag man Koma nennt, lethargische Schlafsucht, die in ihren höheren Graden zum Tobe führt. Am 16. gegen Mittag will man bemerkt haben, daß Friedrich halb erwacht seine Kräfte noch einmal zu der gewohnten Arbeit aufzuraffen versuchte. Aber schon war seine Krankheit stärker als sein Wille und seine Gewohnheit. Am 17. August, bald nach 2 Uhr des Morgens, auf seinem Lehnstuhl fitzend, in den Armen eines Kam, merlakaten, der ihn emporhielt, um ihm die Respiration zu erleichtern, hat Friedrich seinen letzten Atemzug getan: sein Schlummer verwandelte sich in den Schlaf des Todes.

Der Minister Hertzberg, der eben in Sanssouci wohnte und noch in dem letzten Momente herbeigernfen wurde, verließ bas Zimmer nicht, ehe der Nachfolger eingetreten «ar, der an dem Fuß des Ruhebettes, auf das mau deu entseelten Körper gelegt hatte, den, selben einige Minuten mit wehmütigster Tellnahme betrachtete und sich dann mit dem Minister entfernte, nachdem fle die Zimmer hatte» versiegeln lassen. Ein großes Leben, einzig in der Geschichte, war geendet.

Am 18. August waren die sterbliche« Reste Friedrichs in dem Stadtschloß zu Potsdam in Parade aufgestellt. Sein Dege» und sein Krückstock lagen «eben ihm. Unter denen, die dem Verstorbenen die letzte Huldigung darbringen wollte«, erschien auch das erste Garde, bataillon, Offiziere und Gemeine. Sie brachten Lorbeerzweige mit flch, mit denen sie seinen Körper und das Dett schmückten. Dan« traten sie zurück und sanken in ihre Kniee. Ei« Gebet haben sie nicht gesprochen, aber auch soust kein Wort hervorgebracht. Die Helle« Träne» rollten über die Wangen der tapferen Kriegsleute. ') Vorher erwähnt: „Ich stimme da mit Ihnen ganz darin überein, baß der Kaiser (Josef II.) sich nicht beeilen wird, den Krieg mit der Türkei aazufaagea, und daß die beiden Kaiserhöfe nichts weniger als «in blindes Vertrauen z« einander habe». Übrigens beschäftigen Sie sich zu viel mit den Händeln der Günstlinge, da man doch ein für allemal weiß, daß das nichts zu bedeuten hat. Weiter habe ich für heute nichts zu sagen."

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F. Neueste Zeit. i. Die französische Revolution und Europa. Unter den Ereignissen der französischen Revolution, welche die allgemeine Aufmerksamkeit fesseln, darf man vielleicht als die bet deuteudsten und nachwirkendsten von allen die Empörung vom 14. Juli 1789 und die mißlungene Flucht des Königs (20. Juni 1791) be­ zeichnen. Durch das erste erhob sich ein den alten Zuständen abgewaudtes und entgegengesetztes Frankreich mit einem Schlage aus dem längst dazu vorbereiteten Boden: in dem zweiten trat die unendliche Schwierigkeit, die ne« erwachsenden Zustände mit dem Köaigtum alten Ursprungs zu vereinen, an den Tag. Die Nationalversammlung, die eine Vereinbarung versucht hatte, sah fich einem Abgrund gegenüber, der ihr ganzes Werk zu verschlingen drohte. In ihrem Schoße bildete fich, mit allen populären Elementen verbündet, eine Fattion, die der Republik zustrebte, nicht etwa, wie man heutzutage zu sagen ange­ fangen hat, einer konservativen, sondern einer solchen, in welcher die soziale und radikale Umwälzung repräsentiert worden wäre. Sie stützte stch hauptsächlich auf die Idee der Nationalsouvernänetät: denn mit dem Begriff derselben stehe es offenbar in Widersprach, wenn das Königtum eine eximierte Autorität in Anspruch nehme, die dem durch die Repräsentanten ausgesprochenen Willen nicht jeden Augenblick unterworfen sei. Eine durchaus verschiedene Stellung nahmen die Urheber der bisherigen Beschlüsse ein, welche dabei doch im­ mer die Voraussetzung des Königtums festgehalten hatten, nicht sowohl die Aristokraten, die alten Mitglieder der Parlamente und der Admini­ stration, die immer in der Minorität geblieben waren, als vielmehr die gemäßigten Demokraten, wie man damals sagte; wir würden sie als Liberale bezeichnen. Die Republikaner verlangten die Abschaffung des Königtums; die anderen nicht allein die Beibehaltung des­ selben, sondern die ausdrückliche Festsetzung seiner Unverletzlichkeit. Wenn jene nach der Zurückführung des Königs auf ein gerichtliches Verfahren gegen denselben antrugen, so antworteten diese, da- die Nationalversammlung damit ihre Befugnisse überschreiten würde. Die ersten versetzten, man müsse dann zu dem Zweck einen Rational­ konvent berufen, dem ein solches Recht unfehlbar zustehen würde: denn der souveränen Nation sei auch der König unterworfen. Auch in dem Jakobiner-Klub, in welchem stch seit dem Jahre 1789 die Oppo­ sition gegen den alten Staat im allgemeinen repräsentierte, war hierüber bereits eine Spaltung eingetreten: eine Fraktion sprach fich

für das Königtum und die Bedingungen, die es möglich machten, aus; die andere verwarf es überhaupt. Der Gegensatz der beiden Direktionen trat jetzt als die wichtigste Tatsache der revolutionären Bewegung hervor. In der Frage über die Ivviolabilität des Königs maßen die Parteien ihre Kräfte. Die liberale hielt an derselben fest; ihre Absicht «ar, das Königtum nicht allein ju konservieren, soadem ihm eine noch größere Selbständigkeit zu verschaffen, als die bisherigen Be­ schlüsse mit sich brachte»; man wollte eine exekutive Gewalt, die, auf ihren eigenen Füßen stehend, den Beschlüssen einer Nationalver­ sammlung nicht geradezu unterworfen wäre. Unmöglich konnte man darin so wett gehen, wie Mtrabeau einst in Aussicht genommen, oder der König bei seiner Flucht gefordert hatte. Die Führer der liberalen Bewegung wären dadurch mit sich selbst in Widerspruch geraten; aber sie meinten, das Prinzip der National-SnverLnetät nicht in seiner ganzen schroffen Einseitigkeit realisieren z« müssen; sie erkannten den König neben der Versammlung als Repräsentanten der Nation an und gaben ihm selbst hiebei die erste Stelle, so daß ihm zugleich ein von der Nationalversammlung unabhängiges Recht zugestanben wurde: denn davon war und blieb man durchdrungen, daß es ein erbliches Oberhaupt geben müsse, in dessen Anerkennung sich die Nation als eine Gesamtheit fühle. Ans einem Briefe Montmorins») ergibt sich, daß eine Bereinigung zwischen den Führern der konstituierenden Versammlung und den Anhängern des Hofes zustande gekommen «ar, «m der Monarchie die zur Regierung notwendige Autorität zu verschaffen. Montmorin erwartete damals eine baldige Veränderung zugunsten des Königs: der Hof, sagt er, habe sich mit den Führer« der Versammlung zu strengen Maßregeln gegen die Männer der Faktion vereinigt. Man hat damals vielfach angenommen, daß die drohende Haltung der europäischen Mächte auf die Haltung der Versammlung Einfluß ausgeübt habe. Wir «olle« das nicht geradezu leugnen, und auf jeden Fall bestand eine Annäherung an Österreich.

Noch mehr wirkte jedoch der Gegensatz gegen die Republikaner, welche die konstitutionelle Partei schlechterdings nicht aufkommen lassen wollte, darauf ein. Die Mehrheit der Nationalversammlung und die Nationalgarde hielten in dieser Richtung zusammen, «ährend sich die Menge des Pariser Volkes um die Republikaner scharte. Da ist eS bann zu dem ersten eigentlichen Schlachttag der Revolution ge­ kommen. Das alte Königtum hatte doch niemals ernstlich die Feuer-

*) Französischer Minister 1789—92.

