Historisches und kritisches Wörterbuch. Eine Auswahl. 9783787320134, 9783787321674

Das 1697 in erster Auflage erschienene "Dictionnaire historique et critique" von Pierre Bayle ist als die &quo

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Historisches und kritisches Wörterbuch. Eine Auswahl.
 9783787320134, 9783787321674

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Pierre Bayle. Stahlstich von J. M. Bernigeroth, Leipzig 1741.

PIERRE BAYLE

Historisches und kritisches Wörterbuch Eine Auswahl

Übersetzt und herausgegeben von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 542

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar.

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag 2003. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Lüderitz & Bauer, Berlin. Einbandgestaltung: Jens Peter Mardersteig. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Vorwort

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VII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Zur vorliegenden Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LVII

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXIX

Pierre Bayle Historisches und kritisches Wörterbuch ACINDYNUS B O N FA D I U S BUNEL . . . C AT I U S . . .

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1 5 12 21

C H RY S I P P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C H RY S I S . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D AV I D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 40 42

DIKAIARCH . . EPIKUR . . . . . H I P PA R C H I A . JONAS . . . . . .

................................ ................................ ................................

.. JUPITER . . . . . . K O N S TA N Z . . . . MÂCON . . . . . . MAMMILLARIER MANICHÄER . . . NICOLE . . . . . . .

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67 81 108

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120 124 142 147 152 157 168

NIHUSIUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180

Inhalt

VI

PA U L I C I A N E R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

PERROT . . . . POMPONAZZI PYRRHO . . . . RIMINI . . . . . RORARIUS . . .

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224 233 257 274 280

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343 356 367 440 445

WEIDNER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XENOPHANES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZABARELLA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449 453 498

ZENON

ELEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517

KLARSTELLUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ERSTE KLARSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZWEITE KLARSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

567 571 582

DRITTE KLARSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIERTE KLARSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

623 641

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

680 693

R UFINUS . . . . . . . . SOMMONA-CODOM SPINOZA . . . . . . . . TA K I D D I N . . . . . . . TURLUPINER . . . . .

VON

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VORWORT

Die ersten Überlegungen zu einer deutschen Auswahlausgabe aus Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique haben die Herausgeber vor nunmehr anderthalb Jahrzehnten angestellt. Sie erwuchsen aus Lehrveranstaltungen, die sie Ende der 1980er Jahre gemeinsam an der Ruhr-Universität Bochum durchführten und die an der Universität Mannheim ihre Fortführung fanden. Denn die den Seminaren zugrunde gelegten Artikel aus Gottscheds deutscher Ausgabe erwiesen sich als unbrauchbar für eine ernsthafte Beschäftigung mit Bayle, und eine modernen Ansprüchen genügende Auswahl aus diesem Werk fehlt seit langem auf dem deutschen Buchmarkt. Die Lektüre des fremdsprachigen Originals aber wird für viele Leser dadurch erschwert, daß Bayle ein nicht gerade einfaches Französisch schreibt, das überdies mit lateinischen und griechischen Zitaten durchsetzt ist, die für das Verständnis oftmals wichtig sind. Das Vorhaben wurde seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre energisch vorangetrieben. Der ursprüngliche Plan, lediglich eine knappe Auswahl aus den philosophisch besonders relevanten Artikeln zu treffen, erfuhr im Verlauf der Übersetzungsarbeit eine gewisse Erweiterung, denn es erschien im Hinblick auf das Interesse anderer geisteswissenschaftlicher und am Aufklärungszeitalter interessierter Fächer wünschenswert, einen etwas umfassenderen Eindruck von Bayles Dictionnaire zu vermitteln. Dank gebührt den Mitarbeitern an diesem Projekt. Katja Weckesser hat große Teile der Übersetzung durchgesehen und hilfreiche Verbesserungsvorschläge gemacht. An der Auffindung und Überprüfung der fremdsprachigen Zitate Bayles hat sie wesentlichen Anteil, außerdem hat sie bei Erstellung der Register mitgearbeitet und die Drucklegung des Bandes mit Sorgfalt und Umsicht begleitet. Simone Brauch hat die franzö-

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Vorwort

sische Textgestalt mehrerer Artikel miteinander verglichen und wertvolle philologische Vorarbeiten geleistet. Bei der Beschaffung der Literatur und bei der Lektüre der Druckfahnen hat Heinz Zell geholfen. Die Erstellung der Druckvorlage lag in den bewährten Händen von Edith Schwantzer. Zu danken haben wir nicht zuletzt der Universitätsbibliothek Mannheim für die nicht immer einfache Beschaffung der von uns gewünschten Literatur. Bochum und Mannheim, im Sommer 2002 Günter Gawlick / Lothar Kreimendahl

EINLEITUNG Was ist denn das? Kaum kann ich unterscheiden ob es etwas oder nichts ist. Das sind keine Argumente, auf die man sich einläßt. Aber daß ihr seht, daß ich es ehrlich meine, so will ich euch helfen, ich will euern Beweisen alle die Stärke geben, die ihr ihnen nicht zu geben im Stande seid, die Stärke, die ihr würdet gegeben haben wenn ihr vernünftige Leute wäret, kurz alle die Stärke deren sie fähig sind, und dann will ich zurücktreten und sie umblasen. Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, D 353.

I. Das Dictionnaire historique et critique1 von Pierre Bayle (1647–1706) ist das einzige »Wörterbuch«, das ein philosophischer Klassiker geworden ist.2 Sein kritischer Geist hat anderen vergleichbaren Werken als Vorlage gedient, darunter der großen französischen Encyclopédie Diderots und d’Alemberts, die ein halbes Jahrhundert später zu erscheinen beginnt und ohne Bayles Dictionnaire nicht denkbar ist,3 ebenso wie Voltaires Dictionnaire philosophique portatif von 1764, das sich als Fortsetzung des Bayleschen Plans verstehen läßt, so wie Voltaire ihn auffaßte.4 Dieser einzigartige Erfolg ist darauf 1

Künftig: Dictionnaire. Zitate daraus werden als DHC unter Angabe des Namens des Artikels sowie von Band, Seite und Spalte folgender Ausgabe gegeben: Dictionnaire historique et critique. Cinquième édition, revue, corrigée et augmentée. Avec la vie de l’auteur par Mr. Des Maizeaux. 4 Bde. Amsterdam, Leiden, La Haye, Utrecht 1740. Ein hinzugefügtes »Art.« verweist auf das Korpus des Artikels. 2 Die Interpretation von Lothar Kreimendahl: Pierre Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch (1697). In: ders.: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Rationalismus und Empirismus. Stuttgart 1994, 314–350, versucht den Charakter des Dictionnaire als philosophisches Hauptwerk herauszuarbeiten. 3 Cf. Denis Lecompte: Raison et foi chez Pierre Bayle, le père du XVIIIe siècle encyclopédiste. Mélanges de science réligieuse 50 (1993), 291. 4 H. T. Mason hat Voltaires Verhältnis zu Bayle eingehend untersucht.

X

Günter Gawlick · Lothar Kreimendahl

zurückzuführen, daß das Werk einerseits weniger, andererseits aber mehr zu bieten hat, als man von einem Lexikon erwartet. Weniger: denn es erhebt aus Gründen, die auch mit seiner Entstehungsgeschichte zusammenhängen, keinerlei Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, kompensiert allerdings die dadurch bedingten Lücken durch oftmals ausufernde Digressionen zu unterschiedlichsten und mitunter überraschendsten Themen. Mehr: denn es beschränkt sich nicht auf die Mitteilung bloßen Faktenwissens, sondern führt dem Leser den subjektiven, kritisch sichtenden und bewertenden Umgang des Verfassers mit dem von ihm Berichteten vor Augen, der dem auf rationale Überprüfung des Überlieferten ausgerichteten neuen Zeitgeist entspricht und diesen weiter fördert. In diesem Umgang mit den Fakten, mehr noch als in dem Berichteten selbst, liegt der Reiz des Dictionnaire, der es zu einem zentralen Werk für die sich um 1690 formierende europäische Frühaufklärung werden ließ, das in den Worten Wilhelm Diltheys zur »Rüstkammer der philosophischen Skepsis und der historischen Kritik für die französische Aufklärung«5 avancierte und von anderen kurz als die »Bibel der philosophes«6 bezeichnet wurde. II. Wie jedes bedeutende philosophische Werk stellt auch Bayles Dictionnaire einen Reflex auf die Zeit dar, in der es entstand und auf die es verändernd einzuwirken suchte. Darüber hinaus ist dieses Werk sehr eng mit der Lebensgeschichte seines Verfassers verbunden, die es deshalb in der gebotenen Kürze zu schildern gilt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß Voltaire sich bei der Konzeption seines Dictionnaire philosophique von Anbeginn an Bayles Dictionnaire orientierte. Pierre Bayle and Voltaire. Oxford 1963, 16 f. 5 Grundriß der allgemeinen Geschichte der Philosophie. Hg. und ergänzt von Hans-Georg Gadamer. Frankfurt/M. 1949, 178. 6 Zitiert nach Rolf Geissler: Tendenzen und Probleme der neueren Forschung zu Pierre Bayle. Beiträge zur romanischen Philologie 7 (1968), 229.

Einleitung

XI

Bayle wurde in der kleinen südfranzösischen Stadt Carla – heute Carla-Bayle – am 18. November 1647 und damit gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges geboren. Die Erschütterungen, die dieser und frühere Konfessionskriege in allen Lebensbereichen nach sich zogen, haben Bayles Leben und Werk geprägt; sein gesamtes Schaffen läßt sich als die Bemühung verstehen, derartige Verwüstungen künftig dadurch zu verhindern, daß er konfessionellen Streitigkeiten durch die Einforderung von religiöser – und in ihrem Gefolge politischer – Toleranz den Boden entzieht. Bayle, mittlerer von drei Söhnen eines protestantischen Pfarrers, hatte schon frühzeitig am eigenen Leibe erfahren, was religiöser Fanatismus zu bewirken vermochte. Durch das Edikt von Nantes (1598) war den französischen Protestanten, einer Minorität im Lande, zwar freie Glaubensausübung und eine gewisse bürgerliche Gleichstellung garantiert worden, doch konnte von einer tatsächlichen Chancengleichheit keine Rede sein; religiös motivierte Verfolgungen waren unter der Herrschaft Ludwigs XIV. an der Tagesordnung. Als das inhaltlich längst ausgehöhlte Toleranzedikt 1685 förmlich widerrufen und der Katholizismus zur Staatsreligion erklärt wurde, führte das zu einem wahren Exodus der Hugenotten, unter dem Frankreich wirtschaftlich erheblich zu leiden hatte. In dieser außerordentlich angespannten Zeit besuchte Bayle zunächst eine calvinistische Schule in seiner Heimat und ging danach an das Jesuitenkolleg von Toulouse. Seine Lehrer verstanden es, ihm die Wahrheit der katholischen Religion so überzeugend darzulegen, daß Bayle zum Katholizismus übertrat (März 1669). Er rekonvertierte aber schon bald (August 1670), weil die gründlichere Glaubensprüfung ihn diesen Schritt als Irrtum erkennen ließ. Aus Sicht des Katholizismus war er damit in die vormalige Irrlehre zurückgefallen und mußte in Frankreich harte Strafen gewärtigen. Sein zweimaliger Religionswechsel blieb Bayle lebenslang in Erinnerung. Er machte ihm klar, daß ein Mensch bei größter subjektiver Aufrichtigkeit eine dennoch objektiv falsche Entscheidung treffen kann. Diese Erfahrung mündete in seine Forderung nach Toleranz gegenüber

XII

Günter Gawlick · Lothar Kreimendahl

Andersgläubigen. Was die Wahrheit oder die wahre Religion ist, können wir nicht wissen, Irrtum ist allemal trotz größter subjektiver Aufrichtigkeit möglich. Also sind wir zwar zur Glaubensprüfung nach bestem Wissen und Gewissen verpflichtet, müssen die Andersgläubigen jedoch dulden, weil die Annahme, diese seien Häretiker, die aufgrund ihres verstockten Herzens nicht den wahren Glauben annehmen wollen, sich als unhaltbar erweist. Bayle ging im September 1670 nach Genf, wo er seine Studien zur calvinistischen Theologie fortsetzte, sein Latein verbesserte und sich mit den aktuellen philosophischen Strömungen und insbesondere mit der Lehre Descartes’ vertraut machte. Er blieb vier Jahre und kehrte erst nach Frankreich zurück, als er hoffen konnte, daß sich der Lärm um seine Rekonversion gelegt haben würde. Er wurde Hauslehrer in Rouen und in Paris (1674), gab diesen Broterwerb aber ein Jahr später für eine Professur an der protestantischen Akademie von Sedan auf, die ihm sein damaliger Freund und späterer erbitterter Gegner, der dortige Theologieprofessor Pierre Jurieu, vermittelt hatte. Bayle nutzte die freie Zeit, die ihm diese Beschäftigung bot, um sich mit dem Werk Spinozas und Malebranches auseinanderzusetzen. Seine philosophischen Bemühungen waren darauf gerichtet, die aristotelische Philosophie, die er in Sedan laut Lehrplan vortragen mußte, mit der modernen mechanistischen Physik zu versöhnen. Als die Akademie von Sedan im Vorfeld der Aufhebung des Edikts von Nantes auf Anordnung des Sonnenkönigs im Juli 1681 geschlossen wurde, trafen ihn die Folgen des religiösen Fanatismus ein zweites Mal, denn er verlor sein Lehramt und damit seinen Lebensunterhalt. Gemeinsam mit Jurieu verließ er Frankreich abermals und ging nach Rotterdam, wo er vor dem Zugriff französischer Behörden in Sicherheit war und bis zu seinem Lebensende ohne nennenswerte Unterbrechungen lebte. Er nahm die Stelle eines Philosophieprofessors an und betrachtete die französisch sprechende Gemeinde der dort lebenden Exil-Hugenotten als seine neue Heimat. Hier publizierte er 1682 sein erstes Werk, den Brief über den Kometen, in

Einleitung

XIII

dem er Aberglauben und Intoleranz geißelt – zwei Themen, die in seinen Werken beständig wiederkehren. Das in Briefform abgefaßte Werk erschien den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend anonym, wie übrigens auch alle anderen Werke Bayles mit Ausnahme des Dictionnaire7. Die Kometenschrift fand sofort großen Zuspruch beim Publikum, so daß Bayle schon im Jahr darauf eine wesentlich erweiterte zweite Auflage herausbringen konnte.8 Nicht weniger erfolgreich war sein nächstes Werk, die innerhalb von nur wenigen Wochen geschriebene und ohne vorherige Korrektur publizierte Critique générale de l’histoire du calvinisme de Mr. Maimbourg (1682), eine Abrechnung mit Maimbourgs Geschichte des Calvinismus, in der Bayle Maimbourgs Behauptung scharf und zugleich witzig zurückwies, die Hugenotten trügen die Schuld an den Religionskriegen und seien subversive Kräfte, die der Staat aus ureigenstem Sicherheitsinteresse notfalls auch gewaltsam unterdrücken müsse. Bayle übt in diesem Werk eine Argumentationsmethode ein, die er in seinen späteren Publikationen und namentlich im Dictionnaire zur vollen Entfaltung bringen wird. Er konfrontiert Maimbourgs Schuldzuweisung mit der mangelnden Überzeugung, die aus der großen Anzahl zwar gut verbürgter, sich aber oftmals widersprechender Zeugnisse notwendigerweise resultiert. Insofern diskutiert Bayle bereits hier das Problem historischer Objektivität. Wo sie – wie zumeist – nicht zu erreichen ist, bleibt dem Historiker außer dem minutiösen Bericht der Fakten nur die Urteilsenthaltung hinsichtlich der etwa aus ihnen zu ziehenden normativen Folgerungen. Der französische Hof, der den ehemaligen Jesuiten Maimbourg protegierte, war empört und ließ Bayles Werk öffentlich vom Henker verbrennen; und da man sich an dem Verfasser selbst nicht rächen konnte, ergriff man Bayles Bruder Jacob und warf ihn in den Kerker, wo er nach mehrmonatiger Inhaftierung im 7

Wie ungewöhnlich es für Bayle war, einem Werk seinen Namen voranzustellen, geht daraus hervor, daß er die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, in der Vorrede zur ersten Auflage ausführlich darlegte. DHC I, S. X f. 8 Sie trug den definitiven Titel Pensées diverses à l’occasion d’une comète.

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Günter Gawlick · Lothar Kreimendahl

November 1685 verstarb. Bayle gab sich eine indirekte Mitschuld am Tode seines Bruders, weil er sich vorwarf, seine Verfasserschaft nicht streng genug geheimgehalten zu haben. Es ist nicht auszuschließen, daß diese persönliche Erfahrung ein Grund dafür war, daß Bayle den Glauben an die göttliche Vorsehung verlor; sicherlich aber bestätigte sie ihn in seiner Forderung nach religiöser Toleranz. Dank der geringen Arbeitsbelastung an der Universität von Rotterdam fand Bayle Zeit, von März 1684 an ein Rezensionsorgan der neuesten Literatur auf den Gebieten der Philosophie, Theologie, Geschichte und Naturwissenschaften im modernen Stil herauszugeben, die Nouvelles de la république des lettres.9 Diese eher journalistische Beschäftigung war eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß er später das Dictionnaire in so kurzer Zeit fertigstellen konnte, denn große Teile der aktuellen Literatur, die er dort in erheblichem Umfang eingearbeitet hat, waren ihm aus seiner Rezensionstätigkeit bekannt. Darüber hinaus ermöglichte ihm diese Aufgabe, mit den führenden Intellektuellen Europas in Kontakt zu treten. Trotz des großen Erfolges der Nouvelles mußte Bayle die Arbeit daran im Februar 1687 jedoch einstellen; er hatte sich übernommen und war erkrankt. Neben der Tätigkeit als Professor und Journalist hatte er nämlich 1686 gleich zwei weitere Werke veröffentlich, die beide seinem Hauptthema »Toleranz« gelten, zunächst das antikatholische Pamphlet Ce que c’est que la France toute catholique und sodann die ersten zwei Teile des Commentaire philosophique sur ces paroles de Jesus-Christ »Contrain-les 9

Zu Bayles Tätigkeit als Redakteur dieses Organs cf. die Studie von Hubert Bost: Un »intellectuel« avant la lettre: Le journaliste Pierre Bayle (1647–1706). L’actualité religieuse dans les »Nouvelles de la république des lettres« (1684–1687). Amsterdam, Maarssen 1994. Bayles Literaturkenntnisse von 1670 bis zum Beginn seiner Publikation der Nouvelles de la république des lettres und ihren Einfluss auf die Herausbildung seiner Überzeugungen hat Ruth Elizabeth Cowdrick untersucht: The Early Reading of Bayle. Its relation to his intellectual development up to the beginning of publication of the »Nouvelles de la république des lettres«. Diss. New York 1939.

Einleitung

XV

d’entrer«. Im Commentaire philosophique reflektiert Bayle abermals die persönliche Erfahrung seines Religionswechsels in jungen Jahren und weitet sie zu einer Apologie für das »Recht des irrenden Gewissens« aus, ein Thema, das, wie die Toleranzforderung auch, seine Wiederaufnahme und vertiefte Fortsetzung im Dictionnaire finden sollte. Im Jahr 1691 spitzte sich der Streit mit seinem früheren Gönner und Freund Pierre Jurieu zu, der ein dogmatischer Calvinist war und in der Nachfolge augustinischer Theologie die Zwangsbekehrung Andersgläubiger nur für den Fall ablehnte, daß sie zugunsten des »falschen Glaubens« erfolgte. Die von Jurieu dadurch versuchte Legitimierung von Gewalt im Namen der – religiösen – Wahrheit mußte angesichts des Glaubenswechsels in seiner Jugend Bayles entschiedenen Widerspruch hervorrufen, und so war der Bruch zwischen Jurieu und Bayle, dem Apologeten religiöser Toleranz, unvermeidbar. Die folgenden Schriften Bayles sind im Kontext dieser heftig und auf beiden Seiten mitunter unschön geführten Auseinandersetzung zu sehen, in der Jurieu schließlich mit Erfolg darauf hinwirkte, daß Bayle seinen Lehrstuhl verlor und ihm auch untersagt wurde, Privatunterricht zu erteilen (Oktober 1693). Immerhin aber hatte Bayle trotz dieser Querelen, die zu philosophisch ganz unergiebigen Schmähschriften führten, es geschafft, im Jahre 1692 ein wissenschaftliches Werk zu publizieren, mit dem er sich in der Gelehrtenrepublik zurückmeldete, nämlich das Projét et fragmens d’un dictionnaire critique, die Keimzelle des späteren Dictionnaire. Während der nächsten Jahre gilt Bayles gesamte Schaffenskraft der Erstellung des Dictionnaire, dessen Drucklegung Ende Oktober 1696 abgeschlossen ist und das, vorausdatiert auf das Jahr 1697, in Rotterdam im Dezember 1696 in vier Teilen in zwei Bänden nach einer nur vierjährigen Arbeitszeit,10 aber unter Verwendung vieler Vorarbeiten, erscheint. 10

Bayle selbst gibt in seiner Vorrede zur ersten Auflage die Arbeitszeit mit Juli 1692 bis Oktober 1696 an (DHC I, S. IV). Die Chronologie der Entstehungsgeschichte des Dictionnaire hat Helena Henrica Maria van

XVI

Günter Gawlick · Lothar Kreimendahl

Mit diesem Werk, das trotz seines enorm hohen Preises raschen Absatz fand und zu einem Bestseller des 18. Jahrhunderts wurde,11 hatte Bayle sich freilich neue Feinde geschaffen. Die Auseinandersetzung mit Jurieu, dessen Programm der Legitimierung der Intoleranz Bayle an mehreren Stellen des Dictionnaire kritisch-polemisch kommentiert hatte,12 blühte auf. Jurieu hatte sich nämlich ebenfalls skeptizistischer Argumente bedient, wollte mit ihnen allerdings nicht religiöse Duldung, sondern die Verfolgung Andersgläubiger rechtfertigen. Und Bayle hatte auch die von Jurieu ohnehin bereits mobilisierte wallonische Kirche Rotterdams endgültig gegen sich aufgebracht. Er habe, so lauteten die Vorwürfe von dieser Seite, die Tugendhaftigkeit der Atheisten allzusehr gelobt, der ketzerischen und kirchlicherseits verurteilten Irrlehre der Manichäer das Wort geredet, den Skeptizismus stark gemacht und über die Offenbarungswahrheiten gestellt sowie zahlreiche Obszönitäten in das Werk einfließen lassen; außerdem habe er das Ansehen des »königlichen Propheten« David in dem ihm gewidmeten Artikel beschädigt. Bayle sah sich zu einer Stellungnahme veranlaßt, die er in vier sogenannten »Klarstellungen« der zweiten und letzten von ihm selbst besorgten Auflage des Lieshout regestenartig zusammengestellt (The Making of Pierre Bayle’s »Dictionaire historique et critique«. With a CD-ROM containing the »Dictionaire’s« library and references between articles. Translated from the Dutch by Lynne Richards. Amsterdam, Utrecht 2001, 259–275). Die Drucklegung des Dictionnaire und Bayles Verhältnis zu seinem Verleger Reinier Leers schildert Otto S. Lankhorst: Naissance typographique du »Dictionnaire historique et critique« de Pierre Bayle. In: Hans Bots (Hg.): Critique, savoir et érudition à la veille des lumières. Le »Dictionnaire historique et critique« de Pierre Bayle (1647–1706). Amsterdam, Maarssen 1998, 3–16. 11 Daniel Mornet hat die Bestände französischer Privatbibliotheken der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgewertet und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß Bayles Dictionnaire in 288 dieser Bibliotheken vorhanden war und damit das mit Abstand am häufigsten vertretene Werk ist. Les enseignements des bibliothèques privées, 1750–1780. Revue d’histoire littéraire de la France 17 (1910), 449–496; hier: 460. 12 Cf. etwa NICOLE, Anm. (C); ZUERIUS BOXHORNIUS, Anm. (P).

Einleitung

XVII

Dictionnaire von 1702 hinzufügte, die der ersten gegenüber fast um die Hälfte vermehrt war;13 ihnen kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil sie aus der Retrospektive geschrieben sind und in mancherlei Hinsicht als seine definitive Stellungnahme zu diesen Themen gelten können. Den Artikel DAVID arbeitete er völlig um und kürzte ihn dabei erheblich. Ob das Anstößige dadurch wirklich gemildert oder durch die gesteigerte Betonung der Autonomie wirklicher Sittlichkeit nicht eher noch stärker zum Ausdruck gebracht wurde, darf als fraglich gelten.14 Damit die Leser sich aber durch Textvergleich davon überzeugen konnten, daß Bayle dem Ansinnen der wallonischen Kirche, der er sich wiederholt zugehörig erklärte, Rechnung getragen hatte, ließ sein Verleger Reinier Leers der Neuauflage den Artikel auch in seiner ursprünglichen Gestalt beibinden. Obwohl Leers dies auf eigene Verantwortung, wenngleich wohl nicht ohne Wissen Bayles getan hatte, lasteten die orthodoxen Kreise diese von ihnen als perfide betrachtete Taktik ihm selbst an; die Kluft zwischen Bayle und seinen calvinistischen Glaubensbrüdern wurde größer. Gebrochen hatte Bayle aber nicht nur mit Jurieu, sondern auch mit dem optimistischen Cartesianismus seiner jungen Jahre. Descartes’ Programm einer auf klare und deutliche Begriffe gestützten Weltsicht, die ihre Ergebnisse mit dem Anspruch geometrischer Evidenz präsentieren kann, erwies sich für ihn als haltlos; der Skeptizismus, für den sich Bayle, wie seine Briefe zeigen, etwa ab 1675 zu interessieren begann, behält stets die Oberhand.15 Das provozierte Angriffe von 13

Vorbericht zur zweiten Auflage, DHC I, S. XIII. 14 Auch für Popkin macht Bayle in diesen »Klarstellungen« »(…) his case even more striking than it was first«. »Introduction« zu: Pierre Bayle. Historical and Critical Dictionary. Selections. Translated, with an introduction and notes, by Richard H. Popkin with the assistance of Craig Brush. Indianapolis 1991 [11965], XVII. 15 Zu Bayles Skeptizismus vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund des 17. Jahrhunderts cf. Richard H. Popkin: Pierre Bayle’s Place in 17th Century Scepticism. In: Paul Dibon (Hg.): Pierre Bayle, le philosophe de Rotterdam. Études et documents (…). Paris, Amsterdam 1959, 1–19 sowie

XVIII

Günter Gawlick · Lothar Kreimendahl

mehreren Seiten. Während es den Anhängern der rationalistischen Fraktion erschien, als spiele er den Glauben und seine übernatürlich verbürgte Wahrheit gegen die Vernunft zu deren Nachteil aus, bezichtigten ihn die Orthodoxen, er mißbrauche die Vernunft zur Düpierung der Offenbarungswahrheiten. Hielten die einen das Dictionnaire für zu katholisch – wie Jurieu –, tadelten französisch-katholische Kreise es als zu sehr in calvinistisch-reformiertem Geist geschrieben. Bayle hatte sich – nicht unvorhergesehen – zwischen alle Stühle gesetzt. Das aber wird für ihn eher eine Bestätigung gewesen sein, daß er das Geschäft des objektiv vorgehenden Historikers16 zuverlässig ausgeübt hatte, weil »die Vollkommenheit eines historischen Berichts darin besteht, für alle Sekten und alle Nationen unangenehm zu sein; denn das ist ein Beweis dafür, daß der Autor weder den einen noch den anderen schmeichelt und allen seine Wahrheiten sagt«.17 Die letzten Schriften Bayles sind sämtlich Antworten auf die Angriffe und Einwände unterschiedlichster Art, zu denen sein Dictionnaire den rationalistischen Theologen – allen voran Jean le Clerc, Isaac Jaquelot und Jacques Bernard – Anlaß gegeben hatte. Das gilt für die ab 1703 in vier Teilen erscheinende Réponse aux questions d’un provincial ebenso wie für die ein Jahr später publizierte Continuation des pensées diverses,

ders.: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley, Los Angeles, London 1979, passim. 16 Bayle beschreibt das Pathos der Objektivität, mit dem der Historiker seine Aufgabe anzugehen hat, im Artikel USSON, Anm. (F) mit folgenden Worten: »Ein Historiker als solcher ist wie Melchisedek vater- und mutterlos und ohne Stammbaum. Wenn man ihn fragt ›Woher stammst Du?‹, muß er antworten, ›Ich bin weder Franzose, noch Deutscher, noch Engländer, noch Spanier usw.; ich bin Weltbürger und stehe weder in den Diensten des Kaisers noch des Königs von Frankreich, sondern einzig in den Diensten der Wahrheit. Das ist meine einzige Königin, ihr allein habe ich den Gehorsamseid geleistet. Ich bin ihr geweihter Ritter und trage als Ordensband denselben Schmuck wie das Oberhaupt der Gerechtigkeit und des Priestertums der Ägypter.‹« DHC IV, 486b. 17

»Vierte Klarstellung«, DHC IV, 654.

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in der Bayle die in der Kometenschrift behandelten Themen wieder aufgreift und vertieft. Diese Auseinandersetzungen erstrecken sich bis an Bayles Lebensende. Der weitgehend apologetische Charakter dieser letzten Werke bringt es mit sich, daß Bayle sich oft wiederholt und aus dem Dictionnaire bekannte Positionen erneut präsentiert. Gelegentlich wartet er aber auch mit neuen Argumenten auf und verwertet Material, das sich im Dictionnaire nicht findet. Bayles letztes Werk, die Entretiens de Maxime et de Thémiste, in dem er sein zentrales Thema, nämlich das Theodizeeproblem, erneut behandelt, erscheint in zwei Teilen posthum 1707. Seine Ergänzungen zum Dictionnaire gingen an den Verleger Leers und wurden in spätere Ausgaben – nicht immer sachgemäß – eingearbeitet. Bayle stirbt am 28. Dezember 1706, vermutlich an Herzversagen infolge einer Tuberkulose. Wenige Stunden vor seinem Tod legte er in einem Schreiben an einen Freund folgendes Bekenntnis ab: »Ich sterbe als christlicher Philosoph, überzeugt und durchdrungen von der Güte und Barmherzigkeit Gottes, und ich wünsche Euch ein vollkommenes Glück.«18 Das ist bestenfalls als christliches Minimalbekenntnis zu werten, denn von Jesus Christus, der Wiederauferstehung oder der Kirche ist keine Rede; jedenfalls reicht dieses Dokument allein kaum aus, um Bayles Fideismus als aufrichtig gemeint zu erweisen.

III. Wie wir aus einem Brief Bayles an seinen Cousin Jean de Naudis erfahren, reicht der Plan zu einem Dictionnaire critique bis ins Jahr 1690 zurück. »Um den November 1690 herum faßte ich den Plan, ein kritisches Wörterbuch zu erstellen, das eine Sammlung der Fehler enthalten sollte, die sowohl den Verfassern von Wörterbüchern wie auch anderen Schriftstellern unterlaufen waren, und das unter jedem Personen- oder Städte18

Der Text dieses Billets ist abgedruckt bei Élisabeth Labrousse: Pierre Bayle. Bd. I : Du pays de Foix à la cité d’Érasme. La Haye 1963, 269.

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namen die Fehler hinsichtlich dieser Person oder dieser Stadt aufführen sollte.«19 Im Jahr 1692 erschien eine Probe dieses geplanten »Dictionnaire« bei Leers in Rotterdam. Es enthielt neben einem Widmungsschreiben an du Rondel20 lediglich 22 vergleichsweise harmlose Artikel und war ausdrücklich als eine Art Versuchsballon gedacht, um die Resonanz in Erfahrung zu bringen, auf die ein solches Unternehmen beim Publikum hoffen konnte. Die Gelehrten, darunter auch Leibniz,21 reagierten zurückhaltend; an den Erfolg einer enzyklopädisch angelegten Sammlung von Fehlern anderer Wörterbücher mochte niemand recht glauben. Bayle trug den Bedenken Rechnung und modifizierte daraufhin seinen Plan,22 wie sich schon an der Erweiterung der Überschrift von einem zunächst nur »kritischen« zu einem jetzt »historischen und kritischen Wörterbuch« ablesen läßt.23 Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Zusatz eine der wesentlichen geistesgeschichtlichen Leistungen Pierre Bayles. Er erhebt das Historische, das im Cartesianismus als bloße »chose de fait« vom Bereich eigentlichen Wissens ausgeschlossen geblieben war und kaum Beachtung gefunden hatte, in den Rang einer Wissenschaft. Bayle will der Diskreditierung des Faktischen abhelfen, und so reflektiert er 19

Brief vom 22. Mai 1692. Lettres de Monsieur Bayle à sa famille. In: Œuvres diverses. Nouvelle édition considerablement augmentée. Bd. I. La Haye 1737, Brief CXIV, S. 161. 20 Auch abgedruckt in DHC IV, 606–615. 21 Leibnizens Stellungnahme liegt vor in: Die philosophischen Schriften. Hg. von C. I. Gerhardt. Bd. VI. Berlin 1885. Reprint Hildesheim, New York 1978, 16–20. Cf. dazu Lorenzo Bianchi, der das wohlwollende Interesse herausstellt, mit dem Leibniz Bayles Schaffen seit den achtziger Jahren verfolgte. Leibniz et le »Dictionnaire« de Bayle. Studia Leibnitiana, Suppl. 27 (1990), 313–324. 22 DHC IV, 615. 23 Zur Entstehungsgeschichte des Dictionnaire im Ausgang von dem Projét cf. Élisabeth Labrousse: Pierre Bayle, a. a. O., Bd. I, Kap. 9, 235–271; Leif Nedergaard-Hansen: La genèse du »Dictionnaire historique et critique« de Pierre Bayle. Orbis Litterarum 13 (1958), 210–227 sowie jetzt Helena Henrica Maria van Lieshout: The Making of Pierre Bayle’s »Dictionaire historique et critique«, a. a. O.

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gleich eingangs des Widmungsschreibens des Projét den Unterschied zwischen »choses de fait« und »choses de droit«24 oder, wie es bei Gottsched heißt, zwischen »Geschichte« und »Wissenschaften«.25 Das Ergebnis lautet, daß historische Ereignisse unter Berücksichtigung der ihnen eigentümlichen Evidenz nicht weniger gewiß sind als die Sätze der Mathematik; im Gegenteil, sie sind zuverlässiger und außerdem für die meisten Menschen auch nützlicher. Es ist nämlich gewisser, daß ein Mensch namens Cicero wirklich gelebt hat, als daß den Gegenständen der Mathematik eine wirkliche Existenz außerhalb des menschlichen Geistes zukommt.26 Bayle macht das Historisch-Faktische stark und spielt es im Dictionnaire immer wieder gegen die spekulativen, abstrakten Einsichten der Vernunft aus, um deren Ansprüche dadurch zu relativieren. Damit das Historische dies aber auch zu leisten vermag, muß es zuverlässig aus den zur Verfügung stehenden Quellen erhoben werden. Dies war bislang jedoch noch nicht in befriedigender Weise geschehen, und insbesondere das Grand dictionnaire historique von Louis Moréri, das erstmals 1674 einbändig erschienen war und einen unglaublichen Erfolg beim Publikum hatte,27 konnte diesem Anspruch nicht gerecht wer24

DHC IV, 606. Cf. dazu die Interpretation des Projét von Isabelle Delpla, die im Ausgang von dem Unterschied zwischen Tatsachen- und Vernunftwahrheiten Bayles methodologische Anweisungen für den Historiker thematisiert. Le »Projét d’un Dictionnaire«: Bayle et le principe de charité. In: Hubert Bost / Philippe de Robert (Hgg.): Pierre Bayle, citoyen du monde. De l’enfant du Carla à l’auteur du »Dictionnaire«. Actes du colloque du Carla-Bayle (13–15 septembre 1996). Paris 1999, 275–301. 25 Historisches und Critisches Wörterbuch, nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen (…) versehen, von Johann Christoph Gottsched. 4 Bde. Leipzig 1741–44. Reprint Hildesheim 1974–78. Bd. IV, 617. 26 DHC IV, 614. 27 Bis zum Jahr 1759 erschienen zwanzig Auflagen, die letzte in mittlerweile zwanzig Bänden. Cf. Gert A. Zischka: Index Lexicorum. Bibliographie der lexikalischen Nachschlagewerke. Wien 1959, S. XXXVII. Bayle lag die fünfte Auflage von Moréris Werk, Lyon 1688, vor. Cf. seine Vorrede zur ersten Auflage, DHC I, S. IX.

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den.28 Bayle will hier die Aufgabe eines Detektivs übernehmen und schonungslos Lücken, tendenziöse Auslassungen, Fehler und Ungenauigkeiten der anderen Wörterbücher – insbesondere aber desjenigen von Moréri – aufdecken.29 Ihn interessiert nicht das Gute, Brauchbare in diesen Werken, sondern das Schlechte, Fehlerhafte und Unzulängliche, das es zu verbessern gilt. Dieses Verfahren entspricht den Stärken Bayles, die nicht im Konstruktiv-Systematischen, sondern ganz im DestruktivKritischen liegen. Sein Beitrag zur Wahrheitsförderung ist das Aufspüren und Ausmerzen des Falschen. Die Enttarnung des bloß eingebildeten Wissens als Scheinwissen kränkt zwar den Stolz des Menschen und demütigt ihn, bewirkt aber damit ein moralisches Gut, das Bayle nicht müde wird, immer wieder herauszustellen. Denn das Mißtrauen, das der Mensch aufgrund des beständigen Scheiterns seiner Versuche, zuverlässige Erkenntnis zu erlangen, seiner Vernunft schließlich entgegenbringt, befördert das Gefühl seiner Nichtigkeit und bereitet ihn darauf vor, wahre und dauerhafte Erkenntnis von anderer Seite als von seiner Rationalität, nämlich vom Glauben, zu erhoffen. Diejenigen Interpreten, die Bayles Position als Fideismus klassifizieren, können unter Verweis auf das Projét geltend machen, daß Bayle sein fideistisches Programm spätestens 1692 vor Augen hatte. Diese Berichtigung der Fehler geschieht nicht etwa stillschweigend und beiläufig, sondern mit großem Gestus. Bayle listet die vielen, oft durchnummerierten Irrtümer Moréris geradezu genüßlich auf und korrigiert sie dann. Dadurch düpiert er Moréri und sein an den Interessen des Katholizismus orientiertes Dictionnaire, das durch seine tendenziöse Schwerpunktsetzung ohnedies auf Ablehnung bei den im Exil lebenden Hugenotten stieß. Es liegt auf der Hand, daß diese Zurschaustellung der Schwächen des Werks von Moréri auch kommerzielle Gründe hatte. Leers wollte nämlich am finanziellen Erfolg des Grand dictionnaire historique teilhaben, das offensichtlich ein 28 29

Vorrede zur ersten Auflage, DHC I, S. II. DHC IV, 608.

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Bedürfnis der Leserschaft befriedigte, und hatte Bayle deshalb nach dem Verlust seiner Rotterdamer Professur ein bescheidenes Jahresgehalt angeboten, wenn er für ihn ein ähnliches Werk schreiben würde. Bayle nahm an, und da lag es schon aus marktstrategischen Gesichtspunkten nahe, den Leser auf die Unzulänglichkeiten des Konkurrenzunternehmens hinzuweisen. Absatzsteigernd sollten sich auch kleine, in die Artikel eingestreute Anekdoten auswirken, denn das Dictionnaire ist, wie Bayle weiß, ein an sich trockenes Werk, das aber für den Gebrauch und die Fähigkeiten aller Welt gedacht ist30 und deshalb auch dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkommen muß. Manchem Leser erschien es freilich, daß Bayle hier des Guten etwas zu viel getan hatte, denn nicht wenige Artikel sind mit beinahe pornographisch zu nennenden Einschüben gespickt, so daß Bayle der zweiten Auflage eine lange »Klarstellung« zur Rechtfertigung dieser Obszönitäten beigeben mußte.31 Bayle bringt auf den knapp 3300 großflächigen Folio-Seiten, auf die das Dictionnaire in der Ausgabe des Jahres 1740 angewachsen ist, ausweislich des Inhaltsverzeichnisses32 2050 Artikel33 von sehr unterschiedlichem Umfang und Informationsgehalt.34 In dem nur vier Zeilen umfassenden Artikel über Jacques Caniceus teilt er lediglich mit, daß er über diesen Autor nichts habe ermitteln können;35 der längste Artikel, der dem Philosophen Spinoza gewidmet ist, wächst sich hingegen zu einer eigenen Abhandlung aus.36 Bei den Artikeln handelt 30

DHC IV, 609. DHC IV, 647–664. 32 DHC IV, 705–710. 33 Élisabeth Labrousse zählt 2044 Artikel (Pierre Bayle, a. a. O., Bd. II, 194, Fußn. 32), Hubert Bost 2038 (Pierre Bayle et la religion. Paris 1994, 77) und Antony McKenna 1950 (»Introduction« zu Pierre Bayle: Témoin et conscience de son temps. Un choix d’articles du »Dictionnaire historique et critique«. Présentés et édités par Antony McKenna. Paris 2001, 23). 34 Zum Aufbau der Artikel cf. unten »Zur vorliegenden Ausgabe«. 35 DHC II, 37. 36 DHC IV, 253–271. Bayles sämtliche Stellungnahmen zu Spinoza füllen 31

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es sich fast ausschließlich um Personen- und Städteartikel. Einige Artikel gelten Gestalten der Mythologie, andere bestimmten politischen oder religiösen Gruppierungen. Bayles Auswahl überrascht; sie erscheint auf den ersten Blick als sehr unausgewogen und ist es auch. So gibt es etwa einen Artikel über Aristoteles, aber keinen über Platon; der Religionsstifter Mohammed ist ausführlich berücksichtigt, Jesus nicht. Von den großen Gestalten der modernen Philosophie sind Hobbes, Pascal und Spinoza präsent, aber Descartes ist nicht vertreten. Bayle läßt seinen persönlichen Interessen und Vorlieben freien Lauf, und sogar innerhalb der aufgenommenen Artikel nimmt er mitunter sehr eigenwillige Schwerpunktsetzungen vor und blendet bestimmte Aspekte des jeweiligen Themas, so relevant sie auch sein mögen, völlig aus. So ist beispielsweise im Artikel über Epikur von dessen hedonistischer Ethik, wegen der er lange Zeit verfemt war, kaum die Rede. Bayle interessiert sich für ihn hauptsächlich wegen seiner kosmologischen Theorie, die er für die bei weitem beste und konsequenteste der Antike hält.37 Andere Artikel wiederum – wie etwa SOMMONA-CODOM – sind ausdrücklich nur deshalb aufgenommen worden, damit Bayle Gelegenheit hatte, ein anderswo begonnenes Thema fortzusetzen oder Einwände zu beantworten.38 Daß die großen Naturwissenschaftler des 17. Jahrhunderts – von wenigen Ausnahmen abgesehen39 – nicht mit eigenen Artikeln vertreten sind, erklärt sich daraus, daß Bayle von Naturwissenschaften und Mathematik verhältnismäßig wenig verstand. Gleichwohl kommt er bei gegebenem Anlaß auf sie zu sprechen.40 einen eigenen Band. Françoise Charles-Daubert und Pierre-François Moreau haben sie zusammengestellt: Pierre Bayle: Écrits sur Spinoza. Paris 1983. 37 EPIKUR, Anm. (S). 38 Die Überschrift der Anmerkung (A) dieses Artikels lautet: »Ich spreche nur deshalb von ihm, um eine Gelegenheit zu haben, einen (---) Einwand zu prüfen, den mir du Rondel gemacht hat.« DHC IV, 237a. 39 Johannes Kepler stellt eine solche dar. 40 So wird Newton beispielsweise zwar an mehreren Stellen, insgesamt aber doch eher beiläufig erwähnt, z. B. LEUKIPP, Anm. (G); RICIUS, Anm. (C); ZENON VON ELEA, Anm. (I).

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Die Rechtfertigung seiner Auswahl, die Bayle in der Vorrede zur Erstauflage gibt, ist nicht recht befriedigend. Die Buntscheckigkeit seines Dictionnaire, das enzyklopädische Vollständigkeit weder anstreben kann noch will, erklärt er u. a. damit, daß er nichts von dem wiederholen wollte, was schon in anderen Wörterbüchern und namentlich bei Moréri zutreffend gesagt worden war. Und da thematische Wörterbücher zu bestimmten Wissensgebieten bereits existieren oder im Erscheinen begriffen sind, fehlen hier, so sagt er, Artikel zu biblischen Gestalten und Personen des 16. Jahrhunderts. Tatsächlich jedoch findet sich eine ganze Reihe von Artikeln zu Gestalten der Bibel, und diese zählen übrigens zu den brisantesten des ganzen Werks.41 Außerdem sind, worauf Élisabeth Labrousse42 hingewiesen hat, die cisalpinen und unter diesen insbesondere die französischen Humanisten und Gelehrten des 16. Jahrhunderts sehr stark berücksichtigt, wodurch sich das Dictionnaire von anderen zeitgenössischen Enzyklopädien abhebt. Es scheint, daß Bayle nur ein einziges Prinzip konsequent befolgt hat, nämlich keine noch lebenden Personen in sein Dictionnaire aufzunehmen; selbst die Zahl der an seine Lebenszeit heranreichenden Gestalten ist gering. Eine weitere Eigentümlichkeit des Dictionnaire besteht darin, daß Bayle die Behandlung eines Themas mitunter auf zwei oder auch mehrere Stichworte verteilt und sie auch nicht selten an Orten wieder aufgreift, an denen man damit kaum gerechnet hätte. Die Namen der Artikel können dem Leser daher nur sehr eingeschränkt als Orientierungshilfe in Sachfragen dienen; Bayle neigt zur dezentralen Behandlung seines Stoffs. 41

An erster Stelle ist hier der Artikel DAVID zu nennen. Aber auch in anderen hier einschlägigen Artikeln wie z.B. denen über Abraham und Sara schildert Bayle moralische Verfehlungen religiös verehrter Personen. 42 Ihr zweibändiges Werk Pierre Bayle. Bd. I: Du pays de Foix à la cité d’Érasme. Bd. II: Hétérodoxie et rigorisme. La Haye 1963–64. Reprint von Bd. II, Paris 1996, hat der Forschung neue Wege gewiesen und ist für jede ernsthafte Beschäftigung mit Bayle unverzichtbar. Aus ihrer Feder stammt auch die beste Kurzdarstellung: Bayle. Translated by Denys Potts. Oxford 1983.

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Ein Beispiel für die Entzerrung eines Themas ist die wiederholte Behandlung der Frage nach der Vernünftigkeit der Tiere in den Artikeln PEREIRA und RORARIUS, ein Beispiel für die dezentrale Behandlung ist die Auseinandersetzung mit Leibnizens Lehre von der prästabilierten Harmonie im Artikel RORARIUS, die hier zur Überraschung des Lesers eine Art Appendix zum eigentlichen Thema bildet. Für dieses befremdlich erscheinende Verfahren sind mehrere Gründe verantwortlich. Bayle selbst führt als einen ausschlaggebenden Umstand seine Absicht an, eine gewisse Proportionalität zwischen den Buchstaben des Alphabets zu wahren. Das führte dazu, so läßt er den Leser wissen, 43 daß er die Behandlung einiger Themen auf spätere Artikel verschob. Dieses Verfahren hat er in der Tat so oft praktiziert, daß man, um seine Auseinandersetzung mit einer bestimmten Thematik insgesamt zu überblicken, nicht selten gleich eine ganze Reihe von Artikeln konsultieren muß. Dennoch hat er die angestrebte Ausgewogenheit nicht erreicht. Der erste Band umfaßt lediglich die Buchstaben A und B, der letzte die zehn Buchstaben von Q bis Z. Diese bemerkenswerte quantitative Unwucht mit Schwerpunkt auf Band I und die thematisch inhomogene Konzeption des Dictionnaire – mit fortschreitender Arbeit rückten die philosophischen Probleme immer stärker in den Vordergrund – gründen nicht zuletzt in den Bedingungen, unter denen Bayle arbeiten mußte. Hier ist zunächst der wiederholt beklagte akute Büchermangel zu nennen,44 der Bayle oftmals zwang, die Erörterung einer Frage zu vertagen, denn selbstverständlich besaß er nicht alle erforderlichen und von ihm zitierten Werke45 und mußte sie manchmal mehrfach anfordern, wenn ihre

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DHC I, S. VIII. So klagt er schon unter dem 31. Mai 1696 Constant gegenüber: »Ce qui me retarde beaucoup, c’est que n’aiant pas sous ma main tous les Livres qu’il faut que je consulte, je suis obligé d’attendre jusques à ce que je les aie fait chercher, quand quelque personne de cette ville les a.« Brief CLXXXI, Œuvres diverses. Nouvelle édition, a. a. O., Bd. IV, 720. 45 Helena Henrica Maria van Lieshout schätzt die Bibliothek von Pierre 44

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Berücksichtigung sich für weitere als den ursprünglich ins Auge gefaßten Artikel als erforderlich erwies. Waren die gewünschten Werke dann eingetroffen, nutzte er die erste sich bietende Gelegenheit zur Fortsetzung der Diskussion, manchmal an den entlegensten Stellen. Sodann ließ Leers die Artikel drucken, sobald Bayle sie fertiggestellt hatte, nachträgliche Korrekturen bzw. Ergänzungen aufgrund neu eingetroffenen Materials waren so gut wie unmöglich, was ebenfalls zu einer entzerrten Behandlung ein und derselben Thematik führte. Ferner war sich Bayle sehr wohl bewußt, daß Bücher wie sein Dictionnaire nicht geschrieben sind, um Seite für Seite gelesen zu werden.46 Sollten seine Ansichten den Leser erreichen, mußte er sie also an mehreren Orten seines Werks einstreuen; Redundanzen waren insofern nicht nur unvermeidlich, sondern integraler Bestandteil der Bayleschen Methode. Nicht zuletzt wird Bayle aber auch den Vorteil geschätzt haben, den diese entzerrende Behandlungsweise gerade der brisantesten Themen einem Autor einträgt, der am eigenen Leibe Verfolgungen erduldet hatte. Das Versteckspiel, das die am Beginn des Zeitalters der Aufklärung stehenden Autoren, die für eine Liberalisierung des intellektuellen Klimas eintraten, zu beachtlicher Vollkommenheit entwickelt haben,47 beherrscht auch Bayle. Dabei versteht er es, den Leser auf das zwischen den Zeilen Stehende hinzuweisen und ihn auf seine Seite zu ziehen. Bayle macht ihn zum Bundesgenossen in eigener Sache und entläßt ihn doch zumeist, ohne eine definitive Antwort auf die kontrovers diskutierten Probleme gegeben zu haben. Die Frage, welche Meinung Bayle zu einem bestimmten Thema vertritt, bleibt häufig offen. Das widerspricht zwar der Natur eines Wörterbuchs, von dem man objektive und verläßliche Bayle auf etwa zweitausend Bände – eine angesichts der Masse der im Dictionnaire verarbeiteten Literatur eher geringe Zahl. The Library of Pierre Bayle. In: Eugenio Canone (Hg.): Bibliothecae selectae. Da Cusano a Leopardi. Firenze 1993, 281–297; hier: 284. 46 DHC I, S. VI. 47 Cf. Leo Strauss: Persecution and the Art of Writing. Glencoe (Illinois) 1952, 22–37.

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Information erwartet, es entspricht aber dem Geist der sich formierenden Aufklärung, für den kritische Fragen oftmals wichtiger sind als definitive Antworten. Es ist dieser Geist schonungsloser rationaler Prüfung aller Gegenstände, der Bayles Dictionnaire auszeichnet und der die Attraktivität ausmacht, die von ihm weit über das 18. Jahrhundert hinaus ausgeht.

IV. Bayle ist nicht nur kein systematischer Denker, der auf die Errichtung eines in sich schlüssigen, kohärenten Gedankengebäudes aus wäre, wie man es etwa von Descartes, Malebranche, Spinoza oder Leibniz her kennt; er ist zudem auch ein sehr inkonsistenter Denker, der sich um die Vereinbarkeit der voneinander abweichenden und sich mitunter geradewegs widersprechenden Resultate, zu denen seine Analysen führen, herzlich wenig kümmert. Das gilt nicht nur für die Inkonsistenzen zwischen verschiedenen seiner Werke, es gilt auch für die nicht wenigen Unvereinbarkeiten innerhalb seines Dictionnaire. Deshalb ist es die Aufgabe des Philosophiehistorikers, seine verstreuten Thesen zu bündeln und zu systematisieren. Es hat den Anschein, als gebe es nicht den einen Bayleschen Geist, sondern eine Vielzahl von esprits, aus denen heraus Bayle schreibt. Er ist in diesem Sinne eine intellektuell multiple Persönlichkeit. Die Deutungsvielfalt, zu der Bayles Werk geradezu einlädt, hat einige Interpreten dazu geführt, sich auf bestimmte Tendenzen seines Denkens zu konzentrieren und sonstige Aspekte auszublenden, so wichtig sie in bestimmten Zusammenhängen auch sein mögen. Andere wiederum haben beinahe resignierend den Versuch aufgegeben, einen einheitlichen Standpunkt auszumachen, von dem aus Bayles divergierende Äußerungen zu verstehen wären. Vielmehr müsse man, wie Thomas M. Lennon jüngst versichert hat,48 Bayle als einen dialogisch denkenden und schreibenden Philosophen verste48

Thomas M. Lennon: Reading Bayle. Toronto, Buffalo, London 1999.

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hen, der die Dialogpartner, d. h. die von ihm behandelten Philosophen, jeweils für sich selbst sprechen läßt, ohne die Zusammenführung der jeweils eingenommenen Perspektiven zu einem höheren, einheitlichen Standpunkt auch nur zu beabsichtigen. Bayle steuere diese Dialoge nicht eigentlich, sondern lasse ihrer in der Sache begründeten Eigendynamik freien Lauf mit dem Ergebnis, daß es keine definitiven Sieger oder Verlierer in den Auseinandersetzungen gebe. Entgegen diesem Interpretationsansatz, der sich gewissermaßen als der kleinste gemeinsame Nenner für die Deutung Bayles anbietet und der den Arbeiten, die Bayle als Atheisten, Deisten, Fideisten oder Skeptiker, als Calvinisten, Sozinianer oder Manichäer, als rationalistischen Theologen, Materialisten, Kritiker des Christentums bzw. aller Offenbarungsreligionen, als Aufklärer oder Apologeten religiöser Toleranz verstehen, samt und sonders ihre eingeschränkte Berechtigung läßt, wird man Bayle, sofern man ihn als Philosophen würdigen will, doch die Verfolgung eines bestimmten Zieles unterstellen müssen, wenngleich es ihm selbst nicht mit letzter Deutlichkeit vor Augen gestanden haben mag und sich folglich bei ihm nicht ausdrücklich formuliert findet. Dieses Bayles philosophischen Bemühungen zugrundeliegende Programm lautet, das notwendige Scheitern aller Versuche darzutun, mittels vernünftiger Einsicht zu einer geschlossenen Weltsicht zu gelangen. Substruiert man den philosophischen Artikeln des Dictionnaire diese Absicht, dann lassen sich seine mitunter stark voneinander abweichenden Ausführungen insgesamt als Bemühungen verstehen, jedes vorgefertigte Weltbild, jede Theorie und jede Hypothese über einen beliebigen Gegenstand als letztlich haltlos zu erweisen. Bayle führt diesen Nachweis in der Tat von wechselnden philosophischen Grundpositionen aus, deren Vereinbarkeit miteinander er nicht reflektiert, geschweige denn, daß er ein solches konziliatorisches Geschäft in Angriff nähme. Er macht sich vielmehr das Nomadendasein des Skeptikers zunutze, von dem Kant spricht.49 49

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und

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Dieses destruktive Programm ist für Bayle freilich kein Selbstzweck; ihn als einen bloßen Skeptiker zu verstehen, der alle vorfindlichen Systeme und Welterklärungshypothesen als solche zu Fall bringen möchte, greift zu kurz. Wie vor ihm die antiken Skeptiker und in der Neuzeit Descartes, instrumentalisiert Bayle den Skeptizismus vielmehr zur Erreichung seines eigentlichen Zieles, nämlich der Einforderung von religiöser und politischer Toleranz.50 Die Skeptiker Griechenlands hatten alle vermeintlichen Vernunfteinsichten zu destruieren gesucht, um vor etwa aus ihnen abgeleiteten sittlichen Forderungen in Sicherheit zu sein und so die Ataraxie zu erreichen; Descartes hatte in den Meditationen über die Erste Philosophie skeptische Argumente eingesetzt, um das Ich als den ersten, unhintergehbaren Ausgangspunkt aller Philosophie zu erweisen. Bayle nun glaubt, den Skeptizismus nutzen zu können, um mit ihm das Scheitern aller philosophischen – und theologischen – Erklärungsversuche der Welt nachzuweisen und auf dieser Basis dann zum einen und ganz unmittelbar die Toleranzforderung zu erheben. Denn wenn die Wahrheit unausgemacht ist und – wie er an einigen Stellen für einen Skeptiker etwas voreilig annimmt – für den Menschen auch bleiben wird, dann gibt es keinen rational einsehbaren Grund, ihn auf eine bestimmte Weltsicht festzulegen und zu einem bestimmten religiösen oder politischen Bekenntnis zu nötigen.51 Zum anderen zweiten Original-Ausgabe neu hg. von Raymund Schmidt. Hamburg 1971, Vorrede zur ersten Auflage, A IX. 50 So bereits Ernst Cassirer: »Nicht die wissenschaftliche Einsicht, sondern die religiöse Duldung ist der Endzweck, auf den seine (sc. Bayles) Aufklärung abzielt.« Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. I. Reprint der 3. Aufl. 1922, Darmstadt 1974, 598. 51 Ganz in diesem Sinne heißt es bei Élisabeth Labrousse: »Dieses Thema (sc. die religiöse Toleranz) beschäftigte ihn so sehr, dass man sich mit Recht fragen kann, ob sein Skeptizismus nicht zweitrangig ist angesichts des fundamentalen Anliegens, den politischen und gesellschaftlichen Autoritäten das Recht zur Bestrafung religiöser Überzeugungen abzusprechen«. Art. Pierre Bayle. In: Friedrich Ueberweg: Grundriss der Geschichte der

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dienen Bayle die in Trümmer gelegten Hypothesen dazu, den Sprung in den Glauben zu erzwingen und seinen Fideismus zu etablieren.52 Allein dieser Fideismus ist ebensowenig wie der Skeptizismus Bayles eigentliches Ziel. Denn der empfohlene Glaube ist als Orientierungsgrundlage für das Handeln völlig bedeutungslos; Bayle rückt ihn immer wieder in möglichst große Distanz zur Rationalität und zeigt damit seine Unfaßbarkeit für die Vernunft auf, die nicht das Geringste von ihm zu begreifen vermag; nicht einmal die bloße Existenz Gottes kann sie verbürgen.53 Dennoch beruht die Anziehungskraft des Glaubens auf eben den für die Vernunft nicht einsehbaren Mysterien. »Alle Endzwecke der Religion finden sich besser in den Dingen, die man nicht versteht; sie flößen mehr Bewunderung, mehr Respekt, mehr Furcht, mehr Vertrauen ein.«54 Bayle wendet sich entschieden gegen den Versuch einer Rationalisierung der Offenbarungswahrheiten,55 wie ihn etwa Spinoza in seinem Tractatus theologico-politicus von 1670 in Angriff genommen hatte; selbst eine rationale Legitimation zur Annahme eines bestimmten Glaubensbekenntnisses wird ausdrücklich als unmöglich abgelehnt.56 Der empfohlene, blinde Glaube ist der Vernunft also zwar unendlich überlegen, aber Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 2: Frankreich und Niederlande. Hg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel 1993, 1037. 52 Zu Bayles Versuch, mittels des Skeptizimus den Fideismus zu begründen, und den damit verbundenen Problemen cf. Lothar Kreimendahl: Das Theodizeeproblem und Bayles fideistischer Lösungsversuch. In: Richard H. Popkin / Arno Vanderjagt (Hgg.): Scepticism and Irreligion in the 17th and 18th Centuries. Leiden 1993, 267–281. 53 Den Gottesbeweis der dritten cartesischen Meditation findet Bayle zwar ausgezeichnet, aber für philosophisch nicht geschulte Leute ohne Wert. Thèses philosophiques. In: Œuvres diverses, a. a. O., Bd. IV, 143. 54 SOCIN, Faustus, Anm. (H); DHC IV, 231b. In demselben Sinne äußert er sich im Artikel ARISTON, Anm. (C); DHC I, 321a. 55 So in der Digression über die Frage, »Ob die Verwerfung der Mysterien ein gutes Mittel ist, um Anhänger anzuziehen« in der Anm. (H) des Artikels SOCIN, Faustus; DHC IV, 231a–232a. 56 NIHUSIUS, Anm. (H).

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»quod supra nos nihil ad nos«, wie Bayle in Anlehnung an einen Ausspruch des Sokrates sagt; was über uns ist, geht uns nichts an.57 Wie sollen wir unser Handeln an einem Glauben ausrichten, den wir nicht fassen können?58 Die Religion wird also von Bayle teils in offenen Worten, teils zwischen den Zeilen in ihrer Bedeutsamkeit trotz seines ausdrücklich wiederholten fideistischen Bekenntnisses zu ihr derart ausgehöhlt, daß sie als Handlungsorientierung praktisch verabschiedet wird. Mit diesem Ergebnis ist zum einen abermals die autonome Sittlichkeit gestärkt und zum anderen dem Anspruch kirchlicher Autoritäten auf offensive Vertretung des »wahren Glaubens« der Boden entzogen; Toleranz in Glaubenssachen ist die einzig mögliche Konsequenz.59 Die Realisierung dieses Programms nimmt Bayle auf doppelte Weise in Angriff. Zum einen beteuert er immer wieder, daß die Vernunft ein für konstruktive Zwecke völlig untaugliches Erkenntnisinstrument ist. Zum anderen versucht er ihr tatsächliches Ungenügen anhand einer Vielzahl philosophischer und rationaltheologischer Fragen zu erweisen, bei deren Beantwortung sie in Aporien und Antinomien gerät. Was das erste betrifft, so zitiert Bayle als Kronzeugen für seine Auffassung von der Verderbtheit der Vernunft an vielen Stellen des Dictionnaire60 den Apostel Paulus mit dem Vers, in dem er die Gefangennahme der Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens empfiehlt.61 Aber er beläßt es nicht bei der Anführung dieser und ähnlicher Bibelstellen, sondern weist dar57 58

ARISTON, Anm. (C); DHC I, 321a.

Auch Cassirer fragt sich, »(…) welcher Wert bleibt noch einer Religion, die unseren Verstand mit dunklen Rätseln quält und die sich der Einwirkung auf unseren sittlichen Willen grundsätzlich begeben muß?« Das Erkenntnisproblem, a. a. O., Bd. I, 598 f. 59 Bayles Begründung der Toleranzforderung steht in großer Nähe zu der von John Locke in der Epistola de tolerantia entwickelten. Zur Einflußfrage cf. P.J.S. Whitmore: Bayle’s Criticism of Locke. In: Paul Dibon (Hg.): Pierre Bayle, le philosophe de Rotterdam, a. a. O., 81–96, bes. 92 f. 60 So bereits in der Vorrede zur ersten Auflage, DHC I, S. VII. 61 2. Korinther 10, 5.

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über hinaus die Unbrauchbarkeit der Vernunft als solcher mit den Mitteln der pyrrhonischen Skepsis nach. Dies geschieht am nachdrücklichsten in den Artikeln PYRRHO und ZENON VON ELEA, die deshalb für die Einschätzung des Bayleschen Skeptizismus von herausragender Bedeutung sind und unter diesem Aspekt immer schon besondere Beachtung erfahren haben.62 Die skeptischen Argumente, die Bayle zur Desavouierung der Vernunft anführt, sind zwar allesamt nicht neu, sondern bereits der Antike bekannt.63 Er schmiedet sie aber zu einem mächtigen Instrument um und lenkt ihre Stoßkraft in die von ihm gewünschte Richtung, um mittels des Skeptizismus den Fideismus zu empfehlen. Der Vernunft wohnt nämlich keine auf die Entdeckung der Wahrheit ausgerichtete Kraft inne; sie ist vielmehr ein Instrument, mit dem man jede beliebige Aussage zu stützen vermag, darin einem Wetterhahn vergleichbar, der sich in jede beliebige Windrichtung drehen kann.64 Somit ist sie jedem beliebigen Zweck dienstbar; Luther sprach nicht zu Unrecht von der »Hure Vernunft«. Ihre wahre Stärke liegt in der Auffindung von Einwänden und Schwierigkeiten, nicht in der Lösung von Problemen.65 Hierbei schießt sie freilich übers Ziel hinaus, denn ihrer destruktiven Kraft läßt sich nicht an der gewünschten Stelle Einhalt gebieten; sie geht weiter und paralysiert nicht nur den Irrtum, sondern auch die Wahrheit. Sie ähnelt unter diesem Gesichtspunkt den ätzenden Pulvern, die, nachdem sie 62

So beispielsweise auch bei Popkin, der in seinem Beitrag Pierre Bayle’s Place in 17th Century Scepticism, a. a. O., bes. 3–12, den Artikel über Pyrrho ins Zentrum seiner Analyse stellt. Antonia M. Alberti legt den Schwerpunkt auf den Artikel ZENON VON ELEA, in dem sie überdies eine wichtige Quelle für Humes Lehre von Raum, Zeit und Ausdehnung erblickt, wie dieser sie im Treatise of Human Nature dargelegt hat. Empirismo e metafisica alle origine della scienza moderna. Bologna 1977, 139– 186. 63 Cf. Malte Hossenfelder: Perversion der Skepsis. Philosophische Rundschau 34 (1987), 215. 64 HIPPARCHIA, Anm. (D); DHC II, 768b. 65 LUKREZ, Anm. (F); DHC III, 210b.

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das wilde Fleisch einer Wunde vernichtet haben, das gesunde Fleisch angreifen, dann die Knochen anfressen und sie schließlich bis aufs Mark zersetzen.66 Also hat sie keine bauende, konstruktive, sondern lediglich eine zerstörende, destruktive Potenz und taugt insofern nur dazu, dem Menschen sein natürliches intellektuelles Unvermögen aufzuzeigen, macht ihn aber eben dadurch zur Annahme einer anderen Wahrheitsquelle geneigt, welche die Offenbarung ist.67 So ist der Glaube der Vernunft überlegen; er schützt wie ein dicker, undurchdringlicher Mantel vor all ihren Angriffen.68 Das ist der Fideismus, zu dessen Etablierung Bayle den Skeptizismus einsetzt. Dieses Verfahren zog freilich sogleich den Verdacht auf sich, Bayle bekenne sich nur deshalb immer wieder zum Fideismus, weil er im Schutze seiner Hinwendung zur Offenbarungsreligion die Glaubenswahrheiten einer schonungslosen rationalen Überprüfung unterziehen konnte, was er andernfalls nicht hätte wagen dürfen; sein Bekenntnis sei also ein leicht zu durchschauendes taktisches Manöver. In Wahrheit nämlich sei er von der Durchschlagskraft seiner Einwände überzeugt und folglich ein Kryptoatheist.69 Bayle läßt es nicht bei dieser gleichsam auf apriorische Gründe gestützten Diskreditierung der Vernunft bewenden, sondern tritt – zweitens – den Nachweis der Insuffizienz der Vernunft auf aposteriorischem Wege an, indem er ihre Unfähigkeit aufweist, in den zentralen Fragen der Philosophie und insbesondere der Rationaltheologie zu gesicherten, zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen. Man kann der fehlenden Systematik seiner Ausführungen dadurch abhelfen, daß man ihnen die Absicht unterlegt, die Fehlschläge der Vernunft auf den drei Feldern der rationalen Kosmologie, Psychologie und 66 67

ACOSTA, Anm. (G); DHC I, 69a.

Dieses Argumentationsmuster kehrt an unzähligen Stellen des Dictionnaire geradezu toposartig wieder. Cf. etwa MANICHÄER, Anm. (D); DHC III, 306b. 68 PERROT, Anm. (L) ; DHC III, 684b. 69 So zuletzt noch Gianluca Mori: Bayle philosophe. Paris 1999, 9.

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Theologie aufzuzeigen, in welche die metaphysica specialis seit Descartes gewöhnlich eingeteilt wird. Selbstverständlich behandelt Bayle nicht alle der hierher gehörenden Themen, wohl aber die wichtigsten. Er prüft die unterschiedlichen Lehren und Hypothesen, die als Antwort auf die philosophischen Fragen nach dem Weltganzen, der Seele und Gott gegeben worden sind, und gelangt jedesmal zu dem Ergebnis, daß die angebotenen Lösungen nicht zu leisten vermögen, was sie zu leisten vorgeben: eine vernunftgegründete Theorie der Dinge, die in sich schlüssig ist und zugleich den Phänomenen gerecht wird, die es zu erklären gilt. Denn das sind die beiden unabdingbaren Forderungen, die an jede Theorie zu stellen sind.70 Um dieses Ergebnis zu erreichen, bedient sich Bayle gelegentlich einer ahistorischen Methode. Denn es ist ihm nicht daran gelegen, über schwach vorgetragene Theoreme einen leichten Sieg zu erringen. Deshalb macht er die jeweils zu prüfende Lehre zunächst so stark wie möglich. Zu diesem Zweck unterstützt er beispielsweise Philosopheme antiker Denker mit Argumenten der neuzeitlichen Philosophie, d. h. hauptsächlich mit Lehrstücken aus der Philosophie Descartes’ und des Occasionalisten Malebranche, den er für den größten Philosophen seines Zeitalters hält. Wenn er im folgenden dann die Unzulänglichkeit der solchermaßen aufgerüsteten Position nachweist, darf er nicht zu Unrecht glauben, ihre grundsätzliche Unhaltbarkeit aufgezeigt zu haben. Insofern ist das ahistorische Verfahren Ausdruck seines systematischen Interesses. Bayle zeigt aber auch die Schwächen auf, die mit den Antworten der christlichen Theologie verbunden sind, und weist überdies nach, daß das von vielen modernen Philosophen in der Nachfolge des Descartes in Angriff genommene Programm einer Verbindung von christlicher Lehre und moderner cartesianischer Naturwissenschaft71 in Aporien und Antinomien führt 70

»Jedes System erfordert, wenn es gut sein soll, zweierlei: erstens, daß die Begriffe darin deutlich sind, und zweitens, daß es die Erfahrungen erklären kann.« MANICHÄER, Anm. (D); DHC III, 305a. 71 Im Artikel ARISTOTELES, Anm. (X) weist Bayle die verheerenden

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und folglich keinen Ausweg aus der Misere bietet; eine »christliche Philosophie« ist für ihn ein Widerspruch in sich. Außerdem erwächst aus dieser unheilvollen Allianz eine Gefahr für den Glauben, weil die Schwierigkeiten, die sich aus ihr ergeben, leicht auf die Glaubensgewißheit ausstrahlen. Vor der Bedrohung für den Glauben, die von der Gewährung der libertas philosophandi ausgeht, ist immer schon gewarnt worden, denn wenn man erst einmal damit beginnt, die Menschen aufzuklären, bekommen sie Lust, alles einschließlich der Offenbarungswahrheiten zu prüfen. »Sie untersuchen und grübeln dann so viel, daß sie nichts mehr finden, was ihre erbärmliche Vernunft zufriedenstellt.«72 Am Ende dieses Wegs steht zwangsläufig der Skeptizismus. In der psychologia rationalis lautet die zentrale Frage, ob die Unsterblichkeit der Seele mit philosophischen Mitteln sichergestellt werden kann. Bayle greift sie in mehreren Artikeln auf73 und gelangt zu dem Ergebnis, daß sie zu verneinen ist. Aber auch die Sterblichkeit der Seele läßt sich nicht erweisen. Da der Mensch in einer so wichtigen Angelegenheit aber nicht auf eine Antwort verzichten kann, verweist ihn die erwiesene Unfähigkeit der Vernunft auf die Auskunft, die der Glaube hierzu gibt. Der Fideismus, den Bayle auch anläßlich dieses Themas ausdrücklich empfiehlt, ist die sich aus dem Scheitern der Vernunftanstrengungen zwangsläufig ergebende Konsequenz. Unentscheidbar bleibt auch die Frage, ob die Tiere Vernunft besitzen.74 Die cartesianische Auffassung, der zufolge Tiere bloße Automaten sind, ist zwar angesichts der bemerkenswerten Leistungen, zu denen zumindest die höherentwickelten Arten fähig sind, völlig unplausibel, vermeidet aber Folgen des Versuchs auf, den Cartesianismus für die christliche Religion fruchtbar zu machen. Denn da Vernunft und Glaube nicht zu verbinden sind, fügen sie sich, wenn man sie zusammenzwingt, nur gegenseitig Schaden zu. 72 TAKIDDIN Anm. (A); DHC IV, 315b. 73 Z. B. BONFADIUS, CHARRON, DIKAIARCH, LUKREZ, PEREIRA, POMPONAZZI, PERROT. 74 PEREIRA, RORARIUS.

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die Abgründe, in welche die Vernunft gestürzt wird, wenn sie die gegenteilige Annahme vertritt. Denn wenn das planende Verhalten der Tiere Ausdruck von Vernunfttätigkeit ist und die Vernunft nur beseelten Lebewesen zukommt, dann muß man konsequenterweise auch den Tieren eine Seele zuerkennen und folglich deren Unsterblichkeit in Betracht ziehen. Diese im Kontext der cartesischen Philosophie virulent gewordene Frage berührt sich eng mit dem ebenfalls dort aufgeworfenen Problem der Interaktionsmöglichkeit von Leib und Seele, auf das Bayle an mehreren Stellen des Dictionnaire eingeht.75 Am bekanntesten dürfte seine Auseinandersetzung mit Leibnizens Lösungsvorschlag, dem Lehrstück von der prästabilierten Harmonie, im Artikel RORARIUS sein.76 Innerhalb der cosmologia rationalis sind es gleich mehrere Probleme, anhand deren Bayle die Inkompetenz der natürlichen Vernunft aufzeigen kann. Gehört zur Welt die Vorstellung einer sie hervorbringenden Ursache, ist diese Ursache in Ruhe oder in Bewegung, existiert sie von Ewigkeit her und wird sie auch ewig fortbestehen; was gab der Materie ihre Gestalt, existiert die Materie ewig, ist sie unendlich teilbar; ist Bewegung widerspruchsfrei denkbar?77 Die Aussicht auf eine Lösung der rationalkosmologischen Fragen, an denen sich bereits die antiken Philosophen abgearbeitet haben, ist durch den Eintritt des Christentums in die Weltgeschichte in noch größere Ferne gerückt. Denn die Antike nahm an, die Materie sei unerschaffen und ewig; das Christentum aber hat die göttliche Allmacht dahingehend ausgeweitet, daß auch die Materie aus seiner Hand stammt. Damit aber werden schier unlösbare Probleme aufgeworfen, unter anderem dieses, daß die göttliche 75

Zu Bayles Behandlung des Leib-Seele-Problems cf. Thomas M. Lennon: Bayle and Late Seventeenth-Century Thought. In: John P. Wright / Paul Potter (Hgg.): Psyche and Soma. Physicians and metaphysicians on the mind-body problem from antiquity to enlightenment. Oxford 2000, 197–215. 76 RORARIUS, Anm. (L). 77 Z. B. ANAXAGORAS, DEMOKRIT, EPIKUR, LEUKIPP, LUKREZ, SPINOZA, XENOPHANES, ZENON VON ELEA.

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Schöpfertat der Erschaffung der Materie nicht mit dem klaren philosophischen Grundsatz in Übereinstimmung zu bringen ist, wonach nichts aus nichts entstehen kann. Die eigentliche Domäne der Bayleschen Kritik ist jedoch die theologia rationalis. Hier stellt er nicht, wie man im Anschluß an die lebhaft diskutierte Problematik der cartesischen Gottesbeweise vermuten könnte, das Problem der Demonstrierbarkeit der Existenz eines höchsten Wesens in den Mittelpunkt, sondern die Frage der Theodizee. Wie kann es Übel in der Welt geben, wenn diese doch, wie in den theistischen Religionen und zumal der christlichen behauptet wird, von einem Wesen mit unumschränkter Macht, Intelligenz und Güte geschaffen worden ist? Bayles Berühmtheit gründet sich in erster Linie auf seine Behandlung dieses Themas, auf das er übrigens erst recht spät gestoßen zu sein scheint; im Projét von 1692 findet es noch keine Erwähnung, ebensowenig in den ihm vorausliegenden frühen Schriften. Erst im Jahr 1693, also während der Arbeit am Dictionnaire, scheint er auf das Problem des Übels aufmerksam geworden zu sein und dessen Relevanz für seine Kritik der Rationaltheologie erkannt zu haben.78 An vielen Stellen des Dictionnaire79 greift er es nun auf, wobei er das Übel, dem der Mensch ausgesetzt ist, in zunehmend düsteren Farben schildert.80 Gestützt auf ein ganzes Arsenal von Argu78

Cf. Leif Nedergaard-Hansen: Bayle’s & Leibniz’ droeftelse af theodicé-problemet. En idéhistorisk redegoerelse. Bd. 2, Kopenhagen 1965, 255. 79 Als zentral für Bayles Auseinandersetzung mit dem Theodizeeproblem dürfen die Artikel MARCIONITEN, MANICHÄER, ORIGENES, PAULICIANER, XENOPHANES sowie die »Zweite Klarstellung« gelten. In dieser nimmt Bayle entgegen seinen vormaligen Beteuerungen, eine philosophische Widerlegung des Manichäismus sei weder erforderlich für die Gläubigen noch philosophisch überhaupt möglich, eine solche dennoch in Angriff (DHC IV, 639–641). Cf. dazu Jacqueline Lagrée: Pierre Bayle et »L’éclaircissement sur les manichéens«, 1701: le mal et le système. In: Hans Bots (Hg.): Critique, savoir et érudition à la veille des lumières, a. a. O., 321– 340. 80 Die Klimax ist im Artikel XENOPHANES, Anm. (H) erreicht. Dort erscheint eine – kurzfristige – Linderung des allseits drückenden Leids nur im Spiel und im Rausch möglich.

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menten unterschiedlichster Art und Durchschlagskraft ist Bayle bereits hundert Jahre vor Kants einschlägigem Aufsatz aus dem Jahr 1791 darum bemüht, das »Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee« aufzuzeigen. Einer häufig geäußerten, aber dennoch unzutreffenden Ansicht zufolge soll Leibniz, der mit Bayle seit 1687 im Briefwechsel81 stand, seine 1710 erschienenen Essais de théodicée als Antwort auf Bayles Behandlung der Theodizeefrage im Dictionnaire verfaßt haben. Tatsächlich aber reichen Leibnizens Pläne zur Abfassung eines Werks zu diesem Thema bis in die siebziger Jahre zurück. Gleichwohl ist es Bayles skeptische Position, vor deren Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der er seine eigene, positive Lösung in der Théodicée schließlich entwickelt. Doch orientiert sich Leibniz dabei weniger am Dictionnaire als vielmehr an Bayles erneuter Behandlung des Themas in der Réponse aux questions d’un provincial. Unbeschadet der Theodizee-Schriften von Malebranche82 und William King83 gebührt Bayle das Verdienst, mit seiner Behandlung der Frage nach der Vereinbarkeit von Gottes Güte und den Übeln in der Welt den neuzeitlichen Auftakt zur Erörterung dieses Problems gegeben zu haben, mit dem das folgende Jahrhundert in einem solchen Maße beschäftigt sein wird, daß man es nicht zu Unrecht als das »Jahrhundert der Theodizee« bezeichnet hat.84 81

Abgedruckt in Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften, a. a. O., Bd. III, 21–72. 82 Hier ist in erster Linie der Traité de la nature et de la grâce von 1670 zu nennen, den Bayle häufig zitiert, z. B. im Artikel PAULICIANER, Anm. (F), Fußn. 39. 83 Das 1702 in Dublin erschienene Werk des späteren dortigen Erzbischofs mit dem Titel De origine mali kannte Bayle nur durch die – übrigens sehr zuverlässige – Besprechung, die Jacques Bernard davon in den Nouvelles de la république des lettres, Mai-Juni 1703, 554–634, gegeben hatte. Dieses Eingeständnis schickt Bayle seiner Auseinandersetzung mit King in der Réponse aux questions d’un provincial voraus. Œuvres diverses, a. a. O., Bd. III, 650b. 84 Carl-Friedrich Geyer: Das »Jahrhundert der Theodizee«. Kant-Studien 73 (1982), 393–405.

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So schlagen alle Bemühungen der Vernunft fehl, auf die innerhalb der metaphysica specialis aufgeworfenen Fragen eine befriedigende Antwort zu geben und eine konsistente, den Phänomenen genügende Weltsicht zu erarbeiten. Unnütz sind diese Anstrengungen dennoch nicht, denn obwohl sie an sich fruchtlos bleiben, lehren diese Selbstzermürbungen den Menschen, die Grenzen seines Verstandes zu erkennen und ihn für die Aufnahme der übernatürlichen Offenbarungswahrheiten bereit zu machen. Bayle pflichtet Pierre Nicole, dem Mitverfasser von L’art de penser, deshalb ausdrücklich bei, daß es gut sei, den Geist »(…) mit diesen Subtilitäten zu ermüden, um seine Anmaßung zu zügeln und ihm die Kühnheit zu nehmen, sein schwaches Licht jemals den Wahrheiten, welche die Kirche ihm vorlegt, unter dem Vorwand entgegenzusetzen, daß er sie nicht begreifen kann«.85 Doch nicht nur auf dem Gebiet der spekulativen Disziplinen versagt die Vernunft, sie ist, wie Bayle an vielen Beispielen zeigt, ein grundsätzlich zur Wahrheitsfindung untaugliches Instrument. Ihre eigentliche Stärke liegt in ihrer paralysierenden Wirkung, mit der sich alle Erkenntnisansprüche und aus ihnen möglicherweise abgeleiteten sittlichen Forderungen oder Verhaltensregeln zurückweisen lassen. Wenn der Mensch aber mit einem so schwachen natürlichen Licht ausgestattet ist, daß es weder zur Aufhellung der ihn existentiell bedrängenden Fragen noch zur Lösung der dem Anschein nach einfachsten Probleme taugt, dann ist der Irrtum unvermeidlich. Wenn es ein Kriterium gibt, so hatte Bayle im Artikel PYRRHO gesagt, anhand dessen wir die Wahrheit erkennen und von der Falschheit unterscheiden können, dann ist es die Evidenz. Die Evidenz ist aber kein solches Kriterium, weil, wie dort gezeigt worden war, evidenten Vernunftsätzen nicht minder evidente Glaubenssätze entgegengestellt werden können.86 Da wir also über kein verläßliches Kriterium zur Erkenntnis der Wahrheit verfügen, müssen wir unser Urteil zurückhalten, oder mit anderen 85 86

ZENON VON ELEA, Anm. (G); DHC IV, 542b. PYRRHO, Anm. (C); DHC III, 732b–733a.

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Worten: wir müssen tolerant sein und stets in Rechnung stellen, daß die unserer Überzeugung entgegenstehende Meinung die wahre sein könnte. Der Mensch tut seine Pflicht, wenn er unparteiisch die Wahrheit sucht und sich in diesem Sinne um Wahrhaftigkeit bemüht; die Wahrheit selbst ist Gott allein bekannt. Es liegt auf der Hand, daß die so begründete Forderung nach religiöser und politischer Toleranz Bayles eigene Lebenserfahrung reflektiert. Denn es ist hiernach ausgeschlossen, mit demonstrativer Gewißheit eine der christlichen Konfessionen als die wahre zu erkennen;87 tatsächlich führt der Versuch, Gründe für den Vorzug einer bestimmten religiösen Partei zu finden, geradewegs in den Skeptizismus. Denn dazu ist eine Überprüfung so vieler Fakten erforderlich, die an sich schon nicht mit letzter Gewißheit erhoben werden können, daß die anfänglichen Zweifel nicht ausgeräumt, sondern nur verstärkt werden.88 Das Beste ist es daher, in der Religionsgemeinschaft zu verbleiben, in die man zufällig hineingeboren wurde.89 Diese Überlegung entspricht zwar Bayles Forderung nach Toleranz, aber sie beschwert zugleich sein fideistisches Programm. Denn wenn jede rationale Prüfung des Glaubens ausgeschlossen ist und man sich nur aus Zufallsgründen der Geburt an die Vulgata, die Lutherbibel oder etwa die Genfer Bibel hält, die ja voneinander abweichen, deren Abweichungen man aber nicht prüfen soll, dann ist letztlich jeder Glaube, so absurd er auch sein mag, gleichermaßen akzeptabel. Der Sprung in jedes beliebige Religionssystem wäre mit gleich guten Gründen legitimierbar, selbst wenn es intolerante Züge trüge.90 Tatsächlich 87

Cf. NIHUSIUS, Anm. (E), (H). Cf. NICOLE, Anm. (C). 89 NIHUSIUS, Anm. (H). 90 Schon Gottsched macht in einer Anmerkung zum Artikel CHARRON, Anm. (P) darauf aufmerksam, daß der von Bayle geforderte strikte bzw. blinde Glauben ohne alle rationale Prüfung dazu führen würde, das »vernünftige« Christentum mit allen anderen Religionen und selbst mit dem »heidnischen Aberglauben« auf eine Stufe zu stellen. Historisches und Critisches Wörterbuch, a. a. O., Bd. II, 157b. 88

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hält sich Bayle selbst nicht an diese Vorschrift, er nimmt vielmehr gelegentlich in der Nachfolge Spinozas und Richard Simons91 eine »vernünftige« Prüfung der Bibel vor.92 Bayle wendet seinen Skeptizismus und die historische, kritische Methode also nicht nur auf dem Gebiet spekulativer Vernunfterkenntnis an, sondern dehnt sie auf schlechthin alle Gegenstände aus. Dabei fallen Ergebnisse an, die bei den einen Empörung hervorriefen und von den anderen als Beweis für seine aufklärerischen Absichten genommen wurden. Stellvertretend für viele hier einschlägige Themen seien seine mannigfachen Attacken auf die Rolle des Christentums in der Geschichte genannt. Die christliche Religion hat sich nicht, wie man erwarten sollte, als Stütze der Moralität erwiesen; im Gegenteil, es gibt unter christlichen Nationen einen stärkeren Sittenverfall zu beklagen als unter den Heiden.93 Eine Folge dieser Einsicht ist, daß Bayle die Moral aus der Umklammerung durch die Religion löst und das Verhältnis, das zwischen beiden besteht, im Sinne der späteren Aufklärung so bestimmt, daß der Primat stets der Moral gebührt. An ihren Ansprüchen mißt er selbst das Verhalten der bedeutendsten biblischen Gestalten und scheut sich nicht, sie zu tadeln, wenn sie Tadel verdienen.94 Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Autonomie der Moral, um deren Durchsetzung sich

91

Jan de Vet hat die Bedeutung untersucht, die Richard Simon für Bayle über seine textkritischen Studien zum Alten und Neuen Testament hinaus hatte. A Much Esteemed Guest: Richard Simon (1638–1712) in Pierre Bayle’s »Dictionnaire historique et critique«. In: Hans Bots (Hg.): Critique, savoir et érudition à la veille des lumières, a. a. O., 269–282. 92 Im Artikel RIMINI, Anm. (B) greift er beispielsweise das Argument auf, daß bestimmte Äußerungen der Propheten nicht auf Verbalinspiration beruhen, sondern als Akkommodation an das Volk zu verstehen sind. Im Artikel SARA, Anm. (C) weist er auf Differenzen zweier Berichte im 1. Buch Mose hin. 93 Cf. ACINDYNUS, HIPPARCHIA, JONAS, JUPITER, MAMMILLARIER, SOMONNA-CODOM, TURLUPINER. 94 ABRAHAM, DAVID, SARA.

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das folgende Jahrhundert bis hin zu Kant bemühen wird, als dessen früher Vorgänger Bayle insofern gelten darf.95 Diese moralische Kritik am Christentum ist freilich nur unter Verletzung gleich zweier zentraler Aussagen Bayles möglich. Zum einen verstößt sie gegen seinen Grundsatz der bedingungslosen und ohne alle Prüfung zu vollziehenden Annahme der Offenbarungswahrheiten; zum anderen aber zeigt sie, daß Bayle der Vernunft auf praktischem Gebiet uneingeschränkte Leistungsfähigkeit zuspricht. Denn der Tadel, den er etwa König David wegen dessen unsittlichen Lebenswandels erteilt, bemißt sich an den Begriffen und Grundsätzen der Sittlichkeit, die der Vernunft eingeschrieben sind. In dem Système abrégé de philosophie, das er für seine Lehrtätigkeit in Rotterdam verfaßt hatte, heißt es unmißverständlich: »Es gibt im Menschen noch einen gewissen Rest einer ursprünglichen Gerechtigkeit, wie bei der Erkenntnis des Gerechten und Ehrenhaften und seiner Unterscheidung vom Ungerechten und Schändlichen. Denn wenn die Sünde auch die menschliche Vernunft stark verdunkelt hat, so wollte Gott dennoch nicht zulassen, daß ihr Licht völlig ausgelöscht würde. Es gibt ein gewisses Gesetz der Natur, das alle Menschen ohne Regeln und Vorschriften verstehen und das den Unterschied zwischen Gut und Böse festsetzt. Es gibt also hinsichtlich der Sitten gewisse Prinzipien, für die das natürliche Licht ausreicht, um sie als wahr zu erkennen, wie diese hier: ›Füge einem anderen nicht zu, wovon du nicht willst, daß es dir zugefügt werde‹; ›Man muß seine Eltern ehren‹ und mehrere andere, welche die Vernunft anwendet und modifiziert, wenn es erforderlich ist.«96 Diese »morale naturelle«97 hat er sodann näher bestimmt und sie dabei als Ausdruck

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Allerdings ist Bayle nicht der erste, der für eine theologiefreie Moral eintritt. Der von ihm geschätzte Pierre Charron war ihm in seinem Traité de la sagesse von 1601 darin bereits vorangegangen. 96 Œuvres diverses, a. a. O., Bd. IV, 259b. 97 Bayle ist in seiner Auffassung der natürlichen Moral stark von Hugo Grotius beeinflußt, der die Ansicht vertreten hatte, daß bestimmte moralische Vorschriften intuitiv erfaßt werden und eine von Gott und seinem

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des göttlichen Willens gefaßt, der festgesetzt hatte, daß »(…) das ewige Gesetz in unseren Seelen leuchtet (…). Wir können also durch dieses Licht des natürlichen Gesetzes oder durch die rechte Vernunft, die Gott unserer Seele eingeprägt hat, ehrenhafte Handlungen von solchen unterscheiden, die es nicht sind (…)«.98 Schon in seinem Commentaire philosophique hatte Bayle dieses natürliche Licht als Richtschnur bei der Interpretation der Bibel herangezogen und dies gleich in der Überschrift zu Kapitel I des ersten Teils unmißverständlich zum Ausdruck gebracht: »Das natürliche Licht oder die allgemeinen Prinzipien unserer Erkenntnis sind die genuine und ursprüngliche Regel für jede Interpretation der Schrift, und hauptsächlich in Fragen der Sittlichkeit«.99 In diesem Werk war er sogar so weit gegangen, die in der Vernunft selbst gegründeten Sätze ausdrücklich über die Aussagen der Bibel zu stellen. »Ich weiß sehr wohl, daß es Axiome gibt, gegen welche die ausdrücklichsten und evidentesten Worte der Schrift nichts ausrichten können, wie ›Das Ganze ist größer als sein Teil‹; ›Wenn man Gleiches von Gleichem wegnimmt, ist das Übrigbleibende gleich‹; ›Es ist unmöglich, daß zwei einander widersprechende Dinge wahr sind oder daß das Wesen einer Sache nach der Zerstörung der Sache real fortbesteht.‹ Wenn man auch hundertmal das Gegenteil dieser Sätze in der Schrift aufzeigte und abertausend Wunder mehr als Moses und die Apostel wirkte, um eine diesen universellen Maximen des gemeinen Verstandes entgegenstehende Lehre zu errichten, so würde der Mensch, so wie er nun einmal geschaffen ist, doch nichts davon glauben und sich viel eher überreden, daß die Schrift entweder nur metaphorisch und durch Gegenwahrheiten spricht oder daß diese Wunder vom Teufel kämen, als zu glauben, daß das natürliche Licht in diesen Maximen falsch Willen unabhängige Gültigkeit besitzen. Élisabeth Labrousse hat die Abhängigkeit Bayles von Grotius in dieser Frage herausgestellt. Pierre Bayle, a. a. O., Bd. II, Kap. 9: »La morale naturelle«, bes. 260 f. 98 Œuvres diverses, a. a. O., Bd. IV, 262a. 99 Œuvres diverses, a. a. O., Bd. II, 367.

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sei.«100 Kurz darauf hatte er dort klargestellt, daß diese Überordnung rationaler Einsichten nicht nur für den Bereich der spekulativen Vernunft gilt, dem diese Beispiele entnommen sind, sondern ihre Gültigkeit auch und gerade auf dem Gebiet der Sittlichkeit behält. »Ich will sagen, daß man ausnahmslos alle moralischen Gesetze diesem natürlichen Begriff der Billigkeit unterwerfen muß, der, ebenso wie das metaphysische Licht, ›jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt‹.«101 Im Dictionnaire hält Bayle an der gleichsam apriorischen Gültigkeit unserer natürlichen sittlichen Begriffe fest;102 von Skeptizismus findet sich hier keine Spur, so daß Bayles Skeptizismus bestenfalls als ein partieller gelten darf, weil er nur das theoretische Vernunftvermögen betrifft.103 Aber auch in diesem Punkt ist er nicht völlig konsequent. Denn einerseits legt er seinen sittlichen Beurteilungen gleichsam a priori gültige moralische Begriffe zugrunde und kritisiert mit ihnen die praktizierte Moral der Christen wie auch mancher heiligen Gestalten der Bibel, andrerseits aber ordnet er sie ebenso wie die spekulativen Vernunftprinzipien den von Gott offenbarten Wahrheiten unter.104 Mehr noch: Gelegentlich trägt Bayle Argumente vor, 100

Œuvres diverses, a. a. O., Bd. II, 367b–368a. Œuvres diverses, a. a. O., Bd. II, 368b. 102 In der »Zweiten Klarstellung« spricht er von »moralische(n) Prinzipien, die jedermann kennt und die den Gebildeten ebenso wie den Ungebildeten beständig als Richtschnur für ihr Urteil darüber dienen, ob eine Handlung ungerecht ist oder nicht. Diese Prinzipien sind von höchster Evidenz (…)« (DHC IV, 635; cf. DAVID [Erste Fassung], Anm. [I], DHC II, 912a). Im Artikel JONAS, Arngrimus, Anm. (C) zieht Bayle allerdings angesichts der sittlichen Verrohung »christlicher Völker« die Möglichkeit in Erwägung, daß die Begriffe von Tugend nicht in einem natürlichen Eindruck wurzeln, sondern auf Erziehung und Gewohnheit beruhen. DHC II, 854b. 103 Cf. die Unterscheidung der Skepsis in eine universelle und partielle auf der einen Seite und deren jeweilige absolute oder relative Gestalt auf der anderen bei Malte Hossenfelder: Art. Skepsis. In: Herrmann Krings / Hans Michael Baumgartner / Christoph Willd (Hgg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Studienausgabe Bd. V. München 1974, 1359– 1367; hier: 1359. 104 Cf. etwa PYRRHO, Anm. (B). 101

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mit denen er den Anspruch erhebt, spekulative Fragen entscheiden zu können, was mit der immer wieder behaupteten Unbrauchbarkeit der Vernunft nicht zusammenstimmt. Das ist beispielsweise im Artikel ZABARELLA im Zusammenhang kosmologischer Fragen der Fall, welche die Ewigkeit der Welt betreffen.105 Die Brüche, die sich damit zwischen Skeptizismus, Rationalismus und Fideismus auftun, scheint Bayle nicht bemerkt zu haben; jedenfalls reflektiert er sie nicht.106 Die These vom natürlichen Ursprung unserer sittlichen Begriffe macht Bayle über die Kritik an den ehrwürdigen biblischen Gestalten und der christlichen Religion hinaus noch in einer anderen Hinsicht für das Programm der Aufklärung fruchtbar. Denn er überholt seine an sich schon anstößig wirkende These von der größeren Zuchtlosigkeit der Christen im Vergleich zu den Heiden107 durch die Behauptung, daß auch Atheisten ein tugendhaftes Leben führen können und daß eine Vielzahl von Viten beweisen – darunter selbst die des von ihm aufs Heftigste bekämpften Spinoza108 –, daß dies tatsächlich auch der Fall ist. Dies ist deshalb möglich, weil die Grundlage wahrer Sittlichkeit eben nicht die – christliche – Religion, sondern die Vernunft ist, über die alle Menschen, Christen, Andersgläubige, Heiden und Atheisten gleichermaßen verfügen. Und da sich ein Atheist keinerlei Hoffnung auf eine Belohnung nach diesem Leben für seine Befolgung der moralischen Gebote machen kann, weil er von seiner schließlichen Auflösung ins 105

ZABARELLA, Anm. (H). Dort heißt es: »Ich für meinen Teil mache

eine ganz andere Voraussetzung und bin überzeugt, daß sie die Schwierigkeit behebt.« DHC IV, 531a–b. 106 Auf die sich hier ergebenden Inkonsistenzen macht auch Antony McKenna aufmerksam: Rationalisme moral et fidéisme. In: Hubert Bost / Philippe de Robert (Hgg.): Pierre Bayle, citoyen du monde, a. a. O., 257–274, bes. 269–273. 107 Cf. Jurieus drastische Schilderung des Sittenverfalls unter den Christen aller europäischen Länder, die sich Bayle im Artikel XENOPHANES, Anm. (E) weithin zu eigen macht. 108 Gleiches macht er übrigens für Epikur geltend und leistet damit eine »Rettung« dieses geächteten Philosophen im Lessingschen Sinn.

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Nichts überzeugt ist, muß seine Tugend als viel reiner und selbstloser eingeschätzt werden als die von Christen praktizierte, bei denen stets der Verdacht bleibt, daß sie dabei mit einem Auge nach der Belohnung im Jenseits schielen. Wahre Tugendhaftigkeit kann es daher nur unter Atheisten geben. Diese Herabwürdigung der christlichen Sittenlehre war für die orthodoxen Exil-Hugenotten, in deren Kreis Bayle lebte, nicht hinnehmbar, und so mußte Bayle in einer eigenen »Klarstellung« seine Thesen erläutern. Er tat dies, indem er sie vordergründig abzumildern schien, in Wahrheit aber eher verstärkte. Die Tugenden der Atheisten, so schreibt er dort, seien nichts als »glänzende Sünden«, weil sie »(…) nicht aus der Liebe zu Gott hervorgingen und nicht auf seine Ehre und seinen Ruhm abzielten. Sie selbst waren deren Ursprung und Endzweck (…).« Das ist nun aber selbstverständlich, denn als Atheisten kennen sie keinen Gott und keine transzendenten Zwecke, so daß Bayle mit seiner »Klarstellung« die Autonomie der von den Atheisten praktizierten Sittlichkeit, welche die Christen eben nicht für sich reklamieren können, eher unterstreicht als abschwächt. Es besagt deshalb wenig, wenn er nachträglich versichert, es bleibe »(…) allzeit wahr, daß die guten Werke nur aus dem Schoß der Religion hervorgehen.«109 Positionen wie die genannten machen es leicht, in Bayle den Aufklärer zu sehen und ihm einen der vorderen Plätze in den Reihen derjenigen einzuräumen, die das kommende Zeitalter mit seinem neuen, kritischen Geist heraufführten. Aber es gibt auch Aspekte in seinem Werk, die mit den tragenden Überzeugungen dieses Zeitalters nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. So hat er nicht nur eine wenig vorteilhafte Meinung vom weiblichen Geschlecht und seiner Tugendhaftigkeit,110 son109

»Erste Klarstellung«, DHC IV, 627. Bereits in den Pensées diverses hatte Bayle den Frauen eine von Natur aus größere Neigung zur Unkeuschheit attestiert (Œuvres diverses, a. a. O., Bd. III, §§ 163–165, 104a–106a). Bekannt ist seine Formulierung »On n’est point en sureté quand on dort proche d’un serpent: il peut arriver qu’il ne morde pas, et il peut arriver qu’il morde« (FONTEVRAUD, 110

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dern er ist überhaupt von dem Gefühl der Sündhaftigkeit des Menschen zutiefst durchdrungen. Diese im Calvinismus noch verstärkte protestantische Grundüberzeugung bringt er an vielen Stellen zum Ausdruck. Bayle beschreibt den Menschen als von Grund auf böse und unglücklich. Er ist lasterhaft, denn er ist ein Spielball seiner Leidenschaften; er ist dumm, weil er sich von Stolz, Neid und Habsucht blenden läßt; und er ist verstockt, weil sein Geist mit lauter Vorurteilen besetzt ist, die das hauptsächliche Hindernis bei der Wahrheitssuche darstellen.111 Diese anthropologische Analyse findet ihre Entsprechung in dem Bild, das Bayle, der »Logiker der neuen Geschichtswissenschaft«112, von der Geschichte entwirft. Sie ist der Tummelplatz der menschlichen Torheiten und Bösartigkeiten oder in Bayles Worten »(…) eigentlich nichts als eine Sammlung der Verbrechen und Unglücksfälle des menschlichen Geschlechts.«113 Von dem vielbeschworenen Optimismus der Aufklärung, der auf eine sukzessiv fortschreitende Vervollkommnung setzt und eine ihrer Grundüberzeugungen ausmachen soll, ist bei Bayle nichts zu spüren. Der Mensch ist aus eigener Kraft nicht zu seiner sittlichen Besserung in der Lage, denn sein Schicksal ist so erbärmlich, »(…) daß ihn das Licht, das ihn von einem Übel befreit, in ein anderes stürzt«.114 Und da dem Geschichtsverlauf kein sinnvoller, zusammenhängender Plan zugrundeliegt, der teleologisch auf die Herbeiführung eines Zustandes höherer sittlicher Vollkommenheit ausgerichtet wäre, ist die Erreichung größerer Perfektion durch den säAnm. [N]; DHC II, 482b). Joy Charnley kommt in einem Aufsatz gleichen Titels, in dem sie Bayles Verhältnis zu den Frauen untersucht, zu dem Ergebnis, daß trotz allen Einsatzes für Toleranz und gegen Vorurteile »(…) les femmes restaient toujours pour lui des êtres mystérieux et dangereux dont il avait peur.« Nottingham French Studies 32 (1993), 29–36; hier: 36. 111 PELLISSON, Art. und Anm. (E); DHC III, 643b–644a. Cf. ferner BUNEL (C); MANICHÄER (D); NESTORIUS (N). 112 Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung. 3. Aufl. [= unveränderter Nachdruck der 2. Aufl.] Tübingen 1973, 278. 113 MANICHÄER, Anm. (D); III, 305b. 114 TAKIDDIN, Anm. (A); IV, 315b.

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kularen Prozeß der Geschichte auch nicht zu erwarten. Bayle vertritt vielmehr die Auffassung eines zyklischen Geschichtsverlaufs, innerhalb dessen es zwar ein beständiges Auf und Ab gibt, doch ohne daß die Sittlichkeit dabei dauerhaft gewönne oder die menschlichen Verhältnisse insgesamt sich besserten. Sein Bild des Menschen und der Welt ist von einem tiefen Pessimismus geprägt; in fast jedem Artikel kommt das Negative zur Sprache,115 das Bayles dunkler Auffassung vom Geschichtsverlauf weitere Nahrung gibt. Seine anthropologischen Überzeugungen bedeuten eine erhebliche Kränkung für die menschliche Selbstliebe.116 Ein solches Tableau sieht der Mensch aber ungern von sich und seinen Taten entworfen, und so überrascht es nicht, daß die düsteren Thesen Bayles auf wenig Sympathie stießen. V. Damit ist die Wirkungsgeschichte des Dictionnaire angesprochen, die durch die umfangreiche Studie von Pierre Rétat117 für das Frankreich des 18. Jahrhunderts gut dokumentiert ist, für das Aufklärungszeitalter insgesamt aber noch weiterer Erhellung bedarf.118 Es steht außer Frage, daß Bayle zu den 115

Pierre Bunel ist eine der wenigen positiven Gestalten, die Bayle kennt. Cf. den ihm gewidmeten Artikel. 116 Für Paul Hazard ist Bayles Dictionnaire deshalb die »(…) vernichtendste Anklageschrift, die zur Schande und Beschämung des Menschen je aufgestellt worden ist«. Die Krise des europäischen Geistes 1680–1715. Aus dem Französischen übertragen von Harriet Wegener. Hamburg 1947, 137. 117 Le dictionnaire de Bayle et la lutte philosophique au XVIIIe siècle. Paris 1971. 118 Gerhard Sauder hat die Aufnahme untersucht, die Bayle im Deutschland des 18. Jahrhunderts fand (Bayle-Rezeption in der deutschen Aufklärung. Mit einem Anhang: In Deutschland verlegte französische BayleAusgaben und deutsche Übersetzungen Baylescher Werke. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Sonderheft 1975, 83–104). Der gesamteuropäischen Rezeption ist Louise ThijssenSchouten nachgegangen: La diffusion européenne des idées de Bayle. In:

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meistgelesenen Autoren im 18. Jahrhundert zählte; einem zeitgenössischen Bericht zufolge standen die Studenten in Paris schon frühmorgens Schlange vor der Bibliothèque Mazarine, um das Dictionnaire lesen zu können.119 Aber auch hierzulande hat das Dictionnaire seinen Siegeszug angetreten. Nach Lessings Beobachtung findet es »(…) allezeit (…) hundert Leser, und die Theodizee einen.«120 Die vielen Ausgaben des Dictionnaire einschließlich der ausländischen Raubdrucke und die bald vorgenommenen Übersetzungen ins Englische und Deutsche dokumentieren auf ihre Weise die Nachfrage beim Publikum; außerdem lagen bereits zwei Jahrzehnte nach Bayles Tod die vierbändigen Œuvres diverses erstmals vor, so daß die Voraussetzungen für eine umfassende Auseinandersetzung mit Bayle sehr günstig waren. Es liegt auf der Hand, daß die Erwartungen, mit denen die Leser an das Dictionnaire herantraten, sowie die Erkenntnisse, die sie aus der Lektüre zogen, nicht immer dieselben sein konnten. Die französischen Réfugiés121 suchten und fanden anderes in ihm als die katholischen Leser Frankreichs.122 Für die ersteren war Bayle kein Ungläubiger, die letzteren werteten seinen Antiklerikalismus123 und seine Attacken auf die kathoPaul Dibon (Hg.): Pierre Bayle, le philosophe de Rotterdam, a. a. O., 150–195. Vorliegende Detailstudien zu seiner Wirkung in anderen Ländern nennt Élisabeth Labrousse, Art. Pierre Bayle, a. a. O., 1049 f. 119 Cf. Gerhard Sauder, Bayle-Rezeption in der deutschen Aufklärung, a. a. O., 86. 120 In einer Rezension für die Berlinische Privilegierte Zeitung vom 16. Januar 1753. Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Bd. III: Frühe kritische Schriften. In Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Göbel, Karl S. Guthke u. a. hg. von Herbert G. Göpfert. München 1972, 153. 121 Cf. Erich Haase: Einführung in die Literatur des Refuge. Der Beitrag der französischen Protestanten zur Entwicklung analytischer Denkformen am Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 1959. 122 Da das Dictionnaire unter der Regentschaft Ludwigs XIV. nicht nach Frankreich eingeführt werden durfte, setzte eine nennenswerte Rezeption hier erst ab 1715 ein. Cf. Pierre Rétat: Le dictionnaire de Bayle et la lutte philosophique au XVIIIe siècle, a. a. O. 123 Diesen Aspekt des Bayleschen Dictionnaire schätzte auch Friedrich

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lische Religion als Angriffe auf das Christentum selbst und sahen in ihm einen Freigeist, wenn nicht gar einen verkappten Atheisten, dessen fideistische Beteuerungen sie als allzu offensichtliche strategische Vorsichtsmaßnahmen zu durchschauen glaubten. Allerdings bemühten sich auch seine mit ihm im Exil lebenden Gegner Isaac Jaquelot, Jacques Bernard und Pierre Jurieu, ihn als einen Ungläubigen hinzustellen. Dadurch verliehen sie Bayle eine Aura des Anrüchigen, die ihn für die frühaufklärerische Leserschaft jedoch nur um so attraktiver werden ließ. Infolge dieser Einschätzung konnte Bayle ein halbes Jahrhundert später leicht zum Helden der »philosophes« avancieren. Bayle hat seine Spuren im Werk praktisch aller Aufklärer hinterlassen, wenngleich sie mitunter, wie z. B. bei Georg Christoph Lichtenberg,124 zumindest vordergründig eher oberflächlich geblieben zu sein scheinen. Die meisten seiner Leser wußten vor allem die enorme Informationsfülle des Dictionnaire zu schätzen und fühlten sich stark von dem kritischen Geist angezogen, der von ihm ausgeht; und manche, unter ihnen auch David Hume, haben massive Anleihen bei ihm gemacht.125 Bayles Werk hielt für alle etwas bereit. Deisten, II., der sich ausweislich seines Handexemplars sehr eingehend mit Bayles Werk beschäftigt hat und 1765 in Berlin eine zweibändige Auswahlausgabe der philosophischen Artikel unter dem Titel Extrait du »Dictionnaire historique et critique« herausgab, die bereits zwei Jahre später eine erweiterte Neuauflage erfuhr. Zum Verhältnis Friedrichs II. zu Bayle cf. Stefan Lorenz: Friedrich der Große und der Bellerophon der Philosophie. Bemerkungen zum »roi philosophe« und Pierre Bayle. In: Martin Fontius (Hg.): Friedrich II. und die europäische Aufklärung. Berlin 1999, 73–85 sowie Eckart Birnstiel: Frédéric II et le »Dictionnaire« de Bayle. In: Hubert Bost / Philippe de Robert (Hgg.): Pierre Bayle, citoyen du monde, a. a. O., 143–157. 124 Lichtenberg kommt in seinen Sudelbüchern (KA 47) nur an einer II einzigen Stelle und zudem eher beiläufig auf Bayle zu sprechen. Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Hg. von Wolfgang Promies. Bd. II: Sudelbücher II. Materialhefte, Tagebücher. 3., revidierte Aufl. München 1991, 48. 125 Hume hat wesentliche Lehrstücke seiner zwei religionsphilosophischen Werke, der Natural History of Religion und der Dialogues Concern-

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Materialisten wie Atheisten konnten mit den gebotenen Argumenten ihre Waffenlager füllen und gestützt auf das Arsenal kritischen Materials in den Kampf gegen Vormundschaft, Aberglauben, Vorurteile und Intoleranz ziehen, der aus der Retrospektive den Namen »Aufklärung« erhalten hat; auch sind viele der clandestinen Texte des 18. Jahrhunderts vom Dictionnaire angeregt worden. So hat Bayle unmittelbar wie mittelbar an der Herbeiführung des neuen Zeitalters mitgewirkt. Aber auch frommen Seelen und selbst Pietisten wie dem Grafen Zinzendorf126 kam das Dictionnaire wegen seines von ihnen ernstgenommenen Fideismus gelegen, doch blieb diese Deutung im 18. Jahrhundert eher die Ausnahme. Bayle gilt hier vielmehr als der große Skeptiker, Religionsspötter, sogar Ungläubige, vor dessen brillant und verführerisch vorgetragenen Argumenten die nicht gelehrte Leserschaft zu warnen und zu schützen ist; nicht von ungefähr steuert Gottsched der deutschen Ausgabe an die vierhundert Anmerkungen bei, um den Leser vor den »anstößigen Stellen« zu warnen und Bayles Einwände mit den Mitteln der Leibniz-Wolffschen Philosophie zu entschärfen, ja zu widerlegen.127 Diese Lesart dominiert auch noch im darauffolgenden Jahrhundert etwa bei Ludwig Feuerbach,128 wenngleich Bayle jetzt ing Natural Religion, stillschweigend in starker Anlehnung an Bayle entwickelt. Cf. dazu Lothar Kreimendahl: Humes frühe religionsphilosophische Interessen im Lichte seiner »Early Memoranda«. Zeitschrift für philosophische Forschung 53 (1999), 553–568. 126 Zinzendorf, der nach der Bibel das Dictionnaire am häufigsten und liebsten las, hatte seine religiöse Orientierung durch die Bayle-Lektüre gefunden. Cf. Erich Beyreuther: Die Paradoxie des Glaubens. Zinzendorfs Verhältnis zu Pierre Bayle und der Aufklärung. In: ders.: Studien zur Theologie Zinzendorfs. Gesammelte Aufsätze. Neukirchen 1962, 201–234. 127 Cf. Gottscheds »Vorrede des Herausgebers« zu Bd. I, S. XV [n.p.]. Zu Gottscheds Anmerkungen und den mit ihnen verfolgten Absichten cf. Günter Gawlick: Johann Christoph Gottsched als Vermittler der französischen Aufklärung. In: Wolfgang Martens (Hg.): Zentren der Aufklärung III: Leipzig. Aufklärung und Bürgerlichkeit. Heidelberg 1990, 179–204, bes. 184–188. [=Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Bd. 17]. 128 Für Feuerbach liegt »Bayles Bedeutung (…) hauptsächlich in seinem

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aufgrund der veränderten geistesgeschichtlichen Konstellationen weniger Aufmerksamkeit erfährt.129 Erst das 20. Jahrhundert vermochte aufgrund des mittlerweile eingetretenen historischen Abstands die Frage nach Bayles Standpunkt erneut aufzuwerfen130 und dabei seinen Fideismus als aufrichtig gemeint in Erwägung zu ziehen. Seitdem ist in einer wahren Flut von Arbeiten versucht worden, Bayle entweder als einen Gläubigen zu erweisen, dem es mit dem empfohlenen Fideismus ernst ist, oder diesen Fideismus als ein taktisches Manöver zur Tarnung seines »eigentlichen« Standpunktes – wie immer dieser dann näher bestimmt werden mag – zu entlarven. Dabei ist auf beiden Seiten der eher subjektive Aspekt, was Bayle persönlich geglaubt haben mag, nicht immer in der gebotenen Deutlichkeit von der Frage unterschieden und getrennt worden, zu welchen Ergebnissen seine Aussagen führen, wenn man sie konsequent zu Ende denkt und Bayles Dictionnaire denselben Beurteilungskriterien unterwirft wie die Schriften anderer Frühaufklärer auch. Die erste Frage nach Bayles persönlicher Aufrichtigkeit und seinen wirklichen Überzeugungen dürfte, wie Élisabeth Labrousse zutreffend schreibt,131 kaum eine definitive Antwort zulassen; allerdings ist sie auch nur von biographischem Interesse. Von größerer Bedeutung ist die zweite Frage, die folglich im Zentrum der philosophischen Auseinandersetzung mit Bayle steht. Wendet man die gleichen negativen Verhältnis zur Theologie.« Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit. Neu hg. und biographisch eingeleitet von Wilhelm Bolin. Stuttgart 1905, (11838). [=Sämmtliche Werke. Bd. V]. 129 Patrick Canabel spürt den hierfür maßgeblichen Gründen nach und prüft die These, derzufolge Voltaire einen so langen Schatten warf, daß Bayle aus ihm nicht herauszutreten vermochte. La faute à Voltaire et le nécessaire révisionisme historique: la question de l’oubli de Bayle au XIXe siècle. In: Hubert Bost / Philippe de Robert (Hgg.): Pierre Bayle, citoyen du monde, a. a. O., 105–125. 130 Am Anfang steht die Studie von Jean Delvolvé: Religion, critique et philosophie positive chez Pierre Bayle. Paris 1906, Reprint Genf 1970. 131 Art. Pierre Bayle, a. a. O., 1040.

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Interpretationsmaximen auf Bayles Dictionnaire an, die man etwa auch bei Texten von Thomas Hobbes oder Baruch Spinoza einsetzt, dann wird es unter systematischen Gesichtspunkten schwierig, den Fideismus und damit die Hinwendung zum Glauben als das intrinsische Ziel der Bayleschen Darlegungen zu sehen. Denn da die Frühaufklärer, die für die libertas philosophandi im weiteren Sinne eintraten, ihre Werke noch nicht unter den freiheitlichen Bedingungen schreiben konnten, für deren Herbeiführung sie kämpften, mußten sie mancherlei Vorsichtsmaßnahmen und für heutige Leser ungewohnte Strategien bei der Mitteilung ihrer Ansichten ergreifen.132 Das konnte so weit gehen, daß die Autoren vorsätzlich Widersprüche in ihre Werke einbauten, um den Leser dadurch auf ihre wirkliche Meinung hinzuweisen. Diese war stets diejenige, die der herrschenden Ansicht entgegenstand.133 Stellt man also die zeitgegebenen Umstände in Rechnung, dann dürfte sich ein wortwörtliches Verständnis der Bayleschen Bekenntnisse zum Fideismus verbieten. Bedenkt man ferner, bei welcher Vielzahl von Themen er immer wieder die Überlegenheit – wenngleich nicht Schlüssigkeit – materialistisch-atheistischer Hypothesen über alle anderen Welterklärungsversuche einschließlich der jüdisch-christlichen auf mannigfaltigste Art und Weise herausstellt, so erscheint die Antwort des Glaubens auf diese Fragen kaum als die unter rationalen Kriterien zu bevorzugende. Berücksichtigt man schließlich, daß die skeptischen Einwände der Philosophie durch den Fideismus ja nicht eigentlich widerlegt, sondern vielmehr mit dem im Kern immer gleichbleibenden Topos des erforderlichen Sprungs in den Glauben niedergeschlagen werden und insofern ihre sachliche Berechtigung

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Diesen Strategien ist Leo Strauss in seiner erwähnten Studie Persecution and the Art of Writing, a. a. O., nachgegangen. 133 Diese Taktik hat der grundsätzlich einleuchtenden These von Leo Strauss zufolge auch Spinoza in seiner Religionskritik angewendet. Anleitung zum Studium von Spinozas theologisch-politischem Traktat. In: Norbert Altwicker (Hg.): Texte zur Geschichte des Spinozismus. Darmstadt 1971, 300–361.

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behalten, dann fällt es sicherlich nicht leicht, die Konsequenzen, die sich aus der inneren Logik seiner Darlegungen ergeben, in den Fideismus abzubiegen. Damit ist nicht behauptet, daß Bayle den Materialismus für sich selbst akzeptiert und in seiner Konsequenz eine atheistische Position vertreten hätte. Denn dessen höhere argumentative Stringenz und systematische Kohärenz stellt nur einen graduellen Vorteil anderen Hypothesen gegenüber dar; strenggenommen scheitern alle Erklärungsversuche der Welt. Außerdem ergibt sich dieser Vorzug nur aus der Perspektive der menschlichen, endlichen Vernunft, die nur rationalitätskonforme Hypothesen als befriedigend anerkennt. Das aber ist eine Prämisse, die alles andere als selbstverständlich ist, denn sie setzt voraus, daß sich Geltungsansprüche jedweder Art vor dem Richterstuhl der kritischen Vernunft ausweisen müssen, die als die einzig kompetente Beurteilungsinstanz gilt. Dem 18. Jahrhundert erschien diese Sichtweise beinahe als selbstverständlich,134 für Bayle und sein intellektuelles Umfeld war sie es indes noch nicht; Auskunft auf die wesentlichen Fragen erwartete man noch von der göttlichen Offenbarung.135 Bayle lebt und schreibt am Vorabend der europäischen Aufklärung, sein Werk und mehr noch seine mutmaßlichen persönlichen Überzeugungen dürfen deshalb nicht von den Ergebnissen her interpretiert werden, die er herbeizuführen hilft. 134

Kant insistiert immer wieder auf diesem Punkt. Cf. etwa seinen beinahe schon pathetisch zu nennenden Appell in der kleinen Schrift Was heißt: Sich im Denken orientiren? aus dem Jahr 1786: »Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was Euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwürdigsten scheint (…); nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probirstein der Wahrheit zu sein.« Kant’s gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bd. VIII. Berlin 1912, 146. 135 Darauf hat Élisabeth Labrousse hingewiesen (Art. Pierre Bayle, a. a. O., 1037). Mit diesem Umstand läßt sich u.a. auch die Beiläufigkeit erklären, mit der Bayle die Moralphilosophie in seinem Système abrégé de philosophie behandelt. Cf. Œuvres diverses, a. a. O., Bd. IV, 258–267.

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Die Beschäftigung mit Bayle hat seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung genommen und zu einer Fülle von Publikationen geführt, die sein Werk in immer detaillierteren Studien in mannigfache Richtungen ausleuchten. Der im Spannungsfeld von Skeptizismus, Atheismus und Fideismus ausgetragene Streit um seine tatsächlichen Ansichten spielt zwar immer noch eine nicht unbeträchtliche Rolle, beherrscht die Diskussion aber nicht mehr so stark wie vormals. Es scheint sich vielmehr die Überzeugung durchzusetzen, daß eine erneute Beschäftigung mit dieser Frage frühestens dann lohnt, wenn der zwischenzeitlich erreichte Erkenntnisstand durch neue Detailstudien weiter vorangetrieben ist. Eine Folge dieser Bemühungen ist es, daß man Bayles Beitrag zur Aufklärung deutlicher herausarbeitet und die geistesgeschichtlichen Netzwerke erforscht, in denen das Dictionnaire und darüber hinaus sein gesamtes Werk entstanden ist und auf die es eingewirkt hat. Hier gibt es noch viele Entdeckungen zu machen, so daß die Erschließung des Kontinents Bayle bei weitem nicht als abgeschlossen gelten kann. Die vorliegende Neuübersetzung möchte dazu beitragen, dem deutschsprachigen Leser die Teilnahme an diesem Abenteuer zu erleichtern.

ZUR VORLIEGENDEN AUSGABE Cela me fait répéter ce que j’ai dit plusieurs fois, qu’il est extrêmement difficile de bien traduire; car quoi qu’on prenne les expressions de l’Original dans le sens le plus vraisemblable, on ne laisse pas quelquefois de s’égarer: la connaissance de cent faits particuliers est nécessaire pour choisir le sens véritable. Pierre Bayle, Art. TULLIE, Anm. (L), DHC IV, 401b

Textgrundlage der vorliegenden Neuübersetzung ist die fünfte niederländische und – zählt man die außerhalb der Niederlande erschienenen unberechtigten Nachdrucke mit – insgesamt achte Auflage des Werks: Dictionnaire historique et critique. Cinquième édition, revue, corrigée et augmentée. Avec la vie de l’auteur par M. Des Maizeaux. 4 Bde. Amsterdam, Leiden, La Haye, Utrecht 1740. Diese Ausgabe gilt als die beste1 und ist zudem die am leichtesten greifbare, weil es einen Reprint2 von ihr gibt. Außerdem beruht auch die zweibändige Auswahlausgabe, die Élisabeth Labrousse innerhalb der NachdruckAusgabe der Œuvres diverses Pierre Bayles zusammengestellt hat,3 auf dieser Edition von 1740.4 Bayle hat für das Dictionnaire historique et critique das Folio-Format gewählt. Die großflächige Seite erlaubt es, den Text 1

Élisabeth Labrousse, »Introduction« zu Pierre Bayle: Choix d’articles tirés du »Dictionnaire historique et critique«. Avec une introduction par Élisabeth Labrousse. Hildesheim, New York 1982. [= Œuvres diverses. Volumes supplémentaires, Bde I,1–2]. Bd. I,1, S. V [n.p.]. 2 Genf (Slatkine) 1995. 3 Cf. Fußn. 1. 4 Zu den frühen Ausgaben des Dictionnaire cf. Maria Brutto Barone Adesi / Rosella Stasi: Sul »Dictionnaire« di Pierre Bayle. Rom 1983, Kap. I: »Le edizioni del ›Dictionnaire‹«, 7– 42 sowie Christiane Berkvens-Stevelinck: Les éditions du »Dictionnaire historique et critique« de Pierre Bayle jusqu’en 1740, avec ses éditions pirates. In: Hans Bots (Hg.): Critique, savoir et érudition à la veille des lumières. Le »Dictionnaire historique et critique« de Pierre Bayle (1647–1706). Amsterdam, Maarssen 1998, 17–25.

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des Korpus des Artikels am Kopf der Seiten weiterlaufen zu lassen und die mit fortlaufenden Großbuchstaben5 bezeichneten Anmerkungen, die Bayle beizusteuern hat und die seine eigentliche Leistung darstellen, in zwei Spalten darunter zu setzen. Sie übertreffen den Hauptartikel nicht selten um ein Vielfaches an Textmenge. Dieses Verfahren hat Bayle selbst dann beibehalten, wenn, was nicht selten vorkommt, der Text des eigentlichen Artikels nur noch in wenigen, manchmal sogar nur noch in einer Zeile am Kopf der Seite fortgeführt wird; nur in Ausnahmefällen findet sich ausschließlich Anmerkungstext auf einer Seite.6 Die Seitenränder dienen hauptsächlich zur Angabe der Belege für die zahlreichen Zitate, bringen aber auch selbst Zitate mitsamt Nachweis und können gelegentlich auch die in den Anmerkungen geführten Diskussionen um ein Sachargument erweitern. Bayle verwendet kleine lateinische Buchstaben als Verweiszeichen für die Belege zum Hauptartikel, arabische Ziffern für solche zu seinen Anmerkungen. Des weiteren nutzt er den Seitenrand für gelegentliche Zwischenüberschriften zur Strukturierung seiner Darlegungen in den Anmerkungen, die oftmals den Umfang eigener kleinerer Abhandlungen annehmen. Der Druck verwendet von der in Majuskeln gefaßten Überschrift über das Textkorpus des Artikels und die Anmerkungen bis hin zu den Marginalien jeweils kleiner werdende Lettern. Diese kunstvolle und wohldurchdachte Anordnung der Druckseite zielt darauf ab, den Leser bereits durch die Anordnung und die Schriftgröße der verschiedenen Textpartien auf deren unterschiedlichen Status hinzuweisen und somit eine klare Trennung herbeizuführen zwischen der objektiven Infor-

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Bei einigen Artikeln reicht das Alphabet nicht aus, so daß Bayle, wie z.B. im Artikel SPINOZA, nach Erreichen des Buchstabens Z mit AA, BB, CC usw. fortfährt. 6 Ein solcher Fall liegt z.B. bei der – nachträglich hinzugefügten und erstmals in der dritten Auflage von 1720 erschienenen – Anmerkung (P) des Artikels ZUERIUS BOXHORNIUS vor, die sich über sechs Seiten erstreckt. DHC IV, 563–568.

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mation entsprechend dem Wissensstand der Zeit, dem subjektiven Umgang Bayles mit diesen Fakten und den Quellen, auf die er sich dabei stützt. Da Bayle sich bewußt ist, daß kaum ein Leser die oft entlegene Literatur zur Hand hat, auf die er sich bezieht, zitiert er so exzessiv, daß das Dictionnaire auch die Funktion einer kleinen Bibliothek erfüllt.7 Die Masse von Zitaten und Belegen, auf die der Leser bei der Lektüre somit unweigerlich stößt, erlaubt es ihm, sozusagen auf einen Blick die sachliche Berechtigung der Ausführungen Bayles anhand der Quellen zu überprüfen. Bayle substruiert dem Dictionnaire durch dieses Verfahren eine bis dahin nicht gekannte zuverlässige Faktenbasis, wodurch er eine enorme Aufwertung der historischen Wissenschaften herbeiführt und den Leser in die Lage eines kritischen Umgangs mit dem Gebotenen versetzt. So leistet selbst die Anordnung des Druckbildes einen Beitrag zur Stärkung der Autonomie des Lesers und verrät die aufklärerische Absicht, die sein Verfasser mit dem Dictionnaire verfolgt. Wegen des kleineren Satzspiegels war die Übernahme dieses Druckbildes für die Übersetzung nicht möglich. Bayles Stil ist über weite Strecken von geradezu barocker Weitschweifigkeit. Bei den besonders verschachtelten Mammutsätzen kann sich dem Leser mitunter der Eindruck aufdrängen, Bayle habe zu Beginn derselben noch keine klare Vorstellung über ihre Fortführung gehabt; sie dokumentieren insofern, um einen Titel von Heinrich von Kleist zu variieren, die »allmähliche Verfertigung seiner Gedanken beim Schreiben«. Dieser Stil legte häufig eine Aufgliederung der langen Perioden Bayles in mehrere deutsche Sätze nahe. Grundsätzlich haben sich die Herausgeber darum bemüht, eine möglichst flüssige Übersetzung unter Wahrung größtmöglicher Textnähe zu erreichen; wo beide Ziele in Konflikt miteinander gerieten, entschieden sie sich zugunsten einer werkgetreueren Wiedergabe.8 Gelegentlich wurden die deutschen Ausgaben von Gott7

Das ist Bayles ausdrückliche Absicht. Cf. seine Vorrede zur ersten Auflage, DHC I, S. V f. 8 Waltraud Stiegele hat in ihrer separat erschienenen Übersetzung der

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sched und Jakob sowie die englischen von Des Maizeaux, Popkin und Jenkinson eingesehen.9 Wo Bayle allzu knapp ist oder wo eine für das Verständnis des heutigen Lesers unabdingbare Erläuterung bzw. eine Ergänzung erforderlich scheint, sind Hinweise der Herausgeber eingeflochten, die in spitze Klammern » < > « gesetzt und im Fußnotenteil überdies durch den Zusatz »Hgg.« als solche gekennzeichnet sind. Bei zweifelhaften Textstellen wurde die Textgestalt der Ausgaben 1697, 1702, 1720, 1730 konsultiert. An den wenigen Stellen, wo die Übersetzung Bayles Text nicht zu folgen vermochte, sind Konjekturen ebenfalls in spitzen Klammern angebracht und durch das hinzugefügte »Hgg.« als solche ausgewiesen. Auslassungen Bayles sind mit » --- « markiert, Kürzungen durch die Herausgeber mit » … «. Im einzelnen ist wie folgt verfahren worden: – Angesichts der Tatsache, daß Bayle viele Zitate bringt und die meisten der von ihm zitierten Quellen schwer zugänglich sind, konnte eine durchgängige Überprüfung derselben aus zeitökonomischen Gründen nicht vorgenommen werden, erschien für die Zwecke einer Studienausgabe aber auch nicht zwingend erforderlich. Stichprobenartige Überprüfungen weisen die Baylesche Zitierpraxis jedoch trotz gelegentlicher Abweichungen vom Text der heute üblichen Ausgaben als

»Vierten Klarstellung« über die Obszönitäten dem gegenteiligen Prinzip den Vorzug gegeben. Der Preis für die dadurch erzielte sehr gute Lesbarkeit ist eine sprachliche Gestalt, die Bayle beinahe als Autor der Gegenwart erscheinen läßt, aber eben dadurch die Distanz zu seinem Jahrhundert verwischt (Wenn es von einem Buche heißt, es enthalte Obszönitäten… Mit einem Brief von Ludwig Marcuse an den Verfasser. Hg. und übersetzt von Waltraud Stiegele. München 1967. [=Edition Willing 3]). Außerdem geht diese Aktualisierung Bayles zu Lasten der philologischen Zuverlässigkeit, denn die mitunter gewaltsame Modernisierung dieser Übersetzung führt zwangsläufig zu terminologischen Ungenauigkeiten und verleitet die Übersetzerin außerdem dazu, bestimmte Passagen ohne Kennzeichnung auszulassen sowie Haupt- und Fußnotentext zu vermischen (z. B. S. 23). 9 Zu den bibliographischen Angaben dieser Ausgaben cf. die nachfolgende Bibliographie.

Zur vorliegenden Ausgabe











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bemerkenswert zuverlässig aus.10 Dabei muß in manchen Fällen – insbesondere bei Zitaten aus den antiken Autoren, von denen schon zu Bayles Zeit mehrere Ausgaben vorlagen – die Frage offen bleiben, ob die Abweichungen Bayle selbst oder der von ihm zitierten Quelle anzulasten sind. Die Angabe der Belege folgt der Praxis Bayles. Personennamen und Werktitel, die bei Bayle manchmal in französischer, manchmal in lateinischer Schreibweise erscheinen, sind vereinheitlicht und ggfs. ergänzt. Zitate aus der Bibel, wenn sie länger als wenige Worte sind, erscheinen im Wortlaut der Luther-Bibel,11 es sei denn, daß sich Bayle – wie z. B. im Artikel DAVID bei Fußn. 40 – ausdrücklich auf die Genfer Bibel bezieht. In solchen Fällen erfolgte die Übersetzung durch die Herausgeber. Zitate werden in doppelte, Zitate im Zitat in einfache Anführungszeichen gesetzt, und zwar auch dann, wenn sie, wie häufig, bei Bayle in Kursivsatz erscheinen. Gleiches gilt für die von Bayle gern eingesetzten Pseudo-Dialoge, wenn sie mehr als nur wenige Worte umfassen. Die Übersetzungen der griechischen und lateinischen Zitate stammen von den Herausgebern; Übersetzungen aus Gedichten erfolgten in Prosa. Die in die Übersetzung aufgenommenen Fußnoten sowohl zum Korpus des Artikels wie zu seinen Anmerkungen werden in Bayles Zählweise angeführt, d. h. die Übersetzung 10

Popkin, der einige der entlegeneren Quellen Bayles überprüft hat, bestätigt diesen Befund durch sein Ergebnis, »(…) that Bayle was always accurate (…)«. »Introduction« zu: Pierre Bayle. Historical and Critical Dictionary. Selections. Translated, with an introduction and notes, by Richard H. Popkin with the assistance of Craig Brush. Indianapolis 1991 [11965], S. XL. Markus Völkel hat im Sinne einer Fallstudie eine detaillierte Untersuchung über den Umgang mit den 48 Werken angestellt, die Bayle im Artikel LIPSIUS, Justus verwendet. Zur »Text-Logik« im »Dictionnaire« von Pierre Bayle. Eine historisch-kritische Untersuchung des Artikels »Lipsius«. LIAS 20 (1993), 193–226. 11 Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1962.

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verzichtet auf eine eigene fortlaufende Alphabetisierung bzw. Nummerierung derselben. Das hat zur Folge, daß z. B. im Artikel NIHUSIUS auf die erste Fußnote zum Hauptartikel mit dem Buchstaben b verwiesen wird, gefolgt vom Buchstaben e, und daß die erste Anmerkungsfußnote die Ziffer 8 trägt, gefolgt von Ziffer 30. Dieses Verfahren soll dem Leser angesichts des nur wenig durch Absätze strukturierten Textes die Auffindung einer Stelle im Original erleichtern. Deshalb finden sich auch unter Abweichung von der üblichen Praxis Fußnotenziffern dem Zitat dann vorangestellt oder folgen auf das erste Wort des Zitats, wenn Bayle so verfährt, weil er im Zitat selbst bzw. an dessen Ende weitere Fußnoten anbringt. Auf Anmerkungen der Herausgeber wird mit einem Asterisken » * « verwiesen. In einigen Fällen scheinen in den Text Bayles nachträglich Fußnoten eingefügt worden zu sein. Diese sind dort häufig mit einem Asterisken gekennzeichnet, in der Übersetzung mit einer Raute » # «. Die bei Bayle als Marginalien gedruckten Zwischenüberschriften erscheinen zentriert als Überschriften im Text selbst. Bayle stellt den Anmerkungen eine Wiederholung des Satzes oder Satzteiles in Kursivdruck aus dem Korpus des Artikels voran, zu dem er seine Anmerkung macht, und schließt dieses Zitat mit einer eckigen Klammer » ] « ab. Sie konnte hier entfallen, weil der Beginn der Anmerkung durch Absatz von dem Zitat getrennt wurde. Fachtermini wie ignoratio elenchi und stehende Redewendungen erscheinen kursiv, gefolgt von der hinzugefügten und in spitze Klammern gesetzten deutschen Übersetzung durch die Herausgeber, falls Bayle selbst keine Übersetzung liefert. Abkürzungen für Personennamen sind aufgelöst, z. B. »Diog. Laert.« zu »Diogenes Laertius«. Bei Autoren, die nur durch ein Werk bekannt sind – wie z. B. Lukrez mit De rerum natura – verzichtet Bayle und ihm folgend auch die Übersetzung auf die Angabe der jeweiligen Werktitel.

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– Die Schreibweise antiker Personen erfolgt in Anlehnung an Der kleine Pauly. Lexikon der Antike. Auf der Grundlage von Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (…) hg. von Konrat Ziegler und Walther Sontheimer. 5 Bde. München 1979. Andere Personennamen werden in der heute üblichen Form gebracht. Von Bayles Dictionnaire liegt eine deutsche Gesamtübersetzung vor, die unter der Leitung von Johann Christoph Gottsched12 erstellt wurde und 1741–1744 in Leipzig in vier Bänden erschien: Herrn Peter Baylens (…) Historisches und Critisches Wörterbuch, nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen sonderlich bey anstößigen Stellen versehen, von Johann Christoph Gottscheden. (…) Nebst dem Leben des Herrn Bayle.13 Auch sie legt die französische Ausgabe von 1740 zugrunde. Die Qualität dieser Übersetzung schwankt beträchtlich, was in erster Linie damit zusammenhängen dürfte, daß das Unternehmen mit einem kleinen Stamm fester Mitarbeiter14 und einer größeren Anzahl wechselnder Übersetzer durchgeführt wurde, die, wie im 18. Jahrhundert üblich, »nach der Elle« bezahlt wurden. Wenn Gottsched versichert, er habe die Übersetzung durchgelesen und eine »durchgängige Ausbesserung«15 derselben vorgenommen, dann hat er sich 12

Die Übersetzung stammt nicht von Gottsched selbst, noch hat er sie nach eigenem Bekunden auch nur angeregt. Cf. Gottscheds »Vorrede des Herausgebers« zu Bd. I, S. XIII [n.p.]. 13 Zu dem Gesamtunternehmen cf. die Studie von Erich Lichtenstein: Gottscheds Ausgabe von Bayles »Dictionnaire«. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung. Heidelberg 1915. [=Beiträge zur Neueren Literaturgeschichte Bd. VIII]. 14 Cf. Gerhard Sauder: Bayle-Rezeption in der deutschen Aufklärung. Mit einem Anhang: In Deutschland verlegte französische Bayle-Ausgaben und deutsche Übersetzungen Baylescher Werke. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Sonderheft 1975, 96. 15 Gottsched: »Vorrede des Herausgebers«, a. a. O., S. XV [n.p.].

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mit diesen Korrekturen jedenfalls nicht sehr viel Mühe gemacht, denn es klaffen Lücken im Text, und es gibt eine nicht geringe Zahl mehr oder weniger grober Übersetzungsfehler; nicht selten ist das genaue Gegenteil des Übersetzten zutreffend. Diese Übersetzung ist insgesamt also recht unzuverlässig und für den modernen Leser aufgrund ihrer archaischen Sprache kaum noch brauchbar, außerdem werden die lateinischen Zitate nie und die anderen fremdsprachigen Zitate nur gelegentlich übersetzt. Für die mit Blick auf die philosophisch relevanten Artikel vorgenommene Auswahlausgabe, die der Kantianer Ludwig Heinrich Jakob ein halbes Jahrhundert später in zwei Bänden unter dem Titel Peter Baylens Philosophisches Wörterbuch oder die philosophischen Artikel aus Baylens Historisch-Kritischem Wörterbuche in deutscher Sprache abgekürzt und herausgegeben. Zur Beförderung des Studiums der Geschichte der Philosophie und des menschlichen Geistes. Halle, Leipzig 1797 herausgab, gilt nahezu dasselbe, denn Jakob legt die unter Gottscheds Leitung entstandene Übersetzung zugrunde. Zwar sieht er deren Schwächen und will sie beheben,16 aber seine Korrekturen sind nicht so durchgreifend, daß durch sie die genannten Unzulänglichkeiten zufriedenstellend behoben würden; nicht selten führen sie sogar zu Verschlimmbesserungen. Die vorliegende Neuübersetzung bietet im Kern eine Auswahl aus den philosophisch relevanten Artikeln des Dictionnaire17 und präsentiert damit zugleich die großen Themen, die 16

Er habe dort, so sagt er in seiner Vorrede, wo in seiner Vorlage »(…) der Sinn verfehlt oder dunkel ausgedrückt war, die nöthige Veränderung getroffen (…)« und sich außerdem bemüht »(…) die altdeutsche Construction möglichst wegzuschaffen (…)«. »Vorrede« zu Bd. I, S. VII. 17 Élisabeth Labrousse gibt die Zahl der Artikel, die Philosophen gewidmet sind, mit 104 an. Dabei ist eine deutliche Schwerpunktsetzung auf die Denker der Antike zu verzeichnen, denn diesen sind 48 Artikel gewidmet, 13 Artikel gelten mittelalterlichen und 25 Artikel Philosophen der Renaissance. Nur 18 Artikel beschäftigen sich mit Philosophen des 17. Jahrhunderts (Pierre Bayle. Bd. II: Hétérodoxie et rigorisme. La Haye 1964.

Zur vorliegenden Ausgabe

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Bayle zeitlebens beschäftigt haben und die im Zentrum seines Denkens stehen: Skeptizismus und Fideismus, religiöse Toleranz, die Tugendhaftigkeit von Atheisten, die Rechte des irrenden Gewissens, die Unvereinbarkeit von Vernunft und Glauben, die Bibelkritik, die rationale Unlösbarkeit des Theodizeeproblems ebenso wie der Unsterblichkeitsfrage, die Inkonsistenz des Materialismus sowie die Schwierigkeiten des Idealismus, die Unvereinbarkeit von natürlicher und christlicher Moral, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Sie alle lassen sich als thematisch gebundene Aspekte der grundlegenden Einsicht Bayles verstehen, daß es dem Menschen unmöglich ist, in irgendeiner Frage, gleichgültig welchem Bereich sie entstammen mag, mit den Mitteln der Vernunft zu einer in sich schlüssigen Weltsicht zu gelangen, und daß der seit dem späten 17. Jahrhundert anvisierte Ausweg, diesen Mangel durch Rekurs auf die Lehre des Christentums und ihre Verquickung mit der modernen Naturwissenschaft zu kompensieren, sich als eine Sackgasse erweist, weil die Probleme dadurch nicht geringer, sondern nur noch größer werden. Bayle behandelt diese Fragen größtenteils in Artikeln, die schon im 18. Jahrhundert im Zentrum des Interesses standen und deren Berücksichtigung in der vorliegenden Auswahl deshalb auch unter rezeptionsgeschichtlichem Gesichtspunkt von Bedeutung ist. Da Bayle das Scheitern aller auf Vernunft gegründeten Versuche, in der Philosophie zu gesicherten Ergebnissen zu kommen, anhand der seit Descartes geläufigen Einteilung der speziellen Metaphysik in die rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie vor Augen führt,18 hat sich die vorliegende AusReprint Paris 1996, 194n32). Diese Zahlen können natürlich nur als ungefähre Anhaltspunkte gelten, und erst recht darf man sie nicht so verstehen, worauf Labrousse auch ausdrücklich hinweist, daß sich nur 5% des gesamten Dictionnaire mit philosophischen Fragen befaßten. Denn einer eindeutigen Zuordnung stehen die Überschneidungen beispielsweise bei den modernen Naturwissenschaftlern wie im Falle Keplers entgegen, und außerdem kommt Bayle an den entlegensten Stellen auf philosophische Themen zu sprechen. 18

Dieser Ansatz liegt der Interpretation des Dictionnaire zugrunde bei

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gabe in erster Linie an den hierfür einschlägigen Artikeln orientiert. Damit der Leser aber darüber hinaus einen etwas umfassenderen Eindruck von Bayles Dictionnaire gewinnen kann, sind ferner Artikel aufgenommen, in denen Bayle die Biographie der behandelten Person zum Anlaß einer Selbstcharakterisierung zu nehmen scheint, weil er sich ihnen wesensverwandt fühlt.19 Nicht fehlen dürfen natürlich die prominenten Artikel PYRRHO und ZENON VON ELEA. In ihnen sucht Bayle einen Nachweis der antinomischen Beschaffenheit der Vernunft zu erbringen, der Parallelen zu Kants Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft erkennen läßt. Zwei der wirkungsmächtigsten Artikel sind fraglos die über den Propheten David und über Spinoza; den ersten Artikel hat Bayle auf Druck der wallonischen Kirche Rotterdams hin für die zweite Auflage völlig umgearbeitet; in dem zweiten hat er sich mit einer sonst kaum erreichten Schärfe gegen Spinozas metaphysisches System ausgesprochen, das er als die »ungeheuerlichste, absurdeste und den evidentesten Begriffen des menschlichen Geistes am meisten entgegengesetzte Lehre«20 bezeichnet. Damit hat er entscheidend das außerordentlich negative Bild geprägt, das die europäische Frühaufklärung von Spinoza hatte. Lothar Kreimendahl: Pierre Bayle. Historisches und kritisches Wörterbuch (1697). In: ders.: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Rationalismus und Empirismus. Stuttgart 1994, 314–350. 19

Daß dies im Falle des Artikels BUNEL, Anm. (C) der Fall ist, meint auch Popkin (Pierre Bayle. Historical and Critical Dictionary, a. a. O., 41). Auch der – hier nicht aufgenommene – Artikel MELANCHTHON, Anm. (I) bietet eine solche Selbstcharakterisierung Bayles, ebenso der Artikel SPINOZA, Anm. (M), wo Bayle zwei Klassen von Menschen unterscheidet: die einen tragen ihre Religion im Kopf, aber nicht im Herzen, die anderen, zu denen Bayle sich zählen dürfte, tragen die Religion im Herzen, aber nicht im Kopf. DHC IV, 268a. 20 SPINOZA, Art., DHC IV, 259. Leszek Kolakowsky hat auf die Einseitigkeiten und mancherlei Schieflagen in Bayles Spinoza-Kritik hingewiesen. Pierre Bayle, critique de la métaphysique de la substance. In: Paul Dibon (Hg.): Pierre Bayle, le philosophe de Rotterdam. Études et documents (…). Paris, Amsterdam 1959, 66–80.

Zur vorliegenden Ausgabe

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Der aufklärerische Impetus Bayles ist beinahe in jedem Artikel spürbar, besonders deutlich tritt er jedoch anläßlich der Behandlung typisch aufklärerischer Themen wie der Wunderkritik (KONSTANZ) oder der Theologiekritik ganz allgemein (CHRYSIS), der Frage nach der Beweisbarkeit der wahren Religion (NICOLE, NIHUSIUS), der reliösen und – damit verbunden – der politischen Toleranz (MÂCON, NICOLE), der in der Gelehrtenrepublik herrschenden Freiheit (CATIUS) sowie bei der Frage hervor, ob die Philosophie nicht so etwas wie der natürliche Feind der Religion ist (TAKIDDIN). Hinzugefügt wurden ferner einige der Artikel philosophie- bzw. theologiekritischen Inhalts, in die Bayle – übrigens auch unter dem finanziellen Gesichtspunkt einer Steigerung des Absatzes des Dictionnaire – »Unflätereien« einfließen läßt (ACINDYNUS, HIPPARCHIA, JONAS, MAMMILLARIER, TURLUPINER). Sie machen verständlich, weshalb er den Vorwurf der Verbreitung von Obszönitäten auf sich zog, gegen den er sich in der letzten von insgesamt vier »Klarstellungen« zur Wehr setzt. Mit diesen »Klarstellungen« sucht er ab der zweiten Auflage von 1702 insgesamt viererlei Vorwürfen zu begegnen, die gegen ihn anläßlich des Erscheinens der Erstausgabe im Jahr 1697 erhoben worden waren. Da diese rechtfertigenden Ausführungen oft ein neues Licht auf die in ihnen behandelten Themen werfen und als seine abschließende Stellungnahme gelten dürfen, sind sie in diese Sammlung aufgenommen worden. Daß jede Auswahl aus diesem kleinen Universum, als das man das Dictionnaire bezeichnen kann, Lücken aufweisen muß, liegt angesichts der Text- und Problemmassen, die Bayle in vier dickleibige Folianten brachte und unter denen es zu wählen galt, auf der Hand;21 und es ist leicht vorstellbar, daß mancher 21

Popkin schätzt, daß die gut 2000 Artikel des Dictionnaire aus sieben bis acht Millionen Worten bestehen (Pierre Bayle. Historical and Critical Dictionary, a. a. O., XXXVII.); A. M. Bianchi zufolge umfassen sie mehr als 10.000 Anmerkungen und 55.000 Belege. A. M. Bianchi: Les citations du »Dictionnaire« de P. Bayle. In: Les applications de l’informatique à la philosophie. Journées d’études des 16 eb 17 novembre 1970 du Centre National de la Recherche Scientifique. Paris 1970, 81.

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Leser hoffte, auf andere als die hier gebotenen Artikel zu stoßen. Zur Erreichung der oben genannten Ziele war es nicht erforderlich, die ausgesuchten Artikel jeweils vollständig zu übersetzen. Denn das Dictionnaire ist ein mit häufig ausschweifenden Digressionen und wissenschaftsgeschichtlich längst überholten Detaildebatten so überladenes Werk, daß die heute noch interessierenden Goldkörner von einer Menge historischen und philologischen Ballasts überdeckt sind. Diese Überfrachtung mit obsoleten Auseinandersetzungen hat A. J. le Bret auf die Idee gebracht, eine – nicht gedruckte – Auswahl aus dem Dictionnaire in nur 180 Folio-Blättern unter dem Titel Bayle dégagé de ses inutilités zu erstellen.22 So ist das thematisch Relevante in den allermeisten Fällen auf wenige Anmerkungen der Artikel konzentriert, und noch innerhalb dieser Anmerkungen erwiesen sich Streichungen sowohl im Text als auch bei den zugehörigen Fußnoten als geboten; letzteres insbesondere dann, wenn sie lediglich den fremdsprachigen Originalwortlaut eines Zitats bringen, das Bayle in Paraphrase zuvor bereits in den Text eingebaut hat. Das Korpus des Artikels erscheint jedoch fast immer ungekürzt.23 Selbstverständlich ist bei den Kürzungen darauf geachtet worden, daß die durch »(…)« gekennzeichneten Auslassungen nicht zu Sinnentstellungen oder -verzerrungen führen; ihr Zweck ist es, Umwege bei der Lektüre zu ersparen und den Blick gleich auf das Wesentliche zu lenken. Ob dies gelungen ist, muß der Leser entscheiden.

22

Cf. Ira O. Wade: The Intellectual Development of Voltaire. Princeton 1969, 632. 23 Die einzige nennenswerte Ausnahme von dieser Regel ist der Artikel PERROT; die Kürzungen in den Textkorpora der Artikel BONFADIUS, JUPITER und MÂCON betreffen nur wenige Worte. Die Artikel KONSTANZ und WEIDNER sind vollständig einschließlich aller Fußnoten übersetzt.

BIBLIOGRAPHIE

Berücksichtigt sind neben den Œuvres diverses wichtige Separatausgaben von Werken Bayles sowie Gesamt- und Auswahlausgaben des Dictionnaire historique et critique, die in französischer, deutscher oder englischer Sprache erschienen sind. Die Sekundärliteratur erfaßt neben Monographien und Sammelwerken Aufsätze, die schwerpunktmäßig das Dictionnaire behandeln. Die von Gianluca Mori erstellte »Pierre Bayle Home Page« ermöglicht u. a. den Zugriff auf Texte Bayles, gibt Informationen verschiedenster Art zu Bayle und enthält eine fortlaufend aktualisierte Bibliographie. (http://www.lett.unipmn.it/~mori/bayle/).

Gesamt- und Einzelausgaben Œuvres diverses. 4 Bde. La Haye 1727–31. Reprint, avec une introduction de Élisabeth Labrousse, Hildesheim 1964–68. [Ergänzt um die Bände V,1–2 (Sammlung von einigen Texten Bayles sowie seiner Zeitgenossen, 1982) sowie um die »Volumes supplémentaires« I,1–2 (Choix d’articles tirés du Dictionnaire historique et critique,1982); II (Pierre Jurieu, Lettres pastorales, 1988); III (Pierre Poiret, Cogitationes rationales, 1990)]. Œuvres diverses. Nouvelle édition considerablement augmentée. 4 Bde. La Haye 1737. [Enthält erstmals die Lettres de Monsieur Bayle à sa famille]. Œuvres diverses. Préface et notes par Alain Niderst. Paris 1971. [Auswahl]. De la tolérance. Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ »contrains-les d’entrer«. Préface et commentaires de J.-M. Gros. Paris 1992.

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Französische Ausgaben des »Dictionnaire historique et critique« Dictionnaire historique et critique. 2 Bde. Rotterdam 1697. – Microfiche-Ausgabe Erlangen 1998. – 2. édition, revuë, corrigée et augmentée par l’auteur. 3 Bde. Rotterdam 1702. [Ausgabe letzter Hand].

Bibliographie

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– 3. édition, à laquelle on a ajouté la vie de l’auteur, et mis ses additions et corrections à leur place. Rotterdam 1715. – 4. [genannt 3.] édition, revue, corrigée et augmentée par l’auteur. 4 Bde. Rotterdam 1720. – 5. [genannt 4.] édition, revue, corrigée et augmentée. Avec la vie de l’auteur par Mr. Des Maizeaux. 4 Bde. Amsterdam, Leiden 1730. – 6. [genannt 5.] édition, revue, corrigée et augmentée de remarques critiques. Avec la vie de l’auteur par Mr. Des Maizeaux. 4 Bde. Amsterdam 1734. – 7. édition, revue, corrigée et augmentée de remarques critiques. Avec la vie de l’auteur par Mr. Des Maizeaux. 4 Bde. Basel 1738. – 8. [genannt 5.] édition, revue, corrigée et augmentée. Avec la vie de l’auteur par Mr. Des Maizeaux. 4 Bde. Amsterdam, Leiden, La Haye, Utrecht 1740. Reprint Genf 1995. Supplement au »Dictionnaire historique et critique« par Monsieur Bayle pour les éditions de MDCCII et de MDCCXV. Genf 1722. Nouvelle édition, augmentée de notes extraites de Chaufepié, Joly, La Monnoie, Leduchat, L.-J. Leclerc, P. Marchand etc. Ed. par A.J.Q. Beuchot. 16 Bde. Paris 1820–24. Reprint Genf 1969. Französische Auswahlausgaben Pierre Bayle. Choix de textes et introduction par Marcel Raymond. Paris 1948. [Enthält auch Abschnitte aus anderen Werken Bayles]. Pierre Bayle et l’instrument critique. Présentation, choix de textes, bibliographie par Élisabeth Labrousse. Paris 1965. [Enthält auch Abschnitte aus anderen Werken Bayles]. Bayle polémiste. Extraits du »Dictionnaire historique et critique«. Présentation, notes et choix de textes par Jacques Solé. Paris 1972. Dictionnaire historique et critique. Préface et notes par Alain Niederst. Paris 1974.

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Deutsche Auswahlübersetzungen Die von dem klugen und gelehrten Herrn Peter Bayle verfertigte so angenehm als gründliche Lebens-Beschreibung dreyer merckwürdiger und gelehrter Männer: I. Desiderii Erasmi, II. Ioannis Calvini, III. Rob. Bellarmini, aus dessen weltbekannten Dictionaire historique et critique ins Deutsche übersetzet und mit einigen Anmerckungen vermehret (…) durch Georg Friedrich Schmidt. Hannover 1732. Leben des König Davids aus dem Dictionario des Herrn Peter Baile, erster Herausgabe. Mit dessen Critischen Anmerckungen übersetzt. In: Leben des Königs und Propheten Davids. Von dem Herrn Abt von Choisy, und dem berühmten Peter Bayle (…) ins Deutsche übersetzt von P. G. v. K. Franckfurt, Leipzig 1736. Historisch-kritisches Wörterbuch im Auszuge, neu geordnet

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und übersetzt [von Ludwig Suhl]. Theil I: Für Theologen. Theil II: Für Dichterfreunde. Lübeck 1779–80. Peter Baylens Philosophisches Wörterbuch oder die philosophischen Artikel aus Baylens Historisch-Kritischem Wörterbuche in deutscher Sprache abgekürzt und herausgegeben. Zur Beförderung der Geschichte der Philosophie und des menschlichen Geistes. Von Ludwig Heinrich Jakob. 2 Bde. Halle, Leipzig 1797. Obszönitäten. Kritische Glossen von Pierre Bayle. Bearbeitet und zeitgemäß erweitert von Alfred Kind. 2. Aufl. Wilmersdorf, Berlin 1908 Wenn es von einem Buch heißt, es enthalte Obszönitäten… Hg. und übersetzt von Waltraud Stiegele. Mit einem Brief von Ludwig Marcuse an den Verfassser. München o.J. (1967).

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Englische Auswahlübersetzungen Selections from Bayle’s Dictionary. Ed. by E. A. Beller and M. du P. Lee jr. Princeton 1952. Reprint New York 1969. Historical and Critical Dictionary. Selections. Translated, with an introduction and notes, by Richard H. Popkin with the assistance of Craig Brush. Indianapolis 1991. [11965]. Political Writings. Ed. by Sally L. Jenkinson. Cambridge 2000.

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PIERRE BAYLE Historisches und kritisches Wörterbuch

ACINDYNUS

acindynus, Septimius, wurde mit Valerius Proculus in dem Jahr römischer Konsul, als Konstantin, der Sohn Konstantins des Großen, bei Aquileia getötet wurde. Er war Statthalter von Antiochien gewesen, und unter seiner Statthalterschaft ereignete sich eine Sache, die es verdient, erzählt zu werden. Der hl. Augustinus berichtet die Angelegenheit.b Ein gewisser Mann, der das Pfund Gold, auf das er geschätzt worden war, nicht bei der Staatskasse ablieferte, wurde von Acindynus ins Gefängnis geworfen. Er schwor, ihn hängen zu lassen, wenn er die Summe nicht bis zu einem festgesetzten Tag erhalten sollte. Die Frist neigte sich dem Ende zu, ohne daß sich dieser arme Mann in der Lage sah, den Statthalter zufriedenzustellen. Er hatte zwar eine hübsche Frau, aber sie war arm. Trotzdem zeigte sich ihm die Hoffnung auf Freiheit von dieser Seite. Ein sehr reicher Mann, der in Liebe zu dieser Frau entbrannt war, bot ihr das Pfund Gold an, von dem das Leben ihres Mannes abhing. Als Entschädigung verlangte er nur, eine Nacht mit ihr zu verbringen. Die Frau, die aus der Schrift gelernt hatte, daß ihr Körper nicht in ihrer, sondern in der Verfügungsgewalt ihres Gatten stand, teilte dem Gefangenen das Angebot jenes Liebhabers mit und erklärte ihm ihre Bereitschaft, es anzunehmen; vorausgesetzt, daß er, der wahre Herr über den Körper seiner Frau, seine Einwilligung gebe und daß er sein Leben zum Preis einer Keuschheit zurückkaufen wolle, die ihm ganz allein gehörte und über die er verfügen konnte. Er dankte ihr dafür und trug ihr auf, mit diesem Mann zu schlafen. Sie tat es, indem sie selbst bei dieser Gelegenheit ihren Körper ihrem Mann darbot; nicht für seine gewöhnlichen Begierden, sondern für seinen Wunsch weiterzuleben. Sie erhielt zwar das versprochene Geld, aber man nahm es ihr auf geschickte Weise wieder ab b

Augustinus, De sermone domini in monte, Buch I, Kap. 16.

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Historisches und kritisches Wörterbuch

und ersetzte es durch einen anderen Geldbeutel, der nur Erde enthielt. Kaum hatte die gute Frau nach der Rückkehr in ihre Wohnung (denn sie hatte den Liebhaber in seinem Landhaus getroffen) diesen Betrug bemerkt, als sie sich öffentlich darüber beklagte. Sie verlangte Gerechtigkeit vom Statthalter und erzählte ihm ganz freimütig die Geschichte. Acindynus begann damit, daß er sich für schuldig erklärte, weil seine Härte und seine Drohungen diese guten Leute dazu veranlaßt hätten, zu derartigen Mitteln zu greifen. Er verurteilte sich zur Zahlung des Pfundes Gold an die Staatskasse und sprach der Frau sodann das Landgut zu, von dem die Erde stammte, die sie in dem Geldbeutel gefunden hatte. Der hl. Augustinus wagt nicht zu entscheiden, ob das Verhalten dieser Frau gut oder schlecht war; er neigt weit mehr dazu, es zu billigen als es zu verurteilen, was ziemlich überraschend ist (C). Wir haben obene dieselbe moralische Laxheit beim hl. Chrysostomos anläßlich des Verhaltens von Abraham und Sara gesehen.

(C) Was ziemlich überraschend ist. Sollte ein so bedeutender Theologe wie er nicht wissen, daß unser Leben, das nur ein zeitliches und vergängliches Gut ist, uns nicht so wertvoll sein darf, daß es uns würdig erschiene, durch Ungehorsam gegen das göttliche Gesetz freigekauft zu werden? Denn weil dieser Ungehorsam eine Sünde ist, die uns einer ewigen Bestrafung aussetzt, und ein moralisches Übel, das ein unendliches Wesen beleidigt, ist es ebenso gegen die Klugheit wie gegen die rechte Vernunft, lieber eine Sünde zu begehen, als sein Leben zu verlieren. Ich sage nichts von den Abgründen der Verderbnis, die sich allenthalben unter unseren Füßen auftun, wenn man uns sagt, daß eine Handlung, die ein Verbrechen wäre, wenn man sie ohne die Absicht ausführte, sein Leben zu retten, unschuldig werde, wenn man sie zur RetIn der Anmerkung (A) des Artikels ABIMELECH. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.典 e

Acindynus

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tung des Lebens begeht. Der Gefangene des Acindynus hätte eine abscheuliche Kuppelei begangen und im wahrsten Sinne des Wortes einem Ehebruch zugestimmt, wenn er seiner Frau erlaubt hätte, mit dem Liebhaber zu schlafen, um ein Pfund Gold zu gewinnen; aber weil er nur zustimmte, um sein Leben zu retten, ist es nicht mehr eine Einwilligung zum Ehebruch, sondern eine erlaubte Sache. Wer sieht nicht, daß es, wenn eine solche Moral gelten würde, keine einzige Vorschrift unter den zehn Geboten gäbe, von der uns die Furcht vor dem Tod nicht freistellte? Wo sind die Ausnahmen zugunsten des Ehebruchs? Wenn eine Frau nicht verpflichtet ist, dem Gebot zu gehorchen, ihren Körper nicht zu besudeln, wenn das ihrem Ehemann die Todesstrafe ersparen kann, so wird sie nicht verpflichtet sein, ihm zu gehorchen, wenn es darum geht, ihr eigenes Leben zu retten; denn Gott hat nicht von uns verlangt, jemanden mehr zu lieben als uns selbst. Man würde also zur Vermeidung des Todes das Gesetz der Keuschheit ungestraft übertreten können. Warum sollte ein ähnlicher Grund nicht zur Erlaubtheit von Mord, Raub, Meineid, Abschwörung der eigenen Religion usw. führen? Die größten Menschen sind der Gefahr ausgesetzt, Fehltritte zu begehen und sich auf den breitesten Wegen zu verirren. Ist es denn so schwer zu begreifen, daß der hl. Paulus nicht behauptet hat, ein Ehemann könne über den Körper seiner Frau zugunsten eines Dritten und Vierten verfügen, als er sagte, die Frau habe keine Verfügungsgewalt über ihren Körper, sondern diese liege bei ihrem Ehemann? Man sieht jedoch, daß der hl. Augustinus über diese Worte des Apostels in Verwirrung gerät und großes Gewicht auf den Umstand legt »als der Ehemann es befahl, verweigerte sie sich nicht seiner Macht«. Wir werden an anderem Ort7 sehen, daß er sich dieser Lehre des hl. Paulus bedient hat, um Abraham und Sara wegen des Konkubinats der Hagar zu rechtfertigen. Wir wollen einen Theologen hören, der, obwohl er mehrere Jahrhunderte nach diesem Kirchenvater gelebt hat, In der Anmerkung (I) des Artikels SARA. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.典 7

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Historisches und kritisches Wörterbuch

in diesem Punkt doch ein besserer Moralist ist. »Es ist verwunderlich, daß ein so bedeutender und so großer Mann in dieser Sache« (nämlich der Angelegenheit der Frau, deren Mann Gefangener des Acindynus war) »Zweifel haben konnte, denn es ist aus der hl. Schrift ganz offenkundig, daß kein Übel der Strafe jemals durch ein Übel der Schuld getilgt werden darf, und daß wir lieber auf das Leben verzichten sollen, als es entweder für uns oder für andere zu erhalten, indem wir etwas tun, was Gott beleidigt. Wir dürfen daher keinesfalls denken, der Ehebruch sei dem Mann oder der Frau als Mittel zur Lebensrettung erlaubt; vielmehr sollten sie eher den Tod erwarten und ihn sogar aus freien Stücken suchen, als wechselseitig die Keuschheit zu verletzen, zu deren Erhaltung viele höchst züchtige Frauen sowohl unter den Heiden als auch unter den Christen nicht nur den Tod von fremder Hand ertragen, sondern sich sogar selbst getötet haben (was ich jedoch nicht billigen will).«8 (…).

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Rivet, Opera, Bd. I, S. 281.

BONFADIUS

bonfadius, Giacomo, einer der elegantesten Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, wurde in Italien, in der Nähe des Gardasees geboren. Er war drei Jahre lang Sekretär des Kardinals de Bari in Rom, büßte aber durch den Tod seines Herrn alle Früchte seiner Arbeit ein. Danach ging er zu Kardinal Ghinucci und diente ihm als Sekretär, bis er infolge langer Krankheit diese Stelle verlor. Nach seiner Genesung war ihm der Hof so sehr verleidet, daß er sich entschloß, sein Glück auf anderem Wege zu suchen. Im Königreich Neapel, das er recht lange durchwanderte, fand er keine Anstellung. Er ging dann nach Padua, anschließend nach Genua, wo er öffentliche Vorlesungen über die Politik des Aristoteles hielt. Man gab ihm einen Lehrauftrag auch für Rhetorik, und da er hierbei recht erfolgreich war, hatte er eine große Anzahl von Schülern, die bei ihm die Schönen Wissenschaften lernen wollten. Sein Ansehen wuchs von Tag zu Tag, so daß die Republik Genua ihn zu ihrem Historiographen machte und ihm in diesem Amt ein sehr gutes Gehalt zahlte. Seine gesamten Kräfte widmete er der Abfassung der Annalen dieses Staates und brachte die ersten fünf Bände davon heraus. Er äußerte sich in ihnen allzu freimütig und satirisch über einige Familien und schuf sich dadurch Feinde, die sein Verderben beschlossen. Sie ließen ihn der Sünde wider die Natur beschuldigen, und da sich Zeugen fanden, um ihn zu überführen, wurde er zum Tode durchs Feuer verurteilt.a Einige Autoren sagen, man habe das Urteil nach dem Wortlaut vollstreckt, aber andere versichern, die Bemühungen seiner Freunde hätten die Umwandlung der Strafe bewirkt und er sei enthauptet worden. Das geschah im Jahr 1560. Diejenigen, die seine Unklugheit tadeln, haben nicht unrecht, aber sie waren selber so unklug, ihn abzuschreiben. Man hat von ihm einige a

Nach Ghilini, Teatro d’huomini illustri, Bd. I, S. 70.

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Historisches und kritisches Wörterbuch

Reden, einige Briefe sowie Gedichte in lateinischer und italienischer Sprache. Am Tage seiner Hinrichtung schrieb er ein Billett an Giovanni Battista Grimaldi, um denen zu danken, die sich für ihn eingesetzt hatten. Er versprach, sie wissen zu lassen, wie es ihm in der anderen Welt erging, falls sich das machen ließe, ohne sie zu erschrecken. Er ist nicht der einzige, der ein solches Versprechen abgegeben hat (E). Er legte ihnen seinen Neffen Bonfadino ans Herz, der vielleicht jener Pietro Bonfadius ist, von dem man Verse im Gareggiamento poetico del confuso Accademico ordito findet, einer Gedichtsammlung in acht Teilen, die im Jahr 1611 in Venedig gedruckt wurde.

(E) Er versprach, sie wissen zu lassen, wie es ihm in der anderen Welt erging (---). Er ist nicht der einzige, der ein solches Versprechen abgegeben hat. Dies sind seine Worte: »Wenn es möglich ist, aus einer anderen Welt ein Zeichen zu geben, ohne euch zu erschrecken, werde ich es tun.« Sie sind dem Billett entnommen, das er an Giovanni Battista Grimaldi sandte. Man findet es in voller Länge im Anti-Baillet.17 Ménage hat es aus einer Sammlung italienischer Briefe unter dem Titel Lettere di diversi uomini illustri raccolte da diversi libri, die 1603 in Treviso bei Fabricio Zanetti in Oktav gedruckt wurde. Baranzan vom Barnabiter-Orden hat das gleiche Versprechen abgegeben und nicht gehalten; davon spreche ich in seinem Artikel. Man sagt, Marsilio Ficino habe das gleiche versprochen, aber Wort gehalten. Man lese die Stelle bei Pierre de Saint-Romuald: »Marsilio Ficino, Priester in Florenz, ein großer platonischer Philosoph und ein großer Theologe, starb, und alsbald kam sein Geist in Gestalt eines weiß gekleideten Ritters auf einem Pferd von gleicher Farbe spornstreichs vor die Tür des Wohnhauses seines Freundes Michel Mercat geritten, in einer Stadt, die ziemlich weit von Florenz entfernt lag. Mercat, ebenfalls ein großer platonischer 17

Ménage, Anti-Baillet, Kap. 89.

Bonfadius

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Philosoph, studierte bei Tagesanbruch in seinem Kabinett. Ficino rief ihm zu, daß die Gespräche, die sie miteinander über ein anderes Leben geführt hatten, zutreffend gewesen waren. Dann kehrte er dahin zurück, woher er gekommen war und entzog sich den Blicken seines Freundes, der ihm noch nachrief, daß er auf ihn warten solle. Dies geschah aufgrund einer Abmachung, die sie getroffen hatten, wonach derjenige von ihnen, der als erster starb, so Gott wollte, den Überlebenden aufsuchen würde, um ihm zu melden, ob die Dinge im anderen Leben so abliefen, wie Platon sie in seinem Buch über die Unsterblichkeit der Seele geschildert hatte. Kardinal Baronius versichert, er habe gehört, wie Mercats Enkel diese Geschichte erzählte.«18 Man beachte, daß Baronius, der dies in Band V seiner Annales de l’Eglise berichtet,19 hierzu anmerkt, daß Michel Mercat, der schon immer ein vorbildliches Leben als guter Philosoph geführt hatte, nach dieser Erscheinung noch tugendhafter wurde, denn er gab das Studium der Philosophie auf und widmete sich voll und ganz seinem Seelenheil. Der Annalist fügt hinzu, das wechselseitige Versprechen, das Marsilio Ficino und Michel Mercat einander gaben, sich über den Stand der Dinge nach diesem Leben Kenntnis zu geben, sei von mehreren Gelehrten bestätigt und von den Predigern oft dem Volk erzählt worden. (…). Schade, daß Michel Mercat nicht eine beeidete gerichtliche Bestätigung des Vorgangs hinterlassen hat, die in den Archiven von Florenz registriert wäre. Es war sehr unrecht von ihm, das nicht zu tun. Sein Enkel Michel Mercat, der all das dem Baronius erzählt hat, war Protonotar der Kirche und wegen seiner Rechtschaffenheit und Gelehrsamkeit hoch angesehen.21 Die Stelle, wo Seneca berichtet, mit welcher Gelassenheit Julius Canus* zur Hinrichtung ging, ist bewundernswert. Dieser 18

Pierre de Saint-Romuald, Abrégé chronologique et historique, Bd. III, S. 251 f., ad ann. 1499. 19 Baronius, ad ann. 411, Nr. 69. 21 Ebd. * 具Bayle schreibt statt »Julius Canus« irrtümlich »Canius Julius«. Hgg. 典

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Historisches und kritisches Wörterbuch

rechtschaffene Mann wurde von Caligula zum Tode verurteilt, aber erst zehn Tage nach dem Urteil hingerichtet. Er verbrachte sie ohne Unruhe, und als man ihm sagte, nun müsse man zur Richtstätte gehen, verlor er nichts von seiner Fröhlichkeit. »Warum seid ihr traurig?« fragte er seine Freunde. »Ihr untersucht noch, ob die Seele nach dem Tode fortbesteht, ich werde es bald wissen.« Der Philosoph, der ihn begleitete, fragte ihn: »Woran denkst Du in diesem Augenblick?« »Ich nehme mir vor, gut aufzupassen«, erwiderte Canus, »ob meine Seele gewahr wird, daß sie den Körper verläßt.« Er versprach, daß er, wenn er etwas bemerkte, seine Freunde besuchen würde, um sie über seinen Zustand zu unterrichten.22 (…). Seneca sagt nicht, ob man irgendwelche Nachrichten von Julius Canus aufgrund dieses Versprechens erhalten hat.

Was für einen Beweis gibt die Erscheinung einer Seele ab? Vielleicht wird es die Leser freuen, wenn ich hier zwei Fragen prüfe, die sich natürlicherweise stellen. Die erste ist, ob die Freunde dieses Julius einen guten Vorwand hatten, an der Unsterblichkeit der Seele zu zweifeln, als die Nachrichten ausblieben, auf die er ihnen Hoffnung gemacht hatte. Die zweite Frage ist, ob sie guten Grund gehabt hätten, an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben, falls ihnen durch irgendeine Erscheinung seine Nachricht mitgeteilt worden wäre. I. Auf die erste Frage antworte ich: Ein solcher Vorwand, die Unsterblichkeit der Seele in Zweifel zu ziehen, wäre sehr schlecht. Denn obwohl man mit der Annahme, daß seine Seele nicht länger bestand, einen sehr guten Grund für die Nichtigkeit von Julius’ Versprechen hätte angeben können, folgt daraus nicht, daß man sich dieser Hypothese mit Recht bedienen konnte, um die Ursachen dafür anzugeben, daß er nicht Wort hielt. Wenn sich ein Phänomen durch drei oder vier wahrscheinliche Annahmen erklären läßt, kann keine von ihnen 22

Seneca, De tranquillitate animi, Kap. XIV, S. 671.

Bonfadius

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eine gerechtfertigte Überzeugung begründen. Einen demonstrativen Beweis kann man nur dann führen, wenn die anderen Hypothesen neben der, die man verwendet, entweder unmöglich oder offenkundig falsch sind. Da man aber unter der Annahme der Unsterblichkeit der Seele gute Gründe nennen kann, warum Julius nicht zurückkam, um seinen Freunden Mitteilung über seinen Zustand zu machen, kann man die Hypothese der Sterblichkeit der Seele sehr wohl zurückweisen, obgleich sie sehr gut geeignet ist, das Geschehen zu erklären. Man kann mit gutem Grund annehmen, daß eine von ihrem Körper getrennte Seele sich entweder nicht an das Versprechen erinnern kann, das sie in diesem Leben gegeben hat, oder, wenn sie sich daran erinnert, daß sie nicht die Mittel kennt, das Versprechen zu erfüllen, oder daß sie nicht frei ist, diese Mittel einzusetzen, sei es, daß sie es nicht wagt, sei es, daß sie nicht gewillt ist, Ungehorsam gegen den Willen einer höheren Macht zu zeigen, die ihr jeden Kontakt zu den Menschen verbietet. Sagen wir daher, daß die Freunde des Bonfadius sehr schlechte Logiker gewesen wären, wenn sie von der Tatsache, daß er das gegebene Wort nicht hielt, auf die Sterblichkeit der Seele hätten schließen wollen. II. Der zweite Punkt ist heikler, und ich treffe zunächst eine Unterscheidung. Wenn irgendein Phantom, das sich mit der Behauptung, es sei die Seele von Julius, den Freunden dieses Römers gezeigt und ihnen Nachrichten aus der anderen Welt gebracht hätte, so hätten sie infolgedessen die Hypothese der Unsterblichkeit der Seele als sehr wahrscheinlich betrachten können. Aber wenn sie diese Erscheinung als einen demonstrativen Beweis für den Fortbestand von Julius’ Seele genommen hätten, so hätten sie nicht gut geurteilt. Denn wie ich schon sagte, eine Hypothese liefert keinen demonstrativen Beweis, wenn sich die Tatsache, die sie erklärt, auch durch andere Hypothesen erklären läßt. Damit ein Beweis demonstrativ ist, muß er zeigen, daß das Gegenteil unmöglich oder offenkundig falsch ist. Da man aber mögliche Ursachen für die Erscheinung eines Phantoms nennen kann, das sich als die Seele eines bestimmten Menschen ausgibt, die bestimmte Versprechen er-

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Historisches und kritisches Wörterbuch

füllt, die dieser Mensch seinen Freunden gegeben hatte, – da man dies durch mögliche Hypothesen erklären kann, ohne anzunehmen, daß die Seele des Menschen unsterblich ist, so ist klar, daß Julius’ Freunde nicht mit letzter Exaktheit philosophiert haben würden, wenn sie eine ihm ähnliche Erscheinung als demonstrativen Beweis dafür genommen hätten, daß die Seele ihres Freundes lebte. »Es ist möglich«, könnte man ihnen entgegenhalten, »daß Ihr, obwohl die Seele Eures Freundes tot ist, ein Phantom gesehen habt, das Euch gemeldet hat, was zu melden er Euch versprochen hatte. Es gibt im Universum verschiedene Geister, die wissen, was wir tun, und die auf unsere Organe einwirken können. Einer davon hat sich ein Vergnügen daraus gemacht, Euch zu täuschen. Er hat Euch glauben gemacht, daß er Julius’ Seele sei. Mit natürlichen und zwingenden Gründen können wir Euch nicht beweisen, daß dies wahr ist, aber auch nicht, daß es falsch ist. Geht also nicht so schnell vor, zieht keine Schlußfolgerungen mit Gewißheitsanspruch, begnügt Euch damit, es für eine recht wahrscheinliche Hypothese zu halten.« Julius’ Freunde würden erwidern, daß die bloße Existenz dieser Geister ein Beweis für die Unsterblichkeit der Seele sei. Denn wenn diese Geister unsterblich sind, warum sollte unsere Seele es nicht sein? Man könnte ihnen antworten, daß diese Geister die Macht besäßen, hundert Dinge an der Stelle und unter dem Namen von Julius’ Seele zu tun, selbst wenn sie sterblich sein sollten. Sind die Menschen nicht allesamt sterblich? Sterben sie nicht alle wirklich, die einen früher, die anderen später? Hindert sie das daran, Tiere gemäß der folgenden Annahme zu täuschen? Nehmen wir an, daß Hunde sich einreden, ihre Seele werde fortbestehen, nachdem sie sich vom Körper getrennt hat. Nehmen wir an, daß ein einzelner Hund den anderen versprochen hat, wiederzukommen, um ihnen über sein Befinden nach dem Tode zu berichten. Nehmen wir schließlich an, daß ein Mensch von diesem Versprechen und von der Art weiß, wie der Hund es vereinbarungsgemäß einlösen will. Kann dieser Mensch nicht leicht das Notwendige tun, um die anderen Hunde zu täuschen? Er könnte ihnen Phantome zeigen, Marionetten bellen lassen usw. Wenn die

Bonfadius

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Hunde daraus folgern wollten »Also ist unsere Seele unsterblich, zumindest sind die Menschen unsterblich« – würden sie sich nicht täuschen? Mit ein wenig Nachdenken ist leicht zu begreifen, daß die unsichtbaren Geister des Universums, von den Platonikern »Genien« genannt, alles tun können, was die Nekromantik ihnen zuschreibt, selbst wenn sie sterblich sein sollten. Es würde genügen, daß ihre Art sich erhält, trotz des sukzessiven Todes aller Individuen, so wie unsere Art sich erhält, obwohl alle Menschen sterben. Zu leugnen, daß die Zeugung von Individuen unter Geistern möglich sei, heißt, voreilig etwas zu entscheiden, was man nicht weiß und nicht wissen kann. Die unendliche Natur kann tausend Arten der Fortpflanzung enthalten, die wir nicht kennen. Man beachte, daß es Heiden gegeben hat, welche die Geister für sterblich hielten. Schlußfolgerung aus alledem: Was man Wiederkehr oder Erscheinung von Geistern nennt, ist strenggenommen kein notwendiger Beweis für die Unsterblichkeit unserer Seele oder die der Dämonen.23 Ich leugne nicht, daß dies ein Beweis ist, dem man klugerweise oder vernünftigerweise zustimmen kann; aber hier ist die Rede von demonstrativen Beweisen, von solchen, die sich nur durch dialektische Kniffe umgehen lassen, deren Verteidiger man oftmals ad absurdum führen kann.

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Diese beiden Einschränkungen sind genau zu beachten: »strenggenommen« und »notwendiger Beweis«.

BUNEL

bunel, Pierre, gebürtig aus Toulouse, war einer der glänzendsten Schriftsteller in lateinischer Sprache, die im 16. Jahrhundert aufgetreten sind. Er studierte in Paris am Collège de Coqueret und tat sich dort auf glänzende Weise durch seine große Begabung hervor. Nachdem er nach Toulouse zurückgekehrt war und innerhalb seiner Familie keine Mittel fand, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, suchte er sein Glück anderswo. Er ging nach Padua und wurde dort von Emilius Perrot unterstützt. In der Folge verschaffte man ihm eine vorteilhafte Stellung bei Lazare de Baïf, dem Botschafter François’ I. in Venedig. Er verbrachte drei angenehme und nützliche Jahre in Venedig und wurde von seinem Herrn, dem Botschafter, sogar bei seinen Griechischstudien unterstützt. Nachdem er diese Sprache beherrschte, erlernte er das Hebräische. George de Selve, Bischof von Lavaur, der Lazare de Baïf im Amt des Botschafters Franz’ I. in Venedig folgte, nahm Bunel in seine Dienste. Sie waren so zufrieden miteinander, daß Bunel, als der Bischof zurück über die Alpen ging und sich seiner Kirchengemeinde widmete, wie es ein guter Prälat tun sollte, ganz geneigt war, seine Tage in der Abgeschiedenheit von Lavaur zu verbringen. Dieser gelehrte Mann fand dort die für seine Gemütsart passendsten Bedingungen vor: viel Ruhe, viel Zeit zum Studieren sowie das Vergnügen, die großen Beispiele der Verderbtheit des Jahrhunderts nicht vor Augen zu haben. Nach dem Tod seines Prälatena kehrte er nach Toulouse zurück und hätte dort die Qualen der Armut erfahren, wenn die Herren du Faur, Beschützer der Tugend und der Wissenschaft, ihn nicht unaufgefordert unterstützt hätten. Der eine von ihnen ließ seine Söhne von ihm unterrichten und nach Italien begleiten. Bunel vollendete diese Reise nicht, denn er starb a

Er starb im Jahr 1541.

Bunel

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in Turin an hitzigem Fieber. Er lebte nur 47 Jahre. Das war ein Mann, der wegen seiner guten Sitten noch schätzenswerter war als wegen seines geschmackvollen Stils.b Er jagte keinen Reichtümern oder einträglichen Ämtern nach; mit dem Notwendigsten zufrieden, widmete er sich ausschließlich der Pflege seiner Seele (C). Ein solches Verhalten ist in der Gelehrtenrepublik fast genauso selten wie überall sonst. Wir haben lateinische Briefe von diesem ehrenhaften Mann, die in äußerst reinem Stil geschrieben sind und interessante Dinge enthalten (E). Einige Leute glauben, er wäre der Sohn jenes Guillaume Bunel gewesen, von dem ich im voranstehenden Artikel gesprochen habe.* Aber das ist unwahrscheinlich, denn man findet weder in seinen Briefen noch bei den Autoren, die über ihn sprechen, irgendeinen Hinweis darauf. Hätte Sainte-Marthe, der anmerkt, der Vater von Pierre Bunel sei Normanne gewesen, einen derart ehrenvollenn Umstand vergessen, wie daß er Docteur Régent an einer so berühmten Universität war? Die Ratsherren von Toulouse haben zu Ehren von Pierre Bunel eine Marmorstatue anfertigen lassen und sie im Rathaus aufgestellt.

(C) Mit dem Notwendigsten zufrieden, widmete er sich ausschließlich der Pflege seiner Seele. Folgendes schrieb er an du Ferrier10: »Obwohl die Armseligkeit meiner Habe zu verlangen scheint, daß ich Vorsorge für meine Zukunft treffe, kann ich doch, um die Wahrheit zu gestehen, nicht aus meiner Haut. Nach Gott bedeutet mir das Studium der Wissenschaften alles, und ich werde mir Mühe geben, meine Studien so einzurichten, daß sie sich auf ihn bezieb

Aus dem Vorwort entnommen, das der Advokat Graverol der Ausgabe der Epitres de Bunel, Toulouse 1687, vorangestellt hat. * 具Sc. im Artikel BUNEL, Guillaume. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 10 Petrus Bunellus, Epist. LIII, S. 187 f.

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hen. Du wirst sagen, ein Mann, der von bitterer Not bedrängt wird, könne nichts Vortreffliches zustande bringen. Das ist wohl wahr. Aber ich, der ich mit wenigem zufrieden bin, habe niemals gemeint, mir könnte dies Wenige fehlen; und diese Hoffnung hat mich bislang nicht getrogen.«11 Was er an Reynold Chandon geschrieben hat, verdient Beachtung. Das war ein Mann, der ihn sehr liebte und der ihm beim Botschafter von Frankreich12 eine ehrenwerte und sehr wichtige Stellung verschafft hatte. »Als ich mich in Italien in jeder Hinsicht in großen Schwierigkeiten befand, hast du aus eigenem Antrieb keine Anstrengungen und Mühen gescheut, um für mein Wohlergehen und meinen Schutz zu sorgen.«13 Einige Jahre später versuchte er 具sc. Chandon 典, ihm zu helfen und ihn auf den Weg des Glücks zu bringen. Aber Bunel antwortete ihm, daß er keinen Ehrgeiz verspüre und kaum danach strebe, einträgliche Ämter zu erhalten, selbst wenn der Zustand der öffentlichen Angelegenheiten wohlgeordnet wäre, und daß er um so größeren Grund habe, derartige Ämter abzulehnen, als er sehe, daß sie die Belohnung des Lasters seien, und er nicht über die schlechten Eigenschaften verfüge, die erforderlich seien, um dahin zu gelangen. (…).14 Er fügt hinzu, man müsse wissen, falls man sich für ihn seinem Geschmack entsprechend verwenden wolle, daß er nur danach strebe, ruhig zu leben, und daß er die Abgeschiedenheit des Studierzimmers als Hafen gewählt habe, wo er vor den Stürmen des Ehrgeizes und des Neides in Sicherheit sei; daß die Menschen Dinge nur nach Maßgabe ihrer Wünsche benötigten; daß er, was ihn selbst betreffe, seinen Wünschen enge Grenzen gezogen habe, was dazu führe, daß er sich nicht für arm halte, weil er das nicht habe, was er gar nicht wünsche; daß diejenigen, die seinen Entschluß ver11

In der Ausgabe Toulouse 1687: »hat mich getrogen«. Das ist ein sinnentstellender Druckfehler. 12 Lazare de Baïf. 13 Bunel, Epist. XXI, S. 80. Man sehe auch den Brief XXVII, S. 104. 14 A. a.O., S. 76 f. Man vergleiche hiermit die Anmerkung (G) des Artikels ATTICUS. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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achten, so viel sie nur wollen in die Richtung laufen mögen, in die ihre blinde Begierde sie treibe; daß er sich um ihre Meinung nicht kümmere, vorausgesetzt, daß sie ihn im Schoße seiner christlichen Philosophie in Ruhe lassen. (…).15 Es besteht kein Zweifel daran, daß er hier ein aufrichtiges Bild seines Herzens malt. Er war also ein ehrenhafter Mann, er war derjenige, den Diogenes gesucht hat. Alle Menschen sollten ihrem Geist diese Richtung geben, in erster Linie alle Christen. Aber genau das machen sie nicht; man sieht kaum einen unter 600 000, der dies täte. Die Reformierten haben einen Kleinen Katechismus, in dem die erste Frage lautet, »Warum hat Gott uns in die Welt gesetzt?« Der Katechumene antwortet, »Um ihn zu erkennen und ihm zu dienen.« Das ist ganz allgemein der Grundsatz aller Christen, aber es ist nur ein theoretischer und rein spekulativer Grundsatz. Wenn man die Antwort an der praktizierten Moral ausrichtete, so würden alle Christen mit wenigen Ausnahmen antworten, Gott habe sie in die Welt gesetzt, damit sie sich dort bereichern und zu einträglichen Ämtern gelangen, denn in Wirklichkeit ist dies das Ziel all ihrer Sorgen. Zwar denken einige zunächst nur daran, sich ein bequemes Leben zu verschaffen, aber wenn sie das erreicht haben, streben sie bald danach, ihren Besitz deutlich zu erweitern und nehmen sich vor, nach und nach bis zu den höchsten Würden zu gelangen. Dieser Geist leitet einen Vater sowohl hinsichtlich seiner selbst wie hinsichtlich seiner Kinder, und er vermittelt ihn an sie, sobald sie alt genug dazu sind. Niemand gibt sich mit den Lebensumständen zufrieden, in die er hineingeboren wurde; jeder versucht eine bessere Figur zu machen als sein Vater.16 Der Sohn eines niederen Handwerkers unternimmt alle Anstrengungen, um sich in den Stand eines reichen Bürgers zu erheben. Wenn seine habsüchtige und unersättliche Gier ihn große 15

A. a. O., S. 77 f. Jeder will es so machen wie Horaz: »Du kannst sagen, daß ich von einem freigelassenen Vater stamme und in ärmlichen Verhältnissen die Flügel weiter spannte, als das Nest es erlaubte.« Horaz, Epist., Buch I, 20, Vers 20. 16

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Reichtümer gewinnen läßt, so verschwendet er sein Geld, um einträgliche Ämter zu erhalten und an der Regierung teilzunehmen. Keine Kosten erscheinen ihm zu hoch, vorausgesetzt, sie dienen dazu, ihm die guten Dienste der mittelbaren oder unmittelbaren Vergeber hoher Posten zu verschaffen. Die Personen, die durch ihr Amt am meisten verpflichtet sind, die Vorschriften Jesu Christi bezüglich der Verachtung der Welt in die Tat umzusetzen, vergessen diese Verpflichtung ein wenig zu oft. Sie machen sich die Gelegenheiten, Güter anzuhäufen, ihren Familien größeren Einfluß zu verschaffen und ihre Schutzbefohlenen vorwärts zu bringen, etwas zu sehr zunutze. Das bringt mir in Erinnerung, was ein ehrenhafter Mann mir eines Tages erzählte. Er war im Hause des Herrn *** mit neun oder zehn Personen zusammen, die sich über verschiedene Dinge unterhielten. Schließlich kam das Gespräch auf die Eigenschaften eines gewissen Predigers. Einer dieser Herren tadelte ihn recht freimütig in bestimmten Hinsichten. Ein anderer ergriff das Wort und führte, ohne ihn in diesen Punkten sehr nachdrücklich zu rechtfertigen, andere, weit günstigere Charaktereigenschaften von ihm an. Besonderen Wert legte er auf den Punkt der Freundschaft. »Man hat niemals«, sagte er, »einen besseren Freund als diesen Prediger gesehen noch jemanden, der eifriger darum bemüht wäre, denjenigen Gutes zu erweisen, die seine Interessen befördern. Einigen hat er jährliche Pensionen verschafft, andere haben durch seine Empfehlung eine Stellung erlangt, die ihnen 2000 Livres Jahreseinkommen einbringt, und sie sind dabei, ihr großes Glück zu machen. Andere fahren aufgrund von Hinweisen, die er ihnen insgeheim zum Kauf bestimmter Waren gegeben hat, die sich in kurzer Zeit verteuern würden, jetzt in Kutschen. Wieder andere, die leidenschaftlich wünschten, Magistrat zu werden, haben durch seine Unterstützung die Schwierigkeiten beiseite geräumt, die ihnen im Wege standen.« Nachdem er mit seinem Katalog von Lobpreisungen fertig war, ließ er die anderen sprechen, und sogleich ergriff Herr *** das Wort. »Ich bin«, sagte er, »über die Art und Weise sehr empört, in der Ihr einen Nachfolger der Apostel lobt. Wenn Ihr einen Heiden in dieser

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Art lobtet oder sogar einen Laien in unserer Religion, fände ich das nicht befremdlich. Aber ich finde es unerträglich, daß Ihr uns diese Handlungen als sehr schöne Taten eines Dieners Jesu Christi präsentiert. Ist es sein Geschäft zu wissen, ob die Waren sich in bestimmter Zeit verteuern werden?17 Steht es ihm wohl an, seinen Freunden Nachricht davon zu geben und ihnen den Weg zu Reichtümern und Würden zu ebnen? Heißt das nicht, Öl ins Feuer der Habgier und des Ehrgeizes zu gießen; ein Feuer, das er verpflichtet ist, in der Seele aller seiner Pfarrkinder auszulöschen, soweit ihm das möglich ist? Weiß er nicht, daß die Reichtümer und Ehren dieser Welt die Nahrung der Eitelkeit sind und ebensoviele Fallstricke und Hindernisse auf dem Weg des Heils darstellen? Wenn er seine Freunde dazu verpflichtete, den Armen dasjenige zu geben, was sie ausgeben, um ihren Besitz zu erweitern, dann wäre er so lobenswert, wie er jetzt tadelnswert ist, weil er ihren Ehrgeiz unterstützt. Wenn er einen seiner Freunde dazu gebracht hätte, auf die Karosse zu verzichten, zu Fuß zu gehen und seine Kutsche zugunsten der Hospitäler zu verkaufen, so würde ich das als einen wahren Freundschaftsdienst betrachten. So sieht die Pflicht Eures Helden aus.« Das sind fraglos gut christliche Gedanken, aber in dem Zustand der Verderbtheit, in dem wir leben, sind es lediglich platonische Ideen. Man findet kaum noch – weder in der Welt noch in der Kirche – die Verachtung für Güter und Würden, die für unseren Bunel charakteristisch war. Und was das Maß der Verderbtheit voll macht: Es gibt fast niemanden, der diejenigen nicht verachtete, die sich diese Gleichgültigkeit bewahren; so wahr ist es, daß die Wahrheiten des Evangeliums, die man tagtäglich liest und lesen hört, wenig Eindruck auf unsere Herzen machen. Man lobt und bewundert einen Gelehrten, der es versteht, sich zu bereichern und von Posten zu Posten aufzusteigen, und der, um sein Glück zu machen, seine freie 17

Mit Blick auf solche Dinge kann man über einen Geistlichen sagen, »dieses nicht zu wissen ist für ihn genauso rühmlich wie eine dunkle Passage des hl. Paulus zu verstehen«.

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Zeit in zwei Teile teilt, den einen Teil für seine Bücher, den anderen, um die Gunst der Großen zu gewinnen und um sich überall einzuschmeicheln. Ein solcher Mensch, der im Grunde sehr verachtenswert ist, wird durchaus nicht verachtet. Es sind Bunel und seinesgleichen, die im Grunde aller Hochachtung würdig sind, die mit Verachtung betrachtet werden. Was für eine Verteilung des Lobs! Bunel beachtet die Ordnung, die anderen nicht; Bunel, sage ich, der die Ruhe seiner Studien der Pracht aller weltlichen Ehren vorzieht. (…). Wenn er Aussicht auf Beförderung oder akademische Würden gehabt hätte und zu gegebener Zeit nicht dazu gelangt wäre, weil das nicht im Interesse einer einflußreicheren Partei gewesen wäre, glaubt ihr etwa, daß er sich darüber geärgert hätte und zu der mächtigeren Partei übergewechselt wäre, um sich dieser angeblichen Schmach zu entledigen? Ich glaube das nicht. Er wäre mehr Philosoph geblieben als tausend andere. Das Vorenthalten dieser Belohnungen bereitet ihnen Kummer, dem sie früher oder später nachgeben, d. h. sie begeben sich auf den Weg der Gunsterweise. Ihre Unbeständigkeit wäre entschuldbar, wenn es ein Zeichen von geringem Verdienst wäre, nicht berücksichtigt zu werden. Aber da die Nichtberücksichtigung lediglich beweist, daß ihre Partei weniger Ansehen genießt, wird dem wahren Ruhm eines Menschen dadurch kein Schaden zugefügt; sie kann sogar dazu beitragen, denselben jetzt und künftig glänzender zu machen. Was man über die Märtyrer gesagt hat – daß es die Sache und nicht die Strafe ist, die sie zu solchen macht19 –, ist sowohl in diesem als auch im entgegengesetzten Sinn wahr: Denn es ist nicht die Entbehrung der Würden, die entehrt, sondern es ist die Ursache der Entbehrung. Wer also nicht zu ihnen gelangt, weil er fest zur Partei der Wahrheit steht, obgleich sie geringeres Ansehen besitzt, muß das nicht als eine Schande, sondern als einen Ruhmestitel betrachten. Das würde unser Bunel getan haben. (…).

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»Die Sache, nicht die Strafe macht den Märtyrer.«

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(E) (---) und interessante Dinge enthalten. Ich werde ein Beispiel dafür geben. Wir erfahren 具aus seinen lateinischen Briefen 典, daß ein Professor in Padua in seinen Vorlesungen diejenigen tadelte, welche die heiligen Schriften ihr ganzes Leben lang vernachlässigten oder sie erst sehr spät prüften,26 weil sie den philosophischen Studien mehr zugetan waren, als es für einen Christen notwendig ist. Die Gründe dieses Professors waren so stark, daß sie einige von denjenigen beeindruckten, die seinen Tadel verdienten.27 Aber ein Brief von Sadoleto schwächte deren Entschluß: Sie hatten begonnen, sich von ihrer Konkubine, d. h. von der Philosophie, loszusagen, um sich der Theologie wie einer keuschen Gattin zu widmen, als der Brief von Sadolet sie erneut ins Konkubinat brachte. »Ich höre, daß durch die Autorität und die Beredsamkeit Sadolets einige so verwirrt worden sind, daß sie nicht bei dem gefaßten Beschluß bleiben. Vielmehr haben sie sich von der Theologie getrennt, die sie kurz zuvor wie eine keusche Gattin geheiratet hatten, und sind zu ihrer alten Geliebten, die sie glaubten, von sich gewiesen zu haben, und ihren verlockenden Reizen zurückgekehrt. (…).«28 Folgendes war der Anlaß dieses Briefs. Reginald Pole bat Sadolet, in einem Schreiben darauf hinzuwirken, daß Lazarus Bonamicus sich den heiligen Schriften zuwende oder daß er wenigstens die Rhetorik aufgebe, um sich dem Studium der Philosophie zu widmen. Pole hoffte, dieses Studium würde Bonamicus nicht lange aufhalten und ihn viel weiter führen. Er glaubte, Bonamicus würde gewahr werden, daß das Licht der Philosophie den Menschen schließlich bloß zu dem Eingeständnis bringen kann, daß er nur weiß, daß er nichts weiß; daß dies das non plus ultra der Philosophie ist, woraus man notwendigerweise schließen muß, daß der menschliche Geist eines anderen Lichtes bedarf, um die Finsternis seiner Unwissenheit zu vertreiben. Wo findet man nun 26 27 28

Bunel, Epist. LVI, S. 197. (…). A. a.O., S. 198. A. a.O., S. 199.

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dieses andere Licht, wenn nicht in der Offenbarung? (…).29 Sadoleto antwortete, er finde es befremdlich, daß man die Philosophie derart verachte, denn die Theologie könne ohne sie nicht bestehen (…),30 und er legte dann weitläufig die Vorteile der Philosophie dar. Bunel erläutert das und zeigt, daß Sadolets wahre Ansichten nicht diejenigen sind, die es in diesem Brief auf den ersten Blick zu sein scheinen. Aber wie dem auch sei, ich finde, daß Poles Urteil das vernünftigste ist, das man über die Philosophie fällen kann, und ich finde es herrlich, daß ein solcher Autor mir Gründe zur Bestätigung dessen liefert, was ich an mehreren Orten dargelegt habe, nämlich daß unsere Vernunft nur dazu taugt, alles zu verwirren und alles zu bezweifeln. Kaum hat sie ein Werk errichtet, da zeigt sie euch auch schon die Mittel, es zum Einsturz zu bringen. Sie ist eine wahre Penelope, die nachts das Tuch wieder aufknüpft, das sie tagsüber gewebt hat. So ist der beste Gebrauch, den man vom Studium der Philosophie machen kann, zu erkennen, daß sie ein Irrweg ist und daß wir einen anderen Führer suchen müssen, der das Licht der Offenbarung ist.

29 30

A. a.O., S. 199 f. A. a.O., S. 200 f.

CATIUS

catius, ein von Cicero erwähnter epikureischer Philosoph. Auch Horaz hat in einer seiner Satiren von ihm geredet, wenn man den Kommentatoren glauben will. Le Fevre hat sie mit Gründen widerlegt, denen sein Schwiegersohn Dacier widersprochen hat, indem er sich der Freiheit bediente, die in der Gelehrtenrepublik herrscht (D). Gassendi verdient hier einen kleinen Tadel ebenso wie Costar. Glandorp täuscht sich in einem anderen Punkt, und ich würde mich nicht auf die Autorität von Chabot hin dafür verbürgen, daß Catius Vergil in der epikureischen Philosophie unterrichtet hat. Ein besonderer Umstand bringt mich dazu, in diesem Artikel einen Fehler Scaligers bezüglich des Koloß von Rhodos zu bringen, über den ich in dem Entwurf zu diesem Werk gesprochen habe.

(D) (---) indem er sich der Freiheit bediente, die in der Gelehrtenrepublik herrscht. Diese Republik ist ein ungemein freier Staat. Man erkennt in ihm nur die Herrschaft der Wahrheit und der Vernunft an, und unter deren Schutz führt man auf unschuldige Weise Krieg gegen wen auch immer. In ihm müssen Freunde vor ihren Freunden, Väter vor ihren Kindern und Schwiegerväter vor ihren Schwiegersöhnen auf der Hut sein; es ist wie im eisernen Zeitalter: »Kein Gastfreund ist vor dem Gastfreund sicher, kein Schwiegervater vor dem Schwiegersohn.«11 Jeder ist darin zugleich Herrscher und der Gerichtsbarkeit eines jeden unterworfen. Die Gesetze der Gesellschaft haben die Unabhängigkeit des Naturzustandes in Bezug auf Irrtum und Unwissenheit nicht beeinträchtigt. In dieser Hinsicht hat jede Privatper11

Ovid, Metamorphoses, Buch I, Vers 144.

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son das Recht des Schwertes und kann es ausüben, ohne die Herrschenden um Erlaubnis zu bitten. Es ist sehr leicht zu begreifen, warum die höchste Gewalt jedermann das Recht belassen mußte, gegen Autoren zu schreiben, die sich täuschen, aber nicht das Recht, Satiren zu veröffentlichen. Denn Satiren zielen darauf ab, einem Menschen seine Ehre zu nehmen, was eine Art bürgerlicher Totschlag ist12 und folglich eine Strafe, die nur vom Herrscher auferlegt werden darf; aber die Kritik eines Buchs beabsichtigt lediglich zu zeigen, daß einem Verfasser ein bestimmter Grad an Einsicht fehlt. Weil er sich nun mit diesem Mangel an Wissen aller Rechte und aller Privilegien der Gesellschaft erfreuen kann, ohne daß sein Ansehen als Ehrenmann und guter Bürger der Republik die geringste Beeinträchtigung erführe, maßt man sich nichts von dem an, was der Majestät des Staates zukommt, wenn man dem Publikum die Fehler zur Kenntnis bringt, die in einem Buch enthalten sind. Es ist zutreffend, daß dadurch manchmal der Ruf eines fähigen Mannes, den ein Schriftsteller sich erworben hat, sowie der daraus gezogene finanzielle Erfolg geschmälert wird; aber wenn das zur Unterstützung der Partei der Vernunft und im alleinigen Interesse der Wahrheit sowie auf eine ehrenhafte Weise geschieht, so darf niemand etwas dagegen einzuwenden haben.13 Solche Kritiker haben nichts mit den Verfassern von Schmähschriften gemeinsam; sie tragen nichts ohne Beweis vor, sie treten als Zeuge und als Ankläger auf und unterliegen der Strafe der Wiedervergeltung; sie gehen das gleiche Risiko ein, dem sie andere aussetzen. Aber ein Pasquillant versteckt sich, damit er nicht verpflichtet ist, Beweise für das anzuführen, was er veröffentlicht, und damit er Übles anrichten kann, ohne sich dafür verantworten zu müssen. Die natürliche Gerechtigkeit verlangt also, daß ein jedes Mitglied der Republik seine Unabhängigkeit hinsichtlich der Widerlegung von 12

Man sehe am Ende dieses Wörterbuchs die Dissertation sur les libelles diffamatoires. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 13 Der Abbé de Saint-Réal hat etwas gegen diese These in seinem Buch De la critique vorgebracht. Er wäre leicht zu widerlegen.

Catius

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Autoren behält, ohne daß sie durch das Verwandtschaftsverhältnis des Vaters, Schwiegervaters, Ehemanns, Bruders usw. beeinträchtigt würde. So verfährt man auch recht oft: Joseph Scaliger und Isaac Vossius haben die Ansichten ihrer Väter nicht geschont, und wir sehen, daß Bernoulli, der Professor in Basel ist, und Bernoulli, der Professor in Groningen ist, einander nicht schonen, obgleich sie Brüder sind.14

14

Man sehe das Journal des savans 1698.

CHRYSIPP

chrysipp, ein stoischer Philosoph, stammte aus der Stadt Soloi in Kilikien.a Einige sagen, er sei Schüler Zenons gewesen;b mit größerer Sicherheit weiß man, daß er bei Kleanthes, dem Nachfolger Zenons, studiert hat. Aber da er sehr scharfsinnig war und mit großer Leichtigkeit Schlußfolgerungen anstellte, ist er von der Lehre dieser zwei großen Philosophen abgewichen und hat sie in mehreren Punkten angegriffen.d Er hat eine Menge Bücher geschrieben, deren Zahl 705 übersteigen soll; darunter viele zur Logik, denn er hat sich eifrig um die Verbesserung und Verfeinerung dieses Systemteils bemüht. Man wird sich über diese große Anzahl von Schriften nicht wundern, wenn man weiß, daß er mehrfach über ein und denselben Gegenstand geschrieben hat, daß er alles verwendete, was ihm in die Hände fiel, daß er sich kaum Mühe gab, seine Arbeiten zu korrigieren, daß er eine Unzahl von Belegen anführte, daß er außerdem sehr arbeitsam war und daß er mehr als achtzig Jahre alt wurde. Er war von sehr kleiner Gestalt, aber sehr anmaßend. Eine Zeitlang hat er sich zu den Akademikern gesellt und nach ihrer Art pro und contra philosophiert. Ungeachtet dessen hält man ihn für einen wahren Stoiker und sogar für eine große Zierde dieser Sekte sowie für einen ihrer eifrigsten und geschicktesten Verteidiger. Scioppius hat ihn sehr schlecht behandelt, und das in einem Werk, in dem er die Meinungen der Stoa nach besten Kräften darlegt. Er behandelt ihn deswegen so schlecht, weil er ihn für einen hochmütigen und widerspruchsfreudigen Geist hält, welcher der ganzen Sekte durch sein ausschweifendes und vermessenes Verhalten großen Schaa

Strabon, Buch XIV, S. 462. Diogenes Laertius, Buch VII, in der Lebensbeschreibung Chrysipps, Nr. 179. d Ebd. b

Chrysipp

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den zugefügt hat. Die Stoiker beklagten sich darüber, daß Chrysipp so viele Argumente für die Lehre der Akademiker zusammengetragen hatte, daß er sie in der Folge nicht zu widerlegen vermochte, wodurch er ihrem Widersacher Karneades Waffen lieferte. Dies scheint zu beweisen, daß er aufrichtig handelte und daß er keinen Sieg anstrebte, der auf die Hinterlist gegründet wäre, die Argumente der anderen Partei nur beiläufig vorzustellen. Weil er aber im übrigen diejenigen tadelte, die sich genausoviel Mühe geben, die Argumente ihres Gegners zu stärken wie ihre eigenen, könnte man glauben, daß in seinem Verhalten mehr Eitelkeit als Aufrichtigkeit lag; jedenfalls konnte man ihm vorwerfen, daß er seine Ratschläge und seine Handlungen nicht in Übereinstimmung miteinander brachte (G). Die Stoiker hätten sich mit noch größerem Recht über die Verwegenheit beklagen können, mit der er mehrere Lehren vertrat, die geeignet waren, ihre Sekte verhaßt zu machen, denn er fand keine Schwierigkeit darin zu lehren, daß die Väter mit ihren Töchtern, die Söhne mit ihren Müttern, die Brüder mit ihren Schwestern den Inzest ausüben könnten und daß man Leichname essen müßte. Der größte Teil der Widersprüche und absurden Paradoxien, die Plutarch den Stoikern entgegenhältn und deretwegen er einen heftigen Krieg gegen sie führt, der sie gewaltig grämen muß, ist den Werken Chrysipps entnommen. Wenn er ihnen lediglich vorgeworfen hätte, daß sie sich in den Lehren über das Schicksal und die menschliche Freiheit widersprochen hätten, so hätte er nicht einen so großen Vorteil über sie gewonnen, denn man würde zur Rechtfertigung Chrysipps dieselben Dinge antworten, die man heute zugunsten derjenigen anführt, welche die Beschlüsse Gottes nicht mit unserem freien Willen in Übereinstimmung bringen können und die, wenn sie von der Prädestination sprechen, keine Worte zu finden wissen, die nicht den Ausdrücken entgegengesetzt zu sein scheinen, mit denen sie den Menschen zur Tugend ermahnen und wegen seiner Laster tadeln. Es hat keine n

Man sehe seine Abhandlungen De repugnantiis stoicorum und De communibus notitiis contra stoicos.

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Philosophen gegeben, die nachdrücklicher von der schicksalhaften Notwendigkeit der Dinge und prachtvoller von der Freiheit des Menschen gesprochen hätten als die Stoiker. Man beurteile, ob Chrysipp, der so viele Bände übereilt geschrieben hat und der einen lebhaften und sehr kühnen Geist besaß, sich aus dieser üblen Lage hätte befreien können, ohne in seinen moralischen Abhandlungen viele Sätze aufzustellen, die sich nicht mit den Behauptungen in seinen metaphysischen Abhandlungen vereinbaren ließen. Plutarch beschuldigt ihn, Gott zum Urheber der Sünde zu machen. Lipsius, der ihn von diesem Fehler reinwaschen wollte, hat dabei keinen großen Erfolg gehabt. Das erstaunt mich nicht, denn allein schon Chrysipps Definition von Gottp gibt hinlänglich zu verstehen, daß er ihn nicht vom Universum unterscheidet, so daß er ihn bei konsequentem Räsonieren zum Urheber sowohl des moralischen wie des physischen Übels machen muß. Man kann nicht ohne Grausen lesen, was er über die Sterblichkeit der Götter gelehrt hat. Er hielt sie nicht nur für vergänglich, sondern er behauptete auch, daß sie bei dem Weltbrand untergehen würden; und wenn er Jupiter davon ausnahm, so unterwarf er ihn doch tatsächlich der Veränderung. Ein gewisses Buch, in dem er die Liebschaften von Jupiter und Juno behandelte, war so voller Obszönitäten, daß man stark darüber gemurrt hat. Es ist also leicht verständlich, daß die Stoiker nicht viel Anlaß hatten, mit seinen Schriften zufrieden zu sein, denn die Figur, die er in ihrer Partei machte, gab Anlaß, die Irrtümer eines einzelnen so berühmten Mitglieds auf die Rechnung der ganzen Sekte zu setzen. Auch sehen wir nicht, daß die großen stoischen Autoren wie Seneca, Epiktet und Arrian sich viel Mühe gäben, ihm ihre Verehrung zu bezeugen; meistens sind sie diesbezüglich sehr zurückhaltend. Ich finde nicht, daß man ihn wegen seiner Sitten angreift; das läßt mich glauben, daß er ein untadeliges Leben führte. Man sagt, daß seine gesamte Hausgenossenschaft aus einer alten Magd bestand. Das ist ein Man sehe die Anmerkung (H), Fußnote (49). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 p

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Beweis für seine Keuschheit und Genügsamkeit. Er führte sehr oft fünf Verse aus Euripides an,q welche die Verdammung des Wohlstands zum Inhalt haben und die uns in Erinnerung rufen, daß die Natur durch Brot und Wasser ausreichend Vorsorge für unsere Bedürfnisse getroffen hat; und er verachtete die Werke von Archestratos. Das kann uns veranlassen zu glauben, daß er sehr mäßig war. Ich habe bereits gesagt, daß er sich stark der Dialektik zuwendete; ich füge hier hinzu, daß er außerordentliche Anstrengungen unternahm, um die Lösung eines Sophismas zu finden, das den Philosophen große Verlegenheit bereitete und das man Sorites nannte. Das war ein Haufen von Fragen, bei denen man kein Ende fand. Die zweifellos sehr großen Fortschritte, die er als Dialektiker machte, haben ihm für seinen Stil nichts genutzt. Dionysios von Halikarnassos führt ihn als ein Beispiel an, das hinlänglich zeigt, daß die perfekten Logiker die grammatischen Regeln der Wortstellung sehr schlecht beobachten. Diese Nachlässigkeit in der Sprache überrascht zunächst weniger, als zu sehen, daß dieser Philosoph selbst sämtliche Fundamente der Wissenschaft untergrub, die er so sehr gepflegt hatte; aber das wird nicht länger sehr merkwürdig erscheinen, wenn man die Wirkungen aufmerksam betrachtet, die eine lange und eifrige Beschäftigung mit den Spitzfindigkeiten der Dialektik nach sich zieht. Es geschieht fast tagtäglich, daß ein verständiger Mensch, wenn er sich zu sehr diesem Studium widmet, zu einem Krittler wird und durch seine Sophistereien selbst die Behauptungen durcheinander bringt, die er mit größtem Nachdruck vertreten hatte. Er würde viel eher sein eigenes Werk zugrunde richten, als auf das Disputieren zu verzichten; und er trägt Schwierigkeiten gegen seine eigene Lehre vor, die seine Kunst auf die Spitze treiben. Die spanischen Scholastiker sind ein beredter Beweis dafür. Sie haben nicht den Vorteil gehabt, den Chrysipp hatte; sie haben nicht wie er die Kenntnis der schönen Wissenschaften mit der Kenntnis der Logik verknüpft. Er war ein Universalgelehrter, er kannte die Mythologie, die alq

Aulus Gellius, Buch VII, Kap. 16.

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ten und die modernen Dichter, die Geschichte usw. Es gab sehr wenige Gebiete, über die er keine Bücher verfaßt hätte, und er ließ sich so weit herab, kleine Vorschriften zur Erziehung der Kinder zu geben. Da dies im Grunde eine sehr wichtige Sache für das menschliche Geschlecht ist, müssen wir ihn dafür loben, daß er sich damit beschäftigt hat. Vergleichbaren Beifall verdient er weder für seine Werke zur Grammatik noch für seine Bücher Über die Wahrsagung, in denen er sogar die Vorbedeutungen der Träume erklärte. Er hat den sehr berühmten Streit über die möglichen und unmöglichen Dinge ganz bewußt nicht ausgelassen; er betraf ihn als Philosophen, der die Lehre der Vorherbestimmung vertrat. Er hat in seiner Abhandlung über die Vorsehung einen Gedanken vorgetragen, den man als einen ziemlich guten Entwurf zu einem der schönsten Prinzipien betrachten kann, das ein großer Philosoph des 17. Jahrhunderts aufgestellt und erläutert hat. Einige Autoren haben behauptet, daß er zur Steigerung seiner Geisteskräfte Nieswurz nahm. Er starb in der 143. Olympiade. Man hat ihm ein Grabmahl unter denen der berühmtesten Athener errichtet. Seine Statue war im Kerameikos zu sehen. Er hatte das athenische Bürgerrecht angenommen, was weder Zenon noch Kleanthes getan hatten. Plutarchs Kritik daran erscheint mir zu hart.

(G) Man konnte ihm vorwerfen, daß er seine Ratschläge und seine Handlungen nicht in Übereinstimmung miteinander brachte. Ich habe gesagt,34 es scheine, daß er aufrichtig verfahren sei und daß er nicht zu der List gegriffen habe, die Einwände des Gegners nur beiläufig anzuführen. Er bewahrte ihnen ihre ganze Stärke so getreulich, daß es ihm nicht möglich war, sie genauso glücklich zu widerlegen, wie er sie vorgetragen hatte. Man beschuldigt ihn, dadurch seine eigenen Prinzipien verleugnet zu haben, und das ist einer der Vorwürfe der Wider34

Im Korpus dieses Artikels.