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waffe zu seiner Verteidigung angewendet; die Majorität der National­ versammlung aber schritt zu diesem Mittel. Die auf dem Marsfeld versammelte Menge wurde mit Gewalt niedergeworfen (17. Juli 1791); und nunmehr erst konnte zu der Revision der Verfassung ge­ schritten werden, bei der man die Errichtung eines konstitutionellen Königtums im Auge behielt. Wir deuteten oben den Ursprung der Feindseligkeit zwischen den privilegierten Ständen und dem dritten Stande, dem Adel und dem bürgerlichen, überhaupt an. Hier be­ merken wir bereits den Ursprung des nicht minder bedeutenden Gegensatzes zwischen Kommune und Bourgeoisie. An jenem revo­ lutionären Schlachttage wurde die Kommune besiegt, an deren Spitze die republikanische Fraktion der Jakobiner stand; die Bourgeoisie, welche die Nationalsouveränetät wollte, aber in dem König zugleich den Repräsentanten der Nation sah, behielt den Platz. Die erste stand im entschiedensten Widerspruch gegen alle europäischen Zustände: von der zweiten durfte man hoffen, daß die von ihr zu treffenden Einrich­ tungen sich mit denselben vereinbaren lassen würden. Ein Zugeständnis von dem größten inneren Gewicht lag in der Anerkennung des Kö­ nigtums, dem ursprüngliche und in seiner Idee begründete Rechte zukamen, die nicht ganz in den konstitutionellen Bestimmungen auf­ gingen. Wir dürfen wohl sagen, daß damit die vornehmste Frage, welche das ganze folgende Jahrhundert beherrscht hat, zutage kam: sie besteht darin, inwiefern auf dem Boden der Revolution sich einer repräsentativen Versammlung zur Seite auch noch eine selbstän­ dige, von dieser nicht abhängige Autorität eines Oberhauptes werde bilden lassen. Man ist damals nicht weiter darauf eingegangen. Die Führer der konstituierenden Versammlung verfolgten die mo­ narchische Richtung, so sehr sie sonst als Demokraten erschienen, in der Hoffnung, auf diese Weise die Revolution zu konsolidieren. Sie vermieden entscheidende Schläge gegen die Emigranten zu führen oder auch das letzte Wort gegen den Klerus auszusprechen; ihr Sinn dabei war, dem König die Annahme der Konstitution möglich zu machen. Insofern unterschied sich die Revision der Verfassung in ihrer Tendenz doch sehr wesentlich von den vorangegangenen Beschluß­ nahmen; man wollte das Königtum in der Tat in einer gewissen Macht und Unabhängigkeit Herstellen, was dann den Forderungen und Wünschen der europäischen Souveräne entsprach. Indem man aber mit der Redaktion der Verfassung in diesem Sinne umging, hielt man doch an der ursprünglichen revolutionären Absicht fest. Es war immer der dritte Stand, der sich konstituierte: die alten Vorrechte

der beide« anderen Stände sollten abgeschafft bleiben, wie sie es waren. Von Anfang an aber durfte man zweifeln, ob die Bestimmungen der Verfassung dazu angetan seien, ein konstitutionelles Königtum möglich zu machen. Indem der König die Verfassung annahm, in dem Akte der Akzeptation selbst, sprach er aus, daß er dazu schreite, weil es dem Wunsche der Mehrheit der Nation entspreche; fügte aber hinzu, er könne dabei nicht verbergen, daß er in der Ausstattung der exeku­ tiven Gewalt nicht alle die Kraft vereinigt sehe, welche für ein so großes Reich notwendig sei, um dessen Einheit zu erhalten: die Erfahrung werde das lehren. Wenn er alle Mittel, die ihm gelassen seien, anwende, und der Zweck doch unerreicht bleibe, so werde man ihm die Schuld nicht beimessen dürfen. Die Nation werde dann die Mittel ergreifen müssen, welche die Konstitution für einen solchen Fall vorbehalten. Noch eine andere vielsagende gegen die Emigranten gerichtete Andeu­ tung macht er in der Akzeptationsurkunde; ihnen gegenüber betont er das Recht der Monarchie auf den Gehorsam aller Untertanen. Da er allein der Nation verantwortlich sei, werde niemand, wer auch immer, das Recht haben, seinen Verfügungen zu widersprechen. Es ist sehr wahr, daß Ludwig XVI. die Konstitution, die er annahm, weit entfernt sie als sein Werk angesehen wissen zu wollen, in vielen Punkten mißbilligte. Aber man würde doch mit Unrecht sagen, daß er zu der Annahme derselben gezwungen worden sei. Aus politischer Reflexion überzeugte er sich, daß es anders nicht sein könne. Seine Stellung als König benutzend meinte er noch, sie den Erfordernissen der Monarchie angemessener machen und zugleich die feudale und parla­ mentarische Aristokratie, die nach dem alten System zurückstrebte, der Autorität, die er im Namen der Nation ausübe, unterworfen zu halten. Wie einst bei der Verdoppelung des dritten Standes, so und noch mehr hatte er bei der Annahme der Konstitution ent­

gegengesetzte Zwecke vor Augen: er wollte die Monarchie behaupten und zugleich die populären Tendenzen befriedigen. Er schürzte damit den Knoten seines Schicksals. Die Duplizität seiner Stellung, die von Anfang an die widerwärtigsten Folgen hatte, erneuerte und ver­ stärkte sich durch diese Annahme. Eine Konstitution halten ist schwer: sie halten und zugleich verbessern, fast unmöglich. Auf Europa wirkte in jener Zeit nicht eben alles und jedes zu­ rück, was in den französischen Debatten vorkam. Die vornehmste Frage, welche die Staaten beschäftigte, war, ob Ludwig XIV. die Konstitution freiwillig angenommen habe oder nicht. In dem ersten 10*

Falle wäre der Gegenstand deS europäischen Konzertes') erledigt gewesen; in dem jweiten hätte man sich vorberetten müssen, de» Feind­ seligkeiten, die bereits intendiert waren, Folge zu geben. Die Frage über Krieg und Frieden wurde identisch mit der Frage, ob die Konstitution mit der dem König vorbehaltenen Prärogative avftecht erhallen «erden würde oder nicht. Es war eine Doppelstreitigkeit, welche die Zukunft der Welt in sich schloß: Monarchie oder Republik, Krieg oder Frieden mit Europa. Für die Monarchie und den Frieden war die Aussicht noch immer nicht ungünstig. Wohl fühlte sich die legislative Versammlung, wenigstens ein Teil derselben, durch die Weigerung des Königs, ihre Dekrete zu sanktionieren, abermals verletzt; die demokratischen Führer meinten bei Aufstellung derselben vollkommen in ihrem Rechte ge­ wesen zn sein. Ernstlich aber war die Mehrheit der Versammlung doch nicht für den Krieg. Aber indes schritt die Assemblte auf ihrem revolutionären Wege immer weiter fort. Man faßte die Absicht, die Güter der Emi­ granten zu sequestrieren, um mit ihrem Ertrag die Kosten der Kriegs­ rüstung zu bestreiten. Oie Hoffnungen, denen man sich hingab, gingen sehr hoch; nur wenig aber entsprach ihnen der Zustand des Landes. Frankreich, meint Goltz'), sei ohne disziplinierte Armee, ohne Generale, ohne Geld, und in vollständiger innerer Anarchie.

Besonders drohend erschien der Gegensatz zwischen der Dourgeosie und der Masse der Bevölkerung in Paris, der von Zeit zu Zeit hervorttat. Die Vorstädte regten sich abermals infolge der kirchlichen Dekrete und unter dem Einfluß der Jakobiner, von denen man be­ merken wollte, daß das Volk durch sie gegen die besitzende Klasse auf­ geregt werde. Aber die Nattoualgarde zeigte sich noch entschlossen, die Bewegung viederzuhalten. In dem Antagonismus der miteinander kämpfenden Elemente gab es jedoch ihrer zwei, die dem Frieden ihrer Natur nach wider­ strebten: das eine waren die Emigranten, welche die Herstellung des alten sortierten; das andere die Jakobiner, in denen sich die Ideen der Neuerung konzenttierten, die noch weit über die Verfassung hinausgingen. Die Emigranten wurden von den verbündeten Mächten in Zaum gehalten; es ließ sich wohl erwarten, daß sie sich einem er#

*) Die vor allem von dem Fürsten Kannitz angestrebte Vereinigung der europäischen Monarchen gegen die Revolution. *) Preußischer Gesandter in Paris.

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träglicheu Abkommen fügen würben. Ja bea Jakobinern aber lebte der Impuls, welcher nach der Macht strebt und ihren Besitz vor Aage» fleht. Indem sie sich zum Kämpft rüsteten, lief ein neuer Erlaß des Fürsten Kaunitz ein, von einer stärkeren Sprache und unumwundener, als jemals ftüher. Man darf wohl annehmen, daß die durch den Der, trag vom 7. Februar gesicherte preußische Hilft») einen wesentlichen Einfluß darauf ausgeübt hat. In dieser Bundesgenoffenschast konnte der Staatskanzler es darauf wagen, daß der Krieg znm Ausbruch komme. Ja seinem Office, denn so nannte man damals die österret, chischen Noten von Bedeutung, erklärt er die Sache der Emigranten für erledigt. Mit Nachdruck und selbst mit Heftigkeit sprach er flch gegen die jakobinische Bewegung in Frankreich aus, von der alle wettere Mißhelligkett herrühre. Die republikanische Partei, durch die Prinzipien der neuen Konstitution verurteilt, und von der konstituieren, den Assemblee prostribiert, habe in der legislativen Versammlung einen maßgebenden Einfluß gewonnen, znm Schrecken aller derer, denen das Wohl Frankreichs am Herzen liege. Europa würde die Befestigung der Konstitution mit Beifall begrüßt haben: die Wut dieser Partei, welche gegen alle göttlichen nad menschlichen Gesetze angehe, mache Vorkehrungen für die Erhaltung der allgemeinen Ruhe er, forderlich. Auch die letzte Erklärung vom 25. Januar zeuge von dem verderblichen Einfluß derselben. Man wage es, dem Kaiser ein Der, brechen daraus zu machen, baß er die Monarchie in Frankreich und die Znvtolabtlttät des Königs, seines Schwagers, auftecht zu erhalten suche. Man deute das dahin aus, als habe der Kaiser seinen Bund mit Frankreich gebrochen: denn die Absicht der Partei sei, einen Krieg mit Österreich hervorzurufen, und zwar mit Hintansetzung der dem Könige durch die Konstitution gewährleisteten Initiative tu bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten. Höchst gerechtfertigt seien die ur, sprünglichen Anträge des Kaisers zu einer gegen den gewaltsamen Zustand von Frankreich gerichteten Vereinigung der europäischen Mächte gewesen. Man habe sie jedoch seit der Annahme der Konsti, tutioa nur als eventuell betrachtet: nämlich für den Fall, daß die dem Frieden und dem Königtum entgegengesetzte Faktion in Frank, reich zur Macht gelange. Diese Erklärung traf recht eigentlich die Mitte des Streits der französischen Parteien: sie «ar sehr geeignet, denselben zu vollen Flam, men anzufachen.