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sprüchlichkeit, die Plutarch ihm gemacht hat. Hier ist die Fortsetzung der Passage, die ich oben zitiert habe. »Dergestalt widerspricht er sich und widerlegt sich selbst, weil er verlangt, daß man die Meinungen und Urteile der Gegner stets vortragen sollte, nicht als ob man ihnen zustimmte, sondern indem man beiläufig ihre Falschheit zeigt und sich dann bei der Anklage viel härter und heftiger zeigt als bei der Verteidigung der eigenen Urteile. Er erteilt anderen den Rat, sich vor entgegengesetzten Gründen als solchen zu hüten, welche vom Verständnis wegführen und es behindern, und dennoch sammelt und bestätigt er mit größerem Eifer Beweise und Gründe, die das Verständnis zerstören, als solche, die es begründen und bestätigen. Daß er dieses aber selbst gleichwohl fürchtete, zeigt er deutlich im vierten Buch seiner Lebensbeschreibungen, wo er Folgendes sagt: ›Man darf die entgegenstehenden Meinungen weder beiläufig und obenhin vortragen, noch auf die wahrscheinlichen Argumente antworten, die gegen wahre Urteile angeführt werden, sondern man muß dabei sehr behutsam vorgehen, weil stets zu befürchten ist, daß die dadurch verwirrten Hörer ihre deutlichen Begriffe fahren lassen und, weil sie nicht in der Lage sind, die Auflösungen zureichend zu verstehen, und sie nur schwach begreifen, ihr Verständnis dadurch leicht erschüttert und vernichtet wird. Denn selbst diejenigen, die sinnliche Dinge und solche, die von Empfindungen abhängen, durch Gewohnheit begreifen, lassen das Verständnis leicht fahren, wenn sie durch die megarischen und andere, noch stärkere und zahlreichere Fragen abgelenkt werden.‹«36 Er 具sc. Plutarch 典 greift ihn deswegen an zwei Stellen an und geht auf fürchterliche Weise auf ihn los. Denn er hält ihm vor, 1) daß sein Grundsatz schlecht ist; 2) daß er sich grob widersprochen hat, weil er ihn nicht befolgt hat. Zum ersten Punkt lese man diese Sätze Plutarchs: »Er sagt, daß er das Disputie-

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Plutarch, De repugnant. stoicor., S. 1036 in der Übersetzung von Amyot. An einer Stelle ändere ich hier den Satzbau, damit man Plutarchs Gedanken verstehen kann.

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ren über ein und denselben Gegenstand von beiden Seiten nicht grundsätzlich verwerfe, aber dazu rate, es sehr zurückhaltend zu gebrauchen und dabei sehr behutsam vorzugehen, wie man es gelegentlich bei Gerichtsverfahren tut, wo man die Gründe der Gegner nicht anführt, um sie zu unterstützen, sondern lediglich, um sie zu widerlegen, und das Wahrscheinliche in ihnen zu zerstören. Denn andernfalls, sagt er, macht man es so wie diejenigen, die alles bezweifeln und ihr Urteil stets zurückhalten, weil dieses Verfahren zu ihren Ansichten paßt. Wer aber den Herzen der Menschen ein sicheres Wissen einprägen will, nach dem sie sich ohne zu zweifeln verhalten sollen, muß das gegenteilige Verfahren zugrunde legen und diejenigen, die man hierin unterweist, Schritt für Schritt vom Anfang bis zum Ende dahin führen. Dabei kann sich bisweilen die Gelegenheit ergeben, entgegenstehende Meinungen und Urteile zu erwähnen, um sie zu widerlegen und das Wahrscheinliche, das sie an sich haben mögen, aufzulösen, so wie man es in Prozessen vor den Richtern tut. Das ist es, was er hierüber ausdrücklich sagt. Nun haben wir schon an anderer Stelle gegen ihn ausgeführt, daß es ganz unangebracht ist, daß die Philosophen die ihnen entgegenstehenden Meinungen anderer Philosophen nicht mit all ihren Gründen anführen sollen, sondern lediglich in der Art und Weise, wie es Advokaten bei Gericht tun, indem sie deren Beweise und Argumente schwächen, als wenn es in dem Streit nicht um die Auffindung der Wahrheit, sondern lediglich um den Ruhm des Sieges ginge.«37 Was den zweiten Punkt betrifft, so gibt es hier große Schwierigkeiten für Chrysipp. Plutarch hält ihm eines seiner Werke vor,38 in dem er über die Argumente von Stilpon und Menedemus39 mit letzter Verachtung gesprochen hatte. »Aber dennoch, guter Mann«, fährt er fort, »fürchtest du, daß diese Argumente da, über die du dich lustig machst (---),

37 38 39

A. a.O., S. 1035 f. A. a.O., S. 1036 in der Ausgabe von Amyot, wie oben. Das ist dasselbe, was er »megarische Fragen« genannt hatte.

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weil sie offensichtlich fehlerhaft sind, einige Leute vom Verständnis ablenken. Und du selbst, der du so viele Bücher gegen die Gewohnheit geschrieben hast, in denen du alles angeführt hast, was du selbst entdecken konntest, und dir Mühe gegeben hast, Arkesilaos zu übertreffen, erhoffst und erwartest du nicht, einige Leser abzulenken und zu verwirren? Denn er verwendet beim Disputieren gegen die Gewohnheit nicht lediglich nackte Argumentationen, sondern er setzt die Affekte in Bewegung, als wenn er ein Plädoyer hielte, indem er sich selbst dadurch leidenschaftlich und affektgeladen verhält, daß er sie manchmal als töricht, manchmal als eitel und einfältig bezeichnet. Damit der Gegner nicht mehr sagen kann, er widerspreche sich selbst, hat er Folgendes in seinen naturphilosophischen Sätzen geschrieben: ›Wenn man eine Sache völlig verstanden hat, ist es erlaubt, ein wenig auf der Gegenseite zu argumentieren, indem man dasjenige zu ihrer Verteidigung anführt, was in der Sache selbst liegt; und manchmal, wenn man weder die eine noch die andere Seite versteht, ist es erlaubt, auf beiden Seiten zu prüfen, was für sie spricht.‹ Und nachdem er in seiner Abhandlung über den Gebrauch der Rede gesagt hat, man dürfe die Kraft der Vernunft genauso wenig wie die Waffen zu unpassenden Zwecken gebrauchen, fügt er hinzu: ›Denn man muß sie gebrauchen, um die Wahrheit zu finden sowie dasjenige, was ihr ähnelt, und nicht für das Gegenteil, wenngleich manche das tun.‹ Mit ›manche‹ meint er vermutlich diejenigen, die alles bezweifeln und ihr Urteil stets zurückhalten. Jene aber, welche die eine Seite ebensowenig begreifen wie die andere, argumentieren sowohl für das Pro wie für das Contra und zeigen dadurch, daß die gewisse Wahrheit ein Begreifen ihrer selbst ausschließlich oder hauptsächlich auf diese Weise gestattet, sofern es überhaupt etwas gibt, was begriffen werden kann. Aber Du 具sc. Chrysipp 典, der Du sie beschuldigst und selbst auf eine Deiner Einsicht widersprechende Weise über die Gewohnheit schreibst und andere ermahnst, dieses mit Zurückhaltung zu tun, gestehe, daß du die Macht der Beredsamkeit nicht nur in unnützen, sondern auch in schädlichen Dingen aufgrund eines eitlen Ehrgeizes gebrauchst,

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um, wie ein junger Schüler, Deinen scharfsinnigen Geist zu zeigen.«* Man kann sich nicht gut vorstellen, daß Chrysipp bei aller Scharfsinnigkeit seines Geistes sich aus dieser üblen Lage hätte befreien können, denn diese Maximen sind eines Philosophen ganz unwürdig. Und wenn er sie hätte rechtfertigen können, so hätte er eben dadurch sich selbst den Prozeß gemacht und ein Verdammungsurteil über sein Verhalten ausgesprochen, weil er seine Maximen durch die mit aller Macht – und stärker noch als von Arkesilaos selbst – vertretene Sache der Akademiker verletzt hätte, von der er meinte, sie sei der Wahrheit ganz entgegengesetzt. Meiner Meinung nach könnte man ihm zu Recht vorhalten, daß eine jugendliche Eitelkeit ihn dermaßen erfaßt habe, daß er seine eigenen Maximen dem Verlangen opferte, bei einer günstigen Gelegenheit die Scharfsinnigkeit seiner Überlegungen auf Kosten der Wahrheiten zu zeigen, welche die Stoa lehrte. Der Ruhm, den er sich versprach – vorausgesetzt, er hätte es geschafft, daß man über ihn sagte, er habe Arkesilaos übertroffen und die Einwände der Akademie viel besser zurückgewiesen als dieser –, hatte ihn so außer sich gebracht, daß ihn alles übrige wenig kümmerte. So haben wir in unseren Tagen einen Kontroversschriftsteller gesehen, der keine Schwierigkeit darin fand, sich bei jeder Gelegenheit zu widersprechen, die Vorteile seiner Kirche und selbst die allgemeinsten Wahrheiten der Christen auf eine gefährliche Weise darzustellen, wenn er dadurch nur das Ansehen gewann, neue Wege oder neue Methoden des Angriffs und der Verteidigung entdeckt zu haben. Welchem Götzen hat er seine Huldigungen und Opfergaben dargebracht? Es mag so schlimm gehen, wie es will, hat er zu sich selbst gesagt, man wird zugeben, daß ich einen großen Verstand und eine glückliche Erfindungsgabe besitze. Wir wollen die Falschheit der Maximen Chrysipps ein wenig entwickeln. Er wollte, daß diejenigen, die eine Wahrheit 具Unsere Übersetzung folgt stellenweise eher Plutarch selbst als der ungenauen Wiedergabe durch Amyot. Hgg. 典 *

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lehren, von den Gründen der gegnerischen Partei nur beiläufig sprechen und daß sie die Advokaten nachahmen sollen. Dieser Geist beherrschte die Dogmatiker. Außer den Akademikern hat fast niemand die Argumente beider Parteien mit gleicher Stärke vorgetragen. Nun behaupte ich, daß diese Methode der Dogmatiker übel war und daß sie sich kaum von der betrügerischen Kunst der sophistischen Redner unterschied, welche diese so verhaßt machte und die darin bestand, die schlechtere Sache in die bessere zu verwandeln;40 denn eins ihrer Hauptkunststücke bestand darin, sämtliche Vorteile der Sache, die sie angriffen, und sämtliche Schwachpunkte der Sache, die sie vertraten, zu verbergen, ohne dabei jedoch zu vergessen, sich der Form halber einige Einwände zu machen, die sie aus den am leichtesten zu widerlegenden auswählten. Das ist im Grunde dasjenige, was Chrysipp von den Philosophen praktiziert sehen wollte. Er wollte, daß sie über die für die andere Partei vorteilhaften Gründe, die in der Lage wären, die Überzeugung des Hörers oder Lesers zu erschüttern, flugs hinweggehen und die nachahmen sollten, die bei Gericht ein Plädoyer halten. Warum hat er nicht ganz offen gesagt, man müsse es so machen wie die Verkäufer in einem Geschäft und nach Kaufmannsart philosophieren, also nur von den guten Eigenschaften seiner Waren oder Stoffe sprechen, sie vorteilhaft präsentieren und die Waren des Nachbars auf geschickte Art und Weise herabsetzen? Warum sagt er nicht auch, man müsse es so machen wie diejenigen, die ihre Klagen, nachdem sie sich eifrig gestritten haben, den Richtern vortragen? Jeder stellt die Angelegenheit derart vorteilhaft für sich dar, daß man glauben sollte, er hätte nicht im geringsten Unrecht; er unterdrückt nämlich alles, was gegen ihn spricht, und alles, was für seinen Gegner günstig ist. Chrysipp ist nicht allein wegen der Unredlichkeit und der Betrügerei zu tadeln, durch die man seinem Willen gemäß den Sieg erringen soll, sondern auch wegen der Indiskretion, mit der er diese Praktik offenbart hat. Das ist keine Angelegenheit, die man der Öffentlichkeit in einem Buch mit40

(…). Cresollius, Theatr. Sophistar., Buch I, Kap. 11, S. 79 ff.

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teilen darf. Er hätte sie geheimhalten sollen, so wie es die Politiker mit ihren Staatsintrigen und Regierungsmaximen, den arcana imperii, tun; er hätte sie höchstens dem einen oder anderen weisen und vernünftigen Schüler ins Ohr flüstern dürfen. Man beachte, daß das Altertum zwei Arten von Philosophen kannte. Die einen ähnelten den Advokaten, die anderen den Prozeßbeobachtern. Die ersteren verbargen beim Beweisen ihrer Meinungen so gut sie konnten den schwachen Punkt in ihrer Sache und den starken Punkt in der ihrer Gegner. Letztere, d. h. die Skeptiker oder Akademiker, stellten aufrichtig und ohne jede Parteilichkeit die Stärken und Schwächen der beiden sich gegenüberstehenden Parteien dar. Diese Unterscheidung ist unter den Christen in den Schulen der Philosophie sehr wenig und noch weniger in den Schulen der Theologie anzutreffen. Die Religion duldet den Geist der Akademiker nicht; sie will, daß man ja oder nein sagt. Man findet in ihr keine Richter, die nicht gleichzeitig Partei wären; man findet in ihr unzählige Autoren, die ihre Sache nach der Maxime Chrysipps verfechten, d. h. die sich auf die einfache Rolle des Advokaten beschränken. Aber man findet hier kaum Prozeßbeobachter, denn wenn jemand aufrichtig und ohne Verstellung die ganze Stärke der gegnerischen Partei darstellen will, so macht er sich verhaßt und verdächtig und geht das Risiko ein, wie ein niederträchtiger Überläufer behandelt zu werden.42 Die menschliche Klugheit, die Politik sowie der Nutzen der eigenen Partei sind nicht immer die Ursache dafür, daß man lediglich und ausschließlich als guter Anwalt handelt. Christlicher Eifer veranlaßt auch zu diesem Verhalten, und ich will hier dasjenige anführen, was mir neulich ein gelehrter Theologe sagte, der ein völlig ehrenwerter Mann ist. Ich behauptete gegen ihn, daß ein Autor, der in den Grenzen der Geschichte bleibt, ohne sich in den Streit der Meinungen einzumischen, aufrichtig alles das darstellen kann und muß, was die allerfalschesten Sekten an

Man sehe die Anmerkung (P) des Artikels CHARRON. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 42

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Scheinargumenten zu ihrer Rechtfertigung oder gegen die Orthodoxie vorbringen können. Er leugnete dies. »Ich nehme an«, entgegnete ich ihm, »daß Ihr Theologieprofessor seid und daß Ihr das Mysterium der Trinität zum Gegenstand einer ganzen Wintervorlesung gewählt habt. Ihr prüft gründlich, was die Rechtgläubigen gesagt und was die Häretiker dagegen eingewendet haben, und Ihr findet durch Eure Überlegungen und durch die Stärke Eures Geistes, daß man auf die Lösungen der Rechtgläubigen viel besser replizieren könnte, als es die Sektierer getan haben. Kurzum, Ihr entdeckt neue Schwierigkeiten, die viel schwerer aufzulösen sind als alle bisherigen Einwände, und ich nehme an, daß Ihr sie Euren Hörern vortragt.« »Ich würde mich sehr hüten«, antwortete er mir, »denn das hieße, ihnen eine Grube mitten auf ihrem Weg zu graben. Weder die christliche Nächstenliebe noch der Eifer für die Wahrheit erlauben das.« Das war seine Antwort. Es könnte also sehr wohl geschehen, daß gewisse Autoren sich in ihrem Vorwort rühmen, alle Bollwerke des Irrglaubens umgestürzt zu haben, und sich gleichwohl daran erinnern, aus christlicher Nächstenliebe die Erörterung der verfänglichsten Argumente unterlassen zu haben. Seit den Klagen, die man gegen Bellarmin erhoben hat, daß seine Aufrichtigkeit bei der Darlegung der Gründe der Häretiker sich nachteilig ausgewirkt habe, hat man hauptsächlich Grund, dies von den Kontroversschriftstellern in Rom zu glauben.43

Man sehe oben die Anmerkung (I) des Artikels BELLARMIN. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 43

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Ob diejenigen, die den Verkauf ketzerischer Bücher verbieten, erlauben sollen, daß die Einwände der Häretiker in den Schriften der Rechtgläubigen erscheinen, die sie widerlegen Hier muß ich eine Sache prüfen, die ich in dem Artikel über diesen Kardinal versprochen habe.44 Heißt es folgerichtig räsonieren, heißt es ein gleichförmiges und kohärentes Verhalten an den Tag legen, wenn man die Schriften eines Häretikers verbrennen läßt und die Lektüre der Autoren erlaubt, die ihn widerlegt haben? »Nein«, wird man antworten, »denn der Grund, weshalb man die Lektüre und den Verkauf ketzerischer Bücher verbietet, ist die Befürchtung, daß sie die Leser vergiften.« In Italien befürchtet man, daß, wer auf irgendeine Weise zu sehen bekommt, wie ein protestantischer Schriftsteller seine Dogmen beweist und die katholische Lehre angreift, mit Zweifeln erfüllt wird und sich sogar durch die Gründe dieses Autors völlig überzeugen lassen könnte. Aber hat man nicht Anlaß, dasselbe Unglück zu befürchten, wenn die Leute die Schriften von Bellarmin lesen? Lesen sie in ihnen nicht die Beweise und die Einwände der Häretiker? Und vorausgesetzt, Bellarmin habe aufrichtig gehandelt; werden sie sie bei ihm nicht in ebensolcher Stärke finden wie in den Büchern des geschicktesten Protestanten? »Ja«, wird man mir antworten, »aber sie werden sie dort zusammen mit der Widerlegung finden, anstatt daß sie auf das Gift stoßen würden, wenn sie nur das Buch des Häretikers läsen, ohne zugleich ein heilsames, gut zubereitetes Schutzmittel zu haben.« Diese Antwort ist unzureichend, denn sie setzt bei den Lesern eine ganz außergewöhnliche Unbesonnenheit und Faulheit voraus. Das heißt annehmen, daß sie lieber ihre ewige Seligkeit aufs Spiel setzen, als sich die Mühe zu machen, von einem Buch zum nächsten zu gehen, und daß sie sich, wenngleich sie wissen, daß sie die Bücher von Bellarmin in der Buchhandlung finden können, in der sie das Werk eines Oben Fußnote (45) des Artikels BELLARMIN. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 44

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Calvinisten gekauft haben, zugunsten des letzteren entscheiden würden, bevor sie sich über die Gründe dieses Kardinals informiert haben – obwohl sie zur gleichen Zeit das Buch mit dem Gift und das Buch mit dem Gegengift vor sich auf den Tisch legen könnten. Man wird mir zugestehen, daß der Unterschied zwischen den Gründen eines Häretikers, wenn sie mit den Gründen eines Rechtgläubigen 具in einem Band 典 zusammengebunden sind, und denselben Gründen, wenn sie getrennt voneinander gebunden sind – diejenigen des Häretikers in einem Band und die des Rechtgläubigen in einem anderen – man wird mir zugestehen, sage ich, daß ein solcher Unterschied keinen berechtigten Anlaß weder zu Hoffnungen noch zu Befürchtungen gibt. Folglich müssen die gehegten Hoffnungen und die Befürchtungen woanders herkommen. Man muß der Ansicht sein, daß dasjenige, was ein zureichendes Gegengift ist, wenn die Leser miteinander vergleichen, was der Orthodoxe aus den ketzerischen Büchern zitiert und was er darauf antwortet, kein gutes Heilmittel ist, wenn die Leser das gesamte ketzerische Buch mit dem des Rechtgläubigen vergleichen. Man muß also voraussetzen, daß – unabhängig von der Antwort – die Gründe des Häretikers in dem Werk des Rechtgläubigen viel schwächer sind als in dem häretischen Werk selbst; und folglich setzt man voraus, daß der Verfasser der Antwort die Klugheit besessen hat, sie verfremdet, verstümmelt und auf eine solche Weise verdreht zu berichten, daß sie diejenigen nicht überraschen können, die weiter nichts als dieses davon sehen und es mit der Widerlegung vergleichen. Auf dieser Grundlage widersprechen sich die Inquisitoren nicht, die ein Buch verbieten und die Lektüre derjenigen Bücher erlauben, die es widerlegt haben; ihr Verhalten weist keine Unstimmigkeiten auf, sie sind überzeugt, daß das Verbot nützlich sein wird, ohne daß die Erlaubnis irgendeinen Schaden verursachen könnte. Aber wie dem auch sei, wir müssen folgern, daß dieselbe Politik, dieselbe Klugheit, dieselbe christliche Nächstenliebe, derselbe Eifer (man mag den Begriff wählen, den man will), die dazu führen, bestimmte Werke verbrennen zu lassen oder ihre Lektüre sowie ihren Verkauf zu verbieten, durch eine

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notwendige Konsequenz dazu führen muß, nicht alle Gründe des Autors in die Bücher einzufügen, in denen sie widerlegt werden. Denn wenn man, indem man sich von der Maxime Chrysipps völlig entfernte, mit letzter Aufrichtigkeit jene Gründe in ihrer ganzen Stärke darstellte, so würde es nichts nutzen, diese schlimmen Bücher zu beseitigen, wenn man nicht zur gleichen Zeit die Schriften verböte, die sie widerlegen. Das ist so offensichtlich, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß alle Autoren, die um die Aufrechterhaltung der Kirchendisziplin bemüht sind, sich dem Geist der Tribunale anbequemen, die gewisse Schriften verurteilen; es ist, sage ich, sehr wahrscheinlich, daß diese Autoren, wenn sie es unternehmen, eines jener Bücher zu widerlegen, dafür Sorge tragen, daß ihre Widerlegung nichts zu erkennen gibt, was den Glauben der Leser erschüttern könnte. Sie reduzieren einen Einwand, der mehrere Seiten eingenommen hatte, auf drei oder vier Zeilen, sie trennen ihn von seinen Beweisen und seinen Voraussetzungen ab, sie übergehen das, was sie nicht auflösen können.45 Und überhaupt kann ein Werk, wie stark es auch für diejenigen sein mag, die es ganz und in einem Zuge lesen, schwerlich aus den Bruchstücken stark erscheinen, die ein Gegner daraus anführt und die er an verschiedenen Stellen seiner Antwort verstreut bringt; hier vier Zeilen, dort fünf oder sechs usw. Das sind von ihrem Stamm abgeschlagene Äste, das ist eine zerlegte Maschine; man kann den zergliederten Körper darin nicht erkennen.46 Sämtliche Kontroversschriftsteller beklagen sich wechselseitig über diesen Kunstgriff ihrer Widersacher.47 Ich habe einen Römisch-Katholischen gekannt, der sagte, daß alle Werke, die gegen Bellarmin veröffentlicht wurden, den Titel Bellar-

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»Und er läßt beiseite, was, wie er meint, nicht glänzen könnte, wenn es bearbeitet ist.« Horaz, Ars poetica, Vers 150. Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, Juli 1685, Art. III, S. 804. 46 »Du fändest nicht einmal die Glieder des zerrissenen Dichters.« Horaz, Satirae, Buch I, 4, Vers 62. 47 Man vergleiche die Nouvelles de la république des lettres, Juli 1685, Art. III.

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minus enervatus verdienten, den Amesius verwendet hatte; »enervatus« 具seiner Kraft beraubt 典, so fügte er hinzu, »nicht wegen der Stärke der Antwort, sondern wegen der Art und Weise der Darstellung der jeweiligen Einwände.« Die Protestanten beklagen sich noch bitterer über die Hinterlist ihrer Gegner. Man beachte die Streitigkeiten, die sich manchmal unter Leuten derselben Partei erheben. Wenn man die Schriften von zwei Widersachern liest, wird man sie stark finden; aber wenn man die Bücher des Maevius nach den Stücken beurteilen sollte, die sein Gegenspieler Titius daraus zitiert, und nach der Beurteilung, die er anschließt, so würde man sagen, daß Maevius weder zu schreiben noch zu denken versteht und keine gesunde Vernunft hat. Man beachte, daß ich nicht behaupten will, daß die Tribunale, die Bücher verbieten, von Inkonsequenz ausgenommen wären.48

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Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, September 1685, S. 1053; Juni 1686, Art. III, S. 639; Juli 1686, Art. VIII, S. 810.

CHRYSIS

chrysis, Priesterin der Juno in Argos, war durch ihre Fahrlässigkeit die Ursache, daß der Tempel der Gottheit völlig abbrannte. Sie hatte eine Lampe zu nah an die heiligen Gewänder gestellt. Sie fingen Feuer, und da Chrysis so fest schlief, daß sie nicht früh genug aufwachte, um den Folgen dieses Unfalls zuvorzukommen, vernichtete das Feuer den ganzen Tempel.a Einige Leute sagen, sie sei selbst inmitten der Flammen umgekommen (A); andere aber versichern, daß sie sich noch in derselben Nacht nach Phleius gerettet habe. Sie fürchtete mit Grund den Zorn der Argiver, denn anstatt sie zurückzurufen, wählten sie eine andere Priesterin. Dies war bei ihnen ein sehr angesehenes Amt, denn sie bemaßen 具nach seinem Wechsel 典 ihr Datum und ihre Zeitrechnung. Dieser Brand ereignete sich im neunten Jahr des peloponnesischen Kriegs. Der hl. Hieronymus hat in seinem ersten Buch gegen Jovinian bemerkt, daß unsere Chrysis, die Priesterin der Juno, Jungfrau war. Marianus Victorius irrt, wenn er in seinen Anmerkungen zu dieser Stelle behauptet, dieser Kirchenvater spreche von Chryseïs, die von Agamemnon entführt worden war.

(A) Einige Leute sagen, sie sei (---) inmitten der Flammen umgekommen. Arnobius versichert das nicht nur, sondern leitet daraus auch ein Argument gegen die Heiden ab. »Wo war denn die Göttin Juno«, so fragt er,1 »als ein und dieselben Flammen ihr berühmtes Heiligtum in der Stadt Argos zusammen mit der Priesterin Chrysis vernichteten?« Clemens von Alexandria hata 1

Thukydides, Buch IV, am Ende. Arnobius, Buch VI, S. 207 meiner Ausgabe.

Chrysis

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te ihm all das geliefert, die Tatsache und die daraus gezogene Folgerung.2 Es war nicht sehr klug von ihnen, sich eines solchen Beweises gegen die Götter der Heiden zu bedienen. Denn abgesehen davon, daß Lukrez sich ein ganz ähnliches Argument zunutze macht, um den Götterkult im allgemeinen zu zerstören – konnte man die Frage des Arnobius nicht an ihn selbst zurückgeben? Konnte man ihn nicht fragen, wo denn der Gott Israels war, als der König von Babylon den Tempel Salomons plünderte und in Brand setzte? Ich weiß nicht, was sich die Kirchenväter bei einigen ihrer Argumente gegen die Heiden gedacht haben.

2

Clemens von Alexandria, Protrept., S. 35.

DAVID 具nach der Erstauflage von 1697 典

david, König der Juden, ist einer der größten Menschen der Welt gewesen, selbst wenn man ihn nicht als einen königlichen Propheten ansehen sollte, der nach dem Herzen Gottes war. Das erste Mal, daß die Schrift ihn auf der Bühne erscheinen läßt,a geschieht das, um uns davon zu unterrichten, daß Samuel ihn zum König bestimmt und gesalbt hat. David war damals nur ein einfacher Schäfer. Er war der jüngste der acht Söhne Isais aus Bethlehem (A). Danach berichtet uns die Schrift, daß er zu König Saul geschickt wurde, um ihn von seinen Anfällen der Raserei durch die Musik zu heilen. Ein so wichtiger Dienst machte ihn derart beliebt bei Saul, daß dieser Fürst ihn bei sich behielt und zu seinem Waffenträger machte. Im Folgenden berichtet die Schrift, daß David von Zeit zu Zeit zu seinem Vater zurückkehrte, um die Schafe zu hüten, und daß sein Vater ihn eines Tages in Sauls Lager mit Proviant für drei seiner Söhne zurückschickte, die im Kriegsdienst standen. Als David diesen Auftrag ausführte, hörte er die an die Israeliten gerichtete Herausforderung, die ein Philister namens Goliath, der stolz auf seine Stärke und seine riesenhafte Gestalt war, tagtäglich wiederholte, ohne daß einer von ihnen es wagte, sie anzunehmen. Er zeigte große Lust, gegen diesen Riesen zu kämpfen, woraufhin er vor den König geführt wurde und diesem versicherte, daß er über diesen Philister triumphieren werde. Saul gab ihm seine Rüstung, aber weil David sich von ihr behindert fühlte, legte er sie ab und beschloß, lediglich seine Schleuder zu benutzen. Er setzte sie so erfolgreich ein, daß er den Prahler mit einem Steinwurf zu Boden streckte und ihn dann mit dessen eigenem Schwert tötete und ihm den Kopf abhieb, den er Saul präsentierte. Als dieser Fürst David gegen Goliath ziehen sah, fragte er seinen General, »wessen Sohn ist dieser Knabe?« (C). a

1. Samuel 16, 13.

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Der General antwortete ihm, daß er es nicht wisse, und erhielt von Saul den Befehl, es herauszufinden. Aber Saul erfuhr es selbst aus dem Munde des jungen Mannes, denn als dieser nach seinem Sieg zu ihm geführt wurde, fragte er ihn, »wessen Sohn bist du?« und David antwortete ihm, er sei der Sohn des Isai. Saul behielt ihn dann in seinen Diensten, ohne ihm fernerhin zu gestatten, zu Isai zurückzukehren. Aber weil die Lieder, die man in allen Städten über die Niederlage der Philister sang, David zehnmal mehr Ehre eintrugen als Saul, verspürte der König heftigen Neid, der sich immer mehr verstärkte, weil die Aufgaben, die er David übertrug, um ihn vom Hofe fernzuhalten, nur dazu führten, die Verdienste dieses jungen Mannes noch heller erstrahlen zu lassen und ihm die Zuneigung und Bewunderung des Volkes zu bescheren. Mit hinterhältiger List wollte er ihn als Schwiegersohn gewinnen. Saul hoffte, daß die Bedingung, unter der er ihm seine zweite Tochter zur Gemahlin geben würde, ihn von diesem Gegenstand seiner Abneigung befreien würde. Aber er täuschte sich in seiner List. Er verlangte als Mitgift für seine Tochter die Vorhaut von hundert Philistern. David brachte ihm genau abgezählte zweihundert, so daß er, anstatt bei diesem Unternehmen umzukommen, wie Saul gehofft hatte, in neuem Ruhmesglanz zurückkehrte. Er heiratete die Tochter Sauls und wurde dadurch für den König nur noch unheimlicher. Alle seine Kriegszüge gegen die Philister verliefen sehr erfolgreich, sein Name wurde sehr berühmt, und er stand in außerordentlich hohem Ansehen, so daß Saul, der die Tugend seines Schwiegersohnes weit weniger kannte als die Stimmung des Volkes, glaubte, nichts außer dem Tode Davids könnte verhindern, daß er entthront würde. Er beschloß daher, sich seiner bei passender Gelegenheit zu entledigen. Er vertraute sein Vorhaben seinem ältesten Sohn an, der aber weit davon entfernt war, den Neid seines Vaters zu teilen, und David vor diesem verwerflichen Anschlag warnte. David ergriff die Flucht und wurde von Ort zu Ort verfolgt, bis er seinem Schwiegervater unbezweifelbare Beweise seiner Redlichkeit und Treue gegeben hatte, indem er ihm bei zwei günstigen Gelegenheiten, in denen er ihn leicht hätte töten können, kein

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Leids zufügte. Daraufhin beschloß Saul, ihn in Ruhe zu lassen. Weil David aber fürchtete, der König könnte seine bösen Pläne wieder aufgreifen, war er nicht nur beständig auf der Hut, sondern verschaffte sich auch einen besseren Zufluchtsort als zuvor im Lande der Philister. Er ersuchte den König von Gath um eine Stadt als Aufenthaltsort. Von dort aus beging er hundert Einfälle in die umliegenden Länder (D); und es war nicht sein Verdienst, daß er nicht unter der Flagge dieses Philisterfürsten gegen die Israeliten (E) in dem unglückseligen Krieg kämpfte, in dem Saul starb. Nach dem Tode Sauls kehrte er nach Judäa zurück und wurde dort vom Stamme Juda zum König ausgerufen. Die anderen Stämme unterwarfen sich jedoch Is-Boseth, dem Sohn Sauls; Grund dafür war die Treue von Abner. Dieser Mann, der unter König Saul Armeebefehlshaber gewesen war, setzte Is-Boseth auf den Thron und hielt ihn dort gegen alle Angriffe Davids. Aber da er es nicht ertragen konnte, daß IsBoseth ihn kritisierte, weil er eine Konkubine Sauls genommen hatte, verhandelte er mit David, um ihm das Königreich Is-Boseths zu verschaffen. Die Verhandlungen wären bald zu Davids Zufriedenheit zum Abschluß gebracht worden, wenn Joabt nicht wegen eines persönlichen Streits Abner aus Rache getötet hätte. Der Tod dieses Mannes beschleunigte nur den Untergang des unglücklichen Is-Boseth: Zwei seiner wichtigsten Hauptleute ermordeten ihn und brachten seinen Kopf zu David, der weit davon entfernt war, sie dafür so zu belohnen, wie sie es erwartet hatten, und Befehl gab, sie zu töten. Die Untertanen Is-Boseths zögerten nicht, sich freiwillig dem Joch Davids zu unterwerfen. Dieser Fürst hatte siebeneinhalb Jahre den Stamm Juda regiert, und im Anschluß daran regierte er ungefähr 33 Jahre über ganz Israel. Seine lange Regentschaft war bemerkenswert aufgrund großer Erfolge und glorreicher Eroberungen; außer durch die Anschläge der eigenen Kinder des Fürsten wurde sie kaum getrübt (F). Das sind gewöhnlich die Feinde, welche die Herrscher am meisten zu fürchten haben. Es fehlte nicht viel, daß David in den jämmerlichen Zut

Das war der Armeebefehlshaber Davids.

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stand zurückgefallen wäre, in dem Samuel ihn angetroffen hatte. Nach menschlichem Ermessen wäre dieser Rückschlag unvermeidlich gewesen, wenn er nicht Leute gefunden hätte, die seinen Sohn Absalom an ihn verrieten. Die Frömmigkeit Davids erstrahlt in seinen Psalmen und in mehreren seiner Handlungen so glänzend, daß man sie nicht genug bewundern kann. Es gibt etwas anderes, nicht weniger Bewundernswertes in seinem Verhalten, nämlich daß er es verstand, so viel Frömmigkeit mit den lockeren Maximen der Regierungskunst glücklich zu verbinden. Gewöhnlich meint man, daß sein Ehebruch mit Bath-Seba, die Ermordung Urias und die Volkszählung die einzigen Vergehen waren, die man ihm vorwerfen könnte. Das ist ein großer Irrtum. Es gibt viele andere Dinge in seinem Leben zu tadeln (H). Er ist eine Sonne der Heiligkeit in der Kirche, er breitet durch seine Werke einen ungemeinen Glanz des Trostes und der Frömmigkeit über sie aus, den man nicht genug bewundern kann; aber er hat seine Fehler gehabt, und noch in seinen letzten Worten findet man die Unredlichkeiten der Politik (I). Die hl. Schrift überliefert sie in lediglich historischem Sinne, deshalb ist es jedem freigestellt, sich sein eigenes Urteil darüber zu bilden.z Wir wollen mit der Bemerkung schließen, daß die Geschichte König Davids mehrere gekrönte Häupter wieder beruhigen kann, und zwar angesichts der Befürchtungen, die strikte Kasuisten ihnen mit der Behauptung einflößen könnten, es sei fast unmöglich, daß ein König errettet werde. Das Werk, das der Abbé de Choisy über das Leben dieses großen Fürsten veröffentlicht hat, ist gut; es wäre noch viel besser, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, am Rande die Jahre jeder Begebenheit sowie die Stellen aus der Bibel oder aus Josephus zu notieren, denen er sein Material entnommen hat. Der Leser würde gern wissen, ob das, was er liest, aus einer heiligen oder aus einer profanen Quelle stammt. Ich werde nicht viele Fehler Moréris anführen. Der Artikel über David, den ich soeben im Wörterbuch der Bibel gelesen habe, gibt mir Stoff für eine Anmerkung. Ich habe vergessen anzumerken, z

Man sehe die Anmerkung (I), am Ende.

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daß es unrecht wäre, David dafür zu tadeln, daß er seinen ältesten Sohn von der Thronfolge ausschloß.

(A) Er war der jüngste der Söhne Isais. Isai stammte in gerader Linie von Juda, einem der zwölf Kinder Jakobs, ab und wohnte in Bethlehem, einer kleinen Stadt des Stammes Juda. Einige moderne Rabbiner sagen, daß Isai, als David empfangen wurde, meinte, sich mit seiner Magd und nicht mit seiner Frau zu vergnügen. Damit erklären sie den 7. Vers von Psalm 51, wo David versichert, daß er »in Sünde gezeugt wurde, und daß seine Mutter ihn in Sünde empfangen hat«. Das bedeutet, sagen sie, daß »sein Vater Isai bei seiner Zeugung einen Ehebruch beging, weil Isai, wenngleich er David mit seiner Frau zeugte, im Glauben war, ihn mit einer Magd zu zeugen, deren Keuschheit ihn schon lange lockte«.1 Diese Erklärung stimmt mit der Lehre von der Erbsünde schlecht überein. Aus diesem Grund hat Père Bartolocci,2 nachdem er diese Meinung der modernen Rabbiner berichtet hatte, sich verpflichtet gefühlt zu untersuchen, ob die alten Juden die Wahrheit dieser Lehre anerkannt haben. Wenn die Annahme dieser Rabbiner zutreffend wäre, dann würden sie ganz zu Recht sagen, daß Isai einen Ehebruch begangen hatte. Auf der anderen Seite aber müßte man sagen, daß er keine Sünde begangen hätte, wenn er in gutem Glauben, mit seiner Frau zu schlafen, seine Magd geschwängert hätte. Diese rabbinische Annahme ist von der Überlieferung weit entfernt, von welcher der hl. Hieronymus berichtet. Er sagt, man habe geglaubt, daß Isai, der Vater Davids, niemals eine wirkliche Sünde beging und daß sich in ihm einzig der Makel der Erbsünde befand. (…). Übrigens würde, wer die unverschämten Meinungen der 1

Man sehe das Journal des savans vom 14. Juli 1692, S. 465 der holländischen Ausgabe. 2 In der Bibliotheca magna rabbinica, Teil II, S. 4, zitiert in dem Journal des savans, a. a.O.

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Rabbiner bezüglich der Empfängnis für wahr halten wollte, sehr leicht eine andere unverschämte Ansicht übernehmen, nämlich die, David zu den berühmten Hurenkindern zu zählen. Der physische Grund, den man zur Erklärung anführt, weshalb die Hurenkinder so oft mit so vielen natürlichen Talenten geboren werden, würde hier auf der Seite des Vaters liegen. 具In der revidierten Fassung dieses Artikels von 1702 fügt Bayle folgenden Absatz hinzu: 典 Ich habe soeben ein italienisches Buch gelesen,4 in dem diese Erzählung der Rabbiner auf folgende Weise überliefert wird. Davids Vater liebte seine Magd, und nachdem er sie mehrere Male liebkost hatte, sagte er ihr endlich, daß sie sich bereithalten solle, um diese Nacht mit ihm zu schlafen. Sie, die nicht weniger tugendhaft als hübsch war, beklagte sich bei ihrer Herrin, daß Isai sie mit seinem Drängen nicht in Ruhe ließ. (…). »Versprich ihm, ihn in dieser Nacht zufrieden zu stellen«, antwortete ihre Herrin, »und ich werde mich an deinen Platz legen.« Das wurde zwei oder drei Nächte nacheinander so gemacht. Als Isai wahrnahm, daß seine Frau, mit der er seit langer Zeit nicht mehr geschlafen hatte, dennoch schwanger war, beschuldigte er sie des Ehebruchs und wollte der Darstellung nicht glauben, die sie ihm von der Absprache mit der Magd gab. Weder er noch seine Söhne wollten das Kind sehen, das sie auf die Welt brachte; sie hielten es für einen Bastard. Er behandelte sie mit der größten Verachtung und ließ das Kind auf dem Lande unter Hirten aufziehen. Er sprach mit seinen Nachbarn nicht von diesem Geheimnis und hütete diese häusliche Schande aus Liebe zu seinen Kindern. Die Dinge blieben in diesem Zustand, bis der Prophet Samuel kam, um einen König in der Familie Isais zu suchen. Da seine Wahl nicht auf einen der Söhne fiel, die man ihm zeigte, mußte man David kommen lassen. Man tat es widerwillig, denn 4

Das Buch trägt den Titel Precetti da esser imparati dalle donne ebree. Man sehe oben die Anmerkung (A) des Artikels ARODON. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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man fürchtete, daß ein schändliches Geheimnis entdeckt würde. Als sie aber sahen, daß der angebliche Bastard die Person war, die der Prophet suchte, änderten sie bald ihre Meinung, und man hörte nur noch schöne Lobgesänge. David begann mit einem Te Deum; er lobte Gott, der seine Gebete erhört und ihn von der Schmach, ein Bastard zu sein, befreit hatte. Isai fuhr fort und sagte, »der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden, der das ganze Haus tragen wird«. Seine anderen Söhne, Samuel usw. haben ebenfalls Sprüche aufgesagt. Der Rabbiner fügt hinzu, daß die Absicht Isais gut gewesen war; seine Frau war alt, seine Magd jung, und er wollte neue Kinder zeugen. (…). Was für eine schöne Entschuldigung! Wie viele unkeusche Menschen wären nicht sicher vor Kritik, wenn derartige Entschuldigungen ausreichen würden? Gab es jemals eine Lehre über die Lenkung der Absichten, die bequemer gewesen wäre als diese?

(C) Saul fragte seinen General, (---) wessen Sohn ist dieser Knabe? Es ist ein wenig merkwürdig, daß Saul David an diesem Tag nicht erkannt hat, wo dieser junge Mann doch mehrmals in seiner Gegenwart Musik gemacht hatte, um die Schwermut zu vertreiben, von der Saul geplagt wurde. Wenn sich eine solche Erzählung bei Thukydides oder Livius fände, würden alle Kritiker einmütig schließen, daß die Abschreiber die Seiten vertauscht, an einem Ort etwas vergessen, an einem anderen etwas wiederholt oder nichtauthentische Stücke in das Werk des Verfassers eingefügt hätten. Aber man muß sich vor dergleichen Vermutungen wohl hüten, wenn es sich um die Bibel handelt. Nichtsdestoweniger hat es einige Leute gegeben, die kühn genug waren zu behaupten, daß sämtliche Kapitel oder sämtliche Verse des 1. Buchs Samuel nicht an dem Platz stehen, an dem sie ursprünglich standen. Der Abbé de Choisy behebt die Schwierigkeiten wie mir scheint besser. »Man führte David zu

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Saul«, sagt er.8 »Zunächst erkannte er ihn nicht, obwohl er ihn mehrfach zu der Zeit gesehen hatte, als er ihn kommen ließ, um auf der Harfe zu spielen. Aber weil das schon einige Jahre zurücklag und weil David damals noch sehr jung war, als er als Musiker an den Hof kam, jetzt aber als Schäfer gekleidet dastand, so ist es nicht erstaunlich, daß ein mit vielen Angelegenheiten beschäftigter König, dessen Geisteszustand beeinträchtigt war, die Gesichtszüge eines jungen unbedeutenden Mannes vergessen hatte.« Ich wünschte nur, er hätte nicht gesagt: 1) daß es »schon einige Jahre zurücklag«, daß Saul David gesehen hatte; 2) daß »David noch sehr jung war«, als er an Sauls Hof als Musiker kam. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß er, als er Goliath tötete, viel älter gewesen wäre als zu dem Zeitpunkt seines ersten Auftretens am Hofe Sauls. Denn zur Zeit dieser ersten Reise war er »ein rüstiger Mann und streitbar und verständig in seinen Reden und schön«9. Er war nur 30 Jahre alt, als er nach dem Tode Sauls zum König gewählt wurde; und es müssen zwangsläufig ziemlich viele Jahre zwischen dem Tode Goliaths und dem Tode Sauls verstrichen sein. Man sehe die Anmerkung, in der Moréri kritisiert wird, und die Anmerkung (L).*

(D) Er ersuchte den König von Gath um eine Stadt (---). Von dort aus beging er hundert Einfälle in die umliegenden Länder. Nachdem David sich eine Zeitlang in der Hauptstadt des Königs Achis mit seiner kleinen Truppe von 600 kühnen Abenteurern aufgehalten hatte, fürchtete er, diesem Fürsten zur Last zu fallen, und bat ihn, ihm einen anderen Aufenthaltsort zuzuweisen. Achis nannte ihm die Stadt Ziklag. David begab sich mit seinen Anhängern dorthin und ließ ihre Schwerter dabei nicht rostig werden. Er führte sie oft auf Streifzüge und tötete 8 9 *

Histoire de la vie de David, S. 8 f. der Ausgabe Amsterdam 1692. 1. Samuel 16, 18. 具Beide Anmerkungen nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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ohne Erbarmen Männer und Frauen. Nur das Vieh ließ er am Leben; das war die einzige Beute, die er machte. Er befürchtete, daß Gefangene dem König Achis das ganze Geheimnis entdecken könnten, deswegen machte er keine Gefangenen, sondern überlieferte Männer wie Frauen dem Schwert. Das Geheimnis, das er nicht entdeckt sehen wollte, war, daß diese Verwüstungen nicht in dem Land der Israeliten begangen wurden, wie er den König von Gath glauben machte, sondern in den Ländern der Ureinwohner Palästinas. Offen gesagt war das ein sehr übles Verhalten. Um einen Fehler zu vertuschen, beging er einen noch größeren. Er täuschte einen König, dem er verpflichtet war, und um diese Täuschung zu verbergen, verübte er entsetzliche Grausamkeiten. Hätte man David gefragt, »Aufgrund welcher Machtbefugnis tust du das alles?«, was hätte er antworten können? Hat ein Privatmann wie er, ein Flüchtling, der Asyl im Land des Nachbarfürsten findet, das Recht, auf eigene Faust und ohne Auftrag vom Landesherrn Feindseligkeiten zu begehen? Hatte David einen solchen Auftrag? Handelte er im Gegenteil nicht sowohl den Absichten als auch den Interessen des Königs von Gath zuwider? Zweifellos, wenn heutzutage ein Privatmann von noch so vornehmer Abstammung sich so wie David bei dieser Angelegenheit aufführte, würde man ihn unvermeidlich mit sehr wenig ehrenvollen Namen belegen. Ich weiß sehr wohl, daß die größten Helden und die berühmtesten Propheten des Alten Testaments es manchmal gebilligt haben, daß alles Lebendige, auf das man stieß, dem Schwert überantwortet wurde; und deswegen würde ich mich sehr hüten, Davids Taten als unmenschlich zu bezeichnen, wenn er durch Befehle irgendeines Propheten autorisiert gewesen wäre oder wenn Gott selbst ihm durch eine Eingebung befohlen hätte, derart zu handeln. Aber aus dem Schweigen der Schrift geht klar hervor, daß er alles das aus eigenem Antrieb getan hat.

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Betrachtung über das Verhalten Davids Nabal gegenüber Ich will ein Wort darüber sagen, was er beschlossen hatte, mit Nabal zu tun. Während dieser schwerreiche Mann bei der Schafschur war, ließ David ihn sehr höflich um eine Gabe bitten. Seine Boten versäumten nicht ihm zu sagen, daß Nabals Herden niemals von Davids Leuten behelligt worden seien. Da Nabal ein Grobian war, fragte er unwirsch, wer David sei, und warf ihm vor, das Joch seines Herrn abgeschüttelt zu haben. Kurzum, er erklärte, daß er nicht dumm genug sei, das für seine Diener Gedachte an unbekannte Leute und Vagabunden zu geben. Durch diese Antwort geriet David außer sich und ließ 400 seiner Soldaten zu den Waffen greifen. Fest entschlossen, keine Seele am Leben zu lassen, setzte er sich an ihre Spitze. Er band sich sogar durch einen Eid an sein Vorhaben; und wenn er diesen blutigen Plan doch nicht ausführte, so deshalb, weil Abigail kam, um ihn durch schöne Reden und Geschenke zu besänftigen.11 Abigail war Nabals Frau und eine Person von großem Verdienst, schön und geistreich; sie gefiel David so gut, daß er sie sogleich nach dem Tode ihres Mannes heiratete.12 Wir wollen offen sprechen: Stand David nicht unbestreitbar im Begriff, eine sehr verbrecherische Handlung auszuführen? Er hatte keinen Rechtsanspruch auf Nabals Güter noch hatte er irgendeine Befugnis, ihn für seine Unhöflichkeit zu bestrafen. Er zog mit einer Meute guter Kumpane durch die Welt und konnte wohlhabende Leute durchaus um eine Gabe bitten, aber er mußte ruhig bleiben, wenn sie eine solche ablehnten; er konnte sie nicht mit militärischer Gewalt dazu zwingen, ohne die Welt in den Zustand schrecklicher Verwirrung zurückzustürzen, den man den Naturzustand nennt, wo allein das Recht des Stärksten gilt. Was würden wir heute über einen Fürsten von königlich-französischem Geblüt sagen, der, nachdem er bei Hofe in Ungnade gefallen wäre, sich mit seinen Kumpanen, die willens wären, sein Schicksal mit ihm zu teilen, 11 12

1. Samuel 25. A. a.O., Vers 42.

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sich irgendwohin retten würde? Welches Urteil würde man sich von ihm bilden, wenn er daran dächte, Abgaben in den Ländereien zu erheben, in denen er sich verschanzt hat, und wenn er jedermann aus der umliegenden Gegend dem Schwert überantwortete, der es ablehnte, Steuern zu zahlen? Was würden wir sagen, wenn dieser Fürst Schiffe ausrüsten und auf den Meeren kreuzen ließe, um sich aller Handelsschiffe zu bemächtigen, die er kapern könnte? Ehrlich gesagt, war David etwa mehr autorisiert, Abgaben von Nabal zu erzwingen und alle Männer und Frauen im Lande der Amalekiter usw. zu massakrieren sowie alle Tiere fortzuführen, die er dort fand? Wenn man mir entgegenhält, daß wir heute das Völkerrecht, das Recht des Krieges und des Friedens, aus dem man so schöne Systeme gemacht hat, besser kennen und daß die Menschen der damaligen Zeit deshalb leichter zu entschuldigen sind, als es heute der Fall wäre, so stimme ich dem zu. Aber die tiefe Achtung, die wir vor diesem großen König und großen Propheten haben müssen, darf uns nicht hindern, die Schandflecken, die sich in seinem Leben finden, zu mißbilligen; andernfalls würden wir den Gottesverächtern Gelegenheit geben, uns vorzuwerfen, zur Rechtschaffenheit einer Handlung genüge es, daß sie von gewissen Leuten ausgeführt worden ist, die wir verehren. Nichts wäre verderblicher für die christliche Moral als das. Es ist wichtig für die wahre Religion, daß das Leben der Rechtgläubigen nach den allgemeinen Begriffen von Recht und Anstand beurteilt wird.

(E) Es war nicht sein Verdienst, daß er nicht gegen die Israeliten kämpfte. Während David mit seiner kleinen umherstreifenden Truppe damit beschäftigt war, wo immer er eindringen konnte, sämtliche Länder der Ungläubigen zu verwüsten, bereitete man sich im Land der Philister darauf vor, Krieg gegen die Israeliten zu führen. Die Philister versammelten alle ihre Kräfte, David und seine tapferen Abenteurer traten in Achis’ Armee ein und hät-

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ten wie die Löwen gegen ihre Brüder gekämpft, wenn die argwöhnischen Philister Achis nicht gezwungen hätten, sie zu entlassen. Sie fürchteten, daß David und seine Leute sich in der Hitze des Gefechts auf die Philister stürzen würden, um ihren Frieden mit Saul zu schließen. Als David erfuhr, daß er die Armee wegen dieses Verdachts verlassen mußte, wurde er sehr ärgerlich.13 Er wollte daraufhin mit aller Macht zum Sieg der unbeschnittenen Philister über seine eigenen Brüder, das Volk Gottes, die Anhänger der wahren Religion, beitragen. Ich überlasse es guten Kasuisten zu beurteilen, ob derartige Gesinnungen eines wahrhaften Israeliten würdig sind.

(F) Seine Regentschaft (---) wurde nur durch Anschläge seiner eigenen Kinder getrübt. Der bedeutendste ihrer Anschläge war der Aufstand Absaloms, der diesen großen Fürsten zwang, aus Jerusalem in düsterem Aufzug zu fliehen: mit bedecktem Haupt und nackten Füßen, in Tränen aufgelöst und unter erbärmlichen Wehklagen seiner treuen Untertanen.14 Absalom hingegen hielt in Jerusalem einen gleichsam triumphalen Einzug; und damit der Eifer seiner Anhänger nicht etwa durch den Gedanken nachließe, daß dieser Streit zwischen Vater und Sohn bald beendet wäre, beging er eine Tat, die sehr geeignet war, sie glauben zu machen, daß er sich niemals mit David versöhnen würde. Vor den Augen der ganzen Welt schlief er mit zehn Konkubinen dieses Fürsten.15 Es spricht viel dafür, daß ihm dieses Verbrechen vergeben worden wäre; die außerordentliche Trübsal, in die Absaloms Tod David stürzte, ist Beweis dafür. Er war der beste Vater, den die Welt jemals gesehen hat. Seine Nachsicht seinen Kindern gegenüber ging über die vernünftigen Grenzen hinaus, und er war der erste, der die Folgen seiner Nachsicht zu spüren 13 14 15

(…). 1. Samuel 29, 8. 2. Samuel 15. A. a.O., Kap. 16.

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bekam. Denn wenn er die schändliche Tat seines Sohnes Ammon16 so bestraft hätte, wie sie es verdiente, hätte er nicht die Schande und den Verdruß gehabt zu sehen, daß ein anderer die Schande rächte, die Thamar zugefügt worden war; und wenn er denjenigen, der diese Schande rächte, bestraft hätte, wie es hätte geschehen müssen, so wäre er nicht das Risiko eingegangen, völlig entthront zu werden. David teilte das Schicksal der meisten großen Fürsten: Er hatte kein Glück mit seiner Familie. Sein ältester Sohn schändete seine eigene Schwester und wurde von einem seiner Brüder wegen dieses Inzestes getötet, und der Urheber dieses Brudermordes schlief mit den Konkubinen Davids. Was für ein Skandal muß es für fromme Seelen sein, so viele Schandtaten in der Familie dieses Königs zu sehen!

(H) Gewöhnlich meint man, daß sein Ehebruch usw. die einzigen Vergehen waren, die man ihm vorwerfen könnte. (---). Es gibt viele andere Dinge in seinem Leben zu tadeln. Wir haben bereits einige davon angeführt, die aus der Zeit stammen, als er Privatmann war. Hier sind einige weitere aus der Zeit seiner Regentschaft. I. Seine Polygamie ist kaum zu entschuldigen, denn obschon Gott sie damals tolerierte, darf man nicht glauben, daß man sie sehr weit treiben kann, ohne der Sinnlichkeit die Zügel ein wenig zu locker zu lassen. Michal, die zweite Tochter Sauls, war die erste Frau Davids. Während der Zeit, als er in Ungnade gefallen war, nahm man sie ihm weg;17 er heiratete nacheinander mehrere andere,18 ließ aber nicht davon ab, die erste zurückzuverlangen. Zu diesem Zweck mußte sie zunächst ei16

Er schändete Thamar und wurde wegen dieses Verbrechens auf Anordnung von Absalom, dem Bruder der Thamar väter- und mütterlicherseits, getötet. A. a.O., Kap. 13. 17 1. Samuel 25, 44. 18 2. Samuel 3 und 4.

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nem Ehemann geraubt werden, der sie sehr liebte und der ihr so weit folgte, wie er konnte, wobei er weinte wie ein Kind19. David hatte keine Skrupel, sich mit der Tochter eines Unbeschnittenen einzulassen;20 und obwohl er Kinder von mehreren Frauen hatte, nahm er sich in Jerusalem noch Konkubinen. Zweifellos wählte er die schönsten aus, die er finden konnte; und so kann man nicht sagen, daß er sich große Mühe gegeben hätte, die Natur hinsichtlich der Liebeslust zu demütigen. II. Sobald er vom Tode Sauls erfahren hatte, traf er, ohne Zeit zu verlieren, Anstalten, sich die Thronfolge zu sichern. Er begab sich nach Hebron, »und sogleich nach seiner Ankunft erkannte ihn der ganze Stamm Juda als König an, dessen ›Anführer er durch Geschenke gewonnen hatte‹«.21 Wenn Abner die übrige Thronfolge nicht dem Sohn Sauls vorbehalten hätte, so wäre David ohne Zweifel durch dieselbe Methode, d. h. indem er die »Führer durch Geschenke gewann«, König von ganz Israel geworden. Aber was geschah, als durch Abners Treue elf Stämme samt und sonders dem Is-Boseth vorbehalten blieben? Genau das, was zwischen zwei ungläubigen und sehr ehrgeizigen Königen eingetreten wäre. David und Is-Boseth führten unablässig Krieg gegeneinander,22 um zu sehen, wer den Teil des anderen hinzugewinnen würde, so daß der Sieger sich des ganzen Königreiches erfreuen würde, ohne teilen zu müssen. Was ich jetzt sagen werde, ist noch weit übler. Abner, der mit seinem Herrn, dem König, unzufrieden war, plant, ihm sein Reich zu nehmen und es David zu übergeben. Er läßt David seine Absicht mitteilen und geht selbst zu ihm, um die Maßnahmen zur Durchführung des Anschlags mit ihm abzustimmen. David leiht diesem Treulosen sein Ohr, er will durchaus ein Königreich durch Intrigen dieser Art hinzugewinnen.23 Kann man sagen, daß ein Heiliger so handelt? Ich räume ein, 19 20 21 22 23

A. a.O., Kap. 3, 16. Thalmai, König von Gessur. A.a.O., Vers 5. Abbé de Choisy, Histoire de la vie de David, S. 47. 2. Samuel 3, 1. A. a.O. Kap. 3.

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daß es hier nichts gibt, was den Vorschriften der Politik und den Ratschlägen der Klugheit nicht entspräche, aber man wird mir niemals beweisen können, daß die genauen Gesetze der Billigkeit und der strengen Moral bei einem guten Diener Gottes ein solches Verhalten billigen könnten. Man beachte, daß David nicht behauptete, der Sohn Sauls regiere unrechtmäßig. Er räumte ein, daß er ein rechtschaffener Mann24 und folglich ein legitimer König war. III. Ebenso urteile ich über die List, die David während des Aufstands Absaloms anwendete. Er wollte nicht, daß Husai, einer seiner besten Freunde, ihn begleitete; er befahl ihm, sich der Partei Absaloms anzuschließen, um diesem rebellischen Sohn schlechte Ratschläge zu erteilen und damit er David von allen Absichten des neuen Königs Nachricht geben konnte.25 Diese List ist zweifelsohne höchst löblich, wenn man die Dinge nach menschlicher Klugheit und der Politik der Herrschenden beurteilt. Sie rettete David, und sie hat seit jenem Jahrhundert bis einschließlich des unseren unendlich viele Unternehmungen hervorgebracht, die den einen nützlich und den anderen verderblich waren. Aber ein strenger Kasuist wird diese List niemals für eine Handlung halten, die eines Propheten, eines Heiligen, eines rechtschaffenen Menschen würdig wäre. Ein rechtschaffener Mensch wird als solcher lieber seine Krone verlieren, als die Ursache des Unterganges seines Freundes zu sein. Nun heißt es aber, einen Freund nach Kräften ins Verderben zu stürzen, wenn man ihn dazu bringt, ein Verbrechen zu begehen; und es ist ein Verbrechen, wenn man vortäuscht, daß man mit ganzem Herzen die Partei eines Menschen ergreift, wenn man ihn täuscht, sage ich, um ihn durch schlechte Ratschläge und durch Verrat der geheimen Beschlüsse seines Kabinetts ins Verderben zu stürzen. Gibt es einen niederträchtigeren Betrug als den des Husai? Sobald er Absalom wahrgenommen hatte, rief er aus »Es lebe der König, es lebe der König«; und als er mit der Frage konfrontiert wurde, wieso er so 24 25

A. a.O., Kap. 4, 11. A. a.O., Kap. 15.

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undankbar sei, daß er seinen besten Freund nicht begleite, nahm er eine devote Haltung ein und führte Gewissensgründe an: »Ich werde bei demjenigen sein, den Gott auserwählt hat.«26 IV. Als David aufgrund seines fortgeschrittenen Alters unter all den Kleidungsstücken, die man ihm umlegte, nicht warm werden konnte, kam man auf den Einfall, für ihn ein junges Mädchen zu suchen, das ihn betreute und mit ihm schlief. Er gestattete, daß man ihm zu diesem Zweck das schönste Mädchen brachte, das sich finden ließ.27 Kann man sagen, daß das die Handlung eines züchtigen Menschen war? Wird ein Mensch, der von Vorstellungen der Reinheit erfüllt, der völlig entschlossen ist, dasjenige zu tun, was Anstand und gute Moral von ihm verlangen, jemals solchen Heilmitteln zustimmen? Kann man ihnen zustimmen, außer wenn man die Triebe der Natur und die Neigungen des Fleisches denen des Geistes Gottes vorzieht? V. Seit langem hat man David für die schreiende Ungerechtigkeit getadelt, die er Mephiboseth, dem Sohn seines besten Freundes Jonathan, zugefügt hatte. Folgendes war geschehen. Als David glaubte, die Partei von König Saul nicht länger fürchten zu müssen, fand er Gefallen daran, sich den etwa verbliebenen Mitgliedern dieser Familie gegenüber großzügig zu zeigen. Er hörte, daß ein armer Krüppel namens Mephiboseth, ein Sohn von Jonathan, noch am Leben sei. Er ließ ihn kommen und schenkte ihm all die Ländereien, die König Saul gehört hatten, und er gab Ziba, dem ehemaligen Diener dieses Hauses, Anweisung, diese Ländereien zu seinem Nutzen und für den Unterhalt des Sohnes von Mephiboseth zu verwalten. Mephiboseth selbst erhielt auf Lebenszeit einen Platz am Tisch des König David.28 Als David aus Jerusalem floh, um dort nicht in die Hände von Absalom zu fallen, traf er Ziba, der ihm frische Nahrungsmittel brachte und ihm mit zwei Worten 26 27 28

2. Samuel 16, 18. 1. Könige 1. 2. Samuel 9.

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sagte, daß Mephiboseth sich in der Hoffnung in Jerusalem aufhalte, im Verlauf dieser Umwälzungen das Königreich wiederzuerlangen. Auf diese Nachricht hin gab David ihm all die Güter des Mephiboseth.29 Nach dem Tode Absaloms erfuhr David, daß Ziba in verräterischer Absicht gesprochen hatte, aber trotzdem nahm er ihm nur die Hälfte dessen weg, was er ihm gegeben hatte, und ersetzte Mephiboseth nur die Hälfte seiner Güter. (…). Alle Interpreten haben David verteidigt. Einige von ihnen behaupten, daß die Anschuldigung von Ziba nicht unrecht war oder daß sie sich zumindest auf soviel Wahrscheinlichkeit stützte, daß man ihr Glauben schenken konnte, ohne ein unbesonnenes Urteil zu fällen.32 Aber es sind nicht viele Leute dieser Meinung. Die meisten Kirchenväter und die meisten Modernen glauben, daß Ziba ein Verleumder war und daß David sich betrügen ließ. Besondere Beachtung verdient die Ansicht von Papst Gregor. Er räumt ein, daß Mephiboseth verleumdet wurde, und behauptet dennoch, das Urteil, das ihn aller seiner Güter beraubte, sei gerecht gewesen. Das behauptet er aus zwei Gründen: 1) weil David das Urteil ausgesprochen hatte, 2) weil ein geheimes Urteil Gottes vermittelnd dazwischentrat. (…). Der Autor, den ich zitiere 具sc. Théophile Raynaud 典, schlägt einen anderen Weg ein. Weil uns die Heiligkeit Davids wohlbekannt ist, sagt er, und weil er niemals die Wiedergutmachung des Schadens angeordnet hat, den er Mephiboseth zugefügt hatte, muß man schließen, daß das Urteil gerecht war. Das heißt, ein sehr gefährliches Prinzip aufstellen: Man würde die Handlungen der alten Propheten nicht länger nach den Begriffen der Sittlichkeit beurteilen können, um diejenigen 具von ihnen典 zu verdammen, die ihr nicht gemäß sind; und so könnten die Freigeister unseren Kasuisten vorwerfen, gewisse Handlungen zu billigen, die offensichtlich ungerecht sind; sie zu billigen sage ich, zugunsten bestimmter Leute und mit Ansehen der Person. Wir wollen lieber sagen und auf 29

A. a.O., Kap. 16. Man sehe Petrus Joannes Olivi bei Théophile Raynaud, Hoplotheca, Sect. IV, Kap. 3, S. 523 und Raynaud selbst S. 232. 32

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die Heiligen anwenden, was von großen Geistern behauptet worden ist (…): Die allergrößten Heiligen sind darauf angewiesen, daß man ihnen das eine oder andere nachsieht. VI. Ich werde nichts von dem Vorwurf sagen, den Michal, eine der Frauen Davids, ihm wegen seines Auftritts machte, als er öffentlich tanzte. Hätte er sich nackt gezeigt, so könnte seine Handlung moralisch gesprochen als schlecht gelten, aber wenn er sich durch sein Benehmen nur verächtlich machte und die Erhabenheit seines Charakters beschädigte, so handelte es sich höchstens um eine Unklugheit und nicht um ein Verbrechen. Man muß bedenken, bei welcher Gelegenheit er tanzte. Es geschah, als die Bundeslade nach Jerusalem getragen wurde,34 und folglich bezeugen seine ausschweifende Freude und seine exaltierten Tänze seinen Eifer und seine Empfänglichkeit für die heiligen Dinge. Ein moderner Autor wollte die Nacktheit des Franz von Assisi durch diejenige Davids entschuldigen: »Als Michal, die Frau Davids«, sagt er,35 »durch ein Fenster gesehen hatte, daß ihr Mann, der vom heiligen Eifer ergriffen war, vor der Bundeslade des Herrn tanzte und herumsprang, verachtete sie ihn in ihrem Herzen und (---) sagte zu ihm in spöttischen Worten, ›Wie groß ist doch der Ruhm, den sich der König Israels heute erworben hat, als er sich in Gegenwart der Mägde seiner Untertanen entblößte und sich nackt auszog wie ein Wüstling!‹ Die letzten Worte des heiligen Textes scheinen zu zeigen, daß David sich völlig entkleidete; da jedoch derselbe Text (Vers 14), wo die Rede von Davids Tanz vor der Bundeslade ist, mitteilt, daß er mit einem Leinentuch bekleidet war, glaube ich nicht, daß er sich völlig entkleidet hat. Aber er entkleidete sich weit genug, um den Anschein zu erwecken, er sei nackt, und weit genug, daß man es der erhabenen Majestät eines Königs für unwürdig hielt – um so mehr, als die Angelegenheit sich öffentlich und vor einer großen Menschenmenge abspielte. Die von all diesen Umständen begleitete Handlung Davids ist nicht besser zu rechtfertigen als 34 35

2. Samuel 6. Ferrand, Réponse à l’apologie pour la réformation, S. 364 f.

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die des hl. Franziskus, bei der es sehr wenig Zuschauer gab,36 so daß die Handlung des einen nur getadelt werden darf, wenn auch die Handlung des anderen getadelt wird. Außerdem lesen wir, daß Michal sich über David lustig machte. Aber wir wollen sehen, ob sich der hl. Geist über ihn lustig gemacht hat, und wir wollen dementsprechend darüber urteilen, ob man sich über die Handlung des hl. Franzikus lustig machen darf.« Er berichtet im Anschluß daran, was David Michal geantwortet hat und was die Schrift über die Unfruchtbarkeit dieser Frau anmerkt. Eine große Zahl von Frauen würde es verdienen, unfruchtbar zu sein, wenn ein Geschmack wie derjenige Michals dafür ein zureichender Grund wäre. Man fände es in ganz Europa sehr merkwürdig, wenn an einem Tage der Prozession des heiligen Sakraments die Könige nur mit einem schmalen Tuch bekleidet in den Straßen tanzen würden. VII. Die Eroberungen Davids sind Thema meiner letzten Bemerkung. Es gibt strenge Kasuisten, die nicht glauben, daß ein christlicher Fürst allein aus dem Wunsch nach Machterweiterung heraus legitimerweise Krieg führen dürfe. Diese Kasuisten billigen nur Verteidigungskriege oder im allgemeinen solche, die einzig darauf abzielen, jedem das Seine wiederzugeben. Auf der Grundlage dieser Maxime hätte David oft ungerechte Kriege geführt, denn abgesehen davon, daß die hl. Schrift ihn ziemlich oft als den Aggressor darstellt, ist es so, daß er »die Grenzen seines Herrschaftsbereichs von Ägypten bis zum Euphrat ausdehnte«37. Um David nicht zu verurteilen, ist es folglich besser zu sagen, daß Eroberungen manchmal erlaubt sein können, und deshalb muß man sich hüten, daß man, wenn man

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Als Franz von Assisi von seinem Vater zum Erzbischof geführt wurde, um auf seine gesamten väterlichen Güter zu verzichten und um alles aufzugeben, was er besaß, händigte er seinem Vater selbst seine Kleidung aus und entblößte sich völlig in Gegenwart der Bruderschaft. Der Erzbischof erhob sich von seinem Sitz und bedeckte ihn mit seinem Mantel. Bonaventura, Vie de St. François, zitiert von Ferrand, Réponse à l’apologie pour la réformation, S. 363 f. 37 Abbé de Choisy, Histoire de la vie de David, S. 64.

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gegen die modernen Fürsten loszieht, nicht unbeabsichtigterweise diesen großen Propheten verunglimpft. Aber wenn allgemein gesprochen die Eroberungen dieses heiligen Monarchen zu seinem Ruhm beigetragen haben, ohne seine Gerechtigkeit zu beeinträchtigen, so wird es schwierig, an dieser Maxime festzuhalten, wenn man ins Detail geht. Wir wollen nicht mit unseren Mutmaßungen Geheimnisse durchwühlen, die uns die Geschichte nicht überliefert hat; wir wollen nicht folgern, daß David, weil er von dem Verrat Abners und Husais profitieren wollte, deshalb alle Kriegslisten gegen die ungläubigen Könige eingesetzt hätte, die er unterwarf. Wir wollen uns einzig auf das beschränken, was die heilige Geschichte uns über die Art und Weise sagt, wie er die Besiegten behandelte. »Aber das Volk darinnen führte er heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon.«39 Die Genfer Bibel bemerkt am Rande zu diesem Vers, daß »dieses verschiedene Arten der Todesstrafe waren, deren man sich im Altertum bediente«. Wir wollen sehen, wie er mit den Moabitern verfuhr. »Er maß sie mit der Meßschnur, wobei sie sich auf den Boden legen mußten, und er maß zwei Schnurlängen ab für die, die er töten ließ, und eine Schnurlänge für diejenigen, die er am Leben ließ.«40 Das heißt, er wollte genau zwei Drittel von ihnen töten, nicht mehr und nicht weniger.41 Edom erfuhr eine noch härtere Behandlung. Er ließ dort alle Männer töten, »Denn Joab blieb sechs Monate daselbst und das ganze Israel, bis er ausrottete alles, was ein Mannsbild war in Edom.«42 Kann man bestreiten, daß diese Art der Kriegsführung tadelnswert ist? Haben die Türken und die Tataren nicht ein wenig mehr Menschlichkeit? Und wenn eine Unzahl von Pamphleten Tag für Tag gegen die militärischen Unternehmungen unserer Zeit anschreit, die in der Tat 39 40 41 42

2. Samuel 12, 31. A. a.O., Kap. 8, 2. Man sehe die Anmerkung der Genfer Bibel. 1. Könige 11, 15.

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roh und tadelnswert sind, aber mild im Vergleich mit denen Davids, was würden die Verfasser dieser Pamphlete heute sagen, wenn sie Davids Sägen, Eggen, Verbrennen und das allgemeine Hinmorden aller Männer ob groß ob klein zu verurteilen hätten?

(I) Noch in seinen letzten Worten findet man die Unredlichkeiten der Politik. Man verstehe mich recht: Ich will nicht behaupten, daß David in diesem Stadium nicht sagte, was er dachte; sondern daß die freimütige und offene Art, in der er sein Herz öffnete, bezeugt, daß er früher bei zwei bemerkenswerten Anlässen die Gerechtigkeit der Nützlichkeit geopfert hatte. Er wußte sehr genau, daß Joab den Tod verdiente und daß es eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber den Gesetzen und der Vernunft war, die Morde, die dieser Mann begangen hatte, ungestraft zu lassen. Gleichwohl behielt Joab seine Ämter, seine Güter, sein Ansehen. Er war ein tapferer Mann, er diente seinem Herrn, dem König, treu und war ihm nützlich; für den Fall, daß man ihn bestraft hätte, wären gefährliche Tumulte zu befürchten gewesen. Das sind die politischen Gründe, die dazu führten, daß man die Gesetze der Nützlichkeit nachordnete. Als David aber keine Verwendung mehr für diesen General hatte, gab er Befehl, ihn umzubringen; das war ein Artikel seines Testaments.43 Sein Nachfolger Salomon hatte einen ähnlichen Befehl gegen Simei erhalten. Dieser Mann wußte, daß David Jerusalem wegen des Aufstands Absaloms fluchtartig verlassen hatte. Er kam, um David auf seinem Weg zu beleidigen, und er machte ihm Vorwürfe, die noch härter waren als die Steine, die er nach ihm warf.44 David ertrug diese Beleidigungen sehr geduldig; er erkannte und verehrte in ihnen mit Zeichen einzigartiger Frömmigkeit die Hand Gottes, und als seine Angelegen43 44

1. Könige 2, 6. 2. Samuel 16, 5 ff.

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heiten wieder geordnet waren, vergab er Simei, der unter den ersten war, die sich unterwarfen und seine Milde erflehten.45 David schwor ihm, daß er ihn nicht töten lassen würde, und er hielt sein Wort bis zum Sterbebett. Als er aber im Sterben lag, gab er seinem Sohn den Auftrag, diesen Mann töten zu lassen.46 Das ist ein klarer Beweis, daß David ihn nur leben ließ, um sich zunächst den Ruhm eines milden Fürsten zu erwerben und sodann um zu vermeiden, daß ihm jemand ins Gesicht sagte, er habe sein Wort gebrochen. Ich würde gern wissen, ob jemand im strengen Wortsinn sein Versprechen hält, wenn er seinem Feind das Leben verspricht und dann in seinem Testament anordnet, ihn zu töten. Aus alledem, was ich in den voranstehenden Anmerkungen und in dieser gesagt habe, kann man leicht schließen, daß, wenn die Syrer so große Verfasser von Schmähschriften gewesen wären, wie es heutzutage die Europäer sind, sie den Ruhm Davids über die Maßen entstellt hätten. Mit welch niederträchtigen Namen und Titeln hätten sie nicht die Horde von Abenteurern belegt, die ihn begleitete, nachdem er sich vom Hofe Sauls zurückgezogen hatte? Die Schrift lehrt uns, daß all diejenigen, die sich von ihren Gläubigern verfolgt sahen, daß all die Unzufriedenen und Notleidenden zu ihm strömten und er sich zu ihrem Anführer machte.47 Nichts kann boshafter ausgelegt werden als so etwas. Die Historiker, die über Catilina und über Cäsar geschrieben haben, könnten einem satirischen Maler eine bunte Farbpalette hierzu bereitstellen. Die Geschichte hat eine kleine Probe der Verleumdungen überliefert, denen David unter den Freunden Sauls ausgesetzt war. Diese Probe zeigt, daß sie ihm vorwarfen, ein blutrünstiger Mensch zu sein und daß sie den Aufstand Absaloms als die gerechte Strafe für die Übel betrachteten, die David, wie sie sagten, Saul und seiner gesamten Familie zugefügt hatte. Ich

45 46 47

A. a.O., Kap. 19, 19 f. 1. Könige 2, 9. (---). 1. Samuel 22, 2.

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bringe die Worte der Schrift in einer Fußnote,48 hier sind die Worte von Josephus: »Als David aber in der Nähe von Bachora war, kam ein Verwandter Sauls namens Simei auf ihn zu, (---), der ihm Steine und Schmähungen entgegenschleuderte. Und als seine Freunde ihn beschützten, wurde er noch heftiger und bezeichnete David als einen blutrünstigen Menschen und Urheber vieler Übel. Er forderte ihn auf, als Unreiner und Verfluchter die Gegend zu verlassen, und er dankte Gott dafür, daß er ihn durch seinen eigenen Sohn für die Sünden bestrafe, die er einst gegen seinen Herrn begangen hatte.«49 Sie haben die Sache übertrieben. Es stimmt, daß nach dem Zeugnis von Gott selbst David ein blutrünstiger Mensch war und daß Gott aus diesem Grunde ihm nicht gestatten wollte, den Tempel zu bauen.50 Es ist auch wahr, daß er den Gibeonitern zur Besänftigung zwei Söhne und fünf Enkel Sauls auslieferte, die alle sieben gekreuzigt wurden.51 Aber es ist falsch, daß er jemals nach dem Leben oder nach der Krone Sauls getrachtet hätte.

Wichtiger Hinweis zu dem oben Gesagten Wer es befremdlich findet, daß ich meine Meinung über einige Handlungen Davids sage, indem ich sie mit der natürlichen Moral vergleiche, den bitte ich, drei Dinge zu erwägen. 1) Daß er selbst zu dem Eingeständnis verpflichtet ist, daß das Verhalten dieses Fürsten Uria gegenüber eins der größten Verbrechen ist, das man begehen kann. Es gibt also zwischen ihm und mir nur den Unterschied eines mehr oder weniger, denn ich er48

Simeis Worte sind der Schrift zufolge die folgenden: »Heraus, heraus, du Bluthund, du heilloser Mann! Der Herr hat dir vergolten alles Blut des Hauses Sauls, daß du an seiner Statt bist König geworden. Nun hat der Herr das Reich gegeben in die Hand deines Sohnes Absalom; und siehe, nun steckst du in deinem Unglück; denn du bist ein Bluthund.« 2. Samuel 16. 49 Antiquitates judaicae, Buch VII, Kap. 8, S. 230. 50 1. Chronik 22, 8 und 28, 3 51 2. Samuel 21.

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kenne wie er an, daß die Fehler dieses Propheten nicht ausschließen, daß er von Frömmigkeit und einem großen Eifer für den Ruhm Gottes erfüllt war. Er war abwechselnd den Leidenschaften und der Gnade ausgesetzt. Dieses Verhängnis haftet unserer Natur seit der Sünde Adams an. Die Gnade Gottes leitete ihn sehr häufig, aber bei verschiedenen Anlässen hatten die Leidenschaften die Oberhand; die Politik gebot der Religion zu schweigen. 2) Daß es kleinen Privatleuten wie mir sehr wohl erlaubt ist, über Tatsachen zu urteilen, die in der Schrift enthalten sind, sofern sie nicht ausdrücklich durch den hl. Geist ausgezeichnet sind. Wenn die Schrift bei dem Bericht von einer Handlung dieselbe tadelt oder lobt, dann ist es niemandem mehr erlaubt, sich diesem Urteil zu entziehen; jeder muß seine Billigung oder seinen Tadel nach der Vorgabe der Schrift einrichten. Ich habe dieser Pflicht nicht zuwider gehandelt. Die Tatsachen, über die ich meine unbedeutende Meinung geäußert habe, sind in der hl. Schrift ohne Bezug auf den hl. Geist und ohne irgendein Zeichen der Billigung überliefert.52 3) Daß man den ewigen Gesetzen und folglich der wahren Religion sehr großes Unrecht antäte, wenn man den Gottlosen Gelegenheit zu dem Einwand böte, daß wir das Verhalten eines Menschen, sobald er Anteil an göttlichen Eingebungen gehabt hat, als Sittenregel betrachten, so daß wir es nicht wagten, die den Begriffen der Billigkeit am meisten entgegengesetzten Handlungen der Welt zu verurteilen, wenn sie von einem solchen Menschen ausgeführt werden. Es gibt kein Mittleres in diesem Fall: Entweder haben diese Handlungen keinen Wert, oder Handlungen wie diese sind nicht böse. Weil man nun die eine oder andere dieser beiden Alternativen wählen muß, ist es da nicht besser, die Interessen der Moral zu berücksichtigen als 52

Ich habe bemerkt, daß die Schrift uns lehrt, daß David die Anordnungen Gottes erbat und befolgte, als es darum ging, die Angreifer zurückzuschlagen (1. Samuel 23 und 30); daß er Gott aber nicht befragte, als er Nabal vernichten wollte, noch als er im Begriffe stand, die Nachbarn von Achis auszulöschen und letzteren Glauben machen wollte, daß er die Länder Sauls verwüste. Das ist ein Zeichen dafür, daß Gott derartige Handlungen nicht billigte.

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den Ruhm eines Einzelnen? Würde man andernfalls nicht bezeugen, daß man lieber die Ehre Gottes als die eines sterblichen Menschen bloßstellt?

具Die revidierte Fassung dieses Artikels verzichtet auf (H) und (I) und bringt die folgende Anmerkung: 典 (G) Er hat seine Schandflecke gehabt. Die Volkszählung hat Gott als eine große Sünde angesehen.17 Seine Leidenschaft für die Frau des Uria und die Befehle, die er gab, um diesen Uria umkommen zu lassen,18 sind zwei ungeheuerliche Verbrechen. Aber sie taten ihm so leid und er sühnte sie durch eine so bewundernswerte Reue, daß er durch diese Begebenheiten in seinem Leben am meisten zur Unterweisung und Erbauung frommer Seelen beigetragen hat. Wir entnehmen ihnen die Gebrechlichkeit der Heiligen, und das ist ein Gebot der Wachsamkeit; wir entnehmen ihnen, auf welche Weise man seine Sünden beweinen muß, und hier haben wir ein sehr schönes Muster. Was die Anmerkungen betrifft, die gewisse Kritiker vor uns ausbreiten möchten, um zu zeigen, daß er für einige andere Handlungen seines Lebens großen Tadel verdient hat, so unterdrücke ich sie in dieser Ausgabe mit um so größerem Vergnügen, als Personen, die in diesen Angelegenheiten bei weitem aufgeklärter sind als ich, mir versichert haben, daß man all diese Scheineinwürfe leicht zerstreuen kann, sobald man sich erinnert, 1) daß David zu Lebzeiten Sauls rechtmäßig König war, 2) daß er den Hohenpriester bei sich hatte, der Gott befragte, damit er wußte, was er tun sollte, 3) daß der an Josua ergangene Befehl, die Gottlosen Palästinas auszulöschen, noch heutzutage besteht, 4) daß mehrere andere aus der Schrift gezogene Umstände uns von der Unschuld Davids angesichts eines Verhaltens überzeugen können, das im allgemeinen betrachtet böse erscheint und es heutzutage auch wäre. 17 18

2. Samuel 24. A. a.O., Kap. 11.

DIKAIARCH

dikaiarch, lat. Dicaearchus, ein Schüler des Aristoteles, verfaßte eine große Anzahl von Büchern, die sehr geschätzt wurden. Cicero und sein bester Freund Pomponius Atticus hielten große Stücke auf ihn, und ich glaube sogar, daß sich ihre hohe Meinung auch auf das Werk erstreckte, in dem er die Unsterblichkeit der Seele bestritt (C). Moréri schreibt es zwar einem anderen Dikaiarch zu, der aus Sparta stammte und ein Schüler Aristarchs war, aber zu Unrecht macht er diesen zum Verfasser mehrerer Bücher, denn Suidas, der vielleicht als einziger von diesem anderen Dikaiarch spricht, schreibt ihm keinerlei Bücher zu. Das erlaubt mir eine Anmerkung gegen Meursius. Plinius bezeugt an einer Stelle, daß Dikaiarch von einigen Fürsten den Auftrag erhalten hatte, die Höhe von Bergen zu bestimmen. Die Geographie war eines seiner Hauptarbeitsgebiete,a und wir haben noch eine Abhandlung von ihm darüber.b Sein Werk über den Staat der Spartaner wurde mit Lob überhäuft. Er hatte den Grundsatz, daß man sich darum bemühen müsse, von aller Welt geliebt zu werden, aber eine enge Freundschaft nur mit rechtschaffenen Menschen eingehen dürfe.d Was er an Platon tadelt, verdient den Tadel. Vossius hätte ihm nicht eine Abhandlung über Träume zusprechen sollen. Laktanz hat ihm nicht den Rang zuzubilligen gewußt, der ihm gebührt. Ich war höchst überrascht zu sehen, wie unergiebig der Jesuit Hieronymus Ragusa bei einem so illustren Gegenstand wie Dikaiarch ist, der seiner Heimat Sizilien soviel Ehre macht.e a

Man sehe Strabon, Buch II, S. 71, der anmerkt, daß Polybios Dikaiarch oft getadelt hat. b Es wurde im Jahr 1600 in Augsburg bei Hoeschelius gedruckt. d Plutarch, Sympos., Buch IV, S. 659 am Anfang der Seite. e Er stammte aus der Stadt, die heute Messina heißt und früher Messana genannt wurde. Suidas.

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Jemand, der nicht genannt sein will, hat mir einige Einwände zukommen lassen, die ich anschließend untersuchen will; sie betreffen das Argument, das ich gegen Dikaiarchs Meinung von der Natur der Seele vorgebracht habe (L).f Das wird mir Gelegenheit geben, ein Wort zu einem Streit zu sagen, der in England großes Aufsehen erregt hat (M).

(C)(---) und ich glaube sogar, daß sich ihre hohe Meinung auch auf das Werk erstreckte, in dem er die Unsterblichkeit der Seele bestritt. Er hatte zwei Abhandlungen über diesen Gegenstand verfaßt, jede in drei Bücher gegliedert, wie Cicero berichtet: »Dikaiarch gibt in drei Büchern ein Gespräch wieder, das gelehrte Männer in Korinth geführt haben. Im ersten Buch läßt er viele Redner auftreten, in den zwei anderen Büchern läßt er Pherekrates, einen alten Mann aus Phthia, von dem er sagt, er stamme von Deukalion ab, die Meinung vortragen, die Seele sei überhaupt nichts, dies sei nur ein Name ohne Sinn; vergeblich spreche man von beseelten Wesen, denn weder im Menschen noch im Tier gebe es Lebenshauch oder Seele. Unsere ganze Fähigkeit, etwas zu tun oder zu empfinden, sei über alle lebenden Körper verteilt und nicht vom Körper zu trennen, denn sie sei ja nichts Selbständiges; es existiere nichts außer dem einen und einfachen Körper, der aufgrund seiner natürlichen Zusammensetzung lebt und empfindet.20 (---). Am heftigsten hat mein Liebling Dikaiarch gegen die Unsterblichkeit argumentiert. Er hat nämlich drei Bücher geschrieben, die man die ›Lesbischen‹ nennt, weil das Gespräch in Mytilene stattfindet; in ihnen will er zeigen, daß die Seelen sterblich sind.«21 In einem seiner Briefe bekundet Cicero, daß er diese beiden Werke benötige, und er bittet Atticus, sie ihm zu schicken.22 f

In der Anmerkung (C). Cicero, Tusculanae disputationes, Buch I, Kap. 10, 18. 21 Ebd. 22 (…). Ders., Epistulae ad Atticum, Buch XIII, Brief 32. (…). 20

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Unüberwindlicher Einwand gegen Dikaiarch hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele Ich möchte im Vorübergehen sagen, daß diese Meinung Dikaiarchs eines Philosophen nicht würdig ist. So zu argumentieren heißt gar keine Prinzipien haben, heißt die Harmonie eines Systems zerstören. Wenn man einmal mit diesem Autor annimmt, daß die Seele gar nicht vom Körper verschieden ist, daß sie nur eine Fähigkeit darstellt, die sich über alles Lebende gleichmäßig erstreckt und die nur ein einziges unteilbares Ding mit den Körpern bildet, die man Lebewesen nennt, so weiß man entweder nicht mehr, was man sagt, oder man ist zu der These verpflichtet, daß diese Fähigkeit jederzeit die Körper begleitet. Denn was gar nicht vom Körper verschieden ist, das ist dem Wesen nach der Körper selbst, und den ersten Prinzipien zufolge bedeutet es einen Widerspruch, daß ein Ding jemals ohne sein Wesen sein sollte. Daraus ergibt sich offenkundig, daß die Fähigkeit zu empfinden in den Leichnamen keineswegs aufhört und daß jeder Teil von lebenden Körpern sein Leben und seine Seele mitnimmt, wenn die Körper sich auflösen. Man darf sich daher keinesfalls schmeicheln, daß die Empfindung nach dem Tod aufhören und man keinen Schmerz mehr erleiden wird. Wenn ein Körper der Schmerzempfindung fähig ist, sofern er in Nervenbahnen eingebettet ist, so ist er es auch an jedem Ort, an dem er sich befindet, sei es inmitten von Steinen, von Metallen, von Luft oder Wasser. Und wenn ein Luftatom einmal von allem Denken entblößt wäre, scheint es ganz unmöglich, daß seine Umwandlung in eine Substanz, die man »Lebensgeister« nennt, es zu etwas Denkendem machen könnte. Das scheint ebenso unmöglich wie einem Ding, das eine Zeitlang ohne räumliche Gegenwart gewesen ist, diese zu geben. Um folgerichtig zu schließen, muß man daher entweder zeigen, daß die Substanz, die denkt, vom Körper verschieden ist, oder daß alle Körper denkende Substanzen sind. Denn man wird ja nicht leugnen wollen, daß die Menschen denken, woraus nach Dikaiarchs Prinzip folgt, daß es eine gewisse Anzahl von denkenden Körpern gibt. Cicero argumentiert übrigens

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sehr schlecht gegen Dikaiarch.23 Er behauptet, daß nach diesem Philosophen der Mensch keinen Schmerz empfinden dürfte, weil er nicht empfinden könne, daß er eine Seele hat. Dieser Philosoph könnte leicht erwidern: Ich leugne gar nicht, daß der Mensch empfindet und daß er empfindet, daß er empfindet. Aber ich leugne, daß er erkennt, daß das, was in ihm empfindet, eine vom Körper verschiedene Seele ist. Es ist sehr wahr, daß er das nicht empfindet, denn er erkennt es nur durch Schlußfolgerung. Laktanz macht von dem Fehlschluß Ciceros Gebrauch.24 Mir ist bewußt geworden, daß hinsichtlich des Arguments, das ich gegen Dikaiarchs System vorgebracht habe, ein kleines Mißverständnis entstehen könnte. Das verpflichtet mich, einem Einwand zuvorzukommen. Man wird mir entgegenhalten, daß die Empfindung eine Modifikation des Körpers sein könnte, woraus folgen würde, daß die Materie, ohne etwas von ihrem Wesen zu verlieren, aufhören könnte zu empfinden, sobald sie nicht mehr in die Organe einer lebenden Maschine eingeschlossen wäre. Ich erwidere, daß diese Lehre absurd ist, denn alle Modalitäten, die man kennt, sind von der Art, daß sie nur aufhören, um einer anderen Modalität der gleichen Art Platz zu machen. Es gibt keine Gestalt, die nicht ausschließlich durch eine andere Gestalt zerstört würde, keine Farbe, die nicht ausschließlich durch eine andere Farbe vertrieben würde.25 Ich gebe zu, daß nach der alten Philosophie das Kalte und das Warme, die einander aus einem Ding vertreiben, keine Akzidenzien derselben Art sind, aber zumindest wird man mir zugestehen, daß sie beide der Gattung von Qualitäten angehören, die man »taktile« Qualitäten nennt. Um also sauber zu schließen, muß man sagen, daß es keine Empfindung gibt, die nicht ausschließlich durch die Einführung einer anderen neuen Empfindung aus ihrer Substanz vertrieben würde. Nichts hindert, daß die Empfindung eine Gattung sei, die an23 24 25

(…). Tusculanae disputationes, Buch I, Kap. 18. (…). 具Institutiones divinae 典, Buch VII, Kap. 13. Hier ist nur von Körpern die Rede, die der Mensch sehen kann.

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dere Gattungen unter sich hat, bevor man zur sog. species infima 具zur untersten Art 典 kommt. Demzufolge verliert mein Einwand nichts durch die Erwiderung, die ich widerlege, und ich kann weiterhin sagen, daß, wenn die Lebensgeister außerhalb der Nervenbahnen nicht mehr die Empfindung haben, die sie innerhalb derselben hatten, sie diese nur dadurch verloren haben, daß sie eine andere Art von Empfindung erwarben. Man wird mir zweifellos entgegenhalten, daß es Modalitäten gibt, die aufhören, ohne daß eine andere positive Modalität an ihre Stelle rückt, und man wird das Beispiel der Bewegung nennen; die Gestalt wird man nicht als Beispiel anzuführen wagen, denn sie steht zu offensichtlich Dikaiarchs Verteidigern entgegen. Ich erwidere aber, daß Bewegung und Ruhe sich nicht, wie man annimmt, in der Art wie positive Modalitäten und Mängel unterscheiden. Ruhe und Bewegung sind beide eine sehr reale und sehr positive örtliche Gegenwart; sie unterscheiden sich nur in äußerlichen und gänzlich zufälligen Beziehungen. Die Ruhe ist die Dauer der gleichen örtlichen Gegenwart, die Bewegung der Erwerb einer neuen örtlichen Gegenwart. Infolgedessen verliert das, was aufhört sich zu bewegen, keinesfalls seine Modalität, ohne eine andere der gleichen Art zu erwerben. Es behält immer die gleiche Position bezüglich seiner Ausdehnung unter den anderen Teilen des Universums. Wenn man uns das Beispiel eines Körpers nennt, der einen Ort verläßt, ohne einen anderen einzunehmen, dann werden wir zugeben, daß gewisse Körper eine Empfindung verlieren können, ohne eine andere zu erwerben. Aber da man dieses Beispiel unmöglich beibringen kann, können wir mit Recht behaupten, daß ein Körper, der einmal empfindet, immer empfindet. Ist nicht die Umwandlung eines Dinges in nichts innerhalb der Ordnung der Natur unmöglich? Wäre nicht die Umwandlung der Gestalt in den Mangel jeder Gestalt oder die Umwandlung der örtlichen Gegenwart in den Mangel jeder örtlichen Gegenwart die Umwandlung eines realen und positiven Dinges in nichts? Sie sind also innerhalb der Ordnung der Natur unmöglich. Daher ist die Umwandlung der Empfindung in den Mangel jeder Empfindung unmöglich, denn sie wäre die

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Umwandlung eines realen und positiven Dinges in nichts. Schließlich sage ich, daß alle Modi des Körpers auf den wesentlichen Attributen des Körpers beruhen, und das sind die drei Dimensionen. Das ist der Grund, warum der Verlust einer Gestalt oder einer örtlichen Gegenwart immer vom Erwerb einer anderen Gestalt oder einer anderen örtlichen Gegenwart begleitet wird. Die Ausdehnung hört niemals auf, von ihr geht nichts verloren. Deshalb ist das Vergehen eines ihrer Modi notwendigerweise das Entstehen eines anderen. Aus dem gleichen Grund kann keine Empfindung aufhören, außer durch die Existenz einer anderen. Denn in dem System, das ich widerlege, wäre die Empfindung ein Modus des Körpers ebenso wie die Gestalt und der Ort. Sollte man die Empfindung auf ein Attribut der Materie gründen, das von den drei Dimensionen verschieden und unserem Geist unbekannt ist, so würde ich erwidern, daß die Veränderungen dieses Attributs den Veränderungen der Ausdehnung ähnlich sein müßten. Letztere können nicht bewirken, daß jede Gestalt oder jede örtliche Gegenwart aufhört, und ebenso können die Veränderungen dieses unbekannten Attributs nicht bewirken, daß jede Empfindung aufhört. Sie wären nur der Übergang von einer Empfindung zu einer anderen, so wie die Bewegung der Ausdehnung nur der Übergang von einem Ort zu einem anderen ist.

(L) Ich will einige Einwände (---) gegen seine Meinung von der Natur der Seele untersuchen. Der Verfasser dieser Einwände beginnt damit, daß er das System unseres Philosophen entwickelt. Nach seiner Darstellung hat Dikaiarch sagen wollen, daß die lebenden Körper sich nur dadurch von den nicht lebenden unterschieden, daß ihre Teile in einer bestimmten Art und Weise gestaltet und angeordnet seien. Er vergleicht diese Meinung folgendermaßen mit der des Descartes. Wenn ein Hund sich von einem Stein unterscheidet, dann nicht deshalb, weil er aus Körper und Seele zusammengesetzt ist und der Stein nur Körper ist, sondern einzig und allein,

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weil er aus Teilen besteht, die derart angeordnet sind, daß sie eine Maschine ergeben, während die Anordnung der Teilchen eines Steins das nicht tut. Das ist die Meinung des Descartes. Diese Skizze läßt uns die Meinung Dikaiarchs gut verstehen. Wir brauchen nur anzunehmen, daß er das, was die Cartesianer nur von den Tieren sagten, auf alle Arten von lebenden Körpern ausdehnte und daß er den Menschen auf den Status einer Maschine reduzierte, woraus folgt, daß sich die menschliche Seele keineswegs vom Körper unterscheidet, sondern nur eine Konstruktion, eine maschinenartige Anordnung verschiedener Materieteilchen ist. Dies angenommen, behauptet der Verfasser der Einwände, tue ich dem System Dikaiarchs keinen Abbruch; es sei nämlich weit gefehlt, daß ich den von mir vorgebrachten Einwand als unwiderleglich betrachten könnte. Ich habe gesagt, daß Dikaiarch entweder nicht mehr wußte, was er sagte, oder aber zu der These verpflichtet war, daß die Fähigkeit, in der seiner Meinung nach die Seele bestand, jederzeit den Körper begleitete. Man erwidert, daß er nur zu der These verpflichtet war, daß sie jederzeit den lebenden Körper begleitete; man fügt hinzu, daß meine Folgerung, wenn ich die Ausdrücke »Körper« und »lebend« immer verbunden hätte, von Dikaiarch ohne weiteres hätte zugegeben werden können und daß sie somit kein Schlag gegen sein System sei. Man behauptet also, er könne bestreiten, daß daraus, daß die Seele eine Fähigkeit lebender Körper sei, folge, daß sie sich in Leichnamen finde; denn wenn sie, gemäß seiner Annahme, nur aus der maschinenartigen Anordnung bestimmter Körper bestehe, folge offenkundig, daß sie aufhören müsse, sobald die Anordnung aufhört und die Maschine nicht mehr besteht. So, sagt man weiter, würde ein Cartesianer auf die Vorhaltung antworten, daß nach seiner Lehre die Seele der Tiere selbst dann noch bestünde, nachdem man sie getötet hat. »Ihr täuscht Euch«, würde er erwidern, »denn da ich annehme, daß sie nur in einer bestimmten Disposition der Organe besteht, muß ich notwendigerweise annehmen, daß sie zugrunde geht, sobald diese Disposition zerstört wird«. Der Verfasser der Einwände nimmt an, »man habe niemals gegen die Cartesianer bewiesen, daß

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die Fähigkeit zu empfinden in Leichnamen nicht aufhöre und daß jeder Teil lebender Körper sein Leben und seine Seele mitnehme, wenn jene sich auflösten«. Gewiß wirft man den Cartesianern diese Folgerung nicht vor, aber nur deshalb nicht, weil sie der Tierseele gar keine Empfindung zuschreiben. Denn wenn sie das täten, würden sie in dieselben Schwierigkeiten stürzen, die ich Dikaiarch vorgehalten habe, und wären ebenso wie er verpflichtet, sie zu lösen. Ich hatte gesagt, daß alle uns bekannten Modalitäten nur aufhören, indem sie einer anderen Modalität derselben Gattung Platz machen, woraus folgt, daß ein Körper, der in einigen Situationen Empfindung gehabt hat, diese immer hat. Man wendet mir ein, daß Dikaiarch dadurch kaum getroffen werde, denn »er habe der Materie niemals Leben zugeschrieben, außer nach der Modifikation, die nötig sei, um aus ihr einen lebenden Körper zu machen, nämlich durch die verschiedene Anordnung ihrer Teile«. Ich hätte daher kein Recht gehabt zu sagen, »er schreibe einem Teil der Materie Leben nach der Aufhebung dieser Anordnung zu, denn die Materie sei vorher wie nachher zwar Körper, aber nicht lebender Körper«. So schließt der Verfasser der Einwände. Man beachte, daß er nicht für die eigentliche Lehre Dikaiarchs in die Arena steigt; er hat ihre Falschheit und Gottlosigkeit erkannt. Er hat nur zeigen wollen, daß ich mit dem Vorwurf der Inkonsequenz unrecht hätte und daß dieses System keineswegs seinen Zusammenhang und seine Richtigkeit verliere, obwohl dieser Philosoph kein unvergängliches Empfinden und Leben in den Körpern zugegeben hat, die einmal lebende Körper waren. Man sieht hier klar den ganzen Stand der Frage. Es handelt sich nur darum, ob ein Philosoph, der glaubt, es gebe Körper, die denken, und Körper, die nicht denken, folgerichtig schließt. Ich behaupte, daß er es nicht tut und daß jeder, der einmal zugibt, daß z. B. ein Gebilde aus Knochen und Nerven empfindet und denkt, auch behaupten muß (bei Strafe des Vorwurfs, er wisse nicht, was er sagt), daß jedes andere materielle Gebilde denkt und daß das Denken, das in ihm bestanden hat, nach der Auflösung dieses Gebildes in den getrennten Teilen mit anderen Modifikationen fortbesteht.

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Ich wiederhole hier nicht die Beweise, die ich dafür gegeben habe, und es ist nicht nötig, daß ich sie aufs neue bekräftige, denn der Verfasser der Einwände hat sie gar nicht angegriffen. Er hat nur gesagt, daß Dikaiarch sich ihretwegen nicht zu beunruhigen brauche in Anbetracht seiner Erklärung, die Materie beginne erst nach einer bestimmten Anordnung ihrer Teile zu leben. Aber es ist hauptsächlich in diesem Punkt, daß ich ihm vorwerfen möchte, er wisse nicht, was er sagt. Er verstand unter Leben nicht einfach Atmen, Essen und sich Bewegen, sondern alle Vollzüge des Menschen, die Betätigung der fünf äußeren Sinne, die Einbildung, die Reflexion, das Schlußfolgern usw. Ich behaupte, daß man etwas allen Menschen bisher Unvorstellbares annimmt, wenn man glaubt, die bloße Anordnung der Organe des menschlichen Körpers bewirke, daß eine Substanz, die niemals gedacht hat, zu einer denkenden Substanz wird. Alles was die Anordnung dieser Teile bewirken kann, reduziert sich wie bei einer Uhr auf eine mannigfach modifizierte örtliche Bewegung. Der Unterschied kann nur in einem Mehr oder Weniger bestehen. Aber so wie die Anordnung der verschiedenen Rädchen, aus denen eine Uhr besteht, untauglich wäre, die Wirkungen dieser Maschine hervorzubringen, wenn nicht jedes Rädchen, bevor es in einer bestimmten Weise eingebaut wird, wirklich eine undurchdringliche Ausdehnung hätte, die notwendige Ursache der Bewegung, sobald es mit einem bestimmten Maß von Kraft angestoßen wird, – genauso, sage ich, wäre die Anordnung der Organe des menschlichen Körpers untauglich, das Denken hervorzubringen, wenn nicht jedes Organ, bevor es an seinen Platz gebracht wird, wirklich die Fähigkeit zu denken hätte. Nun ist diese Fähigkeit etwas anderes als die undurchdringliche Ausdehnung, denn alles, was man mit dieser Ausdehnung anstellen kann, indem man sie auf jede erdenkliche Weise hin- und herzerrt, schlägt oder stößt, ist eine Lageveränderung, deren ganze Natur und ganzes Wesen man vollständig begreift, ohne daß man ihr irgendeine Empfindung unterstellt und selbst wenn man leugnet, daß sie irgendeine Empfindung hat. Es hat große Geister gegeben, die sich ein wenig langsam bereit ge-

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funden haben, an den Unterschied zwischen der menschlichen Seele und dem Körper zu glauben, aber meines Wissens hat bisher noch niemand zu behaupten gewagt, er begreife klar, daß es, um eine Substanz vom völligen Mangel an Denken zum wirklichen Denken zu bringen, genüge, sie zu bewegen,51 derart, daß diese Lageveränderung z. B. eine Empfindung der Freude sei, eine Bejahung, eine Idee der moralischen Tugend usw. Aber selbst wenn einige sich rühmen sollten, dies klar zu begreifen, verdienten sie keinen Glauben und müßten sich eine Aristoteles-Stelle vorhalten lassen, die ich andernorts zitiere.52 Wie absurd wäre es nicht zu behaupten, es gebe zwei Arten von Farbe, die eine davon sei Gegenstand des Gesichtssinns und weiter nichts, die andere sei Gegenstand des Gesichtssinns und obendrein des Geruchssinns? Es wäre noch absurder zu behaupten, es gebe zwei Arten der Rundheit, die eine bestehe einfach darin, daß die Teile des Umfangs eines Körpers gleich weit von seinem Mittelpunkt entfernt seien, die andere sei darüber hinaus ein Akt, durch den der runde Körper sein Dasein empfinde und verschiedene andere Körper um sich herum sehe. Dieselbe Absurdität steckt in der Behauptung, es gebe zwei Arten von Kreisbewegung, die eine sei weiter nichts als eine Lageveränderung auf einer Linie, deren Teile gleich weit vom Mittelpunkt entfernt seien, die andere sei darüber hinaus ein Akt der Gottesliebe, eine Furcht, eine Hoffnung usw. Was ich von der Rundheit in Bezug auf den Gesichtssinn gesagt habe, gilt von allen Arten der Gestalt in Bezug auf alle Arten des Denkens, und was ich von der Kreisbewegung gesagt habe, gilt nicht weniger von allen anderen Linien, auf denen sich ein Körper langsam oder schnell bewegen kann. Und somit muß 51

Man beachte, daß die Peripatetiker zwar den Tieren Denken beilegen, aber diese Fähigkeit keineswegs der Materie zuschreiben, sondern einer substantiellen Form, die nach ihrer Lehre weder Materie noch Körper ist und die in der Materie neu hervorgebracht wird, ohne daß sie aus Materie zusammengesetzt wäre. Somit sind sie auch der Meinung, daß die Materie niemals Empfindung oder Erkenntnis erlangt. 52 Oben Fußnote (8) im Artikel ARRIAGA. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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man schließen, daß das Denken von allen uns bekannten Modifikationen des Körpers verschieden ist, weil es von jeder Gestalt und jeder Lageveränderung verschieden ist. Aber da dies hier nicht die Frage ist, wollen wir uns mit der Schlußfolgerung begnügen, daß Dikaiarch, wenn er folgerichtig schließen wollte, das Denken in allen Arten der Materie zugeben müßte, denn andernfalls wäre es absurd zu behaupten, wenn man Adern, Arterien usw. nach Art der verschiedenen Teile einer Maschine aneinanderfüge, bringe man die Empfindung von Farbe, Geschmack, Ton, Geruch, Kälte, Wärme, Liebe, Haß, Bejahung, Verneinung usw. hervor.53

(M) Das wird mir Gelegenheit geben, ein Wort zu einem Streit zu sagen, der in England großes Aufsehen erregt hat. Wenn ich einfach und ohne weiteres versichert hätte, daß sich bisher noch keiner gerühmt habe, eine klare Idee von einer Modifikation der Materie zu besitzen, die ein Akt der Empfindung wäre, so hätte ich, wie mir scheint, nicht allzu leichtsinnig gehandelt. Denn ich habe gerade in den Nouvelles de la république des lettres gelesen, daß Locke, einer der tiefgründigsten Metaphysiker der Welt, offen anerkennt, daß ein mit Denken begabter Körper etwas Unbegreifliches sei. Man beachte, daß er dieses Eingeständnis bei der Beantwortung eines Einwands macht, der sich auf diese Unbegreiflichkeit stützt, so daß er ein großes Interesse daran hatte, die Grundlage dieses Einwands zu bestreiten. Man muß also folgern, daß sein Eingeständnis ganz aufrichtig war, eine Wirkung der

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Er glaubte, daß die Seele die Harmonie der vier Elemente sei. Plutarch, De placitis philosophorum, Buch IV, Kap. 2. Er mußte also glauben, daß alle gemischten Dinge eine Seele haben, denn die vier Elemente mußten in ihnen zur Harmonie gelangt sein. Ist aber nicht die Annahme, daß die Harmonie der vier Elemente das Denken hervorbringe, ebenso absurd wie die, daß ein bestimmtes Musikstück ein Tongebilde sei, das sich selbst und die umliegenden Gegenstände erkennt?

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Macht der Wahrheit und ein Beweis, daß all die großen Anstrengungen, die er unternommen hatte, um die Vereinigung von materieller Substanz und Denken zu begreifen, vergeblich gewesen waren. Wenn nun ein so großer Geist sein Versagen eingesteht, ist es dann nicht unwahrscheinlich, daß sich jemals irgendwer hat rühmen können, eine derartige Vereinigung begriffen zu haben? Dies wäre zu unbestimmt, wenn ich weiter nichts sagte. Sagen wir also, daß die Frage, ob die menschliche Seele von der Materie verschieden ist, in dem berühmten Streit zwischen Dr. Stillingfleet54 und Locke ihren Platz hat. Jener hat behauptet, daß die Materie unfähig zu denken sei, und hat sich damit zum Verteidiger eines Fundamentalartikels der philosophischen Rechtgläubigkeit gemacht. Er hat sich u. a. dieses Arguments bedient, »daß man nicht begreifen könne, wie die Materie zu denken vermag«.55 Locke gesteht ihm die Wahrheit dieses Grundsatzes zu und begnügt sich damit, die Schlußfolgerung zu bestreiten. Denn er behauptet, Gott könne Dinge tun, die dem menschlichen Verstand unbegreiflich sind, und so folge daraus, daß der Mensch nicht begreifen kann, wie ein Teil der Materie das Denken erlangt, keineswegs, daß Gott in seiner Allmacht »bestimmten Mengen von geschaffener Materie in der gehörigen Verbindung, wenn er will, nicht bestimmte Grade von Empfindung, Wahrnehmung und Denken verleihen kann. (---).«56 »Alle Schwierigkeiten, die man gegen die Möglichkeit von denkender Materie vorbringt und die auf unserer Unwissenheit oder auf den engen Grenzen unserer Vorstellungskraft beruhen«, sagt er,57 »rühren auf keine Weise an die Macht Gottes, wenn er der Materie das Vermögen zu denken mitteilen will, und sie beweisen nicht, daß er es nicht wirklich bestimmten Teilen der Materie in der gehörigen Anordnung mitgeteilt hat; jedenfalls genügen sie nicht für den 54

Einer der größten europäischen Gelehrten, der im Jahr 1699 als Bischof von Worcester gestorben ist. 55 Nouvelles de la république des lettres, November 1699, S. 500. 56 A. a.O., S. 497. 57 A. a.O., S. 506.

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Nachweis, daß es einen Widerspruch bedeutet, etwas Derartiges anzunehmen.« Da hat man ein förmliches Eingeständnis der Unbegreiflichkeit der Sache und den Rückgriff auf die Größe der Macht Gottes, die sich auch auf Wirkungen erstreckt, die jenseits der Grenzen unseres Geistes sind. So ungefähr nehmen die Scholastiker eine gehorsamsmäßige Macht in den Geschöpfen an, die bewirkt, daß Gott sie, wenn er will, in jeden möglichen Stand erheben kann: Ein Stein würde so der visio beatifica fähig, ein Wassertropfen imstande, den ganzen Schmutzfleck der Erbsünde abzuwaschen. Man beachte, daß man sich zur Widerlegung dieser gehorsamsmäßigen Macht der Materie in Bezug auf die Erkenntnis eines Beweises bedienen kann, von dem Dr. Stillingfleet anscheinend keinen Gebrauch macht.58 Er schien mir immer sehr geeignet, die Unmöglichkeit zu zeigen, die drei Dimensionen und das Denken in einem und demselben Subjekt zu vereinigen. Man wird einen Abriß dieses Beweises in dem von mir zitierten Buch finden.59 Ein Theologe, der leidenschaftlich gegen den Abbé de Dangeau eingenommen ist, der sich dieses Arguments bedient hatte, kritisiert es, so gut er kann, und bringt doch nur armselige Einwände dagegen vor.60 Man muß gut auf den Ausdruck »philosophische Rechtgläubigkeit« achtgeben, den ich verwendet habe; denn ich behaupte nicht, daß Dr. Stillingfleet Locke im Hinblick auf die theologische, evangelische und christliche Rechtgläubigkeit überlegen sei. Zu behaupten, daß die menschliche Seele immateriell sei, weil sie denkt, heißt meiner Ansicht nach, gut zu schließen und darüber hinaus ein sehr gutes Fundament für die Unsterblichkeit unserer Seele zu legen, eine Lehre, die als einer der wichtigsten Artikel der guten Philosophie gelten muß. Aber insofern diese Wahrheit auf einen solchen Grundsatz gestützt wird, gehört sie weder den Gläubigen noch der christli58

In den Auszügen aus den Nouvelles de la république des lettres, November 1699, Art. I. 59 Nouvelles de la république des lettres, August 1684, Artikel VI. 60 Man sehe dieselben Nouvelles, Januar 1685, S. 12.

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chen Theologie. Ein christlicher Theologe, überhaupt jeder Christ als solcher, glaubt an die Unsterblichkeit der Seele, das Paradies, die Hölle usw., weil das Wahrheiten sind, die Gott uns offenbart hat. Nur in dieser Hinsicht ist der Glaube ein guter religiöser Akt, ein verdienstlicher Akt,61 der Gott gefällt, ein Stand der Gotteskindschaft und der Nachfolge Jesu Christi. Wer an die Unsterblichkeit der Seele nur aufgrund der philosophischen Ideen glaubt, die ihm die Vernunft liefert, ist im Reich Gottes nicht weiter vorangekommen als wer glaubt, daß das Ganze größer ist als sein Teil. Da nun Locke die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele auf die Schrift gründet, hat er genausoviel christliche, evangelische und theologische Rechtgläubigkeit, wie man nur haben kann. Was er darüber gesagt hat, ist bewundernswert;62 ich werde es wahrscheinlich an anderer Stelle zitieren.63

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Das ist gemäß der Lehre von der Verdienstlichkeit der Werke gesagt. Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, November 1699, S. 510 und das Buch mit dem Titel Parrhasiana, S. 388f f. 63 In der letzten Anmerkung des Artikels PERROT (Nicolas), Herr von Ablancourt. 62

EPIKUR

epikur, einer der größten Philosophen seines Jahrhunderts, wurde im dritten Jahr der 109. Olympiade in Gargettos in Attika geboren.a Sein Vater Neokles und seine Mutter Chairestrate gehörten zu den Einwohnern Attikas, die von den Athenern auf die Insel Samos umgesiedelt wurden. Das ist der Grund, weshalb Epikur seine Kindheit auf dieser Insel verbrachte. Nach Athen kam er erst mit 18 Jahren, aber nicht, um sich dort niederzulassen; denn mit 23 Jahren begab er sich zu seinem Vater, der in Kolophon lebte, und danach hielt er sich an verschiedenen Orten auf, bevor er sich mit ungefähr 36 Jahren in Athen niederließ.d Er begann in einem schönen Garten, den er gekauft hatte, eine Schule aufzuziehen; er lebte dort sehr ruhig mit seinen Freunden und hatte viele Schüler. Sie lebten dort alle in einer Gemeinschaft, und es hat niemals eine besser geordnete Gesellschaft gegeben. Es ist bewundernswert, wie seine Anhänger sein Andenken in Ehren hielten. Seine Schule spaltete sich niemals, sondern folgte seiner Lehre wie einem Orakel. Sein Geburtstag wurde noch zur Zeit des Plinius feierlich begangen, man feierte sogar den ganzen Monat seiner Geburt. Sein Bildnis wurde überall angebracht. Epikur schrieb viele Bücher und war stolz darauf, nichts zu zitieren. Den Atomismus brachte er zu höchstem Ansehen. Er war nicht sein Erfinder,h und er änderte einiges darin, nicht immer zum Besten. Denn es hieß das System beschädigen, wenn er z. B. Demokrits Lehre von der Seele der Atome aufgab. Was er über die Natur der Götter lehrte, ist sehr gottlos (G). Was seine Lehre vom a

Diogenes Laertius, in der Lebensbeschreibung Epikurs, Buch X, Nr.

44. d

Man sehe Gassendi, De vita et moribus Epicuri, Buch I, Kap. 3. Man sehe den Artikel LEUKIPP. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 h

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höchsten Gut oder vom Glück betrifft, so konnte sie sehr leicht mißdeutet werden, woraus sich üble Folgen ergaben, die seine Schule in Verruf brachten. Im Grunde war sie jedoch ganz vernünftig, und man kann nicht leugnen, daß, wenn man das Wort »Glück« so versteht, wie er es nimmt, das Glück des Menschen nicht im Vergnügen liegt. Arnauld hat diese Lehre vergeblich kritisiert. Die Stoiker, die man als die Pharisäer des Heidentums bezeichnen kann, taten alles, was in ihrer Macht stand, um Epikur verhaßt zu machen und der Verfolgung auszusetzen. Sie warfen ihm vor, daß er den Götterkult untergrabe und die Menschheit ins sittliche Verderben stoße. Epikur bewahrte in diesem Konflikt Haltung. Er legte seine Ansichten der Öffentlichkeit vor, er schrieb fromme Werke, er empfahl die Verehrung der Götter, die Nüchternheit und die Mäßigkeit. Es ist gewiß, daß er vorbildlich und in Einklang mit den Regeln der Weisheit und der philosophischen Bescheidenheit lebte.k Aber man brachte falsche Anschuldigungen gegen seine Sitten in Umlauf, und es gab einen Überläufer aus seiner Schule, der viel Übles über sie sagte. Ein sehr gelehrter Mann hat vor zwei Jahren behauptet,l daß dieser Philosoph die göttliche Vorsehung keineswegs geleugnet habe. Obwohl uns keins der Werke Epikurs erhalten ist, gibt es keinen antiken Philosophen, dessen Ansichten uns besser bekannt wären als die seinen. Man verdankt dies dem Dichter Lukrez und Diogenes Laertius, noch mehr aber dem gelehrten Gassendi, der mit großem Fleiß alles gesammelt und in ein vollständiges System gebracht hat, was sich über Lehre und Person dieses Philosophen in den antiken Quellen findet. Wenn es jemals einen Grund gab einzuräumen, daß die Zeit am Ende der verfolgten Unschuld Gerechtigkeit widerfahren läßt, dann in Bezug auf Epikur. Denn es haben sich so viele Verteidiger seiner praktischen und theoretischen Moral erhoben, daß nur noch Starrköpfe und Unwissende schlecht von ihr denken. Epikur starb im zweiten Jahr der 127. Olympiade, kurz nach Vollendung seines 71. Lebensk l

Man sehe die Anmerkung (N). Ich schreibe dies im Jahr 1695.

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jahres, an einer sehr schmerzhaften Harnverhaltung, die er mit einzigartiger Geduld und Standhaftigkeit ertrug. Man kann seinen ehrenhaften Lebenswandel nicht genug loben, seine Ansichten über die Religion nicht genug tadeln. Unzählige Leute sind rechtgläubig, leben aber schlecht; er und mehrere seiner Anhänger hingegen hatten eine schlechte Lehre, lebten aber anständig (N). Es sei nicht vergessen, daß er eine sehr gute Einstellung zu dem Gehorsam hatte, den man der Obrigkeit schuldet. Nach seinem Tod war er viel berühmter als zu Lebzeiten, wie Seneca bemerkt und Metrodor vorhergesagt hat. Es wird nützlich sein, hier ein Beispiel für die Bosheit und Unaufrichtigkeit zu bringen, die in der Epikur-Kritik gebräuchlich ist. Er schrieb ein Buch mit dem Titel Das Gastmahl, in dem er der Frage nachgeht, welches die rechte Zeit sei, sich einer Frau zu nähern. Seine Kritiker suchten einen Vorwand, ihn zu schmähen, und stellten sein Vorgehen irreführend dar, indem sie die Einzelheiten veränderten. Er muß unschuldig gewesen sein, denn Plutarch war billig genug zu zeigen, daß da nichts war, was eines Philosophen unwürdig wäre. Derselbe Plutarch hat eigens eine Abhandlung verfaßt, um zu beweisen, daß man nach den Grundsätzen Epikurs nicht angenehm leben könne. Er zeigt u. a., daß die Lehre, die Gottes Vorsehung und die Unsterblichkeit der Seele leugnet, dem Menschen eine Unmenge von Tröstungen in diesem Leben nimmt und ihn in Verzweiflung stürzt, wenn es zum Sterben kommt (R). Ich bedauere nicht, daß dieser Autor darauf verzichtet hat zu prüfen, ob diejenigen, welche die Vorsehung leugneten, nicht konsequenter waren als diejenigen, die sie bejahten, d. h. ob es unter der von allen Philosophen geteilten Voraussetzung, daß die Materie ihre Existenz nur sich selbst verdanke, nicht richtiger war zu schließen, daß die Götter nicht auf die Materie einwirkten, als zu behaupten, daß sie nach Gutdünken über sie verfügten. Noch einmal, ich bedauere keineswegs, daß Plutarch sich nicht auf die Prüfung dieser Frage eingelassen hat, denn er war zu sehr gegen den Epikureismus eingenommen und zu sehr auf gewisse Lehren eingeschworen, um dieses große Thema nicht zu verwirren und zu verdunkeln. Aber es ärgert mich doch,

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daß ich kein Buch gefunden habe, in dem etwas zu dieser Diskussion steht. Unter so vielen Apologeten Epikurs hätte es doch einige geben müssen, die zwar seine Gottlosigkeit verdammten, aber sich dennoch die Mühe machten nachzuweisen, daß sie auf natürliche und philosophische Art und Weise aus dem allen Heiden gemeinsamen Irrtum von der ewigen Existenz der Materie folgte (S). Dazu werde ich einige Bemerkungen machen, die u. a. zeigen sollen, 1) daß, wer sich nicht an das biblische System der Schöpfung hält, um so mehr in die Irre geht, je konsequenter er schließt; 2) daß dieses System als einziges den Vorteil hat, solide Grundlagen für Vorsehung und Vollkommenheiten Gottes zu legen (T). Es gibt nichts Erbärmlicheres als die Methode, mit der Epikur die Freiheit menschlicher Handlungen erklären wollte.

(G) Was er über die Natur der Götter lehrte, ist sehr gottlos. Es hieße die heiligen Gesetze der Billigkeit etwas zu sehr mißachten, wollte man Epikur die Ansicht unterstellen, die Götter verdienten nicht unsere Verehrung, unseren Respekt und unsere Huldigungen, denn er hat offen das Gegenteil bekannt und hervorragende Schriften über die den Göttern geschuldete Verehrung herausgegeben.73 Zugegeben, man hat ihm vorgeworfen, daß er nach seinen Grundsätzen keine Religion haben dürfte; aber dabei hat man nur über das Recht gestritten, die Tatsache jedoch nicht geleugnet, sondern ist sich über seine äußerliche Religion einig gewesen. Wir wüßten keinen glaubwürdigeren Zeugen dafür beizubringen als Seneca; hier ist, was er über ihn sagt: »Schließlich machst du, Epikur, Gott wehrlos, da du ihm alle Waffen, alle Macht genommen hast (---). Du hast keinen Grund, ihn zu verehren, denn er hat 73

»Er schrieb Bücher über das gottselige Leben und über die Frömmigkeit gegen die Götter. Aber wie spricht er darin? So, daß man glaubt, es sei der Priester Coruncanius oder Scaevola.« Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 41.

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nichts, womit er dich fördern oder dir schaden könnte. (---). Aber du möchtest den Anschein erwecken, daß du ihn nicht anders als einen Vater verehrst, dankbaren Herzens, glaube ich, oder wenn du nicht dankbar erscheinen willst, weil du keine Wohltat von ihm empfangen hast, da die Atome und deine Körnchen dich ja durch Zufall und aufs Geratewohl zusammengesetzt haben – warum verehrst du ihn? Wegen seiner herausragenden Majestät und seines einzigartigen Wesens, sagst du. Zugegeben, du tust es ohne Hoffnung auf Lohn oder Entgelt. Es gibt also etwas von sich aus Erstrebenswertes, dessen bloße Würde dich leitet: das ist das Ehrenhafte.«74 Da haben wir in wenigen Worten die Religion, zu der sich Epikur bekannte: Er ehrte die Götter wegen ihrer vorzüglichen Natur, obwohl er von ihnen kein Gut erwartete noch ein Übel befürchtete.75 Er brachte ihnen einen Kult dar, der kein Lohndienst war, und hatte dabei kein Eigeninteresse im Auge, sondern nur die Vernunftbegriffe, die verlangen, daß man alles Große und Vollkommene respektiert und ehrt. Man irrt vielleicht nicht, wenn man ihm vorwirft, so habe er sich nur aus politischer Rücksicht verhalten76 und um der Strafe zu entgehen, die ihn mit Sicherheit erwartet hätte, wenn er den Kult der Götter umgestürzt hätte. Aber selbst wenn dieser Vorwurf wohlbegründet wäre, würde er immer noch voreilig sein. Die Billigkeit verlangt, daß man seinen Nächsten nach dessen Taten und Worten beurteilt, nicht nach den verborgenen Absichten, die er mutmaßlich hat. Das Urteil darüber, was in den Abgründen des Herzens vor sich geht, muß Gott überlassen bleiben, denn er allein prüft auf Herz und Nieren. Und schließlich: Warum sträuben wir uns dagegen, daß Epikur die Idee eines Gottesdienstes hatte, den unsere rechtgläubigsten Theologen als den legitimsten und vollkommensten empfehlen? Sie predigen uns doch alle Tage, daß man selbst dann, wenn man 74

Seneca, De beneficiis, Buch IV, Kap. 19. Man sehe, was Cicero den Epikureer Velleius in De natura deorum, Buch I, Kap. 8 ff. vortragen läßt. 76 Man sehe Cicero, a. a.O., Kap. 44, am Ende. 75

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weder das Paradies zu erhoffen noch die Hölle zu fürchten hätte, dennoch verpflichtet wäre, Gott zu ehren und alles zu tun, wovon man glaubt, daß es ihm angenehm ist.77 Ich werde weiter unten78 das Zeugnis anführen, das Diogenes Laertius der Frömmigkeit Epikurs ausstellt. Der einzige Beleg für den Inhalt dieser Anmerkung besteht somit darin, daß Epikur die göttliche Natur auf die Untätigkeit reduzierte. Er nahm ihr die Regierung der Welt und erkannte sie nicht als die Ursache dieses Universums an. Das ist eine enorme Gottlosigkeit. Die Autoren sind uneins in der Frage, ob Epikur gelehrt hat, die Götter seien aus Atomen zusammengesetzt. Wenn er das gelehrt hätte, so würde er der göttlichen Natur die Ewigkeit und Unzerstörbarkeit genommen haben, eine entsetzliche und äußerst blasphemische Lehre. Ich glaube jedoch keineswegs, daß sie ihm zugeschrieben werden kann, denn einer seiner ersten Grundsätze war, daß Gott als glückseliges und unsterbliches Wesen niemandem ein Übel zufügt und sich in kein Geschäft mischt. »Unter seinen ausgewählten kurzen Lehrsätzen, die ihr κúριαι δóξαι 具Hauptlehrsätze 典 nennt, ist, wie ich glaube, dies der erste: Was glückselig und unsterblich ist, empfindet keine Unannehmlichkeit und bereitet sie auch niemandem.«79 Wir sehen, daß der erste Gegenstand des Nachdenkens, den er seinen Schülern vorsetzte, die Unsterblichkeit und Glückseligkeit Gottes war. »Als erstes sei davon überzeugt, daß Gott ein unvergängliches und glückseliges Lebewesen ist, wie der Gemeinbegriff von Gott vorschreibt. Lege ihm nichts bei, was mit seiner Unvergänglichkeit und Glückseligkeit unvereinbar ist; schreibe ihm alles zu, was seine Glückseligkeit zusammen mit seiner Unvergänglichkeit erhalten kann.«80 Er glaubte also nicht, daß die Götter wie die Welt aus dem zufälligen Zusammenprall von Atomen entstan77 78

Hgg. 典 79 80

Man sehe Gassendi, De vita et moribus Epicuri, Buch IV, Kap. 3. In der Anmerkung (P). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 30. Man sehe auch Kap. 17. Diogenes Laertius, Buch X, Nr. 123.

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den seien. Er spürte wohl, daß sie dadurch offensichtlich dem Tod unterworfen gewesen wären. »Ebenso geht er mit der Natur der Götter um. Er vermeidet die Zusammenballung unteilbarer Körper, damit nicht Untergang und Auflösung daraus folge, und sagt daher, die Götter hätten keinen Körper, sondern einen Quasikörper, kein Blut, sondern Quasiblut.«81 Tertullian82 und der hl. Augustinus83 behaupten jedoch, nach Epikur sei die göttliche Natur aus Atomen zusammengesetzt. Laktanz gibt die Ansicht dieses Philosophen aber besser wieder: »Die Götter«, sagt er,84 »sind den Epikureern zufolge unvergänglich, ewig und glückselig. Ihnen allein gestehen sie eine Ausnahme vom Zusammenströmen der Atome zu. Denn wenn sie auch die Götter aus Atomen bestehen ließen, könnten diese sich auflösen, indem sich ihre Bestandteile irgendwann voneinander trennten und zu ihrer eigenen Natur zurückkehrten.« Ich beschließe diese Anmerkung mit einer Kritik dieser Worte Moréris: »Die Ansichten Epikurs von der Seele und von der Gottheit kommen manchen nicht vernünftig vor.« Ist es möglich, daß ein Priester so von einer Ansicht spricht, welche die Unsterblichkeit der Seele und die Vorsehung Gottes umstürzt?

(N) Er und mehrere seiner Anhänger hatten eine schlechte Lehre, lebten aber anständig. Nichts ist besser geeignet, die Frömmigkeit im menschlichen Herzen auszulöschen und dem ganzen Gottesdienst ein Ende zu bereiten, als der Glaube, daß Gott der Menschheit weder Gutes noch Übles erweist, daß er seine Beleidiger nicht bestraft und seine Diener nicht belohnt. Die frömmsten Christen werden, wenn sie ehrlich sind, zugeben, daß das stärkste Band, das sie mit Gott verbindet, darin besteht, ihn als Wohltäter zu be81 82 83 84

Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 25, am Ende. Tertullian, Adversus gentes, Kap. 47. (…). Augustinus, Epistula LVI, S. 273. Laktanz, De ira dei, Kap. 10, S. 538 meiner Ausgabe.

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trachten, d. h. anzunehmen, daß er denen, die ihm gehorchen, unendliche Belohnungen zuteil werden läßt, denen aber, die ihn beleidigen, ewige Strafen. Hier ist nun ein Mann, der die Pflichten der Religion gemäß der Landessitte erfüllte,126 ohne daß ihn ein Interesse motiviert hätte; denn er bekannte sich zu dem Glauben, daß die Götter weder Strafe noch Lohn austeilen. »Er127 war ständig in den Tempeln, und als Diokles ihn das erste Mal dort sah, konnte er den Ausruf nicht unterdrücken: ›Welch festliches Schauspiel! Ich sehe Epikur in einem Tempel, alle meine Zweifel schwinden, die Frömmigkeit nimmt ihren Platz wieder ein, und ich erkenne die Größe Jupiters immer besser, seit ich Epikur auf den Knien sah.‹« (…). Um diejenigen völlig zu widerlegen, die Epikur der Schwelgerei beschuldigen, genügt es, auf das Zeugnis zu verweisen, das ihm sogar seine Feinde in puncto Mäßigkeit ausgestellt haben. Man sehe Seneca, der als großer Stoiker Epikur bei jeder Gelegenheit tadeln mußte, sofern der Anschein gegen ihn sprach. Er gibt unumwunden zu, daß man im Garten Epikurs eine sehr schlechte Tafel führte. »Um so lieber«, sagt er,131 »erinnere ich mich an die glänzenden Sprüche Epikurs, um denen, die sich auf sie berufen und vergeblich hoffen, sie könnten damit ihre Laster verschleiern, zu beweisen, sie müßten auf allen ihren Wegen anständig leben. Wenn sie jene kleinen Gärten betreten, wo eine Inschrift kündet, ›Gast, hier kannst du gut verweilen, hier ist das Vergnügen höchstes Gut‹, wird ein freundlicher und leutseliger Diener des Hauses bereitstehen, der dich mit Graupen empfängt und dir reichlich Wasser einschenkt, und er wird dich fragen ›Du fühlst dich hier doch wohl, nicht wahr?‹ Diese kleine Gärten, sage ich, regen den Hunger nicht an, sondern stillen ihn; sie machen den Durst durch den Trunk nicht größer, sondern löschen ihn mit einem natürlichen und kostenlosen Mittel.« Nach dem Zeugnis Sene126

»Man sah ihn ständig in den Tempeln, er brachte viele Opfer und Gaben dar.« Du Rondel, Vie d’Epicure, S. 29. (…). 127 A. a.O., S. 34 der französischen Ausgabe. 131 Seneca, Epist. XXI.

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cas fehlte nicht viel, daß die Gäste unseres Epikur von Wasser und Brot lebten. Mehrere ähnliche Zeugnisse findet man in dem Buch, das ich zitiere.132 Was die Liebeslust angeht, so waren die Maximen und Ratschläge Epikurs nicht nur äußerst weise,133 sondern er wirkte so sehr durch sein Beispiel, daß Chrysipp, sein beständiger Gegner, sich genötigt sah, dieses Phänomen durch die Zuschreibung eines gefühlsarmen Temperaments zu erklären.134 (…). Ich verweise auf Gassendis schöne Stellensammlung,135 aber auf diese Cicero-Stelle möchte ich denn doch nicht verzichten: »Und weil er selbst ein anständiger Mensch war und weil viele Epikureer es waren und heute noch sind, treu in der Freundschaft, beständig und besonnen in ihrer ganzen Lebensweise, ihren Willen nicht nach dem Vergnügen, sondern nach der Pflicht bestimmend, deshalb sehe ich darin eine um so größere Macht der Sittlichkeit und eine um so geringere der Lust. Manche Leute leben nämlich so, daß ihre Lebensweise ihre Reden Lügen straft, und so wie bei anderen ihre Rede als besser denn ihr Handeln gilt, so scheinen mir diese besser zu handeln als zu reden.«136 Hier sieht man Epikur und mehrere seiner Anhänger mit Lob geschmückt: gute Freunde, Ehrenmänner, zuverlässige Leute, welche die Pflichten der Tugend genau erfüllten. Man wirft ihnen lediglich vor, daß sie nicht nach ihren Grundsätzen lebten; ein Vorwurf, der die Rechtgläubigen nicht minder trifft und der in ihrem Falle tausendmal beschämender ist. Cicero stellt es als Tatsache hin, daß es an den Sitten Epikurs nichts zu tadeln gibt und daß man ihm nur vorwerfen kann, daß er nicht scharfsinnig genug war, seine Lehren mit seinem Verhalten in Einklang zu bringen. (…).

132

Gassendi, De vita et moribus Epicuri, Buch VI, Kap. 3 f. Man sehe Diogenes Laertius, Buch X, Nr. 118. 134 Gassendi, De vita et moribus Epicuri, Buch VII, Kap. 4. Er zitiert Stobaios, Serm. de ven. et am. 135 A. a.O. und Kap. 5, 6, 7. 136 Cicero, De finibus bonorum et malorum, Buch II, Kap. 25. 133

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Untersuchung der Ursachen der schlechten Meinung, die man von Epikur hatte Man wird vielleicht erstaunt sein, daß Epikur, obwohl er eine so schöne Moral praktizierte, einen Ruf erlangt hat, der sowohl seine Schule als auch sein Andenken überall, wo man ihn kannte, für die Dauer mehrerer Jahrhunderte verhaßt gemacht hat. Ich mache dazu drei kurze Bemerkungen. Erstens muß man hier wie in verschiedenen anderen Fällen die Macht des Schicksals anerkennen. Es gibt glückliche und unglückliche Menschen; das ist der beste Grund, den man für ihr verschiedenes Los anführen kann. Ich sage zweitens, daß der Wettstreit zwischen Epikur und dem berühmten Philosophen, der die Stoa begründete, ärgerliche Folgen haben mußte. Die Stoiker lehrten eine strenge Moral; sich auf einen Zank mit ihnen einzulassen, bedeutete ungefähr die gleiche Verdrießlichkeit wie heutzutage ein Streit mit den Frömmlern. Sie mischten die Religion in ihre Auseinandersetzung, sie weckten die Furcht vor dem Verderben der Jugend, sie schreckten alle biederen Menschen auf, man schenkte ihren Verdächtigungen Glauben. Das Volk läßt sich leicht überzeugen, daß wahrer Eifer und strenge Grundsätze immer Hand in Hand gehen. Es hat niemals so große Rufschädiger gegeben wie diese Leute. Es darf daher nicht befremden, daß sie durch die Verschreiung Epikurs, durch frommen Betrug zu seinen Ungunsten und durch untergeschobene Briefe einen nachteiligen Eindruck erzeugt haben, der sehr lange vorgehalten hat. Ich sage drittens, daß man den Lehren dieses Philosophen leicht einen schlechten Sinn geben und die biederen Menschen mit seinem Ausdruck »Lust« verschrecken konnte. Wenn man von »Lust« nur unter Hinzufügung seiner Erklärungen gesprochen hätte, so würde man die Welt nicht aufgestört haben; aber man ließ mit Bedacht alle Erklärungen weg, die ihm günstig waren. Und dann fanden sich einige Epikureer, die seine Lehre mißbrauchten. Sie gaben sich der Schwelgerei zwar nicht in seiner Schule hin, aber sie waren so schlau, ihre Schwelgereien unter der Autorität eines so großen Namens zu ver-

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stecken. (…).138 Man ziehe hier Gassendi heran, der dies wunderschön entwickelt und der zeigt, wie verschiedene große Männer mit dem Strom geschwommen und über Jahrhunderte hinweg den herrschenden Vorurteilen gefolgt sind, ohne die Dinge gründlich zu prüfen. Verschiedene Kirchenväter haben hierbei mitgemacht, aber Gregor von Nazianz hat sich nicht täuschen lassen,139 und ich erinnere mich, bei Origenes140 gelesen zu haben, daß die Anhänger Epikurs sich des Ehebruchs genauso enthielten wie die Stoiker, wenngleich aus einem anderen Motiv.

(R) Die Lehre, die Gottes Vorsehung und die Unsterblichkeit der Seele leugnet, nimmt dem Menschen eine Unmenge von Tröstungen usw. Plutarch beweist dies so gründlich, daß man sich nach der Lektüre seiner Ausführungen nicht mehr darüber wundern kann, daß die ersten Eindrücke von gewissen Gegenständen solche Macht über unseren Geist haben. Der erste Eindruck, der sich denen aufdrängt, die den Zustand der Irreligion untersuchen wollen, ist der einer sehr glücklichen Freiheit nach weltlichem Verständnis, gemäß der man alle seine Begierden ohne Furcht oder Gewissensbisse befriedigt. Diese Idee schlägt so tiefe Wurzeln in der Seele und nimmt ihre Fassungskraft so sehr in Anspruch, daß wir den Einwand, der Zustand eines frommen Menschen sei mit dem eines Epikureers hinsichtlich der zeitlichen Vorteile gar nicht zu vergleichen, als eine ganz absurde Fabel zurückweisen würden. Und doch hat diese vorgebliche Fabel eine Menge sehr starker Gründe für sich, wie Plutarch gezeigt hat. Die Ehrlichkeit dieses Autors scheint mir in diesem 138

Seneca, De vita beata, Kap. 12, S. 625 meiner Ausgabe. Man sehe 具sc. Bayles. Hgg. 典 Pensées 具diverses 典 sur la comète, S. 535. 139 Er hat erkannt, daß die Sitten Epikurs sehr regelmäßig waren, Jamb. 18. Man sehe Gassendi, Buch VII, Kap. 4. 140 Origenes, Contra Celsum, Buch VII, S. 375.

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Teil seiner Auseinandersetzung beträchtlich, falls er sich bewußt war, wie sehr seine Gründe geeignet waren, den Epikureismus zu rechtfertigen. Denn wenn feststeht, daß man sich durch die Leugnung der Vorsehung Gottes und der Unsterblichkeit der Seele tausender Entschädigungen und tausender Tröstungen beraubt, dann hat Epikur nicht aus Motiven des Eigeninteresses, der Eigenliebe oder der Hingabe an die Lust die philosophische Lehre gewählt, die er vorgetragen hat. Er würde vielmehr die gegenteilige Lehre gewählt haben, wenn derartige Motive ihn bestimmt hätten. Zu diesem Thema gibt es viel zu sagen, aber ich verschiebe das besser auf ein anderes Buch152, wo ich auch einen Einwand prüfen werde, den le Fevre gegen Plutarch erhoben hat. Er beschuldigt ihn nämlich des Selbstwiderspruchs und führt zum Beweis an, was Plutarch in der Auseinandersetzung mit Epikur über die Vorteile und das zeitliche Glück der Religion gesagt hat und was derselbe Plutarch an anderer Stelle behauptet hat, nämlich daß der Aberglaube schlimmer sei als der Atheismus.153

(S) Einige Apologeten Epikurs hätten sich die Mühe machen sollen nachzuweisen, daß seine Gottlosigkeit auf natürliche Weise (---) aus der ewigen Existenz der Materie folgte. Unter den heidnischen Naturphilosophen gab es eine Vielfalt von Meinungen über den Ursprung der Welt und über die Natur des Elements oder der Elemente, aus denen die einzelnen Körper angeblich geformt waren. Die einen behaupteten, das Wasser sei das Prinzip aller Dinge, andere wiesen diese Eigenschaft der Luft zu, wieder andere dem Feuer, noch andere den homogenen Teilen usw., aber alle waren sich darin einig, daß die Materie der Welt unerschaffen sei. Über die Frage, ob etIn der Fortsetzung der Pensées diverses sur la comète 具von Bayle 典. Tanaquil le Fevre, Vorrede zu seiner Übersetzung von Plutarchs Abhandlung über den Aberglauben. Man sehe auch den Schluß seiner Anmerkungen zu dieser Abhandlung. 152 153

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was aus nichts geschaffen worden sei, gab es keinen Streit unter ihnen; sie hielten dies übereinstimmend für unmöglich. Folglich war die unabhängige Ewigkeit, die Epikur den Atomen zuschrieb, keine Annahme, welche die anderen Schulen hinsichtlich dieser notwendigen und unerschaffenen Existenz verdammen konnten, denn jede von ihnen schrieb dem Prinzip, das sie anerkannte, die gleiche Natur zu. Nun sage ich: Wenn man einmal diese Gottlosigkeit angenommen hat, daß Gott nicht der Schöpfer der Materie ist, dann ist es weniger absurd, mit den Epikureern zu behaupten, daß Gott nicht der Urheber der Welt sei und daß er sich nicht um ihre Lenkung kümmere, als mit verschiedenen anderen Philosophen zu sagen, daß er sie gestaltet habe, daß er sie erhalte und lenke. Was die letzteren sagten, war richtig, aber inkonsequent; es war eine eingedrungene Wahrheit, die nicht durch die Tür, sondern durch das Fenster in ihr System gekommen war. Sie befanden sich auf dem rechten Weg, weil sie von der Bahn abgekommen waren, die sie zu Anfang eingeschlagen hatten. Hätten sie sich auf dieser Bahn zu halten gewußt, so wären sie nicht rechtgläubig gewesen. Somit war ihre Rechtgläubigkeit ein hybrides und monströses Gebilde, sie war zufällig aus ihrer Unwissenheit entstanden und verdankte sich ihrer Unfähigkeit, richtig zu schließen. Dieser Vorwurf trifft die Philosophen vor Anaxagoras noch viel härter, denn diese erklärten die Entstehung der Welt, ohne den Finger Gottes zu bemühen.154 Wenn sie danach die göttliche Vorsehung zugaben, schlossen sie viel schlechter als diejenigen, die sie erst zugaben, nachdem sie angenommen hatten, daß der göttliche Verstand über der Entwirrung des Chaos und über der ersten Gestaltung der Teile dieser Welt wache. Wenn ich nicht mehr hierüber sagte, würde die Mehrzahl meiner Leser glauben, daß ich ein ebenso gottloses Paradoxon vortrage wie Epikur. Ich muß daher all dies so deutlich wie möglich entwickeln. Zu diesem Zweck muß ich zunächst die Man sehe den Artikel ANAXAGORAS, Anmerkung (F). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 154

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folgende Grundlage legen. Nach dem System aller heidnischen Philosophen, die an einen Gott geglaubt haben, gab es ein ewiges und unerschaffenes Wesen neben Gott; das war die Materie. Dieses Wesen verdankte seine Existenz nur seiner eigenen Natur. Es hing weder hinsichtlich seines Wesens noch seiner Existenz noch seiner Eigenschaften und Merkmale von einer anderen Ursache ab. Man kann daher nicht ohne Verstoß gegen die Gesetze und Ideen der Ordnung, die unsere Urteile und Schlüsse regeln, sagen, daß ein anderes Wesen eine so umfassende Herrschaft über die Materie ausgeübt hat, daß es sie ganz und gar verändert hätte. Die Lehre, daß die Materie von Ewigkeit her durch sich selbst existiert habe, ohne eine Welt zu sein, dann aber angefangen habe, eine Welt zu sein, als Gott sich anschickte, sie auf hundert verschiedene Weisen zu bewegen, sie an einer Stelle zu verdichten, an einer anderen zu verdünnen usw., diese Lehre verletzt folglich die genauesten Begriffe, an die man sich beim Philosophieren halten muß. Wenn Epikur einen Platoniker gefragt hätte: »Sagt mir bitte, mit welchem Recht hat Gott der Materie den Zustand genommen, in dem sie sich von Ewigkeit her befunden hat? Welches ist sein Rechtstitel? Woher kam sein Auftrag, diese Veränderung vorzunehmen?« – was hätte man ihm antworten können? Hätte man diesen Rechtstitel auf die größere Macht gegründet, über die Gott verfügte? Aber hätte man ihn in diesem Falle nicht nach dem Recht des Stärkeren handeln lassen, nach Art der Eroberer und Usurpatoren, deren Vorgehen offenkundig dem Recht entgegengesetzt ist und das uns die Vernunft und die Ideen der Ordnung als verdammenswert hinstellen? Hätte man gesagt, daß Gott vollkommener ist als die Materie und daß es daher gerecht war, daß er sie seiner Herrschaft unterwarf? Aber selbst das entspricht nicht den Vernunftbegriffen. Die hervorragendste Persönlichkeit in einem Dorf hat nicht das Recht, sich zu seinem Herrn aufzuschwingen, und sie kann nicht legitim darüber herrschen, sofern man ihr nicht die Machtbefugnis überträgt. Mit einem Wort: Wir kennen keinen anderen legitimen Herrschaftstitel als den, den die Eigenschaft der Ursache oder des Wohltäters oder des Käufers oder die

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freiwillige Unterwerfung usw. verleihen kann. Nichts von alledem ist zwischen einer unerschaffenen Materie und der göttlichen Natur gegeben; daraus ist zu schließen, daß Gott sich nicht ohne Verstoß gegen die Gesetze der Ordnung zum Herrn über die Materie aufschwingen konnte, um nach Gutdünken über sie zu verfügen. Wenn ihr mir mit der Herrschaft kommt, die der Mensch über die anderen Lebewesen ausübt, ohne sie hervorgebracht oder ernährt zu haben,155 so werde ich euch erwidern,156 daß die Bedürfnisse oder die Leidenschaften des Menschen die Grundlage dieser Herrschaft sind. Das macht also keinesfalls begreiflich, daß Gott sich die Herrschaft über die Materie verschafft hat, er, der keinerlei Bedürfnis hat,157 der den Grund seiner unendlichen Glückseligkeit ganz in sich selbst trägt, der keinerlei Leidenschaft fähig ist und der nichts tun kann, was nicht der genauesten Gerechtigkeit vollkommen entspräche. Ein Platoniker, den man so bedrängte, würde sich zu der Feststellung gezwungen sehen, daß Gott seine Macht über die Materie nur aus einem Prinzip der Güte ausübt. »Gott«, würde er sagen,158 »erkannte zweierlei auf vollkommene Weise: einerseits, daß er nichts gegen den Willen der Materie tat, wenn er sie seiner Herrschaft unterwarf, denn da sie nichts empfand, konnte sie sich auch nicht über den Verlust ihrer Unabhängigkeit grämen; andererseits, daß sie sich in einem Zustand der Unordnung und Unvollkommenheit befand, einen 155

Dies ist im Hinblick auf Menschen und Tiere im allgemeinen gesagt, nicht im Hinblick auf einen einzelnen Menschen, der dieses oder jenes Tier kauft und füttert usw. 156 Dies soll die Antwort Epikurs sein, nicht die eines Menschen, der in der Genesis gelesen hat, welches die legitime Quelle unserer Herrschaft über die Tiere ist. 157 »Alles Göttliche muß sich aus eigener Kraft unsterblichen Lebens und tiefsten Friedens erfreuen. (…). Es ist stark durch eigene Macht und bedarf unser nicht.« Lukrez, Buch I, Vers 57. 158 Man beachte, daß dieser durch die Einwände Epikurs in Bedrängnis gebrachte Platoniker die Lehre von der Seele der Materie, die Plutarch Platon zuschreibt, aufgeben müßte. Man sehe Anmerkung (U), gegen Ende. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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ungestalten Haufen von Materialien darstellte, aus denen sich ein herrlicher Bau errichten ließ und von denen einige in lebendige und in denkende Substanzen verwandelt werden konnten; daher wollte er der Materie einen schöneren und edleren Zustand verleihen als den, in dem sie sich befand. Was ist hieran eines höchst gerechten und höchst gütigen Wesens unwürdig?« – Das, so scheint mir, ist das Vernünftigste, was ein Platoniker erwidern könnte; aber mir scheint auch, daß Epikur sich nichts Besseres wünschen könnte, als den Streit auf diesen Punkt gebracht zu sehen. Er würde hier nämlich viele Schwierigkeiten vorzubringen haben. I. An erster Stelle würde er fragen, ob es einen passenderen Zustand für eine Sache geben könnte als den, in dem sie sich immer befunden hat und in den ihre eigene Natur und die Notwendigkeit ihrer Existenz sie von Ewigkeit her versetzt hat. Wäre das nicht die natürlichste Lage, die man sich vorstellen kann? Was die Natur der Dinge und was die Notwendigkeit, der alles durch sich selbst Existierende seine Existenz verdankt, geregelt und bestimmt haben, kann das einer Veränderung bedürfen? Muß es nicht notwendig eine Ewigkeit andauern, und ist das nicht ein Beweis dafür, daß jede Veränderung zu spät kommen und folglich unvereinbar mit der Weisheit des Veränderers sein würde? II. Aber legen wir die Maxime »Besser spät als nie« zugrunde. Wie will der Veränderer vorgehen, um Zustand und Lage der Materie zu verändern? Wird er sie nicht in Bewegung versetzen müssen, und wird er sie dazu nicht berühren und stoßen müssen? Wenn er sie berühren und stoßen kann, ist er nicht verschieden von der Materie; in diesem Falle nehmt ihr zu Unrecht zwei unerschaffene Wesen an: eines, das ihr Materie, und eines, das ihr Gott nennt. In Wahrheit gibt es dann nur die Materie im Universum und unser Streit ist zu Ende. Dieser Welturheber, dieser Lenker, diese göttliche Vorsehung, um die es geht, löst sich in Rauch auf. Wenn er aber verschieden ist von der Materie, hat er keine Ausdehnung. Sagt mir also, wie kann er auf Körper einwirken, um sie von ihrem Platz zu entfernen? Der Platoniker würde antworten, die Materie sei immer in Be-

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wegung gewesen, und somit habe Gott sie nur lenken müssen. Aber man würde ihm erwidern, um die Bewegung bestimmter Körper zu lenken, müsse man sie von anderen entfernen, wie man bei Schiffsmanövern und bei allen Maschinen sieht. Wenn die göttliche Natur nicht körperlich wäre, würde es ihr nicht leichter fallen, einer existierenden Bewegung eine neue Richtung zu geben, als eine neue Bewegung hervorzubringen. (…). III. An dritter Stelle würde Epikur zu dem Platoniker sagen: »Laßt uns alle meine Gründe a priori für nichts erachten, wenn Ihr wollt. Ich verzichte sogar auf den Einwand, um lobenswert zu sein, müsse die Güte Urteilskraft zur Seite haben. Wir sehen, daß urteilsfähige Menschen, so gutmütig sie auch sein mögen, sich nicht aus eigenem Antrieb in die Unordnung im Hause ihres Nächsten einmischen, sondern sich damit begnügen, ihre eigenen Angelegenheiten gut in Ordnung zu bringen. Ein weiser Fürst hilft den Mißständen in seinem eigenen Staat ab, aber er mischt sich nicht in die Reform der Nachbarmonarchien, sondern überläßt die Sorge dafür deren Herrschern. Aus dieser Idee der Weisheit könnte man folgern, daß Gott sich nicht anmaßen würde, den Unvollkommenheiten der Materie abzuhelfen. Er wäre für sie nicht verantwortlich, da er an der Hervorbringung von Körpern nicht beteiligt war. Sie wäre das Werk der Natur, und daher käme es dieser zu, über sie zu verfügen. Ich verzichte auf diesen Einwand«, würde Epikur sagen, »und ich gestatte Euch, das Beispiel der Heroen anzuführen, die wegen ihrer großen Verdienste um die Menschheit in den Rang von Göttern erhoben worden sind.163 Schauen wir von einer anderen Seite, ob diese Motive der Güte, von denen Ihr sprecht, nicht den Gründen der Weisheit hätten weichen müssen.

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»Romulus und Vater Liber und Pollux mit Castor sind nach ihren Großtaten in die Wohnungen der Götter aufgenommen worden. Solange sie auf Erden weilten und der Menschheit dienten, schlichteten sie grausame Kriege, teilten Land zu und gründeten Städte.« Horaz, Epist., Buch II, 1, Vers 5.

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IV. Wer weise handelt, fängt nicht an, einen großen Haufen von Materialien zu bearbeiten, ohne ihre Eigenschaften geprüft und ihre Eignung für die beabsichtigte Form festgestellt zu haben. Und wenn sich dabei zeigt, daß sie unbehebbare Mängel aufweisen, so daß ihr neuer Zustand schlechter wäre als der alte, so sieht er davon ab, sich mit ihnen zu befassen und überläßt sie ihrem Zustand. Er urteilt, daß es weiser und besser wäre, die Dinge zu lassen, wie sie sind, als ihnen eine andere Form zu geben, die zu ihrem Verderben ausschlagen würde. Nun kommt Ihr Platoniker darin überein,164 daß es in der Materie einen wirklichen Defekt gab, der ein Hindernis für das Vorhaben Gottes darstellte, ein Hindernis, sage ich, das es Gott nicht erlaubte, eine Welt ohne die Unregelmäßigkeiten zu schaffen, die wir darin wahrnehmen. Und es ist andererseits gewiß, daß die Lage der Materie infolge dieser Unregelmäßigkeiten unendlich unglücklicher ist, als es der ewige, notwendige und unabhängige Zustand war, in dem sie sich vor der Erschaffung der Welt befunden hatte. Alles war empfindungslos in jenem Zustand: Kummer, Schmerz, Verbrechen, alles physische und moralische Übel war darin unbekannt. Allerdings empfand man hier auch kein Vergnügen. Aber dieser Mangel eines Gutes war kein Übel, denn er kann kein Unglück sein, außer wenn er gefühlt und beklagt wird. Ihr seht also, daß es einer weisen Güte gar nicht zukam, den Zustand der Materie zu verändern, um sie in eine Welt wie diese zu verwandeln. Sie barg in ihrem Schoß die Saat zu allen Verbrechen und zu allem Elend, das wir sehen. Aber es war eine unfruchtbare Saat, und in diesem Zustand verursachte sie nicht mehr Übel, als wenn sie gar nicht vorhanden gewesen wäre; sie wurde erst verderblich und todbringend, als durch die Bildung der Welt die Lebewesen aus ihr ausgeschlüpft waren. (…). Man hätte die Materie in ihrer ewigen Ruhe belassen müssen, eingedenk der Tatsache, daß ein übelriechender Stoff seinen Gestank um so 164

(…). Lipsius, Physiologiae stoicorum libri tres, Buch I, Dissert. 14, S. 867 meiner Ausgabe. (…). Man sehe auch Maximus von Tyros, Sermo XXV.

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weiter verbreitet, je mehr man ihn bewegt. Zweifellos hätte die göttliche Natur sich dieser Idee entsprechend verhalten: Es ist daher nicht sie, welche die Welt erschaffen hat.« V. Man kann Epikur nicht entgegenhalten, daß Gott die Bosheit der Seelen, die aus dieser Saat der Materie schlüpfen würden, nicht vorausgesehen habe, denn er würde sogleich erwidern, 1) daß man Gott damit eine Unwissenheit zuschreiben würde, die traurige Folgen hätte; 2) daß Gott wenigstens die Materie in ihren alten Zustand würde zurückversetzt haben, sobald er die schlimmen Folgen seines Werks gesehen hätte; und so würde die Welt nicht bis zu dem Zeitpunkt bestanden haben, an dem Epikur mit einem Platoniker über die Lehre von der Vorsehung stritt. VI. Sein letzter Einwand würde unter allen der stärkste sein. Epikur würde seinem Gegner vor Augen führen, daß der intimste, allgemeinste und untrüglichste Begriff von Gott besagt, daß er sich vollkommenster Glückseligkeit erfreut.166 Nun ist dies unvereinbar mit der Annahme der Vorsehung, denn wenn Gott die Welt regiert, so hat er sie auch erschaffen. Wenn er sie erschaffen hat, so hat er entweder alle Unregelmäßigkeiten vorausgesehen, die in ihr auftreten, oder er hat sie nicht vorausgesehen. Wenn er sie vorausgesehen hat, so kann man nicht sagen, daß er die Welt aus einem Prinzip der Güte heraus erschaffen hat, was die beste Antwort des Platonikers zunichte macht. Wenn er sie nicht vorausgesehen hat, so muß er beim Anblick des schlechten Erfolges seines Werks notwendigerweise sehr großen Kummer empfunden haben. Er würde sich nämlich überführt sehen, die Eigenschaften der Materie nicht gekannt oder nicht die Kraft besessen zu haben, ihren Widerstand zu überwinden, wie er zweifellos gehofft hatte. Jeder Handwerker muß mit Kummer feststellen, daß seine Hoffnungen ihn getrogen haben, daß er nicht zum Ziel kommen konnte, daß er entgegen seiner Absicht, für das Gemeinwohl zu arbeiten, eine ruinöse Maschine erschaffen hat usw. Unsere Ideen lassen uns sehr wohl erkennen, daß Gott sich nie in einer sol166

Man sehe die oben in Fußnote (157) zitierten Lukrez-Verse (…).

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chen Lage befinden kann, nicht aber, daß er, wenn er sich aufgrund einer Unmöglichkeit in ihr befände, nicht beklagenswert und tief unglücklich wäre. VII. Wenn ihr dann annehmt, daß Gott, anstatt ein solches Werk zu zerstören, sich darauf versteift habe, es zu erhalten und ohne Ende und Unterbrechung daran zu arbeiten, Mängel zu beheben oder ihr Anwachsen zu verhindern, so stellt ihr euch das unglücklichste Wesen vor, das man sich denken kann. Gott hatte einen großartigen Palast erbauen wollen, um die lebendigen Geschöpfe, die aus dem gestaltlosen Schoß der Materie hervorgehen sollten, bequem darin unterzubringen und sie dort mit Wohltaten zu überhäufen. Es ergab sich aber, daß diese Geschöpfe nichts anderes taten, als sich gegenseitig aufzufressen, da sie nicht überleben konnten, wenn nicht das Fleisch der einen den anderen zur Nahrung diente; es zeigte sich, daß die vollkommensten dieser Lebewesen nicht einmal das Fleisch ihresgleichen verschonten. Es gab Menschenfresser unter ihnen, und wenn sie sich nicht zu dieser Unmenschlichkeit verstiegen, so verfolgten sie einander unablässig und wurden zur Beute von Neid, Eifersucht, Betrug, Habgier, Grausamkeit, Krankheiten, Kälte und Hitze, Hunger usw. Ihr Schöpfer hat ständig mit der Tücke der Materie zu kämpfen, die diese Unregelmäßigkeiten hervorbringt,167 er muß immer den Blitzstrahl bereithalten168 und Pest, Krieg und Hungersnot über die Erde ausschütten, die zusammen mit Rad und Galgen, die man auf den großen Straßen reichlich sieht, doch nicht verhindern, daß das Übel sich behauptet. Kann man ihn für glücklich halten? Kann einer glücklich sein, wenn er mit dem Werk, das er unternommen hat und leidenschaftlich zu vollenden wünscht, nach viertausend Jahren nicht weitergekommen ist als am ersten Tag? Ist dieses Bild des Unglücks nicht ebenso aussagekräftig wie das Rad des Ixion, der Stein des Sisyphos und das Faß der Danaiden?

167 168

(…). Seneca, Quaestiones naturales, Vorrede zu Buch I. (…). Horaz, Oden, Buch I, 3, Vers 38.

Epikur

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Ich spreche nur etwas sehr Wahrscheinliches aus, wenn ich Epikur die Überzeugung unterstelle, daß die Götter die Erschaffung der Welt bald bereuen würden und daß die Mühe, ein so ungelehriges und widerspenstiges Lebewesen wie den Menschen zu regieren, ihre Glückseligkeit trüben würde. Sehen wir nicht in der Schrift, daß der wahre Gott sich unserer Fassungskraft angepaßt und sich als ein Wesen offenbart hat, das es gereute, den Menschen erschaffen zu haben, nachdem es dessen Bosheit erkannt hat,169 und das sich voller Kummer über den geringen Erfolg seiner Mühe beklagt?170 »Zu Israel aber spricht er: ›Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach dem Volk, das sich nichts sagen läßt und widerspricht‹.«171. Ich weiß wohl, daß das gleiche Buch, das uns all diese Dinge lehrt, auch lehrt, wie wir die Idee, die sie zunächst vermitteln, zu berichtigen haben. Aber Epikur entbehrte das Licht der Offenbarung und konnte seine Philosophie daher nicht berichtigen. Er mußte notgedrungen auf der Bahn fortschreiten, die ihm ein solcher Führer zeigte. Indem er aber getreulich auf ihr fortschritt und sich dabei auf diese beiden Grundsätze stützte, einerseits, daß die Materie durch sich selbst existierte und sich nicht nach den Wünschen Gottes richtete, andererseits, daß die Glückseligkeit Gottes durch nichts im geringsten getrübt werden kann, mußte er bei der Schlußfolgerung landen, daß es keine göttliche Vorsehung gibt. Wir werden hieraus einige Folgerungen zugunsten der Wahrheiten der christlichen Religion ziehen; man sehe die folgende Anmerkung. Man beachte, daß Epikur einen leichteren Sieg davongetragen hätte, wenn ich ihn nicht ins Handgemenge mit einem Platoniker geschickt, sondern mit einem athenischen Priester hätte disputieren lassen; man sehe die folgende Anmerkung.

169

Genesis 6, 5 f. Jesaja, Kap. 5 und passim an anderen Stellen der Propheten und der Psalmen. 171 Römer 10, 21. 170

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(T) Das System der Schrift hat als einziges den Vorteil, solide Grundlagen für Vorsehung und Vollkommenheiten Gottes zu legen. Die Einwände Epikurs, die in der vorigen Anmerkung entfaltet wurden und welche die heidnischen Philosophen in die Ecke treiben konnten, verschwinden und lösen sich gleichsam in Rauch auf vor den Augen derjenigen, die aus der Offenbarung gelernt haben, daß Gott der Schöpfer der Welt sowohl hinsichtlich der Materie als auch der Form ist. Diese Wahrheit ist von einzigartiger Wichtigkeit, denn man kann aus ihr wie aus einer ergiebigen Quelle die erhabensten und fundamentalsten Lehren ableiten, und man könnte die ihr entgegengesetzte Lehre nicht annehmen, ohne mehrere Hauptprinzipien des vernünftigen Denkens preiszugeben. Daraus, daß Gott der Schöpfer der Materie ist, folgt, 1) daß er das Universum mit dem höchstmöglichen Recht so ordnet, wie es ihm gut dünkt; 2) daß er nur eines einfachen Willensaktes bedarf, um alles zu schaffen, was ihm gefällt; 3) daß nichts geschieht, was er nicht in den Plan seines Werks aufgenommen hat. Daraus resultiert, daß die Lenkung der Welt kein Geschäft ist, das Gott ermüden oder verdrießen könnte und daß keine wie immer gearteten Ereignisse seine Glückseligkeit trüben könnten. Wenn Dinge geschehen, die er verboten hat und die er bestraft, so geschehen sie dennoch nicht gegen seine Ratschlüsse, sondern dienen anbetungswürdigen Zwecken, die er sich von aller Ewigkeit her gesetzt hat und welche die größten Mysterien des Evangeliums ausmachen. Aber um die Wichtigkeit der Schöpfungslehre besser zu verstehen, muß man einen Blick auf die unauflöslichen Schwierigkeiten werfen, in die sich ihre Leugner verstricken. Man betrachte also, was Epikur, wie oben dargestellt, den Platonikern hätte vorhalten können und was man heute gegen die Sozinianer sagen kann. Diese haben die Mysterien des Evangeliums zurückgewiesen, weil sie sie nicht mit dem Licht der Vernunft in Übereinstimmung bringen konnten. Sie wären nicht konsequent gewesen, wenn sie zugegeben hätten, daß Gott die Materie erschaffen hat; denn das philosophische Prinzip ex ni-

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hilo nihil fit, aus nichts wird nichts, besitzt eine ebenso große Evidenz wie die Prinzipien, aufgrund deren sie die Trinität und die hypostatische Union geleugnet haben. Also haben sie die Schöpfung geleugnet; aber was haben sie damit gewonnen? Daß sie in einen Abgrund stürzen, indem sie einen anderen vermeiden wollen.172 Sie mußten die unabhängige Existenz der Materie anerkennen und sie dennoch der Machtvollkommenheit eines anderen Wesens unterwerfen. Sie mußten einräumen, daß die notwendige Existenz einer Substanz zukommen kann, die im übrigen mit Mängeln und Unvollkommenheiten belastet ist. Das widerspricht einem sehr evidenten Begriff, nämlich daß dasjenige, dessen ewige Existenz von nichts anderem abhängt, was es auch sei, unendlich vollkommen sein muß. Denn was hätte der Macht und den Attributen eines solchen Wesens Grenzen setzen sollen? Mit einem Wort, sie müssen auf die meisten Schwierigkeiten antworten, die Epikur meiner Ansicht nach den Philosophen hätte vorhalten können, welche die Ewigkeit der Materie zugeben.173 Man schließe hieraus, nebenbei bemerkt, daß es für die wahre Religion sehr nützlich ist, wenn man zeigt, daß die Ewigkeit der Materie die Zerstörung der göttlichen Vorsehung nach sich zieht. Denn damit zeigt man die Notwendigkeit, Wahrheit und Gewißheit der Schöpfung. Ich bin sicher, daß einer der größten Philosophen dieses Jahrhunderts und zugleich einer der Schriftsteller, die sich am eifrigsten für die Lehren des Evangeliums einsetzen, der These zustimmen wird, daß man mit einer solchen Apologie Epikurs, wie man sie in hypothetischer Form in der vorigen Anmerkung gesehen hat, dem wahren Glauben einen großen Dienst erweist. Er lehrt nicht allein, daß es keine Vorsehung gäbe, wenn 172

»Er verfällt der Scylla, indem er der Charybdis zu entgehen versucht.« Man sehe Erasmus, Adagia, 1. Chil., 5. Centur., Nr. 4. 173 Man beachte, daß es dem Vernehmen nach Sozinianer gegeben hat, die Spinozisten wegen der Schwierigkeiten wurden, die sie in der Hypothese fanden, es gebe ein materielles, durch sich selbst existierendes Prinzip, das von Gott verschieden ist.

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Gott nicht die Materie erschaffen hätte, sondern sogar, daß Gott nichts von der Existenz der Materie wüßte, wenn sie unerschaffen wäre. Ich werde seine Worte etwas ausführlicher zitieren; die Sozinianer werden darin ihr Verdammungsurteil finden: »Wie dumm und lächerlich sind doch die Philosophen! Sie bilden sich ein, die Schöpfung sei unmöglich, weil sie nicht begreifen, daß die Macht Gottes groß genug ist, um aus nichts etwas zu machen. Aber begreifen sie denn wirklich, daß Gott durch seine Macht imstande ist, einen Grashalm zu bewegen? Wenn sie darauf achtgeben wollten, begreifen sie das eine so wenig wie das andere, weil sie keine klare Idee der Wirkursache oder der Macht haben. Wenn sie ihrem falschen Prinzip folgten, müßten sie daher behaupten, daß Gott nicht einmal Macht genug hat, der Materie Bewegung zu verleihen. Aber diese Schlußfolgerung würde sie in so freche und gottlose Ansichten verstricken, daß sie bald zum Gegenstand der Verachtung und Empörung selbst der unaufgeklärtesten Menschen würden. Denn sie sähen sich bald auf die These zurückgeworfen, daß es überhaupt keine Bewegung oder Veränderung in der Welt gäbe oder daß alle diese Veränderungen keine Ursache hätten, die sie hervorbringt, noch eine Weisheit, die sie regelt. (---).174 Wenn die Materie unerschaffen wäre, könnte Gott sie nicht bewegen noch irgend etwas daraus formen. Denn Gott kann die Materie nicht bewegen noch weise anordnen, ohne sie zu erkennen. Gott kann sie aber nicht erkennen, wenn er ihr nicht das Sein gibt, denn Gott kann seine Erkenntnisse nur aus sich selbst ableiten. Nichts kann auf ihn einwirken noch ihn aufklären. Wenn Gott nicht in sich selbst und durch die Erkenntnis, die er von seinen Willensakten hat, die Existenz der Materie sähe, würde sie ihm ewig unbekannt bleiben. Er könnte sie daher auch nicht in eine Ordnung bringen noch ein Werk daraus formen. Nun stimmen die Philosophen ebenso wie Du weiterhin der These zu, daß Gott die Körper bewegen kann. Somit müssen sie, obwohl sie keine klare 174

Malebranche, Méditations chrétiennes, Meditation IX, Nr. 3, S. 140 meiner Ausgabe.

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Idee der Macht oder der Wirkursache haben, und obwohl sie keinerlei Verbindung zwischen dem Willen Gottes und der Hervorbringung von Geschöpfen sehen, anerkennen, daß Gott die Materie erschaffen hat, wenn sie ihn nicht machtlos und unwissend machen wollen, was unsere Idee von Gott vernichten und seine Existenz verneinen hieße«.175

Ein fingiertes Streitgespräch zwischen Epikur und einem heidnischen Priester Wir wollen nicht ohne die folgende Bemerkung schließen. Ich habe Epikur gegen einen platonischen Philosophen disputieren lassen. Das geschah nicht, um ihm Vorteile zu verschaffen, denn er wäre mit den meisten anderen Schulen leichter fertig geworden als mit der platonischen. Sein größter Vorteil aber wäre es gewesen, mit einem Priester zu disputieren. Geben wir eine Probe hiervon! Lassen wir Epikur sagen: »Ihr behandelt mich als einen Gottlosen, weil ich lehre, daß die Götter sich nicht mit der Regierung der Welt befassen, und ich beschuldige Euch, daß Ihr nicht folgerichtig denken könnt und außerdem den Göttern großes Unrecht antut. Heißt es dem Licht der Vernunft zu folgen, wenn man glaubt, daß Jupiter alle Macht über die Weltmaschine besitzt, er, der ein Sohn des Saturn und ein Enkel des Himmels ist? Kommt es einer so jungen Gottheit wie ihm zu, die Materie zu beherrschen, die ein ewiges und unabhängiges Wesen ist? Bedenkt, daß alles, was einen Anfang hat, nur gestern und heute im Vergleich zur Ewigkeit ist. Stürzt daher nicht die Ordnung um, indem ihr die Materie des Universums einem so jungen Gott unterwerft. Kommen wir zum zweiten Punkt. Antwortet mir bitte: Sind die Götter zufrieden mit ihrer Regentschaft oder nicht? Gebt acht auf mein Dilemma: Wenn sie mit dem zufrieden sind, was unter ihrer Vorsehung geschieht, so finden sie Gefallen am Bösen; wenn nicht, so sind sie unglücklich. Es ist aber gegen die Gemeinbegriffe, 175

A. a.O., Nr. 5, S. 141 f.

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daß sie das Böse lieben und daß sie unglücklich sind.« »Sie lieben das Böse nicht«, würde der Priester antworten, »sie betrachten es vielmehr als eine Beleidigung, die sie streng bestrafen. Daher die Seuchen, die Kriege, die Hungersnöte, die Schiffbrüche, die Überschwemmungen usw.« »Ich schließe aus Eurer Antwort«, würde Epikur erwidern, »daß die Götter unglücklich sind. Denn es gibt kein unglücklicheres Leben, als ständig Beleidigungen ausgesetzt zu sein und sie ständig rächen zu müssen. Die Sünde hört nicht auf unter den Menschen, daher gibt es keinen Augenblick am Tag, in dem die Götter nicht beleidigt werden. Die Pest, der Krieg und die anderen Übel, die Ihr soeben nanntet, hören auf der Erde niemals auf. Denn wenn sie von Zeit zu Zeit in einem Land enden, so doch niemals in Bezug auf alle Völker. Kaum sind daher die Götter damit fertig, sich an einer Nation zu rächen, müssen sie schon damit beginnen, eine andere zu bestrafen. Das heißt immer neu anfangen; was ist das für ein Leben! Könnte man seinem Todfeind etwas Schlimmeres wünschen?176 Ich möchte ihnen lieber einen Zustand der Gemütsruhe und der Sorgenfreiheit zuschreiben.« »Aber wollt Ihr denn«, würde der Priester sagen, »daß sie kalten Bluts und ohne Abhilfe zu schaffen die Ausschweifungen der Menschen mitansehen? Ehrt sie denn diese Gleichgültigkeit?«– »Sind sie nicht erst gekommen, als der Himmel schon entstanden war?«, würde Epikur erwidern. Sagt Ihr nicht, daß der älteste unter den Göttern, die jetzt herrschen, den Himmel als seinen Großvater anerkennt? Also haben sie nicht die Welt erschaffen, folglich kommt es ihnen überhaupt nicht zu, sich für das zu interessieren, was auf der Erde oder anderswo geschieht. Sie wissen, daß die Materie von aller Ewigkeit her existiert und daß man die schicksalhafte Notwendigkeit von Wesen nicht ändert, die durch sich selbst existieren. Sie lassen also die Dinge ihren Lauf nehmen und maßen sich nicht an, eine unveränderliche Ordnung zu reformieren. Es ist auch nicht verwunderlich, daß ihre Vollkommenheiten begrenzt sind. Denn Ihr gebt zu, daß auch die Voll176

»Solche Gaben mögen meinen Feinden zuteil werden.«

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kommenheiten der Materie, die von Ewigkeit her existiert, sehr gering sind. Euer Jupiter und seine Beisitzer im himmlischen Rat haben keinen guten Grund, Schamlosigkeit bestrafen zu wollen, sie, die ihren Gattinnen so untreu sind und so viele Mädchen entehrt haben.« »Ihr werdet wenigstens nicht leugnen können«, würde der Priester erwidern, »daß die Lehre von der Vorsehung viel dazu beiträgt, die Menschen bei ihrer Pflicht zu halten.« »Darum geht es gar nicht«, würde man antworten, »verschiebt nicht die Fragestellung unseres Disputs! Wir fragen nicht, was als nützliche Erfindung eingeführt werden könnte, sondern was sich wahrhaft aus dem Licht der Vernunft ergibt.«

HIPPARCHIA

hipparchia, die Frau des Philosophen Krates, war von den Reden dieses Kynikers so entzückt, daß sie ihn um jeden Preis heiraten wollte. Eine große Anzahl von Verehrern, die sich durch Abstammung, Reichtum und gutes Aussehen auszeichneten, hielt um ihre Hand an. Sie wurde von ihrer Familie bedrängt, sich einen Ehemann aus diesen Rivalen zu wählen, aber nichts vermochte sie von Krates abzubringen. Sie erklärte, daß Krates ihr alles bedeute und daß sie sich erstechen würde, wenn man sie nicht mit ihm verheiratete. Auf diese Erklärung hin wendete sich die Familie an Krates und bat ihn, seine Redegewandtheit und seine ganze Autorität bei dem Mädchen einzusetzen, um sie von ihrer Leidenschaft zu heilen. Er tat das, ohne das Geringste bei diesem halsstarrigen Mädchen zu erreichen. Als er schließlich sah, daß seine Argumente und Ratschläge keinerlei Wirkung zeigten, stellte er dem Mädchen seine Armut vor Augen. Er zeigte ihr seinen Buckel, legte seinen Stock, seinen Bettelsack und seinen Mantel auf den Boden und sagte zu ihr: »Das ist der Mann, den Du haben, und die Möbel, die Du bei ihm finden wirst. Denk’ gut darüber nach, Du kannst nicht meine Frau werden, ohne das Leben zu führen, das unsere Sekte vorschreibt.« Er hatte kaum aufgehört zu sprechen, da erklärte sie, daß ihr diese Aussicht unendlich gut gefalle. Sie nahm die Ordenstracht, ich will sagen die Kleidung der Kyniker, und band sich so stark an Krates, daß sie mit ihm überall herumzog, mit ihm zu Festen ging und keinerlei Skrupel hatte, ihm die eheliche Pflicht mitten auf der Straße zu leisten (C). Es war eine der Lehren der Sekte, daß man sich keiner körperlichen Verrichtung schämen müsse, welche die Natur von uns verlangt (D). Als Hipparchia einmal mit dem Atheisten Theodorus zum Abendessen bei Lysimachus war, machte sie ihm einen spitzfindigen Einwand, auf den er keine verbale Antwort gab (E). Er machte nur von seinen Hän-

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den Gebrauch, und was er in der Folge auch tun oder sagen mochte, er stieß auf eine sehr resolute Frau, die über nichts erstaunte.a Sie hat Bücher geschrieben, die uns nicht überliefert sind. Moréri hat einige Fehler in diesem Artikel gemacht, ebenso Lorenzo Crasso. Ich habe vergessen zu sagen, daß Hipparchia und ihr Bruder Metrokles, der ein Schüler des Krates war, in Maronea geboren wurden. Sie lebten zur Zeit Alexanders. Aus der Ehe von Hipparchia und Krates ist ein Sohn namens Pasikles hervorgegangen.

(C) Sie hatte keinerlei Skrupel, ihm die eheliche Pflicht mitten auf der Straße zu leisten. Man wird sich nicht darüber wundern, daß sich die Philosophin Hipparchia hinsichtlich der zwei Artikel, die ich soeben erwähnt habe, über die Gewohnheit hinweggesetzt hat, denn sie war imstande, hinsichtlich dieses dritten Punktes die Schicklichkeit mit Füßen zu treten. Die Verachtung der Gewohnheit könnte nicht weiter getrieben werden. Das war ein großer Triumph der Liebe: Man opferte ihr die dem weiblichen Geschlecht natürlichste Tugend, die Schamhaftigkeit und die Sittsamkeit, die den Herzen der Frauen tausendmal tiefer eingewurzelt ist als die Keuschheit selbst. Und was noch verwunderlicher ist, Hipparchia war gleich das erste Mal zu dieser Schamlosigkeit bereit; man mußte sie nicht nach und nach in kleinen Schritten dazu bringen. Juvenal merkt an, daß den Frauen nichts schwierig erscheint, wenn es darum geht, ihre Liebe zu befriedigen. Wenn sie mit einem Ehemann, dessen sie überdrüssig sind, auf das Meer gehen sollen, so können sie sich dazu nicht entschließen; die Unannehmlichkeiten der Seefahrt sind zu groß. Sollen sie sich aber mit einem Liebhaber einschiffen, so haben sie den denkbar besten Magen, und das Matrosenleben ist die vergnüglichste Sache der Welt. Hipparchia bea

Aus der Lebensbeschreibung Hipparchias bei Diogenes Laertius, Buch VI, Nr. 96 ff.

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stätigt diese Beobachtung. Sie war verrückt nach Krates. Er wollte, daß alle Scham abgelegt wurde, »Anders hat diese heilige Handlung keinen Wert«, hat er wahrscheinlich gesagt. Sie wollte es auch, um ihm gefällig zu sein. Mehrere Autoren berichten diese Sache. Sextus Empiricus und Theodoret bezeugen sie, und ich habe schon andere zitiert. Der hl. Augustinus aber hat eine besondere Meinung zu diesem Thema gehabt. Er hat geglaubt, daß die Kyniker lediglich Positionen eingenommen und bloße Anstalten gemacht haben. Das Lateinische ist besser als das Französische geeignet, um seine Ansicht wiederzugeben. »Ich will lieber glauben, daß Diogenes oder jene, die das getan haben sollen, lediglich die Bewegungen des Beischlafs den Augen der Menschen vorführten, die nicht wußten, was sich unter dem Mantel abspielte, als daß er es fertiggebracht hätte, diese Lust vor Zuschauern zu genießen. Denn hier schämten sich Philosophen nicht, den Anschein zu erwecken, als wollten sie den Beischlaf ausüben, wo selbst die Wollust sich zu regen schämt.«10 Ein Moderner hat sich wie ein Cato gegen diesen Kirchenvater erhoben und ihm einen ziemlich harten Verweis wegen dieses Gedankens erteilt. »Wenn er hinzufügt«, sagt er, »er könne nicht glauben, daß Diogenes und diejenigen seiner Anhänger, die im Ruf standen, alle Dinge in der Öffentlichkeit zu tun, dabei trotzdem eine wahrhafte und wirkliche Wollust empfunden haben, weil er sich einbildet, daß sie unter dem kynischen Mantel lediglich die Bewegungen von Beischläfern nachgeahmt haben und so die Augen der Zuschauer betrogen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht einmal eine Erektion in ihrer Gegenwart zustande brachten, so schäme ich mich, dies zu berichten und bitte Euch, es in seinen eigenen Worten zu lesen.11 (---). Ist es möglich, daß eine so bedeutende Persönlichkeit ihrer Einbildungskraft gestattet hat, bis in diese kynischen Geheimnisse einzudringen, und daß die Hand des hl. Augustinus keine Skrupel hatte, den Mantel des Diogenes zu lüften, um uns die Bewegungen, die sich darunter abspiel10 11

Augustinus, De civitate dei, Buch XIV, Kap. 20. Er bringt hier die Passage aus dem hl. Augustinus.

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ten, zu zeigen, welche ihn die Scham – obwohl dieser Philosoph bekannte, keine zu haben – vor sich selbst mit seinem Mantel verbergen ließ?«12

(D) Man müsse sich keiner körperlichen Verrichtung schämen, welche die Natur von uns verlangt. (…). Einige glauben, daß die Kyniker diesen Namen haben, weil sie sich wie Hunde auf den Straßen mit ihren Frauen paarten. (…). Die Kyniker behaupteten, daß sie in Übereinstimmung mit der Vernunft handelten, denn, so sagten sie, wenn es rechtmäßig ist, mit seiner Frau zu schlafen, so ist es rechtmäßig, mit ihr in der Öffentlichkeit zu schlafen. Nun ist es rechtmäßig, mit seiner Frau zu schlafen, folglich ist es rechtmäßig, mit ihr in der Öffentlichkeit zu schlafen. (…). Das ist das erbärmliche Sophisma a dicto simpliciter ad dictum secundum quid 具von der allgemeinen zur eingeschränkten Aussage 典. Es ist als wenn jemand sagen würde »Es ist gut Wein zu trinken, also ist es gut, Wein zu trinken, wenn man Fieber hat.« Diese Leute wußten nicht, daß es viele Handlungen gibt, die nur unter bestimmten Umständen gut sind, so daß die Aufhebung dieser Umstände eine Handlung schlecht machen kann, die sonst gut gewesen wäre. Seinem Freund Geld zu leihen, damit er seine Gläubiger bezahlt, ist eine sehr lobenswerte Handlung; aber ihm Geld zu leihen, damit er sich betrinkt oder damit er spielt, ist eine schlechte Handlung. Es gibt Handlungen, die ihrem Wesen nach schlecht sind; sie können niemals gut sein, gleichgültig unter welcher Konstellation von Umständen man sie auch ausführen mag. Aber es gibt andere Dinge, die je nach Zeit und Ort und den übrigen Umständen, unter denen man sie ausführt, bald gut, bald schlecht sind. Ich räume ein, daß das nicht ausreicht, um die Kyniker zu widerlegen, denn sie könnten ihrem Räsonnement folgende Wendung geben: Wenn etwas an sich gut und rechtmäßig ist, muß man sich 12

La Mothe le Vayer im Hexameron rustique, S. 63 ff.

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nicht schämen, es zu tun. Nun ist die eheliche Pflicht eine an sich gute und rechtmäßige Sache, folglich muß man sich nicht schämen, sie zu leisten. Man kann sie folglich legitimerweise in der Öffentlichkeit leisten, denn wenn irgend etwas diese öffentliche Handlung verderben könnte, dann allein dies, daß man die Scham in Situationen vermissen ließe, in denen man verpflichtet wäre, Scham zu empfinden. Die Schwierigkeit ist also auf diese einzige Frage reduziert: Muß man sich schämen, die eheliche Pflicht vor den Augen der Öffentlichkeit zu leisten? Hübsche Frage, wird man mir sagen, denn wer bezweifelt das? »Ich«, würde Diogenes antworten, »und man beweise mir, daß ich unrecht habe«. Man würde ihm antworten, die Scham sei hinsichtlich der in Frage stehenden Handlungen eine natürliche Empfindung und daß es deshalb die Natur verletzen hieße, wenn man bei diesen Anlässen keine Scham empfindet. »Aber«, so wird er antworten, »wenn es eine natürliche Empfindung wäre, dann müßten die Tiere, die den Instinkten der Natur so getreu folgen, die Dunkelheit und finstere Löcher aufsuchen, wenn sie sich vermehren wollen. Nun ist nichts falscher als das. Zumindest müßten alle Menschen in vergleichbaren Fällen die dunkelsten Schlupfwinkel aufsuchen, was abermals falsch ist, denn mehrere Völker in Indien betreiben den Zeugungsakt vor jedermanns Augen.« Das merkt der berühmte Pyrrhoneer Sextus Empiricus16 an, um zu zeigen, daß die gewöhnliche Praxis nicht das unveränderliche und ewige Gesetz der Natur, sondern ein einfaches Gewohnheitsrecht und die Wirkung der Erziehung zur Grundlage hat. Er könnte die Praxis der Mosynienser anführen, deren Artikel man unten finden wird.* Ein moderner Autor hat bemerkt, daß gewisse Völker Liebe »selbst in den Tempeln gemacht haben« und daß sie sagten, »daß die Gottheit, wenn ihr das mißfiele, diese Handlung nicht den übrigen Tieren erlaubt

16

(…). Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 24, S. 152. * 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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hätte«.17 Er fügt hinzu, daß eine »mohammedanische Glaubensgemeinschaft dies noch gegenwärtig praktiziert« und daß »die neue Welt sich uns in dieser Unschuld gezeigt hat«. Man würde Diogenes antworten, es genüge, daß die zivilisierten Nationen dem Schamgefühl unterworfen seien und daß man sich um das Verhalten der barbarischen Völker nicht kümmern müsse. Aber er würde seinerseits antworten, daß die Völker, die man barbarisch nennt, sich weit weniger von der Regel der Natur entfernt haben als die Völker, die gemäß der Subtilität ihres Geistes die Gesetze des Anstands und der Höflichkeit derart vermehrt haben, und daß schließlich, weil das Naturrecht immer gültig ist, die Rückkehr zu ihm jedermann zu jeder Zeit und an jedem Ort ohne Rücksicht auf das zufällige Joch der Gewohnheiten und der Meinung seiner Landsleute erlaubt ist.

Betrachtung über die Schwäche der Vernunft Dies sei gesagt um zu zeigen, in wieviele Verirrungen die menschliche Vernunft führen kann. Sie ist uns gegeben, um uns den rechten Weg zu weisen, aber sie ist ein schwankendes, flatterhaftes, biegsames Instrument, das man wie einen Wetterhahn in jede Richtung drehen kann. Man sehe, wie sich die Kyniker ihrer bedienten, um ihre abscheuliche Schamlosigkeit zu rechtfertigen. Ich kann zur Ehre und zum Ruhm der wahren Religion hinzufügen, daß sie allein sehr gute Waffen gegen die Sophismen dieser Leute bereitstellt; denn wenn man auch in der Schrift keine ausdrückliche Vorschrift bezüglich der Dunkelheit aufzeigen kann, mit der man die ehelichen Vertraulichkeiten bedecken soll, genügt es doch, an erster Stelle zu sagen, daß der Geist der Schrift uns verpflichtet, alles das zu vermeiden, was die Eindrücke der Schamhaftigkeit schwächen könnte; und an zweiter Stelle, daß es ausdrückliche Textstellen gibt, 17

La Mothe le Vayer, Dialog. d’Orasius Tubero, S. 165 meiner Ausgabe. Er zitiert Herodot, Buch II.

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die uns verbieten, irgend etwas zu tun, was den Anstand verletzt oder unseren Nächsten empört. Ich weiß nicht, ob einer jener Kasuisten, die ihre Muße so sehr dazu mißbraucht haben, Gewissensfragen auf gleichsam metaphysische Weise zu prüfen, jemals auf den Gedanken kam zu untersuchen, auf welche Art Verbrechen man die Schamlosigkeit eines Krates und eines Diogenes zurückführen müßte. Sie glaubten nicht, daß es ein göttliches Gesetz hierüber gebe, noch daß man verpflichtet sei, sich den örtlichen Gepflogenheiten anzupassen. Sie glaubten, daß sie sich durch ihre Nichtanpassung an dieselben höchstens den Tadel zuzögen, ungehobelte Leute zu sein und einem überlieferten Brauch wenig Entgegenkommen zu bezeigen. Unhöflich, grob und ein schlechter Beobachter der Mode zu sein, ist aber, moralisch gesprochen, keine verbrecherische oder böse Handlung. Was könnte man also gegen die Kyniker sagen, wenn man sie nicht durch die offenbarten Wahrheiten verdammte? Ich habe niemals irgend etwas über diesen Punkt gelesen, und ich weiß nicht, ob jemals jemand gesagt hat, eine kynische Handlung sei gegenwärtig allein schon strafbar 1) wegen der Anstößigkeit, die sie für ihren Nächsten bedeutet; 2) wegen der Verachtung der örtlichen Gepflogenheiten; 3) wegen der Nachlässigkeit, die man der Aufrechterhaltung der Grenzen der Keuschheit bezeigen würde. Ich setze hier einen Menschen voraus, der überzeugt ist, daß die Handlung an sich nicht ausdrücklich in der Schrift verboten worden ist und daß sie nicht dem Naturrecht entgegensteht. Wenn sie dem entgegenstünde, dann wären die Gerichtsurteile, die den Beischlaf 具zur Beurteilung der Beschuldigung der Impotenz 典 anordnen, ebenso große Verbrechen, die man den Richtern anlasten müßte. Es gibt zweifellos Kasuisten, welche die Masturbation oder die Sünde der Selbstbefriedigung, die Diogenes auf dem Marktplatz18 beging, als ein größeres Verbrechen ansehen als den Beischlaf von Krates und Hipparchia. Es ist eine befremdMan sehe seinen Artikel, Anmerkung (L). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 18

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liche und durch und durch skandalöse Sache zu sehen, daß Chrysipp, dieser berühmte und strenge Stoiker, der Handlung des Diogenes Lob gezollt hat.19 Dieser Kyniker hätte sich nicht durch sein Sophisma »Es ist rechtmäßig, die eheliche Pflicht zu leisten, also ist es rechtmäßig, sie auf der Straße zu leisten« dafür rechtfertigen können, denn seine Handlung ist schlecht, sowohl wenn sie privat als wenn sie öffentlich ausgeführt wird. Sextus Empiricus gesteht, daß sie als abscheulich galt, wenngleich Zenon, der Gründer der Stoiker, sie billigte und viele andere auf sie als eine gute Sache zurückgriffen. (…).20 Mochten die Kyniker im übrigen auch nach Gründen suchen, um ihre entsetzliche Schamlosigkeit zu beschönigen; sie wagten nicht, damit fortzufahren. Die öffentliche Entrüstung wirkte offenbar als ein stärkerer Hemmschuh als alle Begriffe der Ehrbarkeit. Der hl. Augustinus bemerkt, daß die natürliche Scham bei diesen Leuten wieder die Oberhand gewann. (…).22 Aber wie es immer Ausnahmen zu den allgemeinsten Regeln gibt, so sehen wir bei Lukian den Kyniker Peregrinus, der dem Verhalten des Diogenes nahekommt. (…).23

Bemerkung für diejenigen, die durch das soeben Berichtete schockiert sein könnten Wer es befremdlich finden wird, daß ich derart abscheuliche Obszönitäten wie diese hier berichte, den muß ich darauf hinweisen, daß er weder die Rechte noch die Pflichten eines Historikers aufmerksam genug erwogen hat. Jedermann, der heutzutage die Geschichte entweder eines antiken Philosophen oder einer anderen Persönlichkeit schreibt, die sich in den vergangenen Jahrhunderten einen Namen gemacht hat, besitzt 19

(…). Plutarch, De stoicor. repugnan., S. 1044. Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 24, S. 153. 22 De civitate dei, Buch XIV, Kap. 20. 23 Lukian, De morte Peregr., Bd. II, S. 767 meiner Ausgabe. 20

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das Recht, all die Dinge zu berichten, welche die Bücher uns über ihn lehren, sei es, daß sie das Lob, sei es, daß sie das Entsetzen und den Abscheu der Leser verdienen. Wenn er sich damit begnügte, das Lobenswerte zusammenzutragen, so würde er die Pflichten sehr schlecht erfüllen, welche die Natur seines Werks ihm auferlegt. Wenn man das Leben eines Modernen schreibt, so hat man mehr Freiheit, denn wenn er sehr unzüchtige Handlungen begangen hat, die der Öffentlichkeit unbekannt sind, so kann man sie aus der Erwägung heraus mit Stillschweigen übergehen, daß man gewissen Unannehmlichkeiten zuvorkommen muß, die aus der Veröffentlichung solcher Dinge entstehen könnten. Wenn es sich aber um eine Tatsache handelt, die von hundert Autoren berichtet wird, so hat man nicht die Freiheit, eine vergleichbare Behutsamkeit walten zu lassen; und wenn man sich zu ihrer Unterdrückung entschließt, so beschwert man sich mit einem sehr unnützen Skrupel, denn die Leser werden leicht auf anderem Wege dasjenige herausfinden, was man vor ihnen verbergen will. Die Schamlosigkeit des Kynikers Diogenes nun ist aller Welt so bekannt, daß sogar einige Anekdoten im Umlauf sind, die sich nicht auf das Zeugnis irgendeines antiken Schriftstellers stützen. »Du Moustier erinnerte mich an das Buch desselben Orleans mit dem Titel Die menschliche Pflanzung an die Königin. Das ist ein lächerlicher Titel, der mich an den Ausspruch des Diogenes erinnerte ›Ich pflanze einen Menschen‹.«24 Diese Worte stammen vom Kardinal du Perron. Unzählige Leute sprechen so in ihren privaten Unterhaltungen. Man findet das in mehreren Büchern, in denen berichtet wird, daß Diogenes, als er mitten auf der Straße eine Frau in die Arme nahm, gefragt wurde »Was machst du da?« und daß er antwortete »Ich pflanze einen Menschen«. Keiner der antiken Schriftsteller, die ich kenne, hat diese Geschichte erzählt, und du Rondel, den ich danach fragte, antwortete mir, daß er sie nur bei modernen Autoren gefunden habe. Wenn nun schon eine so schlecht begründete Erzählung über die Frechheit dieses antiken Philosophen im Umlauf ist, 24

Perroniana, beim Wort »Orleans«, S. 225 meiner Ausgabe.

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dann darf man dasjenige wohl kennen, was die von mir zitierten Autoren über ihn gesagt haben. Was würde es also nutzen, wenn ich diese Fakten unterdrückt hätte? Ich hätte wenigstens, so werdet ihr mir sagen, Sätze wählen sollen, die einen dicken Mantel über diese Unanständigkeiten ausgebreitet hätten. Ich antworte, daß dies das Mittel gewesen wäre, um deren Abscheulichkeit zu mindern. Denn die zartsinnige und unbestimmte Art, deren man sich heutzutage bedient, wenn man von Zoten spricht, vermittelt nicht so viel Ekel davor, wie es eine natürlichere, kraftvollere und dadurch mit größerer Entrüstung ausgestattete Sprache tun könnte, insofern sich der Autor nicht darin gefällt, stilistische Verrenkungen anzustellen, die genau genommen nichts als Schminke sind. Ich füge hinzu, daß es nützlicher und wichtiger ist, als man denkt, die Schrecken und Abscheulichkeiten ungekünstelt darzustellen, welche die heidnischen Philosophen gebilligt haben. Das kann die Vernunft demütigen und kränken und uns von der unendlichen Verderbtheit des menschlichen Herzens überzeugen und uns eine Wahrheit lehren, die wir niemals aus dem Auge verlieren sollten – daß nämlich der Mensch eines offenbarten Lichtes bedurfte, um die Mängel des philosophischen Lichtes zu ersetzen. Denn man sieht, daß die Stoiker, die sich mehr als andere Philosophen der Moral widmeten und die sehr subtile Begriffe von ihr hatten, die schamlosen Obszönitäten des Diogenes gebilligt haben. Auf sie können wir die allgemeine Erklärung des hl. Paulus gegen die Heiden insbesondere anwenden: »Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden.«26

(E) Hipparchia (---) machte einen Einwand (---), auf den der Atheist Theodorus keine verbale Antwort gab. Das war ein Sophisma, das leicht zu lösen und zurückzugeben war. »Wenn ich dieselbe Handlung ausführte«, sagte sie zu ihm, »die Du rechtmäßig ausgeführt hättest, so könnte man 26

Römer 1, 22.

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mir nicht vorwerfen, eine unrechtmäßige Handlung begangen zu haben. Wenn Du Dich nun selbst schlügest, handeltest Du rechtmäßig. Wenn ich Dich also schlüge, könnte man mir nicht vorwerfen, eine unrechtmäßige Handlung begangen zu haben.« Theodorus hielt sich nicht damit auf, ihr als Logiker zu antworten; er warf sich auf sie und zog ihr das Kleid aus. Nach der heutigen Weise sich zu kleiden und zu sprechen, würden wir sagen, »daß er ihr den Rock hochschob«. Das ist die Erklärung, die Ménage27 von diesen Worten des Diogenes Laertius (…) gibt. Hier sehen wir eine sehr muntere und sehr weltmännische Art, die Sophismen einer Frau zu beantworten. Hipparchia verlor keineswegs die Fassung, und als Theodorus ihr einen Vers aus einer Tragödie zitierte, in dem es um eine Frau ging, die Spinnrocken und Spindel verlassen hatte, antwortete sie: »Ich erkenne mich darin wieder, ich bin diese Frau. Aber glaubt Ihr, ich hätte eine schlechte Wahl getroffen, weil ich meine Zeit lieber nutzen will, um zu philosophieren als um zu spinnen?«

Wie Theodorus hätte antworten können Wir wollen jetzt sehen, was Theodorus hätte antworten können, wenn er sich die Mühe hätte machen wollen. Als direkte Antwort hätte er sagen können, daß die Handlung des Theodorus, sich selbst zu schlagen, und die Handlung Hipparchias, Theodorus zu schlagen, zwei verschiedene Handlungen und nicht von einerlei Art sind. Es gab also vier Terme in Hipparchias Syllogismus. Damit zwei Handlungen gleich sind, ist es erforderlich, daß die Beziehung, die in der einen zwischen dem Handelnden und dem Leidenden besteht, auch in der anderen besteht. Das ist nun in Hipparchias Lehre nicht der Fall. Hätte Theodorus durch Retorsion antworten und die Frau des Krates verwirren wollen, hätte er zu ihr sagen können »Wenn ich dieselbe Handlung ausführte, die Dein Ehemann rechtmäßig 27

Notis ad Laert., Buch VI, Nr. 97, S. 266.

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ausführen würde, könnte man mir keine unrechtmäßige Handlung vorwerfen. Nun handelt Dein Ehemann rechtmäßig, wenn er Dich küßt usw. Wenn ich Dich also küßte usw., könnte man mir keine unrechtmäßig Handlung vorwerfen.« Man würde gesehen haben, ob Hipparchia, die sehr schamlos war, in Anwesenheit von Zeugen gewagt hätte zu antworten, »ich erlaube Dir alles«.

JONAS

jonas, Arngrimus, ein Isländer, hat sich im 16. und 17. Jahrhundert durch seine publizierten Werke Ansehen erworben. Im Jahr 1644 lebte er noch und war damals mehr als 90 Jahre alt.a Nur vier Jahre zuvor hatte er sich mit einem jungen Mädchen wiederverheiratet. Er war gelehrt, ein guter Mensch und wurde von allen Gelehrten hoch geschätzt. Er war Koadjutor von Gundebrand de Torlac, dem Bischof von Hole auf Island. Dieser Gundebrand war Isländer und ein sehr gebildeter sowie sehr rechtschaffener Mann. Er war Schüler Tycho Brahes gewesen und verstand viel von Sternkunde. Nach seinem Tod lehnte Arngrimus das Bischofsamt von Hole ab, das der König von Dänemark ihm verleihen wollte. Er bat den Fürsten, ihm dieses Amt nicht zu übertragen, sowohl um keine Neider zu haben, als auch um sich seinen Studien mit mehr Ruhe widmen zu können. Die Bücher, die er veröffentlichte, sind zum größten Teil entweder Geschichtswerke und Beschreibungen von Island oder Schutzschriften für sein Volk. Blefkenius hat viel Nachteiliges über das isländische Volk gesagt, teils bezüglich der Zauberei, teils bezüglich der Unkeuschheit (C). Arngrimus hat ihn widerlegt. Er starb im Jahr 1649. Er ist Pastor der Kirche von Melstad und Propst der benachbarten Kirchen in der Diozöse von Hole gewesen.

(C) (---) teils bezüglich der Unkeuschheit. »Blefkenius sagt, daß die Deutschen, die Handelsreisen nach Island unternehmen, ihre Zelte nahe den Häfen aufschlagen, in denen sie an Land gehen, und daß sie dort ihre Waren ausstela

La Peyrère, Relation de l’Islande, S. 55 f.

Jonas

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len, die aus Mänteln, Schuhen, Spiegeln, Messern und einer Unmenge von Tändelkram bestehen, die sie gegen das tauschen, was die Isländer ihnen bringen. Die Mädchen dieser Insel, die sehr hübsch, aber sehr übel gekleidet sind, besuchen diese Deutschen und erbieten sich, mit denjenigen, die keine Frau haben, für Brot, Zwieback und irgendwelche anderen Sachen von geringem Wert zu schlafen. Die Väter selbst offerieren ihre Töchter den Fremden, und wenn ihre Töchter schwanger werden, so ist ihnen das eine große Ehre. Denn diese Mädchen werden höher geschätzt und sind von den Isländern mehr gesucht als die anderen; man reißt sich förmlich um sie. Wenn die Isländer Wein oder Bier von den fremden Händlern gekauft, d. h. getauscht, haben, laden sie ihre Verwandten, Freunde und Nachbarn ein, miteinander zu trinken; und sie hören nicht eher auf, bis alles ausgetrunken ist. Sie besingen beim Trinken die Heldentaten ihrer Anführer. (---). Es gilt bei ihnen als unhöflich, während des Trinkens den Tisch zu verlassen, um Wasser zu lassen. Die Mädchen, die in diesem Land wie gesagt nicht häßlich sind, kriechen unter die Tische und halten den Trinkern Nachttöpfe hin. Arngrimus Jonas hält diesen Spaß für eine Verleumdung und ereifert sich heftig gegen Blefkenius, weil dieser seines Erachtens damit die Ehre der isländischen Mädchen beleidigt hat. Der gute Mann kann es nicht ertragen, daß man mit Verachtung von seinen Landsleuten spricht und sie wie Barbaren behandelt.«10 Wenn dem Verfasser einer Schutzschrift jemals Empörung erlaubt gewesen ist, dann kann die des Arngrimus nicht getadelt werden, denn es ist unwahrscheinlich, daß das Evangelium, das in Island seit so vielen Jahrhunderten bekannt ist, das Volk dort in einer derart sündhaften Roheit belassen hätte, ebenso, daß der König von Dänemark für den Fall, die Religion hätte diese Inselbewohner so wenig weitergebracht, es geduldet hätte, daß sie ungestraft ihren Spott mit dem trieben, was der öffentliche Anstand verlangt. Die Gepflogenheiten bei ihren Festen scheinen mir nicht zuverlässig berichtet zu sein; man hat die Sache über10

La Peyrère, Relation d’Islande, S. 23 f.

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trieben dargestellt, um die Leser zum Lachen zu bringen. Hat man jemals von einer derartigen Handreichung oder von einer derart übertriebenen Faulheit gehört? Hier sind Leute, die nicht nur die Mühe scheuen, sich vom Tisch zu erheben, um zu pissen, sondern die sogar nicht einmal die geringste Handbewegung dafür machen wollen. Das ist das Bild, zu dem uns dieser Bericht führt; warum würde man sonst sagen, daß »die Mädchen unter die Tische kriechen«? Man könnte den Gästen den Nachttopf sehr wohl auf eine andere Weise geben, wenn es nur darum ginge, ihnen die Mühe des Aufstehens zu ersparen. Wenn alles wahr wäre, was Blefkenius uns soeben berichtet hat, so müßte man einräumen, daß die Eifersucht nicht unnütz in der Welt ist.11

Ein Einwand, der aus der Unkeuschheit gewisser Völker hergeleitet ist Wenn es erlaubt wäre, zugunsten der Wahrheit zu lügen, so müßte man alles abstreiten, was man von der Unkeuschheit gewisser Völker erzählt, denn die Freigeister ziehen einen großen Vorteil daraus, daß gewisse Völker dem Vernehmen nach in der Prostitution von Frauen nichts Schändliches erblicken. Das träfe nach Blefkenius’ Bericht auf die Isländer zu, und sie würden sogar noch weiter gehen, denn sie betrachteten die Schwangerschaft eines Mädchens, das sich Fremden hingegeben hatte, als eine Ehre, und die Väter schätzten sich sehr glücklich, wenn das Angebot der Jungfräulichkeit ihrer Töchter, das sie an Ausländer richteten, angenommen wurde. Wo ist also, so würde man fragen, jener natürliche Eindruck, der alle Menschen das Gute vom Bösen unterscheiden läßt? Hier haben wir christliche Völker vor uns, die nicht nur in der Praxis keinerlei Rücksicht auf die Keuschheit nehmen, sondern die Man sehe 具von Bayle 典 die Nouvelles lettres contre le calvinisme de Maimbourg 具recte: Nouvelles lettres de l’auteur de la Critique générale de l’histoire du calvinisme 典, S. 542 ff. 11

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sogar den Begriff davon verloren haben; woraus folgt, daß ihrem Gewissen in dieser Hinsicht die Empfindung des natürlichen Rechts fehlt. Ist das nicht ein Zeichen dafür, daß die Begriffe der Tugend von der Erziehung und der Gewohnheit und nicht von einem natürlichen Eindruck abhängen? Und wie soll man diese Leute kurieren, wenn ihr Gewissen abgestorben ist? Denn wenn es möglich ist, daß das Gewissen wenig Treffsicherheit besitzt, selbst wenn es über die Begriffe von gut und böse verfügt, würde das nicht unweigerlich dort der Fall sein, wo diese Begriffe ausgelöscht sind? Es ist nicht erforderlich, auf diesen Einwand zu antworten, weil Arngrimus Jonas die Tatsache leugnet, auf die er sich stützt. Man muß alle diejenigen an ihn verweisen, die sich die Erzählung seines Gegners zunutze machen wollen. Und wenn sie zuverlässige Tatsachen anführen sollten, dann wird es auch nicht an einer Antwort fehlen.

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jupiter, der höchste aller Götter des Heidentums, war der Sohn von Saturn und Kybele. Es gibt kein Verbrechen, das er nicht begangen hätte, denn außer daß er seinen eigenen Vater entthronte, ihn entmannte und in Ketten gefesselt in die tiefste Hölle stieß, beging er Inzucht mit seinen Schwestern, seinen Töchtern und seinen Tanten und versuchte sogar, seine Mutter zu vergewaltigen. Er hat unzählige Mädchen und Frauen verführt und nahm, um zum Ziel zu gelangen, die Gestalt von allen möglichen Tieren an. Er hat sich der Sünde wider die Natur schuldig gemacht, denn er entführte den schönen Ganymedesa und verschaffte ihm das Amt des Obermundschenks der Götter, damit er ihn immer zur Verfügung hatte, wenn sein Herz nach ihm verlangte. Betrügereien und Meineide und ganz allgemein alle nach den Gesetzen strafbaren Handlungen waren ihm sehr geläufig.b Man ist sogar so weit gegangen zu sagen, daß er eine seiner Frauen verschlungen hat. Es läßt sich also nichts Ungeheuerlicheres vorstellen als das Heidentum, das einen solchen Gott als den obersten Herrscher aller Dinge ansah und dieser Vorstellung den religiösen Kultus anpaßte, in dem es ihn verehrte. Die Kirchenväter haben sehr großes Gewicht auf diesen Beweis für die Falschheit der heidnischen Religion gelegt, und man kann sagen, daß dieses System sehr geeignet war, die guten Sitten zu verderben (D). Ich werde nichts über die Fabeln sagen, welche die Geburt und die Erziehung Jupiters betreffen. Moréri hat einige dieser Punkte berührt, und man findet das in einer großen Anzahl von Büchern, welMan sehe den Artikel GANYMEDES. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 b Man sehe die Beweise, die Natalis Comes, Mythol., Buch I, Kap. 18 dafür anführt, und Arnobius in der Anmerkung (B). 具Die Anmerkung (B) nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 a

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che die Schüler täglich in Händen halten. Ich werde nur von dem Adler sprechen, der ihm Nektar brachte. Diese Begebenheit ist nicht so allgemein bekannt. Charpentier berichtet eine Angelegenheit nicht zuverlässig, für die er Homer zitiert. Seit ziemlich langer Zeit schon habe ich das, was die Heiden über den Ursprung Jupiters gesagt haben, derart befremdlich gefunden, daß mir die Sache, je mehr ich darüber nachdachte, um so ungeheuerlicher vorkam, so daß es mir, kurz gesagt, unmöglich erschien, daß Philosophen sie angenommen hatten. Schließlich habe ich aber eingesehen, daß sie durch ich weiß nicht welche Räsonnements (G), deren Schwäche für sie nicht leicht zu entdecken war, in diesen Irrtum fallen konnten. Sie hielten die Schöpfung von irgend etwas nicht für möglich und nahmen keine Substanzen an, die von der Ausdehnung ganz verschieden wären. Wenn man diese zwei Lehren einmal aufgestellt hat, dann ist es fast ebenso leicht, sich vorzustellen, daß eine verfeinerte Materie ein Gott werden kann, wie zu glauben, die Seele des Menschen sei materiell, was die Mehrzahl der Philosophen annahm. Man sehe die Anmerkung (G). In Arkadien gab es einen Tempel des gütigen Gottes. Pausanias vermutet, daß dieser Tempel Jupiter geweiht war. Als Grund führt er an, daß dieses Epitheton recht eigentlich dem höchsten der Götter zukommen müsse. Es ist gewiß, daß die Güte Jupiters durch mehrere Beinamen bezeichnet wurde, unter denen man ihn verehrte. Aber man verehrte ihn gleichfalls unter mehreren Namen, die anzeigten, wie fürchterlich er war. Seine Rolle als Blitzeschleuderer hat man sogar durch die bloße Idee seines Herabsteigens auf die Erde bezeichnet. Es gab einige Orte, wo man behauptete, er habe Menschenopfer verlangt. Ich werde anderswod ausführen, daß das Buch mit dem Titel Cymbalum mundi viele Scherze über die Taten Jupiters enthält, aber ich weiß nicht, ob es möglich ist, Arnobius auf diesem Gebiet zu übertreffen. Seine lebhafte Einbildungskraft fließt wie ein reißender Strom, und weil er ein frischgebackener Rhetoriker war, ließ er keine Farben und keine Figuren aus, um seinen Stil d

Im Artikel PERIERS. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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zu beleben. Ich führe an verschiedenen Stellen dieses Wörterbuchs einige seiner Gedanken an, und man hat oben (…)e die Spötterei lesen können, die er auf den Umstand gründete, daß der große Jupiter neun Nächte brauchte, um ein Kind zu zeugen, wo er doch nur eine einzige benötigte, um fünfzig Mädchen zu schwängern. Es ist wahrscheinlich, daß sein Gedächtnis ihn hier getäuscht hat und er etwas durcheinanderbrachte. Er hatte gelesen, daß Jupiter neun Nächte der Zeugung der Musen widmete, und er übertrug das auf einen ganz anderen Gegenstand, nämlich auf die Abenteuer mit Alkmene. Lebhaft schreibende Autoren sind leicht derartigen Irrtümern ausgesetzt. Jupiter machte Liebe im Himmel wie auf der Erde. Er nahm alles, was kam; alle waren ihm recht, Göttinnen wie Frauen. Arnobius hat diese Tatsache nicht vergessen und machte sich den Umstand zunutze, daß die Körper der Sterblichen, die für Jupiter ja ganz durchsichtig waren, dennoch genügend Reize besaßen, um in ihm eine unkeusche Leidenschaft zu erwecken. Es ist angebracht zu bemerken, daß die lächerlichen Märchen, welche die Dichter über diesen Gott vorgetragen haben, der heidnischen Religion als Grundlage dienten, und daß es ernsthafte Leute gab, die sie entweder allegorisch oder mit wissenschaftlichen Lehrsätzen zu erklären versuchten. Aber das war ein ebenso lächerliches Unternehmen wie dasjenige der Dichter (N), und es lief sehr oft auf ernstliche Gottlosigkeiten hinaus. Man sehe die Anmerkung (N), wo ich von denen sprechen werde, die sagten, Juno sei die Luft und Jupiter der Äther.

Fußnote (13) 具sc. zu Anmerkung (B) des Artikels HERKULES. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 e

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(D) Das System der heidnischen Religion war sehr geeignet, die guten Sitten zu verderben.31 »Aus diesen abscheulichen Handlungen Jupiters haben die christlichen Autoren starke Argumente abgeleitet, um die Heiden von der Falschheit ihrer Götter zu überzeugen, wie man an mehreren Stellen bei Laktanz, Tertullian, Clemens von Alexandria, Arnobius und vielen anderen sehen kann. Denn abgesehen davon, daß derartige entsetzliche Verbrechen sich nicht mit der Göttlichkeit vereinbaren lassen, konnten die Heiden aus ihnen einen gerechtfertigten Vorwand entnehmen, um sich jeder Art von Bösartigkeit hinzugeben (---), indem sie durch Nachahmung ihrer Götter nicht fehlzugehen glaubten. Das will auch Ion bei Euripides in der Tragödie sagen, die ihren Namen trägt: ›Man darf die bösen Menschen nicht tadeln, wenn sie die Götter nachahmen, sondern man muß den Tadel zurückgeben an diejenigen, deren Missetaten ihnen zum Vorbild dienten‹.«32 Méziriac macht diese Bemerkung über eine Passage Ovids, wo Phaedra33 bemerkt, daß Skrupel bezüglich des Inzestes zu den groben Zeiten Saturns gut waren, daß es aber unter der Herrschaft seines Nachfolgers einer Frau erlaubt sein sollte, mit ihrem Schwiegersohn zu schlafen. Jupiter, sagt sie, der mit seiner Schwester verheiratet war, rechtfertigt alles: »Wenn ich als Stiefmutter zu Dir, meinem Stiefsohn, in Liebe entbrannt bin, so laß Dich nicht durch diese leeren Namen schrecken. Diese Scheu war vormals in den grobschlächtigen Zeiten der Regentschaft Saturns gut, wird jedoch künftig ganz untergehen. Jupiter setzte ja fest, daß alles, was erfreut, rechtens sei, und er erklärte alles für erlaubt, sogar die Ehe unter Geschwistern.« Ovid fällt hier in einen sehr groben Irrtum34, denn es ist sicher, daß Saturn mit seiner Schwester ge31

Man sehe Arnauld in der fünften Dénonciation du peché philosophique, S. 32. 32 Méziriac über Ovid, S. 419 f. 33 In: Epist. ad Hippolytum. 34 Méziriac macht diese Bemerkung S. 419.

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nauso verheiratet war wie Jupiter mit der seinen. Man könnte der von Méziriac zitierten Passage aus Euripides hundert andere von gleicher Stärke hinzufügen. Nichts ist bei den antiken Dichtern gewöhnlicher, als Leute zu sehen, die zur Entschuldigung ihrer Verbrechen behaupteten, daß sie nichts anderes getan hätten, als die Götter nachzuahmen, oder daß die Götter sie getrieben hätten, Böses zu tun.35 Um aber nichts zu vertuschen, muß man zum Ruhme der Heiden sagen, daß sie nicht ihren Prinzipien gemäß gelebt haben. Es ist wahr, daß die Verderbnis der Sitten im Heidentum außerordentlich groß gewesen ist, aber es fanden sich damals viele Leute, die nicht dem Beispiel ihrer falschen Götter gefolgt sind, sondern die Begriffe der Ehrbarkeit einer so großen Autorität vorgezogen haben. Es ist seltsam, daß die Christen, deren Lehre so rein ist, den Heiden hinsichtlich des Lasters fast in nichts nachstehen. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Sitten einer Religion entsprächen den Lehren ihres Glaubensbekenntnisses.

(G) Sie konnten durch ich weiß nicht welche Räsonnements in diesen Irrtum fallen. Wir wollen zunächst sehen, was Hesiod über die Entstehung der Götter sagt.40 Er beginnt mit dem Chaos; das ist das erste Wesen, das er präsentiert. Danach bringt er die Erde und die Liebe und setzt hinzu, daß Erebos und die Nacht vom Chaos gezeugt wurden und daß der Äther und der Tag aus der Hochzeit des Erebos und der Nacht hervorgingen, und daß die Erde, ohne verheiratet zu sein, den Himmel und das Meer hervorbrachte und dann, nachdem sie sich mit dem Himmel vermählt hatte, Okeanos, Rhea, Themis, Tethys, Saturn usw. Diese außerordentlich fruchtbare Ehe verschaffte der Erde kaum Vergnügen, denn der Himmel, ihr Ehemann, sperrte alle ihre Man sehe den Artikel HELENA, Anmerkung (C). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 40 Hesiod, De deorum generatione, Vers 116. 35

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Kinder ein, sobald sie geboren waren. Sie hat sie zur Rache ermuntert und war damit so erfolgreich, daß Saturn mit einem Hieb einer Sichel seinem Vater die Körperteile abschnitt, die man ungern nennt, und sie ins Meer warf.41 Sie brachten einen Schaum hervor, aus dem die Göttin Venus geboren wurde. Die Kinder von Saturn und Rhea waren Vesta, Ceres, Juno, Pluto, Neptun, Jupiter.42 Das ist das, was ich dem Gedicht Hesiods entnehme. Es hat andere Genealogen43 gegeben, die lehrten, daß der Äther und der Tag – Kinder von Erebos und der Nacht – Vater und Mutter des Himmels waren und die Liebe, den Betrug, die Furcht, die Arbeit, den Neid, das Verhängnis, das Alter, den Tod, die Finsternis, das Elend, die Träume usw. als Geschwister hatten. Wir haben oben44 gesehen, wie Karneades sich dieser Genealogie bediente, um die Theologie der Stoiker zu widerlegen. Wir wollen uns hier damit begnügen zu sagen, daß diesem Stammbaum zufolge es notwendigerweise irgendeinen Gott gegeben haben muß, dessen Vater kein Gott war. Denn wenn man einerseits Karneades eingeräumt hätte, daß der Himmel, der Äther, der Tag, Erebos und die Nacht Götter waren, so hätte man ihm andererseits bestritten, daß das Chaos, das früher da war als alle diese göttlichen Wesen, ein Gott war, und folglich wäre man gezwungen gewesen zu behaupten, daß die Götter aus einer Materie erschaffen worden waren, die nicht Gott war, und ohne eine Wirkursache, welche die Natur Gottes hatte. Das ist fraglos eine Überlegung, welche die zuverlässigsten und evidentesten Begriffe des natürlichen Lichts erschüttert; aber nichtsdestoweniger hat es große Philosophen gegeben, welche die Erzeugung der Götter angenommen und ihnen ein Wesen als Ursache beigelegt haben, das kein Gott war. »Anaximenes führte die Ursachen aller Dinge auf die unendliche Luft zurück, und weder leugnete noch verschwieg er 41

A. a.O., Vers 180. A. a.O., Vers 453. 43 Man sehe Cicero, De natura deorum, Buch III, Kap. 17. 44 Fußnote (87) des Artikels KARNEADES. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 42

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die Götter. Doch glaubte er nicht, daß die Luft von ihnen erschaffen worden sei, sondern daß sie selbst aus der Luft entstanden waren.«45 Durch diese Worte des hl. Augustinus kann man die Lehre des Anaximenes besser verstehen als durch die folgenden von Cicero: »Anaximenes nahm an, die Luft sei Gott; sie sei entstanden, unermeßlich, unendlich und immer in Bewegung.«46 Es ist unwahrscheinlich, daß Cicero die Meinung dieses Philosophen zutreffend wiedergegeben hat. Denn weil Anaximenes der Luft die Eigenschaft zusprach, Ursprung aller Dinge zu sein, d. h. die Unermeßlichkeit und die Unendlichkeit, so muß man annehmen, daß er sie für ewig und unerschaffen hielt und daß er, wenn er sie dieser Vorstellung entsprechend »Gott« nannte, in dieser Hinsicht nicht an die Erzeugung Gottes glaubte. Wenn er also sagte, die unendliche Luft sei die Ursache aller Dinge gewesen und die Götter selbst seien von ihr hervorgebracht worden, so legte er ihr keineswegs den Namen und die Natur Gottes in demselben Sinne wie den Göttern bei, die ihren Ursprung und ihr Dasein der Luft verdankten. Vielleicht war dies seine Ansicht: Er wollte zur Vermeidung jedes Wortstreites Gott die unermeßliche und unendliche Luft nennen, die er als Ursprung aller Dinge betrachtete, aber er behauptete nicht, daß Saturn, Rhea, Jupiter, Juno, Neptun, Minerva und die anderen Götter, die man im Heidentum verehrte, diese Luft seien oder sie hervorgebracht hätten. Er behauptete im Gegenteil, daß diese Luft nicht weniger ihr Ursprung sei als derjenige aller anderen Wesen, die das Universum ausmachen. Er legte diesem Ursprung eine ewige Bewegung bei; und wir können daraus schließen, daß er ihn als eine immanente Ursache ansah, die in sich selbst eine unendliche Anzahl von endlosen und unaufhörlichen Wirkungen hervorbrachte; und er zählte zu diesen Wirkungen nicht nur die Sterne, die Meteore, die Pflanzen, die Steine und die Metalle, son45

Augustinus, De civitate dei, Buch VIII, Kap. 2, S. 711 meiner Ausgabe. Man sehe oben die Fußnote (15) des Artikels DIOGENES VON APOLLONIA. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 46 Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 10.

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dern auch die Götter und die Menschen. Eine solche Lehre war im Grunde Spinozismus, denn ihr zufolge war Gott oder das ewige und notwendige Wesen des Anaximenes die einzige Substanz, von welcher der Himmel und die Erde, die Lebewesen usw. nur Modifikationen waren. Thales vertrat vielleicht eine ähnliche Ansicht, denn er hatte gelehrt, das Wasser sei der Ursprung aller Dinge.47 Er hatte es vielleicht in dieser Hinsicht »Gott« genannt; es war der Gott, von dem er behauptete zu sprechen, wenn er sagte, daß der nicht erschaffene Gott das älteste aller Wesen sei.48 Er fügte hinzu, daß die Welt als Werk Gottes das schönste aller Wesen sei.49 Spinoza würde dem zustimmen; er leugnet nicht, daß Gott die Ursache aller Dinge sei, d. h. die immanente Ursache, die sich auf unendliche Art und Weise modifiziert, woraus all das hervorgeht, was man die Welt und das Universum im allgemeinen nennt. Wenn Thales außerdem sagt, die Welt sei belebt und voll von Geistern,50 so bedeutete das vielleicht, daß das Wasser, der Ursprung aller Dinge, der unerschaffene Gott, sich derart modifiziert hatte, daß es eine Seele gebildet hatte, die sich in alle Körper erstreckte, und besondere Geister, die den Göttern ähnlich waren, die man im Heidentum anbetete. Dies würde helfen zu verstehen, was man anderswo51 gelesen hat und was zweifellos sehr überraschend ist, daß nämlich Thales und die anderen Naturphilosophen vor Anaxagoras die Entstehung der Welt ohne Beteiligung der Vorsehung des göttlichen Verstandes erklärt haben. Thales und Anaximenes hüteten sich davor, hier von ihr Gebrauch zu machen, weil der eine das Wasser, der andere die Luft als den ewigen und unerschaffenen Ursprung aller Dinge annahm. Denn wenn sie diesen allgemeinen und un-

47

Diogenes Laertius, Buch I, Nr. 27. (…). Diogenes Laertius, Buch I, Nr. 35. 49 Man sehe die voranstehende Fußnote. 50 (…). Diogenes Laertius, Buch I, Nr. 27. Man sehe auch Aristoteles, De anima, Buch I, Kap. 5. 51 In Anmerkung (D) des Artikels ANAXAGORAS. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 48

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erschaffenen Ursprung zur Vermeidung von Logomachien auch »Gott« nannten, so konnten sie ihn doch nicht als eine intelligente Ursache betrachten, die älter wäre als die besonderen Wesen, die er schuf, weil er sie in sich selbst und aus sich selbst wie eine immanente und nicht wie eine äußere Ursache hervorbrachte, die von der Materie verschieden wäre. Weil aber Anaxagoras der erste52 gewesen ist, der einen von der Materie der Welt verschiedenen Geist anerkannte, einen reinen und nicht mit den Körpern vermischten Geist, so mußte er anders folgern, als die ihm vorausgegangenen Naturphilosophen es getan hatten. Er konnte, indem er folgerichtig schloß, sagen, daß die Welt entsprechend der Lenkung eines Geistes erschaffen worden ist, der die Teile der Materie entwirrte und ordnete. Seine Lehre ließ eine der Erschaffung der Welt vorausliegende Intelligenz zu; die anderen Lehren ließen der Welt nur das Chaos vorangehen oder das Wasser oder die Luft usw., und sie mußten so den intelligenten Naturen nicht weniger als den gröbsten Geschöpfen einen Anfang geben. Alles war durch Zeugung oder Hervorbringung aus dem ersten Ursprung hervorgegangen. Jupiter, der höchste der Götter, sein Vater Saturn, sein Großvater der Himmel, sein Urgroßvater der Äther und alles, was man in aufsteigender Linie noch nennen kann, war ein besonderes Wesen, das seinen Ursprung, seine Geburt und sein Dasein der ewigen und unerschaffenen Materie verdankte, die der Ursprung aller Dinge war – Hesiod zufolge das Chaos, Thales zufolge das Wasser, Anaximenes zufolge die Luft. Aber, so wird man einwenden, gab Thales nicht zu, daß die Götter sogar die Gedanken der Menschen kannten?53 Was macht das? werde ich antworten. Man kann daraus nur schließen, daß er einigen der Wesen, die das Wasser erzeugt hatte und die man Jupiter, Juno, Venus, Neptun usw. nannte, eine sehr weitreichende Erkenntnis verlieh. Man beachte, daß Homer, der die Macht der Götter so prachtvoll beschreibt, sie alle aus dem Ozean geboren sein läßt: »Und Okeanos, den Va52 53

Man sehe dieselbe Anmerkung. (…). Diogenes Laertius, Buch I, Nr. 36.

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ter der Götter, und die Mutter Tethys.«54 Die große und ungeheuerliche Absurdität dieser Lehren besteht darin zu sagen, die Götter, die ein großes Wissen schmückt, seien von einem Prinzip erschaffen worden, das nichts erkannte; denn weder das Chaos noch die Luft und das Meer sind denkende Wesen. Wie also können sie die vollständige Ursache dieser göttlichen Naturen gewesen sein, die in dem System der Dichter und der ältesten Naturphilosophen so viele Dinge wußten? Allein so falsch und unsinnig diese Lehren auch sein mögen, ich bin nicht länger erstaunt, daß sie von Philosophen angenommen werden konnten. Die Mehrzahl von ihnen meinte, die menschliche Seele sei körperlich.55 Sie glaubten also, daß sie sich aus feinsten Blut- oder Samenteilchen bildete. Hat man diesen Schritt erst einmal getan, so gelangt man in kurzer Zeit sehr weit. Man setze die Erfahrung beiseite und befrage lediglich die theoretischen Begriffe, so wird es nicht leichter erscheinen, daß eine in der Gebärmutter empfangene Materie sich in ein Kind verwandelt, das durch kräftiges Essen und Trinken ein Mann von großem Geist wird, als daß ein Kind von einem Baum geboren wird. Auf dieser Grundlage hält es ein Heide für möglich, daß die Menschen zu Beginn entweder aus dem Schlamm der Erde oder aus irgendeiner vom Himmel gefallenen Flüssigkeit geboren wurden.56 Sobald das möglich erscheint, schreitet man leicht zum Glauben an das voran, was die Dichter über die Geburt der Venus behaupten.57 Man findet es nicht länger seltsam, daß durch die Gärung, die das Chaos entwirrte oder die verschiedenen Grade von Verdünnung und Verdickung in der unendlichen Ausdehnung hervorbrachte, die Sterne am Firmament und die Götter im Himmel

54

Homer, Ilias, Buch XIV, Vers 201. Man sehe Plutarch, De placitis philosophorum, Buch IV, Kap. 3, S. 898 und Aristoteles in Buch I von De anima. 56 Man sehe oben die Anmerkung (B) des Artikels ARKESILAOS, der Philosoph. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 57 Man sehe oben die Anmerkung (C) des Artikels DIOGENES VON APOLLONIA. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 55

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wie die Pflanzen und die Tiere auf der Oberfläche der Erde begonnen haben zu existieren. Die gewöhnliche Meinung der Heiden über die göttliche Natur nahm nur einen graduellen Unterschied zwischen den Göttern und den Menschen an. Als Konsequenz hieraus nun hinderte nichts daran, daß man sich vorstellte, die am feinsten verdünnten Teile der Materie hätten die Götter gebildet, während diejenigen, die massiv und grob geblieben waren und die, wie die Hefe und der Bodensatz von allem, die Welt gebildet hatten, nicht fehlten, sich in Menschen zu verwandeln. Man beachte, daß man sich einbildete, es reiche zur Belebung dieser groben und irdischen Teile aus, daß einige geistige Partikel vom Himmel fielen; und daher kommt es, daß Lukrez den himmlischen Ursprung der lebenden Körper anerkannte. »Schließlich sind wir alle aus himmlischem Samen hervorgegangen und haben alle denselben Vater. Von ihm empfing die nährende Mutter Erde flüssige Tropfen der Feuchtigkeit. Sie bringt üppige Früchte, blühende Bäume und auch das menschliche Geschlecht hervor; sie gebärt alle Arten wilder Tiere, indem sie Speisen darbietet, von denen sich alle Körper ernähren, ein angenehmes Leben führen und Nachwuchs zeugen. Darum erhielt sie zu Recht den Namen ›Mutter‹.«58 Wir wollen aus alledem schließen, daß nichts gefährlicher und verderblicher ist als die Einführung eines falschen Prinzips. Das ist schlechte Hefe, die auch in geringer Menge den ganzen Teig verderben kann. Ist eine Absurdität erst einmal aufgestellt, so zieht sie viele andere nach sich. Man täusche sich nur über die Natur der menschlichen Seele, man bilde sich fälschlicherweise ein, sie sei keine von der Ausdehnung verschiedene Substanz, so wird dieser Fehler im Stande sein, euch glauben zu machen, es gäbe Götter, die im Anfang durch Gärung entstanden wären und sich in der Folge durch Heirat vervielfältigt hätten. Ich kann nicht schließen, ohne eine Sache anzumerken, die mich in Erstaunen versetzt. Nichts scheint 58

Lukrez, Buch II, Vers 990 ff. Man füge dem die Worte Vergils, Georg., Buch II, Vers 325 hinzu. (…).

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mir auf klarere und deutlichere Begriffe gegründet zu sein als die Immaterialität von allem, was denkt, und nichtsdestoweniger gibt es Philosophen im Christentum, die behaupten, die Ausdehnung sei fähig zu denken;59 und das sind Philosophen von sehr großem Verstand und sehr gründlichem Nachdenken. Kann man sich hiernach auf die Deutlichkeit der Begriffe verlassen? Aber sehen diese Philosophen denn nicht, daß sich die alten Heiden auf einer solchen Grundlage bis zu der Behauptung verirren konnten, alle intelligenten Substanzen hätten einen Anfang gehabt, und von Ewigkeit her wäre nur die Materie dagewesen? Das war die Ansicht des Philosophen Anaximenes, wie man oben gesehen hat. Das war auch die Lehre seines Lehrers Anaximander.60 Man hilft dieser Schwierigkeit auch nicht durch den Zusatz ab, daß die Materie nur durch ein ganz besonderes Geschenk Gottes zu einer denkenden werde. Das würde nichts an der Wahrheit ändern, daß sie ihrer Natur nach empfänglich für das Denken ist und daß es, um sie zu einer tatsächlich denkenden zu machen, genügt, sie zu bewegen oder sie in einer bestimmten Weise anzuordnen; woraus folgt, daß eine ewige, vernunftlose, jedoch bewegte Materie in der Lage gewesen wäre, Götter und Menschen hervorzubringen, wie es die Dichter und einige Philosophen des Heidentums törichterweise behauptet haben.

59

Man sehe oben die Anmerkung (L) des Artikels DIKAIARCH, Schüler des Aristoteles. 60 (…). Cicero, Acad. quaest., Buch II, folio 211 B. (…). Ders., De natura deorum, Buch I, Kap. 10.

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(N) Ernsthafte Leute (---) versuchten die Märchen der Dichter entweder allegorisch oder mit wissenschaftlichen Lehrsätzen zu erklären; aber das war ein ebenso lächerliches Unternehmen wie dasjenige der Dichter. Wir haben oben gesehen,79 wie Cicero sich über den Philosophen Chrysipp lustig machte, der viel Mühe darauf verwendet hatte, die Fabeln der alten Dichter mit der Theologie der Stoiker zu versöhnen. Hier ist eine Passage, die uns eine Probe dieser Arbeit liefern wird: »Dieses von Zenon behandelte Thema ist später von Kleanthes und Chrysipp ausführlicher entwickelt worden. Denn in Griechenland herrscht ja von alters her die Meinung, der Himmelsgott Caelus sei von seinem Sohn Saturn entmannt und dieser seinerseits von seinem Sohn Jupiter in Fesseln gelegt worden. In diesen frevelhaften Geschichten ist ein beachtlicher wissenschaftlicher Sinn enthalten. Man wollte nämlich, daß das himmlische, höchste und ätherische Wesen, d. h. das feurige Wesen, das alles aus sich selbst hervorbringt, denjenigen Körperteil nicht besitzt, der zur Fortpflanzung die Verbindung mit einem anderen erfordert. Saturn aber sollte das Wesen sein, das den Lauf und den Wechsel von Raum und Zeit umfaßt. (---). Saturn wird er aber genannt, weil er sich an den Jahren sättigt: Man sagt ihm nämlich nach, er pflege seine eigenen Kinder zu verschlingen, weil die Zeit die einzelnen Zeitabschnitte verzehrt und die verflossenen Jahre unersättlich verschlingt. Er wurde jedoch von Jupiter gefesselt, damit seine Bahnen nicht unregelmäßig verliefen und um ihn mit Fesseln an die Gestirne zu binden.«80 Das genügt, um die Lächerlichkeit dieser Erklärungen völlig einzusehen. Man kann sie nicht lesen, ohne Mitleid mit diesen Philosophen zu empfinden, die ihre Zeit so schlecht genutzt haben. Und wenn man auf der einen Seite die schlimmen Folgen der Einbildungen der Poeten beklagt und die zügellose Freiheit, mit der sie ihr Spiel mit eiFußnote (49) des Artikels CHRYSIPP, der Philosoph. 具Diese Fußnote nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 80 Cicero, De natura deorum, Buch II, Kap. 24 f. 79

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nem Gegenstand getrieben haben, der so viel Achtung verdiente, so vergnügt man sich auf der anderen Seite an ihren gefälligen Erfindungen, solange man sie als ein Gedankenspiel betrachtet. Sieht man aber Philosophen, die in aller Ernsthaftigkeit Geheimnisse in diesen Torheiten suchen, dann kann man ihre Verirrungen nicht dulden und man hält ihnen diesen Spruch vor: »Schmählich ist es, sich mit poetischen Kleinigkeiten abzugeben, und töricht ist die Arbeit an Albernheiten.«81 Das größte Übel ist, daß sie, um eine Gottlosigkeit zu vermeiden, in eine andere gefallen sind. Denn indem sie die beseelten und lebenden Götter der Dichter zurückwiesen, haben sie andere Götter an deren Stelle gesetzt, die weder Leben noch Erkenntnis besaßen. Wir wollen den Vorwurf sehen, den Cicero ihnen gemacht hat. »Eben derselbe (Zenon) erklärt an anderer Stelle zwar den Äther für eine Gottheit – sofern man sich einen Gott vorstellen kann, der nichts empfindet und der uns niemals weder in Gebeten noch in Wünschen noch in Gelübden entgegentritt. In anderen Büchern aber hält er eine vernünftige Gesetzmäßigkeit, die sich über die ganze Natur erstreckt, für mit göttlicher Kraft ausgestattet. Dieselbe Eigenschaft spricht jener Philosoph den Gestirnen, den Jahren, den Monaten und dem Wechsel der Jahreszeiten zu. Wenn er aber Hesiods Theogonie erklärt, beseitigt er die gewöhnlichen und bekannten Vorstellungen von den Göttern völlig. Denn er zählt weder Jupiter noch Juno noch Vesta noch irgendeine andere von den Gestalten, die so genannt werden, zu den Göttern, sondern lehrt, daß diese Namen unbeseelten und stummen Dingen aufgrund eines bestimmten Wortsinnes beigelegt wurden.«82 Durch diese falschen Interpretationen haben sie die Menschen daran gewöhnt, das Himmelsgewölbe, das wir über uns sehen, für Jupiter zu halten. (…). Was Juno betrifft, so hat man sie, wie Cicero uns lehrt, darauf zurückgeführt, die Luft zu sein. »Die Luft aber, die nach stoischer Auffassung zwischen Meer und Himmel liegt, wird unter dem Namen ›Juno‹ verehrt. Sie 81 82

Martial, Epigrammat., Buch II, 86. Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 14.

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ist die Schwester und Gemahlin Jupiters, weil sie dem Äther ähnlich ist und mit ihm in engster Verbindung steht. Man hat die Luft zu einem weiblichen Wesen gemacht und es der Juno beigelegt, weil es nichts Sanfteres gibt als die Luft.«84 Welcher Seite dieser Lehre man sich auch zuwendete, man konnte weder Absurditäten noch Gottlosigkeiten vermeiden. Zum Beweis wollen wir diesen Philosophen ein paar Fragen stellen. Ihr glaubt also, daß der Jupiter der Dichter und der Jupiter, den man auf dem Capitol und an allen anderen Orten verehrt, der weite Raum ist, in dem wir so viele Sterne sehen; und daß diese Juno, die Schwester und Gemahlin Jupiters, die so eifersüchtig, so stolz, so mächtig ist und der die Argiver und die anderen Völker so große Ehren erweisen, die Luft ist, welche die Erde umgibt, die in die Lungen der Lebewesen eindringt und aus der sich die Wolken, der Regen usw. bilden? Aber liegt es nicht auf der Hand, daß dieser himmlische Raum und diese Luft ein Teil der Materie der Welt sind und daß die Materie als solche nicht denkt? Erkennt man nicht deutlich, daß die Luft nicht mehr Leben und Erkenntnis besitzt als der Schnee und der Hagel? Wenn also Juno nichts anderes als die Luft ist, so ist es lächerlich, Gebete an sie zu richten und ihr Opfer darzubringen, denn sie versteht nichts und sie erkennt nichts, und so stürzt eure Lehre geradewegs die Religion um. Das ist ein materialer Atheismus; ihr nehmt Juno ihre ganze Göttlichkeit, ihr laßt ihr nur den eitlen und unbestimmten Namen »Gottheit«. Und ihr seid absurder als Epikur, wenn ihr dasjenige anbetet, was lediglich ein illusorischer und erdichteter Name ist. Juno ist hier nur ein Beispiel; Jupiter, Neptun und all die anderen Gottheiten fallen sämtlich wie sie aufgrund des gleichen Arguments dahin. Wenn ihr sagt, ihr betrachtet in eurer Behauptung, Juno sei die Luft, die Luft nicht als einen einfachen Körper, so erklärt mir bitte, was ihr anderes darunter versteht. Behauptet ihr, daß die Luft mit der Göttin Juno vereinigt sei, daß sie der Luft als Seele und die Luft dieser Gottheit als Körper diene? Aber heißt das nicht, eine Art Lebewesen anzuneh84

A. a.O., Buch II, Kap. 26.

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men, von dem wir keinerlei Begriff haben? Besagt der Begriff eines Lebewesens nicht eine Zusammensetzung von Teilen, die ein vollständiges Kontinuum ergeben? Schließt er nicht das aus, was man eine diskrete Quantität nennt, und ist es nicht sicher, daß die Teile der Luft sich kontinuierlich voneinander trennen und daß der kleinste in die Luft geworfene Stein dort eine Auflösung des Kontinuums herbeiführt, die eine schmerzhafte Verletzung darstellen müßte, wenn die Luft ein Lebewesen wäre? Welcher Unbill setzt ihr die Göttlichkeit Junos aus, indem ihr sie zur Seele der Luft macht? Empfängt sie nicht unaufhörlich unzählige Wunden? Wenn ihr mir antwortet, diese Gottheit sei mit der Luft vereinigt, nicht um ihr als Seele zu dienen, sondern lediglich, um sie handeln zu lassen, so fallt ihr in eine andere Absurdität, die nicht weniger lächerlich ist, als wenn wir sagen würden, der Steuermann sei das Schiff und der Reiter das Pferd. Werdet ihr mir entgegenhalten, es gebe einen großen Unterschied zwischen diesen Dingen, denn ein Steuermann sei nicht so mit einem Schiff vereinigt, wie Juno mit der Luft? Dann erklärt mir doch diese Vereinigung und gebt sorgfältig auf die Schwierigkeiten acht, die Aristoteles euch vorhalten wird, wenn er sagt, es sei wider die Vernunft, daß die Luft und das Feuer Lebewesen seien, daß es aber im Falle, sie hätten eine Seele, absurd sein würde, wenn sie keine wären. Man prüfe seine Worte sorgfältig: »Aus welchem Grund erschafft die Seele, wenn sie nämlich der Luft oder dem Feuer innewohnt, keine Lebewesen, wohl aber in den Mischungen; insbesondere, weil es so scheint, daß sie in jenen vortrefflicher ist? Auch könnte man fragen, weshalb diese Seele, die in der Luft ist, vorzüglicher und unsterblicher ist als diejenige, die den Lebewesen innewohnt. Auf beiden Seiten kommt etwas Absurdes und Unvernünftiges heraus, denn es ist unvernünftig, das Feuer oder die Luft ein Lebewesen zu nennen, und andererseits ist es völlig ungereimt zu behaupten, sie seien keine Lebewesen, wenn ihnen eine Seele innewohnt.«85 Ihr befindet euch hier 85

Aristoteles, De anima, Buch I, Kap. 5, S. 485 meiner Ausgabe in Bd. I der Opera.

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zwischen zwei Abgründen. Wenn Juno die Seele der Luft ist, ohne daß die Luft und sie ein Lebewesen konstituieren, so ist das eine unhaltbare Absurdität; und wenn sie ein Lebewesen konstituieren, dann ist das eine Absurdität und eine entsetzliche Gottlosigkeit. Karneades hat euch hinsichtlich der behaupteten Existenz dieser Art von Lebewesen mit der ihm eigenen unüberwindlichen Stärke derart zu Boden geschlagen, daß ihr euch davon nie wieder erholen werdet.86 Ich werde mit einer Überlegung schließen, die mir Pausanias liefert. Er berichtet, daß er eines Tages mit einem Sidonier in einem Äskulaptempel disputierte. Dieser Mann behauptete, die Phönizier seien viel geschickter als die Griechen in den theologischen Dingen, und in den anderen ebenfalls. Sie sagen, fügte er hinzu, Äskulap sei Apollos Sohn, aber sie behaupten nicht, daß eine Frau seine Mutter gewesen sei; denn er ist die Luft, die Quelle der Gesundheit sowohl der Menschen als auch der Tiere. Apollo, der die Sonne ist, gilt zu Recht als der Vater Äskulaps, weil er durch den Wechsel der Jahreszeiten, den seine Bewegung herbeiführt, die Luft gesund macht. Pausanias hat all diesen Darlegungen zugestimmt, aber er behauptete, daß sie auf die Phönizier nicht mehr als auf die Griechen zuträfen und daß es selbst für Kinder feststehe, daß die Gesundheit der Menschen eine Wirkung der Bewegung der Sonne ist.87 Man beurteile hieraus die Rechtgläubigkeit der Heiden. Diejenigen, die stolz darauf waren, die Lehren der Theologie besser zu verstehen, zeigten, wenn sie sich deutlich erklärten, daß sie keine anderen Götter als die Luft, die Sterne usw. anerkannten. Das war im Grunde ein wahrer Atheismus; das hieß, die Notwendigkeit der Natur in Gott zu verwandeln. Mir ist eine Stelle bei Euripides aufgefallen, an der man Jupiter anruft, ohne wirklich zu wissen, was er ist. Man bekennt, daß er auf geheimen Wegen alle Dinge gerecht lenkt, aber man hält es für sehr schwierig, ihn zu erkennen, und man weiß nicht, ob er die 86

Man sehe seine Argumente bei Cicero in Buch III von De natura deorum, Kap. 17. 87 Nach Pausanias, Buch VII, Kap. 23, S. 583.

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Notwendigkeit der Natur oder der menschliche Verstand ist. Was für ein Glaube! Ein Spinozist würde das beinahe unterschreiben. »Der du die Erde trägst und deinen Sitz auf der Erde hast. Wer auch immer du bist, unerforschlich für unseren Geist, Jupiter, ob du die Notwendigkeit der Natur oder der Geist des Menschen bist, dich rufe ich an, der du nämlich alle menschlichen Angelegenheiten auf geheimem Wege gerecht lenkst.«88

88

Hecuba bei Euripides, Troades, Vers 884, S. 107 meiner Ausgabe.

KONSTANZ

konstanz, eine Stadt in Deutschland, die zwischen zwei vom Rhein gebildeten Seen liegt, ist recht lange eine Republik gewesen und hat sich, um ihre Freiheit besser erhalten zu können, welche die Fürsten des Hauses Österreich ihr rauben wollten, mit den Städten Zürich, Lindau und Überlingen verbunden. Sie hat den Papismus im Jahr 1523 abgeschafft, aber da sie im Jahr 1548 mit der Reichsacht belegt wurde, fand sie sich von Kaiser Karl V. so unter Druck gesetzt, daß sie sich ihm unterwarf. Damals haben sich die meisten Protestanten und namentlich Ambrosius Blaurer, ihr wichtigster Pastor, an andere Orte zurückgezogen. Seit dieser Zeit gehört Konstanz zum Hause Österreich,a und Moréri hat sich arg getäuscht, wenn er zweimal sagt, sie sei eine Reichsstadt. Sie schloß sich im Jahr 1531 dem Schmalkaldischen Bund an,b und das war zweifellos einer der Gründe, die Karl V. dazu brachten, sie nach dem Sieg über diesen Bund zu unterjochen. Die Schweden haben Konstanz im Jahr 1633 unter der Führung des Marschalls Horn belagert, konnten die Stadt jedoch nicht einnehmen. Die Belagerten haben ein Tagebuch geführt, in dem sie wohlgefällig von vielen »Wundern oder außergewöhnlichen Zeichen des Schutzes von oben« berichten, »die zu ihren Gunsten während der Belagerung geschahen«c (A). Ein Protestant hat eine kleine Kritik dazu verfaßt (B).

a b c

Aus Matthäus Dresser, Isag. histor., Teil V, S. 196 ff. Münster, Cosmogr. S. 397 meiner Ausgabe. Spanheim, Mercure suisse, S. 372.

Konstanz

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(A) Die Schweden haben Konstanz (---) im Jahr 1633 (---) belagert. Die Belagerten haben ein Tagebuch geführt, in dem sie wohlgefällig von vielen Wundern (---) berichten, die zu ihren Gunsten während der Belagerung geschahen. »Die wichtigsten sind 1) die wider alles Erwarten erhaltenen Vorteile an der schwächsten Stelle ihrer Stadt; 2) der Mut und die unglaubliche Entschlossenheit sowohl ihrer Bürger als auch ihrer Soldaten sowie das gute Einverständnis, das zwischen beiden herrschte; 3) der häufig und zur rechten Zeit in die Stadt geschaffte erforderliche Nachschub sowie der bewundernswürdige Umstand vorteilhafter Winde, um ihn dorthin zu bringen, obwohl die Windrichtung in dieser Gegend gewöhnlich sehr ungünstig und der See in diesen Monaten häufig stürmisch ist; 4) der geringe Schaden, der durch die Granaten und Feuerkugeln angerichtet wurde, obgleich man eine ungeheure Zahl davon abgefeuert hat, die ausreichen konnte, die Stadt in Schutt und Asche zu legen und die Einwohner an den Bettelstab zu bringen; 5) der Wasserstand des Rheins, der gewöhnlich fällt, sobald die Hitze des Sommers vorüber ist, der aber weiter anstieg und eine der Mühlen der Stadt so reichlich mit Wasser versorgte, daß die Eingeschlossenen während der gesamten Zeit der Belagerung genügend Wasser für die Notwendigkeiten des Lebens zur Verfügung hatten. Sie bekräftigen dies durch den Bericht ihrer Müller, wonach dieses Übermaß an Wasser abfloß, sobald die Feinde abgezogen und die fremden Truppen entlassen waren. 6) Ganz Religiöse haben hinzugefügt, daß sie am vierten Tag der Belagerung die selige Jungfrau sahen, die am hellichten Tage über der Augustinerkirche in außergewöhnlichem Glanz schwebte. Auch die schwedischen Schildwachen werden in diesem Tagebuch erwähnt. Sie hätten, so heißt es, ähnliche Erscheinungen gesehen und ein mehr als engelhaftes Gesicht, das sich nah bei den Kanonieren die Mauer entlang vom Turm von Rewenegg bis zum Kreuzlinger Tor bewegte.«1 1

Spanheim, Mercure suisse, S. 372 ff.

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(B) (---). Ein Protestant hat eine kleine Kritik dazu verfaßt. Friedrich Spanheim, der Prediger in Genf war, als er den Mercure Suisse schrieb, und der mir die voranstehende Anmerkung geliefert hat, fügt folgendes hinzu: »Die Schweden fanden nichts dergleichen weder in ihren Verzeichnissen noch in dem Rapport ihrer Leute und merkten an, daß der Verfasser des Tagebuchs oft von seinem Gedächtnis getäuscht wird und sich am Ende seines Berichts nicht mehr an die Angst seiner Leute erinnert, die er am Anfang des Berichts zugegeben hatte, noch an die Verwüstungen in der Stadt und an die Belegung ihrer Hospitäler, noch an ihre Totenregister, welche die Wirkung der Granaten ausreichend bewiesen. Auch hielten sie den Einzug vieler Truppen in die Stadt, die zu verschiedener Zeit bei günstigen Bedingungen des Sees dorthin gebracht wurden, den Mangel an Schiffen und die Breite des Sees, die ihre Leute daran hinderte, jenen den Zugang anders als nur von weitem streitig zu machen, für die gefährlichsten Vorkommnise, die sie während der Belagerung sahen. Tatsächlich haben die Belagerten selbst in ihren Registern 5500 Männer verzeichnet, die, abgesehen von dem Regiment des Grafen von Wolffegg, das dort vor der Ankunft der Schweden stationiert war, während der Belagerung in ihre Stadt kamen. Die Stadt Überlingen schickte ihnen 200 Mann, Lindau 400, Bregenz 200, der Oberst von Mersy 1200, das Regiment von Embs 500, dasjenige von Altringen ebensoviele, der Oberst Comargo 1000, der Standortkommandant von Reinach 1000 und sein Leutnant 500. Die Schweden glaubten, daß eine so mächtige und so oft mit den erforderlichen Versorgungsgütern wiederholte Unterstützung nicht nur ausreichen könnte, um sich im Schutz von guten Bollwerken gegen 5000 oder 6000 Mann zu halten, die so kühn waren, sie unter vielfältigen Beschwerlichkeiten und in einem fremden Land zu belagern, sondern auch um sie zu zwingen, das Feld zu räumen, wenn diese Hilfstruppen genauso begierig auf Ehre wie auf die Erhaltung ihres Lebens gewesen wären.«2 2

A. a.O., S. 374 ff.

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Man sieht, daß dieser Prediger einen Teil der Wunder, deren sich die Einwohner der belagerten Stadt rühmten, als Unwahrheiten zurückweist. Der übrige Teil ist von solcher Art, daß es kein Land gibt, in dem man nicht Ähnliches beobachten könnte, wie daß der Wind, der Regen, das Anschwellen der Flüsse usw. militärische Unternehmen begünstigen oder behindern. Da es nun nicht wahrscheinlich ist, daß Gott die allgemeinen Naturgesetze außer Kraft setzt, außer in Fällen, in denen das Wohl seiner Kinder dies verlangt, darf man das, was gleichermaßen unter Ungläubigen und Gläubigen geschieht, nicht für ein Wunder halten. In allen Religionen jedoch sind die Leute stark geneigt zu glauben, sie seien durch wohltätige Wunder begünstigt; und wenn Friedrich Spanheim die Geschichte der erfolgreich durchgestandenen Belagerung einer protestantischen Stadt geschrieben hätte, so würde er vielleicht Beobachtungen gemacht haben, die denjenigen ähnlich gewesen wären, die er jetzt widerlegt.3 Es gibt Prediger, denen alles, was ihre Glaubensgemeinschaft betrifft, als Wunder erscheint. Jurieu beispielsweise findet sie allenthalben4 und letztens noch in den Dingen, die den Bewohnern der Cevennen zugestoßen sind.5 Aber Leute, welche die Kriegskunst verstehen sowie die Topographie des Landes, die Lage der Nachbarstädte und sämtliche Details des Aufstandes der Cevenner kennen, finden nichts Ungewöhnliches in seiner Dauer und seinen Umständen. Ich will nicht die Frage erörtern, ob ein Mensch, der überzeugt ist, daß ein gewisser Beistand von sekundären Ursachen die Unternehmungen des Feindes zunichte gemacht hat, vorgeben sollte, daß es hierbei Wunder gegeben habe, und ob er sich mit dem Argument rechtfertigen kann, er erwecke dadurch mehr ZuMan ziehe dasjenige hinzu, was in 具sc. Bayles. Hgg. 典 Continuation des Pensées diverses, S. 312 gesagt worden ist. 4 Man sehe ebendiese Continuation, S. 313. 5 Man sehe die Schrift, die er 1705 unter dem Titel Avis aux puissances de l’Europe usw. 具recte: Avis à tous les alliez, protestans et catholiques romains, princes et peuples, souverains et sujets, sur le secours qu’on doit donner aux soûlevez des Cevennes典 veröffentlicht hat. 3

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trauen in den Gemütern und mehr Anerkennung des göttlichen Schutzes; aber ich wage sehr wohl zu behaupten, daß er sich großen Illusionen hingibt, wenn er hofft, dadurch die Herrscher zu einem Krieg zu veranlassen. Jurieu mag solang schreien, wie er will, daß die Erhaltung der Camisarden eine ununterbrochene Folge von Wundern sei; die Fürsten wird das kaum erschüttern, wenn nicht andere politische Gründe, die sie besser kennen als er und auf die er sie nicht hinzuweisen braucht, sie dazu bringen, diesen Leuten zu helfen. Sie wollen bei einer Unternehmung klar sehen. Nun sind die künftigen Wunder aber ein Gegenstand des Glaubens und folglich ein dunkler Gegenstand.

MÂCON

mâcon, eine Stadt in Frankreich, an der Saône im Herzogtum Burgund. (…). Diese Stadt hat auf grausame Weise die Unruhen zu spüren bekommen, welche die Religionskriege in Frankreich im 16. Jahrhundert verursachten. Die Reformierten errichteten dort im Jahr 1560 eine Kirchec und vermehrten sich so stark, daß sie sich, als das Massaker von Vassy sie zwang, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen, ganz leicht zu Herren der Stadt machten.d Anfang Mai 1562 bemächtigten sie sich der Stadt ohne viel Gewalt und ohne Blutvergießen. Drei Tage später erfuhr man vom Bildersturm in Lyon, und es war den Predigern und Ältesten nicht möglich zu verhindern, daß die Einwohner von Mâcon ein gleiches taten; seitdem wurde die Ausübung der römischen Religion dort unterdrückt. Tavanes versuchte mehrere Male erfolglos, diese Stadt wiederzuerobern; aber schließlich verschaffte er sich geheime Verbindungen zum Feind, mittels derer er sie am 19. August 1562 durch einen Überraschungsangriff einnahm.e Nach einigen heftigen Straßenkämpfen machte er sich zum Bürgermeister. Man beging Plünderungen und Grausamkeiten aller Art, und damals trugen sich die Sprünge von Mâcon zu, von denen ich anderswo versprochen habe,f hier zu berichten. Ich erfülle mein Versprechen jetzt, und gleichzeitig wird man sehen, weshalb ich diese fürchterlichen Unruhen an verschiedenen Stellen dieses Werks behandele (C). Diese Sprünge sind noch nachhaltiger verewigt worden als die Sprünge auf der Insel Capri.

c

Theodore Beze, Histoire ecclesiastique, Buch III, S. 214. A. a.O., Buch XV, S. 407. e A. a.O., S. 422. f In der Anmerkung (C) des Artikels BEAUMONT. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 d

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(C) Man wird sehen, weshalb ich diese fürchterlichen Unruhen an verschiedenen Stellen dieses Werks behandele. Es wäre zur Ehre der Namen »Franzose« und »Christ« zu wünschen, daß die Erinnerung an all diese Unmenschlichkeiten sogleich ausgelöscht worden wäre und daß man sämtliche Bücher, die davon berichten, ins Feuer geworfen hätte. Wer es offenbar verwerflich findet, daß solche Geschichten aufgeschrieben werden, weil sie, wie man sagt,14 die Leser nur mit Verbrechen aller Art vertraut machen, hat bezüglich der Geschichte der heiligen Kriege in gewisser Hinsicht sehr recht. Sie erscheint außerordentlich geeignet, um einen unversöhnlichen Haß in den Gemütern zu schüren; und eins der erstaunlichsten Dinge ist für mich, daß die Franzosen unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit nach den Toleranzedikten in einer so großen Brüderlichkeit, wie wir es gesehen haben, zusammengelebt haben, obwohl sie beständig die Geschichten unserer Bürgerkriege in Händen hielten, in denen man von nichts anderem liest als von Plünderungen, Schändungen, Massakern, von umgestürzten Altären, Meuchelmorden, Meineiden und von Raserei. Das gute Einvernehmen wäre weniger bewundernswert, wenn jedem Bürger dasjenige unbekannt gewesen wäre, was die Geschichtsschreiber jeder Partei der anderen vorwarfen. Kann man mir also nicht vorhalten, ich hätte anscheinend die Absicht, diese Leidenschaften wiederzuerwecken und das Feuer des Hasses am Leben zu halten, wenn ich hier und da in meinem Werk die grausamsten Fakten der Geschichte des 16. Jahrhunderts erwähne – eines abscheulichen Jahrhunderts,15 im Vergleich zu dem die Gegenwart als ein goldenes Jahrhundert gelten kann, wie weit sie auch von der wahren Tugend entfernt sein mag? Es ist angebracht, daß ich diese Schwierigkeit ausräume. Ich sage also, daß ich so weit von der 14

Man sehe Mascardi, Discours sur l’histoire. Man ziehe das oben am Ende der Anmerkung (F) des Artikels LOGNAC Gesagte zu Rate. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 15

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Absicht entfernt bin, im Gemüt meiner Leser die Stürme der Raserei zu erregen, daß ich gern zustimmen würde, daß niemand sich jemals dieser Art von Ereignissen erinnern möge, wenn das bewirken könnte, daß jedermann in leidenschaftsloser Gemütsverfassung seine Pflichten besser erkennen und erfüllen würde. Da aber diese Angelegenheiten in einer zu großen Anzahl von Werken ausgebreitet sind, als daß man hoffen könnte, daß ein erkünsteltes Schweigen darüber hier irgend etwas Gutes bewirken könnte, wollte ich mir keinen Zwang antun und glaubte, ich müsse alles dasjenige ungeniert auflesen, was ich auf meinem Wege anträfe, und mich von der Verbindung leiten lassen, die sich unter den Gegenständen findet. Da aber alle Dinge zwei Seiten haben, darf ich nicht vergessen, daß man aus sehr guten Gründen wünschen kann, daß die Erinnerung an all diese fürchterlichen Ereignisse sorgfältig bewahrt wird.

Wer auf die Übel achthaben muß, welche die Bürgerkriege in Religionsangelegenheiten hervorgebracht haben Drei Gruppen von Menschen hätten es nötig, jeden Tag ihr Augenmerk darauf zu richten und sich diesbezüglich einen Merkzettel zu machen. Die Herrscher sollten sich jeden Morgen von einem Diener vorsagen lassen: »Foltert niemanden wegen seiner religiösen Meinung und dehnt das Recht des Schwertes nicht auf Gewissensfragen aus. Schaut Euch an, was Karl IX. und sein Nachfolger dadurch gewonnen haben; es ist ein wahres Wunder, daß die französische Monarchie durch ihren Katholizismus nicht zerstört worden ist. Derartige Wunder geschehen nicht jeden Tag, verlaßt Euch also nicht auf sie. Sie wollten dem Edikt vom Januar 具sc. 1562 典 nicht länger seine Geltung belassen, und so mußten sie nach mehr als dreißig Jahren voller Verzweiflung, nach tausend und abertausend Strömen vergossenen Bluts und tausend und abertausend Treulosigkeiten und Brandschatzungen einem vorteilhafteren Edikt zustimmen.« Die Verwalter der kirchlichen Angelegenheiten

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stellen die zweite Gruppe von Leuten dar, die das 16. Jahrhundert gut in Erinnerung behalten sollten. Wenn man zu ihnen von Toleranz spricht, glauben sie, die abscheulichste und gräßlichste aller Lehren zu hören; und um den weltlichen Arm für ihre Besessenheit zu gewinnen, schreien sie los, es bedeute, den Magistraten das köstlichste Kleinod aus ihrer Krone zu nehmen, wenn man ihnen nicht einmal mehr erlaube, Häretiker festzusetzen und zu verbannen. Wenn sie aber sorgfältig untersuchen würden, was man von einem Religionskrieg zu befürchten hat, dann wären sie bei weitem gemäßigter. »Ihr wollt nicht«, könnte man zu ihnen sagen, »daß diese Sekte Gott auf ihre Weise verehrt und ihre Ansichten predigt. Aber gebt acht, daß sie nicht Eure Tempel verwüsten und Euch selbst in Gefahr bringen, wenn sie, anstatt gegen Eure Lehren zu reden und zu schreiben, mit blanken Schwertern auf Euch losgehen. Was habt Ihr in Frankreich und in Holland durch die Anweisung zur Religionsverfolgung gewonnen? Verlaßt Euch nicht auf Eure große Zahl. Eure Herrscher haben Nachbarn, und folglich wird es Euren Sektierern nicht an Beschützern und an Hilfe fehlen, selbst wenn sie Türken wären.« Schließlich mögen die unruhigen Theologen, die so viel Vergnügen an Neuerungen finden, einen beständigen Blick auf die Religionskriege des 16. Jahrhunderts werfen. Die Reformatoren waren der unschuldige Anlaß dazu; keine Rücksicht durfte sie aufhalten. Weil es ihren Grundsätzen zufolge keinen Mittelweg gab, mußte man alle Papisten entweder auf ewig verdammt sein lassen oder sie zum Protestantismus bekehren. Aber man kann es nicht genug verachten, wenn Leute, die davon überzeugt sind, daß ein Irrtum nicht verdammenswert macht, das Eigentum nicht respektieren und lieber die öffentliche Ruhe stören, als ihre privaten Ansichten zu unterdrücken. Sie mögen also die Folgen ihrer Neuerungen und den Eingriff, den sie in das Gewohnte tun wollen, bedenken; und wenn sie sich dann ohne absolute Notwendigkeit dazu anschicken können, müssen sie die Seele eines Tigers und ein noch stählerneres Herz haben als derjenige, der als erster sein Leben einem Schiff anvertraute. Es ist unwahrscheinlich, daß sich unter den Protestanten jemals

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eine Partei erheben wird, die es unternähme, ihre Religion auf die Weise zu reformieren, wie die Protestanten die römische Kirche reformiert haben, d. h. ausgehend von einer Religion, die man notwendigerweise verlassen muß, wenn man nicht verdammt sein will; und so wären die Unruhen, die man von einer Partei zu befürchten hätte, die auf Neuerungen aus ist, weniger schrecklich als die des vergangenen Jahrhunderts. Die Feindseligkeiten wären hauptsächlich deshalb weniger hitzig als damals, weil keine der Parteien bei der anderen einen sinnlichen Gegenstand des Aberglaubens finden würde, den man zerstören, keine Lokalgottheiten oder Schutzheilige, die man zerbrechen oder zu Geld machen, keine Reliquien, die man verstreuen, keine Monstranzen und keine Altäre, die man umstürzen könnte.17 Es könnte also ein Protestant mit einem Protestanten im Streit sein, ohne daß all die Rasereien zu befürchten wären, die bei den Streitereien der Protestanten und Katholiken aufgetreten sind. Aber das Übel wäre immer noch verderblich genug, so daß es den Versuch lohnt, es zu verhindern, indem man diejenigen, welche die Streitereien allzusehr lieben, auf die Betrachtung der schrecklichen Übel hinweist, die jene verursacht haben, und indem man ihnen mit Nachdruck zeigt, daß die verderblichste Intoleranz nicht die der Herrscher ist, die das Recht des Schwertes gegen die Sekten ausüben, sondern daß es die der einzelnen Doktoren ist, die sich ohne zwingende Notwendigkeit gegen die durch die Voreingenommenheit des Volkes und durch die Gewohnheit begünstigten Irrtümer erheben und sie noch dann hartnäckig bekämpfen, wenn sie schon alles in Flammen stehen sehen.

17

Es ist wahrscheinlich, daß die Franzosen und die Spanier bei weitem weniger protestantisches Blut vergossen hätten, als sie es taten, wenn man sie durch die Zerstörung ihrer Altäre, ihrer Bilder, Reliquien usw. nicht in Wut versetzt hätte.

MAMMILLARIER

mammillarier, eine Sekte unter den Wiedertäufern. Mir ist die Zeit nicht genau bekannt, als sich diese neue Spaltung vollzog, aber man gibt die Stadt Haarlem als den Geburtsort dieser Untergruppe an.a Sie verdankt ihre Entstehung der Freiheit, die ein junger Mann sich nahm, seine Hand auf den Busen eines Mädchens zu legen, das er liebte und heiraten wollte. Diese Berührung kam der Kirche zu Ohren, und daraufhin beratschlagte man über die Strafe, die der Übeltäter erleiden sollte. Die einen behaupteten, er müsse exkommuniziert werden, die anderen sagten, sein Fehltritt verdiene Gnade, und wollten keinesfalls seiner Exkommunikation zustimmen. Der Streit wurde so heftig, daß es zu einem völligen Bruch zwischen den streitenden Parteien kam. Diejenigen, die Nachsicht für den jungen Mann gezeigt hatten, wurden »Mammillarier«b genannt (A). In gewisser Weise macht das den Wiedertäufern Ehre, denn es beweist, daß sie die sittliche Strenge viel ernster nehmen als diejenigen, die man in den spanischen Niederlanden »Rigoristen« nennt (B). Ich werde zu diesem Zweck eine gewisse Geschichte berichten, die man sich von dem Herrn Labadie erzählt (C). Ich habe gehört, daß verständige Leute vor einiger Zeit bei einer Unterhaltung behauptet haben, daß es niemals »Basiarier« oder »Oscularier«* unter den Wiedertäufern geben werde (D).

a

Man sehe Micraelius, Syntagma histor. eccles., S. 1012 der Ausgabe 1679. b Man sehe Stouppe, Religion des Hollandois, Brief III, S. 61 meiner Ausgabe. Man sehe auch das Syntagma von Micraelius, S. 1012. * 具Diese Kunstwörter sind offensichtlich in Anlehnung an die lateinischen Worte »basium« und »osculum« (Kuß) gebildet. Hgg. 典

Mammillarier

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(A) Mammillarier. Es ist nicht erforderlich, hier den Etymologen zu spielen. Jeder, der Französisch versteht, weiß, daß das Wort »mammelle«, das kein gutes Französisch mehr ist, dasselbe wie »teton« 具Busen 典 bedeutet.

(B) Die Wiedertäufer (---) nehmen die moralische Strenge viel ernster als (---) die Rigoristen (---) der spanischen Niederlande. Die nachsichtigsten Kasuisten, die Anhänger von Sánchez und Escobar, verdammen die Berührung der Brüste. Sie stimmen darin überein, daß dies eine Unzucht und eine Art der Wollust ist – eine der sieben Todsünden. Aber sie legen, wenn ich mich nicht täusche, dem Schuldigen lediglich eine sehr gelinde Buße auf; und in mehreren Staaten Europas sind sie beinahe gezwungen, dies wie die kleinen Fehltritte zu behandeln, die man quotidianae incursionis 具alltägliche Vorkommnisse 典 nennt. Man ist an diesen üblen Gebrauch in diesen Ländern so gewöhnt und er stellt ein so gewöhnliches Schauspiel mitten auf der Straße und insbesondere bei einfachen Leuten dar, daß die gemäßigten Kasuisten davon ausgehen, daß diese Gewohnheit die Hälfte des Vergehens tilgt. Sie glauben, daß man es nicht für einen allzu unanständigen Gebrauch der Freiheit hält und daß das Ärgernis des Betrachters sehr gering ist. Das ist der Grund, weshalb sie über diesen Artikel ihres Bekenntnisses leicht hinwegsehen. Ich glaube nicht, daß irgendein Rigorist jemals die Absolution seines Beichtkindes aus einem solchen Grunde aufgeschoben hätte, und zwar nicht einmal in den Gegenden, wo diese Art Tändelei wenig üblich ist und als eine derjenigen Freiheiten gilt, über die sich das schöne Geschlecht nachdrücklich zu erzürnen hat. So sind die Wiedertäufer die strengsten aller christlichen Moralisten, weil sie diejenigen zur Exkommunikation verurteilen, die den Busen einer Frau berühren, die sie heiraten wollen, und weil sie denjenigen die

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Kirchengemeinschaft aufkündigen, die einen solchen Liebhaber nicht exkommunizieren wollen.

(C) Ich werde eine gewisse Geschichte berichten, die man sich von dem Herrn Labadie erzählt. Jeder, der von dieser Person hat reden hören, weiß, daß er den Gläubigen beiderlei Geschlechts bestimmte geistige Übungen empfahl und sie zur inneren Sammlung und zum geistigen Gebet anhielt. Man berichtet, daß er, nachdem er einem seiner andächtigen Mädchen ein Thema zur Meditation vorgegeben und es nachdrücklich angewiesen hatte, sich diesem großen Gegenstand für mehrere Stunden völlig hinzugeben, sich ihm näherte, als er glaubte, es sei auf dem Gipfel seiner inneren Sammlung, und ihm die Hand auf den Busen legte. Das Mädchen stieß ihn brüsk zurück und bekundete ihm sein großes Erstaunen über diesen Vorgang und schickte sich an, ihn zu tadeln, als er ihm zuvorkam. »Ich sehe wohl, meine Tochter«, sagte er ganz gefaßt und mit andächtiger Miene zu ihm, »daß Ihr noch weit von der Vollkommenheit entfernt seid. Erkennt demütig Eure Schwachheit und erbittet von Gott Vergebung dafür, daß Ihr so wenig Aufmerksamkeit auf die Mysterien hattet, über die Ihr meditieren solltet. Wenn Ihr die ganze gebotene Aufmerksamkeit aufgebracht hättet, so hättet Ihr nicht wahrgenommen, was man an Eurem Busen tat. Aber Ihr wart so wenig von den Sinnen gelöst, so wenig in das Göttliche versenkt, daß Ihr keinen Augenblick brauchtet, um zu bemerken, daß ich Euch berührte. Ich wollte prüfen, ob Euer Eifer im Gebet Euch über die Materie erhob und Euch mit dem höchsten Wesen, der lebendigen Quelle der Unsterblichkeit und der Geistigkeit, vereinte; und ich sehe mit großem Schmerz, daß Eure Fortschritte sehr gering sind; Ihr klebt noch sehr am Irdischen. Schämt Euch deswegen, meine Tochter, und strebt danach, künftig die heiligen Pflichten des geistigen Gebetes besser zu erfüllen.« Es heißt, daß das Mädchen, das über ebensoviel gesunde Vernunft wie Tugend verfügte, über diese

Mammillarier

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Worte von Labadie nicht weniger entrüstet war als über seine Tat, und daß sie von einem solchen Herzensführer nichts weiter wissen wollte. Ich verbürge mich nicht für die Zuverlässigkeit all dieser Fakten; ich beschränke mich darauf zu versichern, daß es sehr den Anschein hat, daß einige dieser so durchgeistigten Frömmler, die den Leuten Hoffnung machen, daß eine starke Meditation die Seele verzücken und daran hindern werde, Handlungen des Körpers wahrzunehmen, den Vorsatz haben, ihre andächtigen Schülerinnen ungestraft zu betasten und noch Schlimmeres zu tun. Dessen beschuldigt man die Molinosisten. Ganz allgemein gibt es nichts Gefährlicheres für den Geist als die allzu mystischen und allzu ausgeklügelten Andachten, und zweifellos geht der Körper dabei einige Risiken ein; aber viele Leute wollen hierin gern betrogen sein.

(D) Es wird niemals Basiarier oder Oscularier unter den Wiedertäufern geben. Das wären Leute, die man von ihrer Glaubensgemeinschaft ausschlösse, weil sie nicht der Exkommunikation derjenigen würden zustimmen wollen, die ihre Liebsten küssen. Die Ansicht derer, die verneinen, daß man eine solche Spaltung erwarten könnte, hat folgende Grundlage. Sie ist, so sagen sie, nur in dem Falle möglich, daß es Kasuisten gäbe, die streng genug wären zu wollen, daß die Exkommunikation die Strafe für einen Kuß sein sollte, so wie es einige gab, die streng genug waren zu wollen, daß diese Buße dem auferlegt werden sollte, der die Brüste seiner Liebsten berührt hatte. Diese beiden Fälle sind keineswegs gleich. Die Gesetze der Galanterie gewisser Völker, so fahren sie fort, haben im Laufe von Generationen und besonders unter den Angehörigen des dritten Standes festgesetzt, daß die Küsse beinahe der erste und die Berührung der Brüste beinahe der letzte oder der vorletzte Gunsterweis sind. Wenn man unter derartigen Prinzipien erzogen worden ist, dann glaubt man durch Küsse nur Geringfügiges zu tun oder

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zu erdulden, und man glaubt durch das Anfassen des Busens etwas Erhebliches zu tun oder zu erdulden. Obgleich also die Verwalter der kanonischen Gesetze laut gegen den jungen Mann losgeschrieen haben, der von den Mammillariern beschützt worden ist, so folgt daraus nicht, daß sie auch gegen die andere Art der Galanterie losschreien würden. Sie würden sich der Gewohnheit unterwerfen und Freiheiten vergeben, die lediglich für die ersten Anfänge oder für das ABC liebkosender Höflichkeiten gehalten werden. Ich berichte diese Dinge nur, um zu zeigen, daß es keinen Gegenstand gibt, bis zu dem die Unterhaltung verdienstvoller Leute nicht gelegentlich abfällt. Es ist nicht unnütz, diese Schwäche geistreicher Leute bekannt zu machen. Hand aufs Herz, verdient eine solche Mutmaßung 具sc. ob es jemals Basiarier oder Oscularier unter den Wiedertäufern geben wird 典 wohl untersucht zu werden? Und wäre es überhaupt nicht viel besser, keine bestimmten Aussagen hinsichtlich dessen zu treffen, was künftig eintreten wird oder nicht? (…).

MANICHÄER

manichäer, Häretiker, deren schändliche Sekte durch einen gewissen Manes gestiftet worden ist. Sie hatte ihren Ursprung im 3. Jahrhundert, hat sich in verschiedenen Gegenden festgesetzt und lange Zeit bestanden. Gleichwohl lehrte sie Dinge von der Welt, die den größten Abscheu erregen mußten. Ihre Schwäche bestand nicht, wie es zunächst scheint, in der Lehre von zwei Prinzipien, einem guten und einem bösen, sondern in den eigentümlichen Erklärungen, die sie davon gab, und in den praktischen Folgerungen, die sie daraus zog. Man muß gestehen, daß diese falsche Lehre, die viel älter als Manes und unhaltbar ist, sobald man die hl. Schrift entweder ganz oder teilweise annimmt, recht schwer zu widerlegen wäre, wenn sie von heidnischen Philosophen vertreten würde, die im Disputieren geübt sind (D). Es war ein Glück, daß der hl. Augustinus, der sich so gut auf Auseinandersetzungen jeder Art verstand, sich vom Manichäismus abgewendet hat, denn er wäre in der Lage gewesen, ihn von den gröbsten Irrtümern zu befreien und aus dem Rest ein System zu errichten, das unter seinen Händen den Rechtgläubigen viel zu schaffen gemacht hätte. Papst Leo I. hat viel Tatkraft gegen die Manichäer bewiesen, und weil sein Eifer durch die kaiserlichen Gesetze unterstützt wurde, hat diese Sekte damals einen sehr harten Schlag erhalten. Sie wurde im 9. Jahrhundert in Armenien fürchterlich, wie ich an anderer Stelle sage,a und trat in Frankreich zur Zeit der Albigenser auf.b Das kann man nicht leugnen. Aber es ist nicht wahr, daß die Albigenser Manichäer gewesen wären.c Neben a

Im Artikel PAULICIANER, Anmerkungen (B) und (D). Man sehe Meaux 具sc. Jaques-Bénigne Bossuet, Bischof von Meaux. Hgg.典, Histoire des variations, Buch XI. c Man sehe Basnage, Hist. de la religion des eglises réformées, Teil I, Kap.4 ff. b

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anderen Irrtümern haben die letzteren auch gelehrt, daß die Seele der Pflanzen vernünftig sei, und sie haben den Ackerbau als ein mörderisches Geschäft verdammt. Ihren Anhängern haben sie ihn jedoch zugunsten ihrer Auserwählten erlaubt.

Nota bene Weil in diesem Artikel, in dem über die MARCIONITEN, über die PAULICIANER und in einigen anderen gewisse Dinge vorkommen, an denen sich viele Personen gestoßen haben und die ihnen geeignet erschienen, glauben zu machen, daß ich dem Manichäismus Vorschub leisten und bei christlichen Lesern Zweifel erregen wolle, so weise ich hier darauf hin, daß man am Ende dieses Werks eine Klarstellung findet, die zeigen wird, daß die Fundamente des christlichen Glaubens hierdurch nicht im geringsten beeinträchtigt werden.

(D) (---) recht schwer zu widerlegen wäre, wenn sie von heidnischen Philosophen vertreten würde, die im Disputieren geübt sind. Durch Gründe a priori würden sie bald in die Flucht geschlagen worden sein. Die Gründe a posteriori waren ihre Festung; in ihrem Schutz konnten sie lange kämpfen, und dort war es schwer, sie zu überwältigen. Durch die nachfolgende Darlegung wird man mich besser verstehen. Die sichersten und klarsten Begriffe der Ordnung lehren uns, daß ein Wesen, das durch sich selbst besteht, das notwendig und ewig ist, auch einig, unendlich, allmächtig und mit allen Arten von Vollkommenheit ausgestattet sein muß. Wenn man also diese Begriffe zu Rate zieht, so findet man nichts Absurderes als die Lehre von zwei ewigen Prinzipien, die voneinander unabhängig sind, von denen das eine keinerlei Güte besitzt und die Pläne des anderen vereiteln kann. Das nenne ich Gründe a priori. Sie führen uns zwangsläufig dahin, diese Lehre zu verwerfen und nur

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ein Prinzip aller Dinge gelten zu lassen. Wenn nichts weiter zu einem guten System erforderlich wäre, so wäre der Prozeß zur Beschämung Zoroasters und aller seiner Anhänger entschieden. Allein jedes System erfordert, wenn es gut sein soll, zweierlei: erstens, daß die Begriffe darin deutlich sind, und zweitens, daß es die Erfahrungen erklären kann. Man muß also sehen, ob sich die natürlichen Phänomene durch die Lehre eines einzigen Prinzips mühelos erklären lassen. Wenn die Manichäer gegen uns anführen, daß man notwendigerweise zwei erste Prinzipien annehmen müsse, weil man in der Welt mehrere Dinge findet, die einander entgegengesetzt sind, wie die Kälte und die Hitze, das Weiße und das Schwarze, das Licht und die Finsternis, so verdienen sie Mitleid. Die Gegensätzlichkeit, die sich zwischen diesen Dingen findet, mag durch dasjenige, was man Veränderungen, Unordnungen, Unregelmäßigkeiten der Natur nennt, so sehr unterstützt werden, wie man nur will; sie kann nicht die Hälfte eines Einwands gegen die Einheit, Einfachheit und Unveränderlichkeit Gottes erbringen. Man erklärt alle diese Dinge entweder durch die verschiedenen Fähigkeiten, die Gott den Körpern gegeben hat, oder durch die Bewegungsgesetze, die er festgesetzt hat, oder durch das Zusammentreffen der veranlassenden verständigen Ursachen, nach denen es ihm gefallen hat sich zu richten. Dies erfordert nicht die Quintessenzen, welche die Rabbiner erdichtet und die einem italienischen Bischof ein Argument ad hominem für die Inkarnation geliefert haben. (…). Sie 具sc. die Rabbiner 典 sagen, daß sich Gott mit zehn sehr reinen Geistern, Sefira genannt, vereinigt habe und mit denselben auf eine solche Art wirke, daß man ihnen alle Veränderungen und Unvollkommenheiten der Wirkungen zuschreiben müsse. (…). Man kann die Einfachheit und Unveränderlichkeit der Wege Gottes retten, ohne solchen Aufwand treiben zu müssen. Die alleinige Annahme von okkasionellen Ursachen reicht dazu aus, sofern man nur die körperlichen Erscheinungen zu erklären hat und den Menschen nicht einbezieht. Der Himmel und das ganze übrige Weltgebäude preisen den Ruhm, die Macht und die Einheit Gottes. Der Mensch allein, dieses Mei-

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sterstück seines Schöpfers unter den sichtbaren Dingen, der Mensch allein, sage ich, liefert sehr große Einwände gegen die Einheit Gottes, und zwar auf folgende Art: Der Mensch ist böse und unglücklich; jedermann weiß es durch das, was in seinem Inneren vor sich geht, und durch den Umgang, den er zwangsläufig mit seinem Nächsten hat. Es genügen fünf oder sechs Jahre,48 um von diesen zwei Punkten vollkommen überzeugt zu sein; wer lange lebt und stark in Geschäfte verwickelt ist, erkennt dies noch klarer. Reisen lehren es täglich; sie zeigen überall Monumente des Unglücks und der Bosheit des Menschen. Überall sind Gefängnisse und Krankenhäuser, überall Galgen und Bettler. Hier sieht man die Trümmer einer blühenden Stadt, anderswo kann man nicht einmal mehr Ruinen finden. (…). Ohne daß sie ihre Studierstube verlassen, erwerben Gelehrte die meiste Einsicht über diese zwei Punkte, denn sie lassen, wenn sie die Geschichte studieren, alle Jahrhunderte und alle Länder der Welt vor ihren Augen vorüberziehen. Die Geschichte ist eigentlich nichts als eine Sammlung der Verbrechen und Unglücksfälle des menschlichen Geschlechts. Aber wir wollen anmerken, daß diese zwei Übel, das moralische und das physische, nicht die ganze Geschichte und alle persönlichen Erfahrungen ausmachen. Man findet überall sowohl moralisch wie physisch Gutes, einige Beispiele von Tugend ebenso wie einige Beispiele von Glück, und eben darin liegt die Schwierigkeit. Denn wenn es nur böse und unglückliche Leute gäbe, bestünde kein Anlaß, auf die Lehre von den zwei Prinzipien zurückzugreifen. Es ist die Vermischung von Glück und Tugend mit Elend und Laster, die diese Lehre erforderlich macht. Hier findet Zoroasters Anhang seinen Schutz. (…). Damit man sieht, wie schwer es ist, dieses falsche System zu widerlegen, und damit man daraus schließt, daß man zu dem Licht der Offenbarung Zuflucht nehmen muß, um es zu zerstören, wollen wir hier ein Streitgespräch zwischen Melissus 48

In diesem Alter hat man schon böse Streiche ausgeteilt und empfangen, hat Kummer und Schmerz erlebt, hat mehrfach Verdruß gehabt usw.

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und Zoroaster fingieren. Sie waren beide Heiden und große Philosophen. Melissus, der nur ein Prinzip anerkannte, würde zunächst sagen, daß sein System mit den Begriffen der Ordnung auf bewundernswerte Weise übereinstimmt. Das notwendige Wesen ist nicht eingeschränkt. Es ist also unendlich und allmächtig, es ist also einig; und es wäre ungeheuerlich und widersprüchlich, wenn es keine Güte und das größte aller Laster hätte, nämlich eine essentielle Bosheit. »Ich gebe Euch zu«, würde Zoroaster erwidern, »daß Eure Begriffe gut zusammenhängen, und ich will Euch freimütig einräumen, daß Eure Lehren die meinigen in dieser Hinsicht übertreffen. Ich verzichte auf einen Einwand, den ich mir zunutze machen könnte, daß nämlich, weil das Unendliche alle Realitäten umschließen muß und die Bosheit53 nicht weniger ein reales Wesen ist als die Güte, das Universum es erfordert, daß es böse und gute Wesen gibt und daß, weil die höchste Güte und die höchste Bosheit nicht in einem einzigen Subjekt bestehen können, es in der Natur der Dinge notwendigerweise ein essentiell gutes und ein anderes essentiell böses Wesen geben muß. Ich verzichte auf diesen Einwand, sage ich,54 und lasse Euch also den Vorteil, daß Ihr den Begriffen der Ordnung näher kommt als ich. Aber erklärt mir doch ein wenig mit Eurer Lehre, woher es kommt, daß der Mensch böse und dem Schmerz und dem Kummer so unterworfen ist? Ich fordere Euch heraus, in Euren Prinzipien den Grund dieses Phänomens zu finden, wie ich ihn in den meinigen finde. Ich gewinne also den Vorteil zurück. Ihr übertrefft mich zwar in der Schönheit der Begriffe und in den Gründen a priori, ich aber übertreffe Euch in der Erklärung der Phänomene und in den Gründen a posteriori. Und weil das Hauptkennzeichen eines guten Systems darin besteht, daß man 53

D. h. die böse Tat. Ich mache diese Bemerkung, damit man mir nicht einwenden kann, daß das Böse nur ein Mangel sei. 54 Ich habe in dem Journal d’Italie vom 31. August 1674, S. 101, gelesen, daß Piccinardi in Buch III seiner Dogmatica philosophia peripatetica christiana die These widerlegt »Ein anderer Gott ist möglich«, die Père Pierre Conti gegen Columera behauptet hatte.

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in der Lage ist, die Erfahrungen zu erklären, und weil das bloße Unvermögen, sie zu erklären, schon beweist, daß eine Lehre nicht gut ist, so schön sie auch ansonsten erscheinen mag, so gesteht nur, daß ich durch Zulassung zweier Prinzipien das Ziel treffe, Ihr dasselbe aber verfehlt, da Ihr nur ein Prinzip zulaßt.« Zweifellos ist das der Kern der ganzen Sache. Hier ist die große Gelegenheit für Melissus. (…). Wir wollen Zoroaster weiterreden lassen. »Wenn der Mensch das Werk eines einzigen allergütigsten, allerheiligsten, allermächtigsten Prinzips ist, wie kann er dann den Krankheiten, der Kälte, der Hitze, dem Hunger, dem Durst, dem Schmerz, dem Kummer ausgesetzt sein? Kann er dann so viele böse Neigungen haben, so viele Verbrechen begehen? Kann die allergrößte Heiligkeit ein verbrecherisches Wesen hervorbringen? Kann die allerhöchste Güte eine unglückliche Kreatur schaffen? Wird die allerhöchste Macht, verbunden mit unendlicher Güte, ihr Werk nicht mit Gütern überhäufen, und wird sie nicht alles von ihm fernhalten, was es verletzen oder kränken kann?« Wenn Melissus die Begriffe der Ordnung zu Rate zieht, so wird er antworten, daß der Mensch nicht böse war, als Gott ihn schuf. Er wird sagen, daß der Mensch von Gott einen glücklichen Zustand erhalten habe; aber weil er dem Licht des Gewissens nicht gefolgt sei, das ihn nach der Absicht seines Schöpfers auf dem Weg der Tugend führen sollte, so sei er böse geworden und verdiene, daß Gott, der ebensowohl höchst gerecht wie höchst gütig ist, ihn die Folgen seines Zorns spüren lasse. Also ist nicht Gott die Ursache des moralischen Übels, aber er ist die Ursache des physischen Übels, nämlich der Bestrafung des moralischen Übels – einer Bestrafung, die, weit davon entfernt, daß sie mit dem höchst gütigen Prinzip unvereinbar wäre, notwendigerweise aus einer seiner Eigenschaften hervorgeht, will sagen: aus seiner Gerechtigkeit, die ihm nicht weniger wesentlich ist als seine Güte. Diese Antwort – die vernünftigste, die Melissus geben könnte – ist im Grunde schön und triftig; allein sie kann auch wieder durch Gründe bestritten werden, die etwas noch mehr

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Blendendes und Verblüffendes an sich haben. Denn Zoroaster wird nicht versäumen vorzubringen, daß, wenn der Mensch das Werk eines unendlich gütigen und heiligen Prinzips wäre, er nicht allein ohne das geringste wirkliche Böse, sondern auch ohne alle Neigung zum Bösen geschaffen worden wäre, weil diese Neigung ein Mangel ist, der kein derartiges Prinzip zur Ursache haben kann. Folglich bleibt nur zu sagen übrig, daß der Mensch, als er aus den Händen seines Schöpfers kam, nur die Kraft gehabt hat, sich aus sich selbst heraus zum Bösen zu bestimmen, und daß er allein dadurch, daß er sich dazu bestimmt hat, die Ursache des von ihm begangenen Verbrechens und des moralischen Übels ist, das in die Welt eingedrungen ist. Aber 1) haben wir keinen deutlichen Begriff, der uns begreiflich machen könnte, daß ein Wesen, das nicht durch sich selbst existiert, gleichwohl aus sich selbst heraus handelt. Zoroaster wird also sagen, daß der freie Wille, der dem Menschen gegeben wurde, nicht in der Lage ist, sich eine aktuale Bestimmung zu geben, weil er beständig und gänzlich durch das Handeln Gottes da ist. 2) wird er diese Frage stellen: »Hat Gott vorausgesehen, daß der Mensch bösen Gebrauch von seinem freien Willen machen würde?« Antwortet man ja, so wird er erwidern, es scheine nicht möglich, dasjenige vorauszusehen, was gänzlich von einer unbestimmten Ursache abhängt. »Aber ich will Euch auch zugeben«, wird er sagen, »daß Gott die Sünde seines Geschöpfs vorausgesehen hat, und ich schließe daraus, daß er verhindert haben würde, daß es sündigt, denn die Begriffe der Ordnung gestatten nicht, daß eine unendlich gute und heilige Ursache, die das Eindringen des moralischen Übels verhindern kann, dasselbe nicht verhindern sollte, zumal wenn sie voraussieht, daß sie sich durch Zulassung desselben verpflichtet sehen wird, ihr eigenes Werk mit Strafen zu überhäufen. Wenn Gott den Sündenfall des Menschen aber nicht vorausgesehen hat, so mußte er ihn doch wenigstens für möglich halten. Weil er sich also in dem Falle, daß er sich ereignen würde, verpflichtet gesehen hätte, seiner väterlichen Güte zu entsagen, um seine Kinder in der Rolle eines strengen Richters höchst elend zu machen, so würde er den

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Menschen zum sittlich Guten bestimmt haben, so wie er ihn zum physisch Guten bestimmt hat. Er würde nicht die geringste Kraft, sich der Sünde zuzuneigen, in der Seele des Menschen zurückgelassen haben, ebensowenig wie er ihm eine gelassen hat, sich dem Unglück, sofern es ein Unglück ist, zuzuneigen. Hierhin führen uns die klaren und deutlichen Begriffe der Ordnung, wenn wir demjenigen Schritt für Schritt folgen, was ein unendlich gutes Prinzip tun sollte. Denn wenn schon eine so eingeschränkte Güte wie es die von Vätern ist, notwendigerweise erfordert, daß sie, soweit es ihnen möglich ist, dem bösen Gebrauch zuvorkommen, den ihre Kinder von den Gütern machen könnten, die sie ihnen geben, so wird eine unendliche und allmächtige Güte noch mit viel größerem Grund den üblen Wirkungen ihrer Geschenke zuvorkommen. Anstatt ihnen den freien Willen zu geben, würde sie ihre Geschöpfe zum Guten bestimmen; oder wenn sie ihnen den freien Willen gäbe, so würde sie beständig auf eine wirksame Art darauf achten, ihre Sünde zu verhindern.« Ich glaube wohl, daß Melissus die Antwort nicht schuldig bleiben würde; allein alles, was er antworten könnte, würde sogleich mit ebenso plausiblen Gründen wie die seinen es sind, wieder bestritten werden, und so würde der Streit niemals ein Ende finden.55 Wenn Melissus zum Mittel der Retorsion greifen sollte, so würde er Zoroaster ziemlich verwirren; aber wenn er ihm einmal seine zwei Prinzipien eingeräumt hätte, so würde er ihm einen sehr breiten Weg lassen, um zur Entwicklung des Ursprungs des Übels zu kommen. Zoroaster würde in die Zeit des Chaos zurückgehen. Das ist ein Zustand, der im Hinblick auf seine zwei Prinzipien demjenigen sehr ähnlich ist, den Thomas Hobbes den Naturzustand nennt und der, wie er annimmt, der Gesellschaftsgründung vorausgegangen ist. In diesem Naturzustand war der Mensch dem Menschen ein Wolf; alles gehörte demjenigen, der es zuerst einnahm; niemand war 55

Dies alles wird in den Anmerkungen des Artikels PAULICIANER ausführlicher diskutiert.

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Herr über etwas, wenn er nicht der Stärkste war. Um aus diesem Abgrund herauszukommen, stimmte jeder zu, auf sein Recht auf alles zu verzichten, damit man ihm das Eigentum über etwas zugestehe. Man schloß Verträge, der Krieg hörte auf. Die zwei Prinzipien, die des Chaos überdrüssig waren, wo ein jedes vereitelte und umstürzte, was das andere machen wollte, kamen überein, sich zu vertragen. Ein jedes trat etwas ab, ein jedes hatte Teil an der Hervorbringung des Menschen und an den Gesetzen der Vereinigung der Seele. Das gute Prinzip erhielt diejenigen, die dem Menschen tausenderlei Vergnügen verschaffen, und gab seine Einwilligung zu denjenigen, die den Menschen tausenderlei Schmerzen aussetzen; und wenn das gute Prinzip einwilligte, daß das sittliche Gut im menschlichen Geschlecht unendlich kleiner sei als das sittliche Übel, so hielt es sich schadlos an einer anderen Gattung von Geschöpfen, wo das Laster um ebensoviel geringer sein würde als die Tugend. Wenn etliche Menschen in diesem Leben mehr Elend als Glück erfahren, so wird dies in einem anderen Zustand wieder ausgeglichen; was sie nicht unter menschlicher Gestalt finden, das finden sie unter einer anderen Gestalt.57 Durch diese Übereinkunft entwirrte sich das Chaos; das Chaos, sage ich, ein passives Prinzip, das der Kampfplatz zweier aktiver Prinzipien war. Die Dichter haben diese Entwirrung im Bilde eines beendeten Streits dargestellt. Dies hätte Zoroaster anführen und sich rühmen können, daß er dem guten Prinzip nicht zuschreibe, aus freiem Antrieb ein Werk hervorgebracht zu haben, das so böse und elend werden sollte, sondern erst, nachdem es gelernt habe, daß es weder besser fahren noch sich den abscheulichen Absichten des bösen Prinzips besser widersetzen könne. Um seine Lehre weniger anstößig zu machen, hätte er leugnen können, daß es einen langen Krieg zwischen diesen beiden Prinzipien gegeben habe, und er hätte alle diese Gefechte und Gefangenen vertreiben können, von denen die Manichäer geredet haben. Alles kann auf die sichere Erkenntnis 57

Man beachte, daß alle oder die meisten von denen, die zwei Prinzipien angenommen haben, die Seelenwanderung behauptet haben.

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zurückgeführt werden, welche die zwei Prinzipien gehabt haben, daß das eine von dem anderen diese oder jene Bedingungen niemals erhalten würde. Auf dieser Basis hätte die Übereinkunft für ewig geschlossen werden können. Man könnte diesem Philosophen tausend erhebliche Schwierigkeiten entgegenhalten. Aber weil er Antworten finden und schließlich verlangen würde, daß man ihm eine bessere Lehre an die Hand geben möge, und weil er behaupten würde, diejenige des Melissus gründlich widerlegt zu haben, so würde man ihn niemals zur Wahrheit zurückführen können. Die menschliche Vernunft ist zu schwach dazu; sie ist ein Prinzip des Zerstörens und nicht des Aufbauens. Sie ist zu nichts tauglich, als Zweifel zu erregen und sich nach rechts und links zu wenden, um einen Streit zu verewigen. Und ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich von der natürlichen Offenbarung, d. h. von dem Licht der Vernunft, sage, was die Theologen von der mosaischen Heilsordnung sagen. Sie sagen, daß sie zu nichts weiter tauglich war, als den Menschen seine Ohnmacht, die Notwendigkeit eines Erlösers und eines barmherzigen Gesetzes erkennen zu lassen. Sie war – in ihren Worten – ein Lehrer, um uns zu Jesus Christus zu führen. Wir wollen beinahe dasselbe von der Vernunft sagen: Sie ist zu nichts weiter tauglich, als den Menschen seine Blindheit und Ohnmacht und die Notwendigkeit einer anderen Offenbarung erkennen zu lassen. Das ist diejenige der Schrift. In ihr finden wir die Mittel, um die Lehre von den zwei Prinzipien und all die Einwände Zoroasters unüberwindlich zu widerlegen. Wir finden in ihr die Einheit Gottes und seine unendlichen Vollkommenheiten, den Sündenfall des ersten Menschen und das, was daraus folgt. Mag man uns, gestützt auf eine Fülle von Vernunftschlüssen, einwenden, es sei nicht möglich, daß sich das moralische Übel durch das Werk eines unendlich guten und heiligen Prinzips in die Welt eingeschlichen habe; wir werden antworten, daß dies gleichwohl geschehen und folglich sehr wohl möglich ist. Es gibt nichts Unsinnigeres, als gegen Tatsachen zu vernünfteln. Das Axiom Vom Wirklichen zum Möglichen geht ein gültiger Schluß ist so klar wie der Satz »Zwei und zwei ergeben

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vier«.59 Die Manichäer haben gesehen, was ich soeben angemerkt habe. Deshalb haben sie das Alte Testament verworfen; allein auch dasjenige, was sie aus der Schrift beibehalten haben, hat den Rechtgläubigen genügend starke Waffen geliefert. So hatte man nicht viel Mühe, diese Häretiker zu verwirren, die sich außerdem auf eine kindische Art in Schwierigkeiten verwickelten, wenn sie sich auf Details einließen. Weil uns nun die Schrift die besten Lösungen darbietet, so habe ich nicht unrecht gehabt zu sagen, daß ein heidnischer Philosoph in dieser Angelegenheit schwer zu überzeugen sein würde. Soweit diese Anmerkung. Allein so lang sie auch ist, so werde ich sie doch nicht beenden, ohne meinem Leser mitzuteilen, daß ich noch drei Bemerkungen zu machen habe, die ich in einen anderen Artikel verweise.61 Ich werde in der ersten sagen, ob die Kirchenväter immer gut gegen die Manichäer argumentiert haben und ob sie sie in die Ecke treiben konnten; in der zweiten, daß gemäß den Lehren des Heidentums die Einwände Zoroasters nicht sehr stark waren; und in der dritten, in welchem Sinne man sagen könnte, daß die Christen das System der zwei Prinzipien nicht verwerfen. Sie haben größere Mühe als die Heiden, diese Schwierigkeiten mit den Mitteln der Vernunft aufzuklären, weil sie Auseinandersetzungen untereinander über die Freiheit haben, bei denen der Angreifer stets der Stärkere zu sein scheint,62 und auch, weil die kleine Zahl der Auserwählten und die Ewigkeit der Höllenstrafen Einwände liefern, die Melissus nicht sehr gefürchtet haben würde.

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Man sehe unten im Artikel PAULICIANER die Anmerkung (E) am Anfang des ersten Absatzes. 61 In den über die PAULICIANER, Anmerkungen (E), (G) und (H). 62 Man sehe Anmerkung (F) des Artikels MARCIONITEN. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

NICOLE

nicole, Pierre, eine der schönsten Federn Europas, wurde 1625 in Chartres geboren. Seine Familie spielte dort seit langem eine bedeutende Rolle. Er schloß sich der Partei der Jansenisten an und schrieb mehrere Werke gemeinsam mit Arnauld,a dessen »getreuer Gefährte er in den letzten zehn oder zwölf Jahren«b von dessen Exil war. Er war es, der Pascals 具Lettres 典 Provinciales ins Lateinische übersetzte und mit einem Kommentar begleitete. Er folgte Arnauld nicht, als dieser im Jahr 1679 das Königreich verließ, und stimmte angeblich sogar einer Art Vergleich mit den Jesuiten zu, in dem er sich verpflichtete, nichts gegen sie zu unternehmen, aber auch nicht mit seinen alten Freunden zu brechen. Eins seiner schönsten Werke trägt den Titel Essais de morale. Was er gegen die Reformierten geschrieben hat, ist sehr scharfsinnig; niemals zuvor sind die Einwände gegen die Kirchenspaltung und die methodischen Schwierigkeiten bei der Religionsprüfung mit so großer Stärke vorgetragen worden. Aber mehrere kluge Leute sind der Meinung, er hätte besser daran getan, dies zu unterdrücken, anstatt es zu veröffentlichen. Denn abgesehen davon, daß die römische Kirche dadurch nichts gewinnt, weil alle Argumente Nicoles auf sie zurückfallen, können seine Werke zusammen mit den Antworten, die man ihm gegeben hat, unglücklicherweise alle diejenigen in ihren üblen Neigungen bestärken, die einen Hang zum Pyrrhonismus (C) haben und die den Geist und die Eigenart der christlichen Religion nicht mit genügender Aufmerksamkeit betrachten. Seine Abhandlung über die Einheit der Kirche zeigt die Hand des Meisters, und dennoch hat er darin seinen Gegner nicht bei dessen a

Man sehe das Buch mit dem Titel Question curieuse, si Mr. Arnauld est hérétique, S. 150 ff. der Ausgabe 1695. b A. a.O.

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schwächsten Stellen angegriffen. Das ist ein offensichtlicher Beweis, daß er dieselben mit all seinem Scharfsinn nicht entdeckt hatte. Er starb in Paris am 16. November 1695, wenige Tage nachdem seine Abhandlung über die Quietisten erschienen war. In den Schönen Wissenschaften war er sehr bewandert. Man schreibt ihm den Delectus epigrammatum zu, der mehrmals gedruckt worden ist, sowie das begleitende gelehrte Vorwort. Im übrigen werde ich ausführlich über die Folgen eines seiner Bücher schreiben,c weil Leute von sehr gutem Geschmack mir versichert haben, daß derartige mit Anmerkungen begleitete Fakten in dieses Wörterbuch gehören und Abwechslungen sind, die zur Entspannung des Lesers dienen. Das ist der wahre Grund, weshalb ich mich ihrer hier und an einigen anderen Stellen so bediene, wie ich es tue. Die Ergänzung, die ich zu diesem Artikel zu machen habe, betrifft nur bestimmte Werke von Nicole, die ich nicht erwähnt hatte.

(C) Seine Werke (---) können (---) diejenigen bestärken, die einen Hang zum Pyrrhonismus haben. Ich habe hier nur zwei Werke von Nicole im Auge. Das eine trägt den Titel Préjugez légitimes contre les calvinistes10, das andere Les prétendus réformez convaincus de schisme11. Von dem ersten Werk betrachte ich nur das Kapitel XIV, in dem der Autor behauptet zu zeigen, »daß der von den Calvinisten vorgeschlagene Weg, den Menschen die Wahrheit zu lehren, lächerlich und unmöglich ist«. Er sagt, kein Mensch könne sich durch diese Methode vernünftigerweise unterrichten lassen, ohne »sich zu versichern, 1) ob die Stellen der Schrift, die c

In der Anmerkung (C). Gedruckt in Paris 1671 und in Holland 1683. 11 Gedruckt in Paris 1684 und erneut gedruckt in Holland im selben Jahr. Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, November 1684, Art. I. 10

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man ihm anführt, aus einem kanonischen Buch stammen, 2) ob sie mit dem Original übereinstimmen, 3) ob es nicht verschiedene Lesarten davon gibt, die ihre Beweiskraft schwächen«. Im Anschluß daran setzt Nicole seine gesamte rhetorische Geschicklichkeit ein, um im einzelnen die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die bei der Untersuchung dieser drei Punkte auftreten. Er treibt dies in dem anderen Buch noch viel weiter, in dem er behauptet, daß diejenigen, die im 16. Jahrhundert die römische Gemeinschaft verlassen haben, dies nur mit einer außerordentlichen Tollkühnheit tun konnten, wenn sie nicht eine genaue Kenntnis der Gründe hatten, die für und gegen sie sprachen, und überhaupt von all den Einwänden, die man auf die von der einen und von der anderen Seite angeführten Schriftstellen gründen kann. Er zeigt, was sie hätten tun müssen, um eine rechtmäßige Gewißheit zu erlangen, daß man die römische Kirche verlassen und der Gemeinschaft der Protestanten beitreten müsse; und er führt so viele Untersuchungen in die Prüfung ein, die zu einer solchen Gewißheit führen soll, daß jeder Leser begreift, daß man unter zehntausend Leuten schwerlich vier finden würde, die diese Pflicht erfüllen könnten. Welchen Nutzen hat er von so vielen Überlegungen gehabt? Einen Vorteil, der auf seine Person beschränkt bleibt: er hat den Ruf eines scharfsinnigen Disputanten und eines philosophischen Theologen erlangt, der äußerst fähig ist, eine beliebige Sache zu behaupten und die Schwierigkeiten so hoch zu treiben, wie es nur geht. Aber er hat seiner Partei keinen Dienst erwiesen, denn Claude, der auf sein erstes Buch, und Jurieu, der auf das andere Buch antwortete, haben klar gezeigt, daß man in der römischen Gemeinschaft all denselben Schwierigkeiten ausgesetzt ist und daß man sich in ihr überdies auf das Meer der Tradition begeben und alle Jahrhunderte der Kirche, die ganze Geschichte der Konzilien und des Streits über die Autorität des Papstes durchlaufen muß, die einigen zufolge den Konzilien unter-, anderen zufolge übergeordnet ist; so daß der Weg der Autorität, durch den die Römisch-Katholischen nach eigenem Bekenntnis ihr Verhalten lenken, die Heerstraße des Pyrrhonismus ist. Ein Mensch, der sich auf rechtmäßige

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Weise versichern will, daß er sich der Autorität der Kirche unterwerfen muß, ist verbunden zu wissen, daß die Schrift es so will. Er ist also zu all den Untersuchungen Nicoles verpflichtet,12 und er muß darüber hinaus wissen, ob die Lehre der Kirchenväter und die aller Jahrhunderte des Christentums mit seiner angestrebten Unterwerfung übereinstimmt. Er müßte unermüdlich sein, wenn er nicht lieber an allem zweifeln wollte, als sich auf so viele Untersuchungen einzulassen; und er müßte außerordentlich scharfsinnig sein, wenn er, nachdem er all die hierzu erforderliche Mühe auf sich genommen hätte, schließlich das Licht fände. Das ist also ein Weg zum Pyrrhonismus.13 Die Antwort von Claude an Nicole mit der Überschrift Défense de la réformation14 ist ein Meisterwerk. Er hat seinen Gegner nicht nur sehr geschickt mit seinen eigenen Waffen geschlagen, sondern er hat dessen Einwände auch geradewegs auf eine solche Art erläutert, welche die guten Seelen erbaut, ohne den Freigeistern eine Anleitung zur Verunglimpfung der Religion zu geben. Viele Leute wünschten, daß man gleiches von dem anderen Gegner Nicoles 具sc. Jurieu 典 sagen könnte, aber das kann man nicht tun, ohne ihm plump zu schmeicheln. Er hat sich nicht damit begnügt, die Juden zu lehren, wie sie diejenigen ihrer Vorfahren einer argen Verwegenheit überführen können, die das Evangelium angenommen und ultimativ erklärt hatten, daß das Judentum nicht länger die wahre Religion wäre15; er hat uns ich weiß nicht was für eine 12

Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, November 1684, Art. I, S. 888. 13 Turretin, der Sohn, hat in Leiden im Jahr 1692 als Autor und als Respondent sehr schöne Thesen unter dem Titel Pyrrhonismus pontificius, sive theses theologico-historicae de variationibus pontificiorum circa ecclesiae infallibilitatem verteidigt. Man sehe auch das Buch von de la Placette De insanabili romanae ecclesiae scepticismo, das 1696 in Amsterdam in 4° gedruckt wurde. Die Journalisten von Leipzig geben einen Abriß davon im Juni 1697, S. 264 ff. Es ist auf Englisch in London 1688 gedruckt worden. 14 Sie ist in Rouen 1673 und in Holland 1682 gedruckt worden. 15 Man sehe das Buch von Jurieu mit dem Titel Le vrai systême de l’eglise, gedruckt in Dordrecht 1686, Kap. 13 von Buch II, S. 333 ff.

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groteske Unterscheidung zwischen der Prüfung durch Untersuchung und der Prüfung durch Aufmerksamkeit gezimmert16, die wenigstens ebenso absurd ist wie diejenige zwischen der formalen Quantität hinsichtlich ihrer selbst und der aktualen Quantität hinsichtlich des Ortes, quantitas formalis in ordine ad se, et quantitas actualis in ordine ad locum, von der die römischen Schulen erschallen; und er stimmt zu, daß die Gläubigen nicht durch evidente Beweise zur Rechtgläubigkeit geführt werden, sondern durch Beweise des Gefühls, und daß sie die Wahrheit durch den Geschmack und nicht durch deutliche Begriffe erkennen. Dieser Streit hat Folgen gehabt. Auf der einen Seite haben Pellisson17, der Verfasser des Commentaire 具philosophique 典 sur 具ces paroles de Jesus Christ 典 contrain-les d’entrer 具sc. Bayle 典 und Papin18 Bücher verfaßt, in denen sie immer nachdrücklicher die unüberwindlichen Schwierigkeiten bezüglich des Weges der Prüfung gezeigt haben; und auf der anderen Seite haben sich einige Pastoren sehr lebhaft über die Antwort beklagt, die Nicole bezüglich des Fundaments des Glaubens gegeben worden war. Der Verfasser dieser Antwort hat sich, weit davon entfernt, zu widerrufen oder einige Schritte zurückzuweichen, ganz von neuem mit größerer Klarheit erklärt. Er hat unlängst ein dickes Buch verfaßt, nicht nur um zu behaupten, daß die Beweise für die Göttlichkeit der Schrift uns nicht mit Deutlichkeit vom göttlichen Geist, der uns bekehrt, vorgelegt werden und daß es nicht evident ist, daß Gott uns in seinem Wort dieses oder jenes Mysterium offenbart, sondern auch, daß diejenigen, die das Fundament des Glaubens auf die Evidenz des Zeugnisses gründen, eine schädliche und sehr gefährliche Lehre vertreten.19 Einige Personen glauben, daß dies

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A. a.O., Kap. 22, S. 402. In seinen Réflexions sur les differens de la religion. Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, Juli 1686, Art. I. 18 Ein Pastor, der Papist geworden ist. Man sehe sein Buch mit dem Titel La tolérance des protestans, et l’autorité de l’eglise. Beauval spricht davon in der Histoire des ouvrages des savans, Januar 1693, Art. VII. 19 Man sehe das Buch von Jurieu mit dem Titel Défense de la doctrine 17

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heiße, die Religion an den Rand des Abgrunds zu führen und daß sich die Religion, wenn Leute wie Celsus und Porphyrius sie in einer solchen Lage angetroffen und gegen christliche Gelehrte zu kämpfen gehabt hätten, die ihnen so viele Vorteile eingeräumt und so weitgehende Zugeständnisse gemacht hätten, nicht eine Viertelstunde lang gegen sie hätte halten lassen. Ich glaube nicht, daß diese Leute im Recht sind noch daß sie über das Wesen des Christentums genügend nachgedacht haben. Gleichwohl weiß ich nicht, was das Ergebnis des Streits zwischen dem Prediger von Rotterdam 具sc. Jurieu 典 und dem Prediger von Utrecht 具sc. Saurin 典 sein wird, aber mir scheint, daß, wenn wir in einer krisenhaften Zeit und im Zustand lebhafter Gemütserschütterungen leben würden, wie sie so tiefgreifende Wirkungen in verschiedenen Jahrhunderten hervorgebracht haben, man große Veränderungen zu befürchten hätte: Möge Gott das schlimme Vorzeichen abwenden.20

Hoffnungen gewisser Leute, daß die Religionsstreitigkeiten und -verfolgungen aufhören würden, wenn usw. Vielleicht wünschen einige Leute, daß die Lehre des Predigers von Rotterdam von allen Doktoren angenommen würde. Sie stellen sich vor, daß man danach nicht mehr streiten würde und daß sie das wahrhafte Grab der Kontroversen wäre; denn da man über den Geschmack nicht streitet, würde man nicht länger über die Religion streiten, sobald alle Theologen die Beurteilung des Glaubens auf den Geschmack zurückführten. »Ich glaube«, würde der eine sagen, »die Wahrheit zu besitzen, universelle de l’eglise (---) contre les imputations et les objections de Mr. Saurin, Rotterdam 1695. Saurin ist Prediger der wallonischen Kirche zu Utrecht. 20 So hatte ich in der ersten Auflage dieses Werks geschrieben, als dieser Streit noch nicht beendet war; aber zur Zeit der zweiten Auflage, d. h. im Dezember 1700, kann ich sagen, daß man davon nicht mehr redet als von den seit mehr als hundert Jahren vergessenen Kontroversen über den Flacianismus.

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weil ich sie schmecke und sie empfinde«; »und ich auch«, würde der andere sagen. »Ich behaupte nicht«, würde der eine sagen, »Euch mit evidenten Gründen zu überzeugen; ich weiß, Ihr könntet allen meinen Beweisen ausweichen«; »und ich auch nicht«, würde der andere sagen. »Mein Gewissen ist überzeugt«, würde dieser sagen, »es empfindet tausend Trostgründe, obwohl mein Verstand in diesen Dingen nicht klar sieht«; »und das meinige ist es ebenfalls«, würde jener sagen. »Ich bin überzeugt«, würde der erste fortfahren, »daß das innere Wirken des göttlichen Geistes mich zur Rechtgläubigkeit geführt hat«; »und mich auch«, würde der zweite fortfahren. »Wir wollen also nicht länger streiten noch uns weiterhin verfolgen«, würden sie zueinander sagen. »Wenn ich Euch Einwände mache, auf die Ihr nicht antworten könntet, hätte ich keinen Anlaß zu hoffen, Euch zu bekehren; denn da Ihr nicht behauptet, die Evidenz sei das Merkmal der theologischen Wahrheiten, würde Euch die Dunkelheit Eurer Gründe und die Schwäche Eurer Beweise niemals als Zeichen der Falschheit erscheinen. Es wäre also vergeblich, wenn ich Euch zum Schweigen brächte. Euer Geschmack würde bei Euch die Stelle einer Demonstration einnehmen, ganz genauso wie wir uns hinsichtlich der Speisen mehr auf unseren Gaumen und die guten Wirkungen verlassen, die sie auf unsere Gesundheit haben, als auf spekulative Räsonnements eines Kochs oder Arztes, wenngleich wir keinerlei Grund anzugeben wissen, warum diese Speisen uns gefallen und uns stärken. Wir wollen also miteinander übereinkommen, uns nicht zu behelligen, und uns damit begnügen, wechselseitig füreinander zu Gott zu beten.« Das ist das Ergebnis, wie gewisse Leute behaupten, die sich an eine Maxime des hl. Augustinus erinnern, das aus dieser Lehre hervorgehen würde, nämlich daß man sich, weil die Unterscheidung des Wahren und Falschen eine sehr schwierige Sache ist, nicht gegen diejenigen ereifern darf, die irren. »Laßt sie gegen euch wüten«, sagt Augustinus zu den Manichäern,21 »sie, die 21

Augustinus, Contra epistulam Manichaei quam vocant fundamenti, Kap. 2.

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nicht wissen, mit welcher Mühe die Wahrheit entdeckt wird und wie schwer es ist, Irrtümer zu vermeiden. Laßt sie gegen euch wüten, sie, die nicht wissen, wie selten und anstrengend es ist, die fleischlichen Vorstellungen durch die Heiterkeit einer frommen Seele zu überwinden. Laßt sie gegen euch wüten, sie, die nicht wissen, wie außerordentlich schwierig es ist, das Auge des inneren Menschen zu heilen, so daß er seine Sonne erkennen kann. (---). Laßt sie gegen euch wüten, sie, die nicht wissen, mit wieviel Seufzern und Wehklagen es verbunden ist, Gott wie wenig auch immer zu begreifen.« Hier haben wir, sage ich, das Ergebnis, das diese Lehre der Meinung bestimmter Leute zufolge erbringen kann; sed non ego credulus illis: aber ich zweifle ein wenig daran, wenn ich bedenke, daß der Prediger von Utrecht 具sc. Saurin 典, der davon überzeugt ist, daß die Schrift ein evidentes Zeugnis unserer Mysterien enthält, die Verfolgung der Häretiker nicht billigt, und daß auf der anderen Seite sein Gegenspieler, der davon überzeugt ist, daß man weder für die Göttlichkeit der Schrift den Ungläubigen gegenüber noch von der Bezeugung unserer Mysterien den Sozinianern gegenüber gute Beweise23 anführen könne, nachdrücklich die Verfolgung der Häretiker durch die Obrigkeit billigt.24 Welche Widersprüche tun sich hier auf! Man darf sich auf nichts verlassen, solange man annimmt, daß die Menschen ihren Grundsätzen zufolge handeln werden und daß sie ihr ganzes System konsequent ausbauen. Ich behaupte nicht, daß der Prediger von Utrecht schlecht räsoniert, wenn er diese zwei Dinge miteinander verbindet: Zum einen, daß es in der Schrift ein evidentes Zeugnis für diejenigen gibt, die Gott erleuchtet, zum anderen, daß man über diejenigen keine weltlichen Strafen verhängen darf, die nicht an das Mysterium der Trinität, der Inkarnation usw. glauben; Inkonsequenz schreibe ich ausschließlich seinem Gegner zu. Sie ist offensichtlich, denn wenn

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Unter »guten Beweisen« verstehe ich solche, die zur Evidenz führen. Man sehe seine Abhandlung Des droits des deux souverains und den VIII. Brief seines Tableau du socinianisme. 24

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man auf der einen Seite zugibt, keine guten Beweise25 dafür geben zu können, daß Gott die Existenz seiner Mysterien in seinem Wort klar offenbart, so tut man sehr unrecht mit der Behauptung, ein Mensch, der nicht an sie glaubt, verdiene, seine Güter, seine Freiheit und sein Vaterland zu verlieren. Denn er hat das Licht der Vernunft auf seiner Seite, und unleugbar handelt er vernünftig, wenn er es ablehnt, auf dieses Licht zu verzichten, außer wenn es den Anschein hat, daß das Zeugnis Gottes ihm auf evidente Weise widerspricht. Er ist bereit, seine klarsten Begriffe zu opfern, sobald es auf deutliche Weise erscheint, daß die Autorität Gottes es verlangt. Ihr bekennt, daß ihr nicht in der Lage seid, es ihm so erscheinen zu lassen, und ihr gesteht, daß die Gnade ihn sehr wohl davon überzeugen, es ihm aber nicht auf evidente Weise entdecken kann. Alles also, was die Vernunft und die christliche Liebe von euch verlangen, ist, für ihn zu beten26 und auf dem Wege einer gemäßigten Unterweisung derart zu handeln, daß er seine Meinungen für weniger wahrscheinlich hält als eure. Wenn ihr damit keinen Erfolg habt, so laßt ihn sich seiner Güter und seines Vaterlands erfreuen und versucht nicht, die weltliche Macht gegen ihn zu mobilisieren. Dies sind Dinge, die sich auf natürliche und klare Weise auseinander ergeben, und trotzdem trennt der Prediger sie voneinander, von dem ich hier spreche 具sc. Jurieu 典; so unvergleichlich gut versteht er sich auf Widersprüche. Denn nebenbei bemerkt: Hat es jemals eine seltsamere Verrücktheit gegeben, als so laut gegen den Commentaire philosophique zu wettern, wie er es tat, und dann die gesamte Grundlage seines Systems zu übernehmen? Man könnte leicht zeigen, daß seine Lehren die am besten geeigneten der Welt sind, um diejenigen des Commentaire27 zu bestätigen; aber das würde mich zu weit von Nicole wegführen. Kommen wir auf ihn zurück. 25

Man sehe oben Fußnote (23). Man sehe das 具sc. Bayles. Hgg. 典 Vorwort des Supplements des Commentaire philosophique, wo gezeigt wird, daß die Dunkelheit der Kontroversen ein unwiderlegbares Argument für die Toleranz ist. 27 Der Kommentator 具sc. Bayle. Hgg. 典 hat im Vorwort zu Teil IV ge26

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Man sage mir nicht, dieser Autor sei ziemlich erfolgreich gewesen, weil seine Bücher derartige Debatten unter den Predigern Hollands veranlaßt haben. Das ist mit Blick auf seine Glaubensgemeinschaft ein trügerischer Gewinn, und er hat im Christentum ein wirkliches Übel durch das Auslösen von Streitigkeiten veranlaßt, die beweisen, daß man weder auf dem Wege der Autorität noch auf dem Wege der Prüfung28 eine Partei wählen und mit Befriedigung zu sich selbst sagen könne, man habe guten Gebrauch von seiner Vernunft gemacht; denn dieser gute Gebrauch besteht in der Aufschiebung des Urteils, bis sich die Evidenz der Beweise zeigt. Philosophische Köpfe würden sich die Leichtfertigkeit, mit der sie ihnen nur dunkel vorgestellte Wahrheiten angenommen hätten, als einen großen Fehler vorwerfen. Sie würden es sich nicht verzeihen, in einer Angelegenheit selbst ein zutreffendes Urteil gefällt zu haben, wenn sie es vor einer strengen Prüfung aller Beweisstücke der streitenden Parteien ausgesprochen hätten. Sie belegen diejenigen mit dem Schimpfwort »Mutmaßer«, die Partei ergreifen, ohne dazu durch unbestreitbare Argumente sozusagen gezwungen zu sein. Sie behaupten, daß man dadurch lediglich ein trügerisches Wissen erlangen kann, und sie sagen, daß »die Unwissenheit mehr wert ist als dieses trügerische Wissen, das zu der Einbildung führt, man wisse etwas, was man nicht weiß. Denn wie der hl. Augustinus in seinem Buch über die Nützlichkeit des Glaubens sehr richtig angemerkt hat, ist diese Geisteshaltung aus zwei Gründen sehr tadelnswert. Erstens setzt sich jemand, der fälschlicherweise überzeugt ist, die Wahrheit zu kennen, dadurch außerstande, sich über die Wahrheit belehren zu lassen; zweitens sind dieser Dünkel und diese Kühnheit Zeichen eines mißratenen Geistes. (…). Denn das Wort ›opinari‹ 具mutmaßen 典 bezeichnet in der Reinheit des zeigt, daß Jurieu hinsichtlich der Rechte des irrenden Gewissens in der Absicht, ihn zu widerlegen, sich selbst widerlegt hat. Man könnte das auf andere Artikel ausweiten. 28 Sein Gegner hat auf die Prüfung der Diskussion und den Anspruch evidenter Argumente verzichtet.

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lateinischen Originals die Neigung eines Geistes, ungewissen Dingen zu leicht zuzustimmen und somit zu glauben, er wisse, was er nicht weiß. Deshalb haben alle Philosophen behauptet: ›Der Weise mutmaßt nicht‹; und Cicero sagt, als er sich selbst wegen dieses Lasters tadelt, er sei magnus opinator 具ein großer Mutmaßer 典.«29 Nicht nur die Philosophen, sondern jedermann ganz allgemein muß dieser Maxime zustimmen, »daß es, um nicht unbesonnen zu sein, nicht ausreicht, etwas Wahres zu sagen; man muß auch wissen, daß es die Wahrheit ist. Wer behaupten würde, die Anzahl der Sandkörner am Meer mache eine gerade Zahl aus, könnte die Wahrheit sagen, aber er würde gewiß nicht dem Vorwurf der Unbesonnenheit entgehen.«30 So hat das Buch von Nicole nur dazu getaugt, der Unschlüssigkeit unentschiedener Geister Nahrung zu geben und den Religionszweiflern neue Vorwände zu liefern. Man könnte vielleicht über das erste Buch, das in dieser Sache erschienen ist, dasjenige sagen, was die Alten über das erste Schiff gesagt haben: Wollte Gott, daß der Baum noch stünde, der zu seinem Bau diente. Cicero wendet diesen Gedanken auf die Vernunft an: »Wäre es doch so, wie jene alte Frau es wünscht, ›(---) daß in dem Hain des Pelion die mit der Axt gefällten Tannenstämme nicht gefallen wären‹. Ebenso wünschte ich, die Götter hätten den Menschen nicht diese geistige Geschicklichkeit verliehen, die nur ganz wenige gut gebrauchen, die ihrerseits aber oft von denjenigen unterdrückt werden, die einen schlechten Gebrauch von ihr machen; unzählige aber setzen sie zu bösen Zwecken ein.«31 Aber weil alle Dinge zwei Seiten haben, besteht ein gewisser Anlaß zur Hoffnung, daß die gut gesinnten Geister aus einer so unerfreulichen Kontroverse Nutzen ziehen. Sie werden lernen, Descartes’ Maxime bezüglich der Aufschiebung unseres Urteils32 auf ihren Geltungsbereich einzu29

L’art de penser, Teil I, Kap. 3, S. 54 f. meiner Ausgabe. Nicole, Les prétendus réformez convaincus de schisme, Buch I, Kap. 2, S. 15 meiner Ausgabe. 31 Cicero, De natura deorum, Buch III, Kap. 30. 32 Bezüglich der verheerenden Wirkungen dieser Maxime, wenn sie auf 30

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schränken. Sie werden lernen, dem natürlichen Licht zu mißtrauen und zur Führung durch den Geist Gottes Zuflucht zu nehmen, weil unsere Vernunft so unvollkommen ist. Sie werden lernen, wie sehr es erforderlich ist, sich an die Gnadenlehre zu halten und wie sehr unsere Demut Gott gefällt, weil er uns sogar im Besitz seiner Wahrheiten kränken wollte. Denn er hat nicht erlaubt, daß wir sie auf dem Wege einer philosophischen Prüfung erkennen, durch die wir zur wissenschaftlichen Erkenntnis gewisser Dinge gelangen.

die Religion angewendet wird, sehe man 具sc. Bayles. Hgg. 典 Nouvelles lettres de l’auteur de la critique générale, S. 779 ff., Jurieu, Vrai systême de l’eglise, S. 373 ff., Nouvelles de la république des lettres, November 1684, Art. I, S. 889 und Juli 1686, Art. I, S. 745. Man sehe auch die Anmerkungen zum Artikel PELLISSON. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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nihusius, Bartholdus, hat im 17. Jahrhundert durch seine Werke Aufsehen erregt, und man sollte ihn vielleicht einen »berühmten Bekehrten und berühmten Bekehrer« nennen. Er wurde im Jahr 1589 in Wolpe im Herrschaftsbereich des Herzogs von Braunschweig geboren und ging, nachdem er etliche Studien am Gymnasium von Verden und Goslar absolviert hatte, ungefähr im Jahr 1607 an die Universität Helmstedt. Weil er wenig Geld hatte, mußte er um seines Lebensunterhalts willen sich einen Herrn suchen. Er trat in die Dienste von Cornelius Martinus, der Logik lehrte.b Er blieb vier Jahre bei ihm und machte Fortschritte in den Wissenschaften, denn sein Herr beschäftigte ihn nicht so stark, daß er nicht etliche Stunden zum Studium hatte, und machte sich selbst die Mühe, ihn zu unterrichten. Der junge Mann, der sich durch seine guten Eigenschaften und durch seinen Geist beliebt machte, wurde dem Bischof von Osnabrück empfohlen und erhielt von ihm finanzielle Unterstützung. Er wollte sich mit der Anfertigung eines Gedichtes zum Geburtstag dieses Prälaten erkenntlich zeigen; aber da er kein Dichter war, bediente er sich eines geborgten Gedichts und veröffentlichte es unter seinem eigenen Namen. Die Freigebigkeit dieses Mäzens verhinderte nicht, daß Nihusius in finanzielle Not geriet, obwohl er den reichsten Schülern Wiederholungsstunden gab, seit er im Jahr 1612 den Grad eines Magisters der Philosophie erworben hatte. Er schwankte zwischen dem Studium der Medizin und der Theologie, weil er eine sehr mächtige Partei fürchtete, die denjenigen entgegen stand, die Schüler von Martinus und Caselius gewesen waren. Er erfuhr die Böswilligkeit dieser Partei, als er im Jahr 1614 metaphysische Thesen verteidigen wollte. Die tiefe Beleidigung, die man ihm zufügte, ließ ihn einen Ekel vor b

(…). Calixtus, De arte nova, S. 6 meiner Ausgabe.

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der lutherischen Kirche fassen. Zwei Jahre später wurde er Hofmeister zweier Adliger, die er auf die Universität Jena begleitete. In der Folge erhielt er eine ähnliche Beschäftigung am Hof zu Weimar. Er hatte daselbst ein gutes Einkommen und machte eine gute Figur; trotzdem ging er von dort fort, ohne irgend jemandem ein Wort zu sagen, und begab sich nach Köln, wo er ungefähr im Jahr 1622 katholisch wurde. Seine erste Beschäftigung war die Leitung des Kollegs der Neubekehrten. Er schrieb einige Streitbriefe an Hornei und Calixt,e in denen er mit seiner ganzen Kraft herausarbeitete, daß die Christen einen Richter benötigen, der ihre Streitigkeiten mündlich und untrüglich entscheidet; denn, sagte er, weil die Schrift ein Gesetz ist, das nur nach dem Sinn sprechen kann, den man ihm gibt, und weil die Auseinandersetzungen in den verschiedenen Interpretationen gründen, die man der Schrift gibt, ist es unausweichlich, daß entweder die Streitigkeiten der Christen niemals enden oder daß es in der Kirche eine sprechende Autorität gibt, der sich jeder Einzelne unterwerfen muß.f Er setzte diese Autorität in die Person des Papstes, und wenn man ihm das üble Leben mehrerer Päpste vorhielt, besaß er die Kühnheit, eben diesen Einwand gegen die Verfasser der Schrift zu erheben (E). Der Brief, den er an Calixt schrieb, ist mehr als einmal gedruckt worden. Dieser berühmte Professor, der ihm nicht schriftlich antworten wollte, unternahm es, ihn in seinem Hörsaal zu widerlegen, und kündigte dies den Studenten durch einen handschriftlichen Anschlagzettel an. Dieser Anschlagzettel wurde ohne Wissen seines Verfassers im Jahr 1625 gedruckt, und da er ziemlich bissig war, reizte er Nihusius zur Wut, der einige Zeit darauf ins Braunschweigische zurückkehrte, um Leiter eines Nonnenklosters zu werden. Im Jahr 1629 ernannte man ihn zum Abt von Ilfeld, als man dieses Kloster dem Hause Braunschweig weggenommen hatte, das daraus eine Schule gemacht hatte, in der Michael Neander und seine e

Berühmte Theologen in Helmstedt. Man sehe den Artikel MAIMBOURG, Anmerkung (D). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 f

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Nachfolger sehr gute Schüler erzogen hatten. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte er ein deutsches Buch, in dem er sich sehr gegen Calixt ereiferte; und schließlich erschien im Jahr 1633 sein Lieblingswerk. Das war eine neue Methode, die Häretiker zu widerlegen, die durch Calixt sehr gelehrt zurückgewiesen worden ist. Nihusius wußte sich so gut Wertschätzung zu verschaffen, daß er zum Titularbistum von Mysien gelangte und zum Weihbischof des Erzbischofs von Mainz ernannt wurde. Er nahm diese Ämter bis zu seinem Tod Anfang März 1657 wahr. Er hatte sich Freunde in Rom gemacht und besorgte in Deutschland die Edition einiger Bücher, die in Italien geschrieben worden waren. Ich muß darauf hinweisen, daß er nach Holland flüchtete, wo er mehrere Jahre verbrachte, nachdem die Schweden ihn aus seiner Abtei vertrieben hatten. Dort traf er häufig mit Vossius zusammen und erzählte ihm unter anderem, der Hauptgrund, weshalb er in der römischen Kirche bliebe, sei die Erkenntnis, daß die Sekten, die sich von ihr getrennt hätten, keine ihrer Behauptungen durch Demonstration bewiesen (H). Als Nicolaus Rittershausen beschuldigt wurde, Plagiator von Nihusius zu sein, antwortete er Dinge, die es verdienen, erwogen zu werden. Der Autor der Memorabilia ecclesiastica saeculi decimi septimi hat die Zeit nicht richtig angegeben, zu der Nihusius eine neue Ansicht über die Anrufung der Heiligen vorgetragen hat.

(E) Er besaß die Kühnheit, eben diesen Einwand gegen die Verfasser der Schrift zu erheben. Verfluchte Wirkung der Halsstarrigkeit! Ein Mensch, der einmal eine Lehre angenommen und einen Narren an ihr gefressen hat, schont weder Heiliges noch Weltliches, um sie zu behaupten und sich von Einwänden zu befreien. Er nimmt lieber in Kauf, daß der Schrift Schaden zugefügt wird, als zu dulden, daß man ihn ohne Antwort sieht; und vorausgesetzt, daß seine Ansichten vor Beschimpfungen sicher sind, kümmert es ihn

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wenig, daß die heiligen Schreiber an Glaubwürdigkeit einbüßen. Er versucht, sich auf ihre Kosten zu retten; er wirft sie in die Schanze, damit man ihn nur überwinden kann, indem man auf ihnen herumtrampelt, oder damit der Respekt, den sie genießen, den Angriff verhindert. Er bedient sich der Strategie, die den Spaniern so nützlich war, als sie Maastricht im Jahr 1576 wiedereroberten. Sie stellten die Frauen von Wich8 vor ihre Soldaten, was zur Folge hatte, daß die Einwohner von Maastricht es nicht wagten, ihre Kanonen auf die Spanier abzufeuern, denn sie fürchteten, ihre Verwandten oder wenigstens ihre Mitbürgerinnen zu töten. Wie dem auch sei, als Nihusius auf den Einwand des Calixt antworten mußte, es entspreche nicht der Weisheit Gottes, die Religion auf das Ansehen bestimmter, so verdorbener Leute zu gründen, wie es die Päpste während ganzer Jahrhunderte gewesen seien, führte er an, daß diejenigen, welche die Bibel geschrieben haben, sehr unehrenhafte Leute gewesen sind, entweder öffentlich wie David oder vielleicht auf verborgene Weise. (…). Es war nicht schwer für den Professor von Helmstedt, eine so falsche und so abscheuliche Entgegnung zu widerlegen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem heiligen Menschen, der große Sünden begeht, die er alsbald bereut, und denjenigen, die ihr ganzes Leben in Sünde verbringen.

(H) Keine ihrer Behauptungen durch Demonstration bewiesen. Wir haben bereits gesehen, daß Vossius ihn für einen gelehrten und scharfsinnigen Mann gehalten hat. Wir wollen hinzufügen, daß er ihn auch für sehr höflich und umgänglich hielt (…).30 Nihusius, der von seiner neuen Methode ganz eingenommen war und sich einbildete, niemand könne ihr widerste8

Das ist der Teil der Stadt, der jenseits der Brücke liegt. Vossius, Epistular. CCCLXXX, S. 349, datiert auf den 12. April 1640. 30

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hen, wünschte ein Gespräch mit Vossius. Er erklärte ihm, daß er wieder Protestant werden würde, vorausgesetzt, die Lutheraner oder die Calvinisten könnten ihm irgendeinen Beweis anführen, der alle Zweifel ausschlösse. »Sie mögen einen Gegenstand wählen, der ihnen gefällt«, sagte er, »zum Beispiel den, in dem sie am stärksten zu sein glauben. Ich verlange nur ein gutes Argument von ihnen. Wenn sie mir aber lediglich Wahrscheinlichkeiten anbieten können, werden sie billigen müssen, was ich gegen sie behaupte, daß sie nämlich zu der Kirche zurückkehren müssen, die unsere Vorfahren verlassen haben. (…).«31 Sein stärkstes Argument war das folgende: »Sagt mir, Vossius, warum hat Euer Vater die römische Kirche verlassen? Nennt mir einen guten Grund dafür.« Vossius nannte ihm den Unterschied, der sich zwischen dieser Kirche und der ersten Kirche findet; aber nach mehreren Diskursen legte er sich auf diese Antwort fest: Die Doktoren der römischen Kirche interpretieren die Schrift auf solche Weise, daß sie ihr einen offensichtlich gezwungenen und manchmal widersprüchlichen sowie im allgemeinen von der Lehre der alten Kirchenväter sehr entfernten Sinn geben. Und damit nicht zufrieden, verurteilen sie all diejenigen zum Tode, die derartige Auslegungen nicht annehmen wollen. Man konnte deshalb zu Recht mit solchen Auslegern des Wortes Gottes brechen und neue Gemeinschaften bilden, sowohl um einen dem Gewissen entsprechenden Gottesdienst zu haben, als auch um sein Leben zu erhalten, das dem Vaterland, der Kirche und der Familie nützlich sein kann. (…).32 Wie vernünftig diese Antwort auch war, Vossius vertraute ihr nicht ganz, denn er bat seinen guten Freund Grotius, die Angelegenheit zu untersuchen und ihm seine Ansicht mitzuteilen. (…). Die einzige Antwort, die er erhielt, lautete, daß er die Abspaltung der Protestanten sehr gut gerechtfertigt habe.34

31 32 34

Ders., Epistula CCXXVIII, S. 240. Ebd. Grotius, Epist. CCCXXXIX von Teil I, S. 122.

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Paraphrase von Nihusius’ Überlegungen Es ist klar, daß Nihusius auf folgende Weise geschlossen hat: Wenn man sich durch Erziehung und Geburt in einer bestimmten Glaubensgemeinschaft befindet, so sind die Unannehmlichkeiten, die man in ihr erfährt, kein legitimer Grund, sie zu verlassen, außer wenn man durch den Wechsel gewinnt, d. h. in eine Lage kommt, in der man sich sehr wohl befindet. Denn wozu würde es uns dienen, die Glaubensgemeinschaft zu verlassen, in der wir geboren und herangewachsen sind, wenn wir dadurch, daß wir sie verlassen, nur eine Krankheit gegen eine andere eintauschten? Wir wollen die Sache auf die Probe stellen, ich bin einverstanden; wir wollen die armen Kranken nachahmen, die, weil sie es leid sind, im Bett zu liegen, sich einbilden, sie würden große Erleichterung verspüren, wenn sie in einem Sessel säßen; wir wollen die römische Kirche verlassen und in die protestantische eintreten. Aber ebenso wie dieselben Kranken sich wieder ins Bett legen lassen, sobald sie gemerkt haben, daß ihnen der Sessel nichts nützt, so wollen auch wir den Papismus wieder annehmen, sobald wir spüren, daß die protestantischen Doktoren unsere Schwierigkeiten nicht beheben. Sie bieten uns nur Gründe an, über die man streiten kann, nichts Überzeugendes, keine Demonstrationen. Sie beweisen und machen Einwände, aber man antwortet sowohl auf ihre Beweise als auf ihre Einwände. Sie replizieren und man repliziert ihnen; und so ohne Ende. Lohnt das, eine Kirchenspaltung herbeizuführen? Was hatten wir Unannehmlicheres in der Kirche, in der wir geboren sind? Es fehlte uns dort an Demonstrationen, man bot uns nichts an, was unserem Geist eine sichere Grundlage verschaffte; er fand Einwände gegen alle Dogmen und gegen alle Erwiderungen ohne Ende. Das war dort unser großes Übel; wir finden es in der protestantischen Kirche auch, und deshalb sollten wir nicht in ihr bleiben. Wir wollen in die Gemeinschaft zurückkehren, die den Vorzug auf ihrer Seite hat, das Überkommene zu sein. Und wenn man schon eine schlechte Wohnstatt haben muß, ist es dann nicht besser, sie in seinem Vaterland und im Hause seines Vaters als

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in den Herbergen fremder Länder zu haben? Außerdem ist der Streit für die protestantische Partei mit viel mehr Beschwerlichkeiten verbunden als für die papistische. Letztere hat all ihre Feinde vor sich. Dieselben Waffen, die ihr dazu dienen, die einen anzugreifen und zurückzuschlagen, dienen ihr auch dazu, die anderen anzugreifen und zurückzuschlagen. Die Protestanten aber haben Feinde vor und hinter sich; sie ähneln einem Schiff, das in ein Gefecht von zwei Seiten verwickelt ist. Der Papismus greift sie von der einen, der Sozianismus von der anderen Seite an. Die Waffen, die sie gegen den Papismus einsetzen, schaden, anstatt zu helfen, wenn sie einen Sozinianer zu widerlegen haben, denn dieser Häretiker verwendet gegen sie diejenigen Argumente, die ihnen gegen die römische Kirche gedient haben, so daß ein Protestant, der soeben gegen einen Papisten gekämpft hat und sich nun auf den Kampf gegen einen Sozinianer vorbereitet, gezwungen ist, wenigstens zum Teil seine Waffen zu wechseln. Das sind zweifellos die Hirngespinste, denen Nihusius sich hingab und die ihn glauben ließen, es reiche aus, um die Protestanten davon zu überzeugen, daß sie die römische Kirche grundlos verlassen hatten, einen demonstrativen Beweis ihres Glaubens von ihnen zu verlangen; ich sage einen Beweis, gegen den es ebenso wenig etwas einzuwenden gäbe wie gegen Demonstrationen in der Mathematik. Er wußte ganz genau, daß man ihn niemals beim Wort nehmen würde, denn die Religionsstreitigkeiten können nicht bis auf diesen Grad an Evidenz gebracht werden. Darüber ist sich die Mehrheit der Theologen einig. Ein berühmter Prediger 具sc. Jurieu 典 hat uns soeben belehrt, daß es nicht nur ein sehr gefährlicher Irrtum ist zu behaupten, der hl. Geist lasse uns auf evidente Weise die Wahrheiten der Religion erkennen, sondern daß dies auch ein von den Protestanten bis jetzt zurückgewiesenes Dogma ist.35 Er behauptet, die gläubige Seele nehme diese Wahr35

Die quaestio juris lautet, ob Saurin recht hat zu sagen, daß »der Glaube seine Gewißheit mittels der Evidenz erhält, insbesondere bei der Frage nach der Göttlichkeit der Schrift«. Die quaestio facti lautet, ob die Meinung Saurins die Meinung der gesamten reformierten Kirche ist und ob

Nihusius

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heiten an, ohne daß sie für ihre Vernunft evident wären und sogar ohne daß sie erkennen würde, daß es evident ist, daß Gott sie offenbart hat; und er sagt, daß, wer verlangt, daß der hl. Geist uns wenigstens das Zeugnis klar zu erkennen gibt, das Gott diesen Wahrheiten verliehen hat, ein schädlicher Neuerer ist. Ich bin ganz sicher, daß Nihusius niemals erwartete, daß man ihm das demonstrative Argument vorführte, das er verlangte. An was dachte er also, als er versprach, unter dieser Bedingung zum Luthertum zurückzukehren? Hat er sich hierbei wie ein ernsthafter Mensch benommen? Wenn er sehr vernünftig gewesen wäre, so hätte er sich völlig mit der Antwort zufrieden gegeben, die ihm Vossius gegeben hatte; sie ist sehr vernünftig und sehr gründlich. Aber wir wollen annehmen, daß Nihusius sich nicht immer auf Hirngespinste stützte. Er hat einen guten Grundsatz schlecht angewendet, nämlich diesen: Man darf den Ort, an dem man sich befindet, nicht verlassen, wenn der Wechsel unnütz ist. Der Prediger, von dem ich soeben gesprochen habe, hat dieses Axiom angewendet. Er ist ein rigoroser Anhänger der Prädestinationslehre und ein großer Partikularist, 具d. h. ein Verfechter der Auffassung, daß Jesus nicht für alle Menschen gestorben ist 典, und stöhnt unter der Last der Einwände, denen sein System ausgesetzt ist. Aber er wechselt die Lehre nicht, weil er keine findet, die ihm aus der Bedrängnis hilft. Er würde weder in der Lehre der Molinisten noch in den anderen, gemäßigten Methoden zur Erklärung der Gnade etwas finden, was seine Vernunft befriedigdiejenige von Jurieu neu ist, beschränkt auf Jurieu und seinen Lehrmeister Beaulieu. Hinsichtlich der ersten Frage ist es nicht sehr verwunderlich, daß Saurin einer Täuschung erlegen ist und sich geirrt hat. Es gibt gröbere Irrtümer, obwohl es kaum gefährlichere gibt. Aber hinsichtlich der zweiten, der Tatsachenfrage, kann man sich nicht genug wundern, daß ein Mensch, der als Autor auftritt, einem solchen Fehler erliegt, eine Meinung, die so alt ist wie die Welt und so verbreitet wie die christliche Religion und die bis in unser Jahrhundert hinein nur von Häretikern bekämpft worden ist, eine »neue Meinung, einen aufsteigenden Irrtum« zu nennen. Jurieu, Défense de la doctrine universelle de l’eglise contre les imputations de Mr. Saurin, S. 3 der Ausgabe Rotterdam 1695.

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te; er will also lieber bleiben, wo er ist, als eine andere Position zu beziehen, die ihm nicht helfen würde.36 Das ist sehr vernünftig.

36

Man sehe das Buch mit dem Titel Jugement sur les méthodes rigides et relâchées d’expliquer la providence et la grâce, S. 23.

PAULICIANER

paulicianer. So nannte man die Manichäer in Armenien, seit ein gewisser Paul sich im 7. Jahrhundert zu ihrem Anführer machte. »Sie wurden, sei es durch die Schwäche der Regierung, sei es durch die Protektion der Sarazenen oder sogar durch die Gunst des Kaisers Nikephoros, der dieser Sekte sehr verbunden war, zu einer so großen Macht, daß sie schließlich, als sie durch die Kaiserin Theodora, die Frau des Basilius, verfolgt wurden, in der Lage waren, Städte zu Bastionen zu machen und die Waffen gegen ihre Fürsten zu erheben. Diese Kriege waren lang und blutig unter der Herrschaft Basilius’ des Makedoniers, d. h. am Ende des 9. Jahrhunderts.«a Dennoch hat man unter der Kaiserin Theodora ein so großes Blutbad unter diesen Häretikern angerichtet, daß es schien, daß sie sich niemals davon würden erholen können. Man glaubt, daß die Prediger, die sie nach Bulgarien schickten, dort die manichäische Irrlehre begründeten und »daß sie sich von da aus bald danach über das übrige Europa ausbreitete«.b Sie verdammten den Heiligenkult und die Kreuzesbilder, aber das war nicht ihr Hauptmerkmal. Ihre fundamentale Lehre war die von zwei gleich ewigen, voneinander unabhängigen Prinzipien. Dieses Lehrstück erregt sogleich Abscheu, und daher ist es sonderbar, daß die manichäische Sekte so viele Leute verführen konnte. Aber andererseits macht es so große Mühe, ihre Einwände hinsichtlich des Ursprungs des Übels zu beantworten (E), daß man sich nicht wundern muß, daß die Lehre von den zwei Prinzipien, einem guten und einem bösen, etliche alte Philosophen geblendet und so viele Anhänger im Christentum gefunden hat, wo die Lehre von der unversöhnlichen Feindschaft der Meaux 具sc. Jaques-Bénigne Bossuet, Bischof von Meaux. Hgg.典, Histoire des variations, Buch XI, Nr.13, S. 128 meiner Ausgabe. b A. a.O., Nr. 16, S. 131. a

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Dämonen gegen den wahren Gott stets von der Lehre von Auflehnung und Fall eines Teils der guten Engel begleitet wird. Diese Lehre von den zwei Prinzipien hätte wahrscheinlich größeren Erfolg gehabt, wenn man sie in den Einzelheiten weniger grobschlächtig formuliert und sie nicht mit mehreren abscheulichen Praktiken verbunden hättec oder wenn es damals so viele Dispute wie heute über die Prädestination gegeben hätte (F), in denen die Christen sich gegenseitig beschuldigen, entweder Gott zum Urheber der Sünde zu machen oder ihm die Regierung der Welt abzusprechen. Die Heiden konnten besser auf die manichäischen Einwände antworten als die Christen (G), aber einige ihrer Philosophen gerieten darüber in Verwirrung. Es wird zu klären sein, in welchem Sinne die Rechtgläubigen zwei erste Prinzipien zuzulassen scheinen (H) und in welchem Sinne man nicht sagen kann, daß den Manichäern zufolge Gott der Urheber der Sünde sei. Wir werden auch einen modernen Schriftsteller kritisieren, der geleugnet hat, daß die Lehre, die Gott zum Urheber der Sünde macht, zur Irreligiosität führe. Er hat sogar gesagt, daß diese Lehre Gott zur höchsten vorstellbaren Größe erhebt. Den alten Vätern war nicht unbekannt, daß die Frage nach dem Ursprung des Übels sehr verzwickt ist. Sie haben sie nicht durch die Lehre der Platoniker lösen können, die im Grunde ein Zweig des Manichäismus war, weil sie zwei Prinzipien zuließ; sie waren gezwungen, zu dem Privileg der Freiheit des Menschen Zuflucht zu nehmen. Aber je mehr man über diese Art, die Schwierigkeit zu lösen, nachdenkt, desto mehr findet man, daß das natürliche Licht der Philosophie Argumente bereitstellt, die diesen gordischen Knoten noch fester zuziehen und verschlingen (M). Ein gelehrter Mann behauptet, daß die Pythagoreer Anlaß zu dieser dornigen Frage gegeben haben. Sie suchten in allen Dingen den Superlativ, d. h. sie zielten mit ihren Fragen auf die Erkenntnis dessen ab, was in jeder Gattung den höchsten Grad besitzt. Sie fragten z. B., was ist am stärksten, was Man sehe die Anmerkung (B) des Artikels MANICHÄER. 具Diese Anmerkung nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 c

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am ältesten, was am allgemeinsten, was am wahrsten? Hinsichtlich des letzteren Punktes war die Antwort, daß die Menschen böse sind und Gott gut ist. Daraus erwuchs die andere Frage, wie es komme, daß, da Gott gut ist, die Menschen frevelhaft sind. Die Lösung dieser Schwierigkeit ist Simplicius sehr wichtig vorgekommen.

(E) Es macht so große Mühe, die Einwände der Manichäer hinsichtlich des Ursprungs des Übels zu beantworten. Ich habe meine Leser darauf vorbereitet,13 hier drei Beobachtungen zu finden, die ich dem Artikel über die Manichäer beigegeben haben würde, wenn ich dort nicht allzu große Weitläufigkeit hätte vermeiden wollen. Wir wollen unser Versprechen einlösen und die Erwartung derjenigen nicht enttäuschen, die unserem Querverweis folgen wollen. Ich werde weiter unten14 die zweite und dritte Beobachtung bringen. Hier ist die erste. Die Kirchenväter, welche die Marcioniten, die Manichäer und überhaupt alle diejenigen, die zwei Prinzipien zuließen, so gut widerlegten, haben kaum eine gute Antwort auf die Einwände bezüglich des Ursprungs des Übels gegeben. Sie hätten alle Gründe a priori wie Außenposten einer Festung aufgeben sollen, die man angreifen, aber nicht verteidigen kann. Sie hätten sich mit Gründen a posteriori zufriedengeben und alle ihre Kräfte hinter diesem Bollwerk versammeln müssen. Das Alte und das Neue Testament sind zwei Teile der Offenbarung, die sich wechselseitig bestätigen. Da nun diese Häretiker die Göttlichkeit des Neuen Testamentes anerkannten, wäre es nicht schwer gewesen, ihnen die Göttlichkeit des Alten Testamentes zu beweisen, woraufhin es leicht gewesen wäre, ihre Einwände durch den Nachweis zu zerstören, daß sie der Erfahrung widersprechen. Der Schrift zufolge gibt es nur ein gutes Prinzip, 13 14

Im Artikel MANICHÄER, Fußnote (61). In den Anmerkungen (G) und (H).

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und dennoch haben sich das moralische und das physische Übel in das menschliche Geschlecht eingeschlichen. Es ist also der Natur des guten Prinzips nicht zuwider, daß es das Eindringen des moralischen Übels gestattet und das Verbrechen bestraft. Denn es ist nicht evidenter, daß vier und vier acht ergeben, als daß eine Sache, die sich ereignet hat, möglich ist. Das Axiom Vom Wirklichen zum Möglichen geht ein gültiger Schluß ist eines der klarsten und unbezweifelbarsten der ganzen Metaphysik.15 Hier ist ein uneinnehmbares Bollwerk, und das genügt, um der Sache der Rechtgläubigen zum Sieg zu verhelfen, wenngleich ihre Gründe a priori zurückgewiesen werden können. »Aber können sie es wirklich?«, wird man mich fragen. »Ja«, werde ich antworten, »die Art und Weise, wie sich das Übel unter der Herrschaft eines allerhöchsten Wesens eingeschlichen hat, das unendlich gut, unendlich heilig, unendlich mächtig ist, ist nicht nur unerklärbar, sondern sogar unbegreiflich; und alles, was man den Gründen entgegensetzt, weshalb dieses Wesen das Übel zugelassen hat, ist der natürlichen Vernunft und den Vorstellungen der Ordnung gemäßer, als es diese Gründe sind. Prüft sorgfältig die folgende Passage aus Laktanz; sie enthält eine Antwort auf einen Einwand Epikurs.« »›Gott‹, sagt Epikur, ›will entweder die Übel aufheben und kann nicht, oder er kann und will nicht, oder er will weder noch kann er, oder er will und kann auch. Wenn er will und nicht kann, ist er machtlos, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, ist er mißgünstig, was Gott gleichermaßen fremd ist. Wenn er weder will noch kann, ist er sowohl mißgünstig wie machtlos und daher nicht Gott. Wenn er aber will und kann, wie es allein Gott angemessen ist, woher stammen dann die Übel und warum hebt er sie nicht auf?‹ Ich weiß, daß die meisten der Philosophen, welche die Vorsehung verteidigen, durch diese Argumentation gewöhnlich aus der Fassung gebracht und beinahe gegen ihren Willen zu dem Eingeständnis getrieben werden, daß Gott sich um nichts küm15

(59).

Man sehe oben den Artikel MANICHÄER, Anmerkung (D), Fußnote

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mert – was Epikur mit Nachdruck anstrebt. Wir aber haben den Grund erkannt und entkräften diese furchterregende Überlegung mit Leichtigkeit. Gott kann nämlich alles, was er will; und es gibt keine Machtlosigkeit oder Bosheit in ihm. Er kann daher die Übel aufheben, will es aber nicht, und ist deshalb dennoch nicht boshaft. Er hebt die Übel nämlich deswegen nicht auf, weil er, wie ich oben gezeigt habe, gleichzeitig auch Weisheit schenkt, und weil es mehr Gutes und Angenehmes in der Weisheit gibt, als Beschwerlichkeiten im Übel. Die Weisheit nämlich bewirkt, daß wir sogar Gott erkennen und durch diese Erkenntnis die Unsterblichkeit erlangen, die das höchste Gut ist. Daher können wir das Gute nur erkennen, wenn wir zuvor das Übel erkannt haben. Aber das hat weder Epikur noch sonst jemand gesehen. Wenn das Übel aufgehoben würde, dann würde gleichzeitig die Weisheit aufgehoben, und es bliebe keine Spur der Tugend im Menschen zurück, die im Ertragen und Überwinden bitterer Übel besteht. Daher würden wir für den kleinen Vorteil der Beseitigung der Übel das größte, wahre und eigentliche Gut entbehren. Es steht also fest, daß alles für den Menschen eingerichtet ist, die Übel ebenso wie die Güter.«16 Man könnte die ganze Stärke des Einwandes nicht aufrichtiger vortragen. Epikur selbst hätte ihn nicht klarer und nachdrücklicher formulieren können.17 Aber Laktanz’ Antwort ist erbärmlich. Sie ist nicht nur schwach, sondern voll von Irrtümern und vielleicht sogar von Häresien. Sie setzt voraus, daß Gott das Übel schaffen mußte, weil er uns andernfalls weder Weisheit noch Tugend noch das Gefühl für das Gute hätte mitteilen können. Kann man sich etwas Ungeheuerlicheres vorstellen als diese Lehre? Stürzt sie nicht alles um, was uns die Theologen über das Glück des Paradieses und über den Stand der Unschuld sagen? Sie sagen uns, daß Adam und Eva in diesem glückseligen Zustand ohne jedwede Beimischung von Un16

Laktanz, De ira dei, Kap. 13, S. 548 meiner Ausgabe. Man beachte, daß dieser Einwand Epikurs nicht das moralische Übel betrifft. Er wäre noch schwieriger zu beantworten, wenn er das täte. 17

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gemach all die Freuden genossen, die ihnen der Garten Eden bot, jener liebliche Ort voller Annehmlichkeiten, in den Gott sie gesetzt hatte. Es ist hinzuzufügen, daß, wenn sie nicht gesündigt hätten, sie und alle ihre Nachkommen sich dieses Glücks erfreut hätten, ohne Krankheiten oder Sorgen unterworfen zu sein und ohne daß ihnen die Elemente oder die Tiere jemals feindselig gesonnen gewesen wären. Es war ihre Sünde, die sie der Kälte und der Hitze, dem Hunger und dem Durst, dem Schmerz und der Betrübnis sowie den Übeln, die gewisse Tiere uns zufügen, auslieferte. Weit gefehlt also, daß Tugend und Weisheit dem Menschen nicht ohne das physische Übel zukommen könnten, wie es Laktanz versichert, muß man im Gegenteil behaupten, daß der Mensch nur deswegen diesem Übel ausgesetzt worden ist, weil er sich von Tugend und Weisheit losgesagt hatte. Wenn die Lehre des Laktanz wohlbegründet wäre, müßte man notwendigerweise voraussetzen, daß die guten Engel Tausenden von Beschwerlichkeiten unterworfen wären und daß die Seelen der Glückseligen abwechselnd Freude und Trauer empfinden; derart daß man im Sitze des Ruhmes und im Schoße der glückseligen Schau nicht vor Widrigkeiten sicher wäre. Nichts steht der einmütigen Meinung der Theologen und der rechten Vernunft mehr entgegen als das.

Man kann einen von zwei Gegensätzen empfinden, ohne jemals den anderen empfunden zu haben Es ist sogar wahr, daß es gemäß guter Philosophie keineswegs notwendig ist, daß unsere Seele das Übel empfunden haben muß, um das Gute zu genießen, oder daß sie nacheinander von Lust zu Schmerz und von Schmerz zu Lust wechseln muß, um erkennen zu können, daß der Schmerz ein Übel und die Lust ein Gut ist. Und so beleidigt Laktanz das natürliche Licht nicht weniger als das theologische. Wir wissen aus Erfahrung, daß unsere Seele nicht zugleich Lust und Schmerz empfinden kann. Sie muß also notwendigerweise beim ersten Mal ent-

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weder den Schmerz vor der Lust oder die Lust vor dem Schmerz empfunden haben. Wenn ihre erste Empfindung eine solche der Lust gewesen ist, so hat sie diesen Zustand als angenehm empfunden, obgleich sie den Schmerz nicht kannte; und wenn ihre erste Empfindung eine solche des Schmerzes gewesen ist, so fand sie, daß dieser Zustand unangenehm war, wenngleich sie die Lust noch nicht kannte. Man nehme einmal an, daß ihre erste Empfindung mehrere Jahre nacheinander ohne irgendeine Unterbrechung angedauert habe, so sieht man, daß sie sich während dieser ganzen Zeit entweder in einem angenehmen oder in einem unangenehmen Zustand befunden hat.

Warum die Gewohnheit die Empfindung abstumpft Führt nicht die Erfahrung gegen mich an! Sagt nicht, daß eine Lust, die lange dauert, fade und ein Schmerz nach und nach erträglich wird. Denn ich werde euch antworten, daß das von einem Wechsel im Organ kommt, der bewirkt, daß die fortdauernde Empfindung zwar ihrer Art nach dieselbe bleibt, nicht aber hinsichtlich ihrer Intensität. Wenn ihr zunächst eine Empfindung der Stufe 6 gehabt habt, so wird sie nach zwei Stunden oder nach einem Jahr nicht mehr die Stufe 6 haben, sondern nur noch die Stufe 1 oder ¼. Derart schwächt die Gewohnheit die Spitze unserer Empfindungen ab. Ihre Intensitätsstufen entsprechen der Erregung der Teile des Gehirns, und diese Erregung schwächt sich durch häufige Wiederholungen ab. Daher kommt es, daß die Intensitätsstufen der Empfindung abnehmen. Aber wenn der Schmerz oder die Freude uns mit gleicher Intensitätsstufe hundert Jahre ununterbrochen zuteil würde, so wären wir im hundertsten Jahr gleichermaßen unglücklich oder glücklich wie am ersten Tag. Das beweist offensichtlich, daß das Geschöpf durch das fortdauernde Gute glücklich oder durch das fortdauernde Übel unglücklich sein kann, und daß der Wechsel, von dem Laktanz spricht, eine schlechte Lösung darstellt. Sie ist weder in der Natur des Gu-

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ten und des Übels begründet noch in der des Subjekts, das sie erfährt, noch in der der Ursache, die das Gute und das Übel hervorbringt. Vergnügen und Schmerz sind im zweiten Augenblick nicht weniger geeignet, zugefügt zu werden, als im ersten, im dritten nicht weniger als im zweiten usw. Unsere Seele ist für sie ebenso empfänglich, nachdem sie sie einen Augenblick empfunden hat, wie sie es ist, bevor sie sie empfunden hat; und Gott, der sie gibt, ist nicht weniger fähig, sie das zweite Mal hervorzubringen als das erste Mal. Das ist dasjenige, was uns die natürlichen Begriffe lehren, die wir von diesen Dingen haben. Die christliche Theologie bestätigt das unwiderleglich, denn sie sagt uns, daß die Qualen der Verdammten ewig und ohne Unterbrechung und nach hunderttausend Jahren ebenso lebhaft wie am ersten Tag sein werden, und daß auf der anderen Seite die Vergnügen des Paradieses ewig und ununterbrochen dauern werden, ohne daß ihre Lebhaftigkeit jemals nachließe. Ich würde gern wissen, ob unter einer sehr einfachen Voraussetzung, nämlich, daß es zwei Sonnen in der Welt gäbe, von denen die eine aufginge, wenn die andere unterginge, man nicht schließen müßte, daß die Dunkelheit der Menschheit unbekannt wäre. Gemäß der hübschen Philosophie des Laktanz müßte man auch folgern, daß der Mensch dann das Licht nicht kennen würde, daß er nicht wüßte, daß es Tag ist, daß er Gegenstände sieht usw.18 Was ich soeben gesagt habe, beweist m.E. unwiderleglich, daß man nichts gegen unsere Paulicianer gewinnen würde, wenn man ihnen vorhielte, daß Gott nur aus dem Grund das Gute und das Übel vermischt habe, weil er voraussah, daß das ganz reine Gute uns binnen kurzem fade erscheinen würde. Sie würden antworten, daß diese Eigenschaft durchaus nicht in der Vorstellung enthalten sei, die man vom Guten habe, und daß sie geradewegs der gewöhnlichen Lehre vom Paradiesesglück entgegenstehe. Und was dasjenige betrifft, was die Er18

Ich zitiere unten in der Anmerkung (G) eine Passage aus Plutarch, die man gegen die Antworten des Laktanz verwenden kann. 具Die Passage nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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fahrung uns nur zu gut lehrt, 1) daß die Freuden dieses Lebens nur in dem Maße spürbar sind, wie sie uns aus einem unangenehmen Zustand befreien; 2) daß sie einen Ekel nach sich ziehen, wie kurz sie auch gedauert haben mögen; so würden sie 具sc. die Paulicianer典 behaupten, daß dieses Phänomen unerklärbar bleibt, wenn man nicht zu ihrer Lehre von den zwei Prinzipien greift. »Denn wenn wir«, werden sie sagen, »von nur einer allmächtigen, unendlich guten und unendlich freien Ursache abhängen, die universell über alle Wesen dem Wohlgefallen ihres Willens gemäß verfügt, dürfen wir keinerlei Übel empfinden. Alle unsere Güter müssen rein sein, wir dürfen in ihnen niemals auch nur das geringste Unbehagen antreffen. Wenn der Urheber unseres Seins unendlich wohltätig ist, muß es ihm ein fortwährendes Vergnügen bereiten, uns glücklich zu machen und allem zuvorzukommen, was unsere Freude stören oder mindern könnte. Das ist ein wesentliches Charakteristikum unserer Idee der höchsten Güte. Die Fibern unseres Gehirns können nicht die Ursache sein, daß Gott unsere Vergnügen schwächt. Denn Euch zufolge ist er der einzige Urheber der Materie, er ist allmächtig, nichts hindert ihn daran, dem gesamten Ausmaß seiner unendlichen Güte gemäß zu handeln. Er muß nur wollen, daß unsere Vergnügen nicht von den Fibern unseres Gehirns abhängen; und wenn er will, daß sie davon abhängen, kann er diese Fibern auf ewig im gleichen Zustand erhalten. Er muß nur wollen, daß sie sich entweder nicht abnutzen, oder daß die Beschädigungen, die sie erleiden, unmittelbar behoben werden. Ihr könnt somit unsere Erfahrungen nur mit der Lehre von den zwei Prinzipien erklären. Wenn wir Vergnügen empfinden, so ist es das gute Prinzip, das es uns verschafft; aber wenn wir es nicht ganz rein empfinden und wenn wir seiner bald überdrüssig sind, so deshalb, weil das böse Prinzip sich dem guten widersetzt. Das letztere wirkt in gleicher Weise. Es richtet es so ein, daß der Schmerz durch die Gewöhnung weniger spürbar wird und daß uns im größten Übel immer noch ein Trost bleibt. Das und der gute Gebrauch, den man oft von Widrigkeiten, sowie der schlechte Gebrauch, den man oft vom Glück macht, sind die Phänomene, die sich

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mit der manichäischen Lehre auf bewundernswerte Weise erklären lassen. Das bringt uns zu der Annahme, daß die zwei Prinzipien einen Vertrag geschlossen haben, der ihre Handlungen wechselseitig beschränkt.19 Das gute Prinzip kann uns nicht all das Gute verschaffen, das es uns geben möchte. Es mußte, um uns viel davon zu verschaffen, zustimmen, daß sein Widersacher uns in gleichem Maße Übel zufügt. Denn ohne diese Zustimmung wäre das Chaos immer ein Chaos geblieben und kein Geschöpf hätte jemals Gutes empfunden. So hat die höchste Güte, weil sie einen besseren Weg zu ihrer Befriedigung darin erblickt hat, die Welt bald glücklich, bald unglücklich zu sehen, als sie niemals glücklich zu sehen, einen Vergleich geschlossen, der die Mischung von Gutem und Schlechtem hervorgebracht hat, die wir im menschlichen Geschlecht antreffen. Indem Ihr Eurem Prinzip die Allmacht und den Ruhm zusprecht, allein die Ewigkeit zu genießen, nehmt Ihr ihm dasjenige seiner Attribute, das vor allen anderen kommt. Denn nach Ansicht der gelehrtesten Nationen geht optimus 具der Beste 典, wenn von Gott die Rede ist, dem maximus 具der Größte 典 stets voraus. Ihr nehmt an, daß er seine Geschöpfe mit Übeln überhäuft, obwohl es nichts gibt, das ihn darin hindert, sie mit Gütern zu überschütten; daß, wenn er einige von ihnen über diesen Stand erhebt, dies geschieht, damit ihr Fall um so härter sei. Wir halten ihn bezüglich all dessen von jeder Schuld frei; und ohne seine Güte dadurch einzuschränken, erklären wir alles, was man von der Unbeständigkeit des Glücks, der Eifersucht der Nemesis und dem ewigen Spiel sagen kann, welches Äsop als Beschäftigung Gottes ausgibt: ›Er erhöht‹, sagt Äsop, ›die niederen Dinge und erniedrigt die hochstehenden Dinge‹. Wir sagen, daß er von seinem Gegner keine besseren Bedingungen erhalten konnte. Seine Güte erstreckt sich so weit, wie sie konnte. Wenn er uns nicht mehr

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Im ersten Absatz der Anmerkung (I) wird eine Erklärung vorgetragen, die keinerlei Übereinkunft annimmt. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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Gutes erweist, so deshalb, weil er es nicht kann. Wir haben also keinen Grund, uns zu beklagen.« Wer wird nicht das Schicksal unserer Vernunft bewundern und bejammern? Seht da die Manichäer, die mit einer völlig absurden und widersprüchlichen Lehre die Erfahrungen hundertmal besser erklären als die Rechtgläubigen mit der so richtigen, notwendigen und einzig wahren Annahme eines ersten Prinzips, das unendlich gut und allmächtig ist. (…). Damit man sieht, daß ich nicht ohne Grund vorbringe, daß man diesen Sektierern nur den Grundsatz Vom Wirklichen zum Möglichen geht ein gültiger Schluß und diesen kurzen Vernunftschluß Dies ist geschehen, also widerstreitet es nicht der Heiligkeit und Güte Gottes entgegenhalten muß, merke ich an, daß man sich auf keiner anderen Grundlage auf den Streit einlassen kann, ohne irgendeinen Nachteil in Kauf zu nehmen. Die Gründe für die Zulassung der Sünde, die nicht aus den in der Schrift offenbarten Mysterien hergenommen sind, haben den Mangel, daß man sie, wie gut sie auch sein mögen, mit anderen Gründen bekämpfen kann, die größeren Anschein auf ihrer Seite haben und unseren Begriffen der Ordnung besser entsprechen. Wenn ihr z. B. sagt, daß Gott die Sünde zugelassen habe, um seine Weisheit zu zeigen, die in der Unordnung, welche die Boshaftigkeit der Menschen jeden Tag hervorbringt, heller erstrahlt, als sie es im Stand der Unschuld täte, so wird man euch antworten, das heiße, die Gottheit entweder mit einem Vater zu vergleichen, der seine Kinder sich die Beine brechen ließe, um der ganzen Stadt seine Geschicklichkeit in der Heilung von Knochenbrüchen zu zeigen, oder mit einem Monarchen, der in seinem gesamten Königreich Aufstände und Unruhen anzetteln ließe, um den Ruhm zu erlangen, sie niedergeschlagen zu haben. Das Verhalten dieses Vaters und dieses Monarchen ist den klaren und deutlichen Begriffen, mit denen wir Güte und Weisheit und überhaupt alle Pflichten eines Vaters und eines Königs beurteilen, so zuwider, daß unsere Vernunft nicht zu begreifen vermag, wie Gott auf diese Weise handeln könnte. Aber, werdet ihr sagen, die Wege Gottes sind nicht unsere Wege. Haltet hier ein! Das ist ein Text

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der Schrift,27 räsoniert nicht weiter.28 Sagt uns nicht länger, daß ohne den Fall des ersten Menschen die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit Gottes unbekannt geblieben wären, denn man wird euch antworten, daß es nichts Leichteres gab, als den Menschen diese zwei Eigenschaften erkennen zu lassen. Der bloße Begriff des höchst vollkommenen Wesens lehrt den sündigen Menschen auf klare Weise, daß Gott all die Tugenden besitzt, die eines unendlichen Wesens in jeder Hinsicht würdig sind. Mit wieviel stärkerem Grund hätte dieser Begriff den unschuldigen Menschen gelehrt, daß Gott unendlich gerecht ist? Aber er hätte niemanden bestraft: Eben daraus hätte man seine Gerechtigkeit erkannt, das wäre ein fortwährender Akt, eine ewige Ausübung dieser Tugend gewesen. Niemand hätte verdient, bestraft zu werden, und folglich wäre die Unterdrückung aller Strafe eine Wirkung der Gerechtigkeit gewesen. Antwortet mir bitte hierauf: Wir haben zwei Fürsten, von denen der eine seine Untertanen ins Elend fallen läßt, um sie herauszuziehen, sobald sie dort lange genug geschmachtet haben, und der andere sie beständig in einem Zustand des Wohlergehens erhält. Ist der letztere nicht besser, ist er nicht auch barmherziger als der erste? Diejenigen, welche die unbefleckte Empfängnis der hl. Jungfrau lehren, beweisen demonstrativ, daß Gott seine Barmherzigkeit und die Wohltat der Erlösung über sie mehr als über die anderen Menschen ausgegossen hat. Man muß kein Metaphysiker sein, um das zu wissen. Ein Bauer weiß genau, daß eine größere Güte darin liegt zu verhindern, daß ein Mensch in eine Grube fällt, als ihn hineinfallen zu lassen und nach einer Stunde herauszuziehen, und daß es besser ist zu verhindern, daß ein Mörder jemanden tötet, als ihn nach den Morden, die man ihn begehen ließ, rädern zu lassen. All das warnt uns, daß man sich nicht mit den Manichäern einlassen darf, ohne vor allem andern die Lehre von der Erhöhung des Glaubens und der Erniedrigung der Vernunft31 festgesetzt zu haben. 27 28 31

Jesaia 55, 8. Man sehe unten Anmerkung (M), gegen Ende. Amyraut hat ein Buch mit diesem Titel verfaßt.

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Diejenigen wagen sich weit hervor, die behaupten, daß Gott die Sünde zugelassen habe, weil er sie nicht verhindern konnte, ohne dem freien Willen Abbruch zu tun, den er den Menschen verlieh und der das schönste Geschenk sei, das er ihnen gemacht habe. Der Grund, den sie angeben, ist schön; ein blendendes »Ich weiß nicht was« liegt in ihm, und er hat Größe. Aber zuguterletzt kann man ihn mit Argumenten bekämpfen, die allen Menschen leichter einleuchten und die besser im gesunden Menschenverstand und in den Begriffen der Ordnung begründet sind. Ohne Senecas schöne Abhandlung über die Wohltaten gelesen zu haben, weiß jedermann durch das natürliche Licht, daß es zum Wesen eines Wohltäters gehört, keine Gaben auszuteilen, von denen er weiß, daß der Empfänger sie derart mißbrauchen wird, daß sie nur zu seinem Ruin dienen. Es gibt keinen so leidenschaftlichen Feind, der in diesem Falle seinen Gegner nicht mit Geschenken überhäufen würde. Es entspricht dem Wesen eines Wohltäters, nichts auszulassen um sicherzustellen, daß seine Wohltaten die damit beehrte Person glücklich machen. Wenn er ihr das Wissen vermitteln könnte, sich ihrer gut zu bedienen und es ihr nicht gewährte, so würde er den Charakter eines Wohltäters schlecht zur Geltung bringen. Er würde ihn nicht besser zur Geltung bringen, wenn er den Empfänger – obwohl er es so einrichten könnte, daß dieser die Wohltaten nicht mißbräuchlich nutzt – nicht daran hinderte, dies zu tun, indem er seine schlechten Neigungen heilte. Das sind Begriffe, die dem Volk ebenso bekannt sind wie den Philosophen. Zugegeben: Wenn man dem Mißbrauch eines Gunsterweises nicht anders zuvorkommen kann als dadurch, daß man den Empfängern desselben Arme und Beine bräche oder dadurch, daß man sie mit Ketten an den Füßen gefesselt in ein tiefes Loch würfe, so wäre man nicht verpflichtet, ihm zuvorzukommen; es wäre dann besser, ihnen die Wohltat zu versagen. Aber wenn man dem Mißbrauch dadurch zuvorkommen könnte, daß man das Herz des Empfängers änderte und ihm Geschmack für die guten Dinge einpflanzte, so müßte man das tun. Nun wäre das Gott leichtgefallen, wenn er gewollt hätte. (…). Jede gute Mutter, die ihren Töchtern erlaubt

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hätte, auf einen Ball zu gehen, würde diese Erlaubnis widerrufen, wenn sie sicher wäre, daß diese dort den Schmeicheleien erliegen und ihre Jungfräulichkeit verlieren würden. Und jede Mutter, die im sicheren Wissen, daß dies unfehlbar eintreffen würde, ihre Töchter dennoch auf den Ball gehen ließe, nachdem sie sich damit zufrieden gegeben hätte, sie zur Sittsamkeit zu ermahnen und sie mit ihrer Ungnade zu bedrohen, falls sie als Frauen zurückkommen sollten, würde zumindest den gerechtfertigten Vorwurf auf sich ziehen, weder ihre Töchter noch die Keuschheit geliebt zu haben. Vergeblich würde sie zu ihrer Rechtfertigung vorbringen, daß sie die Freiheit ihrer Töchter nicht einschränken noch ihnen mißtrauen wollte. Man würde ihr antworten, daß diese großartige Schonung recht übel angewendet sei und eher einer gereizten Stiefmutter als einer Mutter ähnlich sehe, und daß es besser gewesen wäre, ihre Töchter unter Aufsicht zu halten, als ihnen durch ein derartiges Zugeständnis an Freiheit und derartige Zeichen des Vertrauens so übel mitzuspielen. Dies zeigt die Unbesonnenheit derjenigen, die uns die Rücksicht, die Gott, wie sie sagen, dem freien Willen des ersten Menschen gegenüber walten ließ, als Grund nennen. Es ist besser, zu glauben und zu schweigen, als Gründe anzuführen, die man durch meine soeben angeführten Beispiele widerlegen kann. (…). Es ist (…) leicht zu zeigen, daß der freie Wille des ersten Menschen, der ihm unverdorben und vollständig in Umständen erhalten blieb, in denen er sich seiner zu seinem eigenen Verderben, dem Elend des menschlichen Geschlechts und der ewigen Verdammnis des größten Teils seiner Nachkommen sowie zur Einführung einer entsetzlichen Flut von Übeln der Schuld und der Strafe bedienen sollte, durchaus kein gutes Geschenk gewesen ist. Niemals werden wir begreifen, daß man ihm dieses Privileg als eine Wirkung der Güte und wegen der Liebe zur Heiligkeit lassen konnte. Wer sagt, daß es freie Wesen geben mußte, damit Gott aus einer Liebe der Wahl geliebt würde, bemerkt sehr wohl, daß diese Lehre die Vernunft nicht befriedigt. Denn wenn man voraussieht, daß diese freien Wesen nicht die Partei der Gottesliebe, sondern die der Sünde ergreifen werden, sieht man sehr

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wohl, daß das angestrebte Ziel verschwindet und daß es deshalb keineswegs erforderlich ist, den freien Willen zu erhalten. Ich will dies in der Anmerkung (M) weiter untersuchen. (…).

(F) Wenn es damals so viele Dispute wie heute über die Prädestination gegeben hätte. Wenn die Manichäer hierbei stehen geblieben wären, hätten sie auf ihre Hauptvorteile verzichtet. Denn die viel schrecklicheren Einwände sind die folgenden: 1) Man begreift nicht, wie der erste Mensch die Fähigkeit, Böses zu tun, von einem guten Prinzip erhalten konnte. Diese Fähigkeit ist ein Laster; alles, was Übel hervorbringen kann, ist böse, weil das Übel nur von einer bösen Ursache kommen kann; und so ist der freie Wille Adams aus zwei entgegengesetzten Prinzipien entstanden. Insofern er sich dem Guten zuwenden konnte, hing er vom guten, aber insofern er das Böse ergreifen konnte, hing er vom bösen Prinzip ab. 2) Es ist unmöglich zu begreifen, daß Gott die Sünde nur zugelassen hat, denn eine bloße Erlaubnis zu sündigen fügte dem freien Willen nichts hinzu und trug nicht dazu bei, daß man hätte voraussehen können, ob Adam im Zustand der Unschuld bleiben oder ob er ihn verlieren würde. Außerdem können wir durch unsere Begriffe von einem erschaffenen Wesen nicht begreifen, daß es ein aktives Prinzip sein soll, daß es sich selbst bewegen kann und daß es, während es in allen Augenblicken seiner Dauer sein Dasein und dasjenige seiner Fähigkeiten, daß es, sage ich, während es das Dasein völlig von einer anderen Ursache erhält, in sich selbst Modalitäten durch eine ihm eigene Kraft hervorbringt. Diese Modalitäten müssen entweder von der Substanz der Seele nicht verschieden sein, wie es die neuen Philosophen wollen, oder sie müssen von der Substanz der Seele verschieden sein, wie es die Peripatetiker versichern. Wenn sie nicht von ihr verschieden sind, können sie nur von der Ursache hervorgebracht werden, welche die Seelensubstanz selbst hervorbringen kann. Nun steht fest, daß der Mensch nicht diese Ursache ist und nicht sein kann. Wenn sie

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von ihr verschieden sind, so sind sie geschaffene Wesen; Wesen, die aus dem Nichts gezogen wurden, weil sie weder aus einer Seele noch aus irgendeiner anderen präexistenten Natur zusammengesetzt sind. Sie können folglich nur durch eine Ursache hervorgebracht werden, die erschaffen kann. Nun stimmen aber alle Philosophenschulen darin überein, daß der Mensch keine derartige Ursache ist und sein kann. Einige wollen, daß die Bewegung, die ihn vorantreibt, ihm von woandersher zuteil wird und daß er sie trotzdem anhalten und auf einen bestimmten Gegenstand lenken kann.39 Das ist widersprüchlich, denn es erfordert nicht weniger Kraft, dasjenige anzuhalten, was sich bewegt, als dasjenige zu bewegen, was ruht. Da das Geschöpf also nicht durch eine bloße Erlaubnis zu handeln bewegt werden kann und da es das Prinzip der Bewegung nicht in sich selbst trägt, ist es mit höchster Notwendigkeit erforderlich, daß Gott es bewegt. Er tut also mehr, als ihm zu erlauben zu sündigen. 3) Das wird durch einen neuen Grund bewiesen, daß man nämlich nicht begreifen kann, daß eine bloße Erlaubnis aus einer Anzahl rein möglicher Dinge kontingente Ereignisse machte oder daß sie die Gottheit in die Lage versetzte, völlig sicher zu sein, daß das Geschöpf sündigen wird. Eine bloße Erlaubnis kann nicht der Grund für das göttliche Vorherwissen sein. Dies bringt die meisten Theologen zu der Annahme, daß Gott einen Ratschluß gefaßt hat, der besagt, daß das Geschöpf sündigen wird. Das ist ihnen zufolge die Grundlage des Vorherwissens. Andere behaupten, der Ratschluß besage, daß das Geschöpf in solche Umstände gesetzt werde, in denen Gott voraussah, daß es sündigen würde. So behaupten die einen, daß Gott die Sünde wegen seines Ratschlusses vorausgesehen habe, und die anderen, daß er den Ratschluß gefaßt habe, weil er die Sünde voraussah. Wie man die Sache auch erklärt, es folgt offensichtlich, daß Gott gewollt hat, daß der Mensch sündigte, und daß er das der ewigen Dauer der Unschuld vorgezogen hat, die er so leicht hätte verschaffen und einrichten können. Bringt dies, wenn ihr könnt, mit 39

Malebranche in seinem Traité de la nature et de la grâce.

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der Güte in Einklang, die er für sein Geschöpf, und mit der unendlichen Liebe, die er für seine Heiligkeit empfinden muß. 4) Wenn ihr mit denjenigen, die den Plan zur Entschuldigung der Vorsehung am besten erfüllen, sagt, daß Gott den Fall Adams gar nicht vorhergesehen hat, gewinnt ihr nur wenig. Denn zumindest hat er sehr sicher gewußt, daß der erste Mensch Gefahr lief, seine Unschuld zu verlieren und all die Übel der Strafe und der Schuld in die Welt einzuschleusen, die seiner Auflehnung folgten. Weder seine Güte noch seine Heiligkeit noch seine Weisheit konnten ihm erlauben, daß er diese Ereignisse riskierte. Denn unsere Vernunft überzeugt uns auf sehr einleuchtende Weise, daß eine Mutter, die ihre Töchter auf einen Ball gehen ließe, wenn sie sehr sicher wüßte, daß diese dort einem großen Risiko für ihre Ehre ausgesetzt wären, damit beweisen würde, daß sie weder ihre Töchter noch die Keuschheit liebt. Und wenn man annimmt, daß sie ein unfehlbares Schutzmittel gegen alle Verlockungen besitzt und es den Töchtern nicht gibt, wenn sie sie auf den Ball schickt, erkennt man mit letzter Evidenz, daß sie schuldig ist und sich wenig darum sorgt, daß ihre Töchter ihre Jungfräulichkeit bewahren. Wir wollen den Vergleich noch etwas weiter führen. Wenn diese Mutter zu diesem Ball ginge und durch ein Fenster sähe und hörte, wie sich eine ihrer Töchter in einem Winkel eines kleinen Zimmers schwach gegen die Zudringlichkeiten eines jungen Galans zur Wehr setzte; wenn sie dann sogar sähe, daß ihre Tochter nur noch einen Schritt davon entfernt wäre, sich den Wünschen des Verführers hinzugeben, und nicht eingriffe, um sie zu retten und aus der Falle zu befreien – würde man dann nicht mit Grund sagen, daß sie wie eine grausame Stiefmutter handelte und daß sie sehr wohl schuldig sei, die Ehre ihrer eigenen Tochter verkauft zu haben?40 Das nun ist das Bild, das die Sozinianer von Gottes Verhalten malen. Sie können nicht sagen, daß er die Sünde des ersten Menschen nur als ein mögliches Ereignis erkannt hat. Er hat alle Schritte der Versuchung gekannt, und er mußte in dem Augenblick, bevor 40

Man sehe unten Fußnote (50).

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Eva unterlag, wissen, daß sie im Begriffe war, sich ins Verderben zu stürzen. Er mußte es, sage ich, mit derjenigen Gewißheit wissen, die bewirkt, daß es unentschuldbar ist, wenn man das Übel nicht ausmerzt, und daß man nicht sagen kann: »Ich hatte Anlaß zu glauben, daß das nicht geschehen würde; es blieb mir große Hoffnung.« Auch Unerfahrene, die nicht wissen, was im Herzen vorgeht und darüber nur durch Anzeichen unterrichtet sind, können versichert sein, daß eine Frau im Begriffe ist, sich hinzugeben, wenn sie durch ein Fenster sehen, wie sie sich wehrt, wenn ihr Fall in der Tat kurz bevorsteht. Der Augenblick der Einwilligung kündigt sich durch sichere Indizien an, die untrüglich sind. Mit wieviel mehr Grund hätte Gott, der alle Gedanken Evas kannte, sobald sie sich gebildet hatten (die Sozinianer streiten ihm diese Kenntnis nicht ab), jenseits aller Zweifel wissen können, daß sie im Begriffe war zu unterliegen. Er wollte sie also sündigen lassen; er hat es, sage ich, in dem gleichen Augenblick gewollt, als er diese Sünde mit Gewißheit vorhersah. Die Sünde Adams ist noch zuverlässiger vorausgesehen worden, denn im Lichte des Beispiels Evas konnte der Fall ihres Mannes besser vorhergesehen werden. Wenn Gott die Erhaltung des Menschen und der Unschuld sowie die Beseitigung all des Elends, das die unausbleibliche Folge der Sünde sein mußte, eine Herzensangelegenheit gewesen wäre, hätte er dann nicht zumindest den Mann gestärkt, nachdem seine Frau gefallen war? Hätte er ihm nicht eine andere, vernünftige und standhafte Frau anstelle derjenigen gegeben, die sich hatte verführen lassen? Wir wollen also sagen, daß das sozinianische System, indem es Gott das Vorherwissen nimmt, ihn auf die Knechtschaft und auf eine erbärmliche Form der Herrschaft beschränkt und nicht die große Schwierigkeit behebt, die es zu beheben gilt und die diese Häretiker zwingt, das Vorherwissen kontingenter Ereignisse zu leugnen.42 42

Man sehe Arnauld, Reflexions sur le systême du P. Malebranche, Buch I, Kap. 13, S. 256 ff., wo er zeigt, daß, wenn Gott nicht durch besondere Willensakte den Willen des Menschen mit den Bewegungen der Mate-

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Ich erinnere Euch an einen noch lebenden Theologieprofessor,43 der sonnenklar gezeigt hat, daß weder Scotisten noch Molinisten noch Remonstranten noch Universalisten noch Pajonisten noch Père Malebranche noch Lutheraner noch Sozinianer mit ihrer jeweiligen Methode in der Lage sind, die Einwände derjenigen aufzulösen, die Gott die Einführung der Sünde zur Last legen oder die behaupten, daß sie weder mit seiner Güte noch mit seiner Heiligkeit noch mit seiner Gerechtigkeit vereinbar ist;44 so daß dieser Professor, weil er woanders nichts Besseres fand, bei der Lehre des hl. Augustinus blieb, die dieselbe ist wie diejenige Luthers und Calvins und die der Thomisten und Jansenisten. Er blieb dabei, sage ich,45 »gequält von den erstaunlichen Schwierigkeiten«, die er aufgezeigt hatte,46 »und übermannt von ihrem Gewicht«.47 Ich glaube nicht, daß seit dem Auftreten Luthers und Calvins ein Jahr vergangen ist, in dem man sie nicht beschuldigt hätte, Gott zum Urheber der Sünde zu machen. Der Professor, von dem ich spreche, räumt ein, daß hinsichtlich Luthers diese Anschuldigung gerechtfertigt ist. Die heutigen Lutheraner behaupten dasselbe von Calvin. Die Römisch-Katholischen behaupten dies von beiden. Die Jesuiten behaupten es von Jansenius. Diejenigen, die etwas ausgewogener und gemäßigter urteilen, halten die feierliche Versicherung ihres Gegners, daß er Gott nicht die Sünde des Menschen anlaste, daß er ihn nicht zum Urheber der Sünde mache, nicht für den Ausdruck eines schlechten Glaubens. Sie räumen durchaus ein, daß er dieses nicht ausdrücklich vortrage und daß er nicht alles überblicke, was seine Lehre einschließt. Aber sie fügen hinzu, daß eine Berie verbindet, die kontingent genannten Ereignisse sogar mit Blick auf Gott solche wären. 43 Ich schreibe dies Anfang April 1696. 44 Jurieu, Jugement sur les méthodes rigides et relâchées d’expliquer la providence et la grâce. Man sehe oben Fußnote (36) des Artikels NIHUSIUS. 45 A. a.O., S. 23. 46 A. a.O., S. 19, 20, 21 und 22. 47 A. a.O., S. 23.

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teuerung, die einer Tatsache entgegengesetzt ist, nichts gilt, und daß er, wenn er sich die Mühe machte, dasjenige genau zu bestimmen, was Gott getan haben müßte, um Urheber der Sünde Adams zu sein, finden werde, daß Gott seiner Lehre zufolge alles das getan hat, was dazu getan werden mußte. »Ihr macht also«, fügen sie hinzu, »genau das Gegenteil von Epikur. Er leugnete im Grunde, daß es Götter gibt, und hat doch gesagt, daß welche da wären.49 Ihr hingegen leugnet mit Euren Worten, daß Gott der Urheber der Sünde sei, aber im Grunde lehrt Ihr es doch.« Kommen wir endlich zum Thema dieser Anmerkung. Die Streitigkeiten, die im Abendland seit der Reformation unter den Christen entstanden sind, haben klar gezeigt, daß man nicht weiß, woran man sich halten soll, wenn man die Schwierigkeiten bezüglich des Ursprungs des Übels auflösen will; ein Manichäer wäre daher heute viel furchterregender als früher, denn er würde jede Seite mit der anderen widerlegen. »Ihr habt«, würde er zu uns sagen, »alle Kräfte Eures Geistes aufgewendet. Ihr habt die scientia media 具die mittlere Erkenntnis 典 erfunden, die wie ein Deus ex machina Euer Chaos entwirren soll. Diese Erfindung ist ein Hirngespinst; man begreift nicht, daß Gott die Zukunft anders als in seinen Ratschlüssen oder in der Notwendigkeit der Ursachen sehen könnte. Es ist ebenso wenig nach der Metaphysik wie nach der Moral begreiflich, daß er, der die Güte und Heiligkeit selbst ist, Urheber der Sünde sein sollte. Ich verweise Euch auf die Jansenisten; schaut Euch an, wie sie Eure scientia media sowohl durch direkte Beweise wie durch Retorsion Eurer Argumente zunichte machen. Denn sie verhindert nicht, daß all die Sünden und all das menschliche Elend der freien Wahl Gottes entstammten, und sie verhindert auch nicht, daß man Gott (dies sei ohne Blasphemie gesagt)50 mit einer Mutter vergleichen könnte, die, ob49

»Epikur hat die Götter dem Namen nach beibehalten, tatsächlich aber geleugnet.« Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 30. Man sehe auch Laktanz im Buch De ira dei, Kap. 4. 50 Dieser Vergleich hat mehrere Reformierte schockiert, aber ich bitte

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wohl sie genau weiß, daß ihre Tochter, wenn sie an bestimmtem Ort zu bestimmter Zeit vom rechten Mann bedrängt wird, ihre Jungfräulichkeit hingeben würde, ein solches Treffen arrangieren, ihre Tochter hinführen und sie auf guten Glauben da lassen würde. Die Sozinianer, die durch diesen Einwand zu Boden geschmettert werden, versuchen sich von ihm zu befreien, indem sie das Vorherwissen leugnen. Aber sie müssen mit Schande sehen, daß ihre Lehre die Herrschaft Gottes herabwürdigt, ohne ihn zu entschuldigen, und daß sie den Vergleich mit dieser Mutter kaum vermeidet. (…). Ich weise sie 具sc. die Sozinianer 典 auf die Protestanten hin, von denen sie zu Boden geworfen und vernichtet werden. Was die absoluten Ratschlüsse betrifft, die eine sichere Quelle des Vorherwissens sind, so seht bitte, auf welche Weise die Molinisten und die Remonstranten dieselben bekämpfen. Da ist ein so entschlossener Theologe wie Bartolus, der beinahe mit Tränen in den Augen bekennt, ›daß es niemanden gibt, der mehr als er über die Schwierigkeiten dieser Ratschlüsse bestürzt ist‹, und daß er diesen Zustand nur deshalb beibehalte, ›weil er sich von eben diesen Lasten immer noch zu Boden gedrückt fühlte‹,51 wenn er gemäßigtere Lehren annehmen wollte. Er hat sich über all das noch nachdrücklicher erklärt, und Ihr könnt nicht leugnen, daß er diese sämtlichen Lehren endgültig widerlegt hat. Und folglich bleibt Euch keinerlei Zuflucht, außer daß Ihr mein System der zwei Prinzipien annehmt. Dadurch zieht Ihr Euch aus der Affäre; alle Schwierigkeiten lösen sich auf, Ihr haltet das gute Prinzip völlig von Schuld frei und Ihr begreift, daß Ihr nur von einem weniger vernünftigen Manichäismus zu einem vernünftigeren Manichäismus übergegangen seid. Denn wenn Ihr Euer System aufmerksam untersucht, so werdet Ihr sie hier, zu bedenken, daß dies nur geschieht, um den Jesuiten und Arminianern nichts schuldig zu bleiben, welche die abscheulichsten Vergleiche der Welt zwischen dem Gott der Calvinisten, wie sie sagen, und Tiberius, Caligula usw. anstellen. Es ist gut, ihnen zu zeigen, daß man sie mit gleichen Waffen schlagen kann. 51 Jurieu, Jugement sur les méthodes, S. 23.

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erkennen, daß Ihr ebenso wie ich zwei Prinzipien annehmt, eines der Güte, eines des Übels. Aber anstatt sie, wie ich es tue, in zwei Subjekte zu setzen, nehmt Ihr sie in ein und dieselbe Substanz zusammen. Das ist widernatürlich und unmöglich. Das alleinige Prinzip, das Ihr annehmt, hat Euch zufolge von aller Ewigkeit her gewollt, daß der Mensch sündigte und daß die erste Sünde eine ansteckende Angelegenheit wurde,53 daß sie ohne Ende und Unterbrechung alle erdenklichen Verbrechen über das gesamte Angesicht der Erde bringen sollte. Infolgedessen hat sie der Menschheit in diesem Leben all das Elend bereitet, das man sich vorstellen kann: die Pest, den Krieg, die Hungersnot, den Schmerz, den Kummer, und nach diesem Leben eine Hölle, in der fast alle Menschen auf ewig derart gequält werden, daß einem die Haare zu Berge stehen, wenn man die Beschreibungen davon liest. Wenn ein solches Prinzip ferner vollkommen gut ist und wenn es die Heiligkeit unendlich liebt, muß man dann nicht anerkennen, daß ein und derselbe Gott vollkommen gut und zugleich vollkommen böse ist und daß er das Laster nicht weniger liebt als die Tugend? Ist es nun nicht vernünftiger, diese entgegengesetzten Eigenschaften zu verteilen und das gesamte Gute dem einen Prinzip, das gesamte Übel dem anderen Prinzip zuzusprechen? Die menschliche Geschichte wird nichts zum Nachteil des guten Prinzips beweisen. Ich sage nicht wie Ihr, daß es aus eigenem Antrieb, aus seinem reinen und freien Willen heraus und lediglich, weil es ihm so gefallen hat, die Menschheit der Sünde und dem Elend ausgesetzt hat, wo es nur an ihm lag, dieselbe heilig und glücklich zu machen. Ich nehme an, daß es dem nur zugestimmt hat, um ein größeres Übel zu vermeiden und wie um sich zu verteidigen. Das entschuldigt es. Es sah, daß das böse Prinzip alles zerstören wollte. Es hat sich dem nach Kräften

53

Nach Ansicht der Molinisten hat Gott beschlossen, die Menschen in solche Umstände zu setzen, von denen er sehr sicher wußte, daß sie sündigen würden; und es wäre ihm möglich gewesen, sie entweder in vorteilhaftere Umstände oder nicht in diese besonderen zu setzen.

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widersetzt und durch Übereinkunft54 den Zustand erlangt, auf den die Dinge reduziert sind. Es ist wie ein Monarch verfahren, der, um den Ruin seiner gesamten Länder zu vermeiden, gezwungen ist, einen Teil derselben zum Wohle der übrigen zu opfern. Es ist eine große, die Vernunft zunächst empörende Unannehmlichkeit, von einem ersten Prinzip, von einem notwendigen Wesen wie von einem Etwas zu sprechen, das nicht alles das tut, was es will, und das aus Unvermögen gezwungen ist, sich den Umständen zu unterwerfen; aber es ist eine noch größere Unvollkommenheit, sich mit fröhlichem Herzen entschließen zu können, Übles zu tun, wenn man Gu-tes tun kann.« Derartiges könnten diese Häretiker vorbringen. Wir wollen mit dem guten Gebrauch schließen, zu dem ich diese Anmerkungen bestimmt habe.

Welchen Nutzen man aus dem angeführten Streitgespräch ziehen muß Es ist nützlicher als man denkt, die Vernunft des Menschen dadurch zu erniedrigen, daß man ihm zeigt, mit welcher Macht die unsinnigsten Irrlehren, wie es die der Manichäer sind, ihr Spiel mit ihrem Licht treiben, um die allerwichtigsten Wahrheiten zu verwirren. Das sollte die Sozinianer, die wollen, daß die Vernunft die Glaubensregel sei, lehren, daß sie sich auf einen Irrweg begeben, der sie nach und nach dahin bringen muß, alles zu leugnen oder alles zu bezweifeln, und daß sie riskieren, von den abscheulichsten Leuten geschlagen zu werden. Was ist also zu tun? Man muß seinen Verstand unter den Gehorsam des Glaubens gefangennehmen und über gewisse Dinge niemals disputieren. Insbesondere darf man die Manichäer nur durch die Schrift bekämpfen und durch das Prinzip der Unterwerfung, wie es der hl. Augustinus tat. (…). 54

Im ersten Absatz der Anmerkung (I) wird ein anderer Weg als der der Verhandlung vorgeschlagen. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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(G) Die Heiden konnten besser auf die manichäischen Einwände antworten als die Christen. Ich spreche durchaus nicht von allen Heiden, denn wir haben an anderer Stelle57 gesehen, daß der Philosoph Melissus, der nur ein Prinzip aller Dinge anerkannte, auf Zoroasters Einwürfe keine Antwort geben konnte, der zwei Prinzipien anerkannte, ein gutes und ein böses. Wenn es nur ein Prinzip gibt und wenn dieses Prinzip seinem Wesen nach gut ist, woher kommt es dann, daß die Menschen so vielen Übeln unterworfen sind? Woher kommt es, daß sie so böse sind?58 Was hat es 具sc. das eine Prinzip 典 erreicht, wenn es doch die Welt aus Liebe zu den Menschen gemacht hat? (…). Wenn dieses alleinige Prinzip, das ihr zulaßt, seiner Natur nach böse ist, woher kommt es dann, daß der Mensch sich an so vielen Vergnügen erfreuen60 und daß er sie haufenweise mit all seinen Sinnen aufnehmen kann wie durch ebensoviele Tore? Woher kommt die Leidenschaft, mit der er sie sucht? Woher kommt der unaufhörliche Fleiß, mit der er sie vervielfacht und neue erfindet? Woher kommt es, daß er nicht nur den Begriff der Ehrenhaftigkeit besitzt, sondern daß es auch viele tugendhafte und barmherzige Taten unter den Menschen gibt? Es ist unmöglich, werden die Manichäer sagen, den Grund dieser Erscheinungen anzugeben, wenn man nicht annimmt, daß zwei Prinzipien, ein gutes und ein böses, die Bedingungen der Verbindung unseres Körpers mit unserer Seele und im allgemeinen alles eingerichtet haben, was die Lenkung des Universums betrifft. Melissus und Parmenides waren nicht die einzigen, denen diese Einwände Mühe bereiten konnten; die Stoiker befanden sich diesbe-

57

Im Artikel MANICHÄER, Anmerkung (D). Ebd. 60 »Wenn es nämlich Gott gibt, woher kommt dann das Übel? Woher kommt aber das Gute, wenn es ihn nicht gibt?« Boethius, De consolatione philosophiae, Buch I, Prosa IV, S. 11 meiner Ausgabe. Man sehe, was im Artikel PERIKLES, Anmerkung (K) aus Cicero angeführt werden wird. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 58

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züglich ebenfalls in großer Verlegenheit; die Stoiker, sage ich, die, ohne die Vielzahl der Götter zu leugnen, sie allesamt auf Jupiter als den obersten Herrscher über die Ereignisse zurückführten.61 Ihm sprachen sie die Vorsehung zu, und ihn erkannten sie als ein unendlich gutes und kluges Wesen an. Darauf hat sich Plutarch in seinen gegen sie erhobenen Einwänden gestützt, die er aus dem Elend der Menschheit geschöpft hat. (…). Der Großteil der Heiden hat die Einwände nicht zu fürchten, die ich angeführt habe, denn ihre öffentliche Religion basiert auf folgenden zwei Hauptpunkten; dem einen, daß es wohltätige Götter und daneben boshafte Götter gibt, und dem anderen, daß im allgemeinen die Götter nicht immer dieselben Leidenschaften haben; daß sie sich besänftigen und daß sie wütend werden, daß sie von einer Partei zur anderen wechseln; daß sich die einen einsetzen, um ein Volk zu unterstützen, die anderen, um ihm zuzusetzen; kurzum, der eine stellt sich dem anderen in den Weg. Durch diese Annahme konnte man die menschliche Geschichte ebenso leicht erklären wie durch diejenige Zoroasters. Arnobius hat diese zwei Arten von Göttern, die einen wohltätig, die anderen boshaft, sehr nachdrücklich widerlegt. Aber er ist zu weit gegangen, denn er hat sich eines für den Manichäismus sehr vorteilhaften Prinzips bedient. Er sagt ohne jede Einschränkung, daß die Natur Gottes es ihm nicht erlaubt, jemanden zu beunruhigen. Woher kommen dann, hätte man ihn fragen können, die Seuchen und die Hungersnöte? Nennen die Christen sie nicht die Geißeln Gottes? Wie dem auch sei, führen wir an, was er gesagt hat. (…).74 Obwohl dieser Abschnitt aus Arnobius die Manichäer unterstützt, enthält er eine Bemerkung, die ihnen hinderlich ist und die ihre ganze Religion umstürzt; denn der Grund, aus dem sie ein böses Prinzip zuließen, war, daß sie nicht glaubten, daß das gute Prinzip Böses tun kann. Folglich glaubten sie, daß das andere Prinzip nichts Gutes tun konnte. So war ihr ganzer Gottes61 74

Man sehe Plutarch, Adversus stoicos, S. 1075. Arnobius, Buch VII, S. 228 f. meiner Ausgabe. (…).

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dienst unnütz; der wohltätige Gott hätte nie ihren Irrglauben bestraft, und den boshaften Gott konnten sie niemals gnädig stimmen. Arnobius richtet diesen Einwand sehr trefflich gegen die Heiden, aber sie hätten ihm antworten können, daß die grausamsten Tyrannen einen sehr großen Unterschied machen zwischen denen, die sie ehren, und denen, die sie verachten; und daß die nachsichtigsten Könige dieselbe Unterscheidung machen zwischen denen, die sie respektieren, und denen, die sie beleidigen. In diesem Verhältnis muß man über die wohltätigen und die boshaften Gottheiten urteilen. Ich glaube, daß weder Zoroasters System noch dasjenige der Manichäer es zuläßt, daß man bei folgerichtigem Schließen sich dieser Gegenantwort bedient.

(H) Die Rechtgläubigen scheinen zwei erste Prinzipien zuzulassen. Zu jeder Zeit ist im Christentum die Meinung verbreitet gewesen, daß der Teufel der Urheber aller falschen Religionen sei, daß er es sei, der die Häretiker antreibt, ihre Lehren aufzustellen, daß er die Irrtümer, den Aberglauben, die Kirchenspaltungen, die Unkeuschheit, die Habsucht, die Unmäßigkeit, mit einem Wort: all die Verbrechen eingebe, die von Menschen begangen werden; daß er es sei, der dafür sorgte, daß Eva und ihr Mann den Stand der Unschuld verloren, woraus folgt, daß er die Quelle des moralischen Übels und die Ursache des gesamten menschlichen Elends ist. Er ist also das erste Prinzip des Übels, aber da er weder ewig noch ungeschaffen ist, ist er trotzdem nicht das erste böse Prinzip im Sinne der Manichäer. Das hat diesen Häretikern ich weiß nicht was für einen Stoff geboten, sich zu rühmen und die Rechtgläubigen zu beschimpfen. »Ihr tut dem guten Gott bei weitem mehr Unrecht an als wir«, könnten sie zu ihnen sagen, »denn Ihr macht ihn zur Ursache des bösen Prinzips, Ihr behauptet, daß er es ist, der es hervorgebracht hat. Und obwohl er es schon beim ersten Schritt anhalten konnte, hat er gestattet, daß es einen so

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großen Herrschaftsbereich auf der Welt einnahm, so daß die Menschheit in zwei Reiche eingeteilt wurde, in dasjenige Gottes und dasjenige des Teufels.75 Das erstere ist immer sehr klein gewesen und während mehrerer Jahrhunderte so klein, daß es keine zwei Einwohner hatte, das andere hingegen zwei Millionen. Wir sind nicht verpflichtet, die Ursache für die Boshaftigkeit unseres bösen Prinzips aufzusuchen, denn wenn eine ungeschaffene Sache diese oder jene Eigenschaft hat, dann kann man nicht angeben, warum sie dieselbe hat. Das ist eben ihre Natur, hier muß man notwendigerweise innehalten. Aber bei einem Geschöpf muß man den Grund seiner Eigenschaften aufsuchen, und man kann ihn nur in seiner Ursache finden. Ihr müßtet deshalb sagen, daß Gott der Urheber der Boshaftigkeit des Teufels ist, daß er selbst sie in dieser Form hervorgebracht hat oder daß er Keim und Samen derselben in den Boden legte, den er geschaffen hat. Nun heißt das, Gott tausendmal mehr Unrecht anzutun, als zu sagen, daß er nicht das einzige notwendige und unabhängige Wesen ist.« Das führt auf die oben dargelegten Einwände bezüglich des Falles des ersten Menschen zurück. Es ist also nicht erforderlich, darauf weiter zu beharren. Man muß demütig anerkennen, daß alle Philosophie hier am Ende ist und daß ihre Schwäche uns zum Licht der Offenbarung führen muß, wo wir den sicheren und festen Anker finden werden. Man bemerke, daß diese Häretiker die Stellen der hl. Schrift mißbraucht haben, an denen der Teufel als »Fürst dieser Welt«76 und als »Gott dieser Welt«77 bezeichnet wird.

75 76 77

Man sehe die Bücher des hl. Augustinus De civitate dei. Johannes-Evangelium 14, 30. 2. Korinther 4, 4.

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(M) Je mehr man nachdenkt, desto mehr findet man, daß das natürliche Licht (---) Argumente bereitstellt (---), die diesen gordischen Knoten noch fester verschlingen. Ich habe diese Erfahrung bei der nochmaligen Lektüre dieses Artikels gemacht, als ich ihn für die zweite Auflage einrichten mußte. Es sind mir Gedanken gekommen, die ich vormals nicht hatte120 und die mich ganz von neuem und stärker als jemals zuvor überzeugen, daß die beste Antwort, die man auf natürlicher Grundlage121 auf die Frage »Warum hat Gott die Sünde des Menschen zugelassen?« geben könnte, die ist zu sagen: »Ich weiß es nicht, ich glaube lediglich, daß er Gründe gehabt hat, die seiner unendlichen Weisheit sehr würdig, mir aber unverständlich sind.« Durch diese Antwort werdet ihr selbst die Disputierwütigsten kurz abfertigen, denn wenn sie weitervernünfteln wollen, so laßt ihr sie alleine weiterreden, und sie werden bald verstummen. Wenn ihr euch mit ihnen auf den Kampf einließet und die Aufgabe übernähmet zu behaupten, daß die unverbrüchlichen Privilegien des freien Willens der wahre Grund gewesen sind, der Gott dazu brachte, die Menschen sündigen zu lassen, so müßtet ihr ihnen eine befriedigende Antwort auf die Einwände geben, die sie gegen euch erheben würden, und ich weiß nicht, wie ihr das schaffen könntet. Denn kurzum, sie könnten euch zwei Punkte entgegenhalten, die unserer Vernunft sehr einleuchtend erscheinen. I. Der erste ist, daß Gott, indem er den Geschöpfen durch eine Wirkung seiner Güte das Dasein verlieh, ihnen in der Eigenschaft einer wohltätigen Ursache auch all die Vollkommenheiten gab, die jeder Art gemäß sind. Man muß daher sagen, daß er denjenigen mehr Liebe bezeugte, die von ihm sehr vortreffliche Eigenschaften erhalten haben, als denjenigen, die weniger vortreffliche erhielten. Er hat den Menschen also infolge 120

Man sehe auch die neuen Anmerkungen des Artikels ORIGENES. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 121 D. h. indem man nicht die Offenbarung, sondern lediglich die philosophischen Begriffe zu Rate zieht.

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einer besonderen Güte den freien Willen verliehen, denn diese Eigenschaft erhebt sie über alle Wesen der Erde. Nun kann man sich nicht vorstellen, daß ein wohltätiges Wesen ein vorzügliches Geschenk macht, ohne das Glück der Empfänger deutlich spürbar zu wollen, und folglich müßte es Vorsorge treffen, daß sie diesen Vorteil aus ihm ziehen, und sie – falls möglich – daran hindern, in dem Geschenk ihr Verderben und ihren völligen Untergang zu finden. Wenn es kein anderes Mittel gibt, um dies zu verhindern, als die Gabe zurückzunehmen, so muß der Geber sie vernichten; dadurch kann er sich viel besser als auf allen anderen Wegen die Eigenschaft eines Gönners und Wohltäters erhalten. Das bedeutet keinerlei Gesinnungsänderung mit Blick auf den Beschenkten, sondern es heißt, ohne jeden Anschein des Wandels die Wohltätigkeit zu bewahren, aus der heraus man ihm das Geschenk gemacht hatte. Dieselbe Güte, die dazu führt, etwas zu geben, das man für geeignet hält, Menschen, die sich desselben erfreuen werden, glücklich zu machen, führt dazu, es wegzunehmen, sobald man beobachtet, daß es sie unglücklich macht. Und wenn man über die Zeit und die erforderlichen Mittel verfügt, dann wartet man mit der Rücknahme dieses Geschenks nicht, bis es bereits die Ursache von Elend geworden ist; man zieht es zurück, bevor es Schaden angerichtet hat. Dahin führen uns unsere Vorstellungen der Ordnung und die Begriffe, mittels derer wir über Wesen und Zeichen der Güte urteilen können, wo immer wir sie vorfinden mögen: bei Schöpfer oder Geschöpf, Vater, Herr, König usw. Daraus ergibt sich der Stoff zu diesem Dilemma: Entweder hat Gott den Menschen den freien Willen als eine Wirkung seiner Güte, oder ohne alle Güte gegeben. Ihr könnt nicht sagen, daß es ohne alle Güte geschah, deshalb sagt ihr, daß es mit einem großen Teil Güte geschah. Aber daraus folgt notwendigerweise, daß er ihnen den freien Willen um jeden Preis vorenthalten mußte, anstatt abzuwarten, bis sie in ihm durch die Hervorbringung der Sünde ihre ewige Verdammnis finden würden. Das wäre eine Ungeheuerlichkeit, die er seinem Wesen nach verabscheut. Und wenn er die Geduld gehabt hat, ein derart verderbliches Geschenk in ihren Händen

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zu lassen, bis das Übel eingetreten ist, so ist das ein Zeichen, daß seine Güte sich entweder geändert hat, noch bevor die Menschen den rechten Weg verlassen haben, was ihr euch nicht trauen würdet zu sagen, oder daß der freie Wille ihnen nicht als eine Wirkung der Güte gegeben wurde, was der zugegebenen Voraussetzung des oben geschilderten Dilemmas zuwiderläuft. Es gibt Regelungen mit fester Verpflichtung. Man darf sich von ihnen nur in Notfällen freimachen, aber wenn solche Fälle eintreten, muß man sich über alle diese Regelungen hinwegsetzen. Ein Sohn, der sieht, daß sein Vater im Begriff ist, sich aus dem Fenster zu stürzen – sei es in einem Anfall von Wahnsinn, sei es in einem Augenblick heftigen Kummers –, würde sehr recht handeln, ihn in Ketten zu legen, wenn er ihn nicht anders zurückhalten könnte. Wenn eine Königin ins Wasser fiele, würde der erstbeste Diener, der sie herausziehen könnte, indem er sie umfaßte oder an den Haaren ergriffe – selbst wenn er ihr dabei mehr als die Hälfte derselben ausrisse – sehr recht handeln, wenn er so verführe. Sie würde sich wohl kaum beklagen, daß er es an Respekt habe fehlen lassen. Und welche verrücktere Entschuldigung könnte man jemals dafür anführen, daß man eine fein gekleidete Dame in einen Abgrund fallen ließ, als zu sagen, daß man, um sie zurückzuhalten, ihre Bänder und ihre Frisur hätte in Unordnung bringen müssen? In dergleichen Fällen ist der Zwang und die Gewalt, die man den Leuten antut, eine Wirkung der Güte; und selbst wenn man sie gegen ihren Willen dem Rachen des Todes entrisse, wäre das ein Liebesdienst, auch wenn man Gefahr liefe, ihnen dabei einen Körperteil auszurenken, wenn man sie nicht anders retten könnte. Sie werden die ersten sein, die euch dafür danken, sobald ihr Wahnsinn sich gelegt hat. Der Grundsatz, demzufolge es dasselbe ist, einen Menschen zu retten, der umkommen will, wie ihn zu töten, findet hier keine Anwendung. Die größten Anhänger der Toleranz werden euch sagen, daß der vorgebliche Befehl »Nötige sie, einzutreten«, im wörtlichen Sinne ausgeführt werden müßte, wenn das einzige sichere und unfehlbare Mittel zur Errettung der Häretiker darin bestünde, sie mit

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Hieben der Mistgabel zum Besuch entweder der Predigt oder der Messe zu bewegen. Ich führe den philosophischen Kommentator 具sc. Bayle 典 als Zeugen an. (…).124 Was wir bezüglich des Rechts gesagt haben, das man kraft der Gesetze der Barmherzigkeit hat, Leute zu betrüben und zu verletzen, die man eben dadurch vor dem Tod bewahrt, ist noch viel wahrer mit Blick auf Väter. Sie würden ihre gesamten Pflichten vergessen, wenn sie einem Sohn nicht ein Messer oder einen Degen wegnähmen, mit dem er sich offensichtlich durch üblen Gebrauch sogleich verletzen wird. Sie wären trotz seiner Tränen verpflichtet, ihm diese Geschenke zu entreißen. Und wenn sie sähen, daß er dabei ist, sich durch irgendein Geschäft sein ganzes Leben zu ruinieren, so müßten sie ihn mit Gewalt davon abhalten, sogar unter Indienstnahme der weltlichen Macht. Wenn sie das Wohl ihrer Söhne verabsäumen und anführen, daß sie keinen Zwang anwenden wollten, gleichsam als ob die Söhne Sklaven wären, so zeigen sie, daß sie entweder keine Liebe haben oder die wahren Pflichten der Liebe nicht kennen. All dies zeigt uns deutlich, daß diejenigen, welche die Fügung der göttlichen Vorsehung bezüglich der Zulassung der ersten Sünde dem Urteil der Vernunft unterwerfen wollen, ihre Sache unfehlbar verlieren werden, wenn sie nichts anderes zu sagen haben, als daß die Privilegien der Freiheit nicht verletzt werden durften. »Wie«, würde man ihnen antworten, »Ihr denkt Euch Gott als den Vater der Menschen und sagt trotzdem, daß er ihnen lieber die kurze und kleine Unannehmlichkeit ersparen möchte, sie zu zwingen, auf eine angenehme Unterhaltung zu verzichten, in der sie ihre Freiheit mißbrauchen werden, als ihnen die ewige Verdammnis zu ersparen, die sie durch den Mißbrauch ihres freien Willens auf sich laden? Wo findet Ihr solche Begriffe von väterlicher Güte? Den freien Willen schonen, sich sorgfältig hüten, die Neigung eines Menschen einzuschränken, der für immer seine Unschuld verCommentaire philosophique sur 具ces paroles de Jesus-Christ 典 »Contrain-les d’entrer«, Teil III, S. 57 ff. 124

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lieren und sich auf ewig verdammen wird; nennt Ihr das eine rechtmäßige Rücksichtnahme auf die Privilegien der Freiheit? Ihr wäret weniger unvernünftig, wenn Ihr zu einem Menschen, der neben Euch hingefallen wäre und sich ein Bein gebrochen hätte, sagen würdet, ›Was uns daran gehindert hat, Euch vor diesem Fall zu schützen, ist, daß wir fürchteten, einige Falten Eures Rockes in Unordnung zu bringen; wir hatten zu große Achtung für seine Symmetrie, um irgend etwas zu unternehmen, das sie zerstörte, und es schien uns besser, Euch der Gefahr eines Knochenbruchs ausgesetzt sein zu lassen‹.« Ich leugne nicht, daß die Erlaubnis, sich einer Sache zu bedienen und sie zu mißbrauchen, manchmal nicht den Charakter eines ganz besonderen Gunsterweises hätte. Dann aber bringt diese Erlaubnis die Straflosigkeit des Mißbrauchs mit sich. Das also trägt zu der Sache, um die es hier geht, nichts bei.126 II. Allein der zweite Punkt, der mir noch vorzutragen bleibt, wird den Verteidigern mehr Mühe machen als der erste. Bislang habe ich auf der Grundlage des Prinzips argumentiert: Wenn diejenigen, die man liebt, weder vor dem Tod noch vor der Schande noch vor einem anderen großen Übel bewahrt werden können, außer dadurch, daß man sie einen geringeren Schmerz verspüren läßt, so ist man verpflichtet, sie denselben spüren zu lassen. Die Nachgiebigkeit, die Duldung, die man ihren Launen oder ihren schlechten Neigungen entgegenbrächte, wären weniger ein Akt der Güte als ein Akt der Grausamkeit. Und wie sie die ersten wären, die darüber aufgebracht wären, sobald sie die Konsequenzen davon erfahren hätten, so wären sie doch auch die ersten, die sich für das Übel bedankten, das man ihnen in so nützlicher Absicht zugefügt hätte. Die Evidenz dieser Sätze springt jedermann in die Augen, und man 126

Die rechte Art, eine Wohltat zu erweisen, besteht nicht darin, ihren Mißbrauch zu erlauben, sondern ihr die Kunst, sich ihrer zu bedienen, hinzuzufügen. Ohne das ist ein Geschenk ein Körper ohne Seele, wie Horaz zu Tibull sagt. Epist., Buch I, 4, Vers 6. (…).

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kann nicht zweifeln, daß Adam und Eva den Hieb, den Gott ihnen versetzt hätte, um sie am Sündenfall zu hindern, nicht als einen genauso großen Gunsterweis wie die vorangegangenen Wohltaten betrachtet hätten. Hierauf laufen die Prinzipien meiner ersten Beobachtung hinaus. Jetzt aber schlage ich einen anderen Weg ein. Ich gebe meinen Gegnern alles zu, was sie verlangen; ich stimme ihrer Voraussetzung zu, daß man, weil der Mensch das Privileg der Freiheit erhalten hat, ihm den reinen und vollständigen Besitz und Gebrauch derselben lassen mußte und ihm um nichts in der Welt den geringsten Zwang antun durfte. Ich stimme zu, wenn man sagt, daß es nicht die rechte Zeit war, jemanden zu retten, wenn man ihn an Armen oder Haaren zog, auf die Erde warf und zu ihm sagte: »Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken.«127 Die Freiheit sei eine absolut unverletzbare Grenze und ein Privileg, das auf keine Weise angetastet werden darf; ich will es zugeben. All dies eingeräumt – gab es nicht genügend andere Wege, den Fall des Menschen zu verhindern? Es ging nicht darum, sich einer körperlichen Bewegung entgegenzusetzen; eine solche Entgegensetzung verursacht Schmerzen. Es handelte sich lediglich um einen Willensakt. Nun schreien alle Philosophen heraus, daß der Wille nicht gezwungen werden kann, voluntas non potest cogi, und es ist ein Widerspruch zu sagen, daß ein Wollen erzwungen sei, denn jeder Akt des Willens geschieht seinem Wesen nach freiwillig. Nun ist es für Gott unendlich leichter, einen solchen ihm genehmen Willensakt in die Seele der Menschen einzudrücken, als es für uns ist, eine Serviette zu falten; folglich usw. Hier kommt eine noch durchschlagendere Beobachtung. Alle Theologen stimmen darin überein, daß Gott unfehlbar einen guten Willensakt in der menschlichen Seele hervorbringen kann, ohne ihr die Fähigkeiten der Freiheit zu nehmen.128 Ein angenehmes Vergnügen, die Eingebung einer Idee, die den Eindruck Apostelgeschichte 9, 5 具recte: 26, 14 典. Man sehe die Anmerkung (G) des Artikels MARCIONITEN. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 127 128

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des Gegenstandes abschwächt, von dem die Versuchung ausgeht, tausend andere vorausschauende Mittel der Einwirkung auf den Geist und die empfindende Seele stellen sicher, daß die vernünftige Seele einen guten Gebrauch von ihrer Freiheit macht und sich auf den rechten Weg begibt, ohne mit unwiderstehlicher Gewalt dorthin getrieben zu werden. Calvin leugnet das nicht hinsichtlich der Seele Adams während der Zeit der Unschuld, und alle Theologen der römischen Kirche, die Jansenisten129 nicht ausgenommen, räumen es mit Blick auf den sündigen Menschen ein. Sie erkennen an, daß seine Taten verdienstvoll sein können, obwohl er nur mit einer Gnade handelt, die entweder als solche wirksam ist oder in einem solchen Grade zureichend ist, daß sie unfehlbar ihre Wirkung nach sich zieht. Sie müssen also anerkennen, daß ein dem Adam in geeigneter Weise geleisteter Beistand Gottes oder eine so eingerichtete Hilfestellung, die unfehlbar verhindert hätte, daß er gefallen wäre, sich sehr wohl mit dem Gebrauch des freien Willens vereinbaren ließe und ihn keinerlei Zwang oder Unangenehmes hätte empfinden lassen und ihm Gelegenheit geboten hätte, verdienstvoll zu handeln. So werden die Verteidiger aus ihren sämtlichen Verschanzungen getrieben. Werden sie als letzten Rettungsversuch vortragen, daß Gott dem Geschöpf nichts schuldig sei und daß er nicht verpflichtet war, es mit einer nötigenden oder unfehlbaren Gnade auszustatten? Aber weshalb haben sie dann so oft gesagt, daß er die menschliche Freiheit schonen mußte? Wenn er dem Menschen dieses Vorrecht bewahren und davon absehen mußte, es anzutasten, so ist er seinem eigenen Werk folglich etwas schuldig. Aber diesen Einwand ad hominem beiseite gesetzt; kann man ihnen nicht antworten, daß Gott, wenn er dem Geschöpf nichts schuldig ist, sich selbst alles schuldig ist und daß er nicht seinem Wesen entgegen handeln kann? Nun

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Das heißt, wenn man sich darauf stützt, daß sie behaupten, die Sätze des Jansenius in dem Sinne zu verdammen, wie der Papst sie verdammt hat.

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entspricht es dem Wesen der Heiligkeit131 und der unendlichen Güte, die alles vermag, die Einführung des moralischen und physischen Übels nicht zu dulden. »Ja«, werden sie schließlich antworten, »aber spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so?«132 Das ist gut gesagt, und dabei muß man bleiben. Das heißt auf den Ausgangspunkt des Streites zurückkommen. Man hätte ihn gar nicht erst verlassen dürfen, denn es ist unnütz, sich auf einen Disput einzulassen, wenn man, nachdem man eine Zeitlang herumgestritten hat, gezwungen ist, sich auf seine These zurückzuziehen. Die Lehre, welche die Manichäer angreifen, muß von den Rechtgläubigen wie eine Tatsachenwahrheit betrachtet werden, die klar offenbart worden ist; und weil man am Ende wird zugeben müssen, daß man weder die Ursachen noch die Gründe derselben versteht, wäre es besser, dies gleich zu Anfang zuzugeben und dabei stehenzubleiben, die Einwände der Philosophen wie eitle Spitzfindigkeiten vorüberziehen zu lassen und ihnen unter dem Schild des Glaubens nur das Schweigen entgegenzusetzen.

131

Das heißt, daß es dem Licht unserer schwachen Vernunft so erscheint. 132 Römer 9, 20.

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perrot, Nicolas, Herr von Ablancourt, einer der besten und geistreichsten Köpfe seines Jahrhunderts, wurde am 5. April 1606 in Châlons-sur-Marne geboren.b Er entstammte einer sehr vornehmen Familie des Richterstandes und wurde mit einzigartiger Sorgfalt erzogen. Man »schickte ihn zur Ausbildung ans Kolleg nach Sedan«,c wo er so gute Fortschritte machte, »daß er im Alter von dreizehn Jahren seine humanistischen Studien erfolgreich beendete. Anschließend rief ihn sein Vater zu sich zurück und gab ihm einen tüchtigen Mann an die Seite, nicht nur zur Wiederholung seiner sämtlichen Studien, sondern auch, um ihm erste Kenntnisse in der Philosophie zu vermitteln. Diese Übungen dauerten etwa drei Jahre. Nach Abschluß derselben brachte man ihn nach Paris, wo er fünf oder sechs Monate lang Jura studierte. Mit achtzehn Jahren wurde er Gerichtsadvokat und verkehrte in Juristenkreisen.«d Schon bald stellte sich eine Abneigung hiergegen ein, und er gab seinen Widerwillen gegen die Juristerei deutlich zu erkennen. Das mißfiel seinem Onkel Cyprian Perrot, der »Berater der Großen Kammer«e war, aber er tröstete diesen damit, daß er die protestantische Religion verließ, in der er geboren worden war. Er schwor ihr im Alter von zwanzig Jahren ab, wollte aber dennoch nicht den Plänen seines Onkels folgen, der ihn »der Kirche in der Hoffnung zuführen wollte, eines Tages einen ganz großen Prediger aus ihm zu machen«.f Er »verbrachte fünf oder sechs Jahre mit Beschäftigungen, wie sie seinem Alter entb

Oliver Patru, Vie de Mr. d’Ablancourt, in: ders., Œuvres, Bd. II, S. 334 der holländischen Ausgabe von 1692. c A. a.O., S. 335. d A. a.O. e A. a.O., S. 336. f A. a.O.

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sprachen«,g doch ohne »die Studien völlig zu vernachlässigen.h (…). Im Alter von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren erfaßte ihn der Wunsch, zu der Religion zurückzukehren, die er verlassen hatte und deren Eindrücke zu keiner Zeit völlig in seinem Geist erloschen waren.«i »Um aber nichts überstürzt und grundlos zu tun, begann er zunächst mit dem Studium der Philosophie und sodann der Theologie. Er nahm Stuart, einen schottischen Lutheraner und im übrigen sehr gelehrten Mann, zum Lehrer. Er arbeitete mit solcher Hingabe und Hitze, daß er sich zwölf bis fünfzehn Stunden täglich dem Studium widmete, ohne ein Wort über die Absicht zu verlieren, mit der er das machte. So verbrachte er beinahe drei Jahre. Er brach von Paris in die Champagne auf, wo er seine zweite Abschwörung in der Kirche des Dorfes Helme nahe bei Vitry tat, und ging fast zur gleichen Zeit nach Holland, um den ersten Lärm wegen dieses neuen Wechsels verhallen zu lassen. (…).«k »(…) er starb in den Armen seiner Schwester und seines Neffen d’Ablancourt am 27. November 具sc. 1664 典 im Alter von 58 Jahren, achtp Monaten und zwölf Tagen.q (…)«. Er besaß sehr breitgestreute Kenntnisse und widmete sich ganz besonders dem Studium der Bibel. Wir werden sehen, wie er über die Unsterblichkeit der Seele dachte (L). (…).