*) Die Allianz zwischen Österreich und Preußen. 149

Am i. März kam die Sache in der legislativen Versammlung jur Beratung. Einige Äußerungen in dem Office wurden mit heftigem Murren empfangen: allein auch von der demokratischen Seite ver­ langte man den Druck des Schriftstückes, deu der Minister seinerseits, wie er erüärt hatte, gvthieß. Delessatt') machte hierauf von dem Ent­ wurf einer Antwort auf die Depesche von Kaunitz Mittellung. Sie ging vor allem dahin, daß eS der Würde von Frankreich nicht gejieme, in eine Diskussion über die inneren Zustände deS Landes mit einer stemdeu Macht einzutreten. Die Derstcherung deS Kaisers, daß er die Emigranten nicht unterstütze, »och weniger auf einen Umsturz der ftanzöfischen Konstitution denke, wurde willkommen geheißen. Dabei aber blieb auch Delessatt stehen, daß der Kaiser aufgeforbert werden sollte, dem europäischen Verständnis (concert) ein Ende zu machen, welches keinen Gegenstand habe, da Ludwig XV I. seine Sicherheit in der Konstitution und in der Liebe der Franzosen suche. Unter dieser Voraussetzung sollte nach dem Entwurf deS Ministers dem Kaiser Erneuerung der alten Freundschaft angeboren «erden, zugleich mit der Aufforderung zu einer unzweifelhaften und kategorischen Erllärung seiner Gesinnung. Wenn der Kaiser seine Rüstungen in den Nieder­ landen rückgängig mache, so würde der König in Frankreich dasselbe tun. So, meinte Deleffart, werde der Frieden und zugleich die Würde von Frankreich erhalten «erden. Delessatt scheint darauf gettchnet zu haben, daß die Office von Kaunitz die Gemäßigten stärken und auf die öffentliche Meinung zum Nachtell der Jakobiner wirken würbe. Auch verflchett man, unter den Gemäßigten habe eS Leute gegeben, welche den Erklärungen deS Fürsten Kaunitz selbst mit Bewunderung seiner Weisheit beigestimmt hätten: allein die öffentliche Meinung konnte daS nicht sein. Ohne Zweifel lag doch in dem Office ein Versuch, iu die inneren Angelegenheitea von Frankreich überhaupt eiuzugreifen: ein Versuch, der jede Nation, keine aber mehr alS die französische, auftegen mußte. Die europäischen Fürsten wollten der Efferveszenz der Demokratie ein Ziel setzen: eben diese «ar aber in ihrem Aufsteigen begttffen und nichts kam ihr mehr zustatten, als daß ein ftemder Monarch ihr Einhalt zu gebieten Miene machte. Unbeschreiblich «ar die Aufteguag, die hierüber in der Population von Paris um flch griff: man laS Mauer­ anschläge deS feindseligste» Inhalts; in dem Palais Royal wurde die Motion gemacht, daS Bildnis deS Kaisers zu verbrennen.

') Der französische Minister de- Äußern.

Gerade in diesem Angenblicke ist Kaiser Leopold gestorben. Die Nachricht davon, die am io. März früh in Parts eiatraf, und flch auf das rascheste verbreitete, ward von den Gemäßigten mit Teilnahme, von den Jakobinern und ihre» Anhängern mit lauter Freude begrüßt. Deleffart, dem fle noch am Morgen mitgeteilt wurde, empfing fle mit unverkennbarer Betroffenheit, die flch aber nur in wenig verständlichen Worten kundgab; er war, als er sie erhielt, im Begriff, flch in die Vers­ sammlung zu begeben, von der er nichts Gute- erwarten konnte. Wohl fühlte er bereits, daß seine Hoffnung, mit den gemäßigten Ab­ sichten durchzudringen, eine Täuschung sei.

Oie Sitzung vom io. März 1792 ist eine der wichtigsten der Revoluttonsgeschtchte. Sie begann mit der Nachricht von der Ent­ lassung Narbonnes'), der zwar an sich keineswegs immer den Beifall der Versammlung gehabt hatte, aber ihr durch seine Meinung und seine Haltung doch nahe stand. Die Entlassung Narbonnes hat nicht wenig dazu beigetragen, die Partei der Gemäßigten zu entzweien. Die Anhänger desselben vereinigten sich mit den Jakobinern; wir vernehmen, daß auch Lafayette seinen Einfluß in dieser Htnflcht anwandte: er war mißvergnügt über die letzten Entscheidungen des Königs und soll gesagt haben, er wolle doch sehen, wer von beiden die Majorität in der Nation habe, er oder der König. Die Stimmung der Versammlung «ar in einer der Prärogative des Königs ungünstigen Weise angeregt, als Briffot») das Wott über die vornehmste der vorliegenden Fragen ergriff. Er erörtette ausführlich, daß ein Kongreß der auswätttgen Mächte, angeblich um die Freiheit des Königs zu retten, flch einen Einfluß auf die Konstitution von Frankreich anmaße, unter der Führung des Kaisers; durch das Dekret vom 25. Januar sei derselbe aufgefordert worden, bis zu einem bestimmten Termine, dem 1. März, allen Be­ sorgnissen hierüber ein Ende zu machen. Das Dekret habe in der Nation den Beifall gefunden, den die Versammlung flch allezeit versprechen könne, wenn fle flch eifersüchttg auf die Würde und Unabhängigkeit von Frankreich zeige. Aber die ausübende Gewalt habe darin einen Übergriff in ihre Rechte sehen wollen, und statt des Einverständnisses, auf bas man gerechnet, der Versammlung ihr Mißfallen zu erkennen gegeben und ihr eine Lettion gelesen. Die Einwendung sei in flch selbst nichtig: denn warum habe man die Erklärungen des österreichischen

*) Der französische Kriegsminister. *) Journalist, Führer der Girondisten.

Staatskanzlers der Versammlung mitgeteilt, wenn sie nicht darüber beratschlagen «ad ihre Meinung aussprechen solle. Nicht ohne Grund wirst Driffot dem Minister eine boppelstantge Haltung vor, die eben daher entsprang, daß derselbe, indem er zwar der Politik Österreichs in einigen wichtigen Puntte« eatgegeatrat, doch im ganzen den Vertrag von 17561) vorbehielt, welchen die Versammlung und die öffentliche Stimme verurteilte. Und nur schwach und ungenügend habe er jenen Kongreß bestritten, welcher bas Selbstgefühl der Nation beleidigte. Indem er Erklärungen über das Konzert gefordert, habe er eigentlich die Nation verraten: denn der Zweck der Verbindung sei augenscheinlich und unzweffelhaft. Die Frage tritt hier iu volle Evidenz: in der legislativen Versamm­ lung wird dem Kaiser zum Vorwurf gemacht, daß er flch in die inneren Angelegenheiten der ftauzöflschen Nation mische, indem er das Ober­ haupt der exekutiven Gewalt gegen die Nation zu unterstützen suche; in Wien dagegen hielt mau dafür, daß man das stanzöstsche Königtum kraft der Sympathien, welche dasselbe bei den übrigen europäischen Fürsten finde, auftecht halten müsse. Bei Driffot erscheint der König nur als Chef der exekutiven Gewalt, der seine Mission von der Nation habe. Diese Differenz schließt die Summe des großen Streites in fich ein: der europäische Kongreß sollte zugleich das Königtum seinem alten Begriffe gemäß behaupten; in der legislativen Versammlung for­ derte man die Unterordnung der exekutiven Gewalt unter die Nation, welche dieselbe dem König übertragen habe. Eben in diesem Gegensatz gewinnen die Prinzipien der Natioaal-Souveränität ihren vollsten Ausdruck. Die Jnviolabllität des Königs erscheint als eine ihm von der Nation zugestandene Gunst. Nach den Prinzipien der Freiheit und der Souveränität des Volkes geht alle Gewalt vom Volke aus: die Nation hat die Befugnis, ihre Konstitution zu ändern, wenn es ihr so gut scheint; niemand hat das Recht, eine Einrede dagegen zu erheben. Die Rebe Brtffots ist auf immer merkwürdig, well sie den Kreis der Vorstellungen, in welchem fich die diplomatischen Verhältnisse von Europa bisher bewegten, schneidend durchbricht: der Vorwurf, den man Deleffart macht, beruht vornehmlich darauf, daß sich sein Verfahren innerhalb des gewohnten Kreises der Diplomatie bewegte. Gerade in dem Moment, in welchem flch Europa rüstete, die Würbe des Königs, wie ste bisher verstanden war, zu retten, erhob flch die revolutionäre Idee, um den König in die angemutete Rolle zu') DaS Bündnis »wischen Österreich und Frankreich.

rückzudrängen, eben nicht- zn fein, als der Chef der ihm übertragenen exekutiven Gewalt. Will man der Sache selbst auf den Grund gehen, so dürfte man behaupten, daß flch diese Absicht in vollem Umfange nicht erreichen läßt. Denn die wirkliche Existenz einer exekutiven Gewalt, wie sie sich in England herauSbildete, beruht auf der ihr bis auf einen gewissen Grad inhibierenden Selbständigkeit den Dekreten des Parlamentes gegenüber. Auch in Amerika war dem zeitweisen Präsidium noch immer eine gewisse Unabhängigkeit gewahrt, die in der Eigenartigkeit seines Ursprungs liegt. Ich wage zu behaupten, daß alle späteren revolutionären Verwickelungen in der Unmöglichkeit wurzeln, den Gedanken der Abhängigkeit der exekutiven Gewalt durchzuführen. Weder ein geborener Fürst noch ein großer General kaun sich in diese Unterordnung fügen. 2. Frankreich und Deutschland nach der Julirevolution. (Geschrieben i8zr.) In dem alten Verhältnis einer gegenseitigen Treue und gesetzt lichen Verpflichtung Mischen unseren rechtmäßigen Fürsten und uns haben die stürmischen Jahre der Revolution und Restauration keine wesentliche Veränderung hervorgebracht; wie ganz anders als in Frankreich, wo alles, was demselben analog «ar, völlig vernichtet worden ist! Wie aber? Wären wir etwa seit der Wiederherstel­ lung der Bourbonen in den Fall der Franzosen geraten, oder fle in den unseren? Auf der Oberfläche, es ist nicht zu leugnen, zeigen die Dinge eine gewisse Ähnlichkeit. In Frankreich, wo man sich im ganzen ruhig hielt, sprach mau nur von dem Bedürfnis guter Staatseinrichtungen, das man nach so großen Erschütterungen allenthalben mitfühlen mußte. Dort wechselten die Ministerien; und allenthalben glaubte man Klage zu haben. Dort wurden in täglichen Sitzungen die Verhältnisse zwischen der fürstlichen Gewalt und der Verwaltung, der Aristokratie und dem Lande, den verschiedenen Ständen verhandelt; wo hätte man flch so behaglich fühlen sollen, daß man nicht der Notwendigkeit inne geworden wäre, eben dieselben ausetuauderzusetzen? Cs ist jedoch leicht zu bemerken, daß diese Ähnlichkeiten nur sehr allgemein sind. In der Tat kann es keinen Staat geben, der nicht so wichtige Fragen auf seine Weise zu lösen hätte. Sowie wir ein wenig tiefer eingeheu, so nehmen vir wahr, baß die Franzosen fern davon waren, ein allgemeines, daß fle ein sehr besonderes und ihnen eigen-

tümllches Ziel verfolgten; etn Ziel, das ihnen durch die Ergebnisse ihrer Revolution gesetzt war. Diese, man wollte sie nicht anfgrben noch verlieren. Man hat fle während aller Jahre der Restauration gegen ebendieselben verfoch­ ten, über welche man ste erobert hatte. Schien es nicht, als wollten diejenigen, die durch die Restauration zurückgekommen waren, den Schatten der erschlagenen alten Monarchie heraufbeschwbren und wieder beleben? Das revolutionäre Frankreich nahm alle seine Kräfte zu­ sammen, ihnen zu widerstehe». Nun ereignete stch, daß stch der Kampf der Interessen in die Ver­ fassung warf und den Schein annahm, als gelte er die Auseinander­ setzung der königlichen Gewalt und des Volkes. Man täusche stch nicht, er war nicht darin. Während man beeifert schien, die beste Ver­ fassung zu entdecken und fle auf das vollkommenste auszubilden, verfocht etn jeder bas ihm durch seine Stellung zu der Revolution ange­ wiesene Interesse. Tausendmal haben die Franzosen bekannt, daß es ihnen bei den Verhandlungen während der Jahre der Restauration gar nicht auf Untersuchung und eigentliche Erörterung ankam. In fünf Minute», sagen fle, konnte man flch auf alle Fälle Für und Wider entscheiden. CS kam darauf an, ob man die Interessen der neuen Nation teilte oder die Ansprüche der alten festhielt. Zwischen beiden wurde der alte Krieg fortgesetzt. Ich weiß nicht, ob es Im Laufe der Jahrhunderte noch ein ander­ mal vorgekommen ist, daß Prinzipien und Dasein dergestalt ineinander­ gewachsen und unauflöslich vereinigt gewesen wären. Die Ideen, die an der Bildung der Zustände so großen Antell gehabt haben, ließen stch von denselben nicht wieder sondern. Wollte man behaupten, was man erworben, wollte man fernerhin auch nur äußerlich und bürgerlich leben wie bisher, so mußte man die Gedanken geltend erhalten, auf deneu die Zustände beruhten. Im Anfänge der Revo­ lution hat man die Ideen eher mit freier Wahl ergriffen; man nahm für dieselben keine andere als eine rationelle Wahrheit in Anspruch und suchte fle durch Beweis geltend zu macheu. Jetzt hatte man keine Wahl weiter: durch seine Existenz war man an die Ideen gefesselt, um so mehr, da man flch ihrer fortwährend bedienen mußte, um flch zu verteidigen; fle waren durch die Gesetze anerkannt und ausgesprochen; was früherhin rationell gewesen, trat nunmehr als Legalität auf; und es kam nur darauf an, es als solche weiter auszubilden, es wider die Gegner, deren Bestrebungen ein anderes System, ein anderes Inter­ esse zugrunde lag, ohne Abbruch zu behaupten. Es ist merkwürdig zu

beobachten, wie oft man die besonderen Bedürfnisse and Wünsche der Parteien dnrch allgemeine und konstitutionelle Bestimmungen yx erfüllen sucht. Selten ist eia Vorschlag, ein Gesetz ohne eine Absicht im Rückhalt, einen versteckten Nebengedanken. Was die Leidenschaft fordert, rüstet man mit Gründen aus; jeues Gebiet von Ideen, das zuerst Montesquieu im großen abgegreazt und darauf die Konsti­ tuante in Besitz genommen, ist zum Kampfplatz geworden. Cs ist, wie gesagt, der alte Krieg. Die Meinungen stad fertig, es sind die Waffen. Und diese wLrea auch bei uns anwendbar, wo Vorgänge und Entwicklungen von so ganz verschiedenem Charakter gewesen sind? Ist etwa auch bet uns eine verjagte Generation wiedergekommen, ihren verlorenen Rechten aachzuftagen? Ist bet «uS das Fürstentum mit einer solchen verbündet? Kaan es irgeudwo, ohne mit sich selber in Widerstreit zu geraten und sich seiner eigenen Vergangenheit entgegeazusetzeo, eine verfallene Aristokratie zn neuem Lebe» aufzurufen gesonnen sein? Wo ist das Volk, man nenne es, das wirklich Grand hätte, in unaufhörlichem Verdacht zu lebeu, als «erbe es in beu Be­ dingungen seiner Existenz bedroht und gefährdet! Nein! von der allgemeinen Fassung, in welcher die ftaazösischen Parteien ihre Ansprüche vortragen, mnß man sich nicht blenden lassen; jenem Strome des Ratsonnemeats, mit welchem die französischen Zeitungen und Tagesschristea Europa -berfluteu, muß man sich nicht blindlings ergeben. Die Übermacht, welche ftanzösische Sitte und Literatur seit Jahrhunderten ans Nahe und Ferne ansübt, hat sich gegenwärtig auf diesen Zweig geworfen, der in der Tat mit so viel Gewandtheit, geistiger Behendigkeit und glücklichem Erfolg bearbeitet wird, daß er den glänzenden Dell ihres Lebens ausmacht. Sollte es zu billigen sein, wenn die europäische uud denn auch die deutsche Opposition sich in die Formen der französischen wirst und deren Verwandlungen, die einen ihr eigentümlichen Grund haben, in analogen Schwingungen mitmacht? Richt als ob bet uns alles «ohleingerichtet wäre, als ob man die Schwierigkeiten, die sich nach so großen Unfällen und Zerstörungen, nach einem so völligen Umschwung der Dinge allenthalben zeigen mußten, eben sehr glücklich überwunden hätte. Ich sage nicht, daß nicht viel Unrecht geschehen, daß nicht viele Ansprüche zu vergleichen, viel Übel gutzumachen übrig sei. Es ist dies nur allzu gewiß. Allein durch

die Eigentümlichkeit der Ereignisse in unserem Lande ist uns eine ganz andere Aufgabe gestellt worden. 155