(L) Wir werden sehen, wie er über die Unsterblichkeit der Seele dachte. Nachdem d’Ablancourt in einem Gespräch behauptet hatte, »daß uns die Religion und nicht die natürliche Vernunft über die Unsterblichkeit der Seele belehrt«30, setzte er eine Abhandg

A.a.O. A. a.O. i A. a.O. k A. a.O., S. 338. p Es müßte »sieben« heißen. q Vie de Mr. d’Ablancourt, S. 342. 30 A. a.O., S. 335. h

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lung auf, die er an Patru schickte, um seine Meinung zu rechtfertigen.31 Hierin versichert er, »daß die vollkommene Erkenntnis unserer Seele die gewöhnliche Kraft unseres Geistes übersteigt und daß es keine Gründe gibt, die ihre Unsterblichkeit beweisen können«.32 Er referiert die wichtigsten dieser im Laufe der Geschichte vorgebrachten Gründe und fügt hinzu, »daß sie zwar gut geeignet seien, eine Seele, die schon von der Gnade erleuchtet ist, in ihrem Glauben zu bestärken, aber außerstande, einen Geist zu überzeugen, der nur das natürliche Licht hat«. Er spricht33 von der Verblendung der Philosophen »in dieser Sache« und von der verworrenen Lehre des Aristoteles hierüber, und er sagt, daß dies nicht erstaunlich sei, denn damals »hatte das Licht des Evangeliums die Welt noch nicht erleuchtet, und da diese Wahrheit über die menschliche Vernunft geht, ist zu ihrer Erkenntnis ein übernatürlicher Beistand nötig gewesen«.34 (---). »Du mußt mir zustimmen«, sagt er35 zu seinem Freund Patru, »daß uns der Glaube zu Christen macht und nicht die natürliche Vernunft, und daß ich als Naturwissenschaftler sagen darf, die Auferstehung sei unmöglich, vorausgesetzt, ich glaube, daß Gott in seiner unendlichen Macht Dinge tun kann, die der Natur unmöglich sind. Ich habe also gar nichts Ungehöriges gesagt, als ich erklärte, der menschliche Diskurs lasse mich die Unsterblichkeit der Seele nicht begreifen, sondern die hl. Schrift und Gottes Offenbarungen an seine Kirche hätten mich diese Wahrheit gelehrt, auf der unsere ganze Religion beruht.« Danach sagt er, seine Meinung sei viel besser, als wenn sie sich auf philosophische Beweise stützte. »Du36 glaubst an die Unsterblichkeit der Seele, weil deine Vernunft es dich so sehen läßt, während ich gegen

31

Man findet sie vollständig in Bd. II der Œuvres de Mr. Patru, S. 354 ff. 32 A. a.O., S. 356. 33 A. a.O., S. 357. 34 A. a.O., S. 358. 35 Ebd. 36 A. a.O., S. 361.

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meine Vernunft daran glaube, weil unsere Religion mir befiehlt, daran zu glauben. Betrachte diese beiden Meinungen, und du wirst zweifellos zugeben, daß meine viel besser ist als deine. Deine ist nicht einmal katholisch. (---). So37 wie es (---) zur Tugend nicht genügt, gute Handlungen auszuführen, sondern darüber hinaus unsere Absichten unschuldig und unsere Handlungen aus einem guten Beweggrund hervorgegangen sein müssen: ebenso genügt es nicht zum Katholischsein, nichts von dem zu bezweifeln, was wir nach dem Willen der Kirche für gewiß halten sollen, sondern als Christen müssen wir es glauben, und die Demut, nicht der Stolz muß die Ursache unseres Glaubens sein. (---). Es38 heißt nicht vollkommen auf Gott vertrauen, wenn wir uns in Dingen, die wir nach seinem Willen glauben sollen, auf unsere Vernunft stützen. Wenn unsere Vernunft uns niemals täuschte und wir eine vollkommene Erkenntnis der Dinge besäßen, die unter unsere Sinne fallen, dann wäre unser Leichtsinn vielleicht vertretbar, und es wäre nicht erstaunlich, daß wir uns auf die Suche nach dem begeben, was über uns ist, weil uns hier unten nichts festhalten kann. Aber Du weißt besser als ich, was die menschliche Wissenschaft ist und daß es noch viele Dinge in der Natur gibt, von denen die Philosophie keine blasse Ahnung hat, so daß wir guten Grund haben, unseren Kräften und unserer Vernunft zu mißtrauen. Nur ein Anfänger in der Philosophie gibt alle Fragen als leicht aus. Wer tiefer in die Erkenntnis eingedrungen ist, stößt dort auf ziemlich viele Schwierigkeiten. Oft stellen sich zwei entgegengesetzte Meinungen als gleich wahrscheinlich dar, und wenn man eine davon annimmt, geschieht das eher aus Neigung als aus Vernunft. Der Mensch kann über nichts mit Gewißheit urteilen, seine Vernunft täuscht ihn ebenso leicht wie seine Sinne. Wir leben inmitten von Irrtümern und Zweifeln und haben hienieden keine wirklich gewissen Wahrheiten außer denen, die Gott seiner Kirche offenbart hat. Schau Dich in allen Philosophenschulen um; prüfe, was man 37 38

A. a.O., S. 362. A. a.O., S. 363.

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dort tut und was man dort lehrt: Du wirst dort Anmaßung und Starrsinn finden, aber durchweg Unwissen, Irrtum und Schwäche. Gewiß haben wir unsere Einfalt nötig, um bei unserer Pflicht zu bleiben. (---). Wenn39 unsere Vernunft dermaßen schwach ist, daß die geringsten Schwierigkeiten sie zum Stillstand bringen und sie in jeder Hinsicht der Täuschung und dem Mißverständnis erliegt, dann müssen wir uns sorgfältig davor hüten, uns diesem blinden Führer anzuvertrauen und unseren Glauben auf ein so schlechtes Fundament zu gründen. Wir müssen unsere Gewißheit nicht in unseren Argumenten suchen, sondern in IHM, der Himmel und Erde erschaffen hat. (---). Denken40 wir immer daran, daß wir an Gott glauben müssen und nicht an uns selbst; sich unserer Vernunft in Fragen zu bedienen, die Gott betreffen, hieße, wie jener Kyniker zu verfahren, dem das Tageslicht nicht genügte, sondern der einen rechtschaffenen Menschen um die Mittagszeit mit der Laterne suchte.« Descartes und seine treuesten Anhänger könnten an einigen der von mir soeben referierten Gedanken etwas auszusetzen finden, aber nur in ihrer Eigenschaft als bloße Philosophen; denn sobald sie sich als Christen betrachteten, würden sie d’Ablancourts Hypothesen vorbehaltlos billigen. Sie sind überzeugt, daß ihre Beweise für die Unsterblichkeit demonstrativ sind; sie würden es daher schlecht finden, daß er glaubte, das natürliche Licht liefere keine guten Beweise dafür. All das würde aber nur ausreichen, um ihn als einen heterodoxen Philosophen zu betrachten; im übrigen würden sie zugeben, daß er als Christ das volle Maß an Rechtgläubigkeit besaß.41 Überzeugung, die sich auf das natürliche Licht gründet, muß bei einem Christen wie Beredsamkeit bei einem Philosophen oder wie guter Stil bei einem Historiker oder wie Schönheit bei einem Athleten bewertet werden.42 Das sind Dinge, deren Mangel 39 40 41 42

A. a.O., S. 364. A. a.O., S. 365. Man vergleiche oben, Anmerkung (M) des Artikels DIKAIARCH. »Lukian sagt in einer kleinen Schrift zu diesem Thema, einzige Auf-

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kein großes Übel ist, obwohl ihr Besitz nicht schaden kann. »Wenn ein Philosoph Beredsamkeit mitbringt, weise ich sie nicht zurück, aber wenn er keine besitzt, poche ich nicht darauf.«43 Es ist ein Vorteil, wenn man die Wahrheiten der christlichen Religion mit den Prinzipien der Philosophie vereinbaren kann, ein Gut, das man nicht geringschätzen darf und aus dem man soviel wie möglich machen soll; aber man muß immer darauf eingestellt sein, es ohne Bedauern zu verlieren, wenn man es nicht bis auf die Lehren ausdehnen kann, an die es nicht heranreicht oder die durch die Eigenart des Mysteriums außerhalb der Reichweite unserer Vernunft sind. Zu diesem Gut muß man sich verhalten wie die Weisen zum Glück: Wenn seine Gunst beständig ist, so freut man sich; wenn es einen verläßt, so tröstet man sich. »Ich lobe es, wenn es mich begleitet«, sagte Horaz; »sobald ich aber sehe, daß es mich verlassen will, gebe ich ihm seine Geschenke zurück und hülle mich in meine Tugend«.44 So verhalten sich die wahren Christen gegenüber philosophischen Erkenntnissen. Wenn diese Erkenntnisse, nachdem mit ihnen ein religiöses Dogma bewiesen worden ist, dasselbe nun bestreiten und ihre Dienste der entgegengesetzten Lehre erweisen wollen, so lassen wir sie gehen, sagen sie, und hüllen uns in unseren Glauben. Der ist ein dicker Mantel, undurchdringlich für alle Unbilden des Wetters, d. h. für alle Angriffe der natürlichen Vernunft. D’Ablancourt hat sich seiner so bedient. Es gibt nichts Gescheiteres und Solideres als seine Reflexionen über die Natur des Glaubens und den nützlichen Gebrauch, den man von der Ungewißheit der Vernunft machen muß: Die Gewißheit des göttlichen Glaubens übertrifft die des Wissens. Es wäre also höchst ungerecht, wollte man behaup-

gabe und einziges Ziel eines Geschichtswerks sei der Nutzen; wenn zu diesem noch das Angenehme hinzukomme, sei das besser. Genauso wird bei einem Athleten Körperkraft verlangt, Schönheit und Anmut werden gelobt.« Famianus Strada, Prolusiones Academicae II, Buch II, S. 223 meiner Ausgabe. 43 Cicero, De finibus bonorum et malorum, Buch I, Kap. 5. 44 (…). Horaz, Oden, Buch III, 29.

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ten, daß ein gläubiger Mensch es nötig habe, sich durch philosophische Beweise zu versichern, daß seine Seele nicht sterben wird. Ist es nicht genug, daß er dessen gewiß ist durch die Unterwerfung unter die Autorität Gottes und durch seine feste Überzeugung, daß es kein Fundament von größerer Unverrückbarkeit und Unerschütterlichkeit gibt als das Wort Gottes? Muß nicht ein Christ, der als Christ handeln will, an die Unsterblichkeit der Seele glauben, weil Gott uns die ewige Seligkeit verheißen hat? Wenn er an die Unsterblichkeit der Seele aufgrund philosophischer Argumente glaubt, vollzieht er keinen Glaubensakt. Gleichwohl muß er einen solchen vollziehen, wenn er die Pflichten der Religion erfüllen und Gott wohlgefällig sein will. Bei einem Glaubensakt nimmt man keine Rücksicht auf das natürliche Licht oder man setzt es beiseite; man gründet sich nur auf die Wahrhaftigkeit Gottes. Man sehe, was die Scholastiker zu der umstrittenen Frage sagen, ob Meinung, Wissen und Glauben hinsichtlich desselben Gegenstandes zur selben Zeit in unserem Geist sein können. Dies ist eine schöne Gelegenheit, eine Passage zu bringen, die ich oben versprochen habe.45 Locke hat sich etwa in der gleichen Lage gesehen wie unser d’Ablancourt. Man hat ihn wegen seines Wortes getadelt, das natürliche Licht beweise nicht klar die Unsterblichkeit der Seele. Hier seine Antwort: »Die46 Beschuldigung, die ihr gegen mich erhebt, nämlich daß ich die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes weniger glaubhaft machte, stützt sich auf den Satz, daß die Immaterialität der Seele nicht von der Vernunft demonstriert werden kann. Euer Schluß läuft im Grunde darauf hinaus, daß die göttliche Offenbarung in allen Artikeln, die sie mitteilt, um so weniger glaubhaft wird, je weniger die menschliche Vernunft sie stützen kann. Verspricht Gott nach eurer Auffassung dem menschlichen Geschlecht etwas, von dem er will, daß man 45

Fußnote (63) des Artikels DIKAIARCH. John Locke, III réplique à Mr. Stillingfleet, S. 418, zitiert in Parrhasiana, Bd. I, S. 388. Man sehe auch die Nouvelles de la république des lettres, November 1699, S. 510. 46

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es glaubt? Sein Versprechen wird glaubhaft, wenn die Vernunft demonstrieren kann, daß es wahr ist, unabhängig von der Autorität dessen, der das Versprechen abgibt. Aber wenn die Vernunft es nicht demonstrieren kann, wird dieses Versprechen weniger glaubhaft. Das heißt, daß die Treue Gottes keine hinreichend feste und sichere Grundlage ist, auf der man seine Ruhe finden kann, wenn sie nicht von dem Zeugnis der Vernunft gestützt wird, und daß Gott nicht auf sein Wort hin glaubwürdig ist (dies sei ohne Blasphemie gesagt), es sei denn, der Inhalt seiner Offenbarung wäre an sich selbst so glaubhaft, daß man auch ohne Offenbarung davon überzeugt sein könnte. Ich hätte nicht gedacht, so etwas in einem Buch zu finden, das geschrieben ist, um das Geheimnis der hl. Trinität zu verteidigen. Ihr sagt, daß Ihr nicht daran zweifelt, daß Gott einer materiellen Substanz die Unsterblichkeit verleihen kann, aber Ihr glaubt, daß die Evidenz der Unsterblichkeit sich stark verringert, wenn man sie vollständig vom Willen Gottes abhängen läßt, der eine Substanz unsterblich macht, die es nicht von sich aus ist. Ich erwidere hierauf: Obwohl man nicht zeigen kann, daß die Seele immateriell ist, verringert dies keineswegs die Evidenz ihrer Unsterblichkeit, wenn Gott sie offenbart hat; denn die Treue Gottes ist eine Demonstration der Wahrheit alles dessen, was er offenbart, und das Fehlen einer weiteren Demonstration macht einen demonstrierten Satz nicht zweifelhaft. Wo es nämlich eine klare Demonstration gibt, da ist soviel Evidenz, wie eine Wahrheit, die nicht von sich aus evident ist, überhaupt besitzen kann. (---). Können47 die Offenbarungsgläubigen den Satz, daß der Leib des Menschen nach der Auferstehung ewig leben wird, für weniger glaubhaft halten als die gleiche Aussage über die Seele? Wenn ja, so muß man die Vernunft zu Rate ziehen, um zu wissen, wie weit man Gott glauben darf; dann wird sein Zeugnis seine ganze Kraft von der Evidenz der Vernunft ableiten. Das aber kommt der Erklärung gleich, daß die Offenbarung hinsichtlich

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Parrhasiana, Bd. I, S. 391.

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der übernatürlichen Wahrheiten gar nicht glaubhaft ist, wo ihr die Evidenz der Vernunft fehlt.« Im Artikel über Pomponazzi wird man mehrere Stellen finden, die diesen Gegenstand betreffen. Man beachte aber, daß eine ganze Anzahl von Scholastikern behauptet hat, die natürlichen Argumente für die Unsterblichkeit der Seele seien nicht überzeugend. »›Die natürlichen Argumente‹, sagen Heinrich von Gent und Duns Scotus, ›überreden mit Wahrscheinlichkeit, demonstrieren aber nicht mit Notwendigkeit‹.«48 Cajetan hatte diesen Gedanken zunächst stolz und heftig zurückgewiesen,49 schließlich aber machte er ihn sich zu eigen: »Ich glaube«, sagte er, »daß unsere Seele unsterblich ist, aber wissen tue ich es nicht«. (…).50 Er, Duns Scotus und Johannes von Janduno prüften alle Beweise, die Thomas von Aquin vorgelegt hatte, und entschieden, daß sie nicht demonstrativ waren. (…).51 Duns Scotus hat auf alle Beweise des Thomas von Aquin erwidert und einundzwanzig Wahrscheinlichkeitsargumente für die Sterblichkeit der Seele beigebracht, denen Johannes von Janduno einige weitere hinzugefügt hat.52

48

Melchior Cano, De locis theologicis libri XII, letztes Kapitel, S. 724 meiner Ausgabe. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 A. a.O., S. 725. 52 A. a.O., S. 727.

POMPONAZZI

pomponazzi (Pietro), lateinisch Pomponatius, wurde am 16. September 1462 in Mantua geboren.a Er war von sehr kleiner Gestalt, fast ein Zwerg. Aber er war von großem Geist und galt als einer der hervorragendsten Philosophen seines Jahrhunderts. Er lehrte Philosophie in Padua und genoß höchstes Ansehen, denn er hatte den berühmten Achillini zum Gegner, dessen schwerwiegende Einwände ihn oftmals aus der Fassung gebracht haben würden, wenn er nicht die Geschicklichkeit besessen hätte, sie durch Scherze zu umgehen. Während des schrecklichen Krieges zwischen Venedig und der Liga von Cambrai wich er nach Bologna aus und lehrte dort Philosophie. Er war dreimal verheiratet, hatte aber nur eine Tochter. Er gab ihr eine Mitgift von zwölftausend Dukaten. Ich weiß zwar, daß er nicht im Jahr 1512 gestorben ist, wie Moréri behauptet, aber ich kenne sein Todesjahr nicht; ich weiß nur, daß er, wie die einen sagen, ein sehr hohes Alter erreicht hat und, wie die anderen sagen, im Alter von 63 Jahren in Bologna an Harnverhaltung gestorben ist. Sein Leichnam wurde auf Veranlassung des Kardinals Ercole di Gonzaga nach Mantua gebracht und dort unter Ehren beigesetzt. Dieser große Philosoph legte sich durch sein Buch über die Unsterblichkeit der Seele mit den Mönchen an (B) und setzte sich dem Verdacht der Gottlosigkeit aus. Das Geschrei, das man gegen ihn erhob, und die Gegenschriften zu seinem Buch veranlaßten ihn nicht, seine Meinung zu ändern. Er antwortete mehr als einmal, wobei er, anstatt zurückzuweichen, immer weiter ging und allem zum Trotz an seiner ersten, verbesserten These festhielt (C), nämlich daß die göttliche Autorität der Schrift für ihn ein unerschütterlicher Grund seiner Überzeugung von der Un-

a

Lucas Gauricus in Schemat., Tract. IV, folio 57, verso.

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sterblichkeit unserer Seele sei. Sein Buch über die Verzauberungen galt ebenfalls als sehr gefährlich. Es hat Pomponazzi nicht an Verteidigern gefehlt, aber einige retteten ihn nur durch die Unterstellung, daß er sich vom Atheismus bekehrt habe. Falls sich der Vorwurf der Gottlosigkeit nur auf sein Buch über die Unsterblichkeit der Seele gründete, so hat es niemals einen dreisteren Vorwurf als diesen gegeben (F) noch ein deutlicheres Zeichen ungerechten Starrsinns auf seiten der Philosophenverfolger. Denn Pomponazzi hat die Unsterblichkeit der Seele gar nicht in Zweifel gezogen, sondern sie im Gegenteil als ein höchst gewisses Lehrstück bezeichnet, von dem er fest überzeugt sei. Er hat nur gesagt, daß die natürlichen Gründe, die man dafür anführte, gar nicht solide und überzeugend seien. Obwohl man die Meinung, die er bekämpfte, nützlich verwenden kann, und obwohl man die Philosophen, die es sich angelegen sein lassen, die menschlichen Gründe für die Unsterblichkeit der Seele zu befestigen, loben und ermutigen muß (G), sind es doch nur philosophische Beweise, und daher muß jedermann die Freiheit haben, sie in Frage zu stellen, zu prüfen und dann zu sagen, wie es seiner Meinung nach mit ihnen bestellt ist. Pomponazzis Antwort auf das Argument, die Lehre von der Sterblichkeit der Seele würde die Menschen zu Verbrechen aller Art veranlassen (H), ist eine Betrachtung wert. Ich weiß nicht, ob man den Autoren glauben darf, die sagen, dieses Werk sei von den Venezianern zum Feuer verurteilt und sogar von seinem Verfasser verleugnet worden. Gar nicht zu entschuldigen ist die Frechheit und Voreingenommenheit jenes lutherischen Rechtsgelehrten, der behauptete, unser Philosoph habe öffentliche Vorlesungen gegen die Unsterblichkeit der Seele gehalten und sei ein ehrloser Magier gewesen, der gottlose Äußerungen über die verborgene Kraft der Zauberei und der Einbildungskraft getan habe. Übrigens suchte Pomponazzi nach der Lösung der schwierigen Probleme mit solcher Anspannung des Geistes, daß er weder an Schlaf noch an Essen und Trinken noch ans Räuspern dachte, weswegen er beinahe durchdrehte und sich vor aller Welt lächerlich machte, wie er selber sagt.

Pomponazzi

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Seit der ersten Auflage dieses Artikels habe ich das von Théophile Raynaud zitierte Werk gesehen. Silvester Prierias versichert darin in der Tat, Pomponazzis Buch sei in Venedig verbrannt worden, und er fügt hinzu, wenn es nach ihm gegangen wäre, würde man dieses verderbliche Buch überall so behandelt haben wie in Venedig. Er hatte Pomponazzis Meinung widerlegt, bevor sie gedruckt war; da aber das, was er hierüber geschrieben hatte, noch nicht erschienenen war, hat er es in das von Théophile Raynaud zitierte Werk eingefügt, das er im Jahr 1521 veröffentlichte. Er notiert darin, daß zwei Mönche sehr gründlich gegen Pomponazzis Traktat geschrieben hätten; der eine heißt Bartholomäus von Pisa, der andere Hieronymus Fornarius Bachalarius. Dies möge als Ergänzung dienen.m

(B) Er legte sich durch sein Buch über die Unsterblichkeit der Seele mit den Mönchen an. Hier sind die Worte des Paulus Jovius: »Nach Ausbruch des Krieges mit Venedig und nach Achillinis Tod lehrte Pomponazzi in Bologna, wo er die Priester mit den Kapuzen aufs Heftigste gegen sich und seinen Ruf aufbrachte, weil er ein Buch veröffentlicht hatte, in dem er aus der Lehre des Aristoteles zu beweisen suchte, daß die Seelen nach dem Tod des Körpers untergingen. Damit schloß er sich an Alexander von Aphrodisias an, dessen Lehre äußerst schädlich ist, weil sie die Jugend verdirbt und die christliche Lebensordnung zersetzt.«6 Hier sieht man, wie Paulus Jovius den Historiker und zugleich den Richter spielt: Er sagt nicht allein, daß Pomponazzi mit seinem versuchten Beweis, daß die Seele nach Ansicht des Aristoteles nicht unsterblich ist, sich der Verfolgung durch die Mönche ausgesetzt habe, sondern er sagt auch, daß dies die verderblichste Lehre überhaupt sei, bestens geeignet, die Jugend und m 6

Zu den Anmerkungen (B) und (C). Paulus Jovius, Elogia, Kap. 71, S. 164.

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die christliche Moral zu verderben. Er hat zweifellos unendlich mehr Grund zu seinem Bericht als zu seinem Urteil. Denn es ist völlig unerheblich, ob Aristoteles geglaubt hat, die Seele sei sterblich, oder ob er Grundsätze angenommen hat, nach denen man unmöglich sagen kann, die Seele sei nicht sterblich. Wenn nun Pomponazzi einzig und allein behauptet hat, daß, wer sich an die Grundsätze des Aristoteles hält, nicht vermeiden könne zu sagen, die Seele sterbe mit dem Körper, so ist seine Meinung keineswegs verderblich, vorausgesetzt, er erkennt im übrigen die Unsterblichkeit der Seele an. Er hat sie aber ausdrücklich und förmlich anerkannt. Er prüft die Lehren des Aristoteles; er berichtet, was sich für und wider diese Lehren sagen läßt. Er stellt sich die philosophischen Gründe vor Augen, die man damals als Beweise angeführt hat, sei es für die Unsterblichkeit, sei es für die Sterblichkeit unserer Seele. Er hebt die Stärken und die Schwächen auf beiden Seiten hervor. Dann zieht er, weil es keinen Grund gibt, der ihre Sterblichkeit oder das Gegenteil demonstrativ beweist, die Folgerung, daß diese Frage offen ist. Aber, fügt er hinzu, da es Gott zukommt, offene Fragen zu entscheiden, über welche die Menschen disputieren, wollen wir schauen, ob Gott für die Unsterblichkeit entscheidet, und uns dann seiner Entscheidung als einem endgültigen und untrüglichen Urteil unterwerfen. Zuletzt beweist Pomponazzi aus dem Alten und dem Neuen Testament, daß es ein anderes Leben nach diesem gibt, und erklärt, daß er darauf seinen Glauben gründe.7 (…). Hand aufs Herz: Kann man einen Menschen, der seine Meinungen so ausrichtet, der Gottlosigkeit bezichtigen? Kann man ihm vorwerfen, er glaube nicht an die Unsterblichkeit der Seele? Könnte man auf eben dieser Grundlage nicht behaupten, alle Theologen zögen die Trinität, die Inkarnation, die Transsubstantiation, die Auferstehung und überhaupt alle Dogmen in Zweifel, deren Beweise man nur in der Offenbarung findet, ohne vorzugeben, das natürliche Licht könne uns zu ihnen führen? Was! Ist denn die hl. 7

Pietro Pomponazzi, De immortalitate animae, im 15. und letzten Kapitel, S. 124 meiner Ausgabe.

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Schrift, wenn sie einmal fest als das Wort Gottes angenommen ist, nicht ebenso imstande, uns von der Unsterblichkeit der Seele zu überzeugen wie ein geometrischer Beweis?12 Aber begnügen wir uns mit der Feststellung, daß Paulus Jovius sehr schlecht über Pomponazzis Werk geurteilt hat. Wenn er ganz allgemein gesagt hätte, die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele sei der Ruin der guten Sitten, so hätte er etwas gesagt, was als Gemeinplatz gilt, was aber vielleicht im Grunde nicht so gewiß ist, wie es scheint. Denn wenn man die Sitten der Christen prüft, ihre unzüchtigen Handlungen, ihre Verleumdungen, ihre Betrügereien oder was sie nicht alles tun, um an Geld zu kommen oder Posten zu ergattern oder ihre Konkurrenten auszustechen, so wird man finden, daß sie nicht liederlicher sein könnten, wenn sie gar nicht an ein anderes Leben glaubten. Man wird finden, daß sie – allgemein gesprochen – sich nur solcher Handlungen enthalten, die den Verlust des guten Rufs oder den Arm des Büttels nach sich ziehen, zwei Zügel, die unter sonst gleichen Bedingungen den Gottlosen ebenso leicht bremsen wie sie. Aber das ist ein Thema, das eine eigene Abhandlung erfordert.

Fakten, die Pomponazzis Abhandlung De immortalitate animae betreffen Wenn ich Pomponazzis öffentliches Eingeständnis betrachte, daß die natürlichen Gründe uns keineswegs legitime Gewißheit von unserer Unsterblichkeit geben können, so weiß ich nicht, was ich von der Unterscheidung sagen soll, die er angeblich vor seinen Richtern gemacht hat. Man sehe den Bericht des la Mothe le Vayer: »Ein gleiches Kunststück ist vor einiger Zeit dem Philosophen Pomponazzi besser gelungen. Dieser hatte sich mit peripatetischer Frechheit und Hitze vernehmen lassen,

12

(47).

Man sehe oben den Artikel PERROT, (Nicolas), Fußnoten (46) und

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daß er nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaube, und sah sich deshalb in den rauhen Händen der Inquisition, der er jedoch mit dieser Interpretation entkam: Er glaube sie nicht eigentlich, weil er sie apodiktisch wisse, wie er in einer sehr langen Rede seinen Richtern auseinandersetzte, die sonst seine Schüler waren und deren Wohlwollen er diesmal nötig hatte.«13 Ich glaube eher, daß er vor seinen Richtern die Unterscheidung von Glauben und Wissen vorgebracht hat als die von Wissen und Meinen, d. h. daß er ihnen zugegeben hat, er wisse zwar nicht durch Demonstration, daß die Seele unsterblich ist, aber er glaube es als einen Glaubensartikel, der in der Schrift offenbart und von den Konzilen entschieden sei.14 Wie dem auch sei, man sagt, er habe es nicht schlecht gefunden, daß man sein Werk widerlegte, und er habe gewünscht, das darin verbreitete Gift würde durch das Gegengift der Antwort des Javellus unschädlich gemacht. Das bemerkt der Jesuit Antoine Sirmond gegen den, der Pomponazzis Traktat in Frankreich ohne diese Antwort drucken ließ. (…).15 Ich glaube, daß unser Philosoph sich ziemlich spät auf diese Liebespflicht besonnen hat, denn er verteidigte sein erstes Werk zweimal gegen Niphus und einmal gegen Erzbischof Ambrosius von Neapel. Das teilt derselbe Sirmond mit;16 er sagt aber nichts von dem Buch, das Contarini 1516 gegen Pomponazzis Buch veröffentlichte und das diesem Philosophen sehr gründlich vorkam. (…).17 Warum hat er also nicht gewünscht, daß Contarinis Antwort künftig mit seinem Traktat gedruckt würde, so wie er das von der Antwort des Javellus gewünscht haben soll? Niphus hatte auf Anordnung Leos X. gegen Pomponazzi geschrieben. Andere sagen umgekehrt, Pomponazzi habe seinen 13

La Mothe le Vayer, Dialogue de la diversité des religions, S. 294 f. meiner Ausgabe. Es handelt sich um den letzten der fünf Dialoge von Orasius Tubero. 14 (…). Pomponazzi, De immortalitate animae, S. 126. 15 Antonius Sirmondus, De immortalitate animae, S. 1 f. Sein Buch wurde 1635 in Paris in 8o gedruckt. 16 A. a.O., im Appendix, S. 19 f. 17 Johannes Casa, Vita Gasparis Contareni, S. 184 meiner Ausgabe.

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Traktat nur diesem Papst zu Gefallen geschrieben. La Mothe le Vayer widerlegt diese. (…).19 De Sponde berichtet, Leo X. habe den Philosophen verboten zu lehren, die Seele des Menschen sei sterblich und nur eine einzige in allen Menschen,20 und er sagt, man glaube, Pomponazzi habe zu dieser Bulle Anlaß gegeben. (…).21 Sein Bericht ist nicht frei von Fehlern, denn er setzt voraus, Pomponazzi habe wie Averroës die (in bestimmter Hinsicht zu verstehende) Einheit der Seele in allen Menschen gelehrt. Nichts ist falscher als das: Wer sein Werk liest, wird sehen, daß Pomponazzi in Kapitel III die Meinung des Averroës darlegt und schon zu Beginn des Kapitels IV erklärt, sie sei absurd und monströs, und wenn er sie nicht widerlege, so deshalb, weil Thomas von Aquin ihre Extravaganz bewiesen und den Averroisten keinen Ausweg gelassen habe. Thomas, sagt er, habe sie so geschlagen, daß sie nur zu Schmähungen gegen ihn Zuflucht nehmen konnten.22 Pomponazzi verweist die Leser also an Thomas von Aquin und begnügt sich mit dem Nachweis, daß Averroës dieses Hirngespinst keineswegs bei Aristoteles gefunden hat. (…).23 Das hindert aber nicht zu sagen, Pomponazzi sei einer von denen gewesen, die zu der Bulle Leos X. Anlaß gaben. Er unterwarf sich ihr nicht wirklich. Sie wurde von den Vätern des Laterankonzils auf der achten Sitzung im Dezember 1513 gelesen und gebilligt, und Pomponazzi verfaßte sein Buch über die Unsterblichkeit der Seele im Jahr 1516.24 Daraus ersehen wir übrigens, daß Moréri, König und mehrere andere sich täuschen, wenn sie seinen Tod ins Jahr 1512 setzen. (…). 19

La Mothe le Vayer, De l’immortalité de l’âme, in: Œuvres, Bd. IV, S.136 f. 20 Ich habe den Wortlaut der Bulle im Artikel SPINOZA, Anmerkung (L), gegen Ende, gebracht. 具Diese Anmerkung nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 21 Sponde, Annales ecclesiasticae ad ann. 1513, Nr. 20, S. 308 meiner Ausgabe. 22 (…). Pomponazzi, De immortalitate animae, S. 8 f. 23 Ebd. 24 (…). Ebd.

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(C) Er antwortete mehr als einmal, wobei er, anstatt zurückzuweichen, immer weiter ging und allem zum Trotz an seiner ersten, verbesserten These festhielt. Da ich kein anderes Buch von Pomponazzi habe als De immortalitate animae, kann ich keine chronologische Geschichte des Streites geben, der sich über dieses Buch erhob. Ich kann mich nur der Darstellung le Nobles bedienen. Ich glaube nicht, daß sie ganz genau ist; ich vermute darin viele Auslassungen, aber ich denke, daß die Dinge, die sie enthält, wahr sind, und damit muß man sich begnügen, wenn man mehr nicht haben kann. »Dieser26 Traktat27 verursachte viel Lärm. Er war in Venedig erschienen, und Pomponazzi gab an, daß die Mönche, die er mit dem Wort ›Cucullati‹ 具Kapuzenmänner 典 bezeichnet, sich hitzig gegen seine Lehre erhoben (---). Diese28 Kapuzenmänner tobten in ihren Predigten gegen Pomponazzi wie gegen einen förmlichen Häretiker und ließen die Lektüre seines Traktats durch den Patriarchen verbieten, den unser Philosoph als einen Mann bezeichnet, der sehr heilig in seinem Lebenswandel, aber sehr unwissend in der Philosophie und der Theologie sei. Später wurde durch Senatsbeschluß den Buchhändlern verboten, das Buch zu verkaufen. (---). Ein Gelehrter (---) schrieb mit großer Mäßigung gegen diesen Traktat. (---).29 Als Antwort verfaßte Pomponazzi einen Traktat, den er Apologie nannte. In den ersten beiden Büchern dieser Apologie erwidert er Artikel für Artikel auf alle Argumente, die gegen seine Lehre vorgebracht worden waren, widerlegt sie und beweist aufs neue, daß Aristoteles nicht an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt hat und daß man sie mit natürlichen Gründen nicht beweisen kann. Im dritten Buch tadelt er scharf das Verhalten des Bruders Ambrosius von Neapel vom Orden der AugustinerEremiten, der wenige Tage zuvor zum Bischof erhoben worden 26 27 28 29

Le Noble, Tableaux des philosophes, Bd. II, S. 80. D. h. der über die Unsterblichkeit der Seele. A. a.O., S. 81. A. a.O., S. 82.

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war. Er beklagt, daß dieser sich bei einer Fastenpredigt in der Kathedrale von Mantua von der Kanzel herab sehr verletzend über ihn geäußert habe, daß er ihn öffentlich einen Häretiker und Gottlosen genannt und ihm fälschlich unterstellt habe, daß er weder an die Auferstehung noch an die Unsterblichkeit der Seele glaube. Er erklärt dagegen, daß er an die Unsterblichkeit der Seele glaube und bereit sei, zur Stützung dieser Wahrheit zu sterben, aber30 weil Gott sie dem Menschen offenbart habe, nicht weil das natürliche Licht sie lehre. Wenn Bruder Ambrosius ihn belehren wolle, damit er seine Meinung ändere, sei er bereit, seine Belehrung anzunehmen.« Schließlich berichtet er 具sc. le Noble 典, der Patriarch von Venedig habe an Pietro Bembo in Rom geschrieben, »mit der Bitte, den Traktat über die Unsterblichkeit der Seele durch den Papst verurteilen zu lassen«. Bembo las ihn »und fand darin nichts, was der Wahrheit entgegenstand. Nichtsdestoweniger gab er ihn, wie es seine Amtspflicht war, an den Meister des Apostolischen Palastes weiter, der nach der Lektüre zu dem gleichen Urteil wie Bembo kam, nämlich daß der Traktat nichts enthielt, was nicht den Ansichten der berühmtesten Lehrer der christlichen Religion entsprach.«31 »Danach,32 als man sich im Streit allmählich über alle Maßen erhitzte, behauptete er33 und versuchte zu beweisen, daß die Unsterblichkeit der Seele den natürlichen Grundsätzen widerstreite und daß es nichts Schädlicheres für den Glauben gebe, als wenn man ihn mit natürlichen Gründen zu beweisen suche. (---). Nachdem34 Pomponazzi diese Apologie geschrieben hatte, erschien ein neues Buch gegen seinen ersten Traktat über die Unsterblichkeit der Seele. Es stammte von einem Philosophen namens Augustinus Niphus. Pomponazzi antwortete darauf in einem weiteren Traktat mit dem Titel Defensorium, 30 31 32 33 34

Es fehlen hier einige Worte (…). Le Noble, Tableaux des philosophes, Bd. II, S. 83. A. a.O., S. 84. D. h. Pomponazzi in seiner Apologie. Le Noble, Tableaux des philosophes, Bd. II, S. 85 f.

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in dem er die Unwissenheit des Niphus aufdeckt und seine These noch stärker beweist. Er beschließt diesen Traktat mit den Worten: ›Wenn Jesus Christus auferstanden ist, werden wir auferstehen; wenn wir auferstehen, ist die Seele unsterblich. Nun ist es gewiß, daß Jesus Christus auferstanden ist, also steht fest, daß die Seele unsterblich ist. Das ist der einzige solide Schluß, mit dem man die Unsterblichkeit der Seele beweisen kann; wer andere Beweise sucht, ist nicht würdig, ein Christ zu heißen, denn er kennt nicht den hohen Rang des Glaubens, der in allen unseren Überlegungen den ersten Platz einnehmen muß und der für sich allein genügt, das, was man auf anderem Wege nicht beweisen kann, solide zu begründen‹.« Wir werden unten sehen, daß le Noble einige dieser Gedanken Pomponazzis kritisiert.

(F) Falls sich der Vorwurf der Gottlosigkeit nur auf sein Buch über die Unsterblichkeit der Seele gründete, so hat es niemals einen dreisteren Vorwurf als diesen gegeben. Erstens ist es höchstens eine persönliche Beleidigung, wenn man behauptet, die Grundsätze des Aristoteles führten uns zur Sterblichkeit der Seele. Damit tut man höchstens einem Menschen unrecht, welcher der Lehrer des Eroberers von Asien war und der eine berühmte Schule gegründet hat. Aber nennt man das eine Gottlosigkeit? Zweitens, da Aristoteles nicht mehr am Leben ist und daher keine Rechenschaft über seinen Glauben geben noch die Zweideutigkeiten in seinen Werken klären kann, ist es erlaubt, gegen ihn Stellung zu nehmen, wenn man in seinen Schriften ebensoviele oder mehr plausible Gründe dafür findet, daß er die Sterblichkeit der Seele, als dafür, daß er ihre Unsterblichkeit gelehrt hat. Es gibt daher nichts Unschuldigeres in diesem Fall, als die Meinungen des Aristoteles in diesem wichtigen Punkt zur offenen Frage zu erklären und sich dafür oder dagegen zu entscheiden, je nach dem, was den stärkeren Eindruck macht: die Gründe, die er für die eine Seite geltend macht, oder die Gründe für die ande-

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re Seite. Wenn man seine Gedanken nicht richtig erfaßt, wird man ihm nicht gerecht. Aber im Grunde wird das nur ein materielles Unrecht sein, das er wird vergeben müssen, weil es auf die Rechnung seiner geringen Genauigkeit, seines Schwankens und seiner Widersprüche geht. »Der berühmteste unter allen seinen Interpreten47 und so viele andere nach ihm, z. B. die beiden hl. Gregore, Lescot, Cajetan und Simon Portius haben eingeräumt«, daß die Sterblichkeit der Seele »nach der Lehre dieses Philosophen ganz und gar notwendig ist«.48 Er muß also Grundsätze vorgetragen haben, die einen guten Vorwand dafür liefern, ihm diese Gottlosigkeit zuzuschreiben. Es ist daher völlig lächerlich, wenn man vorgibt, daß man gottlos sein muß, um ein solches Urteil über die Lehre des Aristoteles zu fällen, und somit würde Pomponazzis vorgebliche Gottlosigkeit nur auf sehr groben Illusionen beruhen. Man hätte nicht einmal Grund zu dem Verdacht, er habe dem Ansehen des großen Oberhaupts der Peripatetiker schaden wollen. Drittens bemerke ich: Man kann sagen, nicht nur daß seine Werke Beweise dafür liefern, daß er die Sterblichkeit der Seele geglaubt hat, sondern auch daß sein System, so wie die Scholastiker es zu erklären beliebten und so wie man es immer noch an Hochschulen und Akademien erklärt, außerstande ist, Beweise für die Unsterblichkeit unserer Seele herzugeben, aber sehr wohl Beweise für ihre Sterblichkeit liefern kann. Schließlich ist es das Hauptstück dieses Systems, 1) daß der natürliche Körper zwei Substanzen umfaßt, von denen die eine Materie, die andere Form heißt; 2) daß die Form aller natürlichen Körper, mit Ausnahme des Menschen, etwas Vergängliches ist, das regelmäßig jedesmal zugrunde geht, wenn die Zusammensetzung zugrunde geht, d. h. jedesmal wenn ein Stein, ein Baum oder ein Hund usw. in eine andere Art von natürlichem Körper verwandelt wird. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit, daß man in diesem System keinen Beweis für die Unsterblichkeit unserer 47 48

gabe.

Nämlich Alexander von Aphrodisias. La Mothe le Vayer, De l’immortalité de l’âme, S.139 meiner Aus-

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Seele führen kann. Denn um einen Beweis dafür zu führen, müßte man zeigen, daß die Seele immateriell ist. Wie will man das aber zeigen, wenn man zugibt, daß die Seele der Tiere, die mit dem Vermögen zu empfinden, zu unterscheiden und zu begehren ausgestattet ist, materiell ist? Man beachte, daß zu Pomponazzis Zeit kein anderes System der Philosophie bekannt war als das peripatetische, so daß die Aussage, mit den Grundsätzen des Aristoteles könne man die Unsterblichkeit der Seele nicht beweisen, auf das gleiche hinauslief wie die Aussage, man könne sie mit philosophischen Gründen nicht beweisen. Dies trägt erheblich zur Entschuldigung, ja zur Rechtfertigung von Pomponazzis Buch bei, um so mehr als das Licht, das die platonische oder irgendeine andere Schule spendete, keine stärkeren Beweise lieferte. Allein Descartes hat in dieser Hinsicht solide Grundsätze festgesetzt. Er zeigt, daß alles, was denkt, von der Materie verschieden ist, woraus mit Notwendigkeit zu schließen ist, daß unsere Seele ein Geist oder eine einfache, unteilbare und folglich unsterbliche Substanz ist. Heutzutage scheut kein Cartesianer vor der These zurück, daß die Grundsätze der alten Philosophie uns keinen guten Beweis für die Unsterblichkeit der Seele liefern können. Wäre es nicht extravagant zu behaupten, ein Cartesianer, der das sagt, sei gottlos oder ein Atheist? Weshalb geht man also mit Pomponazzi auf diese Weise um? Weil ein Cartesianer, wird man sagen, erkennt und bekennt, daß sein System einen demonstrativen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele liefert, während Pomponazzi kein System anerkennt, das ein solches Argument hergibt. Wenn dieser Unterschied zugegeben werden könnte, würde das höchstens bedeuten, daß unser Philosoph das cartesische System zurückgewiesen haben würde, wenn er es gekannt hätte. Da er es aber nicht kannte, kann man ihm nur vorwerfen, daß er nicht eine Lehre erfunden hat, nach der alles, was denkt, unkörperlich und geistig ist. Sein Verbrechen wäre dann eines, das auch unendlich viele Rechtgläubige begangen haben, folglich ein Hirngespinst. Hinzu kommt, daß er selbst dann, wenn er die Lehre von der Verschiedenheit alles dessen, was denkt, von der Materie zurückgewiesen hätte, et-

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was getan hätte, was heute ziemlich große Geister tun, die sich wie Pomponazzi hinter der Autorität der Schrift verschanzen und so vor dem berechtigten Vorwurf der Irreligion sicher sind.49 Schließlich sage ich, daß kein Verhalten eines Theologen unwürdiger ist, als einen Philosophen der Gottlosigkeit zu beschuldigen, der erklärt, um unseren Geist von der Ungewißheit zu befreien, in der die natürliche Vernunft ihn schweben läßt, müsse man ihn zum Wort Gottes führen und ihm darin eine verläßliche Grundlage und völlig sichere Beweise für die Unsterblichkeit unserer Seele verschaffen.50 Das hat Pomponazzi getan und dafür hat er sich von den Mönchen grausam verfolgt gesehen. Ist das nicht schön?! Ich gehe noch weiter und sage: Sogar die Cartesianer, die von der Unsterblichkeit der Seele durch die Evidenz überzeugt sind, die sie in den Grundsätzen ihrer Philosophie finden, handeln sehr weise, wenn sie ihren Lesern raten, auf den Glauben als den »sicheren und festen Anker unserer Seele, der hineinreicht bis in das Innere hinter dem Vorhang«51, zurückzugreifen, d. h. sich auf die Autorität Gottes zu stützen, das wahrhafte Heilmittel für unsere Ungewißheit und die untrügliche Abhilfe für die Dunkelheiten unserer Vernunft. Denn wenn ihr Kopf nicht verdreht ist, müssen sie glauben, daß das, was ihnen evident vorkommt, so vielen anderen Philosophen, die es bekämpfen, nicht so vorkommt. Ich habe in einem Buch von Arnauld gelesen, daß Gassendis Erwiderung auf Descartes viele Menschen in Neapel zu Ungläubigen hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele gemacht hat,52 weil Gassendi sich seiner ganzen Geisteskraft bedient hat, um Descartes’ Schlüsse bezüglich dieser Lehre zu entkräften. Das beweist, daß das car49

Man sehe oben das Ende der Anmerkung (M) des ersten Artikels DIKAIARCH und die Anmerkung (L) des Artikels PERROT, Nicolas. 50 (…). Pomponazzi, De immortalitate animae, letztes Kapitel, S. 126 meiner Ausgabe. Man sehe oben, was d’Ablancourt am Anfang der Anmerkung (L) seines Artikels PERROT, Nicolas, Herr von Ablancourt gesagt hat. 51 Hebräer 6, 19. 52 Man sehe die Anmerkung (G).

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tesische Prinzip nicht aller Welt evident ist. Es ist sogar so, daß Unwissende, die sich ihres gesunden Menschenverstandes bedienen, sich niemals der Unsterblichkeit ihrer Seele versichern könnten, solange sie sähen, daß die größten Philosophen hierüber uneinig sind. Wäre ein Unwissender zu tadeln, wenn er folgendermaßen schließt: Wenn Descartes’ Beweise evident wären, könnte Gassendi sie nicht auf eine Weise bekämpfen, die viele Leute überzeugt. Denn wenn Gassendi ein Buch geschrieben hätte, worin er seinen ganzen Geist und sein ganzes Wissen auf den Versuch verwendete zu zeigen, daß das Ganze nicht größer als sein Teil ist und daß Gleiches um Gleiches vermindert nicht einen gleichen Rest ergibt, so hätte er niemand davon überzeugt, daß seine These haltbar ist. Weil aber er und verschiedene andere große Philosophen Anhänger haben, wenn sie sich gegen Descartes’ Behauptungen stellen, müssen sie eine Lehre bekämpfen, die nicht evidentermaßen wahr ist, die vielmehr Dunkelheiten aufweist und den einen wahr, den anderen falsch vorkommt – wie könnte ich, der ich kein Wissen und keine Erfahrung im Disputieren habe, mich hier sicher entscheiden? Die einen oder die anderen dieser großen Geister täuschen sich. Welche Partei ich auch ergreife, ich laufe Gefahr, mich zu täuschen. Das ist eine Überlegung, die das Volk anstellen sollte, wenn es sieht, daß die Gelehrten geteilter Meinung sind. Aber wenn es das tut, wie wird es der Ungewißheit entrinnen? Ein gutes Mittel, was die Unsterblichkeit der Seele angeht, ist die Zuflucht zum Licht der Offenbarung. So dürfte ein Cartesianer, der Pomponazzi nachahmt, als Weiser gelten, der seinen Nächsten liebt. Er wird gut daran tun, die Wahrheit seines Prinzips bis zum Schluß zu verteidigen und nach Kräften auf den Einwand zu antworten, die vom Körper verschiedenen Substanzen seien vielleicht aufgrund ihrer Natur imstande, ihre Existenz zu bewahren, auch ohne einen Gedanken zu haben, so daß die Geistigkeit kein notwendiger Beweis der Unsterblichkeit ist. Denn wenn das Leben der Seele im Denken besteht, ist das völlige Aufhören des Denkens ein wahrer Tod der Seele; daher könnte die Seele sterben, ohne aufzuhören, eine geistige Substanz zu sein, so wie die Hunde sterben, ohne

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aufzuhören, eine körperliche Substanz zu sein. Aber schließlich wird der Cartesianer zu loben sein, wenn er seinen Nächsten dazu ermahnt, sich an das Wort Gottes zu halten. Man beachte, daß Scaliger senior, der einer der größten Geister seiner Zeit war und niemals im Ruf eines Freigeistes stand, genau wie Pomponazzi anerkannt hat, daß es Glaubenssache ist zu wissen, ob es ein Leben nach diesem gibt. Man hat es immer vermutet, sagt er, oder immer geglaubt, aber man disputiert noch heute darüber.53 Schließen wir mit einem Ausschnitt aus einem mehrere Jahre dauernden Streit zwischen einem Rotterdamer und einem Utrechter Prediger. Der erste54 gesteht, daß er zwar glaube, daß »die Materie weder empfinden noch erkennen kann«, daß er aber »von dieser Wahrheit weder eine deutliche Idee noch eine klare Perzeption habe« und daß er sie einem, der sie leugnet, nicht beweisen könne. »Was ich davon einsehe«, sagt er, »ist verworren und undeutlich. (---). Können55 Saurin und seine rationalistischen Kollegen vor ihrem Gewissen sagen, daß sie eine klare Perzeption und eine deutliche Idee der Unsterblichkeit haben? Sind das nicht nur dem Anschein nach klare Perzeptionen, etwa, daß alles, was anfängt, auch enden muß; daß ein Wesen, dessen Dauer sich in Augenblicke, Tage und Jahre teilt, nicht ewig sein kann, weil es dann unendlich wäre und es in dieser unendlichen Dauer eine unendliche Anzahl von Augenblicken und trotzdem nur eine unendliche Anzahl von Tagen und Jahren gäbe, und so gäbe es ebensoviele Monate und Jahre wie Augenblicke, was eine handgreifliche Absurdität ist? Der Gottlose nennt das klare Perzeptionen und erfährt sie als solche.« Das Ziel dieses Predigers ähnelt ein wenig demjenigen Pomponazzis; er will, daß man seiner Vernunft mißtraut und Zuflucht zu der Autorität Gottes 53

(…). J.C. Scaliger, Adversus Cardanum exercitationes CCCVII, Kap. 33, S. 990 meiner Ausgabe. Man ziehe die Fußnoten (48), (49), (50) des Artikels PERROT, Nicolas hinzu. 54 Jurieu, Religion du latitudinaire, S. 393. 55 A. a.O., S. 394.

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nimmt.56 Hier ist die Antwort seines Gegners57: »Ich habe diese klare Perzeption und diese deutliche Idee der Unsterblichkeit der Seele. Ich weiß, daß die Seele eine geistige und unteilbare Substanz ist, die nur durch Vernichtung zerstört werden kann. Ich weiß, daß es eine Vorsehung gibt, eine höchste Gerechtigkeit, ein höchstes Glück, eine natürliche Moral, schließlich eine große Anzahl von Wahrheiten, die mit der Unsterblichkeit der Seele notwendig zusammenhängen und die folglich Hirngespinste sein würden, wenn die Seele sterblich wäre. Das fehlte gerade noch, daß ein christlicher Philosoph weniger rechtgläubig ist als Platon und daß er bei einem Vergleich der alten Philosophen Epikur den Vorzug gibt! (---). Jurieu58 widerlegt sich selbst, wenn er sagt, daß ›diese Perzeptionen dem Anschein nach klar seien‹. Denn wenn sie nur dem Anschein nach klar sind, läßt sich aus ihnen nichts für diejenigen erschließen, die tatsächlich klar sind.« Ein paar kurze Bemerkungen zu diesen Ausführungen Saurins: 1) Jurieu setzt offenkundig voraus, daß zur Erkenntnis der Geistigkeit der Seele mittels einer »deutlichen Idee« und »klaren Perzeption« erfordert wird, daß wir klar erkennen, »daß die Materie weder empfinden noch erkennen kann«. Wie kommt es, daß Saurin hierauf nicht antwortet? Hätte er nicht erklären müssen, daß er eine deutliche Idee und klare Perzeption hat, die ihn über die Unmöglichkeit belehrt, daß die ausgedehnte Substanz Empfindungen hat? 2) Es genügt nicht zu wissen, daß die Seele »nur durch Vernichtung zerstört werden kann«. Das kommt auch der Ausdehnung zu, und dennoch sind die Bäume und die Tiere sterblich. Er hätte also sagen müssen: »Ich weiß, daß die Seele nicht ohne Denken bestehen kann. Die deutliche Idee, die ich von der geistigen und unteilbaren Substanz habe, lehrt mich, daß sie nicht mehr 56

Man beachte, daß er nicht verlangt, daß man diese Autorität durch eine deutliche und klare Idee erkennt, d. h. daß man evident weiß, daß Gott uns dieses oder jenes offenbart hat. 57 Saurin, Justification de sa doctrine, S. 467. 58 A. a.O., S. 468.

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existieren würde, wenn man sie des Denkens beraubte.« 3) Platon und Epikur anzuführen, ist fehl am Platz, denn das setzt voraus, daß Jurieu weniger rechtgläubig ist als Platon und daß er die Lehre Epikurs derjenigen der anderen alten Philosophen vorzieht. Das alles trifft nicht zu. Jurieu gibt die Unsterblichkeit der Seele zu, aber er hat davon keine klare Idee und deutliche Perzeption, d. h. nach seiner Auffassung keine so evidente Idee wie diejenige, die uns die Eigenschaften der Zahlen und den Zusammenhang von räumlicher Präsenz und Ausdehnung der Materie erkennen läßt. Glaubt ihr, daß Platon die Unsterblichkeit der Seele aufgrund einer ebenso klaren Idee wie dieser behauptete? Wenn jemand erklärt, daß er sich wie das Volk verhält, d. h. daß seine Überzeugung weiter reicht als seine Evidenz, dann macht man ihm einen unfairen Prozeß, wenn man ihn des Unglaubens beschuldigt. Seine Rechtgläubigkeit ist in Sicherheit, denn schließlich glaubt er, was man glauben muß; man kann ihm nur streitig machen, daß er sich wie ein Philosoph verhält. 4) Die Unterscheidung zwischen dem Anschein nach klaren Ideen und tatsächlich klaren Ideen ist nichtig, denn die Klarheit von Ideen schließt notwendig die Beziehung auf unseren Geist ein und ist niemals vom Anschein getrennt. Ideen beziehen die Eigenschaft und die Bezeichnung »klar« immer vom Anschein. Mit der Wahrheit verhält es sich nicht so. Ein Objekt kann wahr sein und falsch scheinen, aber eine Idee, die dunkel scheint, kann weder tatsächliche noch anscheinende Klarheit haben. Wenn daher die klaren Ideen der Unsterblichkeit mit anscheinend klaren Ideen bestritten werden, ist Jurieus Einwand ein guter Einwand, und er ist weit davon entfernt, sich selbst zu widerlegen, wie sein Gegner behauptet. 5) Schließlich tut er 具sc. Saurin 典 sehr unrecht daran, nicht auf den Einwand zu antworten, denn über ihn kann man Jurieu widerlegen. Er macht die völlig falsche Voraussetzung, daß diejenigen, die sagen »Alles was anfängt muß auch enden«, sich auf das Argument stützen, daß eine unendliche Dauer ebensoviele Monate und Jahre enthalten muß wie Augenblicke. Er setzt voraus, daß ihnen dies als eine große Absurdität erscheint. Aber er hätte wissen müssen, daß die Athei-

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sten lehren, die Materie habe keinen Anfang gehabt und werde niemals ein Ende haben. Sie betrachten es also nicht als einen guten Grund, eine Lehre zurückzuweisen, wenn sie uns nötigt, eine unendliche Anzahl von Augenblicken und eine ebensolche von Monaten, Jahren, Jahrhunderten usw. zuzugeben.

(G) Obwohl man die Meinung, die Pomponazzi bekämpfte, nützlich verwenden kann, und obwohl man die Philosophen, die es sich angelegen sein lassen, die menschlichen Gründe für die Unsterblichkeit der Seele zu befestigen, loben (---) muß. Was ich hier zu sagen habe, könnte nicht klarer und vornehmer ausgedrückt werden als mit den Worten eines Theologen unter Descartes’ Anhängern. Deshalb gebe ich keinen weiteren Kommentar. »Es59 heißt, man habe in Neapel Leute gefunden, die durch die Lektüre der Werke Gassendis in den Irrtum Epikurs hinsichtlich der Sterblichkeit der Seele gestürzt worden seien. Man muß zugeben, daß das Buch der Instantiae, das dieser Philosoph gegen Descartes’ metaphysische Meditationen gerichtet hat, sehr gut geeignet ist, jungen Leuten, die nicht fest im Glauben stehen, diesen verderblichen Irrtum einzuflößen. Denn Gassendi verwendet seine ganze Geisteskraft auf den Nachweis, daß es, wenn man bei der Vernunft stehen bleibt, keine soliden Beweise gibt, die uns an dem Glauben hindern, unsere Seele sei nur so von unserem Körper verschieden wie ein feiner Körper von einem groben Körper. Ich weiß dagegen, daß es fromme Menschen gibt, die glauben, man müsse das, was Descartes zu diesem Thema geschrieben hat, als eine Wirkung der Vorsehung Gottes betrachten, der die Neigung zu Irreligion und Freigeisterei, die viele Leute in letzter Zeit zu haben scheinen, durch ein entsprechendes Mittel habe stoppen wollen. Das sind Leute, die nur das annehmen wollen, was sich durch das Licht der Vernunft erkennen läßt, die sehr, sehr weit davon entfernt sind, mit dem Glauben anzufangen, denen 59

Difficultez proposées à Monsr. Steyaert, Teil IX, S. 81 ff.

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alle diejenigen, die ihre Frömmigkeit bekennen, als Schwachköpfe verdächtig sind und die sich durch das – größtenteils durch ihre Sittenverderbnis bedingte – Vorurteil, daß alles, was man von einem anderen Leben sagt, nur ein Märchen sei und daß alles in uns mit dem Körper sterbe, jeden Zugang zur Religion verbauen. Mir scheint daher, daß das beste Mittel, dieses große Hindernis für das Heil dieser Leute wegzuräumen und die Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern, darin besteht, sie in ihrer falschen Ruhe aufzustören, die sich nur auf ihre Überzeugung gründet, es sei Sache eines Schwachkopfes zu glauben, daß unsere Seele unseren Körper überlebt. Hat man daher nicht Grund zu glauben, Gott, der menschliche Zwecke einsetzt, um auf verborgenen Wegen die bewundernswerte Ordnung seiner Vorsehung herbeizuführen, habe diese Kranken heilen wollen, indem er sie zwang, gerechtes Mißtrauen in ihr falsches Licht zu setzen, als er ihnen einen Menschen erweckte, der so viele natürliche Eigenschaften besaß, die sie faszinieren mußten: einen ganz außergewöhnlich eindringenden Geist in den abstraktesten Wissenschaften, eine Hingabe ausschließlich an die Philosophie, was ihnen unverdächtig ist, ein offenes Bekenntnis, daß er alle gemeinen Vorurteile ablegen wolle, was ganz nach ihrem Geschmack ist, und dem es eben dadurch gelungen ist, selbst die Ungläubigsten – vorausgesetzt, sie wollten nur die Augen dem Licht öffnen, das man ihnen zeigte – davon zu überzeugen, daß nichts mehr wider die Vernunft ist als wollen, daß die Auflösung unseres Körpers auch die Auslöschung unserer Seele ist. Und wie hat er das gezeigt? Indem er durch klare Grundsätze, die einzig und allein auf den natürlichen Begriffen beruhen, mit denen jeder Mensch von gesundem Verstand übereinkommen muß, bewies, daß die Seele und der Körper, d. h. das, was denkt, und das, was ausgedehnt ist, zwei völlig verschiedene Substanzen sind, so daß die Ausdehnung unmöglich eine Modifikation der denkenden Substanz und das Denken ebensowenig eine solche der ausgedehnten Substanz sein kann. Nachdem dieser eine Punkt gut bewiesen ist (wie er es in Descartes’ Meditationen sehr wohl ist) kann kein Freigeist, der auch nur ein wenig gesunden Ver-

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stand hat, bei der Überzeugung bleiben, daß unsere Seelen mit unserem Körper sterben. Denn usw.«60 Man sieht in dieser langen Passage aus Arnauld, in welcher Hinsicht die von Pomponazzi bekämpfte Lehre der Religion von Nutzen sein kann. Man kann sie nämlich gegen gewisse Freigeister einsetzen, die sehen wollen, bevor sie glauben, und welche die dunklen Argumente der Theologen verachten. Nichts ist besser geeignet, diese Leute zurückzuholen, als sie von der Unsterblichkeit der Seele zu überzeugen. Das ist der Anfang des rechten Weges, und wenn man sie einmal zu diesem Schritt gebracht hat, kann man sich glückliche Folgen erhoffen. Pomponazzi hat sie nicht auf diesen Weg führen können; er hat vielmehr bewirkt, daß sie sich in ihrem Irrtum verhärteten, und folglich stiftet seine Lehre mehr Schaden als Nutzen in diesem besonderen Streitfall, wo man sich vornimmt, derartige Leute zu bekehren. Um die Wahrheit zu sagen, Pomponazzi wäre mehr zu loben, wenn er anstelle der peniblen Prüfung der peripatetischen Argumente nach besseren Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele gesucht hätte als diejenigen, die ihm schwach erschienen. Man beachte, daß Arnauld diesen besonderen, Descartes und Gassendi betreffenden Umstand anführt, um das schlechte Unterscheidungsvermögen der römischen Inquisition zu zeigen. »Die römischen Zensoren«, sagt er,61 »haben nicht genügend auf das Interesse der Religion geachtet, als sie Descartes’ Werk, in dem er die Unsterblichkeit der Seele mit natürlichen Gründen solider als jemals zuvor geschehen beweist, auf ihren Index setzten, aber keins der Werke Gassendis, nicht einmal dasjenige, in dem er sich mit ganzer Kraft bemüht, diese Beweise umzustoßen, was bedeutet, denen, die ihren Glauben verloren haben, jedes menschliche Mittel zu nehmen, aus ihren verderblichen Vorurteilen gegen diese wichtige Wahrheit herauszufinden. Heißt das nicht erlauben, das Gift zu schlucken, und dann verbieten, 60

Arnauld schließt noch eine kurze und sehr gute Erklärung seines Beweiszieles an. 61 Difficultez 具proposées 典 à Monsr. Steyaert, Teil IX, S. 85.

Pomponazzi

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das Gegengift zu nehmen? Das haben die Zensoren auch getan, als sie noch einer anderen Schrift Descartes’ über denselben Gegenstand den gleichen Platz anwiesen. Denn als einer seiner Schüler, der hinsichtlich der Wahrheiten der Metaphysik von ihm abgefallen war, in einer Flugschrift behauptete, wenn da nicht der Glaube wäre, könnte man meinen, das Denken sei nur eine Modifikation der Materie, fühlte Descartes sich verpflichtet, diese gefährliche Meinung zu widerlegen und ihre Absurdität aufzuzeigen. Dennoch hat man seine Widerlegung, die den Titel trug Notae in programma quoddam sub finem anni 1654* in Belgio editum, verboten, ohne daß man gleichzeitig auch die Flugschrift auf den Index gesetzt hätte. Heißt das nicht – ich sage es noch einmal –, erlauben, daß einer sich vergiftet, aber ihm gleichzeitig verbieten, das Gegengift zu nehmen?« In der Anmerkung (C) habe ich einen Autor zitiert, dessen Kritik an Pomponazzi ein wenig zurechtgerückt werden muß. Hier sind seine Worte: »Dazu62 kann man sagen, daß Pomponazzi die Dinge zweifellos zu weit getrieben und die Meinungen und Neigungen der Freigeister nicht wenig begünstigt hat. Man muß ihm sogar Unverschämtheit vorwerfen, wenn er die These wagt, daß wer sich bemüht, die Unsterblichkeit der Seele mit natürlichen Gründen zu beweisen, des Namens ›Christ‹ unwürdig sei. Denn im Gegenteil, nichts bahnt den Heiden den Weg zur Annahme des Lichts des Glaubens besser, als wenn man ihnen zuvor beweist, daß die Seele nach natürlichen Grundsätzen unsterblich ist und daß sie daher bestrebt sein muß, sich nach diesem Leben glücklich zu machen, während es kein größeres Hindernis für die Bekehrung von Götzenanbetern und Freigeistern gibt, als wenn ihr Geist von dem Vorurteil eingenommen ist, daß gemäß den natürlichen Schlüssen die Seele sterblich sein muß.«63 (…). 具Recte: 1647. Hgg. 典 D. h. zu der These Pomponazzis, nichts sei für den Glauben schädlicher als der Versuch, ihn mit natürlichen Gründen zu beweisen. 63 Le Noble, Tableaux des philosophes, Bd. II, S. 84 f. *

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Prüfung der durch den Verfasser der Tableaux des philosophes vorgenommenen Beurteilung Pomponazzis Prüfen wir ein wenig diesen Tadelshieb! Pomponazzis Worte, die le Noble kritisiert, können so verstanden werden: Ein Christ, der den Gottlosen zeigen will, daß Vernunft und Schrift darin übereinkommen, uns die Unsterblichkeit der Seele zu lehren, tut dem Glauben unrecht und erweist sich des Namens, den er trägt, unwürdig. Aber bei Pomponazzi selbst bedeuten diese Worte meiner Meinung nach Folgendes: Ein Christ, der andere Beweise sucht als die Autorität Gottes, weil er findet, daß der Glaube ohne die Unterstützung des natürlichen Lichts nicht vor Ungewißheit schützt, beleidigt den Glauben und verhält sich auf eine Art, die eines wahren Christen unwürdig ist. Das ist meine Vermutung über den wahren Sinn der Worte dieses Philosophen; ich habe seine Verteidigungsschriften nicht, daher kann ich mich nicht definitiv zu ihnen äußern, sondern nur Wahrscheinlichkeitsschlüsse ziehen. Was war der Streitpunkt zwischen ihm und seinen Gegnern? Es ging um die Frage, ob er es verdiente, als Häretiker und Gottloser zu gelten, weil er gesagt hatte, die philosophischen Gründe für die Unsterblichkeit der Seele seien keine guten Beweise und man könne dieses Lehrstück nur durch die Offenbarung gut beweisen. Es ging nicht um die Frage, wie man die zu beurteilen hat, die an der Bekehrung der in Lukrez vernarrten Freigeister arbeiten, die aus Vorurteil das Wort Gottes verachten. Es ging auch nicht um die Frage, ob diejenigen, die den vorgeblich starken Geistern philosophische Gründe vorhalten und auf diesem Weg – dem einzigen, auf dem man sie fassen kann – versuchen, sie von den Fesseln der Irreligion zu befreien, dem Glauben unrecht tun und sich des Namens »Christ« ganz unwürdig erweisen. Es handelte sich um Christen, die zu ihrem eigenen Gebrauch und zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse auf das natürliche Licht zurückgriffen, um schwankende Leute, die nicht wußten, wem sie den Vorzug geben sollten, der Offenbarung oder der Vernunft; die zumindest nicht auf die

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Autorität Gottes bauen, wenn sie nicht durch philosophische Argumente abgesichert ist. Sagen, daß solche Leute dem Glauben unrecht tun und sich nicht wie Christen verhalten, heißt zweifellos vernünftig über sie zu urteilen und keineswegs des Tadels würdig zu sein, den wir hier prüfen. Denn eigentlich sind diese Leute noch keine Christen, sie sind auf der Suche nach einem Herrn; sie erbieten sich, das Dogma vom Paradies und von der Hölle anzunehmen, vorausgesetzt, man gibt ihnen hierfür andere Gewähr als das Evangelium. Die Autorität Gottes genügt ihnen nicht; sie wollen, daß das natürliche Licht die Verheißungen der Schrift bestätigt, sonst haben sie kein Vertrauen zu ihr. Wenn sich die Sache so verhält, wie ich sie mir vorstelle, werden alle meine Leser zugeben, daß Pomponazzi zu Unrecht getadelt worden ist. Aber nach dem oben zuerst angeführten Sinn seiner Worte wäre der Tadel gerechtfertigt. Ich leugne gar nicht, daß man Pomponazzi hätte vorhalten können, er sei nicht fähig, diejenigen zu bekehren, die an die Sterblichkeit der Seele glauben und das Evangelium als bloßes Menschenwerk betrachten, und daß seine Philosophie daher nicht den gleichen Nutzen habe wie die seiner Gegner. Ehrlicherweise hätte er sein Versagen zugegeben und eingeräumt, daß er, ohne die Ärzte nachzuahmen, die ihre Patienten zum Einnehmen einer Arznei bewegen, indem sie ihr mehr Kraft zuschreiben, als sie darin erkennen, den Gottlosen gegenüber nicht hätte behaupten können, die Sterblichkeit der Seele widerstreite gewiß den philosophischen Gründen. Er hätte das barmherzige Vorgehen der Philosophen, die diese Ärzte nachahmen, vielleicht nicht mißbilligt und sich mit der Feststellung begnügt, er für seine Person bevorzuge vollkommene Aufrichtigkeit. Aber schließlich hätte er seinen Gegnern erwidern können, daß sie sich hinsichtlich des Artikels der Auferstehung sowie mehrerer anderer den Gottlosen gegenüber so verhalten müßten, wie er sich hinsichtlich des Dogmas der Unsterblichkeit ihnen gegenüber hätte verhalten können.

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(H) Die Lehre von der Sterblichkeit der Seele würde die Menschen zu Verbrechen aller Art veranlassen. Dies ist der letzte Einwand, den Pomponazzi sich gemacht hat. Er antwortet darauf66: Da der Mensch von Natur das Glück liebt und das Elend verabscheut, genügt es, wenn man aus ihm einen rechtschaffenen Menschen machen will, ihm zu zeigen, daß das Glück des Lebens in der Ausübung der Tugend besteht, das Elend in der Ausübung des Lasters. Er fügt hinzu, daß, wer die Sterblichkeit der Seele lehrt, den Weg zur vollkommensten Tugend freimacht, nämlich derjenigen, die weder das Belohntwerden noch das Vermeiden der Strafe zum Ziel hat. (…). Er sagt ferner, es seien die rohen Menschen, denen man die Unsterblichkeit der Seele vortragen muß, und es habe offensichtlich Autoren gegeben, welche die Unsterblichkeit lehrten, ohne an sie zu glauben, und die sich ihrer auf diese Weise bedienten, um die sinnlichen Neigungen roher Gemüter im Zaum zu halten. (…). Alle diese Bemerkungen beseitigen die Schwierigkeit nicht; es sind armselige Lösungen. Pomponazzi bringt aber auch einen vernünftigen Gedanken vor, der sich auf Tatsachen stützt. Er sagt, daß eine große Anzahl von Betrügern und Verbrechern an die Unsterblichkeit der Seele glaube und daß verschiedene Heilige und Gerechte nicht an sie glaubten. (…).69

66 69

Pomponazzi, De immortalitate animae, Kap. 14, S. 120. A. a.O., S. 119.

PYRRHO

pyrrho, ein griechischer Philosoph, gebürtig aus Elis auf der Peloponnes, war Schüler des Anaxarchos und begleitete ihn bis nach Indien.a Das geschah zweifelsohne im Gefolge Alexanders des Großen, woraus man erkennen kann, wann er seine Blütezeit hatte. Bevor er sich dem Studium der Philosophie widmete, hatte er das Malerhandwerkb ausgeübt. Seine Ansichten unterschieden sich kaum von denen des Arkesilaos, denn es fehlte wenig, daß er ebenso wie jener die Unbegreiflichkeit aller Dinge lehrte. Er fand überall Gründe sowohl für das Bejahen wie für das Verneinen. Deshalb hielt er, nachdem er das Für und Wider genau untersucht hatte, seine Zustimmung zurück, und deshalb beschränkte er alle seine Urteile auf ein non liquet, die Sache muß weiter untersucht werden. Er hat also sein ganzes Leben lang die Wahrheit gesucht, aber er hat sich immer Möglichkeiten offengehalten, nicht eingestehen zu müssen, daß er sie gefunden hätte. Obwohl er nicht der Erfinder dieser Art des Philosophierens gewesen ist, trägt sie dennoch seinen Namen. Die Kunst, über alles zu disputieren, ohne dabei jemals zu einem anderen Resultat zu gelangen als dem, sein Urteil aufzuschieben, heißt Pyrrhonismus; das ist ihre allgemeinste Bezeichnung. Man verflucht ihn in den Schulen der Theologie zu Recht (B), wo er versucht, neue Kräfte zu schöpfen, die nichts als Hirngespinste sind. Aber er kann seinen Nutzen haben, um den Menschen durch das Gefühl seiner Unwissenheit zu nötigen, Hilfe von oben zu erflehen und sich der Autorität des Glaubens zu unterwerfen (C). Weil das, was ich aus einem Gespräch berichte,c in dem zwei Abbés über den a

Diogenes Laertius in der Lebensbeschreibung Pyrrhos, Buch IX, Nr. 61 am Anfang. b Ebd. c In der Anmerkung (B).

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Pyrrhonismus diskutierten, viele Leser verletzen könnte, widme ich diesem Punkt eine gute Klarstellung, die man am Ende dieses Werks finden wird. Die Erzählungen des Antigonos von Karystosd muß man für schlechte Scherze oder vielmehr für Verleumdungen halten, denen zufolge Pyrrho keine Sache einer anderen vorzog und kein Wagen und kein Abgrund ihn dazu bringen konnten, einen Schritt zurück oder auf die Seite zu gehen, und seine Freunde, die ihn begleiteten, ihm sehr oft das Leben retteten. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß er ein solcher Narr gewesen wäre, aber es kann nicht bezweifelt werden, daß er lehrte, Ehrhaftigkeit und Schändlichkeit der Handlungen, ihre Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit hingen allein von den menschlichen Gesetzen und dem eingewurzelten Gebrauch ab. Wie abscheulich dieses Lehrstück auch sein mag, es ergibt sich auf natürliche Weise aus dem pyrrhonischen Prinzip, daß uns das absolute und innere Wesen der Dinge verborgen ist und daß wir nur darüber Gewißheit haben können, wie sie uns in bestimmten Hinsichten erscheinen. Die Gleichgültigkeit Pyrrhos war erstaunlich. Nichts hat er geliebt, über nichts sich geärgert,f und kein Mensch war von der Nichtigkeit der Dinge fester überzeugt als er. Wenn er sprach, kümmerte es ihn wenig, ob man ihm zuhörte oder nicht; selbst wenn seine Hörer weggingen, hat er weitergeredet. Er lebte mit seiner Schwester in einem Haushalt und teilte sich mit ihr selbst die geringsten häuslichen Besorgungen. Diejenigen täuschen sich gewaltig, die sagen, er habe das athenische Bürgerrecht erhalten, weil er einen König von Thrakien getötet habe. Ich habe Moréri nicht viele Fehler vorzuwerfen. Die Gleichheit, die er zwischen Leben und Tod gesetzt hat, ist von Epiktet gelobt worden, der den Pyrrhonismus ansonsten aufs äußerste verachtet hat.

d

Bei Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 62. Das sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Zweifellos liebte er die Gesundheit mehr als die Krankheit usw. f

Pyrrho

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(B) Man verflucht den Pyrrhonismus in den Schulen der Theologie zu Recht. Der Pyrrhonismus ist in Bezug auf diese göttliche Wissenschaft gefährlich, scheint es aber kaum hinsichtlich der Physik oder des Staates zu sein. Es nützt nicht viel zu sagen, der menschliche Geist sei zu beschränkt, um irgend etwas auf dem Gebiet der natürlichen Wahrheiten oder der Ursachen, welche die Hitze, die Kälte, die Gezeiten usw. hervorbringen, zu entdecken. Es muß uns genügen, uns im Aufsuchen von wahrscheinlichen Hypothesen zu üben und Erfahrungen zu sammeln. Ich bin ganz sicher, daß es in unserem Jahrhundert sehr wenige gute Physiker gibt, die nicht davon überzeugt wären, daß die Natur ein unerforschlicher Abgrund ist und daß ihre Triebkräfte nur dem bekannt sind, der sie erschaffen hat und der sie lenkt. Also sind alle diese Philosophen in dieser Hinsicht Akademiker und Pyrrhoneer. Das bürgerliche Leben hat von dieser Geisteshaltung nichts zu befürchten, denn die Skeptiker leugnen nicht, daß man sich den Gepflogenheiten seines Landes gemäß verhalten, die Pflichten der Moral erfüllen und sich in diesen Dingen von der Wahrscheinlichkeit leiten lassen muß, ohne Gewißheit zu erwarten.8 Sie können ihr Urteil in der Frage zurückhalten, ob eine bestimmte Pflicht natürlich und völlig rechtmäßig ist, aber sie halten ihr Urteil nicht in der Frage zurück, ob eine Pflicht bei gegebenem Anlaß erfüllt werden muß. Also hat nur die Religion den Pyrrhonismus zu fürchten. Sie muß sich auf Gewißheit stüzen; ihr Zweck, ihre Wirkungen, ihre Bräuche werden hinfällig, sobald die feste Überzeugung von ihren Wahrheiten in der Seele erloschen ist. Aber das ist kein Grund, sich zu beunruhigen. Es gab niemals und wird auch niemals mehr als eine kleine Anzahl von Leuten geben, die durch die Gründe der Skeptiker getäuscht werden könnten. Die Gnade Gottes bei den Gläubigen, die Stärke der Erziehung bei den anderen Menschen und, wenn man so will, die Unwis8

Man sehe Diogenes Laertius am Ende der Lebensbeschreibung Pyrrhos.

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senheit9 und der natürliche Hang zum Entscheiden bilden einen undurchdringlichen Schutzschild gegen die Pfeile der Pyrrhoneer, wenngleich diese Sekte sich einbildet, sie sei heutigentags gefährlicher als sie es ehemals war. Wir werden sehen, worauf sie diesen sonderbaren Anspruch gründet. Vor ungefähr zwei Monaten berichtete mir ein verständiger Mann sehr ausführlich von einer Unterhaltung, bei der er zugegen gewesen war. Zwei Abbés, von denen der eine nur seine gewöhnlichen Geschäfte kannte, der andere ein guter Philosoph war, ereiferten sich in einer Diskussion nach und nach derart, daß sie beinahe in einen ernsthaften Streit gerieten. Der erste hatte ziemlich kühl gesagt, daß er den heidnischen Philosophen verzeihe, daß sie in der Ungewißheit der Meinungen umhergeschwommen seien, aber nicht verstehen könne, wie es angesichts des Lichts des Evangeliums noch erbärmliche Pyrrhoneer geben könne. »Ihr tut unrecht, auf diese Weise zu schließen«, antwortete ihm der andere. »Arkesilaos wäre, wenn er wieder auf die Welt käme und gegen unsere Theologen zu kämpfen hätte, tausendmal fürchterlicher, als er es für die Dogmatiker des alten Griechenland war; die christliche Theologie würde ihn mit unwiderleglichen Argumenten versorgen«. Alle Anwesenden hatten das mit großer Überraschung angehört und diesen Abbé gebeten, sich ausführlicher zu erklären, denn sie zweifelten nicht, daß er ein Paradoxon vorgetragen habe, das nur zu seiner Beschämung ausfallen würde. Hier ist die Antwort, die er gab, indem er sich an den ersten Abbé wendete. »Ich verzichte auf die Vorteile, welche die neue Philosophie den Pyrrhoneern verschafft. Man kannte kaum den Namen des Sextus Empiricus in unseren Schulen.

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Das ist ein Ausspruch des Simonides: »Diese Leute sind nicht klug genug, um durch einen Mann wie mich getäuscht zu werden.« Balzac sagte dasselbe von den Mädchen seines Dorfs. Agesilaos beschwerte sich darüber, daß er es mit Gegnern zu tun hatte, die überhaupt nichts vom Krieg verstanden, so daß seine Kriegspläne unnütz waren; er konnte keine kriegsuntüchtigen Truppen überlisten. Man sehe Plutarch in seiner Lebensbeschreibung, gegen Ende.

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Die zur Urteilsenthaltung führenden Mittel, die er so feinsinnig vorgetragen hat, waren dort ebenso unbekannt wie die südliche Halbkugel, bis uns Gassendi10 einen Auszug davon gab, der uns die Augen geöffnet hat. Der Cartesianismus hat letzte Hand ans Werk gelegt, und unter den guten Philosophen zweifelt niemand mehr, daß die Skeptiker mit ihrer Behauptung recht haben, daß die Eigenschaften der Körper, die unsere Sinne reizen, lediglich Erscheinungen sind. Jeder von uns kann mit Recht sagen ›Ich empfinde Wärme in Gegenwart von Feuer‹, aber nicht ›Ich weiß, daß das Feuer selbst so beschaffen ist, wie es mir erscheint‹. Das war der Stil der alten Pyrrhoneer. Heutzutage spricht die neue Philosophie eine bestimmtere Sprache. Die Wärme, der Duft, die Farben usw. sind nicht in den Gegenständen unserer Sinne; sie sind Modifikationen der Seele. Ich weiß, daß die Körper gar nicht so beschaffen sind, wie sie mir erscheinen. Man hätte die Ausdehnung und die Bewegung gern davon ausgenommen, aber man konnte es nicht. Denn wenn uns die Gegenstände der Sinne farbig, warm, kalt, duftend erscheinen, obwohl sie es nicht sind, warum sollten sie nicht ausgedehnt und gestaltet, in Ruhe oder in Bewegung erscheinen können, auch wenn sie nichts dergleichen wären?11 Mehr noch: Die Gegenstände der Sinne können nicht die Ursache meiner Empfindungen sein. Ich könnte also Kälte und Hitze empfinden, Farben, Figuren, Ausdehnung, Bewegung sehen, auch wenn es keinen einzigen Körper im Universum gäbe. Ich habe somit keinen überzeugenden Beweis für die Existenz der Körper.12 Der einzige Beweis, den man mir dafür geben kann, muß daher genommen sein, daß Gott mich täuschen würde, wenn er meiner Seele die Ideen einprägte, die ich vom Körper 10

In seinem Buch De fine logicae, Kap. 3, S. 72 ff. in Bd. I seiner Werke, Ausgabe Lyon 1658. 11 Der Abbé Foucher hat diesen Einwand in seiner Critique de la Recherche de la vérité vorgetragen. Père Malebranche hat darauf nicht geantwortet. Er hat dessen Stärke wohl gespürt. Man sehe die folgende Fußnote. 12 Père Malebranche zeigt in einem Eclaircissement sur la Recherche de la vérité, daß es sehr schwer ist, zu beweisen, daß es Körper gibt und daß nur der Glaube uns überzeugen kann, daß es wirklich Körper gibt.

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habe, ohne daß es in Wirklichkeit Körper gäbe.13 Aber dieser Beweis ist sehr schwach; er beweist zuviel. Seit dem Anfang der Welt haben alle Menschen mit Ausnahme von vielleicht einem auf 200 Millionen fest geglaubt, daß die Körper farbig sind, und das ist ein Irrtum. Ich frage: Täuscht Gott die Menschen bezüglich dieser Farben? Wenn er sie in dieser Hinsicht täuscht, so hindert nichts, daß er sie auch hinsichtlich der Ausdehnung täuscht. Diese letztere Täuschung würde nicht weniger unschuldig noch weniger verträglich mit dem höchst vollkommenen Wesen sein als die erste. Wenn Gott die Menschen nicht hinsichtlich der Farben täuscht, so zweifellos deshalb, weil er sie nicht unwiderstehlich zwingt zu sagen, ›Diese Farben existieren außerhalb meiner Seele‹, sondern nur, ›Es scheint mir, daß es da Farben gibt‹. Man kann dasselbe hinsichtlich der Ausdehnung behaupten. Gott zwingt Euch nicht unwiderstehlich zu sagen, ›Es gibt dergleichen‹, sondern nur zu urteilen, daß Ihr sie empfindet und daß es Euch so scheint, daß es dergleichen gibt. Ein Cartesianer hat nicht mehr Mühe, sein Urteil über die Existenz der Ausdehnung aufzuschieben, als ein Bauer hat, sich der Aussage zu enthalten, daß die Sonne scheint, daß der Schnee weiß ist usw. Das ist der Grund, weshalb Gott, wenn wir uns mit der Behauptung der Existenz der Ausdehnung täuschen, nicht die Ursache davon ist, weil er nach Eurer Ansicht auch nicht die Ursache der Irrtümer dieses Bauern ist. Das sind die Vorteile, die diese neuen Philosophen den Pyrrhoneern verschaffen und auf die ich verzichten will.« Sogleich darauf versicherte der philosophische Abbé dem anderen, daß man, um einen Sieg über einen Skeptiker zu erhoffen, diesem vor allem beweisen müsse, daß die Wahrheit an bestimmten Zeichen mit Gewißheit zu erkennen sei. Man nennt diese gewöhnlich das criterium veritatis. Man würde ihm mit Recht entgegenhalten, daß die Evidenz das sichere Zeichen der Wahrheit ist, denn wenn nicht die Evidenz dieses 13

Man sehe Kap. 28 der Abhandlung Arnaulds Des vrayes et des fausses idées, wo er das oben erwähnte Eclaircissement des Père Malebranche mit Gründen widerlegt, die alle dieser Quelle entstammen.

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Zeichen wäre, so gäbe es keines. »Ganz recht«, wird er zu Euch sagen, »eben da will ich Euch hinhaben. Ich werde Euch Dinge zeigen, die Ihr als falsch zurückweist und die von größtmöglicher Evidenz sind. 1) Es ist evident, daß Dinge, die nicht von einem dritten verschieden sind, nicht voneinander verschieden sind. Das ist die Grundlage aller unserer Überlegungen, darauf gründen wir unsere sämtlichen Schlußfolgerungen, und nichtsdestoweniger versichert uns die Offenbarung des Mysteriums der Trinität, daß dieses Axiom falsch ist. Denkt Euch so viele Distinktionen aus wie Ihr nur wollt, Ihr werdet niemals zeigen, daß diese Maxime nicht durch jenes große Mysterium Lügen gestraft wird. 2) Es ist evident, daß es keinen Unterschied zwischen Individuum, Natur und Person gibt. Jedoch hat uns dasselbe Mysterium davon überzeugt, daß die Personen vermehrt werden können, ohne daß die Individuen und die Naturen aufhörten, einig zu sein. 3) Es ist evident, daß es, um einen Menschen zu schaffen, der wirklich und vollkommen eine Person ist, genügt, einen menschlichen Körper und eine vernünftige Seele miteinander zu vereinigen. Indessen hat uns das Mysterium der Inkarnation gelehrt, daß dies nicht ausreicht. Daraus folgt, daß weder Ihr noch ich sicher sein können, daß wir Personen sind. Denn wenn es für einen menschlichen Körper und für eine vernünftige Seele wesentlich wäre, miteinander vereint eine Person zu konstituieren, so könnte Gott es niemals so einrichten, daß sie dieselbe nicht konstituierten. Folglich muß man sagen, daß ihnen die Personalität rein akzidentiell zukommt. Nun ist jedes Akzidens von seinem Subjekt auf mehrere Weisen trennbar. Folglich ist es Gott möglich, uns durch mehrere Mittel daran zu hindern, Personen zu sein, obschon wir aus Körper und Seele zusammengesetzt sind; und wer versichert uns, daß er sich nicht eines dieser Mittel bedient, um uns die Personalität zu nehmen? Ist er denn verpflichtet, uns alle Arten zu offenbaren, nach denen er über uns schaltet und waltet? 4) Es ist evident, daß ein menschlicher Körper nicht an mehreren Orten zugleich sein und daß sein Kopf mit all den anderen Gliedmaßen nicht einen unteilbaren Punkt einnehmen kann, und nichtsdestoweniger lehrt uns das

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Mysterium der Eucharistie, daß beides tagtäglich geschieht.15 Daraus folgt, daß weder Ihr noch ich sicher sein können, von anderen Menschen verschieden zu sein und daß wir nicht in diesem Augenblick im Serail zu Konstantinopel, in Kanada, in Japan und in jeder Stadt der Welt sind, und zwar an jedem Ort unter verschiedenen Bedingungen. Würde Gott, da er nichts umsonst tut, verschiedene Menschen schaffen, wo ihm doch ein einziger Mensch genügen kann, der an verschiedenen Orten geschaffen und je nach Ort mit verschiedenen Eigenschaften ausgestattet wird? Diese Lehre bringt uns um die Wahrheiten, die wir in den Zahlen fanden, denn wir wissen nun nicht mehr, was zwei und drei ergibt; wir wissen nicht, was Identität, was Verschiedenheit ist. Wenn wir urteilen, daß Hans und Peter zwei Menschen sind, so nur deshalb, weil wir sie an verschiedenen Orten sehen und weil der eine nicht alle die Akzidenzien des anderen hat. Aber durch das Dogma der Eucharistie wird diese Grundlage der Unterscheidung ganz und gar hinfällig. Es gibt im Universum vielleicht nur ein einziges Geschöpf, das durch die Hervorbringung an verschiedenen Orten und durch die Verschiedenheit der Qualitäten vervielfacht worden ist – und wir stellen große arithmetische Regeln auf, als ob es viele verschiedene Dinge gäbe.16 Alles Hirngespinste! Wir wissen nicht nur nicht länger, ob es zwei Körper gibt, wir wissen nicht einmal, ob es einen Körper und einen Geist gibt. Denn wenn die Materie durchdringlich ist, so ist klar, daß die Ausdehnung nur ein Akzidens des Körpers ist, und so ist der Körper seinem Wesen nach eine unausgedehnte 15

Man beachte, daß es ein Abbé ist, der spricht. Ich bin verpflichtet, diesen Hinweis hier in dieser zweiten Auflage hinzuzufügen, weil ich erfahren habe, daß mehrere Reformierte sich darüber empört haben, daß das Mysterium der Trinität und der Inkarnation auf eine Stufe gestellt wird mit dem Dogma der Realpräsenz und der Transsubstantiation. 16 Man beachte, daß, wenn ein Körper an mehreren Orten hervorgebracht werden kann, jedes andere Wesen, jeder Geist, jeder Ort, jedes Akzidens usw. auf gleiche Weise vervielfacht werden kann, und so wird man keine Vielzahl von Wesen haben, sondern wird alles auf ein einziges geschaffenes Wesen zurückführen.

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Substanz. Er kann folglich alle die Attribute annehmen, die man sich an einem Geist vorstellt: Verstand, Wille, Leidenschaften, Empfindungen. Es gibt also keine Regel mehr, die uns erkennen ließe, ob eine Substanz ihrer Natur nach geistig oder körperlich ist. 5) Es ist evident, daß die Modi einer Substanz nicht ohne die Substanz fortbestehen können, die sie modifizieren. Nichtsdestoweniger hat uns das Mysterium der Transsubstantiation gelehrt, daß dies falsch ist.17 Das bringt alle unsere Begriffe durcheinander. Es gibt nun kein Mittel mehr, eine Substanz zu definieren, denn wenn das Akzidens ohne irgendein Subjekt fortbestehen kann, dann kann die Substanz ihrerseits in Abhängigkeit von einer anderen Substanz nach Art der Akzidenzien fortbestehen. Der Geist kann nach Art der Körper fortbestehen, so wie in der Eucharistie die Materie nach Art der Geister existiert. Diese können undurchdringlich sein, so wie die Materie dort durchdringlich ist. Wenn wir nun aber, nachdem wir aus der Dunkelheit des Heidentums in das Licht des Evangeliums eingetreten sind, die Falschheit so vieler evidenter Begriffe und so vieler sicherer Definitionen gelernt haben,18 wie wird es erst sein, wenn wir aus der Finsternis dieses Lebens in die Herrlichkeit des Paradieses eintreten werden? Ist es nicht ganz offenkundig, daß wir die Falschheit von tausend Dingen lernen werden, die uns unbestreitbar erschienen? Wir wollen aus der Verwegenheit Nutzen ziehen, mit der uns diejenigen, die vor dem Evangelium lebten, gewisse evidente Lehren als wahr hinstellten, deren Falschheit uns die Mysterien unserer Theologie offenbart haben. Wir wollen zur Moral überwechseln. 1) Es ist evident, daß man das Übel verhindern soll, wenn man es kann, und daß man sündigt, falls man es zuläßt, wenn man es verhindern 17

Man sehe Fußnote (15). Diejenigen, welche die Transsubstantiation vertreten, setzten das Wesen der Materie, und so das Wesen aller Dinge, in die Fähigkeit, Ausdehnung anzunehmen. Es gibt nichts Aktuales, alles ist passive Fähigkeit. Nun kann diese Fähigkeit mit dem Geist vereinbar sein, usw. Das bringt alle Definitionen durcheinander. 18

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kann. Indessen zeigt uns unsere Theologie, daß dies falsch ist. Sie lehrt uns, daß Gott nichts tut, was seiner Vollkommenheit nicht würdig wäre, wenn er all die Unordnung in der Welt zuläßt, die er leicht hätte verhindern können. 2) Es ist evident, daß ein Geschöpf, das nicht existiert, keine Mitschuld an einer bösen Tat treffen kann. 3) Und daß es ungerecht ist, es als mitschuldig an dieser Tat zu bestrafen. Nichtsdestoweniger zeigt uns unsere Lehre vom Sündenfall die Falschheit dieser evidenten Wahrheiten. 4) Es ist evident, daß man das Rechtschaffene dem Nützlichen vorziehen muß und daß, je heiliger eine Ursache ist, sie um so weniger die Freiheit hat, die Rechtschaffenheit der Nützlichkeit hintanzusetzen. Indessen sagen uns unsere Theologen, daß Gott, als er zwischen einer vollkommen wohlgeordneten und mit aller Tugend geschmückten Welt und einer Welt wie der unseren zu wählen hatte, wo Sünde und Unordnung dominieren, diese jener vorgezogen habe, weil er sie den Interessen seines Ruhmes gemäßer fand. Ihr werdet mir einwenden, daß man die Pflichten des Schöpfers nicht mit der Elle unserer Pflichten messen dürfe. Aber wenn Ihr das tut, werdet Ihr in die Fallstricke Eurer Gegner geraten. Da wollen sie Euch hinhaben; ihr Hauptziel ist es zu beweisen, daß die absolute Natur der Dinge uns unbekannt ist und daß wir sie nur in gewissen Beziehungen kennen. ›Wir wissen nicht‹, sagen sie, ›ob der Zucker an sich süß ist; wir wissen nur, daß er uns süß erscheint, wenn er auf unsere Zunge gelangt.19 Wir wissen nicht, ob diese Handlung an sich und ihrer Natur nach rechtschaffen ist; wir glauben lediglich, daß sie im Hinblick auf eine bestimmte Person, mit Bezug auf gewisse Umstände den äußeren Anschein der Rechtschaffenheit trägt. In anderen Hinsichten und Beziehungen ist das nicht mehr der Fall.‹ Seht also, 19

Die Stärke ihrer Logik oder Topik beschränkt sich auf einen Gesichtspunkt, nämlich den der Relation, der achte in der Anordnung der zehn, durch den die Anhänger dieser Sekte zeigen, daß wir über die Dinge nur durch Vergleichen urteilen; was sie in den Begriffen p£nta prÕj t…, »alles ist relativ«, ausdrücken. La Mothe le Vayer, De la vertu des païens, Bd. V, S. 217.

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welchen Einwänden Ihr Euch aussetzt, wenn Ihr zu ihnen sagt, daß die Begriffe, die wir von Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit haben, Ausnahmen zulassen und relativ sind. Bedenkt auch, daß, je mehr Ihr die Rechte Gottes zu dem Privileg erhebt, nicht nach unseren Begriffen zu handeln, Ihr um so mehr das einzige Euch verbliebene Beweismittel für die Existenz von Körpern vernichtet; nämlich, daß Gott uns nicht täuscht und daß er es tun würde, wenn die körperliche Welt nicht existierte. Einem ganzen Volk ein Schauspiel vorzuführen, ohne daß sich außerhalb des Geistes etwas abspielte, wäre Betrügerei. ›Distinguo‹ 具ich unterscheide 典, wird man Euch antworten.* ›Wenn ein Fürst das täte: concedo 具ja 典; wenn Gott es täte: nego 具nein 典, denn die Rechte Gottes sind ganz andere als die der Könige.‹ Aber wenn die Ausnahmen, die Ihr von den Prinzipien der Moral macht, auf die unbegreifliche Unendlichkeit Gottes gegründet sind, so werde ich niemals von irgend etwas überzeugt sein können. Denn ich werde niemals den ganzen Umfang der göttlichen Rechte verstehen können. Ich schlußfolgere so: Wenn es ein Merkmal gäbe, an dem man die Wahrheit mit Gewißheit erkennen könnte, so wäre das die Evidenz. Nun ist die Evidenz kein solches Merkmal, weil sie auch falschen Sätzen zukommt, also…« Der Abbé, an den diese ganze lange Rede gerichtet war, hatte große Mühe, sich mit Unterbrechungen zurückzuhalten. Er hatte sie mit Zeichen des Mißvergnügens angehört und ereiferte sich, als er sah, daß die Rede beendet war, heftig gegen die Pyrrhoneer20 und nahm den Berichterstatter der Schwierigkeiten, die sie aus den Systemen der Theologie herleiten, davon nicht aus. Dieser antwortete ihm bescheiden, er wisse sehr wohl, daß dies nur Sophismen und sehr kleine Schwierigkeiten seien, daß es aber nur recht sei, daß diejenigen, die so hochmütig gegen die Skeptiker tun, über den Stand der Dinge im Bilde wären. »Ihr habt bislang geglaubt«, fuhr er fort, »daß 具Der Sinn scheint zu erfordern »werdet Ihr mir antworten«. Hgg. 典 Man vergleiche dies mit dem, was la Mothe le Vayer in Teil II seiner Prose chagrine in Bd. IX seiner Œuvres berichtet. *

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ein Pyrrhoneer Euch nicht in Verlegenheit bringen könnte. Antwortet mir deshalb: Ihr seid 45 Jahre alt, Ihr bezweifelt das nicht; und wenn es etwas gibt, wovon Ihr überzeugt seid, dann ist es dies, daß Ihr dieselbe Person seid, der man vor zwei Jahren die Abtei von *** gegeben hat. Ich werde Euch zeigen, daß Ihr keinen guten Grund habt, dessen gewiß zu sein. Ich argumentiere gemäß den Prinzipien unserer Theologie. Eure Seele ist geschaffen worden, folglich muß Gott ihr Dasein in jedem Augenblick erneuern, denn die Erhaltung der Geschöpfe ist eine fortwährende Schöpfung. Wer hat Euch gesagt, daß Gott heute morgen die Seele, die er bis jetzt vom ersten Augenblick Eures Lebens an ununterbrochen erschaffen hat, nicht ins Nichts hat zurückfallen lassen? Wer hat Euch gesagt, daß er nicht eine andere Seele erschaffen hat, die so modifiziert ist, wie die Eure es war? 21 Diese neue Seele ist diejenige, die Ihr gegenwärtig besitzt. Zeigt mir das Gegenteil, so daß die Anwesenden meinen Einwand beurteilen können.« Ein anwesender gelehrter Theologe ergriff das Wort und räumte ein, daß, nachdem man die Schöpfung einmal vorausgesetzt hat, es für Gott ebenso leicht wäre, in jedem Augenblick eine neue Seele zu erschaffen, wie dieselbe zu reproduzieren; daß aber nichtsdestoweniger die Begriffe von seiner Weisheit und mehr noch die Erleuchtungen, die wir aus seinem Wort schöpfen, uns eine legitime Gewißheit geben können, daß wir heute die der Zahl nach identische Seele haben wie gestern, vorgestern usw. Er schlußfolgerte, daß man weder seine Zeit durch Diskussionen mit den Pyrrhoneern verschwenden noch sich einbilden dürfe, daß man ihren Sophismen durch die Kraft der Vernunft allein leicht entgehen könne; daß man sie vor allem die Schwachheit der Vernunft spüren lassen müsse, damit dieses Gefühl sie dazu bringe, zu einem besseren Führer Zuflucht zu nehmen, welcher der Glaube ist. Das ist der Gegenstand der folgenden Anmerkung.

21

D. h. mit der Erinnerung, die Gott reproduziert haben würde, wenn er fortgefahren wäre, die Seele des Abbés zu erschaffen.

Pyrrho

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(C) (---) Er kann (---) den Menschen nötigen, (---) Hilfe von oben zu erflehen und sich der Autorität des Glaubens zu unterwerfen. Ein neuerer Schriftsteller, der den Pyrrhonismus genauer untersucht hat als andere Sekten, betrachtet ihn als die Partei, die dem Christentum am wenigsten entgegengesetzt ist und als diejenige, »welche die Mysterien unserer Religion am gelehrigsten annehmen kann«.22 Er bekräftigt seine Meinung mit einigen Gründen und fährt dann fort: 23 »Nicht ohne Grund glauben wir also, daß das skeptische System, das auf einer unbefangenen Anerkennung der menschlichen Unwissenheit beruht, von allen Systemen am wenigsten unserem Glauben entgegengesetzt und das zur Annahme der übernatürlichen Erleuchtung des Glaubens am besten geeignete ist. Wir sagen damit nichts, was nicht mit der besten Theologie übereinstimmt, denn die des hl. Dionysius lehrt nichts ausdrücklicher als die Schwachheit unseres Geistes und seine Unwissenheit hinsichtlich aller göttlichen Dinge. So erklärt dieser große Lehrer das, was Gott selbst durch den Mund seiner Propheten verkündet hat: daß er seine Wohnung ins Dunkle gesetzt habe. Da dies so ist, können wir uns ihm nicht nähern, ohne in diese geheimnisvolle Dunkelheit einzutreten. Daraus lernen wir diese wichtige Lektion, daß er nur dunkel erkannt werden kann, umhüllt von Rätseln oder Wolken, oder, wie es die Schule sagt, indem man ihn nicht erkennt. Diejenigen nun, die sich zu allen Zeiten zu Demut und Unwissenheit bekannt haben, passen sich viel besser als die anderen dieser spirituellen Dunkelheit an. Die Dogmatiker hingegen, die niemals etwas mehr gefürchtet haben als den Anschein, daß sie irgend etwas nicht wüßten, verlieren sich sogleich darin; und ihre Anmaßung, über genügend Licht des Verstandes zu verfügen, um jede Art Dun22

La Mothe le Vayer, De la vertu des païens, in Bd. V seiner Œuvres, S. 229. Man sehe außerdem die Abhandlungen des Abbé Foucher über die Philosophie der Akademiker. 23 La Mothe le Vayer, a. a.O., S. 231.

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kelheit zu überwinden, führt dazu, daß sie sich um so mehr verblenden, je mehr sie glauben, in die Dunkelheiten einzudringen, die unsere menschliche Natur nicht ergründen kann. Wie dem auch sei, ich glaube, daß der Skeptizismus von nicht geringem Nutzen für eine christliche Seele ist, wenn er sie all die herrischen Meinungen ablegen läßt, die der hl. Paulus so tief verabscheut.« Er hat sich darüber genauer und nachdrücklicher in einem anderen Buch ausgelassen.24 Wenn man imstande ist, all die Mittel zur Urteilsenthaltung recht zu verstehen, die Sextus Empiricus vorgetragen hat, dann begreift man, daß diese Logik die größte Anstrengung der Subtilität ist, die der menschliche Geist hat unternehmen können; aber man sieht zugleich, daß diese Subtilität uns keinerlei Zufriedenheit gewähren kann. Sie verwirrt sich selbst, denn wenn sie wohlgegründet wäre, würde sie beweisen, daß es gewiß ist, daß man zweifeln muß. Es gäbe folglich etwas Gewisses, man hätte folglich eine zuverlässige Regel der Wahrheit. Das nun ruiniert das System, aber fürchtet nicht, daß es dahin kommt; die Gründe zu zweifeln sind selbst zweifelhaft. Man muß folglich zweifeln, ob man zweifeln muß. Welch ein Chaos, und welch eine Folter für den Geist! Es scheint also, daß dieser unglückliche Zustand der geeignetste von allen ist, um uns zu überzeugen, daß unsere Vernunft ein Weg ist, der in die Irre führt. Denn gerade wenn sie sich mit größtmöglicher Subtilität entfaltet, stürzt sie uns in einen derartigen Abgrund. Die natürliche Folge davon muß sein, auf einen solchen Führer zu verzichten und von der Ursache aller Dinge einen besseren zu erbitten. Das ist ein großer Schritt auf die christliche Religion zu, denn sie will, daß wir von Gott die Erkenntnis dessen erwarten, was wir glauben und tun sollen; sie will, daß wir unseren Verstand unter den Gehorsam des Glaubens gefangen nehmen. Wenn ein Mensch davon überzeugt ist, daß er sich nichts Gutes von seinen philosophischen Diskussionen versprechen kann, so wird er geneigter sein, zu Gott zu beten, um von ihm das Überzeugtsein von den Wahrheiten zu erbitten, die man 24

In Teil II der Prose chagrine, in Bd. IX seiner Œuvres.

Pyrrho

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glauben muß, als wenn er sich schmeichelt, durch Räsonieren und Disputieren ans Ziel zu gelangen. Es ist also eine glückliche Vorbereitung zum Glauben, die Mängel der Vernunft zu erkennen. Daher haben Pascal und einige andere gesagt, daß man, um die Freigeister zu bekehren, sie bezüglich der Vernunft kränken und sie lehren müsse, ihr zu mißtrauen. Calvin ist vortrefflich in diesem Punkt, denn er erklärt sich in der Liturgie der Taufe25 dort, wo er mit den Lehren beginnt, die man angehenden Christen beibringen soll, folgendermaßen. »Hiermit26 also ermahnt uns Gott, uns zu demütigen und uns selbst zu mißfallen. Auf diese Weise bereitet er uns darauf vor, seine Gnade zu wünschen und zu erbitten, durch welche die ganze Verderbtheit und der Fluch unserer ersten Natur aufgehoben wird. Denn wir sind erst dann imstande, sie zu empfangen, wenn wir zunächst alles Zutrauen in unsere Tugend, Weisheit und Gerechtigkeit abgelegt und alles, was in uns ist, verdammt haben. Wenn er uns nun unser Unglück vorgehalten hat, so tröstet er uns gleichfalls durch seine Barmherzigkeit, indem er uns die Wiedergeburt in ein neues Leben durch seinen hl. Geist verspricht, die für uns wie ein Eintritt in sein Königreich sein wird. Diese Wiedergeburt besteht aus zwei Teilen, nämlich, daß wir uns selbst verleugnen und nicht unserer eigenen Vernunft, unserem Vergnügen und eigenen Willen folgen, sondern daß wir, indem wir unseren Verstand und unser Herz unter die Weisheit und Gerechtigkeit Gottes gefangen nehmen, alles abtöten, was von uns und unserem Fleisch ist; sodann, daß wir dem Lichte Gottes folgen, um seinem Belieben zu entsprechen und Folge zu leisten, wie er es uns durch sein Wort zeigt und wohin er uns durch seinen Geist führt.« Wie dem auch sei, es gibt verständige Leute, die behaupten, daß nichts der Religion

25

Man bemerke, daß diese Liturgie in den Kirchen der Genfer Konfession in Gebrauch ist und daß somit die Maximen, die sie enthält, als die allgemeine Meinung dieser Kirchen und nicht nur als die persönliche Ansicht Johann Calvins zu gelten haben. 26 D. h. indem er uns sagt, daß wir wiedergeboren werden müssen.

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mehr entgegengesetzt sei als der Pyrrhonismus. »Das27 ist die vollständige Auslöschung nicht nur des Glaubens, sondern der Vernunft, und nichts ist unmöglicher als diejenigen wieder auf den rechten Weg zu bringen, die ihre Verwirrungen bis zu diesem Exzeß getrieben haben. Man kann die unwissendsten Menschen belehren. Man kann die eigensinnigsten umstimmen, man kann die ungläubigsten überzeugen. Aber es ist unmöglich, ich will nicht sagen, einen Skeptiker zu überzeugen, sondern richtig gegen ihn zu argumentieren, weil es nicht möglich ist, ihm irgendeinen Beweis entgegenzusetzen, der kein Trugschluß, und zwar der gröbste Trugschluß unter allen wäre, d. h. eine petitio principii. Tatsächlich kann kein Beweis schlüssig sein, der nicht voraussetzen würde, daß alles das, was evident ist, wahr ist, d. h. der nicht voraussetzen würde, was gerade in Frage steht. Denn der Pyrrhonismus besteht eigentlich nur darin, diese grundlegende Maxime der Dogmatiker nicht zuzugestehen.«28 (…). Man beachte, daß la Mothe le Vayer die Pyrrhoneer von der Gnade ausschließt, die er mehreren antiken Philosophen zugestanden hat. Was er uns jetzt sagen wird, enthält einige Dinge, die zu diesem Artikel gehören: »Ich halte die Errettung der Seele Pyrrhos und all seiner Schüler, welche die gleichen Meinungen wie er über die Gottheit gehabt haben, für hoffnungslos, und zwar nicht deshalb, weil sie sich zum Atheismus bekannt hätten, wie einige geglaubt haben. Man kann bei Sextus Empiricus sehen, daß sie die Existenz der Götter annahmen wie die anderen Philosophen, daß sie sie nach dem gewöhnlichen Kult verehrten und ihre Vorsehung nicht leugneten. Aber abgesehen davon, daß sie sich niemals dazu entschlossen, eine erste Ursache anzuerkennen, die sie dazu gebracht hätte, den Götzendienst ihrer Zeit zu verachten, ist es gewiß, daß sie 27

De la Placette, Traité de la conscience, S. 377. Diese Maxime war früher in den Händen z. B. der Stoiker unüberwindlicher als sie es ist, seit man den Theologen ad hominem zeigen kann, daß es evidente Sätze gibt, die falsch sind. Man sehe oben, Anmerkung (B) den Disput der zwei Abbés. 28

Pyrrho

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nichts von der göttlichen Natur – außer bei unterbrochener Denktätigkeit – glaubten, noch irgend etwas von alledem, was wir oben dargelegt haben, bekannten, es sei denn in zweifelnden Worten und bloß um sich den Gesetzen und Sitten ihres Jahrhunderts und des Landes, in dem sie lebten, anzupassen. Da sie folglich nicht den geringsten Schimmer dieses inwendigen Glaubens hatten, auf den wir die Hoffnung der Errettung einiger Heiden gegründet haben, die ihn – verbunden mit einer außergewöhnlichen Gnade des Himmels – besaßen, so sehe ich keinen Grund zu glauben, daß irgendein Skeptiker oder Pyrrhoneer dieses Schlags den Weg zur Hölle hat vermeiden können.«31

31

La Mothe le Vayer, De la vertu des païens, S. 226.

RIMINI

rimini, Gregor von, ist unter diesem und unter dem Namen »d’Arimini« bekannt, weil er aus Rimini, einer Stadt in Italien, stammte. Er lehrte an der Universität Paris mit sehr großem Beifalla und war einer der subtilsten Scholastiker des XIV. Jahrhunderts. Aufgrund seines geistigen Scharfsinns neigte er der Partei der Nominalisten bei weitem mehr zu als der Gruppe der Realisten. Er war ein Augustinermönch und wurde in Montpellier im Mai 1357 zum General seines Ordens gewählt. Im Konvent von Rimini im Jahr 1351 war er ihr wichtigster Professor. Er starb zu Wien in Österreich im Jahr 1358. Seine wichtigsten Werke sind Kommentare über den Magister Sententiarum und die Briefe des hl. Paulus. Er war wegen der Heiligkeit seines Lebenswandels nicht weniger schätzenswert als wegen seiner Kenntnisse und seines Geistes; man zählt ihn zu den Seligen. Wir wollen etwas über seine Ansichten sagen. Er hat sich nachdrücklich gegen die Theologen gewendet, die behaupteten, es sei wegen der göttlichen Allmacht möglich, daß zwei entgegengesetzte Sätze über ein und denselben Gegenstand zur gleichen Zeit wahr sind.d Ich begreife nicht, wie er es wagen konnte, eine Lehre wie diese zu bezweifeln, die eine zwangsläufige Folge des Dogmas der Transsubstantiation ist. Hinsichtlich des freien Willens näherte er sich weit mehr der augustinischen Orthodoxie an als die Mehrzahl der Theologen seiner Zeit,e und er behauptete sogar, daß die unüberwindliche Unwissenheit nicht entschuldigt. Aber er hat eine Sache gelehrt, die man Descartes eingewendet hat und die sehr anstößig wäre, wenn sie nicht günstig interpretiert würde; denn er lehra

Elssius, Encomiasticon Augustinianum, S. 247. Man sehe Fonseca über die Metaphysik des Aristoteles, Buch IV, Kap. 3, S. 651 meiner Ausgabe. e Man sehe Paul Ferri, Scholasticus orthodoxus, S. 304, 447. d

Rimini

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te, Gott könne lügen und täuschen (B). Man hat in Holland großes Geschrei über einen Prediger erhoben, der dasselbe gesagt hatte, allerdings mit Einschränkungen, die alles Anstößige davon wegnahmen.

(B) Er lehrte, Gott könne lügen und täuschen. Descartes hatte als einziges Fundament des menschlichen Wissens das Erfordernis der Überzeugung festgesetzt, daß Gott weder getäuscht werden noch andere täuschen kann. Man hat ihm eingewendet,15 daß nach Gregor von Rimini und einigen anderen Scholastikern Gott Dinge tun kann, die seinem Denken und seinen Beschlüssen entgegenstehen, wie z. B. wenn er in Ninive predigen ließ, daß diese Stadt in vierzig Tagen untergehen werde. »Wenn er den Pharao verstockt und verblendet hat und wenn er einigen Propheten den Geist der Lüge geschickt hat, woher weißt du dann«, so fragte man Descartes, »daß er uns nicht in die Irre führen kann? Kann er sich zu uns nicht so verhalten wie ein Arzt den Kranken und ein Vater seinen Kindern gegenüber? Das sind Personen, die man sehr oft wissentlich und zu ihrem Vorteil täuscht. Hätten wir wohl die Kraft, die Wahrheit zu betrachten, wenn Gott sie uns ganz unverhüllt zeigte?« (…). Descartes antwortete,17 daß man zwischen den Redeweisen Gottes unterscheiden müsse, die sich der menschlichen Fassungskraft und den Wahrheiten beim Menschengeschlecht anpassen, und den Redeweisen, die sich auf absolute Wahrheiten beziehen. Die ersten beiden Redeweisen trifft man häufig in der Schrift an, die letzteren aber müssen diejenigen der Philosophen sein. Die Verstockung Pharaos und vergleichbare Dinge stellen keineswegs eine positive Wirkung Gottes dar; es handelte sich dabei lediglich um einen Ent15

Man sehe die Zweiten Einwände gegen die Meditationen des Descartes, S. 66 meiner Ausgabe. 17 Man sehe die Erwiderung des Herrn Descartes auf die Zweiten Einwände, S. 75 f. meiner Ausgabe.

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zug der Gnade. »Es ist klar«, fügte er hinzu, »daß ich nicht die Lügen im Auge hatte, die in Worten bestehen, sondern die innere und formelle Boshaftigkeit, die sich beim Betrug findet. Das Urteil über Ninive war lediglich eine Androhung und hing von einer Bedingung ab. Ich tadele jedoch diejenigen nicht«, so fuhr er fort,18 »die behaupten, Gott könne durch seine Propheten Lügen verkünden lassen, die frei von aller Boshaftigkeit der Täuschung und denjenigen der Ärzte ähnlich sind, die, um ihre Kranken zu heilen, sie falsche Dinge glauben lassen. Mehr noch, ich gestehe, daß der uns von Gott verliehene natürliche Instinkt gelegentlich wirklich täuscht; denn die Natur, die Gott uns zur Erhaltung unseres Körpers gegeben hat, treibt die Wassersüchtigen tatsächlich an, etwas für sie Schädliches zu tun, nämlich zu trinken. Aber ich habe in meiner VI. Meditation erklärt, wie sich das mit der Güte oder der Wahrhaftigkeit Gottes vereinbaren läßt.« Wir wollen beiläufig erwähnen, daß diese Antwort Descartes’ nichts daran ändert, daß der Einwand siegreich bleibt. Denn sobald man zu dem Zugeständnis gezwungen ist, daß eine allgemeine Maxime, die man als Grundlage einer sicheren und demonstrativen Lehre ausgegeben hat, viele Ausnahmen zuläßt, erschüttert man sie derart, daß sie nicht mehr imstande ist, unsere Ungewißheit zu beheben, und es gibt keinen Fall, in dem ein Skeptiker nicht Descartes’ Unterscheidung anwenden könnte. Wenn ich, so wird er sagen, durch die Ideen getäuscht würde, die mir die Materie als eine ausgedehnte Substanz vorstellen, so wäre das eine von jeder Boshaftigkeit freie Täuschung; und vielleicht wäre sie sogar nützlich für den Zustand, in dem ich mich befinde, der, solange meine Seele mit dem Körper vereint ist, in gewisser Hinsicht wahrhaft ein Zustand der Kindheit oder der Krankheit ist. Die Lüge in Worten ist keineswegs besser als die Lüge in Gedanken und kann von ihr 18

(…). Descartes, a. a.O., S. 76. Man beachte, daß Vogelsangh, Necessaria responsio ad praefat. Ludovici Wolzogii, Kap. 2, S. 59 f. sich lauthals über diese Stelle bei Descartes ereifert, als bedeutete sie den Umsturz der Schrift und sogar des gesamten cartesischen Systems.

Rimini

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nicht getrennt werden, denn man spricht nur deshalb, um Ideen im Geist der Zuhörer hervorzurufen; und darf ich nicht annehmen, daß alle Arten von Ideen sich nicht auf absolute Wahrheiten beziehen, sondern auf Wahrheiten, die das menschliche Geschlecht betreffen? Wir wollen beiläufig auch erwähnen, daß es in der Schrift gewisse Tatsachen und Sätze gibt, welche die Maschinerie der größten Metaphysiker stets zum Stillstand bringen. Hier haben wir ein Beispiel dafür. Man sehe, wie Descartes durch die Lehre, die Gregor von Rimini auf die Schrift gründen wollte, in Grund und Boden gestampft wird. Man kann sich leicht vorstellen, wie überrascht er war, als er erkannte, daß der Blitz, der sein Werk traf, aus einer Ecke kam, aus der er es am wenigsten befürchtet hatte. Er glaubte, auf felsenfestem Grund gebaut zu haben, denn sein Gebäude ruhte auf der Unfehlbarkeit Gottes. Was diesen fundamentalen Teil seiner Lehre angeht, so hatte er sich zweifellos die Billigung der Theologen versprochen; zumindest glaubte er, sicher zu sein, daß man ihn nicht mit Schriftstellen bekämpfen würde. Dennoch brach der Sturm von dieser Seite über ihn herein; und es war ein so starkes Unwetter, daß er gezwungen war, nachzugeben und zurückzuweichen. So nichtig ist das Denken und Hoffen des Menschen. Aber wir müssen uns unsererseits auch darüber wundern, daß Descartes diesem Angriff so wenig Widerstand entgegensetzte. Seine Bereitwilligkeit nachzugeben beweist, daß er keinerlei Kenntnis theologischer Bücher besaß. Wenn er sich in dieser Literatur ausgekannt hätte, dann wäre ihm eine Menge von Erklärungen und Auflösungen der Schriftstellen bekannt gewesen, die Gregor von Rimini zur Grundlage dienten, und er wäre dort auf eine Methode des Diskutierens gestoßen, durch die er aus der Sache herausgekommen wäre. Wahrscheinlich werden mir einige Leute antworten, daß ich mich täusche und daß er sich kaum dieser Methode bedient haben könnte, weil er sich entschlossen hatte, nur evidente Gründe zu verwenden und stets das Deutlichere dem weniger Deutlichen vorzuziehen. Nun seien die Texte der Schrift, die man ihm vorgehalten hat, unendlich klarer als die Auflösun-

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gen und Glossen der Kommentatoren; das sei der Grund, weshalb er die Waffen so bald streckte. Wenn man mir diesen Einwand macht, so werde ich darauf etwas zu erwidern haben, und ich sage hier im voraus, daß dieser große Philosoph wenigstens mehr auf der Eigentümlichkeit der Ausdrücke hätte bestehen müssen, welche die heiligen Schriftsteller verwendet haben, um sich der Fassungskraft des Volkes anzupassen, als er es getan hat. Weil der gewöhnliche Geist unfähig ist, sich zur Erhabenheit des höchst vollkommenen Wesens zu erheben, mußten die Propheten Gott bis zu den Menschen erniedrigen und ihn mit uns stammeln lassen, wie eine Amme mit dem Kind stammelt, das sie stillt. So erklären sich die vielen Ausdrücke der Schrift, die besagen, daß Gott etwas gereue, daß er sich erzürne, sich erkundigen wolle, ob ein Ereignis eingetroffen ist, daß er seine Absichten ändern werde, je nachdem, ob der Mensch ihm gehorche oder nicht, und tausend andere derartige Dinge, die mit der höchsten Vollkommenheit unvereinbar sind. Descartes hat nicht versäumt, den Unterschied herauszustellen, der zwischen dieser Sprache und derjenigen eines wahren Metaphysikers besteht, aber er ist zu schnell darüber hinweggegangen und hat sich jedes Vorteils begeben, den er daraus hätte ziehen können, denn er hat ungeachtet dessen der Behauptung des Gregor von Rimini zugestimmt. Das hätte er nicht tun sollen; er hätte beständig und ohne zu schwanken sagen müssen, daß die Stellen der Schrift, die versichern, daß Gott gelegentlich betrüge, niemals wörtlich verstanden werden dürfen, sondern so erklärt werden müssen wie die Stellen, die ihm Reue oder irgendeine andere menschliche Eigenschaft beilegen. Er hätte ausführlich zeigen müssen, daß ein Philosoph derartige Stellen des Wortes Gottes nicht beachten darf, wenn es darum geht, die Herrlichkeit des höchsten Wesens herauszustellen. Regis hat diese Pflicht sehr wohl erkannt: »Ich will als Maxime festsetzen«, sagt er;19 »daß ich, wenn ich exakt von Gott sprechen will, weder mich selbst um Rat fragen noch in 19

Regis, Systême de philosophie, Bd. I, S. 168 der Ausgabe Lyon 1691 in 12o.

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der gewöhnlichen Weise sprechen darf, sondern mich im Geist über alle Geschöpfe erheben muß, um den gewaltigen und unermeßlichen Begriff des unendlich vollkommenen Wesens zu Rate zu ziehen, wenngleich es mir in einer moralischen Abhandlung sehr wohl erlaubt sein wird zu sagen, daß Gott ›es gereut hat‹, daß ›er sich erzürnt hat‹ usw. Aber diese und andere ähnliche Ausdrücke werden mir in einer rein metaphysischen Abhandlung, in der man exakt sprechen muß, nicht erlaubt sein.« Erinnern wir uns, daß die Schrift, wenn sie uns, um sich der Fassungskraft der Geister anzupassen, für die Gott die Offenbarung bestimmt hat, Gott sehr oft in gewöhnlichen Begriffen und folglich sehr falsch vorstellt, uns an anderen Stellen mit der Berichtigung versorgt, die man nötig haben mag, d. h. mit der Beschreibung des unendlichen Wesens in seiner unveränderlichen und unendlich vollkommenen Erhabenheit.

RORARIUS

rorarius, Hieronymus, Nuntius des Papstes Clemens VII. am Hofe König Ferdinands von Ungarn,a hat ein lesenswertes Buch verfaßt. Er will darin nicht nur zeigen, daß die Tiere vernunftbegabte Lebewesen sind, sondern auch, daß sie sich der Vernunft besser bedienen als der Mensch. Der Anlaß, der ihn dazu brachte, dieses Buch abzufassen, ist kurios und ganz außergewöhnlich. Er hatte an einer Unterhaltung teilgenommen, in der ein gelehrter Mann sagte, daß Karl V. weder den Ottonen noch Friedrich Barbarossa gleichkäme. Mehr bedurfte es nicht, um Rorarius zu dem Schluß zu bringen, die Tiere seien vernünftiger als der Mensch, und er begann sogleich, eine Abhandlung über dieses Thema zu verfassen (A). Dies trug sich zu der Zeit zu, als Karl V. Krieg gegen den Schmalkaldischen Bund führte. Das Buch ist nicht schlecht geschrieben und enthält eine Menge bemerkenswerter Fakten über die Geschicklichkeit der Tiere und die Boshaftigkeit des Menschen. Die Fakten, welche die Fähigkeiten der Tiere betreffen, bringen die Anhänger des Descartes wie des Aristoteles gleichermaßen in Schwierigkeiten (B). Erstere leugnen, daß die Tiere eine Seele haben, letztere behaupten, daß sie eine Seele haben, die mit Empfindung, Gedächtnis und Leidenschaften, aber nicht mit Vernunft ausgestattet ist. Es ist schade, daß die Ansicht des Descartes so schwer aufrechtzuerhalten und so wenig wahrscheinlich ist, denn ansonsten ist sie für den wahren Glauben sehr vorteilhaft (C). Das ist der einzige Grund, der einige Leute daran hindert, sie aufzugeben. Sie ist den überaus gefährlichen Konsequenzen der gewöhnlichen Meinung nicht ausgesetzt. Seit langem schon hat man behauptet, die Seele der Tiere sei vernunftbegabt (D). Die Schulphilosophen irren sich sehr, a

Rorarius, Quod animalia bruta ratione utantur melius homine, Buch I, S. 57 der Ausgabe Amsterdam 1654.

Rorarius

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wenn sie sich einbilden, daß sie durch die Zurückweisung dieser Ansicht die mißlichen Folgen der Meinung vermeiden, die den Tieren eine empfindende Seele zuspricht (E). Diesen Herren fehlt es weder an Unterscheidungen noch an Ausnahmen noch an Kühnheit, um festzusetzen, daß die Handlungen dieser Seele niemals gewisse Grenzen überschreiten, die sie ihnen ziehen; aber dieses ganze wirre und unverständliche Gerede trägt nichts dazu bei, um einen spezifischen Unterschied zwischen der menschlichen Seele und der Tierseele festzusetzen (F), und es hat kaum den Anschein, als ob sie jemals eine bessere Erklärung finden könnten als diejenige, die sie bis jetzt angeführt haben. Der Autor, der Descartes am besten bezüglich seiner Lehre von der Tierseele widerlegt hat, hätte uns einen großen Gefallen erwiesen, wenn er es vermocht hätte, die gewöhnliche Meinung ins Reine zu bringen (G). Leibniz, einer der größten Geister Europas, dem diese Schwierigkeiten wohlbekannt sind, hat uns erste Einsichten eröffnet, die es verdienen, weiterentwickelt zu werden (H). Ich werde darüber etwas sagen, wenn auch nur, um meine Zweifel anzuzeigen. Um aber auf Rorarius zurückzukommen, so glaube ich mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme, daß er in Pordenone in Italien geboren wurde. Ich hätte gern seine Verteidigungsrede für die Ratten gelesen. Sie wurde 1548 in Graubünden gedruckt. Es gibt etwas Ähnliches in den Schriften des Präsidenten Chassanée. Ich werde hierd den Rest der Sammlung bringen, von welcher der größte Teil im Artikel über Pereira* zu lesen ist. Von verschiedener Seite habe ich erfahren, daß mehrere Leute, welche die Geschichte von Lehrmeinungen lieben, die Sammlungen gebilligt haben, die ich in den Anmerkungen dieses Artikels veröffentlicht habe. Man hat gleichfalls zum Ausdruck gebracht, daß man es gern sehen würde, wenn ich davon weitere veröffentlichte, sofern mir neue Lehrmeinungen begegneten. Das läßt mich die Freiheit nehmen, hier einige Ergänd *

Man sehe die Anmerkung (D). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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zungen anzubringen (K), wenngleich ich sehr wohl weiß, daß viele Leser sich kaum dafür interessieren und sie als Auswüchse bezeichnen werden. Aber sie werden keinen Grund haben, diese Bezeichnung auf die Bemerkungen anzuwenden, die ich über die im Journal von Basnage erschienenen Betrachtungen von Leibniz machen werde (L), denn diese Bemerkungen sind eine natürliche und notwendige Folge einer Passage der ersten Ausgabe dieses Artikels. Ich hoffe, sie geben Anlaß zur weiteren Erörterung eines Gegenstandes, der ebenso schwierig wie wichtig ist.

(A) Er begann, eine Abhandlung über dieses Thema zu verfassen. Es gibt zwei Widmungsschreiben am Anfang dieses Werks. Das eine an den Bischof von Arras, datiert vom 1. März 1547, das andere an den Kardinal Cristoforo Madruccio, Bischof von Trient. Dieses Schreiben blieb fast 100 Jahre in den dunklen Nischen der Bibliotheken begraben. Schließlich ließ Naudé es in Frankreich drucken und widmete es den Herren du Puy. Sein Widmungsschreiben ist auf Paris, den 9. April 1645 datiert. Man hat es in Holland mehr als einmal nachgedruckt.1 Ich weiß nicht, warum man es im Lindenius renovatus zu den medizinischen Büchern gezählt hat. Ich bin sicher, daß man mir den Vorwurf machen wird, ich verschanzte mich gelegentlich ohne Not hinter Belegen; aber man würde mit dieser Behauptung hinsichtlich dessen, was ich bezüglich des Anlasses zu diesem Werk von Rorarius vorgebracht habe, unrecht haben. Wenn ich seine eigenen Worte nicht zitierte, so würde ich Anlaß zu der Vermutung geben, ich hätte einen chimärischen Schriftsteller erfunden, nur um meine Leser zu unterhalten; denn was kann man sich Groteskeres vorstellen als einen Menschen, der nur deshalb, weil es einem Gelehrten nicht gefallen hat, daß Kaiser Karl V. nach der Weltherrschaft strebte, ohne 1

Ich benutze die Ausgabe Amsterdam 1654 in 12o.

Rorarius

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die Qualitäten eines Otto des Großen oder Friedrich Barbarossa zu haben, zur Feder greift, um das menschliche Geschlecht unter die Tiere zu setzen? Es ist daher durchaus notwendig, daß ich beweise, was ich soeben gesagt habe. »Erlauchtester Fürst«, so spricht Rorarius, »vor einigen Tagen war ich bei einem Gespräch über den Kaiser zugegen. Dort war ein ansonsten hochgelehrter Mann, der sagte, er wisse nicht, mit welcher Berechtigung der Kaiser danach strebte, sich die gesamte christliche Welt zu unterwerfen. Er sollte wenigstens irgend etwas an sich haben, was ihn mit den Ottonen oder Friedrich Barbarossa vergleichbar mache. Ich gestehe, es brachte mich auf, daß ein der Unsterblichkeit würdiger Fürst Männern nachgesetzt wurde, die zwar sehr berühmt waren, alles in allem genommen aber seine Größe nicht erreichten. So kam mir der Gedanke, daß bloße Tiere oft besseren Gebrauch von ihrer Vernunft machen als der Mensch, und das habe ich in zwei kleinen Büchern gezeigt.«2 Mit einer einzigen Erklärung nicht zufrieden, hatte er dasselbe bereits in einem anderen Widmungsschreiben bemerkt. »Ich habe zwei kleine Bücher geschrieben, in denen ich zeige, daß bloße Tiere oft besseren Gebrauch von ihrer Vernunft machen als der Mensch; und ich habe das getan, um die Unverschämtheit oder vielmehr den Wahnsinn einiger zu dämpfen, die nicht imstande sind, den Glanz zu erblicken, der Karl V., den größten aller Herrscher, umgibt.«3 Man lese den Rest dieses Widmungsschreibens, man wird dort einen Menschen finden, der für Karl V. eingenommen und ein großer Schmeichler ist. Darin waren und sind ihm viele andere ähnlich.

2 3

Rorarius, Epist. dedicat. ad Madrutium Cardinalem. Ders., Epist. dedicat. ad Episcopum Atrebatensem.

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(B) Die Fakten bezüglich der Fähigkeiten der Tiere bringen die Anhänger des Descartes und des Aristoteles gleichermaßen in Schwierigkeiten. Das bedarf hinsichtlich der Cartesianer keines Beweises. Jedermann weiß, daß es schwierig zu erklären ist, wie reine Maschinen das zu tun vermögen, was die Tiere tun. Wir wollen deshalb lediglich beweisen, daß sich die Peripatetiker in außerordentlicher Verlegenheit befinden, wenn sie das Verhalten der Tiere erklären sollen. Jeder Peripatetiker, der sagen hört, die Tiere seien bloße Automaten, wendet sofort ein, daß ein Hund, der geschlagen wurde, weil er sich über eine Schüssel Fleisch hergemacht hatte, dieselbe nicht mehr berührt, wenn er seinen Herrn mit einem Stock drohen sieht. Aber um zu zeigen, daß dieses Phänomen nicht von demjenigen erklärt werden kann, der es vorträgt, genügt es zu sagen, daß dieser Hund, wenn seine Handlung von Erkenntnis begleitet ist, notwendigerweise überlegen muß: Er muß die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleichen und daraus eine Folgerung ziehen; er muß sich an die erhaltenen Schläge erinnern und warum er sie bekommen hat; er muß erkennen, daß er, wenn er sich über die Schüssel Fleisch hermacht, die seine Sinne reizt, die gleiche Handlung ausführt, für die er geschlagen worden ist; und er muß schließen, daß er, um neue Stockschläge zu vermeiden, von diesem Fleisch zu lassen hat. Ist das nicht ein echtes Räsonnement? Kann man dieses Verhalten durch die einfache Annahme einer Seele erklären, die empfindet, aber ohne über ihre Handlungen nachzudenken, ohne sich zu erinnern, ohne zwei Ideen miteinander zu vergleichen, ohne daraus eine Folgerung zu ziehen? Man prüfe sorgfältig die zusammengestellten Beispiele,4 die 4

Man sehe bei Lipsius, Epist. L, Centur. I Miscellan. mehrere erstaunliche Handlungen von Elefanten. Dieser Brief ist ein Kommentar in Form von Beispielen zu den Worten des Plinius, die ich in der Anmerkung (D) zitieren werde. Was die Pferde betrifft, sehe man den zitierten Lipsius, Cent. III ad Belgas, Epist. LVI, und bezüglich der Hunde Cent. I ad Belg., Epist. XLIV.

Rorarius

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man den Cartesianern entgegenhält, und man wird finden, daß sie zuviel beweisen. Denn sie beweisen, daß die Tiere den Zweck mit den Mitteln vergleichen und bei einigen Anlässen die Ehrbarkeit der Nützlichkeit vorziehen; kurzum, daß sie ihr Verhalten nach den Regeln der Billigkeit und der Dankbarkeit einrichten. Rorarius berichtet von Pferden, die ihre Mutter nicht decken wollten oder die sich, nachdem sie es unwissend, durch die List eines Stallknechts getäuscht, getan hatten, in einen Abgrund stürzten, nachdem sie erkannt hatten, was geschehen war. (…).5 Was er sagt und was andere von der Hingabe berichten, mit der einige Hunde sich bemüht haben, ihrem Herrn gute Dienste zu leisten, seinen Tod zu rächen usw., ist gemäß der Lehre der Aristoteliker völlig unerklärlich. So sind all ihre Streitreden gegen die Schüler des Descartes vergebliche Mühe; man benötigt nur die Geschicklichkeit Pereiras. »Ihr erkennt an«, sagt er zu seinen Gegnern,6 »daß die Tiere mehrere Dinge tun, die dem ähneln, was die vernünftige Seele tut, und daß ihre Seele trotzdem nicht vernunftbegabt ist. Warum also verbietet Ihr mir zu behaupten, daß sie mehrere Dinge tun, die dem ähneln, was die empfindende Seele tut, ohne daß ihre Seele empfindend wäre?« Es überrascht mich nicht, daß weder Descartes noch seine Anhänger sich die Stelle aus dem Justinianischen Kodex zunutze gemacht haben, an der es heißt, die Tiere seien unfähig, Unrecht zu begehen, weil sie nicht empfinden.7 Es ist offenkundig, daß das Wort »sensus« in diesem Gesetz für »Absicht« und »Verstand« steht.

5

Rorarius, Buch II, S. 72. Man sehe den Artikel PEREIRA, Fußnote (55). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 7 »Das Tier kann jedoch kein Unrecht begangen haben, weil es keinen Verstand 具sensus 典 hat.« Man sehe Grotius, Florum sparsio ad ius Justinianeum, S. 124 der Ausgabe Amsterdam 1643 in 12o. 6

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(C) Die Meinung des Descartes (---) ist für den wahren Glauben sehr vorteilhaft. Die Cartesianer sagen, die Tiere seien Automaten, weil ihnen zufolge die gesamte Materie unfähig ist zu denken. Sie begnügen sich nicht damit zu sagen, daß nur die geistigen Substanzen reflektieren und eine lange Kette von Vernunftschlüssen aneinanderfügen können; sie behaupten, daß alles Denken, ob man es nun »Überlegung«, »Meditation«, »Fortgang vom Grundsatz zu seiner Folge« nennt, oder ob man ihm die Bezeichnung »Empfindung«, »Einbildung«, »Instinkt« gibt, von solcher Natur ist, daß die feinste und vollkommenste Materie dazu unfähig ist und daß das Denken nur in unkörperlichen Substanzen angetroffen werden kann. Wegen dieses Grundsatzes gibt es keinen Menschen, der sich nicht von der Unsterblichkeit seiner Seele überzeugen könnte. Jedermann weiß, daß er denkt, und folglich kann er, sofern er im cartesischen Sinne schlußfolgert, nicht zweifeln, daß er, insofern er denkt, vom Körper verschieden ist; woraus folgt, daß er in dieser Hinsicht unsterblich ist. Denn die Sterblichkeit der Geschöpfe besteht nur darin, daß sie aus mehreren voneinander verschiedenen Materieteilen zusammengesetzt sind. Das ist ein großer Vorteil für die Religion, aber es wird fast unmöglich sein, ihn durch philosophische Gründe zu erhalten, wenn man einräumt, daß die Tiere eine materielle Seele haben, die mit dem Körper untergeht; eine Seele, sage ich, deren Empfindungen und Begierden die Ursache der Handlungen sind, die man sie ausführen sieht. Man sehe die Anmerkung (F). Die theologischen Vorteile der cartesischen Lehre, der zufolge die Tiere Automaten sind, beschränken sich nicht hierauf; sie erstrecken sich auf mehrere wichtige Prinzipien, die man nicht mit zureichender Stärke vertreten kann, wenn man den Tieren eine empfindende Seele zubilligt. Wenn der hl. Augustinus diese Prinzipien behauptet hat, obwohl er diese Art von Seele in den Tieren anerkannte, und wenn er sich bei der Verbindung dieser beiden Dinge nicht unwohl fühlte, so besaß er mehr Glück als Weisheit. »Aus den Prinzipien, die er sorgfältig geprüft und mit Nachdruck festge-

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setzt hat, folgt offensichtlich, ›daß die Tiere keine Seele haben‹, wie Ambrosius Victor8 im sechsten Band der Christlichen Philosophie gezeigt hat.«9 Der Autor, dem ich diese Worte entnommen habe, nimmt an, daß »dieser heilige Lehrer, der die Seele nur zu gut vom Körper zu unterscheiden wußte, als daß er gemeint hätte, es gäbe körperliche Seelen«, den Tieren eine geistige Seele zugesprochen hat.10 Hier ist die Probe, die er uns von den Grundsätzen gibt, die der hl. Augustinus vertreten hat und die mit einer solchen Tierseele unvereinbar sind. »Einige von diesen Grundsätzen des hl. Augustinus lauten: Daß dasjenige, was niemals gesündigt hat, kein Übel erleiden kann. Nun ist aber ihm selbst zufolge der Schmerz das größte Übel, und die Tiere erleiden Schmerzen. Daß das Edlere nicht das weniger Edle zum Zweck haben kann. Nun ist ihm zufolge die Seele der Tiere geistig und edler als der Körper, und gleichwohl hat sie keinen anderen Zweck als den Körper. Daß das Geistige unsterblich ist und daß die Seele der Tiere, obwohl sie geistig ist, dem Tod unterworfen ist. Es gibt viele andere ähnliche Prinzipien in den Werken des hl. Augustinus, aus denen man schließen kann, daß die Tiere keine geistige Seele haben, so wie er sie ihnen zubilligt.«11 Ich bin nicht sehr überzeugt, daß der hl. Augustinus geglaubt hat, die Seele der Tiere sei eine unkörperliche Substanz. Aber wie dem auch sei, das zweite Prinzip, das uns hier als Beispiel geboten wird, ist mit der Meinung dieses großen Lehrers unvereinbar. Denn das, was erkennt, ist edler als das, was nicht erkennt. Nun schreibt der hl. Augustinus 8

Dies ist ein Pseudonym, dessen sich ein Oratorierpater bedient hat. Malebranche, Eclaircissemens sur le VI. Livre de la Recherche de la vérité, S. 380 f. meiner Ausgabe. 10 Was Malebranche auch darüber sagen mag, es ist sicher, daß der hl. Augustinus die Tierseelen für empfindend und körperlich gehalten hat. »Das Lebensprinzip der Tiere«, sagt er in Kap. 4 von De la connaissannce de la veritable vie, »ist der Lebensgeist, der aus Luft und tierischem Blut besteht, der aber empfindet, Gedächtnis hat, ohne Verstand ist, mit dem Körper stirbt und in die Luft entweicht«. Man sehe auch Kap. 23 von De spiritu et anima. 11 Malebranche, Eclaircissemens usw., S. 381 am Rande. 9

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der Tierseele wenigstens Empfindung zu; folglich hält er sie für viel edler als den Körper. Er behauptet also einerseits, daß das Edlere nicht das weniger Edle zum Zweck haben kann, und andererseits, daß die Seele der Tiere, die edler ist als ihr Körper, keinen anderen Zweck hat als ihren Körper. »Das«, werdet ihr sagen, »ist von geringer Bedeutung für die Religion«. »Ihr täuscht Euch«, wird man euch antworten, »denn all die Beweise der Erbsünde, die von Krankheit und Tod hergeleitet werden, denen die kleinen Kinder ausgesetzt sind, stürzen zusammen, sobald man annimmt, daß die Tiere empfinden. Sie sind sowohl dem Schmerz als auch dem Tod unterworfen, haben jedoch niemals gesündigt. Und so argumentiert Ihr schlecht, wenn Ihr sagt, ›die kleinen Kinder erleiden Übel und sterben: sie sind folglich Verbrecher‹. Denn Ihr legt ein falsches Prinzip zugrunde, das durch die Lage der Tiere als irrig erwiesen wird, nämlich, ›daß dasjenige, was niemals gesündigt hat, kein Übel erleiden kann‹. Nichtsdestoweniger ist dies ein Prinzip von höchster Evidenz; es folgt zwangsläufig aus den Begriffen, die wir von der Gerechtigkeit und Güte Gottes haben. Es entspricht der unveränderlichen Ordnung – derjenigen Ordnung, von der wir klar sehen, daß Gott nicht von ihr abweicht. Die Seele der Tiere bringt diese Ordnung durcheinander und stürzt diese so deutlichen Begriffe um. Man muß folglich zugeben, daß die Automaten des Descartes die Prinzipien außerordentlich begünstigen, nach denen wir über das unendliche Wesen urteilen und mit denen wir die Rechtgläubigkeit aufrechterhalten.« Man lese das Folgende. »Bei dieser Sache hat man sogleich die Religion ins Spiel gebracht, 12 weil die Anti-Cartesianer hofften, damit die Maschinen des Descartes zu widerlegen. Allein man kann die Vorteile kaum benennen, die den Anhängern dieses Philosophen daraus zugewachsen sind. Denn sie glauben gezeigt zu haben, daß man durch die Zubilligung einer erkenntnisfähigen Seele an die Tiere sämtliche natürlichen Beweise für die Unsterblichkeit unserer Seele zerstört. Sie haben gezeigt, daß die Gottlosen und 12

D. h. in dem Streit gegen Descartes über die Seele der Tiere.

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die Epikureer die hartnäckigsten Gegner ihrer Meinung sind und daß man diesen schlimmen Philosophen nicht mehr Verdruß bereiten kann, als ihnen alle ihre falschen Gründe zu nehmen, die sie von der Tierseele herleiten, um zu schließen, daß es zwischen ihnen und uns nur einen graduellen Unterschied gibt. Es ist eine ausgemachte Sache, daß niemand mehr als die Gottlosen danach strebt, die Tiere der menschlichen Vollkommenheit anzunähern. Auf diese Weise hat die Anhängerschaft Descartes’ die Religion für ihre Interessen eingesetzt. Aber sie hat sich damit nicht zufrieden gegeben; sie hat sich bis zur Natur Gottes aufgeschwungen, um in ihr unüberwindliche Argumente gegen die Erkenntnis der Tiere aufzuspüren, und man kann sagen, daß sie dort ziemlich gute gefunden hat. Der Verfasser der Recherche de la vérité hat den Grundriß davon an einigen Stellen seiner Werke dargelegt. Père Poisson vom Orden der Oratorier hat dasjenige Argument sehr gründlich untersucht, das auf das Prinzip des hl. Augustinus gegründet ist, ›daß, weil Gott gerecht ist, das Elend ein zwingender Beweis der Sünde ist‹, woraus folgt, daß die Tiere, weil sie nicht gesündigt haben, dem Elend nicht unterworfen sind. Nun sind sie dem Elend unterworfen, wenn sie Empfindungen haben; also haben sie keine Empfindungen.«13 Im Anschluß an diese Worte findet man den Abriß eines Buchs,14 in dem gezeigt wird, daß, wenn die Tiere eine erkennende Seele haben, »daraus folgt, 1) daß Gott sich nicht selbst liebt, 2) daß er nicht beständig ist, 3) daß er grausam und ungerecht ist«.15 Er würde sich selbst nicht lieben, denn er hätte zur Erkenntnis und Liebe befähigte Seelen geschaffen, ohne sie zur Liebe und zur Erkenntnis zu verpflichten; er hätte sie für den Zustand der Sünde geschaffen und folglich von dem Gesetz der Ordnung entbunden, das gleichwohl das oberste und unentbehrliche Gesetz ist. Der Zustand der Sünde besteht darin, bei den Geschöpfen 13

Nouvelles de la république des lettres, März 1684, S. 26 f. Der Titel lautet La bête transformée en machine. Der Autor heißt Darmanson. 15 Nouvelles de la république des lettres, März 1684, S. 28. 14

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als dem letzten Zweck stehenzubleiben; das ist das, was die Seelen der Tiere der gewöhnlichen Meinung nach tun. Derselben Meinung gemäß kehren diese Seelen ins Nichts zurück, sobald die Tiere aufhören zu leben. Wo ist folglich die Beständigkeit Gottes? Er erschafft Seelen und bald darauf vernichtet er sie. Hinsichtlich der Materie verfährt er nicht so, er vernichtet sie niemals. Er erhält also die weniger vollkommenen Substanzen und zerstört die vollkommeneren. Entspricht das einem weisen Werkmeister? Die Seele der Tiere hat nicht gesündigt, und dennoch ist sie dem Schmerz und dem Elend ausgesetzt; sie ist all den liederlichen Begierden des Geschöpfs ausgesetzt, das gesündigt hat. Wie behandeln wir die Tiere? Wir veranlassen sie, einander zu unserem Vergnügen zu zerfleischen, wir töten sie, um uns zu ernähren, wir durchwühlen ihre Eingeweide, während sie leben, um unsere Wißbegierde zu befriedigen, und wir tun dies alles als Folge der Herrschaft, die Gott uns über die Tiere verliehen hat. Was für eine Unordnung, daß das unschuldige Geschöpf all den sonderbaren Launen des verbrecherischen Geschöpfs ausgesetzt ist! Kein Kasuist glaubt, daß man sündigt, wenn man Stiere gegen Doggen kämpfen läßt usw. und wenn man sich bei der Jagd und beim Fischfang tausenderlei Listen und Gewalttätigkeiten bedient, um die Tiere zu töten, oder wenn man sich durch das Töten von Fliegen zerstreut, wie Domitian es tat. Ist es nicht grausam und ungerecht, die unschuldige Seele so vielen Übeln auszusetzen? Durch Descartes’ Lehre entledigt man sich all dieser Schwierigkeiten. Ich will hier einige Werke verzeichnen, die zugunsten dieser Lehre veröffentlicht worden sind. (…).

(D) Seit langem schon hat man behauptet, die Seele der Tiere sei vernunftbegabt. Alles, was ich über dieses Thema zu sagen habe, hätte in den Anmerkungen des Artikels PEREIRA dargelegt werden können, aber ich wollte dort nicht zu weitläufig werden. Wir können Straton und Ainesidemos zu denen zählen, die behauptet

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haben, die Seele der Tiere sei vernünftig, denn sie lehrten, die Empfindung könne ohne den Verstand nicht subsistieren. (…). Man behauptet, daß Parmenides, Empedokles, Demokrit und Anaxagoras lehrten, daß alle Tiere mit Verstand ausgestattet sind. (…). Ich lasse die im Altertum so gewöhnliche Meinung beiseite, daß die belebten Körper eine Seele enthielten, die Teil der Weltseele sei. Ich räume ein, es ist die natürliche Folge dieser Lehre, daß die Seele der Tiere von gleicher Natur ist wie die des Menschen, aber das beweist nicht, daß die Tiere wirklich vernünftig sind. Denn man könnte behaupten, daß diejenigen Teile der Weltseele, die mit bestimmten Körpern vereint werden, die Fähigkeit zu denken einbüßen; und da die Anhänger der Weltseele nicht lehren, daß die Seele der Pflanzen vernünftig sei, konnten sie nicht glauben, ihre Lehre verpflichte zu der Annahme, daß die Tiere denken. Wir wollen deshalb nicht weiter von dieser Meinung sprechen, wenngleich Vergil sie als den besten Weg anführt, um all das zu erklären, was er von den Eigenschaften der Bienen sagt. (…). Es ist besser von Philon zu sprechen, der ein Buch geschrieben hat, in dem er behauptet, die Tiere seien vernunftbegabt. (…). Obgleich Laktanz an einigen Orten erklärt, daß Gott den Tieren nicht das Vernunftvermögen verliehen hat, behauptet er doch in seiner Abhandlung De ira Dei, daß es mit Ausnahme der Religion nichts gibt, worin die Tiere den Menschen nicht nachahmen und an den Vorteilen der menschlichen Art teilnehmen. Der Unterschied sei nur ein gradueller. (…). Deshalb muß man nicht glauben, daß er behauptete, die Seele der Tiere sei geistig und unsterblich, denn zu seiner Zeit sah man die Verknüpfung noch nicht deutlich, die zwischen dem Denken und der Geistigkeit besteht. Lehrt Arnobius nicht deutlich, daß die menschliche Seele ihrer Natur nach sterblich ist und daß sie durch die Wirksamkeit der Qualen in der Hölle völlig untergeht und nur dank der bloßen Gnade Gottes im Paradies auf ewig fortbesteht? Behauptet er nicht, daß ein unsterbliches und nicht zusammengesetztes Wesen unfähig ist, Schmerz zu empfinden? Er empfand ihn und glaubte folglich nicht, daß seine Seele ein geistiges, immaterielles, unsterbliches Wesen ist. (…).

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Er widerlegt die Meinung der Platoniker, wonach die Seele des Menschen himmlischen Ursprungs, unsterblich und unkörperlich ist; er widerlegt sie, sage ich, unter anderem mit dem Argument, daß es fast keinen Unterschied zwischen unserer Seele und derjenigen der Tiere gebe. (…). Er untersucht die Vorzüge des Menschen den Tieren gegenüber und will zeigen, daß sie gering sind; er versichert ausdrücklich, daß die Menschen den Tieren an Vernunft nicht überlegen sind. (…). Wir können Arnobius also zu denjenigen zählen, die gelehrt haben, die Seele der Tiere sei vernunftbegabt. Zweifellos hat Laktanz von ihm gelernt, keinen anderen Unterschied als die Gottesverehrung zwischen Tieren und Menschen anzunehmen. Es haben sich Philosophen gefunden, die dem Menschen dieses Vorrecht verweigert haben, denn sie haben gesagt, die Tiere hätten eine Religion. Xenokrates von Chalkedon* bestreitet nicht, daß sie Kenntnis von Gott haben; Demokrit hat dasselbe glauben müssen, wenn er folgerichtig geschlossen hat. Das behauptet zumindest Clemens von Alexandria. (…). Plinius zählt die Religion zu den moralischen Tugenden der Elefanten. (…). Dion berichtet einen Teil dieser Dinge. Kann man glauben, daß die Schüler Platons den Tieren die Vernunft abgesprochen haben, sie, die es so wahrscheinlich fanden, daß deren Seelen unsterblich wären, wie Paganino Gaudenzio bemerkt? (…). Ich sage nichts von Salomon, der ausdrücklich zu behaupten scheint, die Seele des Menschen und der Tiere sei von gleicher Natur, denn man darf seine Worte nicht wörtlich nehmen, sondern muß ihnen einen besseren Sinn beilegen. Aber es wird uns sehr wohl erlaubt sein zu glauben, daß mehrere Rabbiner den Tieren eine vernünftige Seele zugesprochen haben.

*

具Bayle scheibt irrtümlich »Xenokrates der Karthager«. Hgg. 典

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Die Meinungen einiger Rabbiner über die Seele der Tiere Der berühmte Maimonides hat zweifellos geglaubt, daß sie denken, denn er spricht ihnen eine Art freien Willen zu. Arnauld wendet ihm mit Recht ein, daraus folge, daß sie nach dem Tod bestraft oder belohnt werden können. Wenn ich das dieser Überlegung von Arnauld Voranstehende ein wenig ausführlich berichte, so geschieht das wegen gewisser Fakten, die uns über die Meinung einiger Juden bezüglich der Tiere ins Bild setzen. Dieser große Rabbiner »erläutert fünf Meinungen über die Vorsehung, die allesamt, wie er glaubt, so alt sind wie die Propheten«.40 Die vierte dieser Meinungen dehnt die Vorsehung Gottes auf alles aus, leugnet aber nicht den freien Willen des Menschen.41 Maimonides hält den Anhängern dieser Meinung mehrere Schwierigkeiten vor: »Sie sagten, es sei ein Werk der Weisheit Gottes, daß es Menschen gebe, die, ohne gesündigt zu haben, mit vielen Fehlern geboren wurden, und daß es besser sei, so zu sein, als überhaupt nicht zu sein. Wir begreifen nicht«, sagt dieser jüdische Lehrer, »welche Güte darin liegen kann (…)«.42 »Wenn man sie fragte, welche Gerechtigkeit im Tod der Tiere liegt, welche Sünde sie begangen haben, und warum Gott, weil sich seine Vorsehung auf alles erstreckt, wollte, daß eine unschuldige Ratte von einer Katze zerrissen wurde, so würden sie antworten, daß Gott es so angeordnet hat, daß er aber diese Ratte in der kommenden Welt belohnen werde. Es wäre sehr lächerlich, ein Paradies für die Tiere zu verlangen. Aber dieser Rabbiner gibt selbst ein wenig Anlaß zu dieser Träumerei, wenn er den vernunftlosen Lebewesen ebenso wie den Menschen einen Willen zuspricht. (…). Denn wenn sie einen Willen hätten, so fiele es schwer zu sagen,

40

Arnauld, Réfléxions sur le systême du P. Malebranche, Buch I, Kap. 13, S. 241. Er zitiert Teil II, Kap. 17 des More nebuchim oder Doctor perplexorum von Maimonides. 41 Arnauld, a. a.O., S. 245. 42 A. a.O., S. 246.

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weshalb sie nicht des Guten und des Bösen, der Bestrafung und der Belohnung fähig wären.«43 Die Sozinianer gehen nicht so weit wie Maimonides. Sie sprechen den Tieren keinen Willen im eigentlichen Sinn des Wortes noch einen freien Willen zu; sie halten sie nicht für der Tugend und des Lasters fähig, noch empfänglich für Strafen und Belohnungen im eigentlichen Sinn des Wortes. Trotzdem sagen sie, daß sich Vernunft, Freiheit und Tugend bei ihnen auf unvollkommene und analoge Weise finden, und daß sie sich auf gewisse Weise der Strafe und Belohnung würdig erweisen. (…). Ich weiß nicht, ob Wilhelm von Paris, einer der großen Geister seines Jahrhunderts, vermeiden konnte, ein wenig über diese Meinung hinauszugehen, denn man sagt, er habe gelehrt, die Seele der Tiere sei geistig, und man ist sich nicht einig, ob er diese Lehre jemals zurückgenommen hat. (…). Um zu den Modernen zu kommen, so will ich bemerken, daß Valla und Antoine Cittadin die Vernunft in Tieren anerkannt haben. Etienne Pasquier hat einen schönen Brief über diese Meinung verfaßt. Dieser Brief ist der erste des zehnten Buchs. Montaigne hat sich für diese Meinung ausgesprochen und sie so sorgfältig gestützt, daß es scheint, er habe gewollt, daß die Apologie des Raimundus Sabundus zum Teil eine Apologie der Tiere sein sollte. Charron ist ihm hierin, wie in mehreren anderen Fragen, gefolgt. Ein Arzt aus La Rochelle,49 der gegen Charron geschrieben hatte, ist seinerseits von einer der besten Federn widerlegt worden, die auf Französisch über philosophische Gegenstände geschrieben haben. Ich spreche von de la Chambre, Leibarzt des Herrn Seguier, Kanzlers von Frankreich. Der Arzt von La Rochelle antwortete, sein Gegenspieler tat dasselbe und gab seinem Werk den Titel Traité de la connaissance des animaux, où tout ce qui a été dit pour et contre le raisonnement des bêtes est examiné. Beiläufig merke ich an, daß Isaac Vossius den Zustand der Tiere hinsichtlich der Sprache für viel besser hält als den unseren, weil sie sich ihre 43 49

Ebd. Chanet in seinen Considérations sur Charron.

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Gedanken viel schneller und vielleicht viel erfolgreicher mitteilen, als wir es tun. Ein Deutscher kritisiert ihn deswegen. Man wird die Meinung Sennerts in den Anmerkungen (D) und (E) seines Artikels* sehen. Ich werde dort einige Moderne mit Namen nennen, die geglaubt haben, die Seele der Tiere sei geistig.

(E) Die mißlichen Folgen der Meinung, die den Tieren eine empfindende Seele zuspricht. Nichts ist unterhaltsamer, als zu beobachten, wie gewaltig sich die Scholastiker anstrengen, um der Erkenntnis der Tiere Grenzen zu setzen. Sie wollen, daß die Tiere lediglich einzelne und materielle Gegenstände erkennen, daß sie nur das Nützliche und das Angenehme lieben, nicht über ihre Empfindungen und Bedürfnisse nachdenken noch etwas aus etwas anderem folgern. Man könnte sagen, daß sie die Fähigkeiten und Handlungen der Tierseele erfolgreicher durchforscht haben als die ausgewiesensten Anatome die Eingeweide der Hunde. Ihre Vermessenheit ist so gewaltig, daß selbst dann, wenn der Zufall gewollt hätte, daß sie die Wahrheit fänden, sie des Lobes und sogar der Entschuldigung unwürdig wären. Aber wir wollen sie diesbezüglich nicht kritisieren und ihnen alles zugestehen, was sie annehmen. Was erhoffen sie sich davon? Bilden sie sich etwa ein, ein vernünftiger Mensch würde ihnen deshalb zugestehen, die Seele des Menschen sei nicht von gleicher Art wie die der Tiere? Das ist illusorisch. Jedem Urteilsfähigen ist klar, daß jede Substanz, die irgendwelche Empfindungen hat, auch weiß, daß sie empfindet; und es wäre nicht absurder zu behaupten, daß die Seele des Menschen gegenwärtig einen Gegenstand erkennt, ohne zu erkennen, daß sie ihn erkennt, als zu sagen, daß die Seele eines Hundes einen Vogel sieht, ohne zu sehen, daß sie ihn sieht. Das zeigt, daß alle Akte des Empfindungsvermögens ihrer Natur und ihrem Wesen nach selbstreflexiv sind. Père Maignan, der ungeachtet all seiner *

具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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Kenntnisse bezüglich der Tierseele in den Irrtümern und im Staub der Schulphilosophie steckte, gibt gleichwohl zu, daß man, um eine Sache zu empfinden, die Empfindung erkennen muß, die man von ihr hat. (…).53 Man muß folglich sagen, daß die Erinnerung der Tiere ein Akt ist, der sie an das Vergangene denken läßt und der sie lehrt, daß sie sich dessen erinnern. Wie kann daher jemand zu behaupten wagen, sie hätten nicht die Fähigkeit, auf ihre Gedanken zu reflektieren noch Folgerungen zu ziehen? Aber noch einmal: Wir wollen darüber nicht streiten; wir wollen diesen Philosophen erlauben, ihre Voraussetzungen sehr schlecht festzulegen; wir wollen uns einzig und allein dessen bedienen, was sie lehren. Sie sagen, daß die Seele der Tiere alle Gegenstände der fünf äußeren Sinne wahrnimmt, daß sie urteilt, daß es unter diesen Gegenständen welche gibt, die ihr zusagen, und andere, die ihr schaden, und daß sie infolge dieses Urteils diejenigen begehrt, die ihr zusagen, und die anderen verabscheut, und daß sie, um den Gegenstand ihrer Wünsche zu genießen, ihre Organe an den Ort bringt, an dem er sich befindet, und daß sie, um vor einem Gegenstand zu fliehen, den sie verabscheut, sie ihre Organe von dem Ort entfernt, an dem er sich befindet. Ich schließe aus alledem, daß, wenn sie keine anderen Handlungen begeht, die so edel sind wie die unserer Seele, dies nicht ihr Fehler ist noch daß sie von weniger vollkommener Natur wäre als die Seele des Menschen; es liegt nur daran, daß die Organe, die sie belebt, nicht den unseren gleichen. Ich frage diese Herren, ob sie es billigen würden, wenn man sagte, daß die Seele eines Menschen im Alter von 35 Jahren von anderer Art ist als im Alter eines Monats, und daß die Seele eines Wahnsinnigen, eines Stumpfsinnigen, eines ins Kindische zurückfallenden Senilen in ihrer Substanz nicht genauso vollkommen ist wie die Seele eines tüchtigen Menschen. Zweifellos würden sie diese Überlegung als grobschlächtigen Irrtum zurückweisen, und das zu Recht. Denn es ist sicher, daß dieselbe Seele, die im Kind nur das 53

Emanuel Maignan, Philosophia naturae, Kap. 24, Nr. 2, S. 527 meiner Ausgabe. (…).

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Empfinden veranlaßt, im Erwachsenen auf gründliche Weise nachdenkt und überlegt; und daß dieselbe Seele, die uns bei einem Erwachsenen seine Vernunft und seinen Geist bewundern läßt, einen Greis nur faseln, einen Narren nur schwärmen und ein Kind nur empfinden läßt. Es wäre ein grober Irrtum zu behaupten, die Seele des Menschen sei nur der Gedanken fähig, die uns bekannt sind. Es gibt eine unendliche Menge von Empfindungen, Leidenschaften und Ideen, deren diese Seele sehr wohl fähig ist, obwohl sie davon während dieses Lebens niemals affiziert wird. Wenn man sie mit Organen vereinigte, die von den unseren verschieden sind, so würde sie anders denken, als sie es heute tut, und ihre Modifikationen könnten viel edler als diejenigen sein, die wir erfahren. Wenn es Substanzen in organisierten Körpern gäbe, die eine Folge von Empfindungen und andere, weit erhabenere Gedanken als die unseren hätten, könnte man dann sagen, daß sie von einer vollkommeneren Natur wären als unsere Seele? Zweifellos nicht, denn wenn unsere Seele in diese Körper versetzt würde, so hätte sie dort dieselbe Folge von Empfindungen und andere, viel erhabenere Ideen als die unseren. Es ist leicht, dies auf die Tierseele anzuwenden. Man gibt uns zu, daß sie Körper empfindet, daß sie sie unterscheidet, daß sie einige davon begehrt und andere verabscheut. Das genügt; die Tierseele ist also eine Substanz, die denkt, sie ist folglich des Denkens überhaupt fähig. Sie kann also alle Arten von Gedanken empfangen, sie kann folglich überlegen, sie kann das Tugendhafte, die Universalien, die Axiome der Metaphysik, die Regeln der Moral usw. erkennen. Denn wie daraus, daß das Wachs die Gestalt eines Siegels annehmen kann, offensichtlich folgt, daß es die Gestalt von jedem Siegel annehmen kann, so muß man auch sagen, daß, sobald eine Seele eines Gedankens fähig ist, sie fähig ist, jeden Gedanken zu haben. Es wäre absurd, folgende Überlegung anzustellen: »Dieses Stück Wachs hat nur den Abdruck von drei oder vier Siegeln empfangen, folglich kann es nicht den Abdruck von tausend Siegeln empfangen. Dieses Stück Zinn ist niemals ein Teller gewesen, folglich kann es kein Teller sein, und es ist von anderer Natur als der Zinnteller, den ich dort

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sehe.« Man räsoniert nicht besser, wenn man behauptet: »Die Seele des Hundes hat niemals etwas anderes als Empfindungen gehabt usw. Folglich ist sie zu moralischen Ideen oder metaphysischen Begriffen nicht fähig.« Wie kommt es, daß ein Stück Wachs das Bild des Fürsten trägt und ein anderes nicht? Deshalb, weil das Siegel auf das eine gedrückt worden ist und auf das andere nicht. Dieses Stück Zinn, das niemals ein Teller war, wird ein Teller sein, sobald man es in die Form eines Tellers bringt. Bringt auf gleiche Weise diese Tierseele in die Form allgemeiner Ideen und in die Form künstlerischer und wissenschaftlicher Begriffe; ich will sagen: vereint sie mit einem sorgfältig ausgesuchten menschlichen Körper, so wird sie die Seele eines tüchtigen Menschen sein und nicht länger die eines Tieres. Man sieht also, daß die Schulphilosophen außerstande sind zu beweisen, die Seele des Menschen und die Seele der Tiere seien verschiedener Natur. Sie mögen ruhig sagen und tausend und abertausend Mal wiederholen, »diejenige des Menschen überlegt, erkennt die Universalien, das Tugendhafte; diejenige der Tiere erkennt von alledem nichts«. Wir werden ihnen antworten: »Diese Unterschiede betreffen nur Akzidenzien und sind kein Zeichen eines spezifischen Unterschieds zwischen den Dingen. Aristoteles und Cicero hatten im Alter von einem Jahr keine erhabeneren Gedanken als ein Hund sie hat, und wenn sie dreißig oder vierzig Jahre in der Kindheit zugebracht hätten, so wären die Gedanken ihrer Seele nur Empfindungen und kindische Leidenschaften fürs Spielen und Essen gewesen. Also haben sie die Tiere nur akzidentiell übertroffen, und zwar deshalb, weil die Organe, von denen ihre Gedanken abhingen, diese und jene Modifikationen angenommen haben, zu denen die Organe der Tiere nicht gelangen. Die Seele eines Hundes in den Organen von Aristoteles oder Cicero hätte nicht verfehlt, all die Einsichten dieser zwei großen Männer zu erwerben.« Folgende Schlußfolgerung ist ganz falsch: Eine solche Seele überlegt nicht und erkennt die Universalien nicht, also ist sie von anderer Natur als die Seele eines großen Philosophen. Denn wenn diese Schlußfolgerung richtig wäre, so müßte man

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sagen, daß die Seele kleiner Kinder nicht von derselben Art ist wie diejenige erwachsener Menschen. Wo denkt ihr denn hin, ihr peripatetischen Philosophen, wenn ihr zu behaupten wagt, daß die Seele der Tiere, wenn sie nicht überlegt, substantiell weniger vollkommen ist als die Seelen, die überlegen? Ihr müßtet zuerst beweisen, daß der Mangel an Überlegung bei den Tieren von einer wirklichen und inneren Unvollkommenheit ihrer Seele herrührt und nicht von den Einrichtungen der Organe, von denen sie abhängt. Aber das könnt ihr niemals beweisen, denn es ist klar, daß ein Subjekt, das zu Gedanken fähig ist, die ihr der Tierseele zusprecht, zur Überlegung und zu allem anderen Denken fähig ist. Wenn sie gegenwärtig nicht überlegt, ist dies folglich auf gewisse akzidentielle und äußere Hindernisse zurückzuführen; darauf, will ich sagen, daß der Schöpfer aller Dinge jede Seele mit einer bestimmten Folge von Gedanken verknüpft hat, indem er sie von den Bewegungen bestimmter Körper abhängig sein läßt. Das ist auch der Grund dafür, daß Säuglinge, Narren und Wahnsinnige nicht überlegen. Man kann nicht ohne Schrecken an die Konsequenzen der folgenden Lehre denken: »Die Seele des Menschen und die Seele der Tiere unterscheiden sich nicht substantiell, sie sind von derselben Art. Die eine erwirbt mehr Einsichten als die andere, aber das sind nur akzidentielle Vorteile, die von einer willkürlichen Einrichtung abhängen.« Diese Lehre ergibt sich zwangsläufig und unvermeidlicherweise aus dem, was in den Schulen über die Erkenntnis der Tiere gelehrt wird. Wenn die Seelen der Tiere materiell und sterblich sind, so folgt daraus, daß die Seelen der Menschen es auch sind; und wenn die Seele der Menschen eine geistige und unsterbliche Substanz ist, so ist die Seele der Tiere das auch. Entsetzliche Folgerungen, gleichgültig welcher Seite man sich zuwendet! Denn wenn man, um die Unsterblichkeit der Tierseele zu vermeiden, annimmt, daß die Seele des Menschen mit dem Körper stirbt, so stürzt man die Lehre von einem anderen Leben um und untergräbt die Fundamente der Religion. Wenn man, um unserer Seele das Vorrecht der Unsterblichkeit zu erhalten, dasselbe auf die Seele der Tie-

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re ausdehnt, in welche Abgründe werden wir dann stürzen? Was werden wir mit so vielen unsterblichen Seelen machen? Wird es auch für sie ein Paradies und eine Hölle geben? Werden sie aus einem Körper in einen anderen wandern? Werden sie in dem Maße vernichtet, wie die Tiere sterben? Wird Gott unaufhörlich eine unendliche Menge Geister erschaffen, um sie so bald darauf ins Nichts zu stürzen? Wieviel Insekten gibt es, die nur wenige Tage leben? Wir wollen uns nicht einbilden, daß es ausreicht, Seelen für die Tiere zu schaffen, die wir kennen. Diejenigen, die wir nicht kennen, sind noch weit größer an Zahl. Das Mikroskop läßt uns Tausende davon in einem Wassertropfen entdecken, und wir würden weit mehr darin entdecken, wenn wir vollkommenere Mikroskope hätten. Und man sage nicht, die Insekten seien Maschinen. Denn man erklärt durch diese Lehre eher die Handlungen von Hunden als die von Ameisen und Bienen. Vielleicht haben die nicht sichtbaren Tiere mehr Geist und mehr Vernunft als die größten. Wir wollen jetzt die vergeblichen Bemühungen betrachten, welche die Schulphilosophie angestellt hat, um einen spezifischen Unterschied zwischen der Tier- und der Menschenseele festzusetzen.

(F) Ein spezifischer Unterschied zwischen der menschlichen Seele und der Tierseele. Sie sagen, die Seele der Tiere sei eine materielle Form, die Seele des Menschen aber sei ein Geist, den Gott unmittelbar erschaffe. Aber wie beweisen sie das? Ich nehme an, daß sie allein auf der Grundlage des natürlichen Lichts räsonieren, ohne sich der Schrift oder der Dogmen der Religion zu bedienen. Ich verlange von ihnen einen guten Beweis, daß die Seele der Tiere körperlich und die unsere dies nicht sei. Sie werden die Pracht und den Umfang der menschlichen Erkenntnisse und die Geringfügigkeit, Grobheit und Dunkelheit der Erkenntnisse der Tiere anführen; und sie werden schließen, daß ein körperliches Prinzip in der Lage ist, die Erkenntnisse der Tiere hervorzubringen,

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nicht aber die Reflexionen, Überlegungen, allgemeinen Ideen und die Vorstellungen von Ehrenhaftigkeit, die sich in der Seele des Menschen finden, und daß folglich diese Seele einer der Materie überlegenen Ordnung angehören muß, daß sie ein Geist sein muß. Wir wollen ihnen nicht länger entgegenhalten, daß sie unbesonnenerweise behaupten, die Tierseele überlege nicht und habe keine Vorstellung des Tugendhaften. Wir wollen auf diesen Einwand verzichten und lediglich sagen, daß es tausendmal schwieriger ist, einen Baum zu sehen, als den Akt zu erkennen, durch den wir ihn sehen, so daß, wenn ein materielles Prinzip fähig ist, eine unendliche Menge von Dingen zu erkennen, die sich draußen abspielen, es viel eher fähig sein wird, seine eigenen Gedanken zu erkennen, sie miteinander zu vergleichen und sie zu vervielfachen. Derart verlangen die Reflexionen, die Schlußfolgerungen und die Abstraktionen des Menschen kein edleres Prinzip als die Materie. Ein sehr fähiger Peripatetiker stimmt dem zu. Lassen wir ihn sprechen, sein Geständnis wird überzeugender sein als meine Einwände. »Wenn Ihr einmal annehmt, daß noch das Erstaunlichste in den Handlungen der Tiere mittels einer materiellen Seele geschehen kann, werdet Ihr dann nicht sehr bald den Schritt tun und sagen, daß alles das, was sich im Menschen abspielt, ebenfalls mittels einer materiellen Seele geschehen kann? (---). Wenn Ihr einmal setzen wollt, daß die Tiere ohne jede geistige Seele fähig sind zu denken, zielgerichtet zu handeln, die Zukunft vorauszusehen, sich des Vergangenen zu erinnern und aus der Erfahrung durch die besondere Betrachtung, die sie darüber anstellen, Nutzen zu ziehen; warum wollt Ihr dann nicht sagen, daß die Menschen in der Lage sind, ihre Verrichtungen ohne jedwede geistige Seele auszuführen? Schließlich sind die Handlungen der Menschen keine anderen als diejenigen, die Ihr den Tieren zusprecht. Wenn es einen Unterschied gibt, so ist er nur gradueller Art, und so wird alles, was Ihr sagen könnt, darin bestehen, daß die Seele des Menschen vollkommener ist als die der Tiere, weil sie sich besser erinnert als jene, weil sie mit mehr Überlegung denkt und weil sie mit größerer Sicherheit Vorhersagen trifft; aber letztendlich werdet Ihr nicht sagen

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können, ihre Seele sei nicht durch und durch materiell. Ihr werdet vielleicht sagen, daß sich beim Menschen Handlungen finden, die weder den Tieren zukommen noch aus einem anderen Prinzip als einer geistigen Seele hervorgehen können. Das sind die allgemeinen Erkenntnisse, das Räsonnement, durch das wir eine Erkenntnis aus einer anderen ableiten, die Vorstellungen, die wir vom Unendlichen und von geistigen Dingen haben, die nicht in die Sinne fallen. Aber diejenigen, die abstreiten, daß die Tiere irgendeine Erkenntnis hätten, leugnen deswegen nicht, daß diese Gedanken und Räsonnements in uns stattfinden, weil wir sie selbst erfahren. Derart haben sie immer noch das gleiche Recht wie Ihr, die Existenz der vernünftigen Seele zu behaupten. Aber sie fügen außerdem hinzu, daß all diese Handlungen, die Ihr so außergewöhnlich findet, nur graduell von den Handlungen verschieden sind, die Ihr den Tieren zusprecht; und sicherlich scheint das zweckgerichtete Handeln, das Nutzen der Erfahrung, das Vorhersehen der Zukunft (was Euch zufolge den Tieren zukommt) nicht weniger aus einem geistigen Prinzip hervorgehen zu müssen als dasjenige, was sich bei den Menschen findet. Denn was ist schließlich eine allgemeine Erkenntnis anderes als eine Erkenntnis, die auf mehrere ähnliche Dinge zutrifft, so wie das Portrait eines Menschen auf alle ihm ähnelnden Gesichter zutrifft? Was ist ein Vernunftschluß anderes als eine Erkenntnis, die durch eine andere Erkenntnis hervorgebracht wird, so wie wir sehen, daß eine Bewegung oft durch eine andere Bewegung hervorgebracht wird? Gewiß, wenn man einmal annimmt, daß das Denken, die Absicht und die Reflexion aus einem Körper hervorgehen können, der durch eine materielle Form belebt ist, so wird es schwer sein zu beweisen, daß das Räsonnement und die Vorstellungen des Menschen nicht aus einem Körper hervorgehen können, der ebenfalls durch eine materielle Form belebt ist.«55 Ich bitte alle meine Leser, die unglückliche Lage zu beachten, in der sich die Scholastiker hinsichtlich der Lehre von der empfindenden Seele befinden. Sie führen gegen Descartes die 55

Pardiès, De la connaissance des bêtes, Nr. 49, S. 100 ff.

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allererstaunlichsten Handlungen der Tiere an, sie wählen sie absichtlich aus, um ihn um so gründlicher zu verwirren; aber im nachhinein merken sie, daß sie zu weit gegangen sind und daß sie ihren Gegner mit Waffen zur Zerstörung des spezifischen Unterschieds ausgestattet haben, den sie zwischen unserer Seele und derjenigen der Tiere festsetzen wollten. Sie wünschten sehr, daß man all diese Beispiele von List, Behutsamkeit, Gelehrigkeit, Erkenntnis des Zukünftigen vergesse, die sie mit so großer Pracht vorgeführt hatten, um zu zeigen, daß die Tiere keine Automaten seien. Sie wünschten, daß man nur an die groben Handlungen eines Ochsen dächte, der nichts anderes tut, als zu weiden. Aber die Zeit, dies zu verlangen, ist vorbei. Man verwendet nun dieselben Beispiele, um sie ihrerseits zu verwirren und um ihnen zu beweisen, daß eine materielle Seele, wenn sie zu all diesen Dingen fähig ist, dann all das machen kann, was die Seele des Menschen hervorbringt; man muß der Tierseele lediglich mehr Grade an Feinheit verleihen. Muß man nicht annehmen, daß die Seele eines Hundes oder eines Affen weniger grob ist als die Seele eines Ochsen? Mit einem Wort, wenn nur eine geistige Seele die Handlungen eines grobschlächtigen Bauerntölpels hervorbringen kann, so behaupte ich, daß nur eine geistige Seele die Handlungen eines Affen hervorbringen kann; und wenn man sagt, ein körperliches Prinzip sei fähig, alles das hervorzubringen, was die Affen machen, so behaupte ich, daß ein körperliches Prinzip die Ursache für alles das sein kann, was die dummen Leute machen, und daß unter der Voraussetzung, die Materie werde verfeinert und von dem befreit, was man das Irdische, das Träge usw. nennt, sie die Ursache von alledem sein kann, was die geschickten Leute machen.

Eine Frage bezüglich der Freiheit der Tierseele Einige Autoren insinuieren, es müsse, weil die Seele des Menschen mit einem freien Willen ausgestattet sei und die der Tiere der Freiheit ermangele, einen spezifischen Unterschied zwi-

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schen ihnen geben, so daß die eine geistig, die andere körperlich sei. Der Jesuit Théophile Raynaud hat 1630 ein kleines Buch mit dem Titel Calvinismus, bestiarum religio56 publiziert. Sein Hauptzweck war zu beweisen, daß die Lehre der Dominikaner den Menschen auf den Zustand der Tiere reduziert, indem sie ihm den freien Willen nimmt.57 »Der Katholik hat hauptsächlich aus dem Grund behauptet, der Calvinismus habe als die Religion der Tiere zu gelten, weil nach calvinistischen Grundsätzen der Mensch auf die Stufe der Tiere herabgesetzt wird und man ihm Rang und Würde des Menschseins nimmt. Um das gründlich zu beweisen, erschien es ihm angebracht, zwei Sätze aufzustellen. Der eine lautet, daß der Mensch nur durch die Freiheit zum Menschen wird; der andere, daß die Freiheit durch den Calvinismus zerstört wird.«58 Er nimmt an, daß das Merkmal des Menschen – ich sage: das Merkmal, das ihn vom Tier unterscheidet – die Freiheit der Indifferenz sei; denn was die Freiheit betrifft, die nur in der Abwesenheit von Zwang oder in der Spontaneität besteht, so kann kein Scholastiker leugnen, daß sie sich bei den Tieren findet. Ich werde zeigen, daß die Meinung ganz falsch ist, nach der eine mit dem freien Willen ausgestattete Seele von anderer Art ist als eine Seele, die den freien Willen nicht besitzt. Die Seele der Kinder und der Narren ermangelt des freien Willens und ist dennoch von derselben Art wie die mit größter Freiheit ausgestattete Seele. Man füge hinzu, daß die Anhänger der Freiheit der Indifferenz eingestehen, daß sie nach diesem Leben ein Ende haben wird, und trotzdem erkennen sie an, daß die Seele des Menschen auf der Erde von gleicher Substanz ist wie im Himmel oder in der Hölle. Es ist daher offensichtlich, daß die Freiheit der Indifferenz kein essentielles Attribut des Geschöpfs ist, sondern ein Zugeständnis oder eine akzidentielle 56

Man sehe Baillet, Vie de Descartes, Bd. I, S. 224. Er disputiert zwar gegen Calvin, aber in der Absicht, eine Schlußfolgerung gegen die Dominikaner zu ziehen, die, wie er behauptet, gleicher Ansicht wie Calvin hinsichtlich der Lehre sind, die er bei Calvin kritisiert. 58 Calvinismus, bestiarum religio. Diatriba II, S. 25 meiner Ausgabe. 57

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Gunst, die der Schöpfer ihm erweist. Und konsequenterweise sind die Seelen, die dieses Zugeständnis nicht erhalten, deshalb nicht von anderer Art als diejenigen, die es erhalten. Es heißt also sehr schlecht zu räsonieren, wenn man sich des folgenden Arguments bedient: Die Seele der Tiere ermangelt des freien Willens, die Seele des Menschen ermangelt seiner nicht. Folglich ist die Seele der Tiere materiell und die Seele des Menschen geistig. Wir wollen noch weiter gehen und sagen, daß diejenigen, die eine empfindende Seele annehmen, keinen einzigen guten Grund haben, um den Tieren die Freiheit abzusprechen. Sagen sie nicht, daß die Tiere hunderterlei Sachen mit außerordentlichem Vergnügen machen und daß sie dazu infolge des Urteils gebracht werden, das sie über die Nützlichkeit der Gegenstände gefällt haben – ein Urteil, das in ihnen die Lust erregt hat, sich mit diesen Gegenständen zu vereinen? Wenn die Freiheit nur in der Abwesenheit von Zwang und in einer Spontaneität besteht, der eine Unterscheidung der Gegenstände vorausgegangen ist, ist es dann nicht absurd zu leugnen, daß die Tiere frei sind? Hat ein hungriger Hund nicht das Vermögen, ein Stück Fleisch unberührt zu lassen, wenn er fürchtet, geschlagen zu werden, falls er sich nicht zurückhält? Heißt das nicht, das Vermögen zu handeln und nicht zu handeln zu besitzen? Seine Enthaltung kommt zweifellos daher, daß er seinen Hunger mit den Stockschlägen vergleicht und daß er sie für unerträglicher als seinen Hunger beurteilt. Wenn man alle menschlichen Handlungen betrachtet, die man der Freiheit der Indifferenz zuspricht, so findet man, daß ein Mensch niemals eine von zwei gegenteiligen Möglichkeiten ablehnt oder wählt, außer weil er nach Vergleich des Für und Wider entweder mehr Beweggründe für die Ablehnung als für die Annahme oder mehr Beweggründe für diese als für jene Handlung gefunden hat. Lassen wir noch einmal den Jesuiten zu Wort kommen, der gegen die Cartesianer geschrieben hat. »Es ist sehr schwer, auf diese Weise die Überlegung vom Denken zu trennen. Und es scheint leicht zu beweisen, daß eine Substanz, wenn sie fähig ist zu denken, ebenfalls fähig ist zu überlegen, daß sie mit Willen und mit Freiheit ausgestattet ist; kurzum,

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daß sie in der Lage ist zu handeln wie die Menschen. Die alten Philosophen und sogar die Kirchenväter haben mit folgendem allgemeinen Argument bewiesen, daß wir einen freien Willen haben: Alles, was fähig ist zu erkennen, kann das Gute und das Böse erkennen, d. h. dasjenige, was gut oder schlecht für es ist; folglich kann es, indem es diese beiden Gegenstände erwägt, dieselben miteinander vergleichen, kann überlegen und sich entschließen, den einen zu wählen und den anderen zurückzuweisen, worin eben der Gebrauch unserer Freiheit besteht. Und das ist so gewiß wahr, daß wir noch heute an folgender Definition der Freiheit im allgemeinen festhalten: Facultas agendi cum ratione, die Fähigkeit, in Kenntnis der Sache zu handeln, das, was cum ratione hier bedeutet.«59 Einer der stärksten Beweise für die Freiheit des Menschen wird von der Bestrafung der Übeltäter hergeleitet. Alle Gesellschaften sind darin übereingekommen, sie exemplarisch zu bestrafen und die Bestrafung in bestimmten Fällen sogar auf eine lange, öffentlich vorgenommene Züchtigung ihrer Leichname auszudehnen. Man verweigert ihnen ein Begräbnis und stellt ihre leblosen Körper auf dem Rade und am Galgen zur Schau. Wenn der Mensch nicht frei handelte, wenn eine schicksalhafte und unvermeidliche Notwendigkeit ihn zu einer bestimmten Gedankenfolge brächte, so dürften Raub und Mord nicht bestraft werden und man könnte sich nicht die geringste Frucht von der Bestrafung der Schuldigen erhoffen; denn auch wer den aufs Rad geflochtenen Leichnam eines Übeltäters sähe, wäre deshalb nicht weniger als zuvor der größeren Gewalt unterworfen, die ihn zum Handeln antreibt, ohne ihm den geringsten Gebrauch der Freiheit zu lassen. Dieser Beweis des freien Willens ist nicht so stark, wie er scheint; denn obgleich die Menschen überzeugt sind, daß die Maschinen nicht denken, so verabreichen sie ihnen doch, falls sie nicht richtig laufen, hundert Schläge mit dem Hammer, wenn sie der Meinung Pardiès, De la connaissance des animaux 具recte: bêtes 典, Nr. 52, S. 104 f. Man beachte, daß er S. 113 das Beispiel eines Hundes zitiert, der gelernt hatte, seine Partie mit seinem Herrn zu singen. (…). 59

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sind, daß sie durch das Plattschlagen eines Rades oder eines anderen Eisenstücks die Maschinen wieder in ihren ordnungsgemäßen Gang bringen. Sie würden also einen Beutelschneider auspeitschen, auch wenn sie wüßten, daß er keinerlei Freiheit besitzt, vorausgesetzt, die Erfahrung hätte sie gelehrt, daß man durch Auspeitschen der Leute diese daran hindert, gewisse Handlungen fortzusetzen. Wie dem auch sei, wenn dieser Beweis des freien Willens irgendwelche Überzeugungskraft hat, so dient er offensichtlich zu dem Nachweis, daß den Tieren die Freiheit nicht fehlt.60 Man straft sie allenthalben und korrigiert dadurch ihre Fehler. Ochino untersucht zu Beginn seiner Labyrinthe alle Gründe, die uns davon überzeugen, daß wir frei handeln; und er sagt gegen den aus der Bestrafung der Übeltäter hergeleiteten Grund u. a., daß sich die Richter, wenn sie sicher wären, daß man durch das Aufhängen eines Pferdes, das einen Menschen getötet hat, und dadurch, daß man es lange an einer der Hauptstraßen hängen ließe, die anderen Pferde davon abhielte, Böses zu tun, dieser Strafe jedesmal bedienen würden, wenn ein Pferd durch Ausschlagen oder Beißen jemanden zum Krüppel gemacht oder getötet hat.61 Offensichtlich wußte er nicht, daß man sich dieser Schauspiele in einigen Ländern bedient, um die wilden Tiere im Zaum zu halten. Rorarius ist Augenzeuge hiervon gewesen. Er hat im Herzogtum Jülich zwei Wölfe am Galgen hängen sehen und er merkt an, daß dies auf die anderen Wölfe größeren Eindruck macht als das Brandmarken und Ohrenabschneiden usw. bei einem Dieb. Er sagt außerdem, daß man in Afrika einige Löwen ans 60

Man beachte folgende Frage, die sich Franzius, Historia animalium sacra, Teil I, Kap. 2, S. 16 meiner Ausgabe, vorlegt. »Man könnte aber fragen, ob man nicht eine vernünftige Seele in den Tieren annehmen muß (---), weil gemäß Genesis 9, 5 Gott selbst das Blut des Menschen an den Tieren rächen will, wenn sie menschliches Blut vergossen haben.« Er zitiert außerdem Exodus 12, 28 und Leviticus 20, 15 f., wo Gott die Bestrafung von Tieren befiehlt. 61 Ich habe das Buch von Ochino gegenwärtig nicht zur Hand, ich zitiere seine Meinung aus dem Gedächtnis. Vielleicht berichte ich nicht wortwörtlich, aber ich bin sicher, daß ich seine Ansicht richtig wiedergebe.

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Kreuz schlägt, um die anderen abzuschrecken, und daß man damit Erfolg hat. (…).62

(G) Wenn er es vermocht hätte, die gewöhnliche Meinung ins Reine zu bringen. Man hat mit gutem Grund viel Aufhebens von einem Buch mit dem Titel Le voyage du monde de Descartes gemacht.63 In ihm werden den Cartesianern auf angenehme und lebhafte Weise sehr große Schwierigkeiten entgegengehalten, die bemerkenswert gut vorgetragen sind. Diejenigen, welche die Maschinenseele der Tiere betreffen, sind, wie mir scheint, die besten, die sich vorbringen lassen. Der Verfasser räumt ein, daß die Peripatetiker dieses große Paradoxon des Descartes zunächst ziemlich ungeschickt bekämpften und daß Descartes’ Anhänger daraus Vorteil zogen. Er bedient sich geschickt der mißlichen Konsequenzen, die man aus diesem Paradoxon ableiten kann, denn er zeigt, daß die Argumente der Cartesianer uns zu dem Urteil bringen, die anderen Menschen seien Maschinen. Das ist vielleicht die schwächste Stelle der cartesischen Ansicht, und dies bestätigt einen sehr scharfsinnigen Gedanken über die Natur der menschlichen Erkenntnisse. Es scheint, daß Gott, der sie austeilt, wie ein gemeinsamer Vater aller Schulmeinungen handelt, d. h. daß er nicht dulden will, daß eine Schule gänzlich über die anderen triumphierte und sie für immer zum Schweigen brächte. Eine überwältigte, aus dem Felde geschlagene Schulmeinung, die nicht mehr weiter kann, findet stets Mittel, sich wiederaufzurichten, sobald sie die Defensive verläßt, um offensiv durch Ablenkungsangriffe und Retorsion vorzugehen. Der Kampf der Schulen ist immer mit dem der Trojaner und Griechen während der Nacht vergleichbar, in der Troja erobert wurde: sie besiegen einander wechselseitig, sowie 62

Rorarius, Quod animalia bruta ratione utantur melius homine, Buch II, S. 109. 63 Der Jesuit Père Daniel wird für den Verfasser dieses Werks gehalten.

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sie von der Verteidigung zum Angriff übergehen. Kaum hat der Cartesianer die Meinung der Scholastiker über die Seele der Tiere umgestürzt, zerstört und vernichtet, schon erfährt er, daß man ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen und ihm zeigen kann, daß er zuviel beweist und daß er, wenn er konsequent räsoniert, sich von Meinungen lossagen wird, die er nicht aufgeben kann, ohne sich lächerlich zu machen und ohne Absurditäten zuzulassen, die in die Augen springen. Denn welcher Mensch würde zu sagen wagen, er allein denke und alle anderen Menschen seien Maschinen? Würde man ihn nicht für verrückter halten als diejenigen, die man in die Irrenhäuser steckt oder die man von jeder menschlichen Gesellschaft ausschließt? Diese Konsequenz der cartesischen Lehre ist ein unangenehmer Störenfried. Sie ist den Füßen eines Pfaus ähnlich, deren Häßlichkeit die Eitelkeit kränkt, die der Glanz seines Gefieders bewirkte. Wie dem auch sei, man muß zugeben, daß der ganze Vorteil des Père Daniel der Meinung des Descartes gegenüber in den Einwänden besteht, die er vorgebracht hat, und keineswegs in den Antworten, die er auf die Einwände der Cartesianer gegeben hat. Er leugnet nicht, daß ihre Fragen außerordentlich schwierig sind, aber er behauptet, daß sie ihrerseits mit Fragen konfrontiert werden, die keine geringeren Schwierigkeiten darstellen, und daß man gute Vergeltungsmaßnahmen treffen kann.65 Man würde vergebens die Auflösung der physischen, moralischen und theologischen Schwierigkeiten in seiner Schrift suchen, die man den Peripatetikern hinsichtlich der Tierseele vorhält. Er begnügt sich mit der Antwort, daß, wenn es in dieser Theorie Dinge gibt, die man nicht versteht, es ähnliche auch in der Lehre des Descartes gibt. Die Definition der Tierseele als »eine zur Empfindung fähige Substanz«, d. h. fähig zu sehen, zu hören usw., ist genauso klar wie die cartesische Definition des Geistes als »eine Substanz, die denkt und überlegt«.66 Das sind die Worte von Père Daniel. Er beweist sie in der Folge so gut wie nur möglich. Kurz zuvor hatte er ge65 66

Suite du voyage du monde de Descartes, S. 75. A. a.O., S. 84.

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sagt,67 daß die Seele der Tiere weder Materie noch Geist sei, sondern »ein mittleres Wesen zwischen beiden«, das »weder der Überlegung noch des Denkens, sondern allein der Wahrnehmung und der Empfindung fähig ist«. Wenn er nichts Besseres sagt, so ist das nicht seinen Einsichten, sondern der Natur der Sache zuzuschreiben. Er wird mir die Bemerkung erlauben, daß seine Lehre unhaltbar ist und daß sie keine einzige Schwierigkeit lösen kann. Die beiden Begriffe »Materie« und »Geist« scheinen zunächst auf eine solche Weise entgegengesetzt zu sein, daß sie irgendein Mittleres ermöglichen. Wenn man sie aber näher betrachtet, so begreift man, daß sie auf einen kontradiktorischen Gegensatz zurückgeführt werden können. Dazu reicht die Frage, ob die Substanz, die weder Körper noch Geist ist, ausgedehnt oder nicht ausgedehnt ist. Wenn sie ausgedehnt ist, so hat man große Mühe, sie von der Materie zu unterscheiden; wenn sie nicht ausgedehnt ist, so frage ich, kraft wessen man sie vom Geist unterscheidet, denn sie kommt mit dem Geist im Begriff einer nicht ausgedehnten Substanz überein, und wir vermögen nicht zu verstehen, daß dieser Begriff in zwei Arten aufgeteilt sein könnte, weil das spezifische Attribut, das man dem einen zusprechen wollte, uns niemals als unverträglich mit dem anderen erscheinen wird. Wenn Gott das Denken68 mit einem nicht ausgedehnten Wesen verbinden kann, so wird er dasselbe auch mit einem anderen nicht ausgedehnten Wesen verbinden können; denn nichts anderes als die Ausdehnung scheint uns die Materie unfähig zum Denken zu machen. Zumindest begreifen wir klar, daß eine nicht ausgedehnte Substanz, die empfinden kann, fähig ist zu überlegen; und folglich ist die Seele der Tiere, wenn sie eine nicht ausgedehnte, wahrnehmungsfähige Substanz ist, in der Lage, Überlegungen anzustellen. Sie ist folglich von gleicher Art wie die Seele des Menschen, sie ist 67

A. a.O., S. 82 f. Ich verstehe das Wort im Sinne der Cartesianer, d. h. als eine generische Modifikation, welche die Wahrnehmungen, Reflexionen, Überlegungen usw. als ebensoviele Arten unter sich begreift. 68

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folglich keine mittlere Substanz zwischen Körper und Geist. Père Daniel hat folgende Frage aufgeworfen: »Werden die Cartesianer nicht die Möglichkeit dieser Art von Wesen leugnen, die einzig für Wahrnehmungen empfänglich sind? Und wo ist der Respekt, den ihr Meister ihnen für die Allmacht eines Gottes einzuflößen versucht hat, der es ihm zufolge vermag, daß ein Dreieck keine drei Winkel hat und daß zwei und zwei nicht vier ergeben, und der es dennoch nicht vermochte, ein Wesen zu erschaffen, das nur Wahrnehmungen hat?«69 Diese Frage würde einen Menschen, der gelobt hätte, niemals von der Lehre des Descartes abzuweichen, in Verlegenheit bringen. Aber man trifft keine Cartesianer, die sich dieses Joch aufbürden, und es ist ziemlich sicher, daß Descartes nicht gewagt hätte, ernsthaft zu behaupten, Gott habe zwei Fuß Wachs schaffen können, die nur drei oder vier Gestalten annehmen könnten, für alle anderen aber nicht empfänglich wären. Descartes mag in dieser Hinsicht dieses oder jenes geglaubt haben, seine Schüler werden niemals glauben, daß sie es an dem Gott gebührenden Respekt fehlen lassen, wenn sie behaupten, daß »ein einzig für Wahrnehmungen empfängliches« Wesen nicht möglicher sei als ein Stück70 Wachs, das einzig eine viereckige Gestalt annehmen kann. Was »ein Wesen, das nur Wahrnehmungen hat«, betrifft, so werden sie es für sehr wohl möglich halten; ebenso wie es möglich wäre, daß ein bestimmtes Stück Materie immer rund bliebe, wenn Gott die Umstellung der Partikel in ihm auf ewig hätte verhindern wollen. Père Daniel möge es nicht übel nehmen, aber er hat nicht bemerkt, daß es etwas anderes ist zu sagen, »ein Wesen, das einzig für Wahrnehmungen empfänglich ist« und »ein Wesen, das nur Wahrnehmungen hat«. Die Möglichkeit des ersten ist unbegreiflich, die Möglichkeit des zweiten ist offenkundig. Aber wie ein 69

Suite du voyage du monde de Descartes, S. 84. Unter »Stück« verstehe ich hier eine Ansammlung verschiedener Korpuskeln. Das geschieht, um der Schwierigkeit eines Atomisten zuvorzukommen, der glaubt, daß die Gestalt eines Atoms ihrem Wesen nach unveränderlich sei. 70

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Stück Wachs, in dem Gott unaufhörlich die Umstellung der Partikel verhindern würde, von gleicher Art wie ein Stück Wachs wäre, in dem die Veränderung der äußeren Teile unaufhörlich eine neue Gestalt hervorbringen würde, so wollen wir auch sagen, daß eine Substanz, die Gott beständig auf Wahrnehmungen beschränken würde, von gleicher Art wäre wie eine Substanz, die sich bis zu Vernunftschlüssen erheben würde. Es bleibt mir noch, die Nutzlosigkeit der Lehre dieses Jesuiten zu zeigen. 1) Man braucht ein System, das die Sterblichkeit der Tierseele festsetzt. Das aber findet man nicht in einem mittleren Wesen zwischen Körper und Geist, denn ein derartiges Wesen ist nicht ausgedehnt. Es ist also unteilbar und kann nur durch Annihilation zugrunde gehen; Krankheiten, Feuer, das Schwert können es nicht treffen. Es ist also in dieser Hinsicht von gleicher Natur und Beschaffenheit wie die Geister und die menschliche Seele. 2) Man braucht ein System, das einen spezifischen Unterschied zwischen der menschlichen und der tierischen Seele festsetzt. Das aber wird man nicht durch dieses mittlere Wesen finden. Denn wenn die Seele der Tiere, obschon sie weder Körper noch Geist ist, dennoch Empfindungen hat, so würde die menschliche Seele sehr wohl räsonieren können, auch wenn sie weder Körper noch Geist, sondern ein mittleres Wesen zwischen beiden wäre. Es ist schwieriger, bei fehlender Empfindung zur Wahrnehmung eines Baumes und zur Erkenntnis dieses Baumes zu gelangen, als von der Empfindung zur Schlußfolgerung zu kommen. 3) Man braucht ein System, das die erstaunliche Geschicklichkeit der Bienen, Hunde, Affen und Elefanten erklärt; und man gibt uns eine Tierseele, die lediglich Empfindungen hat, die nicht denkt71 und nicht räsoniert. Wenn man das wohl beachtet, wird man verstehen, daß eine derartige Seele zur Erklärung der Phänomene nicht ausreicht. Père Daniel gibt das an einer anderen Stelle seines Werks zu, wo er den Peripatetikern nur den Vorteil zuzubilli71

Ich verstehe hier unter dem Wort »denken« eine Art der Wahrnehmung und nicht den allgemeinen Begriff des Descartes.

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gen scheint, hierin als erste Position bezogen zu haben. Denn nachdem er die Schwierigkeiten des Cartesianismus bezüglich der Tiere behandelt hat, fügt er hinzu: »Die Peripatetiker haben zweifellos auch ihre Schwierigkeiten aufzulösen. Aber wenn diese auch noch viel größer wären, als sie es sind, so muß man, solange die Cartesianer nichts Besseres oder Verständlicheres vorzutragen haben, sich an ihre Ansicht halten und über diesen besonderen Punkt denken, wie ein großer Staatsminister vor 25 Jahren über die ganze Philosophie gedacht hat. Man riet ihm, seinen ältesten Sohn nicht in antiker Philosophie unterrichten zu lassen, weil, wie man ihm sagte, es in dieser Philosophie nichts als Albernheiten und Torheiten gebe. ›Man hat mir auch gesagt‹, antwortete er, ›daß es viele Albernheiten und Hirngespinste in der neuen Philosophie gebe. Also‹, fuhr er fort, ›alte Torheit, neue Torheit. Ich glaube, da ich wählen muß, daß ich die alte Torheit der neuen vorzuziehen habe‹.«72 (…).

(H) Leibniz (---) hat uns erste Einsichten eröffnet, die es verdienen, weiterentwickelt zu werden. Er billigt74 die Meinung einiger Moderner, nach der die Lebewesen im Samen organisiert sind, und er glaubt ferner75, daß die Materie allein nicht eine wahre Einheit konstituieren kann und daß deshalb jedes Lebewesen mit einer Form vereinigt ist, die ein einfaches, unteilbares und wahrhaft einiges Wesen ist. Außerdem nimmt er an,76 daß diese Form niemals ihren Ge-

72

Suite du voyage du monde de Descartes, S. 105 f. Man sehe die im Journal des savans vom 27. Juni 1695 veröffentlichte Abhandlung von Leibniz, S. 449 der holländischen Ausgabe. 具Es handelt sich um die Schrift Système nouveau de la nature et de communication des substances, aussi bien que de l’union qu’il y a entre l’âme et le corps. Hgg. 典 75 A. a.O., S. 446. 76 A. a.O., S. 447. 74

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genstand verläßt, woraus folgt, daß es im eigentlichen Wortsinne weder Tod noch Entstehung in der Natur gibt. Er nimmt von alledem die menschliche Seele aus;77 er läßt sie außen vor usw. Diese Lehre78 befreit uns von einem Teil der Schwierigkeiten. Es ist nicht länger erforderlich, auf die erdrückenden Einwände zu antworten, die man den Scholastikern gemacht hat. Die Seele der Tiere, so sagt man ihnen, ist eine vom Körper verschiedene Substanz. Folglich muß sie durch Schöpfung hervorgebracht und durch Annihilation zerstört werden. Die Wärme79 müßte also die Kraft haben, Seelen zu erschaffen und zu vernichten,80 und was kann man wohl Absurderes sagen? Die Antworten der Peripatetiker auf diesen Einwand verdienen nicht, berichtet und aus der Dunkelheit der Hörsäle herausgelassen zu werden, wo man sie jungen Schülern vorschwätzt. Sie taugen nur dazu, uns zu überzeugen, daß der Einwand für sie unwiderlegbar ist. Sie befreien sich nicht besser aus den Schwierigkeiten, in die man sie stürzt, wenn man sie auffordert, einen Sinn und eine Spur von Vernunft in der kontinuierlichen Hervorbringung einer beinahe unendlichen Anzahl von Substanzen zu finden, die wenige Tage später völlig vernichtet werden, obwohl sie viel edler und viel vortrefflicher sind als die Materie, die niemals untergeht. Die Lehre von Leibniz pariert alle diese Hiebe, denn sie bringt uns dazu zu glauben, 1) daß Gott am Anfang der Welt die Formen aller Körper und folglich alle Tierseelen geschaffen hat, 2) daß diese Seelen seitdem fortbestehen, indem sie untrennbar mit dem ersten organisierten Körper vereint sind, in den Gott sie gesetzt hat. Das erspart uns die Metempsychose, die andernfalls ein Asyl wäre,

77

A.a.O., S. 448, 450. Bernier berichtet in seiner Relation des gentils de l’Hindoustan, S. 200 meiner Ausgabe, von einer fast gleichartigen Meinung der Philosophen dieses Landes. 79 Man läßt Hühner ausbrüten, indem man die Eier in einen Ofen legt, der langsam erhitzt wird. Das macht man in Ägypten. 80 Man kann mehrere Arten von Tieren umbringen, indem man sie in einen etwas zu heißen Ofen legt. 78

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in das man sich zwangsläufig retten müßte. Damit man beurteilen kann, ob ich seine Ansicht richtig verstanden habe, zitiere ich hier einen Teil aus seiner Abhandlung. »Hier81 sind mir die Transformationen der Herren Swammerdam, Malpighi und Leeuwenhoeck, der ausgezeichnetsten Beobachter unserer Zeit, zu Hilfe gekommen. Sie haben mir die Annahme sehr viel leichter gemacht, daß das Tier und jede andere organisierte Substanz keineswegs zu dem Zeitpunkt entsteht, den wir annehmen, und daß die anscheinende Zeugung nur eine Entwicklung und eine Art Wachstum ist. Auch habe ich bemerkt, daß der Verfasser der Recherche de la vérité, daß Regis, Hartsoeker und andere gelehrte Männer von dieser Meinung nicht weit entfernt gewesen sind. Aber es bleibt noch die größte Frage danach, was aus diesen Seelen oder diesen Formen durch den Tod des Tieres oder durch die Vernichtung des Individuums der organisierten Substanz wird. Und eben dies bereitet die größten Schwierigkeiten, um so mehr, als es wenig vernünftig erscheint, daß die Seelen nutzlos in einem Chaos von konfuser Materie verbleiben. Das hat mich schließlich zu der Ansicht gebracht, daß man hier vernünftigerweise nur eine Partei ergreifen kann, und zwar die der Erhaltung nicht nur der Seele, sondern auch des Tieres selbst und seiner organischen Maschine, selbst wenn die Zerstörung der groben Teile es auf eine Kleinheit reduziert hat, in der es unseren Sinnen ebenso entgeht wie vor seiner Geburt. Auch gibt es niemanden, der den wahren Zeitpunkt des Todes angeben könnte, der für lange Zeit als eine einfache Unterbrechung der bemerkbaren Tätigkeiten gelten kann und bei den einfachen Tieren im Grunde genommen niemals etwas anderes ist. Das bezeugen die Wiedererweckungen ertränkter und dann mit pulverisierter Kreide bedeckter Fliegen und mehrere andere ähnliche Beispiele, die zur Genüge erkennen lassen, daß es viele andere Wiedererweckungen und in weit größerem Umfang geben würde, wenn die Menschen in der Lage wären, die Maschine wieder in Gang zu setzen. (---). Es ist also natürlich, daß das Tier, weil es stets 81

Journal des savans vom 27. Juni 1695, S. 449.

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lebendig und organisiert gewesen ist (wie Leute von großem Scharfsinn zu erkennen beginnen), dies auch immer bleiben wird. Und weil es demnach weder eine erste Geburt noch eine völlig neue Erzeugung des Tieres gibt, so folgt daraus, daß es weder eine endgültige Auslöschung noch einen völligen Tod desselben im strengen metaphysischen Sinne geben wird und daß es folglich anstatt der Seelenwanderung nur eine Umwandlung ein und desselben Tieres gibt, je nachdem die Organe in verschiedener Weise entfaltet und mehr oder weniger entwickelt sind.« Beiläufig will ich bemerken, daß es Leute gibt, die glauben, daß das grundlegende Etwas, mit dem unsere Seele vereint ist, mit ihr aus unserem Körper austritt, wenn wir sterben. Poiret ist nicht weit von dieser Meinung entfernt, und er glaubt sogar, daß Moses an dem Tag seiner Verklärung in dem wahren Leib erschien, der seine Seele beim Ausgang aus diesem Leben begleitete, d. h. als ihm zufolge diese selige Seele lediglich die Schale oder die Hülle verließ, die den feinen Körper bedeckte, mit dem sie vereint war. Er bezeichnet den Leichnam mit Bezug auf das wahre Subjekt, das mit der Seele vereint ist, als »Schale« oder als »Rostschicht«. (…).82 Er hat einige Einwände veröffentlicht, die ihm von Sedan aus zugeschickt worden waren. Man wendete ihm unter anderem ein,83 daß das Beispiel von Moses nichts beweise, weil, damit dieser große Prophet von seinen Anhängern gesehen werden konnte, viel Materie derjenigen hätte hinzugefügt werden müssen, die seinen Körper mit seiner Seele verlassen hatte. Wenn es nun erforderlich gewesen wäre, ihm mehr als die Hälfte eines fremden Körpers zu geben, so ist es nicht ungebührlich zu sagen, daß all die Materie, in der er an diesem Tag gesehen wurde, fremde Materie gewesen ist. Poiret antwortete,84 die feine Materie, die mit der Seele aus dem Körper entweicht, sei zwar zu fein, um unse82

Poiret, Cogitationes rationales de deo, anima, et malo, im Anhang, Nr. 1, S. 611 der Ausgabe Amsterdam 1685. 83 Ders. 具recte: Ebd. Hgg. 典, Responsio ad primas objectiones, S. 696. 84 Poiret, a. a.O., S. 697.

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re groben Sinne zu reizen, wir könnten sie aber sehen, wenn Gott uns seinen außerordentlichen Beistand gewährte. Man hat ihm in Erinnerung gerufen, daß einige Scholastiker eine Quintessenz annehmen, die das Band zwischen der menschlichen Seele und den aus vier Elementen gebildeten Organen und die ihr Vehikel sein soll, wenn der Tod sie aus ihrer Wohnung vertreibt. Sie sagen außerdem, daß dieses Vehikel das Subjekt der Martern ist, welche die Verworfenen vor der Wiederauferstehung erleiden. (…). Poiret antwortete,86 daß er mit den Lehren der Scholastiker nichts zu schaffen habe. (…). In Leibniz’ Lehre bereiten gewisse Dinge Schwierigkeiten, obwohl sie Umfang und Stärke seines Genies anzeigen. Er will z. B., daß die Seele eines Hundes unabhängig von Körpern handele, »daß alles in ihr aus ihr selbst stamme, durch eine vollkommene Spontaneität in Anbetracht ihrer selbst und gleichwohl mit einer vollkommenen Konformität zu den Außendingen. (---). Daß ihre inneren Perzeptionen ihr von ihrer eigenen ursprünglichen Konstitution zukommen, d. h. durch ihre vorstellende Natur (die fähig ist, die außer ihr befindlichen Wesen gemäß deren Beziehung auf ihre Organe auszudrücken), die ihr schon bei ihrer Schöpfung verliehen worden ist und die ihren individuellen Charakter ausmacht.«88 Daraus folgt, daß sie Hunger und Durst zu bestimmter Zeit verspüren würde, auch wenn es keinen Körper im Universum gäbe, auch wenn nichts außer Gott und ihr selbst existierte. Er hat seine Ansicht am Beispiel zweier Uhren erklärt,89 die vollkommen parallel laufen; d. h. er nimmt an, daß gemäß den besonderen Gesetzen, welche die Seele handeln lassen, sie zu bestimmter Zeit Hunger verspüren muß, und daß gemäß den besonderen Gesetzen, welche die Bewegung der Materie regeln, der Körper, der mit dieser Seele vereint ist, zur gleichen Zeit modifiziert werden muß, so wie er modifiziert ist, wenn die Seele Hunger verspürt. Ich werde damit warten, dieses Sy86 88 89

Ebd. Journal des savans vom 4. Juli 1695, S. 457. In der Histoire des ouvrages des savans, Februar 1696, S. 274 f.

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stem demjenigen der okkasionellen Ursachen vorzuziehen, bis sein tüchtiger Urheber es vervollkommnet hat. Ich vermag den Zusammenhang der internen spontanen Handlungen nicht zu verstehen, der bewirkt, daß die Seele eines Hundes Schmerz verspüren würde, unmittelbar nachdem sie Freude verspürt hat, selbst wenn diese Seele allein im Universum wäre. Ich verstehe, weshalb ein Hund unmittelbar von Lust zu Schmerz überwechselt, wenn er, weil er sehr hungrig war und Brot gefressen hat, plötzlich mit einem Stock geschlagen wird; aber daß seine Seele so eingerichtet sein soll, daß sie in dem Augenblick, wo er geschlagen wird, Schmerz empfände, auch wenn er nicht geschlagen würde, auch wenn er fortführe, ungestört und ungehindert Brot zu fressen, das kann ich nicht verstehen. Ich halte auch die Spontaneität dieser Seele mit den Schmerzempfindungen und überhaupt mit allen Wahrnehmungen, die ihr mißfallen, für unvereinbar. Außerdem scheint mir der Grund, weshalb dieser tüchtige Mann keinen Gefallen am cartesischen System findet, auf einer falschen Voraussetzung zu beruhen, denn man kann nicht sagen, daß das System der okkasionellen Ursachen das Handeln Gottes in die wechselseitige Abhängigkeit von Körper und Seele durch ein Wunder,90 Deus ex machina, eingreifen lasse. Denn weil Gott 具in diesem System 典 nur gemäß den allgemeinen Gesetzen eingreift, handelt er in ihm nicht auf außergewöhnliche Weise. Kennt denn die innere und aktive Kraft, die Leibniz zufolge den Formen der Körper mitgeteilt ist, die Folge der Handlungen, die sie hervorbringen muß? Keineswegs, denn uns ist aus Erfahrung bekannt, daß wir nicht wissen, ob wir in einer Stunde diese oder jene Wahrnehmungen haben werden. Also müssen die Formen durch irgendein äußeres Prinzip in der Hervorbringung ihrer Handlungen geleitet sein. Wäre das nicht genau der Deus ex machina des Systems der okkasionellen Ursachen?91 90

Ebd. Man ziehe die Einwände zu Rate, die Leibniz von Simon Foucher im Journal des savans vom 12. September 1695, S. 639f f. gemacht worden sind. 91

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Da er mit großem Recht voraussetzt, daß alle Seelen einfach und unteilbar sind, kann man schließlich nicht begreifen, wie sie mit einer Uhr verglichen werden können, d. h. wie sie durch ihre ursprüngliche Einrichtung ihre Handlungen variieren können, indem sie von der spontanen Aktivität Gebrauch machen, die sie von ihrem Schöpfer erhielten. Man begreift deutlich, daß ein einfaches Wesen immer gleichförmig handeln wird, wenn nicht eine äußere Ursache es davon abbringt. Wäre es wie eine Maschine aus mehreren Teilen zusammengesetzt, so würde es unterschiedlich handeln, weil die besondere Aktivität eines jeden Teils den Verlauf der Aktivität der anderen Teile in jedem Augenblick ändern könnte. Aber wo findet man in einer einigen Substanz die Ursache für den Wechsel einer Wirkungsweise?

(K) Das läßt mich die Freiheit nehmen, hier einige Ergänzungen anzubringen. Autoren, die geglaubt haben, die Seele der Tiere sei vernunftbegabt Wir wollen mit der Anführung der Autoren beginnen, die den Tieren eine vernünftige Seele zusprechen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand diesbezüglich übertriebenere Ansichten hatte als der Philosoph Celsus. Denn weil er dasjenige bekämpfen wollte, was die Christen sagen – daß alle Dinge für den Menschen gemacht worden sind –, bemüht er sich zu zeigen, daß die Tiere nicht weniger vortrefflich sind als der Mensch und daß sie diesen sogar übertreffen. Er spricht ihnen96 eine Art Regierung, die Beachtung der Gerechtigkeit und der Güte zu.97 Er behauptet, daß die Ameisen sich miteinander unterhalten. »Wenn sie sich treffen«, sagt er, »sprechen sie miteinander; so 96 97

gabe.