Einmal liegt uns nicht sowohl ob, j» behaupte», was wir durch die Revolution erworben, als vielmehr das in ersetzen, was wir durch dieselbe verloren haben. So mangelhaft die alte Einrichtung des Reiches sein mochte, so bedeutete sie «ns doch jene nationale Einheit, an welcher alle deutschen Herren hangen. Wer sollte es nicht fühlen? Freilich wäre es schwer gewesen, unter den Umständen, wie sie waren, eine engere Verbindung durchrusetzen, als diejenige geworden, mit welcher man das Reich am Ende hat ersetzen wollen; der Mangel ward vielleicht eben von dort ans am meisten veranlaßt, wo man ihn jetzt am meisten empfindet; allein soll man sich darum verbergen, daß unser Vaterland allerdings einer besseren Vereinigung bedürfte? Es bedarf derselben für den Fall eines ftemden Angriffs, da ist kein Zweifel. Es bedarf ihrer aber, wenn wir nicht irren, auch für den Frieden. In den kleinen Fürstentümern sind es zuletzt wohl beide Telle selber inne geworden. Kann es, ftage ich, nicht einen Fall geben, in welchem die Autorität für ihren beschränkten Wirkungskreis, für den Umfang ihrer täglichen Pflichten alljuvtel Kräfte in Anspruch nimmt und den­ noch nicht stark genug wird, um der Erhebung ungesetzlicher Gewalten zu widerstehen? Dieser Fall, ist er nicht hie und da etngetreten? Hat man nicht hie und da den Widerstand aufgereijt, ohne doch stark genug i» sein, ihn |tt überwinden und die empörten Kräfte in die Dahn der Ordnung j« leiten? Unglücklicher Zustand! Alle deutschen Patrioten werden, denke ich, überetnstimmen, daß die Folgen desselben so gut wie möglich beizulegen, seine Wiederkehr, seine Fortsetzung so sorgsam wie möglich ju verhüten wären. Allein nicht minder werden sie überzeugt sein, daß diese Übelstände durch Gewaltsamkeiten, durch den Um­ sturz des Bestehenden nicht allein nicht gehoben, sondern tausendfach vermehrt würden. Auf eine vernünftige, schonende Weise, in steter Übereinkunft, in allmählichem Fortschritt, durch nähere und nähere Vereinigung der lebendigen Interessen, wozu die Verfassung, in der wir sind, uns allen Spielraum läßt, wäre es zu versuchen. Dazu aber gehört etwas mehr, als die Debatten der Franzosen wiederholen, die gerade an dem Übermaß derjenigen Einheit leiden, deren völligen Mangel wir beklagen. Eine uns eigene, große deutsche Aufgabe haben wir zu löftn: den echtdeutschen Staat haben wir auszubllden, wie er dem Genius der Nation entspricht. Dazu gibt es schwerlich einen anderen Weg als die unleugbaren und augenscheinlichen Mängel, deren so viele sind, ins Auge zu fassen, sie, so viel an «ns liegt, zu heben und immer das zu leisten, waS not tut. Sich erdichtete Bedürfnisse zu schaffen, well man

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anderswo davon redet; durch kleinliche Reibungen einer Trennung, die man aus allen Kräften vermeiden sollte, erst das Dasein zu geben; es scheint mir nicht förderlich. Dor allem aber soll man sich vor den Formen hüten, welche die Franzosen in ihrem eigenen Interesse, das von dem unseren so ganz verschieden ist, erfunden haben. z. Oer deutsch,französische Krieg. (Gesprochen zar Eröffnung der historischen Kommission bei der k. Akademie der Wissenschaften' zu München am i. Oktober 1870.)

Wir fürchteten alle den Krieg, aber wir besorgten ihn nicht. Das Furchtbare daran «ar der Kampf zwtschea den beiden mllitärisch und vielleicht auch intellektuell am meisten entwickelten Nationen; dem östlichen und westlichen Reiche, die einst aus dem karolingischen hervorgegaagen, nah« zusammeahLngead, jedoch in verschiedenen Richtungen entwickelt, hauptsächlich als die Träger der okztdentalischen Kultur auf dem Kontinent erschienen. Wer von uns allen ist ohne Einfluß des ftanzöflscheu Geistes geblieben? Der Formen ihrer Literatur, ihrer politischen Theorien und Tendenzen, ihrer gesell, schastltchen Ausbildung? Wie viele von uns haben flch der Gastfteiheit zu rühmen gehabt, mit der fi< von französischen Gelehrten aufgenom, men und zur Benutzung der wissenschaftlichen Schätze zugelassea worden sind! Nicht in exklusiver Abschlteßung bestand das Wesen der franzö, fischen Hauptstadt, sondern darin, daß sie vermöge ihrer zentralen Lage den Mittelpunkt für Italien, Spanien, England und Deutschlaad blldete, dem sich auch die osteuropäische» Nationen und die Amerikaner aaschlossen. Keine Nation ist für sich allein. Es gibt ein Gemeinsames, das sie untereinander verbindet, welches doch wieder einer jeden angehört. Aber mit der Wiederherstellung des Kaisertums kam auch ein anderer Geist, der auf die Wiederherstellung des allgemeinen über,

gewichts, wenn nicht der Herrschaft, welche Frankreich unter dem ersten besessen hatte, hinzielte; es ließ flch ein uaerfteulicher Geist bemerken, der, wie er auch die innere Kultur weniger pflegte, so dnrch den falschen Begriff Glorie zu Feindseligkeiten nach allen Seiten geneigt wurde. Nachdem von den alten kontinentalen Gegnern die beiden von alters her wichtigsten, zwar nicht niedergeworfen, aber doch besiegt worben waren, ließ flch bemerken, daß auch der dritte, Preußen, in dem Maße, als es in Deutschland mächtiger wurde, Eifersucht erregte. Aber wir be­ sorgten doch keine Explosion. Dean die französische Regierung konnte unmöglich ein Interesse dabei haben, einen Kampf hervorzurnfea, der, wenn er nicht nach Wunsch ging, sie selber zuerst mit Derutchtuug be,

drohte. Wir Deutsche waren ganz vor kurzem in einer Streitsache, in der wir doch wohl ein gutes Recht hatten, einen Schritt zurückgetreten'), um dem Gegner, dem wir sehr gewachsen, vielleicht in dem damaligen Zustand der Bewaffnung selbst überlegen waren, nicht zu jenem furchtbaren Kampfe Anlaß zu geben. Da erscholl unerwartet, unmotiviert die Kunde von einer Heraus­ forderung, die so gut wie eine Kriegserklärung war. Unleugbar ist, daß sie für Preußen und Deutschland mancherlei Gefahren in sich schloß. Alle Unzuständigkeiten, auf die man jenseits rechnete, traten auch diesseits ins Bewußtsein. Die vornehmste war der nach den letzten Erschütterungen noch nicht wieder befestigte Zustand des deutschen Vaterlandes. Denn noch waren die zu einem größeren Ganzen geschlagenen Provinzen voll partikularer Gährungen. Der Norddeutsche Bund hatte erst seine Probe zu bestehen. Die Mainlinie schien die süddeutschen Mittelsiaaten auf immer von demselben zu sondern, eine Annäherung an denselben sogar das eigene Selbst zu gefährden. Von Österreich setzte man voraus, daß es die Gelegenheit ergreifen werde, die zuletzt erlittenen Niederlagen durch offene Feindseligkeit zu vergelten. Der Feind rechnete darauf, durch eine Bedrohung der Seeküste unsere Streit­ kräfte zu teilen, und in unserem Reiche die Erhebung besiegter oder beleidigter Nationalität zu entzünden. Von Verbündeten, die unsere Sache zu der ihren gemacht hätten, war nicht die Rede. Eben die schienen sich gegen uns zu erheben, um die wie wir uns das meiste Ver­ dienst erworben hatten. Wie gesagt, darauf rechnete der Feind. Er meinte wohl nicht, noch einmal das Deutschland vor sich zu haben, wie es zu den Zeiten Ludwigs XIV., der Revolution und der Weltherrschaft Napoleons bestand, oder vielmehr wie es der französische Historiker jener Epoche schildert, aber doch eine Analogie desselben, und war entschlossen, sie aufrecht zu erhalten. Bei allen Vorzügen der französischen Eigen­ art kann man sie doch von einer Selbstüberschätzung nicht frei sprechen, die von der Literatur, auch der historischen gepflegt wird und das Ge­ fühl einer großen Nationalität mit unwahrer Übertreibung versetzt. Sie kann kein Wort des Tadels ertragen und setzt eine Überlegenheit voraus, die in der Tat nicht stattfindet; denn dem, was anderwärts geschieht, hat man nur insofern Aufmerksamkeit gewidmet, als es den eigenen Gesichtspunkten entspricht. Was bei uns in Deutschland durch

0 Der Streit um Luxemburg. 158

das Anwachsen des nationalen Gefühles, das sich mit Notwendigkeit ans ihren Angriffen und Gewaltsamkeiten entwickelt hatte, geschaffen wurde, wußten die Franzosen doch nicht zu würdigen. Sie hörten nur den Mißton deS Widerstrebens und der Parteiung; der partikulari, sttschen oder kommunistischen, oder ultramontaaea; deren kleine Erfolge erschienen ihnen als die in Deutschland vorwaltendea Stimmungen. Trunken von dem Gefühl ihrer eigenen Nationalität, hatten sie keine Vorstellung davon, wie tief und umfassend die deutsche sich rege. Das erste, was wir nun erlebten, war die einmütige Beisttmmung, welche die Zurückweisung der französischen Anmaßungen in dem ganzen Umfang des preußischen Staates fand. In Ortschaften, wo sich bei der letzten Anwesenheit des Königs keine Stimme für ihn geregt hatte, wurde er jetzt mit begeistertem Zuruf empfangen. Man «ar gleichsam glücklich, daß man durch eine große Augelegenhett in das Gemein, gefühl des umgebilbetea Staates gezogen «nrde. Der deutsche Geist erstickte den antipreußischen. Die Hauptstadt empfing ihren zur KriegSvorbereitung hetmkehrenden Fürsten mit einer unbedingt würdige» und von aller Servllttät freien Hingebung, welche in dem Monarchen den gehelligte» Repräsentanten der StaatSgenoffenschast verehrt, nnd ihm ihre Dienste anbietei. Alle Patteien schwiegen, gleich als hätten fle sich baS Wott dazu gegeben. ES war nur et» Gefühl, daß man sich mit äußerster Anstrengung zum Kriege rüsten und den AuSgang Gott befehlen müsse. Niemals waren die Kirchen so voll gewesen, wie an dem Tage, welche diese Sache dem göttlichen Schutze befahl; die dem Staat durch de» Norddeutsche» Bund vereinigten Landschaften teüte« diese Stimmung. Nur eine Besorgnis konnte man hegen, daß die südlichen Mittel, staaten, die nicht zu demselben gehörten, der scheinbaren Unabhängig, kett eingedenk, die sie dem stüheren Imperator verdantten, nach der, selben znrückgreifen und sich dem neuen betgesellen, oder doch wenigstens eine »euttale Haltung etaaehmea würben. ES läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, inwieweit die feindliche» Pläne darauf berechnet waren. Daß man aber keine» Zweifel hegte, man würde einen großen Feldzug in Deutschland z« führen haben, nimmt man auS der Dor, sorge ab, mit welcher sich die Offiziere mit Landkarten des vermeint, ltchea Kriegstheaters, des deutschen Landes überhaupt versahen. Die ftanzösische Phantasie ist »och von den Feldzügen deS ersten Napoleon erfüllt infolge der Darstellungen durch Poesie, bildende Kunst und selbst einseitige Historie, der die ftanzösische Armee als un, überwtadltch in sich selbst erscheint, und welche die Niederlagen nur *59

immer von zufälligen Umständen herleitete und auf die Bedingungen der Siege keine Rücksicht »ahm. Man glaubte, «och immer Deutschlaad vor sich zu habe», wie es die revolutionLreu Heere uud der erste Kaiser vor sich hatte». Da war es uun ein entscheidendes Ereignis, daß der junge König, unter dessen Auspizien wir uns hier versammeln, ohne zu zögern, den Moment für gekommen erklärte, für welchen sein Bund mit Preußen geschloffen sei.

In Norddeutschland «ar man auf dem Lande bei aller Hingebung doch nicht ohne Sorge, als der Krieg erklärt wurde; alle Besorgnis schwand, als man vernahm, daß König Ludwig von Bayern den casus foederis anerkannt habe.

Ich will nicht sage», daß der Krieg nicht hätte geführt «erden können, wenn Süddeutschland neutral geblieben wäre; aber er hätte niemals jenen national-deutschen Charakter angenommen und unend­ lich größere Schwierigketteu dargeboten. Erst als die süddeutschen Waffen sich den preußischen zugesellten, wurde die deutsche Idee realtflett.

Der Feldzugsplan der Franzosen wurde auf eine für sie uner«attete Weise durchkreuzt; sie mußten erlebe», daß Deutschland ohne die Hllfe anderer europäischer Mächte, ja selbst ohne Teilnahme von Österreich — das gewiß nicht wegen der Gesinnung der Bevölkerung, die für uns vielmehr nur die lebendigste Sympathie verriet, aber durch seine andenveile politische Beziehung veranlaßt, eine neutrale Stellung annahm — ihnen vollkommen gewachsen «ar.

Die stärkere Vermehrung der germanischen Raffe, gegenüber der romanischen, hatte die ftüheren Differenzen ausgeglichen. Alles aber bekam nun Leben durch die mllttärtsche Organisation, au welcher der preußtsche Staat fast tu Voraussicht eines ähnlichen Falles in den letzten fünfzig Zähren fortwährend gearbeitet hatte, und der sich bas übrige Deutschland anschloß. Wo Waffen uud Idee einen Bund schließen, sind sie immer un­ widerstehlich gewesen; hier waren es die preußisch-deutscheu Waffe» und die deutsche Idee. Die Gleichatttgen bildete« nun aber eine Waffen­ genossenschaft, die sich von vornherein, so wie sie mit dem Feinde zusammenstieß, der gegenüberstehenden ebenbüttig erwies, und sich ihr im Lauf des Kampfes überlegen erwiesen hat. An allen großen Schlachttageu haben preußische, norddeutsche, süddeutsche Truppen zusammengewirtt. 160

Dei Weißenburg die Schlesier, die Posener, Thüringer, Franken, Pfälzer; bet Wörth traten Württemberger und JBabenfet hinzu. Bet Saarbrücken-Forbach: Westfalen, Hannoveraner, branden­ burgische und niederrhetnische Regimenter. Bei Metz am 14. August: Ostpreußen, Westpreußea und Westfalen. Am 16. August: Brandenburger, Hannoveraner, Braunschweiger, Oldenburger, Schleswig-Holsteiner, Hessen-Darmstädter. Am 18. August außer diesen Sachsen, Pommer«, bas Gardekorps. Am zi. August: Ostpreußen «ad Mecklenburger, Hanseaten. Dor Sedan: Sachsen ans dem Königreich und aus der Provinz Sachsen, das IV., das Gardekorps und Xll. Armeekorps: Altbayern, die großen Eifer bewiesen. Wir sind alle erstaunt über die glänzende Stegeslaufbahn, welche im Lauf eines Monats durchmessen worden ist, voll Bewunderung über das Zusammenwirken der verschiedensten Kräfte nach einem voraus­ gefaßten nab doch jeden Wechsel der Derhältniffe berücksichtigenden Plan; die Umsicht im großen, die unvergleichliche Tapferkeit im ein­ zelnen. Ich will kein Wort «eiter darüber sagen; der allgemeine Ein­ druck ist, daß damit zugleich einer der Wendepunkte der Weltentwicklung und politischen Gestaltung eingetteten ist, welche die Epochen scheiden. Wir sehen der neuen mit Freuden und Hoffnung entgegen, obgleich alte Männer, wie mehrere von uns, sie nicht erleben «erben; doch ist es nicht unseres Amtes, in die Zukunft zu blicken ober Ratschläge für die Gegenwart zu geben, selbst nicht Ansprüche zu formulieren. Wir bemerken nur, daß, indem sich eine neue Zukunft zu eröffnen scheint, unsere Vergangenheit Licht und neue Momente für ihre Würdi­ gung empfängt. Die Ereignisse, die unter der Rückwirkung des deutsch-stanzösischea Krieges in Italien eingetteten sind und eintteten, kann man nicht ansehen, ohne des Zusammenhanges unseres alten Reiches mit dem Papsttum zu gedenken. Wir sahen einen Pontifex, der ohne alle Rücksicht auf die den Staaten innewohnenden Bedürfnisse und gerechte« Ansprüche eine Prärogative formulierte, die in den ftüheren Jahrhunbetten zwar erhoben, aber niemals durchgefühtt worden «ar. In einer großen Versammlung kttchlicher Würdeattäger aus aller Welt, aber im Widerspruch mit der Mehrzahl der westlichen, namentlich der deutschen Bischöfe, brachte er sie zur Anerkennung.') ') Die Unfehlbarkeitserklärung de- Papstes auf dem vatikanischen Konzil am 18. Juli 1870. XVII-XVIII/II