Den Bienen und den Ameisen. Man sehe Origenes, Contra Celsum, Buch IV, S. 180 meiner Aus-

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kommt es, daß sie sich auf ihrem Weg nicht verirren. Sie besitzen also Vernunft in all ihren Graden, sie haben natürlicherweise Begriffe von bestimmten allgemeinen Wahrheiten, sie haben den Gebrauch der Sprache, sie haben Kenntnis von zufälligen Dingen, sie verstehen es, sich auszudrücken.«98 Er versichert,99 daß es Tiere gibt, »welche die Geheimnisse der Magie kennen,100 so daß sich die Menschen derselben nicht als eines Vorteils rühmen können, den sie vor den Tieren hätten«. Er spricht folgendermaßen davon: »Wenn der Mensch sich etwas darauf einbildet, die Geheimnisse der Magie zu kennen, so wissen die Schlangen und die Adler davon noch mehr als er. Denn sie haben mehr Schutzmittel gegen Gifte und Krankheiten. Sie kennen die Kraft bestimmter Steine zur Heilung ihrer Jungen, welche die Menschen so hoch schätzen, daß sie, wenn sie welche davon finden, glauben, einen Schatz gefunden zu haben (---).«101 Weil er sehr ausführlich zeigen will, daß die Menschen unter dem Vorwand, die Gottheit zu erkennen, nicht behaupten dürfen, dadurch über alle sterblichen Wesen erhaben zu sein – weil es vernunftlose Tiere gibt, die einen reinen und deutlichen Begriff von der Gottheit haben, wohingegen die Allerscharfsinnigsten unter den Griechen wie unter den Barbaren allenthalben so viele Dispute hierüber führen –, fügt er hinzu: »Wenn man den Menschen über die anderen Lebewesen erheben will, weil er fähig ist, die Gottheit zu erkennen und von ihr einen Begriff und einen Eindruck zu empfangen, so möge man wissen, daß es mehrere unter denselben gibt, die sich denselben Vorteil nicht ohne Grund zuschreiben können. Denn was gibt es Göttlicheres, als die Zukunft vorherzusehen und vorauszusagen? Nun sind die anderen Lebewesen, und besonders die Vögel, hierin die Lehrmeister der Menschen; und die Kunst unserer Wahrsager besteht lediglich darin, das zu verstehen, was diese Tiere sie lehren. Die Vögel also und die 98 99 100 101

A. a.O., S. 181 f. Ich benutze die Übersetzung von Bouhéreau. A. a.O., S. 182. Er meint die natürliche Magie. A. a.O., S. 183 f.

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anderen zum Wahrsagen geeigneten Tiere, denen Gott die Zukunft entdeckt, zeigen sie uns durch Zeichen und Symbole. Das ist ein Beweis, daß sie auf natürliche Weise mehr und näheren Umgang mit der Gottheit haben als wir, daß sie uns an Wissen überlegen und Gott lieber sind als wir. Die erleuchtetsten Menschen sagen auch, daß diese Tiere auf eine bei weitem heiligere und edlere Art und Weise als wir miteinander kommunizieren und daß sie ihrerseits deren Sprache verstehen. Das beweisen jene Leute dadurch, daß sie uns im Anschluß an die Mitteilung, daß die Vögel sagen, sie würden an einen bestimmten Ort fliegen und dort bestimmte Dinge tun, zeigen, daß sie sich tatsächlich dorthin begeben und derartige Dinge tun. Was die Elefanten betrifft, so gibt es kein Geschöpf, das größeren religiösen Respekt für Eidschwüre zeigte oder das eine unverletzlichere Treue Gott gegenüber bezeugte. Das kann zweifellos nur daher kommen, daß sie ihn erkennen.« Ich berichte nicht, was Origenes auf all dies antwortet; es genügt, wenn ich darauf hinweise, daß er es in dem Werk widerlegt, das er gegen Celsus geschrieben hat. Saumaise muß zu den Modernen gezählt werden, die geglaubt haben, die Tiere seien mit Vernunft ausgestattet. Er schreibt, daß die Beispiele, die das beweisen können, ein Buch füllen würden.103 Osiander hat diese Meinung verworfen. Man sehe seine Anmerkungen zu Grotius’ Werk De jure belli ac pacis in dem Kapitel, wo er die Definition des Naturrechts zurückweist (…). Diese Definition setzte fest, daß Menschen und Tiere am Naturrecht teilhaben. Die meisten von denen, die ihr folgen, gründen ihre Ansicht auf die Lehre, daß den Tieren der Gebrauch der Vernunft nicht fehlt; aber die meisten von denen, die diesen Begriff des Naturrechts zurückweisen, gründen ihre Ansicht auf die gegenteilige Lehre. Osiander zählt zu den letzteren.105 Er hält es für gut, daß Grotius Justinians Definition nicht gebilligt hat, worin ihm, wie er sagt, Laurentius Man sehe 具Johann Adam 典 Osiander, Annotationes in librum Grotii de jure belli ac pacis, S. 213. 105 A. a.O., S. 206 ff. 103

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Valla, François Conan, Domingo de Soto und viele andere als Wegweiser gedient haben. (…). Jean Antoine Capella, ein neapolitanischer Arzt, veröffentlichte 1641 ein Opusculum paradoxicum quod ratio participetur a brutis.107 Ich habe dieses Buch nicht gelesen und kann deshalb nicht sagen, welchen Weg der Verfasser eingeschlagen hat. Die Lehre von Willis kenne ich besser. Er behauptet, daß die Seele der Tiere aus Organen zusammengesetzt und von der Gestalt und der Größe des Körpers ist, den sie belebt, aber nicht so dick ist; daß ihre Teile so fein sind, daß man sie nicht sehen kann und daß sie sich leicht zerstreuen würden, wenn der Körper des Tieres sie nicht zusammenhielte. (…).108 Er spricht dieser Seele eine Art Räsonnement zu, das er sogar analysiert.109 Er behauptet, daß es im Menschen eine dieser ganz gleiche Seele gibt und darüber hinaus eine geistige Seele. Er beansprucht, mit diesen zwei Seelen den Kampf zu erklären, den wir in uns selbst wahrnehmen und den die anderen Philosophen mit dem oberen und dem unteren Vermögen einer einfachen und einigen geistigen Substanz erklären, die sie »die vernünftige Seele« nennen.110 Mit Verlaub: diese Methode, den Kampf der Vernunft und der sinnlichen Seele zu erklären, vermag nicht zu befriedigen, denn jeder erfährt an sich selbst, daß das Prinzip, das die fleischlichen Lüste begehrt, der Zahl nach dasselbe ist wie das Prinzip, das sich diesem Verlangen widersetzt und es bisweilen überwältigt, öfter aber von ihm überwältigt wird. Wir würden diese Einheit des Prinzips nicht bemerken, wenn wir zwei wirklich voneinander verschiedene Arten von Seele hätten. Wenn er antwortete, daß die eine in der anderen ihre Empfindungen und Leidenschaften hervorbrächte, so würde ich erwidern, daß es dann in jedem Menschen zwei Substanzen gäbe, die dasselbe wollen. Nun hat aber niemals jemand diese zwei voneinander verschie107

Nicolò Toppi, Biblioteca napoletana, S. 124. Thomas Willis, De anima brutorum, Teil I, Kap. 2, S. 14 f. meiner Ausgabe. 109 A. a.O., Kap. 6, S. 91 f. 110 A. a.O., Kap. 7. 108

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denen Prinzipien wahrgenommen. Ferner, wenn eine körperliche Seele der geistigen Seele des Menschen ein fleischliches Verlangen mitteilen könnte, so könnte es der Körper ebenfalls; und folglich vervielfacht man die Wesenheiten ohne Not, indem man dem Menschen einen Körper, eine sinnliche Seele und eine vernünftige Seele zuspricht. Aber wir wollen diese Streitereien auf sich beruhen lassen und uns einer anderen Sache zuwenden. Willis merkt an, daß Digby bezüglich der Seele der Tiere die Meinung von Pereira und Descartes vertreten hat. »Pereira (---) behauptete, daß die Tiere ohne jede Erkenntnis und ohne jede Wahrnehmung sind. In diesem Jahrhundert sind ihm die berühmtesten Männer – Descartes, Digby und andere – unmittelbar gefolgt, die in der Absicht, die Seele der Tiere nach Kräften von der menschlichen zu unterscheiden, behaupteten, daß sie nicht nur körperlich und teilbar, sondern auch lediglich passiv ist.«111 Kurz darauf wird der Unterschied zwischen Descartes und Digby erklärt und es wird gezeigt, daß letzterer den Tieren weder die Empfindung noch das Gedächtnis abspricht. Es ist also nicht zutreffend, daß Digby beiden, Pereira und Descartes, gefolgt wäre. Weshalb sagt Willis es dann? (…). Wir wollen schließen, daß Digby nicht in das Verzeichnis derer aufgenommen werden darf, die Tiere für Automaten halten. Locke hat sich gegen diejenigen ausgesprochen, die den Tieren keine Vernunft zubilligen. Die folgenden Worte zeigen, worin ihm zufolge der Unterschied zwischen Menschen und Tieren besteht. »Die Fähigkeit, allgemeine Begriffe zu bilden, markiert einen völligen Unterschied zwischen dem Menschen und den Tieren. Sie ist eine herausragende Eigenschaft, welche die Tiere auf keinerlei Weise mittels ihrer Fähigkeiten erlangen können. Denn es ist evident, daß wir bei den Tieren nicht die geringsten Anzeichen bemerken, die uns zu erkennen geben könnten, daß sie sich allgemeiner Zeichen bedienen, um allgemeine Begriffe zu bezeichnen; und weil sie weder den Gebrauch der Worte noch den anderer allgemeiner Zeichen kennen, nehmen wir zu Recht an, daß sie nicht die Fähigkeit besit111

A. a.O., Kap. 1, S. 5 f.

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zen, zu abstrahieren und allgemeine Begriffe zu bilden.113 (---). Wir können also meiner Meinung nach davon ausgehen, daß die Tiere sich hierin vom Menschen unterscheiden. Hierin liegt, sage ich, der eigentliche Unterschied, durch den diese beiden Arten von Geschöpfen völlig voneinander getrennt sind und der letztendlich einen so großen Abstand zwischen ihnen setzt. Denn wenn die Tiere irgendwelche Begriffe haben und nicht reine Maschinen sind, wie einige behaupten, so können wir nicht leugnen, daß sie in einem gewissen Grade Vernunft haben. Für meine Person erscheint es mir ebenso evident, daß sie räsonieren, wie daß sie Empfindungen haben. Aber sie räsonieren ausschließlich in besonderen Ideen, so wie ihre Sinne sie ihnen vorstellen. Noch die vollkommensten unter den Tieren sind in diese engen Grenzen eingeschlossen und verfügen meiner Ansicht nach nicht über die Fähigkeit, sie durch irgendeine Art von Abstraktion zu erweitern.«114

Autoren, welche die Handlungen der Tiere einem äußeren Prinzip zugeschrieben haben In den Nouvelles de la république des lettres115 ist der Abriß eines Buchs mit dem Titel Essais nouveaux de morale erschienen, das 1686 in Paris gedruckt wurde. Der Verfasser, der auf der einen Seite verneint, daß die Tiere eine zum Denken befähigte Seele hätten, räumt auf der anderen Seite ein, daß ihre Handlungen durch eine »äußere Vernunft« gelenkt sind und daß »diese Vernunft und diese Weisheit, die sie leiten, vorzüglicher und zuverlässiger sind als die des Menschen.116 (---). Die

113

Locke, Essai philosophique concernant l’entendement humain, Buch II, Kap. 11, S. 170 meiner Ausgabe. Dies ist ein vorzügliches Werk, das eine ebenso gute französische Übersetzung verdient hat, wie Coste sie gemacht hat. 114 A. a.O., S. 171. 115 Im Monat Oktober 1686, S. 1196 ff. 116 Essais nouveaux de morale, S. 30.

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Vernunft«, fährt er fort,117 »die in den Tieren handelt, liegt nicht in ihnen, (---), es ist, wie der hl. Thomas im Anschluß an alle alten Kirchenväter sagt, die höchste und ewige Vernunft des obersten Werkmeisters, der seine Werke erhält und sie zu den Zwecken, für die er sie erschaffen hat, durch geheime Mittel führt, die er in sie gelegt hat und die je nach den verschiedenen Anlässen bestimmt sind, je nach Erfordernis tausenderlei Arten verschiedener Bewegung herbeizuführen.« Man füge dem die folgenden Worte von Bernard hinzu: »Die Philosophen, die am festesten entschlossen sind zu glauben, die Tiere seien lediglich reine Maschinen, müssen freimütig gestehen, daß die Tiere verschiedene Handlungen ausführen, deren Mechanismus sie nicht erklären können. Es wäre viel einfacher, sich mit der allgemeinen Aussage zu begnügen, daß Gott, der wollte, daß ihre Maschine eine Zeitlang besteht, ihre Teile durch seine unendliche Weisheit dieser Absicht gemäß angeordnet hat. Ich glaube, irgendwo die These ›Gott ist die Seele der Tiere‹ gelesen zu haben. Dieser Ausdruck ist ein wenig hart, aber er kann einen sehr guten Sinn erhalten.«118 Grotius hat gesagt, daß gewisse Handlungen der Tiere, durch die sie ihre besonderen Interessen zugunsten derjenigen von anderen zurückstellen, aus einer äußeren Intelligenz hervorgehen. (…).119 Kaspar Ziegler beklagt sich in seiner Anmerkung zu dieser Passage darüber, daß Grotius seine Meinung über die Natur dieses äußeren Prinzips nicht deutlicher dargelegt hat. Wenn es die göttliche Vorsehung ist, so fährt er fort, dann setzt sich Grotius den scharfen Attacken des Doktor Huarte120 aus, der gezeigt hat, daß ein Philosoph die Phänomene keinesfalls durch das unmittelbare Handeln Gottes erklären darf. Er führt zwei Schriftsteller an, welche die ganze Geschicklichkeit der Tiere auf den natürlichen Instinkt zurückgeführt haben, und billigt ihre Meinung. Osiander hat Grotius weitläufig wider117 118 119 120

A. a.O., S. 32. Nouvelles de la république des lettres, Oktober 1700, S. 419 f. Grotius, De jure belli ac pacis, Einleitung, § 7. In Kap. 7 des Examen des esprits.

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legt, und er hat u. a. gesagt, daß dieses äußere Prinzip entweder Gott, ein Engel oder die universelle Form des Averroës sein müßte, daß aber keine dieser drei Annahmen zugelassen werden dürfe.122 A propos Averroës: Ich muß hier sagen, daß er ein äußeres Prinzip der menschlichen Intelligenz annimmt, das allen besonderen Geistern gemeinsam ist und das auch die Tiere und die Steine beeinflußt. Aber weil er anerkannte, daß dieser Einfluß bei den Tieren und den empfindungslosen Geschöpfen unfruchtbar blieb, da er auf eine schlecht vorbereitete Materie traf, kann man nicht folgern, daß er den Tieren größere Vollkommenheit beilegte, als die Scholastiker es taten. (…). Vigneul Marville124 berichtet von einem Philosophen, der, um in Rohaults Gesprächen zu erklären, wie die Tiere, die bloße Automaten seien, trotzdem so handeln, als ob sie eine Seele hätten, auf die Hypothese des Comte de Gabalis zurückgriff und sie durch Ausweitung seinem Zweck dienlich machte; d. h. er nahm an, daß gewisse Elementargeister sich befleißigen, nach den Regeln der Mechanik alle Maschinen der Tiere spielen zu lassen. Er hat seine Rede sehr einfallsreich abgefaßt, und sie verdiente, daß Pequet zu ihrem Urheber sagte, daß »wenn dieses hübsche System nicht wahr wäre, es wenigstens gut erfunden wäre.«125 Ich zweifle nicht, daß es einigen Leuten gefallen könnte. Wenn es hier aber aufs Disputieren ankäme, so wäre leicht zu beweisen, daß es nicht in der Lage ist, die Phänomene zu erklären, und daß es in bestimmten Hinsichten weit verworrener ist als dasjenige des Descartes. Die größte Unannehmlichkeit für die Cartesianer besteht nicht darin, daß sich die Tiere ohne weiteres auf abertausendfache Weise bewegen, sondern darin, daß sie verschiedene Anzeichen von Freundschaft, Haß, Freude, Eifersucht, Furcht, Schmerz usw. geben. Das System der Elementargeister taugt nicht zur Er具Johann Adam 典 Osiander, Annotationes in librum Grotii de jure belli ac pacis, S. 48 ff. 124 Mêlanges d’histoire et de littérature, Bd. I, S. 100 ff. der Ausgabe Rouen 1700. 125 A. a.O., S. 106. 122

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klärung hierfür, weil die Behauptung lautet, daß diese die Mechanismen der Tiere nur spielen lassen, um sich selbst in einen angenehmen Zustand zu versetzen. Sie wären also nicht töricht genug, sich der Empfindung des Hungers oder der Kälte auszusetzen oder dem Schmerz, den Stockschläge usw. verursachen. Man müßte folglich annehmen, daß sich keine dieser Empfindungen bei den Tieren findet, und dann sind die ganzen Schwierigkeiten wieder da. Oder man müßte sagen, daß diese Geister dazu verurteilt sind, die Maschinen der Tiere zu lenken, damit sie ihre Sünden durch die Erduldung all der Leidenschaften büßen, welche die Peripatetiker den Tieren zusprechen, was der Voraussetzung des Philosophen entgegensteht, der auf die Hypothese von Gabalis zurückgegriffen hat. Ich übergehe einige andere ebenso große Schwierigkeiten, die man diesem angeblich »gut erfundenen« System entgegenhalten kann. Autoren, die behauptet haben, die Tiere seien nur Automaten, oder die hiergegen geschrieben haben Man kann in den Nouvelles de la république des lettres126 sehen, daß Vallade, Autor einer philosophischen Abhandlung über die Schöpfung und Einrichtung der Welt, die erstaunlichsten Handlungen der Tiere mechanistisch erklärt hat. Dasselbe Journal127 teilt uns mit, daß man de la Bruyère wegen seiner Behauptung kritisiert hat, die Tiere seien nichts weiter als Materie. Man findet in dem schönen Werk von François Lamy, einem Benediktiner der Ordensgesellschaft von St. Maur, eine Erläuterung über die Selbsterkenntnis,129 »in der gezeigt wird, daß man keinerlei verläßlichen Grund hat, der Tierseele Erkenntnis oder Unsterblichkeit beizulegen; wohingegen man vernünftigerweise nicht umhin kann, beides der Menschenseele zuzusprechen«. Diese Erläuterung ist sehr lesenswert, vor al126 127 129

Im Monat Oktober 1700, S. 419. April 1701, S. 433 ff. In Bd. V, S. 526 ff. der Ausgabe Paris 1698.

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lem deshalb, weil man in ihr die Auflösung der allergrößten Schwierigkeit des Systems der Automaten findet. Denn der Autor zeigt uns, daß jedermann sich durch sehr starke Gründe überzeugen kann, daß die anderen Menschen nicht einfache Maschinen sind; und doch bemühen sich die Gegner, genau das aus der Annahme zu folgern, daß die Tiere aus so gut angeordneten Organen zusammengesetzt sind, daß sie ohne Erkenntnis alles das zu tun vermögen, was wir sie tun sehen. Wenn Gott, so sagen sie, eine derartige Maschine bauen konnte, dann könnte er auch andere bauen, die all die Handlungen der Menschen ausführten, und folglich könnten wir nur unseres eigenen Denkens versichert sein und müßten zweifeln, daß die anderen Menschen denken. Père Gisbert, königlicher Professor an der Universität von Toulouse, ist einer von denen, die Bücher gegen die Ansicht der Cartesianer über die Tierseele veröffentlicht haben.130 Man beachte, daß diese Meinung in einem Philosophiekurs behauptet worden ist,131 der in Paris am Collège des Quatre Nations diktiert und im Jahr 1695 in der gleichen Stadt unter dem Titel Institutio philosophica ad faciliorem veterum ac recentiorum philosophorum lectionem comparata gedruckt wurde. Er umfaßt vier Duodezbände. Im dritten Band handelt er von Seite 271 bis Seite 292 über die empfindende Seele. Ich zweifle nicht, daß Bayle, Doktor der Medizin und Professor der Freien Künste in Toulouse, wegen dieses Punktes das cartesische System in seiner Physik angenommen hat, die er vor kurzem in drei Quartbänden publizierte.132 Ich könnte eine lange Ergänzung zu dem anfügen, was ich über die Meinung von Poiret gesagt habe,133 aber ich will sie

130

Man sehe das Journal des savans vom 16. Januar 1690, S. 49 der holländischen Ausgabe. 131 Von Pourchot. 132 Man sehe den Abriß des ersten Bandes in den Nouvelles de la république des lettres, Februar 1701, S. 209 ff. Dieser Abriß vermittelt einen großartigen Eindruck von der Qualität des Werks. 133 Oben, im ersten 具recte: zweiten. Hgg. 典 Absatz der Anmerkung (H).

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lieber unterdrücken und nur auf einen Schriftsteller hinweisen134, der eine große gelehrte Sammlung über die platonische Lehre von der ätherischen Materie zusammengetragen hat, welche die Seelen bei ihrem Eintritt in den Körper und bei ihrem Austritt begleitet.

(L) Auf die Bemerkungen, die ich über die Betrachtungen von Leibniz machen werde. Ich beginne mit der Erklärung, daß ich mich wegen der kleinen Schwierigkeiten, die ich gegen das System dieses großen Philosophen vorgebracht habe, sehr glücklich schätze, denn sie haben Anlaß zu Antworten gegeben, die mir diese Theorie deutlicher gemacht haben und mich das Schätzenswerte an ihr viel klarer erkennen ließen. Ich betrachte dieses neue System gegenwärtig wie eine wichtige Eroberung, welche die Grenzen der Philosophie erweitert. Wir hatten nur zwei Lehren, diejenige der Schulphilosophie und diejenige der Cartesianer; die erste war der Weg des Einflusses des Körpers auf die Seele und der Seele auf den Körper, der andere war der Weg des Beistands oder der okkasionellen Verursachung. Aber hier ist eine neue Errungenschaft, diejenige nämlich, die man mit Père Lamy den Weg der prästabilierten Harmonie nennen kann.135 Wir haben sie Leibniz zu verdanken; und man kann sich nichts anderes ausdenken, was eine derart erhabene Vorstellung von der Intelligenz und Macht des Urhebers aller Dinge gibt. Zusammen mit dem Vorteil, daß durch dieses neue System alle Wunder ferngehalten werden, würde mich das dazu bringen, es dem System der Cartesianer vorzuziehen, wenn ich den Weg der prästabilierten Harmonie nur als irgendwie möglich erkennen könnte. Man beachte, daß ich durch das Zugeständnis, 134

Renatus Vallinus, Ad librum III Boëtii de consolatione philosophiae, S. 62 ff. 135 François Lamy, zweite Abhandlung von De la connaissance de soi-même, S. 226 der Ausgabe von 1699.

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daß dieser Weg jede Erwägung eines wunderartigen Eingreifens fernhält, dasjenige nicht widerrufe, was ich früher gesagt habe, daß nämlich das System der okkasionellen Ursachen Gottes Handeln nicht durch Wunder geschehen läßt.136 Ich bin mehr denn je davon überzeugt, daß Gott, damit eine Handlung ein Wunder ist, sie als eine Ausnahme zu den allgemeinen Gesetzen hervorbringen muß, und daß alle Dinge, deren unmittelbarer Urheber er gemäß diesen Gesetzen ist, von einem Wunder im eigentlichen Wortsinn verschieden sind. Weil ich aber von diesem Disput so viele Fragen fernhalten will, wie ich nur kann, stimme ich dem Satz zu, daß das sicherste Mittel, um alle Vorstellungen von Übernatürlichem fernzuhalten, die Annahme ist, daß die geschaffenen Substanzen auf aktive Weise die unmittelbaren Ursachen der Wirkungen der Natur sind. Ich unterdrücke folglich, was ich auf diesen Teil der Antwort von Leibniz erwidern könnte. Ich enthalte mich ferner aller Einwände, die seiner Ansicht nicht mehr entgegengesetzt sind als derjenigen einiger anderer Philosophen. Ich werde also nicht die Schwierigkeiten anführen, die der Annahme entgegenstehen, das Geschöpf könnte von Gott die Kraft erhalten, sich zu bewegen. Sie sind groß und beinahe unüberwindlich;137 aber das System von Leibniz ist ihnen nicht stärker ausgesetzt als das der Peripatetiker, und ich weiß nicht einmal, ob die Cartesianer zu sagen wagen würden, daß Gott unserer Seele nicht die Kraft zu handeln mitteilen kann. Wenn sie es tun, wie können sie dann behaupten, daß Adam sündigte? Und wenn sie es nicht zu tun wagen, so entkräften sie die Gründe, mit denen sie beweisen wollen, daß die Materie für keinerlei Art Tätigkeit 136

Man sehe die von Leibniz in der Histoire des ouvrages des savans, Juli 1698, veröffentlichte Abhandlung, S. 334. 具Es handelt sich um das Eclaircissement des difficultés que Monsieur Bayle a trouvées dans le systeme nouveau de l’union de l’ame et du corps. Hgg. 典 137 Man sehe Sturmius in Bd. I seiner Physica electiva sive hypothetica (von der sich ein Abriß in den Leipziger Acta Eruditorum 1697, S. 474 ff. findet) und in seiner Abhandlung, die er 1699 in dem Leipziger Journal veröffentlicht hat, S. 208 ff., um auf eine Abhandlung von Leibniz zu antworten, die in demselben Journal 1698, S. 427 ff. erschienen war.

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empfänglich ist. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß es für Leibniz leichter als für die Cartesianer oder für andere Philosophen wäre, sich vor dem Einwand des schicksalhaften Mechanismus, der Zerstörung der menschlichen Freiheit, zu schützen. Lassen wir das also unberücksichtigt und sprechen wir lediglich von dem, was dem System der prästabilierten Harmonie eigentümlich ist. I. Meine erste Bemerkung lautet, daß es die Macht und die Weisheit der göttlichen Kunst über alles Vorstellbare hinaus erhebt. Man stelle sich ein Schiff vor, das ohne jede Empfindung und Erkenntnis sowie ohne von irgendeinem geschaffenen oder ungeschaffenen Wesen gelenkt zu werden die Kraft hätte, sich selbst so zu bewegen, daß es stets günstigen Wind hätte, Strudel und Klippen vermiede, den Anker würfe, wo es sein muß, und sich zur gebotenen Zeit in einen Hafen rettete; angenommen, daß ein derartiges Schiff auf diese Weise mehrere Jahre nacheinander herumführe, wobei es sich stets so drehte und wendete, wie es mit Blick auf die wechselnden Winde und die verschiedenen Bedingungen der Meere und Küsten erforderlich wäre, so würde man zustimmen, daß die Unendlichkeit Gottes nicht groß genug ist, um einem Schiff eine solche Fähigkeit zu verleihen, und man würde sogar sagen, daß die Natur des Schiffes nicht fähig ist, diese Kraft von Gott zu erhalten. Indessen ist das, was Leibniz von der Maschine des menschlichen Körpers annimmt, weit wunderbarer und viel erstaunlicher als alles dies. Wir wollen sein System der Vereinigung von Seele und Körper auf die Person Cäsars anwenden. II. Diesem System zufolge muß man sagen, daß der Körper von Julius Cäsar seine Bewegungsfähigkeit derart ausgeübt hat, daß er von seiner Geburt bis zu seinem Tod einer kontinuierlichen Reihe von Veränderungen folgte, die mit äußerster Genauigkeit den fortwährenden Veränderungen einer gewissen Seele entsprachen, die er nicht kannte und die nicht den geringsten Eindruck auf ihn ausübte. Man muß sagen, daß die Regel, der zufolge diese Fähigkeit des Körpers Cäsars seine Handlungen hervorbringen mußte, so beschaffen war, daß er an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde in den

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Senat ging, daß er dort diese und jene Sätze sprach usw., auch wenn es Gott gefallen hätte, die Seele Cäsars am Tage nach ihrer Schöpfung zu vernichten. Man muß sagen, daß sich diese bewegende Kraft genau gemäß der Beweglichkeit der Gedanken dieses ehrgeizigen Geistes geändert und modifiziert hat und daß sie sich lieber in einen genau bestimmten Zustand versetzte als in jeden anderen, weil die Seele Cäsars von einem bestimmten Gedanken zu einem bestimmten anderen Gedanken überwechselte. Kann sich eine blinde Kraft so genau infolge eines Eindrucks modifizieren, der ihr dreißig oder vierzig Jahre zuvor mitgeteilt, seitdem niemals erneuert wurde und der sich selbst überlassen blieb, ohne daß er jemals wußte, was seine Aufgabe war? Ist das nicht bei weitem unverständlicher als die Schiffsreise, von der ich im voranstehenden Absatz gesprochen habe? III. Was die Schwierigkeit noch vermehrt, ist der Umstand, daß eine menschliche Maschine eine beinahe unendliche Anzahl von Organen enthält und unaufhörlich dem Stoß der Körper ausgesetzt ist, die sie umgeben138 und die durch eine unzählbare Mannigfaltigkeit von Erschütterungen tausend Arten von Modifikationen in ihr hervorrufen. Wie ist es möglich zu begreifen, daß in dieser prästabilierten Harmonie niemals Unordnung entsteht, daß sie auch in einem noch so langen Leben des Menschen stets ihren Weg nimmt, und zwar ungeachtet der unendlichen Mannigfaltigkeiten in der wechselseitigen Wirkung so vieler Organe aufeinander, von allen Seiten umgeben von einer Unendlichkeit von Korpuskeln, die bald kalt, bald heiß, bald trocken, bald feucht und immer tätig sind und 138

Man beachte, daß Leibniz zufolge dasjenige, was in einer jeden Substanz aktiv ist, etwas ist, das auf eine wahre Einheit reduziert werden muß. Weil der Körper eines jeden Menschen aus verschiedenen Substanzen zusammengesetzt ist, muß folglich eine jede ein Handlungsprinzip haben, das real verschieden von dem Handlungsprinzip einer jeden anderen ist. Er will, daß die Handlung eines jeden Prinzips spontan sei. Das nun muß ihre Wirkungen unendlich verändern und stören, denn der Stoß der benachbarten Körper muß einen gewissen Zwang auf die natürliche Spontaneität eines jeden ausüben.

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die Nerven immer reizen, sei es auf diese oder auf jene Art? Ich räume ein, daß die Vielfalt der Organe und die Vielfalt äußerer Wirkkräfte ein notwendiges Instrument für die beinahe unendliche Mannigfaltigkeit der Veränderungen des menschlichen Körpers sind. Aber kann diese Mannigfaltigkeit die Genauigkeit haben, die hier erforderlich ist? Wird sie niemals die Übereinstimmung dieser Veränderungen und derjenigen der Seele stören? Das erscheint völlig unmöglich. IV. Vergeblich verweist man für die Behauptung, die Tiere seien lediglich Automaten, auf die Macht Gottes; vergeblich stellt man sich vor, Gott habe so kunstvoll gearbeitete Maschinen bauen können, daß die Stimme eines Menschen, das reflektierte Licht eines Gegenstandes usw. sie genau dort erreicht, wo es sein muß, damit sie sich auf diese oder jene Weise bewegen. Abgesehen von einer Gruppe Cartesianer lehnt alle Welt diese Annahme ab; und kein Cartesianer hat sie annehmen wollen, wenn man sie bis auf den Menschen ausdehnt, d. h. wenn man behaupten wollte, Gott habe Körper schaffen können, die auf mechanische Weise alles das machen, was wir andere Menschen tun sehen. Indem dies verneint wird, behauptet man nicht, der göttlichen Macht und dem göttlichen Wissen Grenzen zu ziehen; es soll lediglich zum Ausdruck gebracht werden, daß die Natur der Dinge verlangt, daß die dem Geschöpf mitgeteilten Fähigkeiten notwendigerweise gewisse Grenzen haben. Es ist mit höchster Notwendigkeit erforderlich, daß die Handlung des Geschöpfs seinem wesensgemäßen Zustand entspricht und daß sie der Eigentümlichkeit gemäß ausgeführt wird, die einer jeden Maschine zukommt. Denn einem Axiom der Philosophen zufolge entspricht alles, was empfangen wird, der Aufnahmefähigkeit des Subjekts.139 Leibnizens Lehre kann daher als unmöglich zurückgewiesen werden, weil sie größere Schwierigkeiten enthält als die Lehre von den Automaten. Sie setzt eine beständige Harmonie zwischen zwei Substanzen fest, die nicht aufeinander wirken. Wenn aber Diener Maschinen wären und pünktlich dieses oder jenes ausführ139

»Quidquid recipitur, ad modum recipientis recipitur.«

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ten, wann immer ihr Herr es ihnen befiehlt, so geschähe das nicht ohne eine wirkliche Einwirkung ihres Meisters auf sie. Er spräche Worte aus und gäbe Zeichen, welche die Organe der Diener wirklich in Bewegung setzen würden. V. Betrachten wir jetzt die Seele Cäsars, so werden wir auf noch mehr Unmöglichkeiten stoßen. Diese Seele war in der Welt, ohne dem Einfluß irgendeines Geistes ausgesetzt zu sein. Die Kraft, die sie von Gott empfangen hatte, war das alleinige Prinzip der besonderen Handlungen, die sie in jedem Augenblick ausführte, und wenn diese Handlungen voneinander unterschieden waren, so rührte das nicht daher, daß die einen durch das Zusammenwirken einiger Springfedern hervorgebracht waren, die nicht zur Hervorbringung anderer beitrugen, denn die Seele des Menschen ist einfach, unteilbar und immateriell. Leibniz räumt das ein, und wenn er es nicht einräumte, sondern im Gegenteil mit den meisten Philosophen und mit einigen der hervorragendsten Metaphysiker unseres Jahrhunderts140 annähme, daß ein aus mehreren materiellen Teilen nach bestimmter Art angeordnetes Zusammengesetztes fähig ist zu denken, so würde ich schon deswegen seine Lehre als vollkommen unmöglich betrachten; und es würden sich viele andere Wege zu ihrer Widerlegung anbieten, die ich hier nicht anführen muß, weil er die Immaterialität unserer Seele anerkennt und darauf aufbaut. Kehren wir zur Seele von Julius Cäsar zurück. Wir wollen sie einen immateriellen Automaten141 nennen und sie mit einem Atom Epikurs vergleichen (ich meine ein Atom, das von allen Seiten vom Vakuum umgeben ist und das niemals auf ein anderes Atom trifft). Der Vergleich ist sehr berechtigt, denn auf der einen Seite hat dieses Atom eine natürliche Kraft, sich zu bewegen und übt sie ohne irgendwelchen Beistand aus und ohne von irgend etwas gebremst oder behindert zu werden; und auf der anderen Seite ist die Seele 140

Z. B. Locke. Leibniz bedient sich dieses Ausdrucks in seiner Abhandlung, die in der Histoire des ouvrages des savans, Juli 1698, abgedruckt ist, S. 338. »Die Seele«, sagt er, »ist ein höchst vollkommener immaterieller Automat«. 141

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Cäsars ein Geist, der die Fähigkeit zur Hervorbringung von Gedanken erhalten hat, die er ohne den Einfluß irgendeines anderen Geistes oder Körpers ausübt. Nichts hilft ihm, nichts behindert ihn. Wenn man die Gemeinbegriffe und die Vorstellungen der Ordnung zu Rate zieht, so findet man, daß dieses Atom niemals stillstehen darf und daß es, weil es sich im vorangehenden Augenblick bewegt hat, sich auch in diesem und in allen folgenden Momenten bewegen und daß die Art seiner Bewegung immer die gleiche bleiben muß. Das ist die Folge eines von Leibniz gebilligten Axioms, wonach »wir daraus, daß ein Ding beständig in dem Zustand bleibt, in dem es einmal ist, wenn nichts eintritt, das es zu einem Wechsel veranlaßt,142 (---) schließen«, sagt er,143 »nicht nur, daß ein in Ruhe befindlicher Körper immer in Ruhe bleiben wird, sondern außerdem, daß ein in Bewegung befindlicher Körper immer diese Bewegung oder diese Veränderung behalten wird, d. h. dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Richtung, wenn nichts eintritt, was ihn hindert«. Jedermann erkennt klar, daß dieses Atom, ob es sich nun aufgrund einer angeborenen Kraft bewegt, wie Demokrit und Epikur behaupten, oder ob es sich durch eine vom Schöpfer erhaltene Kraft bewegt, sich stets gleichförmig und auf gleiche Art und Weise in derselben Richtung fortbewegen wird, ohne sich jemals nach rechts oder links zu wenden oder zurückzulaufen. Man hat über Epikur gespottet, als er die Deklinationsbewegung erfand.144 Er nahm sie willkürlich an, um zu versuchen, aus dem Labyrinth der schicksalhaften Notwendigkeit aller Dinge herauszukommen, und konnte nicht den geringsten Grund für diesen neuen Teil seiner Theorie anführen. Sie verletzte die evidentesten Begriffe unseres Geistes,

142

Die in der Histoire des ouvrages des savans, Juli 1698 veröffentlichte Abhandlung, S. 331. 143 Leibniz erklärt a. a.O., daß er diesem Axiom zustimmt, und fügt hinzu: »Ich behaupte sogar, daß es mir zustatten kommt, weil es in der Tat eine meiner Grundlagen ist.« 144 Man sehe oben den Artikel EPIKUR, Anmerkung (U), im ersten Absatz. 具Diese Anmerkung nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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denn man begreift ganz klar, daß ein Atom, das sich zwei Tage lang auf einer geraden Linie fortbewegt hat, entweder, um am Anfang des dritten Tages von seinem Weg abzuweichen, auf irgendein Hindernis treffen oder von irgendeiner Lust ergriffen werden muß, seinen Weg zu verlassen, oder daß es eine Springfeder in sich enthalten muß, die genau in diesem Augenblick zu wirken beginnt. Der erste dieser Gründe ist mit dem Vakuum unverträglich. Der zweite ist unmöglich, weil ein Atom nicht die Kraft zu denken hat. Der dritte ist in einer absolut einfachen Korpuskel gleichermaßen unmöglich. Wir wollen von alledem einigen Gebrauch machen. VI. Die Seele Cäsars ist ein Wesen, dem die Einheit im strengen Wortsinn zukommt. Die Fähigkeit zur Hervorbringung von Gedanken ist eine Eigenschaft ihrer Natur.145 Sie hat sie von Gott erhalten, sowohl was ihren Besitz als auch was ihre Ausübung betrifft. Wenn der erste Gedanke, den sie hervorbringt, eine Lustempfindung ist, so sieht man nicht, warum der zweite nicht ebenfalls eine Lustempfindung sein wird. Denn wenn die vollständige Ursache einer Wirkung dieselbe bleibt, dann kann sich die Wirkung nicht ändern. Nun empfängt diese Seele im zweiten Augenblick ihrer Existenz nicht eine neue Fähigkeit zu denken; sie behält nur die Fähigkeit bei, die sie im ersten Augenblick schon hatte, und sie ist im zweiten Augenblick genauso unabhängig von dem Zusammentreffen aller anderen Ursachen wie im ersten. Sie muß also im zweiten Augenblick denselben Gedanken wieder hervorbringen, den sie soeben hervorgebracht hatte. Wendet man mir ein, daß sie in einem Zustand der Veränderung sein müßte und daß sie darin im vorausgesetzen Fall nicht wäre, so antworte ich, daß ihre Veränderung der Veränderung des Atoms ähnlich sein wird. Denn ein Atom, das sich kontinuierlich in dieselbe Richtung fortbewegt, nimmt in jedem Augenblick eine neue Lage ein, die aber der vorangehenden ähnlich ist. Damit also eine Seele im Zustand des Wechsels fortbesteht, genügt es, daß sie einen neuen Gedanken hervorbringt, der dem vorangegangenen ähn145

Das ist gemäß dem System von Leibniz gesagt.

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lich ist. Wir wollen diese Seele nicht in so engen Grenzen halten; wir wollen ihr eine Metamorphose der Gedanken zubilligen. Zumindest müßte aber der Übergang von einem Gedanken zu einem anderen irgendeinen Grund der Affinität enthalten. Wenn ich annehme, daß die Seele Cäsars in einem bestimmten Moment einen Baum sieht, der Blüten und Blätter hat, so kann ich mir vorstellen,146 daß sie sogleich einen zu sehen wünscht, der nur Blätter hat, und sodann einen, der nur Blüten hat, und daß sie sich auf diese Weise nacheinander mehrere Bilder macht, von denen das eine aus dem anderen entsteht. Aber man kann sich nicht die wundersamen Veränderungen von Weiß zu Schwarz und von Ja zu Nein noch die ungeordneten Sprünge von der Erde zum Himmel als möglich vorstellen, die im menschlichen Denken so gewöhnlich sind. Man vermag nicht zu begreifen, daß Gott das Prinzip in die Seele des Julius Cäsar hat legen können, von dem ich gleich sprechen werde. Es ist ihm zweifellos mehr als einmal passiert, daß er von einer Nadel gestochen wurde, als er an der Mutterbrust lag. Es war also gemäß der Lehre, die ich hier untersuche, erforderlich, daß seine Seele sich selbst zu einer Schmerzempfindung unmittelbar im Anschluß an die angenehme Wahrnehmung der Süße der Milch modifizierte, die sie zwei oder drei Minuten lang ununterbrochen gehabt hatte. Durch welche Springfeder wurde sie bestimmt, ihr Vergnügen zu unterbrechen und sich plötzlich einer Schmerzempfindung hinzugeben, wenn nichts ihr angekündigt hat, sich auf einen Wechsel vorzubereiten, und wenn sich nichts Neues in ihrer Substanz zugetragen hat? Wenn man das Leben dieses ersten römischen Alleinherrschers durchgeht, so findet man auf Schritt und Tritt Stoff zu einem noch viel stärkeren Einwand als diesem hier. VII. Die ganze Angelegenheit wäre weniger unbegreiflich, wenn man annähme, die Seele des Menschen sei kein Geist, 146

Ich spreche hier konzessionsweise so, d. h. ich will mir nicht die Gründe zu Nutzen machen, die uns zu begreifen hindern, daß ein geschaffener Geist selbst Vorstellungen hervorbringen könnte.

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sondern vielmehr eine Legion von Geistern, von denen jeder seine Aufgaben hat, die genau dann beginnen und aufhören, wenn es die im menschlichen Körper vorgehenden Veränderungen erfordern. Als Konsequenz hieraus müßte man sagen, daß etwas, das einem großen Haufen von Rädern und Springfedern oder zu in Gärung befindlichen Stoffen analog ist und nach den Abwechslungen unserer Maschine eingerichtet ist, die Tätigkeit eines jeden dieser Geister für eine bestimmte Zeit erweckt oder zum Schlafen bringt. Aber dann wäre die Seele des Menschen nicht länger eine Substanz, sie wäre ein ens per aggregationem, eine Ansammlung, ein Haufen von Substanzen, ganz genau wie die materiellen Dinge. Wir suchen hier aber ein einiges Wesen, das bald Freude, bald Schmerz bildet usw.; wir suchen nicht mehrere Wesen, von denen das eine die Hoffnung, das andere die Verzweiflung usw. hervorbringt. Die Bemerkungen, die man soeben gelesen hat, sind lediglich die Ausführung von denjenigen, mit deren Prüfung Leibniz mich beehrt hat. Ich werde jetzt einige Betrachtungen über seine Antworten anstellen. VIII. Er sagt,147 daß »das Gesetz der Veränderung der Substanz des Tieres es in dem Augenblick von der Freude zum Schmerz bringt, in dem eine Auflösung der Kontinuität in seinem Körper stattfindet, weil das Gesetz der unteilbaren Substanz dieses Tieres darin besteht, die Vorgänge in seinem Körper auf solche Weise vorzustellen, wie wir sie erfahren, und sogar in gewisser Weise und mit Bezug auf diesen Körper alles das zum Ausdruck zu bringen, was in der Welt geschieht.« Diese Worte sind eine sehr gute Erklärung der Grundlagen dieses Systems; sie sind sozusagen Lösung und Schlüssel dazu. Aber zur gleichen Zeit markieren sie den Ausgangspunkt der Einwände derjenigen, die diese neue Lehre unmöglich finden. Das Gesetz, von dem die Rede ist, setzt einen Beschluß Gottes voraus und zeigt, worin dieses System mit demjenigen der okkasionellen Ursachen übereinstimmt. Diese beiden Systeme 147

Leibniz in der Abhandlung, die in der Histoire des ouvrages des savans, Juli 1698, veröffentlicht ist, S. 332.

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kommen in dem Punkt zusammen, daß es Gesetze gibt, denen zufolge es Aufgabe der Seele des Menschen ist, »die Vorgänge im Körper des Menschen auf solche Weise vorzustellen, wie wir sie erfahren«. In der Frage der Art und Weise der Ausführung dieser Gesetze weichen sie voneinander ab. Die Cartesianer behaupten, Gott sei der Ausführer derselben; Leibniz will, daß die Seele selbst sie ausführe. Das erscheint mir unmöglich, weil die Seele nicht die erforderlichen Instrumente zu einer solchen Ausführung besitzt. Wie unbegrenzt nun auch das Wissen und die Macht Gottes sein mag, er kann nicht durch eine Maschine, der ein gewisser Teil fehlt, ausführen lassen, was der Mitwirkung eben dieses Teils bedarf. Er müßte diesen Mangel ersetzen, und in diesem Fall wäre er es und nicht die Maschine, der diese Wirkung hervorbrächte. Wir wollen zeigen, daß die Seele nicht die erforderlichen Instrumente zur Ausführung des göttlichen Gesetzes hat, von dem die Rede ist, und wir wollen uns dazu eines Vergleichs bedienen. Stellen wir uns ein von Gott geschaffenes und zum unaufhörlichen Singen bestimmtes Tier vor. Es wird immerzu singen, das ist unzweifelhaft. Aber wenn Gott ihm eine bestimmte Partitur vorgeschrieben hat, so muß er sie ihm mit höchster Notwendigkeit entweder vor Augen stellen oder seinem Gedächtnis einprägen oder ihm eine Anordnung der Muskeln geben, die gemäß den Gesetzen der Mechanik dafür sorgt, daß ein bestimmter Ton stets einem anderen gemäß der Anordnung der Partitur folgt. Andernfalls begreift man nicht, daß dieses Tier jemals in der Lage sein sollte, sich nach der gesamten Folge der Noten zu richten, die Gott bezeichnet hat. Wir wollen einen ähnlichen Plan auf die Seele des Menschen anwenden. Leibniz will, daß sie nicht nur die Fähigkeit zur unaufhörlichen Hervorbringung von Gedanken empfangen hat, sondern auch die Fähigkeit, stets einer bestimmten Ordnung von Gedanken zu folgen, die den kontinuierlichen Veränderungen der Maschine des Körpers entspricht. Diese Ordnung der Gedanken ist der Partitur ähnlich, die dem musikalischen Tier vorgeschrieben ist, von dem wir oben gesprochen haben. Müßte die Seele, um

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in jedem Augenblick ihre Perzeptionen oder Modifikationen gemäß dieser Partitur der Gedanken zu ändern, nun nicht die Folge der Noten kennen und tatsächlich daran denken? Die Erfahrung zeigt uns aber, daß sie nichts davon weiß. Müßte sie dann nicht wenigstens angesichts des Fehlens dieses Wissens eine Folge besonderer Werkzeuge in sich haben, von denen jedes eine notwendige Ursache für diesen oder jenen Gedanken wäre? Müßten diese nicht so angeordnet sein, daß das eine Werkzeug genau entsprechend der prästabilierten Korrespondenz zwischen den Veränderungen der Maschine des Körpers und den Gedanken der Seele im Anschluß an das andere wirkte? Nun ist es ganz gewiß, daß eine immaterielle, einfache und unteilbare Substanz nicht aus dieser unzählbaren Menge besonderer Instrumente zusammengesetzt sein kann, von denen das eine vor das andere gemäß der Ordnung der in Frage stehenden Partitur gesetzt ist. Es ist also nicht möglich, daß die menschliche Seele dieses Gesetz ausführt. Leibniz148 nimmt an, daß die Seele ihre künftigen Wahrnehmungen nicht deutlich erkennt, »sondern daß sie sie verworren empfindet und daß es in jeder Substanz Spuren von all demjenigen gibt, was ihr widerfahren ist, und von all demjenigen, was ihr widerfahren wird.149 Aber diese unendliche Menge von Wahrnehmungen hindert uns, dieselben zu unterscheiden. (---). Der gegenwärtige Zustand einer jeden Substanz ist eine natürliche Folge ihres vorausgegangenen Zustandes (---).150 Die Seele hat unbeschadet ihrer Einfachheit immer eine aus mehreren Perzeptionen zugleich zusammengesetzte Empfindung, was für unseren Zweck soviel bewirkt als wenn sie wie eine Maschine aus Teilen zusammengesetzt wäre. Denn jede vorangegangene Perzeption übt einem Gesetz der Ordnung entsprechend, das für die Perzeptionen wie für die Bewegun-

148

A. a.O., S. 337. Das ist es, was bei einer unteilbaren, einfachen und immateriellen Substanz unbegreiflich ist. 150 A. a.O., S. 339 f. 149

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gen gilt, auf die nachfolgenden Einfluß aus (---).151 Da die Perzeptionen, die sich gleichzeitig in ein und derselben Seele versammelt finden, eine wahrhaft unendliche Menge kleiner, ununterscheidbarer Empfindungen in sich schließen, die in der Folge entwickelt werden sollen, so darf man sich über die unendliche Mannigfaltigkeit dessen nicht wundern, was daraus mit der Zeit wird. Das alles ist nur eine Folge der vorstellenden Natur der Seele, die das ausdrücken muß, was sich ereignet, und sogar das, was sich in ihrem Körper und in gewisser Weise wegen der Verknüpfung oder Entsprechung aller Teile der Welt in all den anderen Körpern ereignen wird.« Ich habe hierauf nicht viel zu erwidern; ich sage lediglich, daß diese Annahme, wenn sie einmal gut ausgearbeitet sein wird, das wahre Mittel zur Auflösung aller Schwierigkeiten darstellt. Leibniz hat mit der Scharfsinnigkeit seines großen Verstandes den ganzen Umfang und die ganze Stärke des Einwandes sehr wohl begriffen und wo die Quelle des Hilfsmittels gegen die hauptsächliche Schwierigkeit zu finden ist. Ich bin überzeugt, daß er alles möglicherweise Unebene in seinem System glätten und uns vortreffliche Dinge über die Natur der Geister lehren wird. Niemand kann nützlichere und sicherere Reisen in der Verstandeswelt unternehmen als er. Ich hoffe, daß seine schönen Erläuterungen alle Unmöglichkeiten vertreiben werden, die sich meinem Geist bislang gezeigt haben, und daß er meine Schwierigkeiten und auch die von François Lamy152 auf gründliche Weise beheben wird. In dieser Hoffnung habe ich, ohne Komplimente machen zu wollen, sagen können, daß sein System als eine wichtige Eroberung angesehen werden muß.153 Leibniz wird keine Schwierigkeit darin finden, daß anstelle der Annahme der Cartesianer, nach der es nur ein einziges allgemeines Gesetz für die Vereinigung aller Geister mit den Körpern gibt, ihm zufolge Gott jedem Geist ein besonderes Gesetz 151

A. a.O., S. 340. Sie finden sich in der zweiten Abhandlung von De la connaissance de soi-même von S. 225-243 in der Ausgabe Paris 1699. 153 Oben, Anmerkung (L) am Anfang. 152

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gibt. Daraus scheint zu folgen, daß die ursprüngliche Konstitution eines jeden Geistes von jeder anderen spezifisch verschieden ist.154 Sagen die Thomisten nicht, daß es in der Natur der Engel ebensoviele Arten wie Individuen gibt?

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Es hat niemals zwei Menschen gegeben, welche die gleichen Gedanken – ich sage nicht einen Monat lang, sondern nicht einmal für zwei Minuten – nacheinander gehabt hätten. Das Prinzip des Denkens muß also bei jedermann eine besondere Regel und eine besondere Natur haben.

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rufinus, Günstling des Kaisers Theodosius, »war ein Gallier aus der Provinz Aquitanien. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen, hatte aber einen überlegenen, wendigen, einschmeichelnden, glänzenden Geist, der geeignet war, einen Fürsten zu unterhalten und ihm auch zu dienen. Er kam an den Hof von Konstantinopel und gewann dort Freunde und Beschützer; er wurde Theodosius bekannt und gefiel ihm. Er wußte sein beginnendes Glück so geschickt zu nutzen, daß er in kurzer Zeit zu bedeutenden Ämtern gelangte. Der Kaiser übertrug ihm das Amt des Oberhofmeisters seines Palastes, gestattete ihm, an all seinen Ratssitzungen teilzunehmen, beehrte ihn mit seiner Freundschaft und seinem Vertrauen und machte ihn schließlich mit seinem Sohn Arcadius zum Konsul. Rufinus behauptete seine Stellung auf gleiche Weise wie er sie erhalten hatte, nämlich mehr durch seine Geschicklichkeit als durch seine Tugend. Sein Ehrgeiz wuchs mit seinem Glück. Er versuchte, sich durch Raub an denjenigen zu bereichern, die er durch seine Verleumdungen unter Druck setzte. Um sein Feind zu werden, reichte es aus, ein außergewöhnliches Verdienst zu haben und in der Lage zu sein, ihm seinen Rang streitig zu machen. Weil er aber dennoch fürchtete, die Freundschaft des Fürsten zu verlieren, wenn er sich nicht dessen Hochschätzung erhielte, gab er sich bescheiden und selbstlos. Er kaschierte seine üblen Ratschläge unter dem Vorwand der Gerechtigkeit oder politischer Erfordernisse und wußte seine guten Eigenschaften in so vorteilhaftem Licht erscheinen zu lassen und die schlechten so gut zu verhehlen, daß der Kaiser, so weise und so eifersüchtig er auch auf sein Ansehen war, sehr oft getäuscht und manipuliert wurde, ohne es zu merken. Die Mächtigen bei Hofe sahen die Erhebung dieses Günstlings mit Verdruß. (---). Sie verschworen sich gegen ihn und beschlossen seinen Unter-

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gang.«b Aber ihre Bemühungen führten nur zu ihrem eigenen Untergang und zur Stärkung seiner Stellung. Er ließ sich im Jahr 394 mit großem Pomp taufen. Der Verdruß darüber, daß er nach dem Tod des Theodosius Stilicho über sich sehen mußte, veranlaßte ihn zu verräterischen Unternehmungen, die ihn zu Fall brachten. »Er mißbrauchte die Schwäche seines Herrn und stürzte Reiche und Herrscher durch seine geheimen Verbindungen mit den Hunnen, Goten und Alanen« und wollte »sich unangreifbar oder wenigstens unabhängig von seinen Herren wie von seinen Feinden machen«.c Er wurde im Jahr 395 umgebracht.d Man sehe Moréri. Sein Tod machte den Zweifeln ein Ende, die Claudian in der Frage bewegten, ob es eine Vorsehung gebe. Er zweifelte nicht länger daran, als er den Fall dieses vermessenen und ungerechten Günstlings sah. Ich werde einige Betrachtungen über seine Worte anstellen (C), und das wird mir Gelegenheit zu der Untersuchung geben, ob alle diejenigen, welche die rechtgläubige Lehre der Vorsehung behaupten, die Regeln des Streitgesprächs gut beachtet haben. Naudé versichert etwas ganz Falsches, nämlich daß Rufinus von drei oder vier berühmten Historikern gelobt worden sei.

(C) Ich werde einige Betrachtungen über die Zweifel des Claudian anstellen.5 Er erklärte, daß die schöne Ordnung, die in der Natur herrscht, ihn zu dem Glauben gebracht habe, sie werde durch sehr weise Gesetze eines unendlichen Gottes gelenkt; daß aber die Unordnung, die bei den Menschen herrscht – das Wohlergehen der Bösen und das Unglück der Guten – ihn dazu trieben, der Lehre Epikurs zu folgen, wonach alle Dinge vom Zub

Fléchier, Histoire de Théodose, Buch IV, S. 433 der Ausgabe Paris 1680 in 12o. c A. a.O., S. 500. d Flechier zufolge im Jahr 397. A. a.O., S. 437. 5 Sie betreffen die göttliche Vorsehung.

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fall regiert werden und die Götter sich nicht in das Weltgeschehen einmischen. »Schließlich«, so sagt er, »hat mir die Bestrafung des Rufinus meine Befürchtungen genommen. Ich spreche die Götter frei und beklage mich nicht länger, wenn die Bösen so viel Macht erlangen, denn sie werden nur erhöht, um desto tiefer zu fallen.« (…). Ich habe in dem Artikel über den Marschall d’Ancre7 versprochen, hier von den Überlegungen Balzacs zu einem Gedanken von Malherbe zu sprechen, der demjenigen Claudians ähnelt. Ich erfülle jetzt mein Versprechen. »Es8 ist wahr, daß man so gesprochen hat, bevor die christliche Religion die Sprache verbessert hat. Man lastete den Göttern all das Übel an, das die Menschen anrichteten. Die göttliche Vorsehung ist tagtäglich von irgend jemanden angeklagt worden, der sich darüber beschwerte, daß die Dinge der Welt nicht so liefen, wie er es wünschte. ›Dieser glückliche Tyrann gibt ein Zeugnis gegen Gott ab‹, ist ein von Eurem Cicero angeführter alter Spruch; und es gibt in den Versen der heidnischen Dichter nichts Gewöhnlicheres als das Verbrechen ihrer Götter und des Schicksals. (…). ›Cynthia ist krank, und wenn sie an ihrer Krankheit stirbt‹, so sagt der in sie verliebte Dichter, ›dann wird der Tod dieser Schönheit das Verbrechen des Gottes der Heilkunst sein‹. (…) Es gibt sogar nach der Zeit Konstantins und unter den Kindern des Theodosius Beispiele dieser dichterischen Blasphemien und dieser Ruchlosigkeit. Wenn Rufinus nicht für seine Verbrechen bestraft worden wäre, hätte man die Götter als Helfer und Komplizen des Rufinus angeklagt. (…). Einer unserer Dichter hat etwas Ähnliches gesagt, aber auf eine wahrhaft vorzügliche Art und Weise, und seine Kopie übertrifft alle Originale. Ich empfehle sie Euch als ein Meisterwerk; sie findet sich in der Ode, die man den schönsten und vollendetsten Oden der Antike gegenüberstellen kann. Der Gott der

Man sehe den Artikel CONCINI, Anmerkung (F). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 8 Balzac, Socrate chrétien, S. 237 meiner Ausgabe. 7

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Seine spricht zu einem Günstling, der über 具die Brücke 典 PontNeuf geht.« Ich zitiere die von Balzac berichteten Verse Malherbes nicht; man findet den Schluß davon im Artikel CONCINI, Anmerkung (F)*. Wir wollen der Passage aus Balzac die folgenden Worte von Ménage hinzufügen: »Übrigens stammt dieser Gedanke ›Und der Himmel, den man beschuldigt, Deine Verbrechen zu unterstützen, ist entschlossen, sich zu rechtfertigen‹ nicht ursprünglich von Claudian. Man findet ihn schon bei mehreren anderen Autoren, die lange vor ihm gelebt haben.«10 (…). Barthius11 hat eine sehr große Zahl von derartigen Sprüchen gesammelt und diejenigen nicht vergessen, die sich in der Schrift12 finden. Unter diesen geläufigen Punkt kann man alle Passagen der Alten bringen, in denen das Glück als ein blindes, unbeständiges, unstetes, ungerechtes Wesen beschimpft wird, das Unwürdige begünstigt.13 Eine dieser Stellen mag hier für alle stehen, ich entnehme sie Plinius14. »Zwischen diesen beiden Meinungen hat die Menschheit sich ein göttliches Mittelwesen erdacht, durch das die Vermutungen über Gott noch ungewisser werden. Denn in der ganzen Welt, an jedem ihrer Orte und zu jeder Stunde wird von jedem einzig Fortuna angefleht; sie allein wird genannt, angeklagt, verdammt, bedacht, gelobt, beschuldigt, mit Schmähungen überzogen15; sie gilt als schwankend und wird von den meisten sogar für blind gehalten, für unstet, unbeständig, ungewiß, wechselhaft und eine Gönnerin der Unwürdigen. Ihr wird alles zugeschrieben, was ausgeteilt und empfangen wurde, sie allein * 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.典 10 Ménage, Observations sur Malherbe, S. 432. 11 Barthius, Ad Claudian. in Rufin., Buch I, am Anfang, S. 1078 ff. meiner Ausgabe. 12 Psalm 73 und 93 具92 典; Hiob, Kap. 23; Habakuk, Kap. 1; Maleachi, Kap. 3. Barthius, a. a.O., S. 1082. 13 Man sehe den Artikel PAYS, Anmerkung (H), im 2. Absatz. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 14 Plinius, Buch II, Kap. 7 具5 典, S. 145 meiner Ausgabe. 15 Man sehe hierzu oben eine Bemerkung gegen Costar, Fußnote (51) im Artikel HERKULES. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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füllt beide Seiten in den Bilanzbüchern der Menschen. Und wir sind dem Schicksal so sehr ausgesetzt, daß wir das Schicksal selbst für einen Gott halten, wodurch Gottes Existenz unsicher wird.« Man kann sagen, daß zu allen Zeiten und bei allen Völkern, unser Jahrhundert und die Christenheit nicht ausgenommen, das Wohlergehen der Bösen zum Murren gegen Gott und zu vielen Zweifeln über die Vorsehung geführt hat. Auf der anderen Seite hat man stets und überall auf diesen Einwand geantwortet. Weil er also trotz all der Antworten immer wiederkehrt, muß man schließen, daß er etwas sehr Scheinbares an sich hat und in ich weiß nicht welchem Verhältnis zu unserem Verstand steht, so daß er dort mühelos wieder auftaucht, selbst wenn man ihn mit Mistgabeln daraus vertrieben hatte.16 Man könnte sagen, daß er wie die Palme diese schönen Worte auf sich beziehen könnte, curvata resurgo; ›die Antworten können mich wohl ein wenig beugen, aber ich richte mich bald wieder auf‹. Die Aufgabe lautet nicht zu untersuchen, ob der Einwand stichhaltig ist, denn wir müssen völlig davon überzeugt sein, daß er falsch und nichts wert ist. Aber vielleicht ist es nicht unangebracht zu fragen, ob Claudian ihn gut beantwortet hat.

Betrachtung über die Methoden zur Beantwortung der Zweifel bezüglich der Vorsehung. Gesetze des Disputierens Einige Leute würden vielleicht zu Claudian sagen: »Ihr habt nicht den rechten Weg gewählt; die einzige Antwort, die Ihr auf Eure Schwierigkeit hättet geben sollen, wäre, den gewaltigen und unermeßlichen Begriff des höchst vollkommenen Wesens zu betrachten und diese Folgerung daraus zu ziehen: Er ist der Urheber aller Dinge, er lenkt sie alle, es geschieht folglich nichts, das nicht auf unendlich gerechte und bewundernswerte Weise regiert und geleitet würde. Das ist zweifellos die rechte 16

Es ist wie bei der Natur. »Treib die Natur ruhig mit der Mistgabel aus, sie wird dennoch stets zurückkehren.« Horaz, Epist., Buch I, 10, Vers 24.

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Entscheidung und der wahre Weg, die Zweifel zu heben. Bringt die Vernunft zum Schweigen, zwingt sie, sich der Autorität zu unterwerfen;17 ατòς φα 具er selbst hat es gesagt 典, Gott hat es gesagt, Gott hat es getan, Gott hat es zugelassen: folglich ist es wahr, gerecht, weise getan und weise zugelassen. Wenn Ihr Euch in die Einzelheiten der besonderen Gründe vertiefen wollt, so werdet Ihr niemals an deren Ende gelangen, und nach abertausend Disputen werdet Ihr gezwungen sein, zu dem Argument der Autorität und zu dem unermeßlichen Begriff des höchst vollkommenen Wesens zurückzukehren. Aber weil man zu diesem Punkt zurückkehren muß, wollen wir ihn gar nicht erst verlassen, sondern unbeweglich und unerschütterlich an ihm festhalten, indem wir den Finger auf den Mund legen und unserer geringen Einsicht Schweigen auferlegen, weil wir überzeugt sind, daß in diesen Dingen der beste Gebrauch der Vernunft darin besteht, nicht zu räsonieren.« Wir wollen die Motive zu diesem Verhalten noch lebhafter spürbar machen. Wenn man sich auf ein Streitgespräch einläßt, muß man behaupten, daß man seinem Gegner zeigen wird, daß er unrecht hat. Aber man darf nicht verlangen, daß er sich mit unserer ersten oder zweiten Antwort zufrieden gibt. Die Gesetze derartiger Auseinandersetzungen verlangen, daß jede Partei der anderen so viele Male antwortet, wie sie einem Räsonnement ein anderes Räsonnement entgegensetzen kann, und das solange, bis man bei den ersten Prinzipien angelangt ist. Wenn ich jemandem zeigen kann, daß seine Behauptung den Gemeinbegriffen widerspricht und die meinige eine natürliche und notwendige Folge aus eben diesen Begriffen darstellt, habe ich das Recht, ihn nicht weiter anzuhören und ihm den Mund mit diesem Axiom zu stopfen: Adversus negantem principia non est disputandum 具mit jemandem, der die Prinzipien verneint, kann man nicht streiten 典. Aber wenn ich seinen Einwänden nur eine wahrscheinliche Auflösung entgegensetze, gegen die er neue Zweifel von gleicher oder beinahe gleicher Wahr17

»Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast’s getan.« Psalm 39, 10.

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scheinlichkeit anführen kann, die meine Auflösung hatte, so kann ich keineswegs mit Recht von ihm verlangen, daß er sich mit meinen Antworten zufrieden gibt; ich muß neue Auflösungen für seine neuen Schwierigkeiten suchen, und wenn ich keine evidenten finde oder solche, die eine Entgegnung von anscheinender Plausibilität zulassen, ist es an mir, mich aus der Auseinandersetzung zurückzuziehen, ohne mich zum Sieger zu erklären; denn andernfalls würde ich die Proselytenmacher Frankreichs nachahmen. Diese Herren machten ungefähr seit dem Jahr 1680 das Angebot, mit ihren irrenden Brüdern über die Religion zu diskutieren. Sie versprachen, ihre Zweifel anzuhören, sie aufzuklären und sie in einer herzlichen Weise zu unterrichten. Aber nachdem sie zwei- oder dreimal geantwortet hatten, ließen sie keinen Widerspruch mehr zu. Sie wollten, daß man sich ihren Erklärungen unterwarf, andernfalls erklärten sie ihre Gegner für halsstarrig. Es wäre besser gewesen, dies gleich zu Anfang zu erklären. Es ist lächerlich, in eine Diskussion einzutreten, wenn man nicht erlauben will, daß der Gegner hunderte von Malen antwortet, wenn er genügend Material hat, um unsere Auflösungen so oft zu bekämpfen, und wenn er gegen die zehnte Replik einen ebenso wahrscheinlichen Einwand anführen kann, wie es der Einwand ist, den er der Hauptthese entgegengesetzt hat. So werden richtige Streitgespräche geführt: Jemand greift eure These an, ihr antwortet, aber eure Antwort ist oft noch größeren Schwierigkeiten ausgesetzt als die These selbst. Es ist folglich richtig, daß ihr* die Replik zurückweist. Ihr antwortet ganz von neuem mit irgend etwas. Das läßt aufs neue plausiblere Zweifel entstehen als die ersten. Man muß sie also prüfen, und so weiter ins Unendliche, sofern ihr nicht die Gemeinbegriffe18 auf eure Seite bringt, um eure Gegner mit ihnen zu besiegen. Das sind die Gesetze der Auseinandersetzung. Wenn ihr nicht die Absicht habt, sie zu befolgen, ist es besser, nicht in den Streit einzutreten und ganz 具Der Sinn des Satzes scheint »er« statt »ihr« zu erfordern. Hgg. 典 Ich verstehe hier unter »Gemeinbegriffen« ganz allgemein alle Grundsätze, die von den beiden streitenden Parteien anerkannt werden. *

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knapp zu sagen: »Man muß das glauben, ohne zu räsonieren. Gott hat es gesagt, das muß genügen.« Dieses Vorgehen wäre ungerecht, wenn die Frage lauten würde: »Hat Gott gesprochen?« Aber es ist nicht ungerecht, wenn man mit Personen disputiert, welche die Existenz des höchst vollkommenen Wesens anerkennen und die sich unter dem Vorwand Zweifel machen, daß die guten Leute unglücklich sind und es den Bösen wohl ergeht. Die einzige Antwort, die man diesen Zweiflern geben muß, ist folgende. »Ihr seid von der Existenz einer höchst vollkommenen Natur überzeugt; glaubt also, daß sie alle Dinge vollkommen gut regiert. Denn wenn Ihr nicht diese Folgerung aus dem Prinzip ziehen wolltet, das Ihr einräumt, würdet Ihr die ersten Regeln des gesunden Menschenverstandes mißachten und Ihr wäret imstande, auf folgende Weise zu räsonieren: Die Sonne ist nicht imstande, Schatten hervorzubringen, folglich hat sie ihn hervorgebracht.« Damit besser verständlich wird, daß man sich an diese kurze Antwort und an dieses allgemeine Prinzip der Existenz Gottes halten muß, werde ich zeigen, wohin man gelangt, wenn man sich im einzelnen auf die besonderen Gründe einlassen will. Erstens ist es gewiß, daß man in diesem Fall verpflichtet ist, den Repliken des Gegners so weit zu folgen, bis man ihm ein Argument vorlegen kann, dem er nichts Vernünftiges entgegenzusetzen vermag. Das verlangen die Gesetze des Disputierens, wie ich oben bemerkt habe. Zweitens ist es gewiß, daß eure besonderen Gründe mit anderen, wenigstens genauso wahrscheinlichen Gründen bis ins Unendliche bekämpft werden. Wir wollen das anhand eines kleinen Beispiels zeigen. Nehmen wir an, unser Dichter 具sc. Claudian 典 hätte jemand anderem gegenüber den gleichen Grund angeführt, der alle seine Zweifel zerstreut hatte, und zu ihm gesagt: »Da Rufinus bestraft worden ist, gibt es eine Vorsehung, die alle Dinge weise und gerecht regiert. Das Wohlergehen dieses Bösewichts bewies nicht, daß die Vorsehung eingeschlafen war, sondern im Gegenteil, daß sie für ihn in kleinen Schritten eine harte Bestrafung vorbereitete; sie erhob ihn, damit er tiefer fallen und sich alle Knochen gründlicher brechen konnte.« »Wenn Ihr

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nicht mehr wißt als das«, hätte man ihm antworten können, »so habt Ihr nichts gewonnen. Eure Lösung, wenn sie auch sehr alt ist,19 wird dadurch nicht besser. Ihr befreit Euch von einer großen Schwierigkeit durch eine noch größere; Eure Partikel ›damit‹ läßt einen erschrecken, man kann die Vorstellung davon nicht ohne Schaudern ertragen. Ihr legt dem höchst vollkommenen und folglich unendlich gütigen Wesen ein Motiv und eine Zweckursache bei, welche, weit davon entfernt, irgendeine Spur von Güte zu enthalten, die allertyrannischste und allerboshafteste Eigenschaft darstellen, die man sich vorstellen kann. Es ist so, als wenn einer unserer Herrscher, der die Todesstrafe über einige seiner Diener verhängen wollte, sie zu Statthaltern von Provinzen ernennen und dulden würde, daß sie dort Erpressungen aller Art ausüben und das Volk bis auf das Mark aussaugen; es ist, sage ich, als wenn er dies dulden würde, um Anlaß zu haben, sie härter zu bestrafen. Wenn Ihr gewagt hättet, über Theodosius das zu sagen, was Ihr über Gott sagt, nämlich daß er Rufinus nur deshalb auf den höchsten Gipfel seiner Gunst erhoben habe, um ihn um so sicherer und härter zu vernichten und um seinen Untertanen seine uneingeschränkte Macht zu Erhebung und Erniedrigung zu zeigen, so hätte er Euch als einen satirischen Dichter hängen lassen, der ihn auf unverschämte Weise diffamiert habe.« Claudian würde zweifellos die Ungeheuerlichkeit seines »damit« und seiner Zweckursache bemerken und verlangen, daß man seine Ausdrücke nicht wortwörtlich und in einem kriminellen Sinn verstehen solle. Er würde sagen, daß die Vorsehung den niederträchtigen Rufinus nicht deshalb mit Gütern überhäuft habe, um ihm größeres Übel zuzufügen, sondern in der Hoffnung, daß dieser Günstling davon guten Gebrauch machen werde. Er würde hinzufügen, daß nach den Naturgeset19

Schon Juvenal hat mit Blick auf Sejanus gesagt (Saturae X, Vers 104): »Denn er, der allzu große Ehren beanspruchte und allzu große Reichtümer anstrebte, hat aus zahlreichen Stockwerken einen hochragenden Turm errichtet, damit der Fall um so tiefer sei und der durch einen Stoß erschütterte Bau jäh zusammenbreche.«

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zen der Fall von Körpern um so härter ist, je höher der Ort liegt, von dem sie fallen, und daß deshalb die Ordnung gewollt hat, daß die Erhebung des Rufinus seine Strafe schlimmer machte, weil sein unaufhörlicher Mißbrauch der himmlischen Gnade seine Züchtigung verlangte. »Das behebt nicht die Schwierigkeit«, würde man ihm antworten. »Die Hoffnung hat keinen Platz in der göttlichen Natur, sie weiß mit absoluter Sicherheit alles, was sich ereignen wird. Sie hat den Mißbrauch ganz gewiß gewußt, den Rufinus von den himmlischen Gunsterweisen machen würde. Es wäre deshalb besser gewesen, dem Mißbrauch zuvorzukommen,20 als für seine viele Jahre lang geduldeten Verbrechen eine Bestrafung vorzubereiten, die das Übel nicht wiedergutmachen kann, das er angerichtet hat: die Unterdrückung so vieler unschuldiger Leute, den Tod so vieler Menschen, den Untergang so vieler Familien. Es ist eine armselige Befriedigung für eine von ihrem Statthalter ausgeraubte Provinz, lediglich von dessen Bestrafung zu erfahren; denn seine Gefangensetzung beläßt sie in ihrem Elend und macht die Lage des Verbrechers gelegentlich sogar angenehmer.«21 Ich treibe die Repliken, die der Dichter machen könnte, nicht weiter; ich zweifle nicht, daß sie sehr zahlreich sind. Aber die Repliken seines Gegners wären nicht weniger zahlreich und würden stets denjenigen ähneln, die man soeben gesehen hat, d. h. sie wären den Begriffen unseres Geistes und den Vorstellungen, nach denen wir die Vollkommenheit einer Regierung beurteilen, angemessener als diejenigen Claudians. Ich vermute, daß man nach einem langen Streitgespräch zu ihm sagen würde: »Ich glaube ebenso wie Ihr, daß alles, was in der Ange-

20

»Warum konnte Cinna, der grausamste von allen, sich so lange an der Regierung halten? Ihr sagt: ›Dafür ist er auch bestraft worden.‹ Es wäre besser gewesen, ihn daran zu hindern, so viele ausgezeichnete Männer zu töten, als ihn später zu bestrafen.« Cicero, De natura deorum, Buch III, Kap. 32. 21 »Als Verbannter zecht Marius von der achten Stunde an und freut sich über die Gunst der erzürnten Götter. Du aber, die siegreiche Provinz, weinst.« Juvenal, Saturae I, Vers 49.

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legenheit des Rufinus geschehen ist, gerecht und vollkommen mit Blick auf Gott ist; aber nicht wegen Eurer Gründe, die viel geeigneter sind, Zweifel zu erregen als die Unentschlossenheit des Geistes zu beruhigen. Bedient Euch ihrer trotzdem bei denen, die damit glücklich sein werden, sprecht aber kein Wort davon zu großen Denkern. Die Vorstellung des höchst vollkommenen Wesens muß ihnen genügen und genügt ihnen auch, wenn sie rechten Gebrauch von ihrer Vernunft machen. Ich habe Leute gekannt, die mehrfach die Consolatio philosophiae des Boethius gelesen hatten und die von dem Unterschied sehr überrascht geblieben sind, den sie immer wieder zwischen den Einwänden und den Erwiderungen dieses Autors bemerkten. Boethius war ein fähiger Philosoph und zugleich ein guter Mensch. Er behauptet, daß die Philosophie gekommen sei, ihn zu trösten, als er von der außerordentlichen Schwere seiner Ungnade niedergedrückt und seine Seele in Traurigkeit versunken war. Er macht der Philosophie mehrere Einwände bezüglich der Vorsehung, und sie antwortet darauf, so gut sie kann. Aber während die von Boethius herausgestellten Schwierigkeiten noch den stumpfsinnigsten Geistern verständlich sind und dank ihres hellen Lichtes noch den dunkelsten Verstand durchdringen, kann man bei noch so konzentrierter Aufmerksamkeit und noch so lebhafter Auffassungsgabe nicht das geringste von den Auflösungen begreifen. Die Philosophie kann ihr Mißtrauen nicht verbergen, sie verlangt beinahe beständig die Erlaubnis umherzuschweifen und höher zu steigen. Und wie wohlbegründet ihre Aussagen auch sein mögen; das Unglück unseres Geistes will es, daß wir sie nicht immer verstehen. Wenn sie uns überzeugt, dann geschieht es fast immer, ohne uns aufzuklären. Das ist die Meinung einiger Leser des Boethius. Sie haben mich auf einen sehr scharfsinnigen Professor des 17. Jahrhunderts aufmerksam gemacht, der die Ehre der Philosophie weit geschickter als er verteidigt hat, denn nachdem er einen Heiden hat auftreten lassen, der sich tausende von Zweifeln bezüglich der Vorsehung macht, gibt er ihm kein anderes Hilfsmittel an die Hand als die Gnade des hl. Geistes.«

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Ich darf diese Anmerkung nicht beschließen, ohne die Ungerechtigkeit gewisser Leute festzustellen, die glauben, daß man, wenn man die Gründe zurückweist, die sie für eine Lehre anführen, die Lehre selbst zurückwiese. Zwischen diesen beiden Dingen besteht ein riesiger Unterschied, und Leute mit einem rechtschaffenen und gesunden Verstand unterscheiden sie auch und nehmen es sehr geduldig und ohne jeden bösen Verdacht hin, daß man die Vermessenheit der Rechtgläubigen hinsichtlich der schwachen Argumente bekämpft, deren sie sich allzu oft bedienen, um die Wahrheit zu behaupten. Nicht, daß hiermit nicht großer Mißbrauch getrieben werden könnte, denn die Pyrrhoneer haben z. B. unter dem Vorwand, nur die Gründe der Dogmatiker hinsichtlich der Existenz Gottes zu bestreiten, in Wirklichkeit diese Lehre selbst untergraben. Zunächst erklärten sie,23 daß sie der landläufigen Meinung folgten, ohne sich irgendeiner bestimmten Sekte anzuschließen; daß sie zustimmten, es gebe Götter, daß sie sie verehrten und ihnen die Vorsehung zusprächen; daß sie aber die Vermessenheit der Dogmatiker, hierüber zu räsonieren, unerträglich fänden. Hierauf legten sie ihnen Einwände vor, die durch die Leugnung der Vorsehung auf die Leugnung der Existenz Gottes abzielten. Man sehe Sextus Empiricus,24 der anstatt seine Zweifel auf das Wohlergehen der Schurken zu gründen, wie Claudian es tat, sie auf die Widrigkeiten und Übel gründete, von denen die Welt voll ist. Er führt das Argument an, das Laktanz besser berichtet als widerlegt hat. Man sehe oben den Artikel PAULICIANER, Anmerkung (E), Fußnote (16) und die folgenden Worte eines Jesuiten, der angemerkt hat, daß Arnobius gesteht, dieses Argument sei unbeantwortbar. »Man könnte schließlich mit Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes Buch I (es muß heißen: III) folgendes Argument vorbringen: Wenn Gott existierte, gäbe es keine Schlechtigkeit oder Unvollkommenheit in der Welt, da er unendlich gut und höchst vollkommen wäre. Denn ein entgegengesetztes Unendliches zerstört das andere 23 24

Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 1. Ebd.

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völlig. Arnobius, Buch II, Nr. 49, überschätzt bei der Auseinandersetzung mit diesem Argument seine Schwierigkeit bei weitem und scheint es für unauflöslich zu halten. (…).«25

25

Théophile Raynaud, Theologia naturalis, Distinct. V, Nr. 166, S. 532 f. meiner Ausgabe.

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sommona-codom. So nennen die Siamesen einen gewissen außerordentlichen Mann, von dem sie glauben, er sei zur höchsten Glückseligkeit gelangt.a Ich spreche nur deshalb von ihm, um Gelegenheit zu haben, einen sehr scharfsinnigen Einwand zu prüfen, den mir du Rondel gegen dasjenige gemacht hat (A), was ich im Artikel über Lukrez behauptet habe,b nämlich »daß der Glaube an die Existenz Gottes ohne den Glauben an die Vorsehung kein Motiv zur Tugend sein kann«. Père Tachard erzählt mehrere Dinge von diesem SommonaCodom, den er »Sommonokhodom« nennt. Das ist, so sagt er,c der Gott, den die Siamesen gegenwärtig verehren. Sie behaupten, daß er »aus eigener Kraft als Gott geboren wurde und daß er sogleich nach seiner Geburt ohne irgendeinen Lehrmeister, der ihn unterwiesen hätte, durch bloße geistige Schau eine vollkommene Erkenntnis von allem erlangte, was den Himmel, die Erde, das Paradies, die Hölle und die unergründlichsten Geheimnisse der Natur betrifft; daß er sich gleichzeitig an alles erinnerte, was er jemals in seinen verschiedenen Leben getan hatte, und daß er, nachdem er die Völker diese großen Dinge gelehrt hatte, dieselben zum Nutzen der Nachwelt in Bücher aufgeschrieben hinterließ. In diesen Büchern erzählt er von sich selbst, daß er, nachdem er Gott geworden war, eines Tages wünschte, den Menschen seine Göttlichkeit durch irgendein außergewöhnliches Wunder bekannt zu machen (---). Daß er sich sogleich darauf auf einem von Gold und Edelsteinen glänzenden Thron in die Luft erhoben fühlte, der an derselben Stela

Man sehe von la Loubere, Relation de Siam, Bd. I, Kap. 22, Nrs. 4,5, S. 500 f. meiner Ausgabe. b Am Ende der Anmerkung (K) des Artikels LUKREZ, der Philosoph. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 c Tachard, Voiage de Siam, Buch VI, S. 205 der holländischen Ausgabe.

Sommona-Codom

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le aus der Erde empor kam, an der er sich gerade befand; daß die Engel, die augenblicklich vom Himmel herabgestiegen waren, die ihm gebührenden Ehren und Anbetungen erwiesen (---). Daß er, seitdem er danach strebte, Gott zu werden, 550 mal in verschiedener Gestalt auf die Erde gekommen sei; daß er bei jeder Wiedergeburt stets der Erste und gleichsam der Fürst der Tiere gewesen sei, in deren Gestalt er geboren wurde; daß er oft sein Leben für seine Untertanen hingegeben habe und daß er als ein Affe eine Stadt von einem fürchterlichen Ungeheuer befreit habe, das sie verwüstete; daß er ein sehr mächtiger König gewesen sei und daß er sich sieben Tage vor Erlangung der obersten Herrschaft über das Universum dem Beispiel eines gewissen Einsiedlers folgend mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in die abgelegenste Einsamkeit zurückgezogen habe; daß er dort der Welt und seinen Leidenschaften gestorben sei (---). Er hatte die Welt durchreist und den Menschen die Erkenntnis des Guten und des Bösen gebracht und sie die wahre Religion gelehrt, die er selbst niederschrieb, um sie der Nachwelt zu hinterlassen. Er hatte sogar mehrere Schüler an sich gezogen, die in der Eigenschaft als Priester ein besonderes Gelübde ablegen mußten, ihn nachzuahmen, indem sie ein dem seinen ähnliches Gewand trugen und die Vorschriften befolgten, die er ihnen gab. Als er schließlich das 82. Lebensjahr erreicht hatte (---), erlitt er eine heftige Kolik, an der er starb. Seine Seele stieg in den achten Himmel auf.« Wir werden unten sehen, was man von seinem Bruder erzählt.

(A) Ich spreche nur deshalb von ihm, um eine Gelegenheit zu haben, einen (---) Einwand zu prüfen, den mir du Rondel gemacht hat. Nachdem du Rondel die Anmerkungen (K) und (L) des Artikels LUKREZ, der Philosoph, gelesen hatte, war er so gütig, mir zu schreiben, er fürchte, man werde sie sowohl durch Beispiele als auch durch Argumente bekämpfen. »Denn an erster Stelle ist es in Siam und in den anderen Ländern, wo man an Som-

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mona-Codom glaubt, ein unbestrittenes Dogma, daß dieser Gott in seinem Nireupan sich nicht in irgend etwas einmischt und alle Dinge auf der Erde nach ihrem Belieben laufen läßt; und dennoch betet man zu ihm, ruft ihn an und versucht mit allen Kräften, ihn in der Ausübung der Tugend nachzuahmen. Man sehe den ersten Band von la Loubere. An zweiter Stelle aber, wenn es weder Sommona-Codom noch irgendeinen anderen Gott in dieser Welt gäbe, so fänden sich bloß deshalb, weil man von Göttern spricht und mit diesen Begriffen alle Schönheit der Sitten verbindet, viele Leute unter den Menschen, die diesen Grad der Herrlichkeit anstreben würden.«1 Die Notwendigkeit, die mich zwingt, eine Menge von Dingen auf später zu verschieben, nötigt mich hier zu meinem großen Bedauern, die Fortsetzung des schönen Briefs von du Rondel zu unterdrücken; aber ich will einen Abriß davon in drei oder vier Worten geben: Er stellt die Macht der Bewunderung stark heraus und zeigt anhand großer Beispiele, daß das bloße Verlangen, ein schönes Vorbild nachzuahmen, die Menschen zu sehr schwierigen Unternehmungen gebracht hat. I. Wir wollen zuerst den Einwand beantworten, den er auf das Verhalten der Siamesen gegründet hat; und um diesen Gegenstand besser zu entwickeln, wollen wir zunächst die Worte des Historikers anführen: »Bevor er starb, ordnete SommonaCodom an, daß man ihm Statuen und Tempel weihe, und seit seinem Tod ist er im Zustand der Ruhe, den sie durch das Wort ›Nireupan‹ ausdrücken. Das ist kein Ort, sondern eine Seinsweise. Denn um genau zu sprechen, sagen sie, ist SommonaCodom nirgendwo, und er genießt keinerlei Glückseligkeit. Er ist ohne alle Macht und nicht in der Lage, den Menschen Gutes oder Böses zu erweisen; die Portugiesen nennen das ›Vernichtung‹. Nichtsdestoweniger halten sie 具sc. die Siamesen 典 Sommona-Codom andererseits für glücklich; sie richten Gebete an ihn und bitten ihn um alles, was sie nötig haben – entweder, weil ihre Lehre widersprüchlich ist, oder weil sie ihren Gottesdienst über ihre Lehre hinaus ausdehnen. Aber in dem 1

Brief von du Rondel vom 28. Januar 1696.

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Sinne, in dem sie Sommona-Codom Macht zuschreiben, stimmen sie darin überein, daß er sie nur über die Siamesen hat und sich nicht um andere Völker kümmert, die andere Menschen anbeten als ihn.«3 Man sieht hier deutlich, daß die Siamesen pro und contra von ihrem Sommona-Codom sprechen. Sie sagen, »daß er keinerlei Glückseligkeit genießt«, und andererseits halten sie ihn für »glücklich«. Folglich kann man glauben, daß sie ihn selbst dann für sehr mächtig halten, wenn sie sagen, er sei »ohne alle Macht«. Man darf sich daher nicht wundern, daß sie Gebete an ihn richten. Ihre Begriffe sind derart verworren, daß sie es ihnen erlauben, Widersprüchliches von ein und demselben Gegenstand zu behaupten. Wenn sie ihn in einem bestimmten Sinne betrachten, sagen sie etwas Bestimmtes über ihn aus, und wenn sie ihn in einem anderen Sinne betrachten, so verneinen sie dies. Die Begriffe ihres Verstandes sind von den Empfindungen ihres Herzens verschieden, deshalb stimmt ihre Theorie nicht mit ihrer Praxis überein. Aber wie dem auch sei, wir müssen glauben, daß sie Sommona-Codom nicht anrufen, insofern sie glauben, er habe keinerlei Macht und kümmere sich um nichts, sondern insofern sie ihm in gewisser Hinsicht und nach Grundsätzen der Empfindung, die beim Volk gewöhnlich viel stärker sind als die klaren und deutlichen Lehrsätze der spekulativen Köpfe, eine gewisse Macht zusprechen. Der Historiker gibt klar zu verstehen, daß sie ihm eine gewisse Macht zusprechen: »In dem Sinne«, sagt er, »in dem sie ihm Macht zusprechen, stimmen sie darin überein, daß er sie nur über die Siamesen hat«. Das ist meine erste Bemerkung. Ich füge ihr folgende Beobachtung hinzu. Sie sind ganz überzeugt, daß es gewisse Dinge gibt, welche die Seele entweder zu ewigem Glück oder Unglück führen, und daß alles, was sie zu Ehren von Sommona-Codom tun können, schön, lobenswert, gerecht und geeignet ist, um zum höchsten Gut zu führen. Wenngleich sie beständig und ohne jeden Schatten von Widerspruch lehrten, daß er sich um nichts küm3

gabe.

La Loubere, Relation de Siam, Bd. I, Kap. 24, S. 533 f. meiner Aus-

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mere, keinerlei Macht besitze und die an ihn gerichteten Gebete nicht höre, so mußten sie sich doch mit ihren Nöten an ihn wenden und die Tugenden ausüben, die ihm angenehm gewesen sind, denn das soll ihnen zufolge der Weg der höchsten Glückseligkeit sein. Ich sage also, daß ihre Frömmigkeit und ihre praktische Moral meine Behauptung nicht widerlegen. Denn sie glauben gleichzeitig an sein Dasein und an die Vorsehung. Es ist wahr, daß sie Sommona-Codom keine Vorsehung beilegen, aber es reicht aus, daß sie sie einer anderen Sache beilegen und von ihr die Belohnung ihrer guten Werke erwarten. »Sie haben den Begriff der Gottheit genauso verloren wie die Chinesen«, sie haben jedoch »jene alte Maxime beibehalten, die eine Belohnung der Tugend verspricht und eine Bestrafung des Lasters androht«.4 Sie legen also »diese austeilende Gerechtigkeit einem blinden Schicksal« bei. Von diesem Schicksal erwarten sie ihr Glück, wenn sie tugendhaft leben; dieses Schicksal ist es, das ihnen die Huldigungen anrechnen wird, die sie Sommona-Codom dargebracht haben. Um ihre gottlosen Ansichten zu verstehen, muß man den Blick nur auf die der gelehrten Chinesen richten. Das sind »diejenigen, die in der Gelehrsamkeit weit vorangeschritten sind, und die einzigen, die an der Regierung teilhaben«. Sie sind »völlig gottlos geworden und haben, obwohl sie an der Sprache ihrer Vorgänger nichts geändert haben, aus der Seele des Himmels und allen anderen Seelen ich weiß nicht was für welche luftige Substanzen ohne Verstand gemacht; und zum alleinigen Richter über unsere Werke haben sie ein blindes Schicksal eingesetzt, das ihrer Meinung nach das macht, was eine allmächtige und völlig erleuchtete Gerechtigkeit tun könnte.« Sie behaupten, daß »dies eine den Prinzipien der Natur ganz gemäße Sache sei, daß durch geheime, aber zuverlässige sympathetische Beziehungen zwischen der Tugend und dem Glück sowie zwischen dem Laster und dem Unglück die Tugend stets glücklich und das Laster stets unglücklich mache«.5 Also sind die Chinesen 4 5

La Loubere, a. a.O., Kap. 23, Nr. 15, S. 515. A. a.O., Nr. 14, S. 514.

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und die Siamesen von Epikur sehr verschieden. Sie leugnen die Existenz Gottes und nehmen eine Vorsehung an,6 wohingegen Epikur die Vorsehung zurückwies und die Existenz der Gottheit anerkannte. Man darf es daher nicht befremdlich finden, daß die Siamesen Sommona-Codom anrufen und sich bemühen, sein schönes Leben nachzuahmen; aber man müßte es befremdlich finden, wenn Epikur Jupiter angerufen und zu Ehren der Götter große Mühen auf sich genommen hätte; denn er war überzeugt, daß seine Gebete und seine Bemühungen ihm zu nichts dienen würden. Die Siamesen hingegen glauben, daß die Verehrung ihres Helden ihnen eine schöne Belohnung einbringt. Das blinde Schicksal, die Gesetze und die natürlichen sympathetischen Verbindungen, die ihnen zufolge die Tugend mit dem Glück sowie das Laster mit dem Unglück verknüpfen, sind ein ebenso starker Beweggrund und Hemmschuh, wie es der Glaube an eine erleuchtete Vorsehung nur sein könnte.

Daß die Lehre von einer natürlichen und blinden Verbindung zwischen der Tugend und dem Glück sowie zwischen dem Laster und dem Unglück größere Wirkung auf den Menschen ausüben würde als die christliche Lehre von der Vorsehung Ich gehe noch weiter und sage, daß der Ordnung der Natur zufolge7 die Triebfedern dieses Glaubens nicht so viel Kraft haben wie die Ansicht der Siamesen. Eine natürliche Verbindung der Tugend mit dem Glück und des Lasters mit dem Unglück wäre viel besser geeignet, einen auf Belohnung ausgerichteten Geist zu bewegen, als die Überzeugung der Rechtgläubigen ohne die wirkende Gnade. Diese Verbindung würde immer ihre völlige und ganze Wirkung tun, weil sie nicht einer Ursa6

D. h. ein Gesetz für die Bestrafung des Bösen und für die Belohnung des Guten. 7 D. h. wenn man die Wirkung der Gnade auf die prädestinierten Seelen nicht erwägt.

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che unterworfen wäre, die es gelegentlich für gut hält, ihren Gesetzen zuwider zu handeln, sie auszudehnen, sie einzuschränken, ihre Ausübung zu beschleunigen oder zu verlangsamen, kurzum, nach ihren Absichten und nach den wechselnden Verhältnissen über sie zu befinden. Eben weil es sich bei dieser Verbindung nur um ein blindes Schicksal handelte, würde sie den Tugendhaften völlige Sicherheit sofortiger Belohnung und den Bösewichtern eine notwendige Furcht vor sofortiger Bestrafung eingeben. Aber unter der Voraussetzung einer Vorsehung, die alle Dinge nach ihrem Wohlgefallen und mit einer Weisheit einrichtet, deren sämtliche Absichten wir nicht begreifen, kann man nicht sicher sein, daß eine gute Handlung nützlich und eine böse Handlung schädlich sein wird, denn man kann sich bei jedem besonderen Anlaß vorstellen, dies sei einer der Fälle, bei dem es Gott gefällt, nicht dem allgemeinen Gesetz der Belohnung des Guten oder dem der Bestrafung des Bösen zu folgen. Die Christen stimmen darin überein, daß dies Gesetze sind, deren Ausführung Gott solange aussetzt, wie es ihm gut erscheint. Sie sagen sogar, daß ein alter Sünder, der alle Vergnügen des Lebens genossen hat, auf ewig glücklich sein wird, wenn er nur auf dem Sterbebett aufrichtig Buße tut; und daß man, wenn man im Alter den Weg der Tugend verläßt, dem man lange Zeit unter großen Beschwernissen gefolgt ist, auf ewig verdammt sein wird.8 Hierdurch kann es zweifellos kommen, daß die Furcht vor dem Urteil Gottes und die Hoffnung auf seine Belohnungen keinen großen Eindruck auf die Weltleute machen. Wenn es eine unauflösliche Verbindung zwischen der frommen Bitte an Gott um eine gute Sache und ihrer Erlangung gäbe, so würde man niemals zweifeln, daß ein gut eingerichtetes Gebet wirksam wäre. Wenn man aber die Lehre der Theologen über diesen Teil des Gottesdienstes kennt, kann man nicht sicher sein, daß die glühendsten und frömmsten Wünsche einer Mutter für die Genesung, für die Bekehrung ihres Sohnes, für die Freilassung ihres zu Unrecht eingekerkerten Ehemannes erhört werden. Wer die Predigten über 8

Man vergleiche dieses mit Hesekiel, Kap. 18.

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die Wirksamkeit des Gebets gehört oder irgendein Buch über diese Frage gelesen hat, weiß, daß die Beweise, die man gibt und die man entweder auf Räsonnements oder auf Beispiele gründet, eine fast völlige Überzeugung hervorbringen. Aber am Ende muß man zur Prüfung der Schwierigkeiten kommen. Die Prediger stellen ihre Folgerungen nicht an, ohne anzunehmen, daß jemand sie fragt: »Aber warum erhält man dann Dinge nicht, obwohl man gläubig und zum größten Ruhm Gottes um sie bittet?« Sie antworten, daß uns Gott in vielen Fällen seine Gnade versagt, um uns zu prüfen oder um uns mehr und mehr zu demütigen, oder weil er weiß, daß die Wohltaten, die wir erbitten, nachteilig für uns wären, und weil er besser als wir unsere wahren Bedürfnisse kennt und weiß, was seinem Ruhm förderlich ist. Es gibt keinen Fall, in dem nicht jedermann zu dem Urteil kommen könnte, daß seine Gebete aus irgendeinem dieser Gründe unerhört bleiben werden, und das bewirkt, daß die Hoffnung auf Erhörung stets von großer Ungewißheit begleitet ist und daß viele Leute im Beten nachlassen oder sich darauf beschränken, nur die allgemeine Gnade von Gott zu erbitten, sich mit allem zufrieden zu geben, was ihm gefällt. Man würde ganz anders handeln, wenn man überzeugt wäre, daß es eine notwendige Verknüpfung zwischen einem frommen Gebet und der Erlangung des Gutes gebe, um das man gebetet hatte. Man würde sich in all seinen Nöten an die Vorsehung wenden, so wie man sich dem Feuer nähert, wenn uns die Kälte quält. Weil also die Siamesen überzeugt sind, daß es eine schicksalhafte, unveränderliche und notwendige Verbindung zwischen der Tugend und dem Glück sowie zwischen dem Laster und dem Unglück gibt, müßte diese Gottlosigkeit wirksamer sein, sie zu einem tugendhaften Leben zu bringen, als es die Religion in anderen Ländern ist. Um glücklich zu sein, sollten sie sich der Tugend zuwenden, so wie sie zur Nahrung greifen, wenn sie Hunger haben; und um Unglück zu vermeiden, sollten sie sich vom Laster fernhalten, so wie man sich vom Feuer entfernt, wenn man sich zu verbrennen fürchtet. Aber in diesem Fall wären ihre guten Sitten auf Belohnung ausgerichtet wie sonst nichts. Die reinen Begriffe

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der Rechtschaffenheit wären nicht ihr Prinzip. Nebenbei bemerkt ist es sehr befremdlich, daß die Siamesen glauben können, was man ihnen über diese schicksalhafte Verknüpfung zu glauben auferlegt. Gibt es unter ihnen niemanden, der sich auf unrechte Weise bereicherte oder der arm wäre, ohne als Verbrecher zu gelten, oder der sich beim Versuch, das Leben eines ehrenwerten Menschen zu retten, verletzt hätte? Ich glaube, daß sie uns mit irgendeinem stoischen Begriff antworten würden, wenn wir sie diesbezüglich nachdrücklich befragen wollten, nämlich daß die Krankheiten, der Kummer, die Armut keine Übel und der Reichtum, das Vergnügen und die Gesundheit kein Gut sind.9 Ich könnte mühelos glauben, daß das Volk diese Meinung einer natürlichen sympathetischen Verbindung von Tugend und Glück sowie von Laster und Unglück gar nicht teilt, sondern daß dies lediglich die Lehre ihrer Gelehrten ist, welche die Vorsehung geleugnet und gleichwohl gesehen haben, daß es nützlich wäre, die gewöhnliche Ansicht über Strafen und Belohnungen aufrechtzuerhalten.

Ob die Bewunderung eines vorzüglichen Wesens, das uns weder Gutes noch Übles zufügen kann, dazu dienen kann, uns glücklich zu machen II. Wir wollen jetzt den anderen Teil des Einwands untersuchen. Ich gebe zu, daß man einen Gegenstand bewundern und verehren kann, ohne sich eine andere Belohnung davon zu versprechen als die bloße Befriedigung, dem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber ich kann nicht zugestehen, daß es Leute geben soll, die imstande wären, ihn anzurufen, ihre Neigungen zu bekämpfen und ihm Opfer darzubringen, um seine Zuneigung zu gewinnen und seinen Zorn zu besänftigen, wenn sie ganz überzeugt sind, 1) daß er sich um nichts kümmert, daß er sich um nichts sorgt, daß das böse Leben der 9

Man vergleiche oben die Anmerkung (E) des Artikels SADDUZÄER. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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Menschen ihm nicht mißfällt und daß ihr tugendhaftes Leben ihm nicht angenehm ist. 2) Daß es kein anderes Wesen gibt, das die Huldigungen belohnen könnte, die sie jenem dargebracht haben, oder das die Nachgiebigkeit bestrafen könnte, die sie für ihre Leidenschaften hatten. Das ist das Fundament der von mir behaupteten Maxime, daß »der Glaube an die Existenz Gottes ohne den Glauben an die Vorsehung kein Motiv zur Tugend noch ein Hemmschuh gegen das Laster sein kann«. »Aber«, wird man sagen, »können Menschen, die mit Bewunderung für ein hervorragendes, heiliges, glückliches und überall auf Erden verehrtes Wesen erfüllt sind, sich dieses nicht als ein Vorbild ihres Lebens vorstellen, und können sie in der Absicht, es nachzuahmen, nicht ihre schlechten Neigungen bekämpfen und mit außerordentlichen Anstrengungen nach der Tugend streben?« Ich antworte, daß sie es können, vorausgesetzt, sie glauben, daß diese mühsame Nachahmung sie jenem Wesen ähnlich machen oder ihnen irgendeinen anderen sehr wertvollen Ruhm verschaffen wird. Aber dann wird der Glaube an die Vorsehung bei ihnen mit dem Glauben an die göttliche Existenz vereint sein. Sie werden entweder wie die Siamesen und die Chinesen glauben, daß die Natur der Dinge durch ein blindes Schicksal das Glück mit der Tugend und das Unglück mit dem Laster vereint hat, und daß die Nachahmung eines Sommona-Codom sie eines Tages in einen Zustand versetzen wird, der dem seinen ähnlich ist; oder sie werden glauben, daß ein weiser Gesetzgeber Belohnungen für diejenigen bestimmt hat, die das heilige und glückliche Leben der unsterblichen Götter zu ihrem Vorbild gewählt haben. Schlimmstenfalls werden sie hoffen, daß das menschliche Geschlecht rechtschaffen genug sein wird, ihre Tugend zu bewundern und derselben rühmliche Verdienste beizulegen, und daß sie eines Tages vielleicht zur Apotheose gelangen werden. Der Ruhm des Miltiades hatte großen Einfluß auf Themistokles, obwohl Themistokles sich nichts von Miltiades erhoffte; ich gebe es zu. Aber kann heutigentags die Erinnerung an Alexander und Cäsar die Leidenschaften nicht so lebhaft rühren, daß sie zum Anlaß wird, die schwierigsten Dinge zu unternehmen? Trotz-

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dem ist man ganz überzeugt, daß diese Eroberer nicht wissen, was sich auf der Erde abspielt und daß sie weder etwas Gutes noch etwas Böses tun können. Ich gebe das alles zu. Aber wußte Themistokles nicht, daß er durch Nachahmung des Miltiades zum gleichen Ruhm gelangen würde wie Miltiades selbst? Weiß nicht, wer heutigentags in den Spuren von Alexander und Cäsar marschiert, daß die Trophäen, die Lobreden, die Unsterblichkeit seines Namens Preis und ruhmreicher Lohn für seine Anstrengungen sein werden? Deshalb haben alle Beispiele, die man von der Macht der Bewunderung und der Nachahmung anführen könnte, als Grund und Voraussetzung die Existenz einer Ursache, welche die Mühe des Bewunderers und des Nachahmers belohnt. Sie stehen meiner These also nicht entgegen. Hier noch eine Überlegung dazu. Der Glaube an die göttliche Existenz ohne den Glauben an die Vorsehung darf nicht als ein Beweggrund der Tugend gelten, wenn alles das, was er hervorbringen kann, auch durch die bloße Vorstellung der Rechtschaffenheit und durch das bloße Verlangen nach Lob hervorgebracht werden kann. Nun vermögen die bloße Vorstellung der Rechtschaffenheit und das bloße Verlangen nach Lob alles das hervorzubringen, was die Bewunderung und Nachahmung der Götter Epikurs bewirken könnten. Das wird offensichtlich, wenn man es aufmerksam prüft. Folglich usw. Ich wollte keinen Vorteil daraus ziehen, daß ein Anhänger Epikurs sich nicht schmeicheln könnte, er werde durch die Nachahmung der Tugenden der Götter eines Tages deren Glückseligkeit besitzen;10 das wäre nicht angebracht gewesen, weil du Rondel nicht voraussetzt, daß der Einwand auch Epikur betrifft. Man sehe die Fußnote (11).11

10

Epikur und seine Anhänger lehrten, daß die Seele des Menschen für immer untergeht, wenn der Mensch stirbt. 11 Ich trage dies nur als ein Problem vor, das du Rondel untersuchen möge und das ich ihn zur weiteren Unterrichtung meiner Leser zu widerlegen bitte, wenn er es für angebracht hält.

SPINOZA

spinoza, Benedikt von, Jude von Geburt, dann Apostat und schließlich Atheist, stammte aus Amsterdam. Er war ein systematischer Atheist mit einer ganz neuartigen Methode, wenngleich er die Grundlage seiner Lehre mit mehreren anderen antiken und modernen, sowohl europäischen wie östlichen Philosophen teilte (A). Hinsichtlich der letzteren braucht man nur zu lesen, was ich in der Anmerkung (D) des Artikels JAPAN* berichte und was ich unten über die Theologie einer chinesischen Sekte sage (B). Ich habe nichts Besonderes über die Familie Spinozas in Erfahrung bringen können, aber es besteht Anlaß zu der Annahme, daß sie arm und nicht sehr bedeutend war. Er erlernte die lateinische Sprache bei einem Arzt,a der in Amsterdam unterrichtete, und widmete sich schon in sehr jungen Jahren dem Studium der Theologie,b mit der er sich mehrere Jahre beschäftigte. Danach wendete er sich ganz dem Studium der Philosophie zu. Da er einen mathematischen Geist besaß und für alles einen Grund verlangte, sah er sehr bald ein, daß die Lehre der Rabbiner nicht seine Sache war, so daß man leicht gewahr wurde, daß er mehrere Artikel des Judentums mißbilligte. Denn er war ein Mann, der den Gewissenszwang verabscheute, und ein großer Feind der Verstellung. Deshalb sprach er seine Zweifel und Überzeugungen offen aus. Es heißt, die Juden hätten ihm unter der Voraussetzung, daß er sich äußerlich ihren Zeremonien anpaßte, ange具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 Namens François van den Ende. Man beachte, daß Kortholt im Vorwort zu der zweiten Auflage der Abhandlung seines Vaters De tribus impostoribus sagt, ein Mädchen habe Spinoza das Lateinische beigebracht und habe später Kerckring geheiratet, der zur gleichen Zeit ihr Schüler war wie Spinoza. b Man sehe die Anmerkung (F). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 * a

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boten, ihn zu tolerieren, und ihm sogar eine jährliche Pension versprochen. Spinoza habe sich zu einer solchen Verstellung aber nicht entschließen können. Er entfremdete sich jedoch nur langsam ihrer Synagoge und wäre vielleicht noch länger in gewissem Kontakt mit ihnen geblieben, wenn er beim Verlassen der Komödie nicht auf hinterhältige Weise von einem Juden angegriffen worden wäre, der ihm einen Messerstich versetzte. Die Verletzung war nur leicht, aber er glaubte, daß der Attentäter ihn töten wollte. Daraufhin brach er völlig mit der jüdischen Gemeinde, und das war die Ursache seiner Exkommunikation. Ich habe nach den Umständen geforscht, konnte sie aber nicht entdecken.c Er verfaßte auf spanisch eine Apologie seines Austritts aus der Synagoge. Diese Schrift ist nicht gedruckt worden; man weiß jedoch, daß er viele Dinge in sie hineinbrachte, die später in seinem Tractatus theologico-politicus erschienen sind, der 1670 in Amsterdam gedruckt wurde. Das ist ein schädliches und abscheuliches Buch, in dem er alle Samen des Atheismus ausstreut, der sich in seinen Opera posthuma unverhüllt zeigt. Stouppe wirft den Predigern Hollands zu Unrecht vor, sie hätten nicht auf den Tractatus theologico-politicus geantwortet. Er spricht nicht immer auf zutreffende Weise von ihm (E). Als Spinoza sich den philosophischen Studien zuwendete, verspürte er sehr bald Abscheu vor den gewöhnlichen Systemen und fand außerordentlich großes Gefallen an dem des Descartes. Er verspürte eine derart starke Leidenschaft zur Suche nach der Wahrheit, daß er in gewisser Weise der Welt entsagte, um ihrer Erforschung besser nachgehen zu können. Er war nicht damit zufrieden, sich aller Art von Geschäften entledigt zu haben; er verließ auch Amsterdam, weil die Besuche seiner Freunde allzu oft seine Spekulationen unterbrachen. Er zog sich aufs Land zurück, wo er nach seinem Belieben meditierte und an Mikroskopen und Teleskopen arbeitete. Er setzte dieses Leben fort, nachdem er sich in Den Haag niedergelassen hatte, und fand solches Gefallen daran, zu meditieren und seine Meditationen in Form zu bringen c

Aus einer dem Buchhändler mitgeteilten Nachricht.

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sowie sie seinen Freunden mitzuteilen, daß er seinem Geist nur wenig Zeit zur Erholung gab und manchmal ein ganzes Vierteljahr verstreichen ließ, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Dieses zurückgezogene Leben war der Verbreitung seines Namens und seines Ansehens nicht hinderlich. Freidenker kamen von überall her zu ihm. Der pfälzische Hof wünschte ihn bei sich zu haben und bot ihm einen Lehrstuhl für Philosophie in Heidelberg an. Er lehnte ab, weil das ein Amt war, das wenig mit seinem Wunsch nach ungestörter Wahrheitssuche vereinbar war. Er zog sich eine schleichende Krankheit zu, an der er am 21. Februar 1677 im Alter von etwas mehr als 44 Jahren in Den Haag starb. Ich habe sagen gehört, daß der Prinz de Condé ihn um einen Besuch gebeten hat, als er 1673 in Utrecht war. Diejenigen, die Umgang mit Spinoza hatten, sowie die Bauern der Dörfer, in denen er für einige Zeit zurückgezogen gelebt hatte, sagen einstimmig, daß er ein umgänglicher, leutseliger, ehrlicher, zuvorkommender und moralisch gefestigter Mann gewesen ist (I). Das ist seltsam, aber im Grunde muß man sich darüber nicht mehr verwundern, als wenn man Leute sieht, die einem schlechten Lebenswandel folgen, obwohl sie vom Evangelium völlig überzeugt sind. Einige behaupten, er sei der Maxime »Niemand wird mit einem Schlage ein höchst unsittlicher Mensch« gefolgt und nur unmerklich in den Atheismus abgeglitten, von dem er 1663 noch weit entfernt war, als er die Geometrische Demonstration der Prinzipien des Descartes veröffentlichte. Er zeigt sich in diesem Werk bezüglich der Natur Gottes genauso rechtgläubig wie Descartes selbst, aber man muß wissen, daß er so nicht gemäß seiner Überzeugung gesprochen hat. Man hat nicht unrecht, wenn man annimmt, daß der Mißbrauch, den er von einigen Maximen dieses Philosophen machte, ihn in den Abgrund führte. Es gibt Leute, welche die 1665 unter einem Pseudonym gedruckte Schrift De jure ecclesiasticorum als Vorläufer des Tractatus theologicopoliticus ansehen. Alle, die den Tractatus theologico-politicus widerlegt haben, entdeckten in ihm die Samen des Atheismus, aber niemand hat sie so deutlich entwickelt wie Johann Bredenburg (M). Es ist schwerer, auf all die Schwierigkeiten zu

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antworten, die in diesem Werk vorgetragen werden, als das System von Grund auf zu zerstören, das in seinen Opera posthuma ans Licht getreten ist, denn das ist die ungeheuerlichste, absurdeste und den evidentesten Begriffen unseres Geistes am meisten entgegengesetzte Lehre, die man sich vorstellen kann (N). Man könnte sagen, daß die Vorsehung die Verwegenheit dieses Autors auf eine besondere Weise bestraft hat, indem sie ihn auf solche Art blind werden ließ, daß er sich zur Vermeidung der Schwierigkeiten, die einem Philosophen Mühe bereiten können, in Schwierigkeiten stürzte, die unendlich unerklärlicher und so offenkundig sind, daß kein gesunder Verstand sie jemals verkennen kann. Diejenigen, die beklagen, daß die Autoren, die seine Widerlegung unternommen haben, damit keinen Erfolg hatten, bringen die Dinge durcheinander. Sie wünschten, daß man die Schwierigkeiten völlig behebt, denen er erlegen ist (O). Aber sie sollten sich damit begnügen, daß man seine Lehre völlig umstürzt, wie es sogar die schwächsten seiner Gegner getan haben. Man darf nicht vergessen, daß dieser gottlose Mensch die unvermeidlichen Konsequenzen seines Systems nicht erkannt hat, denn er hat sich über Geistererscheinungen lustig gemacht; und doch gibt es keinen Philosophen, der weniger Recht hätte sie zu leugnen (Q). Er muß anerkennen, daß alles in der Natur denkt und daß der Mensch nicht die aufgeklärteste und intelligenteste Modifikation des Universums ist. Er muß also Dämonen zulassen. Der ganze Streit seiner Anhänger über die Wunder ist nur ein Spiel mit Worten (R) und dient nur dazu, die Ungenauigkeit seiner Begriffe noch deutlicher zu zeigen. Er starb, so heißt es, völlig von seinem Atheismus überzeugt, und er hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um zu verhindern, daß im Falle des Falles seine Unbeständigkeit bekannt würde. Wenn er folgerichtig geschlossen hätte, dann hätte er die Angst vor der Hölle nicht als Hirngespinst abgetan (T). Seine Freunde behaupten, er habe aus Bescheidenheit gewünscht, daß keine Sekte seinen Namen trage. Es stimmt nicht, daß er viele Anhänger hätte. Sehr wenige Leute stehen im Verdacht, seiner Lehre anzuhängen, und unter denen, die man dessen verdächtigt, gibt es wenige, die sie

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studiert haben, und unter letzteren gibt es wenige, die sie verstanden haben und die von den Schwierigkeiten und den undurchdringlichen Abstraktionen, auf die sie dort trafen, nicht abgestoßen worden wären.m Die Sache ist folgende: Man nennt nach dem äußeren Eindruck alle diejenigen Spinozisten, die fast keine Religion haben und das kaum verhehlen. So werden in Frankreich alle diejenigen Sozinianer genannt, von denen man meint, sie würden die Geheimnisse des Evangeliums nicht glauben, obgleich die Mehrzahl dieser Leute niemals Socinus noch einen seiner Schüler gelesen haben. Übrigens ist Spinoza dasjenige widerfahren, was all denen unvermeidlich widerfährt, die gottlose Systeme aufstellen: Sie schützen sich vor gewissen Einwänden, setzen sich aber anderen noch verwirrenderen Schwierigkeiten aus. Wenn sie sich der Orthodoxie nicht unterwerfen können, wenn sie das Disputieren so sehr lieben, dann würden sie besser damit fahren, keine Lehren aufzustellen. Aber von allen atheistischen Lehren vermag die des Spinoza am wenigsten irgend jemanden zu täuschen, denn, wie ich schon sagte, sie widerstreitet den deutlichsten Begriffen des menschlichen Verstandes. Haufenweise erheben sich Einwände gegen ihn, und er kann nur solche Antworten geben, welche die These selbst, die er stützen muß, an Dunkelheit noch übertreffen.n So bringt sein Gift das Gegengift gleich mit sich. Er wäre viel fürchterlicher gewesen, wenn er alle seine Kräfte auf die Erläuterung einer Lehre verwendet hätte, die bei den Chinesen großen Zulauf hat (X) und die von derjenigen sehr verschieden ist, über die ich in der zweiten Anmerkung dieses Artikels gesprochen habe. Soeben habe ich eine ziemlich merkwürdige Sache erfahren, daß er nämlich, seit er dem jüdischen Bekenntnis abgeschworen hatte, öffentlich das Evangelium bekannte und die Versammlungen der Mennoniten oder der m

Das ist der Grund, warum einige meinen, er sollte gar nicht widerlegt werden. Man sehe die Nouvelles de la république des lettres, Juni 1684, Art. VI, S. 388 f. meiner Ausgabe. n Man ziehe seine Briefe zu Rate und man wird sehen, daß seine Antworten meistens keine Beziehung zum Stand der Frage haben.

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Arminianer in Amsterdam besuchte.o Er billigte sogar ein Glaubensbekenntnis, das einer seiner guten Freunde ihm mitgeteilt hatte. Was man in der Fortsetzung der Menagiana über ihn gesagt hat, ist so falsch, daß ich mich wundere, daß die Freunde von Ménage das nicht gemerkt haben. Vigneul Marville hätte sie veranlaßt, es zu unterdrücken, wenn er bei der Herausgabe dieses Werks beteiligt gewesen wäre, denn er hat das Publikum wissen lassen, »daß man Anlaß hat, die Wahrheit dieser Sache zu bezweifeln«.p Die Gründe, die er für seinen Zweifel anführt, sind sehr vernünftig. Er wäre nicht zu weit gegangen, wenn er die Sache entschieden verneint hätte. Wir werden einen Fehler anmerken, den er auf derselben Seite begangen hat, und wir wollen etwas über die Einwände sagen, die ich gegen das System Spinozas vorgebracht habe. Ich könnte ihnen eine sehr weitläufige Ergänzung hinzufügen, wenn ich nicht meinte, daß sie schon jetzt angesichts der Art meines Werks zu lang wären. Hier ist nicht der Ort, sich auf einen förmlichen Disput einzulassen; ich muß mich damit begnügen, allgemeine Bemerkungen vorzutragen, die den Spinozismus in seinen Fundamenten angreifen und die zeigen, daß er ein System ist, das auf einer so befremdlichen Annahme gegründet ist, daß sie die Mehrzahl der allgemeinen Begriffe umstürzt, die in philosophischen Diskussionen als Richtschnur dienen. Es ist zweifellos ein sehr gutes Verfahren, dieses System durch seinen Gegensatz zu den evidentesten und allgemeinsten Axiomen, die man bislang kennt, zu bekämpfen, wenngleich es vielleicht weniger geeignet ist, die alten Spinozisten zu bekämpfen, als wenn man ihnen zeigte, daß die Lehrsätze des Spinoza sich selbst widersprechen. Sie würden ihr Vorurteil eher einsehen, wenn sie zu dem Zugeständnis gezwungen wären, daß er nicht immer mit sich selbst übereinstimmt, daß er das, was er beweisen muß, schlecht beweist, daß er dasjenige ohne Beweis läßt, was einen Beweis benötigte, daß seine Folgerungen nicht einwandfrei o p

Man sehe die Anmerkung (I). Vigneul Marville, Mêlang., S. 320 der holländischen Ausgabe.

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sind usw. Diese Methode, ihn durch Nachweis absoluter Fehlerq seines Werks und relativer Fehler seiner einzelnen Teile, wenn man sie miteinander vergleicht, anzugreifen, ist sehr gut in einigen Widerlegungsschriften angewendet worden. Ich habe soeben erfahren, daß der Autor eines kleinen flämischen Buchs, das vor einigen Tagen gedruckt wurde, sich ihrer mit Nachdruck und Geschick bedient hat. Aber ich will von der Ergänzung sprechen, die ich geben werde. Sie besteht in einer Klarstellung des Einwandes, den ich aus der Unveränderlichkeit Gottes hergeleitet habe (CC), und in der Prüfung der Frage, ob es wahr ist, wie dem Vernehmen nach einige Leute behaupten, daß ich die Lehre des Spinoza überhaupt nicht verstanden hätte (DD). Das wäre sehr seltsam, denn ich habe mich nur bemüht, den Satz zu widerlegen, der die Grundlage seines Systems ist und den er mit größtmöglicher Klarheit ausdrückt. Ich habe mich auf die Bekämpfung dessen beschränkt, was Spinoza klar und deutlich als sein erstes Prinzip festsetzt, daß nämlich Gott die einzige Substanz ist, die es im Universum gibt, und daß alle anderen Wesen nur Modifikationen dieser Substanz sind. Wenn man nicht versteht, was er damit sagen will, so zweifellos deshalb, weil er den Worten eine ganz neue Bedeutung beigelegt hat, ohne seine Leser darauf hinzuweisen. Das ist ein sicherer Weg, durch eigenes Verschulden unverständlich zu werden. Wenn es einen Begriff gibt, den er in neuer und den Philosophen unbekannter Bedeutung verwendet, so ist es offensichtlich derjenige der Modifikation. Aber in welchem Sinn er ihn auch nimmt, er kann Verwechslungen nicht vermeiden, wie man in einer Anmerkung dieses Artikels sehen wird.a Wer die Einwände gründlich prüfen will, die ich vorgetragen habe, wird leicht bemerken, daß ich das Wort »Modalität« in dem Sinn genommen habe, den es haben muß, und daß die Folgerungen, die ich gezogen und die Prinzipien, die q

Unter diesem Wort verstehe ich die Fehler, die nicht daher rühren, daß Spinoza quer steht zu den Maximen, die von den anderen Philosophen allgemein als wahr anerkannt werden. a Die Anmerkung (DD).

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ich verwendet habe, um diese Folgerungen zu bekämpfen, genau mit den Regeln folgerichtigen Denkens übereinstimmen. Ich weiß nicht, ob es notwendig ist zu sagen, daß der Ort, an dem ich angreife und der mir stets als sehr schwach erschienen ist, derjenige ist, um dessen Verteidigung sich die Spinozisten am wenigsten sorgen (EE). Zum Schluß werde ich sagen, daß mehrere Personen mir versichert haben, daß seine Lehre, auch wenn man sie unabhängig von den Interessen der Religion betrachtet, den größten Mathematikern unserer Zeit höchst verächtlich erschienen ist.b Man wird das leicht glauben, wenn man sich an zwei Dinge erinnert; zum einen, daß es keine Leute gibt, die stärker von der Vielheit der Substanzen überzeugt sind als diejenigen, die sich mit der Betrachtung der Ausdehnung befassen; zum anderen, daß die Mehrzahl dieser Herren das Vakuum zuläßt. Nun gibt es nichts, was der Lehre des Spinoza mehr entgegengesetzt wäre als die Behauptung, daß die Körper sich allesamt nicht berühren; und niemals sind zwei Systeme schärfer entgegengesetzt gewesen als seines und das der Atomisten. Er stimmt mit Epikur in der Zurückweisung der Vorsehung überein, aber in allem anderen sind ihre Systeme wie Feuer und Wasser. Ich habe soeben einen Brief gelesen,c in dem behauptet wird, »Spinoza habe einige Zeit« in Ulm gelebt, daß »der Magistrat ihn vertrieben habe, weil er dort seine schädliche Lehre ausgebreitet habe« und »daß er dort seinen Tractatus theologico-politicus begonnen habe«. Ich bezweifle das alles stark. Der Verfasser des Briefs fügt hinzu, daß »sein Vater zu der Zeit, als er noch Protestant war, ein enger Freund Spinozas war und daß b

U. a. hat man mir Huygens, Leibniz, Newton, Bernoulli und Fatio genannt. c Er findet sich im Mercure galant vom September 1702 und stammt von einem Offizier in der Armee des Kurfürsten von Bayern. Dieser Offizier gibt an, er werde demnächst eine Geschichte der Gedenkmünzen der osmanischen Kaiser seit der Gründung ihres Reiches herausgeben; ein Werk, an dem er seit 22 Jahren arbeite und das er in Genf drucken lassen werde. Er sagt ferner, daß er eine Übersetzung des Quintus Curtius ins Türkische unternehme, um die man ihn aus Adrianopel gebeten habe.

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dieses seltene Genie hauptsächlich durch seine Bemühungen die Glaubensgemeinschaft der Juden verlassen habe«.

(A) Er war ein systematischer Atheist mit einer ganz neuartigen Methode, wenngleich er die Grundlage seiner Lehre mit mehreren antiken und modernen, europäischen und östlichen Philosophen teilte. Liste etlicher Personen, welche die gleiche Meinung wie Spinoza gehabt haben Ich glaube, daß er der erste ist, der den Atheismus in ein System gebracht und daraus ein Lehrgebäude gemacht hat, das nach der Art der Geometer angeordnet und verknüpft ist; im übrigen aber ist seine Lehre keineswegs neu. Schon vor langer Zeit war man der Ansicht, das ganze Universum sei nur eine Substanz und Gott und die Welt seien nur ein einziges Wesen. Pietro della Valle hat gewisse Mohammedaner erwähnt, die sich Ehl Eltahkik, oder »Männer der Wahrheit, Leute der Gewißheit«, nennen und die glauben, »daß es überhaupt nur die vier Elemente gibt, die Gott sind, die der Mensch sind, die alle Dinge sind«.1 Er spricht auch von den Zindikiten, einer anderen mohammedanischen Sekte. »Sie kommen den Sadduzäern nahe, von denen sie ihren Namen entlehnen. Sie glauben nicht an die Vorsehung noch an die Auferstehung der Toten, wie Giggoïus es anhand des Wortes ›Zindik‹ erklärt.2 (---). Unter ihren Meinungen findet sich diese, daß alles, was man sieht, alles, was in der Welt ist, alles, was erschaffen worden ist, Gott ist.«3 Es hat ähnliche Häretiker unter den Christen gegeben, denn wir finden zu Beginn des 13. Jahrhunderts einen gewissen Man sehe den Artikel ABUMUSLIMUS, Anmerkung (A). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 2 Bespier, Remarques curieuses sur Ricaut, etat présent de l’empire ottoman, S. 548. 3 Pietro della Valle, S. 394 in Bd. III, zitiert von Bespier, a. a.O. 1

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David de Dinant, der keinen Unterschied zwischen Gott und der ersten Materie annahm. Man täuscht sich, wenn man meint, daß vor ihm niemand solche Phantastereien geäußert hätte.4 Spricht Albertus Magnus nicht von einem Philosophen, der sie vorgetragen hat? »Der Epikureer Alexander sagte, Gott sei die Materie oder sei nicht von ihr verschieden, und alles sei wesensmäßig Gott, und die Formen seien vorgestellte Akzidenzien (…)«.5 Einige meinen, dieser Alexander habe zur Zeit Plutarchs gelebt,6 andere merken ausdrücklich an, daß er vor David de Dinant gelebt habe. »David de Dinant folgte Alexander, der ein Buch über die Materie geschrieben hat, in dem er zu beweisen suchte, daß alles eins sei in der Materie.« Das liest man in einer Marginalie der Abhandlung, in der Thomas von Aquin diese ausschweifende und ungeheuerliche Meinung widerlegt.7 David de Dinant wußte vielleicht nicht, daß es einen solchen Philosophen aus der epikureischen Schule gab; aber zumindest muß man mir einräumen, daß er sich sehr wohl bewußt war, diese Lehre nicht erfunden zu haben. Hatte er sie nicht von seinem Lehrer gelernt? War er nicht Schüler jenes Amaulri, dessen Leichnam im Jahr 1208 ausgegraben und verbrannt wurde, und der gelehrt hatte, alle Dinge seien Gott und ein einziges Wesen?8 (…). Ich wage nicht zu behaupten, daß der Peripatetiker Straton der gleichen Meinung gewesen ist, denn ich weiß nicht, ob er lehrte, das Universum oder die Natur sei ein einfaches Wesen und eine einige Substanz; ich weiß 4

»Er hat behauptet, Gott sei die erste Materie, was vor ihm noch niemand dahergefaselt hatte.« Théophile Raynaud, Theologia naturalis, Distinct. VI, Nr. 6, S. 563. 5 Albertus in I Phys. Tract. III, Kap. 13 bei Pererius, De communibus principiis, Buch V, Kap. 12, S. 309 f. meiner Ausgabe. 6 »Ich glaube es ist jener, den Plutarch II. Sympos., 3 unter seinen Gefährten erwähnt.« Thomasius, Dissertat. XIV ad phil. stoic., S. 199. 7 Bei Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, Buch I, Kap. 17, in der Ausgabe Lyon 1586, f. 23. (…). 8 Man sehe Prateolus im Elenchus haeresum 具recte: haereticorum omnium 典, unter Almaricus, S. 23 meiner Ausgabe. Er sagt, daß einigen Autoren zufolge dieser Häretiker und seine Anhänger lebendig verbrannt wurden.

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nur, daß er sie unbeseelt sein ließ und daß er nur die Natur als Gott anerkannte. (…).10 Da er sich über die Atome und das Vakuum Epikurs lustig machte, könnte man sich vorstellen, daß er keinen Unterschied zwischen den Teilen des Universums annahm; aber diese Konsequenz ist nicht notwendig. Man kann lediglich folgern, daß seine Auffassung dem Spinozismus unendlich viel näher kommt als das System der Atome. (…). Man hat auch Anlaß zu glauben, daß er nicht wie die Atomisten lehrte, die Welt sei ein neues und vom Zufall hervorgebrachtes Werk, sondern daß er wie die Spinozisten lehrte, die Natur habe sie notwendigerweise und von aller Ewigkeit her hervorgebracht. Wenn man Plutarchs Worte, die ich zitieren werde, so erklärt, wie es sich gehört, dann bedeuten sie meiner Meinung nach, daß die Natur alles von sich aus und ohne Erkenntnis gemacht hat und nicht, daß ihre Werke durch Zufall entstanden sind. (…). Man beachte, daß Seneca die Lehren Platons und Stratons als größtmögliche Gegensätze bezeichnet hat; die eine nimmt Gott den Körper und die andere nimmt ihm die Seele.15 Ich glaube in einem Werk des Père Salier über die Arten der Eucharistie gelesen zu haben, daß mehrere antike Philosophen oder Häretiker die Einheit aller Dinge gelehrt haben. Da ich dieses Buch aber nicht mehr zur Hand habe, sage ich das nur beiläufig. Père Salier ist ein französischer Minime. Sein Buch, das in Paris im Jahr 1689 gedruckt wurde, trägt den Titel Historia scholastica de speciebus Eucharisticis, sive de formarum materialium natura singularis observatio ex profanis sacrisque authoribus. Das Werk wird in der Histoire des ouvrages des savans vom September 1690, S. 13 besprochen. Die Lehre von der Weltseele, die unter den Alten so verbreitet war und die den Hauptteil des stoischen System darstellte, ist im Grunde diejenige Spinozas. Das würde deutlicher in die

10

Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 51. (…). Seneca im Liber contra superstitiones, bei Augustinus, De civitate dei, Buch VI, Kap. 10. 15

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Augen fallen, wenn sie von geometrisch verfahrenden Autoren erklärt worden wäre. Weil aber die Schriften, in denen sie erwähnt wird, mehr in rhetorischer als in dogmatischer Art verfaßt sind und weil auf der anderen Seite Spinoza sich der Genauigkeit verschrieben hat und sich nicht der bildlichen Sprache bedient, die uns so oft der richtigen Begriffe von einem Lehrstück beraubt, so kommt es, daß wir mehrere beträchtliche Unterschiede zwischen seinem System und dem der Weltseele finden. Wer behaupten wollte, der Spinozismus sei kohärenter, müßte ebenfalls behaupten, daß er nicht so viel Rechtgläubigkeit enthielte. Denn die Stoiker nehmen Gott nicht die Vorsehung; sie vereinen in ihm die Kenntnis aller Dinge, wohingegen Spinoza ihm lediglich abgetrennte und sehr beschränkte Erkenntnisse zubilligt. (…). Beiläufig will ich auf eine Absurdität im System der Weltseele hinweisen. Seine Vertreter sagen, daß alle Seelen sowohl der Menschen als der Tiere Teile der Weltseele sind, die sich durch den Tod des Körpers wieder mit ihrem Ganzen vereinigen. Und um uns dies verständlich zu machen, vergleichen sie die Lebewesen mit Flaschen, die mit Wasser gefüllt sind und auf dem Meer schwimmen. Wenn man diese Flaschen zerschlüge, so würde ihr Wasser sich mit dem Ganzen vereinigen. Das geschieht mit den einzelnen Seelen, so sagen sie, wenn der Tod die Organe zerstört, in denen sie eingeschlossen waren. Einige sagen sogar, die Ekstasen, die Träume und die intensiven Meditationen vereinigten die Menschenseele mit der Weltseele und das sei der Grund, weshalb man durch Gestaltung geomantischer Figuren die Zukunft voraussage. (…). Es ist leicht, die Falschheit dieses Vergleichs zu sehen. Die Materie der Flaschen, die auf dem Ozean schwimmen, ist ein Behältnis, das verhindert, daß das Meerwasser mit dem Wasser in Berührung kommt, mit dem sie gefüllt sind. Wenn es aber eine Weltseele gäbe, so wäre sie durch alle Teile der Welt ausgebreitet, und so könnte nichts die Vereinigung jeder Seele mit ihrem Ganzen verhindern; der Tod könnte kein Mittel zur Wiedervereinigung sein. Ich werde eine lange Passage aus Bernier zitieren, die uns zeigen wird, daß der Spinozismus nur eine besondere Methode

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zur Erklärung einer in Indien sehr verbreiteten Lehre ist. (…).22 Aus der folgenden Passage geht hervor, daß Petrus Abaelardus der Meinung beschuldigt worden ist, alle Dinge seien Gott und Gott sei alle Dinge. (…).23

(B) Was ich (---) über die Theologie einer chinesischen Sekte sage. Diese Sekte heißt Foe Kiao. Sie ist auf königlichen Beschluß hin im Jahr 65 christlicher Zeitrechnung unter den Chinesen gegründet worden. Ihr Gründer war ein Sohn des Königs In fan vam und wurde anfänglich Xe oder Xe Kia24 genannt und sodann, als er dreißig Jahre alt war, Foe, d. h. »Nichtmensch«25. Die Prolegomena, die dem Werk des Konfuzius voranstehen, das die Jesuiten in Paris publiziert haben, handeln ausführlich von diesem Gründer. Man liest dort,26 »daß er, nachdem er sich gleich nach Erreichen des 19. Lebensjahres in die Wüste zurückgezogen und sich bei vier Gymnosophisten in die Lehre begeben hatte, um von ihnen die Philosophie zu erlernen, bis zu seinem 30. Lebensjahr unter ihrer Führung blieb; daß er, als er eines Morgens vor Tagesanbruch aufstand und den Planeten Venus betrachtete, ihm dieser bloße Anblick mit einem Schlage eine vollkommene Erkenntnis des ersten Prinzips vermittelte, so daß er, erfüllt von göttlicher Erleuchtung oder vielmehr von Hochmut und Wahnsinn, anfing, Menschen zu unterweisen, sich als einen Gott auszugeben und bis

22

Bernier, Suite des mémoires sur l’empire du grand mogol, S. 202 ff. der holländischen Ausgabe. 23 Caramuel, Philosophia realis, Buch III, Sect. 3, S. 175. 24 Die Japaner nennen ihn »Xaca«. 25 Man sehe den Abriß des Buchs von Konfuzius, das in Paris 1687 gedruckt wurde, in den Leipziger Acta Eruditorum, 1688, S. 257. 26 Im Abriß desselben Buchs von Konfuzius in der Bibliotheque universelle, Bd. VII, S. 403 f.

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zu 80 000 Schüler anzuziehen. (---). Im Alter von 79 Jahren, als er sich dem Tod nahe fühlte, erklärte er seinen Schülern, daß er während der vierzig Jahre, die er der Welt gepredigt hatte, ihnen nicht die Wahrheit gesagt, sondern sie bis jetzt unter dem Schleier von Metaphern und figürlichen Redeweisen verborgen gehalten habe, daß es aber nunmehr Zeit sei, sie ihnen mitzuteilen. ›Sie lautet‹, sagt er ›daß es nichts zu suchen noch irgend etwas gibt, worauf man seine Hoffnung stützen könnte, außer dem Nichts und dem Leeren, was der erste Ursprung aller Dinge ist‹.« Hier haben wir einen von unseren starken Geistern sehr verschiedenen Menschen vor uns. Diese stellen erst am Ende ihres Lebens die Bekämpfung der Religion ein und geben die Freigeisterei erst auf, wenn sie glauben, der Zeitpunkt, diese Welt zu verlassen, sei nahe. Aber als Foe sich in diesem Zustand sah, begann er, seinen Atheismus zu bekennen (…). Sein Vorgehen war der Grund dafür, daß »seine Schüler seine Lehre in zwei Teile teilten; in eine exoterische, die man öffentlich predigt und das Volk lehrt, und in eine andere, esoterische, die man sorgfältig vor den gewöhnlichen Leuten verbirgt und nur den Anhängern offenlegt. Die exoterische Lehre, die den Bonzen zufolge ›nur so etwas wie das Baugerüst zur Errichtung eines Rundbogens ist, das man entfernt, wenn der Bau abgeschlossen ist, besteht darin zu lehren, 1) daß es einen wirklichen Unterschied zwischen Gut und Böse, Gerecht und Ungerecht gibt; 2) daß es ein anderes Leben gibt, in dem man für das, was man in diesem Leben getan hat, bestraft oder belohnt werden wird; 3) daß man die Glückseligkeit durch 32 Figuren und 80 Eigenschaften erhalten kann; 4) daß Foe oder Xaca eine Gottheit und der Erretter der Menschen ist, daß er aus Liebe zu ihnen geboren wurde, weil er von Mitleid angesichts der Verirrung erfaßt wurde, in der er sie sah, daß er ihre Sünden gesühnt hat und daß die Menschen durch diese Sühne nach ihrem Tod das Heil erhalten und in einer anderen Welt viel glücklicher wiedergeboren werden‹.«29 Zu diesem fügt man noch fünf moralische Vorschriften und 29

Bibliotheque universelle, Bd. VII, S. 404 ff. (…).

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sechs Werke der Barmherzigkeit hinzu und droht denjenigen mit der Verdammnis, die diese Pflichten verabsäumen. »Die esoterische Lehre, die man den gewöhnlichen Menschen niemals entdeckt, weil man sie, wie diese Philosophen sagen, durch die Furcht vor der Hölle und anderen derartigen Märchen in ihrer Pflicht halten muß, ist ihnen zufolge jedoch die gründliche und wahre Lehre. Sie besteht in der Festsetzung eines gewissen Vakuums und eines wirklichen Nichts als Ursprung und Ziel aller Dinge. Sie sagen, daß unsere ersten Eltern aus diesem Vakuum hervorgegangen und nach ihrem Tod dahin zurückgekehrt sind, wie es alle anderen Menschen auch tun, die sich durch den Tod in diesen Ursprung auflösen; daß wir, daß alle Elemente und alle Geschöpfe Teil dieses Vakuums sind; daß es so nur eine einzige, identische Substanz gibt, die in den besonderen Wesen ausschließlich durch die Gestalt und durch die Eigenschaften bzw. durch die innere Konfiguration verschieden ist, so ähnlich wie Wasser wesensmäßig immer Wasser ist, gleichgültig ob es die Form des Schnees, des Hagels, des Regens oder des Eises annimmt.«30 Wenn es ungeheuerlich ist zu behaupten, die Pflanzen, die Tiere, die Menschen seien in Wirklichkeit ein und dasselbe, und sich auf die Behauptung zu stützen, alle besonderen Wesen seien ihrem Ursprung nach ununterscheidbar, so ist es noch ungeheuerlicher zu behaupten, dieser Ursprung habe kein Denken, keine Macht, keine Tugend. Das ist jedoch das, was diese Philosophen lehren; sie lassen die höchste Vollkommenheit dieses Ursprungs in Untätigkeit und völliger Ruhe bestehen. (…). So absurd ist Spinoza nicht gewesen; die alleinige Substanz, die er zuläßt, handelt stets, denkt stets, und er vermag ihr nicht durch seine allgemeinsten Abstraktionen die Tätigkeit und das Denken zu nehmen. Die Grundlagen seiner Lehre erlauben ihm das nicht.

30

A. a.O., S. 406.

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Der von den Chinesen gelehrte und praktizierte Quietismus Man beachte beiläufig, daß die Anhänger des Foe den Quietismus lehren, denn sie sagen, daß alle diejenigen, welche die wahre Glückseligkeit suchen, sich derart tiefen Meditationen hingeben müssen, daß sie keinerlei Gebrauch von ihrem Verstand machen, sondern sich durch eine vollständige Empfindungslosigkeit in die Ruhe und Untätigkeit des ersten Ursprungs versenken, was der wahre Weg ist, ihm völlig ähnlich zu werden und am Glück teilzuhaben. Sie wollen außerdem, daß man nach Erreichen dieses Zustands der Ruhe nach außen hin das gewöhnliche Leben fortsetzt und andere die herkömmliche Auffassung lehrt. Nur für den persönlichen und internen Gebrauch soll man die kontemplative Übung der glückseligen Untätigkeit praktizieren. (…). Diejenigen, die sich dieser Kontemplation des ersten Ursprungs am eifrigsten widmen, bilden eine neue Sekte, die man Vu guei Kiao, nennt, d. h. die Sekte der Müßigen oder der Faulenzer, nihil agentium. Auf diese Weise bilden unter den Mönchen diejenigen, die sich ihrer genauesten Befolgung befleißigen, neue Gemeinschaften oder eine neue Sekte. Die größten Herren und die berühmtesten Leute haben sich auf derart törichte Weise von diesem Quietismus einnehmen lassen, daß sie glaubten, die Empfindungslosigkeit sei der Weg zu Vollkommenheit und Glückseligkeit, und daß man, je mehr man sich der Natur eines Baumstammes oder eines Steines annähere, um so größere Fortschritte mache und dem ersten Ursprung um so ähnlicher werde, in den man eines Tages zurückkehren müsse. Es reiche nicht aus, mehrere Stunden ohne die geringste Bewegung des Körpers zu sein, es sei auch erforderlich, daß die Seele unbeweglich sei und daß man alle Empfindung verlöre. (…). Ein Anhänger des Konfuzius widerlegte die Ungereimtheiten dieser Sekte und bewies sehr ausführlich die Maxime des Aristoteles, daß aus nichts nichts entsteht. Die Sekte jedoch behauptete sich und breitete sich weiter aus, und es gibt noch heute viele Leute, die diesen unnützen Kontemplationen anhängen. Wenn wir die Verrücktheiten unserer Quietisten nicht kennten, so würden wir glau-

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ben, daß die Schriftsteller, die uns von diesen spekulativen Chinesen berichten, die Dinge weder gut verstanden noch zuverlässig berichtet hätten; aber nach dem, was sich unter den Christen abspielt, wäre es falsch, die Tollheiten der Sekte Foe Kiao oder Vu guei Kiao nicht zu glauben. Ich bin gewillt zu glauben, daß man entweder dasjenige, was jene Leute unter Cum hiu verstanden haben, nicht exakt ausgedrückt hat, oder daß ihre Begriffe widersprüchlich sind. Man behauptet, daß diese chinesischen Worte Leere und Nichts, vacuum et inane bezeichnen, und man hat diese Sekte mit dem Axiom bekämpft, daß aus nichts nichts entsteht. Folglich muß man behauptet haben, sie lehre, das Nichts sei der Ursprung aller Wesen. Ich kann mich nicht überreden, daß sie das Wort »Nichts« in seiner genauen Bedeutung genommen hat, und stelle mir vor, daß sie es wie der gemeine Mann verstanden hat, wenn er sagt, daß nichts in einem leeren Kasten sei. Wir haben gesehen, daß sie dem ersten Ursprung Eigenschaften verleiht, die voraussetzen, daß sie diesen wie eine Flüssigkeit versteht.38 Es hat also den Anschein, daß man von ihm nur dasjenige wegnimmt, was grob und sinnlich an der Materie ist. Auf dieser Grundlage hätte sich der Schüler des Konfuzius des Trugschlusses schuldig gemacht, den man ignoratio elenchi 具Verkennung des Streitpunktes 典 nennt, denn er hätte unter »nichts« dasjenige verstanden, was keinerlei Dasein hat, und seine Gegner hätten unter dem gleichen Wort dasjenige verstanden, was keine Eigenschaften der sinnlichen Materie hat. Ich glaube, daß sie unter diesem Wort ungefähr dasjenige verstanden, was die Modernen unter dem Wort »Raum« verstehen; die Modernen, sage ich, die, weil sie weder Cartesianer noch Aristoteliker sein wollen, behaupten, daß der Raum von den Körpern verschieden ist und daß seine unteilbare, nicht tastbare, durchdringliche, unbewegliche und unendliche Ausdehnung etwas Wirkliches ist. Der Schüler des Konfuzius hätte leicht beweisen können, daß ein derartiges Ding 38

(…).

»Rein«, »klar«, »fein«, »luftig« 具sind Begriffe, die sie verwendet 典.

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nicht der erste Ursprung sein kann, wenn es überdies der Aktivität beraubt ist, wie die kontemplativen Chinesen behaupten. Eine Ausdehnung, sie mag so wirklich sein wie man nur will, kann nicht zur Hervorbringung irgendeines besonderen Wesens dienen, wenn sie nicht bewegt wird; und unter der Voraussetzung, daß es keinen Beweger gibt, wird die Hervorbringung des Universums gleichermaßen unmöglich sein, gleichgültig ob es eine unendliche Ausdehnung oder ob es nichts gibt. Spinoza würde diese These nicht bestreiten, aber er hat sich auch nicht in die Untätigkeit des ersten Ursprungs verstrickt. Die abstrakte Ausdehnung, die er ihm im allgemeinen verleiht, ist im eigentlichen Sinne nur die Idee des Raumes; aber er fügt ihm die Bewegung hinzu, woraus die Veränderungen der Materie hervorgehen können.

(E) Er spricht nicht immer auf zutreffende Weise von ihm. Sagt Stouppe nicht, daß man Spinoza zufolge die Religionen erfunden habe, um die Menschen dazu zu bringen, sich der Tugend zuzuwenden – nicht wegen der Belohnungen in der kommenden Welt, sondern weil die Tugend an sich etwas sehr Vorzügliches und Vorteilhaftes für dieses Leben ist? Ist es nicht sicher, daß dieser Atheist niemals so gedacht hat und daß er so nicht hätte argumentieren können, ohne sich lächerlich zu machen? Alle Religionen der Welt, die wahren wie die falschen, laufen auf diesen Dreh- und Angelpunkt hinaus, daß es einen unsichtbaren Richter gibt, der sowohl die äußeren wie die inneren Handlungen der Menschen nach diesem Leben bestraft oder belohnt. Hieraus, so nimmt man an, fließe der hauptsächliche Nutzen der Religion; dies sei das Hauptmotiv gewesen, das ihre Erfinder inspiriert hätte. Es ist hinreichend offenkundig, daß die guten Taten in diesem Leben nicht zu zeitlichem Wohlergehen führen und daß die schlechten Taten das gewöhnlichste und sicherste Mittel sind, sein Glück zu machen. Um also zu verhindern, daß der Mensch sich ins Laster stürzt, und um ihn zur Tugend zu bewegen, würde es erforderlich

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sein, ihm Bestrafungen und Belohnungen nach diesem Leben in Aussicht zu stellen. Das ist die List, welche die starken Geister denjenigen beilegen, die sie als die ersten Urheber der Religion ausgeben. So hat Spinoza denken müssen und so hat er zweifellos gedacht. Also hat Stouppe ihn in dieser Hinsicht nicht begriffen und im ganz entgegengesetzten Sinn verstanden. Ich wundere mich, daß man diesen Fehler im Supplement des Moréri in einem Artikel, der den Namen von Simon trägt, stehengelassen hat. Man bemerke, daß diejenigen, welche die Unsterblichkeit der Seele und die Vorsehung leugnen, wie es die Epikureer tun, diejenigen sind, die behaupten, daß man sich der Tugend ihrer Vorzüglichkeit wegen zuwenden muß und weil man in diesem Leben genügend Vorteile durch die Ausübung der Moral findet, um keinen Anlaß zur Klage zu haben. Das ist zweifellos die Lehre, die Spinoza vorgetragen haben würde, wenn er es gewagt hätte, seine Lehren öffentlich zu machen.

(I) Er war ein (---) moralisch gefestigter Mann. Wenn man dasjenige ausnimmt, was er seinen guten Freunden im Vertrauen gesagt hat, die gern auch seine Schüler sein wollten, dann sagte er in Gesellschaft nur Erbauliches. Er hat niemals geflucht und niemals respektlos von Gott gesprochen. Er hat einige Male Predigten angehört und er ermahnte die anderen, fleißig in die Kirche zu gehen. Er hat weder etwas um Wein noch um gutes Essen oder um Geld gegeben. Seinem Wirt, einem Maler in Den Haag, hat er eine sehr geringe Miete gezahlt. Er hat nur ans Studieren gedacht und verbrachte damit den größten Teil der Nacht. Er hat ein wahres Einsiedlerleben geführt. Es stimmt, daß er Besuche nicht ablehnte, die ihm aufgrund seines Ruhmes gemacht wurden. Es stimmt auch, daß er gelegentlich Besuche bei bedeutenden Personen machte. Das geschah aber nicht, um sich über Kleinigkeiten zu unterhalten oder um sich zu zerstreuen, sondern um über Staatsgeschäfte zu diskutieren. Er kannte sich gut darin aus,

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ohne damit beschäftigt gewesen zu sein, und schätzte den Gang, den die allgemeinen Angelegenheiten nehmen würden, ziemlich richtig ein. Ich entnehme das alles einem Vorwort von Kortholt,65 der sich auf einer Reise in Holland so gut er nur konnte über das Leben Spinozas informierte. (…).

(M) Alle, die den Tractatus theologico-politicus widerlegt haben, haben darin (---) entdeckt, aber niemand hat sie so deutlich entwickelt wie Johann Bredenburg. (…). Wir wollen von Johann Bredenburg sprechen. Das war ein Rotterdamer Bürger, der dort im Jahr 1675 ein Buch mit dem Titel Joannis Bredenburgii enervatio Tractatus theologico-politici, una cum demonstratione, geometrico ordine disposita, naturam non esse deum, cujus effati contrario praedictus Tractatus unice innititur veröffentlichte.80 Er hat dasjenige ins hellste Licht gesetzt, was Spinoza verhüllen und verkleiden wollte, und er hat ihn gründlich widerlegt. Die Leser waren erstaunt zu sehen, daß ein Mann, der kein eigentlicher Gelehrter war und der nur sehr wenig studiert hatte,81 es vermochte, derart scharfsinnig sämtliche Prinzipien Spinozas zu durchschauen und sie erfolgreich umzustoßen, nachdem er sie zuvor durch eine zutreffende Analyse in ihrer ganzen Kraft dargestellt hatte. Ich habe von einer ganz ungewöhnlichen Sache reden gehört. Man hat mir erzählt, daß dieser Autor, nachdem er unzählige Male über seine Antwort und über den Grundsatz seines Gegners nachgedacht hatte, schließlich fand, daß man diesen Grundsatz auf eine Demonstration reduzieren könnte. Er unternahm also zu beweisen, daß es keine andere Ursache 65

Sebastian Kortholt. Er ist seit Februar 1701 Professor für Poesie in

Kiel. 80

Es ist ein Quartband von 100 Seiten. Er gesteht in seinem Vorwort, daß er, weil er sich nicht imstande fühlte, sich auf latein auszudrücken, sein Buch auf flämisch geschrieben hatte und es dann ins Lateinische übersetzen ließ. 81

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für alle Dinge gebe als eine Natur, die notwendigerweise existiert und die durch eine unveränderliche, unvermeidbare und unwiderrufliche Notwendigkeit handelt. Er folgte ganz der Methode der Geometer, und nachdem er seine Demonstration aufgestellt hatte, untersuchte er sie von allen möglichen Seiten und versuchte, Schwachstellen in ihr zu finden; doch vermochte er auf keine Weise irgendein Mittel zu entdecken, sie umzustürzen oder auch nur zu schwächen. Das bereitete ihm ernsthaften Kummer; er seufzte und stöhnte deswegen, er verfluchte seine Vernunft und bat die tüchtigsten seiner Freunde, ihm bei der Suche nach dem Fehler in dieser Demonstration zu helfen. Jedoch ließ er niemanden Kopien von ihr machen. Franz Cuper hat entgegen seinem Versprechen heimlich eine Abschrift davon angefertigt.82 Dieser Mann, der vielleicht von schriftstellerischem Ehrgeiz erfüllt war, weil er mit weit geringerem Erfolg als Johann Bredenburg gegen Spinoza gearbeitet hatte, bediente sich einige Zeit danach dieser Kopie, um Bredenburg des Atheismus zu beschuldigen. Er hat sie auf Flämisch mit einigen Reflexionen veröffentlicht, der Angeschuldigte verteidigte sich in der gleichen Sprache. Es erschienen mehrere Schriften von beiden Seiten, die ich nicht gelesen habe, denn ich verstehe das Flämische nicht. Oróbio, ein sehr tüchtiger jüdischer Arzt,83 und Aubert de Versé84 mischten sich in diesen Streit ein und ergriffen für Cuper Partei. Sie behaupteten, der Verfasser der Demonstration sei ein Spinozist und folglich ein Atheist.

82

Ich habe soeben erfahren, daß Cuper dies stets abgestritten und immer beteuert hat – wie es seine Freunde auch noch tun –, daß er die Demonstration unter den Papieren von Hartighvelt gefunden habe, die er erbte. 83 Ich habe die Abhandlung gesehen, die er im Jahr 1684 in Amsterdam mit dem Titel Certamen philosophicum propugnatae veritatis divinae ac naturalis, adversus J. B. principia usw. publizierte. Sie ist auf lateinisch und auf flämisch. 84 Ich habe etwas von dem gesehen, was er im selben Jahr unter dem Namen Latinus Serbaltus Sartensis publiziert hat. Es ist auf lateinisch und auf flämisch.

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Soviel wie ich vom Hörensagen weiß, hat sich dieser mittels der gewöhnlichen Unterscheidung von Glaube und Vernunft verteidigt. Er hat vorgetragen, daß er so, wie die Katholiken und die Protestanten das Mysterium der Trinität glauben, obschon es vom natürlichen Licht bestritten werde, an den freien Willen glaube, obschon die Vernunft ihm starke Beweise liefere, daß alles aufgrund einer unvermeidlichen Notwendigkeit geschehe und daß es folglich keine Religion gebe. Es ist nicht leicht, jemanden hinter einer solchen Verschanzung zu überwältigen. Man kann wohl losbrüllen, er sei nicht aufrichtig und unser Geist sei nicht so beschaffen, daß er dasjenige für wahr halten könnte, was eine geometrische Demonstration ihm als höchst falsch vorstellt; aber heißt das nicht, sich zum Richter in einem Fall aufzuwerfen, in dem uns Inkompetenz vorgehalten werden könnte? Haben wir das Recht, über das zu entscheiden, was in dem Herzen eines anderen vor sich geht? Kennen wir die Seele des Menschen gut genug, um zu entscheiden, daß diese oder jene Kombinationen von Ansichten nicht in ihr angetroffen werden können? Haben wir nicht viele Beispiele von absurden Kombinationen, die dem Widerspruch viel näher kommen als diejenige, die Johann Bredenburg vorbrachte? Denn man muß beachten, daß es keinen Widerspruch zwischen diesen beiden Dingen gibt: 1) Das Licht der Vernunft lehrt mich, daß dieses falsch ist; 2) ich glaube es dennoch, weil ich überzeugt bin, daß dieses Licht nicht untrüglich ist, und weil ich lieber den Beweisen des Gefühls und den Eindrücken des Gewissens – kurzum: lieber dem Wort Gottes als einer metaphysischen Demonstration folge. Das heißt nicht, an ein und dieselbe Sache zur gleichen Zeit zu glauben und nicht zu glauben. Diese Verbindung ist unmöglich und niemand sollte sie zu seiner Rechtfertigung anführen dürfen. Wie dem auch sei, der Mann, von dem ich spreche, hat gezeigt, daß die Empfindungen der Religion und der Hoffnung auf ein anderes Leben ihren Platz in seiner Seele gegen seine Demonstration behauptet haben; und man hat mir gesagt, daß die Zeichen, die er während seiner letzten Krankheit davon gegeben hat, nicht gestatten, seine Aufrichtigkeit in Zweifel zu ziehen. Der Abbé de

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Dangeau85 spricht von gewissen Leuten, welche die Religion im Kopf, aber nicht im Herzen haben. Sie sind von ihrer Wahrheit überzeugt, ohne daß ihr Gewissen von der Liebe Gottes berührt würde. Ich glaube, man kann sagen, daß es auch Leute gibt, die ihre Religion im Herzen und nicht im Kopf haben. Sie verlieren sie aus dem Blick, sobald sie sie mit den Mitteln menschlicher Überlegung suchen; sie entwischt den Spitzfindigkeiten und Sophismen ihrer Dialektik; sie wissen nicht, wo sie sind, während sie das Für und Wider vergleichen. Aber sobald sie nicht mehr disputieren und nur auf die Beweise des Gefühls, auf die Regungen des Gewissens, auf das Gewicht der Erziehung usw. achten, sind sie von einer Religion überzeugt und richten ihr Leben danach ein, soweit es die menschliche Schwachheit gestattet. Cicero war in dieser Lage; man kann kaum daran zweifeln, wenn man seine übrigen Bücher mit dem Werk De natura deorum vergleicht, in dem er Cotta über alle anderen Gesprächsteilnehmer triumphieren läßt, die behaupteten, es gebe Götter. Wer die Verbiegungen und Äquivokationen genau kennenlernen möchte, deren Spinoza sich bedient, um seinen Atheismus nicht offen heraus zu gestehen, muß nur das Werk von Christian Kortholt De tribus impostoribus magnis86 zu Rate ziehen, das 1680 als Duodezband in Kiel gedruckt wurde. Der Verfasser hat in ihm mehrere Passagen aus Spinoza zusammengetragen und all das Gift und all die Arglist darin zur Entfaltung gebracht. Das ist nicht der am wenigsten merkwürdige Teil der Geschichte und des Charakters dieses Atheisten. Unter anderem zitiert er seinen XIX. Brief,88 in dem Spinoza sich über das umlaufende Gerücht beklagt, er habe ein Buch mit dem Beweis, daß es Gott nicht gebe, unter der Presse. 85

Man sehe seinen III. Dialog, am Ende, oder den Abriß in den Nouvelles de la république des lettres, August 1684, Art. VI, S. 605 meiner Ausgabe. 86 Nämlich Eduard Herbert von Cherbury, Thomas Hobbes und Benedikt von Spinoza. 88 Geschrieben an Oldenburg im Jahr 1675.

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(N) Die ungeheuerlichste, (---) den evidentesten Begriffen unseres Geistes am meisten entgegengesetzte Lehre. Er nimmt an,90 daß es nur eine Substanz in der Natur gibt und daß diese einige Substanz mit unendlich vielen Attributen, unter anderem mit der Ausdehnung und dem Denken, ausgestattet ist. Als Folge hiervon versichert er, daß alle Körper, die sich im Universum befinden, Modifikationen dieser Substanz sind, insofern sie ausgedehnt ist, und daß z. B. die Seelen der Menschen Modifikationen dieser Substanz sind, insofern sie denkt; so daß Gott, das notwendige und unendlich vollkommene Wesen, zwar die Ursache aller existierenden Dinge, aber nicht von diesen verschieden ist. Es gibt nur ein Wesen und nur eine Natur, und diese Natur bringt in sich selbst und durch eine immanente Handlung alles das hervor, was man »Geschöpfe« nennt. Es ist zur gleichen Zeit tätig wie leidend, Wirkursache und Subjekt; es bringt nichts hervor, was nicht seine eigene Modifikation wäre. Hier haben wir eine Lehre, die alle vorstellbaren Verrücktheiten übertrifft. Das Schändlichste, was die heidnischen Dichter über Jupiter und Venus zu singen wagten, reicht nicht an die entsetzliche Vorstellung heran, die Spinoza uns von Gott gibt, denn zumindest legten die Poeten den Göttern nicht alle Gebrechlichkeiten der Welt und alle Verbrechen bei, die begangen werden. Spinoza zufolge gibt es aber bezüglich all dessen, was man das Übel der Strafe und das Übel der Schuld, das physische und das moralische Übel nennt, keinen anderen Handelnden und keinen anderen Leidenden als Gott. Wir wollen der Reihe nach einige Absurditäten seines Systems beleuchten.

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Man sehe unter seinen Œuvres posthumes das Werk, das er Ethica betitelt hat.

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Daß Spinoza zufolge Gott und die Ausdehnung ein und dasselbe sind I. Es ist unmöglich, daß das Universum eine einige Substanz ist, denn alles, was ausgedehnt ist, hat notwendigerweise Teile, und alles, was Teile hat, ist zusammengesetzt; und da die Teile der Ausdehnung nicht ineinander subsistieren, so muß es notwendigerweise entweder der Fall sein, daß die Ausdehnung im allgemeinen keine Substanz ist, oder daß jeder Teil der Ausdehnung eine besondere und von allen anderen verschiedene Substanz ist. Nun ist Spinoza zufolge die Ausdehnung im allgemeinen das Attribut einer Substanz. Er räumt mit allen anderen Philosophen ein, daß das Attribut einer Substanz nicht real von dieser Substanz verschieden ist; er muß folglich anerkennen, daß die Ausdehnung im allgemeinen eine Substanz ist. Daraus folgt notwendig, daß jeder Teil der Ausdehnung eine besondere Substanz ist, was die Fundamente des gesamten Systems dieses Autors zum Einsturz bringt. Er kann nicht sagen, die Ausdehnung im allgemeinen sei verschieden von der Substanz Gottes, denn wenn er das sagte, würde er lehren, daß diese Substanz an sich nicht ausgedehnt sei. Sie hätte also die drei Dimensionen niemals anders als dadurch erhalten können, daß sie sie erschafft, denn es ist offensichtlich, daß die Ausdehnung aus einem nicht ausgedehnten Subjekt nur auf dem Wege der Schöpfung hervorgehen und entstehen kann. Nun hat Spinoza nicht geglaubt, daß irgend etwas aus nichts gemacht worden sein könnte. Es ist noch augenscheinlicher, daß eine ihrer Natur nach nicht ausgedehnte Substanz niemals das Subjekt von drei Dimensionen werden kann, denn wie wäre es möglich, diese in einen mathematischen Punkt zu bringen? Sie würden also ohne Subjekt existieren, sie wären also eine Substanz, so daß, wenn dieser Autor einen realen Unterschied zwischen der Substanz Gottes und der Ausdehnung im allgemeinen annähme, er verpflichtet wäre zu sagen, daß Gott aus zwei voneinander verschiedenen Substanzen zusammengesetzt wäre, nämlich aus seinem nicht ausgedehnten Wesen und der Ausdehnung. Wir sehen ihn also zu dem Eingeständnis ge-

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zwungen, daß die Ausdehnung und Gott nur ein und dasselbe sind; und weil er darüber hinaus behauptet, daß es nur eine Substanz im Universum gibt, muß er lehren, daß die Ausdehnung ein einfaches und ebenso von Zusammensetzung freies Wesen ist, wie die mathematischen Punkte es sind. Aber heißt es nicht, die Welt zu verspotten, wenn man das behauptet? Heißt es nicht, die deutlichsten Begriffe unseres Verstandes zu bestreiten? Ist es evidenter, daß die Zahl eintausend aus tausend Einheiten zusammengesetzt ist, als daß ein Körper von hundert Zoll aus hundert real voneinander verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist, von denen jeder die Ausdehnung eines Zolls hat?

Daß die Ausdehnung aus Teilen zusammengesetzt ist, von denen jedes eine besondere Substanz ist Es wäre vergeblich, Einwände gegen die Einbildungskraft zu machen und die Vorurteile der Sinne anzuführen; denn die intellektuellsten wie die immateriellsten Begriffe unseres Verstandes zeigen uns mit letzter Klarheit, daß es einen sehr realen Unterschied zwischen Dingen gibt, von denen das eine eine Eigenschaft besitzt, die das andere nicht besitzt. Es ist den Scholastikern völlig gelungen, uns die Charakteristika und untrüglichen Zeichen der Unterscheidung zu benennen. Wenn man, so lehren sie uns, von einer Sache etwas bejahen kann, was man von einer anderen Sache nicht bejahen kann, so sind sie verschieden; Dinge, die voneinander hinsichtlich der Zeit oder des Ortes getrennt werden können, sind verschieden. Wenn wir diese Charakteristika auf die zwölf Zoll eines Fußes Ausdehnung anwenden, so finden wir einen wahrhaften Unterschied unter ihnen. Ich kann über den fünften aussagen, daß er an den sechsten angrenzt, und ich kann das von dem ersten und dem zweiten usw. verneinen. Ich kann den sechsten an die Stelle des zwölften versetzen; er kann folglich vom fünften getrennt werden. Man beachte, daß Spinoza nicht zu leugnen vermag, daß die von den Scholastikern verwendeten Charakteristika der

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Unterscheidung höchst richtig sind, denn es sind diese Zeichen, anhand deren er erkennt, daß die Steine und die Tiere nicht dieselbe Modalität des unendlichen Wesens sind. Er gibt also zu, so wird man mir sagen, daß es irgendeinen Unterschied zwischen den Dingen gibt. Er muß es wohl auch zugeben, denn er war nicht verrückt genug zu glauben, es gebe keinen Unterschied zwischen ihm und dem Juden, der ihm einen Messerstich versetzte, oder um die Behauptung zu wagen, daß sein Bett und sein Zimmer in jeder Hinsicht dasselbe Wesen seien wie der Kaiser von China. Was also sagte er? Man wird es gleich sehen: Er lehrte nicht, daß zwei Bäume zwei Teile der Ausdehnung wären, sondern zwei Modifikationen. Man wird es erstaunlich finden, daß er so viele Jahre daran arbeitete, ein neues System aufzustellen, weil einer seiner Hauptpfeiler dazu der behauptete Unterschied zwischen dem Wort »Teil« und dem Wort »Modifikation« sein sollte. Konnte er sich wohl irgendeinen Vorteil von dieser Wortveränderung versprechen? Er mag das Wort »Teil« so sehr vermeiden, wie er nur will, und es, so oft er wünscht, durch das Wort »Modalität« oder »Modifikation« ersetzen; was tut das zur Sache? Werden die Begriffe, die man mit dem Wort »Teil« verbindet, dadurch ausgelöscht werden? Wird man sie nicht auf das Wort »Modifikation« anwenden? Sind die Zeichen und die Charakteristika des Unterschieds weniger real oder weniger evident, wenn man die Materie in Modifikationen statt in Teile einteilt? Lauter Hirngespinste! Der Begriff der Materie bleibt stets derjenige eines zusammengesetzten Wesens, einer Ansammlung von mehreren Substanzen. Hier folgt der Beweis dafür.

Inkompatible Modalitäten verlangen verschiedene Subjekte Modalitäten sind Wesenheiten, die nicht ohne die Substanz existieren können, die sie modifizieren; folglich muß sich die Substanz überall dort befinden, wo es Modalitäten gibt; sie muß sich sogar nach der Maßgabe vervielfältigen, wie sich die inkompatiblen Modifikationen untereinander vervielfältigen,

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so daß überall dort, wo es fünf oder sechs dieser Modifikationen gibt, es auch fünf oder sechs Substanzen gibt. Es ist evident, und kein Spinozist kann es leugnen, daß die quadratische und die runde Figur an demselben Stück Wachs inkompatibel sind. Es muß also notwendigerweise der Fall sein, daß die durch die quadratische Figur modifizierte Substanz nicht dieselbe Substanz ist wie diejenige, die durch die runde Figur modifiziert ist. Wenn ich also einen runden und einen quadratischen Tisch in einem Zimmer sehe, so kann ich behaupten, daß die Ausdehnung, die das Subjekt des runden Tisches ist, eine von der Ausdehnung, die das Subjekt des anderen Tisches ist, verschiedene Substanz ist; denn andernfalls wäre es gewiß, daß die quadratische und die runde Figur sich zur gleichen Zeit in ein und demselben Subjekt befinden, was unmöglich ist. Das Eisen und das Wasser, der Wein und das Holz sind inkompatibel; sie verlangen folglich numerisch verschiedene Subjekte. Das untere Ende eines in einen Fluß eingerammten Pfahls ist nicht dieselbe Modalität wie das obere Ende; es ist von Erde umgeben, während das andere von Wasser umflossen wird. Sie nehmen also zwei sich widersprechende Attribute an: »von Wasser umflossen« und »nicht von Wasser umflossen«. Folglich muß das Subjekt, das sie modifizieren, zumindest zwei Substanzen sein, denn eine einige Substanz kann nicht auf einmal durch das Akzidens »von Wasser umflossen« und durch das Akzidens »nicht von Wasser umflossen« modifiziert werden. Das zeigt, daß die Ausdehnung aus ebensovielen verschiedenen Substanzen wie aus Modifikationen zusammengesetzt ist.

Die Unveränderlichkeit Gottes ist inkompatibel mit der Natur der Ausdehnung. Daß die Materie die Teilung in ihre Teile wirklich zuläßt II. Wenn es absurd ist, Gott ausgedehnt sein zu lassen, weil das bedeutet, ihm seine Einfachheit zu nehmen und ihn aus einer unendlichen Anzahl von Teilen zusammenzusetzen, was wer-

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den wir dann sagen, wenn wir bedenken, daß das bedeutet, ihn in den Zustand der Materie zu versetzen, des geringsten aller Wesen und desjenigen, das beinahe alle antiken Philosophen unmittelbar auf das Nichts folgen ließen? Wer von der Materie redet, redet von dem Schauspiel aller Arten von Veränderungen, dem Schlachtfeld entgegengesetzter Ursachen, dem Subjekt alles Vergehens und alles Entstehens; mit einem Wort: er spricht von dem Wesen, dessen Natur am inkompatibelsten mit der Unveränderlichkeit Gottes ist. Die Spinozisten behaupten jedoch, daß sie keinerlei Teilung zulasse; aber sie stützen diese Behauptung mit der frivolsten und schwächsten Spitzfindigkeit, die man sich vorstellen kann. Sie behaupten, daß es, damit die Materie geteilt werden könnte, erforderlich wäre, daß der eine ihrer Teile von den anderen durch leere Räume getrennt würde, was niemals geschähe. Es ist ganz sicher, daß dies eine sehr schlechte Definition von Teilung ist. Wir sind gleichermaßen real von unseren Freunden getrennt, wenn der Zwischenraum, der uns trennt, mit anderen, hintereinander stehenden Menschen besetzt ist, als wenn er mit Erde angefüllt wäre. Man verkehrt also sowohl die Begriffe als auch die Sprache, wenn man uns versichert, daß die in Asche und Rauch aufgelöste Materie keine Teilung zuließe. Aber was gewinnen die Spinozisten, wenn wir auf den Vorteil verzichten, den ihre falsche Art und Weise, das Teilbare zu definieren, gewährt? Bleiben uns nicht genügend Beweise für die Veränderlichkeit und die Zerstörbarkeit des Gottes Spinozas? Alle Menschen haben eine sehr klare Vorstellung von dem Unveränderlichen. Sie verstehen unter diesem Wort ein Wesen, das niemals etwas Neues annimmt, das niemals dasjenige verliert, was es einmal besessen hat, das immer sowohl hinsichtlich seiner Substanz als auch seiner Daseinsweisen dasselbe ist. Die Klarheit dieser Vorstellung bewirkt, daß man sehr deutlich versteht, was ein veränderliches Wesen ist. Es ist nicht lediglich eine Natur, dessen Dasein beginnen und enden kann, sondern eine Natur, die, weil sie ihrer Substanz nach immer besteht, nacheinander mehrere Modifikationen annehmen und die Akzidenzien oder die Formen, die sie einmal besessen hat, verlieren kann. Alle anti-

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ken Philosophen haben anerkannt, daß diese kontinuierliche Folge von Entstehen und Vergehen, die man in der Welt bemerkt, keinen einzigen Teil der Materie hervorbringt noch vernichtet, und deshalb haben sie gesagt, daß die Materie unerzeugbar und unzerstörbar hinsichtlich ihrer Substanz ist, wenngleich sie das Subjekt aller Erzeugungen und aller Zerstörungen ist. Dieselbe Materie, die zu dieser Stunde Feuer ist, war zuvor Holz; alle ihre wesentliche Attribute bleiben in der Form des Holzes und in der Form des Feuers dieselben. Sie verliert und nimmt also lediglich Akzidenzien und Daseinsweisen an, wenn das Holz in Feuer, das Brot in Fleisch, das Fleisch in Erde usw. verwandelt wird. Und dennoch ist sie das sinnfälligste und geeignetste Beispiel, das man für ein Wesen geben kann, das veränderlich und wirkliches Subjekt aller Arten von Abwechslungen und inneren Veränderungen ist. Ich sage »inneren«, denn die verschiedenen Formen, unter denen sie existiert, sind nicht den verschiedenen Kostümen vergleichbar, in denen sich die Komödianten auf der Bühne zeigen. Der Körper dieser Komödianten kann ohne irgendeine Art des Wechsels oder der Veränderung unter tausend Kostümen fortbestehen; das Tuch und das Leinen, die Seide und das Gold vereinigen sich nicht mit demjenigen, der dies trägt. Sie sind immer fremde Körper und äußerliche Verzierungen; aber die Formen, die in der Materie hervorgebracht werden, sind innerlich und durchdringend mit ihr verbunden. Sie ist deren Subjekt der Inhärenz, und der guten Philosophie zufolge gibt es keine andere Unterscheidung zwischen ihnen und der Materie als diejenige, die man zwischen den Modi und dem modifizierten Ding antrifft. Hieraus folgt, daß der Gott der Spinozisten eine sich wirklich verändernde Natur ist, die kontinuierlich verschiedene Zustände durchläuft, die innerlich und real voneinander verschieden sind. Er ist also nicht das höchst vollkommene Wesen, »bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis«91. Man beachte, daß der Proteus der Poeten, ihre Thetis und ihr Vertumnus, die Bilder und Bei91

Jakobus 1, 17.

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spiele der Unbeständigkeit und die Grundlage ihrer Sprichwörter waren, welche die seltsamste Unbeständigkeit des menschlichen Herzens bezeichneten, unveränderliche Götter gewesen sein würden, wenn der Gott der Spinozisten unveränderlich wäre, denn es ist niemals behauptet worden, daß ihnen eine Veränderung in der Substanz zugestoßen wäre, sondern es waren lediglich neue Modifikationen. Man sehe unten die Anmerkung (CC). (…).

Daß Gott nicht das Subjekt der Inhärenz der menschlichen Gedanken sein kann, weil diese Gedanken einander widersprechen III. Wir werden noch viel ungeheuerlichere Absurditäten sehen, wenn wir den Gott Spinozas als das Subjekt aller Modifikationen des Denkens betrachten. Die Verbindung von Ausdehnung und Denken in einer einzigen Substanz ist schon eine große Schwierigkeit, denn es handelt sich hierbei nicht um eine Mischung, wie es die von Metallen oder die von Wasser und Wein ist. Derartiges erfordert lediglich die Juxtaposition, aber die Mischung von Denken und Ausdehnung muß eine Identität ergeben: Das Denken und die Ausdehnung sind zwei mit der Substanz identifizierte Attribute, sie sind folglich gemäß der fundamentalen und wesentlichen Regel menschlichen Denkens96 miteinander identifiziert. Ich bin sicher, daß Spinoza, wenn er eine derartige Verwirrung in einer anderen Sekte gefunden hätte, diese als seiner Aufmerksamkeit unwürdig beurteilt hätte; aber in seiner eigenen Angelegenheit hat er sich darum nicht geschert; so wahr ist es, daß diejenigen, welche die Gedanken ihres Nächsten sehr geringschätzig beurteilen, sich selbst gegenüber sehr nachsichtig sind. Zweifellos machte er sich über das Mysterium der Trinität lustig und wunderte sich, daß unendlich viele Leute sich getrauten, von einer Natur zu reden, die aus drei Hypostasen besteht; gerade er, der genau 96

»Dinge, die einem dritten gleich sind, sind untereinander gleich.«

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genommen der göttlichen Natur so viele Personen gibt, wie Leute auf der Erde leben. Er hat diejenigen als Narren betrachtet, die, weil sie die Transsubstantiation zulassen, sagen, daß ein Mensch zur gleichen Zeit an mehreren Orten sein kann, daß er in Paris lebendig und in Rom tot sein kann; er, der behauptet, daß die ausgedehnte, einige und unteilbare Substanz überall auf einmal ist, hier kalt, anderswo warm, hier traurig, anderswo fröhlich usw. Dies sei nebenbei bemerkt. Aber man erwäge aufmerksam, was ich nun sagen werde. Wenn es etwas Gewisses und Unbestreitbares in der menschlichen Erkenntnis gibt, dann ist es dieser Satz »Opposita sunt quae neque de se invicem, neque de eodem tertio secundum idem, ad idem, eodem modo atque tempore vere affirmari possunt«97. D. h. man kann einem und demselben Subjekt in ein und derselben Hinsicht nicht zur gleichen Zeit zwei einander entgegengesetzte Bestimmungen beilegen. Man kann beispielsweise ohne zu lügen nicht sagen »Peter ist wohlauf, Peter ist schwer krank; er verneint dies und er bejaht es«, vorausgesetzt, daß die Bestimmungen immer dieselbe Beziehung und denselben Sinn haben. Die Spinozisten zerstören diese Vorstellung und falsifizieren sie auf solche Weise, daß man nicht länger weiß, woher sie das Merkmal der Wahrheit werden nehmen können. Denn wenn derartige Sätze falsch wären, gäbe es keine mehr, deren Wahrheit man garantieren könnte. Man kann sich also von einem Disput mit ihnen nichts versprechen, denn wenn sie imstande sind, dies zu leugnen, dann werden sie auch jedes andere Argument abstreiten, das man gegen sie anführt. Wir wollen zeigen, daß dieses Axiom98 in ihrem System völlig falsch ist, und wir wollen dazu zunächst als unbestreitbare Maxime festlegen, daß all die Bezeichnungen, die man einem Subjekt beilegt, um

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Man sehe die Logik von Coimbra zu Kap. X von Aristoteles, De praedicamentis, S. 275 meiner Ausgabe, und die von Burgersdijk, Buch I, Kap. 22, S. 127 meiner Ausgabe. 98 D. h. die oben in Fußnote (97) belegte Definition der einander entgegengesetzten Bestimmungen.

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das zu kennzeichnen, was es macht oder was es erleidet, im eigentlichen Sinne und physisch seiner Substanz zukommen und nicht seinen Akzidenzien. Wenn wir sagen »Eisen ist hart, Eisen ist schwer, es sinkt im Wasser, es spaltet Holz«, so beanspruchen wir nicht zu sagen, daß seine Härte hart ist, daß seine Schwere schwer ist usw.; eine solche Redeweise wäre sehr ungehörig. Wir wollen zum Ausdruck bringen, daß die ausgedehnte Substanz, aus der es zusammensetzt ist, Widerstand leistet, daß sie schwer ist, daß sie im Wasser sinkt, daß sie das Holz teilt. Desgleichen wenn wir sagen, daß ein Mensch verneint, bejaht, sich ärgert, schmeichelt, lobt usw., so schreiben wir alle diese Attribute seiner Seelensubstanz selbst zu und nicht ihren Gedanken, insofern sie Akzidenzien oder Modifikationen sind. Wenn es also wahr wäre, wie Spinoza behauptet, daß die Menschen Modalitäten Gottes sind, so würde man falsch sprechen, wenn man sagte »Peter verneint dies, er will das, er bejaht etwas Bestimmtes«, denn wirklich und tatsächlich ist es diesem System zufolge Gott, der verneint, der will, der bejaht; und folglich fallen alle Benennungen, die aus den Gedanken aller Menschen hervorgehen, im eigentlichen Sinne und physisch der Substanz Gottes zu. Daraus folgt, daß Gott ein und dieselben Dinge zur gleichen Zeit haßt und liebt, verneint und bejaht, und zwar gemäß all den Bedingungen, wodurch die von mir zitierte Regel bezüglich der entgegengesetzten Bestimmungen als falsch erwiesen wird. Denn man kann nicht leugnen, daß gemäß allen diesen Bedingungen in all ihrer Strenge genommen gewisse Menschen das lieben und das bejahen, was andere hassen und verneinen. Wir wollen noch weiter gehen. Die widersprüchlichen Bestimmungen »wollen« und »nicht wollen« treffen gemäß all diesen Bedingungen zur gleichen Zeit auf verschiedene Menschen zu. Nach dem System Spinozas ist es also erforderlich, daß sie auf diese einige und unteilbare Substanz zutreffen, die er Gott nennt. Es ist also Gott, der zur gleichen Zeit den Akt des Wollens hinsichtlich ein und desselben Objektes ausübt und nicht ausübt. Zwei widersprüchliche Bestimmungen treffen also auf ihn zu, was die Umstürzung der ersten Prinzipien der Metaphysik bedeu-

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tet.99 Ich weiß wohl, daß man sich in den Disputen über die Transsubstantiation eines Kunstgriffs bedient, der den Spinozisten hier zu Hilfe kommen könnte. Man sagt, daß, wenn Peter in Rom etwas will, was er in Paris nicht will, die widersprüchlichen Bestimmungen »wollen« und »nicht wollen« mit Bezug auf ihn nicht wahr wären; denn weil man voraussetzt, daß er in Rom will, würde man lügen, wenn man sagte, er wolle nicht. Lassen wir ihnen diese nichtige Spitzfindigkeit. Wir wollen lediglich sagen, daß so, wie ein quadratischer Kreis ein Widerspruch ist, es auch eine Substanz ist, wenn sie zur gleichen Zeit und hinsichtlich desselben Objektes Liebe und Haß empfindet. Ein quadratischer Kreis wäre ein Kreis und wäre es nicht. Da hat man einen vollständigen Widerspruch. Er wäre es der Voraussetzung nach und er wäre es nicht, weil die Figur des Quadrates das Kreisförmige wesensmäßig ausschließt. Ich sage dasselbe über eine Substanz, die ein und dasselbe Ding haßt und liebt. Sie liebt es und sie liebt es nicht, was ein vollständiger Widerspruch ist. Sie liebt es, weil man das voraussetzt; sie liebt es nicht, weil der Haß wesensmäßig die Liebe ausschließt. Das sind die falschen Delikatessen. Spinoza konnte nicht die geringsten Dunkelheiten weder des Aristotelismus noch des Judentums oder des Christentums ertragen und nahm mit ganzem Herzen eine Lehre an, die zwei ebenso entgegengesetzte Bestimmungen zusammen vereinte wie die quadratische Figur und das Kreisförmige und die bewirkt, daß eine unendliche Menge nicht übereinstimmender, inkompatibler Attribute sowie die ganze Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Gedanken des menschlichen Geschlechtes auf einmal in ein und derselben einzigen, ganz einfachen und unteilbaren Substanz wahr sind. Man sagt gewöhnlich »Wie viele Köpfe, so viele Meinungen«, aber Spinoza zufolge sind alle Meinungen aller Menschen in einem einzigen Kopf. Derartige Dinge nur zu berichten, heißt schon, sie zu widerlegen, heißt schon, ihre Widersprüche klar 99

»Zwei widersprüchliche Dinge können nicht zur gleichen Zeit wahr sein; von jeder beliebigen Sache ist entweder die Verneinung oder die Bejahung wahr.« Man sehe die Metaphysik des Aristoteles, Buch IV, Kap. 3 f.

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aufzuzeigen. Denn es ist offensichtlich, daß entweder nichts unmöglich ist, nicht einmal, daß zwei und zwei zwölf ergeben, oder daß es im Universum ebensoviele Substanzen wie Subjekte gibt, die nicht zur gleichen Zeit dieselben Bestimmungen annehmen können.

Anderer, aus der Boshaftigkeit der Gedanken des Menschen hergeleiteter Beweis für das oben Gesagte IV. Aber wenn es physisch gesprochen eine gewaltige Absurdität ist, daß ein einfaches und einiges Subjekt zur gleichen Zeit durch die Gedanken aller Menschen modifiziert sein sollte, so ist es eine abscheuliche Widerwärtigkeit, wenn man dies von der Seite der Moral erwägt. Wie nun? Das unendliche Wesen, das notwendige Wesen, das höchst vollkommene Wesen wird nicht unerschütterlich, beständig und unveränderlich sein? Was sage ich unveränderlich? Es wird keinen Augenblick lang dasselbe sein; seine Gedanken folgen aufeinander ohne Anfang und Ende; dieselbe Mischung von Leidenschaften und Empfindungen wird nicht zweimal erscheinen. Das ist schwer verdaulich, aber es kommt noch viel schlimmer. Diese kontinuierliche Beweglichkeit wird viel Gleichförmigkeit in dem Sinne behalten, daß das unendliche Wesen stets für einen guten Gedanken tausend schlechte, ungereimte, unreine, abscheuliche haben wird. Es wird in sich selbst all die Torheiten, all die Träume, all die Niederträchtigkeiten, all die Unbilligkeiten des menschlichen Geschlechts hervorbringen; es wird nicht allein deren Wirkursache sein, sondern auch das passive Subjekt, das subjectum inhaesionis 具Subjekt der Inhärenz 典. Es wird sich mit ihnen durch die intimste Vereinigung verbinden, die sich denken läßt, denn es handelt sich um eine durchdringende Vereinigung oder vielmehr um eine wahre Identität, weil der Modus nicht real von der modifizierten Substanz verschieden ist. Weil sie nicht verstehen konnten, daß es mit der Natur des höchst vollkommenen Wesen kompatibel sein sollte zu dulden, daß der Mensch so böse und unglücklich ist, haben mehrere große

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Philosophen zwei Prinzipien angenommen, ein gutes und ein böses,100 und hier haben wir einen Philosophen, der es gut findet, daß Gott selbst das handelnde und das leidende Subjekt all der menschlichen Verbrechen und des menschlichen Elends ist. Daß die Menschen einander hassen, daß sie einander meuchlings töten, daß sie sich in Armeen versammeln, um sich gegenseitig umzubringen, daß die Sieger manchmal die Besiegten auffressen –, das ist verständlich, weil man voraussetzt, daß sie voneinander verschieden sind und das Mein und Dein unter ihnen entgegengesetzte Leidenschaften hervorbringt. Aber daß es Kriege und Schlachten geben sollte, wenn doch die Menschen nur Modifikationen derselben Substanz sind und es folglich nur Gott ist, der handelt, und wenn der numerisch selbe Gott, der sich zu einem Türken modifiziert, sich auch zu einem Ungarn modifiziert – das übersteigt all die Ungeheuerlichkeiten und all die chimärischen Regellosigkeiten der verrücktesten Köpfe, die man jemals in Irrenhäuser eingesperrt hat. Man bemerke wohl, wie ich schon gesagt habe, daß die Modi nichts machen und daß es allein die Substanzen sind, die wirken und auf die eingewirkt wird. Dieser Satz »Die Süße des Honigs schmeichelt dem Gaumen« ist nur insofern wahr, als er bedeutet, daß die ausgedehnte Substanz, die den Honig bildet, dem Gaumen schmeichelt. Deshalb reden nach dem System Spinozas alle diejenigen schlecht und falsch, die sagen »Die Deutschen haben zehntausend Türken getötet«, es sei denn, sie meinen »Der in Deutsche modifizierte Gott hat den in zehntausend Türken modifizierten Gott getötet«; und so haben alle Sätze, durch die man ausdrückt, was die Menschen einander zufügen, keinen anderen wahren Sinn als diesen: »Gott haßt sich selbst, er bittet sich selbst um Gnade und schlägt sie aus; er verfolgt sich, er tötet sich, er frißt sich auf,101 er verleumdet sich, er schickt sich selbst aufs Schafott usw.« Das wäre weniMan sehe die Artikel MANICHÄER, MARCIONITEN 具letzterer nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典, PAULICIANER. 101 Die Fabel von Saturn, der seine eigenen Kinder verschlingt, ist unendlich weniger unvernünftig als das, was Spinoza behauptet. 100

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ger unvorstellbar, wenn Spinoza sich Gott als eine Ansammlung von mehreren verschiedenen Teilen vorgestellt hätte; er reduziert ihn jedoch auf die vollkommenste Einfachheit, auf die Einheit der Substanz, auf die Unteilbarkeit. Er behauptet folglich die schändlichsten und fürchterlichsten Verrücktheiten, die man sich vorstellen kann und die unendlich lächerlicher sind als die der Dichter bezüglich der Götter des Heidentums. Ich wundere mich, daß er sie entweder nicht wahrgenommen hat, oder daß er, falls er sie gesehen hat, hartnäckig bei seinem Prinzip geblieben ist. Ein Mensch von gutem Verstand würde lieber die Erde mit seinen Zähnen und Nägeln umgraben, als eine so schockierende und absurde Lehre wie diese zu entwickeln.

Anderer, aus dem Elend des Menschen hergeleiteter Beweis für das oben Gesagte V. Noch zwei Einwände. Es hat Philosophen gegeben, die gottlos genug waren zu leugnen, daß es einen Gott gebe. Aber sie haben ihre Verrücktheit nicht so weit getrieben zu sagen, daß er, wenn er existierte, nicht vollkommen glücklich wäre. Die größten Skeptiker des Altertums haben gesagt, daß alle Menschen eine Vorstellung von Gott haben, der zufolge er ein lebendiges, glückliches, unzerstörbares, in seiner Glückseligkeit vollkommenes und keines Bösen fähiges Wesen sei. (…).102 Die Glückseligkeit war die am wenigsten von seinem Begriff trennbare Eigenschaft. Diejenigen, die ihm Herrschaft und Lenkung der Welt nahmen, ließen ihm wenigstens eine unsterbliche Glückseligkeit, und diejenigen, die ihn dem Tod ausgesetzt sein ließen, sagten wenigstens, daß er sein ganzes Leben über glücklich wäre. Es war zweifellos eine an Wahnsinn grenzende Verrücktheit, die göttliche Natur nicht mit der Unsterblichkeit und der Glückseligkeit zu vereinigen. Plutarch wider-

102

Sextus Empiricus, Adversus mathematicos, Buch VIII, Sect. 2.

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legt diese Absurdität der Stoiker sehr gut. (…).104 Aber wie verrückt diese Träumerei der Stoiker auch war, sie nahm den Göttern nicht die Glückseligkeit während ihres Lebens. Die Spinozisten sind vielleicht die einzigen, welche die Gottheit ins Elend versetzt haben.105 Aber was für ein Elend? Manchmal ein so großes, daß sie sich in Verzweiflung stürzt und sich vernichten würde, wenn sie könnte; sie versucht es, sie nimmt sich alles, was sie sich nehmen kann; sie erhängt sich, stürzt sich in Abgründe, weil sie die schreckliche Traurigkeit nicht länger ertragen kann, die sie verzehrt. Das sind keine Deklamationen, das ist exakte und philosophische Sprache; denn wenn der Mensch nur eine Modifikation ist, so tut er nichts. Es wäre eine ungehörige, komische und possenhafte Ausdrucksweise, wenn man sagte »Die Freude ist fröhlich, die Traurigkeit ist traurig«. Es ist eine ähnliche Ausdrucksweise, im System Spinozas zu sagen »Der Mensch denkt, der Mensch grämt sich, der Mensch erhängt sich usw.« Alle diese Sätze müssen von der Substanz ausgesagt werden, von welcher der Mensch nur ein Modus ist. Wie konnte man sich einbilden, daß eine unabhängige Natur, die durch sich selbst existiert und die unendliche Vollkommenheiten besitzt, all den Unglücksfällen des menschlichen Geschlechts ausgesetzt sei? Wenn irgendeine andere Natur sie zwänge, sich Leid zuzufügen, Schmerz zu empfinden, so würde man es nicht so befremdlich finden, daß sie ihre Aktivität einsetzte, um sich unglücklich zu machen. Man würde sagen »Sie muß wohl einer größeren Kraft gehorchen; offensichtlich fügt sie sich Nierensteine, Koliken, Fieber und rasende Schmerzen zu, um ein größeres Übel zu vermeiden«. Aber sie ist allein im Universum, nichts befiehlt ihr, nichts ermahnt sie, nichts bittet sie. Es ist ihre eigene Natur, wird Spinoza sagen, die sie dazu bringt, sich selbst in bestimmten Umständen großes Leid und sehr lebhafte Schmerzen zuzufügen. Aber, 104

Plutarch, Adversus stoicos, S. 1075 A. Die Vorläufer, die ich ihnen in der ersten Anmerkung gebe, haben die Konsequenzen ihres Prinzips nicht so tief ergründet und entwickelt wie Spinoza. 105

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so werde ich ihm antworten, findest du nicht etwas Ungeheuerliches und Unvorstellbares in einem derartigen Fatalismus? Die sehr starken Argumente, die gegen die Lehre angeführt wurden, nach der unsere Seelen ein Teil Gottes sind, sind gegen Spinoza noch stichhaltiger. Cicero wendet in einem seiner Werke gegen Pythagoras ein, daß aus dieser Lehre drei offenkundige Falschheiten folgen: 1) daß die göttliche Natur in Stücke zerrissen wäre, 2) daß sie ebenso oft unglücklich wäre wie die Menschen, 3) daß dem menschlichen Geist nichts unbekannt bliebe, weil er Gott wäre (…).106

Die Lehre Spinozas macht sein gesamtes Verhalten und seine Darlegungen lächerlich VI. Wenn ich mich nicht daran erinnerte, daß ich kein Buch gegen diesen Menschen schreibe, sondern lediglich einige kleine beiläufige Anmerkungen verfasse, dann würde ich noch viele andere Absurditäten in seinem System aufzeigen. Wir wollen mit dieser hier schließen. Er hat sich auf eine Lehre eingelassen, die seine gesamte Arbeit lächerlich macht, und ich bin sehr überzeugt, daß man auf jeder Seite seiner Ethica erbärmlichen Unsinn finden kann. Erstens würde ich gern wissen, worauf er hinaus will, wenn er bestimmte Lehren zurückweist und dafür andere vorträgt. Will er Wahrheiten lehren? Will er Irrtümer widerlegen? Aber hat er ein Recht zu sagen, es gebe Irrtümer? Sind die Gedanken der gewöhnlichen Philosophen, der Juden und der Christen nicht ebenso Modi des unendlichen Wesens wie die seiner Ethica? Sind sie nicht für die Vollkommenheit des Universums ebenso notwendige Realitäten wie alle seine Spekulationen? Gehen sie nicht aus der notwendigen Ursache hervor? Wie wagt er es dann zu behaupten, daß es da etwas richtigzustellen gibt? Zweitens, behauptet er nicht, 106

Man findet die Fortsetzung dieser Worte Ciceros in Anmerkung (O), Fußnote (112) des Artikels PYTHAGORAS. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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daß die Natur, von der sie Modalitäten sind, notwendig handelt, daß sie immer ihren großen Weg geht, daß sie sich weder seitwärts wenden noch anhalten kann noch, da sie das einzige Wesen im Universum ist, von irgendeiner äußeren Ursache jemals angehalten oder berichtigt werden kann? Es gibt also nichts Unnützeres als die Lektionen dieses Philosophen. Steht es ihm, der nur eine Modifikation der Substanz ist, wohl zu, dem unendlichen Wesen vorzuschreiben, was es zu tun hat? Wird dieses Wesen ihn hören? Und wenn es ihn hörte, könnte es davon profitieren? Handelt es nicht stets gemäß dem gesamten Umfang seiner Kräfte, ohne zu wissen, wohin es geht oder was es tut? Ein Mensch wie Spinoza würde völlig in Ruhe verharren, wenn er gut räsonierte. »Wenn es möglich ist, daß eine derartige Lehre aufgestellt wird«, würde er sagen, »dann wird die Notwendigkeit der Natur sie ohne mein Werk aufstellen. Wenn es aber nicht möglich ist, so werden alle meine Schriften dazu nichts beitragen.«

(O) Sie wünschten, daß man die Schwierigkeiten völlig behebt, denen Spinoza erlegen ist. Man geht in der Annahme nicht fehl, so scheint mir, daß er sich nur deshalb in diese Abgründe gestürzt hat, weil er weder verstehen konnte, daß die Materie ewig und von Gott verschieden sein sollte, noch daß sie aus nichts entstehen könnte, noch daß ein unendlicher und höchst freier Geist, der Schöpfer aller Dinge, ein solches Werk wie die Welt zu schaffen vermöchte. Eine Materie, die notwendigerweise existiert und der trotzdem die Aktivität genommen und die der Macht eines anderen Prinzips unterworfen ist, ist etwas, das nicht mit der Vernunft übereinstimmt. Wir sehen keinerlei Übereinstimmung zwischen diesen drei Eigenschaften; der Begriff der Ordnung bestreitet eine derartige Verbindung. Eine aus nichts erschaffene Materie ist unvorstellbar, gleichgültig welche Anstrengungen man auch unternimmt, um sich die Vorstellung von einem Willensakt zu bilden, der dasjenige in eine wirkliche Substanz

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umwandelt, was zuvor nichts war. Das Prinzip der Alten ex nihilo nihil fit, aus nichts wird nichts, schwebt unserer Einbildungskraft unaufhörlich vor und strahlt dort so glänzend, daß es uns, falls wir begonnen hätten, irgend etwas an der Schöpfung zu begreifen, alles wieder entgleiten läßt. Schließlich, daß ein unendlich gütiger, heiliger, freier Gott, der die Geschöpfe stets heilig und glücklich hätte machen können, es vorgezogen hat, daß sie auf ewig verbrecherisch und unglücklich sind, ist etwas, was der Vernunft Mühe bereitet; und das um so mehr, als sie die Übereinstimmung der menschlichen Freiheit107 mit der Eigenschaft eines aus dem Nichts gezogenen Wesens nicht zu begreifen vermag. Nun kann sie ohne diese Übereinstimmung nicht begreifen, daß der Mensch unter einer freien, gütigen, heiligen und gerechten Vorsehung irgendeine Strafe verdienen könnte. Das sind drei Schwierigkeiten, die Spinoza verpflichteten, ein neues System zu suchen, in dem Gott nicht von der Materie verschieden wäre und wo er mit Notwendigkeit und gemäß dem ganzen Umfang seiner Kräfte nicht außerhalb seiner selbst, sondern in sich selbst wirkte. Aus dieser Annahme folgt, daß diese notwendige Ursache, weil sie ihrer Macht keinerlei Grenzen setzt und als Richtschnur ihrer Handlungen weder die Güte noch die Gerechtigkeit noch das Wissen, sondern einzig die unendliche Kraft ihrer Natur hat, sich gemäß allen möglichen Realitäten modifizieren mußte, so daß die Irrtümer und die Verbrechen, der Schmerz und das Leid, weil sie ebenso reale Modalitäten wie die Wahrheiten, die Tugenden und die Freuden sind, im Universum enthalten sein mußten. Spinoza glaubte auf diese Weise die Einwände der Manichäer gegen die Einheit des Ursprungs zu befriedigen. Sie tragen nur unter der Annahme etwas aus, daß es ein einiges Prinzip aller Dinge gibt, das willkürlich handelt, daß es handeln oder nicht handeln kann und daß es seine Macht gemäß den Regeln der Güte und der Billigkeit oder gemäß dem Trieb der Bosheit begrenzt. Unter dieser Voraussetzung fragt man: »Wenn dieses einige Prinzip gut ist, woher kommt dann das 107

D. h. der Freiheit der Indifferenz.

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Übel? Wenn es böse ist, woher kommt das Gute?«108 Spinoza würde antworten: »Da mein einiges Prinzip die Macht hat, Böses und Gutes zu tun, und da es alles das tut, was es tun kann, so muß es mit höchster Notwendigkeit Gutes und Böses im Universum geben.« Ich bitte euch, wägt in einer gerechten Abwägung die drei Schwierigkeiten, die er vermeiden wollte, gegen die verrückten und verabscheuungswürdigen Folgen der Lehre ab, der er gefolgt ist. Ihr werdet finden, daß seine Wahl weder diejenige eines rechtschaffenen noch die eines verständigen Menschen ist. Er gab Dinge auf, von denen man schlimmstenfalls sagen könnte, die Schwäche unserer Vernunft erlaube es uns nicht, klar zu erkennen, daß sie möglich sind, und er nahm andere Dinge an, deren Unmöglichkeit offenkundig ist. Zwischen dem Nichtbegreifen der Möglichkeit von etwas und dem Begreifen seiner Unmöglichkeit besteht ein großer Unterschied. Nun sehe man die Ungerechtigkeit der Leser. Sie wollen, daß alle diejenigen, die gegen Spinoza schreiben, verpflichtet sind, ihnen die Wahrheiten mit letzter Klarheit an die Hand zu geben, die er nicht begreifen konnte und deren Schwierigkeiten ihn anderswohin getrieben haben; und weil sie das in den antispinozistischen Schriften nicht gefunden haben, urteilen sie, man sei nicht erfolgreich gewesen. Reicht es nicht aus, das Gebäude dieses Atheisten umzustürzen? Die gesunde Vernunft verlangt, daß die Gewohnheit gegen die Unternehmungen der Erneuerer gestützt wird, wenigstens solange, bis sie bessere Gesetze beibringen. Und ihre Ansichten würden allein schon aus dem Grund Zurückweisung verdienen, wenn sie nicht besser wären als die überkommenen Ansichten, selbst wenn sie nicht schlechter wären als der Mißbrauch, den sie bekämpften. »Unterwerft euch der Gewohnheit«, so muß man zu diesen Leuten sagen, »oder gebt uns etwas Besseres«. Mit weit mehr Grund ist es gerechtfertigt, das System der Spinozisten zurückzuweisen, weil es sich nur von einigen Schwierigkeiten frei macht, um sich in viel unerklärlichere zu ver108

(…). Boethius, De consolatione philosophiae, Buch I, Prosa IV, S. 11 meiner Ausgabe.

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stricken. Wären die Schwierigkeiten auf beiden Seiten gleich groß, so spräche das für das gewöhnliche System, das man annehmen müßte, weil es außer dem Vorzug, das Überkommene zu sein, noch den Vorteil hätte, uns große Güter für die Zukunft in Aussicht zu stellen und uns tausend Trostgründe für das Elend dieses Lebens zu lassen. Welcher Trost ist es nicht, wenn man sich im Unglück schmeicheln kann, daß die Gebete, die man an Gott sendet, erhört werden und daß er uns auf jeden Fall für unsere Geduld belohnen und uns eine herrliche Entschädigung verschaffen wird. Es ist ein großer Trost, sich schmeicheln zu können, daß die anderen Menschen auf die Stimme ihres Gewissens und auf die Furcht vor Gott etwas geben werden. Das heißt, daß die gewöhnliche Lehre zugleich wahrer und bequemer ist als die der Gottlosigkeit.110 Es genügt also, um die Lehre Spinozas mit vollem Recht zurückzuweisen, daß man sagen kann »sie ist nicht geringeren Einwänden ausgesetzt als die christliche Lehre«. Derart muß man jeden Autor, der zeigt, daß der Spinozismus in seinen grundlegenden Sätzen dunkel und falsch und in seinen Folgen in undurchdringliche und widersprüchliche Absurditäten verstrickt ist, so einschätzen, daß er ihn gut widerlegt hat, auch wenn er nicht allen seinen Einwänden auf klare Weise genügen sollte. Wir wollen das alles in wenige Worte fassen. Die gewöhnliche Lehre zeigt uns, wenn wir sie mit derjenigen der Spinozisten in den Punkten vergleichen, die in ihnen klar sind, mehr Deutlichkeit; und wenn sie mit der anderen in den Punkten verglichen wird, die in ihnen dunkel sind, so scheint sie der Vernunft weniger entgegengesetzt; und außerdem verspricht sie uns ein unendliches Gut nach diesem Leben und versorgt uns in diesem mit tausend Tröstungen, wohingegen die andere Lehre uns nichts jenseits dieser Welt verspricht und uns das Zutrauen in unsere Gebete und in die Gewissensbisse unseres Nächsten 110

Ich habe bereits in dem Artikel SOCIN, Faustus, Anmerkung (I), gesagt, daß es im Interesse jedes Einzelnen liegt, daß alle anderen auf ihr Gewissen hören und gottesfürchtig sind. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典

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nimmt. Die gewöhnliche Lehre ist also der anderen gegenüber vorzuziehen.

(Q) Es gibt keinen Philosophen, der weniger Recht hätte, Geistererscheinungen zu leugnen. Unter der Annahme, so habe ich anderswo gesagt,130 ein höchst vollkommener Geist habe die Geschöpfe aus dem Schoß des Nichts gezogen, ohne dazu durch seine Natur bestimmt zu sein, sondern durch eine freie Wahl seines Wohlgefallens, kann man leugnen, daß es Engel gibt.131 Wenn man fragt, warum ein solcher Schöpfer keine anderen Geister hervorgebracht hat als die Menschenseele, so wird man die Antwort erhalten, daß dies sein Wohlgefallen gefunden hat (…). Man wird dieser Antwort nichts Vernünftiges entgegensetzen können, es sei denn, man könnte die Tatsache beweisen, nämlich daß es Engel gibt. Wenn man aber annimmt, der Schöpfer habe nicht frei gehandelt und habe den ganzen Umfang seiner Macht ohne Wahl und ohne Regel ausgeschöpft, und daß darüber hinaus das Denken eins seiner Attribute sei, so macht man sich lächerlich, wenn man behauptet, es gebe keine Geister. Man muß glauben, daß das Denken des Schöpfers sich nicht nur im Körper der Menschen, sondern auch im ganzen Universum modifiziert, und daß es außer den Lebewesen, die wir kennen, eine unendliche Menge davon gibt, die wir nicht kennen und die uns an Einsicht und Bosheit so überlegen sind, wie wir in dieser Hinsicht die Hunde und die Ochsen übertreffen. Denn es wäre die unvernünftigste Sache der Welt, wenn man sich einbilden wollte, der menschliche Geist sei die vollkommenste Modifikation, die ein unendliches Wesen, das gemäß dem gesamten Umfang seiner Kräfte handelt, hervor130

In dem Artikel RUGGERI, Anmerkung (D) im dritten Absatz. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 131 Wohlgemerkt, wenn man die Autorität der Schrift beiseite setzt und erklärt, daß man nur philosophisch räsoniert.

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bringen konnte. Wir nehmen keine natürliche Verbindung zwischen dem Verstand und dem Gehirn wahr. Deshalb müssen wir glauben, daß ein Geschöpf ohne Gehirn ebenso fähig ist zu denken, wie ein Geschöpf, das organisiert ist wie wir. Was also hat Spinoza dazu veranlassen können, das zu leugnen, was von Geistern gesagt wird?132 Warum hat er geglaubt, es gebe nichts in der Welt, das imstande wäre, in unserer Maschine den Anblick eines Gespenstes hervorzurufen, Lärm in einem Zimmer zu machen und all die magischen Phänomene zu verursachen, von denen in den Büchern die Rede ist? Etwa deshalb, weil er glaubte, daß, um all diese Wirkungen hervorzubringen, ein ebenso massiver Körper erforderlich wäre, wie es der des Menschen ist, und daß in diesem Fall die Geister nicht in der Luft subsistieren noch in unsere Häuser eintreten noch sich unseren Augen entziehen könnten? Aber dieser Gedanke wäre lächerlich. Die Masse Fleisch, aus der wir zusammengesetzt sind, ist weniger eine Hilfe als ein Hindernis für den Geist und für die Kraft. Ich meine die mittlere Kraft oder die Fähigkeit, die geeignetsten Instrumente zur Hervorbringung großer Wirkungen anzuwenden. Aus dieser Fähigkeit gehen die erstaunlichsten Handlungen des Menschen hervor; tausende und abertausende Beispiele zeigen es uns. Ein Ingenieur, so klein wie ein Zwerg, mager und blaß, bewerkstelligt mehr, als zweitausend Wilde ausrichten würden, die stärker als Milon sind. Eine belebte Maschine, zehntausend mal kleiner als eine Ameise, könnte besser imstande sein, große Wirkungen hervorzubringen als ein Elefant. Sie könnte die empfindungslosen Teile der Tiere sowie der Pflanzen entdecken und sich auf den Platz der ersten Triebkräfte unseres Gehirns setzen und uns dort die Klappen entdecken, deren Wirkung es wäre, daß wir Phantome sähen, Lärm hörten usw.133 Wenn die Ärzte die ersten Fibern, die er132

Man sehe seine Briefe LVI, LVIII, LX. Man bemerke beiläufig, daß nichts unverständiger ist, als darüber zu disputieren, ob die Engel, wenn sie erscheinen, sich einen menschlichen Körper bilden oder ob sie ihn von irgendeinem Leichnam nehmen. Das alles brauchen sie nicht. Es genügt, daß sie die optischen und akustischen 133

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sten Kombinationen der Teile in den Pflanzen, in den Mineralien und in den Tieren kennten, dann würden sie auch die Mittel kennen, um sie in Unordnung zu bringen, und sie wären dann in der Lage, diese Mittel in der erforderlichen Weise einzusetzen, um neue Arrangements hervorzubringen, die gute Speisen in Gift und Gifte in gute Speisen verwandelten. Solche Ärzte wären unvergleichlich tüchtiger als Hippokrates, und wenn sie klein genug wären, um in das Gehirn und in die Eingeweide hineinzugelangen, so würden sie heilen, wen sie wollten, und würden gleichfalls die außergewöhnlichsten Krankheiten verursachen, wann immer sie wollten. All das läuft auf die Frage hinaus: »Ist es möglich, daß eine unsichtbare Modifikation mehr Einsicht und Boshaftigkeit hat als der Mensch?« Wenn Spinoza die negative Antwort wählt, so kennt er die Konsequenzen seiner Lehre nicht und verhält sich verwegen und prinzipienlos. Man könnte hierüber eine lange Abhandlung verfassen, in der man all seinen Ausflüchten und Einwänden zuvorkäme. (…).

(R) Der Streit der Spinozisten über die Wunder ist nur ein Spiel mit Worten. Die gewöhnliche Meinung der rechtgläubigen Theologen lautet, daß Gott die Wunder unmittelbar hervorbringt, er mag sich dazu der Handlung der Geschöpfe bedienen oder nicht. Der eine wie der andere dieser beiden Wege ist ein unbestreitbares Zeugnis, daß er über der Natur steht, denn wenn er etwas ohne Einschaltung anderer Ursachen hervorbringt, dann vermag er ohne die Natur auszukommen; und er setzt diese nur dann bei einem Wunder ein, nachdem er sie zuvor von ihrem Lauf abgebracht hat. Er zeigt also, daß die Ursachen von seinem Willen abhängen, daß er ihre Kraft aufhebt, wenn Nerven so bewegen, wie sie durch das reflektierende Licht eines menschlichen Körpers und die Luft, die aus dem Mund eines sprechenden Menschen entweicht, bewegt werden.

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es ihm gefällt, oder daß er sie auf eine von ihrer gewöhnlichen Bestimmung verschiedene Art und Weise einsetzt. Die Cartesianer, die ihn zur nächsten und unmittelbaren Ursache aller Wirkungen der Natur machen, setzen voraus, daß er dann, wenn er Wunder wirkt, nicht die allgemeinen Gesetze befolgt, die er erlassen hat. Er macht eine Ausnahme von ihnen, und er setzt die Körper ganz anders ein, als er es getan haben würde, wenn er die allgemeinen Gesetze befolgt hätte. Darüber hinaus sagen sie, daß, wenn es allgemeine Gesetze gäbe, durch die Gott sich verbunden hätte, die Körper gemäß den Wünschen der Engel zu bewegen, und wenn ein Engel gewünscht hätte, daß sich das Wasser des Roten Meeres teilte, der Durchzug der Israeliten kein Wunder im eigentlichen Sinne gewesen wäre. Diese Konsequenz, die notwendigerweise aus ihrem Prinzip hervorgeht, verhindert, daß ihre Definition des Wunders all die Vorzüge hat, die man wünschen sollte. Es wäre also besser gewesen, wenn sie gesagt hätten, daß sämtliche den uns bekannten allgemeinen Gesetzen widersprechende Wirkungen Wunder sind; auf diese Weise würden die Plagen Ägyptens und andere derartige außergewöhnliche Handlungen, die in der Schrift berichtet werden, Wunder im eigentlichen Wortsinne sein. Um nun die Unaufrichtigkeit und die Blendwerke der Spinozisten in dieser Angelegenheit zu zeigen, genügt es zu sagen, daß sie, um die Möglichkeit der Wunder zurückzuweisen, diesen Grund anführen, daß nämlich Gott und die Natur dasselbe Wesen sind, so daß, wenn Gott irgend etwas entgegen den Gesetzen der Natur täte, er irgend etwas gegen sich selbst tun würde, was unmöglich ist. Sprecht deutlich und ohne Äquivokationen; sagt, daß die Gesetze der Natur nicht von einem freien Gesetzgeber geschaffen worden sind, der wußte, was er tat, sondern die Wirkung einer blinden und notwendigen Ursache sind, und daß deshalb nichts geschehen kann, was diesen Gesetzen zuwider wäre. Ihr führt dann eure eigene These gegen die Wunder an. Das wäre eine petitio principii, aber wenigstens sprächt ihr offen und ehrlich. Wir wollen die Spinozisten aus dieser Allgemeinheit herausziehen und sie fragen, was sie über die in der Schrift berichteten Wunder denken. Sie werden

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diesbezüglich alles das völlig verneinen, was sie nicht irgendeinem Kunstgriff zuschreiben können. Wir wollen ihnen die Dreistigkeit nicht vorwerfen, die man haben muß, um Fakten dieser Art für falsch zu erklären; wir wollen sie bei ihren Prinzipien angreifen. Sagt ihr nicht, die Macht der Natur sei unendlich? Und würde sie das sein, wenn es nichts im Universum gäbe, was einem Toten das Leben wiedergeben könnte? Würde sie das wohl sein, wenn es nur ein einziges Mittel gäbe, Menschen zu schaffen und zwar dasjenige der gewöhnlichen Zeugung? Sagt ihr nicht, die Erkenntnis der Natur sei unendlich? Ihr leugnet denjenigen göttlichen Verstand, in dem uns zufolge die Erkenntnis aller möglichen Wesen vereint ist; aber obwohl ihr seine Erkenntnis zersplittert, leugnet ihr nicht seine Unendlichkeit. Ihr müßt also sagen, daß die Natur alle Dinge kennt, beinahe so, wie wir sagen, der Mensch verstehe alle Sprachen; der einzelne Mensch versteht sie nicht alle, aber die einen verstehen diese, die anderen jene. Könnt ihr verneinen, daß das Universum etwas enthält, das den Bau unserer Körper kennt? In diesem Falle würdet ihr euch widersprechen, denn ihr würdet nicht länger anerkennen, daß die Erkenntnis Gottes in unendlich viele Arten aufgeteilt ist; der kunstvolle Bau unserer Organe wäre ihm nicht bekannt. Gebt also zu, wenn ihr folgerichtig argumentieren wollt, daß es irgendeine Modifikation gibt, die ihn kennt; gebt zu, daß es der Natur sehr wohl möglich ist, einen Toten aufzuerwecken und daß euer Meister selbst seine Begriffe durcheinanderbrachte und die Folgen seines Grundsatzes nicht durchschaute, als er sagte,136 daß er, wenn er sich von der Auferstehung des Lazarus hätte überzeugen können, sein ganzes System in Stücke gehauen und ohne Widerwillen den gewöhnlichen Glauben der Christen angenommen hätte. Das genügt, um diesen Leuten zu beweisen, daß sie ihre Lehren dementieren, wenn sie die Möglichkeit von Wundern abstreiten, d. h. um alle Zweideutigkeit zu vermeiden, die Möglichkeit der in der Schrift berichteten Ereignisse. 136

Man hat mir versichert, daß er das zu seinen Freunden sagte.