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So lange die deutschen Kaiser ihre Autorität aufrecht erhielten, waren Dinge dieser Art nie gelungen; denn das deutsche Bistum stand dem Kaiser immer mit seiner geistlichen Befugnis zur Seite. Gleich darauf wird die weltliche Macht des Papsttums im offenen Kampf überwältigt, infolge der italienischen Idee, welche einst dem Papst selbst zu ergreifen nicht gelungen war. Alle die Ereignisse, welche die Jahrhunderte erfüllen, erhalten eine unmittelbare Bedeutung durch die Dinge, die vor unseren Augen vorgehen. Man sah, was ein Kaisertum wert war, welches, wenn auch im steten Kampfe, die höchste Gewalt in der Kirche mäßigte, aber ihre Autonomie erhielt. Eine andere Erinnerung, noch stärker durch die Tendenz eines nationalen Moments, bilden die Verhältnisse des westlichen und östlichen Reiches. Die Teilungen des Karolingischen Reiches, aus dem das Ostfränkische, nachmals Deutsche und das Westfränkische, nachmals Französische hervorgegangen, bekommen eine über die bloße territoriale Auseinandersetzung und die fürstlichen Erbansprüche hinausreichende Beziehung. Etwa vor tausend Jahren, im Sommer 870, fand die Zusammen­ kunft an dem Vorsprung der Maas zu Werfen zwischen dem ostfrän­ kischen König, Ludwig dem Deutschen und dem wesifränkischen, Karl dem Kahlen, statt, in welcher über ihre Begrenzung ein Entschluß ge­ faßt wurde, der an die soeben vorliegende Frage unmittelbar anknüpfte. Der Moselgau an beiden Ufern dieses Flußes, welcher Metz und Diedenhofen begriff, wurde zu dem östlichen Reiche geschlagen und Straßburg mit seiner kirchlichen Metropole Mainz wieder vereinigt. Ich ziehe keine Folgerungen daraus, ich knüpfe keine Ansprüche daran; ich bezeichne nur die Tatsache, welch eine auf den heutigen Tag fortwirkende lebendige Beziehung in der Verabredung liegt, die vor tausend Jahren gepflogen wurde. Das alte Reich war zur Behauptung seiner Sicherheit vortrefflich angelegt. Mir liegt es fern, die Entwicklung des westlichen Reichs als in stetem Übergriff in die Rechte seiner Nachbarn, namentlich der Deutschen zu betrachten. Es war ihm gegeben, in einem Kampf, der doch etwas Unver­ meidliches hatte, inwiefern er zugleich gegen das überwältigende Umsichgreifen des Plantagenetischen Vasallenverhältnisses gerichtet war, eine zentrale Macht von größerer Stärke zu entfalten, von der wir doch auch mannigfaltigen Vorteil empfangen haben, für Kultur und Gelehrsamkeit, sowie für den Staat.

Auch will ich nicht unbedingt auf unsere Entzweiung schelten, die zu jenen Übergriffen Anlaß gab. Metz, Toul und Verdun wurden infolge der Streitigkeit Frank­ reichs mit dem Hause Hsterreich-Burgund, welches die reichsoberhauptliche Gewalt ausübte, und zugleich durch innere religiöse Kämpfe, welche eine Wendung gegen dieses Haus nahmen, dem Reiche ent­ fremdet. Um nicht dem in Aussicht stehenden Kaisertum Philipps I I. zu verfallen und die Beschlüsse des Tridentinischen Konziliums an­ nehmen zu müssen, haben die Protestanten unter Führung des geist­ vollen Kurfürsten Moritz von Sachsen es zugegeben, daß der König von Frankreich das Reichsvikariat in dieser Region in Besitz nahm. Es war ein Preis seiner Unterstützung, gelang aber durch eine eifrige katholische Partei in der Stadt. Karl V. erschien mit all seiner Macht zur Belagerung von Metz. Aber allzu ungünstige Jahreszeit, und ein trefflicher Kriegsmann, der Herzog von Guise, der es ver­ teidigte, gegenüber von Krankheit und Regenwetter nötigten ihn, im Jahre 1553 die Belagerung aufzuheben. Denn jedes Jahrhundert hat nun einmal seine eigenen Aufgaben und Machtbedingungen. Aber man muß dessen gedenken, was im Laufe der Zeiten aus jenen Anfängen entsprungen ist. Unsere Entzweiung überstieg alles Maß. Als den Moment der tiefsten Erniedrigung des Deutschen Reiches als eines Ganzen kann man die Überwältigung Straßburgs durch Ludwig X IV. betrachten; als eine der wichtigsten Reichsstädte, gegen den übermächtigen Nachbar allein gelassen, durch einen von demselben gewonnenen Magistrat im Gegensatz mit einer Bürgerschaft, die sich dennoch zu verteidigen wünschte, in die französische Hand geriet. Es ist ein großer historischer Augenblick, daß sie nach 189 Jahren ihrer Entfremdung fast an dem Jahrestage der ersten Eroberung Ludwigs X IV. wiedergewonnen ist. Und daß nun aus unserer Entzweiung, welche in den erwähnten Zeiten so stark war, daß sie uns das Bewußtsein unserer Nationalität kostete, dieses wieder erwacht und zu einer großartigen Erscheinung gebracht ist, das ist eben das welthistorische Ereignis, welches eine neue Ära verkündigt. Wir nehmen nichts voraus; aber der Augenschein zeigt, daß das welthistorische Verhältnis, welches die letzten beiden Jahrhunderte beherrscht hat, sich umgestaltet und das Übergewicht sich aufdieSeite des des östlichen Reiches neigt, dem es jedoch nicht beikommt, die Freiheit des westlichen zu beschränken und zu beherrschen.

Es kann nicht darauf ankommen, andere zu erdrücken, sondern nur uns selber zu behaupten, die errungenen Siege dahin zu entwickeln, daß wir uns vor niemand zu fürchten haben und die Einheit der Nation wiedergewinnen, die uns mangelt, ohne die Besonderheiten, die auch ihre historische Berechtigung haben, zu vernichten. Diesen Eindruck macht auch das Zusammenwirken aller deutschen Stämme und Staaten an diesem großen Kampfe. Die gemeinschaftlich bestandene Gefahr und die gemeinschaftlich errungenen Erfolge müssen allem menschlichen Ansehen nach alle wieder aus engste zusammen­ knüpfen. 4> Das neue deutsche Kaisertum. (Gesprochen wie oben zu München am 27. September 1871.)

Als wir vor einem Jahr beisammen waren, hatten sich die Be­ gebenheiten, die das Jahr 1870 ewig auszeichnen werden, bereits in der Hauptsache vollzogen: die Deutschen aus de» verschiedenen, so lange getrennten Landschaften bekämpften den gemeinschaftliche» Feind mit wetteifernden Anstrengungen und einem diesen entsprechenden unvergleichlichen Erfolg. Wenn die Nation wieder enger vereinigt werden sollte, so konnte es nicht durch Beratungen bewirkt werden, die immer einen jeden an sein besonderes Interesse mahnen, sondern nur durch eine große Handlung, bei der das Gemeingefühl die Oberhand über die Besonderheit erhält, ohne diese jedoch zu vernichten. Wir begrüßten es als die ruhmwürdige Tat des jungen Fürsten, unter dessen Auspizien wir uns versammeln, -aß er mit raschem Entschluß den Augenblick für gekommen erachtete, in welchem das schon früher, jedoch nicht ohne Vorbehalt, geschlossene Bündnis zu voller Aus­ führung gebracht werden müsse. Heute verdanken wir ihm noch eine andere Entschließung. Die im Sturme der drohenden und drängenden Ereignisse ins Leben getrtene Verbindung mußte einen Namen haben. Es ging ein Gefühl durch die Nation, daß das deutsche Reich und Kaiser­ tum wieder hergestellt werden müsse. Man könnte ein Buch darüber schreiben, welche Wandlungen die Idee des Kaisertums in den ver­ schiedenen Jahrhunderten erfahren hat. Es gab eine Zeit, wo das Kaisertum den Mittelpunkt der abendländischen Nationen bildete: der Rang und das Emporkommen der deutschen Fürsten beruht darauf, daß sie es waren, die der gesamten Christenheit ein weltliches Oberhaupt gaben. In diesem Sinne ist jedoch das Kaisertum niemals vollkommen realisiert worden. Das römisch-deutsche Reich, wie es im zwölften und dreizehnten Jahrhundert erscheint, war viel zu groß­ artig angelegt, um in dem ganzen Umfange seiner Grenzen als eine

Einheit jur Geltung zu kommen; aber allmählich erhielt die ursprüng­ lich universale Idee eine lediglich deutsche Bedeutung. Die Kaiser hörten auf in Rom gekrönt zu werden; aber die in Deutschland er­ wählten Könige behielten die Würde, auch ohne die Krönung. Bei allem Gegensatz der auseinanderstrebenden Territorialmächte wurde die Autorität des Kaisertums nicht aufgegeben, so lange bis das Reich unter Einwirkung eines fremden Eroberers in seinen Formen zer­ trümmert, bald darauf aber nach dessen Sturz in einen Bund unab­ hängiger Fürsten verwandelt wurde. Sollten nun diese, namentlich die gleichberechtigten Könige, einen Kaiser über sich anerkennen? Darin lag doch die einzige Lösung der vorliegenden Frage. Der König von Bayern, der mächtigste Unter ihnen, ergriff dabei die Initiative; denn, wie die alten Traditionen es mit stch brachten, von den Fürsten selbst mußte die Wiederherstellung des Kaisertums ausgehen. Daß dies geschehen, ist an und für sich von der größten historischen Wichtigkeit. Die Tatsache an und für sich verknüpft die Jahrhunderte unserer Geschichte: sie ist der Ausdruck des Gemeingefühls der Nation, wie es von Urzeiten her gebildet die Gegenwart erfüllt. Und dadurch, daß die neue Würbe erblich übertragen worden ist, bietet sie eine Gewähr der Einheit für die Zukunft, wie sie noch niemals vorhanden war. Nur noch ein Moment war unerledigt. Einer der großen Stämme der Nation, durch den Lauf der Ereignisse auch von den letzten gemein­ samen Kämpfen und von der dadurch bedingten Gemeinschaft des neuen Reiches ausgeschlossen, schien stch sogar feindselig gegen dieselbe zu verhalten. Auch dieser Übelstand ist durch die jüngsten Ereignisse gehoben worden. Das Kaisertum Österreich und das deutsche Kaiser­ tum sind in ein enges Verständnis miteinander getreten, das jede Feindseligkeit ausschließt. Am Tage liegt, daß Österreich und Preußen, bei dem Gegensatz, der sie voneinander trennt, zusammen nicht wohl Mitglieder des Reiches sein konnten, wenn dies zu innerer Gleich­ förmigkeit und wirksamer äußerer Aktion gelangen sollte. Unter der ausschließenden Führung Preußens hat sich eine Macht geblldet, welche auch ohne Teilnahme Österreichs den Feind bestanden hat, dem wir in früheren Zeiten eben infolge jener inneren Spaltungen mehr als einmal unterlegen waren. Deutschland hat auch in dieser Be­ schränkung seine Stellung gewaltig eingenommen. Österreich hat

nun seinen Anspruch, auf das Innere mitzuwirken, fallen lassen; das neue Reich ist mit ihm in einen Bund getreten, wie es den Verhält­ nissen einzig angemessen. Das gesammelte Nationalgefühl kann der Zukunft ruhig entgegen sehen.