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(T) Wenn er folgerichtig geschlossen hätte, dann hätte er die Angst vor der Hölle nicht als Hirngespinst abgetan. Man mag so fest wie man will glauben, dieses Universum sei nicht das Werk Gottes und werde nicht von einer einfachen, geistigen und von allen Körpern verschiedenen Natur gelenkt, so muß man doch zumindest zugeben, daß es gewisse Dinge gibt, die Intelligenz und Willen haben und die eifrig auf ihre Macht bedacht sind, die Macht über die anderen ausüben, ihnen dies oder jenes befehlen, sie züchtigen, übel behandeln und sich streng rächen. Ist die Erde nicht voll von Dingen dieser Art? Kennt das nicht jeder Mensch aus Erfahrung? Es wäre sicherlich ein völlig unvernünftiger Gedanke, sich einzubilden, daß alle Wesen dieser Art sich ausgerechnet auf der Erde befinden, die im Vergleich mit dem Universum nur ein Punkt ist. Vernunft, Geist, Ehrgeiz, Haß, Grausamkeit wären eher auf der Erde anzutreffen als irgendwo anders? Warum das? Könnte man dafür wohl einen guten oder schlechten Grund nennen? Das glaube ich nicht. Unsere Augen bringen uns zu der Überzeugung, daß die unermeßlichen Räume, die wir den Himmel nennen, wo sich derartig schnelle und aktive Bewegungen abspielen, ebenso zur Hervorbringung von Menschen befähigt sind wie die Erde und ebenso würdig wie die Erde, um in mehrere Herrschaftsbereiche eingeteilt zu werden. Wir wissen zwar nicht, was dort vor sich geht, aber wenn wir nur unsere Vernunft um Rat fragen, so müssen wir glauben, daß es sehr wahrscheinlich oder zumindest möglich ist, daß sich dort denkende Wesen befinden, die ihre Herrschaft ebenso wie ihr Licht auf unsere Welt ausdehnen. Daß wir sie nicht sehen, ist kein Beweis dafür, daß wir ihnen unbekannt oder gleichgültig wären; wir sind vielleicht ein Teil ihrer Herrschaft. Sie machen Gesetze, sie offenbaren sie uns durch die Stimme des Gewissens und sie erzürnen sich heftig über diejenigen, die sie übertreten. Es genügt, daß dies möglich ist, um die Atheisten in Unruhe zu versetzen; und es gibt nur ein gutes Mittel, sich vor nichts zu fürchten, und das ist der Glaube an die Sterblichkeit der Seele. Dadurch würde man der Wut dieser Geister entwi-

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schen, denn andernfalls könnten sie fürchterlicher sein als Gott selbst. Ich will mich erklären. Es gibt Leute, die glauben an einen Gott, an ein Paradies und an eine Hölle; aber sie täuschen sich, wenn sie meinen, die unendliche Güte des höchst vollkommenen Wesens gestatte es ihm nicht, sein eigenes Werk auf ewig zu quälen. Er ist der Vater aller Menschen, sagen sie, er wird folglich diejenigen, die ihm nicht gehorchen, väterlich bestrafen und sie in Gnade bei sich aufnehmen, nachdem er sie ihr Vergehen spüren ließ. So hat Origenes geschlossen. Andere nehmen an, Gott werde den rebellischen Geschöpfen das Dasein nehmen und man werde ihn mit einem »Welches Ende, großer König, hast du der Mühsal gesetzt«143 besänftigen und zu Mitleid rühren. Sie treiben ihre Illusionen so weit, daß sie sich einbilden, die ewigen Strafen, von denen in der Schrift gesprochen wird, seien bloß Drohungen. Wenn solche Leute nicht wüßten, daß es einen Gott gibt, und wenn sie sich durch das Räsonieren über das, was in dieser Welt geschieht, überzeugten, daß es anderswo Wesen gibt, die sich für das menschliche Geschlecht interessierten, so könnten sie sich im Sterben nur in dem Fall von der Furcht befreien, daß sie an die Sterblichkeit der Seele glauben. Denn wenn sie sie für unsterblich hielten, so könnten sie befürchten, in die Hände irgendeines wilden Herrn zu fallen, der wegen ihrer Taten böse auf sie wäre. Vergeblich würden sie hoffen, durch einige Jahre an Martern davon befreit zu werden. Ein eingeschränktes Wesen kann keinerlei Art moralische Vollkommenheit besitzen. Es könnte sehr wohl unseren Phalaris und unseren Neros ähneln, Leuten, die imstande sind, ihren Feind auf ewig in einem Kerker zu lassen, wenn sie nur ewige Macht besitzen könnten. Wird man hoffen, daß die boshaften Wesen nicht ewig existieren? Aber wie viele Atheisten gibt es, die behaupten, die Sonne habe niemals einen Anfang gehabt und werde niemals ein Ende haben? Das ist es, was ich meinte, als ich sagte, es gebe Wesen, die fürchterlicher als Gott selbst erscheinen könnten. Man kann sich Hoffnungen machen, wenn man die Augen auf einen 143

Vergil, Aeneis, Buch I, Vers 241.

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Gott richtet, der unendlich gut und unendlich vollkommen ist; und man kann alles von einer unvollkommenen Natur befürchten, denn man weiß nicht, ob ihr Zorn ewig dauern wird. Jedermann kennt die Wahl des Propheten David.144 Um alles das auf einen Spinozisten anzuwenden, wollen wir uns erinnern, daß er durch sein Prinzip verpflichtet ist, die Unsterblichkeit der Seele anzuerkennen, denn er betrachtet sich als Modalität eines essentiell denkenden Wesens. Erinnern wir uns, daß er nicht leugnen kann, daß es Modalitäten gibt, die sich über die anderen erzürnen, sie foltern und peinlich befragen, die ihre Qualen solange andauern lassen, wie sie können, die sie für ihr ganzes Leben auf Galeeren schicken und die diese Bestrafung ewig dauern ließen, wenn dem der Tod nicht auf der einen oder der anderen Seite ein Ende setzen würde. Tiberius, Caligula und hundert andere Personen sind Beispiele für diese Art von Modalitäten. Erinnern wir uns, daß ein Spinozist sich lächerlich macht, wenn er nicht zugibt, daß das ganze Universum mit ehrgeizigen, traurigen, neidischen, grausamen Modalitäten angefüllt ist. Denn weil die Erde voll davon ist, gibt es keinen Grund zu der Annahme, die Luft und die Himmel seien nicht auch voll davon. Erinnern wir uns schließlich, daß das Wesen der menschlichen Modalitäten nicht darin liegt, aus großen Fleischstücken zu bestehen. Sokrates war Sokrates am Tage seiner Empfängnis oder kurz darauf.145 Alles, was er zu dieser Zeit war, kann in seiner Gänze fortbestehen, nachdem eine tödliche Krankheit die Zirkulation des Blutes und die Bewegung des Herzens in der Materie stillstehen ließ, in der er herangewachsen war. Wenn man nur die wesentlichen Züge

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Als er die Wahl hatte, entweder von seinen Feinden besiegt oder von einer von Gott gesendeten Plage heimgesucht zu werden, antwortete er dem Propheten Gad: »Ich flehe dich an, daß wir in die Hände des Ewigen fallen, denn sein Mitleid ist groß, und daß ich nicht in die Hände der Menschen falle.« 2. Samuel 24, 14. 145 Spinoza mußte als Hersteller von Mikroskopen glauben, daß der Mensch im Samen organisiert und belebt ist und daß Sokrates deshalb Sokrates war, bevor seine Mutter ihn empfangen hatte.

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seiner Person betrachtet, so ist er also nach seinem Tod dieselbe Modalität, die er während seines Lebens war. Er entkommt also durch den Tod nicht der Gerechtigkeit oder den Launen seiner unsichtbaren Verfolger. Sie können ihm folgen, wohin er auch gehen wird, und ihn in jeder sichtbaren Gestalt mißhandeln, die er annehmen kann. Man könnte sich dieser Betrachtungen bedienen, um selbst diejenigen zur Ausübung der Tugend zu bringen, die in den Gottlosigkeiten ähnlicher Sekten versunken sind, denn die Vernunft will, daß sie hauptsächlich befürchten, Gesetze verletzt zu haben, die ihrem Gewissen offenbart sind. Am offensichtlichsten wären diese unsichtbaren Wesen an der Bestrafung derartiger Vergehen interessiert.

(X) Er wäre viel fürchterlicher gewesen, wenn er alle seine Kräfte auf die Erläuterung einer Lehre verwendet hätte, die bei den Chinesen großen Zulauf hat. Ein Kirchenvater hat ein Geständnis getan, das man heutzutage einem Philosophen vielleicht nicht verzeihen würde; daß nämlich selbst diejenigen, welche die Gottheit oder die Vorsehung leugnen, Wahrscheinlichkeiten sowohl für ihre Sache als auch gegen ihre Gegner anführen. »Einige leugnen, daß es Götter gibt, andere sagen, daß sie durchaus bezweifeln, ob es irgendwo welche gibt; andere aber behaupten, daß sie existieren und sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten kümmern; wieder andere behaupten, daß sie an den menschlichen Dingen Anteil nehmen und die irdischen Angelegenheiten leiten. Weil dies also so ist und nur eine dieser Meinungen wahr sein kann, bekämpfen sich alle mit Argumenten, und jede von ihnen kann etwas Wahrscheinliches vortragen, entweder um den eigenen Standpunkt zu bekräftigen oder um den anderen Meinungen zu widersprechen.«146 Wenn er recht hätte, dann vielleicht hauptsächlich hinsichtlich derjenigen, die eine große 146

Arnobius, Adversus gentes, Buch II, S. 82 meiner Ausgabe.

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Zahl voneinander verschiedener Seelen im Universum annehmen, von denen jede durch sich selbst existiert und durch ein inneres und essentielles Prinzip handelt. Die einen haben mehr Macht als die anderen, usw. Darin besteht der Atheismus, der unter den Chinesen so allgemein verbreitet ist. Auf folgende Weise hat man sich vorgestellt, daß sie nach und nach die wahren Begriffe verdunkelt haben. »Gott,147 dieses so reine und so vollkommene Wesen, ist höchstens die materielle Seele der gesamten Welt oder ihres schönsten Teils, des Himmels. Seine Vorsehung und seine Macht sind nur eine beschränkte Macht und Vorsehung gewesen, wenngleich jedoch bei weitem ausgedehnter als die Kraft und die Klugheit der Menschen. (---). Die Lehre der Chinesen hat seit je den vier Teilen der Welt, den Sternen, den Bergen, den Flüssen, den Pflanzen, den Städten und ihren Gräben, den Häusern und ihren Herden, kurzum: allen Dingen Geister beigelegt. Und nicht alle diese Geister hielten sie für gute; sie glaubten auch an böse Geister als unmittelbare Ursache der Übel und Katastrophen, denen das menschliche Leben ausgesetzt ist. (---). Da148 also die menschliche Seele ihrer Meinung nach die Quelle aller menschlichen Handlungen war, gaben sie der Sonne als Quelle ihrer Eigenschaften und ihrer Bewegungen eine Seele; und nach diesem Prinzip verbreiteten sich die Seelen überall hin, indem sie in allen Körpern die ihnen natürlichen Tätigkeiten verursachten. Mehr benötigte man nicht bei dieser Theorie, um die ganze Ökonomie der Natur zu erklären und um die Allmacht und die unendliche Vorsehung zu ersetzen, die sie keinem Geist zubilligten, nicht einmal dem des Himmels. Die alte chinesische Meinung sprach allen Seelen eine nach Maßgabe des Verhältnisses gleichartige Macht zu, weil es so scheint, daß der Mensch durch den Gebrauch natürlicher Produkte für seine 147

La Loubere, Rélation de Siam, Bd. I, Kap. 23, Nr. 2, S. 503 f. Man sehe oben Fußnote (55) des Artikels MALHERBE 具nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 und den Artikel SOMMONA-CODOM, Anmerkung (A). 148 La Loubere, a. a.O., Nr. 3, S. 505 f.

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Ernährung oder seine Bequemlichkeit eine gewisse Macht über die natürlichen Dinge hat. Zwar nahm sie an, daß die Seele des Himmels mit einer der menschlichen gegenüber unvergleichlich größeren Klugheit und Macht auf die Natur einwirken könne; zur gleichen Zeit aber erkannte diese Lehre in der Seele eines jeden Dinges eine interne und durch ihre Natur von der Macht des Himmels unabhängige Kraft an, die gelegentlich den Absichten des Himmels zuwider handelte. Der Himmel beherrschte die Natur wie ein mächtiger König; die anderen Seelen schuldeten ihm Gehorsam. Er zwang sie fast immer dazu, aber es gab welche, die sich manchmal seinem Gehorsam entzogen.« Ich gebe zu, daß es absurd ist, mehrere ewige, voneinander unabhängige und an Macht ungleiche Wesen anzunehmen; aber diese Annahme ist Demokrit, Epikur und mehreren anderen großen Philosophen wahr erschienen. Sie nahmen eine unendliche Menge kleiner Körper unterschiedlicher Gestalt an, die nicht geschaffen waren, sich von selbst bewegten usw. Diese Meinung ist in Kleinasien noch sehr verbreitet.149 Diejenigen, welche die Ewigkeit der Materie annehmen, sagen nichts Vernünftigeres, als wenn sie die Ewigkeit einer unendlichen Zahl von Atomen annähmen; denn wenn es zwei gleich ewige und hinsichtlich ihres Dasein unabhängige Wesen geben kann, dann kann es auch hunderttausend Millionen und unendlich viele von ihnen geben. Sie müssen sogar sagen, daß es tatsächlich eine unendliche Menge davon gibt, denn die Materie, so klein sie auch sein mag, enthält distinkte Teile, und man beachte sorgfältig, daß die gesamte Antike die Schöpfung der Materie nicht kannte, denn sie ist niemals von dem Axiom ex nihilo nihil fit abgewichen. Sie hat folglich nicht gewußt, daß es absurd wäre, eine unendliche Menge gleich ewiger und hinsichtlich ihrer Existenz voneinander unabhängiger Substanzen anzuerkennen. Doch gleichgültig wie absurd diese Lehre sein mag, sie ist nicht den schrecklichen Schwierigkeiten ausgesetzt, welche die Lehre Spinozas zunichte machen. Sie erklärt viele 149

Man sehe das anonyme Buch, das 1690 in Amsterdam mit dem Titel Philosophia vulgaris refutata gedruckt wurde.

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Phänomene, indem sie jedem Ding ein tätiges Prinzip zuordnet, dem einen ein stärkeres, dem anderen ein schwächeres; oder wenn sie gleich stark wären, so müßte man sagen, daß die Siegreichen eine zahlenmäßig überlegene Allianz geschlossen hatten. Ich weiß nicht, ob es jemals irgendeinen Sozinianer gegeben hat, der gesagt oder geglaubt hätte, daß die Seele des Menschen, weil sie nicht aus dem Schoß des Nichts hervorgegangen ist, aus sich selbst heraus existiert und handelt. Ihre Freiheit der Indifferenz würde offenkundig hieraus folgen.

(CC) Eine Klarstellung des Einwandes, den ich aus der Unveränderlichkeit Gottes hergeleitet habe. Man findet diesen Einwand oben in der Anmerkung (N), Paragraph II. Ich muß ihn noch stärker machen, weil einige Personen behaupten, es reiche zur Erkenntnis seiner Nichtigkeit aus, zu beachten, daß dem Gott Spinozas als einer unendlichen, notwendigen usw. Substanz niemals irgendeine Veränderung zustoße. Das gesamte Universum möge von Augenblick zu Augenblick sein Aussehen verändern, die Erde sich in Staub verwandeln, die Sonne sich verdunkeln, das Meer Licht werden, so werde das alles nur ein Wechsel der Modalitäten sein. Die einige Substanz werde immer gleichförmig eine unendliche, ausgedehnte, denkende sein, und das gelte für alle ihre substantiellen oder wesentlichen Attribute. Indem sie dies sagen, führen sie nichts an, was nicht bereits im vorhinein widerlegt worden wäre.157 Um aber ihre Täuschung deutlicher aufzuzeigen, muß ich hier sagen, daß sie gegen mich argumentieren, als ob ich behauptet hätte, daß sich Spinoza zufolge die Gottheit unaufhörlich vernichte und neu hervorbringe. Das ist aber nicht mein Einwand, wenn ich sage, daß Spinoza sie der Veränderung unterwirft und ihr die Unveränderlichkeit nimmt. Ich stürze nicht wie sie den Begriff der Dinge und die Bedeutung der Worte um; das, was ich unter »verändern« verstehe, 157

Man sehe Abschnitt II der Anmerkung (N).

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ist dasjenige, was jedermann mit diesem Wort seit jeher bezeichnen wollte; ich verstehe darunter, sage ich, nicht die Annihilation einer Sache, nicht ihre völlige Zerstörung oder ihre Vernichtung, sondern ihren Übergang von einem Zustand in einen anderen, während das Subjekt der Akzidenzien, die es aufhört zu besitzen, und derjenigen, die es beginnt zu erwerben, dasselbe bleibt. Die Gelehrten wie das Volk, die Mythologie wie die Philosophie, die Dichter wie die Naturwissenschaftler sind über diesen Begriff und über diese Sprechweise stets einig gewesen. Die von Ovid so sehr besungenen phantastischen Metamorphosen und die von den Philosophen erklärten wirklichen Erzeugungen setzen gleichermaßen die Erhaltung der Substanz voraus und behalten sie als das sukzessive Subjekt der alten und der neuen Form unverändert bei. Lediglich die unglückseligen Streitereien der Theologen des Christentums haben diese Begriffe durcheinandergebracht; und doch muß man zugeben, daß die unwissendsten Glaubensverkünder wieder auf den rechten Weg kommen, sobald nicht länger von der Eucharistie die Rede ist. Fragt sie in jedem anderen Fall, was die Veränderung einer Sache in eine andere bedeutet, die Konversion, die Transelementation, die Transsubstantiation einer Sache in eine andere; sie werden euch antworten »Das bedeutet zum Beispiel, daß man aus Holz Feuer macht, daß man aus Brot Blut macht, daß man aus Blut Fleisch macht usw.« Sie denken nicht länger an die unpassende Sprache, die in der Auseinandersetzung über die Eucharistie verwendet wird, daß das Brot in den Körper unseres Herrn konvertiert und transsubstantiiert wird. Diese Art zu sprechen, paßt keineswegs zu der Lehre, die man dadurch erklären will. Es ist so, als ob man sagte, daß die Luft in einer Tonne sich in den Wein transformiere, verändere, konvertiere, transsubstantiiere, den man in das Faß schüttet. Die Luft entweicht woanders hin, der Wein folgt ihr an denselben Ort. Es gibt nicht das geringste Anzeichen von einer Metamorphose des einen in das andere, ebensowenig wie im Mysterium der Eucharistie, so wie sie nach römisch-katholischer Art erklärt wird. Das Brot wird hinsichtlich seiner Substanz vernichtet. Der Körper unseres Herrn

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tritt an die Stelle des Brotes und ist nicht das Subjekt der Inhärenz der Akzidenzien dieses Brotes, die ohne ihre Substanz erhalten werden. Aber noch einmal, das ist der einzige Fall, in dem die Glaubensverkünder die Worte »Veränderung«, »Konversion« oder »Transelementation« von einem Wesen in ein anderes mißbrauchen. In allen anderen Fällen nehmen sie mit dem Rest des menschlichen Geschlechtes an, 1) daß es das Wesen der Transformationen ist, daß das Subjekt der zerstörten Formen unter den neuen Formen subsistiert; 2) daß diese Erhaltung des Subjektes in all demjenigen, was ihm wesentlich ist, nicht verhindert, daß es eine innere Veränderung erleidet, die man eigentlich so nennt und die mit den unveränderlichen Naturen unvereinbar ist. Die Spinozisten mögen also aufhören sich einzubilden, es sei ihnen erlaubt, eine neue, den Begriffen aller Menschen entgegenstehende Sprache einzuführen. Wenn sie noch einen Rest an Aufrichtigkeit besitzen, werden sie zugeben, daß in ihrem System Gott allen Abwechslungen und Umwälzungen unterworfen ist, denen die erste Materie des Aristoteles im System der Peripatetiker ausgesetzt ist. Was kann man nun Absurderes sagen, als zu behaupten, daß unter der Annahme der aristotelischen Lehre die Materie eine Substanz ist, die niemals irgendwelche Veränderung gestattet? Um aber die Spinozisten gründlich zu verwirren, genügt es, sie um eine Definition der Veränderung zu bitten. Sie müssen sie auf solche Art und Weise definieren, daß sie nicht von der völligen Zerstörung eines Subjektes unterschieden ist, oder daß sie mit jener einigen Substanz zusammenstimmt, die sie Gott nennen. Wenn sie sie auf die erste Weise definieren, so machen sie sich noch lächerlicher als die Anhänger der Transsubstantiation, und wenn sie sie auf die zweite Weise definieren, so entscheiden sie die Sache zu meinen Gunsten. Ich füge hinzu, daß das Argument, das sie verwenden, um meinen Einwänden zu entgehen, zu viel beweist. Denn wenn es gut wäre, müßten sie lehren, daß es im Universum keine Veränderung gegeben hat noch jemals geben wird und daß jede Veränderung, angefangen bei der allergrößten bis hin zur allerkleinsten, unmöglich ist. Wir wollen diese Konsequenz bewei-

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sen. »Der Grund, weshalb Gott unveränderlich ist«, sagen sie, »liegt darin, daß ihm als Substanz und Ausdehnung niemals irgendeine Veränderung zustößt oder zustoßen kann. Er ist in der Form des Feuers ebenso ausgedehnte Substanz wie in der Form des Holzes, das sich in Feuer verwandelt, und so bei allem übrigen.« Ich werde ihnen mit diesem Argument beweisen, daß die Modalitäten selbst unveränderlich sind. Der Mensch ist ihnen zufolge eine Modifikation Gottes; sie räumen ein, daß der Mensch der Veränderung unterworfen ist, weil er z. B. manchmal fröhlich, manchmal traurig ist, manchmal etwas will und es manchmal nicht will. »Das ist keine Veränderung«, werde ich zu ihnen sagen, »denn er ist bei Traurigkeit nicht weniger Mensch als bei Freude; die wesentlichen Attribute des Menschen bleiben unveränderlich in ihm, er mag sein Haus verkaufen oder es behalten wollen.« Wir wollen den allerunbeständigsten Menschen betrachten (…). Wir wollen einmal jemanden annehmen, der in weniger als zwei Jahren mit Herz und Mund alle Religionen durchlaufen hat, der alle menschlichen Lebensumstände gekostet hat, der vom Kaufmannsberuf zum Soldaten wechselte, dann Mönch wurde, dann heiratete, sich dann scheiden ließ, im Anschluß daran in einer Registratur, in Finanzgeschäften und in kirchlichen Angelegenheiten usw. beschäftigt war. Man lasse die Spinozisten zu ihm sagen, er sei sehr unbeständig gewesen. »Wer, ich?« wird er ihnen antworten, »Ihr macht Scherze. Ich habe mich niemals verändert; kein Berg ist unveränderlicher ein Berg geblieben, als ich seit dem Augenblick meiner Geburt ein Mensch geblieben bin.« Was könnten sie diesem argumentum ad hominem entgegenhalten? Ist es nicht sehr evident, daß das ganze Wesen der menschlichen Art im Menschen subsistiert, er mag nun dieselben Dinge wünschen oder heute dasjenige hassen, was er gestern liebte, und seine Neigungen öfter wechseln als sein Hemd? Wir wollen uns eines Beispiels bedienen, das sich für ein Land schickt, in dem die Seefahrt von Bedeutung ist. Nehmen wir an, ein aus Batavia zurückgekehrter Spinozist erzählt, seine Reise habe länger als gewöhnlich gedauert, weil der Wind

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fast jeden Tag wechselte. »Ihr macht Scherze«, würde man ihm antworten, »der Wind wechselt nie. Wir können wohl sagen, daß er bald von Norden, bald von Süden usw. weht, aber er behält immer das Wesen des Windes bei, er ändert sich also nicht, insofern er Wind ist, und er ist deshalb ebenso unveränderlich wie Eure einige Substanz des Universums. Denn Euch zufolge ist sie unveränderlich, weil sie niemals ihren Zustand hinsichtlich ihrer wesentlichen Eigenschaften ändert. Ebensowenig verändert der Wind jemals seinen Zustand hinsichtlich seiner Eigenschaft als Wind, er behält stets dessen ganze Natur, dessen ganzes Wesen bei. Er ist folglich ebenso unveränderlich wie Eure Gottheit.« Wir wollen noch weiter gehen und sagen, daß selbst dann, wenn man einen lebendigen Menschen verbrennt, ihm keinerlei Veränderung zustößt. Als er lebte, war er eine Modifikation der göttlichen Natur. Ist er es nicht mehr in den Flammen oder in der Form der Asche? Hat er die Attribute verlieren können, welche die Modalität konstituieren? Hat er als Modalität irgendeine Veränderung erfahren können? Wenn er sich in dieser Hinsicht veränderte, muß man dann nicht behaupten, die Flamme sei kein Modus der Ausdehnung? Konnte Spinoza das behaupten, ohne sich zu widersprechen und sein System umzustürzen? Das genügt, um den Irrtum derjenigen aufzuzeigen, die behaupten, ich hätte nicht überzeugend bewiesen, daß dieses System Gott der Veränderung unterwirft. Man kann meinem Beweis nicht ausweichen, ohne zu behaupten, daß die Modalitäten selbst unveränderlich sind und daß es niemals irgendwelche Veränderung weder in den Gedanken des Menschen noch in den Anordnungen der Körper gibt, was völlig absurd und den Lehren entgegen ist, deren Annahme die Spinozisten nicht vermeiden konnten. Denn sie wagen nicht zu leugnen, daß die Modifikationen der unendlichen Substanz dem Entstehen und Vergehen ausgesetzt sind. Wir wollen von ihnen für einen Augenblick das dato non concesso 具zugestanden, aber nicht eingeräumt 典 der Logiker verlangen, d. h. daß sie uns einmal zugestehen, Sokrates sei eine Substanz. Dann müssen sie sagen, daß jeder besondere

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Gedanke des Sokrates eine Modalität der Substanz ist. Aber stimmt es nicht, daß Sokrates, wenn er von der Bejahung zur Verneinung übergeht, sein Denken ändert und daß dies eine im eigentlichen Wortsinne wirkliche, innerliche Veränderung ist? Dennoch bleibt Sokrates stets eine Substanz und ein Individuum der menschlichen Art, er mag nun dies oder jenes bejahen, verneinen, wollen oder zurückweisen. Man kann also daraus, daß er sich, insofern er Mensch ist, nicht ändert, nicht schließen, er sei unveränderlich; und es genügt, daß seine Modifikationen nicht immer dieselben sind, um sagen zu können, daß er veränderlich ist und sich tatsächlich verändert. Wir wollen den Spinozisten den Dienst erweisen, den sie uns erwiesen haben, und ihnen einmal unsererseits das dato non concesso zugestehen, daß Sokrates nur eine Modifikation der göttlichen Substanz ist. Wir wollen zugestehen, sage ich, daß seine Beziehung zu dieser Substanz so ist, wie der gewöhnlichen Meinung zufolge die Beziehung der Gedanken des Sokrates zur Substanz Sokrates ist. Weil also die Veränderung dieser Gedanken ein gültiger Grund für die Behauptung ist, daß Sokrates nicht ein unveränderliches, sondern vielmehr ein unbeständiges Wesen und eine bewegliche Substanz ist, die sich oft verändert, muß man schließen, daß die Substanz160 Gottes eine Veränderung und einen im eigentlichen Wortsinne Wechsel immer dann erfährt, wenn Sokrates – eine seiner Modifikationen – seinen Zustand verändert. Das ist also eine These von offenkundiger Wahrheit, daß es für den tatsächlichen und realen Wechsel eines Wesens von einem Zustand in einen anderen genügt, daß es sich hinsichtlich seiner Modifikationen ändert. Und wenn man mehr verlangt, d. h. daß es seine wesentlichen Attribute verlieren sollte, so verwechselt man gröblich die Annihilation oder die totale Zerstörung mit dem Wechsel oder der Veränderung. (…).

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Man beachte, daß Aristoteles in De praedicamentis, Kap. 5, unter die Eigenschaften der Substanz aufgenommen hat, unter entgegengesetzten Eigenschaften numerisch dieselbe zu bleiben. (…).

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(DD) Ob es wahr ist, wie dem Vernehmen nach einige Leute behaupten, daß ich die Lehre des Spinoza überhaupt nicht verstanden hätte. Das ist mir von mehreren Seiten zugetragen worden, aber niemand konnte mir sagen, worauf sich diejenigen stützen, die meine Auseinandersetzung so beurteilen. Deshalb kann ich sie nicht präzise widerlegen oder untersuchen, ob ich ihren Gründen nachgeben muß, denn sie sind mir unbekannt. Ich kann mich lediglich auf eine allgemeine Art und Weise rechtfertigen, und ich glaube sagen zu dürfen, daß es nicht mein Fehler ist, wenn ich den Satz nicht verstanden habe, den ich widerlegen wollte. Ich würde weniger zuversichtlich sprechen, wenn ich ein Buch gegen das gesamte System Spinozas geschrieben hätte, indem ich ihm Seite für Seite gefolgt wäre. Es wäre mir zweifellos mehr als einmal passiert, nicht zu verstehen, was er sagen will; und es hat keineswegs den Anschein, als ob er sich selbst recht verstanden hätte und daß er, wenn er sich aufs Detail eingelassen hätte, alle Konsequenzen seiner Lehre hätte verständlich machen können. Aber weil ich mich auf einen einzigen Satz beschränkt habe, der in sehr wenigen Worten abgefaßt ist, die klar und genau erscheinen, und der die Grundlage des gesamten Gebäudes ist, muß ich ihn entweder verstanden haben oder er enthält Äquivokationen, die des Stifters eines Systems ganz unwürdig sind. Jedenfalls kann ich mich sowohl damit trösten, daß der Sinn, den ich diesem Satz Spinozas beigelegt habe, derselbe ist wie der, den seine anderen Gegner ihm beigelegt haben, als auch damit, daß seine Anhänger keine bessere Antwort zu geben wissen, als zu sagen, man habe ihn nicht verstanden. Dieser Vorwurf hat den letzten, der gegen ihn geschrieben hat, nicht davon abgehalten, den fraglichen Satz genauso zu verstehen, wie ich ihn verstanden habe. Das ist ein evidentes Zeichen, daß ihr Vorwurf sehr schlecht begründet ist. Aber, um weniger allgemein zu sprechen, hier ist dasjenige, was ich in meinen Einwänden annehme. Ich lege Spinoza diese Lehren bei, 1) daß es nur eine Substanz im Universum gibt,

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2) daß diese Substanz Gott ist, 3) daß alle besonderen Wesen, die körperliche Ausdehnung, die Sonne, der Mond, die Pflanzen, die Tiere, die Menschen, ihre Bewegungen, ihre Ideen, ihre Einbildungen, ihre Wünsche Modifikationen Gottes sind. Jetzt frage ich die Spinozisten: »Hat Euer Meister das gelehrt oder hat er es nicht gelehrt? Wenn er es gelehrt hat, dann kann man nicht sagen, meine Einwände litten unter dem Fehler, den man ignoratio elenchi, Verkennung des Streitpunktes, nennt; denn meine Einwände setzen voraus, daß dies seine Lehre gewesen ist, und greifen sie nur in diesem Punkt an. Ich bin also von dem Vorwurf frei, und man täuscht sich jedesmal, wenn man behauptet, ich hätte widerlegt, was ich nicht verstanden habe. Wenn Ihr sagt, Spinoza habe die drei oben formulierten Lehren nicht vertreten, so frage ich Euch, warum drückt er sich dann ganz so aus, wie diejenigen es tun würden, die das stärkste Bedürfnis der Welt hätten, den Leser zu überzeugen, daß sie diese drei Dinge lehrten? Ist es wohl schön und lobenswert, sich der allgemeinen Redeweise zu bedienen, ohne mit den Worten dieselben Begriffe zu verbinden wie die anderen Menschen und ohne auf den neuartigen Sinn hinzuweisen, in dem man die Worte nimmt?« Aber um dies ein wenig zu diskutieren, wollen wir sehen, wo das Mißverständnis liegen kann. Es ist nicht das Wort »Substanz«, über das ich mich getäuscht hätte, denn ich habe Spinozas Meinung in diesem Punkt nicht angegriffen. Ich habe ihm zugestanden, was er annimmt, nämlich, daß etwas, um die Bezeichnung »Substanz« zu verdienen, unabhängig von jeder Ursache sein oder durch sich selbst von Ewigkeit her und notwendigerweise existieren muß. Ich denke nicht, daß ich mich irren konnte, wenn ich ihm die Ansicht beigelegt habe, daß Gott allein die Natur der Substanz besitzt. Wenn es in meinen Einwänden einen Irrtum gäbe, so glaube ich also, daß er einzig darin bestünde, daß ich unter »Modalitäten«, »Modifikationen«, »Modi« etwas verstanden habe, was Spinoza mit diesen Worten nicht bezeichnen wollte. Aber noch einmal, wenn ich mich darin getäuscht hätte, so wäre das sein Fehler. Ich habe diese Ausdrücke so genommen, wie man sie immer verstanden hat oder wenigstens wie alle neueren Philoso-

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phen165 sie verstehen, und ich durfte glauben, daß er sie in demselben Sinne nimmt, weil er die Welt nicht darauf hingewiesen hat, daß er sie in irgendeiner anderen Bedeutung nimmt. Die allgemeine Lehre der Philosophen besagt, daß der Begriff des Seins unmittelbar zwei Arten unter sich begreift, die Substanz und das Akzidens, und daß die Substanz durch sich subsistiert, ens per se subsistens, und daß das Akzidens in einem anderen Sein subsistiert, ens in alio. Sie fügen hinzu, daß »durch sich selbst subsistieren« nichts anderes bedeutet, als nicht von irgendeinem Subjekt der Inhärenz abzuhängen; und da dies ihnen zufolge auf die Materie, die Engel, die Seele des Menschen zutrifft, nehmen sie zwei Arten von Substanz an, die eine unerschaffen, die andere erschaffen, und sie unterteilen die erschaffene Substanz weiter in zwei Gattungen. Die eine dieser Gattungen ist die Materie, die andere unsere Seele. Hinsichtlich der Akzidenzien kamen vor den beklagenswerten Streitereien, die das Christentum geteilt haben, alle darin überein, daß sie so wesensmäßig von ihrem Subjekt der Inhärenz abhängen, daß sie nicht ohne dasselbe zu existieren vermögen. Das war ihr spezifisches Charakteristikum, das war dasjenige, wodurch sie sich von der Substanz unterschieden. Die Lehre von der Transsubstantiation hat diesen Begriff völlig auf den Kopf gestellt und die Philosophen verpflichtet zu lehren, das Akzidens könne ohne Subjekt existieren. Sie mußten es wohl auch lehren, weil sie einerseits glaubten, daß in der Eucharistie die Substanz des Brotes nach der Konsekration nicht mehr bestünde, und weil sie andererseits sahen, daß alle Akzidenzien des Brotes fortbestanden wie zuvor. Sie haben deshalb einen realen Unterschied zwischen der Substanz und ihren Akzidenzien und eine wechselseitige Trennbarkeit zwischen diesen beiden Arten des Seins mit dem Ergebnis anerkannt, daß eine jede 165

Ich bediene mich dieser Einschränkung wegen des Unterschieds, der sich zwischen der Lehre der modernen Peripatetiker und der der Cartesianer, Gassendisten usw. über die Natur der Akzidenzien findet. Dieser Unterschied ist beachtlich, aber alles läuft hinsichtlich der Einwände gegen Spinoza auf dasselbe hinaus.

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ohne die andere existieren könne. Aber einige von ihnen fuhren fort zu lehren, daß es Akzidenzien gebe, die nicht real vom Subjekt verschieden wären und die nicht außerhalb ihres Subjekts existieren könnten. Sie nannten diese Akzidenzien »Modi«.166 Descartes, Gassendi und überhaupt alle diejenigen, welche die scholastische Philosophie aufgegeben haben, haben verneint, daß das Akzidens von seinem Subjekt auf die Weise trennbar wäre, daß es nach seiner Trennung fortbestehen könnte, und sie haben allen Akzidenzien die Natur dessen beigelegt, was man »Modi« nennt, und haben sich lieber der Ausdrücke »Modus«, »Modalität« oder »Modifikation« bedient als des Ausdrucks »Akzidens«. Weil nun Spinoza ein großer Cartesianer war, gebietet die Vernunft die Annahme, daß er diesen Begriffen denselben Sinn beilegte wie Descartes. Wenn das der Fall ist, so versteht er unter »Modifikation der Substanz« lediglich eine Seinsweise, die in derselben Beziehung zur Substanz steht wie die Gestalt, die Bewegung, die Ruhe, die Lage zur Materie und der Schmerz, die Bejahung, die Liebe usw. zur Seele des Menschen. Denn das ist es, was die Cartesianer »Modi« nennen. Sie erkennen davon keine anderen als diese hier an, woraus hervorgeht, daß sie die alte Vorstellung des Aristoteles beibehalten haben, der zufolge das Akzidens von einer solchen Natur ist, daß es kein Teil seines Subjektes ist, daß es nicht ohne sein Subjekt zu existieren vermag und daß das Subjekt es ohne Nachteil für seine eigene Existenz verlieren kann.167 Dies alles trifft auf die Rundheit, die Bewegung und die Ruhe hinsichtlich eines Steines zu, und es trifft nicht weniger auf den Schmerz und die Bejahung hinsichtlich der Seele des Menschen zu. Wenn unser Spinoza dieselbe Vorstellung mit dem verbunden hat, was er »Modifikation der Substanz« nennt, so ist es gewiß, daß meine Einwände zutreffend sind. Ich habe ihn auf direkte Weise gemäß der wahren Bedeutung seiner Worte angegriffen, ich habe seine Lehre gut ver166

Dazu zählen die Verbindung, die Handlung, die Dauer, die Ubi-

quität. 167

(…). Aristoteles, De praedicamentis, Kap. 2.

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standen und ich habe sie in ihrem wahren Sinn widerlegt, mit einem Wort: ich bin von dem Vorwurf sicher, den ich hier untersuche. Wenn er aber denselben Begriff wie Descartes von der Materie oder der Ausdehnung und der menschlichen Seele gehabt hat und dennoch die Eigenschaft der Substanz weder der Ausdehnung noch unserer Seele beilegen wollte, weil er glaubte, die Substanz sei ein Wesen, das von keiner Ursache abhänge, so gebe ich zu, daß ich ihn ohne Grund angegriffen und ihm eine Meinung beigelegt habe, die er nicht vertreten hat. Das bleibt mir noch zu untersuchen. Nachdem er einmal festgesetzt hatte, daß die Substanz dasjenige ist, was durch sich selbst existiert und von jeder Wirkursache so unabhängig ist wie von jeder materiellen Ursache oder von jedem Subjekt der Inhärenz, durfte er weder von der Materie noch von der menschlichen Seele sagen, daß sie Substanzen seien. Und weil er der gewöhnlichen Lehre zufolge das Sein nur in zwei Arten einteilte, nämlich in Substanz und Modifikation der Substanz, mußte er lehren, daß die Materie und die menschliche Seele nur Modifikationen der Substanz sind. Kein rechtgläubiger Mensch wird ihm bestreiten, daß dieser Definition von Substanz zufolge es nur eine einzige Substanz im Universum gibt und daß diese Substanz Gott ist. Die Frage ist nur, ob er die Modifikation der Substanz in zwei Arten unterteilt. Für den Fall, daß er sich dieser Unterteilung bedient und daß er will, daß die eine dieser zwei Arten dasjenige ist, was die Cartesianer und die anderen christlichen Philosophen die »erschaffene Substanz« nennen, und daß die andere Art dasjenige ist, was sie »Akzidens« oder »Modus« nennen, so wird es nur noch einen Streit um Worte zwischen ihm und ihnen geben, und es wird sehr leicht sein, sein gesamtes System auf die Rechtgläubigkeit zurückzuführen und seine Anhängerschaft zum Verschwinden zu bringen; denn man will nur darum Spinozist sein, weil man glaubt, daß er von Grund auf das System der christlichen Philosophen und die Existenz eines immateriellen Gottes, der alle Dinge mit unumschränkter Freiheit lenkt, über den Haufen geworfen habe. Hieraus können wir beiläufig schließen, daß die Spinozisten und ihre Gegner voll-

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kommen in der Bedeutung des Ausdrucks »Modifikation der Substanz« übereinstimmen. Sie glauben beide, daß Spinoza sich seiner nur bedient hat, um ein Wesen zu bezeichnen, das die gleiche Natur hat wie das, was die cartesianischen Philosophen »Modi« nennen, und daß er unter diesem Ausdruck niemals ein Wesen verstanden hat, das die Eigenschaften oder die Natur desjenigen hatte, was wir »erschaffene Substanz« nennen. Diejenigen, die mit aller Gewalt wollten, daß ich mich getäuscht hätte, könnten voraussetzen, daß Spinoza nur die Bezeichnung »Substanz« zurückwies, die den Wesen beigelegt wird, die von einer anderen Ursache sowohl hinsichtlich ihrer Hervorbringung als auch hinsichtlich ihrer Erhaltung und ihrer Wirkung, in fieri, in esse, et in operari, wie man in den Schulen sagt, abhängig sind. Sie könnten sagen, daß er es unter Beibehaltung der gesamten Realität einer Sache vermieden hat, das Wort zu verwenden, weil er glaubte, daß ein von seiner Ursache so abhängiges Wesen nicht als ein ens per se subsistens, als ein durch sich selbst Subsistierendes – was die Definition der Substanz ist –, bezeichnet werden könnte. Ich antworte ihnen wie oben, daß es dann lediglich eine reine Logomachie oder einen Streit um Worte zwischen ihm und den anderen Philosophen gibt, und ich werde mit dem größten Vergnügen der Welt meinen Irrtum gestehen, wenn sich herausstellen sollte, daß Spinoza tatsächlich Cartesianer gewesen ist, daß er aber bei der Verwendung des Wortes »Substanz« viel feinfühliger vorging als Descartes und daß die ganze Gottlosigkeit, die man ihm vorwirft, nur auf einem Mißverständnis beruht. Er hat nichts anderes sagen wollen, so wird man hinzufügen, als das, was sich in den Büchern der Theologen findet, nämlich daß die Unermeßlichkeit Gottes den Himmel und die Erde sowie alle erdenklichen Räume ins Unendliche168 erfüllt, daß folglich sein Wesen alle anderen Wesen durchdringt und räumlich umgibt, so daß er es ist, »in dem wir leben, weben und 168

Man beachte, daß die cartesianischen Theologen die Unermeßlichkeit Gottes auf andere Weise erklären.

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sind«169, und daß er nichts außerhalb seiner hervorgebracht hat. Denn weil er alle Räume erfüllt, konnte er jeden Körper nur in sich selbst setzen, da es ja außerhalb seiner nichts gibt. Darüber hinaus weiß man, daß alle Wesen außerstande sind, ohne ihn zu existieren. Es ist folglich wahr, daß die Eigenschaften der cartesischen Modi dem zukommen, was man die »erschaffenen Substanzen« nennt. Diese Substanzen sind in Gott und können nicht außerhalb seiner und ohne ihn subsistieren. Man muß es also nicht befremdlich finden, daß Spinoza sie »Modifikationen« genannt hat. Aber auf der anderen Seite leugnete er nicht, daß es zwischen ihnen einen realen Unterschied gibt und daß jede ein besonderes Prinzip entweder der Handlungen oder der Leidenschaften derart konstituierte, daß die eine das tut, was die andere nicht tut, und daß, wenn man von der einen verneint, was man von der anderen bejaht, dies gemäß den Regeln der Logik geschieht, ohne daß irgend jemand Spinoza vorwerfen könnte, es folge aus seinen Grundsätzen, daß zwei einander widersprechende Sätze zur gleichen Zeit von ein und demselben Subjekt wahr sind. Alle diese Ausführungen dienen zu nichts. Wenn man zum Kern der Angelegenheit vorstoßen will, so muß man auf diese präzise Frage antworten: Trifft das wahre und eigentümliche Charakteristikum der Modifikation auf die Materie in Bezug auf Gott zu oder nicht? Wartet mit eurer Antwort, bis ich euch durch Beispiele erklärt habe, was das eigentümliche Charakteristikum der Modifikation ist. Es besteht darin, in einem Subjekt auf die Art und Weise zu sein, wie die Bewegung in einem Körper, wie das Denken in der menschlichen Seele und wie die Form einer Schale in einem Gefäß ist, das wir eine Schale nennen. Um eine Modifikation der göttlichen Substanz zu sein, genügt es nicht, in der Unermeßlichkeit Gottes zu subsistieren, von ihr durchdrungen, von allen Seiten umgeben zu sein, durch die Kraft Gottes zu existieren, weder ohne ihn noch außerhalb seiner existieren zu können; es ist darüber hinaus erforderlich, daß die göttliche Substanz das Subjekt der Inhärenz 169

(…). Apostelgeschichte 17, 28.

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einer Sache ist, ganz so, wie der gewöhnlichen Meinung zufolge die menschliche Seele das Subjekt der Inhärenz des Denkens und des Verlangens, wie das Zinn das Subjekt der Inhärenz der Form der Schale, wie der Körper das Subjekt der Inhärenz der Bewegung, der Ruhe und der Gestalt ist. Jetzt antwortet, und wenn ihr sagt, daß Spinoza zufolge die Substanz Gottes nicht auf diese Weise das Subjekt der Inhärenz dieser Ausdehnung, noch der Bewegung, noch der menschlichen Gedanken ist, so werde ich euch einräumen, daß ihr einen rechtgläubigen Philosophen aus ihm macht, der die Einwände keineswegs verdient, die man gegen ihn erhoben hat, und der lediglich den Vorwurf verdient, daß er sich sehr abgemüht hat, um eine Lehre zu verwirren, die jedermann kannte, und daß er ein neues System ausgedacht hat, das nur auf der Zweideutigkeit eines Wortes errichtet war. Wenn ihr sagt, er habe behauptet, die göttliche Substanz sei das Subjekt der Inhärenz der Materie und aller Mannigfaltigkeiten der Ausdehnung und des Denkens in demselben Sinn, wie Descartes zufolge die Ausdehnung das Subjekt der Inhärenz der Bewegung und die menschliche Seele das Subjekt der Inhärenz der Empfindungen und Leidenschaften ist, so habe ich alles, was ich verlange. Genau so habe ich Spinoza verstanden, und darauf habe ich alle meine Einwände gegründet. Das Ergebnis von alledem ist eine Tatsachenfrage bezüglich des wahren Sinns des Wortes »Modifikation« im System Spinozas. Muß man es für eben die Sache nehmen, die gemeinhin »erschaffene Substanz« genannt wird, oder muß man es in dem Sinn nehmen, den es im System des Descartes hat? Ich glaube, das letztere ist richtig, denn in dem anderen Sinn hätte Spinoza Geschöpfe anerkannt, die von der göttlichen Substanz verschieden und die entweder aus nichts oder aus einer von Gott verschiedenen Materie gemacht worden wären. Nun wäre es leicht anhand einer sehr großen Zahl von Stellen in seinen Büchern zu beweisen, daß er keins dieser beiden Dinge angenommen hat. Die Ausdehnung ist ihm zufolge ein Attribut Gottes. Daraus folgt, daß Gott wesensmäßig, auf ewig und notwendigerweise eine ausgedehnte Substanz ist und daß die

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Ausdehnung ihm so eigentümlich ist wie die Existenz. Es ergibt sich daraus, daß die besonderen Mannigfaltigkeiten der Ausdehnung, welche die Sonne, die Erde, die Bäume, die Körper der Tiere, die Körper der Menschen usw. bilden, so in Gott sind, wie die Schulphilosophen meinen, daß sie in der ersten Materie sind. Wenn nun diese Philosophen angenommen hätten, die erste Materie sei eine einfache und völlig einige Substanz, so würden sie schließen, daß die Sonne und die Erde tatsächlich dieselbe Substanz wären. Also muß Spinoza dasselbe schließen. Wenn er nicht sagte, daß die Sonne aus der Ausdehnung Gottes zusammengesetzt sei, so würde er einräumen müssen, daß die Ausdehnung der Sonne aus nichts gemacht worden ist. Aber er leugnet die Schöpfung; er ist folglich verpflichtet zu sagen, daß die Substanz Gottes die materielle Ursache der Sonne ist, dasjenige, aus dem die Sonne besteht, subjectum ex quo, und daß folglich die Sonne nicht von Gott unterschieden ist,170 daß sie Gott selbst ist und daß sie Gott ganz ist, weil ihm zufolge Gott kein aus Teilen zusammengesetztes Wesen ist. Wir wollen für einen Augenblick annehmen, daß ein Goldklumpen die Kraft hätte, sich in Teller, Schüsseln, Kerzenleuchter, Schalen usw. zu verwandeln. Er wird nicht von diesen Tellern, Schüsseln usw. verschieden sein. Und wenn man hinzufügt, daß er ein einfacher und nicht aus Teilen zusammengesetzter Klumpen ist, dann ist gewiß, daß er ganz in jedem Teller und in jedem Kerzenleuchter sein wird, denn wenn er dort nicht ganz wäre, so wäre er in verschiedene Stücke zerteilt, wäre also aus Teilen zusammengesetzt, was der Annahme zuwiderläuft. Dann wären die folgenden umkehrbaren oder konvertiblen Sätze wahr: »Der Kerzenleuchter ist der Goldklumpen«, »Der Goldklumpen ist der Kerzenleuchter«; »Der Kerzenleuchter ist der ganze Goldklumpen«, »Der ganze Goldklumpen ist der Kerzenleuchter«. Das ist das Bild des Gottes Spinozas; er hat die Kraft, sich zu verändern oder sich in die 170

Die Materie bleibt, wie Aristoteles Physik, Buch I, Kap. 9 sagt, in der Wirkung, die sie hervorbringt. (…).

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Erde, den Mond, das Meer, den Baum usw. zu modifizieren, und er ist absolut einer und ohne Zusammensetzung aus Teilen. Es ist also wahr, daß man behaupten kann, die Erde sei Gott, der Mond sei Gott, die Erde sei der ganze Gott, der Mond sei es ebenfalls, Gott sei die Erde, er sei der Mond, der ganze Gott sei die Erde, der ganze Gott sei der Mond. Es lassen sich nur drei Arten finden, denen zufolge die Modifikationen Spinozas in Gott sind, aber keine dieser Arten entspricht dem, was die anderen Philosophen von der erschaffenen Substanz sagen. Sie ist in Gott, sagen sie, wie in ihrer Wirk- und Zweckursache, und folglich ist sie real und vollständig von Gott verschieden. Spinoza zufolge sind aber die Geschöpfe in Gott entweder wie die Wirkung in ihrer materiellen Ursache oder wie das Akzidens in seinem Subjekt der Inhärenz, oder wie die Form des Kerzenleuchters in dem Zinn, aus dem er gefertigt ist. Die Sonne, der Mond, die Bäume sind, insofern sie dreidimensionale Gegenstände sind, in Gott wie in der materiellen Ursache, aus der ihre Ausdehnung zusammengesetzt ist. Es besteht also Identität zwischen Gott und der Sonne usw. Dieselben Bäume sind, insofern sie eine Gestalt haben, die sie von einem Stein unterscheidet, in Gott, wie die Gestalt des Kerzenleuchters im Zinn ist. Kerzenleuchter zu sein ist nur eine Art, aus Zinn zu sein. Die Bewegung der Körper und die Gedanken der Menschen sind in Gott, wie die Akzidenzien der Peripatetiker in der erschaffenen Substanz sind; sie sind Entitäten, die ihrem Subjekt inhärieren und die nicht aus ihm zusammengesetzt und kein Teil von ihm sind. Man sehe die Fußnote (171).171 171

Man bemerke diesen Unterschied, daß die Akzidenzien der Peripatetiker real von ihrem Subjekt der Inhärenz verschieden sind, und daß Spinoza das von den Modifikationen der göttlichen Substanz nicht sagen kann. Denn wenn sie von ihr verschieden wären, ohne aus ihr zusammengesetzt zu sein, so wären sie aus nichts gemacht. Spinoza würde das zugeben. Er würde nicht herumstreiten, so wie die Peripatetiker es tun, wenn man ihnen beweist, daß die Akzidenzien erschaffen wären, wenn sie von der Substanz verschieden wären. Man sehe das Journal de Trevoux, Juni 1702, S. 480 der Ausgabe von Amsterdam.

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Es ist mir nicht unbekannt, daß ein Verteidiger Spinozas172 behauptet, dieser Philosoph lege Gott keine körperliche Ausdehnung bei, sondern lediglich eine intelligible Ausdehnung, die nicht vorstellbar ist. Aber wenn die Ausdehnung der Körper, die wir sehen und vorstellen, nicht die Ausdehnung Gottes ist, woher kommt sie dann und wie ist sie gemacht worden? Wenn sie aus nichts hervorgebracht worden ist, so ist Spinoza rechtgläubig und sein neues System wird hinfällig. Wenn sie aus der intelligiblen Ausdehnung Gottes hervorgebracht ist, so ist das immer noch eine wahre Schöpfung, denn weil die intelligible Ausdehnung nur ein Begriff ist und nicht wirklich drei Dimensionen hat, kann sie nicht den Stoff oder die Materie der formal außerhalb des Verstandes existierenden Ausdehnung liefern. Abgesehen davon, wenn man zwei Arten von Ausdehnung unterscheidet, eine intelligible, die Gott zugehört, und eine vorstellbare, die den Körpern zugehört, dann muß man auch zwei voneinander verschiedene Subjekte dieser Ausdehnungen annehmen, und dann ist die Einheit der Substanz zu Fall gebracht und das ganze Gebäude Spinozas stürzt zusammen. Wir wollen also sagen, daß sein Verteidiger die Schwierigkeit nicht löst, sondern noch viel größere Schwierigkeiten schafft. Die Spinozisten können von der Lehre der Transsubstantiation profitieren. Denn wenn sie die Schriften der spanischen Scholastiker zu Rate ziehen wollen, so werden sie dort eine unendliche Anzahl von Subtilitäten finden, um auf die Argumente derjenigen zu antworten, die behaupten, ein und derselbe Mensch könne nicht Mohammedaner in der Türkei und Christ in Frankreich, krank in Rom und gesund in Wien sein. Aber ich weiß nicht, ob sie sich nicht schließlich gezwungen sehen werden, ihr System mit dem Mysterium der Trinität zu verglei172

Kuffelaer, Specim. artis ratiocinandi, S. 222. Man beachte, daß er sich sehr gegen Blyenberg ereifert, der gesagt hatte, Spinoza lege Gott körperliche Ausdehnung bei. Man beachte ferner, daß er S. 230 ff. einen gewissen Adrian Verwer widerlegt, der etwas gegen das System Spinozas gesagt hatte.

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chen, um sich von den Vorwürfen der Widersprüchlichkeit zu befreien, mit denen man sie überhäuft. Wenn sie nicht sagen, daß die Modifikationen der göttlichen Substanz, Platon, Aristoteles, dieses Pferd, dieser Affe, dieser Baum, dieser Stein ebensoviele Personalitäten sind, die, obwohl sie mit derselben Substanz identifiziert werden, jede ein besonderes und bestimmtes Prinzip und von den anderen Modifikationen verschieden sein können, so werden sie niemals den Schlag abwenden können, den man ihnen bezüglich der Verwerfung dieses Grundsatzes zufügt: »Zwei einander widersprechende Bestimmungen können demselben Subjekt nicht zur selben Zeit zukommen«. Vielleicht werden sie eines Tages sagen, daß so wie die drei Personen der Trinität, ohne daß sie den Theologen zufolge von der göttlichen Substanz verschieden wären und ohne irgendein absolutes Attribut zu haben, das nicht numerisch dasselbe in allen wäre, dennoch eine jede von ihnen Eigenschaften hat, die man bei den anderen verneinen kann, nichts hindere, daß Spinoza in der göttlichen Substanz nicht eine unendliche Anzahl von Modalitäten oder Personalitäten angenommen habe, von denen die eine das macht, was die anderen nicht machen. Das wäre kein wahrhafter Widerspruch, weil die Theologen eine virtuelle Unterscheidung in ordine ad suscipienda duo praedicata contradictoria, bezüglich der Empfänglichkeit für zwei sich widersprechende Bestimmungen anerkennen. Aber, wie der scharfsinnige Arriaga zu Recht anläßlich der metaphysischen Grade173 bemerkt, von denen einige behaupten wollen, sie seien zur Aufnahme zweier widersprüchlicher Sätze fähig: es hieße die Philosophie völlig ruinieren, wenn man es unternehmen wollte, dasjenige auf natürliche Dinge zu übertragen, was die Offenbarung uns von der Natur Gottes lehrt. Denn damit würde man den Weg zum Beweis öffnen, daß es keinen wirklichen Unterschied zwischen 173

So nennt man die Attribute »Seiendes«, »Substanz«, »Körper«, »lebend«, »Lebewesen«, »vernünftig«, welche die Natur eines Menschen bilden. Man stimmt darin überein, daß sie nicht voneinander verschieden, sondern ein und dieselbe wirkliche Entität sind.

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den Geschöpfen gibt.174 (…). Hier liegt der schöne Dank, den wir Spinoza schulden. Er nimmt uns, so gut er kann, das notwendigste aller Prinzipien. Denn wenn es nicht gewiß wäre, daß ein und dieselbe Sache nicht zur gleichen Zeit so oder so und nicht so oder so sein kann, dann wäre es sehr unnütz, nachzudenken und zu überlegen. (…).

(EE) Der Ort, an dem ich angreife (---) ist derjenige, um dessen Verteidigung sich die Spinozisten am wenigsten sorgen. Ich habe Spinozas Annahme angegriffen, die Ausdehnung sei kein zusammengesetztes Wesen, sondern eine numerisch einige Substanz; und ich habe diesen Punkt des Systems lieber angegriffen als irgendeinen anderen, weil ich wußte, daß die Spinozisten sagen, dies sei nicht der Punkt, wo die Schwierigkeiten liegen. Sie glauben, daß man sie in viel größere Verwirrung bringt, wenn man sie fragt, wie sich das Denken und die Ausdehnung in ein und derselben Substanz vereinigen können. Hierin liegt etwas Sonderbares, denn wenn es aus den Begriffen unseres Verstandes gewiß ist, daß die Ausdehnung und das Denken keinerlei Verwandtschaft miteinander haben, so ist es noch viel evidenter, daß die Ausdehnung aus wirklich voneinander verschiedenen Teilen besteht; und trotzdem sind die Spinozisten für die erste Schwierigkeit empfänglicher als für die zweite und sie behandeln letztere im Vergleich zur ersten wie eine Bagatelle. Ich glaubte also ihnen Anlaß zu folgender Überlegung geben zu müssen: »Wenn unser System an einer Stelle, von der wir dachten, daß sie keine Unterstützung benötige, so schwer zu verteidigen ist, wie werden wir dann die Angriffe auf die schwachen Stellen zurückschlagen?«

174

Arriaga, Disput. V Logica, Sect. II, Nr. 29, S. 83 meiner Ausgabe.

TAKIDDIN

takiddin, ein mohammedanischer Autor. Ich werde nur eine Sache von ihm erwähnen, und zwar daß er sagte, der Kalif Almamon werde unweigerlich von Gott bestraft werden, weil er die Frömmigkeit der Muslime durch die Einführung philosophischer Studien gestört hatte.a Dieser Gedanke stellt nichts Besonderes dar; man findet ihn in allen Ländern der Welt und zu allen Zeiten; und noch heute sieht man unzählige Menschen, die sich über Descartes und andere große moderne Philosophen als die Urheber der Verachtung beklagen, die so viele Leute der Frömmigkeit und den christlichen Mysterien gegenüber an den Tag legen. Das könnte Anlaß zu einem weitläufigen Kommentar geben (A).

(A) Das könnte Anlaß zu einem weitläufigen Kommentar geben. Man könnte tausenderlei Sachen hierüber sagen, sowohl was die quaestio facti als auch was die quaestio juris betrifft. Ich werde es jedoch sehr kurz machen, denn ich habe bereits mehr Material, als ich zur Fertigstellung dieses Bandes benötige. Was das Faktum betrifft, so begnüge ich mich damit zu sagen, daß man die Philosophen immer schon im Verdacht hatte, kaum Religion zu haben. Nachdem die antiken Rhetoriker gesagt hatten, daß unter den wahrscheinlichen Sätzen die einen auf dasjenige gegründet sind, was fast immer eintrifft, und die anderen auf die gewöhnliche Meinung, führten sie zunächst folgende zwei Beispiele an: Die Mütter lieben ihre Kinder; die Philosophen glauben nicht, daß es Götter gibt. »Dasjenige ist a

(…). Sephadius, Commentaria ad Tograi poëma, bei Pocock, Notae in specimen histor. Arabum, S. 166.

Takiddin

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wahrscheinlich, was in der Regel zu geschehen pflegt oder was gewöhnlich geglaubt wird. (---). Unter den Wahrscheinlichkeiten der ersten Art, d. h. was in der Regel zu geschehen pflegt, sind folgende: Wenn sie eine Mutter ist, liebt sie ihren Sohn; wenn er habsüchtig ist, kümmert er sich nicht um seinen Eid. Unter den Wahrscheinlichkeiten der zweiten Art aber, d. h. was gewöhnlich geglaubt wird, sind folgende: Auf die Gottlosen warten Höllenstrafen; diejenigen, die sich mit der Philosophie beschäftigen, glauben nicht, daß es Götter gibt.«1 Apuleius merkt an, daß beinahe alle antiken Philosophen beschuldigt worden sind, entweder die Existenz der Götter zu leugnen oder der Magie anzuhängen. (…).2 Unser Takiddin hätte den großen Almamon, diesen Förderer der Wissenschaften, der auch die philosophischen Studien einführte, nicht der göttlichen Gerechtigkeit überliefert, wenn er nicht die schädlichen Folgen dieser Studien bemerkt hätte. Sie hatten Zweifel in den Gemütern geweckt, sie hatten vielen Leuten die Augen über die Torheiten der mohammedanischen Glauensgemeinschaft geöffnet; und dadurch hatten der Gottesdienst, die Frömmigkeit und die Andacht eine ungeheuere Schwächung erfahren. Es fanden sich Gelehrte, die behaupteten, daß die arabischen Philosophen dem Islam nur dem Anschein nach folgten und sich tatsächlich über den Koran lustig machten, weil sie in ihm Dinge fanden, die der Vernunft entgegenstehen. Man kann es unzähligen Leuten nicht aus dem Kopf bringen, daß Descartes und Gassendi ebenso wenig an die leibhaftige Gegenwart wie an die griechischen Fabeln glaubten. Es würde die gleiche Mühe kosten, die Welt davon zu überzeugen, daß die Anhänger dieser beiden großen Philosophen gute Katholiken sind und daß sie, wenn sie die Erlaubnis hätten, öffentlich ihre Prinzipien zu lehren, nicht bald sämtliche Fundamente der römischen Religion untergraben würden. Die Protestanten haben keine bessere Meinung über die Lehren des Descartes. Allgemein gesprochen verdächtigt man die Cartesianer des Unglau1 2

Cicero, De inventione, Buch I, folio 29 meiner Ausgabe. Apuleius, Apologia, S. 291 meiner Ausgabe.

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bens, und man meint, ihre Philosophie sei dem Christentum sehr gefährlich, so daß der Meinung unzähliger Leute zufolge dieselben Männer, die in unserem Jahrhundert die Dunkelheiten ausgemerzt haben, welche die Scholastiker über ganz Europa verbreitet hatten, die Zahl der starken Geister vermehrt und die Tür zum Atheismus oder zum Pyrrhonismus oder zum Unglauben der größten Mysterien des Christentums geöffnet haben. Aber die Gottlosigkeit wird nicht allein den philosophischen Studien angelastet, sondern auch den schönen Wissenschaften. Denn man behauptet, der Atheismus habe sich in Frankreich erst unter der Herrschaft von Franz I. zu zeigen begonnen und sei in Italien erst aufgetreten, als der Humanismus dort blühte. »Je weniger fremdes Licht wir haben«, sagt ein katholischer Autor, »um so mehr Unterwerfung unter den Glauben zeigen wir; und die gelehrtesten Jahrhunderte, sagt Baronius, sind oft die ungläubigsten gewesen. Die Aladinisten sind erst unter der Herrschaft von Almansor aufgetreten, welcher der gelehrteste Herrscher seines Jahrhunderts war; und ich finde Atheisten bei uns erst seit der Herrschaft von Franz I. und in Italien nicht vor der letzten Eroberung Konstantinopels, als Argyropulos, Theodor von Gaza, Georg von Trapezunt mit den berühmtesten Griechen zu den Herzögen von Florenz geflüchtet waren.«4 Es steht fest, daß die meisten Schöngeister und humanistischen Gelehrten, die in Italien glänzten, als die schönen Wissenschaften nach der Eroberung von Konstantinopel ihre Wiedergeburt erlebten, kaum Religion hatten. Andererseits aber hat die Restauration der gelehrten Sprachen und der schönen Literatur den Reformatoren den Weg bereitet, wie es die Mönche und ihre Anhänger sehr wohl vorausgesehen hatten, die nicht aufhörten, gegen Reuchlin, Erasmus und die anderen Bekämpfer der Barbarei anzugehen. Während so die Römisch-Katholischen Anlaß haben, die Folgen zu beklagen, die das Studium der schönen Wissenschaften 4

Clavigny de Sainte Honorine, Discernement et usage des livres suspects, S. 82. Man beachte, daß ich das, was er vorbringt, nicht als zuverlässige Tatsache anführe.

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hatte, haben die Protestanten Ursache, Gott dafür zu loben und zu preisen.5 Sie haben keinen Anlaß, Gleiches über die neue Philosophie zu sagen, welche die Transsubstantiation mit all ihren Folgen so demonstrativ zurückweist; denn dieselben Waffen werden auch zur Bestreitung der allerwesentlichsten Lehren mißbraucht. In einem Wort: das Schicksal des Menschen ist so mißlich, daß ihn das Licht, das ihn von einem Übel befreit, in ein anderes stürzt. Man vertreibe die Unwissenheit und die Barbarei, so wird man den Aberglauben wie auch die einfältige Leichtgläubigkeit des Volkes zerstören, die für ihre Führer so fruchtbar ist. Diese mißbrauchen ihren Gewinn sodann dazu, sich dem Müßiggang und der Ausschweifung hinzugeben. Aber wenn man die Menschen über diese Unordnungen aufklärt, flößt man ihnen die Lust ein, alles zu prüfen. Sie untersuchen und grübeln dann so viel, daß sie nichts mehr finden, was ihre erbärmliche Vernunft zufriedenstellt. Wie dem auch sei, ich habe sehr weise Leute sagen hören, daß in der ein wenig zu verbreiteten Bestrebung, die Philosophen dem Verdacht der Gottlosigkeit auszusetzen, nicht viel Klugheit liege. Denn wenn die Ungebildeten sich die Mühe machten, die Sache aufmerksam zu betrachten, welchen Skandal würde es nicht für sie bedeuten zu sehen, daß sich der Glaube nach Aussage vieler Doktoren kaum bei den großen Philosophen findet und die Frömmigkeit hauptsächlich Sache des einfachen Volkes ist »und daß diejenigen, welche die Zeichen der Göttlichkeit der hl. Schrift am tiefsten untersucht haben, gewöhnlich am wenigsten gottesfürchtig und fromm sind.«6 Es wäre viel erbaulicher, mit Plutarch7 zu lehren, daß 5

Man sehe die Betrachtungen von Jurieu, Apologie pour les réformateurs, S. 66 ff. in Bd. I in 4o über das, was Maimbourg, Histoire du calvinisme, S. 4 gesagt hatte, daß der von Franz I. eingeschlagene Weg, »um den Ruhm der Wissenschaften in seinem Königreich wiederaufblühen zu lassen (---), durch ein Unglück, das er nicht voraussah, zu einem Mittel wurde, der Häresie in seinem Königreich Eingang zu verschaffen«. 6 Jurieu, zitiert von Saurin, Examen de la théologie de Mr. Jurieu, S. 98. Man sehe die Betrachtungen, die Saurin darüber a. a.O. angestellt hat. 7 Man sehe Plutarch, De Iside et Osiride, S. 378.

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die Philosophie das Heilmittel der Gottlosigkeit und des Aberglaubens ist, und mit Origenes, daß niemand ohne die Philosophie wahrhaft gottesfürchtig sein kann. (…). Die Mischung von Gut und Böse, die sich in allen menschlichen Angelegenheiten findet, zeigt sich hier auf ausgezeichnete Weise. Die arabischen Philosophen erkannten durch ihre Philosophie, daß der Koran wertlos war. Auf der anderen Seite aber haben mehrere Juden ihre Religion verlassen, um die heidnische Philosophie anzunehmen, die ihnen, wie sie sagten, zeigte, daß Moses ihnen überflüssige Gesetze vorgeschrieben hatte. »Diese Meinung ist einst von vielen Juden so fest behauptet worden, daß sie zu Beginn der sarazenischen Herrschaft zur heidnischen Philosophie überliefen, weil ihnen nicht wenige Gesetze unnütz und überflüssig erschienen.«9 So leistet ein und dasselbe Prinzip, das manchmal gegen die Falschheit dient, manchmal der Wahrheit einen schlechten Dienst.

9

Johannes Spencerus, De legibus Hebraeorum, Buch II, Kap. 3, Sect. 1, S. 225 der Ausgabe Den Haag 1686, am Ende. Er unterstützt dies durch das Zeugnis des Wilhelm von Paris, Liber de legibus, S. 3 f.

TURLUPINER

turlupiner, gräßliche und schändliche Häretiker des 14. Jahrhunderts, die lehrten, daß der Mensch, wenn er einen gewissen Zustand der Vollkommenheit erreicht hat, vom Joch des göttlichen Gesetzes befreit ist; und da sie weit von der Ansicht der Stoiker entfernt waren, der zufolge die Freiheit des Weisen darin besteht, nicht länger den Leidenschaften unterworfen zu sein, ließen sie diese Freiheit darin bestehen, nicht länger den Befehlen der ewigen Weisheit unterworfen zu sein. Sie glaubten, man dürfe Gott nur durch das inwendige Gebet anrufen. Das Schockierendste an ihrer Sekte war aber, daß sie nackt gingen (A) und daß sie dem Beispiel der Kyniker oder vielmehr der Tiere folgend das Werk des Fleisches am hellichten Tage und vor aller Augen ausführten.a Sie behaupteten, daß man sich keines Körperteils schämen müsse, den uns die Natur gegeben habe. Trotz dieser ruchlosen Ausschweifungen gaben sie sich sehr fromm und andächtig, um sich besser bei den Frauen einzuschmeicheln und sie dann in die Netze ihrer unkeuschen Begierden zu ziehen.b Das ist nämlich die Klippe aller Sekten, die sich durch eine paradoxe Moral hervortun wollen; man gehe den Visionen der Erleuchteten und der Quietisten auf den Grund, und man wird sehen, daß, wenn irgend etwas sie zu demaskieren vermag, es ihr Verhältnis zur Lust des Fleisches ist. Hier liegt die Schwachstelle, hier greift der Feind an; sie ist ein Wurm, der nie stirbt, ein Feuer, das nie erlischt. Diese Häretiker traten in Frankreich unter der Herrschaft Karls V. auf;c sie wirkten hauptsächlich in Savoyen und in der Dauphiné. Man hat große Sorgfalt darauf verwendet, a

(…). Gerson bei Prateolus. Gerson, a. a.O. c Mézeray, Abrégé chronolog., Bd. III, S. 227 meiner holländischen Ausgabe. b

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die Welt von ihnen zu säubern (B). Es ist nicht leicht, den wahren Grund für ihren Namen zu finden. Vignierd leitet ihn davon ab, daß sie sich nur an Orten aufhielten, wo es Wölfe gab. Sie bezeichneten sich gerne als »Die Bruderschaft der Armen«, wie Tillete und Gaguinf bemerken.

(A) Sie gingen nackt. Man kann sich nicht genug darüber wundern, daß die Christen so oft auf einen derartigen Einfall kamen. Das Heidentum kennt nur die Sekte der Kyniker, die sich dieser Schamlosigkeit hingegeben haben. Außerdem muß man zugeben, daß diese Sekte niemals zahlreich gewesen ist und daß die meisten Kyniker, was die Zurschaustellung ihrer Nacktheit und desjenigen betrifft, was daraufhin zu geschehen pflegt, nicht taten, was von Diogenes berichtet wird. Die indischen Gymnosophisten waren an den Körperteilen nicht nackt, welche die Adamiten, die Turlupiner, die Picarden und einige Wiedertäufer entblößten. Man muß also einräumen, daß die Christen in dieser Hinsicht öfter liederlich gewesen sind als die Heiden. Darüber wird man nicht erstaunt sein, wenn man sich einen Grundsatz vergegenwärtigt, den man im Herrschaftsbereich des Evangeliums mißbräuchlich anwenden kann, den die Heiden aber nicht kannten. Dieser Grundsatz lautet, daß der zweite Adam gekommen ist, um das Übel zu heilen, das der erste Adam in die Welt gebracht hatte. Von hier aus schwingt sich ein Fanatiker kühn zu dem Schluß auf, daß diejenigen, die einmal der Wohltat des Gesetzes der Gnade teilhaftig geworden sind, völlig den Zustand Adams und Evas wiedererlangt haben. Ich gestehe, daß die Schwärmerei sehr überspannt und sehr stark sein muß, wenn sie in der Lage ist, die Eindrücke der Scham zu besiegen, welche die Natur und die christliche Erziehung uns eingeben; d e f

Ad ann. 1159. Chronique des rois de France, unter Karl V. Vie de Charles V.

Turlupiner

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aber wozu sind die unendlichen Kombinationen unserer Leidenschaften, Einbildungen und animalischen Geister usw. nicht in der Lage? Ich habe anderswo1 von einigen Einsiedlern des Altertums gesprochen, die Bedenken trugen, sich selbst nackt zu sehen. Bei den Heiden gab es, so viel ich weiß, keine solchen Fälle; sie wahrten die Grenze, ihre Nacktheit vor den Augen des Nächsten sorgfältig zu verbergen. Das beobachtet man nicht nur bei den Frauen,2 sondern auch bei sehr verdorbenen Männern.3 Folglich ist Petronius nicht zu weit gegangen, wenn er sagt: »具Ein Körperteil 典, den sittenstrenge Männer nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen pflegen.«

(B) Man hat große Sorgfalt darauf verwendet, die Welt von ihnen zu säubern. Die folgenden Worte geben uns eine Probe dieser Sorgfalt:4 »An den Bruder Jakob von More vom Orden der Predigtbrüder, Inquisitor der Sittenlosigkeiten in der Provinz Frankreich, fünfzig Francs, was zehn Pariser Livres entspricht, als Geschenk des Königs an ihn kraft seines Brief-Patentes vom 2. Februar 1373, zur Belohnung für viele Mühen, Missionen und Ausgaben, die er gehabt, erduldet und ertragen hat, indem er die Turlupiner und Turlupinerinnen verfolgte, die in besagter Provinz angetroffen, festgenommen sowie durch seine Achtsamkeit für ihre Mißbräuche und Irrtümer bestraft wurden.« Gaguin merkt in der Lebensbeschreibung Karls V. an, daß man »die Bücher und Kleider der Turlupiner auf dem Schweine-

In der Anmerkung (F) des Artikels ADAMITEN. 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 2 Man sehe den Artikel OLYMPIAS, Anmerkung (I). 具Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 典 3 Man sehe denselben Artikel, a. a.O. 4 Aus des Pariser Bürgers Nicolaus Mauregart Aufstellung der Zuwendungen der Pariser Stadtverwaltung im Jahr 1374, nach du Cange, Glossar., unter dem Stichwort »Turlupini«. 1

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markt von Paris vor dem Stadttor St. Honoré verbrannte«, daß man außerdem »Johanna Dabentonne und einen anderen zusammen mit ihr verbrannte«, welche die zwei »Hauptprediger dieser Sekte waren, daß dieser aber«, sagt er, »den wir ungenannt lassen, weil er vor der Verurteilung zum Feuertod im Gefängnis verstorben war, fünfzehn Tage in einen Haufen Kalk gelegt wurde, damit sein Leichnam nicht verweste, und am festgesetzten Tage zur Strafe verbrannt wurde«. Du Tillet sagt gleichfalls, daß unter Karl V. »die abergläubische Religion der Turlupiner, die ihrer Sekte den Namen ›Die Bruderschaft der Armen‹ gegeben hatten, verdammt und vernichtet wurde und daß man ihre Kultgegenstände, ihre Bücher und Kleidungsstücke verdammte und verbrannte«. Wie passen aber diese verbrannten Kleider zu den Berichten, die besagen, die Turlupiner seien nackt gegangen? Wir müssen also annehmen, daß die Nacktheit all dieser Arten von Schwärmern hinsichtlich der Zeit oder der Orte oder bestimmter Körperteile Grenzen hatte. Wir haben gesehen, daß die Adamiten sich nur in ihren Versammlungsräumen entkleideten und daß die Picarden insbesondere diejenigen verdammten, die ihre Schamgegend nicht entblößten. Kälte und Regen erlaubten es nicht, daß man stets nackt war; und es hat nicht den Anschein, daß man es wagte, sich regelmäßig und beständig in den Städten nackt zu zeigen, in denen man nicht die Vormacht hatte. Insbesondere scheint es, daß die Turlupiner nur diejenigen Körperteile nicht bedeckten, die den Unterschied der Geschlechter ausmachen. »Die Turlupiner erweckten die Sekte der Kyniker hinsichtlich der Nacktheit der Schamgegend und des öffentlichen Beischlafs wieder zum Leben.«5 Was ich aus Gerson zitiert habe, läuft auf dasselbe hinaus. Sie haben also trotz ihrer Unkeuschheit Kleider getragen, und man muß annehmen, daß sie vor den nicht eingeweihten Frauen sowie vor den biederen Betschwestern, die sie in ihre Netze locken wollten, nicht sogleich ihre ganze Gerätschaft zur Schau stellten.

5

Génébrards Chronik.

WEIDNER

weidner, Paul, ein jüdischer Arzt des 16. Jahrhunderts, wurde von Udine, einer Stadt in Italien, nach Kärnten gerufen, um dort als Mediziner tätig zu sein. Er blieb sechs Jahre und erhielt von dem Gemeinwesen ein sehr ansehnliches Gehalt. Während dieser Zeit erfaßten ihn Zweifel an seiner Religion, die ihn nötigten, das Alte und das Neue Testament miteinander zu vergleichen und die Erklärungen der Rabbiner gründlich zu prüfen. Und weil er bei dieser Lektüre erkannte, daß Jesus Christus der Messias ist, beschloß er, öffentlich den christlichen Glauben anzunehmen. Selbst nachdem er völlig überzeugt war,a schwankte er noch ein ganzes Jahr und verbarg sorgfältig seine Ansichten. Er verkannte die Gefahren nicht, denen er sich aussetzen würde (A), wenn er die Juden wissen ließ, wie es in seiner Seele aussah. Schließlich aber gewann das Interesse an seinem Seelenheil die Oberhand über die Erwägungen des Fleisches. Er verließ Kärnten und begab sich nach Wien, wo er sich mit seiner Frau und seinen vier Kindern am 21. August 1558 im Stephansdom feierlich taufen ließ. Man ernannte ihn zum Professor für hebräische Sprache an der Universität Wien. Er veröffentlichte etwas über die Beweggründe seiner Konversion und zur Widerlegung des Judentums.b

(A) Er verkannte die Gefahren nicht, denen er sich aussetzte. Der feste Glaube, daß eine Religion wahr ist, der Entschluß, sie zu bekennen und das Erdulden vieler Kämpfe in der Seele vor der Ausführung eines solchen Entschlusses sind keine mita

»Obwohl ich keinerlei Zweifel an dem christlichen und höchstgewissen Glauben hatte.« Weidner, wie unten. b Aus dem Widmungsschreiben an den König Ferdinand, das am An-

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einander unverträglichen Dinge. Man darf daher nicht denken, es fehle Weidners Erzählung an Aufrichtigkeit. Es gibt kaum ein Vorhaben, dessen Ausführung auf mehr Hindernisse stößt als ein Religionswechsel. Denn, um von den übrigen Gründen der Verzögerung nicht zu sprechen, man weiß ja, daß man die Personen erzürnen wird, die man am meisten liebt und achtet; man weiß ja, daß man in den Augen der Verwandtschaft hassenswert und ehrlos werden wird. Ich sage »ehrlos«, denn alle Völker verbinden gewöhnlich den Begriff der Ehrlosigkeit mit der Handlung eines Menschen, der ihre Religion verläßt. Man begnügt sich nicht damit, ihn einen Aufrührer oder einen Apostaten zu nennen, man bezeichnet ihn auch als Renegaten1. Man behauptet, seine Revolte sei ein schmählicher Schandfleck für seine Familie; und ich habe eine andächtige Frau gekannt, die ganz im Ernst sagte, sie würde es lieber sehen, daß ihre Schwestern das Gewerbe der Prostitution ausübten, als daß sie zur Messe gingen. Diese abscheulichen Vorstellungen sind für das zeitliche Wohlergehen einer Gemeinschaft notwendig, und deshalb werden sie genährt. Ein Kasuist findet es nicht schlimm, daß ein Vater seine vom Glauben abgefallenen Söhne verjagt und daß in gleichem Fall ein Bruder seinen Bruder nicht länger sehen will oder ein Ehemann seine Gattin verabscheut oder eine Frau ihren Ehemann verläßt. Wenn die Protestanten den Katholiken diese Art von Verfolgung vorwerfen, so werfen die Katholiken sie ihrerseits den Protestanten vor.2 Sei es wie es wolle; es ist gewiß, daß diese Praxis denjenigen recht oft als Schreckgespenst erscheint, die überzeugt sind, daß sie die Kirche verlassen müssen, in der sie aufgewachsen sind. Wir wollen Arnauld zitieren: »Die Absicht, die Religion fang seines 1559 in Wien gedruckten Buchs De locis praecipuis fidei christianae steht. Man sehe Joannes Henich, Theologieprofessor in Rinteln, De veritate religionis christianae, S. 360 ff. 1 Dieser Name wurde in einigen Städten Frankreichs von den Protestanten für diejenigen gebraucht, die den Papismus annahmen. 2 Man sehe das Buch von Brueys mit dem Titel Réponse aux plaintes des Protestans; es wird in den Nouvelles de la république des lettres, August 1686, Art. I besprochen. Man sehe S. 879 dieser Nouvelles.

Weidner

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zu wechseln, hat etwas Schreckliches an sich«, sagt er,3 »und man hat manchmal Mühe sie auszuführen, selbst wenn man dazu entschlossen ist. (---). Ich weiß, daß eine junge Frau, Tochter eines sehr eifrigen Hugenotten, ihrem Vater sieben Jahre lang verheimlicht hat, daß sie Katholikin war. Während dieser ganzen Zeit begleitete sie ihn zur Predigt und hielt sich nur von der Teilnahme am Abendmahl fern; sie befürchtete nämlich, daß er sich über ihren Religionswechsel zu Tode grämen würde. Sie veranlaßte, daß mein Rat über diesen Fall eingeholt wurde, und nachdem sie wußte, daß ich diese Verstellung nicht billigte, faßte sie, wenn auch mit großer Mühe, den Entschluß, sich zu entdecken. (---). Es mag auch wie zu der Zeit des hl. Augustinus Leute geben, die von der Wahrheit der katholischen Religion überzeugt sind, die aber weder das Band der Gewohnheit, das sie zur protestantischen Predigt zieht, zerreißen noch sich dem Vorwurf aussetzen können, den sie von ihren Verwandten und ihren Freunden von der gleichen Partei wegen ihres Wechsels befürchten. Wenn dem nicht wenigstens irgendeine andere menschliche Erwägung als Gegengewicht entgegengesetzt ist, die den Eindruck ausgleicht, den die ersteren Erwägungen auf ihr Herz ausgeübt haben, sind sie nicht sehr leicht imstande, der Wahrheit zu folgen, die sie erkannt haben.« Es gibt Gemeinden, die sich durch den Glaubensabfall eines verdienstvollen Mönchs derart entehrt fühlen und befürchten, dies sei verderblich für den Glauben der Einfältigen sowie ein zu großer Anlaß zum Triumph für die gegnerische Partei, daß sie alles gegen jemanden unternehmen, der auch nur ansatzweise Lust zum Überwechseln zeigt. Die Juden haben die gleiche Einstellung. Wollten sie Spinoza nicht durch Meuchelmord aus dem Weg räumen?4 Und versuchten sie nicht, unseren Weidner nach seiner Konversion zu vernichten? »Ferner«, sagt er,5 »sobald die Sache nicht länger verheimlicht 3

Arnauld, Apologie pour les Catholiques, Teil II, Kap. 12, S. 240 f. Man sehe den Text des Artikels SPINOZA zwischen den Fußnoten (b) und (c). 5 Weidnerus, Epist. dedicat. ad Ferdinandum. 4

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werden konnte, war ich ununterbrochen genötigt, von meinen Brüdern im Fleische wegen ihres Verdachts, ich sei christlichen Glaubens, keine geringe Gefahr zu erwarten. Und zu meinem Schmerz sehe und weiß ich aus Erfahrung, daß ich dieser Gefahr bis zum heutigen Tage ausgesetzt bin.« Wir wollen eine besonders grausame Art der Verfolgung von Konvertiten nicht vergessen. Man überschüttet sie mit Schmähschriften,6 man durchleuchtet ihr gesamtes Leben, und wenn man darin irgendwelche Schandflecke findet, so bringt man sie dem Publikum mit allen Kunstgriffen der Übertreibung zur Kenntnis. Die geringsten Fehltritte ihrer Jugend werden ihnen nicht verziehen. Wenn sie irgendwelche vertraulichen Briefe geschrieben haben, die man sich zunutze machen kann, um ihr Ansehen zu schädigen, so veröffentlicht man sie. Kurzum, man macht sich im Interesse der Sache und um das Ansehen dieses Wechsels zu diskreditieren kaum Skrupel, dieselben Dinge als große Verbrechen hinzustellen, die fortgesetzter Hochachtung und Zuneigung bei einer Person nicht im Wege gestanden hätten, die bei ihrer Religion geblieben wäre. Man sehe die Anmerkung (C) des Artikels SPONDE, Jean de.*

6

Man ziehe hier die Worte hinzu, die ich von Pierre Charron in seinem Artikel, Anmerkung (P), berichtet habe. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  * Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

XENOPHANES

xenophanes, ein griechischer Philosoph, geboren in Kolophon, war einigen zufolgea ein Schüler des Archelaos. Demnach wäre er ein Zeitgenosse des Sokratesb gewesen. Andere meinen, daß er sich alles selbst beigebrachtc und zur gleichen Zeit wie Anaximanderd gelebt habe. Demzufolge läge seine Blütezeit vor Sokrates, und zwar um die sechzigste Olympiade, wie Diogenes Laertius versichert.e Er hat lange gelebt, denn man zitiert Verse, in denen er erklärt, 1) daß seine Werke vor 67 Jahren in Griechenland Beifall fanden, 2) daß er im Alter von 25 Jahren ersten Beifall erhielt.f Er verfaßte mehrere Gedichte über philosophische Fragen und außerdem an die zweitausend* über die Gründung von Kolophong und der Kolonie Eleah. Seine Meinung über die Natur Gottes unterscheidet sich kaum vom Spinozismus (B). Er hat Verse gegen Homer und Hesiodi gemacht, weil sie die Torheiten der Götter besungen haben. Er vertrat eine Maxime, welche die heidnische Religion völlig zerstörte, nämlich daß es nicht weniger gottlos sei zu be-

a

Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 18. Er war ein Schüler des Archelaos. c Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 18. d Ebd. e A. a.O., Nr. 20. Man sehe die Anmerkung (A). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  f A. a.O., Nr. 19. * Nach Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 20, ist zu ergänzen: »Verse«. Hgg.  g A. a.O., Nr. 20. Man bemerke, daß Moréri diese Zahl für sämtliche Verse des Xenophanes angibt. Athenäus hat des öfteren mehrere Verse von diesem Philosophen zitiert. h Eine Stadt in Italien. i Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 18. Man sehe Sextus Empiricus, Adversus mathematicos, S. 57, 341. b

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haupten, die Götter würden geboren, als zu behaupten, sie stürben; denn in beiden Fällen wäre es gleichermaßen wahr, daß sie nicht ewig existieren.k Diese Maxime ist sehr wahr und steht der Lehre der Inkarnation keineswegs entgegen. Er hielt den Mond für ein bewohntes Land und glaubte nicht, daß man zukünftige Dinge vorhersagen könne;l und wenn die Vermutung eines gelehrten Kritikers zutrifft, so behauptete er, daß das Gute das Übel in der Natur der Dinge überwiege (D). Er wäre nicht der einzige, der diese Meinung vertreten hätte, aber offensichtlich war er ganz anderer Ansicht; und wenn es sich nur um das moralische Übel handelte (E), so glaube ich nicht, daß ihm jemand widersprochen hätte. Alle Welt ist sich einig, daß die guten, ehrbaren Leute selten sind und daß nichts gewöhnlicher ist als die Mißachtung der Vorschriften der Tugend. Aber zweifellos wollte Xenophanes vom physischen Übel sprechen; er war der Ansicht, daß die Annehmlichkeiten des Lebens den Schmerzen nicht gleichkommen, die es uns aufbürdet (F). Viele Leute sind der Überzeugung, daß dies wahr ist, und es mangelt ihnen nicht an plausiblen Gründen dafür, wie man unten sehen wird. Selbst wer anerkennt, daß die Natur das menschliche Geschlecht mit einer Unzahl von Annehmlichkeiten ausgestattet und alle anderen Dinge zu seinem Gebrauch bestimmt hat, betrachtet den Menschen in anderer Hinsicht als ein unglückliches Wesen. Die Notwendigkeit, in der sich so viele Menschen befinden, in den verbotenen Freuden ein Mittel gegen ihre Ängste zu suchen, ist kein geringer Teil der Härte, der das menschliche Schicksal ausgesetzt ist (H). Wie dem auch sei, man kann hier die Autorität des Aristoteles anführen. Denn dieser große Kopf, der mit so großer Hingabe und so viel Scharfsinn philosophierte, hat anerkannt, daß es in der Natur mehr Übel als Gutes gibt, und daß dem Empedokles aus diesem Grund die Lehre von nur einem Ursprung nicht gefiel und er begann, zwei Ursprünge anzunehmen, einen Ursprung des Guten und einen des Übels. Die hl. k l

(…). Aristoteles, Rhetorica, Buch II, Kap. 23, S. 446 B. Cicero, De divinatione, Buch I, am Anfang.

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Schrift hat das Elend dieses Lebens so nachdrücklich herausgestellt,m daß sie in dieser Frage ein demonstratives Argument liefern kann. Es erstaunt mich, daß der Rabbi Maimonides, der sowohl die Wissenschaften sehr gut kannte als auch über ein großes Urteilsvermögen verfügte und der ein recht guter Philosoph war, glauben konnte, er hätte die Lehre zureichend widerlegt, von der ich spreche (K). Wahrscheinlich hat Xenophanes an die Unbegreiflichkeit aller Dinge geglaubt (L). Er gab den Ägyptern einen guten Rat, als er sie bei ihren Festen wehklagen sah. »Wenn die Gegenstände eurer Verehrung Götter sind«, sagte er zu ihnen,n »so beweint sie nicht; wenn es Menschen sind, so bringt ihnen keine Opfer dar«. Andere behaupten,o er habe diesen Gedanken geäußert, als die Eleaten von ihm wissen wollten, ob sie der Leukothea Opfer bringen und für sie Tränen vergießen sollten oder nicht. Wir dürfen nicht vergessen, daß er aus seinem Vaterland verbannt wurde und sich nach Sizilien zurückzog,p daß er in Zankleq und Catania lebte, daß er die eleatische Schule gründete,r daß Parmenides sein Schüler war und daß er sich über seine Armut beklagte (M). Die Antwort, die er jemandem gab, mit dem er nicht Würfel spielen wollte, ist eines Philosophen höchst würdig. Dieser Mann beschimpfte ihn als feige. »Ja«, antwortete er, »das bin ich bei schändlichen Handlungen in höchstem Maße«.s

m

Man sehe insbesondere das Buch Hiob und die Psalmen an verschiedenen Orten. n Plutarch, De superstitione, am Ende, S. 171. o Aristoteles Rhetorica, Buch II, Kap. 23, S. 447 C meiner Ausgabe. p Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 18. q Das ist dieselbe Stadt wie Messana, heute Messina. r Cicero, Acad. quaest., Buch IV. Clemens von Alexandria, Stromata, Buch I, S. 301. s (…). Plutarch, De vitioso pudore, S. 530.

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(B) Seine Meinung über die Natur Gottes unterscheidet sich kaum vom Spinozismus. Wenn wir alle seine Werke hätten, wären wir viel besser in der Lage, eine genaue Darstellung seines Systems zu geben, und wenn wir seine Ansichten nur aus den kleinen und ziemlich dunklen Stücken kennen würden, die Cicero davon anführt, wäre die Verwirrung unvermeidbar: »Xenophanes, der zusammen mit dem Geist auch alles andere, was unendlich sein mag, Gott sein lassen wollte, wird man hinsichtlich des Geistes ebenso tadeln wie die übrigen, hinsichtlich des Unendlichen aber noch heftiger, weil es darin weder etwas geben kann, das eine Empfindung noch eine Verbindung hätte.«13 Diese Worte Ciceros bezeugen, daß Xenophanes gelehrt hat, der Verstand sei Gott und alles, was unendlich ist, sei Gott. Was den ersten Teil dieser Lehre betrifft, so wiederholt Cicero nicht, was er bereits gesagt hat, um diejenigen zu widerlegen, die den Verstand für eine Gottheit hielten; er nimmt an, daß diese Widerlegung auch den ersten Punkt der Lehre des Xenophanes trifft. Hinsichtlich ihres zweiten Teils trägt er dasjenige vor, von dem er glaubt, es sei geeignet, sie zu widerlegen; denn er merkt an, daß das Unendliche nicht Gott sein kann, weil es nichts enthält, was empfände oder was verbunden wäre. Ich will die Schwäche dieses Arguments nicht untersuchen, denn das ist nicht erforderlich; jedermann erkennt klar, daß, weil es in einer begrenzten Ausdehnung wie z. B. im Menschen etwas gibt, das verbunden ist und das denkt, es Derartiges auch in einer unendlichen Ausdehnung geben kann. Ich kann mir leicht vorstellen, daß Cicero die Meinung nicht recht verstanden hat, die er berichtet. Er teilt sie in zwei Teile, aber vielleicht darf man sie nicht teilen. Es ist wahrscheinlicher, daß Xenophanes sagen wollte, Gott sei nichts anderes als die mit Verstand verbundene Unendlichkeit der Natur.14 Es wäre eine sehr befremdliche 13

Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap. 11. Die folgenden Worte von Minucius Felix, S. 151 meiner Ausgabe, kommen meiner Überlegung entgegen: »Es ist bekannt, daß Xenophanes 14

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Lehre, einerseits zu sagen, daß alles, was unendlich ist, Gott ist, und andererseits, daß der menschliche Verstand Gott ist. Das hieße, Gott auf eine widersprüchliche Weise zu vervielfältigen; das hieße, auf inkonsequente Art und Weise zu irren. Ich weiß sehr wohl, daß uns die alten Philosophen in den Fragmenten, die uns von ihren Meinungen über die Prinzipien aller Dinge erhalten geblieben sind, keineswegs exakt erscheinen. Was mich aber im besonderen glauben läßt, daß Xenophanes die ihm beigelegte Einteilung nicht gemacht hat, ist, daß er nach Ciceros eigenem Zeugnis gelehrt hat, daß es nur ein einziges Wesen gebe und daß dieses Wesen unveränderlich, ewig und der wahre Gott sei: »Xenophanes15, der noch etwas älter war, behauptete, alles sei Eins und dieses sei unveränderlich und der wahre Gott, es sei niemals entstanden, ewig und von kugelförmiger Gestalt.«16 Das ist viel deutlicher als das, was Aristoteles über die Meinung des Xenophanes berichtet. »Xenophanes aber, wenngleich er als erster unter ihnen das Eine annahm (denn Parmenides soll sein Schüler gewesen sein), hat dennoch nichts Klares darüber gesagt, und er scheint auch in keiner von beiden ›Hinsichten‹ die Natur des Einen aufgefaßt zu haben, sondern sagt mit Blick auf den ganzen Himmel, das Eine selbst sei Gott.«17 Diese Worte von Aristoteles lehren uns, daß Xenophanes bei wenig deutlichen Begriffen stehen geblieben ist und daß er nicht im einzelnen untersucht hat, ob die Einheit Gott hinsichtlich der Vernunft oder eher hinsichtlich der Materie zukomme, und daß er ganz allgemein gesagt hat »das, was eins ist, ist Gott«. Andere sagen, daß er behauptete, alles Unendliche, das von einem Geist begleitet ist, für Gott hielt.« Es hat Philosophen gegeben, die Gott den Verstand abgesprochen haben. Man sehe den Artikel SPINOZA, Anmerkung (A). 15 Cicero, Acad. quaest., Buch II, Kap. 37. 16 Man vergleiche Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch I, Kap. 33. 17 Aristoteles, Metaphysica, Buch I, Kap. 5, S. 648 E meiner Ausgabe. Man bemerke, daß eine andere Abhandlung von Aristoteles, die ich in der Anmerkung (K) zitiere, uns viel besser über das gesamte System von Xenophanes ins Bild setzt.

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die Natur habe keinen Anfang gehabt und werde kein Ziel haben und sei sich selbst immer ähnlich,18 daß er aber von den Göttern im Plural gesprochen habe. Es ist wahr, daß er die gewöhnliche Lehre ablehnte, wonach die Götter einander benötigen und einander Befehle erteilen.19 Abhängigkeit erschien ihm unvereinbar mit der göttlichen Natur. Er fügte hinzu, daß die Götter im allgemeinen sehen und hören, aber nicht im besonderen dieses oder jenes. So würde ich die folgenden Worte von Eusebius verstehen, »im allgemeinen hören und sehen, aber nicht stückweise«20. Das riecht nach Spinozismus, denn Spinoza behauptete, daß Gott, insofern er Substanz ist, nur mit dem Denken im allgemeinen begabt ist, und daß die besonderen Erkenntnisse eines jeden Objektes sich nicht in einem einzigen Verstand vereinigen, um der Substanz Gottes alle Dinge vorzustellen. Ich gebe zu, daß man behaupten könnte, Xenophanes habe sagen wollen, Gott sehe alle Dinge durch einen einfachen Akt des Verstandes und nicht jedes einzelne Ding in einer besonderen Vorstellung. Es wäre an ihm, sich zu erklären, wenn er wieder auf die Welt käme. Er würde nicht wenig Mühe haben, den Schwierigkeiten zu genügen, die man ihm bezüglich seiner Widersprüche oder seiner Inkonsequenzen vorhalten könnte. Er hat eine unzählige Menge von unveränderlichen Welten und vier Elemente aller Dinge zugelassen.21 Aber wozu dient diese Vielzahl von Welten, wenn er doch lehrt, daß alle Dinge nur ein Wesen sind und daß dieses einzige und einige Wesen Gott ist? Heißt das nicht, wie das Volk von der Welt zu sprechen, das Amerika eine neue Welt nennt und das den Namen »Welt« dem menschlichen Geschlecht und sogar den Dienern eines großen Herrn usw. beilegt?22 Er sagt, Gott sei von runder Gestalt, und läßt ihn den18

(…). Eusebius, De praeparatione evangelica, Buch I, Kap. 8, S. 23, aus Plutarchs Stromata. 19 Eusebius, ebd. 20 Eusebius, ebd. 21 Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 19. 22 Man sehe das Wort »Welt« im Dictionnaire von Furetière.

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noch unendlich sein.23 Er sagt, Gott ähnele dem Menschen in nichts, Gott sehe und höre alles, jedoch ohne zu atmen.24 Eine schöne Ausnahme! War es erforderlich, das zu erwähnen? Wenn er nichts mit dem Menschen gemein hat, ist es dann nicht evident, daß er keine Lunge hat und nicht atmet? Warum hat er nicht zugleich die Augen, die Ohren, das Gesicht usw. mit dem Akt des Atmens ausgenommen? Xenophanes hat sich viel richtiger in den Versen ausgedrückt, die Clemens von Alexandria zitiert,25 denn er sagt dort lediglich, daß Gott dem Menschen weder hinsichtlich des Körpers noch hinsichtlich der Seele ähnlich ist und daß die Tiere, wenn sie malen könnten, Gott entsprechend der Gestalt ihrer Art darstellen würden. Er kommt immer wieder auf seine Einheit zurück. »(Gott) ist alles zugleich; Geist, Klugheit, Ewigkeit.«26 Die gesamte eleatische Schule glaubte mit ihm an die Einheit aller Dinge27 und an ihre Unbeweglichkeit;28 und vielleicht täusche ich mich nicht, wenn ich zu sagen wage, daß dort die Lehre geboren wurde, welche die Skeptiker so sehr gelobt haben, daß unsere Sinne uns täuschen und daß man sich nicht auf ihr Zeugnis verlassen darf. Denn da man diesen Philosophen entgegenhielt, daß es ununterbrochen neues Entstehen im Universum gebe, was zur Voraussetzung hat, daß es entweder zwei Prinzipien gibt, ein aktives und ein passives, oder daß wenigstens die einige Substanz der Natur nicht unbeweglich ist, fanden sie kein besseres Hilfsmittel gegen diese Schwierigkeit, als zu leugnen, daß es Entstehen gebe. Sie mußten also behaupten, daß die Natur immer dieselbe blieb und daß die Veränderungen, von denen wir glauben, daß sie sie erfahre, lediglich Blendwerke

23

Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 19. Ebd. 25 Clemens von Alexandria, Stromata, Buch V, S. 601, und aus ihm Eusebius, De praeparatione evangelica, Buch XIII, Kap. 13, S. 678 f. 26 Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 19. Man sehe auch Eusebius, a. a.O., Buch XIV, Kap. 14, S. 725 B. 27 Eusebius, ebd. 28 A. a.O., Buch XIV, Kap. 17. 24

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unserer Sinne und bloßer Schein sind. Wir wollen Eusebius zu Rate ziehen, der uns mitteilt, daß Parmenides lehrte, das Universum bleibe, da es ewig, unbeweglich und ein einziges Wesen ist, hinsichtlich der Wirklichkeit der Dinge stets dasselbe, und das Entstehen gründe lediglich in einem falschen Vorurteil der Sinne. (…).29 Wir wollen auch eben diesen Eusebius zu Rate ziehen, wenn wir eine gründliche Widerlegung dieser Ausflucht sehen wollen. Aristoteles hat diesen Verteidigern der Unveränderlichkeit oder der Unmöglichkeit des Entstehens klar gezeigt, daß ihre gewählte Zuflucht keinen Ausweg bot. Denn weil sie den Wechsel der Erscheinungen nicht zu leugnen wagten, d. h. daß wir die Erde bald als kalt, bald als warm empfinden, so folgt, daß die Natur nicht unbeweglich ist; sie muß sich folglich notwendigerweise in dem Subjekt verändern, das unsere Empfindungen hervorbringt oder sie empfängt. Die Wahrnehmung ist passiv, und deshalb setzt der Wechsel der Wahrnehmung eine Wirkursache und ein passives Subjekt voraus, und damit ist eure Einheit aller Dinge über den Haufen geworfen. Darüber hinaus ist dieser Wechsel mit der von euch behaupteten Unbeweglichkeit oder Unvergänglichkeit unvereinbar. (…). Ich werde dieses Thema in der Anmerkung (K) wieder aufgreifen. (…). Es ist schwer zu begreifen, aufgrund welcher Geisteshaltung eine so große Anzahl von antiken Philosophen glauben konnte, daß es nur eine Substanz im Universum gebe.35 Aber man begreift leicht, daß sie unter dieser Voraussetzung sagen mußten, daß das Universum beständig im gleichen Zustand verharre; denn ein Wesen, das notwendig existiert und das allein alles ist, muß notwendigerweise von vollkommener Unbeweglichkeit sein. Keine äußere Ursache kann es verändern, und es kann sich auch nicht selbst verändern. Es besitzt 29

A. a.O., Buch I, Kap. 8, S. 23 C, aus Plutarch. Ich glaube, daß sie auf diese Meinung infolge der Annahme verfielen, daß, weil nichts aus nichts entstehen kann, alles, was existiert, eine notwendige Existenz hat, daß es folglich ewig und unendlich ist, und daß das Unendliche einig sein muß. 35

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unabhängig von seinem Willen sowohl seine Existenz als auch alle Eigenschaften seiner Natur. Alles, was es einmal besitzt, muß es immer besitzen; denn dasjenige, was keinen Anfang hat, ist unzerstörbar. Das beweist auch, daß es nichts Neues erwerben kann, denn die Hervorbringung einer neuen Eigenschaft würde die Zerstörung irgendeiner anderen Eigenschaft sein.36 Bis hierher hat sich das Lehrgebäude von Xenophanes und Parmenides gut behauptet. Weil aber die Erfahrung sie überzeugte, daß sich Veränderungen ereignen, die hinsichtlich unseres Denkens innerlich und bewirkend sein müssen, wenn man sie auch für bloße Illusionen der Sinne halten wollte, so mußten diese Philosophen anerkennen, daß sie von einer falschen Annahme ausgegangen waren, und zwei Prinzipien annehmen, ein aktives und ein passives. Aufgrund dessen kann man glauben, daß das aktive Prinzip stets inmitten der kontinuierlichen Veränderungen der Natur im gleichen Zustand verharrt.37 Seine von verschiedenen Subjekten empfangene gleichmäßige und unveränderliche Wirkung muß allen Wechsel in der Welt hervorbringen. Sehen wir nicht, daß die in sich nicht veränderte Bewegung der Luft verschiedene Wirkungen hervorbringt, je nachdem, ob sie auf eine Mühle, ein Schiff, auf verstreute Strohhalme oder zusammengekehrte Blätter usw. trifft?

(D) Er behauptete, daß das Gute das Übel in der Natur der Dinge überwiege. Diogenes Laertius zählt zu den Hauptlehren des Xenophanes τà πολλà ττυ νο ε ναι, daß die meisten Dinge schlechter

36

Hieraus kann man einen starken Beweis ableiten, daß unsere Seele und die Materie keine unerschaffenen Wesen sind. Man sehe die Anmerkung (K). 37 »Und indem er unerschütterlich bleibt, verleiht er allem Bewegung.« Boethius, De consolatione philosophiae, Buch III, Metrum 9.

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oder von geringerem Wert sind als der Verstand.42 Es scheint eines Philosophen unwürdig zu sein, so zu sprechen, denn noch der dümmste Bauer weiß das sehr genau und niemand muß darüber belehrt werden, daß der menschliche Geist mehr wert ist als die Metalle, das Wasser, die Luft usw. Deshalb müssen wir annehmen, daß Xenophanes etwas Bedeutenderes sagen wollte. Meric Casaubon hat Folgendes vermutet. Er nimmt an, dieser Philosoph habe gelehrt, daß der göttliche Verstand, der die Welt erschuf, versucht hat, allen Geschöpfen einen Zustand der Vollkommenheit zu verleihen, daß er aber seine Absicht nicht immer ausführen konnte, weil er auf mächtigen Widerstand in der Materie stieß, und daß er folglich in einigen Fällen gezwungen war, schlechte Dinge hervorzubringen.43 D. h. daß er in diesem Kampf manchmal besiegt wurde, öfter jedoch Sieger war; d. h. daß die Mehrzahl der Dinge den Wünschen und der Macht des göttlichen Verstandes unterworfen waren und daß folglich mit ττυ νο ε ναι nicht gemeint ist »schlechter als der Verstand«, sondern »ihm unterworfen«, »der Gegenstand seines Triumphes sein«. Casaubon bestätigt seine Vermutung durch eine Stelle aus Platon, an der es heißt, die Notwendigkeit und der Verstand hätten bei der Schaffung der Welt zusammengearbeitet, und die Notwendigkeit habe sich zu dem Zugeständnis überreden lassen, daß die meisten Dinge zum Besseren eingerichtet würden. (…).44 Casaubon merkt an,46 daß man, nachdem Homer bei einer bestimmten Gelegenheit gesagt hatte, das Übel überwiege das Gute, diesen Satz zu einer allgemeinen Maxime gemünzt habe; als wenn ganz allgemein die Unglücksfälle des menschlichen Lebens das Glück überwögen. Derselbe Kritiker merkt an, daß diejenigen, die mit der größten Bescheidenheit über dieses Thema gesprochen haben, die Vorsehung mit der unumgänglichen Notwendigkeit entschuldigt haben, die sie zwang, vielen Übeln 42 43 44 46

(…). Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 19. Meric Casaubon über diese Worte des Diogenes Laertius. Platon, Timaios, S. 1058 D meiner Ausgabe. Meric Casaubon zu Laertius, Buch IX, Nr. 19.

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das Tor zu öffnen. (…). Er fügt hinzu, daß Euripides die gewöhnliche Ansicht, wonach das Übel das Gute überwiege, nachdrücklich widerlegt hat, und er zitiert den Anfang dieser Widerlegung. »Einige sagen nämlich, daß es bei den Menschen mehr Übel als Gutes gäbe. Ich aber vertrete in dieser Frage die entgegengesetzte Meinung, nämlich daß es bei den Menschen mehr Gutes als Schlechtes gibt.« Die sich anschließenden Worte des Euripides schienen Casaubon das Werk eines von Gott inspirierten Schriftstellers zu sein. Plinius ist nicht der Ansicht dieses Dichters, denn obwohl er nicht ausdrücklich sagt, es sei leicht zu erkennen, daß die Natur sich eher wie eine Rabenmutter und nicht wie ein guter Elternteil zu uns verhält, läßt er durchblicken, daß er so über sie denkt: »Der Vorrang wird zu Recht dem Menschen zugeteilt, für dessen Angelegenheiten die mächtige Natur alle anderen Dinge hervorgebracht zu haben scheint, auch wenn sie für ihre großen Gaben einen fürchterlichen Preis verlangte, so daß man nicht eindeutig beurteilen kann, ob sie für den Menschen eher eine gütige Mutter oder eine schreckliche Stiefmutter ist.«49 Zum Preis von tausend Leiden, sagt er, verkaufe sie uns die Geschenke, die sie uns macht. Darüber hinaus breitet er eine lange Beschreibung der menschlichen Schwächen vor uns aus und stellt sie den Vorzügen der Tiere gegenüber. Dabei vergißt er die Laster nicht, in denen der Mensch die Tiere übertrifft. (…). Er läßt die Betrachtung nicht unerwähnt, die verschiedentlich angestellt worden ist, daß es nämlich sehr gut für den Menschen wäre, nicht geboren zu sein oder schnell zu sterben.51 Er versichert in einem anderen Buch, daß die größte Wohltat, die Gott den Menschen angesichts so vieler Mühseligkeiten des Lebens erwiesen hat, darin besteht, daß sie sich selbst den Tod geben 49

Plinius, Buch VII am Anfang, S. 3 meiner Ausgabe. »Viele waren der Meinung, das Beste wäre es, nicht geboren oder schnellstmöglich vernichtet zu werden.« Ders., a. a.O., S. 4. Man sehe oben den Artikel TULLIA, Fußnote (86). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. . Man sehe diesen Ausspruch als griechischen Vers bei Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 24, S. 157. 51

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können: »Gott kann sich, selbst wenn er wollte, nicht selbst den Tod geben, was er dem Menschen als beste Gabe in den so großen Mühseligkeiten des Lebens verlieh.«52 Er hatte mehrere Albernheiten der heidnischen Religion angeführt und daraus die Folgerung gezogen, daß bei all diesen Dingen nur eins gewiß ist, daß nämlich alles ungewiß ist und daß der Mensch das elendeste aller Geschöpfe ist. (…). Plautus hat eine der Maxime des Euripides völlig entgegengesetzte Meinung auf so unbefangene Weise ausgedrückt, daß ich mich verpflichtet fühle, seine Worte zu zitieren: »Sind die Freuden des Lebens und des täglichen Treibens nicht von geringer Bedeutung im Vergleich mit den Beschwerlichkeiten? Es ist das gemeinsame menschliche Schicksal und der Wille der Götter, daß auf Freude stets Schmerz folgt, und daß, wenn einem etwas Gutes widerfahren ist, alsbald größeres Leid und Übel darauf folgt.«54 Der Dichter Diphilos hat gemeint, das Schicksal reiche uns einen Trank, der aus drei Übeln und nur einem einzigen Guten gemischt sei. (…).55

(E) Wenn es sich nur um das moralische Übel handelte. Es gäbe hunderterlei Dinge anläßlich der Frage zu erörtern, ob die Ansicht des Euripides glaubwürdiger ist als die des Plinius und so vieler anderer großer Männer, die behauptet haben, das Übel des menschlichen Lebens überwiege das Gute. Wir wollen hierbei ein wenig verweilen und erstens sagen, daß es, wenn es sich nur um das Übel der Schuld handelte, die Angelegenheit sehr bald zugunsten von Plinius entschieden wäre; denn wo ist der Mensch, der zu behaupten wagte, es kämen auch nur zehn tugendhafte Handlungen auf zehntausend Verbrechen der 52

Plinius, Buch II, Kap. 7, S. 146 meiner Ausgabe. Plautus im Amphitryon. II. Akt, 2. Szene am Anfang, S. 25 meiner Ausgabe. 55 Diphilos bei Stobaios. 54

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Menschen? Wir wollen zweitens sagen, daß Euripides Anhänger finden wird, wenn es um das Übel des Schmerzes geht. Bezüglich dieses zweiten Punktes wollen wir auf die folgende Anmerkung verweisen und hier etwas über den ersten Punkt sagen. So verabscheuenswürdig die Lehre von den zwei Prinzipien allen christlichen Glaubensgemeinschaften56 auch immer erschienen ist, so hat man im Christentum doch ein untergeordnetes Prinzip des moralischen Übels anerkannt. Die Theologen lehren uns, daß eine große Anzahl von Engeln, nachdem sie gesündigt hatten, eine gegen Gott gerichtete Partei im Universum gebildet haben. Der Kürze halber bezeichnet man diese Partei mit dem Namen des Teufels oder des bösen Geistes, und man erkennt in ihr die Ursache des Sündenfalls des ersten Menschen und den ewigen Versucher und Verführer des menschlichen Geschlechts. Diese Partei, die im Augenblick ihres Falls Gott sogleich den Krieg erklärte, hat ihren Aufruhr ununterbrochen fortgesetzt, ohne daß es jemals Frieden oder Waffenstillstand gegeben hätte. Sie hat sich unaufhörlich damit beschäftigt, die Rechte ihres Schöpfers an sich zu reißen und seine Untertanen zu verführen, um aus ihnen Rebellen zu machen, die unter ihren Fahnen gegen ihren gemeinsamen Herrn Dienst tun. Die ersten Feindseligkeiten sind ihr mit Blick auf den Menschen auch geglückt. Sie hat im Garten Eden die Mutter aller Lebenden angegriffen und besiegt. Gleich darauf griff sie den ersten Mann an und überwand ihn. So also ist sie Herrin des menschlichen Geschlechts geworden. Gott hat ihr diese Beute nicht gelassen, er hat sie von dieser Knechtschaft befreit, hat sie aus diesem Zustand der Treulosigkeit kraft der Genugtuung errettet, welche die zweite Person der Trinität seiner Gerechtigkeit leisten mußte. Diese zweite Person hat es übernommen, Mensch zu werden und das Amt des Mittlers zwischen Gott und dem menschlichen Geschlecht sowie des Erlösers von Adam und seiner Nachkommenschaft auf sich zu nehmen. Er 56

Denn die Marcioniten, die Manichäer usw. verdienen die Bezeichnung »Christen« nicht.

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unternahm es, die Partei des Teufels zu bekämpfen, so daß er der Anführer der Partei Gottes gegen den Teufel als den Anführer der rebellierenden Geschöpfe war. Es handelte sich nicht darum, alle Nachkommen Adams zu erobern, denn sie waren alle infolge ihrer Geburt unter der Macht des Teufels, sondern es ging darum, das eroberte Land zu erhalten oder wiederzugewinnen. Das Ziel des Mittlers Jesus Christus und des Sohnes Gottes war es, das Land wiederzugewinnen, und dasjenige des Teufels war es, sich darin zu behaupten. Der Sieg des Mittlers bestand darin, die Menschen auf dem Weg der Wahrheit und der Tugend wandeln zu lassen; derjenige des Teufels bestand darin, sie auf der Straße des Irrtums und des Lasters zu führen, so daß man, um zu wissen, ob das moralisch Gute dem moralischen Übel bei den Menschen gleichkommt, nur die Siege des Teufels mit denen von Jesus Christus vergleichen muß. Wenn man nun die Geschichte durchläuft, so findet man nur wenige Triumphe Jesu Christi – »nur hier und da tauchen Schwimmer in dem ungeheuren Strudel auf«57 –, und wir stoßen allenthalben auf die Siegeszeichen des Teufels. Der Krieg dieser beiden Parteien ist ein ununterbrochener oder fast ununterbrochener Siegeszug auf Seiten des Teufels, und wenn diese aufrührerische Partei Jahrbücher ihrer Taten angelegt hätte, so gäbe es keinen Tag darin, der nicht mit großem Anlaß zu Freudenfeuern, Triumphgesängen und anderen derartigen Zeichen glücklichen Erfolgs vermerkt wäre. Es wäre nicht erforderlich, daß der Chronist zu Übertreibungen und Schmeicheleien griffe, um die Überlegenheit dieser Partei zu zeigen. Die heilige Geschichte berichtet uns nur von einem einzigen ehrenwerten Mann in der Familie Adams;58 sie findet in der Familie dieses ehrenwerten Mannes nur einen einzigen ehrenwerten Mann und so in der Folge durch die anderen Generationen hin bis zu Noah, in dessen Familie es drei Söhne gab, die Gott mitsamt ihrem Vater, ihrer Mutter und ihren Frauen 57

Vergil, Aeneis, Buch I, Vers 118. Man vergleiche hiermit die Anmerkung (G) des Artikels OROSIUS. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  58

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vor der Sintflut errettete. So war also nach 1656 Jahren das gesamte menschliche Geschlecht mit Ausnahme einer einzigen, aus acht Personen bestehenden Familie in die Machenschaften des Teufels derart verwickelt, daß es angesichts der Ungeheuerlichkeit seiner Verbrechen ausgelöscht werden mußte. Die Sintflut, dieses schreckliche Zeugnis der Gerechtigkeit Gottes, ist ein prächtiges Monument der Siege des Teufels, und das um so mehr, als ihm diese allgemeine Bestrafung seine Beute nicht genommen hat, denn die Seelen der bei der Sintflut Umgekommenen wurden in die Hölle geworfen. Das war sein Ziel und seine Absicht, und deshalb ist es sein Triumph. Nach der Sintflut erhoben Irrtum und Laster sehr bald wieder das Haupt in der Familie Noahs. Seine Nachfahren stürzten sich in den Götzendienst und in alle möglichen Ausschweifungen; d. h. der Teufel behielt seine usurpierte Macht über sie. Es gab nur eine Handvoll Leute, begrenzt auf Judäa, die ihm dank ihrer Rechtgläubigkeit entkamen. Dennoch muß man einräumen, daß die Waffen der guten Partei hier in dieser Hinsicht ziemlich wirkungslos waren, denn dieses Volk gab sich von Zeit zu Zeit dem Götzendienst hin, so daß sein Verhalten zwischen der wahren und der falschen Gottesverehrung hin und her schwankte. Hinsichtlich des Lasters aber hat es bei den Juden ebensowenig jemals ein wahres Interregnum wie bei den anderen Völkern gegeben, und folglich hat der Teufel immer den Fuß in den kleinen Eroberungen behalten, welche die gute Partei machte. Mit der Geburt Jesu Christi hat sich ein glücklicher Wechsel vollzogen. Seine Wunder, sein Evangelium, seine Apostel machten schöne Eroberungen. Das Reich des Teufels erlitt damals einen sehr großen Rückschlag; ihm wurde ein beträchtlicher Teil seines Herrschaftsbereichs genommen, aber er wurde daraus doch nicht so vertrieben, daß er dort nicht geheime Mittel und viele Verbindungsleute behalten hätte. Er behauptete sich dort durch das Aussäen abscheulicher Häresien. Die Laster sind niemals ganz daraus vertrieben worden, sondern kehrten bald wie im Triumph dahin zurück. Irrtümer, Spaltungen, Streitereien und Intrigen hielten dort Einzug, zusammen mit dem verderblichen Gepränge schändlicher Leidenschaften,

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das sie gewöhnlich begleitet. Häresie, Aberglauben, Gewalt, Betrug, Erpressung und Unzucht, die sich in der ganzen christlichen Welt während mehrerer Jahrhunderte gezeigt haben, sind Dinge, die ich nur unvollkommen beschreiben könnte, selbst wenn ich über mehr Beredsamkeit als Cicero verfügte. Was Vergil sagt,59 ist im buchstäblichen Sinne wahr. So hat der Teufel während der Zeit, als er unbestritten außerhalb des Christentums herrschte, dem Christentum auf solche Weise den Platz streitig gemacht, daß die Erfolge seiner Waffen dem Fortschritt der Wahrheit und der Tugend unvergleichlich überlegen waren. Man hat ihnen im 16. Jahrhundert zwar Einhalt geboten und den Teufel sogar zurückgedrängt, aber was er auf der einen Seite verlor, gewann er auf der anderen Seite hinzu; was er nicht durch Lügen erreichen konnte, erreichte er durch die Verderbnis der Sitten. Es gibt keinen Zufluchtsort, keine Festung, wo er die Menschen die Wirkungen seiner Macht nicht spüren ließe. Verlaßt nur die Welt und schließt euch in Klöstern ein; er wird euch dahin folgen, wird Intrigen hineinbringen, Neid, Streit oder im schlimmsten Fall Unkeuschheit. Dieses letzte Mittel wirkt beinahe unfehlbar; »die Macht des Teufels liegt in den Lenden«, sagt der hl. Hieronymus.60 Ein moderner Autor behauptet, »daß es an den Orten, wo der Papismus noch vorherrscht, keine wahre Frömmigkeit gibt (---) und daß Italien und Spanien Länder sind, wo es kaum mehr wahre Tugend gibt als in der Türkei.«61 In einem anderen Werk62 sagt er, »es sei eine offenkundige und anerkannte Wahrheit, daß alle Klöster Spaniens und Portugals Bordelle sind und daß, wenn der Zufall den Vorhang einmal beiseite zieht, um uns das sehen zu lassen, was sich in den Klöstern Frankreichs abspielt, wir entdecken, daß man dort den Schein 59

»Wenn ich auch mit hundert Zungen und hundert Mündern sprechen könnte und eine eiserne Stimme hätte, so könnte ich doch nicht alle Arten von Verbrechen (---) beschreiben.« Vergil, Aeneis, Buch VI, Vers 625. 60 Montaigne, Essais, Buch III, Kap. 5, S. 134 meiner Ausgabe. 61 Jurieu, Vrai systême de l’eglise, S. 162 meiner Ausgabe. 62 Esprit de Monsr. Arnauld, Bd. II, S. 392.

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ein wenig besser wahrt, daß sie aber im Grunde genauso verdorben sind wie anderswo«. Er schont die Protestanten ein wenig mehr, sagt aber dennoch,63 daß die Verderbnis unter ihnen außerordentlich und so allgemein ist, daß sich die Unordnung nicht allein bei den Reformierten Frankreichs, sondern auch bei denen Englands, in den Königreichen des Nordens und in den Provinzen Deutschlands findet; daß die Fürsten und Herrscher dort einzig an den Nutzen des Staates denken, die Völker ohne Frömmigkeit und die Pastoren nachlässig sind, daß dort allgemein gesprochen überall eine erstaunliche Gleichgültigkeit der Religion gegenüber herrscht, daß die Fürsten keinerlei Sorge für die Wahrheit tragen,64 daß die Frauen Englands in höchstem Maße liederlich sind und die protestantischen Provinzen Deutschlands sich wüsten Ausschweifungen hingeben, die sie erniedrigen und viehisch werden lassen. Man mag sagen, die Beschreibungen dieses Autors seien übertrieben; es bleibt dennoch sehr wahr, daß es unter den Christen eine beklagenswerte Verderbnis der Sitten gibt. Man beachte folgende zwei Dinge. Der Krieg herrscht unter den Christen zumindest ebensolange wie der Frieden. Ich beschränke mich auf das Christentum, weil es nicht erforderlich ist, daß ich von den ungläubigen Völkern spreche. Denn sie stehen beständig in den Diensten des Teufels und unter seiner Herrschaft, der Usurpator wird dort nicht im geringsten belästigt. Man kann nicht leugnen, daß der Krieg seine Zeit ist oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Medium seiner Regentschaft. Denn ohne von den Gewalttätigkeiten und den Ausschweifungen zu sprechen, die im Krieg begangen werden, muß jedermann in Kriegszeiten notwendigerweise erklären, keinerlei Beleidigung dulden zu wollen; man muß entweder das Kriegshandwerk niederlegen oder sich für die Beschimpfung rächen. Nun heißt das offensichtlich, sich der Herrschaft 63

Man sehe den Abbé Richard, Critique des préjugez de Mr. Jurieu, S. 234. Er zitiert den Avis aux protestans de l’Europe. Dieser Avis findet sich am Anfang der Préjugez légitimes contre le papisme. 64 A. a.O., S. 258, wo er jenen Avis aux protestans zitiert.

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Jesu Christi zu entziehen und zur anderen Partei überzuwechseln. Es hat den Anschein, als wäre die Friedenszeit der Herrschaft des Teufels nicht günstig, sie ist es jedoch ganz besonders. Denn in dem Maße, wie die Leute reich werden,65 erschlaffen sie und stürzen sich immer mehr in Luxus und Wollust. Meine andere Bemerkung ist viel entscheidender. Katholiken und Protestanten stimmen darin überein, daß es sehr wenige Leute gibt, die nicht verdammt werden. Sie lassen nur die Rechtgläubigen errettet sein, die ein frommes Leben führen und ihre Sünden in der Todesstunde bereuen. Sie leugnen nicht, daß die gewohnheitsmäßigen Sünder im Falle einer aufrichtigen Buße auf dem Totenbett errettet werden können, aber sie behaupten, daß eine solche Reue außerordentlich selten ist. Demzufolge ist klar, daß einem geretteten Menschen vielleicht eine Million Verdammte gegenüberstehen. Nun geht es in dem Krieg, den der Teufel gegen Gott führt, um die Eroberung der Seelen. Es ist also sicher, daß der Sieg dem Teufel gehört; er gewinnt all die Verdammten und verliert nur die kleine Zahl der für das Paradies vorbestimmten Seelen. Er ist also victor proelio und victor bello, Sieger der Schlacht und Sieger des Krieges . Denn weil er die Menschen zu unendlich mehr bösen Handlungen inspirierte, als Jesus Christus ihnen gute eingegeben hat, behielt er während des Kampfes die Oberhand, und weil er fast alle Menschen letztendlich unbußfertig sterben läßt, behält er fast alles, was er erobert hatte.66 Der Tod setzt dem Krieg ein Ende; Jesus Christus kämpft nicht mehr, um ihm die Toten zu entreißen. Man muß daher sagen, daß dieser Krieg zugunsten des Teufels ausgeht; man überläßt und tritt ihm dasjenige ab, was er verlangte. Ich weiß wohl, daß er für seine Siege auf ewig bestraft werden wird, aber das dient, weit davon entfernt, meine These, daß nämlich das mo65

»Wir erleiden jetzt die Übel des langen Friedens, die Schwelgerei drückt uns härter als der Krieg, sie rächt die besiegte Welt.« Juvenal, Saturae, VI, Vers 291. 66 D. h. dasjenige, was er erobert hatte, indem er den ersten Menschen zu Fall gebracht hatte, dessen gesamte Nachkommenschaft seitdem zum Sklaven des Teufels geworden ist.

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ralische Übel das Gute überwiegt, zu verdunkeln, nur dazu, sie unbestreitbarer zu machen. Denn die Teufel werden inmitten der Flammen den Namen Gottes verfluchen und durch alle auf ewig Verdammten verfluchen lassen. Es wird also mehr Geschöpfe geben, die Gott hassen als die ihn lieben werden. Abgesehen davon geht es in dieser Anmerkung eigentlich nur um den Zustand, in dem die Dinge während dieses Lebens sind. Ich habe ein italienisches Buch mit dem Titel Monarchia del nostro Signor Giesu Christo, das 1573 in Venedig erschienen und von Giovann’ Antonio Panthera Parentino verfaßt ist. Der Verfasser beschreibt darin die Geschichte der Kämpfe Luzifers gegen Jesus Christus vom Anfang der Welt bis zu den Zeiten des Islam. Er geht flugs über einige der Versuche hinweg, bei denen Luzifer seine Absichten erreicht hat, aber er stellt weitläufig und ohne einen zu vergessen seine gescheiterten Versuche dar, wie die Absicht, die Nachkommen Abrahams in Ägypten zu vernichten, die Unternehmungen gegen David, gegen die Makkabäer, gegen die Person Jesu Christi usw. Das ist so, als wenn man beim Spielen nur die Niederlagen rechnen würde.67 Bei einer solchen Rechnung käme heraus, daß derjenige, der das meiste gewonnen hätte, sein gesamtes Geld verloren haben würde. Das ist ein Bild von dem Verhalten der meisten Historiker. Ihre Nation erscheint stets als siegreich, denn sie stellen nur die positiven Ereignisse dar. Man beachte, daß alles, was ich soeben gesagt habe, tagtäglich gepredigt wird, und zwar ohne die Absicht, die allmächtige Herrschaft des fleischgewordenen Wortes zu schmälern. Man will nichts anderes sagen, und das ist auch meine Meinung, als daß der Mensch seiner Natur nach derart zu Übeln neigt, daß, abgesehen von der kleinen Zahl der Auserwählten, alle anderen Menschen in den Diensten des bösen Geistes leben und sterben, ohne daß die väterliche Vorsorge Gottes zu ihrer Errettung sie von ihrer Bosheit heilen oder zur Buße führen könnte. 67

Foucquet bedient sich in Bd. I der Suite de ses defenses dieses Gedankens anläßlich derjenigen, die ihren Ausgaben nicht ihre Einnahmen gegenüberstellen.

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(F) Er war der Ansicht, daß die Annehmlichkeiten des Lebens den Schmerzen nicht gleichkommen, die es uns aufbürdet. Wer das Gegenteil behauptet, stützt sich hauptsächlich auf den Vergleich von Krankheit und Gesundheit. Es gibt sehr wenige Leute, gleichgültig, welches Alter man betrachtet, die nicht unvergleichlich mehr Tage aufzählen könnten, an denen sie sich wohlbefunden haben, als Tage, an denen sie krank waren; und es gibt viele Leute, die in einem Zeitraum von zwanzig Jahren nicht einmal zwei Wochen krank gewesen sind. Allein dieser Vergleich trügt,68 denn die Gesundheit ist an und für sich betrachtet mehr ein Zustand der Schmerzfreiheit als eine Empfindung der Lust, sie ist mehr ein bloßes Freisein vom Übel als ein Gut, wohingegen die Krankheit etwas viel Stärkeres ist als der Mangel an Lust. Es handelt sich bei ihr um einen positiven Zustand, der die Seele in eine Schmerzempfindung stürzt und sie mit Leid überhäuft. Jemand hat sehr klug bemerkt,69 daß »die Gesundheit als solche ein Gut ist, das sich nicht besonders stark bemerkbar macht und das manchmal nur dazu dient, uns all die anderen Vergnügen, die wir nicht haben können, um so sehnsüchtiger wünschen zu lassen«. Wir wollen uns eines aus der Lehre der Scholastiker entlehnten Vergleichs bedienen. Sie sagen, daß die durchlässigen Körper wenig Materie unter einer großen Oberfläche enthalten und daß die dichten Körper viel Materie unter wenig Oberfläche umfassen.70 Diesem Prinzip zufolge muß man sagen, daß es mehr Materie in drei Fuß Wasser als in 2500 Fuß Luft gibt. Das ist das Bild von Krankheit und Gesundheit. Die Krankheit ähnelt den dichten Körpern, die Gesundheit den durchlässigen. Die Gesundheit erstreckt sich ununterbrochen über viele Jahre und enthält trotzdem nur Man sehe den Artikel PERIKLES, Anmerkung (K). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 69 Ich glaube, es war die Mademoiselle de Scuderi. 70 »Ein durchlässiger Körper ist ein solcher, der unter einer großen Oberfläche wenig Materie enthält; ein dichter Körper ist ein solcher, der unter einer kleinen Oberfläche viel Materie umfaßt.« 68

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wenig an Gutem. Die Krankheit erstreckt sich nur über einige Tage, und trotzdem enthält sie viel an Übel. Wenn man eine Waage hätte, um eine Krankheit von fünfzehn Tagen gegen eine Gesundheit von fünfzehn Jahren aufzuwiegen, dann würde sich dasjenige zeigen, was man feststellt, wenn man einen Sack Federn und ein Stück Blei ins Gleichgewicht bringen will. Auf der einen Seite sieht man einen Körper, der einen großen Raum einnimmt, und auf der anderen Seite einen sehr kleinen Körper; jedoch ist in dem großen Raum nicht mehr an Gewicht vorhanden als in dem kleinen. Nehmen wir uns also vor der Illusion in Acht, zu der uns der Vergleich von Krankheit und Gesundheit angesichts der Dauer der letzteren führen könnte. Man wird mir einwenden, die Gesundheit sei nicht nur deshalb bedeutend, weil sie uns von einem sehr großen Übel befreit, sondern auch durch die Freiheit, die sie uns gewährt, tausend lebhafte und sehr intensive Vergnügen zu genießen. Ich räume dies alles ein, aber man muß darüber hinaus bedenken, daß die Gesundheit, weil es zwei Arten von Übeln gibt, denen wir unterworfen sind, uns nur von einer errettet und uns der anderen völlig ausgesetzt sein läßt. Wir sind dem Schmerz und der Traurigkeit unterworfen; zwei so schrecklichen Plagen, daß man nicht zu entscheiden weiß, welche von beiden die fürchterlichere ist. Die robusteste Gesundheit schützt nicht vor Kummer. Nun erreicht uns der Kummer durch abertausend Kanäle, und er ist von der Art der dichten Körper; er enthält in sehr kleinem Raum viel Materie, das Übel ist darin angehäuft, eingeschlossen, gepreßt. Eine Stunde Kummer enthält mehr an Übel als sechs oder sieben angenehme Tage an Gutem. Neulich berichtete man mir von einem Menschen, der sich nach drei oder vier Wochen Kummer das Leben genommen hatte. In der Hoffnung, den Mut zu haben, sich selbst zu töten, wenn die Dunkelheit seine Traurigkeit steigern würde, hatte er jeden Abend seinen Degen unter das Kopfkissen gelegt, aber es fehlte ihm mehrere Nächte hintereinander an Entschlossenheit. Schließlich hatte er nicht mehr die Kraft, seinem Kummer zu widerstehen und schnitt sich die Pulsadern auf. Ich behaupte, daß all die Vergnügen, die dieser Mann während dreißig Jah-

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ren genossen hatte, den Übeln nicht gleichkamen, die ihn im letzten Monat seines Lebens quälten, wenn man sie auf einer präzisen Waage wiegen würde. Man greife auf meinen Vergleich der dichten und durchlässigen Körper zurück und erinnere sich daran, daß die Güter dieses Lebens weniger ein Gut als die Übel ein Übel sind. Die Übel sind für gewöhnlich bei weitem reiner als das Gute. Das lebhafte Gefühl des Vergnügens hält nicht an, es nimmt rasch ab und es folgt ein Ekel.71 Was uns als ein großes Gut erschien, als wir es noch nicht genießen konnten, berührt uns kaum, wenn wir es haben; derart erwerben wir unter tausend Schmerzen und mit tausend Besorgnissen dasjenige, was wir nur mit mittelmäßiger Freude besitzen. Und häufiger übertrifft die Furcht, das Gut, das wir besitzen, zu verlieren, alle Annehmlichkeiten seines Genusses. (…). Wir wollen noch den folgenden Umstand anmerken. Man fürchtet nicht nur, dasjenige zu verlieren, was man besitzt, sondern man hat auch den Kummer zu sehen, daß andere Leute uns gleich sind oder uns übertreffen und daß andere sehr bald imstande sein werden, uns einzuholen und dann zu überholen. Man bemerke, daß ich mich zum Beweis dafür, daß das Gute nicht in dem Maße gut ist wie das Übel schlecht, nicht des Arguments bedient habe, daß man nur selten guten Gebrauch von den Gunsterweisen des Glücks macht, sie uns aber oft in großes Unglück stürzen, und daß man deshalb sagen kann, sie seien keine Gnade, sondern ein Fallstrick. Ich habe dieses Argument übergangen, sage ich, weil ich hier nicht die Ursachen oder Anlässe des Guten und des Übels betrachte, sondern das Gute und das Übel an sich selbst. Zu sagen, der Mensch gräme sich zur Unzeit, hieße übrigens von der Fragestellung abzuweichen, denn hier geht es nicht darum zu wissen, ob sein Kum71

»Aller Dinge wird man ja überdrüssig, des Schlafs und der Liebe, der süßen Gesänge und des schönsten Tanzes.« Homer, Ilias, Buch XIII, Vers 636. Man sehe einen ähnlichen Ausspruch von Pindar, oben in Fußnote (4) des letzten Artikels BERENICE. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.

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mer begründet oder die Wirkung seiner Schwachheit ist; es geht darum zu wissen, ob er Kummer hat. Eben dies nun, daß man sich grundlos grämt und sich durch eigenes Verschulden unglücklich macht, ist ein Übel. (…). Viele Leute sagen, daß die meisten ein wenig älteren Menschen la Mothe le Vayer gleichen, der nicht ein zweites Mal dasselbe Gute und dasselbe Übel durchleben wollte, das ihm während seines Lebens widerfahren war.80 Wenn dies so wäre, so müßte man glauben, ein jeder mache die Erfahrung, daß nach genauer Abwägung aller Dinge die genossenen Vergnügen nicht den erlittenen Mißvergnügen und Schmerzen gleichkommen. Ich führe den Umstand nicht an, daß niemand mit seiner Lage zufrieden ist,81 denn das ist kein Beweis dafür, daß sich jedermann für weniger glücklich als unglücklich hält. Vier mit zwanzig Annehmlichkeiten vermischte Unannehmlichkeiten wären imstande, einen Menschen dazu zu bringen, einen anderen Zustand herbeizuwünschen, ich will sagen eine Lage, die keine Unannehmlichkeiten oder nur eine oder zwei auf vierzig Annehmlichkeiten enthält. Auf der anderen Seite sollte man nicht mit Laktanz82 gegen mich anführen, die Menschen seien so empfindlich, daß sie sich über das geringste Übel beklagen, als ob es all das Gute absorbierte, das sie genossen haben. Denn die Erwägung, was an und für sich betrachtet die dem Menschen zugeteilte absolute Quantität von Gut und Übel sein könnte, trägt hier nichts aus; wir dürfen nur die relative Qualität betrachten oder, um mich deutlicher aus-

80

Man sehe die Anmerkung (F) des Artikels VAYER und ziehe das in der Anmerkung (R) des Artikels TULLIA über Cicero Gesagte hinzu. Beide Artikel nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  81 Die folgenden Verse von Horaz, Buch I, zu Beginn der ersten Satire, enthalten eine sehr gut verbürgte Sache. »Woher kommt es, Maecenas, daß niemand mit dem Los zufrieden ist, das er sich selbst bescherte oder das Schicksal ihm zuerteilte, und daß man stets diejenigen preist, die anderen Wegen folgen?« 82 Ich habe seine Worte im Artikel TULLIA, Fußnote (83) zitiert. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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zudrücken, wir dürfen nur die Empfindung der Seele betrachten. Ein an sich sehr großes Gut, das aber nur ein sehr mittelmäßiges Vergnügen hervorruft, darf nur als ein mittelmäßiges Gut angesehen werden; aber ein an sich kleines Übel, das eine unerträgliche Beunruhigung, Sorge oder Schmerzempfindung hervorruft, muß als ein sehr großes Übel angesehen werden, so daß es, um einen Menschen als weniger glücklich als unglücklich bezeichnen zu können, genügt, wenn man ihm drei Übel auf dreißig Güter schickt, sofern diese drei Übel, sie mögen an sich so gering sein, wie man will, ihm mehr Beunruhigung verschaffen als die dreißig Güter, sie mögen an sich so groß sein, wie man will, ihm an Vergnügen bereiten. Die Stelle des Statthalters einer Provinz ist an sich ein viel größeres Gut als ein Band; und dennoch, wenn ein Herzog und Pair mehr Freude dabei empfindet, ein Band von seiner Geliebten zu erhalten als von seinem König die Statthalterschaft einer Provinz zu empfangen, so sage ich, daß für ihn ein Band ein viel größeres Gut wäre als das Ansehen des Statthalters. Aus demselben Grund wäre der Raub dieses Bandes für ihn ein viel größeres Übel als die Amtsenthebung, wenn er durch den Verlust des Bandes mehr Kummer empfinden würde als durch den Verlust des Amtes. Deshalb kann niemand zuverlässig über Unglück und Glück seines Nächsten urteilen.83 Wir wissen nicht, was ein anderer empfindet, wir kennen lediglich die äußeren Ursachen des Übels und des Guten. Nun entsprechen diese Ursachen nicht immer ihren Wirkungen; diejenigen, die uns klein erscheinen, bringen oft eine lebhafte Empfindung hervor; diejenigen, die uns groß erscheinen, bringen sehr häufig nur eine schwache Empfindung hervor. Die folgenden Worte von Tacitus sind ein Orakel: »Das ist nicht gut oder schlecht, was gewöhnlich dafür gehalten wird. Viele Leute, die von Widrigkeiten bedrängt scheinen, sind glücklich, wenn sie ihr schweres Schicksal gedul83

»Die Frage nach dem höchsten Maß an Glück, das ein Mensch genossen hat, entzieht sich der menschlichen Beurteilung, weil jedermann das Glück selbst auf andere Weise und seiner Anlage entsprechend bestimmt.« Plinius, Buch VII, Kap. 40, S. 62 meiner Ausgabe.

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dig tragen; und viele Leute sind elend, obwohl sie mit vielen Gütern gesegnet sind, weil sie den Wohlstand unüberlegt nutzen.«84 Man muß nur die Bedeutung von »unüberlegt« ausdehnen, so daß sie die Anlage des Temperaments einschließt, die dafür verantwortlich ist, daß man mit Kummer oder ohne Freude die Wohltaten des Schicksals besitzt. All dies zeigt, daß niemand mit Gewißheit beurteilen kann, ob das Schicksal seines Nächsten aus den zwei Fässern Homers85 derart geschöpft ist, daß die Portion des Guten ebenso stark oder sogar noch stärker ist als die des Übels. Alles, was man mit völliger Gewißheit sagen kann, ist, daß das Schicksal keines Menschen jemals einzig aus dem guten Faß geschöpft worden ist. (…).

Die Fürsten und die Großen sind weniger glücklich als die anderen Menschen Es ist sicher, daß, wer Menschen finden wollte, die mehr Glück als Unglück verspürt hätten, sie viel eher unter Bauern und kleinen Handwerksleuten antreffen würde als unter Königen und Fürsten.90 Man lese folgende Worte eines großen Mannes: »Ihr glaubt also, daß sich das Mißvergnügen und die entsetzlichsten Schmerzen nicht unter dem Purpur verstecken oder daß ein Königreich ein universales Heilmittel gegen alle Übel ist, ein Balsam, der sie lindert, und ein Zauber, der sie aufhebt? Es ist gemäß dem göttlichen Ratschluß, der noch den hervorgehobensten Stellungen ihr Gegengewicht zu geben weiß, vielmehr so, daß diese Großartigkeit, die wir von ferne wie etwas Übermenschliches bewundern, weniger reizt, wenn man in ihr geboren ist oder wenn sie sich in ihrem Überfluß selbst verliert. Im Gegenteil, es bildet sich bei den Hoheiten eine neue Sensibilität für die Mißvergnügen heraus, deren Schlag um so härter 84 85 90

Tacitus, Annales, Buch VI, Kap. 22. Man sehe den Artikel MANICHÄER, Anmerkung (C). Man lese Horaz, Epoden, Ode II.

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ist, je weniger man darauf vorbereitet ist, ihn auszuhalten.«91 Dies sind die zwei Quellen des Elends der Großen: der ununterbrochene Genuß der angenehmen Seite ihres Standes macht sie unempfindlich für das Gute und sehr empfindlich für das Übel. Wenn man ihnen drei gute und eine schlechte Nachricht überbringt, so empfinden sie das Glück, das in den ersteren liegt, fast nicht, empfinden aber sehr lebhaft, was an Elend in der letzteren liegt. Kann es ihnen also an Kummer mangeln? Stoßen ihnen Glücksfälle zu, die nicht von irgendeiner Widrigkeit durchzogen sind? Wenn man all das liest, was Gustav sc. Adolf  in Deutschland getan hat, so findet man darin ein beinahe beispielloses Ausmaß an Glück; und dennoch trifft man dabei auf eine so große Vermischung mit ungünstigen Ereignissen, daß man mühelos begreift, daß er viel Kummer ertragen mußte.92 Selbst wenn man annimmt, daß die in einigen Provinzen errungenen Siege nicht mit den andernorts erlittenen Verlusten zu vergleichen sind, wird man Anlaß zu der Annahme haben, daß die Freude nicht völlig ungetrübt war. Hunderterlei unerbetene Gedanken kommen, um sie zu stören. Man bildet sich ein, der Angriff sei zu früh oder zu spät geführt worden, man habe zu viele Leute verloren, man habe sich die Kopflosigkeit der Besiegten nicht zunutze gemacht, man habe sie sich von ihrem Schrecken erholen lassen; man glaubt zu sehen, daß der Sieg vollständiger gewesen sein würde, wenn man sich auf andere Weise verhalten hätte. Wie viele Feldherren gibt es nicht, welche die Nacht nach vollständigen Siegen sehr schlecht zugebracht haben? Sie fühlen, daß sie irgendeinem Zufall, einem Fehler des Feindes oder manchmal sogar ihren eigenen Fehlern zu Dank verpflichtet sind. Sie spüren, daß sie nicht alles getan haben, was möglich gewesen wäre. Sie fürchten die spöttischen Kommentare der Fachleute und die boshaften Bemerkungen ihrer Feinde. Kurzum, sie können sich selbst 91

Jaques-Bénigne Bossuet, Bischof von Meaux, Oraison funebre de Marie Therese d’Austriche, Reine de France, S. 78 f. der holländischen Ausgabe. 92 Er war gezwungen, Flugschriften gegen diejenigen zu publizieren, die ihm vorwarfen, die Einnahme Magdeburgs nicht verhindert zu haben.

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kein gutes Zeugnis ausstellen noch innerlich die Lobgesänge billigen, die man auf sie anstimmt. Das beunruhigt und quält sie. Ihr Gewissen, das bei Überschreitungen des göttlichen Gesetzes manchmal völlig eingeschlummert ist, ist von einer erstaunlichen Lebhaftigkeit bezüglich der Überschreitungen der Kriegsgesetze und der Nichtbeachtung der Regeln, die ein fähiger Feldherr befolgt hätte. Man beachte, daß die glücklichsten Fürsten, seien sie es infolge des Siegs in einer Schlacht oder infolge der Einnahme einer Stadt, diejenigen sind, welche die Niederlage eines Heeres oder die Aufhebung einer Belagerung am tiefsten betrübt. Eine lange Folge von Widrigkeiten verhärtet die anderen, aber diese hier werden fast unempfindlich für den glücklichen Erfolg und unendlich empfindlich für die geringsten Widrigkeiten. Augustus bietet uns ein Beispiel dafür. Er hat bei tausenderlei Gelegenheiten die handfestesten und glänzendsten Vorteile über seine Feinde erhalten, die er sich wünschen konnte, und hat die Wirkungen des Unglücks kaum erfahren; aber der Verlust von drei Legionen hat ihn so fürchterlich getroffen, daß man sagen kann, er habe damals mehr Übel erlitten, als ihm zehn Siege Freude bereitet hätten. (…). Man kann nicht besser als durch das Beispiel des Augustus beweisen, daß man auf den Thronen keine glücklichen Menschen suchen darf. Denn wenn dort jemand vom Glück begünstigt gewesen ist, dann war es Augustus, und trotzdem ist die Liste seiner Kümmernisse94 so lang, daß jedermann daraus schließen muß, daß er zumindest ebensoviel Übel wie Gutes empfunden hat. Man sehe, was ich über Karl V.95, über die Königin Elisabeth96, über Ludwig XI.97 und über Ludwig XIII.98 anmerke. (…) 94

Man findet sie bei Plinius, Buch VII, Kap. 45. In der Anmerkung (L) seines Artikels. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  96 In der Anmerkung (S) ihres Artikels. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  97 In der Anmerkung (T) seines Artikels. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  98 In der Anmerkung (B) seines Artikels. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  95

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Was ich soeben von den Königen gesagt habe, kann man dem Verhältnis entsprechend von allen denjenigen sagen, welche die Vorsehung in bedeutende Ämter erhoben hat und die unter irgendeinem Gesichtspunkt hervorragen. Ihr Schicksal stellt eine Mischung dar, in der das Übel häufiger Gelegenheit zur Vorherrschaft findet. Großes Wissen und große Begabung befreien keineswegs von diesem Verhängnis. Einen glücklichen Zustand suche man eher unter dem ungebildetsten Pöbel als unter den berühmtesten Männern der Wissenschaft; der Ruhm, der die gefeierten Autoren und Redner umgibt, erspart ihnen nicht tausenderlei Sorgen. Er setzt sie dem Neid auf zwei sehr beschwerliche Weisen aus. Sie haben Rivalen, von denen sie verfolgt werden, und sie sind ihrerseits eifersüchtig auf die Lobreden, die andere erhalten; ein Druckfehler grämt sie mehr, als vier Briefe voller Lobsprüche ihnen Freude bereiten. Der Ruhm, den sie erworben haben, vermindert ihre Sensibilität für das Lob und vermehrt ihre Empfindlichkeit für das Ausbleiben des Lobes, für den Tadel, für das Teilen des Ruhmes usw. Außerdem wissen sie um so besser, daß ihre Werke unvollkommen sind, je mehr Verstand sie besitzen. Wenn sie sich vor den Schwachheiten der Vorurteile und den Behinderungen durch hunderterlei bedeutungslose Leidenschaften bewahren und wenn sie ihre Sprache und ihr Verhalten nach ihrem Seelenzustand einrichten wollen, so machen sie sich verhaßt und müssen auf äußere Vorteile verzichten. Wenn sie sich nicht in diesen Wirbel begeben, stehen sie nicht außerhalb seines Wirkungsbereichs; im Gegenteil, sie geraten viel tiefer in seinen Sog, als wenn sie sich hineinbegeben würden, um dort Verwüstungen anzurichten. Passen sie sich hingegen äußerlich dem verdorbenen Geschmack der Welt an, werfen sie sich selbst hundertmal am Tag ihre feige Heuchelei vor und stören dadurch ihre Ruhe. Es gibt wenige, die es wie Demokrit vermochten, die Wunderlichkeiten der Leidenschaften zu erkennen und darüber zu spotten. Wie aufgeklärt war doch dieser Philosoph in dieser Hinsicht! Man lese den Brief von Hippokrates an Damagetes und füge die Erläuterung hinzu, die ein Autor des 16. Jahrhun-

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derts105 dazu veröffentlicht hat. Er entwickelt auf elegante Weise und Stück für Stück das, was der griechische Autor im allgemeinen gesagt hat. Er macht sich mit dieser Beurteilung einen Spaß, und man merkt sehr deutlich, daß er selbst Kummer hatte und daß er, wenn man ihn gefragt hätte »Welche üble Laune läßt du zur Unzeit sehen?« hätte antworten können: »Das kommt daher, weil ich nicht zu den glücklichen Autoren gehöre.«106 (…). Es ist an der Zeit, mit diesen Gemeinplätzen ans Ende zu kommen. Tun wir es mit vier kleinen Anmerkungen. 1) Wenn man das menschliche Geschlecht im großen und ganzen nimmt, so scheint es, daß Xenophanes hätte sagen können, daß der Kummer und der Schmerz darin das Vergnügen überwiegen, 2) daß es Privatpersonen gibt, bei denen man Anlaß hat zu vermuten, daß sie in diesem Leben viel mehr Gutes als Übles empfinden, 3) daß es andere gibt, von denen man glauben kann, daß sie viel mehr Übles als Gutes empfinden, 4) daß mein zweiter Satz hauptsächlich hinsichtlich derjenigen wahrscheinlich ist, die sterben, bevor sie ein hohes Alter erreicht haben, und daß der vierte* Satz hauptsächlich hinsichtlich derjenigen gewiß scheint, die ein sehr hohes Alter erreichen. Wenn Racan versichert, »daß die Götter ausschließlich für sich selbst den Ruhm geschaffen haben und für uns die Vergnügen«,108 so richtet er sein Augenmerk zweifellos einzig auf die Blütezeit des Lebens. Das ist die Zeit, in der die Vergnügen vorherrschen und die Waage zur Seite des Guten ausschlägt.109 Die 105

Alardus Amstelredamus. Diese Erläuterung der Epitre d’Hippocrate ist in dem Kloster von Egmond in Holland im Jahr 1526 verfaßt worden. Ich bediene mich der Ausgabe Solingen, bei Johannes Soter, 1539 in 8°. 106 Diese Verse entstammen einem der Werke von Quinault. Ich tausche dabei nur ein Wort aus, nämlich »Verliebte« gegen »Autoren«. * Recte: dritte. Hgg.  108 Man sehe seinen Lettre à Balzac in Bd. II des Recueil de lettres nouvelles, Paris 1684, S. 300. 109 Dem steht die folgende Stelle des Psalmisten nicht entgegen: »Auch ist die Blüte dieses Lebens von der Art, daß man stets Schmerz und Martern

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Nemesis der Heiden leistet Vorschuß und gibt Kredit. Sie ist damit einverstanden, daß Rechnungen ausgestellt und nicht beglichen werden; aber sie hält sich am Alter schadlos. (…).

(H) In den verbotenen Freuden ein Mittel gegen ihre Ängste zu suchen. Heißt das nicht, sich von einem physischen durch ein moralisches Übel zu befreien? Ist ein solches Mittel nicht schlimmer als die Krankheit? Ist man folglich nicht sehr unglücklich, wenn man keine bessere Hilfe kennt? Es ist ganz gewiß, daß unzählige Leute keine bessere finden. Die Schreiereien zu Hause, der Anblick des erbärmlichen Zustands des Haushalts zwingen sie, auszugehen und zu spielen oder das Wirtshaus aufzusuchen, um zu trinken. Ohne das können sie ihre Schwermut nicht vertreiben; es ist die einzige Zerstreuung, die sie dem Kummer entgegensetzen. Einige darunter betrinken sich gar vorsätzlich, um die Unruhezustände der Nacht zu vermeiden – eine Zeit, in der sie besonders unpäßlich sind. Sie haben erfahren, daß die Unruhezustände sie am Schlaf hindern und sie allzu grausam auf ihr Elend aufmerken lassen. Deshalb verschaffen sie sich durch den Wein einen tiefen Rausch. Das heißt dem elenden Schicksal so viel weggenommen, das heißt den fürchterlichsten Teil der vierundzwanzig Stunden des Tages retten. Allgemein gesprochen können die Frauen sich nicht dieses Schutzes gegen den Kummer bedienen, und deshalb ist ihr Zustand noch beklagenswerter als der der Männer. Daher kommt es, daß die Medea des Euripides erklärt, eine schlecht verheiratete Frau sei in einem so erbärmlichen Zustand, daß es besser für sie wäre zu sterben, als in ihm weiterzuleben, denn sie kann nicht wie die Männer außerhalb des Hauses den nötigen Trost suchen. »Wenn wir es dann mühsam geschafft haben und der Gatte mit uns lebt und freiwillig mit uns das Joch trägt, dann leidet.« Denn Moses recte: David. Hgg.  stellt nur den Zustand dar, in dem die Juden damals waren.

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ist das Leben beneidenswert. Wenn aber nicht, dann ist es besser zu sterben. Der Mann geht, wenn ihn die häuslichen Verhältnisse quälen, außer Haus und befreit sein Herz vom Verdruß und wendet sich an einen Freund oder Altersgenossen. Uns aber ist nur der Blick auf einen Menschen gegönnt.«117

(K) Es erstaunt mich, daß der Rabbi Maimonides (---) glauben konnte, er hätte die Lehre zureichend widerlegt, von der ich spreche. Er räumt ein, daß die Heiden und sogar einige Rabbiner Reden über das Übergewicht des Übels gehalten haben, aber er bezeichnet diese Leute als verrückt und lächerlich. (…).121 Seiner Meinung nach liegt der Grund ihres törichten Irrtums darin, daß sie sich einbilden, die Natur sei nur für sie geschaffen worden, und daß sie dasjenige für nichts achten, was keine Beziehung zu ihrer Person hat. Daraus schließen sie, daß, wenn sich etwas ereignet, das ihren Wünschen zuwider ist, alles im Universum schlecht läuft. Er fügt hinzu, daß, wenn man die Unerheblichkeit des Menschen angesichts des Universums betrachtete, man deutlich begreifen würde, daß es kein Übergewicht des Übels bei den Engeln, den himmlischen Körpern, den Elementen, den gemischten unbeseelten Körpern und bei mehreren Tierarten gibt. Diese Bemerkung des Maimonides geht am Thema vorbei, denn diejenigen, die er widerlegt, meinen nur, daß das Übel das Gute bei den Menschen überwiegt. Was nützt es dann, um sie von ihrem Irrtum zu überzeugen, zu sagen, das Übel überwiege das Gute in der übrigen Schöpfung nicht? Alle unbeseelten Körper sind für das Gute und das Übel unempfänglich; sie dürfen bei dieser Frage also nicht in Anschlag gebracht werden. Und jedermann kann mit Recht behaupten, daß, wenn alles das, worin wir die Ordnung, Schönheit und 117

Euripides in der Medea, Vers 241, S. 276 meiner Ausgabe. Moses Maimonides, More nebuchim, Teil III, Kap. 12, S. 354 f. meiner Ausgabe. 121

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Vollkommenheit der himmlischen Körper usw. erblicken, geändert würde, dies kein Übel für das Universum wäre, selbst wenn der Mensch oder irgendein anderes besonderes Geschöpf dadurch Schaden erlitte. Wenn die Sonne und die Planeten denselben Schwankungen unterworfen wären wie die Schiffe, die bald in weniger, bald in mehr Tagen ohne irgendeine bestimmte Regel zwischen Marseille und Neapel hin und her fahren, könnte man dann nicht behaupten, daß dies mit Blick auf das gesamte Universum kein Übel, keine Unvollkommenheit und keine Unordnung ist? Im Anschluß daran sagt Maimonides, daß die Übel des Menschen in drei Klassen eingeteilt werden können. Die erste Klasse umfaßt die Übel, die daher stammen, daß der Mensch einen Körper hat; die zweite Klasse diejenigen, die aus den Machenschaften der Menschen gegeneinander hervorgehen; die dritte diejenigen, die der Mensch sich selbst durch seine eigenen Begierden bereitet. Maimonides stellt schöne Betrachtungen über dies alles an, aber er verläßt die Frage, denn es geht nicht um die Ursache des menschlichen Unglücks, sondern um die Tatsachenfrage, ob die Übel, welche die Menschen erleiden, die Güter überwiegen, deren sie sich erfreuen. Man hat gut sagen, daß wir selbst die Ursache unseres Unglücks sind, daß wir uns sehr oft grundlos betrüben, daß die Freuden des Lebens zahllos und manchmal sogar sehr lang sind; dies alles taugt nicht, um die Schwierigkeit zu heben. Ein Körnchen Übel verdirbt sozusagen hundert Pfund Gutes;123 ein Stück Eisen mit dem Hitzegrad sieben brennt stärker als hundert Eisenstücke mit dem Hitzegrad vier. Kein Übel ist gering, wenn es als groß empfunden wird, und nichts bereitet einem bekümmerten Menschen mehr Verdruß, als zu wissen, daß er keinen Grund hat, bekümmert zu sein. »Es gibt«, sagt Saint-Evremond, »eine Art von Kummer, dessen Ursache ich nicht zu erraten vermag. Und weil man seinen wahren Anlaß nicht erkennen kann, finde ich es schwer, ihn zu mildern oder sich vor ihm 123

Das Meerwasser, dessen bitterer Geschmack unerträglich ist, enthält vierzig oder zweiundvierzig Mal mehr süße als salzige Teile.

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zu schützen. (---). Diese Art von Kummer ist allen Menschen gemeinsam; es sind diese Verdrießlichkeiten, die uns mit uns selbst entzweien und die, indem sie uns zu erkennen geben, daß wir keinerlei Grund haben, verdrießlich zu sein, uns zwingen, uns trotz unserer Selbstliebe einzugestehen, daß wir ungerecht und unvernünftig sind.«124

(L) Xenophanes hat an die Unbegreiflichkeit aller Dinge geglaubt. Wir wollen diese Anmerkung mit einer Stelle aus Diogenes Laertius beginnen: »Sotion irrt, wenn er sagt, Xenophanes habe als erster die Unbegreiflichkeit aller Dinge behauptet.«125 Man kann diesen Worten nicht entnehmen, ob Diogenes Laertius bestreitet, daß Xenophanes die Unbegreiflichkeit aller Dinge  vertreten hat, denn er könnte es einräumen und Sotion trotzdem einen Irrtum vorwerfen. Dieser Vorwurf wäre berechtigt, wenn andere vor Xenophanes gelehrt hätten, daß alle Gegenstände unseres Geistes über unseren Verstand gehen. Es gibt tausend ähnliche Stellen bei Diogenes Laertius, und das macht ihm kaum Ehre, denn ein genauer Kopf hätte diese Äquivokationen und Dunkelheiten vermieden. Vermutlich hat er sagen wollen, daß Xenophanes nicht die Unbegreiflichkeit aller Dinge  lehrte;126 aber gleichzeitig denke ich, daß er unrecht hatte, so von diesem Philosophen zu sprechen. Alles spricht dafür, daß Xenophanes lehrte, daß wir nichts von der Natur der Dinge begreifen können. Plutarch zufolge hat er gesagt, daß unsere Sinne und unsere Vernunft trügerische Vermögen sind.127

124

Saint-Evremond im Discours des ennuis et des déplaisirs. Ich zitiere ihn nach dem Auszug eines Anonymus, der diesen Autor kritisiert hat, S. 137; denn meine holländische Ausgabe von 1693 (in Bd. IV, S. 45) enthält nur einen Teil dessen, was der Kritiker berichtet. 125 Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 20. 126 Man sehe unten Fußnote (142) die Stelle bei Sextus Empiricus. 127 »Er behauptet, die Sinne seien trügerisch, und zusammen mit ihnen

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Anderen zufolge hat er das Zeugnis der Sinne zurückgewiesen, um zu schließen, daß man nur der Vernunft Glauben schenken darf, und ihrer Meinung nach ist er der erste Urheber dieser Lehre gewesen. »Sie meinen, wir müßten die Sinne und alle sinnlichen Vorstellungen gänzlich zurückweisen und einzig der Vernunft Glauben schenken. Und zuerst hätten Xenophanes und Parmenides (---) diese Lehre vertreten.«128 Ich glaube, daß Plutarch uns das System des Xenophanes zuverlässiger darstellt als Aristokles. Ich glaube, daß Xenophanes der Vernunft kaum mehr getraut hat als den Sinnen. Folgendes überzeugt mich davon. Er war der erste, der lehrte, daß alles Geschaffene vergänglich ist.129 Er lehrte außerdem, daß alle Dinge nur ein einziges Wesen seien, daß es weder Entstehen noch Vergehen gebe und daß dieses einige Wesen immer dasselbe bleibe und keinem Wechsel ausgesetzt sein könne.130 »Diese sc. Philosophen  lehrten, daß alles, was ist, genau genommen nur eins ist, und was von ihm verschieden ist, das ist nicht. Nichts entsteht, nichts vergeht, nichts verändert sich überhaupt.«131 Das Folgende ist eine klarere Darstellung der Prinzipien des Xenophanes in ihrem ganzen Zusammenhang. Zunächst versichert er,132 daß nichts aus nichts entsteht, d. h. um jede Äquivokation zu vermeiden, daß ein Ding, das nicht immer existiert hat, niemals existieren kann. Daraus schließt er, daß alles, was ist, immer dagewesen ist; folglich, so fügt er hinzu, ist dasjenige, was immer dagewesen ist, ewig. Was ewig ist, ist unendlich; was unendlich ist, ist einig; denn wenn es mehrere Wesen entwirft er auch der Vernunft vor, in allem zu trügen.« Plutarch, Stromata, bei Eusebius, De praeparatione evangelica, Buch I, Kap. 8, S. 23 B. 128 Aristokles, De philosophia, Buch VIII, bei Eusebius, a. a.O., Buch XIV, Kap. 17, S. 756 B. 129 »Er hat als erster festgesetzt, daß alles, was entsteht, vergänglich ist.« Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 19. 130 Man sehe Platon, Sophistes, S. 170 C meiner Ausgabe. 131 Aristokles, bei Eusebius, a. a.O. 132 Man sehe die Abhandlung des Aristoteles über Xenophanes, Zenon und Gorgias am Anfang von Bd. I seiner Werke, S. 939 der Ausgabe Genf 1605.

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hielte, würde das eine das andere begrenzen, und es wäre folglich nicht unendlich. Darüber hinaus, so sagte er, gleicht das, was einig ist, durchgängig sich selbst; denn wenn es einen Unterschied einschlösse, wäre es nicht ein Wesen, sondern mehrere Wesen. Schließlich muß dieses einige, ewige, unendliche Wesen unbeweglich und unveränderlich sein; denn wenn es seinen Ort wechseln könnte, so gäbe es etwas außerhalb seiner und es wäre folglich nicht unendlich; und wenn es, ohne den Ort zu wechseln, verändert werden könnte, so würde die Hervorbringung von etwas, das nicht zu allen Zeiten dagewesen ist, beginnen, und etwas, das zu allen Zeiten dagewesen ist, würde aufhören zu sein. Nun ist das unmöglich, denn alles, was zu existieren beginnen würde, ohne ewig existiert zu haben, würde aus nichts hervorgebracht werden, und alles, was keinen Anfang gehabt hat, ist von notwendiger Existenz und kann folglich niemals aufhören zu existieren. So lauteten seine Prinzipien, wenn wir Aristoteles glauben wollen.133 Ich zweifle nicht, daß sie ihm evident erschienen und daß er glaubte, hier eine Abfolge von Konsequenzen zu haben, die sich notwendig aus einem unumstößlichen Prinzip ergeben. Die rechtgläubigen Theologen würden ihm bestreiten, daß nichts einen Anfang haben könnte, aber sie würden ihm zustimmen, daß das Wesen, das niemals begonnen hat, einig, unendlich, unbeweglich und unveränderlich ist und daß alles dasjenige, dessen Existenz notwendig ist, unzerstörbar ist. Sie lehren, und zwar mit gutem Grund, daß Gott keinerlei Veränderung unterworfen ist, denn wenn ihm irgendeine Veränderung widerführe, so würde er etwas annehmen oder verlieren. Das, was er annehmen würde, wäre entweder von seiner Substanz verschieden oder ein mit seiner Substanz identischer Modus. Wenn es ein verschiedenes Wesen wäre, so wäre Gott nicht ein einfaches Wesen, und, was noch schlimmer ist, er wäre aus einer ungeschaffenen und einer geschaffenen Natur zusammengesetzt.134 Wenn es ein mit

133 134

A. a.O. Wenn ein Wesen von einem anderen verschieden ist, so ist es daraus

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seiner Substanz identischer Modus wäre, könnte Gott ihn nur hervorbringen, indem er sich selbst hervorbringt. Weil er nun aber unabhängig von seinem Willen existiert und weil er sich zu Anbeginn nicht selbst seine Existenz gegeben hat, so folgt, daß er sie sich niemals geben kann. Weil ferner nichts, was notwendig existiert, aufhören kann zu sein, so folgt mit höchster Notwendigkeit, daß Gott niemals verlieren kann, was er einmal gehabt hat. Nun ist alles, was man »Modifikation« oder ens inhaerens in alio ein Wesen, das einem anderen inhäriert  nennt, von solcher Natur, daß es nur durch die Zerstörung einer anderen Modalität hervorgebracht werden kann; genauso wie eine neue Figur notwendigerweise die Zerstörung der alten bedeutet. Das ist der Grund, weshalb Gott, wenn er irgend etwas Neues annehmen würde, notwendigerweise etwas anderes verlieren müßte. Denn dieses neu Angenommene würde keine Substanz, sondern ein Akzidens oder ein ens inhaerens in alio sein. Weil also nichts von dem, was notwendigerweise existiert, aufhören kann zu existieren, folgt, daß Gott niemals irgend etwas Neues annehmen kann. Auf diese Weise wird die Unveränderlichkeit Gottes auf evidente Begriffe gestützt. Xenophanes fügte diesen Maximen die folgende hinzu, daß nichts aus nichts entsteht. Nun würde jedes neu hervorgebrachte und von der göttlichen Substanz verschiedene Akzidens aus dem Nichts gezogen sein. Also wäre er gezwungen zu leugnen, daß das ewige Wesen irgendeinen von seiner eigenen Substanz verschiedenen neuen Modus annehmen könnte. Er würde sich aber in großer Verwirrung befinden, wenn man ihm die kontinuierlichen Erzeugungen zeigte, die in der Natur geschehen. Sie beweisen sowohl, daß das Universum nicht ein einziges Wesen ist, als auch, daß es etwas Veränderliches enthält, weil es sich tatsächlich verändert. Um sich von diesem Einwand zu befreien, hat er das Zeugnis der Sinne verworfen. Er sagt, daß sie uns täuschen, daß es nicht wahr ist, daß es Erzeugungen in der Natur gibt, und daß dies nur irrige Erscheinicht zusammengesetzt; und deshalb ist jedes von jedem anderen verschiedene Wesen aus nichts gemacht, es ist folglich erschaffen worden.

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nungen sind. Aber, so wird man zweifellos zu ihm gesagt haben, die Erscheinungen der Sinne würden sich nicht ändern, wenn unsere Seele immer dieselbe bliebe, wenn die Wesen, die außerhalb unser sind, sich nicht veränderten. Es ist also zumindest erforderlich, daß dasjenige, was in uns das passive Subjekt der Perzeptionen ist – die ihr Sinnestäuschungen nennt –, ein bewegliches und veränderliches Wesen ist. Also ist es nicht wahr, wie ihr behauptet, daß es keinerlei Wechsel im Universum gibt. Ich sehe nicht, daß er darauf etwas anderes als das folgende hätte antworten können: »Unsere Vernunft ist ebenso trügerisch wie unsere Sinne, alles ist ihr unbegreiflich. Denn selbst dann, wenn sie sich auf die Evidenz stützt, die ihr non plus ultra ist, trifft sie die Wahrheit nicht. Das ist ein Zeichen, daß die Wahrheit etwas Unbegreifliches und Unerforschliches ist. Indem ich mich auf evidente Begriffe stützte, habe ich versichert, daß nichts aus nichts entsteht, woraus notwendigerweise folgt, daß nichts beginnen kann und daß alles, was einmal existiert, immer existiert. Das beweist deutlich die Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit aller Dinge. Ich hatte, sage ich, dies klar begriffen, und trotzdem überzeugt mich die Erfahrung meiner Empfindungen und meiner Leidenschaften, daß ich veränderlich bin. Ich hatte also nichts mit Gewißheit begriffen, ich habe also kein der Wahrheit angemessenes Vermögen.« Man darf annehmen, daß er auf diese Art räsoniert hat, und von daher könnten wir schließen, daß die Sekte der Akataleptiker135 und die der Pyrrhoneer ihren Ursprung ausschließlich in dem von Xenophanes behaupteten Prinzip der unveränderlichen Einheit aller Dinge haben. Ich behaupte nicht, daß er mit den Konsequenzen recht hatte, die man soeben gesehen hat; ich führe dies nur an, damit man sieht, daß ich nicht ohne gute Gründe dem Historiker dieses Philosophen widerspreche.136 Ich habe an erster Stelle das Zeugnis von So135

Das waren diejenigen, welche die Unbegreiflichkeit aller Dinge lehr-

ten. 136

Man sehe, was ich aus Diogenes Laertius zu Beginn dieser Anmerkung zitiert habe.

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tion137 auf meiner Seite, das von Cicero,138 das von Plutarch139 und einige Verse von Xenophanes,140 die Diogenes Laertius141 nicht unbekannt gewesen sind. An zweiter Stelle kann ich sagen, daß Xenophanes Prinzipien gehabt hat, die ihn, wie ich soeben bewiesen habe, notwendigerweise dazu brachten, die Unbegreiflichkeit aller Dinge  anzunehmen. Wir wollen die Verse anführen, in denen er seine Meinung äußert. »Niemand weiß mit Gewißheit und wird jemals mit Gewißheit etwas über die Götter und über alles von mir Gesagte wissen. Denn wenn das, was jemand vortragen mag, auch vollkommen klingt, so weiß er es doch nicht. In allem, was er sagt, trägt er nur seine Meinung vor.«142 In diesen Worten sieht man deutlich, daß Xenophanes erklärt, daß niemand zur klaren und gewissen Erkenntnis der Wahrheit gelangt und daß ein Mensch, wenn er auch die Wahrheit getroffen hätte, nicht wissen könnte, daß er sie getroffen hat. In allen Dingen, so fährt er fort, können wir nur Meinungen erreichen. Sextus Empiricus143 reiht ihn deutlich unter diejenigen ein, die leugnen, daß es ein criterium veritatis oder eine Regel, ein Maß der Wahrheit gäbe. Ich räume ein, daß er nicht die Meinung derjenigen übernimmt,144 die ihn zu den Akataleptikern zählen, aber er schreibt ihm dennoch den Glauben zu, daß man die Dinge niemals bis zu dem Grade der Gewißheit begreift, der das Wissen begründet, und daß man immer nur bis zu Wahrscheinlichkeitsurteilen gelangt. Heißt das nicht im Grunde, die Akatalepsie oder die unbegreifliche Natur der Dinge zu behaupten? (…). Was die spezielle Frage anbelangt, ob dieser Philosoph 137

Man sehe oben Fußnote (125). 138 Man sehe unten Fußnote (147). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  139 Man sehe Fußnote (127). 140 Man sehe Fußnote (142) die Passage aus Sextus Empiricus. 141 Er zitiert deren Anfang in Vita Pyrrhonis, Buch IX, Nr. 72. 142 Xenophanes bei Sextus Empiricus, Adversus mathematicos, S. 146, 157, 280. Man sehe auch Plutarch, De audiendis poetis, S. 17 E. 143 A. a.O., S. 146. 144 A. a.O., S. 156 f.

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der erste ist, der die Unbegreiflichkeit aller Dinge  vertreten hat, wie Sotion versichert, so gibt es mehr Grund, das Urteil aufzuschieben, denn Platon sagt, daß andere vor Xenophanes an die Einheit aller Dinge geglaubt hatten;148 eine Lehre, die mir die Heerstraße zur Unbegreiflichkeit aller Dinge  zu sein scheint. Höchst merkwürdig sind die von Sextus Empiricus149 berichteten Verse des Timon. Ich weiß nicht, weshalb die Herausgeber diese Stelle nicht ins Lateinische übersetzt haben. Die Gründe, die Xenophanes zur Einheit aller Dinge führten, sind offensichtlich dieselben, die Aristoteles Melissus und Parmenides beilegt.150 Sie scheinen sehr subtil zu sein, wenngleich Aristoteles sie der Eigenart großer Genies entsprechend ein wenig dunkel wiedergibt, weil er es liebte, sich kurz zu fassen. Es handelt sich dabei zweifellos um Sophismen, ebenso wie bei denen, die man oben lesen konnte;151 aber trotzdem haben sie die Leser verführen können, und ich weiß nicht, ob Aristoteles diese beiden alten Philosophen immer gut widerlegt hat. Man mache sich die Mühe, die Jesuiten von Coimbra152 zu Rate zu ziehen, die einen der Gründe des Melissus in seiner ganzen Stärke zusammen mit der Antwort des Aristoteles vorgestellt haben. Man wird sehen, daß es nichts Schwächeres gibt als diese Antwort und daß es nicht zutrifft, daß Melissus in dem folgenden Satz schlecht schließt: »Wenn alles, was entstanden ist, einen Ursprung hat, dann hat das, was nicht entstanden ist, keinen Ursprung.« Aristoteles versichert, daß dies ein offensichtlicher Fehlschluß sei. »Es ist daher offenkundig, daß Melissus einen Fehlschluß begeht. Er meint nämlich annehmen zu dürfen, daß, wenn alles Gewordene einen Anfang

148

Platon, Sophistes, S. 170. Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch I, Kap. 33, S. 46 der Ausgabe Genf 1621. 150 Aristoteles, Physica, Buch I, Kap. 3. 151 Im Artikel STILPON, Anmerkung (H). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  152 Die Conimbricenser in der Erklärung des 3. Kapitels von Buch I der Physik des Aristoteles. 149

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hat, daß Nichtgewordene keinen hat.«153 »Nun ist«, so fügte Melissus hinzu, »nichts hervorgebracht worden; denn wenn irgend etwas hervorgebracht worden wäre, dann wäre es entweder aus nichts oder aus einer anderen Sache geschaffen worden. Wenn es aus einer anderen Sache geschaffen worden wäre, so hätte sie zuvor schon existiert, was Eurer Voraussetzung widerspricht; wenn es aus nichts geschaffen worden wäre, dann hätte also aus nichts etwas hervorgebracht werden können, was falsch ist.«154 Hier haben wir also ein demonstratives Argument gegen Aristoteles, der eine Schöpfung im eigentlichen Wortsinn nicht zuließ. Und was seine Unterscheidung zwischen dem Ursprung der Substanz und dem Ursprung der Formen und Qualitäten angeht, so ist sie im Rahmen der Lehre von der Unmöglichkeit der Schöpfung hinfällig, denn jede Substanz, die niemals angefangen hat und die notwendigerweise existiert, muß unveränderlich sein. Man würde also vergeblich nach den Ursprüngen von Entstehen und Vergehen suchen, denn es würde gar keine geben, wenn alle Dinge unerschaffen wären. Nach Aristoteles, der niemals die Maxime ex nihilo nihil fit bestritten hat, wären sie das nun. Aber nachdem man eingeräumt hat, daß dieser Einwand von Melissus, den man nur mit den Prinzipien der christlichen Rechtgläubigkeit hinsichtlich der Schöpfung auflösen kann, alle Kräfte des Aristoteles überstieg, muß man anerkennen, daß die anderen Subtilitäten von Melissus und Parmenides ihn nicht so sehr verwirrt haben und daß sie, wenn sie auf die Erfahrung, d. h. auf die Vielfältigkeit der Dinge angewendet werden, die uns das Universum vor Augen führt, lediglich als Kindereien gelten können. Beiläufig bemerke ich, daß der Jesuit, der Ciceros Werk De natura deorum kommentiert hat, ein wenig unbedacht die Partei von Xenophanes gegen Aristoteles ergriffen hat. »Zweifellos«, sagt er,155 »hat Velleius den Vorwurf vergessen, den Ari153 154 155

Aristoteles, Physica, Buch I, Kap. 3. Man sehe die Conimbricenser, a. a.O. Lescalopier zu Ciceros De natura deorum, Buch I, Nr. 28, S. 44.

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stoteles gegen Xenophanes in Buch I, Kapitel 5 der Metaphysik erhoben hat, wo er ihn als einen Mann von dunklen Begriffen und dunkler Rede bezeichnet und ihn als einen ungebildeten Menschen, der von jeder Gemeinschaft der Philosophen auszuschließen sei, zutiefst verachtet. Dennoch schreibt er Xenophanes eine Meinung über Gott zu, die keineswegs einen ungebildeten Geist verrät, nämlich (…), daß ›dasjenige, was eins ist, Gott ist‹, oder, wie Theophrast bei Lilius sagt, ›Gott ist das Eine, das Ganze und das Gesamte‹.« Dieser Priester tut sehr unrecht daran, Xenophanes eine vernünftige Meinung über die Natur Gottes zuzuschreiben; die Meinung dieses Philosophen darüber ist eine entsetzliche Gottlosigkeit, es ist ein gefährlicherer Spinozismus als derjenige, den ich im Artikel SPINOZA widerlegt habe, denn die Lehre Spinozas trägt durch die Veränderlichkeit bzw. durch die ununterbrochene Zerstörbarkeit, die er der göttlichen Natur hinsichtlich der Modalitäten zuschreibt, ihr Gegengift in sich. Diese Zerstörbarkeit empört die gesunde Vernunft und schockiert auf fürchterliche Weise gleichermaßen gewöhnliche und große Geister. Aber die Unveränderlichkeit in jeder Hinsicht, die Xenophanes dem unendlichen und ewigen Wesen beilegt, ist ein Lehrstück reinster Theologie; sie könnte also zugunsten der übrigen Lehre sehr verführerisch auf uns wirken. Auf der anderen Seite kann der schlimme Absturz dieses Philosophen ansteckender wirken als der Spinozismus. Weil dieser Mann sich nicht in der Position halten konnte, zu der ihn seine Vernunft geführt hatte, stürzte er in einen Abgrund. Er haderte mit seiner Vernunft, die ihn in Netze verstrickt hatte, die er nicht zerreißen konnte; er beschuldigte sie, unfähig zu sein, irgend etwas zu begreifen. Viele andere könnten sich in derartige Extreme stürzen, wenn sie nicht zu einem Hilfsmittel Zuflucht nehmen, das über der Vernunft ist. Aber der Jesuit, den ich widerlege, hat nicht in allem unrecht. Er konnte Aristoteles mit Recht für seine Verachtung des Genies des Xenophanes tadeln, denn wenn auch eine wahrhafte Größe des Geistes und eine starke Kraft des Verstandes es nicht erlauben, daß man auf diese Weise überwältigt wird, so ist es doch wahr, daß ein mittelmäßiger Geist niemals so hoch

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fliegen und so tief fallen wird wie Xenophanes. Er räsonierte viel konsequenter als Aristoteles, der, weil er keine Schöpfung zuließ, eine ewige und sukzessiv für unendlich viele Formen empfängliche Materie annahm. Wenn die Elefanten solche Spinnweben nicht zu fürchten haben, so müssen die Fliegen sie noch weniger fürchten. Es ist nicht Mittelmäßigkeit des Geistes, die es bezweifeln läßt,156 daß man bei einer legitimen Gewißheit angelangt ist;157 sie ist viel besser geeignet, Zutrauen zu spenden,158 als Mißtrauen zu säen, und man kann sagen, daß die Akataleptiker »durch ihren großen Verstand bewirken, daß sie nichts verstehen«159. Sie gelangen zu der Lehre von der Unbegreiflichkeit aller Dinge  nicht dadurch, daß sie nichts erkennen, sondern indem sie die Dinge viel besser als die meisten Menschen erkennen, wenngleich sie sie nicht auf rechte Weise erkennen. Mehr noch, es finden sich einige, die ihre Lehre zum Ruhme Gottes lenken; als ob wir durch das Empfinden unserer Schwäche und der Unendlichkeit Gottes nicht nach Erkenntnissen streben dürften, die Teil der göttlichen Natur sein sollen. Wir haben vorhin von einem Dichter gesprochen, der sagt, daß die Götter für sich den Ruhm und für uns die Vergnügen vorbehalten haben. Diese hier sagen, daß Gott das Wissen für sich behält und uns die Meinungen überläßt.160

156

Sokrates, Zenon von Elea, Arkesilaos, Karneades und dergleichen Gegner der Gewißheit zählten zu den scharfsinnigsten Geistern des Altertums. 157 »Wer mehr weiß, hat größeren Anlaß zu Zweifeln.« Naudé, Addition à la vie recte: à l’histoire  de Louis XI, S. 38 zitiert diesen Satz, als ob er aus der Rhetorica des Aristoteles stammte, aber andere zitieren ihn, als wäre er von Aeneas Silvius. 158 »Unkenntnis macht mutig, vernünftige Überlegung aber ängstlich.« Thukydides, Buch II, S. 126 A meiner Ausgabe. 159 Terenz sagt das mit Blick auf eine andere Sache im Prolog zur Andria. 160 Diogenes Laertius zählt in der Lebensbeschreibung Pyrrhos, Buch IX, Nr. 72 Platon zu den Skeptikern, weil er gesagt hat, »daß er die Wahrheit den Göttern und den Söhnen der Götter überlasse und nur dem Wahrscheinlichen nachspüre«.

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(…). Nehmt hinzu, daß die Christen freimütig die Unbegreiflichkeit der Dinge eingestehen, welche die Eigenart des spekulativen Christentums ausmachen, und daß sie diejenigen als Nachteulen und Türken ansehen, die im Christentum den Glauben an dasjenige ablehnen, was die Grenzen ihres Geistes übersteigt. Dazu zählt das Mysterium der Trinität, das, wie Nicole gesteht,163 »die Vernunft verwirrt und zum Aufstand reizt. Wenn es Schwierigkeiten gibt, die in die Augen fallen, dann sind es diejenigen, welche dieses Mysterium bietet: daß drei wirklich voneinander verschiedene Personen nur ein und dasselbe Wesen haben und daß dieses Wesen, obwohl es dasselbe in jeder Person ist wie die Verwandtschaften, die sie unterscheiden, sich mitteilen kann, ohne daß die Verwandtschaften, welche die Personen unterscheiden, sich mitteilen. Wenn die menschliche Vernunft auf sich selbst hört, so wird sie in sich selbst nur einen allgemeinen Aufstand gegen diese unbegreiflichen Wahrheiten feststellen. Wenn sie die Absicht hat, sich ihres eigenen Lichtes zu bedienen, um sie zu ergründen, so wird es ihr nur Waffen liefern, um sie zu bekämpfen. Um an sie zu glauben, muß sie sich selbst blenden, muß sie alle ihre Überlegungen und Einsichten zum Schweigen bringen, um sich unter dem Gewicht der göttlichen Autorität zu erniedrigen und zu vernichten.« Die Sozinianer selbst sind in gewisser Hinsicht Akataleptiker. Sie können nicht abstreiten, daß es unbegreiflich bleibt, daß ein Wesen, das durch sich selbst existiert, veränderlich ist. Es hat also den Anschein, daß ihre Verwegenheit in gewisser Hinsicht die des Xenophanes noch übersteigt. Letzterer ist schließlich darauf verfallen zu sagen, daß er weder begreife, daß ein ewiges Wesen veränderlich noch daß es unveränderlich ist. Hingegen haben die Sozinianer entschieden, daß es veränderlich ist; woraus folgt, daß ein Wesen, daß notwendig und von aller Ewigkeit her existiert, zerstörbar ist.164 Das 163

Nicole, Perpetuité de la foi, S. 118 f. der Ausgabe von 1666. Sie sagen, Gott habe der Materie bei der Schaffung der Welt die Gestalt gegeben, die ihm gefiel. Er hat also die ewige Form der Materie zerstört. Nun liegt wenig daran, ob diese Form ein Modus oder ein distinktes 164

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aber ist die unseren deutlichen Begriffen am meisten entgegengesetzte Sache der Welt. Ich kann nicht schließen, ohne zuvor die folgenden zwei Anmerkungen gemacht zu haben. Die erste lautet, daß die Prinzipien des Xenophanes von der Unveränderlichkeit dessen, was ewig ist, den höchsten Grad der Evidenz besitzen, den man bei den klarsten Begriffen unseres Verstandes antrifft; so daß die beste Position, die unsere Vernunft einnehmen kann – weil es überdies durch Vorgänge, die sich in uns abspielen, unbestreitbar ist, daß es Wechsel gibt –, ist, zu sagen, daß alles mit Ausnahme von Gott einen Anfang hat. Das ist die Lehre von der Schöpfung; denn wenn man vorgibt, die Zeugungen in der Natur durch die Annahme mehrerer ewiger Prinzipien zu erklären, deren Aktion und Reaktion dasjenige abwechslungsreich gestalte, was ohne äußere Einwirkung einförmig bliebe, so heißt das, einer Unannehmlichkeit zu entfliehen, um sich in eine größere zu stürzen. Meine zweite Beobachtung lautet, daß die Evidenz dieser Prinzipien des Xenophanes uns eine sehr schöne Demonstration gegen Spinoza liefert. Denn wenn alles das, was keinen Anfang hat, unbeweglich ist, dann ist der Gott Spinozas zu jeder Veränderung unfähig. Er ist also nicht die immanente Ursache der Veränderungen, die im Universum stattfinden.165 Jede immanente Ursache bringt irgend etwas in sich selbst hervor, und dieses Etwas ist entweder ein mit der Substanz, die es modifiziert, identischer Modus, oder eine absolute und von ihrem Subjekt der Inhärenz wirklich verschiedene Qualität. Wenn es ein identischer Modus ist, so kann Gott ihn nicht hervorbringen, denn da die göttliche Substanz notwendig existiert, kann sie nicht von irgendeiner WirkursaAkzidens war; es war ein wirkliches Wesen, das untergegangen ist, obwohl es niemals begonnen hat und keinerlei Wirkursache hatte. 165 Man beachte, daß die Kirchenväter, wenn sie dasjenige geglaubt hätten, was der Prediger sc. Jurieu. Hgg. , welcher der Verfasser der Lettres  Pastorales ist, ihnen hinsichtlich der Erschaffung des Wortes beilegt, über die Veränderlichkeit Gottes eine beinahe ebenso gottlose Meinung vertreten hätten wie es diejenige Spinozas ist. Man sehe sc. Bayles. Hgg.  Janua coelorum reserata, S. 128 f.

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che abhängen. Wenn es eine distinkte Qualität ist, dann kann Gott also von ihm selbst verschiedene Wesen erschaffen; und damit ist der Lehre der Spinozisten der Boden entzogen. Man füge dem hinzu, daß die Hervorbringung einer Welt oder eines Akzidens166 die Zerstörung eines anderen ist. Daraus folgt, daß, wenn Gott die immanente Ursache der Veränderungen der Natur wäre, es in ihr ewige Modalitäten gäbe, die untergegangen wären. Denn Spinoza könnte nicht, ohne sich zu widersprechen, sagen, daß das, was er Gott nennt, nicht beständig Modalitäten gehabt hat. Man prüfe seine Unterscheidung zwischen natura naturans und natura naturata. Man wird dort auf eine Menge von Widersprüchen stoßen.

(M) Er beklagte sich über seine Armut. »Ich bin so arm«, sagte er167 eines Tages zu Hiero, dem König von Syrakus, »daß ich es mir nicht leisten kann, zwei Sklaven zu halten«. Hiero antwortete ihm: »Wie das? Homer, den du für gewöhnlich tadelst und zurechtweist, ernährt, obwohl er tot ist, mehr als zehntausend.«

166

Ich speche von Akzidenzien als ens inhaerens in alio. Plutarch in den Apophthegmata, S. 175 in der Übersetzung von Amyot. 167

ZABARELLA

zabarella, Jacob, einer der größten Philosophen des 16. Jahrhunderts, wurde in Padua am 5. September 1533 geboren. Nachdem er Rhetorik und Griechisch bei ausgezeichneten Professoren erlernt hatte, widmete er sich dem Studium der Logik und der Mathematik und machte darin große Fortschritte. Er fand außerordentliches Gefallen an der Astronomie und erstellte viele Horoskope. Dem Vernehmen nach hat er mehrere Male zutreffende Voraussagen gemacht. Er erwarb eine gründliche Kenntnis der Physik und der Ethik des Aristoteles, und so ist es nicht verwunderlich, daß die Universität Padua ihn schon im Jahr 1564 unter ihre Professoren aufnahm. Dort lehrte er fünfzehn Jahre lang Logik und sodann bis zu seinem Tod Philosophie. Er veröffentlichte Kommentare zu Aristoteles, die zeigten, daß er imstande war, die größten Schwierigkeiten zu entwirren und die dunkelsten Streitfragen zu begreifen. Er wurde wegen wichtiger Geschäfte des öfteren nach Venedig entsandt und sprach mit großem Erfolg vor dem Senat. Er schlug ein Angebot des Königs Sigismund von Polen aus, der ihn in sein Königreich ziehen wollte. Er starb im Oktober 1589 in Padua und wurde in der Kirche des hl. Antonius beigesetzt; die Leichenrede hielt Riccoboni. Er führte den Titel eines Pfalzgrafen.b Aus seiner Ehe mit Elisabeth Cavacia hatte er sechs Söhne und drei Mädchen und erstellte für jedes Kind ein Horoskop. Ich weiß nicht, ob er damit Erfolg hatte und ob er z. B. vorausgesagt hat, daß der Senat von Venedig ihm für die Verheiratung seiner letzten Tochter tausend Taler geben würde. Die Autoren sind sich über gewisse Fakten nicht einig, die ihn betreffen und die nicht strittig sein sollten. Die einen sagen, er sei ein schöner Mann, die anderen, er sei häßlich gewesen. Die einen behaupten, er habe einen sehr lebhaften, raschen b

Aus Giacomo Filippo Tomasini, Elogia, Teil I, S. 136 ff.

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und behenden Geist gehabt, die anderen versichern, er habe die Einwände seiner Schüler erst nach erbetener Bedenkzeit auflösen können. Man beschuldigt ihn einiger gottloser Meinungen (F) wie z. B., nicht an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben, aber man lobt ihn wegen seines beispielhaften Lebenswandels.c Wir werden von dem Werk sprechen, in dem er behauptet, daß der Gottesbeweis, der aus dem Dasein eines ersten Bewegers abgeleitet wird, nicht gut ist; es sei denn, man setze die Ewigkeit der Bewegung voraus (G). Bei dieser Gelegenheit werde ich sagen, daß es in dem Streit um die Ewigkeit der Welt mehr Äquivokationen gibt, als man denken sollte (H).

(F) Man beschuldigt ihn einiger gottloser Meinungen. (…). Er hat eine Schrift veröffentlicht, in der er behauptet, die Existenz eines ersten Bewegers, der von den Körpern, die das Universum bilden, verschieden ist, könne nur unter der Annahme der Ewigkeit der Bewegung bewiesen werden. Das bedeutete soviel wie die Erklärung, daß ein christlicher Philosoph nicht in der Lage ist, Beweise für die Existenz eines ersten Bewegers von geistiger Natur zu liefern; denn es ist ein Glaubensgebot, daß die Bewegung nicht ewig ist. Zabarella sagte also, daß man die Gnade des hl. Geistes benötigt, um an diese Existenz zu glauben, die das natürliche Licht nicht demonstrieren kann. Das heilige Officium fand in dieser Lehre nur Vernünftiges und erteilte dem Buch dieses Philosophen die Approbation. (…).15 Während ich darauf warte, daß ich dieses Buch von Zabarella aufstöbere – was in diesem Land hier sehr schwierig ist –,16 will ich eine Überlegung anstellen. Ich bin mit meinen c

(…). Ebd., S. 138. Claudius Berigardus, Circulus pisanus, im Vorwort, S. 5 f. 16 Man hegt hier eine so starke Verachtung für die Scholastiker, daß man es als eine Schande betrachtet, ihre Bücher zu kaufen oder sich auch nur in einer Bibliothek nach ihnen zu erkundigen. 15

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Vermutungen über die Art und Weise, wie dieser Philosoph geschlossen hat, nicht zufrieden. Er hat behauptet,17 daß die Folgerung von der Ewigkeit der Bewegung auf die Existenz eines ersten geistigen Bewegers gültig ist, daß aber eine Bewegung, die angefangen hat, keineswegs ein Beweis dafür ist, daß es einen ersten, von den Körpern verschiedenen Beweger gibt. Will man über dieses Thema räsonieren, so muß man vorausschicken, daß es unmöglich ist, daß ein materielles Prinzip ewig tätig ist,18 wenngleich es in der Lage ist, viele Jahrhunderte lang tätig zu sein. Nun sehe ich aber nicht, worauf diese Behauptung gegründet werden könnte. Denn wenn Zabarella mir zustimmt, daß ein materielles Prinzip die Bewegung hervorbringen konnte, die der Annahme des Moses zufolge erst sechs Tage vor der Erschaffung Adams eingesetzt hat, so muß er glauben, daß dieses Prinzip, nachdem es die ganze Ewigkeit hindurch in Ruhe war, sich schließlich von selbst in Bewegung gesetzt hat und daß es sich eines Tages auch wieder in Ruhe begeben wird, weil seine Materialität nicht gestattet, daß es irgend etwas ewig täte. Aber wer sieht nicht die Absurdität dieser Annahme? Jedermann begreift deutlich, 1) daß jeder Körper, der eine Ewigkeit in Ruhe gewesen ist, stets darin verbleiben würde, wenn eine äußere Kraft ihn nicht daraus vertriebe; 2) daß jeder Körper, der beginnen konnte, sich zu bewegen, und der fortgefahren wäre, sich zu bewegen, solange die Zeit der Welt gemäß der Schrift dauert, auf ewig in diesem Zustand verharren könnte; 3) daß jeder Körper, der vor hundert Jahrhunderten beginnen konnte, sich zu bewegen, genausogut vor zwanzigtausend Jahren, hunderttausend Jahren usw. damit hätte beginnen können. Denn es gibt keinen Grund, den Beginn der Bewegung eher an eine Stunde als an eine andere zu knüpfen; jedenfalls solange nicht, wie man nicht zur Willkür einer geistigen Ursache Zuflucht nimmt. Nun folgt daraus, daß ein Körper vor jeder bestimmten Zeit anfangen konnte, sich zu 17

So läßt Berigardus ihn argumentieren. Berigardus stellt in Circulus I, S. 5 diesen Lehrsatz auf: »Keine materielle Kraft kann eine ewige Bewegung hervorrufen.« 18

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bewegen, daß er immer in Bewegung gewesen sein könnte und daß auf diese Weise die Bewegung ewig gewesen sein könnte, ohne von einer Ursache, die von der Materie verschieden ist, hervorgebracht worden zu sein. Das zeigt, daß man die Existenz eines ersten geistigen Bewegers sehr wohl daraus folgern kann, daß die Bewegung der Materie einen Anfang hat, und daß man dies nicht folgern könnte, wenn man einmal zugegeben hätte, daß eine Bewegung, die einen Anfang hat, von einer materiellen Ursache stammen könnte. Man sieht also, daß Zabarella nicht gut geschlossen hat.

Betrachtung über die Konsequenzen der Ewigkeit oder des Anfangs der Bewegung für die Existenz Gottes Es scheint mir sogar viel einfacher zu beweisen zu sein, daß es einen ersten, von den Körpern verschiedenen Beweger gibt, wenn man annimmt, die Bewegung habe einen Anfang, als wenn man annimmt, sie sei ewig. Nehmen wir an, sie habe einen Anfang gehabt, so folgt notwendigerweise, daß entweder alle Körper einen Anfang ihrer Existenz haben, oder daß sie, weil sie zu allen Zeiten da waren, eine Ewigkeit lang in Ruhe geblieben sind. Wenn alle Körper einen Anfang haben, dann müssen sie notwendigerweise von einer geistigen Ursache hervorgebracht worden sein, und dann haben wir den ersten Beweger, den wir suchen. Denn dieses geistige Prinzip, der Urheber der Existenz aller Körper, wird auch das Prinzip ihrer Bewegung sein. Wenn alle Körper ewig sind und wenn dennoch ihre Bewegung nicht ewig ist, so folgt, daß sie nicht die Bewegungskraft in sich tragen; denn wenn sie diese Kraft besäßen, so würden sie sich ewig bewegt haben. Die Bewegungskraft befindet sich also außerhalb der Körper, sie liegt folglich in einem geistigen Wesen, und da haben wir wieder den ersten Beweger, den wir suchen. Wenn er die Wirkursache der Körper ist,19 um 19

Man beachte, daß mehrere große rechtgläubige Philosophen behaupten, ein Geschöpf könne ewig sein.

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so besser; denn mit um so größerem Grund wird er die Wirkursache der Bewegung sein. Und wenn er nicht die Wirkursache der Körper ist, wenn die Materie durch sich selbst existiert, so wird er dennoch die Ursache ihrer Bewegung sein, denn es ist augenscheinlich, daß eine Natur, die während einer Ewigkeit in Ruhe geblieben ist, sich nicht selbst zu bewegen anfängt, sondern daß es eines äußeren Prinzips bedarf, das sie aus dieser Ruhe bringt. Wenn wir andererseits annehmen, die Bewegung sei ewig, so wird es viel schwieriger werden zu behaupten, daß sie von einer immateriellen Ursache stamme; denn man wird sagen können, daß dieselbe Notwendigkeit, die bewirkt, daß es eine Materie gibt, die ewig existiert hat, ohne erschaffen worden zu sein,20 auch bewirkte, daß sie sich ewig bewegt hat, ohne eines äußeren Prinzips oder eines geistigen Bewegers zu bedürfen. Ich kann also den Gedankengang Zabarellas nicht begreifen, denn alles, was ich davon mutmaße, läßt mich eher glauben, daß er sich durch das Vorbringen eines Paradoxons einen Spaß machen wollte, als daß er sich durch Scheingründe hätte verführen lassen. Hat er etwa gefürchtet, man würde zu ihm sagen, ein geistiger Beweger hätte die Körper nicht die ganze Ewigkeit über in Untätigkeit belassen und daß somit der Anfang der Bewegung ein Beweis wäre, daß der erste Beweger kein Geist ist? Aber dieser Einwand ist viel stärker gegen diejenigen, welche die Materialität des ersten Bewegers behaupten. Ist es nicht viel schwerer zu begreifen, daß eine körperliche Ursache mit Freiheit handelt und ihre Handlungen beginnt, wann es ihr gefällt, als dies von einer geistigen Natur zu begreifen?

20

Ich vermute, daß Zabarella gegen Leute argumentiert hat, die nicht an die Schöpfung glaubten.

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(G) Wir werden von dem Werk sprechen, in dem er behauptet, daß der Gottesbeweis, der aus dem Dasein eines ersten Bewegers abgeleitet wird, nicht gut ist; es sei denn, man setze die Ewigkeit der Bewegung voraus. Alles, was man in diesem Artikel bis jetzt lesen konnte, sowie der Inhalt der Anmerkung (H), ist im März 1697 geschrieben worden. Ich habe ihn im August 1701 erneut gelesen, um ihn zum Druck zu geben, und habe mich bei der erneuten Lektüre daran erinnert, daß ich die Werke unseres Zabarella seit zwei oder drei Jahren besitze. Ich habe deshalb geglaubt, seine Aussagen prüfen und mit den Vermutungen vergleichen zu müssen, die ich angestellt hatte, als ich lediglich ein Zitat von Berigardus als einzigen Führer zur Verfügung hatte. Diese Prüfung hat mir gezeigt, daß meine Vermutungen das Ziel nicht treffen und daß die Frage anders liegt, als ich mir das vorgestellt hatte. Gleichwohl bringe ich sie ohne jede Veränderung. Sie können Gegenstand des Nachdenkens werden und sind auf alle Fälle ein Zeugnis meiner Aufrichtigkeit; sie geben zu erkennen, daß ich keine Kunstgriffe gebrauche. Es gibt viele Autoren, die in vergleichbaren Fällen ihr Manuskript verbessern und nicht vergessen würden zu sagen: »Hier ist das, was ich vermutet habe, bevor ich das Werk sah. Nach der Lektüre habe ich gefunden, daß meine Vermutungen dem Buch entsprachen.« Ich will aufrichtiger verfahren; ich will, daß der Leser den Unterschied kennt zwischen dem, was ich von dem Buch Zabarellas hielt, bevor ich es gelesen hatte, und dem, was ich darüber nach der Lektüre sagen muß. Hier ist eine kleine Analyse dieser Abhandlung. Ihr Titel lautet De inventione aeterni motoris, und sie umfaßt nur achteinhalb Seiten in meiner Ausgabe21. Die erste These des Autors lautet folgendermaßen: Man kann nur mittels der Bewegung entdecken, daß es eine immaterielle Substanz gibt; aber er versichert, daß er sich auf die natürliche Erkenntnis beschränkt und die Offenbarung ausklammert. 21

Frankfurt, bei Lazarus Zetzners Nachfolgern, 1618 in 4°.

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(…).22 Er übernimmt die Meinung des Averroës, der die anderen Beweise zurückgewiesen hat, die Avicenna in den Werken des Aristoteles hat finden wollen; z. B. diese hier: Es gibt ein Wesen, das von einem anderen abhängt; folglich gibt es ein erstes Wesen, das von überhaupt nichts abhängt, denn andernfalls müßte man einen Regreß ins Unendliche zulassen. Nun ist dieses erste Wesen Gott, folglich usw. Es gibt eine Vollkommenheit und eine Güte, die größer ist als eine andere; folglich gibt es eine höchste Vollkommenheit und eine höchste Güte. Nun ist das Wesen, das diese Vollkommenheit und diese Güte besitzt, Gott, folglich gibt es einen Gott. Averroës antwortet, daß dies alles lediglich die Existenz einer Natur beweist, die von anderen unabhängig und vollkommener als die anderen ist, aber nicht ihre Immaterialität. Er fügt hinzu, daß die antiken Philosophen, die lediglich Körper annahmen, behaupteten, daß diese unabhängige und höchst vollkommene Natur nichts anderes sei als der Himmel. Zabarella folgert, daß man, um auf natürlichem Wege zum Begriff einer immateriellen Substanz zu gelangen, folgendermaßen schließen muß: Der Himmel hat eine Bewegung, die nicht aufhört; alles, was sich bewegt, wird von etwas anderem bewegt; alles, was körperlich ist, ist beweglich, und es gibt keinen unendlichen Regreß bei den bewegenden und den bewegten Dingen; es gibt also einen ersten Beweger, der von den Körpern verschieden ist. Er untersucht sodann, ob die Bewegung – gleichgültig welche – einen Beweis für die Existenz eines derartigen Bewegers gestattet, und er kommt zu einem negativen Ergebnis. Denn er schließt, daß nur die Ewigkeit der Bewegung die Existenz eines von der Materie verschiedenen Bewegers beweisen könnte. Er untersucht die Meinung derjenigen, die behaupten, Aristoteles sei der Ansicht gewesen, daß sogar die Bewegung, die einen Anfang hatte, uns zur Erkenntnis eines ersten geistigen Bewegers führen kann. Dieser Philosoph, so sagen sie, hat auf folgende Weise geschlossen: Alles, was sich bewegt, wird durch etwas anderes bewegt, und es gibt keinen unendlichen Regreß. 22

Jacob Zabarella, De rebus naturalibus, S. 253 meiner Ausgabe.

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Es gibt also einen ersten Beweger, der unbeweglich und folglich unkörperlich ist. Denn wenn er ein Körper wäre, so müßte er mit höchster Notwendigkeit beweglich sein. Zabarella antwortet, daß uns dieses Argument des Aristoteles nur zur Existenz eines Bewegers führt, der lediglich in einem so allgemeinen Sinne unbeweglich ist, daß man darin die Seelen der Tiere enthalten finden kann. Diese Seelen, fährt er fort, sind insofern unbeweglich, als sie nicht durch sich selbst, sondern lediglich akzidentiell beweglich sind. Aber obwohl sie akzidentiell beweglich sind, werden sie »erste Beweger« gemäß der Ordnung genannt, die den bewegenden Dingen wesentlich ist. (…). Er fügt hinzu, daß seine Gegner, weil sie die Schwäche des Argumentes sehr wohl empfanden, das darin Fehlende auf folgende Weise ergänzt haben: Der Himmel bewegt sich, er wird also durch etwas anderes bewegt, es gibt also einen ersten unbewegten Beweger. Aber ist dieser Beweger nun ewig oder ist er es nicht? Wenn er es ist, so haben wir das, was wir suchen. Die Bewegung des Himmels, sie sei, wie sie wolle, und wenn sie nur zwei Tage dauerte, führt uns zur Existenz Gottes. Wenn aber dieser Beweger nicht ewig ist, wird er eines Tages untergehen; es gibt also etwas, was ihn zerstören wird, er ist folglich nicht der erste Beweger, man muß ihm diese Eigenschaft absprechen und sie jenem Ding zusprechen, das seinen Untergang veranlassen wird. Gleichwohl sind wir bis zum ersten Beweger gelangt und haben auf dieser Grundlage geschlossen: Was ist absurder als eine Antwort zu geben, die einer Voraussetzung widerspricht, welche die streitenden Parteien akzeptiert hatten? Aber wird schließlich dieses Ding, das über kurz oder lang den Untergang dessen herbeiführen wird, was wir als den ersten unbewegten Beweger angesehen haben, nicht dieser erste Beweger sein? Und darf es nicht, um dieser zu sein, nichts über sich haben, was in ihm irgendeine Veränderung hervorbringen könnte? Es ist also ewig, es ist also dasjenige, was wir in Verfolgung des aristotelischen Argumentationsgangs finden mußten. Wir wollen die Antwort Zabarellas betrachten, die sich ausschließlich auf die Lösung dieses Dilemmas bezieht: Der erste Beweger ist ewig oder er ist es nicht. Wenn er es ist, so ha-

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ben wir gewonnen; wenn er es nicht ist, gibt es folglich einen anderen Beweger, der ihn vernichten kann, gibt es folglich einen Beweger über dem ersten Beweger. Nun ist das absurd und der Voraussetzung zuwider, über die man einig geworden war. Zabarella antwortet, daß der erste Beweger, den seine Gegner gefunden haben, nicht ewig und daß er ein Wesen von gleicher Art wie die Seele der Tiere ist; daß er die Form des Himmels ist und daß der Himmel, der aus vier einander konträren Elementen gebildet ist, ganz wie die anderen Teile der Welt einen Anfang hatte und ein Ende haben wird; daß aus dem Untergang des Himmels notwendigerweise die Zerstörung der bewegenden Seele des Himmels folgen wird; daß sie nicht durch die Handlung eines ersten Bewegers untergehen wird und daß auf diese Weise daraus, daß sie untergehen wird, nicht folgt, daß es über ihr ein Agens oder eine Wirkursache gäbe; es reiche aus, daß sie mit einem seiner Natur nach vergänglichen Körper vereint sei, denn der Untergang dieses Körpers ziehe notwendigerweise den Untergang seiner Form oder der Seele nach sich, die in ihm die Aufgaben des ersten Bewegers ausführte. (…). Deshalb, so schließt er, beweist die Bewegung im allgemeinen nichts anderes, als daß es einen ersten unbewegten Beweger derart gibt, wie es die Seelen der Tiere sind, und nur eine ewige Bewegung ist der Beweis eines ersten ewigen Bewegers. (…). Es wäre nicht leicht für die Peripatetiker, diese Argumente Zabarellas zu widerlegen; er argumentiert ad hominem gegen sie, er zieht Nutzen aus ihren Lehren von den substantiellen Formen und der bewegenden und ursprünglichen Kraft der Seele der Tiere.30 Die Modernen, die zu Recht alle diese Lehren zurückgewiesen haben, würden ihn ohne Mühe widerlegen und finden in seinen Einwänden nichts von Gewicht. Man bemerke im übrigen, wie gefährlich und vernichtend die Konsequenzen der Lehre der Aristoteliker über die innere Aktivität 30

Die meisten antiken Philosophen haben geglaubt, daß es die wesentliche Eigenschaft der Seele sei, sich von selbst zu bewegen. Man sehe Aristoteles, De anima. Buch I, Kap. 2 (…), Platon, Phaidros, S. 1221 D meiner Ausgabe. (…).

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der von der Materie verschiedenen Formen sein können. Das ist eine Lehre, die eine beinahe unendliche Zahl von ersten Bewegern zuläßt. Von dort kann man leicht zur Zurückweisung eines ersten universellen Bewegers gelangen oder sagen, daß er dem Tod ausgesetzt ist. Die Seele eines jeden Menschen und eines jeden Tiers ist in ihrer Art ein erster Beweger. Sie bewegt sich selbst und verleiht dem Körper, dessen Form sie ist, Bewegung. Das gleiche Prinzip gilt entsprechend bei den unbeseelten Körpern. Die Form der schweren Körper bedarf keines äußeren Bewegers, um sie in Richtung des Mittelpunktes zu treiben, noch braucht die der leichten Körper einen solchen, um sie davon zu entfernen; sie ist selbst in dieser Hinsicht ihr erster Beweger. Wenn nun einmal diese Lehre der Aristoteliker zugelassen ist, dann wird ein universeller Beweger der Himmel nicht länger nötig sein; jeder Planet wird durch seine Form bewegt, der Fixsternhimmel wird ebenfalls durch die seine bewegt und keiner dieser Beweger wird als unzerstörbar gelten können; er wird dem allgemeinen Schicksal der Formen unterworfen sein, die nach der Zerstörung der Materie, die mit ihnen verbunden ist, nicht fortbestehen können. Zabarella, der diese Konsequenz sehr wohl begriffen hatte, sagte, daß die Seele des Himmels eines Tages untergehen werde, weil die Materie des Himmels aus Elementen zusammengesetzt sei, die sich wechselseitig stören. Die Veränderlichkeit der Materie ist so offenkundig, daß die antiken Philosophen, die glaubten, die Genien seien nicht völlig von der Materie verschieden, sie für sterblich hielten, ohne die größten unter ihnen davon auszunehmen. Als Zeugnis dient die von Plutarch erzählte Geschichte Der große Pan ist tot.32 Wenn Zabarella die Folgen der allgemeinen Schulmeinung zu durchschauen wußte, so hat er nicht weniger Scharfsinn bewiesen, als er sagte, daß man, um einen ersten ewigen Beweger zu finden, bei einer einzigen Ursache halt machen muß, die alle Bewegung hervorgebracht 32

Plutarch, De oraculorum defectu, S. 419. Man sehe auch die Anmerkung (I) des Artikels CHRYSIPP. Diese Anmerkung nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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hat. Das ist ein Vorteil der cartesischen Philosophie. Sie spricht alle bewegende und unmittelbare Kraft des Universums Gott zu und nimmt keine Aufteilung dieser Kraft zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen vor. Die Vielzahl an Bewegern kann unmerklich zum gefährlichsten Atheismus führen, und zweifellos hat der Atheismus der chinesischen Philosophen hier seinen Ursprung.33 Anfänglich glaubten diese an einen obersten, immateriellen und unendlichen Gott, aber weil sie den Körpern und besonders den himmlischen Körpern große natürliche Kräfte zusprachen, haben sie nach und nach die immaterielle Gottheit vergessen und sind bei materiellen Prinzipien angelangt. Der sichtbare und materielle Himmel ist jetzt ihr großer Gott.34 Begebenheiten, die beweisen, daß es den Rechtgläubigen erlaubt ist, über die Argumente für die Existenz Gottes zu disputieren Im übrigen braucht man sich nicht zu wundern, daß die Inquisition Italiens es Zabarella erlaubt hat, bei der Zurückweisung einiger Beweise für Gottes Existenz Averroës zu folgen. Die Freiheit ist in dieser Hinsicht überall ziemlich groß, und insofern ein Gelehrter bekennt, daß Gottes Existenz auf anderem Wege beweisbar ist, läßt man ihm die Freiheit, diesen oder jenen besonderen Beweis zu kritisieren. Über nichts ärgern sich die Cartesianer mehr als über die Demonstration des Daseins Gottes, die Descartes gegeben hat. Er hat auf unzählige Einwände antworten müssen. Alle Tage sieht man, daß sehr rechtgläubige Leute diesen Streit erneuern. Werenfels, Professor in Basel, hat in einer Druckschrift behauptet, daß dieses Argument des Descartes ein reiner Paralogismus sei. Swicer, Professor in Zürich, hat ihm geantwortet. Jaquelot, Prediger in Den 33

Man sehe den Artikel SPINOZA, Anmerkung (X). Man sehe mehrere Beweise dafür in der Apologie des dominicains, die 1699 in Köln gedruckt wurde, S. 79 ff. Man sehe auch den Artikel SPINOZA, Anmerkung (X). 34

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Haag, hat ihm auch eine Antwort gegeben, die in der Histoire des ouvrages des savans erschienen ist.35 Brillon, Doktor der Sorbonne, hat diese Antwort gelesen und war mit ihr nicht zufrieden; er hat eine Abhandlung veröffentlicht,36 um zu zeigen, daß Descartes einen Trugschluß und keine Demonstration liefert. Père François Lamy, ein Benediktinermönch, hat diese Abhandlung widerlegt.37 Jaquelot hat seinerseits repliziert.38 L’Herminier, Doktor der Sorbonne, hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, in dem er nicht nur Descartes’ Demonstration des Daseins Gottes zurückweist, sondern auch die meisten anderen. »Von den fünfen, die der hl. Thomas vorgetragen hat und die gewöhnlich von den Philosophen und den Theologen verwendet werden, verwirft dieser Gelehrte vier und erkennt nur einen davon als ausreichend gegen die Atheisten an. Denn er hält es für einen Fehlschluß, die Gottheit mit irgendeinem dieser Argumente beweisen zu wollen: Daß nicht alles, was existiert, kontingent sein kann und daß es ein Wesen geben muß, das notwendigerweise durch sich selbst existiert. Daß man keine unendliche Zahl von einander untergeordneten Ursachen annehmen kann und daß man notwendigerweise eine erste Ursache anerkennen muß, von der alle anderen abhängig sind. Daß die Materie sich nicht von selbst bewegen kann und daß es notwendigerweise einen ersten unkörperlichen Beweger gibt, von dem sie die Bewegung mittelbar oder unmittelbar erhalten hat. Daß, weil sich bei den existierenden Wesen verschiedene Grade von Vollkommenheit wie Güte, Schönheit, Macht usw. finden, es auch ein höchst vollkommenes Wesen geben muß, mit Beziehung auf das man sagen kann, jene seien mehr oder weniger vollkommen, je nachdem sie sich seiner Vollkommenheit mehr oder weniger annähern. Nachdem L’Herminier diese vier Demonstrationen als Trugschlüsse ein35

Im Monat Mai 1700, S. 199 ff. Im Journal des savans vom Jahr 1701. 37 Man sehe das Journal de Trevoux, Jan. und Febr. 1701, S. 104 ff. der holländischen Ausgabe. 38 Man sehe die Histoire des ouvrages des savans, Mai 1701, S. 226 ff. 36

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gestuft hat, ist die fünfte, die er als eine wahre Demonstration des Daseins Gottes betrachtet, diejenige, die aus dem Bau des Universums und der Art hergeleitet wird, in der es in allen seinen Teilen in einer so schönen Ordnung und mit einer so beständigen Regelmäßigkeit in seinen Bewegungen besteht.«39 Das findet man im Journal de Trevoux im Abriß des Buchs von L’Herminier.40 Schon vor langer Zeit hat ein sehr berühmter Scholastiker41 erklärt, daß alle Beweise für die Existenz Gottes, welche die Vernunft liefern kann, lediglich Wahrscheinlichkeitsbeweise sind. Dieser Doktor der Sorbonne geht nicht so weit.