Dreiturmbücherei band 7

Aus der alten Geschichte Darstellungen, ges. von Max Mühl

ie Auswahl will durch Heraushebung der bedeutungsvollsten Zeitabschnitte einen allgemeinen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der beiden klassischen Völker des Altertums vermitteln. Dabei soll immer wieder die welthistorische Bedeutung, die über die Jahrtausende sich erstreckende Fernwirkung der Antike stark und kraftvoll vor Augen treten. Inhalt: Ernst CurtiuS: Oie Hellenen und das Volk Israel / Eduard Meyer: Oie Wirkung der Perserkriege / Karl Otfried Müller: Athen zur Zeit deö PerikleS / J.G.Oroysen: Oie Umgestaltung der Weltverhältnisse durch Alexander den Großen / V. G. Niebuhr: Roms'Bedeutung / I. G. Herder: Oie Grundlagen des römischen

StaatSgebäudes / K.J. Neumann: Weltverkehr und Wirtschaft seit dem Zeitalter der panischen Kriege. Oie agrarische Reform des Tiberius Gracchus / Th.Mommsen : GajuS Julius Cäsar und sein Werk / C. F. Schlosser: Leben und Staatswesen in der

ersten Zeit des römischen Kaiserreiches / Leop. von Ranke: Oer Eintritt des Christen^ tums in die römische Welt.

Ernst Moritz Arndt SID11

Eine Auswahl aus seinen Schriften

Herausgegeben von Adam Stoeffel nvergefsen bleibt Ernst Moritz Arndt als Sänger brausender deutscher Vater­ lands- und Freiheitslieder. Heute besonders erwächst vor unseren Augen wieder die herr­ liche Gesamtgestalt deö kernigen, unverzagten, unerschrockenen Mannes zu lebendiger Größe, die Gestalt des Rufers und ErmahnerS, des Sehers, Warners und Streiters. Nicht auf Redensarten und Schlagworten, sondern auf festgegründeter, gesunder Weltanschauung baute er seine politischen Forderungen und Erkenntnisse auf, wie sie in seinen mächtigen Prosaschriften in schwungvoll volkstümlicher Sprache nieder­ gelegt sind. „Mir ward eine Sprache gegeben", sagt er in seinem „Letzten Wort an die Deutschen", „und diese Sprache gebrauche ich, ihre Donnerkeile schleudre ich, zu heilen und zu zerschmettern. Und darum tue ich mein Amt." Inhalt: Von Freiheit und Vaterland / Oer Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht

Deutschlands Grenze /Wanderungen und Wandlungen mit dem Freiherr» von Stein.

R.Oldenbourg Verlag, München und.Berlin

Dreikurmbücherei band 2o

Aus der Geschichte des Mittelalters Darstellungen, ges. von Anton Mayer-Pfannholz

ie Auswahl für dieses Bändchen geschah unter zwei Leitgedanken: Dem der meisterlichen Form und dem des gewichtigen Anhalts. Das Mittelalter, besonders das deutsche, hat, angesangen von Schlegels immer noch lehrreichen und mit großem Nutzen zu verwertenden Vorlesungen, bis in die neueste Zeit eine große Reihe von gründlichen Erforschern und guten Darstellern gefunden. Aus ihren Werken wurden die Stücke dieses Bändchens so ausgewählt, daß sie, zusammengenommen, trotz des anthologischen Charakters doch einen ziemlich geschlossenen Überblick über die Jahr­ hunderte geben, die man dem Herkommen gemäß Mittelalter nennt. So steht die dramatische Darstellung eines Giesebrecht neben der mit zwingender Konsequenz zu­ sammengeballten Abhandlung eines Ranke; Sybel steht neben Fuker und auf den neuen grundlegenden Erforscher frühmittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte Oopsch folgt der zwar weit zurückliegende, aber nicht minder verdienstvolle und lebhafte Leo, und auf ein Stück auö Caspars tief psychologischem Schassen ein Abschnitt ausJanssen, dessen Apologetik doch auch genug sachlich richtige und wichtige Ergebnisse erzielte.

band 2i

Johann Gottlieb Fichte Eine Auswahl von Ludwig Hasenclever

inen feurigeren Eifer, seine Bestimmung auf jede Gefahr zu erfüllen, ein stärkeres Gefühl für Erhabenheit und Würde, eine männlichere Denkungsart nach allen Rich­ tungen hin, soweit die deutsche Sprache reicht, zu verbreiten, war Sehnsucht und Sendung I. Gottl. Fichtes. Das gleiche ist die dringlichste Aufgabe der deutschen Schule und des deutschen Erziehers von heute. Zu ihrer Lösung können wir nirgends bessere Hilfe finden als eben im Werke Fichtes selbst. Freilich — die tiefsten Gedanken feiner theoretischen Philosophie nachzudenken, wie viele haben dazu noch das nötige Organ? Aber seine Gesinnung nachzuerleben und in sich herauszustellen, muß der zur Führung berufenen deutschen Jugend möglich sein, wenn anders unser Volk gesunden soll. Und zu welcher seiner volkstümlichen Schriften man auch greifen mag, in jeder findet man den ganzen seltenen Mann. Wenn hier gleichwohl nicht ein einzelnes Ganzes, sondern eine Auswahl geboten wird, so geschah das vor allem in der Hostnung, so zu einer umfassenden Beschäftigung mit Fichte überhaupt anzuregen. Inhalt: Kultur und StaatSverfassung / Über die Bestimmung des Gelehrten / Aus den Gesprächen über „Patriotismus" / Aus den Reden an die deutsche Nation: 8. Rede / Napoleon / Über Glück und Unglück / Von der Macht der Ideen / Stu­ fen der Weltanschauung.

R.QldenbourgVerlag, München undBerlin

Reimanns Weltgeschichte in i^Bänden

Bisher erschienen: BAND I. Prof. Or. Julius Richter: Die Religionen der Völker. IV und 110 Seiten. Gr.-ZO. 1923. Geb. M. 4.—. BAND II. Geh. Rat Prof. Dr. Ulrich Wilcken: Griechische Geschichte im Rahmen der Altertumsgeschichte. VI und 246 Seiten. ®r.=8°. 1924. Geb. M. 5.5o.

BAND III. Dr. Friedrich Cauer: Römische Geschichte. 240 Seiten. Gr. '8°. 192.5. Geb. M. 5.—. BAND IV. Geh. Rat Prof. Dr. Dietrich Schäfer: Rlkittelalter. IV und 164 Seiten. @r.=8°. 1923. Geb. M. 4 60.

BAND VI. Prof. Dr. Ludwig Rieß: Die Basis des modernen Europas. (Weltgeschichte von 1648 uni) 1789). 231 Seiten. @r.-8°. 1923. Geb. M. L.—.

Weiterhin erscheinen: BAND V. Dr. Arnold Reimann: Reformation und Gegenreformation. BAND VII. Geh. Rat Prof. D. Dr. Max Lenz: Französische Revolution 1789—i8i5. BAND VIII. Geh. Rat Prof. Dr. Hermann Oncken: Deutsche Ge­

schichte von 1850— 1890. BAND IX. Geh. Rat Prof. Dr. Hermann Oncken: Zeitalter des

rialismus. 1890 bis zur Gegenwart. BAND X. Geh. Rat Prof. Dr. H. Luckenbach: Kunstgeschichte. BAND XL Prof. Dr. Carl Brinkmann:

Sozial- Und BÄrtschastS-

geschichte. BAND XII. GeheimratC.Schuchardt: Vorgeschichte Europas, insbeson­

dere Deutschlands. BAND XIII. Prof. Dr. R. Sal 0 m 0 n: Geschichte der slawischen 28elt. BAND XIV. Geschichte der deutschen Stammländer und Stämme. 1. Vaden — 2. Elsaß-Lothringen — 3. -Öfterreich-Ungarn — 4- Rheinland — 5. Saargebiet — 6. Nordmark — 7. Kolonien — 8. Geschichte der Ausländs­ deutschen und weitere.

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