(H) Es gibt in dem Streit über die Ewigkeit der Welt mehr Äquivokationen, als man denken sollte. Alle Christen42 stimmen darin überein, daß nur Gott allzeit existiert hat; aber einige behaupten, er habe die Welt sogleich schaffen können, als er den Beschluß gefaßt hatte, sie hervorzubringen. Daraus leiten sie ab, daß die Welt von Ewigkeit her hätte existieren können, weil es unzweifelhaft ist, daß der Beschluß, sie hervorzubringen, ewig ist. Einige behaupten auch, es sei unmöglich, daß ein Geschöpf ewig sei. Jede dieser zwei Parteien ist bei den Einwänden stärker als bei den Auflösungen. Dieser Streit, den man solange und so schwierig gestaltet hat, wäre bald beendet, wenn man sich auf beiden Seiten deutlich ausdrücken und die Äquivokationen im Begriff der Ewigkeit ausräumen würde. Man müßte die Frage folgendermaßen stellen: Ist es möglich, daß Gott und seine Geschöpfe allzeit zu-

39

Journal de Trevoux, Mai und Juni 1701, S. 317 der holländischen Ausgabe. 40 Es trägt den Titel Summa theologiae ad usum scholae accommodata. 41 Gabriel Biel zum Magister sententiarum, Distinct. II, Quaest. 10, Art. 3. 42 Ausgenommen einige Häretiker, welche die Ewigkeit der Materie anerkennen.

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gleich existiert haben? Dann würde man nicht so kühn die negative Seite wählen, denn der Ausdruck »Ewigkeit der Welt«, der so viele Leute aufschreckt, würde den Verstand nicht verletzen. Um den Stein des Anstoßes noch besser aus dem Wege zu räumen, müßte man sagen, daß ein Geschöpf, das allzeit mit Gott koexistiert hätte, doch nicht ewig wäre, und man müßte dafür sogleich folgenden Grund angeben, daß nämlich die Dauer der Geschöpfe sukzessiv und die Ewigkeit eine einfache Dauer ist, die ihrem Wesen nach das Vergangene und das Zukünftige ausschließt. Durch diesen wesensmäßigen Unterschied zwischen der Dauer Gottes und derjenigen der Geschöpfe würde man beinahe den ganzen Streit beenden, denn jede Partei käme auf ihre Rechnung. Man würde denjenigen, die leugnen, daß das Geschöpf ewig sein könnte, zugeben, daß sie recht haben; und man würde die Möglichkeit nicht abstreiten, daß Gott und das Geschöpf allzeit zugleich existiert haben, weil es gewiß ist, daß die Ursache in ihrem Begriff nicht eine Priorität der Zeit hinsichtlich ihrer Wirkung einschließt und daß dies ganz besonders wahr ist, wenn es sich um eine allmächtige Ursache handelt, die nur wollen muß, um das tatsächlich hervorzubringen, was sie will. Poiret hat die Äquivokationen sehr wohl begriffen, welche diese Streitfrage verdunkeln und sie in gewisser Weise zu einem Streit um Worte machen. Er merkt scharfsinnig an, daß es nicht wahr ist, daß die Geschöpfe ewig wären, wenn ihre Existenz keinen Anfang hätte. Er sagt, daß diejenigen, die dies behaupten, das Wesen der Ewigkeit verkennen. »Denjenigen (Platon und Aristoteles, wie es heißt), die behauptet hatten, die Welt existiere ohne Anfang, wurde entgegengehalten, daß die Welt, wenn es sich so verhielte, ewig wäre. Diese Leute stellen sich vor, die Ewigkeit sei gleichsam die Ordnung unendlicher Momente ohne Anfang und Ende, was eine Unkenntnis der Ewigkeit verrät. Es ist falsch, daß man die Welt für ewig hielte, wenn man sagt, sie habe entweder immer existiert oder es könne nicht behauptet werden, daß es in ihr irgendeinen Zeitpunkt gäbe, dem ein anderer nicht vorausginge. Selbst wenn dies zuträfe, wäre die Welt nichtsdestoweniger zeitlich und abhängig, noch würde

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dies in irgendeiner Weise der Ewigkeit oder Macht Gottes Abbruch tun.«43 Man beachte beiläufig, daß dieser Autor dreierlei tut. Wir haben soeben das erste gesehen: das ist die falsche Konsequenz, die Welt wäre ewig, wenn sie niemals begonnen hätte. Zweitens räumt er ein, daß die Gründe, die man gewöhnlich gegen diejenigen anführt, die behaupten, die Welt habe keinen Anfang, schwach sind. Er entschuldigt diejenigen, die, weil sie das Licht der Offenbarung nicht hatten, der Welt keinen Anfang zugesprochen haben. Er sagt, daß er selbst bei der Abfassung dieses Kapitels überzeugt war, daß sich keine guten Gründe finden lassen, die man diesen Leuten entgegenhalten könnte, obwohl er lange Zeit nach besseren Beweisen gesucht hatte, als es alle die waren, die er gelesen hatte und die ihm schwach erschienen waren. (…). Drittens schließlich trägt er einen Beweis vor, der ihm während des Schreibens einfiel; er trägt ihn, sage ich, gegen jene Leute vor. Aber man beachte, daß man ihm einen Einwand45 gemacht hat, auf den er eine Antwort46 gab, die dem Einwand nichts von seiner Stärke nahm. Hier sind noch andere Wortspielereien, die in diesem Streit vorherrschen. Diejenigen, die behaupten, daß die Geschöpfe nicht allzeit mit Gott koexistiert haben, sind zu der Annahme verpflichtet, Gott habe existiert, bevor diese existierten. Es hat also ein zuvor gegeben, als Gott allein existierte; es ist also nicht wahr, daß die Dauer Gottes ein unteilbarer Punkt wäre; die Zeit ist also der Existenz der Geschöpfe vorausgegangen. Diese Konsequenzen stürzen jene Herren in Widersprüche. Denn wenn die Dauer Gottes unteilbar, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft ist, dann müssen die Zeit und die Geschöpfe zugleich begonnen haben zu existieren; und wenn das so ist, wie kann man dann sagen, daß Gott vor der Existenz der Geschöpfe existierte? Dieser Satz ist fehl am Platze und wider43

Pierre Poiret, Cogitationes rationales de Deo, anima et malo, Buch III, Kap. 16, Nr. 9, S. 438 der Ausgabe von 1685. 45 Man findet ihn auf S. 674 f. dieses Werks von Poiret. 46 Man findet sie auf S. 678 desselben Buchs.

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sprüchlich. Die folgenden Sätze sind es nicht weniger: Gott hätte die Welt früher oder später erschaffen können, als er es getan hat; er hätte sie hunderttausend Jahre früher erschaffen können usw. Man beachtet nicht, daß man, indem man die Ewigkeit zu einem unteilbaren Augenblick macht, die Lehre vom Beginn der Existenz der Geschöpfe schwächt. Wie wollt ihr beweisen, daß die Welt nicht allzeit existiert hat? Geschieht es nicht mit dem Argument, daß es eine unendliche Natur gab, die existierte, als die Welt noch nicht da war? Aber kann die Dauer dieser Natur der Dauer der Welt Grenzen setzen? Kann sie verhindern, daß sich die Dauer der Welt über alle besonderen Anfänge hinaus erstreckt, die ihr der Welt setzen wollt? Ihr sagt mir, daß es nur eines unteilbaren Punktes der Dauer bedürfe, damit die Geschöpfe nicht ohne Anfang sind, denn euch zufolge ist ihnen nur die Dauer Gottes vorausgegangen, die ein unteilbarer Augenblick ist. Sie haben also keinen Anfang, werde ich euch antworten. Denn wenn es nur an einem Punkt mangelt (ich spreche von einem mathematischen Punkt), daß ein Stock nicht vier Fuß lang ist, so würde er doch gewiß die ganze Ausdehnung von vier Fuß haben. Das ist ein Einwand, den man auf die gewöhnliche Definition der Dauer Gottes stützen kann,47 eine Definition, die viel unbegreiflicher ist als das Dogma der Transsubstantiation. Denn wenn man nicht versteht, daß alle Teile eines Menschen in einem mathematischen Punkt voneinander unterschieden bleiben, wie will man dann verstehen, daß eine Dauer, die weder Anfang noch Ende hat und die mit der sukzessiven Dauer aller Geschöpfe koexistiert, in einem unteilbaren Augenblick eingeschlossen ist?48

47

Sie ist aus Boethius genommen, der in Buch V von De consolatione philosophiae, Prosa VI, S. 135 meiner Ausgabe sagt, daß die Ewigkeit »der auf einmal vollständige und vollkommene Besitz unbegrenzbaren Lebens ist«. 48 Die Scholastiker geben sich große Mühe, um das begreiflich zu machen. Man sehe u. a. Caramuel in seiner Philosophia rationalis et realis, Buch VII.

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Diese Lehre wirft noch eine andere Schwierigkeit zum Vorteil derjenigen auf, die behaupten, die Geschöpfe hätten keinen Anfang gehabt. Wenn der Schöpfungsbeschluß nicht einen bestimmten Moment einschließt, so hat Gott niemals ohne das Geschöpf existiert. Denn man muß ihn sich in diesem Satz vorstellen: Ich will, daß die Welt sei. Es ist augenscheinlich, daß kraft eines derartigen Beschlusses die Welt zur gleichen Zeit mit diesem Willensakt Gottes existieren mußte. Weil nun dieser Akt keinen Anfang hat, hat die Welt auch keinen. Wir wollen also sagen, daß der Beschluß auf folgende Weise gefaßt worden ist: Ich will, daß die Welt in einem bestimmten Augenblick existiert. Aber wie werden wir das sagen können, wenn doch die Dauer Gottes ein unteilbarer Punkt ist? Kann man in einer derartigen Dauer diesen oder jenen Moment eher wählen als alle anderen? Es hat also den Anschein, daß, wenn die Dauer Gottes nicht sukzessiv ist, die Welt keinen Anfang haben konnte. Diesen Einwand hat man Poiret im Jahr 1679 vorgelegt.49 Er gab darauf eine Antwort,50 welche die Schwierigkeit keineswegs behebt und die überdies alle Mittel wegnimmt, sie zu beheben. Denn er nimmt an, daß vor dem Dasein der Geschöpfe keine Augenblicke möglich sind; er scheint sogar anzunehmen, daß der Schöpfungsbeschluß erst in demselben Augenblick gefaßt wurde, als die Geschöpfe entstanden sind. Wir wollen seine Worte zitieren: »Weder konnte die Welt noch irgendein Augenblick ohne einen anderen Beschluß existieren, nämlich den, als Gott sagte ›Ich will, daß eine Welt sei‹, und dann (wie die Schrift lehrt) ›hat er gesprochen und die Dinge waren erschaffen‹, und augenblicklich war die Welt da. Und das war ihr erster Augenblick, vorher gab es faktisch keinen möglichen Augenblick. Und es ist widersprüchlich, sich vor der Welt mehrere Augenblicke vorzustellen, aus denen einer für die erste Existenz der Welt ausgesucht worden wäre, während die anderen ohne Welt verstrichen, denn der Augen49

Man findet ihn auf Seite 675 f. seiner Cogitationes rationales de Deo

usw. 50

Sie findet sich a. a.O., S. 680.

Zabarella

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blick ist ein Modus der Schöpfung, insofern sie als existierend betrachtet wird.«51 Ich für meinen Teil mache eine ganz andere Voraussetzung und bin überzeugt, daß sie die Schwierigkeit behebt. Ich setze voraus, daß man unter den möglichen Wesen, die Gott kannte, bevor52 er seinen Schöpfungsbeschluß faßte, eine sukzessive Dauer annehmen muß, die weder Anfang noch Ende hat und deren Teile so voneinander verschieden sind wie die Teile der möglichen Ausdehnung, die Gott gleichermaßen vor seinem Beschluß als unendlich gemäß den drei Dimensionen erkannt hat. Er hat den einen Teil dieser unendlichen Dauer im Zustand der möglichen Dinge belassen und hat Beschluß über die Existenz des anderen Teils gefaßt. Er hat einen bestimmten Augenblick, der ihm in dieser idealen Dauer gefallen hat, als den ersten, der existieren sollte, gewählt und hat mit ihm die Handlung verbunden, durch die er die Schöpfung der Welt beschlossen hat. Deshalb beweist die Ewigkeit dieser Handlung nicht die Ewigkeit der Welt. Deshalb beweist auch die Unteilbarkeit der realen Dauer Gottes nicht, daß die Welt nicht begonnen hätte. Wir haben auch an dieser idealen oder möglichen Dauer das wahre Maß der Zeit. Andere suchen es vergebens in der Bewegung des Himmels, andere sagen noch trügerischer, daß die Zeit ein Verstandeswesen, eine Art, die Dinge vorzustellen sei, und daß es ohne Bewegung oder ohne das Denken des Menschen keine Zeit gäbe. Das ist eine grobe Absurdität: Wenn alle geschaffenen Geister untergehen würden, wenn alle Körper aufhören würden, sich zu bewegen, so gäbe es dennoch eine sukzessive, festgesetzte, geregelte Dauer in der Welt, die den Momenten der Gott bekannten möglichen Dauer entspräche und nach der er sich richten würde, um jede Sache mehr oder weniger, so und so viele Jahre zu erhalten. Eine in Ruhe befindliche Ausdehnung erfordert nicht weniger in allen Augenblicken ihrer Dauer erschaffen zu werden, als 51

Ebd. Dieser Ausdruck muß gemäß unserer Vorstellungsweise verstanden werden und gemäß dem, was man in den Schulen den Vorrang der Natur nennt, signum rationis, Merkmal des Verstandes. 52

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eine Ausdehnung, die sich bewegt. Die Erhaltung der Geschöpfe ist stets eine fortwährende Schöpfung, gleichgültig, ob sie sich bewegen oder ob sie an derselben Stelle verharren. Das wahre Maß der absoluten Quantität der Dinge findet sich sowohl hinsichtlich der Ausdehnung wie der Zeit in den Vorstellungen Gottes. Der Mensch weiß davon nichts; er kennt nur relative Größe und Kleinheit. Dieselbe Zeit erscheint ihm kurz oder lang, je nachdem, ob er sich amüsiert oder langweilt. Während ein und dieselbe Stunde Peter kurz erscheint, kommt sie Johann lang vor.

ZENON VON ELEA

zenon von elea, einer der vorzüglichsten Philosophen des Altertums, hatte seine Blütezeit während der 79. Olympiade.a Er war Schüler des Parmenides und einigen zufolge sogar sein Adoptivsohn.b Er war ein schöner Mann. Einige Autoren behaupten, daß sein Lehrer ihn mehr liebte, als es sein sollte. Bei Moréri steht, daß er der Erfinder der Dialektik war. Man sollte dort auch finden, daß er versucht hat, seinem von einem Tyrannen unterdrückten Vaterland die Freiheit wiederzugeben, und daß er, als sein Vorhaben entdeckt wurde, die schwersten Foltern mit außergewöhnlicher Standhaftigkeit ertragen hat. Diese Geschichte wird, wie man in meinen Anmerkungen sehen wird, in tausend Varianten erzählt. Ich habe Moréri nur zwei Unterlassungssünden vorzuwerfen. Im übrigen waren die Ansichten des Zenon von Elea beinahe dieselben wie die des Xenophanes und Parmenides hinsichtlich der Einheit, Unbegreiflichkeit und Unveränderlichkeit aller Dinge. Ich kann nicht glauben, daß er behauptet haben soll, es gebe nichts im Universum (E), denn wie hätte er sagen können, daß er, der diese Lehre vertrat, nicht existierte? Wie hätte er, der nur darauf aus war, durch seine Streitgespräche über das Pro und Contra alle, mit denen er diskutierte, derart zu verwirren, daß sie nicht wußten, auf welche Seite sie sich schlagen sollten, wie hätte er sich, sage ich, so offensichtlich eine Blöße geben wollen? Sah er nicht, daß es leicht war, ihn mit der Frage in Verlegenheit zu bringen, ob das Nichts denken könne? Er argumentierte mit Nachdruck gegen die Existenz der Bewegung. Einige seiner Einwände hierzu sind uns in den Schriften des Aristoteles erhalten geblieben (F), aber wahrscheinlich hat er auch a

Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 29, in der bei Wetstein 1692 erschienenen Ausgabe. b A. a.O., Nr. 25.

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mehrere andere vorgetragen; vielleicht dieselben, die man unten finden wird (G), von denen einige gegen die Existenz der Ausdehnung gerichtet sind und die viel stärker erscheinen als alles, was die Cartesianer anzuführen wissen. Ich spreche von einigen Cartesianern, die öffentlich und sogar in den Ländern der Inquisition behaupten, daß man nur durch den Glauben wissen könne, daß es Körper gibt. Die Sinne, sagen sie, täuschen uns hinsichtlich der Eigenschaften der Materie, wir müssen daher ihrem Zeugnis bezüglich der drei Dimensionen mißtrauen. Es ist nicht erforderlich, fügen sie hinzu, daß es Körper gibt. Gott kann auch ohne sie unserer Seele alles das mitteilen, was sie empfindet und was sie weiß, und folglich sind die Beweise, die uns die Vernunft von der Existenz der Materie bietet, nicht evident genug, um eine gute Demonstration in diesem Punkt abzugeben (H). Was die Einwände betrifft, die man auf den Unterschied von Plenum und Vakuum stützen kann und die für die modernen Philosophen sehr unangenehm sein können, so bin ich ziemlich sicher, daß er sie nicht vergessen hat (I). Da er kein Zeitgenosse des Kynikers Diogenes gewesen ist, war es nicht seine Vorlesung, die dadurch widerlegt wurde, daß Diogenes im Hörsaal auf und ab ging. Alle Welt bewundert die Methode, deren sich dieser Diogenes bediente, um die Argumente des Philosophen zurückzuweisen, den er über die Negation der Bewegung hatte vortragen hören. Er machte einen Spaziergang im Hörsaal und meinte, das sei schon genug, um die Falschheit alles dessen zu erweisen, was der Lehrer soeben gesagt hatte. Aber es steht außer Frage, daß eine solche Antwort sophistischer ist, als es die Gründe unseres Zenon sind (K). Ich glaube nicht, wie einige versichern, daß er lehrte, die Materie sei aus mathematischen Punkten zusammengesetzt; vielmehr glaube ich, daß er behauptete, daß sie nicht daraus zusammengesetzt sein kann.e Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, daß er Verleumdungen weniger standhaft ertrug als körperliche Qualen. Er wurde sehr böse über einen Mann, der ihn beleidigte; und als er sah, daß man sich über e

Man sehe Aristoteles, Metaphysica, Buch III, Kap. 4.

Zenon von Elea

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seine Entrüstung wunderte, antwortete er: »Wenn ich Beleidigungen gegenüber gleichgültig wäre, wäre ich es auch dem Lob gegenüber.«f Diese Antwort ist eines Philosophen nicht würdig.

(E) Ich kann nicht glauben, daß er behauptet haben soll, es gebe nichts im Universum. Ich traue also dem Seneca nicht, der ihm diese Meinung zuschreibt. Justus Lipsius hat ihm diesbezüglich auch nicht getraut. »Höre, wieviel Unheil übertriebene Spitzfindigkeit anrichtet und wie schädlich sie für die Wahrheit ist. Protagoras behauptet, daß man jeden Gegenstand gleich gut von zwei Seiten erörtern kann wie auch die Frage selbst, ob jeder Gegenstand von zwei Seiten erörtert werden kann. Nausiphanes behauptet, daß das, was zu existieren scheint, ebenso gut existiert wie nicht existiert. Parmenides behauptet, daß von dem, was erscheint, nichts im Universum existiert. Zenon von Elea lehnt alle Beschäftigung mit dieser Frage ab und behauptet, daß nichts existiert. (…).«41 Ich habe Seneca ein wenig ausführlich zitiert, damit man all die Stufen des Skeptizismus sieht, von denen die unseres Zenon die ausgefallenste ist. Wenn er wirklich ein derartiges Paradoxon behauptet hat, so wollte er sich nur einen Spaß machen oder er verstand das Wort »nichts« anders als die anderen oder er faselte Unsinn. Aber seine übrigen Ansichten zeigen nicht die geringste Spur von Verrücktheit. Es ist also besser, entweder einen Spaß anzunehmen oder daß Zenon dem Wort »nichts« eine besondere Bedeutung beilegte. (…). Man wird mir entgegenhalten, daß ein Philosoph vom Schlage Zenons sehr wohl imstande war, die Spitzfindigkeit bis zu der Behauptung zu treiben, daß alles nichts ist. Ich antworte, daß es unwahrscheinlich ist, daß ein so geschickter Disputant wie Zenon derart extreme Positionen f 41

Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 29, S. 566. Seneca, Epist. LXXXVIII, S. 361 meiner Ausgabe.

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vertreten haben sollte, von denen er sich, wie es scheint, unmöglich hätte zurückziehen können. Aber wie unglaublich es auch erscheinen mag, wir müssen doch sagen, daß die Folgen des Pyrrhonismus zur Aufstellung vieler außergewöhnlicher Behauptungen führen konnten, und wir wollen die soeben aufgestellten Aussagen ein wenig abschwächen.45 Wir wollen auch anmerken, daß Zenon vielleicht nur beim Argumentieren auf der Grundlage der Prinzipien, die er bekämpfen wollte, behauptet hat, es existiere nichts. Es könnte so gewesen sein, daß man aus einem Argument ad hominem geschlossen hat, er lehre dies wirklich und absolut, obschon Zenon es nur als eine Lehre vorgebracht hat, die aus der Hypothese folgen würde, deren Falschheit er nachweisen wollte. Wir wissen, daß er auf folgende Weise geschlossen hat: Wenn es ein Sein gibt, dann ist es unteilbar, denn die Einheit kann nicht geteilt sein. Nun ist das, was unteilbar ist, nichts, denn dasjenige kann nicht zum Sein gezählt werden, was von einer solchen Natur ist, daß es, wenn man es zu einem anderen hinzufügt, keine Vermehrung bewirkte, und wenn man es von einem anderen abzieht, keine Verminderung verursachte. Es gibt folglich kein Sein. Diese Überlegung wird von Aristoteles überliefert, der sie für lächerlich hält.46 (…).

(F) Einige seiner Einwände gegen die Existenz der Bewegung sind uns in den Schriften des Aristoteles erhalten geblieben. Man lese die Physik48 des Aristoteles. Man findet dort die Prüfung von vier Einwänden Zenons. Hier ist der erste.49 Wenn ein auf einen bestimmten Ort ge45

Man sehe unten die Klarstellung über die Pyrrhoneer, Fußnote (3). Aristoteles, Metaphysica, Buch III, Kap. 4. 48 Buch VI, Kap. 9. 49 Ich zähle ihn als ersten, weil Aristoteles ihn zu Beginn des Kapitels vorträgt und darauf antwortet. Aber im folgenden setzt er ihn an die dritte Stelle. 46

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richteter Pfeil sich bewegte, so wäre er zugleich in Ruhe und in Bewegung. Nun ist das widersprüchlich, also bewegt er sich nicht. Die Folgerung des Obersatzes wird auf folgende Art bewiesen. Der Pfeil ist zu jedem Zeitpunkt in einem Raum, der ihm gleich ist. Er befindet sich dort folglich in Ruhe, denn man ist nicht mehr in einem Raum, wenn man ihn verläßt. Es gibt folglich keinen Augenblick, in dem er sich bewegt, und wenn er sich in einigen Augenblicken bewegte, so wäre er zugleich in Ruhe und in Bewegung. Um diesen Einwand besser zu verstehen, muß man auf zwei nicht zu leugnende Prinzipien acht haben: das eine, daß ein Körper nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann, das andere, daß zwei Zeitpunkte nicht zugleich sein können.

Die Zeit ist nicht unendlich teilbar Selbst wenn wir unaufmerksam sind, ist das erste dieser zwei Prinzipien so evident, daß ich es nicht erläutern muß; aber weil das andere etwas mehr Nachdenken zum Verständnis verlangt und weil es die ganze Kraft des Einwandes enthält, will ich es durch ein Beispiel deutlicher machen. Ich sage also, daß das, was hinsichtlich der Abfolge für Montag und Dienstag gilt, für jeden beliebigen Teil der Zeit gilt. Weil es nun unmöglich ist, daß der Montag und der Dienstag zugleich existieren und es notwendigerweise erforderlich ist, daß der Montag aufhört, bevor der Dienstag beginnt, gibt es keinen Teil der Zeit, der mit einem anderen koexistieren könnte. Jeder muß für sich allein existieren, jeder muß anfangen, sobald der vorausgehende Teil aufhört zu sein, jeder muß aufhören zu sein, bevor der folgende beginnt zu sein. Daraus folgt, daß die Zeit nicht unendlich teilbar ist und daß die sukzessive Dauer der Dinge aus Augenblicken im eigentlichen Wortsinn zusammengesetzt ist, von denen jeder einfach und unteilbar, vollständig verschieden von Vergangenem und Zukünftigen ist und nur die gegenwärtige Zeit enthält. Diejenigen, die diese Konsequenz leugnen, muß man entweder ihrer Dummheit, ihrer Unaufrichtigkeit oder

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der unüberwindlichen Macht ihrer Vorurteile überlassen. Wenn man also einmal behauptet, daß die gegenwärtige Zeit unteilbar ist, so ist man gezwungen, den Einwand Zenons zuzulassen. Man könnte keinen Zeitpunkt finden, in dem ein Pfeil seinen Platz verläßt, denn wenn man einen solchen fände, dann wäre der Pfeil zur gleichen Zeit an diesem Platz und wäre nicht dort. Aristoteles beschränkt sich auf die Antwort, Zenon nehme höchst fälschlicherweise die Unteilbarkeit der Augenblicke an.50 Zenons zweiter Einwand war dieser: Wenn es Bewegung gäbe, dann müßte das Bewegliche von einem Ort zum anderen wandern können, denn jede Bewegung schließt zwei äußerste Enden ein, einen terminus a quo und einen terminus ad quem, den Ausgangs- und den Zielort. Nun sind diese zwei äußersten Enden durch Räume getrennt, die unendlich viele Teile enthalten, weil ja die Materie unendlich teilbar ist. Es ist also unmöglich, daß das Bewegliche von einem Ende zum anderen gelangt. Der dazwischenliegende Raum ist aus unendlich vielen Teilen zusammengesetzt, die es sukzessiv einen nach dem anderen zu durchlaufen gilt, ohne daß man jemals zur gleichen Zeit denjenigen, der vorausgeht, und denjenigen, der auf ihn folgt, berühren könnte; so daß man, um einen Fuß Materie zu durchlaufen, d. h. um vom Anfang des ersten Zolls bis zum Ende des zwölften Zolls zu gelangen, eine unendliche Zeit benötigen würde. Denn weil die Räume, die man sukzessiv zwischen diesen zwei Grenzen durchlaufen müßte, der Zahl nach unendlich sind, ist es klar, daß man sie nur in unendlich vielen Augenblicken durchlaufen kann, sofern man nicht einräumen wollte, das Bewegliche sei an mehreren Orten auf einmal, was falsch und unmöglich ist. Die Antwort des Aristoteles ist erbärmlich. Er sagt, daß ein Fuß Materie, weil er nur potentiell unendlich sei, sehr wohl in einer endlichen Zeit durchlaufen werden kann. Wir wollen seine Antwort mit der Klarheit anführen, welche die Kommentatoren von Coimbra ihr gegeben haben. »Aristoteles sagt, daß er diesen Einwand schon 50

(…). Aristoteles, Physica, Buch VI, Kap. 9.

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früher beantwortet habe, als er nämlich in diesem Buch zeigte, daß ein unendlich teilbarer Körper, weil er nicht aktual, sondern potentiell unendlich ist, in endlicher Zeit durchlaufen werden kann. Denn weil die Zeit ein Kontinuum und auf gleiche Weise unendlich ist, werden nach demselben Gesetz der Unendlichkeit die Teile der Teilung bzw. Zeit und Größe einander entsprechen. Und so ist es durchaus nicht der Natur eines so beschaffenen Unendlichen zuwider, auf diese Weise durchlaufen zu werden.«51 Man sieht hier zweierlei, 1) daß jeder Teil der Zeit unendlich teilbar ist, was oben unwidersprechlich zurückgewiesen wurde, 2) daß das Kontinuum nur potentiell unendlich ist. D. h. die Unendlichkeit eines Fußes Materie besteht darin, daß er ohne Ende unaufhörlich in kleinere Teile geteilt werden kann, aber nicht darin, daß er diese Teilung aktual zuließe. Man hält die Welt zum Besten, wenn man sich dieser Lehre bedient. Denn wenn die Materie unendlich teilbar ist, dann enthält sie aktual eine unendliche Anzahl von Teilen. Das ist also keineswegs eine potentielle, sondern eine reale, aktual existierende Unendlichkeit. Die Kontinuität der Teile steht ihrer aktualen Unterscheidung nicht entgegen; folglich hängt ihre aktuale Unendlichkeit nicht von der Teilung ab; sie subsistiert gleichermaßen in der kontinuierlichen Quantität wie in der sogenannten »diskreten«. Aber selbst wenn man diese potentielle Unendlichkeit zuließe, die durch die aktuale Teilung ihrer Teile ein aktuales Unendliches werden würde, verlöre man nichts an Boden, denn die Bewegung ist von gleicher Eigenschaft wie die Teilung. Sie berührt einen Teil des Raumes, ohne einen anderen zu berühren, und sie berührt sie alle nacheinander. Heißt das nicht sie aktual unterscheiden? Ist das nicht dasselbe, was ein Geometer auf einem Tisch tun würde, wenn er Linien zöge, die jeweils halbe Zolle bedeuteten? Er zerbricht den Tisch nicht in Stücke von je einem halben Zoll, aber er nimmt dort nichtsdestoweniger eine Teilung vor, welche die aktuale Unterscheidung der Teile markiert, und ich 51

Die Conimbricenser zu Aristoteles, Physica, Buch VI, Kap. 9, S. 147 f. meiner Ausgabe.

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glaube nicht, daß Aristoteles hätte leugnen wollen, daß man, wenn man unendlich viele Linien durch einen Zoll Materie zöge, dort nicht eine Teilung anbrächte, die dasjenige zu einem aktual Unendlichen machte, was ihm zufolge nur ein virtuell Unendliches war. Nun ist gewiß, daß die Bewegung dasjenige für den Verstand ist, was das Ziehen dieser Linien durch einen Zoll Materie für die Augen ist.52 Wir begreifen, daß ein bewegter Körper, wenn er nacheinander die Teile des Raumes berührt, dieselben so bezeichnet und bestimmt, wie es Kreide in der Hand tun würde. Aber weiter, wenn man sagen kann, daß die Teilung eines Unendlichen erreicht ist, hat man dann nicht ein aktual Unendliches? Sagen Aristoteles und seine Anhänger nicht, daß eine Stunde eine Unendlichkeit von Teilen enthält? Man muß also, wenn sie vorüber ist, sagen, daß eine Unendlichkeit von Teilen aktual nacheinander existiert hat. Ist das ein potentiell Unendliches? Ist es nicht ein aktual Unendliches? Wir wollen also sagen, daß seine Unterscheidung hinfällig ist und daß der Einwand Zenons seine ganze Stärke behält. Eine Stunde, ein Jahr, ein Jahrhundert usw. sind eine endliche Zeit. Ein Fuß Materie ist ein unendlicher Raum. Es gibt folglich keinen bewegten Körper, der jemals vom Anfang eines Fußes zu dessen Ende gelangen könnte. In der folgenden Anmerkung werden wir sehen, ob man diesem Einwand durch die Annahme ausweichen kann, daß die Teile eines Fußes Materie nicht unendlich sind. Wir wollen uns hier mit der Feststellung begnügen, daß die Ausflucht einer Unendlichkeit von Teilen der Zeit hinfällig ist, denn wenn es in einer Stunde eine Unendlichkeit von Teilen gäbe, so könnte sie niemals weder beginnen noch enden. Alle ihre Teile müssen getrennt voneinander existieren, niemals existieren zwei zugleich und niemals können sie zugleich sein. Sie müssen also zwischen einer ersten und einer letzten Einheit eingeschlossen sein, was aber unvereinbar mit einer unendlichen Anzahl ist. 52

Dies wird durch dasjenige bestätigt, was die Geometer bezüglich der Erzeugung von Linien und Oberflächen sagen. (…). Clavius, zu Euclid, Buch I, Nrs. 2 und 5.

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Der dritte Einwand war das berühmte Argument, das man »Achilles« nannte.53 Diogenes Laertius54 zufolge hat Zenon von Elea es erfunden. Gleichwohl berichtet er, daß Favorinus es Parmenides und mehreren anderen zuschreibt. Dieser Einwand stützt sich auf dieselbe Grundlage wie der zweite, ist aber für den rednerischen Vortrag besser geeignet. Er zielt darauf ab zu zeigen, daß der schnellste bewegte Körper in der Verfolgung des langsamsten diesen niemals einholen könnte. (…). Nehmen wir an, eine Schildkröte hätte zwanzig Schritte Vorsprung vor Achilles, und begrenzen wir die Schnelligkeit dieses Helden auf das Zwanzigfache der Schildkröte. Während er zwanzig Schritte tun wird, macht die Schildkröte einen; sie wird ihm also immer noch voraus sein. Während er den einundzwanzigsten Schritt tun wird, wird sie den zwanzigsten Teil des zweiundzwanzigsten Schritts hinzugewinnen, und während er diesen zwanzigsten Teil hinzugewinnt, wird sie den zwanzigsten Teil des einundzwanzigsten Teils durchlaufen usf. Aristoteles verweist uns auf das, was er auf den zweiten Einwand geantwortet hat; und wir können ihn unsererseits auf unsere Replik verweisen. Man sehe auch, was in der folgenden Anmerkung gesagt werden wird bezüglich der Schwierigkeit zu erklären, worin die Geschwindigkeit der Bewegung besteht. Kommen wir zum vierten Einwand. Er zielt darauf ab, die Widersprüche der Bewegung aufzuzeigen. Man nehme einen Tisch von vier Ellen und zwei Körper von ebenfalls vier Ellen, einen aus Holz, einen aus Stein.56 Der Tisch soll unbeweglich fest stehen und das Holzstück mit zwei Ellen Länge gegen Westen ragen. Das Stück aus Stein soll gegen Osten zeigen und soll nur den Rand des Tisches berühren. Es soll sich auf diesem Tisch westwärts bewegen und in einer halben Stunde zwei Ellen zurücklegen. Es wird dann das Holzstück berühren. Wir Man sehe den Artikel ACHILLES, Anmerkung (L). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  54 (…). Buch IX, Nr. 29. 56 Anderes Material würde auch passen. Holz und Stein werden hier nur beispielhaft genommen. 53

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wollen annehmen, daß sie sich nur mit ihren Enden treffen und zwar auf solche Weise, daß die westwärts gerichtete Bewegung des einen Stücks das andere Stück nicht hindert, sich ostwärts zu bewegen. Im Augenblick ihrer Berührung möge das Holzstück beginnen, sich ostwärts zu bewegen, während das andere fortfährt, sich westwärts zu bewegen. Sie sollen sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen. In einer halben Stunde wird das Stück aus Stein den ganzen Tisch durchlaufen haben. Es wird also einen Raum von vier Ellen in einer Stunde durchlaufen haben, d. h. die ganze Oberfläche des Tisches. Nun hat das Holzstück in einer halben Stunde einen gleichen Raum von vier Ellen zurückgelegt, denn es hat die Enden der gesamten Ausdehnung des Stücks aus Stein berührt. Es ist folglich wahr, daß zwei mit gleicher Geschwindigkeit bewegte Körper den gleichen Raum zurücklegen, der eine in einer halben Stunde, der andere in einer Stunde. Also sind eine Stunde und eine halbe Stunde gleiche Zeiträume, was widersprüchlich ist. Aristoteles sagt, dies sei ein Trugschluß, weil der eine dieser bewegten Körper hinsichtlich eines ruhenden Raumes – nämlich des Tisches – betrachtet werde und der andere hinsichtlich eines Raumes, der sich bewegt – nämlich des Stücks aus Stein. Ich gebe zu, daß er diesen Unterschied zu Recht herausstellt, aber er behebt nicht die Schwierigkeit. Denn es bleibt immer noch ein Umstand zu erklären, der unbegreiflich scheint: daß nämlich ein Holzstück in gleicher Zeit mit seiner südlichen Seite vier Ellen und mit seiner unteren Fläche nur zwei Ellen durchläuft. Hier ist ein deutlicheres Beispiel: Man nehme zwei Foliobände von gleicher Länge, z. B. jeden zwei Fuß lang. Man lege sie auf einen Tisch, einen vor den anderen. Jetzt bewege man gleichzeitig den einen gegen den anderen, den einen ostwärts, den anderen westwärts, bis das östliche Ende des einen und das westliche Ende des anderen einander berühren. Man wird sehen, daß die Enden, mit denen sie sich vorher berührten, jetzt vier Fuß auseinander liegen, und doch hat jedes dieser Bücher nur einen Raum von zwei Fuß durchlaufen. Man kann diesen Einwand noch stärker machen, indem man beliebige in Bewegung befindliche Körper annimmt, die sich inmit-

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ten von mehreren anderen Körpern befinden, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in verschiedene Richtungen bewegen. Dann ergibt sich, daß ein und derselbe Körper in gleicher Zeit verschiedene Vielfache an Raum zurückgelegt haben wird, doppelte, dreifache usw. Wenn man dies gründlich bedenkt, wird man finden, daß nur arithmetische Kalküle, die lediglich Ideen unseres Geistes sind, eine Erklärung hierfür bieten, daß aber in den Körpern selbst die Sache nicht möglich zu sein scheint.57 Denn man muß sich an diese drei wesentlichen Eigenschaften der Bewegung erinnern: 1) Ein bewegter Körper kann nicht zweimal nacheinander denselben Teil des Raumes berühren. 2) Er kann niemals zwei Teile des Raumes gleichzeitig berühren. 3) Er kann niemals den dritten Teil des Raumes vor dem zweiten noch den vierten vor dem dritten berühren. Wer immer diese drei Dinge physisch mit der Entfernung von vier Fuß vereinigen kann, die sich zwischen zwei Körpern befindet, die nur zwei Fuß an Raum zurückgelegt haben,58 wird kein Dummkopf sein. Man bemerke wohl, daß diese drei Eigenschaften mit gleicher Notwendigkeit auf einen bewegten Körper zutreffen, der Räume durchläuft, deren Bewegung der seinen entgegen ist, wie auf einen bewegten Körper, der Räume durchläuft, in denen er auf keinen Widerstand stößt.

(G) Dieselben, die man unten finden wird. Es scheint mir, daß diejenigen, die Zenons Meinung erneuern möchten, zunächst folgendermaßen argumentieren müßten.

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Dieselben Schwierigkeiten können mit Blick darauf entwickelt werden, daß die kleinen Räder eines Wagens bei gleicher Umdrehungszahl um ihr Zentrum ebensoviel Weg zurücklegen wie die großen. Das gleiche kann von zwei Rädern gesagt werden, die an derselben Achse befestigt sind und von denen das eine sehr klein, das andere sehr groß ist. 58 Z. B. die beiden soeben erwähnten Foliobände.

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Einwände gegen die Existenz der Ausdehnung I. Es gibt keine Ausdehnung, folglich gibt es keine Bewegung. Die Folgerung ist gut, denn das, was keine Ausdehnung hat, nimmt keinen Ort ein, und das, was keinen Ort einnimmt, kann nicht von einem Ort zu einem anderen wechseln und sich folglich nicht bewegen. Das ist unbestreitbar. Die Schwierigkeit liegt also nur darin, zu beweisen, daß es keine Ausdehnung gibt. Hier ist das, was Zenon hätte sagen können. Die Ausdehnung kann weder aus mathematischen Punkten noch aus Atomen, noch aus unendlich teilbaren Teilchen zusammengesetzt sein; folglich ist ihre Existenz unmöglich. Die Folgerung erscheint gewiß, denn man kann sich nur diese drei Arten der Zusammensetzung der Ausdehnung vorstellen. Es geht also nur darum, den Vordersatz zu beweisen. Bezüglich der mathematischen Punkte reichen wenige Worte aus, denn selbst die oberflächlichsten Köpfe können, wenn sie nur ein wenig Aufmerksamkeit walten lassen, mit letzter Gewißheit erkennen, daß mehrere unausgedehnte Entitäten niemals eine Ausdehnung ergeben, wenn man sie zusammenfügt.59 Man ziehe den erstbesten Kurs der scholastischen Philosophie zu Rate, der einem in die Hände fällt. Man wird dort, gestützt auf eine Vielzahl geometrischer Demonstrationen, die überzeugendsten Gründe der Welt gegen die Existenz dieser Punkte finden.60 Wir wollen davon nicht weiter sprechen und es für unmöglich oder wenigstens für unvorstellbar halten, daß das Kontinuum daraus zusammengesetzt sei. Es ist nicht weniger unmöglich oder unvorstellbar, daß es aus den Atomen Epikurs, d. h. aus 59

Man sehe L’art de penser, Teil IV, Kap. 1, S. 392 meiner Ausgabe und unten Anmerkung (D) des folgenden Artikels sc. ZENON DER EPIKUREER. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  gegen Ende. 60 Man sehe u. a. das Werk von Libertus Fromondus, Professor in Louvain, mit dem Titel Labyrinthus seu de compositione continui. Das ist ein viel stärkeres Buch als die Antwort von Jaques Chevreuil (lateinisch »Capreolus«), Philosophieprofessor in Paris, die er 1636 auf zwei Fragen des Kardinals de Richelieu De demonstratione magnitudinis in puncto etc. gegeben hat.

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ausgedehnten und unteilbaren Korpuskeln zusammengesetzt sein sollte, denn jede Ausdehnung, wie klein sie auch sei, hat eine rechte und eine linke Seite, ein Oben und ein Unten. Sie ist also eine Vereinigung distinkter Körper; ich kann von der rechten Seite verneinen, was ich für die linke Seite behaupte; diese zwei Seiten sind nicht an demselben Ort. Ein Körper kann nicht auf einmal an zwei Orten sein, und folglich enthält jede Ausdehnung, die mehrere Orte des Raumes besetzt, mehrere Körper. Überdies weiß ich, und die Atomisten leugnen es nicht, daß, weil zwei Atome zwei Wesen sind, sie voneinander trennbar sind. Daraus schließe ich mit großer Gewißheit, daß, weil die rechte Seite eines Atoms nicht dasselbe Wesen ist wie die linke Seite, sie von dieser getrennt werden kann. Die Unteilbarkeit eines Atoms ist also ein Hirngespinst. Falls es Ausdehnung gibt, müssen also ihre Teile unendlich teilbar sein. Wenn sie aber auf der anderen Seite nicht unendlich teilbar sein können, muß man schließen, daß die Existenz der Ausdehnung unmöglich oder wenigstens unbegreiflich ist. Die unendliche Teilbarkeit ist die Lehre, die Aristoteles sich zu eigen gemacht hat und die von fast allen Philosophieprofessoren auf allen Universitäten seit mehreren Jahrhunderten vertreten wird. Das ist nicht deshalb der Fall, weil man sie verstünde oder weil man auf Einwände gegen sie antworten könnte, sondern weil man, nachdem man die Unmöglichkeit von mathematischen wie physischen Punkten klar begriffen hatte, nur diese Partei zu ergreifen wußte. Außerdem bietet diese Lehre große Vorteile, denn wenn ihre Unterscheidungen ausgeschöpft sind, ohne daß man dadurch dieses Lehrstück begreiflich machen konnte, so rettet man sich in die Natur des Gegenstandes selbst und führt an, niemand dürfe es angesichts der Begrenztheit unseres Geistes verwunderlich finden, daß man das Unendlichkeitsproblem nicht auflösen könne, und daß es zum Wesen eines derartigen Kontinuums gehöre, von Schwierigkeiten umgeben zu sein, die für den Menschen unüberwindlich sind. Man beachte, daß diejenigen, welche die atomistische Hypothese annehmen, das nicht tun, weil sie verstünden, daß ein ausgedehnter Körper einfach sein könnte,

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sondern weil sie meinen, daß die beiden anderen Hypothesen unmöglich sind. Wir wollen das gleiche von denjenigen sagen, die mathematische Punkte zulassen. Allgemein gesagt kommen alle diejenigen, die über das Kontinuum nachdenken, nur kraft dieses Grundsatzes zu einer Entscheidung: »Wenn es nur drei Arten gibt, einen Sachverhalt zu erklären, so ergibt sich die Wahrheit der dritten Art notwendigerweise aus der Falschheit der beiden anderen.« Sie glauben also, sich in der Wahl der dritten Art nicht zu täuschen, weil sie klar begriffen haben, daß die beiden anderen unmöglich sind; und sie lassen sich von den undurchdringlichen Schwierigkeiten der dritten Art nicht abschrecken. Sie trösten sich entweder damit, daß diesen Schwierigkeiten durch Retorsion begegnet werden kann, oder dadurch, daß sie sich überreden, ihre Lehre sei schließlich wahr, weil die beiden anderen das nicht sind. Nachdem der scharfsinnige Arriaga sich selbst einen unlösbaren Einwand gemacht hat, erklärt er, daß er deswegen keinesfalls seine Meinung aufgebe. Denn, sagt er, die anderen Schulen lösen ihn nicht besser auf. »Ich sehe, daß dieser Einwand bis jetzt gegen das oben vorgetragene Argument erhoben wird, ich sehe, daß er von niemandem aufgelöst worden ist, und ich behaupte nicht, daß ich ihn auflösen kann. Da er aber auf alle Meinungen über die Zusammensetzung des Kontinuums zutrifft, gibt es keinen Grund, warum jemand seine angenommene Meinung aufgeben sollte.61 (---). Wenngleich aber auch andere große Schwierigkeiten mit der Meinung des Aristoteles verbunden sind, die von uns nicht aufgelöst werden können, so zwingt uns das nicht, diese Meinung aufzugeben. Denn diese Materie ist so schwierig, daß wir allenthalben auf etwas Unerklärliches stoßen. Ich meinerseits will lieber offen eingestehen, keine Antwort auf einige Einwände zu haben, als eine solche zu geben, die vermutlich von niemandem verstanden wird.«62

61

Arriaga, Disput. XVI Phys., Sect. XI, Nr. 241, S. 433 meiner Aus-

gabe. 62

A. a.O., Sect. XII, Nr. 256, S. 435.

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Ein Anhänger Zenons könnte zu denen, die eine dieser drei Lehren wählen, sagen: »Ihr argumentiert nicht gut, Ihr bedient euch des folgenden disjunktiven Syllogismus: Das Kontinuum ist entweder aus mathematischen Punkten oder aus physischen Punkten oder aus unendlich teilbaren Teilchen zusammengesetzt. Nun ist es weder aus … noch aus … zusammengesetzt.63 Folglich ist es aus … zusammengesetzt. Der Fehler Eures Schlusses liegt nicht in der Form, sondern in seiner Materie. Ihr solltet Euren disjunktiven Vernunftschluß aufgeben und folgenden hypothetischen Vernunftschluß benutzen: Wenn die Ausdehnung existierte, so wäre sie entweder aus mathematischen Punkten oder aus physischen Punkten oder aus unendlich teilbaren Teilchen zusammengesetzt. Nun ist sie weder aus mathematischen Punkten, noch aus physischen Punkten, noch aus unendlich teilbaren Teilchen zusammengesetzt. Folglich existiert sie nicht.« Es gibt keinerlei Fehler in der Form dieses Syllogismus. Das Sophisma a non sufficienti enumeratione partium von der nicht zureichenden Aufzählung der Teile  liegt im Obersatz nicht vor. Die Folgerung ist also notwendig, vorausgesetzt, daß der Untersatz wahr ist. Um die Wahrheit des Untersatzes deutlich zu erkennen, braucht man nur die Argumente zu betrachten, die diese Parteien gegeneinander vorbringen, und sie mit den Antworten zu vergleichen. Jede dieser drei Parteien triumphiert, vernichtet und zerstört, solange sie angreift, wird aber ihrerseits vernichtet und überwältigt, wenn sie sich in der Defensive befindet. Um ihre Schwäche zu erkennen, genügt es, sich daran zu erinnern, daß die stärkste von ihnen, diejenige, die sich am besten auf dem Kampfplatz behauptet, die Lehre 63

Der Kürze halber formuliere ich weder die Verneinung noch die Bejahung inhaltlich, denn nach den Regeln der Logik kann man hier von der Zurückweisung zweier beliebiger Hypothesen zur Zulassung der dritten voranschreiten.

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von der unendlichen Teilbarkeit ist. Die Scholastiker haben sie vom Kopf bis zu den Zehen mit all den Distinktionen ausgestattet, die ihre große Muße sie erfinden ließ. Aber das hat nur dazu gedient, ihren Schülern bei einer öffentlichen Disputation Stoff zum Schwätzen zu verschaffen, um deren Angehörigen die Schande zu ersparen, sie stumm zu sehen. Ein Vater oder ein Bruder gehen viel glücklicher nach Hause, wenn der Schüler das kategorematische und das synkategorematische Unendliche, wenn er die kommunikanten und die nichtkommunikanten, die proportionalen und die aliquoten Teile zu unterscheiden weiß, als wenn er nichts geantwortet hätte. Es war daher erforderlich, daß die Professoren irgendeinen Jargon erfanden. Aber all die Mühe, die sie sich gegeben haben, wird niemals in der Lage sein, folgenden evidenten und sonnenklaren Begriff zu verdunkeln: »Eine unendliche Zahl von Teilen der Ausdehnung, von denen jedes ausgedehnt und sowohl hinsichtlich seiner Entität als auch hinsichtlich des Ortes, den es einnimmt, von allen anderen verschieden ist, kann nicht in einem Raum enthalten sein, der hunderttausendmillionenmal kleiner ist als der hunderttausendste Teil eines Gerstenkornes.«

Die unendliche Teilbarkeit würde jede Kontiguität verhindern Hier ist eine andere Schwierigkeit. Eine ausgedehnte Substanz müßte, wenn es sie gäbe, zwangsläufig unmittelbaren Kontakt ihrer Teile zulassen. Der Lehre des Vakuums zufolge gäbe es mehrere, von allen anderen getrennte Körper, aber mehrere andere müßten sich unmittelbar berühren. Aristoteles, der diese Lehre nicht teilt, muß einräumen, daß jeder Teil der Ausdehnung unmittelbar einige andere Teile mit seiner gesamten Außenfläche berührt. Das ist mit der unendlichen Teilbarkeit unvereinbar, denn wenn jeder Körper unendlich viele Teile enthält, so ist klar, daß jeder besondere Teil der Ausdehnung von jedem anderen Teil durch unendliche viele Teile getrennt und daß der unmittelbare Kontakt von zwei Teilen unmöglich ist.

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Wenn nun ein Ding alles das nicht haben kann, was zu seiner Existenz notwendigerweise erforderlich ist, so steht fest, daß seine Existenz unmöglich ist. Weil also die Existenz der Ausdehnung notwendigerweise den unmittelbaren Kontakt ihrer Teile erfordert und weil dieser unmittelbare Kontakt bei der unendlichen Teilbarkeit der Ausdehnung unmöglich ist, so ist klar, daß die Existenz der Ausdehnung unmöglich ist und daß somit die Ausdehnung lediglich im Geiste existiert. Man muß hinsichtlich der Körper das anerkennen, was die Mathematiker hinsichtlich der Linien und Flächen anerkennen, von denen sie so viele hübsche Dinge beweisen. Sie räumen freimütig ein,64 daß Länge und Breite ohne Tiefe etwas ist, was nicht außerhalb unserer Seele zu existieren vermag. Wir wollen das gleiche über die drei Dimensionen sagen. Sie können sich nur in unserem Geist befinden, sie können nur idealiter existieren. Unser Geist ist eine Art Sammelbecken, in dem sich hunderttausend Gegenstände verschiedener Farbe, Gestalt und Lage zusammenfinden. Denn wir können von einem Hügel aus eine weite, mit Häusern, Bäumen, Herden usw. übersäte Fläche mit einem Schlag überblicken. Weit gefehlt, daß all diese Dinge von der Art wären, daß sie in dieser Ebene untergebracht werden könnten; keine zwei von ihnen fänden dort Platz. Jedes beansprucht einen unendlichen Ort, weil es unendlich viele ausgedehnte Körper in sich enthält. Man müßte unendliche Zwischenräume um jedes einzelne herum lassen, weil es zwischen jedem Teil und allen anderen Teilen unendlich viele Körper gibt. Man sage nicht, Gott kann alles. Denn wenn die frömmsten Theologen zu sagen wagen, daß er nicht machen kann, daß in einer geraden Linie von zwölf Zoll Länge der erste und der dritte Zoll unmittelbar benachbart sind, so darf ich wohl sagen, daß er nicht machen kann, daß zwei Teile der Ausdehnung sich unmittelbar berühren, weil unendlich viele andere Teile sie voneinander trennen. Wir wollen also sagen, 64

Man vergleiche, was in Anmerkung (D) des folgenden Artikels gegen Ende gesagt werden wird. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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daß der Kontakt der Materieteile nur idealiter stattfindet und daß die äußersten Enden der verschiedenen Körper nur in unserem Geist zusammengebracht werden können.

Die unendliche Teilbarkeit würde die Durchdringung der Dimensionen mit sich bringen Wir wollen jetzt einen ganz entgegengesetzten Einwand vortragen. Die Durchdringung der Dimensionen ist unmöglich, und trotzdem wäre sie unvermeidlich, wenn es die Ausdehnung gäbe. Folglich stimmt es nicht, daß es die Ausdehnung geben könnte. Legt eine mit Farbe bestrichene Kanonenkugel auf den Tisch und laßt sie über diesen Tisch rollen. Ihr werdet sehen, daß sie dort durch ihre Bewegung eine Linie hinter sich herzieht. Ihr habt also zwei starke Beweise für den unmittelbaren Kontakt dieser Kugel mit diesem Tisch. Das Gewicht der Kugel lehrt euch, daß sie den Tisch unmittelbar berührt, denn wenn sie ihn nicht auf diese Weise berührt hätte, wäre sie schwebend in der Luft geblieben; und eure Augen überzeugen euch von diesem Kontakt durch die Spur dieser Kugel. Nun behaupte ich, daß dieser Kontakt eine Durchdringung der Dimensionen im eigentlichen Sinne ist. Der Teil der Kugel, der den Tisch berührt, ist ein bestimmter und von den anderen Teilen der Kugel, die den Tisch nicht berühren, real unterschiedener Körper. Das gleiche behaupte ich von dem Teil des Tisches, der von der Kugel berührt wird. Diese beiden sich berührenden Teile sind jeder für sich nach Länge, Breite und Tiefe unendlich teilbar. Sie berühren sich also wechselseitig gemäß ihrer Tiefe, und folglich durchdringen sie einander. Man hält das tagtäglich den Peripatetikern bei ihren öffentlichen Disputationen entgegen. Sie verteidigen sich mit einem unverständlichen Gerede von Unterscheidungen, das nur dazu dient, dem Ärger vorzubeugen, den die Eltern des Schülers verspüren könnten, wenn sie sehen, daß dieser verstummt. Darüber hinaus aber haben diese Unterscheidungen niemals zu etwas anderem gedient als dazu, die Unlösbarkeit des Einwandes aufzuzeigen.

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Hier also stoßen wir auf einen ganz eigentümlichen Umstand: Wenn es die Ausdehnung gäbe, so wäre es nicht möglich, daß ihre Teile sich berührten, und es wäre unmöglich, daß sie sich nicht durchdrängen. Sind das nicht sehr evidente in der Existenz der Ausdehnung enthaltene Widersprüche?

Die gegen die Existenz der Ausdehnung verwendeten Mittel der Urteilsenthaltung Fügen wir dem hinzu, daß all die Mittel der Urteilsenthaltung, welche die Realität körperlicher Qualitäten zunichte machen, auch die Realität der Ausdehnung zunichte machen. Aus dem Umstand, daß ein und dieselben Körper für einige Menschen süß und für andere bitter sind, schließt man zu Recht, daß sie ihrer Natur nach und absolut gesprochen weder süß noch bitter sind. Obwohl sie keine Skeptiker sind, haben die modernen Philosophen die Grundlage der Urteilsenthaltung hinsichtlich der Töne, der Gerüche, des Kalten und Warmen, der Härte und der Weichheit, des Gewichtes und der Leichtigkeit, des Geschmacks und der Farben usw. so gut begriffen, daß sie lehren, daß alle diese Qualitäten Perzeptionen unserer Seele sind und nicht in den Objekten unserer Sinne existieren. Warum sollten wir nicht dasselbe über die Ausdehnung sagen? Wenn ein Wesen, das keinerlei Farbe hat, uns dennoch bezüglich seiner Art, seiner Gestalt und seiner Lage in einer bestimmten Farbe erscheint, warum könnte uns dann nicht ein Wesen, das keinerlei Ausdehnung besitzt, in der Erscheinung einer in bestimmter Weise determinierten, gestalteten und lokalisierten Ausdehnung sichtbar sein? Und man beachte, daß derselbe Körper uns klein oder groß, rund oder eckig je nach dem Ort erscheint, von wo aus man ihn betrachtet. Und wir können gewiß sein, daß ein uns sehr klein erscheinender Körper einer Fliege sehr groß vorkommt. Die Körper präsentieren sich dem Geist also nicht durch ihre ihnen eigene wirkliche oder absolute Ausdehnung. Daraus kann man schließen, daß sie an sich nicht ausgedehnt sind. Würde man es heute wagen, folgender-

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maßen zu schließen: »Weil bestimmte Körper diesem Menschen hier süß erscheinen, einem anderen sauer und wieder einem anderen bitter usw., darf ich behaupten, daß sie im allgemeinen schmackhaft sind, obwohl ich den Geschmack nicht kenne, der ihnen in absoluter Hinsicht und an und für sich zukommt«? Alle modernen Philosophen würden euch auslachen. Weshalb wagt ihr es dann zu sagen: »Weil bestimmte Körper diesem Lebewesen groß erscheinen, mittelgroß einem anderen und sehr klein einem dritten, darf ich behaupten, daß sie im allgemeinen ausgedehnt sind, obwohl ich ihre absolute Ausdehnung nicht kenne«? Wir wollen sehen, was ein berühmter Dogmatiker bekennt66: »Man kann durch die Sinne sehr wohl wissen, daß ein bestimmter Körper größer ist als ein anderer, aber man kann nicht mit Gewißheit wissen, was die wahre und natürliche Größe eines jeden Körpers ist. Um das zu verstehen, muß man nur bedenken, daß, wenn jedermann die äußeren Gegenstände immer nur durch eine Brille betrachtet hätte, die sie vergrößert, es gewiß ist, daß man sich die Körper und ihre sämtlichen Ausmaße nur gemäß der Größe vorstellen würde, in der sie uns durch diese Brille erschienen wären. Nun sind unsere Augen selbst Brillen, und wir wissen nicht genau, ob sie die Gegenstände, die wir sehen, nicht verkleinern oder vergrößern und ob die künstlichen Brillen, von denen wir glauben, daß sie die Objekte verkleinern oder vergrößern, sie nicht im Gegenteil in ihrer wahren Größe darstellen; und deshalb erkennt man die absolute und natürliche Größe eines jeden Körpers nicht mit Gewißheit. Wir wissen auch nicht, ob wir sie in der gleichen Größe sehen wie die anderen Menschen, denn obwohl zwei Personen beim Messen darin übereinstimmen, daß ein bestimmter Körper beispielsweise nur fünf Fuß mißt, so ist trotzdem das, was der eine unter einem Fuß versteht vielleicht nicht dasselbe, was der andere darunter versteht. Denn jeder 66

Nicole, L’art de penser, Teil IV, Kap. 1, S. 387 f. Man sehe auch Rohault, Traité de physique, Teil I, Kap. 27, Nr. 6, S. 293 meiner Ausgabe, wo er von der verschiedenen Erscheinung gleicher Farben spricht; er kannte das aus Erfahrung.

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von beiden versteht darunter dasjenige, was seine Augen ihm vorführen. Aber vielleicht führen die Augen des einen ihm nicht dasselbe vor wie dem anderen seine Augen, weil er über eine anders gearbeitete Brille verfügt.« Père Malebranche67 und Père Lamy, der Benediktiner,68 geben über all dies eine bewundernswert detaillierte Darstellung, die gut geeignet ist, meinen Einwand sehr stark zu machen.

Wie sich geometrische Demonstrationen gegen die Existenz der Ausdehnung verwenden lassen Meine letzte Schwierigkeit gründet in den geometrischen Demonstrationen, die man so subtil entfaltet, um zu beweisen, daß die Materie unendlich teilbar ist. Ich behaupte, daß sie nur dazu taugen zu zeigen, daß die Ausdehnung nur in unserem Verstand existiert. An erster Stelle merke ich an, daß man sich einiger dieser Demonstrationen gegen diejenigen bedient, die sagen, die Materie sei aus mathematischen Punkten zusammengesetzt. Man wendet gegen sie ein, daß dann die Seiten eines Quadrats der Diagonale gleich wären und daß unter den konzentrischen Kreisen der kleinste Kreis dem größten gleich wäre. Man beweist diese Konsequenz, indem man zeigt, daß alle geraden Linien, die man von einer der Seiten des Quadrates zur gegenüberliegenden ziehen kann, die gesamte Diagonale schneiden, und daß alle geraden Linien, die man vom Umfang des größten Kreises zu seinem Mittelpunkt ziehen kann, Platz auf dem Umfang des kleinsten finden. Diese Einwände sind gegen das aus Punkten zusammengesetzte Kontinuum nicht stärker als gegen das unendlich teilbare Kontinuum. Denn wenn die Teile einer bestimmten Ausdehnung nicht in größerer Anzahl in der Diagonalen als in den Seiten noch im Umfang des kleinsten konzentrischen Kreises als im größten

67 68

Malebranche, Recherche de la vérité, Buch I, Kap. 6 ff. Lamy, De la connaissance de soi-même, Bd. II, S. 112 ff.

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sind,* so ist klar, daß die Seiten des Quadrates der Diagonalen und der kleinste konzentrische Kreis dem größten gleich sind. Nun sind alle geraden Linien, die man von einer der Seiten des Quadrates zur gegenüberliegenden und die man vom Umfang des größten Kreises zum Zentrum ziehen kann, untereinander gleich. Man muß sie also als aliquote Teile betrachten, d. h. als Teile einer bestimmten Größe und derselben Art. Es ist nun gewiß, daß zwei Ausdehnungen, deren aliquote und artgleiche Teile wie Zoll, Fuß, Schritt gleich an Zahl sind, einander nicht übertreffen. Es ist daher sicher, daß die Seiten des Quadrates genauso groß wären wie die Diagonale, wenn die Diagonale nicht von mehr geraden Linien geschnitten werden könnte als die gegenüberliegenden Seiten. Dasselbe wollen wir von den zwei konzentrischen Kreisen sagen. Ich behaupte an zweiter Stelle, daß es sehr wahr ist, daß man, wenn Kreise existierten, von ihrem Umfang zum Zentrum so viele gerade Linien ziehen könnte, wie es Teile des Umfangs gäbe. Daraus folgt, daß die Existenz eines Kreises unmöglich ist. Man wird mir fraglos zugestehen, daß ein jedes Wesen, das nur existieren kann, wenn es Eigenschaften enthält, die nicht existieren können, unmöglich ist. Nun kann eine runde Ausdehnung nicht existieren, ohne daß sie einen Mittelpunkt hätte, in dem genauso viele gerade Linien enden, wie es Teile seines Umfangs gibt, und es ist sicher, daß ein solcher Mittelpunkt nicht existieren kann. Folglich muß man sagen, daß die Existenz dieser runden Ausdehnung unmöglich ist. Daß ein solcher Mittelpunkt nicht existieren kann, beweise ich auf klare Art. Nehmen wir eine runde Ausdehnung von vier Fuß Umfang an. Sie enthält 48 Zoll, von denen jeder zwölf Linien enthält. Sie enthält also 576 Linien. Das ist die Anzahl von geraden Linien, die man von diesem Umfang zum Mittelpunkt ziehen kann. Ziehen wir einen Kreis sehr nahe um den Mittelpunkt herum; er wird so klein sein können, daß er nur 50 Linien enthält. Er wird also keinen Platz bieten können für die 576 geraden Linien; es wird also Recte: »noch im Umfang des größten konzentrischen Kreises als im kleinsten sind«. Hgg.  *

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unmöglich sein, daß die 576 geraden Linien, die man von dem Umfang dieser runden Ausdehnung zu ziehen begonnen hat, im Mittelpunkt ankommen; und dennoch wäre es erforderlich, falls diese Ausdehnung existieren sollte, daß diese 576 Linien den Mittelpunkt erreichten. Was bleibt also anderes übrig als zu sagen, daß diese Ausdehnung nicht existieren kann und daß derart alle Eigenschaften von Kreisen, Quadraten usw. auf Linien ohne Breite gegründet sind, die nur idealiter zu existieren vermögen? Man beachte, daß unsere Vernunft und unsere Augen in dieser Angelegenheit gleichermaßen getäuscht werden. Unsere Vernunft begreift klar: 1) daß der nahe um den Mittelpunkt geschlagene konzentrische Kreis kleiner ist als der Kreis, der ihn einschließt; 2) daß die Diagonale eines Quadrates größer ist als die Seite. Unsere Augen sehen das ohne Zirkel und noch viel gewisser mit dem Zirkel; und trotzdem lehren uns die Mathematiker, daß man vom Umfang zum Mittelpunkt so viele gerade Linien ziehen kann, wie es Punkte auf dem Umfang gibt, und daß man von einer Seite eines Quadrates zur anderen so viele gerade Linien ziehen kann, wie es Punkte auf dieser Seite gibt. Darüber hinaus zeigen uns unsere Augen, daß es auf dem Umfang des kleinen konzentrischen Kreises keinen Punkt gibt, der nicht Teil einer geraden, vom Umfang des großen Kreises zum Mittelpunkt gezogenen Linie wäre, und daß die Diagonale des Quadrates keinen Punkt hat, der nicht Teil einer geraden, von einer der Seiten des Quadrates zur gegenüberliegenden Seite gezogenen Linie wäre. Wie kann es also kommen, daß diese Diagonale größer ist als die Seiten? Das ist das den ersten Beweis betreffende Material, von dem ich annehme, daß Zenon sich seiner hätte bedienen können, um die Existenz der Bewegung zu widerlegen. Er gründet in der Unmöglichkeit der Existenz der Ausdehnung. Wir werden unten einen anderen Grund für eben diese Unmöglichkeit sehen.69 Ich bin willens zu glauben, daß dasjenige, was er an

69

In der Anmerkung (I).

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letzter Stelle unter Verwendung der geometrischen Demonstrationen hätte sagen können, leicht mit denselben Mitteln zu widerlegen ist; aber ich bin fest überzeugt, daß die von den Mathematikern zum Beweis der unendlichen Teilbarkeit entlehnten Argumente70 zuviel beweisen. Denn entweder beweisen sie nichts, oder sie beweisen die Unendlichkeit der aliquoten Teile. II. Zenons zweiter Einwand hätte folgender sein können. Angenommen, es gibt Ausdehnung außerhalb unseres Geistes,71 so behaupte ich dennoch, daß sie unbeweglich ist. Die Bewegung gehört nicht zu ihrem Wesen, sie ist nicht in der Vorstellung derselben enthalten, und mehrere Körper sind manchmal in Ruhe. Sie ist also ein Akzidens. Aber ist sie von der Materie verschieden? Wenn sie von ihr verschieden ist, wodurch wird sie dann hervorgebracht? Fraglos durch nichts, und wenn sie aufhört zu sein, so wird sie zu einem bloßen Nichts. Aber man weiß, daß aus nichts nichts entsteht, und daß nichts ins Nichts zurückfällt.72 Muß sich ferner die Bewegung nicht in und über den bewegten Gegenstand erstrecken? Sie wäre folglich genauso ausgedehnt wie er und von gleicher Gestalt. Man hätte also zwei gleiche Ausdehnungen in ein und demselben Raum, und folglich gäbe es eine Durchdringung der Dimensionen. Wenn aber drei oder vier Ursachen einen Körper bewegen, muß dann nicht jede einzelne seine Bewegung hervorbringen? Müssen sich dann nicht diese drei oder vier Bewegungen völlig durchdringen, und zwar sowohl mit dem Körper wie untereinander? Wie kann also jede einzelne von ihnen ihre Wirkung hervorbringen? Ein durch Wind, Strömung und Ruder bewegtes Schiff beschreibt eine Linie, die an diesen drei

70

Es gibt davon sehr schöne in L’art de penser, Teil IV, Kap. 1, S. 392. Man sehe auch die Physique von Rohault, Teil I, Kap.9. 71 Dies wird vorausgesetzt, aber nicht zugestanden. 72 Zenon hätte das ganz kühn behaupten können, denn alle alten Philosophen erkannten diese Maxime des Lukrez an, daß »ein Ding (---) nicht aus dem Nichts entstehen kann und daß geschaffene Dinge sich niemals in nichts auflösen können.« Lukrez, Buch I, Vers 265 f.

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Aktionen mehr oder weniger teilhat, je nachdem welche von ihnen die stärkste ist. Wollt ihr etwa behaupten, daß nicht wahrnehmbare Wesenheiten, die einander und das ganze Schiff durchdringen, sich insoweit respektieren und nicht miteinander kämpfen? Wenn ihr sagt, die Bewegung sei ein von der Materie nicht unterschiedener Modus, dann müßt ihr auch sagen, daß dasjenige, was sie hervorbringt, Schöpfer der Materie ist. Denn ohne die Materie hervorzubringen, ist es nicht möglich, ein Wesen hervorzubringen, welches dasselbe ist wie die Materie. Aber wäre es nicht absurd zu sagen, daß der Wind, der ein Schiff bewegt, das Schiff hervorbringt? Es sieht so aus, daß man diese Einwände nur beantworten kann, wenn man mit den Cartesianern annimmt, daß Gott die alleinige und unmittelbare Ursache der Bewegung ist. III. Hier ist ein anderer Einwand. Man kann nicht angeben, was Bewegung ist. Denn wenn man sagt, daß sie darin besteht, von einem Ort zu einem anderen zu gehen, so erklärt man eine dunkle Sache durch eine noch dunklere, obscurum per obscurius. Ich frage euch zunächst, was ihr unter dem Wort »Ort« versteht. Versteht ihr darunter einen von den Körpern verschiedenen Raum? In diesem Fall stürzt ihr in einen Abgrund, aus dem ihr niemals herauskommen könnt.74 Versteht ihr darunter die Lage eines Körpers zwischen anderen, die ihn umgeben? Aber in diesem Fall definiert ihr die Bewegung auf eine solche Weise, daß sie auf abertausende von Körpern zutrifft, die sich in Ruhe befinden. Es ist sicher, daß man bis heute die Definition der Bewegung noch nicht gefunden hat. Die Definition des Aristoteles ist absurd, diejenige des Descartes ist erbärmlich. Nachdem er sich den Kopf über eine Definition zerbrochen hat, die diejenige Descartes’ verbessert, hat Rohault eine Beschreibung vorgelegt, die auf Körper zutreffen kann, die wir sehr deutlich als nicht in Bewegung befindlich begreifen.75 Deshalb hielt Regis sich für verpflichtet, sie zu verwer74

Man sehe die Anmerkung (I). »Die Bewegung«, sagt er, »besteht in der sukzessiven Anwendung aller äußeren Teile eines Körpers auf verschiedene Teile von solchen Körpern, 75

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fen.76 Aber die Definition, die er gegeben hat, ist nicht in der Lage, Bewegung von Ruhe zu unterscheiden.77 Gott, der einzige Beweger nach Ansicht der Cartesianer, muß hinsichtlich eines Hauses dasselbe tun wie hinsichtlich der Luft, die infolge eines starken Windes aus ihm entweicht. Er muß in jedem Augenblick diese Luft mit den neuen räumlichen Bezügen hinsichtlich dieses Hauses erschaffen; er muß außerdem in jedem Augenblick dieses Haus mit den neuen räumlichen Bezügen hinsichtlich dieser Luft erschaffen. Und sicherlich ist den Prinzipien dieser Herren zufolge kein Körper in Ruhe, wenn nur ein Zoll Materie in Bewegung ist. Alles, was sie also sagen können, läuft auf eine Erklärung scheinbarer Bewegung hinaus, d. h. auf eine Erklärung der Umstände, die uns zu dem Urteil bringen, daß ein Körper sich bewegt und ein anderer sich nicht bewegt. Diese Mühe ist ganz unnütz, denn jedermann vermag über Erscheinungen zu urteilen. Die Aufgabe lautet, die Natur selbst der Dinge zu erklären, die außerhalb von uns existieren, und da in dieser Hinsicht die Bewegung unerklärlich ist, könnte man genausogut sagen, daß sie nicht außerhalb unseres Geistes existiert. IV. Ich will jetzt einen viel stärkeren Einwand als den voranstehenden vortragen. Wenn die Bewegung niemals anfangen kann, so existiert sie nicht. Nun kann die Bewegung niemals anfangen, folglich usw. Den Untersatz beweise ich folgendermaßen. Ein Körper kann niemals zur gleichen Zeit an zwei Orten sein. Nun kann er niemals anfangen sich zu bewegen, ohne an unendlich vielen Orten zugleich zu sein, denn bei der geringsten Fortbewegung würde er einen unendlich teilbaren Teil berühren, dem konsequenterweise unendlich viele Teile des

die ihm unmittelbar benachbart sind.« Physique, Teil I, Kap. 10, Nr. 3, S. 62 meiner Ausgabe. 76 Man sehe seine Physique, Buch I, Teil 1, Kap. 1, S. 42 in Bd. II der Ausgabe Lyon 1691 in 12o. 77 »Die Bewegung«, sagt er, »ist die sukzessive aktive Anwendung aller äußeren Teile eines Körpers auf verschiedene Teile der Körper, die ihn unmittelbar berühren.« Physique, Buch I, Teil 1, Kap. 1, S. 43.

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Raumes entsprechen, folglich usw. Außerdem ist es sicher, daß eine unendliche Anzahl von Teilen kein erstes Teil enthält, und doch kann ein bewegtes Teil niemals das zweite vor dem ersten anstoßen. Denn die Bewegung ist ihrem Wesen nach eine sukzessive Entität, von der zwei Teile nicht gleichzeitig existieren können. Deshalb kann die Bewegung niemals anfangen, wenn das Kontinuum unendlich teilbar ist, was zweifellos der Fall wäre, wenn es existieren sollte. Das gleiche Argument demonstriert, daß ein bewegter Körper, der auf einem geneigten Tisch rollt, niemals vom Tisch herunterfallen kann. Denn bevor er herunterfiele, müßte er notwendigerweise den letzten Teil des Tisches berühren. Aber wie könnte er ihn berühren, wenn jeder Teil, den ihr als den letzten ansehen wollt, eine unendliche Anzahl von Teilen enthält und wenn die unendliche Anzahl keinen Teil hat, welcher der letzte wäre? Dieser Einwand hat einige Schulphilosophen zu der Annahme gebracht, die Natur habe mathematische Punkte mit den unendlich teilbaren Teilen vermischt, damit sie als Band dienen und die äußersten Enden der Körper bilden. Sie haben geglaubt, damit auch auf den Einwand der durchdringenden Berührung von zwei Oberflächen zu antworten, aber diese Ausflucht ist so absurd, daß sie keine Widerlegung verdient. V. Ich werde nicht lange auf die Unmöglichkeit der Kreisbewegung eingehen, obwohl sie mir einen mächtigen Einwand an die Hand gibt. Ich sage in zwei Worten, daß, wenn es eine Kreisbewegung gäbe, ein ganzer Diameter78 in Ruhe wäre, während der gesamte Rest der Kugel sich schnell bewegen würde. Man stelle sich das, wenn man kann, in einem Kontinuum vor. Der Chevalier de Meré hat diesen Einwand in seinem Brief an Pascal nicht vergessen.79 VI. Zuguterletzt sage ich, daß die Bewegung, wenn es sie gäbe, in allen Körpern gleich wäre. Es würde keinen Achilles und keine Schildkröten geben. Ein Windhund würde niemals 78

Nämlich die Achse. Ich werde von diesem Brief in der Anmerkung (D) des folgenden Artikels sprechen. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  79

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einen Hasen einholen. Zenon hat dies eingewendet,80 aber es scheint, daß er sich nur auf die unendliche Teilbarkeit des Kontinuums stützte, und vielleicht, so wird man mir entgegenhalten, hätte er auf diesen Einwand verzichtet, wenn er es mit Gegnern zu tun gehabt hätte, die entweder mathematische Punkte oder Atome annahmen. Ich antworte, daß dieser Einwand alle drei Systeme gleichermaßen trifft. Denn man nehme einen aus unteilbaren Partikeln zusammengesetzten Weg an und setzte die Schildkröte 100 Punkte vor Achilles darauf. Er wird sie niemals einholen, wenn sie sich vorwärts bewegt. Achilles wird in jedem Moment nur einen Punkt vorankommen, denn käme er zwei Punkte voran, wäre er zur gleichen Zeit an zwei Orten. Die Schildkröte wird in jedem Moment einen Punkt vorankommen; das ist das Wenigste, was sie schaffen kann, denn nichts ist kleiner als ein Punkt.81 Der wahre Grund der Geschwindigkeit der Bewegung ist unerklärlich. Die glücklichste Meinung hierüber lautet, daß keine Bewegung kontinuierlich verläuft und daß alle uns als sich bewegend erscheinenden Körper in Intervallen anhalten. Derjenige Körper, der sich zehnmal schneller bewegt als ein anderer, hält zehnmal an, wenn der andere hundertmal anhält. Aber wie gut ausgedacht auch immer diese Ausflucht erscheinen mag, sie taugt nichts. Sie wird durch mehrere solide Gründe widerlegt, die man in allen philosophischen Lehrbüchern finden kann.82 Ich gebe mich mit demjenigen zufrieden, der aus der Bewegung eines Rades hergeleitet ist. Man könnte ein Rad mit einem so 80

Man sehe die vorangehende Anmerkung, 3. Einwand. Da klar ersichtlich ist, daß die Atome Epikurs, weil sie drei Dimensionen haben, unendlich teilbar sind, und niemand es wagen würde, dies bezüglich des Raumes zu leugnen, den sie einnehmen, habe ich diesen Einwand nicht auf sie angewendet. 82 Man sehe Arriaga, Disput. XVI Phys., Sect. XI. Er übernimmt die Hypothese der »Morulen« oder der Unterbrechungen der Bewegung. Er antwortet schlecht auf die Einwände und räumt ein, daß derjenige vom Rade unauflöslich sei. Oviedo unternimmt in seinem Cours de philosophie, Bd. I, S.357 ff. große Anstrengungen, um ihn aufzulösen, und glaubt, eine neue Lösung dafür gegeben zu haben. (…). 81

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großen Durchmesser bauen, daß der Teil der Speichen, der vom Mittelpunkt am weitesten entfernt liegt, sich hundertmal schneller bewegt als der Teil der Speiche, der in die Nabe eingelassen ist. Dennoch bleiben die Speichen immer gerade. Das ist ein evidenter Beweis, daß der untere Teil sich nicht in Ruhe befinden kann, während der obere Teil sich bewegt. Die unendliche Teilbarkeit der Zeitpartikel, die oben83 als eine offensichtlich falsche und widersprüchliche Annahme widerlegt worden ist, trägt gegen dieses sechste Argument nichts aus. Man findet einige andere ziemlich subtile Einwände bei Sextus Empiricus.84

Welchen Gebrauch man von dem voranstehenden Disput machen soll Man darf annehmen, daß unser Zenon von Elea ungefähr auf diese Weise die Bewegung bekämpft hat. Ich würde nicht behaupten wollen, daß seine Gründe ihn überzeugten, daß sich nichts bewegt. Er könnte anderer Überzeugung gewesen sein, obwohl er glaubte, daß niemand seine Einwände widerlegen oder ihnen ihre Kraft nehmen würde. Wenn ich von mir aus über ihn urteilen sollte, so würde ich behaupten, daß er ganz wie die anderen an die Bewegung der Ausdehnung glaubte. Denn obwohl ich mich völlig außerstande sehe, all die Schwierigkeiten aufzulösen, die man soeben gesehen hat, und obwohl mir scheint, daß die philosophischen Antworten, die man darauf geben kann, wenig solide sind, so gehe ich doch nicht von der gewöhnlichen Meinung ab. Ich bin sogar überzeugt, daß die Darlegung dieser Argumente von großem Nutzen für die Religion sein kann, und ich sage hier hinsichtlich der Schwierigkeiten der Bewegung, was Nicole über die Schwierigkeiten der unendlichen Teilbarkeit gesagt hat: »Der Nutzen, den man aus diesen Spekulationen ziehen kann, besteht nicht einfach 83 84

In der Anmerkung (F), 1. Einwand. Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 8.

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darin, diese Kenntnisse zu erwerben, die an sich ziemlich fruchtlos sind, sondern die Grenzen unseres Geistes erkennen zu lernen und ihn gegen seinen Widerstand zu dem Eingeständnis zu bringen, daß es Dinge gibt, die er nicht begreifen kann. Deshalb ist es gut, ihn mit diesen Subtilitäten zu ermüden, um seine Anmaßung zu zügeln und ihm die Kühnheit zu nehmen, sein schwaches Licht jemals den Wahrheiten, welche die Kirche ihm vorlegt, unter dem Vorwand entgegenzusetzen, daß er sie nicht begreifen kann. Denn weil die ganze Kraft des menschlichen Geistes gezwungen ist, sich dem kleinsten Atom der Materie zu unterwerfen und zuzugeben, daß er klar dessen unendliche Teilbarkeit einsieht, ohne doch begreifen zu können, wie dieses geschehen kann – ist es da nicht eine offensichtliche Sünde wider die Vernunft, den Glauben an die wunderbaren Wirkungen der Allmacht Gottes, die an sich unbegreiflich ist, mit dem Argument zurückzuweisen, daß unser Geist sie nicht verstehen kann?«85

(H) Die Beweise, die uns die Vernunft von der Existenz der Materie bietet, sind nicht evident genug, um eine gute Demonstration in diesem Punkt abzugeben. Es gibt zwei philosophische Axiome, die uns belehren: das eine, daß die Natur nichts umsonst macht, das andere, daß es unnütz ist, mit mehr Mitteln dasjenige zu tun, was man bei gleicher Bequemlichkeit mit weniger Aufwand erreichen kann. Mittels dieser zwei Axiome können die Cartesianer, von denen ich spreche, behaupten, daß es keine Körper gibt. Denn ob es sie nun gibt oder nicht, Gott kann uns in jedem Fall alle die Ideen mitteilen, die wir haben. Es ist keineswegs ein Beweis für die Existenz von Körpern, wenn man sagt, daß unsere Sinne uns dies mit letzter Evidenz versichern. Die Sinne täuschen uns bezüglich aller körperlichen Qualitäten; Größe, Gestalt und 85

Nicole, L’art de penser, Teil IV, Kap. 1, S. 394 f. Man vergleiche, was in dem Artikel PYRRHO, Anmerkung (C), gesagt worden ist.

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Bewegung der Körper nicht ausgenommen.88 Und wenn wir ihnen diesbezüglich Glauben schenken, so sind wir auch überzeugt, daß es außerhalb unserer Seele eine große Anzahl von Farben, Gerüchen und anderen Wesenheiten gibt, die wir Härte, Flüssigkeit, Kälte, Hitze usw. nennen. Es ist jedoch nicht wahr, daß irgend etwas Derartiges außerhalb unseres Geistes existiert. Weshalb also sollten wir unseren Sinnen hinsichtlich der Ausdehnung trauen? Sie kann genau wie die Farben sehr leicht auf eine Erscheinung zurückgeführt werden. Nachdem Malebranche alle Gründe für die Bezweiflung der Existenz von Körpern in der Welt angeführt hat, schließt er folgendermaßen: »Um von der Existenz äußerer Körper völlig überzeugt zu sein, ist es also absolut notwendig, Gott, der uns diese Meinung eingibt, zu erkennen und zu wissen, daß er uns infolge seiner unendlichen Vollkommenheit nicht täuschen kann. Denn wenn sich die Intelligenz, die uns die Vorstellungen von allen Dingen gibt, dadurch sozusagen vergnügen wollte, daß sie uns Körper als wirklich existierend vorstellte, obwohl es keinen solchen gäbe, so ist evident, daß ihr das nicht schwerfiele.«89 Er fügt hinzu, daß Descartes keine andere unerschütterliche Grundlage gefunden hat als das Argument, daß Gott uns täuschen würde, wenn es keine Körper gäbe. Aber er behauptet, daß dieses Argument nicht als ein demonstratives gelten kann. »Um völlig davon überzeugt zu sein, daß es Körper gibt«, sagt Malebranche,90 »ist es nicht nur erforderlich, daß man uns das Dasein eines Gottes beweist und daß Gott kein Betrüger ist, sondern darüber hinaus, daß Gott uns versichert hat, daß er wirklich Körper geschaffen hat. Dafür aber finde ich in den Werken des Descartes keinerlei Beweis. Nur auf zwei Wegen spricht Gott zum Geist und verpflichtet ihn zu glauben: durch die Evidenz und durch den Glauben. Ich stimMalebranche, wie unten sc. Fußnote (89). Hgg. . Man sehe oben Fußnoten (66) und (67). 89 Malebranche, Eclaircissemens sur le I. livre de la Recherche de la vérité, S. 64 der Ausgabe Paris 1678. 90 A. a.O., S. 68 f. 88

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me zu, daß der Glaube zu der Annahme verpflichtet, daß es Körper gibt; aber hinsichtlich der Evidenz ist es gewiß, daß sie nicht vollständig ist und daß wir nicht unausweichlich gezwungen sind zu glauben, daß es irgend etwas anderes gibt als Gott und unseren Geist.« Man beachte, daß er durch die Behauptung, Gott treibe uns durch die Evidenz nicht unausweichlich zu dem Urteil, daß es Körper gibt, lehren will, daß der Irrtum, in dem wir uns in dieser Hinsicht befinden würden, nicht Gott angelastet werden darf. Das heißt, den Beweis des Descartes zurückzuweisen; das heißt zu behaupten, daß Gott kein Betrüger wäre, selbst wenn keine Körper in Wirklichkeit existieren würden. Ein Sizilianer namens Michelangelo Fardella hat 1696 in Venedig eine Logik drucken lassen, in der er die gleichen Lehren wie Malebranche vorträgt. Hier ist ein Abriß dieses Buchs.91 Er »läßt es sich besonders angelegen sein zu beweisen, daß es sehr wohl möglich ist, daß die Gegenstände ihren Ideen nicht entsprechen. Er sagt, er begreife sehr klar, daß der Urheber der Natur unsere Sinne derart einrichten kann, daß sie uns Gegenstände als existierend vorstellen, die es überhaupt nicht gibt. Doch wenn er im 2. Teil S. 96 die Empfindungen definiert, sagt er, daß sie im Geist anläßlich des Eindrucks entstehen, den die äußeren Körper auf das Ende der Nervenbahnen machen.92 Wenn man ihm entgegenhält, daß, wenn die Evidenz der Sinne nicht untrüglich wäre, Jesus Christus sich einen Scherz mit den Aposteln gemacht hätte, als er, um sie zu 91

Journal des savans vom 30. Juli 1696, S. 551 f. der holländischen Ausgabe. 92 Der Autor des Journal irrt sich hier. Er behauptet fälschlicherweise, daß Fardella sich widerspricht. Es ist kein Widerspruch zu behaupten, daß es wirklich Körper gibt, daß es aber möglich wäre, daß es keine gäbe und wir dennoch dieselben Empfindungen haben würden, die wir jetzt haben. Der Autor des Journal hätte einen begründeteren Einwand erheben können, nämlich diesen: Wenn man unter der Annahme, Jesus Christus habe sich der gewöhnlichen Logik angepaßt, mit der Schrift nicht beweisen kann, daß es Körper gibt: wie will man dann durch den Glauben versichert sein, daß es Körper gibt?

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überzeugen, daß er wahrhaftig einen Leib hatte, zu ihnen sagte: ›Faßt mich an und seht, denn ein Geist hat kein Fleisch und keine Knochen‹, so antwortet er, daß die Argumentationsweisen, deren sich die Schrift gewöhnlich bedient, nicht einer wahren Logik, sondern vielmehr einer Dialektik entnommen sind, die der Fassungskraft des gewöhnlichen Verstandes angemessen ist. Daraus schließt er, daß Jesus Christus, um die Apostel zu überzeugen, daß er kein Phantom, sondern ein wahrer Mensch war, sich der Logik bediente, die dem gemeinen Verständnis am besten angepaßt war und durch die sich die Leute gewöhnlich von der Existenz der Dinge überzeugen. Er fügt hinzu, Gott sei nicht verpflichtet, uns unumstößlich zu lehren, daß es existierende Körper gibt, und daß wir, wenn wir davon eine größere Gewißheit haben als die moralische, sie nur durch den Glauben haben.« Die Gründe von Malebranche sind zweifellos sehr stark, aber ich wage zu behaupten, daß sie weit weniger stark sind als dasjenige, was oben gesagt wurde.93 Ich würde gern wissen, auf welche Weise Arnauld dies widerlegt hätte. Niemand wäre geschickter als er, die Lösung hierfür zu finden. Er hat bei der Prüfung der Lehre Malebranches gezeigt, daß er die Kunst versteht, eine Sache von ihren Grundlagen her anzugreifen. Er hat sich an die Grundlage der Meinung seines Gegners gemacht, denn er hat gezeigt, daß man, wenn es keine Körper gibt, »gezwungen ist, in Gott Dinge zuzulassen, die der göttlichen Natur völlig zuwider sind, wie z. B. zu betrügen oder anderen Unvollkommenheiten unterworfen zu sein, von denen das natürliche Licht uns evidentermaßen zeigt, daß sie nicht in Gott sein können«.94 Er macht von acht Argumenten Gebrauch, die Malebranche als »gute Beweise, aber sehr schlechte Demonstrationen« bezeichnet.95 »Ich glaube«, fährt er fort, »daß es Körper gibt, aber ich glaube es als gut bewiesen und schlecht demonstriert. Ich glaube es sogar als demon93

In der Anmerkung (G) bei der Darlegung des ersten Einwandes. Arnauld, Traité des vraies et des fausses idées, S. 324. 95 Malebranche, Réponse au Livre des vraies et des fausses idées, S. 321. 94

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striert, aber unter der Voraussetzung des Glaubens.« Er macht sich einen Einwand, den er auf die »schändlichen und gottlosen Gedanken« der Seele stützt,96 und er antwortet, »daß es gewiß ist, daß der Körper nicht unmittelbar auf den Geist einwirkt und daß es deshalb Gott allein ist, der unmittelbar all die guten und schlechten Gedanken in unseren Geist bringt, so wie er allein es ist, der den Arm eines Mörders und eines Gottlosen ebenso bewegt wie den Arm eines Menschen, der Almosen gibt; und daß das einzige, was Gott nicht tut, die Sünde ist, d. h. er bewirkt nicht die Zustimmung des Willens. Es ist wahr, daß Gott unnütze und schlechte Gedanken nur infolge der Gesetze der Vereinigung von Seele und Körper und der Sünde, die diese Vereinigung in eine Abhängigkeit verwandelt hat, dem menschlichen Geist eingibt. Aber wie wird Arnauld demonstrieren – ich meine wirklich demonstrieren –, daß der Mensch nicht vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren irgendeine Sünde begangen hat und daß er als Strafe dafür diese bösen Gedanken hat, durch die Gott ihn züchtigt und ihn veranlassen will, seine Belohnung zu verdienen, indem er gegen dasjenige ankämpft, was er die Regungen der Konkupiszenz nennt? Wird Arnauld demonstrieren, daß Gott, der die Sünde und all ihre Folgen zulassen konnte, die ihn infolge der von ihm erlassenen Naturgesetze verpflichten, so viele unzüchtige Gedanken und gottlose Meinungen dem Geist einzugeben, nicht erlauben konnte, daß er selbst vor zwanzigtausend Jahren gesündigt hätte? Wird er demonstrieren, daß Gott ihm die Gedanken, die ihn quälen, nur unter der Voraussetzung eines Körpers eingeben konnte – und das infolge der Gesetze der Vereinigung von Seele und Körper, die er vorausgesehen hat und die er befolgen kann, ohne auch nur einen Körper geformt zu haben? Aber mag er soviel räsonieren, wie er will, ich werde ohne Mühe die Kette seiner Demonstrationen durchbrechen, indem ich ihm sage, daß Gott Zwecke gehabt haben mag, von denen er ihm nichts gesagt hat.«97 Arnauld hat vielerlei geantwortet und be96 97

A. a.O., S. 325. A. a.O.

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sonders dieses, daß es in der Antwort von Malebranche einige »ausschweifende Sätze gibt, die, wenn man sie wörtlich nimmt, dazu führen, einen sehr gefährlichen Pyrrhonismus zu begründen.«98 Sein Beweis kann an folgender Stelle gesehen werden99: »Ich bitte ihn, mir zu sagen, was er gemeint hat, als er zustimmte, man könne folgenden Satz für ein evidentes Prinzip halten: ›Gott ist kein Betrüger, und es ist nicht möglich, daß er Vergnügen darin finden wollte, mich zu täuschen.‹ Hat er die absolute Evidenz dieses Prinzips behauptet oder hat er geglaubt, daß es durch folgende Bedingung eingeschränkt sei: ›falls ich nicht vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren irgendeine Sünde begangen habe‹, bei deren Bestrafung Gott Gefallen daran finden könnte, mich zu täuschen? Wenn er antwortet, daß das Prinzip absolut gilt, dann geht das, was er über die Sünde sagt, die ich vor zehntausend oder zwanzigtausend Jahren begangen haben könnte, völlig am Thema vorbei. Und wenn er sagt, daß dieses Prinzip nicht absolut, sondern eingeschränkt unter jener Bedingung gilt, so wäre nichts leichter, als ihm zu zeigen, daß man dies nicht sagen kann, ohne sowohl den göttlichen Glauben als auch alle menschlichen Wissenschaften umzustoßen. Denn er behauptet, daß nicht nur der göttliche Glaube, sondern daß alles, was wir durch Vernunftschlüsse wissen, auf dieses Prinzip begründet ist, ›daß Gott kein Betrüger ist (---).‹100 Nun wäre dieses Prinzip, daß Gott kein Betrüger ist, von keinerlei Nutzen, wenn derjenige, der sich seiner bedient, zuvor verpflichtet wäre zu demonstrieren, daß er nicht vor zehntausend oder zwanzigtausend Jahren irgendeine Sünde begangen hätte. Ich will nicht mehr darüber sagen. Da die Folgen dieser Rabulistik derart furchtbar und gottlos sind, ist es sogar gefährlich, sie zu genau ins Auge zu fassen. (---).101 Ist es notwendig, daß ›Gott uns über alle seine 98

Arnauld, Défense contre la réponse au Livre des vraies et des fausses idées, S. 577 f. 99 A. a.O., S. 590 f. 100 A. a.O., S. 592. 101 Ebd.

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Absichten informiert hat‹, um versichert zu sein, daß er nicht die Absicht haben kann, uns zu täuschen? Wenn das der Fall ist, so wird niemand davon überzeugt sein können; und so wird es gemäß dem Autor selbst keinen göttlichen Glauben, keine menschlichen Wissenschaften mehr geben, wie ich soeben gezeigt habe.« Aus mehreren Gründen war ich verpflichtet, einige Stücke aus dem Disput dieser beiden berühmten Autoren anzuführen und überhaupt alles, was sich dort findet, in diese Anmerkung einzufügen. Denn an 1. Stelle war ich verpflichtet zu beweisen, daß es noch viel stärkere Einwände als diejenigen von Malebranche gibt. In der Tat, wenn es wahr wäre, daß die aktuale Existenz der Ausdehnung Widersprüche und Unmöglichkeiten einschlösse,102 wie es oben vorgetragen wurde,103 dann wäre es absolut notwendig, zum Glauben Zuflucht zu nehmen, um sich davon zu überzeugen, daß es Körper gibt. Arnauld, der andere Zufluchtsorte gefunden hat, wäre gezwungen, nur hierauf zurückzugreifen. An 2. Stelle schickte es sich für einen Artikel über Zenon von Elea, daß man dort eine Ausführung der Schwierigkeiten findet, die dieser Philosoph gegen die Lehre der Bewegung vorbringen konnte. 3. ist es nützlich zu wissen, daß ein Oratorierpater, der durch seine Frömmigkeit genauso berühmt ist wie durch seine philosophische Einsicht, behauptet hat, daß uns einzig der Glaube legitimerweise von der Existenz der Körper überzeugt. Weder die Sorbonne noch irgendein anderes Tribunal hat ihm deswegen Schwierigkeiten gemacht. Die Inquisitoren Italiens behelligten Fardella nicht, der die gleiche Ansicht in einem gedruckten Werk vertreten hatte. Das soll meine Leser lehren, daß sie sich nicht darüber wundern dürfen, wenn ich manchmal zeige, daß uns die Vernunft bei den größten Geheimnissen des Evangeliums nicht weiterhilft und daß wir uns dann völlig mit dem Licht des Glaubens begnügen müssen. 4. schließlich kann ein guter Teil der Dinge, 102

D. h. daß es der philosophischen Einsicht zufolge schiene, daß sie Widersprüche und Unmöglichkeiten einschlösse. 103 In der Anmerkung (G) beim ersten Einwand.

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die ich dieser Anmerkung eingefügt habe, als Ergänzung einer anderen Stelle dieses Wörterbuchs dienen.104

(I) Ich bin ziemlich sicher, daß er die Einwände nicht vergessen hat, die man auf die Unterscheidung von Plenum und Vakuum stützen kann. Melissus, der bei demselben Lehrer gelernt hatte wie er,105 hat die Bewegung geleugnet und sich dazu des folgenden Beweises bedient: Wenn es Bewegung gäbe, müßte es mit höchster Notwendigkeit den leeren Raum geben.106 Nun gibt es keinen leeren Raum, folglich usw. Das zeigt uns, daß es zur Zeit des Zenon einen großen Philosophen gab, der nicht glaubte, daß die Bewegung und das Plenum miteinander vereinbar wären. Weil Zenon also das Vakuum verworfen hat,107 steht für mich fest, daß er sich desselben Beweises wie Melissus gegen diejenigen bedient hat, welche die Bewegung annahmen. Er machte es zu seinem Geschäft, sie zu bekämpfen, und er verwendete dazu mehrere Argumente. Hätte er dabei wohl den Grund vergessen, den die Anhänger des Vakuums so oft ins Feld geführt hatten? Er hätte ihm eine andere Wendung gegeben, als sie es taten, ihn aber mit nicht weniger Glanz präsentiert als sie. Wenn es kein Vakuum gibt, sagten sie, gibt es keine Bewegung. Nun gibt es Bewegung, also gibt es das Vakuum. Indem er mit ihnen das Prinzip eingeräumt hätte, daß es keine Bewegung geben kann, wenn alles erfüllt ist, hätte er gerade in konträrer Weise argumentiert; denn aus dieser von ihnen und ihm gemeinsam akzeptierten These hätte er eine der ihren diametral entgegengesetzte Konsequenz gezogen. Folgendermaßen hätte sein Syllogismus lauten müssen: Wenn es Bewegung gäbe, gäbe es den leeren Raum. Nun gibt es den leeren Raum nicht, folg104 105 106 107

Zur Anmerkung (B) des Artikels PYRRHO. D. h. bei Parmenides. Man sehe Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 24 f. Aristoteles, Physica, Buch IV, Kap. 7. Diogenes Laertius, Buch IX, Nr. 29.

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lich gibt es keine Bewegung. Man beachte, daß ich, als ich sagte, seine Art zu schließen wäre nicht weniger glanzvoll als die ihre, dies nur mit Blick auf Philosophen gemeint habe, die völlig imstande sind, die Gründe gegen das Vakuum zu verstehen. Ich weiß sehr wohl, daß es für das Volk ein beinahe ebenso großes Paradoxon ist, den leeren Raum wie die Bewegung zu verneinen. Anaxagoras fand das Volk für die Existenz des Vakuums so eingenommen, daß er auf einige triviale Erfahrungen zurückgriff, um dieses irrige Vorurteil zu zerstören. Aristoteles führt in dem Kapitel, wo er dies anmerkt, einige der Argumente an, deren man sich zum Beweis des Vakuums bediente.108 Sie sind nicht stark, und er widerlegt sie in dem darauffolgenden Kapitel ziemlich gründlich. Gassendi hat die Erfahrungen und die Gründe, welche die epikureische These bezüglich des Vakuums begünstigten, mit aller ihm möglichen Kraft ausgestattet;109 aber er hat nichts vorgebracht, was überzeugt hätte und dessen Schwäche nicht in L’art de penser gezeigt worden wäre.110 Nichtsdestoweniger glaube ich, daß unser Zenon bei diesem Thema furchterregend war. Ein so subtiler und so leidenschaftlicher Dialektiker wie er wußte die Karten bei einem solchen Gegenstand gut zu mischen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß er dieses Thema ausgespart hätte. Wenn er jedoch gewußt hätte, was einige exzellente Mathematiker heutzutage sagen,111 so hätte er große Verwüstungen anrichten und sich ein triumphales Ansehen geben können. Diese Mathematiker sagen, daß es mit höchster Notwendigkeit ein Vakuum geben müsse und daß ohne diese Annahme die Bewegungen der Planeten und das, was daraus folgt, unerklärlich und unmöglich sein würden. Ich habe einen großen Mathematiker, der viel von den Werken und Gesprächen Newtons profitiert hat, sagen hören, daß es nicht länger ein strittiger Sachverhalt sei, »ob, wenn alles erfüllt ist, alles sich bewegen 108 109 110 111

Aristoteles, Physica, Buch IV, Kap. 7. Gassendi, Physica, Sect. 1, Buch II, Kap. 3. Opera, Bd. I, S. 192 ff. L’art de penser, Teil III, Kap. 18, Nr. 4, S. 329 ff. meiner Ausgabe. Huygens, Newton u. a.

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kann«. Die Falschheit und Unmöglichkeit dieses Satzes sei nicht nur bewiesen, sondern mathematisch demonstriert worden, so daß von nun an die Leugnung des Vakuums die Leugnung einer höchst evidenten Tatsache sei. Er hat versichert, daß das Vakuum unvergleichlich mehr Raum einnimmt als die Korpuskeln in den schwersten materiellen Gebilden, und daß es so beispielsweise in der Luft nicht mehr Korpuskeln gibt als große Städte auf der Erde.

Gründe gegen das Vakuum Wir sind also den Mathematikern zweifellos sehr dankbar. Sie demonstrieren die Existenz einer Sache, die den evidentesten Begriffen unseres Verstandes entgegensteht. Denn wenn es ein Wesen gibt, dessen wesentliche Eigenschaften wir mit Gewißheit kennen, dann ist es die Ausdehnung. Wir haben eine klare und deutliche Vorstellung von ihr, die uns erkennen läßt, daß das Wesen der Ausdehnung in den drei Dimensionen besteht und daß die von der Ausdehnung untrennbaren Eigenschaften oder Attribute die Teilbarkeit, Beweglichkeit und Undurchdringlichkeit sind. Wenn diese Ideen falsch, trügerisch, chimärisch und illusorisch sind, gibt es dann in unserem Geist irgendeinen Begriff, den man nicht für ein leeres Phantom oder für einen Gegenstand des Mißtrauens halten müßte? Können die Demonstrationen, durch welche die Existenz des Vakuums bewiesen wird, uns unsere Gewißheit zurückgeben? Sind sie evidenter als die Idee, die uns zeigt, daß ein Fuß an Ausdehnung seine Lage ändern und nicht an demselben Ort sein kann, den ein anderer Fuß an Ausdehnung einnimmt? Wir mögen soviel wir wollen alle Winkel unseres Geistes durchstöbern, wir werden dort keine Idee einer unbeweglichen, unteilbaren und durchdringlichen Ausdehnung finden. Wenn es jedoch ein Vakuum geben würde, dann müßte es eine Ausdehnung geben, der diese drei Attribute wesensmäßig zukämen. Es liegt keine geringe Schwierigkeit darin, gezwungen zu sein, die Existenz eines Wesens zuzugeben, von dem man keinerlei Idee hat und

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das unseren klarsten Begriffen entgegensteht. Aber es gibt noch viele andere diesbezügliche Schwierigkeiten: Ist dieses Vakuum oder diese unbewegliche, unteilbare und durchdringliche Ausdehnung eine Substanz oder ein Modus? Eins von beiden muß sie sein, denn die sachgemäße Einteilung des Seins umfaßt nur diese zwei Alternativen. Handelt es sich um einen Modus, dann muß man uns dessen Substanz benennen; das aber kann niemals geschehen. Handelt es sich um eine Substanz, so frage ich, ist sie geschaffen oder ungeschaffen? Wenn sie geschaffen ist, so kann sie untergehen, ohne daß die Körper, von denen sie real verschieden ist, aufhören zu existieren. Nun ist es absurd und widersprüchlich, daß das Vakuum, d. h. ein von den Körpern verschiedener Raum, zerstört würde und die Körper trotzdem getrennt voneinander sein sollten, wie sie es nach der Zerstörung des Vakuums eben sein könnten. Wenn dieser von den Körpern verschiedene Raum eine ungeschaffene Substanz ist, so folgt, daß sie entweder Gott ist oder daß Gott nicht die einzige notwendigerweise existierende Substanz ist. Welche dieser Alternativen man auch wählt, man gerät in Verwirrung. Die letzte Alternative ist eine formale Gottlosigkeit, die andere ist zumindest eine materiale Gottlosigkeit, denn jede Ausdehnung ist aus distinkten Teilen zusammengesetzt, die folglich voneinander trennbar sind. Daraus folgt, daß Gott, wenn er ausgedehnt wäre, kein einfaches, unveränderliches und im eigentlichen Sinne unendliches Wesen sein würde, sondern eine Ansammlung von Sein, ein ens per aggregationem, von dem jedes einzelne Teil endlich wäre, obgleich alle zusammen keinerlei Grenzen hätten. Er wäre der materiellen Welt ähnlich, die nach der cartesischen Lehre unendlich ausgedehnt ist. Und was diejenigen betrifft, die behaupten wollen, Gott könne ausgedehnt sein, ohne materiell oder körperlich zu sein, und die als Grund dafür seine Einfachheit anführen, so werden diese Leute gründlich in einem Werk von Arnauld widerlegt, aus dem ich nur diese Worte zitieren will: »Weit gefehlt, daß die Einfachheit Gottes uns Anlaß geben könnte zu glauben, er könne ausgedehnt sein, haben vielmehr alle Theologen nach Thomas von Aquin anerkannt, daß es eine notwendige Folge

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der Einfachheit Gottes ist, daß er nicht ausgedehnt sein kann.«112 Will man mit den Scholastikern sagen, der Raum sei, wenn es hoch kommt, nicht mehr als ein Mangel an Körpern, daß er keinerlei Realität habe und daß das Vakuum im eigentlichen Sinne nichts sei? Aber das ist eine so unsinnige Behauptung, daß sie – wie bequem sie auch ansonsten sein mag – von allen modernen Philosophen, die der Lehre vom Vakuum anhängen, aufgegeben wurde. Gassendi hat sich sehr in acht genommen, nicht zu einer derart absurden Hypothese zu greifen.113 Er hat es vorgezogen, sich in einen schrecklichen Abgrund zu stürzen und anzunehmen, daß nicht alle Wesen entweder Substanzen oder Akzidenzien, daß nicht alle Substanzen entweder Geister oder Körper sind und daß die Ausdehnung des Raumes zu den Wesenheiten zählt, die weder körperlich noch geistig, weder Substanz noch Akzidens sind. Locke, der nicht glaubte, das Vakuum definieren zu können, hat trotzdem klar zu verstehen gegeben, daß er es für eine positive Wesenheit hält.114 Er ist zu vernünftig, um nicht zu sehen, daß das Nichts nicht nach Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt sein kann. Hartsoeker hat diese Wahrheit sehr gut verstanden. »Es gibt kein Vakuum in der Natur«, sagt er,115 »das sollte man umstandslos anerkennen. Denn es ist völlig widersprüchlich, ein reines Nichts mit Eigenschaften anzunehmen, die nur etwas Wirklichem zukommen können.« Aber wenn es widersprüchlich ist, daß das Nichts eine Ausdehnung oder irgendeine andere Qualität hat, so ist es nicht weniger widersprüchlich, daß die Ausdehnung ein einfaches Wesen ist. Denn sie enthält Dinge, von denen man zu Recht verneinen kann, was man zu Recht von einigen anderen Dingen behaupten kann, die sie einschließt. Der von der Sonne eingenommene Raum ist nicht 112

Arnauld, Défense contre la réponse au Livre des vraies et des fausses idées, S. 360. 113 Gassendi, Physica, Sect. 1, Buch II, Kap. 1, S. 182. 114 Locke, Essai philosophique concernant l’entendement, Buch II, Kap. 13, S. 188 f. meiner Ausgabe. 115 Hartsoeker, Principes de physique, S. 4.

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derselbe wie derjenige, der vom Mond eingenommen wird. Denn wenn die Sonne und der Mond denselben Raum erfüllten, so wären diese zwei Sterne an demselben Ort und würden einander durchdringen, weil zwei Dinge nicht von einem dritten durchdrungen werden können, ohne einander zu durchdringen. Es steht mit letzter Evidenz fest, daß die Sonne und der Mond nicht an demselben Ort sind. Man kann also zu Recht von dem Raum der Sonne sagen, daß er von der Sonne durchdrungen wird, und man kann dieses zu Recht bezüglich des Raumes verneinen, der von dem Mond durchdrungen wird. Wir haben hier also zwei wirklich voneinander verschiedene Teile des Raumes, weil ihnen zwei kontradiktorische Bestimmungen zukommen: »durchdrungen von der Sonne« und »nicht durchdrungen von der Sonne«. Das widerlegt offenkundig diejenigen, die zu behaupten wagen, der Raum sei nichts anderes als die Unermeßlichkeit Gottes; und es ist gewiß, daß die göttliche Unermeßlichkeit nicht der Ort der Körper sein könnte, ohne daß man daraus schließen dürfte, daß sie aus ebensovielen wirklich distinkten Teilen zusammengesetzt ist, wie es Körper in der Welt gibt. Ihr würdet umsonst anführen, das Unendliche habe keine Teile. Das ist mit absoluter Notwendigkeit bezüglich aller unendlichen Zahlen falsch, weil die Zahl ihrem Wesen nach mehrere Einheiten einschließt. Ihr hättet nicht mehr recht zu sagen, die unkörperliche Ausdehnung sei ganz in ihrem Raum und ganz in jedem Teil ihres Raumes;118 denn das ist nicht nur etwas, wovon man keinerlei Vorstellung hat und was unseren Ideen von Ausdehnung entgegensteht, sondern wodurch außerdem bewiesen würde, daß alle Körper denselben Ort einnehmen, weil ein jeder den seinen nicht einnehmen kann, wenn die göttliche Ausdehnung völlig mit jedem Körper durchdrungen und numerisch identisch mit

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»Das Ganze im Ganzen und das Ganze in einzelnen Teilen.« Das ist dasjenige, was die Scholastiker von der Anwesenheit der Seele im menschlichen Körper und von der Anwesenheit der Engel an bestimmten Orten behaupten.

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der Sonne und mit der Erde wäre. Man findet bei Arnauld die gründliche Widerlegung derjenigen, die Gott zuschreiben, daß er sich in unendlichen Räumen ausbreite.119 Durch diese Probe von Schwierigkeiten, die man gegen das Vakuum vorbringen kann, werden meine Leser leicht verstehen, daß unser Zenon heutzutage viel stärker wäre, als er es zu seiner Zeit war. Man kann nicht länger zweifeln, würde er sagen, daß die Bewegung unmöglich wäre, wenn alles erfüllt ist. Diese Unmöglichkeit ist mathematisch bewiesen worden. Weit davon entfernt, gegen diese Demonstrationen zu disputieren, würde er sie als unbestreitbar annehmen. Er würde sich einzig der Aufgabe widmen zu zeigen, daß das Vakuum unmöglich ist, und würde seine Gegner in Absurditäten verstricken. Er würde sie in Atem halten, gleichgültig, welcher Seite sie sich zuwendeten, er würde sie durch seine Dilemmata von einer Verwirrung in die nächste stürzen, er würde sie aus jedem Schlupfloch vertreiben, in das sie sich zurückziehen wollten; und wenn er sie nicht zum Schweigen brächte, so würde er sie doch wenigstens zu dem Geständnis zwingen, daß sie das, worüber sie sprechen, nicht verstehen und nicht begreifen. »Wenn jemand mich fragt«, sagt Locke,120 »was der Raum ist, von dem ich spreche, so bin ich bereit, es ihm zu sagen, wenn er mir sagt, was die Ausdehnung ist. (---). Fragt man, ob der Raum Körper oder Geist ist, so antworte ich mit einer anderen Frage: Wer hat Euch gesagt, daß es nur Körper und Geister gibt oder geben kann? (---). Wenn man fragt – wie es gewöhnlich geschieht –, ob der Raum ohne Körper Substanz oder Akzidens ist, so antworte ich ohne zu zögern, daß ich das nicht weiß, und ich werde mich nicht schämen, meine Unwissenheit 119

Arnauld, Briefe VIII und IX an Malebranche. (…). Man sehe auch das Buch des Pariser Arztes Pierre Petit De extensione animae et rerum incorporearum natura und die Antwort von de la Chambre darauf, die er Paris 1666 in 4o unter dem Titel Défense de l’extension et des parties libres de l’ame publizierte. Sämtliche Gründe, die er anführt, um die Vereinbarkeit von Ausdehnung und Geistigkeit zu zeigen, sind so schlecht, daß sie nur dazu dienen, die Falschheit seiner Behauptung aufzuzeigen. 120 Locke, Essai sur l’entendement, S. 188.

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zuzugeben, bis diejenigen, die diese Frage gestellt haben, mir eine klare und deutliche Vorstellung desjenigen geben, was man ›Substanz‹ nennt.«121 Wenn ein so großer Metaphysiker wie Locke, nachdem er so viel über diese Gegenstände nachgedacht hat, sich darauf verwiesen sieht, die Fragen der Cartesianer nur mit Fragen zu beantworten, die er für noch dunkler und verworrener hält als jene, dann müssen wir urteilen, daß man die Einwände, die Zenon vortragen würde, nicht auflösen kann; und wir dürfen mit Sicherheit vermuten, daß er folgendermaßen zu seinen Gegnern sprechen würde: »Ihr helft Euch mit dem Vakuum, wenn man Euch die Lehre der Bewegung und des Plenums nimmt, aber Ihr könnt an dem Vakuum nicht festhalten, dessen Unmöglichkeit Euch demonstriert wird. Lernt ein besseres Mittel kennen, um aus der Schwierigkeit herauszukommen; das von Euch gewählte vermeidet einen Abgrund und stürzt Euch in einen anderen. Folgt mir, ich zeige Euch einen besseren Weg. Schließt nicht aus der Unmöglichkeit der Bewegung in einem Plenum, daß es das Vakuum gibt; schließt vielmehr aus der Unmöglichkeit des Vakuums, daß es keine Bewegung gibt, d. h. keine wirkliche Bewegung, sondern höchstens die Erscheinung von Bewegung oder eine ideale, intelligible Bewegung.« Man sehe die Fußnote (122).122 Wir wollen einige Folgerungen daraus ziehen. I. Die erste ist, daß der Disput Zenons nicht ganz fruchtlos gewesen sein kann. Denn wenn er auch sein Hauptziel verfehlte, das in dem Nachweis bestand, daß es keine Bewegung gibt, so hätte er immer noch den Vorteil, die Lehre der Akatalepsie oder der Unbegreiflichkeit aller Dinge zu verstärken. Die Demonstrationen unserer modernen Mathematiker für die Existenz des Vakuums haben sie erkennen lassen, daß die Bewegung im Plenum nichts ist, was man begreifen könnte. Folglich haben sie zur Annahme des Vakuums gegriffen. Nicht, daß sie 121

A. a.O., S. 189. Die Alten waren in die Streitigkeiten über das Vakuum derart verstrickt, daß einige von ihnen behaupteten, das Vakuum und der Ort seien die Materie der Körper. (…). Aristoteles, Physica, Buch IV, Kap. 7. 122

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dasselbe nicht mit vielen unbegreiflichen und unerklärbaren Schwierigkeiten umgeben gesehen hätten, aber vor die Wahl zwischen zwei unbegreiflichen Systemen gestellt, gaben sie demjenigen den Vorzug, das sie am wenigsten abstieß. Sie wollten lieber in mechanischer als in metaphysischer Hinsicht zufriedengestellt sein, und sie haben sogar die physikalischen Schwierigkeiten ignoriert, die sich auftaten; z. B. diese, daß es nicht möglich ist, den Grund für den Widerstand der Luft und des Wassers anzugeben, wenn es so wenig Materie und so viel leeren Raum in diesen zwei Teilen der Welt gibt. Andere Mathematiker123 lehnen das Vakuum noch ab. Das tun sie nicht, weil sie die Schwierigkeiten nicht sähen, die andere zu seiner Annahme geführt haben, sondern weil sie stärker von den fürchterlichen Verwicklungen beeindruckt sind, die mit dieser Annahme verbunden sind. Sie haben nicht geglaubt, daß man wegen dieser Schwierigkeiten auf die klaren Ideen verzichten sollte, die man vom Wesen der Ausdehnung hat. Man beachte, daß es Philosophen ersten Ranges gibt,124 die überzeugt sind, daß wir weder wissen, was die Ausdehnung noch was die Substanz ist. Sie können nicht anders sprechen, solange sie an das Vakuum glauben. Das ist ein großer Triumph für Zenon und für alle anderen Akataleptiker. Denn solange man darüber streitet, ob man das Wesen der Substanz und der Materie kennt oder nicht, wird dies ein Zeichen dafür sein, daß man nichts begreift und daß man niemals sicher sein kann, das Ziel zu treffen, oder daß die Objekte unseres Geistes den Ideen ähnlich sind, die wir von ihnen haben.

Das System Spinozas ist mit dem Vakuum unvereinbar II. Beiläufig will ich erwähnen, daß die Lehre des Vakuums die am besten geeignete ist, das System Spinozas umzustürzen. In 123

Leibniz und de Volder, ein berühmter Philosophie- und Mathematikprofessor an der Universität von Leiden. 124 Man sehe oben Fußnote (120) die Worte Lockes.

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der Tat, wenn es zwei Arten von Ausdehnung gibt, von denen die eine einfach, unteilbar und durchdringlich und die andere zusammengesetzt, teilbar und undurchdringlich ist, dann muß es mehr als eine Substanz im Universum geben. Das folgt noch besser daraus, daß die undurchdringliche Substanz kein zusammenhängendes Ganzes, sondern eine Ansammlung von Korpuskeln wäre, die völlig voneinander getrennt und von einem großen unkörperlichen Raum umgeben wären. Die Spinozisten würden zugeben, daß jede dieser Korpuskeln eine besondere Substanz wäre, die von der Substanz aller anderen verschieden ist. Und so würden sie ihr System infolge ihrer eigenen Axiome preisgeben, sobald sie einmal zugegeben hätten, daß es das Vakuum gibt.

Neuer Beweis gegen die Realexistenz der Ausdehnung III. Die letzte Konsequenz, die ich ziehen will, lautet, daß die Streitereien über das Vakuum ein Scheinargument für die Leugnung des Satzes hervorgebracht haben, die Ausdehnung habe eine wirkliche Existenz außerhalb unseres Verstandes. Bei den Streitereien mit den Cartesianern, welche die Möglichkeit des Vakuums leugnen, ist klar geworden, daß die Ausdehnung ein Wesen ist, das keine Grenzen haben kann. Also mußte es in der Natur entweder überhaupt keine Körper, oder eine unendliche Anzahl von ihnen geben. Man kann keinen von ihnen zerstören, ohne sie alle zu vernichten; und man kann nicht die kleinsten erhalten, ohne alle anderen zu erhalten. Dennoch erkennen wir durch evidente Ideen, daß, wenn zwei Dinge wirklich verschieden sind, das eine erhalten oder zerstört werden kann, ohne daß das andere davon betroffen wäre. Denn da alles, was von einem Ding wirklich verschieden ist, ihm akzidentiell zukommt, und jedes Ding ohne dasjenige, was ihm akzidentiell zukommt, erhalten werden kann,125 folgt, daß der 125

»Ein Akzidens ist dasjenige, was ohne Vernichtung des Subjekts da ist oder fehlt.« Porphyrius, Eisagoge, Kap. 5. Wenn das, wie Porphyrius es

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Körper A, der vom Körper B wirklich verschieden ist, im Dasein bleiben kann, ohne daß der Körper B fortbestünde, und daß die Erhaltung des Körpers A nicht die Erhaltung des Körpers B nach sich zieht. Diese Konsequenz, die so klar und unseren Gemeinbegriffen so angemessen erscheint, kann jedoch nicht für den vorliegenden Gegenstand zutreffen. Man kann nicht annehmen, daß alle in einem Zimmer eingeschlossenen Körper untergingen und daß die vier Mauern erhalten blieben. Denn in diesem Fall bliebe der gleiche Abstand zwischen ihnen wie zuvor, aber dieser Abstand, so sagen die Cartesianer, ist nichts anderes als ein Körper. Ihre Lehre scheint also der höchsten Freiheit des Schöpfers und seiner völligen Herrschaft zu widerstreiten, die ihm über alle seine Werke zukommt. Er muß das höchste Recht genießen, nach seinem Wohlgefallen wenige oder viele Körper zu schaffen und diesen oder jenen nach seinem Gutdünken zu erhalten oder zu vernichten. Die Cartesianer können antworten, daß Gott jeden Körper im besonderen vernichten kann, vorausgesetzt, daß er einen anderen von derselben Größe schafft. Aber heißt das nicht seiner Freiheit Grenzen setzen? Heißt das nicht Gott eine Art Knechtschaft auferlegen, die ihn zwangsläufig verpflichtet, einen neuen Körper immer dann zu schaffen, wenn er einen anderen vernichten will? Das sind Schwierigkeiten, die man unter der Annahme, daß die Ausdehnung und der Körper ein und dasselbe sind, nicht vermeiden kann; aber man kann sie alle gegen diejenigen zurückwenden, die sie Descartes vorlegen, sofern sie eine wirklich existierende räumliche Ausdehnung annehmen, die von der Materie verschieden ist. Diese Ausdehnung kann nicht hier versteht, für Akzidenzien wahr ist, die Modi einer Substanz sind, so ist es noch wahrer für eine hinsichtlich anderer akzidentielle Substanz, insofern sie von deren wesentlichen Attributen verschieden ist. Man beachte, daß die Scholastiker sich hier eine große Schwierigkeit unter dem Vorwand bereiten, daß die Schwarzheit nicht von einem Äthiopier getrennt werden könne. Deshalb nehmen sie zu der Unterscheidung zwischen einer verstandesmäßigen und wirklichen Trennung Zuflucht. Das ist reiner Unsinn, denn das Subjekt der Schwarzheit eines Äthiopiers ist die Materie, die nicht unterginge, auch wenn man den Körper dieses Menschen kalken würde.

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endlich sein, kein Teil kann von ihr zerstört werden, ohne einen anderen hervorzubringen, usw. Wenn nun die Natur der durchdringlichen oder undurchdringlichen Ausdehnung so große Schwierigkeiten nach sich zieht, so ist es das Einfachste zu sagen, daß sie nur in unserem Geist existiert.

(K) Eine Antwort wie die des Diogenes ist sophistischer, als es die Gründe unseres Zenon sind. »Als jemand ihm sagte, es gäbe keine Bewegung, stand er auf und ging herum.«126 Das ist alles, was man über diese Angelegenheit bei Diogenes Laertius findet. Wie man sieht, wird die Sache dort sehr schlicht berichtet; die modernen Autoren haben sie ein wenig ausgeschmückt. »Gewöhnlich wird auch berichtet, daß Diogenes, als er hörte, Zenon leugne die örtliche Bewegung, sofort aufstand und mehrmals mit großer Geschwindigkeit hin und her wanderte; und als er gefragt wurde, welche Gemütsaufwallung ihn so plötzlich ergriffen habe, antwortete er: ›Ich widerlege Zenon‹.«127 Sie haben den Philosophen benannt, der die Bewegung leugnete, sie haben die Umstände der auf praktische Weise gegebenen Antwort ausgeschmückt, sie haben daraus einen Gegenstand der Deklamation für den Gebrauch junger Rhetoriker gemacht. Ich wundere mich, daß Sextus Empiricus nicht geruhte, den Namen desjenigen mitzuteilen, der auf diese Weise die Einwände gegen die Existenz der Bewegung widerlegte. Was er mit einiger Bestimmtheit hierzu gesagt hat, lautet, daß sich ein Kyniker dieser Art der Widerlegung bediente. (…). Es ist besser, niemanden namentlich zu benennen, als zu behaupten, daß Diogenes der Kyniker und Zenon von Elea die Akteure waren. Ein solcher chronologischer Fehler ist unentschuldbar.130 Die Jesuiten von Coimbra haben ihn dem Simplicius angelastet, ohne ihn 126 127 130

Diogenes Laertius, Buch VI, Nr. 39. Libertus Fromondus, De compositione continui, S. 6. Diogenes der Kyniker lebte viel später als Zenon von Elea.

Zenon von Elea

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richtigzustellen. Sie befanden sich diesbezüglich in dem gewöhnlichen Irrtum. (…). Wie dem auch sei, die Antwort, die Diogenes der Kyniker dem Philosophen gab, der die Bewegung leugnete, ist der Trugschluß, den die Logiker ignoratio elenchi nennen. Diogenes verfehlte den Kern der Frage, denn jener Philosoph stritt nicht die augenscheinliche Bewegung ab, er leugnete nicht, daß es dem Menschen so scheine, daß es Bewegung gäbe, sondern er behauptete, daß sich in Wirklichkeit nichts bewege, und er bewies dies mit sehr subtilen und ganz verwirrenden Gründen. Hier ist, was Sextus Empiricus über die Skeptiker gesagt hat: »Dem Anschein nach gibt es Bewegung, aber der Philosophie nach gibt es keine.«137 Was trägt es gegen diese Behauptung aus, umherzuwandern oder zu -springen? Wird dadurch etwas anderes bewiesen als die Erscheinung von Bewegung? War das der Gegenstand der Frage? Hat der Philosoph das geleugnet? Keinesfalls, er war nicht dumm genug, die Phänomene der Augen zu leugnen, sondern er behauptete, daß das Zeugnis der Sinne dem Räsonnement aufgeopfert werden müsse. Man ziehe Aristoteles zu Rate. Er zeigt euch, daß einige antike Philosophen die Auskünfte der Sinne für nichts gehalten haben, nachdem sie Gründe gefunden hatten, um die Vielheit von Teilen, die Teilbarkeit, die Beweglichkeit der Welt völlig zurückzuweisen. (…).138 Parmenides und Melissus sind die antiken Philosophen, von denen er spricht. (…). Aus alledem folgt, daß die Antwort des Diogenes sophistisch war, wenngleich geeignet, den Beifall der Zuhörerschaft zu erhalten. Es war eine höhnische Antwort, aber ich glaube auch, daß der Philosoph, den sie betraf, sie nur verachtet hat. Vielleicht hat er darüber gelacht und sich nach Kräften lustig gemacht; was tausendmal besser ist als das, was der Sophist Diodorus tat, der sich nicht imstande sah zu lachen, als man 137

Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch III, Kap. 8,

S. 104. 138

Aristoteles, De generatione et corruptione, Buch I, Kap. 8, S. 395 meiner Ausgabe.

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ihn mit böser Ironie wegen seiner Vorlesungen gegen die Existenz der Bewegung angriff. Er hatte sich die Schulter ausgerenkt und suchte den Arzt Herophilus auf, um ihn sie wieder einrenken zu lassen. »Du weißt nicht, was du sagst«, antwortete ihm Herophilus. »Was! Deine Schulter ist ausgerenkt? Das kann nicht sein, denn sie hat weder den Platz verlassen, an dem sie war, noch den, an dem sie nicht war.« Das war einer der Gründe dieses Sophisten, mit denen er die Bewegung bestritt. Wenn ein Körper sich bewegt, so sagte er, so tut er das entweder an dem Ort, an dem er sich befindet, oder an dem Ort, an dem er sich nicht befindet. Aber er bewegt sich nicht, weder an dem Ort, an dem er ist – denn wenn er dort ist, so verläßt er ihn nicht –; noch an dem Ort, wo er nicht ist – denn er kann dort, wo er nicht ist, nichts erleiden noch etwas tun; folglich usw. Diodorus, der damals nicht in der Verfassung war, Gefallen an dieser Logik zu finden, bat Herophilus, jene Reden zu vergessen und ihm die notwendige Behandlung zukommen zu lassen.145

145

Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch II, Kap. 22.

KLARSTELLUNGEN zu gewissen Dingen, die in diesem Wörterbuch ausgebreitet werden und die sich auf vier Hauptpunkte zurückführen lassen: I. Die Loblieder auf Menschen, die entweder die Vorsehung oder die Existenz Gottes leugneten. II. Die Einwände der Manichäer. III. Die Einwände der Pyrrhoneer. IV. Die Obszönitäten. Allgemeine Vorbemerkung Bei der Abfassung dieses Werks wurde mir zwar bewußt, daß sich hier ein wenig freie und mit den gewöhnlichen Ansichten wenig übereinstimmende Gedanken eingeschlichen haben, aber ich sah nicht voraus, daß man an ihnen Anstoß nehmen müßte. Ich bildete mir ein, daß diejenigen, deren Urteil das Vorbild oder das Korrektiv für das Urteil der anderen abgibt, auf mehrere Dinge achtgeben würden, die mir zur Verteidigung dienen könnten. I. Ich hoffte an erster Stelle, daß man die Eigenart dieses Wörterbuchs beachten würde. Es ist eine riesige Zusammenstellung, die zwangsläufig viele Einzelheiten der Kritik enthält, die auf Fachfremde äußerst abstoßend und ermüdend wirken; und in dieser Anhäufung von Gegenständen aller Art mußte ich zwei Rollen spielen: die des Historikers und die des Kommentators. Es ist nicht anders möglich gewesen, das Wörterbuch vor der Verachtung vieler Leute zu bewahren, als durch die Aufnahme ungewöhnlicher Dinge. Es sind nicht wenige, die sich kaum für die Streitigkeiten der Grammatiker oder für die Abenteuer eines unbedeutenden Privatmannes interessieren, und sie verdienen es, daß man auf ihren Geschmack Rücksicht nimmt. Ein Autor darf daher sein Buch so anlegen, daß es ihnen durch irgendeine Stelle empfehlenswert erscheint. Und wenn dieser Autor als Historiker schreibt, muß er nicht allein sagen, was die Häretiker getan haben, sondern auch die Stärke oder Schwäche ihrer Meinungen anzeigen. Er muß dies vor-

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nehmlich dann tun, wenn er selbst der Kommentator seiner Berichte ist; denn in seinem Kommentar muß er die Sachverhalte diskutieren und die Gründe für und wider mit der ganzen Objektivität eines getreuen Berichterstatters gegeneinander abwägen. II. Ich hoffte an zweiter Stelle, daß man auf die Tonart und Manier achtgeben würde, in der ich bestimmte Meinungen vortrage. Es ist nicht die Tonart des Dogmatikers und auch nicht die Verbohrtheit derer, die Anhänger suchen. Es sind Gedanken, die von ungefähr und nebenbei geäußert werden, die ich als Gedankenspiele genommen wissen will und die man ganz nach eigenem Ermessen und mit noch mehr Freiheit, als ich mir genommen habe, zurückweisen darf. Es ist leicht zu erkennen, daß ein Autor, der so verfährt, keine schlechten Absichten hat und keine Fallen stellt, und daß man es kaum übelnehmen darf, wenn ihm Gedanken entschlüpfen, die in anderer Form gefährlich sein könnten. III. Ich hoffte an dritter Stelle, daß man auf die Umstände achtgeben würde, die bewirken, daß ein Irrtum zu fürchten ist oder nicht. Man muß die Folgen fürchten, wenn der Irrtum von Leuten gelehrt wird, deren Stellung zum Volk ihnen Gelegenheit verschafft hat, sich Ansehen und Anhängerschaft zu erwerben. Man muß ihm auf den Fersen folgen, ihn beobachten und ihm sorgsam Einhalt gebieten, wenn ein Mann von ehrwürdigem Charakter, ein Pastor oder ein Theologieprofessor, ihn in Predigten, Vorlesungen, Pamphleten mit systematischen Kurzfassungen oder in Form eines Katechismus und durch Boten verbreitet, die von Haus zu Haus gehen, die Lektüre seiner Schriften empfehlen und die Leute bitten, sich in den Konventikeln einzufinden, wo der Autor seine Gründe und seine Methode mehr im Detail entwickelt.1 Aber wenn ein Mensch wie ich, der ganz und gar Laie und ohne öffentliches Amt ist, inmitten riesiger Sammlungen von historischen und li1

Man beachte, daß ich alle diese Dinge aufzähle, ohne vorzugeben, daß man sich nur gegen diejenigen empören muß, die all dies tun. Ein Teil davon genügt als Motiv.

Klarstellungen

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terarischen Daten einen religiösen oder moralischen Irrtum äußert, so sehe ich keinen Grund, sich Sorgen zu machen. In derartigen Werken sucht kein Leser die Neubestimmung seines Glaubens. Bei diesem Thema nimmt man keinen Autor zum Führer, der davon nur im Vorübergehen und gelegentlich spricht und durch die bloße Tatsache, daß er seine Ansichten wie eine Stecknadel in die Wiese wirft, hinreichend zu erkennen gibt, daß es ihm nicht um Gefolgsleute geht. Die Irrtümer eines solchen Schriftstellers bleiben folgenlos und verdienen nicht, daß man sich ihretwegen beunruhigt. So verhielten sich die theologischen Fakultäten in Frankreich in Bezug auf das Buch des Michel de Montaigne. Sie ließen alle Maximen dieses Autors passieren, der ohne System, Methode oder Ordnung alles, was ihm sein Gedächtnis darbot, anhäufte und aneinanderreihte. Aber als der Priester und Domherr Pierre Charron sich anschickte, einige der Ansichten Montaignes in einem methodischen und systematischen Moraltraktat vorzutragen,2 da hielten die Theologen nicht länger still.3 IV. Ich hoffte an vierter Stelle, und das war der Hauptgrund meiner Zuversicht, daß man die beiden folgenden Punkte leicht klären würde: 1) Daß ich niemals eine Lehre als meine persönliche Meinung vorbringe, die sich gegen die Artikel des Glaubensbekenntnisses der reformierten Kirche richtet, in der ich geboren bin und zu der ich mich bekenne. 2) Daß ich, wenn ich als Historiker berichte, was man den Rechtgläubigen vorhalten oder erwidern kann, und wenn ich einräume, man könne mit dem natürlichen Licht keineswegs alle Schwierigkeiten der Ungläubigen auflösen, jedesmal einen Exkurs mache, um daraus eine Folgerung zugunsten des Prinzips abzuleiten, das die Reformierten unablässig den Sozinianern entgegenstellen, nämlich daß unsere Vernunft, schwach wie sie ist, nicht die Regel oder der Maßstab unseres Glaubens sein darf. 2

Man vergleiche oben die Anmerkung (O) des Artikels MONTAIGNE. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  3 Man sehe oben die Anmerkung (F) des Artikels MONTAIGNE. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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Das sind die Gründe, die mich glauben ließen, man werde es nicht übel aufnehmen, wenn ich mich manchmal der sogenannten »Freiheit des Philosophierens« bediene. Ich hätte mich ihrer nicht bedient, wenn ich vorausgesehen hätte, daß man die Erwägungen nicht anstellen würde, die ich soeben vorgetragen habe. Aber der Gang der Dinge entsprach nicht meiner Erwartung. Man hat gegen diese Stellen in meinem Wörterbuch gemurrt, man hat sie getadelt. Ich war niemals überzeugt, daß dies mit Grund geschah; nichtsdestoweniger habe ich mich geärgert, daß ich Dinge gesagt habe, die man schlecht fand, und ich bin vollkommen bereit gewesen, den Bedenken in einer zweiten Auflage abzuhelfen. Nachdem ich erkannt hatte, worin die Beschwerden bestanden, schien es mir, daß es leicht sein würde, ihnen abzuhelfen, sei es durch die Streichung einiger Seiten, sei es durch einige Änderungen im Ausdruck, sei es durch Erläuterungen, welche die Dinge in ihrem wahren Licht zeigen. Ich habe mich ohne Widerstreben daran gemacht, so wie es alle Schriftsteller tun müssen, die nicht auf ihre Gedanken fixiert sind und die sie bereitwillig der Erbauung des Lesers opfern. Ich wünsche, daß man mit meinem Verhalten einverstanden ist, hinsichtlich der Streichungen ebenso wie hinsichtlich der folgenden Klarstellungen, und mir scheint, ich habe Grund, mir allgemeine Zufriedenheit zu versprechen. Dieses Ziel habe ich mir gesetzt, und ich habe mir viel Mühe gegeben, es zu erreichen.

ERSTE KLARSTELLUNG

Die Bemerkung, die ich über die guten Sitten einiger Personen gemacht habe, die keine Religion hatten, kann dem wahren Glauben keinerlei Nachteil bringen noch ihm irgendeinen Schaden zufügen Wer sich über meine Behauptung, es habe Atheisten und Epikureer gegeben, die den Großteil der Götzendiener an Sittlichkeit übertrafen, empört hat, wird gebeten, sämtliche Bemerkungen, die ich jetzt vortragen werde, gut zu erwägen. Wenn er das tut, wird seine Empörung sich auflösen und vollständig verschwinden. I. Gottesfurcht und Gottesliebe sind nicht die einzigen Triebfedern der menschlichen Handlungen. Es gibt noch andere Prinzipien, die den Menschen handeln lassen: Die Liebe zum Lob, die Furcht vor der Schande, die Neigungen des Temperaments sowie die von der Obrigkeit festgesetzten Strafen und Belohnungen haben große Macht über das menschliche Herz. Wenn jemand das bezweifelt, so muß ihm das unbekannt sein, was sich in ihm selbst abspielt und was ihm der gewöhnliche Weltenlauf jederzeit vor Augen führen kann. Aber es hat nicht den Anschein, daß irgend jemand dumm genug wäre, das nicht zu wissen. Man kann also dasjenige zum allgemein Bekannten rechnen, was ich bezüglich dieser anderen Triebfedern des menschlichen Handelns behaupte. II. Gottesfurcht und Gottesliebe sind nicht immer ein wirksameres Prinzip als alle anderen. Die Liebe zum Ruhm, die Furcht vor Schande, Tod oder Folter, die Hoffnung auf ein Amt wirken mit größerer Macht auf bestimmte Menschen als der Wunsch, Gott wohlgefällig zu sein, und die Furcht, seine Gebote zu verletzen. Wenn jemand das bezweifelt, so kennt er einen Teil seiner eigenen Handlungen nicht und weiß nichts von dem, was sich tagtäglich auf der Erde abspielt. Die Welt ist

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voller Leute, die lieber eine Sünde begehen als einem Fürsten zu mißfallen, der für ihr Glück sorgen und es zunichte machen kann. Tagtäglich unterschreibt man Glaubensformulare gegen sein Gewissen, um seinen Besitz zu erhalten oder um Gefängnis, Verbannung, Tod usw. zu vermeiden. Ein Soldat, der für seine Religion alles verlassen hat und sich vor die Wahl gestellt sieht, entweder Gott zu beleidigen, wenn er sich für eine Ohrfeige rächt, oder als Feigling zu gelten, wenn er sich nicht rächt, ruht nicht eher, bis er Genugtuung für diese Beleidigung erhalten hat, sogar auf die Gefahr hin, zu töten oder in einem Zustand getötet zu werden, der die ewige Verdammnis nach sich zieht. Es hat nicht den Anschein, daß jemand dumm genug wäre, dergleichen nicht zu kennen. Wir wollen also unter das allgemein Bekannte diesen moralischen Aphorismus aufnehmen: »Gottesfurcht und Gottesliebe sind nicht immer das wirksamste Prinzip der menschlichen Handlungen«. III. Da dies so ist, muß man es nicht als ein anstößiges Paradoxon, sondern vielmehr als sehr wohl möglich ansehen, daß Leute ohne Religion durch die Triebkräfte des Temperaments, verbunden mit der Liebe zum Lob und unterstützt durch die Furcht vor Schande, stärker zur Sittlichkeit angetrieben werden als andere Leute durch die Regungen ihres Gewissens. IV. Es sollte ein viel größeres Ärgernis sein, so viele Leute von der Wahrheit der Religion überzeugt und dennoch im Laster versunken zu sehen. V. Daß die Götzendiener des Heidentums gute Taten vollbracht haben, ist noch befremdlicher, als daß atheistische Philosophen ehrenhaft gelebt haben. Denn diese Götzendiener hätten durch ihre eigene Religion zum Laster getrieben werden müssen; sie hätten glauben müssen, daß sie, um wie die Götter zu leben – was Sinn und Zweck der Religion ist –, Betrüger, Neider, Hurer, Ehebrecher, Knabenschänder usw. sein müßten. VI. Daraus kann man ableiten, daß die Götzendiener, die ehrenhaft gelebt haben, ausschließlich durch Vernunft- und Ehrbegriffe oder durch das Verlangen nach Lob oder durch ihr Temperament oder durch andere derartige Prinzipien geleitet wurden, die allesamt bei Atheisten angetroffen werden kön-

Erste Klarstellung

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nen. Weshalb also sollte man erwarten, unter der Herrschaft des heidnischen Götzentums mehr Tugend zu finden als unter der Gottlosigkeit? VII. Man bemerke bitte, daß ich, wenn ich von den guten Sitten einiger Atheisten gesprochen habe, ihnen nicht wahre Tugenden zugesprochen habe. Ihre Mäßigkeit, ihre Keuschheit, ihre Rechtschaffenheit, ihre Verachtung des Reichtums, ihr Einsatz für das Gemeinwohl, ihre Neigung, ihrem Nächsten zu Diensten zu sein, gingen nicht aus der Liebe zu Gott hervor und zielten nicht auf seine Ehre und seinen Ruhm ab. Sie selbst waren deren Ursprung und Endzweck; die Eigenliebe war Grundlage, Ziel und Hauptmerkmal ihrer Sittlichkeit. Es waren nichts als glänzende Sünden, splendida peccata, wie der hl. Augustinus all die schönen Handlungen der Heiden genannt hat. Man verletzt also die Vorrechte der wahren Religion auf keine Weise, wenn man über einige Atheisten das sagt, was ich über sie gesagt habe. Es bleibt allzeit wahr, daß die guten Werke nur aus dem Schoß der wahren Religion hervorgehen. Und was liegt ihr daran, daß die Anhänger der falschen Götter in ihren alltäglichen Handlungen nicht weiser sind als diejenigen, die keine Religion haben? Welcher Vorteil würde ihr daraus zuwachsen, daß die Anhänger von Jupiter und Saturn nicht auf einem so abschüssigen Weg ins Verderben wären wie die Atheisten? VIII. Wenn diejenigen, die sich geärgert haben, sagen, man könne die guten Sitten Epikurs nicht loben, ohne zu behaupten, es sei hinsichtlich des guten Lebens ein und dasselbe, gar keine Religion zu haben oder irgendeine Religion zu bekennen, so kennen sie die Kunst des Schlußfolgerns nicht und haben ganz und gar nicht begriffen, worum es geht. Ich habe den Atheismus niemals mit etwas anderem als dem Heidentum verglichen. Also ist die wahre Religion nicht betroffen und außer Gefahr. Es handelt sich nur um die vom Teufel eingeführten und genährten Religionen; es geht darum zu sehen, ob diejenigen, die einem in seinem Ursprung und Fortgang so schändlichen Kult wie diesem anhingen, zuverlässiger die guten Sitten ausgeübt haben als die Atheisten. Ich nehme es als unbezwei-

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felbar und völlig ausgemacht an, daß es in der wahren Religion nicht nur mehr Tugend gibt als irgendwo sonst, sondern daß es außerhalb dieser Religion überhaupt keine wahre Tugend gibt noch Früchte der Gerechtigkeit. Wozu dient es dann, den Anschein zu erwecken, man fürchte, ich beleidigte diese wahre Religion? Hat sie etwa an dem Schlechten teil, das man über die falsche sagen kann? Und muß man nicht befürchten, daß dieser an den Tag gelegte große Eifer vernünftige Leute empört, die sehen werden, daß dies heißt, den Zartfühlenden zugunsten eines Gottesdienstes zu spielen, der von Gott verflucht und vom Teufel eingeführt worden ist, wie es alle unsere Doktoren der Theologie bekennen? IX. Ich könnte mich nicht zu Recht über das Murren beschweren, wenn ich einen Roman geschrieben hätte, in dem die Personen tugendhaft und ohne Religion gewesen wären. Denn weil ich Herr ihrer Taten und Worte gewesen wäre, hätte es mir freigestanden, sie nach dem Geschmack der gewissenhaftesten Leser zu zeichnen. Aber mein Dictionnaire ist ein Geschichtswerk, ich habe nicht das Recht, die Leute darin so darzustellen, wie man wünschen würde, daß sie gewesen wären; ich muß sie so darstellen, wie sie waren; ich kann weder ihre Laster noch ihre Tugenden unterdrücken. Weil ich also hinsichtlich der Sitten einiger Atheisten nur dasjenige vortrage, was die von mir zitierten Autoren davon berichten, hat man keinen Grund, über mein Verhalten empört zu sein. Damit die Kritiker in sich gehen, genügt es, sie zu fragen, ob sie glauben, die Unterdrückung wahrer Tatsachen gehöre zu den Pflichten des Historikers. Ich bin überzeugt, daß sie niemals einen solchen Satz unterschreiben würden. X. Ich glaube allerdings, daß es Leute gibt, die treuherzig genug sind zu gestehen, eine Tatsachenwahrheit müsse von einem Historiker unterdrückt werden, wenn sie imstande ist, den Abscheu vor dem Atheismus und die Verehrung, die man für die Religion im allgemeinen hat, zu vermindern. Aber ich bitte sie ergebenst, es nicht übel zu nehmen, wenn ich weiterhin glaube, daß Gott derartige rhetorische Kniffe nicht nötig hat und daß, wenn dies in einem Gedicht oder in einer Rede

Erste Klarstellung

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seinen Platz haben mag, daraus nicht folgt, daß ich ein solches Verfahren in ein historisches Wörterbuch hätte übernehmen müssen. Sie werden mir die Bemerkung erlauben, daß es genügt, für die gute Religion zu arbeiten. Denn alles, was man für die Religion im allgemeinen täte, käme dem Heidentum ebenso wie dem Christentum zugute. XI. Ich hätte um so größeren Tadel für das Unterdrücken der Wahrheiten verdient, über die man sich beschwert, weil ich abgesehen von dem Verstoß gegen die grundlegenden Gesetze der historischen Kunst dadurch Sachen verdunkelt hätte, die dem wahren System der Gnade im Grunde sehr vorteilhaft sind. Ich habe anderswo gezeigt,1 daß nichts besser geeignet ist, um die Verderbnis des menschlichen Herzens – diese auf natürliche Weise unbesiegbare und einzig durch den hl. Geist überwindliche Verderbnis – zu beweisen, als zu zeigen, daß diejenigen, die nicht an dem übernatürlichen Beistand teilhaben, unter der Ausübung einer Religion ebenso böse sind wie diejenigen, die im Atheismus leben. Ich füge hier hinzu, daß man den Pelagianern kein größeres Vergnügen bereiten kann, als zu sagen, daß die Furcht vor den falschen Göttern die Heiden dazu bringen konnte, einige Laster abzulegen. Denn wenn sie aus Furcht, den Fluch des Himmels auf sich zu ziehen, vom Übel lassen konnten, dann konnten sie sich auch aus dem Verlangen nach geistigen Belohnungen und um sich die Liebe Gottes zu verschaffen der Tugend zuwenden; d. h. sie hätten Gott nicht nur fürchten, sondern auch lieben und nach dem guten Prinzip handeln können. Die zwei Hebel, durch die der Mensch bewegt wird, sind die Furcht vor Strafe und der Wunsch nach Belohnung. Kann er durch jenen bewegt werden, kann er es auch durch diesen. Man kann nicht einfach den einen davon zulassen und den anderen verwerfen. XII. Wenn einige Leute, die unvoreingenommener und verständiger sind, als man es gewöhnlich antrifft, als einzigen Grund für ihre Empörung das Wohlwollen anführen, mit dem 1

Man sehe die Pensées diverses sur la comète, S. 437, 490, 599 und die Additions zu diesen Pensées, S. 58, 110.

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ich, wie es ihnen scheint, meine Leser auf das gute Leben der Atheisten hingewiesen habe, so möchte ich sie bitten zu erwägen, daß in dem Fall, um den es sich handelt, dieses Wohlwollen ganz entschuldbar ist und daß es sogar als Gegenstand der Erbauung angesehen werden kann. Um das besser zu verstehen, muß man sich nur an eine Nebenabsicht meiner Abhandlung über die Kometen erinnern. Der wahre Zweck dieses Werks war es, durch ein theologisches Argument die gewöhnliche Ansicht von der Vorbedeutung der Kometen zu widerlegen.2 Die Notwendigkeit, dieses Argument zu verstärken, führte mich zu dem Vergleich von Atheismus und Heidentum, denn ohne diesen wäre mein Beweis einem Einwand ausgesetzt gewesen, der ihn zur Erreichung meines Beweisziels hätte ungeeignet werden lassen. Ich mußte also entweder diese Lücke offen lassen oder die Gründe derjenigen widerlegen, die behaupten, das Götzentum der Heiden wäre kein so großes Übel wie der Atheismus. Der ganze Ausgang der Auseinandersetzung hing stark von dem Erfolg dieses Angriffs ab; und so konnte und mußte ich mir der Ordnung des Disputierens zufolge und mit all dem Recht, das einem Autor zukommt, alles zunutze machen, was Logik und Geschichte mir zur Zurückweisung dieses Angriffs zur Verfügung stellen konnten. Ich trug also weder aus Mutwilligkeit noch aus Frechheit Fakten vor, die dartun sollten, daß die Atheisten in ihren Sitten nicht notwendigerweise zügelloser sind als die Götzendiener. Die Gesetze der Disputierkunst und das jedem zustehende Recht, Einwände abzuwehren, denen er seine These ausgesetzt sieht, haben mir dieses Verhalten unumgänglich auferlegt. Man hat laut gegen diese Stelle meines Werks angeschrieen und hat versucht, sie als gefährlich hinzustellen. Ich war also verpflichtet, sie zu stützen, soweit wie Vernunft und Wahrheit es mir gestatten konnten; und folglich sollte niemand schockiert sein, wenn ich meine Leser bei sich bietender Gelegenheit darauf hinweise, daß die Geschichte uns lehrt, daß diese oder jene Personen, die entweder das Dasein oder die Vorsehung Gottes oder die 2

Man sehe das Vorwort zur 3. Auflage.

Erste Klarstellung

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Unsterblichkeit der Seele geleugnet haben, dennoch als ehrenhafte Leute gelebt haben. Dieses Wohlwollen wäre vielleicht in einem anderen Buch ein berechtigter Anlaß zur Empörung, ist es in meinem aber ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es kann zur Erbauung meiner Leser dienen, weil es zeigt, daß ich kein Paradoxon aus nichtigem Grund vorgetragen habe, sondern eine Anmerkung, die im Grunde ganz gewiß ist und die nur denjenigen falsch erschienen ist, die sie nicht untersucht haben. Nichts ist empörender, als wenn ein Mensch, um sich ein Ansehen zu geben, auf verwegene Weise bemüht ist, den gebahnten Weg zu verlassen; und wenn es Schriftsteller gibt, die – nicht durch ihren Fehler, sondern weil die Leser den Grund der Sache nicht zureichend eingesehen haben – von dieser Seite Verdacht auf sich ziehen, so kann nichts erbaulicher sein, als zu sehen, daß diese Schriftsteller sich rechtfertigen. XIII. Um jeden Verdacht eines verabscheuungswürdigen Wohlwollens völlig auszuräumen, habe ich Sorge getragen, die bösen Sitten der Atheisten anzumerken, wann immer ich konnte.3 Wenn ich das nicht öfter getan habe, so nur deshalb, weil mir das Material dazu gefehlt hat. Das Publikum wußte, daß ich darum gebeten hatte, mir Beispiele zu nennen.4 Niemand hat diese Mühe auf sich genommen, und ich habe durch meine eigenen Untersuchungen noch nichts auffinden können. Ich versuche nicht zu leugnen, daß es in allen Ländern und zu allen Zeiten Personen gab, die durch ihre Ausschweifungen und durch lange verbrecherische Gewohnheiten den ausdrücklichen Glauben an Gottes Dasein erstickt haben; aber da die Geschichte ihre Namen nicht überliefert hat, ist es unmöglich, von ihnen zu reden. Es ist wahrscheinlich, daß es unter den Banditen und gedungenen Meuchelmördern, die so viele Verbrechen begehen, einige gibt, die keinerlei Religion haben; aber das Gegenteil ist noch wahrscheinlicher, weil es unter so 3

Wie in den Artikeln über BION, der Borysthenier, und über KRITIAS. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  4 Man sehe die Additions aux Pensées sur la comète, S. 86. Man sehe dort auch S. 75.

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vielen Missetätern, die durch die Hände der Henker gehen, keinen gibt, der Atheist wäre.5 Diejenigen, die sie auf den Tod vorbereiten, finden sie immer recht geneigt, die Seligkeit des Paradieses zu wünschen. Was die in der Gefräßigkeit versunkenen profanen Menschen betrifft, die nach dem Urteil von Garasse und vielen anderen Autoren ausgesprochene Atheisten sind, so brauchte ich sie nicht berücksichtigen, denn es ging nicht um diejenigen, die man »praktische Atheisten« nennt, um Leute also, die ohne alle Furcht vor Gott, aber nicht ohne eine gewisse Überzeugung von seinem Dasein leben. Es ging lediglich um die theoretischen Atheisten wie z. B. Diagoras, Vanini, Spinoza usw.; um Leute also, deren Atheismus entweder durch die Historiker oder durch ihre Schriften bestätigt ist. Die Frage dreht sich ausschließlich um die Sitten dieser Art von Atheisten. Hinsichtlich ihrer habe ich gewünscht, daß man mir Beispiele ihres bösen Lebenswandels nennen möge. Wäre ich auf welche gestoßen, hätte ich sie ausführlich besprochen. In der Geschichte lassen sich ganz leicht gewisse Schurken finden, deren schändliche Taten die Leser beinahe zittern machen; aber das waren trotzdem Leute, bei denen selbst ihre Gottlosigkeiten und Blasphemien ein Beweis dafür sind, daß sie an Gott glaubten. Hier haben wir eine natürliche Folge der einhelligen Lehre der Theologen vor uns, daß der Teufel, das boshafteste aller Geschöpfe, der aber selbst des Atheismus unfähig ist, der Beförderer aller Sünden des menschlichen Geschlechtes ist. Weil das so ist, muß die allerausschweifendste Boshaftigkeit des Menschen den Charakter von derjenigen des Teufels haben, d. h. sie ist mit der Überzeugung von Gottes Dasein verbunden. Eine Maxime der Philosophen bestätigt diese Überlegung.6 5

Ich sage das, weil ich mich nicht erinnere, Berichte vom Atheismus dieser Leute angesichts des Todes gelesen oder davon gehört zu haben. 6 »Dasjenige, wodurch etwas eine bestimmte Beschaffenheit hat, besitzt diese Beschaffenheit stets in noch höherem Maße.« Aristoteles, Analytica posteriora, Buch I., Kap. 2, S. 105 meiner Ausgabe. Man sehe auch Metaphysica, Buch II, Kap. 1, S. 645 F.

Erste Klarstellung

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XIV. Wenn das soeben Gesagte imstande ist, Leute mit einem empfindsamen Gewissen zu erbauen, weil sie dadurch erkennen, daß die These, die sie beunruhigt hatte, sehr gut mit den rechtgläubigsten Prinzipien übereinstimmt, dann werden sie in dem, was ich jetzt vortragen werde, einen nicht geringeren Stoff zur Erbauung finden. Daß nämlich die größten Schurken keine Atheisten sind und daß der größte Teil der Atheisten, deren Name auf uns gekommen ist, nach weltlichem Maßstab ehrenhafte Leute gewesen sind, das ist ein Zeichen der unendlichen Weisheit Gottes, ein Anlaß, seine Vorsehung zu bewundern. Sie hat der Verderbnis des Menschen Grenzen setzen wollen, damit es Gesellschaften auf der Erde geben könnte; und wenn sie nur eine kleine Zahl von Leuten mit der heiligmachenden Gnade begünstigt hat, so hat sie eine zurückhaltende Gnade überall verbreitet,7 die wie ein starker Damm die Fluten der Sünde so weit zurückhält, wie es erforderlich ist, um einer allgemeinen Überschwemmung vorzubeugen, die sämtliche monarchischen, aristokratischen, demokratischen usw. Staaten vernichten würde. Gewöhnlich sagt man, das Mittel, dessen Gott sich zu diesem Zweck bedient hat, sei die Erhaltung der Begriffe von Tugend und Laster in der menschlichen Seele sowie der Empfindung einer Vorsehung, die auf alles achtet, das Übel bestraft und das Gute belohnt. Man findet diesen Gedanken in den Lehrbüchern der Theologie und in einer Unzahl anderer rechtgläubiger Werke. Was ist die natürliche Folge dieses Satzes? Lautet sie nicht, daß, wenn es Leute gibt, die Gott nicht so weit aufgibt, daß er sie in das System Epikurs oder das der Atheisten fallen läßt, dies hauptsächlich jene wilden Seelen sind, deren Grausamkeit, Verwegenheit, Habgier, Raserei und Ehrgeiz in der Lage wären, binnen kurzer Zeit ein ganzes Land zu ruinieren? Lautet sie nicht, daß, wenn er gewisse Leute so weit aufgibt, ihnen zu erlauben, daß sie entweder sein Dasein oder seine Vorse7

Ich habe von einem Theologen gelernt, daß man in diesen Begriffen von der göttlichen Vorsehung spricht, insofern sie es nicht erlaubt hat, daß sich die Laster bis zur Zerstörung der Gesellschaft ausbreiten.

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hung leugnen, dies hauptsächlich Personen sind, für welche die Neigungen des Temperaments, die Erziehung, die lebhaften Begriffe der Ehrbarkeit, die Liebe zum Ruhm und die Empfindsamkeit für Schande eine genügend starke Bremse darstellen, um sie in ihrer Pflicht zu halten? Das sind zwei Konsequenzen, die auf natürliche Weise aus dem Prinzip der Theologie hervorgehen, das ich oben zitiert habe. Indem ich meine Leser an verschiedenen Stellen dieses Dictionnaire darauf hingewiesen habe, daß die allergrößten Schurken etwas Religion gehabt haben und die Personen, die ganz und gar keine Religion hatten, nach den Gesetzen der Ehrbarkeit gelebt haben, habe ich nichts gesagt, was nicht mit diesen beiden Konsequenzen übereinstimmte; daher kann man dadurch vernünftigerweise nicht länger schockiert sein. XV. Es wird bei weitem berechtigter sein, hierin den Finger Gottes zu sehen sowie die bewundernswürdigen Wege seiner Vorsehung. Er gelangt auf verschiedenen Wegen zu demselben Ziel. Das nach theologischer Lehre für die Erhaltung der Gesellschaft so notwendige zurückhaltende Prinzip übt seine Kraft durch die Eindämmung des Götzendienstes in gewissen Ländern und bei gewissen Personen aus, und durch das Temperament oder durch die lebhaften Begriffe sowie durch das Empfinden für moralische Ehrbarkeit bei einigen anderen. Die erfinderischen und sinnenfreudigen Griechen, die eben dadurch für eine entsetzliche Kette von Verbrechen offen waren, hatten eine Religion nötig, die ihnen eine Unmenge an Observanzen auferlegte. Sie hätten sonst zu viel Zeit für das Böse gehabt, wenn die zahlreichen Zeremonien, Opfer und Orakel ihnen nicht viel Zerstreuung geboten und die abergläubischen Schreckensbilder sie nicht beunruhig hätten. Die Skythen, ein grobes Volk, das weder viel um Kleidung noch um gutes Essen gab, brauchte nur die Sinneslust zu verachten oder sie nicht zu kennen. Das allein hat ihre Republik erhalten und sie daran gehindert, einander Schaden zuzufügen. Sie waren so geschaffen, daß sich jeder mit dem Seinen zufrieden gab. Für solche Leute braucht man keinen Codex und keine Tafeln des Verbotenen und Erlaubten.

Erste Klarstellung

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Dies sind fünfzehn Betrachtungen, die mir ausreichend erscheinen, den Stein des Anstoßes aus dem Weg zu räumen, auf den man an einigen Stellen meines Dictionnaire zu treffen glaubte. Sie könnten zum Thema eines umfangreichen Buchs dienen. Ich habe mich damit begnügt, sie kurz vorzutragen, denn ich habe sie anderswo10 etwas ausführlicher behandelt, oder ich werde von ihnen in einem versprochenen Werk eingehender handeln.11

10 11

In den Pensées diverses sur la comète. Man sehe das Vorwort zur 3. Auflage dieser Pensées.

ZWEITE KLARSTELLUNG

Wie man das betrachten muß, was ich über die Einwände der Manichäer gesagt habe Diejenigen, die an gewissen Bemerkungen von mir in den Artikeln Anstoß genommen haben, in denen ich den Manichäismus behandele, wären gar nicht zu entschuldigen, wenn sie sich auf meine Aussage bezogen hätten, die Frage des Ursprungs des Übels sei sehr schwierig. Denn die Kirchenväter geben das unumwunden zu,1 und es gibt heute keinen rechtgläubigen Theologen, der nicht das gleiche Eingeständnis machte. Ich glaube daher nicht, daß man hierin den Stein des Anstoßes gefunden hat, und ich bin überzeugt, daß man ihn nur in meiner Behauptung gefunden hat, die Einwände der Manichäer seien unauflösbar, solange sie nur vor dem Gerichtshof der Vernunft verhandelt würden. Das mußte diejenigen schockieren, deren großer Eifer für die Wahrheit des Evangeliums sie davon überzeugt, daß diese in Auseinandersetzungen aller Art und mit beliebigen Waffen über die Unwahrheit triumphiert. Sie finden so großes Vergnügen an der Lektüre eines Buchs, worin man zeigt, daß die Transsubstantiation abgeschmettert wird, gleichgültig ob man das Zeugnis der Sinne und die Prinzipien der Philosophie oder aber die Schrift und die Tradition der ersten Jahrhunderte gegen sie ins Feld führt; sie finden, sage ich, soviel Vergnügen an einem so vollständigen Sieg, daß sie sich leicht einreden, alle Streitigkeiten über den rechten Glauben hätten das gleiche Schicksal. Angenehm geschmeichelt von dieser süßen Überzeugung, ärgern und empören sie sich über das Eingeständnis, daß kein christlicher Glaubensartikel, wenn er nur mit den Waffen Man sehe oben Fußnote (108) des Artikels PAULICIANER. Diese Fußnote nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  1

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der Philosophie angegriffen und verteidigt wird, unversehrt aus der Schlacht hervorgeht und daß einige wanken und gezwungen sind, sich in die Festungen der Schrift zurückzuziehen und die Erlaubnis zu fordern, sich künftig anders bewaffnen zu dürfen, andernfalls sie sich weigern würden, auf das Schlachtfeld zurückzukehren. Wer sich ärgert, weil er sich im Besitz eines eingebildeten vollständigen Triumphes gestört fühlt, fürchtet übrigens, daß man durch das Eingeständnis einer Art von Unterlegenheit die Religion einer vernichtenden Niederlage aussetzt oder wenigstens ihre Gewißheit merklich schwächt, und daß man so das Geschäft der Feinde des Evangeliums befördert. Ein solches Ärgernis hat zwei gute Seiten: Zum einen entspringt es aus einem guten Prinzip, zum anderen läßt es sich leicht beheben. Es ist die Liebe zur Wahrheit, die es hervorruft, und man muß nur den Charakter der Wahrheiten des Evangeliums betrachten, um sich von dieser Beunruhigung zu befreien. Dann wird man nämlich sehen, daß es diesen Wahrheiten überhaupt nicht wesentlich ist, mit der Philosophie übereinzukommen, sondern im Gegenteil, sich ihren Regeln nicht anzupassen.2

Weil die Mysterien des Evangeliums über der Vernunft sind, so folgt, daß man die Einwände der Ungläubigen nicht mittels des natürlichen Lichts beantworten kann Die Römisch-Katholischen und die Protestanten bekriegen sich wegen einer Unzahl von Religionsartikeln, aber sie stimmen in dem Punkt überein, daß die Mysterien des Evangeliums über der Vernunft sind. Einige Theologen haben sogar eingeräumt, daß die von den Sozinianern geleugneten Mysterien gegen die Vernunft sind. Ich will aus diesem Entgegenkommen keinen 2

Dies gilt nur von den Wahrheiten des Evangeliums, die Mysterien enthalten; denn man muß zugeben, daß sich die moralischen Gebote Jesu Christi leicht mit dem natürlichen Licht vereinbaren lassen.

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Vorteil ziehen; es genügt mir, daß man einmütig anerkennt, daß sie über der Vernunft sind. Denn daraus ergibt sich unausweichlich, daß es unmöglich ist, die Schwierigkeiten der Philosophen aufzulösen, und folglich, daß ein Streit, in dem man sich nur des natürlichen Lichts bedient, immer zum Nachteil der Theologen ausgehen wird, so daß sie sich gezwungen sehen werden, davonzulaufen und unter dem Schutz des übernatürlichen Lichts Zuflucht zu suchen. Es ist evident, daß die Vernunft niemals an das herankommen kann, was über ihr ist. Wenn sie also die Einwände gegen die Dogmen von der Trinität und der hypostatischen Vereinigung beantworten könnte, würde sie an diese beiden Mysterien herankommen, sie sich unterwerfen, sie handhaben, biegen und solange mit ihren ersten Prinzipien oder den aus den Gemeinbegriffen abgeleiteten Lehrsprüchen konfrontieren, bis sie schließlich zu dem Ergebnis kommt, daß sie mit dem natürlichen Licht übereinstimmen. Sie würde also etwas tun, was ihre Kräfte überfordert, sie würde ihre Grenzen überschreiten, was einen förmlichen Widerspruch bedeutet. Man muß daher sagen, daß sie ihre eigenen Einwände nicht beantworten kann, so daß diese siegreich bleiben, solange man nicht bei der Autorität Gottes und bei der Notwendigkeit Zuflucht nimmt, seinen Verstand unter den Gehorsam des Glaubens gefangen zu nehmen. Versuchen wir, dies klarer zu machen. Wenn irgendwelche Lehren über der Vernunft sind, so sind sie außerhalb ihrer Reichweite. Wenn sie außerhalb ihrer Reichweite sind, vermag sie nicht an sie heranzukommen. Wenn sie nicht an sie herankommt, kann sie sie nicht begreifen. Wenn sie sie nicht begreifen kann, vermag sie darin keinen Begriff, kein Prinzip zu finden, aus dem die Lösung hervorgehen könnte. Folglich werden die Einwände, die sie gemacht hat, unbeantwortet bleiben oder, was auf dasselbe hinausläuft, man wird sie nur durch eine Distinktion beantworten können, die ebenso dunkel ist wie die angegriffene These selbst. Nun ist es ganz gewiß, daß ein auf völlig deutliche Begriffe gegründeter Einwand in jedem Falle siegreich bleibt, ob ihr nun gar nichts darauf antwortet

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oder aber eine Antwort gebt, die keiner versteht. Kann die Partie ausgeglichen sein zwischen einem Menschen, der euch einen Einwand macht, den ihr und er ganz genau versteht, und euch, die ihr euch nur mit Antworten verteidigen könnt, von denen weder ihr noch er etwas versteht?

Was der Zweck eines philosophischen Disputs ist und daß man ihn nicht erreichen kann, wenn er über die Mysterien geht Jeder philosophische Disput setzt voraus, daß die streitenden Parteien sich über gewisse Definitionen verständigen und daß sie die Regeln der Syllogistik anerkennen sowie die Zeichen, an denen man ungültige Schlüsse erkennt. Danach geht es nur noch darum zu prüfen, ob eine These direkt oder indirekt mit den vereinbarten Prinzipien übereinstimmt, ob die Prämissen eines Schlusses wahr sind, ob die Schlußfolgerung richtig gezogen ist, ob man sich eines Syllogismus mit vier Begriffen bedient, ob man nicht eine Regel aus dem Kapitel De oppositis oder De sophisticis elenchis verletzt hat usw. Man obsiegt, entweder indem man zeigt, daß der Gegenstand des Streits keine Beziehung zu den vereinbarten Prinzipien hat, oder indem man die These des Verteidigers ad absurdum führt. Man kann aber letzteres, indem man ihm zeigt, daß seine These widersprüchliche Konsequenzen hat, oder indem man ihn zwingt, eine völlig unverständliche Antwort zu geben. Das Ziel dieser Art von Disput ist es, Dunkelheiten aufzuklären und zur Evidenz vorzudringen. Deshalb gilt: Im Laufe des Prozesses neigt sich der Sieg mehr oder weniger dem Verteidiger oder dem Opponenten der These zu, je nachdem ob die Sätze des einen mehr oder weniger klar sind als die des anderen. Am Ende ist man der Ansicht, daß der Sieg sich gänzlich von dem abwendet, dessen Antworten unverständlich sind und der das auch zugibt. Man verurteilt ihn danach gemäß den Regeln, nach denen der Sieg zugesprochen wird; und weil man ihm in dem Nebel, in den er sich einhüllt und der eine Art Abgrund zwischen ihm und sei-

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nen Gegnern bildet, nicht folgen kann, hält man ihn für vernichtend geschlagen, ähnlich einer Armee, welche die Schlacht verloren hat und sich nur im Schutz der Nacht der Verfolgung durch den Sieger entziehen kann. Was man hieraus schließen muß, ist dies: Da die Mysterien des Evangeliums einer übernatürlichen Ordnung entstammen, können und dürfen sie keinesfalls den Regeln des natürlichen Lichts unterworfen werden. Sie sind nicht gemacht, um auf den Prüfstand philosophischer Dispute gestellt zu werden; ihre Größe und Erhabenheit erlaubt das nicht. Es wäre gegen die Natur der Sache, wenn sie aus einer solchen Auseinandersetzung siegreich hervorgingen. Ihr Wesensmerkmal ist, Gegenstand des Glaubens und nicht des Wissens zu sein. Sie wären keine Mysterien mehr, wenn die Vernunft alle Schwierigkeiten auflösen könnte, die sie umgeben. Anstatt es also seltsam zu finden, daß jemand einräumt, die Philosophie könne sie angreifen, einen Angriff aber nicht zurückschlagen, sollte man daran Anstoß nehmen, wenn einer das Gegenteil behauptete.3 Wenn diejenigen, deren Skrupel ich beseitigen möchte, sich diesen Überlegungen verschließen, weil sie ihnen vielleicht zu abstrakt vorkommen, bitte ich sie, auf Überlegungen zurückzugreifen, die der Allgemeinheit eher zugänglich sind. Ich bitte sie, ein wenig den Geist zu studieren, der offensichtlich im Neuen Testament und in der Mission der Apostel herrscht.

Betrachtung über die Art und Weise, wie Jesus Christus, die Apostel und die alten Kirchenväter gelehrt haben Der Streitgeist ist dasjenige, was in der Heilsordnung des Evangeliums anscheinend den geringsten Beifall findet. Jesus Christus befiehlt als erstes den Glauben und die Unterwerfung. 3

Man beachte, daß ich diejenigen nicht verdammen will, die sich bemühen, diese Mysterien mit der Philosophie zu vereinbaren; ihre Motive können gut sein, und mit dem Segen Gottes kann ihre Arbeit manchmal nützlich sein.

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Gewöhnlich beginnen er und die Apostel mit den Worten »Folge mir nach«4 oder »Glaube, und du wirst gerettet werden«5. Nun erwarb man den von ihm geforderten Glauben nicht durch eine Folge von philosophischen Diskussionen und durch großartige Räsonnements, sondern er war ein Geschenk Gottes, eine reine Gabe des hl. Geistes, die für gewöhnlich nur unwissenden Personen zuteil wurde.6 Der Glaube wurde sogar bei den Aposteln nicht durch Überlegungen über die Heiligkeit des Lebens Jesu Christi und über die herausragende Bedeutung seiner Lehre und seiner Wunder geweckt. Gott selbst mußte ihnen offenbaren, daß derjenige, dessen Jünger sie waren, sein ewiger Sohn war.7 Wenn Jesus Christus und seine Apostel sich manchmal herabgelassen haben zu räsonieren, haben sie ihre Beweise keineswegs im natürlichen Licht gesucht, sondern in den Büchern der Propheten und in den Wundern. Und wenn der hl. Paulus sich gelegentlich eines argumentum ad hominem gegen die Heiden bedient, so hat er kaum darauf bestanden. Seine Methode war gänzlich verschieden von der der Philosophen. Diese rühmen sich, sie hätten so evidente Prinzipien und ein so dicht geknüpftes System, daß sie kein anderes Hindernis der Überzeugung zu fürchten brauchten als die Dummheit der Hörer oder die kunstreiche Bosheit ihrer Konkurrenten; und sie machten sich anheischig, vor aller Welt Rechenschaft über ihre Lehre abzulegen und sie gegen jeden, der da kommen mochte, zu verteidigen. Der hl. Paulus hat dagegen anerkannt, daß seine Lehre dunkel ist, daß er sie nur unvollkommen entwickelt hat8 und daß man nichts davon begreifen kann, wenn Gott einem nicht ein geistliches Verständnis schenkt, ohne das sie nur als Torheit erscheint.9 Er bekennt,10 daß die meisten

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Lukas 5, 27; 9, 59. Apostelgeschichte 16, 31. Matthäus 11, 25. A. a.O., 16, 17. 1. Korinther 13, 12. A. a.O., 2, 14. A. a.O., 1, 26.

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der von den Aposteln Bekehrten niederen Standes und ohne Bildung waren. Er fordert die Philosophen nicht zum Streit heraus und er ermahnt die Gläubigen, sich gut vor der Philosophie in acht zu nehmen11 und Streitigkeiten mit dieser Wissenschaft zu vermeiden, durch die einige ihren Glauben verloren hätten.12 Die Kirchenväter haben sich von derselben Überzeugung leiten lassen. Sie forderten eine prompte Unterwerfung unter die Autorität Gottes und betrachteten die Streitigkeiten der Philosophen als eines der größten Hindernisse, die der wahre Glaube auf seinem Weg antreffen könne.13 Der Philosoph Celsus machte sich über das Verhalten der Christen lustig. »Sie wollen weder eure Gründe hören«, sagte er,14 »noch Gründe für ihren Glauben angeben; sie begnügen sich mit den Worten ›Prüft nicht, glaubt nur‹ oder ›Euer Glaube wird euch retten‹, und sie folgen dem Grundsatz, daß die Weisheit der Welt ein Übel sei (---). Sie igeln sich für gewöhnlich in ihrem ›Prüft nicht, glaubt nur‹ ein; sie müßten mir aber wenigstens sagen, was ich glauben soll.«15 Aber hier ist die Antwort16: »Wenn es möglich wäre, daß alle Menschen unter Vernachlässigung der Angelegenheiten des Lebens sich dem Studium und der Meditation hingäben, müßte man kein anderes Mittel suchen, um sie zur Annahme der christlichen Religion zu bewegen. Denn ohne jemand kränken zu wollen: Man wird hier nicht weniger Gewißheit als anderswo finden, sei es in der Diskussion ihrer Dogmen17 oder in der Erläuterung der rätselhaften Sprüche ih11

Kolosser 2, 8. 1. Timotheus 6, 20 f. 13 Man sehe die Passagen aus den Kirchenvätern, die Launoy in De varia Aristotelis fortuna, Kap. 2, zusammengestellt hat. 14 Origenes, Contra Celsum, Buch I, Kap. 2, S. 5 der Übersetzung von Bouhéreau. 15 A. a.O., S. 7. 16 A. a.O., S. 5. 17 Dies ist nicht in Bezug auf die Prinzipien der Logik und der Metaphysik zu verstehen, um die es in dieser Klarstellung geht (denn es ist gewiß, daß die Kirchenväter weder das Dogma der Trinität noch das der Inkarna12

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rer Propheten oder in der Erklärung der Gleichnisse ihrer Evangelien und unendlich vieler anderer Geschehnisse oder Fügungen von symbolischer Bedeutung. Da aber die Notwendigkeiten des Lebens und die Schwäche der Menschen nur einer sehr kleinen Anzahl erlauben, sich dem Studium zu widmen: Welches Mittel konnte man finden, das besser geeignet war, der ganzen übrigen Welt zustatten zu kommen, als das von Jesus Christus für die Bekehrung der Völker gewollte? Ich möchte, daß man mir im Hinblick auf die große Anzahl derer, die sich durch ihren Glauben aus dem Sumpf der Sünden gezogen haben, in dem sie vorher steckten, diese Frage beantwortet: Was ist besser für sie: ihre Sitten auf diese Weise geändert und ihr Leben gebessert zu haben, indem sie ohne Prüfung glaubten, daß es Strafen für die Sünden und Belohnungen für die guten Taten gibt, oder aber mit ihrer Bekehrung bis zu deren Empfang gewartet zu haben, bis sie nicht allein glaubten, sondern die Grundlagen dieser Dogmen sorgfältig geprüft hatten? Es ist gewiß, daß nach dieser Methode nur ganz wenige dahin kämen, wohin ihr schlichter und nackter Glaube sie führt, daß aber die meisten in ihrer Verderbnis verharren würden. (---). Aber da sie so viel Lärm um die Methode des Glaubens ohne Prüfung machen, müssen wir ihnen noch sagen, daß wir in Anbetracht des Nutzens, den sie für die große Mehrzahl bringt, freimütig zugeben, daß wir sie denen empfehlen, die nicht in der Lage sind, alles aufzugeben, um sich voll und ganz der Suche nach der Wahrheit zu widmen.«18 Diese Stelle beim hl. Paulus, »Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen«19 würde allein schon genügen, um uns davon zu überzeugen, daß es im Streit zwischen zwei Philosophen nichts für den zu gewinnen gibt, der die Mysterien der christlichen Religion entweder zu beweisen oder zu verteidigen tion nach diesen Regeln diskutierten), sondern in Bezug auf Prinzipien, die vom Wort Gottes abgeleitet sind, wenn es um ein Mysterium des Evangeliums geht. 18 Origenes, Contra Celsum, Buch I, Kap. 2, S. 6. 19 2. Korinther 5, 7.

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versucht. Denn dies unterscheidet den Glauben eines Christen vom Wissen des Philosophen: Dieser Glaube schafft vollkommene Gewißheit, aber sein Gegenstand bleibt immer ohne Evidenz; das Wissen hingegen schafft beides zusammen, die Evidenz des Gegenstandes und die volle Gewißheit der Überzeugung. Wenn also ein Christ es unternimmt, das Mysterium der Trinität gegen einen Philosophen zu verteidigen, würde er evidenten Einwänden einen Gegenstand ohne Evidenz entgegensetzen. Hieße das nicht, sich mit verbundenen Augen und gefesselten Händen mit einem Gegner zu schlagen, der sich aller seiner Fähigkeiten bedienen kann? Wenn der Christ alle Einwände des Philosophen auflösen könnte, ohne sich auf etwas anderes als auf die Prinzipien des natürlichen Lichts zu stützen, so wäre die Versicherung des hl. Paulus nicht wahr, daß wir im Glauben und nicht im Schauen wandeln. Dann wäre das Wissen und nicht der göttliche Glaube das Teil des Christen. Kann man an einem Eingeständnis Anstoß nehmen, das auf natürliche Weise aus dem Geist des Evangeliums und der Lehre des hl. Paulus folgt?

Gemeinsame Maximen der katholischen und protestantischen Theologen Wenn man durch diese Überlegungen zur Haltung der ersten Jahrhunderte noch nicht genügend aufgerüttelt ist; wenn, sage ich, solche aus der Ferne betrachteten Gegenstände noch nicht genügend Eindruck hinterlassen, so bitte ich darum, daß man sich die Mühe macht, die Maximen der modernen Theologen zu untersuchen. Die Römisch-Katholischen und die Protestanten sagen übereinstimmend, daß man die Vernunft zurückweisen muß, wenn es darum geht, eine Kontroverse über die Mysterien zu beurteilen. D. h. man darf niemals der Bedingung zustimmen, daß der wörtliche Sinn einer Schriftstelle, wenn er unbegreifliche und den evidentesten Maximen der Logiker und Metaphysiker widerstreitende Dogmen bestätigt, für falsch er-

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klärt werden muß, und daß die Vernunft, die Philosophie, das natürliche Licht die Regel abgeben, der man folgt, um eine bestimmte Interpretation der Schrift jeder anderen vorzuziehen. Sie sagen nicht allein, daß man alle diejenigen zurückweisen muß, die sich etwas Derartiges als Vorbedingung des Streits ausbedingen, sondern sie behaupten auch, das seien Leute, die sich auf einen Weg begeben, der nur zum Pyrrhonismus oder zum Deismus oder zum Atheismus führen kann. Daher sei der unentbehrlichste Schutzwall für die Religion Jesu Christi die Verpflichtung, sich der Autorität Gottes zu unterwerfen und demütig die Mysterien zu glauben, die uns zu offenbaren ihm gefallen hat, so unbegreiflich sie auch seien und so unmöglich sie unserer Vernunft auch erscheinen mögen. Es scheint, daß die Römisch-Katholischen und die Protestanten der Augsburger Konfession nachdrücklicher auf diesem Prinzip bestehen müßten als die Reformierten, denn das Dogma von der Realpräsenz bedarf seiner ganz besonders. Die Reformierten legen jedoch ebensoviel Wert auf die These wie die anderen und setzen sie mit großem Eifer gegen die Sozinianer ein. Und sobald sie sehen, daß einige ihrer Doktoren diesen gemeinsamen Weg verlassen, um den Gebrauch der Vernunft auszudehnen, widerlegen sie diese nach Kräften und verdächtigen sie der sozinianischen Häresie. Die Beweise für all das eben Gesagte ließen sich leicht herbeischaffen, aber das wäre eine ganz nutzlose Arbeit. Denn wenn man die Kontroversliteratur auch nur ein wenig kennt, weiß man, daß die Römisch-Katholischen nicht aufhören, die Aufopferung der Vernunft und die Gefangennahme des Verstandes zu empfehlen, und daß die Prediger die Gottlosigkeiten der Sozinianer der Verweigerung dieses Opfers zuschreiben. Die Streitigkeiten der Universität zu Franeker, die der Souverän durch sein Schweigegebot beendete,20 und die zweier französischer Prediger,21 denen die Wallonische Synode ein Ende 20

Im Jahre 1687. In der Bibliothèque universelle findet man Auszüge aus mehreren Büchern auf beiden Seiten dieser Kontroverse. 21 Jurieu und Saurin.

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setzte,22 haben soviel Lärm gemacht und sind so jungen Datums, daß ich mich nicht mit Zitaten zu wappnen brauche. Ich sage nur, daß einer dieser beiden Prediger es als »die universelle Lehre der Kirche, insbesondere Calvins und der Reformierten«, verteidigte, daß die Grundlage des Glaubens weder in der Evidenz der Gegenstände noch in der Evidenz der Offenbarung bestehe und daß der hl. Geist uns von den Mysterien des Evangeliums überzeuge, ohne uns den Gegenstand unseres Glaubens oder die Göttlichkeit der Schrift oder den wahren Sinn dieser oder jener Schriftstelle evident zu zeigen. Er wurde als rechtgläubig anerkannt; sein Gegner erhielt ein ähnliches Zeugnis der Rechtgläubigkeit. Aber das beweist nichts gegen mich, denn er gab zu, daß der Glaube ohne Evidenz bezüglich des Gegenstandes ist und daß die Evidenz, die ihn bezüglich der Offenbarung begleitet, eine Wirkung der Gnade ist. Er gehört also zu denen, die sagen, daß die Mysterien nicht unter die Gerichtsbarkeit der Vernunft fallen und daß die Vernunft oder das philosophische Licht nicht die Regel ist, an die man sich zu halten hat, wenn man über Mysterien streitet. Wenn nun hinsichtlich der Mysterien der Trinität und der hypostatischen Vereinigung alle rechtgläubigen Theologen, römisch-katholische wie protestantische, einstimmig die Vernunft als Schiedsrichter ablehnen und zurückweisen, so ist das ein deutliches Zeichen dafür, daß die Vernunft ihrer Ansicht nach unfähig ist, Beweise oder Lösungen in Kontroversen über diese Mysterien zu liefern. Denn wenn es um die Existenz Gottes geht, sind sie damit einverstanden, mit Hilfe des Lichts der Vernunft zu streiten, weil dieses Waffen liefert, den Feind anzugreifen oder zurückzuschlagen und vollständig zu besiegen. Der Grund, warum sie sich hinsichtlich der Trinität, der Inkarnation usw. ganz anders verhalten, liegt darin, daß sie wissen, daß die Prinzipien der Philosophie hier nichts Gutes bewirken, aber großen Schaden anrichten können. Wenn Gerechtigkeit und Klugheit es erlauben, einen Richter abzulehnen, dann nur im Falle der Unzuständigkeit und der Parteilich22

Im September 1696.

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keit. Je mehr Eifer jemand für seine Sache hat, desto weniger läßt er seinen Vorteil außer acht; und wenn er außerdem über seine Interessen Bescheid weiß, lehnt er niemals Personen mit guten Absichten ab. Aus alledem schließe ich: Nichts ist leichter, als diejenigen zurückzuholen, die an meinem Eingeständnis Anstoß genommen haben; denn man braucht sie nur darauf aufmerksam zu machen, daß sie, wenn sie daran Anstoß nehmen wollen, sich auch beklagen müssen, daß alle rechtgläubigen Theologen ihnen Anstoß geben. Hier ist kein Mittelweg. Entweder müssen sie meine Aussage gutheißen oder sie dürfen nicht billigen, was die Theologen sagen, die den sozinianischen Häresien am meisten feind sind.

Beantwortung einiger Einwände, deren erster lautet: Man verschaffe den Häretikern und den Ungläubigen einen zu großen Vorteil, wenn man einräumt, daß man die Einwände nicht beantworten kann, die ihnen die Philosophie gegen die Mysterien des Neuen Testaments liefert Auf den Einwand, man habe begründeten Anstoß an meinem Eingeständnis genommen, weil man den Ungläubigen zu großen Vorteil verschaffe durch das Eingeständnis, daß ihre Einwände gegen unsere Mysterien philosophisch nicht widerlegt werden können, gebe ich zwei Antworten. 1) Dann muß man nicht nur an dem von mir hierzu Vorgebrachten Anstoß nehmen, sondern auch an dem, was die rechtgläubigsten Theologen hierüber veröffentlicht haben. 2) Das heißt nicht, den Ungläubigen irgendwelche Vorteile zu verschaffen, deren sie sich legitimerweise rühmen können, was sie aber tun könnten, wenn unsere Prediger jene Philosophen nachahmten, die durch Anschlag verkünden, sie seien bereit, irgendwelche Sätze gegen jeden, der da kommen mag, zu verteidigen, und daß sie an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde, an einem bestimmten Ort sonnenklare Beweise dieser Sätze vorlegen

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würden. Wenn ein Apostel wie z. B. der hl. Paulus mitten unter den Athenern den Areopag um die Erlaubnis gebeten hätte, alle Philosophen in die Schranken zu fordern, wenn er sich erboten hätte, eine These über die drei Personen zu verteidigen, die nur ein Gott sind, und über die hypostatische Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus, und wenn er vor Beginn des Streitgesprächs sich auf die Gültigkeit der Regeln über konträre Begriffe und über die Eigenschaften der Prämissen des demonstrativen Syllogismus usw., die Aristoteles in seiner Dialektik entfaltet hat, festgelegt hätte, und wenn er schließlich nach der Klärung dieser Präliminarien erwidert hätte, unsere Vernunft sei zu schwach, um sich bis zu den Mysterien zu erheben, gegen die man ihm Einwände vortrug, dann hätte er sich so blamiert, wie sich ein in die Ecke getriebener Disputant nur blamieren kann. Der Sieg der Philosophen von Athen wäre vollständig gewesen, denn der hl. Paulus wäre nach den Maximen abgeurteilt und verdammt worden, deren Gültigkeit er zuvor anerkannt hatte. Aber wenn die Philosophen ihn gemäß diesen Grundsätzen angegriffen hätten, nachdem er ihnen den Grund seines Glaubens dargelegt hatte, so hätte er ihnen diese Barriere entgegenstellen können: Seine Dogmen seien der Vernunft unbekannt, sie seien von Gott offenbart worden und man müsse sie glauben, ohne sie zu begreifen. Damit das Streitgespräch regulär verlief, hätte es sich nicht um die Frage drehen dürfen, ob diese Dogmen den Maximen der Dialektik und Metaphysik zuwiderliefen, sondern um die Frage, ob Gott sie offenbart hatte. Dann hätte der hl. Paulus nicht den kürzeren ziehen können, außer wenn man ihm bewiesen hätte, daß Gott den Glauben an diese Dinge gar nicht verlange. Das zeigt, wie imaginär der vorgebliche Triumph der Ungläubigen ist; denn unsere Theologen rühmen sich nicht, die Trinität und die Inkarnation mit philosophischen Argumenten zu beweisen; sie lassen nur das Wort Gottes als Grundlage und Quelle der Beweise und Lösungen zu. Das ist ihre Festung und ihr Kampfplatz; es muß ihnen genügen, diesen zu verteidigen und alle Hiebe zu parieren, die ein Häretiker gegen sie führt,

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der sich auf dasselbe Prinzip stützt wie sie, nämlich die Autorität der Schrift. Daß der Feind sich des Rests bemächtigt, läßt sie kalt; das ist ein Gebiet, das sie freiwillig preisgegeben haben. Das heißt nicht siegen, wenn man einen Platz besetzt, den niemand zu verteidigen beabsichtigt. (…).

Zweiter Einwand: Man habe Antworten auf die Einwände der Philosophen gefunden Sehen wir zu, ob man einen Grund gehabt hat, unter dem Vorwand Anstoß zu nehmen, daß die philosophischen Einwände gegen das Dogma der Trinität usw. die Professoren der Theologie keineswegs zum Schweigen brächten und daß sie in Thesen hierzu, über die sie häufig disputieren lassen, die Auflösung aller Schwierigkeiten gäben, die man gegen sie vorbringen kann. Ich bitte diejenigen, die mir das vorhalten werden, zwei Dinge zu beachten. Zum einen kann mich ihr Einwand nicht treffen, und ebensowenig all die Theologen, die zugeben, daß die erhabenen Mysterien des Evangeliums mit dem natürlichen Licht nicht erklärt werden können. Zum anderen können die Protestanten sich dieses Einwands nicht bedienen, denn er beweist zu viel; er beweist nämlich, daß das Dogma der Transsubstantiation philosophisch gesprochen keineswegs unbesiegbaren Einwänden ausgesetzt ist. Alle Römisch-Katholischen lehren, daß ein Körper an mehreren Orten zugleich sein kann. Die Thomisten begnügen sich mit dem Notwendigen und wagen daher nicht zu behaupten, daß er es auf circumscriptive Weise tun könne, sondern höchstens wie Jesus Christus in der Form des Sakraments. Die übrigen Scholastiker und vor allem die Jesuiten sind viel kühner gewesen. Sie haben die replicatio circumscriptiva27 gelehrt und damit konsequenter argumentiert als die Thomisten; denn wenn die Gründe, die man gegen diese replicatio anführt, gut wären, so ließe sich die 27

So nennt man in den Schulen die Position ein und desselben Körpers an verschiedenen Orten ohne Durchdringung der Dimensionen.

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replicatio definitiva28 nicht halten. Die Theologen sind nicht die einzigen, welche die replicatio lehren; sie wird ebenso in allen Lehrbüchern der Philosophie gelehrt, und sie ist immer eine der Thesen, die man öffentlich gegen Studenten der Physik verteidigen läßt. Alle denkbaren Einwände gegen sie werden in den Büchern der scholastischen Theologen diskutiert, die vom Sakrament des Abendmahls handeln, und in den Lehrbüchern der Philosophie an der Stelle, wo es um die Erklärung der Probleme des Ortes geht. Keiner dieser Einwände bleibt unbeantwortet. Hindert dies die reformierten Protestanten daran, weiterhin den Satz zu verteidigen, daß die Position eines an mehreren Orten gleichzeitig befindlichen Körpers von tausend Widersprüchen umgeben und absolut unmöglich ist? Sie können also nichts daraus zum Vorteil einer Meinung erschließen, daß man allem, was die scharfsinnigsten Gegner einwenden können, ein distinguo oder einen Schulterminus entgegensetzen kann.29 Das genügt aber nicht als Antwort; man muß eine Auflösung geben, die eine Idee wachruft, keine petitio principii darstellt und deutlich macht, daß der Einwand auf Voraussetzungen beruht, die keinen Zusammenhang mit den Gemeinbegriffen haben. Das sind drei Merkmale, die den Antworten der Scholastiker auf die Einwände gegen das Dogma der Transsubstantiation fehlen. Auch ist es wahr, daß ihre letzte und hauptsächliche Ausflucht darin besteht zu sagen, die Allmacht Gottes ergänze, was die Vernunft nicht begreifen kann, und uns obliege es, unseren Verstand gefangen zu nehmen und unser Licht der Autorität der Kirche zum Opfer zu bringen. Bei der Erfindung von Schwierigkeiten oder Antworten bezüglich der Trinität sind sie nicht weniger scharfsinnig oder fruchtbar gewesen als bezüglich der Transsubstantiation. Die Sozinianer sind aber ebenso unzufrieden mit diesen beiden Ar28

So nennt man die Position eines Körpers zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten mit Durchdringung der Dimensionen. 29 Man vergleiche hiermit, was ich oben in Anmerkung (G) des Artikels ZENON VON ELEA über die Einwände gegen die Teilbarkeit des Kontinuums gesagt habe.

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ten von Antworten wie die Reformierten mit denjenigen, die sich auf das zweite der genannten Dogmen beziehen. Die einen wie die anderen, sagen die Sozinianer, ermangeln der drei oben genannten Merkmale. Sie setzen voraus, was in Frage steht; sie sind ebenso dunkel oder noch dunkler als das Dogma selbst, um das sich der Streit dreht; sie sind so unverständlich, daß man sie nicht zu widerlegen weiß. Es ist ein Streit, in dem die Nacht die Streitenden trennt; denn wenn der Verteidiger der These sich hinter einer völlig unbegreiflichen Distinktion verschanzt, muß der Gegner sich ganz unvermeidlich zurückziehen oder halt machen, weil er nicht sieht, wohin er schlagen soll. Man zieht keinen Pfeil aus dem Köcher, wenn man nicht die geringste Ahnung hat, wo das Ziel ist; und wie es dem höchsten Grad der Evidenz eigentümlich ist, daß man ihn nicht beweisen kann, so hat der niederste Grad mangelnder Evidenz die Besonderheit, daß man ihn nicht bestreiten kann. Die Tatsache, daß die Angreifer, die sich ganz auf die philosophische Vernunft stützen, schließlich auf eine Verteidigungslinie aus Distinktionen stoßen, die in eine so dichte Wolke gehüllt ist, daß sie halt machen müssen, erlaubt daher keine Schlußfolgerung zugunsten eines Dogmas. Sowohl in der römischen wie in der protestantischen Glaubensgemeinschaft gibt es viele, welche die Erklärungen der Scholastiker wenig erbaulich finden und die zu dem Urteil gelangen, daß diese Leute die Mysterien der Religion mehr verwirrt als geklärt haben. Einige protestantische Theologen würden wünschen, daß man sich an die Ausdrücke der Schrift gehalten und in fünf oder sechs Sätzen alles gesagt hätte, was die Trinität betrifft, und daß man, anstatt den Streitern von Einwand zu Einwand zu folgen, zu ihnen gesagt hätte: »Wir tragen Euch dies nicht als eine Sache vor, die es zu begreifen, sondern als eine, die es zu glauben gilt. Wenn Ihr es nicht glauben könnt, so bittet Gott um die Gnade, davon überzeugt zu sein; wenn Eure Gebete nicht erhört werden, so ist Euer Übel unheilbar. Unsere Distinktionen und Spitzfindigkeiten führen nur dazu, Euch zu verhärten; Ihr werdet Euch weiterhin beklagen, daß man ein dunkles Dogma durch ein noch dunkleres er-

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klärt.« Es hat den starken Anschein, daß dieses Mysterium, wenn es gemäß der Schlichtheit der Schrift in wenigen Worten vorgetragen wird, die Vernunft viel weniger verschreckt und zur Empörung reizt, als dies die sehr detaillierten Erklärungen der Kommentatoren des Thomas von Aquin tun. Verschiedene Römisch-Katholische würden, wenn sie sich trauten, gegen die Spitzfindigkeiten der Scholastiker von Herzen gern das vorbringen, was der Abbé Faydit dazu veröffentlich hat; aber obwohl sie nicht wie er den Mut haben, eine starke Invektive zu diesem Thema zu drucken, denken sie doch genau wie er darüber. Man lese die Fußnote.30 (…). Um aber gegen jedermann gerecht zu sein, muß man sagen, daß diejenigen, die sich auf den Streit mit den Sozinianern einlassen und neue Wege beschreiten, Verirrungen kaum vermeiden können. Man hat dies vor fünf oder sechs Jahren34 in England gesehen. Ein berühmter Theologe, der glaubte, er könne mit der Lehre der Scholastiker bestimmte Schriften der Unitarier nicht widerlegen, dachte sich eine andere Lehre aus. Aber man behauptete, er führe den Tritheismus ein, und wollte seine Lehre nicht Fuß fassen lassen. Daraus können wir entnehmen, daß es ganz unmöglich ist, die philosophischen Einwände der Sozinianer zu widerlegen, und daß man sie sogleich mit der Schrift bekämpfen muß, da sie diese anerkennen. Dies ist der Schwachpunkt ihrer Position, jene sind ihre Stärke. Obwohl ich mich gern kurz fassen möchte, muß ich doch etwas zu der Art und Weise bemerken, wie ein tüchtiger Theologe, der seit einigen Jahren Bischof von Salisbury ist, die Einwände eines berüchtigten Atheisten35 widerlegte, den er

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Um die unauflösbaren Schwierigkeiten zu erkennen, in die der Abbé Faydit die Scholastiker gebracht hat, braucht man nur den Autor aufzuschlagen, der versucht hat, ihm zu antworten, oder auch nur den hervorragenden Auszug, den Beauval in der Histoire des ouvrages des savans vom Mai 1699, S. 214 ff. von seiner Antwort geliefert hat. 34 Ich schreibe dies im November 1701. 35 John Wilmot, Graf von Rochester, geb. im April 1638, bußfertig gestorben im Jahr 1680, ein Mann, der sich durch seinen Geist und durch

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bekehrt hat. Er hat uns die Geschichte der Unterredungen mitgeteilt, die er mit ihm hatte, und wir lesen darin u. a., daß er, als es auf die Schwierigkeiten bezüglich der Mysterien des Evangeliums zu antworten galt, sich nur darauf gestützt hat, daß die Unbegreiflichkeit eines Dogmas kein gültiger Grund zu seiner Zurückweisung ist, weil es viele Dinge in der Natur gibt, die völlig gewiß sind, die wir aber unmöglich begreifen können. Er nennt einige davon, insbesondere die Vereinigung von Körper und Geist. Man hatte ihm entgegengehalten, es liege nicht in der Macht des Menschen, dasjenige zu glauben, was er nicht begreift, und es heiße den Betrügereien der Priester die Tür öffnen, wenn man geheimnisvollen Lehren Glauben schenkt. (…).36 Er antwortete,37 man dürfe sich nicht wundern, daß wir das Wesen Gottes nicht begreifen, weil es in jedem Wesen etwas gebe, von dem man keine Rechenschaft ablegen könne, daß die Möglichkeit verschiedener Fakten, deren Wahrheit jedermann anerkennt, durch Scheinargumente angegriffen werden könne,39 und daß wir, weil die Offenbarung der Mysterien der Trinität, der Inkarnation und einiger anderer gewiß ist, ihr unsere Vernunft unterwerfen sollten. Denn das einzige Argument, das man ihnen entgegenstellen könnte, sei, daß sie die Reichweite unseres Geistes überschreiten; aber stößt man auf diese Schwierigkeit nicht auch bei verschiedenen Dingen, die man für wahr hält?40 Er war so weit davon entfernt, Schriften ausgezeichnet hatte, die voll von Witz und Anmut waren. Er war einer jener Atheisten, die nach ihren Prinzipien leben, denn er stürzte sich in die schrecklichsten Exzesse der Trunksucht und Schamlosigkeit. Man sehe die Geschichte seiner Konversion, ein Buch des Dr. Gilbert Burnet. Ich benutze die lateinische Übersetzung hiervon, die 1698 in Utrecht erschienen ist. 36 Rostae comitis in extremis µετáνοια seu poenitentia salutaris, S. 51. 37 A. a.O., S. 53. 39 Ebd. 40 Man beachte, daß der Autor des Traité de religion contre les athées, les déistes et les nouveaux pyrrhoniens, Paris 1677, größten Wert auf das Argument legt, die Gottlosen könnten auf der Grundlage ihrer Prinzipien nicht vermeiden, unbegreifliche Dinge zu glauben. Man sehe Kap. 3–5 des 2. Teils.

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die Antworten der Scholastiker ernst zu nehmen, daß er im Gegenteil einräumte, daß sie nur dazu taugten, die Schwierigkeiten zu verdunkeln. (…).42 Vergessen wir nicht diese Bemerkung. Luther und mehrere andere protestantische Theologen hätten niemals behauptet, es gebe Dinge, die in der Philosophie falsch, in der Theologie hingegen wahr seien,43 wenn sie geglaubt hätten, daß die Antworten, die man auf die Einwände der Philosophen gegen unsere Mysterien gibt, die Vernunft zufriedenstellen können. Denn sie behaupteten das nur im Hinblick auf diese Mysterien.44 Ich sehe bisher also nicht, daß die Einwände, die ich in dieser Klarstellung auflösen muß, mich in Verlegenheit bringen könnten. Prüfen wir einige andere.

Dritter Einwand: Ich hätte das, was man bezüglich der Gründe gegen die Mysterien des Evangeliums einräumen könnte, nicht auf die Argumente der Manichäer übertragen dürfen Wenn man mir vorhält, mein Eingeständnis sei nur deshalb anstößig, weil es sich nicht auf die philosophischen Gründe bezieht, die gegen die Trinität, die Inkarnation und einige andere Mysterien sprechen können, sondern auf die Streitigkeiten über den Ursprung des Übels, so begeht man mehrere Fehler. Denn man läßt außer acht, 1) daß die Ratschlüsse Gottes bezüglich des Falls des ersten Menschen und seiner Folgen eines der unbegreiflichsten Mysterien der Religion sind; 2) daß unsere rechtgläubigsten Theologen damit übereinstimmen. Rostae comitis in extremis µετáνοια seu poenitentia salutaris, S. 54 f. 43 Man sehe oben die Anmerkung (C) des Artikels HOFFMANN, Daniel und die Anmerkung (KK) des Artikels LUTHER. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  44 Man sehe oben die Anmerkung (KK) des Artikels LUTHER. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  42

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Die Schriften des hl. Paulus lehren uns, daß dieser große Apostel sich angesichts der Schwierigkeiten der Prädestinationslehre nur durch das absolute Recht Gottes über alle seine Geschöpfe45 und durch einen Ausruf über die Unbegreiflichkeit der Wege Gottes zu helfen wußte. Hätte er uns besser als durch eine solche Lösung sagen können, wie unerklärbar das Dogma von den Ratschlüssen Gottes hinsichtlich des Schicksals der Auserwählten und der Verworfenen ist? Heißt das nicht, uns in ziemlich klaren Worten zu sagen, daß die Prädestination eines der Mysterien ist, welche die menschliche Vernunft am meisten niederschlagen und am unabweislichsten von ihr fordern, daß sie sich unter die Autorität Gottes beuge und sich der Schrift zum Opfer bringe? Die Einwände der Vernunft gegen die Mysterien der Trinität und der Inkarnation berühren gemeinhin nur diejenigen, die Ahnung von Logik und Metaphysik haben; da sie spekulativen Wissenschaften angehören, beeindrucken sie gewöhnliche Menschen nur wenig. Die Einwände jedoch, welche die Vernunft gegen die Sünde Adams, gegen die Erbsünde und gegen die ewige Verdammnis einer Unzahl von Menschen hat, die nur durch einen Akt wirksamer Gnade gerettet werden könnten, den Gott nur seinen Auserwählten gewährt, diese Einwände gründen sich auf moralische Prinzipien, die jedermann kennt und die den Gebildeten ebenso wie den Ungebildeten beständig als Richtschnur für ihr Urteil darüber dienen, ob eine Handlung ungerecht ist oder nicht. Diese Prinzipien sind von höchster Evidenz und wirken auf Geist und Herz, derart daß alle menschlichen Vermögen sich empören, wenn man Gott ein Verhalten zurechnen muß, das dieser Richtschnur nicht entspricht. Selbst die Lösung, die man aus der Unendlichkeit Gottes herleitet, und die ein starkes Motiv abgibt, um den Verstand gefangen zu nehmen, ist nicht gegen eine neue Schwierigkeit gefeit. Denn wenn die unendliche Distanz, die Gott über alle Dinge erhebt, dafür spricht, daß er nicht den Regeln menschlicher Tugenden unterMan sehe die Anmerkung (E) des Artikels ARMINIUS. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  45

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worfen ist, kann man nicht mehr sicher sein, daß seine Gerechtigkeit ihn das Böse bestrafen läßt, und man kann diejenigen nicht widerlegen, die behaupten, er sei der Urheber der Sünde und bestrafe sie nichtsdestoweniger höchst gerecht, und er tue mit alledem nichts, was nicht den unendlichen Vollkommenheiten des souveränen Wesens entspräche, denn das seien keine Vollkommenheiten, die er unseren Begriffen von Tugend anpassen müsse. Es ist also ersichtlich, daß das Dogma von der Sünde Adams mitsamt dem, was davon abhängt, unter all den Mysterien, die unserer Vernunft unbegreiflich und mit ihren Maximen nicht zu erklären sind, dasjenige ist, das mit höchster Notwendigkeit verlangt, daß man sich der offenbarten Wahrheit unterwirft, ungeachtet aller Gegensätze zur philosophischen Wahrheit. Es wäre zu wünschen, daß man sich jederzeit an diesen Punkt erinnerte; denn die unseligen Streitigkeiten über die Gnade, die so viel Unruhe gestiftet haben, rührten nur daher, daß man gewagt hatte, dieses Mysterium wie etwas zu behandeln, das sich mit unserer schwachen Vernunft versöhnen läßt. Die Römisch-Katholischen sind hier inkonsequent. Sie haben Calvin mit größter Heftigkeit angegriffen, weil er den Lehren des hl. Paulus buchstabengetreu gefolgt war; sie hingegen wollten diese auf eine gemäßigte Art erklären, damit die menschliche Vernunft dabei auf ihre Rechnung komme. Sie hatten nicht die gleiche Rücksicht auf die Vernunft genommen, als sie die Passagen der Schrift erklärten, welche die Trinität und das Sakrament der Eucharistie betreffen. (…). Calvin hätte sich (…) gegen die Kritiker seiner Prädestinationslehre verteidigen können. Er hätte zu ihnen sagen können: »Ihr tut zarten Gemütern unrecht, nachdem Ihr die Schwierigkeiten bezüglich der Trinität und der Transsubstantiation verarbeitet habt. Ihr wollt nicht, daß man den Vernünfteleien der Philosophen darüber Gehör schenkt, Ihr redet nur von der Allmacht Gottes, Ihr beklagt, daß man sie leugnet, wenn man nicht die Erhaltung von Akzidenzien ohne Subjekt und die Gegenwart eines Körpers an verschiedenen Orten zugeben will. Warum greift Ihr also das Mysterium der Prädestination mit mensch-

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lichen Argumenten an? Warum glaubt Ihr nicht, daß die Macht Gottes sich bis zur Versöhnung der Freiheit der Geschöpfe mit der Notwendigkeit seiner Ratschlüsse, und seiner Gerechtigkeit mit der Bestrafung einer notwendigerweise begangenen Sünde erstreckt?« Wie dem auch sei, man kann nicht leugnen, daß die Einführung des moralischen Übels und seiner Folgen eines der undurchdringlichsten Mysterien ist, die Gott uns offenbart hat. Zitieren wir hierzu einige Autoren. Ich wiederhole nicht, was man an anderer Stelle dieses Werks47 hat lesen können, nämlich daß ein reformierter Theologe öffentlich einräumt, die Lehre des hl. Augustinus und Calvins sei für ihn eine unerträgliche Bürde, und er halte sich nur deshalb an sie, weil von all den anderen Lehren keine ihn befriedigen könne. Die lateinischen Sätze Calvins, die ich zitiert habe,48 verdienen es, hier übersetzt zu werden. »In allen seinen Schriften sagt Calvin beharrlich und nachdrücklich, sobald er auf die Sünde zu sprechen kommt, daß der Name Gottes hier nicht hineingemischt werden darf, ebenso daß nichts so sehr zur Natur Gottes gehört wie eine vollkommene Gerechtigkeit und Billigkeit. Es ist daher eine gemeine und schändliche Verleumdung, einen solchen Mann, der der Kirche Gottes derart ergeben gedient hat, in dieses Verbrechen zu verwickeln, als ob er Gott zum Urheber der Sünde gemacht hätte. Er lehrt zwar stets, daß nichts ohne den Willen Gottes geschieht; jedoch behauptet er, daß die bösen Taten der Menschen so vom verborgenen Urteil Gottes gelenkt werden, daß er nichts mit dem Laster der Menschen zu tun hat. Die Summe seiner Lehre ist, daß Gott alles mit bewundernswerten, uns aber unbekannten Mitteln zu dem Ziel lenkt, das ihm gefällt, derart daß sein ewiger Wille die erste Ursache aller Dinge ist. Er bekennt, daß es ein unbegreifliches Geheimnis ist, daß Gott etwas will, das uns völlig unvernünftig erscheint, und doch versichert er, daß man 47

Oben im Artikel PAULICIANER, Fußnoten (44) und (45). Oben in Fußnote (16) des Artikels SYNERGISTEN. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  48

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dies nicht zu neugierig und keck erforschen darf, weil die Urteile Gottes ein tiefer Abgrund sind, und daß es viel besser ist, ehrfürchtig die Mysterien und Geheimnisse zu verehren, die unsere Fähigkeiten übersteigen, als sie zu prüfen und sich zu tief in sie hineinzuwühlen.«49 Ihr seht, wie dringend er rät, sich diesem Abgrund nur im Geist der Unterwerfung und des Respekts vor diesem großen und unbegreiflichen Mysterium zu nähern. Morus, Prediger und Theologieprofessor in eben der Stadt Genf, wo Calvin dies gewesen war, sprach sich sehr heftig gegen die reformierten Theologen aus, die über die Universalität der Gnade disputierten, wobei er Amyraut und Spanheim im Auge hatte, denen er die gleiche Lektion erteilte, die man leichtfertigen Autoren erteilt, die so kühn sind, den verborgensten Geheimnissen des Schöpfers nachzuspüren. Er erinnerte sie an die gewichtigsten Maximen, die man anführt, um hinsichtlich der unbegreiflichsten Mysterien die Aufopferung der Vernunft und die Knechtschaft des Verstandes unter dem Gewicht der Autorität Gottes zu empfehlen. (…).50 In jüngster Zeit hat einer der Nachfolger auf dem Stuhl Calvins auf sehr präzise Weise die Unbegreiflichkeit der Prädestination anerkannt. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, sein neues System der Theologie zu sehen, aber hier folgt, was die Nouvelles de la république des lettres darüber berichten: »Er beginnt mit einer Frage, die äußerst schwierig und ein Stein des Anstoßes für Gottlose und Glaubensschwache ist, nämlich warum Gott die Sünde zugelassen hat, die so viel Übel verursacht und die er so leicht hätte verhindern können. Pictet verhehlt nicht die Größe der Schwierigkeit, sondern stellt sie in ihrem ganzen Gewicht vor. Diejenigen, die kühn behauptet haben, daß Gott die Zukunft nicht kennt, weil sie von der Freiheit des vernünftigen Geschöpfs abhängt, ziehen sich leicht aus der Affäre: Gott hat nicht verhindert, was er nicht vorausgesehen hat. Aber das 49

Calvin, Briefve réponse aux calomnies d’un certain brouillon par lesquelles il s’est efforcé de diffamer la doctrine de la prédestination éternelle de Dieu, S. 2037 seiner Opuscules, Genf 1611. 50 Alexander Morus, Oratio de pace, Amsterdam 1648 in 12°, S. 53 ff.

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heißt, sich in einen Abgrund zu stürzen, um einem anderen zu entgehen, denn man kann sich noch schwerer vorstellen, daß Gott die Zukunft nicht kennt, als daß er die Sünde nicht verhindert hat, obwohl er sie voraussah. Der Gedanke derer, die sagen, Gott habe sie zugelassen, um seine Weisheit zu manifestieren oder um seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu üben, erscheint vernünftiger. All dies genügt aber nicht. Denn abgesehen davon, daß Gott seine Tugenden möglicherweise anders hätte zeigen können – spricht es etwa für große Barmherzigkeit, ein großes Übel, das man hätte verhindern können, zuzulassen, um Gelegenheit zu haben, es zu heilen? Auch Pictet gibt ehrlich zu: Weil die Schrift uns keinen Grund für das Verhalten Gottes hierbei nennt und uns hinreichend zu verstehen gibt, daß es dort Abgründe gibt, die unmöglich auszuloten sind, so soll man dies auch nicht versuchen.«51 Jeder, der mit Grund an meinen Artikeln wird Anstoß nehmen können, in denen ich den Manichäismus behandele, der kann das auch zu Recht an dieser Lehre des Genfer Professors tun, obwohl sie durchaus rechtgläubig ist. Bringen wir auch das Zeugnis eines Römisch-Katholischen, damit das Maß voll werde. »Es gibt kleine Geister, die es vorziehen, kühn zu verdammen, was sie an den Schriften der heiligen Kirchenväter nicht verstehen, anstatt sich wie diese unter dem Gewicht der Schwierigkeiten zu beugen, die bei der Erklärung der Mysterien unseres Glaubens auftreten. Denn die Rechtfertigung eines Sünders und die Heiligung eines Christen ist ein Mysterium, und zwar ein großes. Und weil man es nicht als ein Mysterium betrachtet, macht man den verwegenen Versuch, alle Schwierigkeiten darin zu beseitigen, stellt Systeme auf, die alles zur Evidenz und Demonstration bringen, wenn man ihren Urhebern glauben darf, und stellt sich eine scientia media mittlere Erkenntnis  in Gott vor, deren erste Erfinder die Semipelagianer waren, und ›von der Papst Clemens VIII., 51

Nouvelles de la république des lettres, November 1701, S. 493 f., im Auszug aus der Théologie chrétienne von Pictet, Pastor und Theologieprofessor in Genf.

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der viel von der Sache verstand, zu sagen pflegte‹, wie Lemos berichtet,# ›das sei eine menschliche Erfindung, um alle Dinge scheinbar passend zu machen‹. Also weg mit diesen menschlichen Erfindungen, welche die Mysterien nur erklären, indem sie sie zerstören, und die den menschlichen Geist nur zufrieden stellen, indem sie ihn durch den trügerischen Schein von Licht und Evidenz verführen. Nehmen wir demütig an, was Schrift und Tradition uns davon entdecken, seien wir bereitwillig unwissend in dem, wovon Gott wollte, daß es uns verborgen sei. Machen wir halt, wo die Apostel und Kirchenlehrer halt gemacht haben. Und bei der Lektüre des hl. Augustinus wollen wir ihn nicht als einen Autor kritisieren, der sich verirrt hat und seine Anhänger in den Abgrund des Irrtums führt, sondern anerkennen, daß die Schwierigkeiten nicht von seiner Ausdrucksweise, sondern von der Sache selbst herrühren, wie er in seiner Erwiderung auf Julian sagt.«52

Vierter Einwand: Ich hätte einen schlechterdings schockierenden Vergleich gezogen Schauen wir, ob man sich über einen bestimmten Vergleich von mir zu Recht schockiert gezeigt hat.53 Ich weiß wohl, daß viele über ihn gemurrt haben; die einen, weil sie Kontroversschriften überhaupt nicht gewohnt waren, die anderen, weil sie keine frische Erinnerung an ihre frühere Lektüre hatten. Was immer der Grund ihres Anstoßes gewesen sein mag, man kann ihn leicht beseitigen. Man muß ihnen nur vor Augen führen, daß das gebräuchlichste Verfahren der Kontroversschriftsteller die sogenannte reductio ad absurdum, die Rückführung auf etwas Absurdes, ist. Sie suchen vor allem zu zeigen, daß die not#

(…). Lemos, Bd. I, Teil 2, Trakt. 5, Kap. 35, S. 289. S. Augustin justifié de Calvinisme, S. 179 f. Diese Schrift wurde 1689 zusammen mit den Lettres du Prince de Conti au Père de Champs gedruckt. 53 Man sehe oben Fußnote (50) des Artikels PAULICIANER. 52

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wendige Folge des Dogmas, das sie widerlegen, darin besteht, daß das Verhalten Gottes abscheulich sein würde; und sie tragen keine Bedenken, viel Schlechtes von dem Gott ihrer Gegner zu sagen, d. h. von Gott, betrachtet als der, der er wäre, falls das fragliche Dogma angenommen würde. Sie bedienen sich kühn der schockierendsten Vergleiche. Die Römisch-Katholischen behaupten, Calvin habe »einen betrügerischen, grausamen, unmenschlichen Gott eingeführt, einen Gott ohne Gerechtigkeit, Vernunft und Güte«,54 weniger unschuldig und weniger göttlich als der Gott Epikurs55 es ist; »einen Gott mit zwei Willen, einem öffentlichen, mit dem er erklärt, er wolle die ganze Welt retten, und einem anderen, geheimen, mit dem er diejenigen, die er nicht liebt, in die Gottlosigkeit stößt, um einen Vorwand für ihre Bestrafung zu haben;56 (---) einen unmenschlichen Herrn, der seinen Dienern Unmögliches befiehlt und sie mit einer ewigen Strafe züchtigt, weil sie seine Befehle nicht ausgeführt haben, genau wie der Tyrann Caligula es tat«; schließlich einen Gott, der wie Caligula57 befiehlt, »daß man seine Gesetze in so kleinen Lettern aufschreibe, daß keiner sie lesen kann«.58 Der Arminianer Bertius beschuldigte in seinem Streit mit Piscator diesen, er schreibe Gott in seiner Beziehung zum Menschen ein ganz ähnliches Verhalten zu, wie es Tiberius gegenüber den Töchtern des Sejanus an den Tag legte. Er führte diese Parallele59 in zwei Kolumnen aus; in der einen stellte er zusammen, was dieser Kaiser tat, damit die Töchter des Sejanus ohne Gesetzesverstoß erdrosselt würden, in der anderen, was Piscator Gott tun ließ, damit die Verworfenen nicht gegen die Regeln bestraft würden. Ein reformierter Theologe fährt ähnliches Geschütz gegen die Sozinianer auf. Er wirft ihnen

54

Man sehe Daillé, Replique à Adam et à Cottibi, Teil II, Kap. 1, S. 2. A. a.O., S. 3. 56 Ebd. 57 A. a.O., S. 4. 58 A. a.O., S. 12. 59 Der lutherische Theologe André Charles bringt diese Parallele in seinen Memorabilia ecclesiastica saeculi XVII, Buch II, S. 385 f. 55

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vor, ihr Gott sei »das größte aller Ungeheuer, das in der Phantasie aufgestiegen ist«60; daß Platon und Zenon sich das nicht hätten einfallen lassen;61 daß es ein unwissender, ganz ohnmächtiger Gott sei,62 voller Unvollkommenheit;63 ein Phantomgott, der auf Schritt und Tritt von unvorhergesehenen Ereignissen demontiert werde,64 ein fremder Gott, der kaum besser sei als derjenige Epikurs,65 und der in den Tag hinein lebe.66 Da solcher Art der Brauch unter Kontroversschriftstellern ist, wäre ich ein sehr schlechter Historiker des Streits über den Ursprung des Übels und ein ungetreuer Berichterstatter der Meinungen jeder Partei gewesen, wenn ich nicht den Vergleich gebracht hätte, der gewissen Leuten mißfallen hat. Es ist der Vergleich Gottes mit einer Mutter, die voraussieht, daß ihre Tochter usw.; und man beachte, daß ich gezeigt habe, daß er gegen die Sozinianer gewendet werden kann.

Fünfter Einwand: Man solle nachteilige Wahrheiten nicht zugeben Wenn es Leute gibt, die sich schockiert darüber zeigen, daß ich von der Maxime abgewichen bin, nach der man seinen Gegnern niemals zugeben soll, daß man ihre Einwände nicht beantworten kann, so habe ich keine lange Apologie nötig, sondern brauche nur diese kurze Frage zu stellen: Ist Aufrichtigkeit nicht eine gute Sache? Ist sie nicht Pflicht oder wenigstens erlaubt? Man wird mir darauf nur mit Ja antworten können. Ich kann mich also dieser lobenswerten Freiheit bedienen, werde ich erwidern, zumal es keinen Beschluß einer Synode

60 61 62 63 64 65 66

Man sehe Jugement sur les méthodes d’expliquer la grâce, S. 10. Man sehe Tableau du socinianisme, 1. Brief, S. 20. A. a.O., S. 23. A. a.O., S. 25. Ebd. A. a.O., S. 27. A. a.O., S. 34.

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oder eines Konsistoriums gibt, der einem in dieser Hinsicht die Hände bindet. Wenn man mir eine Lehrentscheidung vorweisen kann, die von vier Theologieprofessoren unterzeichnet ist und die das Siegel irgendeiner Universität trägt, was nicht viel verlangt ist; ich wiederhole: wenn man mir ein solches Dokument zeigen kann, das besagt, ein Rechtgläubiger dürfe niemals zugeben – selbst dann nicht, wenn es durchaus wahr ist –, daß gewisse Einwände der Heterodoxen nicht anders als durch die Schrift beantwortet werden können, so werde ich mich zu allem verpflichten, was man will; denn ich bin sicher, daß man mir ein solches Dokument niemals zeigen wird. Aber zur volleren Zufriedenheit der ängstlichsten Leser möchte ich hier gern erklären: Überall da, wo es in meinem Wörterbuch heißt, diese oder jene Argumente seien unauflösbar, wünsche ich nicht, daß man sich einredet, sie seien es tatsächlich. Ich will nichts anderes sagen, als daß sie mir unauflösbar scheinen. Das hat keine weiteren Folgen, jeder kann dabei denken, wenn es ihm beliebt, daß ich wegen meiner geringen Einsicht so urteile. Ich wünschte, daß man hinzufügte: Obwohl ich mich eher nach den Regeln der Aufrichtigkeit als nach den politischen Maximen des Parteigeistes verhalte, bin ich weiterhin der Ansicht, daß weder die Häresie noch das Heidentum irgendeinen Vorteil aus der Unauflösbarkeit ihrer Einwände gegen die Mysterien ziehen kann.67

Sechster Einwand: Ich hätte die Manichäer nicht widerlegt Die Schwierigkeit, die mir zu betrachten übrigbleibt, wird uns ein wenig länger aufhalten. Sie stützt sich darauf, daß ich sehr ausführlich berichtet habe, was die Manichäer einwenden können, und daß ich mich nicht bemüht habe, Gründe zu ihrer Widerlegung beizubringen. Hier folgt, womit alle vernünftigen Leser hinsichtlich dieses Gegenstands des Murrens zufrieden-

67

Man sehe meine Antwort auf den ersten Einwand.

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zustellen sind. Vier Gründe halten mich davon ab, mich mit der Widerlegung des Manichäismus aufzuhalten. Der erste Grund ist, daß bei der heutigen Stimmung unter den Menschen keine Häresie weniger zu fürchten ist als diese. Die Leute können nur Abscheu empfinden für eine Lehre, die ein ewiges und ungeschaffenes Wesen zuläßt, das von Gott verschieden, ihm feind und seiner Natur nach böse ist. Und was die starken Geister oder ganz allgemein diejenigen angeht, die das Studium der Metaphysik betrieben haben und die geneigt sind, sie zu mißbrauchen, so gibt es nichts, was ihnen stärker mißfällt, als eine Vielzahl von Prinzipien. Ihr verdorbener Geschmack bringt sie eher dahin, vollkommene Unitarier68 zu sein, als sich für die Dualisten69 zu erklären. Zweitens schließen alle Christen, so unwissend sie auch sein mögen, so offensichtlich Allmacht und Unendlichkeit in die Idee der göttlichen Natur ein, daß sie keine geliehenen Waffen nötig haben, um die Manichäer zu bekämpfen. Diese Idee allein gibt ihnen ausreichende Stärke in einem Angriffskrieg; in ihr finden sie dasjenige, mit dem sie die Lehre jener Leute gründlich widerlegen können. Ich hielt es daher für unnötig, irgendeinem meiner Leser zu zeigen, wie man sie anzugreifen hat. Drittens enthält meine Bemerkung im Artikel MANICHÄER, die ich dort in der Anmerkung (D) genügend ausgeführt habe, alles Nötige, um Urteilsfähigen den Geschmack am Lehrstück von den zwei Prinzipien zu nehmen. Ich sagte, daß der Wert eines Systems darin besteht, nichts zu enthalten, was evidenten Begriffen widerstreitet, und Rechenschaft von den Phänomenen zu geben. Ich fügte hinzu, daß das manichäische System

68

So könnte man abkürzend diejenigen nennen, die mit den Spinozisten nur eine Substanz im Universum anerkennen; aber man beachte, daß ich im folgenden diesen Namen denjenigen gebe, die nur eine erste Ursache aller Dinge anerkennen. 69 So nennen die Perser die Anhänger der zwei Prinzipien. Man sehe oben Fußnote (77) des Artikels ZOROASTER. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. . (…).

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höchstens den Vorteil hat, verschiedene Phänomene zu erklären, welche die Anhänger eines einzigen Prinzips über die Maßen verwirren, daß es aber im übrigen auf eine Annahme hinausläuft, die unseren klarsten Begriffen widerstreitet, während das andere System sich auf eben diese Begriffe stützt. Mit dieser einzigen Bemerkung erkläre ich die Unitarier für überlegen, die Dualisten für unterlegen. Denn alle, die sich mit Räsonnements auskennen, stimmen darin überein, daß ein System viel unvollkommener ist, wenn es der ersten der beiden erwähnten Eigenschaften ermangelt, als wenn es ihm an der zweiten fehlt. Wenn es sich auf eine absurde Annahme gründet, die mit Schwierigkeiten behaftet ist und wenig Wahrscheinlichkeit besitzt, so ist das nicht durch die glückliche Erklärung der Phänomene wett zu machen; wenn es hingegen nicht alle Phänomene glücklich erklärt, so wird das durch seine Genauigkeit, Wahrscheinlichkeit und Übereinstimmung mit den Gesetzen und Begriffen der Ordnung ausgeglichen. Diejenigen, die es wegen dieser Vollkommenheit angenommen haben, lassen sich gewöhnlich nicht durch den Umstand davon abbringen, daß sie nicht von allen Phänomenen Rechenschaft geben können. Sie führen diesen Mangel auf ihren kleinen Verstand zurück und glauben, daß man mit der Zeit das richtige Mittel zur Auflösung der Schwierigkeiten finden wird.70 Ein cartesianischer Philosoph, der sich durch einen Einwand gegen Descartes’ Erklärung von Flut und Ebbe unter Druck gesetzt sah, antwortete u. a., daß man eine Meinung nicht leichtfertig aufgeben soll, »und das vor allem dann nicht, wenn sie in anderer Hinsicht wohlbegründet ist. Als Kopernikus sein System vorlegte, wendete man ihm ein, daß Mars und Venus zu einem bestimmten Zeitpunkt viel größer erscheinen müßten, weil sie der Erde um mehrere Durchmesser näher kämen. Die Folgerung war notwendig, und doch sah man nichts dergleichen. Obwohl Kopernikus nichts zu antworten wußte, glaubte er deshalb doch nicht, seine Meinung aufgeben zu müssen; er

70

Man vergleiche oben Fußnote (61) des Artikels ZENON VON ELEA.

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sagte nur, daß die Zeit es ihn wissen lassen würde und daß es möglicherweise an der großen Entfernung liege. Man nahm diese Antwort als Niederlage und hatte scheinbar Grund dazu. Als aber das Fernglas entdeckt worden war, hat man gesehen, daß genau das, was man ihm als großen Einwand vorhielt, die Bestätigung seines Systems und der Umsturz des ptolemäischen Systems war.«71 Man bemerke hier übrigens ein schönes Beispiel für das, was ich über die Vollkommenheiten eines Systems gesagt habe. Das System des Kopernikus ist so ungezwungen, so einfach, so mechanisch, daß man es dem System des Ptolemäus vorziehen muß, obwohl es bestimmten Erscheinungen weniger glücklich Genüge tut. Mein vierter Grund schließlich ist, daß ich ein so gutes und sicheres Hilfsmittel angezeigt habe, daß es überflüssig wäre, sich irgendeines anderen Mittels zur Kompensierung des Nachteils zu bedienen. Das System der Dualisten erklärt verschiedene Erfahrungen besser als das der Unitarier; andererseits schließt es aber ungeheuerliche Absurditäten ein, die den Begriffen der Ordnung unmittelbar widerstreiten. Das System der Unitarier erfreut sich der Vollkommenheit, die diesem Mangel entgegengesetzt ist; daher ist es, wenn alles wohl erwogen und überlegt ist, dem anderen vorzuziehen. Das Gesagte könnte einigermaßen ausreichen; aber ich möchte mich damit nicht begnügen. Ich möchte darüber hinaus bemerken, daß das System der Unitarier der Schrift gemäß ist, dasjenige der Dualisten aber vom Wort Gottes definitiv widerlegt wird. Welchen stärkeren Beweis kann man wünschen, um sicherzugehen, daß das System der Unitarier wahr und das andere falsch ist? Ist es nötig, daß ich darüber hinaus den Manichäismus philosophisch widerlege, um alle Skrupel zu beseitigen? Wäre es nicht ein Zeichen von Kleingläubigkeit, wenn man einen derartigen Disput nötig hätte? Gott spricht, und das überzeugt 71

Gadroys, Lettre à Mr. de la Grange-Trianon pour servir de réponse à celle que Mr. Castelet a écrite, S. 13 f. Dieser Brief ist Paris 1677 veröffentlicht worden.

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euch nicht voll und ganz? Ihr wollt andere Garantien, ihr wünscht, daß ein menschliches Räsonnement sein Zeugnis bestätige?72 Ist das eines Menschen von gesundem Verstand würdig? Im Schutz der offenbarten Autorität fürchtet ihr die Einwände der Manichäer? Warum sagt ihr nicht mit der Schrift »Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?«73 Ihr könnt nicht auf die Schwierigkeiten wegen des Ursprungs des Übels und wegen der Verdammungsbeschlüsse antworten, die sie euch vorhalten? Nun denn, antwortet ihnen, was der Kleine Katechismus der reformierten Kirche als Antwort auf die entsprechende Frage bezüglich der Trinität vorgibt: »Wie ist das möglich? Das ist ein Geheimnis, das unseren Verstand übersteigt und nichtsdestoweniger völlig gewiß ist. Denn Gott hat es uns durch sein Wort offenbart.«74 Jede philosophische Subtilität, die darauf abzielt, euch die Überzeugung von der himmlischen Wahrheit zu nehmen, müßt ihr als einen Angriff sehen, den man nach dem Willen des hl. Paulus abwehrt, indem man den »Schild des Glaubens«75 ergreift. Ergreift ihn also, und ihr werdet ausreichend gewappnet sein. Denkt daran: Wenn ihr fürchtet, dies sei nur ein sehr schwacher Schutz, setzt ihr euch dem Spott aus, mit dem ein Kardinal überschüttet wurde, dem die Päpste leid taten, weil sie keine andere Unterstützung hätten als die des hl. Geistes.76 (…). Aber heute wollen wir etwas Rücksicht auf die Kleingläubigen nehmen und einige Überlegungen gegen den Manichäismus vorbringen.

72

Man vergleiche oben Anmerkung (L) des Artikels PERROT, Nicolas. Römer 8, 31. 74 Kleiner Katechismus, Abschnitt 2. 75 Epheser 6, 16. 76 (…). Evang. nouveau du Cardinal Palavicin, Kap. 4, Art. 1, S. 142 der holländischen Ausgabe. 73

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Einige Überlegungen gegen den Manichäismus Ich will ihn nicht an seinem schwachen Punkt angreifen, d. h. ich will mich nicht der handgreiflichen Absurditäten bedienen, welche die Manichäer von sich geben, wenn sie zu detaillierten Erklärungen ihrer Lehre kommen. Diese sind so erbärmlich, daß ein bloßer Bericht davon schon eine hinreichende Widerlegung ist. Man hat im Vorangehenden eine Probe hiervon gesehen.78 Schenken wir ihnen das Lächerliche ihrer Lehre und betrachten wir nur diese in der größtmöglichen Vereinfachung. Ich will mich nicht dieses Einwands von Simplicius bedienen79: Das Prinzip des Guten und das Prinzip des Bösen sollen konträr sein; sie könnten aber nur konträr sein, wenn sie unter die gleiche Gattung fielen. Es gäbe also etwas über ihnen, und das wäre nur eines und hätte das ganze Wesen eines Prinzips. Dies wäre also im eigentlichen Sinne das Prinzip, und folglich gäbe es nicht zwei erste Prinzipien, und somit schließt die Annahme von zwei konträren Prinzipien einen Widerspruch ein. Das ist mehr scharfsinnig als überzeugend; denn Gattungen und Arten existieren nur in unserem Verstand, und deshalb wäre die Gattung, unter der die beiden konträren Prinzipien stünden, nicht mehr als ein Begriff unseres Geistes, so wie der allgemeine Begriff des Seins, der gewissen christlichen Philosophen zufolge univok in Bezug auf Gott und die Geschöpfe ist.80 Die anderen Überlegungen des Simplicius sind viel überzeugender.81 Er zeigt denen, die zwei Prinzipien, ein gutes und ein

78

In der Anmerkung (B) des Artikels MANICHÄER und in der Anmerkung (F) des Artikels ZOROASTER. Man sehe auch Anmerkung (E) des zuletzt genannten Artikels. Artikel ZOROASTER nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  79 Simplicius zu Epicteti Enchiridion, Kap. 34, S. 163 der Ausgabe Leiden 1640. 80 Man sehe oben Anmerkung (B) des Artikels ARNAULD, Antoine, Doktor der Sorbonne. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  81 Simplicius, a. a.O., S. 165.

Zweite Klarstellung

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böses, zulassen, daß ihre Meinung dem Gott, den sie den guten nennen, durchaus Unrecht zufügt, daß sie ihm zumindest die Hälfte seiner Macht nimmt und daß sie ihn furchtsam, ungerecht, unklug und unwissend macht. Die Furcht, die er vor einem Angriff seines Feindes hat, verpflichtet ihn, so sagen sie, einen Teil der Seelen diesem preiszugeben, um die übrigen zu retten. Diese Seelen waren Teil seiner Substanz und hatten keine Sünde begangen. Simplicius schließt daraus, daß es ungerecht war, sie derart zu behandeln, hauptsächlich deswegen, weil sie gepeinigt werden sollten und, falls sie sich befleckten, ewig in der Gewalt des Bösen bleiben müßten. So hat das gute Prinzip nie verstanden, seine Interessen wahrzunehmen, und blieb einer ewigen und nie wiedergutzumachenden Verstümmelung ausgesetzt. Hinzu kommt, daß seine Furcht unbegründet war, denn da das Reich des Bösen von aller Ewigkeit her und seiner Natur nach vom Reich des Guten getrennt war, gab es keinen Grund, einen Angriff des Prinzips des Bösen auf das Gebiet seines Feindes zu befürchten. Simplicius wirft seinen Gegnern vor, daß sie dem guten Prinzip weniger Voraussicht und weniger Macht zusprechen als dem bösen. Das gute Prinzip hatte nicht das Unglück der Truppen vorausgesehen, die es dem Angriff des Feindes aussetzte;82 das böse Prinzip hingegen hatte sehr wohl gewußt, welche Truppen man gegen es entsenden würde, und es hatte das notwendige Kriegsgerät bereitgestellt, um sie außer Gefecht zu setzen. Das gute Prinzip war einfältig genug, sich lieber zu verstümmeln als die Truppen des Feindes in sein Gebiet zu lassen, der dadurch einen Teil seiner Glieder verloren hätte. Das böse Prinzip war jederzeit überlegen gewesen,83 es hatte nichts verloren und es hatte Eroberungen gemacht, die es behielt; das gute Prinzip hingegen hatte viele Dinge freiwillig preisgegeben, aus Furcht, aus Ungerechtigkeit und aus Unklugheit. Der Autor folgert, daß man Gott

82

A. a.O., S. 166. Man beachte, daß dies beweist, daß man das Übergewicht des Übels über das Gute in der Welt anerkannte. 83

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mit der Weigerung, ihn als Urheber des Übels anzuerkennen, auf jede Weise zu einem bösen gemacht hat. (…).84 Ich übergehe verschiedene andere Bemerkungen des Simplicius gegen die Lehre von den zwei Prinzipien, denn sie greifen sie an Stellen an, die nur infolge der besonderen Mangelhaftigkeit der eigenmächtigen Erklärungen seitens ihrer Verteidiger schwach sind. Das paßt ein wenig auf einige der Einwände dieses Philosophen, von denen ich einen Abriß gegeben habe. Aber hier ist ein Einwand, der durchschlägt, so vereinfacht man auch die Lehre von den zwei Prinzipien betrachten mag. Er sc. Simplicius  sagt,85 daß sie die Freiheit unserer Seele völlig umstürzt, daß sie sie zur Sünde nötigt und daß sie folglich einen Widerspruch enthält. Denn da das Prinzip des Bösen ewig und unvergänglich ist und so mächtig, daß selbst Gott es nicht besiegen kann, folgt, daß die menschliche Seele dem Impuls nicht widerstehen kann, mit dem es sie zur Sünde treibt. Wenn sie aber unwiderstehlich dazu getrieben wird, so begeht sie einen Mord oder einen Ehebruch usw. nicht durch eigene Schuld, sondern durch eine größere Gewalt, die von außen kommt; und in diesem Fall ist sie nicht verbrecherisch noch strafbar. Es gibt also keine Sünde mehr, und somit widerlegt und zerstört sich diese Lehre selber, da es nichts Böses mehr in der Welt gibt, wenn es ein Prinzip des Bösen gibt. Aber wenn es nichts Böses in der Welt gibt, so ist klar, daß es kein Prinzip des Bösen gibt. Daraus können wir entnehmen, daß man mit der Annahme eines solchen Prinzips durch eine notwendige Folge sowohl das Böse als auch das Prinzip des Bösen aufhebt. (…). Dieser Einwand ist ebenso überzeugend wie scharfsinnig. Man kann ihn durch denjenigen verstärken, den ich an anderer Stelle vorgetragen habe,87 nämlich daß die Lehre der Manichäer der Untergang aller Religionen ist, insofern sie bei folgerichtigem Schließen nichts von ihren Gebeten erwarten kön84 85 87

Simplicius, a. a.O., S. 168. A. a.O., S. 169. In der Anmerkung (G) des Artikels PAULICIANER, am Ende.

Zweite Klarstellung

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nen und nichts von ihrer Gottlosigkeit zu befürchten haben. Sie müssen überzeugt sein, daß der gute Gott, was immer sie tun mögen, ihnen wohlgesonnen und der böse Gott ihnen immer feind sein wird. Das sind Götter, von denen der eine nur Gutes tun kann, der andere nur Böses. Sie sind dazu durch ihre Natur bestimmt, und sie folgen dieser Bestimmung nach dem vollen Maß ihrer Kräfte. Das eben vorgebrachte Argument erscheint mir sehr stark. Der beste Weg, den man in philosophischen Diskussionen einschlagen kann, besteht darin, sich an die Begriffe der Ordnung zu halten. Wenn wir das im gegenwärtigen Disput tun, werden wir ganz klar sehen, daß die Einheit, die unendliche Macht und das Glück dem Schöpfer der Welt zugehören. Die Notwendigkeit der Natur bringt es mit sich, daß es für alle Wirkungen Ursachen gibt; es war daher notwendig, daß es eine für die Hervorbringung der Welt zureichende Kraft gab. Nun entspricht es mehr der Ordnung, daß diese Kraft in einem einzigen Subjekt vereinigt ist, als daß sie auf zwei, drei oder hunderttausend Subjekte verteilt wäre. Schließen wir also, daß sie nicht verteilt gewesen ist und ganz in einem einzigen Wesen ruht, so daß es nicht zwei erste Prinzipien gibt, sondern nur ein einziges. Es wäre ebenso vernünftig, statt nur zwei Prinzipien unendlich viele anzunehmen, wie es die Atomisten taten. Wenn es gegen die Ordnung ist, daß die Macht der Natur, allgemein gesprochen, auf zwei Subjekte verteilt ist, um wieviel seltsamer würde es sein, wenn diese zwei Subjekte einander feind und diametral entgegengesetzt wären? Daraus könnten nur Verwirrungen aller Art entspringen. Was das eine schaffen wollte, würde das andere zerstören wollen, und so würde nichts zustande kommen, oder wenn etwas zustande käme, so wäre es ein bizarres Werk, weit entfernt von der Wohlgeordnetheit dieses Universums. Hier sieht man, wie der Manichäismus von einem sehr starken Argument besiegt wird. Wenn er zwei Prinzipien angenommen hätte, die in allem übereinstimmend handelten, so wäre er geringeren Schwierigkeiten ausgesetzt. Er hätte nichtsdestoweniger gegen den Begriff der Ordnung hinsichtlich der Maxime verstoßen, daß man die Wesen nicht

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ohne Not vervielfachen soll;88 denn wenn es zwei erste Prinzipien gibt, hat jedes von ihnen die ganze Kraft, die zur Hervorbringung des Universums notwendig ist, oder es hat sie nicht. Wenn sie diese Kraft haben, ist eins von ihnen überflüssig; wenn sie sie nicht haben, dann ist diese Kraft vergebens aufgeteilt, und es wäre besser gewesen, sie in einem einzigen Subjekt zu vereinigen. Dieses wäre dann aktiver gewesen; »eine vereinigte Kraft wirkt stärker«, sagt man in den Schulen der Peripatetiker. Außerdem ist nicht leicht zu begreifen, daß eine Ursache, die durch sich selbst existiert, nur einen Teil der Kraft besitzen soll. Wer hätte sie auf dieses oder jenes Maß beschränkt? Sie hängt doch von nichts ab und bezieht alles aus ihrem eigenen Fundus. Der Rabbi Maimonides scheint mir zu gewissenhaft, wenn er alle fünf Beweise für die Einheit Gottes zurückweist, welche die Philosophen aus der Schule der Dialektiker verwenden, und wenn er denjenigen unter ihnen lobt, der in seiner Verlegenheit angesichts dieser schwachen Beweise gesagt hatte, man könne die Einheit Gottes nicht erkennen oder beweisen, außer durch die auf Überlieferung gestützte Offenbarung. (…).89 Der vierte dieser fünf Beweise war dieser: Entweder genügte ein einziger Gott zur Hervorbringung der Welt, oder er genügte nicht. Wenn er dazu genügte, wäre ein weiterer Gott nutzlos gewesen; und wenn er die Hilfe eines weiteren Gottes nötig hatte, entbehrte jeder von ihnen der notwendigen Kraft; es ist aber unmöglich, daß eine Unvollkommenheit in Gott ist. Maimonides antwortet: Obwohl ein Gott für sich allein die Maschine dieser Welt nicht hervorbringen konnte, hat man keinen berechtigten Grund, ihn schwach oder unzureichend zu nennen; denn man darf den nicht so bezeichnen, der das nicht leistet, was seine Natur übersteigt. Es ist kein Unvermögen Gottes, wenn er sich keinen Körper geben oder kein Quadrat schaffen kann, dessen Seite gleich der Diagonalen wäre. Das schließt nicht aus, daß Gott allmächtig ist; die natürliche Un88 89

»Non sunt multiplicanda entia sine necessitate.« Maimonides, More nebuchim, Teil I, Kap. 75, S. 175.

Zweite Klarstellung

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möglichkeit bestimmter Dinge ist kein Hinderungsgrund für die Allmacht Gottes. Wenn man also behauptet, es sei natürlicherweise unmöglich, daß ein einziger Gott die Welt erschafft, so ist das Erfordernis zweier Gottheiten zu ihrer Erschaffung kein Zeichen von Unvollkommenheit oder mangelnder Kraft in jeder einzelnen. (…).90 Man könnte zeigen, daß dies nur Spitzfindigkeiten sind. Um aber allzu lange Diskussionen zu vermeiden, beschränke ich mich darauf zu sagen, daß die Manichäer sich diese Niederlage nicht zunutze machen können. Denn wenn ein Vermögen wesentlich in der Natur Gottes enthalten sein muß, dann ist es das Vermögen zu schaffen, was er am meisten wünscht. Die Idee Gottes enthält keine Eigenschaft mit größerer Deutlichkeit und Evidenz als die Glückseligkeit.91 Wenn also der Mangel eines Vermögens Gott die Glückseligkeit nehmen kann, muß man sagen, daß es zum Wesen und zur Natur Gottes gehört, diesen Mangel nicht zu haben. Er hätte aber notwendigerweise diesen Mangel, wenn die Meinung der Manichäer zuträfe: also ist ihr System ganz und gar falsch. Die Natur des guten Prinzips ist derart, sagen sie, daß es nur Gutes hervorbringen kann und sich mit aller Kraft der Einführung des Übels widersetzt. Es will und wünscht mit der allergrößten Lebhaftigkeit, daß es kein Übel gebe. Es ist daher zu seinem tiefsten Bedauern, daß es Übel im Universum gibt; es hat alles in seiner Macht Stehende getan, um diese Unordnung zu verhindern. Wenn es also der nötigen Kraft ermangelte, um sie zu verhindern, ist sein lebhaftester Wille vereitelt, und folglich ermangelt es der notwendigsten Kräfte zu seinem Glück. Es hat also nicht die Macht, die es gemäß seiner Wesensverfassung mit höchster Notwendigkeit haben muß. Kann man aber etwas Absurderes als dies behaupten? Ist das nicht eine in sich widersprüchliche Lehre? Die zwei Prinzipien der Manichäer wären die unglücklichsten aller Wesen: Denn das gute Prinzip könnte keinen Blick 90 91

Ebd. Man sehe oben den Artikel SPINOZA, Anmerkung (N), Nr. V.

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auf die Welt werfen, ohne dort eine erschreckende Menge von Übeln aller Art zu sehen; das böse Prinzip könnte keinen Blick darauf werfen, ohne viel Gutes zu sehen. Der Anblick des Übels würde das eine betrüben, der Anblick des Guten das andere. Das wäre kein Schauspiel mit zeitweiligen Unterbrechungen, es wäre kontinuierlich und ohne die kleinste Pause. Selbst die unglücklichsten Menschen sind nicht in einer so schlimmen Lage; sie gehen von der Traurigkeit zur Freude über und umgekehrt, und am Ende bringt der Tod sie in Sicherheit vor den Unglücksfällen dieses Lebens. Die zwei Prinzipien der Manichäer jedoch sind unvergänglich, sie können weder Ende noch Unterbrechung der unangenehmen Gegenstände sehen, die sie aufs äußerste verdrießen. Alles, was die Manichäer hinsichtlich der ersten Einführung des Übels und seiner erstmaligen Verbindung mit dem Guten im menschlichen Herzen annehmen konnten, war mit tausend Schwierigkeiten behaftet. Ihre eigenen Waffen richteten sich gegen sie. Sie konnten die Lehre nicht ertragen, das Übel sei vom Mißbrauch des freien Willens gekommen. Gott in seiner unendlichen Güte, sagten sie, kann nicht zugelassen haben, daß seine Geschöpfe von ihrer ursprünglichen Güte abfielen. Und doch konnten sie nicht zugeben, daß sie, moralisch gesprochen, unverderbbar waren. Simplicius wirft ihnen vor, wie wir gesehen haben, daß die Seelen, deren sich das böse Prinzip bemächtigt hatte und die ein Teil des guten Prinzips waren, böse wurden und in diesem Falle ewig in der Verderbnis und im Elend unter der Herrschaft des Eroberers blieben. Aber hier kommt es noch viel schlimmer. Wir wissen durch Erfahrung, daß die numerisch identische Seele sündigt und Gutes tut. Wenn man bereut, die Barmherzigkeit Gottes anruft und sein schlechtes Leben durch Almosen usw. wiedergutmacht, dann sind es nicht zwei Substanzen, die all das tun, sondern ein und dasselbe Subjekt. Wir wissen es durch das Gewissen,92 die Vernunft will, daß sich die Sache so verhält. Denn warum sollte 92

Man vergleiche oben den Artikel RORARIUS, Anmerkung (K), am Anfang.

Zweite Klarstellung

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man Betrübnis und Reue empfinden wegen eines Fehlers, den man nicht begangen hat? Ich frage die Manichäer: Ist die Seele, die eine gute Handlung vollbringt, vom guten oder vom bösen Prinzip geschaffen? Wenn sie vom bösen Prinzip geschaffen ist, so kann folglich Gutes aus der Quelle alles Bösen entspringen. Wenn sie vom guten Prinzip geschaffen ist, so kann folglich Böses aus der Quelle alles Guten entspringen;93 denn dieselbe Seele begeht bei anderer Gelegenheit Verbrechen. Ihr seid also gezwungen, eure eigenen Schlüsse umzustoßen oder gegen das innere und evidente Empfinden jedes Menschen zu behaupten, daß eine Seele, die Gutes tut, niemals dieselbe ist wie die, die sündigt. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, müßten sie drei erste Prinzipien annehmen: eines, das wesentlich gut und die Ursache alles Guten ist; eines, das wesentlich böse und die Ursache allen Übels ist; eines, das wesentlich für das Gute und das Böse empfänglich und rein passiv ist. Anschließend müßten sie sagen, daß die Seele des Menschen von diesem dritten Prinzip geformt ist und daß sie bald etwas Gutes, bald etwas Böses tut, je nachdem, ob sie vom guten oder vom bösen Prinzip beeinflußt wird. Beschluß dieser Klarstellung Wer sich die Mühe macht, all das aufmerksam zu betrachten, was ich in dieser Klarstellung dargelegt habe, wird zweifellos nicht mehr von dem schockiert sein, was ihn gegen den Artikel PAULICIANER usw. murren ließ. Er wird sehen, daß dieser Artikel ebenso wie die übrigen zu diesem Thema ohne Anstoß und sogar mit Erbauung gelesen werden können, vorausgesetzt, er behält das Folgende im Gedächtnis: I. Es ist den Mysterien des Evangeliums eigentümlich, daß sie Einwänden ausgesetzt sind, die das natürliche Licht nicht aufklären kann. 93

D. h. durch den schlechten Gebrauch der Freiheit, die der gütige Gott dem Geschöpf gegeben hat.

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II. Die Ungläubigen können keinen legitimen Vorteil daraus ziehen, daß die Maximen der Philosophie keine Lösung der Schwierigkeiten erlauben, die jene gegen die Mysterien des Evangeliums vorbringen. III. Die Einwände der Manichäer bezüglich des Ursprungs des Übels und der Prädestination dürfen nicht im allgemeinen betrachtet werden, insofern sie die Prädestination bestreiten, sondern mit besonderer Rücksicht darauf, daß der Ursprung des Übels, die Ratschlüsse Gottes hierüber und das übrige eines der unbegreiflichsten Mysterien des Christentums sind. IV. Jedem guten Christen muß es genügen, daß sein Glaube sich auf das Zeugnis des Wortes Gottes stützt. V. Das manichäische System ist, an sich selbst betrachtet, absurd, unhaltbar und den Begriffen der Ordnung zuwider. Es ist der Retorsion der Einwände ausgesetzt und kann die Schwierigkeiten nicht ausräumen. VI. Auf keinen Fall kann man an meinen Zugeständnissen Anstoß nehmen, ohne daß man verpflichtet wäre, auch die Lehre der rechtgläubigsten Theologen für anstößig zu halten; denn alles, was ich gesagt habe, ist eine natürliche und unausweichliche Folge ihrer Ansichten, und ich habe nur in größerer Ausführlichkeit berichtet, was sie in geringerer Breite lehren. Es wird vielleicht Leute geben, die meine Widerlegung des Manichäismus unvollkommen finden, weil ich nicht auf die Einwände antworte, die ich im Sinne der Manichäer ausgebreitet habe. Wer sich diesen Skrupel macht, möge sich bitte erinnern, daß ich keine evidenten Antworten auf der Grundlage des natürlichen Lichts kenne und daß man die Antworten, welche die Schrift hergibt, in einer Unzahl von Kontroversschriften findet. Wer nach dem Nutzen oder dem cui bono? der Diskussionen fragt, die ihm mißfallen haben, wird meine Antwort in der dritten Klarstellung finden.

DRITTE KLARSTELLUNG

Was in diesem Wörterbuch vom Pyrrhonismus gesagt wird, kann der Religion nicht schaden I. Als Grundlage dieser dritten Klarstellung stelle ich zunächst diesen sicheren und unbestreitbaren Grundsatz auf: Das Christentum gehört einer übernatürlichen Ordnung an, und sein Fundament ist die höchste Autorität Gottes, der uns Geheimnisse mitteilt, nicht damit wir sie begreifen, sondern damit wir sie in all der Demut glauben, die wir dem unendlichen Wesen schulden, das weder täuschen noch getäuscht werden kann. Das ist der Leitstern bei allen Diskussionen und Disputen über die Artikel der Religion, die Gott uns durch Jesus Christus offenbart hat. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß der Gerichtshof der Philosophie unzuständig ist für die Beurteilung der Streitigkeiten unter Christen, da sie nur vor den Gerichtshof der Offenbarung gehören. Jeder Disput über die quaestio juris muß von Anfang an abgewiesen werden. Niemandem darf erlaubt sein zu prüfen, ob man glauben muß, was Gott zu glauben befiehlt. Das muß als erstes Prinzip gelten, wenn es um die Religion geht. Den Metaphysikern steht die Prüfung zu, ob es einen Gott gibt und ob er untrüglich ist.1 Aber die Christen müssen als Christen voraussetzen, daß diese Sache bereits entschieden ist. Es handelt sich also nur um die quaestio facti, nämlich zu wissen, ob Gott will, daß wir dies oder jenes glauben. Zwei Klassen von Menschen können darüber im Zweifel sein; die einen, weil sie nicht glauben, daß die Schrift göttlichen Ur-

1

Man sehe oben die Anmerkung (L) des zweiten Artikels MALDONAT. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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sprungs ist, die anderen, weil sie nicht glauben, daß dies oder jenes der Sinn der Offenbarung ist. Der ganze Streit mit den Philosophen, den die Christen zulassen können, betrifft also die quaestio facti, ob die Schrift von göttlich inspirierten Autoren verfaßt ist. Wenn die von den Christen hierfür beigebrachten Beweise die Philosophen nicht überzeugen, muß die Partie abgebrochen werden. Denn es wäre nutzlos, sich auf die spezielle Prüfung der Trinitätslehre usw. mit Leuten einzulassen, die nicht die Göttlichkeit der Schrift anerkennen, das einzige Mittel, mit dem sich beurteilen läßt, wer in derartigen Streitigkeiten recht oder unrecht hat. Die offenbarte Autorität muß das gemeinsame Prinzip der hierüber Streitenden sein; folglich gibt es keinen Streit mehr, wenn die einen dieses Prinzip zulassen und die anderen nicht. Gegen den, der die Prinzipien leugnet, läßt sich nicht streiten. Wenn diejenigen, die obiges Prinzip nicht zulassen, hartnäckig weiterzanken und -streiten, muß man ihnen kühl erwidern: »Ihr schweift von der Frage ab, Ihr trefft nicht die These, Ihr beweist nicht, was bestritten wurde«. Und wenn sie sich über diese Antworten lustig machen, muß man Mitleid mit ihrem Spott haben.

Die Eigenart der Pyrrhoneer II. Unter allen Philosophen, denen es nicht erlaubt sein darf, über die Geheimnisse des Christentums zu streiten, bevor sie die Offenbarung als Maßstab anerkannt haben, verdienen die Anhänger des Pyrrhonismus am wenigsten Gehör, denn sie bekennen, daß sie kein sicheres Zeichen zulassen, an dem Wahr und Falsch zu unterscheiden sind. Wenn sich ihnen daher durch Zufall die Wahrheit zeigen sollte, könnten sie sich niemals vergewissern, daß es die Wahrheit ist. Sie begnügen sich nicht damit, das Zeugnis der Sinne, die Maximen der Moral, die Regeln der Logik und die Axiome der Metaphysik zu bestreiten, sondern sie bemühen sich darüber hinaus, die Demonstrationen der Geometer und alles umzustürzen, was die Ma-

Dritte Klarstellung

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thematiker an höchster Evidenz hervorbringen können. Wenn sie bei den zehn Mitteln der Urteilsenthaltung stehenblieben und sich darauf beschränkten, sie gegen die Physik einzusetzen, so könnte man noch mit ihnen verhandeln. Aber sie gehen viel weiter; sie haben eine Art Waffe, Diallele2 genannt, die sie bei Bedarf sogleich zur Hand nehmen; danach kann man ihnen nicht mehr standhalten, gleichgültig worum es geht. Das ist ein Labyrinth, in dem kein Ariadnefaden hilft. Sie verlieren sich selber in ihren eigenen Spitzfindigkeiten und sind von ihnen hingerissen, weil das dazu dient, noch deutlicher die Allgemeinheit ihrer These, alles sei ungewiß, zu zeigen, von der sie nicht einmal die Argumente ausnehmen, welche die Ungewißheit* attackieren. Ihre Methode führt so weit, daß diejenigen, welche deren Folgen gut durchschauen, gezwungen sind zu sagen, sie wüßten nicht, ob irgend etwas existiert.3 Die Theologen dürfen sich auch nicht schämen zuzugeben, daß sie sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit solchen Kontrahenten einlassen können und daß sie die Wahrheiten des Evangeliums nicht einem derartigen Schock aussetzen wollen. Das Schifflein Jesu Christi ist nicht gemacht, auf dieser aufgepeitschten See zu schwimmen, sondern im Hafen des Glaubens Schutz vor diesem Sturm zu suchen. Es hat dem Vater, dem Sohn und dem hl. Geist gefallen, müssen die Christen sagen, uns auf dem Weg des Glaubens und nicht dem des Wissens oder des Disputs zu führen. Sie sind unsere Lehrer und Lenker, unter solchen Führern können wir uns nicht verirren, und die Vernunft selbst befiehlt uns, sie für ihre Lenkung vorzuziehen. Ist es aber nicht sehr anstößig, wird man mir vorhalten, daß ich ohne Widerlegung die Ansicht eines Abbé wiedergegeben 2

Man sehe Sextus Empiricus, Pyrrhoneae hypotyposes, Buch I, Kap. 15 und Buch II, Kap. 4. * Der Sinn des Satzes könnte statt »Ungewißheit« vielmehr »Gewißheit« erfordern. Hgg.  3 Man sehe, was Sextus Empiricus, Adversus mathematicos, Buch VII von Gorgias von Leontion berichtet und oben Anmerkung (E) des Artikels ZENON VON ELEA.

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habe, wonach der Pyrrhonismus in den christlichen Dogmen etliche Argumente findet, die ihn fürchterlicher machen, als er es war? Ich antworte: Das kann nur bei denen Anstoß erregen, die das Wesen des Christentums nicht genügend untersucht haben. Es wäre eine völlig falsche Vorstellung, daß Jesus Christus irgendwie die Absicht gehabt hätte, eine bestimmte Philosophenschule in ihren Streitigkeiten mit den anderen direkt oder indirekt zu unterstützen. Seine Absicht war vielmehr, die gesamte Philosophie zuschanden zu machen und ihre Eitelkeit aufzuzeigen. Er wollte nicht nur der Religion der Heiden, sondern auch den Sprüchen ihrer Weisheit mit seinem Evangelium einen Stoß versetzen und es ungeachtet des Gegensatzes zwischen seinen Grundsätzen und denen der Welt mittels einer kleinen Anzahl Ungebildeter, die weder über Eloquenz noch Dialektik noch irgendein anderes Instrument verfügten, wie es für alle übrigen Revolutionen erforderlich ist, über die Heiden triumphieren lassen. Er wollte, daß seine Schüler und die Weisen dieser Welt so diametral entgegengesetzt wären, daß sie sich wechselseitig als Narren behandelten; er wollte, daß sein Evangelium den Philosophen als Torheit erschien und ebenso deren Wissenschaft den Christen als Torheit. Man lese aufmerksam die Worte des hl. Paulus. (…).4,5 III. Glaubt ihr, die Apostel hätten sich Sorgen gemacht, wenn man ihnen gesagt hätte, daß ihre Lehre die dogmatischen Philosophen neuen Attacken seitens der Pyrrhoneer aussetzte? Zerbrechen wir uns nicht den Kopf über diese Leute, hätten sie gesagt, laßt die Toten die Toten begraben; je mehr sie sich schlagen und einer den anderen niedermacht, desto besser ist die Eitelkeit ihrer vorgeblichen Wissenschaft zu erkennen. Weder die Dogmatiker noch die Skeptiker werden jemals ins Reich Gottes eintreten können, wenn sie nicht wie kleine Kinder werden, ihre Maximen ändern, ihrer Weisheit entsagen und am Fuß des Kreuzes aus ihren eitlen Systemen ein Brandopfer für die angebliche Torheit unserer Verkündigung ma4 5

1. Korinther 1, 17 ff. (…). 1. Korinther 2, 1 ff.

Dritte Klarstellung

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chen. Ihre eitlen Systeme sind der alte Mensch, den sie in erster Linie ablegen müssen, bevor sie fähig sind, das himmlische Geschenk zu empfangen und den Weg des Glaubens zu beschreiten, den Gott als Weg zum ewigen Heil ausgewählt hat. Wenn die Pyrrhoneer unsere Mysterien mißbrauchen, um sich noch tiefer in der Ungewißheit einzugraben, und wenn sie uns Argumente ad hominem entgegenstellen: um so schlimmer für sie, wofern Gott sich ihrer Verirrungen nicht bedient, um sie die Notwendigkeit der Unterwerfung unter sein Wort begreifen zu lassen. Das ist es, was der hl. Paulus und seine Mitstreiter auf ähnliche Schwierigkeiten geantwortet hätten. Man darf fest davon überzeugt sein: Wenn sie die Gelegenheit bekommen hätten, über die Natur der heidnischen Philosophie hinsichtlich der Schwierigkeit oder Leichtigkeit der Bekehrung zum Evangelium zu entscheiden, so hätten sie sich mit Nachdruck dafür entschieden, daß Methode, Grundsätze, Gewohnheiten und Streitigkeiten der Peripatetiker, Akademiker usw. ein derart großes Hindernis für den Glauben seien, daß die allernotwendigste Voraussetzung für den Eintritt ins Reich Gottes darin bestünde, den ganzen Plunder dieser falschen Wissenschaft zu vergessen oder beiseite zu setzen.6 Ich glaube, daß sie diese Entscheidung für ihre und die künftige Zeit getroffen hätten. Ich habe einen Mann zitiert, der offenbar glaubt, die Spitzfindigkeiten der Philosophenschulen könnten auf günstige Umstände treffen, so daß sie der Verbreitung des wahren Glaubens dienten. »Möglicherweise«, sagt er,7 »waren diese spitzfindigen Doktoren notwendig für die Welt, nämlich für die neugierige, streitsüchtige, widerspruchsfreudige Welt. Vielleicht gehören sie zum Plan der göttlichen Vorsehung für die Errichtung des Königsreichs seines Sohnes, zur letzten Vollen6

Die Worte Jesu Christi im Johannes-Evangelium 3, 3 »Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen« treffen hauptsächlich auf die Philosophen zu: Sie haben es nötiger, wiedergeboren zu werden, als die übrigen Menschen, denn sie bedürfen einer Wiedergeburt als Menschen und einer weiteren als Philosophen. 7 Balzac, Socrate chrétien, Discours V, S. 78 f. meiner Ausgabe.

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dung des Heilsplans seiner Kirche. Ihr wißt, daß der Sohn Gottes verschiedene Apostel zu verschiedenen Völkern gesandt hat. Ihr wißt, daß nicht alle von ihm befohlenen Missionen zur gleichen Zeit und von den ersten zwölf Aposteln durchgeführt worden sind. Es hat niemals an solchen Gesandten gefehlt und wird niemals an ihnen fehlen. Es wird immer Leute geben, die durchaus bereit sind, seine Befehle zu empfangen und auszuführen, dahin aufzubrechen, wo sie eine Gelegenheit haben, ihm zu dienen. Er hat mehr als einen hl. Petrus, mehr als einen hl. Paulus – daran dürfen wir nicht zweifeln. Er hat auch mehr als einen hl. Thomas. Würde er Eurer Meinung nach den hl. Thomas der jüngsten Zeit nicht zu den Nachfolgern des Aristoteles gesandt haben, um sie ihrer Denkart gemäß zu behandeln, auf ihre Weise zu bekehren und durch ihre Syllogismen und ihre Dialektik zu gewinnen? Würde dieser hl. Thomas der Schule nicht als Apostel des Volks der Peripatetiker ausgewählt sein, das noch nicht recht unterworfen und gezähmt ist? Es ist ein anmaßendes und aufrührerisches Volk, das sich so wenig der Autorität beugt, das sich immer auf die Vernunft beruft, das immer fragt, warum etwas so ist, das so wenig die Ruhe erträgt, so sehr dem Frieden abgeneigt und so sehr auf Neuerungen aus ist. Mir scheint, daß diese letzte Mission nicht unnütz gewesen ist und daß einiger Anschein für das Gesagte spricht.« Wenn nicht ein wenig Ironie in diesen Worten steckt, wenn alles ernst gemeint ist, dann ist es »ein schönes Nichts, in große Worte verpackt«. Alle Zeitalter haben gefordert und werden fordern, daß man die Erkenntnis der offenbarten Wahrheiten auf anderen Wegen als denen der Philosophie suche. Die Philosophie heilt nicht von dem schwankenden Geist, von dem man geheilt werden muß, wenn man wahre Weisheit durch das Gebet erlangen will. Führen wir hierfür einen Apostel an. »Wenn aber jemandem unter euch Weisheit mangelt, der bitte Gott, der da gern gibt jedermann und allen mit Güte begegnet, so wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Solcher Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn

Dritte Klarstellung

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empfangen werde.«8 Die Pyrrhoneer sind immer um so mehr in ihrem Element, wenn ihre Suche nach Gründen, an allem zu zweifeln, erfolgreich gewesen ist, so daß sie Scheineinwände gegen die Gewißheit gefunden haben. Beurteilt bitte, ob sie auf dem Wege des Disputs geeignete Subjekte der Gnade sind. Die modernen Missionare des Evangeliums müssen sie so behandeln, wie die Apostel sie behandelt hätten, nämlich sie auffordern, den ganzen Streitgeist abzulegen und Gott auf sein Wort hin zu glauben. Falls jene unbelehrbar sind, müssen sie sich ganz besonders dieser Vorschrift des hl. Paulus erinnern und sie auf jene anwenden: »Von törichten Fragen aber, von Geschlechtsregistern, von Zank und Streit über das Gesetz halte dich fern, denn sie sind unnütz und eitel. Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermals ermahnt ist.«9 Es wäre schön zu sehen, wie unsere Thomisten und Skotisten die neue Welt durch die Aufstellung von Thesen wie in Europa bekehren wollen. Sie würden sich damit als sehr schlechte Bekehrer erweisen. Balzac hat hieran nicht gedacht oder er hat sich über die Scholastiker sehr lustig gemacht. Ihre öffentlichen Dispute verändern niemanden; jeder geht mit derselben Meinung nach Hause, die er mitgebracht hatte. Wenn man gelehrten Chinesen die thomistischen Erklärungen unserer Geheimnisse vortrüge und wenn diese fragten »Wie können wir das glauben, wo wir doch keine Idee davon haben?«, so täte man gut daran, sie nicht in einen Disput zu verwickeln, sondern ihnen eine Antwort ähnlich derjenigen zu geben, die der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria gab.10 Wie zur Zeit des Laktanz, so kann man auch heute sagen: Die Suche nach der wahren Religion muß so vor sich gehen, daß man sich der vorgeblichen und anscheinenden Torheit zuwendet, unter der Gott die Schätze seiner Weisheit verborgen 8

Jakobus 1, 5 ff. (…). Titus 3, 9 f. 10 Lukas 1, 34 f.: »Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.« 9

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hat.11 »Worin mag wohl die Ursache dafür liegen, daß die von so vielen hervorragenden Köpfen in so vielen Zeitaltern mit höchstem Eifer und Einsatz gesuchte Weisheit nicht gefunden worden ist, wenn nicht darin, daß die Philosophen sie außerhalb ihrer Grenzen gesucht haben? Sie haben alles durchpflügt und durchforscht, aber nirgends die Weisheit zu fassen bekommen, die doch irgendwo liegen muß. Daher muß sie wohl dort gesucht werden, wo sich die Aufschrift ›Torheit‹ findet, unter deren Hülle Gott den Schatz der Weisheit und Wahrheit verborgen hat, damit das Geheimnis des höchsten göttlichen Werks nicht offen zutage läge.«12 Derselbe Laktanz hat an anderer Stelle klug angemerkt, daß es der höchsten Majestät Gottes entspricht, als Lehrmeister zu sprechen und mit wenigen Worten zu sagen »Dies ist wahr«, aber nicht zu argumentieren und seinen Entscheidungen irgendwelche Beweise anzufügen. (…).13 Wenn Seneca von menschlichen Gesetzen sagt, daß es nichts gibt, was uns mehr kalt läßt als ein Gesetz mit einem Vorwort, und daß ein Gesetz nicht disputieren, sondern befehlen muß, so muß man dies mit noch größerem Recht vom Gesetz Gottes sagen. (…).14 Aus meinen gesamten Ausführungen läßt sich leicht schließen, daß man sich von den pyrrhonischen Einwänden nicht schrecken lassen kann, ohne die Schwäche seines Glaubens offenbar zu machen und ohne im schlechten Sinn zu nehmen, was man im guten Sinn nehmen müßte. IV. Ein wahrhaft Gläubiger, ein Christ, der den Geist seiner Religion gut erfaßt hat, verläßt sich nicht darauf, sie in Einklang mit den Aussprüchen der Aristoteliker oder stark genug zu sehen, um mit der bloßen Kraft der Vernunft die Einwände der Vernunft zu widerlegen. Er weiß genau, daß die natürlichen Dinge in keinem Verhältnis zu den übernatürlichen stehen und daß man mit der Forderung, ein Philosoph solle die 11 12 13 14

Dies ist im Hinblick auf die Ungläubigen zu verstehen. Laktanz, Buch IV, Kap. 2, S. 226 meiner Ausgabe. A. a.O., Buch III, Kap. 1, S. 149. Seneca, Epist. XCIV, S. 388 meiner Ausgabe.

Dritte Klarstellung

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Mysterien des Evangeliums und die Axiome der Aristoteliker auf einen Nenner und in vollkommene Übereinstimmung bringen, etwas verlangt, was die Natur der Sache nicht zuläßt. Man muß sich unvermeidlich zwischen der Philosophie und dem Evangelium entscheiden. Wenn ihr nur das glauben wollt, was evident und in Einklang mit den Gemeinbegriffen ist, so ergreift die Philosophie und laßt das Christentum fahren; wenn ihr die unbegreiflichen Mysterien der Religion glauben wollt, so ergreift das Christentum und laßt die Philosophie fahren. Denn die Evidenz und die Unbegreiflichkeit zusammen besitzen – das ist nicht möglich. Die Kombination dieser beiden Dinge ist kaum weniger unmöglich als die Kombination der Vorzüge des Quadrats und des Kreises. Man muß sich zwangsläufig entscheiden: Wenn euch die Vorzüge eines runden Tisches nicht zufriedenstellen, so laßt daraus einen quadratischen Tisch bauen, aber gebt nicht vor, daß ein und derselbe Tisch euch die Vorzüge beider gewährt. Noch einmal: Ein wahrer Christ, gut unterrichtet über das Wesen übernatürlicher Wahrheiten und gut gefestigt in den Prinzipien, die dem Evangelium eigentümlich sind, wird sich über die Spitzfindigkeiten der Philosophen nur lustig machen, vor allem über die der Pyrrhoneer. Der Glaube wird ihn über die Regionen erheben, in denen die Stürme des Disputs toben. Er wird sich in einer Position sehen, von der aus er das Donnergrollen der Argumente und Distinktionen unter sich hören wird, ohne davon erschüttert zu werden. Diese Position wird für ihn der wahre Olymp der Dichter15 und der wahre Tempel der Weisen16 sein, von wo aus er in vollkommener Ruhe die Schwächen der Vernunft und die Verirrungen der Sterblichen beobachten kann, die nur diesem Führer folgen. Jeder Christ, der sich von den Einwänden der Ungläubigen verwirren läßt und an ihnen Anstoß nimmt, steht wie diese schon mit einem Bein im Grab.

15

(…). Claudian, De Mallio Theodoro Consule, Vers 206, S. 6 meiner Ausgabe. 16 (…). Lukrez, Buch II, Vers 7.

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Beantwortung der Frage, ob es nötig war, die Einwände wiederzugeben, welche die Mysterien des Evangeliums den Pyrrhoneern liefern können V. Das eben Gesagte kann uns lehren, wie wichtig es ist, den guten Gebrauch der Dinge zu kennen. Viele haben gefragt: Wozu die pyrrhonischen und manichäischen Schwierigkeiten auskramen? Sie hätten die Antwort auf diese Frage finden können, wenn sie sie in meinem Wörterbuch gesucht hätten, wo sie an hundert Stellen, und namentlich in der Anmerkung (C) des Artikels PYRRHO steht.17 Aber da sie sie nicht beachten wollten oder konnten, wollen wir ihre Schwierigkeit hier ausführlicher prüfen. Ich sehe nicht sehr viel, worüber sie sich vernünftigerweise beklagen könnten, wenn ich mich darauf beschränke, sie zu fragen, wozu denn die vielen Details dienen, die uns die Historiker liefern. Teilen diese nicht offensichtlich Details mit, deren ganzer Nutzen darin besteht, den Lesern Vergnügen zu bereiten, und die sogar schaden können, wenn sie in die Hände derer geraten, welche die besten Dinge mißbrauchen? Entbindet das die Historiker von der Verpflichtung, die Wahrheit mit der größtmöglichen Genauigkeit zu berichten? Muß nicht ein Historiker der Meinungen die Stärke und die Schwäche einer Meinung genau und ausführlich aufzeigen, auch wenn daraus zufällig eine Unordnung entstehen sollte oder kein anderer Nutzen als das Vergnügen der Leser oder ein Beispiel für die Beachtung, die man den Gesetzen der historischen Kunst schuldet? Aber das ist nicht die einzige und auch nicht die hauptsächliche Antwort, die ich zu geben habe. Nichts ist notwendiger als der Glaube, und nichts ist wichtiger, als den Wert dieser theologischen Tugend zu kennen. Was ist besser geeignet, um uns ihn erkennen zu lassen, als über die Eigenschaft nachzudenken, die ihn von anderen Verstandeshandlungen unterscheidet? Sein Wesen besteht darin, uns durch eine feste Überzeugung an die offenbarten Wahrheiten 17

Man sehe auch die Anmerkung (G) des Artikels ZENON VON ELEA, am Ende.

Dritte Klarstellung

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zu binden, und zwar durch ein einziges Motiv: die Autorität Gottes. Wer aus philosophischen Gründen an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, ist rechtgläubig, aber bis hierhin hat er keinen Anteil an dem Glauben, von dem wir sprechen. Er hat nur insoweit Anteil an ihm, als er dieses Dogma glaubt, weil Gott es uns offenbart hat, und er alles, was ihm die Philosophie als höchst plausibel vorträgt, um ihn von der Sterblichkeit der Seele zu überzeugen, demütig dem Wort Gottes unterordnet. Somit wird das Verdienst des Glaubens in dem Maße größer, in dem die offenbarte Wahrheit, die sein Gegenstand ist, alle Kräfte unseres Geistes übersteigt. Denn in dem Maße, in dem die Unbegreiflichkeit dieses Gegenstandes sich durch die große Zahl der entgegenstehenden Maximen des natürlichen Lichts vergrößert, müssen wir einen stärkeren Widerstand der Vernunft der Autorität Gottes zum Opfer bringen und erweisen uns folglich Gott mehr unterworfen und bezeugen ihm größere Zeichen unserer Ehrfurcht, als wenn die Sache nur mittelmäßig schwer zu glauben wäre. Warum, bitte, war der Glaube des Erzvaters der Gläubigen so glanzvoll? War er es nicht deshalb, »weil dieser geglaubt hat auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war«?18 Es wäre nicht sehr verdienstlich gewesen, aufgrund des Versprechens Gottes eine natürlicherweise sehr wahrscheinliche Sache zu glauben. Das Verdienst bestand also darin, daß die Hoffnung, die sich auf dieses Versprechen gründete, mit allen Arten des Anscheins zu kämpfen hatte. Fügen wir hinzu, daß der wertvollste Glaube derjenige ist, der auf das göttliche Zeugnis hin Wahrheiten annimmt, die der Vernunft am meisten entgegengesetzt sind. Dieser Gedanke hat einen Hauch von Lächerlichkeit bekommen, und zwar durch die Hand eines Meisters. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich nichts glaube«, soll der Marschall d’Hocquincourt gesagt haben. »Seit jener Zeit würde ich mich für die Religion kreuzigen lassen. Nicht weil ich bei ihr jetzt mehr Vernunft sähe; im Gegenteil, ich sehe weniger Vernunft als je zuvor; aber ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll, ich 18

Römer 4, 18.

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würde mich sogar kreuzigen lassen, ohne zu wissen warum.« »Um so besser, mein Herr«, sagte der Pater im nasalen Ton tiefer Frömmigkeit, »um so besser; das sind keine bloß menschlichen Regungen, das kommt von Gott. Keine Vernunft, das ist die wahre Religion, keine Vernunft! Gott hat Euch, mein Herr, eine große Gnade erwiesen. ›Ihr sollt wie die Kinder sein‹! Die Kinder haben noch ihre Unschuld, und warum? Weil sie keine Vernunft haben. ›Selig sind die Armen im Geist.‹ Sie sündigen nicht; der Grund ist, daß sie keine Vernunft haben. ›Keine Vernunft, kann ich Euch nur sagen, ich weiß nicht warum.‹ Das sind schöne Worte, die in goldenen Lettern geschrieben werden sollten. ›Nicht, daß ich hier mehr Vernunft sähe; im Gegenteil, ich sehe weniger Vernunft als je zuvor.‹ Das ist wirklich göttlich für diejenigen, welche die Dinge des Himmels schmecken. ›Keine Vernunft‹: welch große Gnade hat Gott Euch erwiesen, mein Herr.«19 Wenn man diesem Gedanken einen ernsteren und bescheideneren Anstrich gibt, wird er vernünftig. Hier ist der Beweis. Ich entnehme ihn einem Werk, in dem man einige Gedanken von Saint-Evremond prüft, u. a. auch diesen, daß der Verstand nicht fest genug von der Religion überzeugt ist. »Um eine klare Antwort hierauf zu geben, muß man ein unter Theologen allgemein anerkanntes Prinzip hervorheben. Der Geist kommt zum Glauben an die Mysterien auf ganz andere Art als zu der evidenten Erkenntnis natürlicher Dinge. Die letzteren erkennt er durch Demonstration, die Mysterien glaubt er aufgrund von Motiven der Glaubwürdigkeit, wie es die Wunder sind, die Jesus Christus und die Apostel getan haben, oder der einhellige Glaube aller Gläubigen seit siebzehn Jahrhunderten usw. Alle diese Motive müssen uns dahin bringen, klugerweise den Glauben anzunehmen, den die Kirche uns vorträgt. Und das erklärt völlig die Worte des hl. Paulus, ›daß wir in diesem Leben die Mysterien wie Rätsel sehen und erwarten, daß wir sie im Himmel klar sehen werden‹. Saint-Evremond 19

Conversation du Maréchal d’Hocquincourt avec le Père Canaye, in den Œuvres mêlées de Mr. St. Evremond, Bd. IV, S. 209 der holländischen Ausgabe von 1693.

Dritte Klarstellung

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verlangt jedoch Demonstrationen. Er will also keinen Glauben. Der hl. Thomas# sagt an verschiedenen Stellen seiner Summa theologiae  ausdrücklich, ›niemand dürfe sich anmaßen, die Mysterien der Religion zu demonstrieren‹. In anderen Kapiteln fügt er hinzu, daß ›die Väter den Glauben bewiesen, aber nicht behauptet haben, ihre Gründe seien demonstrativer Art, sondern nur, sie seien solide Motive, die uns dazu bringen, die Artikel zu glauben, die uns vorgetragen werden‹. Warum, so fragt Saint-Evremond, sollen wir unsere Vernunft nicht aufklären? Weil sie sich, wie der hl. Thomas sagt, dem Glauben unterwerfen soll. Hierzu fallen mir einige Worte von Pierre de Blois in seinem 140. Brief ein, den er an Pierre le Diacre am Hof des Königs von England richtete. Nachdem er über das Mysterium der Transsubstantiation gesprochen hat, sagt er: ›Die Vernunft reicht nicht so weit, aber wir kommen durch den Glauben dahin, und zwar durch einen Glauben, der um so stärker ist, je weniger er von der natürlichen Vernunft gestützt wird. Die Vernunft wird schwächer, wenn der Glaube stärker wird; die Vernunft unterwirft sich, damit der Glaube verdienstlicher wird. Glaubt aber nicht‹, fügt der Père hinzu, ›daß die Vernunft dem Glauben seine Überlegenheit neidet; im Gegenteil, sie unterwirft sich ihm aus freien Stücken und demütig. Sie wird ihr Licht im Himmel wiedererlangen, wo der Glaube nicht sein wird; dann wird die Vernunft ernten, was der Glaube in diesem Leben sät, und es ist gerecht, daß sie die Frucht des Glaubens erlangt, weil sie sich gegenwärtig selbst vernichtet, um dem Glauben in vollem Umfang die Herrschaft zu überlassen‹.«20 VI. Das sagen die Römisch-Katholischen. Ersetzt die Transsubstantiation durch die Trinität, dann werden die rechtgläubigsten protestantischen Theologen es gern unterschreiben. Ich werde zwei Protestanten zitieren, deren Zeugnis um so größeres Gewicht hat, als sie einem Berufsstand angehören, der #

I. Pars, quaestio 1, artic. 8, ad 2. Dissertation sur les œuvres de Mr. de St. Evremond, Ausgabe Paris 1698, S. 249 ff. 20

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nicht gerade als eine Schule gilt, wo man besser als anderswo lernt, die Vernunft niederzumachen und den Glauben zu erheben. Der eine von ihnen ist Mediziner, der andere Mathematiker. Jener erklärt, daß er beim Nachdenken über die Mysterien immer dann innehält, wenn die Vernunft an den Punkt gelangt ist, wo es heißt: »Oh Tiefe.«21 Er betont, daß er, wenn die rebellische Vernunft oder Satan sich ihm in den Weg stellen will, ihren Fallstricken durch dieses einzige Paradoxon Tertullians entkommt: »Das ist gewiß, weil es unmöglich ist.«22 (…). Es gibt Leute, fährt er fort, die leichter glauben, weil sie das Grab Jesu Christi und das Rote Meer gesehen haben, aber ich schätze mich glücklich, daß ich weder Jesus noch die Apostel gesehen, auch nicht zur Zeit der Wunder gelebt habe. Denn dann wäre mein Glaube nicht freiwillig gewesen, und ich hätte nicht Teil an der Segnung »Glücklich sind die, die nicht gesehen und doch geglaubt haben.« Er macht sich eine hohe Vorstellung vom Glauben derer, die vor Jesus Christus gelebt haben, denn obwohl sie nur Schatten und Bilder und einige dunkle Prophezeiungen gehabt hatten, erwarteten sie Dinge, die unmöglich schienen. (…).23 Er sagt, daß der Glaube als Schwert für alle Knoten dient, die in den Mysterien der Religion vorkommen, aber daß er sich seiner doch eher als eines Schildes bedient und daß man nach seiner Erfahrung in dieser Art von Kämpfen unverwundbar ist, wenn man sich mit diesem Schild bewaffnet.24 Er berichtet einige Absätze lang von den Einwänden, die Vernunft und Erfahrung ihm nahelegten, und fügt hinzu, daß dessen ungeachtet sein Glaube sehr fest ist und daß der Glaube, um erlesen zu sein, uns von Dingen überzeugen muß, die nicht allein über der Vernunft sind, sondern sogar der Vernunft und dem Zeugnis der Sinne zu widerstreiten scheinen. (…).25 21

(…). Thomas Browne, Religio medici, Teil I, Abschnitt 8, S. 46 meiner Ausgabe. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 (…). A. a.O., Abschnitt 9, S. 48. 25 A. a.O., S. 49.

Dritte Klarstellung

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Man beachte: Dieser Autor sagt das in einem Buch mit dem Titel Religio medici, Die Religion des Arztes, das, wenn es nach gewissen Leuten ginge, den Titel »Der Arzt der Religion« tragen könnte. Mit einem Wort, es ist ein Werk, das einige glauben ließ, der Autor sei ein wenig weit weg vom Himmelreich.26 Man könnte also diese Worte des Evangeliums auf ihn beziehen: »Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden.«27 VII. Der Mathematiker, den ich zitieren muß, veröffentlichte 1699 in London eine 36-seitige Schrift in Quart mit dem Titel Theologiae christianae principia mathematica. Er behauptet, die Prinzipien der christlichen Religion seien nur wahrscheinlich, und er führt die Grade ihrer Wahrscheinlichkeit und der Abnahme dieser Wahrscheinlichkeit auf mathematische Kalküle zurück. Er findet, ihre Wahrscheinlichkeit könne noch 1454 Jahre andauern, und schließt daraus, daß Jesus Christus vor diesem Zeitpunkt wiederkommen wird. Er widmet dieses Werk dem Bischof von Salisbury und führt in der Widmungsepistel aus, daß diejenigen, die ihn dafür tadeln werden, daß er die Prinzipien des Christentums nur wahrscheinlich nennt, die Grundlagen ihrer Religion nicht gut geprüft und das Wesen des Glaubens nicht richtig verstanden haben. Warum, so fragt er, werden dieser Tugend in der Schrift so viele Lobsprüche gegeben und so viele Belohnungen versprochen? Geschieht es nicht deshalb, weil sie die Menschen auf einem guten Weg schreiten läßt, trotz der Stolpersteine und der Hindernisse, auf die sie dort stoßen? (…).28

26

»Dieser Autor (---) ist ein Melancholiker mit ansprechenden Gedanken, der aber m.E. wie viele andere einen Führer in Sachen der Religion sucht und vielleicht keinen finden wird.« Patin, Brief III, Bd. I, S. 13. 27 Matthäus 8, 10. 28 John Craig, Epist. dedicat. sc. zu Theologiae christianae principia mathematica. Hgg. 

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Der Nutzen langer, räsonierender Listen der Schwierigkeiten des Glaubens VIII. Es gibt so viele Leute, die das Wesen des göttlichen Glaubens so wenig prüfen und so selten über diesen Akt ihres Geistes nachdenken, daß sie erst durch lange Listen der Schwierigkeiten, welche die Dogmen der christlichen Religion umgeben, aus ihrer Trägheit gerissen werden müssen. Durch eine lebhafte Erkenntnis dieser Schwierigkeiten erkennt man nämlich den herausragenden Wert des Glaubens, dieser Gabe Gottes. Auf dem gleichen Wege erkennt man auch die Notwendigkeit, der Vernunft zu mißtrauen und sich auf die Gnade zu verlassen. Wer nie an den großen Auseinandersetzungen zwischen Vernunft und Glauben Anteil genommen hat und die Kraft der philosophischen Einwände nicht kennt, ist in Unkenntnis eines guten Teils seiner Verpflichtung gegenüber Gott sowie der Methode, über alle Versuchungen der ungläubigen und stolzen Vernunft zu triumphieren. Das wahre Mittel, die Vernunft zu zähmen, ist die Einsicht, daß sie zwar imstande ist, Einwände zu erfinden, aber außerstande, deren Auflösung zu finden, in einem Wort, daß es nicht ihr zu verdanken ist, daß das Evangelium sich durchgesetzt hat. »Nur der Glaube kann diese göttliche Philosophie lehren,# die noch keiner der Großen dieser Welt gekannt hat. Aufgeklärt sein heißt, die Augen einem so lauteren Licht zu öffnen. Diese Philosophie hat sich nicht durch Syllogismen und Argumente bei den Menschen Gehör verschafft, sondern durch ihre Einfachheit und durch die Unwissenheit derer, die sie der Welt verkündeten. (---). Der Glaube hat den Menschen über die Irrlichter aufgeklärt, die in der Welt der Heiden aufschienen, und ihn daran gewöhnt, nicht länger über Dinge zu räsonieren, die Gott dem Räsonnement nicht unterwerfen wollte. Der Glaube lehrt ihn, daß es besser ist, das nicht zu wissen, was Gott vor ihm verbergen wollte, sondern in ehrfurchtsvoller Unwissen#

»Die Wahrheit durch Christus«: Johannes-Evangelium, Kap. 1 (…). Paulus, 2. Korinther, Kap. 6.

Dritte Klarstellung

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heit die Geheimnisse anzubeten, die er uns nicht offenbart hat, als diesen Abgrund des natürlichen Lichts durch voreilige Vermutungen und schwache Einsichten der Vernunft ausloten zu wollen. Dank dieses göttlichen Strahls des Glaubens hat der Gläubige die ganze vermessene Neugier freudig geopfert, die ihn bei der Erforschung der Natur voreilig die Werke Gottes untersuchen ließ, sowie die Pläne der stolzen Vernunft vereitelt, die ihn an die Geschöpfe heftet, um sie gegen den Schöpfer aufzuwiegeln. Dank der Strahlen dieses ganz himmlischen Lichts hat der Christ begriffen, daß es besser ist, sich zu unterwerfen, als in Religionsdingen zu räsonieren; daß ein kleiner Geist vorteilhafter für den Glauben ist als die ganze Durchdringungskraft des Verstandes, und daß die Schlichtheit des Glaubens allem Prunk des Wissens vorzuziehen ist. Weil schließlich die Werke Gottes, welche am meisten die Zeichen seiner Allmacht und seines Wesens tragen, diejenigen sind, die wir am wenigsten begreifen, ist nichts richtiger als daß der Mensch seine Vernunft demütigt und sie dem Licht der ewigen Vernunft unterwirft, die der Maßstab aller Vernunft ist, weil es zudem ja keine Wissenschaft gibt, die nicht Unterwerfung verlangt, um ihre Prinzipien zu begründen.«29 Ich schließe mit zwei sehr schönen Gedanken von Saint-Evremond. »Bei rein natürlichen Dingen kommt es dem Geist zu, sie zu begreifen, und seine Erkenntnis geht aus der Zuwendung zu den Objekten hervor. Bei übernatürlichen Dingen wird die Seele ergriffen, faßt Zuneigung, schließt sich an, vereinigt sich mit ihnen, ohne daß wir es begreifen können. Der Himmel hat unsere Herzen besser auf die Einwirkung der Gnade vorbereitet als den Verstand auf die des Lichts. Seine Unermeßlichkeit verwirrt unsere kleine Intelligenz; seine Güte hat einen engeren Bezug zu unserer Liebe. Es gibt ich weiß nicht was auf dem Grund unserer Seele, das von einem Gott auf verborgene Weise bewegt wird, den wir nicht erkennen können. (---). Will man die christliche Religion recht erwägen, so könnte man sagen, Gott wollte sie vor dem Licht unseres Geistes verbergen, um 29

Rapin, Reflexions sur la philosophie, S. 447 meiner Ausgabe.

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sie den Regungen unseres Herzens anzuvertrauen.30 (---). Wofern man seine Vernunft dazu gebracht hat, nicht mehr über Dinge zu räsonieren, die Gott nicht dem Räsonnement unterwerfen wollte, ist das alles, was man wünschen kann. Nicht allein glaube ich mit Salomon, daß das Schweigen des Weisen in diesem Falle mehr wert ist als der Diskurs des Philosophen, sondern ich gebe auch mehr auf den Glauben des dümmsten Bauern als auf alle Vorträge des Sokrates.«31 Dies scheint mir mehr als ausreichend, um die Skrupel zu zerstreuen, welche die angeblichen Triumphe der Pyrrhoneer im Geist einiger meiner Leser haben entstehen lassen.

30 31

St. Evremond, Œuvres mêlées, Bd. III, S. 51 meiner Ausgabe. A. a.O., Bd. II, S. 24.

VIERTE KLARSTELLUNG

Wenn es Obszönitäten in diesem Buch gibt, so sind sie von der Art, daß man sie nicht mit Grund tadeln kann I. Wenn es heißt, ein Buch enthalte Obszönitäten, so kann damit gemeint sein: 1) Daß der Autor eine Beschreibung seiner Ausschweifungen in schmutzigen Worten gibt, daß er sich dafür lobt und glücklich preist, daß er seine Leser auffordert, sich in die Unzucht zu stürzen, daß er sie ihnen als den zuverlässigsten Weg empfiehlt, das Leben zu genießen, und daß er behauptet, man müsse sich über die gewöhnliche Meinung hiervon hinwegsetzen und die Grundsätze tugendhafter Leute als Ammenmärchen ansehen. 2) Oder daß der Autor in freiem und ungezwungenem Stil Liebesabenteuer erzählt, die in der Sache selbst oder wenigstens hinsichtlich der näheren Umstände und Details frei erfunden sind, und daß er verschiedene unzüchtige Begebenheiten in seine Darstellung einfließen läßt, auf die er alle ihm mögliche Kunst verwendet, damit es unterhaltsame Erzählungen sein mögen, die bestens dazu geeignet sind, Lust auf eine Liebesaffäre zu wecken. 3) Oder daß der Autor, indem er sich an einer treulosen Geliebten rächen oder die Auswüchse seiner Leidenschaft entschuldigen oder eine alte Kurtisane beschimpfen oder die Hochzeit seines Freundes bejubeln oder sich durch die Bekanntmachung seiner Überlegungen zerstreuen will, seinen Musen freien Lauf läßt und sich von ihnen zu Epigrammen oder Hochzeitsliedern usw. mit unzähligen unflätigen Ausdrücken inspirieren läßt. 4) Oder daß der Autor Angriffe gegen die Sittenlosigkeit vorträgt und sie dabei zu ungeschminkt, zu lebhaft, zu grob beschreibt.

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5) Oder daß sich der Autor in einer naturwissenschaftlichen, medizinischen oder juristischen Abhandlung über die Zeugung, über Ursachen und Heilmittel der Unfruchtbarkeit oder über Scheidungsgründe usw. unflätig ausdrückt. 6) Oder daß der Autor bei der Erklärung des lateinischen Textes von Catull, Petronius oder Martial zu viele Zoten in seinen Kommentar einstreut. 7) Oder daß der Autor in seiner Geschichte einer Sekte oder einer Person mit schändlichen Handlungen ganz treuherzig eine Menge Sachen berichtet, die keusche Ohren verletzen. 8) Oder daß der Autor bei der Behandlung von Gewissensfragen näher auf die verschiedenen Arten fleischlicher Sünde eingeht und dabei viele Dinge sagt, die für das Schamgefühl nicht leicht zu verdauen sind. 9) Oder daß der Autor schließlich historische Fakten berichtet – schmutzige und unanständige Fakten –, die andere Autoren übermitteln, die er peinlich genau zitiert; daß er durch Hinzufügung eines Kommentars zu seinen historischen Berichten, um diese durch Zeugnisse, Betrachtungen, Beweise usw. zu illustrieren, gelegentlich Schriftsteller anführt, die freimütig gesprochen haben – die einen wie Ärzte oder Rechtsgelehrte, die anderen wie Männer von Welt oder Dichter, wobei er aber niemals etwas sagt, was ausdrücklich oder auch nur unausdrücklich eine Billigung der Unzucht enthielte; vielmehr läßt er es sich bei vielen Anlässen angelegen sein, sie als abscheulich hinzustellen und die laxe Moralauffassung zurückzuweisen. Das dürften wohl die hauptsächlichen Fälle sein, wenn man Schriftstellern vorwirft, Obszönitäten verbreitet zu haben. Im ersten Fall haben sie nicht nur die allerstrengsten Strafen nach kanonischem Recht verdient, sondern sie müssen auch als Störer des öffentlichen Anstands und erklärte Feinde der Tugend von der Obrigkeit verfolgt werden. Was die Fälle zwei bis acht angeht, so mag jeder darüber denken, wie er will; mich gehen sie nichts an. Mich betrifft einzig der neunte Fall, und es genügt mir eine Untersuchung dieser letzten Art der Obszönität. Trotzdem werde ich zwei oder drei allgemeine Betrachtungen über die anderen anstellen.

Vierte Klarstellung

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Drei allgemeine Bemerkungen über einige Arten der Obszönität, die sich bei verschiedenen Schriftstellern finden II. Ich sage erstens, daß es zwischen den sieben Klassen von Schriftstellern beträchtliche Unterschiede gibt, die ich dem Urteil der Leser überlasse.1 Man kann sich in ihnen innerhalb gewisser Grenzen halten und man kann sie überschreiten. Das verändert die Unterschiede und die Verhältnisse ganz ungeheuer; und es wäre sehr ungerecht, wenn man ein und dasselbe Verdammungsurteil über alle Autoren fällen würde, die zur zweiten Klasse gehören. Die Cent nouvelles nouvelles,2 diejenigen der Königin von Navarra, das Decamerone von Boccaccio, die Erzählungen von Lafontaine verdienen nicht dieselbe Strenge wie die Raggionamenti von Aretino und die Aloisia Sigaea Toletana. Die Verfasser dieser zwei letzteren Werke verdienen zusammen mit Ovid in die erste Klasse obszöner Autoren gesetzt zu werden. Ich merke zweitens an, daß sich unzählige Menschen zu allen Zeiten in der Verdammung der Obszönitäten einig gewesen sind, und daß dies doch niemals eine Entscheidung gewesen zu sein scheint, die mit Rechtskraft versehen gewesen wäre und der sich die Dichter, die Kommentatoren usw. bei Strafe des Verlustes ihres guten Rufes hätten beugen müssen. Die Kritiker der Obszönitäten dürften die Frage durch einen definitiven und vollstreckbaren Beschluß für die gesamte Gelehrtenrepublik wohl am leichtesten entscheiden können, wenn sie ein Gremium einberufen könnten, das aus Leuten aller Schichten zusammengesetzt wäre. Ihm dürften nicht nur Personen angehören, die wegen der Strenge ihrer Lebensführung oder we1

Man beachte, daß ich die Bemerkungen immer noch für gut halte, die ich an verschiedenen Stellen, wie im Artikel über den Dichter LUKREZ und im Artikel QUILLET usw., gemacht habe. Beide Artikel nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  2 Man hat sie in Amsterdam 1701 in zwei Bänden in 12o erneut gedruckt.

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gen ihres heiligen Charakters verehrt werden, sondern auch Soldaten und berufsmäßige Galane, kurzum: vielerlei Leute, deren ausschweifender Lebensstil Empörung hervorruft. Das würde für großes Ansehen sorgen, denn die Freizügigkeit lasziver Verse muß wohl eine schlimme Sache sein, wenn sie selbst von denjenigen mißbilligt wird, die ein schamloses Leben führen. Allein man hat vergeblich gegen die obszönen Schriften gewettert; man hat niemals einen Maßstab gewonnen, anhand dessen sich künftig ehrenhafte von unehrenhaften Leuten unterscheiden ließen. Die Gelehrtenrepublik hat sich stets das Recht oder die Freiheit bewahrt, Schriften dieser Art zu veröffentlichen. Man hat dieses Recht niemals verjähren lassen. Viele verdienstvolle Personen haben die Verjährung durch die Freiheit verhindert, deren sie sich für die Abfassung von Werken dieser Art bedienten, ohne daß dies ihnen irgendeinen Tadel zugezogen oder sie weniger würdig gemacht hätte, all die Ehren und all die Privilegien ihres Standes zu genießen und zu den Beförderungen zu gelangen, die ihnen ihr Glück verheißen konnte.3 Man würde sich ja lächerlich machen, wenn man die Leute davon überzeugen wollte, Boccaccio sei kein Ehrenmann gewesen, weil er das Decamerone geschrieben hat, oder wenn man aus dem Umstand, daß die Königin von Navarra, die Schwester von Franz I., einige galante Novellen verfaßte, ableiten wollte, sie sei keine Prinzessin von bewundernswürdiger und überall gepriesener Tugend gewesen (…). III. Wir wollen sehen, ob die Protestanten strenger verfahren sind. Ich glaube nicht, daß die Konsistorien jemals daran gedacht haben, Ambroise Paré zu tadeln, dessen in der Landessprache verfaßte Handbücher der Anatomie voller unanständiger Sachen sind. (…). Die Ermahnung von Theodore Beze hat nicht verhindert, daß Theodore de Juges eine Petronius-Ausgabe mit einem Vorwort herausbrachte, in dem er diejenigen zu 3

Ich will dies nicht auf einzelne Fälle ausdehnen, die bestimmte Grenzen überschreiten, noch auf Personen, die im übrigen durch ihre Handlungen die Ehrlosigkeit verdient haben.

Vierte Klarstellung

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rechtfertigen sucht, welche die Unflätereien dieses Römers mit Erklärungen versehen. Man sieht nicht, daß das Ansehen oder die Laufbahn dieses Theodore de Juges daraufhin Schaden genommen hätte. Er war reformiert, stammte aus einer Familie, die der konfessionsgemischten Kammer von Castres Ratsmitglieder gestellt hat, und verbrachte einen großen Teil seines Lebens in Genf. Goldast ist nach seiner Petronius-Ausgabe genauso unbehelligt geblieben, der er ein Vorwort beigab, in dem er nachdrücklich die Lektüre eines solchen Autors rechtfertigt und insbesondere auf Theodore Bezes Angriffe antwortet. Soll ich noch die außergewöhnliche Hochachtung erwähnen, die man in Genf dem berühmten d’Aubigné entgegenbrachte, obwohl man die ein wenig zu zynischen Freiheiten seiner Feder kannte? Soll ich daran erinnern, daß das Konsistorium von Charenton niemals an eine Beschwerde über Menjot gedacht hat, dessen medizinische Schriften mit unanständigen Sachen übersät sind? Soll ich erwähnen, daß Isaac Vossius als Domherr von Windsor ein Werk veröffentlichte, in dem es viele Unflätigkeiten gibt, ohne daß sein Dekan und seine Kollegen eine Kapitelversammlung abgehalten hätten, um zumindest die leichteste aller Strafen, nämlich einen Verweis, auszusprechen? Wir wollen uns also nicht darüber wundern, daß die Partei, die den Kritikern der Obszönitäten gegenübersteht, sich immer in der Gelehrtenrepublik behauptet hat. Denn abgesehen davon, daß sie Gründe vorträgt, hat sie die Autorität mehrerer Beispiele auf ihrer Seite. Man stößt auf beide dieser Arten von Bollwerk in Goldasts Vorwort zu Petronius. Wer auch immer Autoren verteidigt hat, die als Naturwissenschaftler oder Kasuisten anstößige Sachen vortragen,13 hat Argumente Argumenten und Autoritäten Autoritäten entgegengesetzt. An großen Namen und gewichtigen Zeugnissen fehlt es ihnen nicht, »Jeder kann sich auf große Richter berufen«.14 Man 13

Man sehe oben die Anmerkung (D) des Artikels ALBERT DER GROSSE und die Anmerkung (C) des Artikels SANCHEZ, Thomas. Beide Artikel nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  14 Lucan, Phars., Buch I, Vers 127.

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denke deshalb aber bitte nicht, daß ich ihre Gründe und diejenigen ihrer Gegner für gleichwertig erachte. Ich habe an verschiedenen Stellen hinlänglich erklärt, daß ich die Schamlosigkeiten Catulls und seiner Nachahmer sowie die Übertreibungen der Kasuisten voll und ganz verurteile; und ich füge hier hinzu, daß mir die Gründe derjenigen, die für das Recht plädieren, Obszönitäten in ein Epigramm einzubauen, im Vergleich mit den Gründen, mit denen sie bekämpft werden, sehr schwach erscheinen.15 Ich füge außerdem hinzu, daß mir eine weniger grobe, nur zum Amüsement bestimmte Obszönität verdammenswerter erscheint als eine sehr unanständige Beschimpfung, die den Zweck hat, Abscheu vor der Unkeuschheit zu erwecken. Und was die Obszönitäten auf dem Theater betrifft, so wäre ich sehr dafür, daß die Obrigkeiten sie hart bestrafen. Sie können nichts anderes als eine Schule der Verderbnis sein und gehören viel eher zur ersten Klasse als zu den sieben folgenden, die hier der Gegenstand meiner einleitenden Bemerkungen sind. Davon habe ich noch eine vorzutragen.

Widerlegung derjenigen, die eine Sache aus dem Grunde tadeln, weil man statt dessen etwas Besseres hätte tun können IV. Denn ich sage drittens, daß man die Fragestellung verlassen würde, wenn man gegen die Schriftsteller dieser sieben Klassen anführen würde, daß sie besser daran täten, sich ausschließlich ernsthaften Gegenständen zu widmen und sie mit all dem Anstand zu behandeln, den das Evangelium verlangt. Dieser an sich sehr gute Rat ist hier nicht angebracht, denn diese Leute könnten antworten, es handele sich nicht um die Frage, ob sie eine gute Wahl getroffen haben und ob der Gebrauch, den sie 15

Man kann die Gründe pro und contra miteinander vergleichen, wenn man Kap. 2 des Buchs von Père Vavasseur, De epigrammate, liest, das die Überschrift trägt »De obscenitate in epigrammate vitanda« Obszönität ist in Epigrammen zu vermeiden .

Vierte Klarstellung

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von ihrer Muße und ihrer Feder machen, der denkbar beste ist, sondern daß es sich einzig um die Frage handelt, ob sie sich eine Freiheit erlaubt haben, die nach den Statuten der Gelehrtenrepublik, den Verordnungen der Polizei oder den Gesetzen des Staates mit Entehrung zu bestrafen ist. Sie würden ohne weiteres zugeben, daß sie der Verurteilung nicht entgehen könnten, wenn man sie nach den Vorschriften des Evangeliums beurteilte; aber sie würden behaupten, daß sich sämtliche Schriftsteller in demselben Fall befinden, die einen mehr, die anderen weniger. Denn es gibt keinen unter ihnen, zu dem man nicht sagen könnte, daß er eine christlichere Beschäftigung hätte wählen können als diejenige, der er sich gewidmet hat. So hätte beispielsweise ein Theologe, der seine ganze Zeit darauf verwendet hat, die Schrift zu kommentieren, einen christlicheren Gebrauch von ihr machen können. Hätte er nicht besser daran getan, seinen Tag zwischen dem geistigen Gebet und Werken der Nächstenliebe zu teilen? Warum hat er nicht den einen Teil des Tages auf die Betrachtung der Größe Gottes und der vier letzten Dinge verwendet und den anderen Teil darauf, von Hospital zu Hospital zu eilen, um den Armen zu helfen, und von Haus zu Haus, um die Betrübten zu trösten und die kleinen Kinder zu unterweisen? Weil daher, so würden diese Leute sagen, ausnahmslos alle Menschen außerstande sind, vor dem strengen göttlichen Richterstuhl befriedigende Rechenschaft über die Nutzung ihrer Zeit abzulegen, und weil alle eine unendliche Anzahl von Tagen nutzlos vergeudet und aufgrund von Fehleinschätzungen das Vordringlichste versäumt haben und daher auf die Barmherzigkeit angewiesen sind, verlangen wir eine andere Gerichtsinstanz. Wir fordern eine Untersuchung darüber, ob wir Dinge getan haben, die uns nach dem Urteil der Öffentlichkeit oder vor den Schranken der Obrigkeit um die Eigenschaft bringen, ein ehrenhafter Mensch zu sein, und uns den Rang und die Privilegien nehmen, deren ehrenwerte Menschen sich erfreuen. Wir verlangen etwas, was man vielen ehrbaren Frauen nicht abschlagen kann, die in die Komödie und auf den Ball gehen, die das Spiel und hübsche Kleider lieben und die aus Sorge um ihre Schönheit aufmerk-

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sam prüfen, in welchem Putz sie am besten zur Geltung kommt. Sie sind nicht so blind, nicht zu wissen, daß dies mit Blick auf das Evangelium nicht in Ordnung ist, aber solange sie nichts weiter als das tun, erheben sie mit Recht Anspruch auf Bezeichnung, Eigenschaft, Rang und Privilegien ehrbarer Frauen. Sie verdienen den Tadel der Kanzel und der christlichen Moralisten – einverstanden; aber solange das Urteil der Öffentlichkeit oder der Obrigkeit kein Zeichen der Unanständigkeit in ihrem Lebenswandel erkannt hat, darf man sie nicht als unanständige Frauen bezeichnen. Wer es dennoch täte, würde gerichtlicherseits zu einer formellen Ehrenerklärung verurteilt werden. Sie können sich auf die Gepflogenheiten aller Jahrhunderte berufen, in denen es immer viele tugendhafte Frauen gab, die das Spiel, den Ball, das Theater und den Schmuck liebten und bei alldem weder gegen die bürgerlichen Gesetze noch gegen die Regeln des menschlichen Anstands verstießen und auch keinen unordentlichen Lebensstil pflegten, wie er Kurtisanen vorbehalten bleibt, für die er charakteristisch ist und die man daran erkennt. Die Dichter, die in einem Hochzeitsgedicht die Hochzeitsnacht allzu getreu beschreiben, können dieselben Argumente anführen. Sie werden einräumen, daß ihre Muse sich auf löblichere Weise betätigen könnte und daß die Komposition eines christlichen Sonetts jenem vorzuziehen sei. Jedoch wäre auch diese Komposition nicht die beste Beschäftigung, die sie hätten ergreifen können. Es wäre besser gewesen, sich ins Gebet zu vertiefen und dieses nur zu unterbrechen, um den Kranken in den Krankenhäusern zu helfen usw. Es gibt so gut wie keine Beschäftigung, die nicht mit dem Argument, man hätte eine bessere wählen können, getadelt werden könnte; und von allen Beschäftigungen dieses Lebens gibt es, wenn man sie nach den Regeln der Religion beurteilt, beinahe keine verdammenswertere als die allergewöhnlichste, nämlich arbeiten, um durch Handel oder auf andere ehrbare Weise Geld zu verdienen. Die nach menschlicher Auffassung legitimsten Mittel, Reichtum zu erwerben, stehen nicht nur dem Geist des Evangeliums entgegen, sondern auch den ausdrücklichen Verboten von Jesus Christus und seinen Aposteln.

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Es liegt folglich im Interesse aller Menschen, daß Gott ihnen Barmherzigkeit hinsichtlich des Gebrauchs ihrer Zeit widerfahren lassen möge. Die Dichter, von denen ich spreche, können diesem Grundsatz hinzufügen, daß sie nur den Spuren mehrerer durch ihre Tugend und ihre Weisheit berühmter Personen gefolgt sind; daß es die Freiheit, deren sie sich bedient haben, unter ehrenwerten Leuten immer gegeben hat; daß, wenn diese Freiheit für einige Jahrhunderte unterdrückt worden wäre, um der Ausschweifung als Beute und deutliches Erkennungszeichen zu dienen, sie nicht zu entschuldigen wären und man gegen sie mit der Absicht vorgehen könnte, ihre Schriften zu verbieten; daß sich aber herausstellen wird, daß das ursprüngliche Recht auf ihrer Seite ist und daß eine von so vielen ehrenhaften Personen ausgeübte Sache ehrenhaft geblieben ist. Hier ist eine Maxime von Plinius bezüglich der vorliegenden Frage. Er war einer der feinsinnigsten und ehrenhaftesten Männer seines Jahrhunderts; er verfaßte Verse, die man allzu schamlos fand.17 Man tadelte ihn dafür; er verteidigte sich mit einer Menge großer Beispiele, wollte aber nicht den Herrscher Nero anführen, »obwohl ich weiß«, fügte er hinzu, »daß die Dinge nicht schlechter werden, wenn Bösewichter sie gelegentlich tun, sondern daß sie anständig bleiben, wenn ehrenwerte Leute sie oft tun.«18 Das möge hinsichtlich der Dichter genügen. Wir wollen mit wenigen Worten sagen, daß die Autoren der anderen Klassen, von denen hier die Rede ist, dieselben Argumente verwenden können. Einige können sogar mit noch größerem Anschein sprechen. Ein Naturforscher z. B. und ein Arzt können vorbringen, daß es zu ihren Aufgaben zähle, dasjenige zu erklären, was die Zeugung, die Unfruchtbarkeit, die Bleichsucht, die Geburt und die Gebärmutterkrämpfe betrifft, ganz genauso wie sie die Gärung, die Erkrankungen der Milz, die Gicht usw. erklären. Ein Kasuist wird behaupten, man müsse Beichtväter 17

Man sehe bei Plinius den 14. Brief von Buch IV und den 3. Brief von Buch V. 18 Plinius, Buch V, Brief 3, S. 289 meiner Ausgabe.

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und Beichtkinder über die verschiedenen Arten, gegen die Keuschheit zu sündigen, genauso ins Bild setzen wie über jede Art geschäftlichen Betrugs. Zum wenigsten muß man diesen Schriftstellern die verlangte Gerechtigkeit widerfahren lassen, ihr Leben nicht nach ihren Schriften zu beurteilen.19 Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen diesen beiden Dingen. Es gibt Dichter, die sowohl in ihren Versen wie auch in ihren Sitten keusch sind; es gibt welche, die es weder in ihren Sitten noch in ihren Versen sind; es gibt welche, die es nur in ihren Versen sind, und es gibt welche, die es nicht in ihren Versen, wohl aber in ihren Sitten sind und deren ganzes Feuer im Kopf ist. All die lasziven Ausschweifungen ihrer Epigramme sind nichts als geistreiche Spiele, ihre Candidas und ihre Lesbias nur ausgedachte Mätressen. Die reformierten Protestanten können dies hinsichtlich Theodore Bezes nicht abstreiten, denn er erklärt, daß er ordentlich gelebt habe, als er die Gedichte mit dem Titel Juvenilia verfaßte, die ihn so sehr gereut haben.21

Besondere Bemerkungen bezüglich der Obszönitäten, die, wie es heißt, in diesem Dictionnaire enthalten sind. Drei Vorsichtsmaßnahmen, die ich getroffen habe V. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen will ich jetzt im einzelnen dasjenige untersuchen, was dieses Dictionnaire betrifft, und ich will damit beginnen zu sagen, daß es mir nicht schadet, wenn man es ablehnt, sie als gute Rechtfertigungsmittel zu nehmen, daß sie mir aber viel nützen, wenn man sie als solche nimmt. Ich befinde mich in einer unvergleichlich günstigeren Lage als all die Autoren, von denen ich gesprochen habe,22 Man sehe oben die Anmerkung (D) des Artikels VAYER. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  21 Man sehe den Artikel BEZE, Anmerkung (V) und (X). Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  22 D. h. die oben aufgelisteten acht Klassen von Autoren. 19

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denn wenn man auch Catull, Lukrez, Juvenal und Sueton noch so sehr verdammen mag, so kann man doch nicht einen Schriftsteller verdammen, der sie zitiert. Diese Autoren kann man in allen Buchläden kaufen; die Stellen, die man aus ihnen zitiert, können kein größeres Unheil anrichten als das Original, und es besteht ein außerordentlich großer Unterschied zwischen den ersten Verfassern einer Obszönität und denjenigen, die sie nur als Beweis für eine Tatsache oder eine Erklärung anführen, den der von ihnen behandelte Stoff verlangt. (…). Man muß nur die neun von mir aufgelisteten Klassen miteinander vergleichen, um zu sehen, daß die letzte, in die mein Werk fällt, am wenigsten einer berechtigten Kritik ausgesetzt ist. Das wird noch deutlicher, wenn man zusätzlich zu der Beschreibung, die ich von meiner Angelegenheit gegeben habe,23 bedenkt, daß ich die drei Dinge vermieden habe, die man unterlassen muß, um sich nicht wohlbegründeten Klagen auszusetzen. Erstens habe ich überall dort, wo ich in eigener Sache gesprochen habe, Worte und Ausdrücke vermieden, welche die allgemeine Höflichkeit und Wohlanständigkeit verletzen. Für ein Werk wie das vorliegende, das eine Mischung aus Berichten und Diskussionen aller Art darstellt, reicht das aus; denn es hieße, die Unterschiede zwischen den Dingen verwischen und eine Tyrannei über den Geist errichten, wenn man verlangen wollte, eine Zusammenstellung, in die Gegenstände der Literatur, der Naturkunde und der Jurisprudenz nach Maßgabe der verschiedenen Themen eingehen sollen, auf die man gerade stößt, müsse gemäß der strengen Wohlanständigkeit einer Predigt oder eines frommen Werks oder einer galanten Erzählung geschrieben sein. Ein Wort, daß aus dem Mund eines Predigers und in einem kleinen, für die Damen bestimmten Roman allzu grob erscheinen würde, ist es nicht in dem Schriftsatz eines Anwalts noch in dem schriftlichen Bericht eines Arztes noch in einem naturwissenschaftlichen Handbuch und auch nicht in einem literarischen Werk oder in der getreuen Übersetzung eines 23

Oben, S. 642, Nr. IX.

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lateinischen Buchs, wie es z. B. der Bericht über das Unglück von Petrus Abaelardus ist. Beim wohlanständigen Stil gibt es also eine hohe und eine niedere Ebene. Die höchsten Ebenen passen nur zu einem bestimmten Kreis von Schriftstellern und nicht für alle. Wenn ein Schöngeist von Damen gebeten würde, für sie eine kleine romanhafte Geschichte der Taten von Jupiter oder Herkules zu verfassen, so täte er gut daran, niemals die Ausdrücke »entmannen«, »entjungfern«, »schwängern«, »ein Kind machen«, »mit einer Nymphe schlafen«, »sie notzüchtigen«, »sie vergewaltigen« zu verwenden. Er sollte entweder jeden Anlaß, der diese Vorstellungen aufkommen ließe, vermeiden, oder sie durch unbestimmte, schwankende und rätselhafte Ausdrücke auf Distanz halten. Wenn aber ein Verfasser eines historischen Wörterbuchs, in dem man die genaue Fassung dessen erwartet, was die antike Mythologie über die Taten Jupiters berichtet, sich langer Umwege und gesuchter Redensarten bedienen würde, die über das Schicksal dieser oder jener Nymphen nur Rätsel aufgäben, so würde man sie als geziert und lächerlich hinstellen. Er erfüllt alle Pflichten der Wohlanständigkeit, wenn er sich in den Grenzen der gewöhnlichen Höflichkeit hält, d. h. wenn er keine Worte der Gossensprache benutzt, deren sich selbst ein Wüstling in einer ernsthaften Unterhaltung nicht bedient. Er soll ungeniert alle Worte verwenden, die sich in dem Wörterbuch der Académie Française oder in dem von Furetière finden, sofern sie dort nicht als abstoßend, schmutzig und unanständig gekennzeichnet sind. Das also ist der erste Punkt, dem ich Rechnung getragen habe: Ich habe den allgemeinen Anstand nicht verletzt, wenn ich in eigener Sache gesprochen habe. Ich werde jetzt darlegen, wie ich mit Stellen umgegangen bin, die ich anderen Autoren entnommen habe. Ich habe zweitens vermieden, in unserer Sprache den Sinn eines Zitats auszudrücken, das etwas allzu Grobes enthält, und habe es nur auf Latein angeführt. Aus Brantôme und Montaigne habe ich nur einige Stellen zitiert, die nicht zu den schockierendsten zählen. Die gleiche Vorsicht habe ich hinsichtlich d’Aubignés und anderer ein wenig allzu freimütiger französi-

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scher Schriftsteller walten lassen, die ich gelegentlich als Zeugen anführe. Drittens habe ich es vermieden, in irgendeiner Sprache etwas zu erwähnen, was den Charakter des Abartigen und Ungeheuerlichen haben könnte, von dem die meisten Leute nichts wissen. Außerdem habe ich nichts aus gewissen Büchern zitiert, die fast niemand kennt und die man besser im Dunkeln begraben sein läßt, als dadurch Lust auf ihren Erwerb zu machen, daß man hier etwas aus ihnen zitiert findet. Ich habe in diesem Genre nur Autoren angeführt, auf die man allenthalben stößt und die fast jedes Jahr erneut gedruckt werden. Ich könnte einen äußerst ehrenwerten Mann nennen, der keineswegs ein Wüstling gewesen ist und der aus London an einen seiner Freunde schrieb, er habe sich aufgrund des Geschreis gewisser Leute von meinem Dictionnaire etwas ganz anderes versprochen. »Ich hatte mir vorgestellt«, so schrieb er, »daß man darin ganz unbekannte Unflätereien finden würde, aber ich habe darin nichts gesehen, das ich und meine Kameraden nicht schon vor dem 18. Lebensjahr gekannt hätten«. Es wird nunmehr nicht länger schwerfallen zu erkennen, ob meine Kritiker Recht oder Unrecht haben. Die ganze Angelegenheit läßt sich auf diese zwei Punkte bringen: 1) ob ich Tadel verdiene, weil ich die schmutzigen Fakten, welche die Geschichte mir dargeboten hat, durch vage Paraphrasen nicht zureichend verschleiert habe, 2) ob ich eine Rüge verdiene, weil ich derartige Fakten nicht völlig unterdrückt habe.

Die erste der beiden Fragen, auf die sich der gegenwärtige Streit bringen läßt, betrifft die Ausdrucksweise. Ihre Rechtfertigung VI. Die erste dieser beiden Fragen fällt eigentlich ausschließlich ins Gebiet der Grammatik. Die Sittlichkeit ist hierbei nicht betroffen; Stadtgericht und Polizei haben nichts damit zu schaffen (…), ebensowenig die Moralisten und die Kasuisten. Der einzige Vorwurf, den man mir machen könnte, wäre, daß ich

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in einem groben Stil schreibe – was mich sofort fordern ließe, die Angelegenheit vor die Académie Française als den natürlichen und zuständigen Richter für diese Art von Prozeß zu bringen; und ich bin sehr sicher, daß sie mich nicht verurteilen würde, denn sie würde sich dadurch selbst verurteilen, weil sich alle von mir verwendeten Worte in ihrem Wörterbuch finden, ohne irgendwie als unehrenhaft gekennzeichnet zu sein. Dadurch aber, daß sie einen Ausdruck nicht als obszön kennzeichnet, erlaubt sie allen Schriftstellern, ihn zu verwenden; wobei ich von Ausdrücken spreche, die sie erklärt. Darüber hinaus aber würde ich ganz unbeschwert auf jede Verteidigung verzichten und mich bereitwillig verurteilen lassen. Ich strebe den geschliffenen Stil gar nicht an; ich habe schon in meinem Vorwort erklärt, daß mein Stil »ziemlich nachlässig ist, daß er von unzutreffenden und veralteten Ausdrücken und vielleicht sogar von Barbarismen nicht frei ist und daß ich diesbezüglich fast keine Skrupel habe«. Weshalb sollte ich mich über eine Sache ereifern, über die sich nicht einmal ganz berühmte Schriftsteller, die in Paris wohnen,24 und Mitglieder der Académie Française Sorgen gemacht haben? Weshalb sollte ich mir in einem Werk Zwang antun, das nicht Worte, sondern Sachen zum Gegenstand hat und das, weil es eine Sammlung von Gegenständen aller Art ist, ernsthaften wie lächerlichen, notwendigerweise nach der Verwendung mehrerer Ausdrucksweisen verlangt? Man ist hierbei nicht zur gleichen Behutsamkeit verpflichtet wie auf der Kanzel; und wenn ein Prediger sich des Satzes enthalten muß »Wer ein Mädchen schwängert, der muß es heiraten oder ihm eine Abfindung zahlen«, so folgt daraus nicht, daß er ihn nicht, ohne dadurch ungehobelt zu wirken, in einem Handbuch mit Fällen zur Gewissensprüfung verwenden könnte. Es steht also unstreitig fest, daß man sich je nach Eigenart des Buches auf eine gewisse Art und Weise ausdrücken darf oder nicht.

24

Z. B. le Laboureur (man sehe das Vorwort seiner Additions aux mémoires de Castelnau) und de Mézeray, Sekretär der Académie Française.

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Wenn aber irgend etwas die Schriftsteller entschuldigen kann, die sich über diese ich weiß nicht wie hoch getriebenen Zartsinnigkeiten hinwegsetzen, die von Tag zu Tag weiter um sich greifen, dann dies, daß hierbei kein Ende abzusehen ist. Denn wenn man konsequent vorgehen wollte, so müßte man unendlich viele Worte als obszön verurteilen, auf die unsere Sprache nicht verzichten kann, und man könnte die Schriftsteller leicht ad absurdum führen, die sich auf eine so große Keuschheit und Zartsinnigkeit ihres Ohrs soviel zugute halten. Man könnte ihnen beweisen, daß es überhaupt keine »lächerlichen Preziösen« gibt, die ihren Prinzipien entsprächen, und daß im Gegenteil die Frauen, die sie als solche bezeichnen, sehr vernünftig bzw. sehr befähigt zu konsequentem Denken sind. Diese Schriftsteller mögen mir doch kurz erläutern, warum das Verb »entmannen« ihnen obszön erscheint. Ist es nicht deshalb der Fall, weil es einen schmutzigen Gegenstand in unserer Einbildungskraft hervorruft? Aber aus demselben Grund könnte man das Wort »Ehebruch« nicht aussprechen, ohne eine noch größere Obszönität zu äußern. Hier haben wir also ein Wort, das geächtet werden muß. Außerdem muß man die Worte »Ehe«, »Hochzeitstag«, »Brautbett« und eine Unmenge ähnlicher Ausdrücke ächten, die durch und durch obszöne Vorstellungen hervorrufen, welche unvergleichlich schockierender sind, als es diejenige ist, welche die Preziöse in der Komödie entsetzte. »Was mich betrifft, mein Onkel«, so spricht eine lächerliche Preziöse, »kann ich Euch nur sagen, daß ich die Ehe für eine durch und durch schockierende Sache halte. Wie ist es nur möglich, den Gedanken zu ertragen, neben einem wirklich nackten Mann zu schlafen?«25 Den Prinzipien unserer Puristen zufolge wäre nichts vernünftiger, als so zu sprechen, und jedes anständige Mädchen müßte jeden aus ihrem Zimmer jagen, der ihr mit Plänen käme, sie zu verheiraten. Sie würde sich zu Recht über die Rücksichtslosigkeit beklagen, ihr eine derart schreckliche Obszönität geradewegs ins Gesicht zu sagen. Es wäre eine fürchterliche Unverschämtheit, wenn man 25

Molière, Précieuses ridicules, Szene IV.

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eine verheiratete Frau fragte, ob sie Kinder gehabt hat; die Höflichkeit würde verlangen, daß man sich bei derartigen Themen figürlicher Ausdrücke bedient und daß man beispielsweise die Preziöse nachahmt, die über ihre Freundin sagte, diese habe sich in eine »erlaubte Liebe (das war die Ehe) eingelassen und sie wisse nicht, wie sich jene hatte dazu entschließen können, auf viehische Weise mit einem Mann umzugehen; daß es aber geschehen sei, weil sie Spuren von sich selbst, d. h. Kinder, hinterlassen wollte.«26 (…). Ich habe, wenn ich mich recht erinnere, irgendwo gelesen, daß die Prüderie so weit getrieben worden ist, daß man nicht sagte »Ich habe Confitüre gegessen«, sondern »Ich habe Fitüre* gegessen«. Auf diesem Weg würde man mehr als die Hälfte der Wörter des Wörterbuchs der Akademie aussondern, woraufhin die anderen zu nichts mehr zu gebrauchen wären, denn sie würden ihre Verbindung einbüßen, und so wäre man gezwungen, sich lediglich durch Zeichen auszudrücken. Das würde zu noch skandalöseren und gefährlicheren Obszönitäten führen, als die es sind, die nur mit den Ohren wahrgenommen werden. (…). IX.** Man mag die Grillen der letzten Mode für weniger unvernünftig halten, die dem Vernehmen nach damit anfängt, die Worte »Spülung«46 und »Abführmittel« zu den obszönen Ausdrücken zu zählen und sie durch das allgemeine Wort »Heilmittel« zu ersetzen. Man hat das Wort »Klistier« verbannt, sobald man bemerkte, daß seine Verwendung beim Hörer zu viele Einzelheiten seiner Handhabung wachrief, und es durch das Wort »Spülung« ersetzt, dessen Bedeutung bei weitem allgemeiner war. Aber weil dadurch das Wort »Spülung« wiederum eine ganz spezifische Bedeutung angenommen hat und sei26

Sorel, De la connaissance des bons livres, S. 470 der holländischen Ausgabe. * »Con« ist im Französischen eine vulgäre Bezeichnung für die Vagina. Hgg.  ** Die Nummern VII und VIII fehlen in Bayles Zählweise. Hgg.  46 Man sehe die Apologie von Garasse, S. 107.

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nerseits mit zu vielen Einzelheiten belastet ist, wird man es aufgeben müssen, um die Einbildungskraft nicht zu beschmutzen und mit Gestank zu erfüllen, und man wird sich künftig nur noch allgemeiner Redensarten bedienen wie »Ich habe Heilmittel gebraucht«, »Ihm ist ein Heilmittel verordnet worden« usw. Derartige Ausdrücke veranlassen eher dazu, an ein um den Hals gehängtes Kräuterbündel zu denken als an eine Spülung oder ein Abführmittel. Ich gestehe, daß diese Grillen sehr befremdlich sind und daß sie, sollten sie sich allgemein durchsetzen, eine Menge von Ausdrücken beseitigen würden, die jedermann verwendet und die für die Kranken wie für ihre Besucher ganz unverzichtbar sind, denn andernfalls ließe sich ein Gespräch im Krankenzimmer nur mühsam führen, oder man müßte auf all die Redensarten der Preziösen zurückgreifen. Alles in allem aber sind diese Grillen besser begründet als diejenigen der Puristen, die nichts dagegen haben, daß sich obszöne Bilder dem Geist einprägen, wenn dies nur durch ganz bestimmte Ausdrücke und keine anderen geschieht. Ich fasse jetzt den Inhalt dieses Teils meiner Klarstellung zusammen und halte fest, 1. Es handelt sich hier nicht um eine moralische, sondern um eine rein grammatische Frage, die man Richtern vorlegen muß, die für die Reinheit des Stils zuständig sind. 2. Ich bekenne freimütig, daß ich mir nicht den Ruhm zum Ziel gesetzt habe, den solch ein reiner Stil verschaffen kann. 3. Mir scheint nicht, daß alle Schriftsteller verpflichtet wären, sich der neuen Ansicht über die Reinheit des Stils zu unterwerfen. Denn wenn man ihr konsequent folgen wollte, so würde man schließlich nichts so sehr benötigen wie ein Wörterbuch der Preziösen. 4. Das Recht dieser neuen Stilreinheit ist nicht so gut etabliert, daß es Gesetzeskraft in der Gelehrtenrepublik haben sollte. Das alte Recht gilt noch immer,47 und man wird sich darauf berufen können, bis es außer Kraft gesetzt sein wird. 47

Die Freunde von Ménage sind im Jahr 1695 wegen eines mit Privileg gedruckten Buches der Unfläterei beschuldigt worden.

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5. In einem Buch wie in dem vorliegenden genügt es, nicht gegen den allgemein akzeptierten Brauch zu verstoßen. Aber da ich diese Einschränkungen mit größtmöglicher Sorgfalt beobachte,48 ist es mir sehr wohl erlaubt, mich darin solcher Ausdrücke zu bedienen, die für einen Predigtschreiber und einen Verfasser von Mädchenbüchern nicht angebracht wären. Es reicht aus, daß sie durch den Gebrauch in anatomischen Handbüchern, anwaltlichen Schriftsätzen und Unterhaltungen gebildeter Leute autorisiert sind.

Untersuchung der Ansicht, der zufolge gewisse Dinge das Schamgefühl verletzen X. Um aber noch deutlicher zu zeigen, daß die in Frage stehende Angelegenheit nicht die Sittlichkeit betrifft, muß ich einem Einwand meiner Kritiker zuvorkommen. Wir wollen sehen, ob sie das Argument vorschützen können, daß jeder Satz, der das Schamgefühl verletzt, einen Angriff auf die guten Sitten darstelle, weil er die Keuschheit beschädige. Ich stelle zunächst fest, daß die Leute, die behaupten, gewisse Dinge verletzten das Schamgefühl, die Meinung vertreten müssen, daß diese entweder die Keuschheit schwächen oder keusche Menschen in Erregung versetzen. Man kann ihnen entgegenhalten, daß ihre Behauptung im ersten Sinne Zurückweisung verdient, und daß sie ihren Prozeß unfehlbar verlieren werden, wenn die Frauen zu Richtern in dieser Angelegenheit gemacht werden. Denn die Frauen sind fraglos die kompetentesten Richter in einer solchen Angelegenheit, weil bei ihnen Schamgefühl und Sittsamkeit in unvergleichlich höherem Maße anzutreffen sind als bei den Männern. Sie mögen uns also bitte sagen, was sich in ihrer Seele abspielt, wenn sie grobe Reden hören oder lesen, die ihr Schamgefühl beleidigen 48

Ich habe sogar die Vorschrift Quintilians bezüglich bestimmter Worte befolgt, welche die Verderbtheit der Leser obszön werden ließ. (…). Buch VIII, Kap. 3, S. 367 meiner Ausgabe.

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oder verletzen. Zweifellos werden sie nicht sagen, daß dadurch nicht nur schmutzige Vorstellungen in ihrer Phantasie erweckt werden, sondern daß diese Reden außerdem ein laszives Verlangen in ihrem Herzen aufkommen lassen, das sie nur mit Mühe unterdrücken können, und daß sie sich, kurz gesagt, Versuchungen ausgesetzt fühlen, die ihre Tugend wankend machen und an den Rand des Abgrunds führen. Wir können getrost überzeugt sein, daß sie stattdessen antworten werden, die Vorstellung, die entgegen ihrem Willen in ihrer Phantasie entstehe, lasse sie gleichzeitig das Äußerste an Scham, Verachtung und Zorn empfinden. Nun ist gewiß nichts besser als dies geeignet, um die Keuschheit zu stärken und den ansteckenden Einfluß des obszönen Gegenstandes zu brechen, der sich der Phantasie eingeprägt hat, so daß man, anstatt wie im ersten Sinne zu sagen, was das Schamgefühl verletze, bringe die Keuschheit in Gefahr, man im Gegenteil sagen muß, es sei eine Stärkung, ein Schutzwall und ein Bollwerk für diese Tugend, und daß wir folglich, wenn wir jenen Satz »Dieses oder jenes verletzt das Schamgefühl« in dem zweiten Sinne verstehen, denken müssen, daß die in Frage stehende Sache, weit davon entfernt, die Keuschheit zu schwächen, sie stärkt und wiederherstellt. Es bleibt also immer wahr, daß der Prozeß, den man gegen einen Autor anstrengen kann, der nicht den allerreinsten Stil befolgt hat, ein Verfahren der Grammatik ist, das die Sittlichkeit nichts angeht.

Bemerkung über den Verdruß, den man den Lesern bereitet. Die groben Obszönitäten sind die weniger gefährlichen XI. Wenn man mir erwidert, es handele sich sehr wohl um moralische Fragen, insofern sich der Verfasser auf eine Art und Weise ausgedrückt hat, welche die Leser verdrießt, so antworte ich, daß man unter einer falschen Voraussetzung argumentiert, denn es gibt keinen Schriftsteller, der seinen Lesern bei tausenderlei Anlässen Verachtung, Verdruß und Zorn ersparen

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könnte. Jeder Kontroversschriftsteller, der seine Sache geschickt zu vertreten weiß, bringt die glaubenseifrigen Leser der gegnerischen Partei beständig in Wut. Wer in einer Reisebeschreibung oder in der historischen Darstellung eines Volkes Ruhmreiches für sein Vaterland und seine Religion berichtet und Abschätziges für die Fremden und die anderen Religionen, kränkt die Leser zutiefst, die nicht dieselben Vorurteile haben wie er. Die Vollkommenheit eines historischen Berichts besteht darin, für alle Sekten und alle Nationen unangenehm zu sein; denn das ist ein Beweis dafür, daß der Autor weder den einen noch den anderen schmeichelt und allen seine Wahrheiten sagt. Viele Leser ärgern sich dermaßen, wenn sie auf bestimmte Dinge stoßen, daß sie das Blatt zerreißen oder an den Rand schreiben »Du lügst, du Schuft«, und »Du verdienst Schläge«.50 Nichts von alldem51 gibt einen Grund für die Behauptung ab, die Autoren seien der Gerichtsbarkeit der Sittlichkeit unterworfen. Sie haben lediglich vor dem Gerichtshof der Kritiker Rede und Antwort zu stehen. Man kann also höchstens sagen, daß die Darstellung schmutziger Dinge die Sittlichkeit betreffe, weil sie geeignet sei, schlimme Begierden und unreine Gedanken zu erregen. Allein dieser Einwand trägt gegen mich unendlich weniger aus als gegen diejenigen, die Einkleidungen, Umwege und solche feinsinnigen Ausdrücke einsetzen, über deren Nichtverwendung durch mich man sich beklagt. Denn sie verhindern nicht, daß sich der Gegenstand in der Einbildungskraft abmalt, und sie sind die Ursache dafür, daß er sich dort abmalt, ohne die Regungen der Scham und des Abscheus hervorzurufen. (…). Man füge dem hinzu, daß, wenn man eine Obszönität nur andeutet, aber auf eine solche Weise, daß das Fehlende leicht zu ergänzen ist, die Angesprochenen das Bild, das die Einbildungskraft beschmutzt, selbst vervollständigen. Sie haben also 50

Ich habe solche handschriftlichen Bemerkungen am Rande einiger Bücher gesehen. 51 Ich schließe hierbei wohlgemerkt die Irrlehren aus, die den Rechtgläubigen Verdruß bereiten konnten.

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größeren Anteil an der Hervorbringung dieses Bildes, als wenn man frei heraus gesprochen hätte. In diesem letzteren Fall wären sie lediglich das passive Subjekt gewesen, und folglich wäre das Empfangen des obszönen Bildes ganz unschuldig gewesen. Aber in dem ersten Fall sind sie eines seiner aktiven Prinzipien; sie sind folglich nicht so unschuldig und haben die ansteckenden Folgen dieses Objektes, das zum Teil ihr eigenes Werk ist, weit mehr zu fürchten. So sind diese angeblichen Rücksichtnahmen auf das Schamgefühl tatsächlich eine besonders gefährliche Falle. Sie verleiten dazu, über eine schmutzige Materie nachzudenken, um die Ergänzung dessen zu finden, was nicht in klaren Worten ausgedrückt worden war. Sollte man aber ein solches Nachdenken veranlassen? Richtet man es nicht viel besser so ein, daß sich niemand damit abgeben muß? XII. (…). Die Jansenisten gelten als ganz besonders befähigt in der Sittenlehre. Folglich berufe ich mich auf sie, wenn ich behaupte, eine grobe Zote sei weniger gefährlich als eine zartsinnig ausgedrückte. »Ich weiß wohl«, sagt einer von ihnen,53 »daß man nur die groben unflätigen Ausdrücke ›Zoten‹ nennt und diejenigen, die auf feine, zartsinnige und sinnreiche Weise gesagt werden, als ›Galanterien‹ bezeichnet. Aber Zoten, auch wenn man sie in einer geistreichen Doppeldeutigkeit wie mit einem durchsichtigen Schleier verhüllt, bleiben trotzdem Zoten, verletzen trotzdem christliche Ohren, beschmutzen trotzdem die Einbildungskraft und verderben trotzdem das Herz. Ein feines, kaum spürbares Gift verursacht genauso den Tod wie das stärkste. Es gibt Lobreden auf die Schamhaftigkeit, welche die Schamhaftigkeit selbst nicht ertragen kann. Zum Beweis dient diejenige von P. le Moine.# Es fehlt viel daran, daß die groben Zoten eines Fuhrknechts oder Lastenträgers 53

Réponse à l’apologie du Père Bouhours, S. LXXIII ff. der Ausgabe 1700. Man sehe auch die Lettres curieuses de l’Abbé de Bellegarde, S. 253 der Ausgabe La Haie 1702 sowie die Anmerkung (C) des Artikels ACCORDS am Ende. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  # Blaise Pascal , Lettre provinciale XI. P. le Moine, Peintures morales, Buch VII.

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eine genauso große Verheerung in der Seele anrichten wie das feinsinnige Süßholzraspeln eines Verliebten.« Nachdem dieser Jansenist einige galante Gedanken angeführt hat, die Père Bouhours* von einer Dialogfigur vortragen ließ und die in sehr zartsinnigen Worten abgefaßt sind, fährt er folgendermaßen fort:54 »Es gibt keine Eltern, nicht einmal unter den weltlichsten Leuten, die nicht der Meinung wären, es hieße den Geist ruinieren, das Herz verderben und der Jugend einen höchst boshaften Charakter einprägen, wenn man ihnen diese schädlichen Sottisen vorsetzt, die gefährlicher sind als die groben Zoten«.55 Oben56 konnte man eine Passage aus Nicole lesen, wo es heißt, daß die verbrecherischen Leidenschaften gefährlicher sind, wenn man sie unter dem Schleier der Ehrenhaftigkeit versteckt. Prüfung des Vorwurfs der Unhöflichkeit Ich sehe jetzt einen weiteren Einwand kommen. »Es ist eine Unhöflichkeit«, wird man mir einwenden, »etwas in einem Buch zu schreiben, was nicht in Anwesenheit ehrenhafter Frauen gesagt werden könnte. Weil also die Unhöflichkeit unter moralischem Gesichtspunkt zu verurteilen ist, geht es in dem Prozeß, den man gegen Euch anstrengen kann, nicht um Grammatik, sondern in der Tat um Moralität.« Ich antworte erstens, daß die Unhöflichkeit in moralischer Hinsicht nur dann etwas Schlechtes ist, wenn sie aus dem Hochmut und der gezielten Absicht hervorgeht, anderen seine Verachtung zu bezeugen. Aber wenn man es an Höflichkeit fehlen läßt, entweder weil man schuldlos die Umgangsformen nicht kennt, oder weil man mit Grund der Ansicht ist, man sei Die Ausgabe 1740 schreibt irrtümlich »Boubours«. Hgg.  A. a.O., S. LXXVIII. 55 Man sehe das Journal de Trevoux, Febr. 1703, S. 312 der französischen Ausgabe anläßlich des Romans La princesse de porcien. 56 Beleg (11) des Artikels MARES TS, Jean des. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  *

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zu ihrer Befolgung nicht verpflichtet, so sündigt man nicht. Glaubt ihr, ein alter Professor der Sorbonne wäre verpflichtet, alles das zu kennen, was ein junger höfischer Abbé von der Kunst kennt, Damen seinen Respekt mit großer Höflichkeit zu bezeugen? Der Professor hat viele andere und weit wichtigere Dinge als solche zu lernen, und wenn er auch von den Umgangsformen gehört haben sollte, die gerade in Mode sind, so würde er sich doch mit vollem Recht über ihre Befolgung hinwegsetzen. Sein Alter und sein Stand verlangen nicht, daß er sich ihnen unterwirft; sie verlangen im Gegenteil, daß er sie nicht befolgt. (…). Ich antworte zweitens, daß es nicht wahr ist, daß man aus einem Buch all die Worte verbannen muß, die man in Anwesenheit ehrbarer Frauen nicht auszusprechen wagen würde. Als Zeugen führe ich einen Mann an, der die Sitten bei Hofe kennt. Es handelt sich um Herrn de Saint Olon. Er hätte in einer ernsthaften Unterhaltung vor Frauen dasjenige nicht mitteilen wollen, was er über die Hochzeitsgebräuche der Afrikaner geschrieben hatte.64 Es hat mehrere Gründe, daß man sich in einem Buch bei weitem größere Freiheiten erlauben kann, als in einem mündlichen Gespräch. Eine Obszönität, die man ehrenhaften Frauen in guter Gesellschaft ins Gesicht hinein sagt, bringt sie in große Verlegenheit. Sie können sich vor so einem schockierenden Streich nicht schützen; steht es doch nicht in unserer Macht, dasjenige zu verstehen oder nicht zu verstehen, was man in unserer Muttersprache zu uns sagt. Trifft man unvermutet auf einen nackten Mann oder auf ein unzüchtiges Bild, so kann man sich schützen; man kann sich sofort abwenden oder die Augen schließen, aber man hat nicht dieselben Möglichkeiten, einem Sprecher den Mund zu stopfen. Die Scham, die eine obszöne Vorstellung hervorrufen kann, ist noch viel stärker, wenn man von Zeugen umgeben ist, die beobachten, ob man die Fassung bewahrt. Die Verwirrung und die Verlegenheit, in der sich eine ehrenhafte Frau befindet, ist ein unangenehmer Zustand; die 64

In seiner Relation de Maroc, Paris 1695.

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Natur selbst leidet dabei. Weil man so nicht vor Frauen zu sprechen pflegt, die man achtet und für tugendhaft hält, sondern nur vor solchen, von denen man eine schlechte Meinung hat, erhebt sich außerdem eine Zornesregung in ihrer Seele. Nichts von alldem trifft auf ein Buch zu. Es hängt nur vom Leser ab, dasjenige zu lesen oder nicht zu lesen, was nach seinem Geschmack nicht züchtig genug ist. Man kann z. B. leicht voraussehen, daß der Artikel über die Kurtisane Laïs in meinem Dictionnaire viele Zitate bringen wird, die unanständige Fakten zum Inhalt haben; man lese ihn also nicht. Man lasse sich diese Stellen von vertrauenswürdigen Personen kennzeichnen, bevor man sich an die Lektüre macht; man bitte sie, diejenigen Passagen zu markieren, die man besser überspringt. Darüber hinaus ist eine Frau, die alleine ein Buch liest, nicht den Blicken einer Gesellschaft ausgesetzt, die am meisten dafür verantwortlich sind, daß sie in Verlegenheit gerät und die Fassung verliert;65 und weil ein Autor sich niemals an eine bestimmte Person wendet, hält sie sich weder für verachtet noch für beleidigt. »Aber schließlich«, wird man zu mir sagen, »kann Euch nicht entgangen sein, daß es gegenwärtig viele Frauen gibt, die Bücher lesen. Ihr durftet Euch nicht mit dem zufrieden geben, was Ihr ›gewöhnliche Höflichkeit‹ nennt; Ihr mußtet die zartsinnigste und strengste Höflichkeit erreichen, damit das schöne Geschlecht auf nichts stößt, was die Phantasie beschmutzen könnte.« Meine Antwort lautet, daß ich mich den Regeln der Puristen, die dem Geschmack der Preziösen am nächsten kommen, von Herzen gern unterworfen hätte, wenn es durch die Beobachtung dieser strengen Höflichkeit möglich gewesen wäre zu verhindern, daß man in meinem Dictionnaire auf dergleichen stieße. Aber ich habe klar gesehen, daß auch das größte Zartgefühl außerstande ist, beim Leser das Aufkommen jedweden Bildes von einem obszönen Gegenstand auszu65

Die schamhaftesten Personen empfinden, wenn sie alleine sind, keine Scham über den Zustand, in dem sie sich befinden, wenn sie das Bett verlassen. Aber sie würden sich schämen, wenn andere sie dabei sähen.

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schließen. Das wird man mir nicht leicht glauben, wenn ich es nicht mit letzter Deutlichkeit als wahr erweise.

Die zartsinnigsten Ausdrücke beschmutzen die Einbildungskraft genauso wie die allergröbsten Hierzu muß ich nur diesen einzigen Satz beweisen: »Die allergröbsten wie die allerehrenhaftesten Ausdrücke, deren man sich zur Bezeichnung einer schmutzigen Sache bedienen könnte, zeichnen sie beide gleichermaßen lebhaft und deutlich in der Einbildungskraft des Autors wie des Lesers ab.« Das scheint zunächst ein großes Paradoxon zu sein, aber dennoch kann man es für jedermann anhand eines allgemein bekannten Sachverhalts einleuchtend machen. Stellen wir uns eine der Begebenheiten vor, die gelegentlich einer ganzen Stadt zur Unterhaltung dienen: eine kurz bevorstehende Hochzeit, die plötzlich durch Einspruch von dritter Seite verhindert wird. Diese Dritte ist ein schwangeres Mädchen, das verlangt, daß der Ehevertrag, den ihr Liebhaber mit einer anderen schließen will, für ungültig erklärt wird. Nehmen wir an, daß eine sehr ehrbare Frau, die nur ganz allgemein von dem Einspruch gehört hat, wissen möchte, worauf dieses Mädchen ihn gründet. Man könnte ihr auf hundert verschiedene Weisen antworten, ohne sich der Ausdrücke zu bedienen, die ein Lastenträger oder ein Wüstling in solchen Fällen verwendet. Man könnte zu ihr sagen, »sie hat das Unglück gehabt, schwanger zu werden«, »er hat sein Vergnügen mit ihr gehabt«, »er hat ihre Gesellschaft gehabt«, »sie haben sich aus der Nähe gesehen«, »sie haben Umgang miteinander gehabt«, »er hat ihre größte Gunst genossen«, »sie hat ihm ihr Kostbarstes dargeboten, die Folgen beweisen es«, »man kann nicht auf ehrbare Weise sagen, was sich zwischen ihnen abgespielt hat, keusche Ohren würden darunter leiden«, »sie ist verpflichtet, ihre Ehre wiederherzustellen«. Es ließen sich mehrere andere noch besser eingekleidete Sätze finden, um auf die Frage jener ehrbaren Frau zu antworten, aber sie würden alle in ihrer Einbildungskraft ein

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ebenso kräftiges Bild der schmutzigen und viehischen Handlung malen, welche die Schwangerschaft dieses Mädchens verursachte, wie es Michelangelo nur auf Leinwand hätte malen können. Und wenn diese ehrbare Frau zufällig den schmutzigen Ausdruck gehört haben sollte, den ein Wüstling verwendet hätte, um einem anderen das, was passiert war, ins Ohr zu flüstern, so würde sie keine deutlichere Vorstellung von der Sache haben. Niemand, so keusch er auch sein mag, kann dies aufrichtig abstreiten, wenn er sich die Mühe machen will zu untersuchen, was in seinem Geist vor sich geht. Es ist also gewiß, daß die allerehrenhaftesten und die allergröbsten Ausdrücke die Einbildungskraft gleichermaßen beschmutzen, wenn der mit ihnen bezeichnete Gegenstand eine schmutzige Sache ist. (…). »Aber wie kommt es dann«, wird man mir entgegenhalten, »daß eine ehrenhafte Frau sich nicht an eingekleideten Ausdrücken stößt, sich aber über einen zotigen Ausdruck entrüstet?« Ich antworte, daß dies wegen der zusätzlichen Vorstellungen der Fall ist, die ein solches Wort begleiten, einen eingekleideten Ausdruck aber nicht. Die offensichtliche Unverschämtheit der Leute, die sich wie Lastenträger ausdrücken, sowie ihr mangelnder Respekt stellen den wahren Grund dar, weshalb man sich entrüstet. Ihr Ausdruck besteht aus drei Begriffen; der eine ist der unmittelbare und hauptsächliche, die beiden anderen sind mittelbar und nebensächlich. Der unmittelbare Begriff stellt die Schmutzigkeit der Sache dar, und er stellt sie nicht deutlicher dar, als es der Begriff eines anderen Wortes könnte. Aber die mittelbaren und nebensächlichen Begriffe drücken die Einstellung des Sprechers aus, seine Roheit, seine Verachtung für die Zuhörer, seine Absicht, eine Frau von Ehre zu brüskieren.71 Das ist es, was empört. Nicht als Keusche hält sie sich für beleidigt, denn unter diesem Gesichtspunkt kann sie nur der Gegenstand selbst beleidigen, der die Einbildungskraft beschmutzt. Folglich ist es nicht dieser Ge71

Man vergleiche hiermit oben Beleg (36) des Artikels BEZE, in dem ich L’art de penser zitiere. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg. 

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genstand, der sie beleidigt, weil sie sich nicht über ihn erzürnt haben würde, wenn sie von ihm mittels anderer Ausdrücke ein Bild erhalten hätte, welche seine Obszönität in der Tat ebenso real bezeichnen wie der schmutzige Ausdruck. Sie erzürnt sich also aus anderen Gründen, nämlich wegen der Unhöflichkeit, die man ihr bezeugt. So kommt es, daß sich galante Damen sehr oft heftiger als ehrbare Frauen gegen diejenigen ereifern, die ihnen Unanständigkeiten sagen, denn sie nehmen das für eine Beleidigung und schwere Beschimpfung. Nicht die Liebe zur Keuschheit treibt sie an, sondern der Stolz und der Wunsch nach Rache. Und wenn sich Frauen von Ehre über eine grobe Obszönität erzürnen, so tun sie das aus sehr vernünftiger Eigenliebe heraus. Denn die Vernunft verlangt, daß sie auf eine Beleidigung empfindlich reagieren, die den Respekt verletzt, der ihrem Geschlecht gezollt wird; und die Vernunft verlangt außerdem, daß sie auf ihren guten Ruf achten – was sie nicht täten, wenn sie es geduldig hinnähmen, daß man mit ihnen in derselben Weise spräche wie mit Frauen, die ein anrüchiges Leben führen. Damit dürfte bewiesen sein, daß es nicht möglich war, in diesem Dictionnaire alles auszuschließen, was die Einbildungskraft beschmutzt. Man beschmutzt sie zwangsläufig, gleichgültig auf welche Weise man mitteilt, daß Heinrich IV. uneheliche Kinder hatte.

Die Unmöglichkeit, Dinge fernzuhalten, welche die Einbildungskraft beschmutzen Es steht also fest, daß es ausreicht, wenn ich mich in den Grenzen der gewöhnlichen Höflichkeit bewege. Wenn jemand eine so große Liebe zur Sittenreinheit hätte, daß er nicht nur wünschte, es möge sich in seiner Seele niemals irgendeine unanständige Begierde regen, sondern auch, daß niemals irgendeine obszöne Vorstellung in seine Einbildungskraft gelangte, so könnte er niemals sein Ziel erreichen, außer er verlöre Augen und Ohren und die Erinnerung an eine Unzahl von Dingen, die

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er nicht vermeiden konnte zu sehen und zu hören. Man darf eine derartige Vollkommenheit solange nicht anstreben, wie man sowohl Menschen als auch Tiere sehen kann und weiß, was bestimmte Worte bedeuten, die zwangsläufig in die Sprache eingegangen sind. Daß wir gewisse Vorstellungen haben, wenn ein bestimmter Gegenstand unsere Sinne reizt, hängt nicht von unserem Willen ab; sie prägen sich unserer Einbildungskraft ein, ob wir wollen oder nicht. Sie zu haben, tut der Keuschheit keinen Abbruch, vorausgesetzt, daß das Herz sich von ihnen distanziert und sie mißbilligt. Wenn es zur Keuschheit erforderlich wäre, daß keine unreine Vorstellung die Einbildungskraft berührte, dann müßte man sich davor hüten, zur Kirche zu gehen, wo ja die Unkeuschheit getadelt und lange Listen von Hochzeitsaufgeboten verlesen werden. Man dürfte niemals die Liturgie hören, weil in ihr vor der gesamten Gemeinde der Hochzeitstag bekanntgegeben wird. Man dürfte niemals die hl. Schrift lesen, die das vorzüglichste aller Bücher ist, und man müßte alle Unterhaltungen, in denen über Schwangerschaften, Entbindungen und Taufen gesprochen wird, wie verpestete Orte fliehen. Die Einbildungskraft ist nämlich so behende, daß sie mit außerordentlicher Schnelligkeit von der Wirkung zu den Ursachen eilt. Sie findet diesen Weg so gebahnt, daß sie von einem Ende zum anderen gelangt, bevor die Vernunft Zeit hatte, sie zurückzuhalten. (…).

Die zweite Frage. Man kann sich nicht darüber beklagen, daß es tadelnswerte Obszönitäten in diesem Buch gibt, insofern sie in den berichteten Fakten selbst bestehen Das ist es, was ich zu der ersten der beiden Fragen zu sagen hatte, die ich erörtern mußte. Ich hoffe, daß man die ganze Stärke meiner Rechtfertigung deutlich erkennen wird und mir zustimmt, daß, wenn es in meinem Dictionnaire irgendwelche tadelnswerten Obszönitäten gibt, sie nicht den von mir verwendeten Ausdrücken entstammen, wenn ich in eigener Sache

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spreche. Wir wollen jetzt sehen, ob sie in den Dingen selbst liegen, gleichgültig ob ich die Worte der Autoren selbst angeführt oder nur ihren Sinn wiedergegeben habe. Das ist die zweite Frage, die ich mir vorgenommen habe zu erörtern. Man kann diese Frage nur unter folgenden Voraussetzungen bejahen: 1) daß ein Historiker verpflichtet ist, alle unreinen Handlungen zu unterdrücken, auf die er im Leben von Fürsten wie von Privatpersonen stößt; 2) daß ein Moralist, der die Unsittlichkeit verdammt, niemals irgend etwas ausdrücklich erwähnen darf, was das Schamgefühl verletzt. Die Puristen, von denen ich oben so viel geredet habe, müssen diese Voraussetzungen zwangsläufig annehmen, und sicherlich hat es immer viele Leute gegeben, welche die Geschichten und die Schmähreden verdammt haben, in denen die zersetzenden Auswirkungen der Unkeuschheit in abscheulichen Bildern zur Darstellung gelangen. Wenn unsere Puristen den Tadel vermeiden wollen, inkonsequent zu räsonieren und heute die Maximen aufzugeben, zu denen sie morgen schon zurückkehren werden, so müssen sie beide von mir benannten Voraussetzungen einräumen. Sie müssen sagen, 1) daß ein Historiker schlicht feststellen muß, daß Karl der Große und die beiden Johannas von Neapel sowie Heinrich IV. nicht keusch gelebt haben; 2) daß ein Prediger und ein Beichtvater sowie jeder andere Mensch, der eine Reform der Sitten wünscht, in schlichten Worten und ganz allgemein die Zerrüttungen der Unzucht tadeln muß. (…). In allen Jahrhunderten hat es Puristen dieser Art gegeben, aber es hat auch immer sehr bedeutende Autoren gegeben, die sich über die Skrupel und die Phantastereien dieser Leute lustig gemacht haben (…). Unter den Anhängern der anti-puristischen77 Partei gab es nicht nur zwei oder drei Autoren von Gewicht; zu Hunderten ließen sie sich anführen, und sie können sich auf das entscheidende Beispiel der von Gott inspirierten

77

So nenne ich der Kürze halber diejenigen, die sich über die sogenannten Zartsinnigkeiten der Puristen lustig machen.

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biblischen Schreiber berufen.78 Wenn man das Buch Genesis durchgeht, so findet man, daß Moses uns ohne alle Umschweife erzählt, daß zwei Mädchen zunächst ihren Vater betrunken machten, dann mit ihm schliefen und Kinder von ihm hatten;79 daß Dina, die Tochter Jakobs, geschändet wurde;80 daß Juda, der Sohn desselben Patriarchen, sich auf offener Straße mit einer Frau besudelte, die er für eine Prostituierte hielt, die aber seine Schwiegertochter war und ihn sehr wohl erkannte;81 daß ein Sohn von Juda …82 und daß Ruben, der ältere Bruder von Juda, Inzucht mit einer Frau seines eigenen Vaters beging.83 Das Buch Leviticus enthält mehrere Dinge, die man in einer protestantischen Kirche nicht wagen würde, laut zu verlesen. Das Buch Richter berichtet eine abscheuliche Tat.84 Die Propheten haben zur Darstellung der Schändlichkeit der Unkeuschheit die allerstärksten Ausdrücke verwendet. Man lese auch die Beschreibung der Hure in der Apokalypse. Die Propheten haben Gleichnisse verwendet, welche die protestantischen Prediger sich nicht in ganzer Vollständigkeit zu berichten trauen. (…). Hat der hl. Paulus in seinem Brief an die Römer85 etwa die Behutsamkeit walten lassen, die unsere Puristen für keusche Ohren fordern? Beschreibt er nicht auf eine ebenso kräftige wie unverblümte Weise die abscheuliche Sittenlosigkeit der Heiden? Wenn man mir einwendet, die heiligen Schriftsteller hätten besondere Privilegien besessen, sunt superis sua jura, so muß ich dem entgegenhalten, daß nicht nur die gewichtigsten

Man sehe oben Beleg (18) des Artikels SFORZA, Catharina. Nicht aufgenommen in diese Sammlung. Hgg.  79 Genesis, Kap. 19. 80 A. a.O., Kap. 34. 81 A. a.O., Kap. 38. 82 Ebd. Ich kann das von Moses berichtete Geschehen nicht auf Französisch wiedergeben. 83 A. a.O., Kap. 49, Vers 4. 84 In Kap. 19. 85 In Kap. 1. 78

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Schriftsteller des Heidentums, sondern auch die alten Kirchenväter mit eben derselben Freiheit geschrieben haben. (…). Es ist für mich ausreichend, daß das Verhalten der Historiker oder der Kritiker, die Obszönitäten berichten, nicht nur erlaubt und durch einen ununterbrochenen Gebrauch autorisiert, sondern auch sehr gut ist. Denn wenn diese Autoren legitimerweise schreiben konnten, was sie geschrieben haben, so durfte ich sie nachahmen und sie legitimerweise zitieren. Das genügt mir. Mag untersuchen, wer will, ob ich besser daran getan hätte, mich auf ganz andere Weise zu verhalten. Das Recht, dasjenige zu zitieren, was ich angeführt habe, beruht auf zwei Gründen. Zum einen, daß, wenn es aller Welt erlaubt ist, Catull, Martial usw. zu lesen, dann auch einem Schriftsteller erlaubt ist, aus diesen Dichtern die ihm passend erscheinenden Passagen anzuführen; zum anderen, daß, wenn es den Historikern erlaubt ist, eine unsaubere Tat Caligulas zu berichten, dann auch einem Schriftsteller erlaubt ist, einen Gedanken oder eine obszöne Bemerkung aus Montaigne oder Brantôme anzuführen. Denn diese Bemerkung ist eine bei weitem nicht so kriminelle Tat wie es die Schandtaten Caligulas sind. Wer das Recht zum Größeren hat, hat auch das Recht zum Kleineren, und es wäre widersprüchlich oder absurd zwar zu gestatten, daß Petronius, Sueton und die laszivsten Dichter gedruckt und mit Anmerkungen zur Erklärung der gröbsten Obszönitäten öffentlich verkauft werden, aber dem Verfasser eines kommentierten historischen Wörterbuchs zu verbieten, sich einer Passage aus diesen Schriftstellern zur Bestätigung oder Erhellung irgendeiner Sache zu bedienen.

Antwort auf drei Einwände Wir wollen an dieser Stelle drei Einwände untersuchen, die man gewöhnlich erhebt. Man sagt, 1) daß ein Arzt oder ein Kasuist durch die Natur seines Stoffes gezwungen ist, viel Schmutz aufzuwirbeln, aber daß mein Werk nichts dergleichen

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verlangt; 2) daß diejenigen, die auf Latein schreiben, sich Freiheiten herausnehmen dürfen, die unsere Sprache nicht gestattet; 3) daß das, was in früheren Jahrhunderten erlaubt gewesen ist, in unserem wegen seiner ungeheuerlichen Verderbnis verboten werden muß. Auf die erste dieser drei Schwierigkeiten können nur Leser kommen, die keinerlei Kenntnis von der Eigenart meines Buches haben. Es ist keins der Bücher, die Titel tragen wie Historischer Blumenstrauß, Blütenreigen beispielhafter Taten, Historischer Garten, Zierbänder der Geschichte, in die man nur das hineinbringt, was man will. Es handelt sich um ein kommentiertes historisches Wörterbuch. Die Kurtisane Laïs muß darin ebenso ihren Platz finden wie Lucretia; und weil es ein Wörterbuch ist, das nach mehreren anderen erscheint, muß es hauptsächlich dasjenige bieten, was die anderen ausgelassen haben. Man muß darin nicht nur einen Bericht wohlbekannter Taten liefern, sondern auch eine genaue Darstellung der weniger bekannten und eine Sammlung dessen, was sonst an verschiedenen Orten verstreut ist. Man muß Beweise anführen, sie untersuchen, bestätigen und erläutern. Kurzum, es handelt sich um ein kompiliertes Werk. Nun sollte es niemandem unbekannt sein, daß »ein Kompilator, der erzählt und kommentiert, je nach Anlaß all die Rechte eines Arztes oder Anwalts usw. hat. Er darf sich ihrer Worte und ihrer Fachausdrücke bedienen. Wenn er von der Scheidung von Lothar und Tetberga berichtet, so kann er Auszüge aus Hinkmar, dem Erzbischof von Reims, geben, der die Obszönitäten zu Papier gebracht hat, die im Verlauf des Prozesses ans Tageslicht kamen.«97 (…). Ich könnte viele Theologen anführen, die, nachdem sie willkürlich ein bestimmtes Thema gewählt hatten, aus allen Quellen zitierten, was ihnen gerade gut erschien, selbst wenn es sich dabei um Dinge handelte, welche die Einbildungskraft beschmutzten. Ich nenne nur drei von ihnen (…); man wird bei

97

Diese Worte sind meinen Réfléxions sur un imprimé qui a pour titre »Jugement du public« usw., S. 4 entnommen.

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ihnen erschreckende Obszönitäten und abscheuerregende Zitate finden. Man wird mir entgegenhalten, diese Werke seien lateinisch geschrieben. Das ist die zweite Schwierigkeit, die ich auflösen muß, und ich werde mühelos ihre Nichtigkeit darlegen. Denn ein schmutziger Gegenstand verletzt das Schamgefühl nicht weniger, wenn er sich auf Latein in der Seele derjenigen abmalt, die diese Sprache verstehen, als wenn er sich auf Französisch in der Seele derjenigen abmalt, die das Französische verstehen; und wenn es eine verdammenswerte Sache ist, obszöne Gegenstände in seine eigene Einbildungskraft und die seiner Leser zu bringen, so wären diese drei von Bayle oben genannten Geistlichen nicht zu entschuldigen. Sie hatten verstanden, was sie schrieben, und sie haben es für alle ihre Leser verständlich gemacht. Folglich haben sie ihren Geist beschmutzt, und sie beschmutzen Tag für Tag die Einbildungskraft derer, die ihre Werke lesen. Aber wäre es nicht sehr ungerecht, wenn man ihnen diesen Vorwurf machen wollte? Folglich darf man auch denjenigen keinen Vorwurf machen, die auf Französisch schreiben, denn auch sie tun nichts anderes, als zu verstehen, worüber sie schreiben, und es ihren Lesern verständlich zu machen. Ich weiß, daß man zwei Unterschiede anführen wird. Zum einen, daß nicht so viele Leute das Lateinische wie das Französische verstehen; zum anderen, daß die Lateinkundigen besser als die anderen Menschen gegen den bösen Einfluß unanständiger Dinge gewappnet seien. Hier sind drei Antworten darauf. Ich sage erstens, daß zu viele Leute in ganz Europa Latein verstehen, als daß dieser erste Unterschied jemals ausreichen könnte, um diejenigen zu entschuldigen, die in dieser Sprache Obszönitäten berichten oder zitieren; das Übel wäre immer noch groß und sogar sehr groß. Ich sage zweitens, daß das Studium die Widerstandskraft Gegenständen gegenüber, welche die Einbildungskraft beschmutzen, nur langsam wachsen läßt; und so wären Auswirkungen der lateinischen Obszönitäten auf die Studenten immer noch sehr zu befürchten. Allgemein gesprochen sieht man kaum, daß sie keuscher und weniger ver-

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dorben wären als die anderen jungen Männer. Schließlich sage ich, daß die meisten meiner Leser studiert haben, denn unstudierte Leute finden kaum Gefallen an einem Buch, das wie dieses hier mit griechischen und lateinischen Passagen gespickt ist. Jedenfalls können sie von den schlimmsten Obszönitäten gar nichts verstehen, weil sie auf Latein sind. Ich schließe, daß, wenn etwas Sinnvolles in den Unterschieden liegt, die man mir einwendet, ich in der Lage bin, es mir zunutze zu machen. Kommen wir zur dritten Schwierigkeit. Sie betrifft die außerordentliche Verderbnis unserer Zeit. Wir haben, so heißt es, sowohl die Ehrbarkeit der Sitten wie die Reinheit der Sprache verloren. Worte, die ehemals anständig waren, sind es nicht mehr. Man muß an ihrer Stelle andere verwenden, die ausschließlich anständige Vorstellungen hervorrufen; andernfalls würde man noch das wenige an Tugend verlieren, das sich erhalten hat. Ich werde nicht die Frage untersuchen, ob man zu Recht behauptet, die gegenwärtige Zeit sei verdorbener als die unserer Vorfahren.103 Diese Klagen hat man schon immer erhoben,104 und das muß uns mißtrauisch machen. Es fällt mir schwer zu glauben, daß die Verderbnis unserer Zeit so groß sein sollte wie die zur Zeit der Herrschaft von Karl IX. oder Heinrich III. Aber streiten wir uns nicht darüber, machen wir Gebrauch von dem dato non concesso zugestanden, aber nicht eingeräumt  der Logiker und setzen wir einmal voraus, das Behauptete träfe zu. Ich ziehe daraus die genau entgegengesetzte Folgerung, denn es ist niemals so erforderlich, die Abscheulichkeit des Verbrechens nachdrücklich und lebhaft darzustellen, wie in Zeiten, in denen es die größten Verwüstungen

103

Ich will sogar zugestehen, daß bestimmte Arten von Leuten verderbter sind als früher. Das ist es, was ich mit den folgenden Worten von Seite 3 meiner Réfléxions sur un imprimé qui a pour titre  le »Jugement du public« gemeint habe: »Wir wollen weiser erscheinen als unsere Väter und sind doch weniger weise als sie.« 104 Man sehe hierzu eine schöne Stelle in Bd. III der Mêlanges von Vigneul Marville.

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anrichtet; und es ist ein untaugliches Mittel, den Lauf der Unanständigkeiten mit sanften Worten aufhalten zu wollen und sich nicht zu getrauen, Prostituierte mit einem Abscheu erweckenden Wort zu bezeichnen. Außerdem, wenn die Verderbnis so groß ist, wozu hat dann die zartsinnige Wortwahl genutzt, die nach der Berechnung von Chevreau seit sechzig Jahren im Französischen vorherrscht? Ist das nicht ein Zeichen dafür, daß die Ächtung angeblich grober Begriffe nichts gebessert hat? Und wer hat überhaupt gesagt, daß man sie ächten muß, wenn man die Schamhaftigkeit nicht völlig zugrunde richten will? Hat man die Frauen befragt, derentwegen man hauptsächlich auf die Verwendung solcher Ausdrücke verzichten will? Haben sie bekannt, daß dies die Ausdrücke sind, die eine große Gefahr für ihre Ehre bedeuten? Würden sie nicht vielmehr sagen, es sei eine Verleumdung zu glauben, sie könnten einer Vorstellung oder einem Ausdruck nicht widerstehen? Würden sie nicht sagen, daß sie deshalb eine Sprache wünschen, die weniger reich an Unanständigkeiten ist, damit man sich einen zutreffenderen Begriff von ihrer Tugend macht, die ein ausgeprägteres Empfinden für die Schamhaftigkeit besitzt, als ihre Großmütter hatten? Die Frauen fürchten also die schmutzigen Begriffe nicht als etwas Verführerisches; sie würden ihre Schamhaftigkeit nur stärker werden lassen. Sie nehmen nur die Unhöflichkeit und die Grobheit übel, die sie in gewissen Worten finden. Wer behauptet, man müsse sich angesichts der unendlichen Verderbtheit unserer Zeit aller sogenannten groben Darstellungen enthalten, ähnelt einem Reisenden, der verhindern will, daß sein mit Kot bedeckter Mantel schmutzig wird, und deshalb darauf achtet, ihn nicht in ein verrauchtes Zimmer zu hängen. Wenn die Verderbnis des Herzens schon so groß ist, daß die Lektüre einer unanständigen Geschichte junge Leute zum Ehebruch bringen kann, dann ist es sicherlich mit ihnen wie mit Pestkranken, deren Zustand man dadurch zu verschlimmern fürchtet, daß man sie neben Aussätzige legt. Ein höflicher Stil und zartsinnige Umschreibungen werden solche Leute weder heilen noch vor dem Sturz ins Verderben bewahren.

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Gewiß wird man hier das Sophisma anführen a non causa pro causa nicht die wahre Ursache der Angelegenheit benennen . Hiervon hängt das Schicksal der Keuschheit nicht ab, so gelangt man nicht zum Ursprung des Übels. Ganz andere Heilmittel sind hier erforderlich. Schon bevor man Sueton gelesen hat, ist man von Obszönitäten ganz durchdrungen und hat längst, wenigstens in Worten, einen ganzen Kurs an Unanständigkeiten und Zoten hinter sich gebracht. Die unanständigen Gespräche, die kein junger Mann vermeiden kann, der nicht beständig unter Aufsicht steht, richten tausendmal mehr Übel an als die unanständigen Geschichten. (…). Es gibt hier keinen Mittelweg. Entweder darf ein Buch keinerlei Unanständigkeiten erwähnen, oder unsere Kritiker müssen zugeben, daß deren Erwähnung stets gefährlich ist, gleichgültig wie zartsinnig sie geschrieben sein mögen. Die eine Übersetzung mag gesitteter sein als die andere, aber wenn sie getreu sind, wird man in ihnen auf die unanständigen Bilder stoßen, die das Original enthält. (…).

Das inkonsequente Verhalten der Puristen Ich muß noch zwei Bemerkungen machen. Die erste lautet, daß unsere Puristen fast immer in der Hypothese billigen, was sie in der These verurteilen. Es sei mir gestattet, diese Ausdrücke der Rhetoriker hier zu verwenden. Man frage einen RömischKatholischen, der ein Feind der Quietisten ist, ob sich ein Historiker nicht von Dingen fernhalten müsse, welche die Einbildungskraft beschmutzen können. Er wird antworten, dies sei seine Pflicht. Man lasse einige Tage verstreichen und teile ihm dann mit, daß eine Darstellung des Quietismus erschienen sei, in der die abscheulichen Unflätereien der Anhänger des Molinos sehr detailliert geschildert werden. Man versichere ihm, daß man durch die Lektüre dieses Werks sehr schockiert worden sei und daß das Schamgefühl so etwas nicht dulde. Er wird antworten, es sei notwendig, die Abscheulichkeiten dieser falschen Frömmler aufzudecken, damit viele Leute, die einen

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Hang zum Quietismus haben, über ihren Irrtum aufgeklärt würden, und daß folglich der Verfasser des Berichts dafür gelobt werden müsse, daß er der Welt die schlimmen Taten dieser Sekte zur Kenntnis gebracht habe. (…). Hier ist meine zweite Bemerkung. Habe ich nicht gegen die schöne Vorschrift des Isokrates verstoßen »Glaubt, daß alles, was zu tun unehrenhaft ist, auch unehrenhaft zu sagen ist«?119 Und muß diese Vorschrift nicht als Gesetz für alle Christen gelten, weil der hl. Paulus will, daß Schmutziges unter ihnen nicht einmal ausgesprochen werden soll?120 Ich antworte, daß dieser ausgezeichnete Grundsatz nur die schlimme Gewohnheit verurteilt, die unter jungen Leuten sowie unter verheirateten Männern herrscht, bei jedem Anlaß von ihren unzüchtigen Vergnügungen zu sprechen und sich auf unverschämte Weise über alles zu unterhalten, was zu dieser Art Wollust gehört. Zumindest ist ganz sicher, daß dieser große Apostel keineswegs verbieten wollte, auf ernsthafte und ehrenhafte Weise oder aus historischem Interesse über eine unsittliche Handlung zu sprechen. Er hat den Vätern und Müttern nicht die Freiheit genommen, ihren Kindern die biblischen Geschichten abzufragen und sie vortragen zu lassen, daß sie behalten haben, daß Jakobs Tochter geschändet wurde, daß ein Sohn Davids seine eigene Schwester schändete usw. Nichts ist verwerflicher als diese Tat von Davids Sohn. Es ist jedoch keineswegs verwerflich, sie zu erzählen, über sie zu predigen oder sie zu drucken. Hätte der hl. Paulus verbieten können, sie zu erwähnen? Wollte er die Lektüre der Bibel untersagen? Wollte er nicht vielmehr, daß seine Briefe gelesen würden und daß selbst die Kinder wissen sollten, was er über das abscheuliche Leben der Heiden an die Römer geschrieben hatte? Man müßte ein Narr sein, um sich einzubilden, die Vorschrift des Isokrates bedeute, ein Schüler dürfe niemals weder seinem Lehrer, noch seinem Vater gegenüber Rechenschaft über seine Lektüre der Ilias hin-

119 120

Isokrates an Demonicus, S. 6 meiner Ausgabe. Epheser 5, 4.

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sichtlich der Stellen ablegen, wo von den Ehebrüchen der Götter die Rede ist. Wenn man den Streit bis aufs Messer fortsetzen wollte, könnte man anführen, daß es zwar ehrlos ist, zu stehlen, zu verraten, zu lügen und zu töten, daß es aber keineswegs ehrlos ist, derartige Verbrechen zu erwähnen. Doch da es klar ist, daß die Vorschrift des Isokrates nur die Sünden gegen die Keuschheit betrifft, wäre es reine Spitzfindigkeit, ihm diesen Einwand zu machen. Die Kyniker und die Stoiker haben ihn zur Rechtfertigung ihres Lehrsatzes benutzt, es gebe kein einziges Wort, das schmutzig sei. Cicero widerlegt sie nur dadurch, daß er ein natürliches Schamgefühl annimmt.121 Es ist Zeit, diese lange Abhandlung zu beenden. Diese Materie ist schwieriger zu behandeln, als man meint. Ich hoffe, daß meine Rechtfertigung als überzeugend empfunden wird – nicht von denjenigen, die zu anmaßend sind, um erkennen zu können, daß man ihnen die Augen öffnet, sondern von denjenigen, die sich entweder auf das Zeugnis anderer hin oder durch schlecht begründete Argumente zu ihrer Meinung hinreißen ließen. Konnten sie sich, bevor ich diese vier Klarstellungen gegeben habe, noch damit entschuldigen, daß sie von trügerischem Schein geblendet waren, so dürfen sie ab jetzt nicht mehr auf Entschuldigung hoffen, falls sie sich hartnäckig auf ihren ersten Irrtum versteifen. Sie hätten besser daran getan, das Gebot Jesu Christi zu befolgen »Richtet nicht nach dem, was vor Augen ist, sondern richtet ein rechtes Gericht«.122 Sie haben sich auf den ersten Eindruck verlassen und haben nicht die Argumente beider Parteien abgewartet. Das ist immer erforderlich und besonders dann, wenn es darum geht, einen Schriftsteller zu beurteilen, der nicht den herkömmlichen Weg geht. Man muß zunächst annehmen, daß er seine Gründe hat und diesen Schritt nicht tun würde, wenn er nicht durch eine lange Prüfung seiner Materie ihre sämtlichen Aspekte mit größerer Sorgfalt betrachtet hätte, als diejenigen es tun, die 121 122

Cicero, De officiis, Buch I, Kap. 35. Johannes-Evangelium 7, 24.

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sich damit begnügen, ihn zu lesen. Diese wohlbegründete Annahme sollte den Leuten große Behutsamkeit und viel Geduld einflößen und für die Aufschiebung ihres Urteils sorgen. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Man kann nur hoffen, daß ihre künftigen Überlegungen besser sein werden. Ich will meine Leser noch darauf hinweisen, daß man an verschiedenen Stellen dieses Dictionnaire meine Apologie123 direkt bei den Dingen findet, die zärtliche Gemüter schockieren können.

123

Hauptsächlich hinsichtlich der Obszönitäten.

NAMENREGISTER

Die Register berücksichtigen ausschließlich den Text Bayles. Im Namenregister verweist ein hinzugefügtes »n« hinter der Seitenzahl auf eine Fußnote der genannten Seite. Abaelardus, Petrus 379, 652 Abigail 51 Abner 44, 55, 61 Abraham 2, 3, 471 Absalom 45, 53, 54, 54n, 56, 57, 58, 62, 63, 64, 64n Achilles 525, 543, 544 Achillini, Alessandro 233, 235 Achis 44, 49, 50, 52, 53, 65n Acindynus, Septimius 1-4 Adam 65, 193, 194, 200, 202, 203, 205, 206, 208, 214, 215, 221, 222, 330, 446, 465, 466, 470n, 500, 600, 601, 602 Äskulap 140 Äsop 198 Agamemnon 40 Agesilaos 260n Ainesidemos 290, 291 Alardus Amstelredamus 480, 481, 481n Albertus Magnus 376, 376n Alexander [der Epikureer] 376 Alexander der Große 109, 257, 365, 366 Alexander von Aphrodisias 235, 243, 243n Alkmene 126 Almamon 440, 441 Almansor 442 Amaulri 376

Ambrosius Victor [Pseud. für André Martin] 287 Ambrosius von Neapel 238, 240, 241 Amesius, Guilielmus 39 Ammon 46, 54, 54n Amyot, Jacques 29n, 30n, 32n, 497n Amyraut, Moyse 200n, 604 Anaxagoras 93, 131, 132, 291, 554 Anaxarchos 257 Anaximander 135, 453 Anaximenes 129, 130, 131, 132, 135 Antigonos von Karystos 258 Apollo 140 Apuleius 441, 441n Arcadius 343 Archelaos 453, 453n Archestratos 27 Aretino, Pietro 643 Argyropulos, Johannes 442 Aristarch 67 Aristokles 486, 486n Aristoteles 5, 67, 76, 131n, 133n, 135n, 139, 139n, 226, 235, 236, 239, 240, 242, 243, 244, 274n, 280, 284, 298, 382, 398n, 400n, 423, 426n, 430, 430n, 435n, 438, 454, 454n, 455, 455n, 457, 457n, 460, 486n, 487, 487n,

Namenregister 491, 491n, 492, 492n, 493, 494, 494n, 498, 504, 505, 506n, 511, 517, 518, 518n, 520, 520n, 522, 522n, 523, 524, 525, 526, 529, 530, 532, 541, 553n, 554, 554n, 560n, 565, 565n, 578n, 594, 628 Arkesilaos 31, 32, 257, 260, 494n Arnauld, Antoine 82, 127n, 168, 206n, 245, 250, 250n, 251, 252, 252n, 253, 262n, 293, 293n, 294n, 450, 451, 451n, 549, 549n, 550, 551, 551n, 552, 556, 557n, 559, 559n Arnobius 40, 40n, 41, 124n, 125, 126, 127, 213, 213n, 214, 291, 292, 354, 355, 418, 418n Arriaga, Rodrigo de 438, 439n, 530, 530n, 544n Arrian 26 Athenäus 453 Atticus, T. Pomponius 67, 68 Augustinus, Aurelius 1, 1n, 2, 3, 4, 87, 87n, 110, 110n, 115, 115n, 130, 130n, 157, 174, 174n, 177, 207, 211, 215n, 286, 287, 287n, 288, 289, 377n, 451, 573, 603, 606 Augustus 479 Averroës 239, 326, 504, 508 Avicenna 504 Bachalarius, Hieronymus Fornarius 235 Baïf, Lazare de 12, 14n Baillet, Adrien 304n Balzac, Guez de 260n, 345,

681

345n, 346, 627, 627n, 628, 629 Baranzan, Redemptus 6 Bari, Kardinal de 5 Baronius, Caesar 7, 7n, 442 Barthius, Caspar von 346, 346n Bartholomäus von Pisa 235 Bartolocci, Giulio 46, 46n Bartolus, Daniel 209 Basilius der Makedonier 189 Basnage de Beauval, Henri 157n, 172n, 282, 598n Bath-Seba 45 Bayle, François 328 Bayle, Pierre passim Beaulieu, Louis le Blanc de 187n Beauval, s. Basnage Bellarmin, Roberto 35, 36, 37, 38 Bembo, Pietro 241 Berigardus, Claudius 499n, 500n, 503 Bernard, Jacques 325, 325n, 327, 327n Bernier, François 314n, 378, 379n Bernoulli, Jakob od. Johann 374n Bernoulli, Jakob 23 Bernoulli, Johann 23 Bertius, Petrus 607 Bespier, Sieur de 375n Beze, Theodore 147n, 644, 645, 650 Biel, Gabriel 510, 510n Blaurer, Ambrosius 142 Blefkenius, Dithmarus 120, 121, 122 Blois, Pierre de 635 Blyenberg, Willem van 437n Boccaccio, Giovanni 643, 644

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Namenregister

Boethius 212n, 353, 408n, 461n, 513n Bonamicus, Lazarus 19 Bonaventura [= di Fidanza, Giovanni] 60n Bonfadino [=Bonfadius, Pietro?] 6 Bonfadius, Giacomo 5-11 Bossuet, Jaques-Bénigne 157n, 189n, 477, 478n Bouhéreau, Élie 320n, 588n Bouhours, Dominique 662 Brahe, Tycho 120 Brantôme, Pierre de Bourdeille 652, 671 Bredenburg, Johann 369, 386, 386n, 387, 388 Brillon, Pierre Jacques 509, 509n Browne, Thomas 635, 636, 636n, 637 Brueys, David Augustin de 450n Bunel, Pierre 12-20 Burgersdijk, Franco 398n Burnet, Gilbert 599, 599n, 600, 600n Caelus 136 Cäsar 63, 331, 332, 334, 335, 336, 337, 365, 366 Cajetan, Thomas de Vio 232, 243 Caligula 8, 209n, 417, 607, 671 Calixt, Georg 180n, 181, 182, 183 Calvin, Johann 207, 222, 271, 271n, 304n, 592, 602, 603, 604, 604n, 607 Canius Julius 7, 7n Cano, Melchior 232n Capella, Jean Antoine 322 Capreolus, s. Chevreuil, Jaques

Caramuel y Lobkowitz, Juan 379n, 513n Casa, Johannes 238n Casaubon, Meric 462, 462n, 463 Caselius, Joannes 180 Castor 97n Catilina 63 Catius 21-23 Cato 110 Catull 642, 646, 651, 671 Cavacia, Elisabeth 498 Celsus 136, 173, 319, 320, 320n, 321, 588 Ceres 129 Chabot, Pierre 21 Chairestrate 81 Chambre, Marin Cureau de la 294, 559n Chandon, Reynold 14 Chanet, Pierre 294n Charles, André 607n Charpentier, François 125 Charron, Pierre 294, 452n, 569 Charybdis 103n Chassaneé [=Chasseneux, Barthélemy de] 281 Cherbury, Edward Herbert von 389n Chevreau, Urbain 675 Chevreuil, Jaques 528n Choisy, François Timoléon de 45, 48, 49, 49n, 55n, 60n Chryseïs 40 Chrysipp 24-39, 89, 115, 136 Chrysis 40-41 Chrysostomos 2 Cicero 21, 67, 68, 68n, 69, 70, 70n, 84n, 85n, 86n, 87n, 89, 89n, 129n, 130, 130n, 135n, 136, 136n, 137, 137n, 138n,

Namenregister 140n, 178, 178n, 208n, 212n, 229n, 298, 345, 352n, 377n, 389, 405, 405n, 441n, 454n, 455n, 456, 456n, 457, 457n, 468, 475n, 490, 492, 492n, 678, 678n Cinna 352n Cittadin, Antoine 294 Claude, Jean 170, 171, 171n Claudian 344, 345, 346, 347, 348, 350, 351, 352, 353, 354, 631n Clavius, Christoph 524n Clemens VII. 280 Clemens VIII. 605, 606 Clemens von Alexandria 40, 41, 41n, 127, 292, 455n, 459, 459n Columera 161n Comargo [Oberst] 144 Comes, Natalis 124n Conan, François 322 Condé, Prinz de 369 Contarini, Gaspar 238 Conti, Pierre 161n Coruncanius 84n Costar, Pierre 21, 346n Coste, Pierre 324n Cotta 389 Craig, John 635, 636, 637, 637n Crasso, Lorenzo 109 Cresollius, Ludovicus 33n Cuper, Franz 387, 387n Curtius, Quintus 374n Cynthia 345 d’Ablancourt, s. Perrot, Nicolas d’Ancre [Marschall] 345 d’Arimini, s. Rimini, Gregor von d’Aubigné, Agrippa 645, 652

683

d’Hocquincourt, Charles 633f. Dabentonne, Johanna 448 Dacier, André 21 Daillé, Jean 607n Damagetes 480 Danaiden 100 Dangeau, Louis de Courcillon 79, 388f., 389n Daniel, Gabriel 281, 308, 308n, 309, 309n, 310, 310n, 311, 311n, 312, 313, 313n Darmanson, Jean M. 289n David 42-66, 183, 417, 417n, 471, 482, 677 Demokrit 81, 291, 292, 335, 420, 480 Demonicus 677n Descartes, René 72, 73, 178, 228, 244, 245, 246, 250, 251, 252, 253, 274, 275, 275n, 276, 276n, 277, 278, 280, 281, 284, 285, 286, 288, 288n, 289, 290, 302, 303, 308, 309, 311, 312n, 323, 326, 368, 369, 430, 431, 432, 434, 440, 441, 508, 509, 541, 547, 548, 563, 611 Deukalion 68 Diagoras 578 Digby, Kenelm 323 Dikaiarch 67-80 Dikaiarch aus Sparta 67 Dina 670, 677 Dinant, David de 376, 376n Diodorus 565, 566 Diogenes [der Kyniker] 15, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 446, 518, 564, 564n, 565 Diogenes Laertius 24n, 81n, 82, 86, 89n, 109n, 118, 131n,

684

Namenregister

132n, 257n, 258n, 259n, 453, 453n, 455n, 458n, 459n, 461, 462n, 485, 485n, 486n, 489, 489n, 490, 490n, 494n, 517n, 519n, 525, 525n, 553n, 564, 564n Diogenes von Apollonia 490 Diokles 88 Dion 292 Dionysios von Harlikarnassos 27 Dionysius 269 Diphilos 464, 464n Domitian 290 Dresser, Matthäus 142n du Cange, Charles 447n du Ferrier, Jérémie 13, 14 du Moustier des Mezerais, Pierre-Jean 116 du Perron, Jacques-Davy 116 du Rondel, Jacques 88n, 116, 356, 357, 358, 358n, 366, 366n du Tillet, Jean 446, 446n, 448 Duns Scotus, Johannes 232 Ehl Eltahkik 375 Elisabeth [Königin von England] 479 Elssius, Philippus 274n Empedokles 291, 454 Epiktet 26, 258 Epikur 81-107, 138, 192, 193, 193 n, 208, 208n, 248, 249, 250, 334, 335, 344, 361, 366, 366n, 374, 377, 420, 528, 544n, 573, 579, 607, 608 Erasmus, Desiderius 103n, 442 Erebos 128, 129

Escobar y Mendoza, Antonio 153 Euripides 27, 127, 128, 140, 141n, 463, 464, 465, 482, 483n Eusebius 457, 458, 458n, 459n, 460, 460n, 486n Eva 193, 194, 206, 214, 221, 446, 465 Fardella, Michelangelo 548, 548n, 549, 552 Fatio de Duillier, Nicolas 374n Favorinus 525 Faydit, Pierre-Valentin 598, 598n Ferdinand [König von Ungarn] 280, 449n Ferrand, Louis 59, 59n, 60, 60n Ferri, Paul 274n Ficino, Marsilio 6, 7 Fléchier, Valentin Esprit 344n Fonseca, Pedro da 274n Fortuna 346 Foucher, Simon 261n, 269n, 318n Foucquet, Nicolas 471n Franz I. 12, 442, 443n, 644 Franz von Assisi 59, 60, 60n Franzius, Wolfgang 307n Friedrich Barbarossa 280, 283 Fromondus, Libertus 528n, 564n Furetière, Antoine 458n, 652 Gabalis, Comte de 326, 327 Gabriel 629, 629n Gad 417n Gadroys, Claude 611, 612n Gaguin, Robert 446, 446n, 447, 448 Ganymedes 124

Namenregister Garasse, François 578, 656n Gassendi, Pierre 21, 81n, 82, 86n, 89, 89n, 91, 91n, 245, 246, 250, 252, 261, 261n, 430, 441, 554, 554n, 557, 557n Gaudenzio, Paganino 292 Gauricus, Lucas 233n Gellius, Aulus 27n Génébrard, Gilbert 448n Georg von Trapezunt 442 Gerson, Johannes 445n, 448 Ghilini, Girolamo 5n Ghinucci, Andreoccius 5 Giggoïus 375 Gisbert, Jean 328 Glandorp, Johannes 21 Goldast, Melchior 645 Goliath 42, 49 Gonzaga, Ercole di 233 Gorgias von Leontion 486n, 625n Graverol, Franciscus 13n Gregor [Papst] 58 Gregor, hl. 243 Gregor von Nazianz 91, 91n Grimaldi, Giovanni Battista 6 Grotius, Hugo 184, 184n, 285n, 321, 325, 325n Gustav Adolf [König von Schweden] 478, 478n Hagar 3 Hartighvelt 387n Hartsoeker, Niklas 315, 557, 557n Hecuba 141n Heinrich III. 674 Heinrich IV. 667, 669 Heinrich von Gent 232 Henich, Joannes 450n Herkules 652

685

Herodot 113n Herophilus 566 Hesiod 128, 128n, 129, 129n, 132, 137, 453 Hiero 497 Hieronymus 40, 46, 468 Hinkmar 672 Hipparchia 108-119 Hippokrates 412, 480, 481 Hobbes, Thomas 164, 389n Hoeschelius [Drucker] 67n Homer 125, 132, 133n, 453, 462, 474n, 477, 497 Horaz 15n, 21, 38n, 97n, 100n, 220, 229, 229n, 347n, 475n, 477n Horn [Marschall] 142 Hornei, Konrad 181 Huarte, Juan 325, 325n Husai 56, 57, 61 Huygens, Christiaan 374n, 554, 554n In fam vam 379 Ion 127 Isai 42, 43, 46, 47, 48 Is-Boseth 44, 55, 56 Isokrates 677, 677n, 678 Ixion 100 Jakob 46, 670, 677 Jakob von More 447 Jakobus 628 Jansenius, Cornelius 207, 222n Jaquelot, Isaac 508, 509, 509n Javellus, Chrysostomus 238 Jesus Christus 16, 17, 80, 166, 187, 242, 449, 465, 466, 467, 470, 471, 548, 548n, 549, 583n, 586, 587, 589, 591, 594, 595, 623, 625,

686

Namenregister

626, 627, 627n, 628, 634, 636, 637, 638n, 648, 678 Joab 44, 61, 62 Johanna I. und II. von Neapel 669 Johannes von Janduno 232 Jonas, Arngrimus 120-123 Jonathan 57 Josephus, Flavius 45, 64, 64n Josua 66 Jovinian 40 Jovius, Paulus 235, 235n, 236, 237 Juda 46, 670 Juges, Theodore de 644, 645 Julian 606 Julius Canus 7, 7n, 8, 9, 10 Juno 26, 40, 126, 127, 129, 130, 132, 137, 138, 139, 140 Jupiter 26, 88, 105, 107, 124141, 213, 361, 390, 573, 652 Jurieu, Pierre 145, 145n, 146, 170, 171, 171n, 172, 172n, 173, 175, 175n, 176, 177, 177n, 179, 186, 187, 187n, 207n, 209n, 247, 247n, 248, 248n, 249, 443n, 468, 468n, 469, 469n, 591, 591n Justinian 321 Juvenal 109, 351n, 352n, 470n, 651 Karl der Große 669 Karl V. [Kaiser] 142, 280, 282, 283, 479 Karl V. [König von Frankreich] 445, 446n, 447, 448 Karl IX. [König von Frankreich] 149, 674 Karneades 25, 129, 140, 140n, 494n

Kerckring, Dirck 367n Kleanthes 24, 28, 136 Konfuzius 379, 379n, 382, 383 König, Georg Matthias 239 Konstantin der Große 1, 345 Konstantin [Sohn Konstantins des Großen] 1 Kopernikus, Nikolaus 611, 612 Kortholt, Christian 367n, 389 Kortholt, Sebastian 367n, 386, 386n Krates 108, 109, 110, 114, 118, 119 Kuffelaer, Abraham Johannes 437, 437n Kybele 124 L’Herminier, Nicolas 509, 510, 510n La Bruyère, Jean de 327 La Loubere, Simon de 356n, 358, 359n, 360n, 419n La Mothe le Vayer, François de 110, 110n, 111n, 112, 113n, 237, 238n, 239, 239n, 243n, 266n, 267n, 269, 269n, 270, 270n, 272, 273, 273n, 475 La Peyrère, Isaac de 120n, 121n Labadie, Jean de 152, 154, 155 Lafontaine, Jean de 643 Laïs 664, 672 Laktanz 67, 70, 70n, 87, 87n, 127, 192, 193, 193n, 194, 195, 196, 196n, 208n, 291, 292, 354, 475, 629, 630, 630n Lamy, François 327, 327n, 328, 329, 329n, 341, 341n, 509, 509n, 537, 537n Launoy, Jean 588n Lazarus 414 Le Diacre, Pierre 635

Namenregister Le Fevre, Tanaquil 21, 92, 92n Le Laboureur, Louis-Gérard 654n Le Moine, Pierre 661, 661n Le Noble de Tennelière, Eustache 240, 240n, 241, 241n, 242, 253n, 254 Leeuwenhoeck, Antony van 315 Leibniz, Gottfried Wilhelm 281, 282, 313-319, 329-342, 374n, 561n Lemos, Thomas de 606, 606n Leo I. 157 Leo X. 238, 239 Lescalopier, Pierre 492, 492n, 493 Lescot, Richard 243 Leukothea 455 Liber 97n Lilius, Nikolaus 493 Lipsius, Justus 26, 98n, 284n, 519 Livius 48 Locke, John 77, 78, 79, 80, 230, 230n, 231, 323, 324, 324n, 334, 334n, 557, 557n, 559-561 Lothar 672 Lucan 645n Lucretia 672 Ludwig XI. 479 Ludwig XIII. 479 Lukian 115, 115n, 228n Lukrez 41, 82, 95n, 99n, 134, 134n, 254, 356, 357, 540n, 631n, 651 Luther, Martin 207, 600 Luzifer 471 Lysimachus 108 Madruccio, Cristoforo 282 Maecenas 475n

687

Maevius 39 Maignan, Emanuel 295, 296n Maimbourg, Louis 443n Maimonides, Moses 293, 293n, 294, 455, 483, 483n, 484, 618, 618n, 619n Malebranche, Nicolas 103, 104, 104n, 105n, 204n, 207, 261n, 262n, 287, 287n, 289, 315, 537, 537n, 547, 547n, 548, 549,549n, 550, 550n, 551, 552, 559n Malherbe, François de 345, 346 Malpighi, Marcello 315 Manes 157 Margarete [Königin von Navarra] 643, 644 Maria 200, 629, 629n Marianus Victorius 40 Martial 137n, 642, 671 Martinus, Cornelius 180 Mascardi, Agostino 148, 148n Mauregart, Nicolaus 447n Maximus von Tyros 98n Medea 482 Melissus 160, 161, 162, 164, 166, 167, 212, 491, 492, 553, 565 Ménage, Gilles 6, 6n, 118, 118n, 346, 346n, 372, 657n Menedemus 30 Menjot, Antoine 645 Mephiboseth 57, 58 Mercat, Michel 6, 7 Mercat, Michel [Enkel des Obigen] 7 Meré, Antoine Gombaud de 543 Metrodor 83 Metrokles 109 Meursius, Johannes 67

688

Namenregister

Mézeray, François de 445n, 654n Méziriac, Claude Gaspar Bachet, Sieur de 127n, 128 Michal 43, 54, 55, 59, 60 Michelangelo 666 Micraelius, Johannes 152, 152n Milon 411 Miltiades 365, 366 Minerva 130 Minucius Felix 456n Molière, Jean Baptiste 655n Montaigne, Michel de 294, 468n, 569, 652, 671 Moréri, Louis 45, 49, 67, 87, 109, 124, 142, 233, 239, 258, 344, 385, 453n, 517 Morus, Alexander 604, 604n Moses 316, 444, 482n, 500, 670, 670n Münster, Sebastian 142n Nabal 51, 52, 65n Naudé, Gabriel 282, 344, 494n Nausiphanes 519 Neander, Michael 181 Nemesis 198, 482 Neokles 81 Neptun 129, 130, 132, 138 Nero 416, 649 Newton, Isaac 374n, 554, 554n Nicole, Pierre 168-179, 495, 495n, 528n, 536, 536n, 540n, 545, 546n, 662 Nihusius, Bartholdus 180-188 Nikephoros189 Niphus, Augustinus 238, 241, 242 Noah 466, 467 Ochino, Bernardino 307, 307n Okeanos 128, 129, 132

Oldenburg, Heinrich 389n Olivi, Petrus Joannes 58n Origenes 91, 91n, 319n, 320n, 321, 416, 444, 588n, 589, 589n Oróbio de Castro, Baltasar [Isaac] 387, 387n Osiander, Johann Adam 321n, 325, 326, 326n Otto der Große 283 Ovid 21n, 127, 127n, 422, 643 Oviedo, Francisco de 544n Papin, Denis 172, 172n Pardiès, Ignace-Gaston 301, 302n, 305, 306n Paré, Ambroise 644 Parentino, Giovanni Antonio Panthera 471 Parmenides 212, 291, 455, 457, 460, 461, 486, 491, 492, 517, 519, 525, 553, 553n, 565 Pascal, Blaise 168, 271, 543, 661n Pasikles 109 Pasquier, Etienne 294 Patin, Guy 637n Patru, Oliver 224-228 Paul 189 Paulus 3, 17n, 117, 270, 274, 587, 588, 589, 590, 594, 601, 602, 613, 626, 627, 628, 629, 634, 638, 670, 677 Pausanias 125, 140, 140n Pellisson-Fontanier, Paul 172, 172n, 179 Penelope 20 Pequet, R. 326 Peregrinus 115 Pereira, Gomez 281, 285, 323

Namenregister Pererius, Benedictus 376n Perrot, Cyprian 224 Perrot, Emilius 12 Perrot, Nicolas 224-232 Petit, Pierre 559n Petronius 447, 642, 644, 645, 671 Petrus 628 Phaedra 127 Phalaris 416 Pherekrates 68 Philon 291 Piccinardi, Serafino 161n Pictet, Bénédict 604, 605, 605n Pindar 474n Piscator, Johannes 607 Placette, Jean de la 171n, 272n Platon 7, 67, 95n, 248, 249, 292, 377, 438, 462, 462n, 486n, 491, 491n, 494n, 506n, 511, 608 Plautus 464, 464n Plinius [d.Ä.] 67, 81, 284n, 292, 346, 346n, 463, 463n, 464, 464n, 476n, 479n, 493 Plinius [d.J.] 649, 649n Plutarch 25, 25n, 26, 28, 29, 29n, 30, 30n, 67n, 77n, 83, 91, 92, 92n, 95n, 115n, 133n, 196n, 213, 213n, 260n, 376, 376n, 377, 403, 404, 443, 443n, 455n, 458n, 460n, 485, 486, 486n, 490, 490n, 497n, 507, 507n Pluto 129 Pocock, Edward 440n Poiret, Pierre 316, 316n, 317, 317n, 328, 511, 512, 512n, 514, 514n Poisson, Nicolas-Joseph 289 Pole, Reginald 19, 20

689

Pollux 97n Polybios 67n Pomponazzi, Pietro 232, 233256 Porphyrius 173, 562n Portius, Simon 243 Pourchot, Edmond 328n Prateolus, Gabriel 376n, 445n Prierias, Silvester 235 Protagoras 519 Proteus 396 Ptolemäus 612 Pyrrho 257-273, 494n, 632 Pythagoras 405 Quinault, Philippe 481n Quintilian 658n Racan, Honorat de Bueil, Marquis de 481, 481n, 494 Ragusa, Hieronymus 67 Rapin, René 639n Raynaud, Théophile 58, 58n, 235, 304, 304n, 354, 355n, 376, 376n Regis, Pierre-Sylvain 278, 278n, 279, 315, 541, 542, 542n Reuchlin, Johannes 442 Rhea 128, 129, 130 Riccoboni, Antonio 498 Richard, René 469n Richelieu, Armand-Jean du Plessis de 528n Rimini, Gregor von 274-279 Rittershausen, Nicolaus 182 Rivet, André 3, 4, 4n Rohault, Jacques 326, 536n, 540n, 541, 541n, 542n Romulus 97n Rorarius, Hieronymus 280-342 Ruben 670 Rufinus 343-355

690

Namenregister

Sabundus, Raimundus 294 Sadoleto, Jacopo 19, 20 Saint-Evremond, Charles de Marguetel de Saint-Denis de 484, 485n, 634, 634n, 635, 639, 640, 640n Saint Olon, François Pidou de 663, 663n Saint-Romuald, Pierre de 6, 7n Saint-Real, César Vischard de 22n Sainte Honorine, Jaques de la Mariouse Clavigny de 442, 442n Sainte-Marthe, Abel de 13 Salier, Jacques 377 Salomon 41, 62, 292, 640 Samuel 42, 45, 47, 48 Sánchez, Tomás 153 Sara 2, 3 Saturn 105, 124, 127, 128, 129, 130, 132, 136, 402n, 573 Saul 42, 43, 44, 48, 49, 53, 54, 55, 56, 57, 63, 64, 64n, 65n, 66 Saumaise, Claude de 321 Saurin, Élie 173, 173n, 175, 177, 186n, 187n, 247, 248, 248n, 249, 443, 591, 591n, 592 Scaevola 84n Scaliger, Joseph 21, 23 Scaliger, Julius Caesar 247, 247n Scioppius, Caspar 24 Scuderi [Mademoiselle de] 472n Scylla 103n Seguier, Pierre 294 Sejanus 351n, 607 Selve, George de 12, 12n Seneca 7, 8, 8n, 26, 83, 84, 85,

85n, 88, 88n, 91n, 100n, 201, 377, 377n, 519, 519n, 630, 630n Sennert, Daniel 295 Sephadius 440n Sextus Empiricus 110, 112, 112n, 115, 115n, 260, 270, 272, 354, 354n, 403n, 453n, 457n, 463n, 485n, 490, 490n, 491, 491n, 545, 545n, 564, 565, 565n, 566n, 625n Sigismund III. [König von Polen] 498 Silvius, Aeneas 494n Simei 62, 63, 64, 64n Simon 385 Simonides 260n Simplicius 191, 564, 614, 614n, 615, 615n, 616, 616n, 620 Sirmond, Antoine 238, 238n Sisyphos 100 Socinus, Faustus 371 Sokrates 417, 417n, 418, 425, 426, 453, 453n, 494n, 640 Sommona-Codom oder Sommonokhodom 356-366 Sorel, Charles 656n Soter, Johannes 481n Sotion 485, 489, 491 Soto, Domingo de 322 Spanheim, Friedrich 142-144, 604 Spencerus, Johannes 444n Spinoza, Benedikt de 131, 367439, 451, 458, 493, 496, 496n, 497, 561, 578 Sponde, Jean de 239 Stilicho 344 Stillingfleet, Edward 78, 78n, 79, 230, 231 Stilpon 30

Namenregister Stobaios, Johannes 89n, 464n Stouppe, Jean-Baptiste 152n, 368, 384, 385 Strabon 24n, 67n Strada, Famianus 229n Straton 290, 291, 376, 377 Stuart, Adam 225 Sturmius, Johann Christoph 330n Sueton 651, 671, 676 Swammerdam, Jean 315 Swicer 508 Tachard, Guy 356, 356n Tacitus 476, 477n Takiddin 440-444 Tavanes 147 Terenz 494n Tertullian 87, 87n, 127, 636 Tetberga 672 Tethys 128, 129, 133 Thales 131, 132 Thalmai 55, 55n Thamar 54, 54n Themis 128, 129 Themistokles 365, 366 Theodor von Gaza 442 Theodora [Kaiserin] 189 Theodoret 110 Theodorus 108, 109, 117, 118, 119 Theodosius 343, 344, 345, 351 Theophrast 493 Thetis 396 Thomas von Aquin 232, 239, 325, 376, 376n, 509, 556, 598, 628, 635, 635n Thomasius, Jacob 376, 376n Thukydides 40n, 48, 494n Tiberius 209n, 417, 607 Tibull 220

691

Timon 491 Titius 39 Tomasini, Giacomo Filippo 498n, 499n Toppi, Nicolò 322n Torlac, Gundebrand de 120 Tubero, Orasius 238n Turretin, Jean-Alphonse 171n Uria 45, 64, 66 Valerius Proculus 1 Valla, Laurentius 294, 320f. Vallade, Jean François 327 Valle, Pietro della 375, 375n Vallinus, Renatus 329, 329n van den Ende, François 367, 367n Vanini, Lucilio 578 Vavasseur, François 646n Velleius 85n, 492 Venus 129, 132, 133, 390 Vergil 21, 134n, 291, 416n, 466n, 468, 468n Versé, Aubert de 387, 387n Vertumnus 396 Verwer, Adrian 437n Vesta 129, 137 Vigneul Marville [Pseud. für Noël, gen. Bonaventure d’Argonne] 326, 326n, 372, 372n, 674n Vignier, Nicolas [d. Ä.] 446 Vogelsangh, Reinier 276n Volder, Bucherus de 561n Vossius, Isaac 23, 67, 182, 183, 183n, 184, 184n, 187, 294, 295, 645 Weidner, Paul 449-452 Werenfels, Samuel 508 Wetsteinius, Henricus 517n

692

Namenregister

Wilhelm von Paris 294, 444n Willis, Thomas 322, 322n, 323, 323n Wilmot, John 598, 598n, 599, 599n Xaca 378n, 380 Xe 379 Xe Kia 379 Xenokrates von Chalkedon 292 Xenophanes 453-497, 517

Zabarella, Jacob 498-516 Zanetti, Fabricio 6 Zenon von Elea 486n, 494n, 517-566 Zenon von Kition 24, 28, 115, 136, 137, 608 Zetzner, Lazarus 503n Ziba 57, 58 Ziegler, Kaspar 325 Zoroaster 159-167, 212, 213, 214

SACHREGISTER

Abartiges 653 Abendmahl s. Eucharistie Aberglaube, abergläubisch 92, 151, 214, 443, 444 f., 448, 468, 580 Absolution 153 Absurdität 134, 138, 139 Académie Française 652, 654 Ackerbau 158 Adamiten 446, 448 Advokaten 33 f. Ängste 454, 482 f. Äquivokationen 389, 413, 427, 485, 486, 499, 510–516 Affinität 337 Akademiker 24, 25, 32, 33, 34, 259, 269, 627 Akatalepsie 490, 560 Akataleptiker 489, 490, 494, 495, 561 Aktivität 384 innere 506 f. Akzidens, Akzidenzien 70, 263, 264, 265, 298, 299, 304, 376, 394, 395, 396, 399, 422, 423, 429, 430, 431, 436, 488, 496, 497, 505, 540, 557, 562, 563, 602 Aladinisten 442 Albigenser 157 Altes Testament 50, 167, 191, 236, 449 Anfang 105, 132, 134, 135, 250, 262, 314, 401, 416, 458, 461, 471, 487, 491, 496, 501, 502, 504, 506,

511, 512, 513, 514, 515, 522, 524, 542 f. Annehmlichkeiten des Lebens 454, 472–477 Annihilation 312, 314, 422, 426 Anstand 52, 57, 113, 114, 121, 642, 648, 652 Anstößigkeit, anstößig 114, 165, 274, 275, 572, 600, 622, 625, 645 Anti-Cartesianer 288 Apostat 367, 450 Apostel 3, 16, 467, 548, 549, 586–590, 594, 601, 606, 626, 628, 629, 634, 636, 648, 677 Apotheose 365 Argument, demonstratives 187, 455, 492 philosophisches 230, 255, 594 Argumentum ad hominem 424, 506, 520, 587, 627 Aristoteliker 284 f., 383, 506 f., 630, 631 Aristotelisch 423, 505 Aristotelismus 400 Arithmetisch 264, 527 Arminianer 209, 372 Atheismus 92, 138, 140, 234, 272, 368, 369, 370, 386–389, 442, 508, 573, 574, 575, 576, 578, 591 der Chinesen 419 materialer 138

694

Sachregister

Atheist 108, 117, 244, 367, 384, 389, 408, 578 systematischer 367, 375–379 Atheisten 244, 249 f., 387, 415, 416, 442, 509, 571, 572, 573, 579, 599 böse Sitten der 577 gute Sitten der 571–581 praktische 578 theoretische 578 Atom 69, 81, 85, 86, 87, 93, 311, 334, 335, 336, 377, 420, 528, 544, 546 seine Unteilbarkeit 529 System der A.e 377 Atomismus 81 Atomisten 311, 374, 377, 529, 617 Attribut 72, 103, 198, 265, 304, 310, 390, 391, 394, 396, 397, 399, 410, 424, 425, 434, 438, 555 inkompatible A.e 400 substantielle A.e 421 wesentliche A.e 424, 426, 563 Auferstehung 226, 230, 231, 236, 241, 255, 317, 375, 414 Aufgeklärt 66, 370, 480, 638, 677 Aufklären 104, 443, 621, 635 Aufrichtigkeit, aufrichtig 25, 28, 34, 35, 36, 38, 77, 193, 225, 362, 388, 423, 450, 470, 503, 608, 609, 666 Ausdehnung 72, 96, 125, 134, 135, 248, 249, 251, 261, 262, 264, 310, 383, 384, 392, 394, 425, 431, 439, 513, 515, 518, 532, 533, 534, 538, 544, 557, 559, 561

als Attribut Gottes 434 Attribute der 555 aus Teilen zusammengesetzt 392 f. außerhalb unseres Geistes 540 Einwände gegen ihre Existenz 528–532 Existenz der 262, 518, 528– 532, 533, 535–545, 552, 562–564 existiert nur im Verstand 535–537 Gottes 434 f., 437, 558 ihre Existenz im Verstand 547 intelligible 437 kein zusammengesetztes Wesen 439 körperliche 437 Natur der 394–397 Realexistenz der 562–564 undurchdringliche 75 unkörperliche 558 Unmöglichkeit ihrer Existenz 539 zwei Arten von 562 Ausdrücke, allergröbste 665– 667 zartsinnigste 665–667 Ausdrucksweise 653–658 Auserwählte 158, 167, 471, 601 Auslegung der hl. Schrift 181, 184, 591 Ausschweifungen 106, 445, 467, 469, 577, 641, 649, 650 Automaten 284, 286, 288, 303, 323, 326, 327–329, 333, 334 Autoren, göttlich inspirierte 463, 624, 679 f. Autorität der Bibel 233, 245, 410, 595, 613, 624

Sachregister der Kirche 171, 596 des Glaubens 257, 269–273 des Papstes 170, 181 Gottes 176, 230, 245, 247, 254, 255, 348, 495, 584, 588, 591, 601, 604, 623, 633 Averroisten 239 Axiome 192, 263, 297, 333, 335, 348, 372, 383, 398, 420, 546, 562, 624, 631 Barbarei 442, 443 Basiarier 152, 155 f. Bastard 47, 48 Bedürfnisse 27, 95, 254, 295, 363, 428 Begierden 1, 15, 91, 290, 445, 448, 660, 667 Begrenztheit unseres Geistes 529 Begriffe, klare 158, 164, 176, 199, 496, 556, 561, 611 Beischlaf 110, 111, 114, 445–448 Beistand, übernatürlicher 222, 226, 575 Belohnungen 18, 85, 87, 88, 256, 293, 294, 361–365, 366, 380, 384, 385, 409, 550, 571, 575, 637 der Tugend 360, 361, 362, 579, 589 des Lasters 14 Beredsamkeit 19, 31, 228 f., 468 Bericht, historischer 642, 660 Beschäftigungen 647, 648, 679 Bestrafung der Übeltäter 306, 307, 345, 350, 362, 579, 602 der Tiere 307 des Lasters u. der Sünde 360, 361, 589, 603

695

ewige 2, 88, 416, 417, 607 Furcht vor 575 Unterdrückung der 200 Vermeidung der 256 Bestrafungen 88, 162, 163, 192, 200, 202, 214, 266, 293, 294, 352, 364, 380, 384, 385, 390, 407, 418, 440, 467, 551 Betrug 56, 90, 276, 468 Beweger 384, 500, 506, 542 erster 499–502, 504, 505, 506, 507, 509 geistiger 500, 501, 502, 504 Vielzahl von ersten B.n 507 f. Bewegung 71, 72, 75, 96, 97, 104, 110, 130, 204, 206, 221, 261, 299, 302, 317, 335, 384, 415, 428, 430, 433, 434, 436, 499, 500, 501, 502, 503–510, 515, 517, 518, 520–546, 547, 552, 553, 554, 559, 560, 564–566 Existenz der 517, 520–527, 539, 564, 566 Bewegungsgesetze 159 Beweise, demonstrative 9 f., 11, 186, 200, 228, 236, 244 des Gefühls 172, 388, 389 direkte 208 evidente 172, 246, 545 geometrische 237 gute 175 f., 228, 244, 254, 300, 549 natürliche 288 notwendige 11, 246 philosophische 226, 230, 234, 244 sichere 245 solide 250

696

Sachregister

überzeugende 261 zwingende 289 Bewunderung 43, 358, 364–366 Beziehung, sympathetische 360 f., 364 Bibel 1, 4, 19, 45, 48, 50, 60, 61, 63, 64, 65, 66, 80, 84, 101, 102–105, 106, 113, 114, 157, 166, 167, 169 f., 171, 175, 181, 182 f., 183, 191, 199 f., 211, 215, 225, 226, 233, 236 f., 238, 245, 254, 255, 275, 276, 277, 278, 279, 300, 346, 410, 413, 414, 416, 454 f., 500, 548, 549, 582, 583, 591, 595, 597, 598, 601, 602, 605, 606, 609, 612, 613, 622, 623, 624, 637, 647, 668, 677 Göttlichkeit der 172, 175, 186, 443, 592, 623 f. verschiedene Interpretationen der 181, 184, 591 Böse, das 105 f., 122, 128, 163, 203, 213, 294, 306, 307, 357, 358, 361, 362, 366, 403, 408, 444, 580, 602, 614, 615, 616, 617, 621 Bösen, die 344, 345, 347, 350 Bösewichter 350, 362, 649 Bosheit 83, 99, 101, 160, 161, 193, 407, 410, 471, 587 Bücher, ketzerische 36–39 Bürgerkriege 148–151 Busen, Berührung des B.s 152–156 Buße 153, 155, 362, 470, 471 Calvinisten 37, 169, 184, 209 Camisarden 146 Cartesianer 73 f. , 244, 245,

246, 247, 250, 262, 280, 284 f., 285, 286, 288, 289, 305, 308, 309, 310, 311, 313, 326, 328, 329, 330, 331, 333, 339, 341, 383, 413, 429, 430, 431, 432, 441, 442, 508, 518, 541, 542, 546, 560, 562, 563 Cartesianismus 261, 313 Chaos 93, 128, 129, 132, 133, 164, 165, 198, 208, 270, 315 Chinesen, chinesisch 360, 365, 367, 371, 379–384, 418, 419, 508, 629 Christen 4, 15, 19, 32, 34, 80, 87, 128, 148, 167, 181, 190, 208, 212–214, 226, 227, 228, 229, 230, 237, 242, 253, 254, 255, 271, 319, 362, 375, 383, 405, 414, 437, 446, 465, 469, 495, 510, 588, 590, 605, 610, 622, 623, 624, 625, 630, 631, 639, 677 Christenheit 347 Christentum 135, 171, 173, 177, 189, 214, 269, 400, 422, 429, 442, 446, 465, 468, 469, 495, 510, 575, 622, 623, 624, 626, 631, 637 Conimbricenser 491, 492, 522, 523, 654, 565 Cucullati 240 Cum hiu 383 Damen, galante 667 Dato non concesso 425, 426, 674 Dauer, sukzessive 511, 513, 514, 515, 521

Sachregister Deismus 591 Deklinationsbewegung 335 Demonstration 174, 182, 183–188, 231, 238, 386 f., 388, 496, 508, 509, 510, 546–553, 555, 559, 560, 605, 634, 635 des Daseins Gottes von Descartes 508–510 geometrische 388, 528, 537–545, 624 mathematische 555 metaphysische 388 Demut, demütig 154, 179, 215, 227, 269, 591, 606, 623, 633, 635, 639 Demütigung, demütigen 55, 117, 271, 369, 639 Denken, das 69, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 102, 135, 246, 248 f., 251, 253, 275, 277, 286, 291, 297, 299, 302, 305, 310, 324, 328, 337, 342, 374, 381, 390, 397, 410, 426, 433, 434, 439, 458, 461, 515, 655 Denkende Wesen auf anderen Planeten 415, 416 Dialektik 27, 389, 517, 549, 594, 626, 628 Diallele 625 Dimensionen, ihre Durchdringung 534 f., 540, 595, 596 Dinge, alle D. sind ein einziges Wesen 376 Diskussionen 268, 619, 622, 623, 651 philosophische 270, 372, 587, 617 Disput, disputieren 27, 29 f., 31, 101, 105, 107, 157, 158–167, 170, 190, 203–211, 223,

697

236, 246, 247, 257, 271, 272, 320, 326, 330, 371, 372, 389, 398, 400, 411, 508–510, 519, 532, 534, 545 f., 552, 559, 560, 576, 594, 595, 604, 612, 617, 623, 625, 629, 630, 631 philosophischer 586 sein Zweck 585 f. Disputieren, Gesetze des D.s 347–355 Distinktion 263, 532, 584, 597, 631 Dogmatiker 33, 260, 269 f., 272, 354, 536, 568, 626 Dogmen der christlichen Religion, Schwierigkeiten der 638 Dominikaner 304 Dualisten 610, 611, 612 Ehebruch 3, 4, 45, 46, 47, 54, 91, 616, 655, 675 der Götter 678 Ehrbarkeit 115, 128, 285, 580, 674 Ehrenhaftigkeit 212, 301, 662 Eifer, christlicher 34 Eifersucht 100, 122, 198, 326 Eigenart des Dictionnaire 567 f., 574, 672 Eigentum 150, 165 Einbildungskraft 234, 392, 407, 655, 657, 660, 661, 665–668, 672, 673, 676 Eindruck, natürlicher 122 f. Einfalt 228 Einfluß des Körpers auf die Seele 329–342 Einheit aller Dinge 377, 459, 460, 489, 491, 517 der Kirche 168 der Seele 239

698

Sachregister

der Substanz 403, 437 Gottes 159, 160, 457, 617, 618 f. Eleaten 455 Elementargeister 326 f. Elend 98, 160, 165, 200, 202, 206, 217, 256, 289, 290, 352, 402, 482, 620 der Großen 477–482 des Menschen 208, 210, 213, 214, 403–405, 464 dieses Lebens 409, 455 Empfängnis 47, 417 unbefleckte 200 Empfindung 29, 69, 70 f., 72, 74, 75, 76, 77, 78, 98, 112, 123, 195–203, 248, 261, 265, 280, 286, 288, 289, 291, 295, 296, 297, 298, 309, 310, 312, 318, 322, 323, 324, 326, 327, 331, 336, 337, 340, 341, 359, 382, 388, 401, 411, 434, 456, 460, 472, 476, 489, 548, 579 des natürlichen Rechts 123 Ursache der 261 Empfindungslosigkeit, vollständige 382 Engel 190, 194, 326, 342, 357, 410, 411, 413, 429, 465, 483, 558, 629 Entitäten, unausgedehnte 528 Entstehen 72, 395, 459, 460 Entstehen und Vergehen 396, 425, 486, 492, 679 Epikureer 87, 89, 90, 91, 93, 289, 385, 571 Erbsünde 46, 79, 288, 601 Ereignisse, kontingente 204, 206 f. Erfahrung 133, 159, 160, 161,

191, 194, 195 f., 196 f., 199, 259, 301, 302, 307, 318, 340, 415, 452, 461, 475, 489, 492, 536, 554, 612, 620, 636 Erhaltung der Geschöpfe 268, 516 Erkenntnis 76, 79, 104, 132, 137, 165, 179, 182, 190, 193, 226, 227, 248, 270, 289, 308, 312, 414, 458, 490, 494, 504, 634, 638, 639 der offenbarten Wahrheiten 628 der Tiere 284, 288, 289, 295–308, 323, 327, 328, 331, 356, 357, 377, 378, 379, 398 mittlere 208, 605 natürliche 503 Erkenntnisse, philosophische 229 Erzeugungen, kontinuierliche 488 Erziehung 28, 112, 123, 124,185, 259, 389, 446, 580 Eucharistie 264, 265, 377, 422, 429, 451, 596, 602 Evangelium 17, 102, 103, 121, 171, 226, 255, 260, 265, 369, 371, 446, 467, 552, 582, 583, 586, 589, 590, 592, 595, 599, 600–606, 621, 622, 625, 626, 627, 629, 631, 632–638, 646, 647, 648 Evidenz, evident 103, 129, 172, 174, 175, 176, 177, 186 f., 192, 205, 220, 231, 232, 245, 246, 248, 249, 262 f., 265, 266, 267, 272, 277,

Sachregister 288, 323, 324, 335, 349, 370, 372, 390–406, 424, 427, 439, 459, 487, 488, 489, 496, 518, 521, 532, 535, 545, 546–553, 555, 558, 562, 584, 585, 587, 590, 592, 597, 601, 605, 606, 610, 619, 621, 622, 625, 631, 634 Ewigkeit 86, 93, 96, 105, 198, 210, 377, 428, 459, 495, 499, 500, 501–508, 615 der Höllenstrafen 167 der Materie 84, 92–102, 103, 106 f., 132, 135, 406, 420, 494 der Welt 499, 510–516 Fakten, historische 642 Fassungskraft 101, 275, 278, 279, 549 Faulheit 36, 122 Fleischeslust 322, 323, 445 Foe Kiao 379–383 Fortpflanzung 11, 136 Französisch 110, 153, 294, 670, 673, 675 Frau, ehrbare 665 Frauen 1–4, 60, 109, 111, 121, 122, 127, 153, 183, 202, 206, 445, 447, 448, 450, 451, 469, 482, 647, 648, 655, 656, 658, 662–667, 670, 675 Freidenker 369 Freigeister 58, 122, 171, 247, 251–254, 271 Freigeisterei 250, 380 Freiheit 1, 21–23, 84, 91, 116, 136, 152, 153, 156, 167, 176, 202, 219 f., 221 f., 431, 445, 473, 502, 508, 517,

699

563, 568, 603, 604, 608, 616, 621, 644, 645, 647, 649, 663, 671, 672, 677 der Indifferenz 304 f., 407, 421 des Menschen 25, 26, 84, 190, 407 des Philosophierens 570 Freuden, verbotene 454, 482 f. Frömmigkeit 45, 62, 65, 86, 87, 88, 251, 360, 440, 441, 443, 468, 469, 552, 634 Frömmler 90, 155, 676 Gassendisten 429 Gebete 358, 359, 360, 362 f., 409, 616, 628 Gebote 3, 571, 583 Gefangennahme des Verstandes bzw. der Vernunft 211, 270, 271, 584, 591, 596, 601 Gefühl, Beweise des G.s 172, 388, 389 Geheimnis, Geheimnisse 61, 110, 137, 603, 604, 613, 624, 630, 639 Gehorsam des Glaubens 211, 270, 584 Geist, kleiner 639 Geister, böse 465 geschaffene 515 starke 380, 385, 442, 610 Geistererscheinungen 410–412 Geistlichkeit 246 Gelehrtenrepublik 13, 21–23, 643, 644, 645, 647, 657 Gemeinbegriffe 105, 335, 348, 349, 563, 584, 596, 631 Geometer 375, 387, 523, 524, 624 Gepflogenheiten 114, 121, 259, 648

700

Sachregister

Gerechtigkeit 162, 200, 207, 248, 258, 267, 271, 288, 293, 319, 343, 360, 364, 407, 418, 441, 465, 467, 574, 592, 602, 603, 605, 607, 650 Gerichtshof der Kritiker 660 der Offenbarung 623 der Philosophie 623 der Vernunft 582 Geschichte 34, 61, 63, 148, 160, 170, 210, 213, 226, 240, 281, 576, 577, 578 Geschöpfe, ihre Dauer 511 Geschwindigkeit 525–527, 544 Gesellschaftsgründung 164 Gesetz der Billigkeit und der strengen Moral 56 der Natur 112, 413 Gottes 630 göttliches 2, 114 Gesetze, allgemeine 318, 330, 413 bürgerliche 648 ewige 65, 112 menschliche 258, 630 Gesundheit 472 f. Gewissen 123, 162, 174, 177, 184, 247, 388, 389, 409, 418, 479, 572, 579, 620 Gewissensfragen 114, 149 Gewissensprüfung 654 Gewissenszwang 367 Gewißheit 103, 170, 186, 206, 227, 228, 229, 237, 258, 259, 262, 267, 268, 477, 489, 490, 494, 528, 529, 536, 549, 555, 583, 588, 590, 629 Gewohnheit 29, 31, 109, 123, 151, 153, 156, 195 f., 197, 258, 408, 451, 677

Gewohnheiten 113, 577, 627 Gewohnheitsrecht 112 Glaube, sein Fundament 172, 592 seine Schlichtheit 639 wahrer 280, 286–290 Glaubensabfall 451 Glaubensartikel 238, 582 Glaubensbekenntnis 128 der reformierten Kirche 569 Glück 82, 160, 165, 197, 198, 217, 229, 248, 256, 346, 359, 360, 361–366, 382, 384, 462, 478, 617, 619 ewiges 193, 358 Glückseligkeit 359, 380, 382 Gottes 86, 95, 99, 100–102, 366, 403–405, 619 höchste 356, 360 vollkommenste 99 wahre 382 Gnade 176, 222, 259, 271, 363, 446, 638 Entzug der 275 f. Einwirkung der 639 Streitigkeiten über die 602 wirkende 361 wirksame 601 Gnadenlehre 179 Götter, Entstehung der 128 f. Erzeugung der 129 f. Sterblichkeit der 26 Unglücklichsein der 105 f. Verehrung der 82, 84 Götterkult 41, 82, 85 Göttlichkeit der Schrift 172, 175, 186, 443, 592, 624 des Alten Testamentes 191 des Neuen Testamentes 191 Götzenanbeter 253, 571, 572 f. Gott als Einheit der Substanz 403

Sachregister Gott als handelndes und leidendes Subjekt 401–403 als Subjekt aller Modifikationen des Denkens 397–401 als Täuscher 262, 267, 275–279 als Urheber der Sünde 26, 190, 602 als Urheber des moralischen wie physischen Übels 26 als vollkommenste Einfachheit 394, 403 die einzige Substanz im Universum 428 kein Betrüger 547, 548, 551 nicht das Subjekt der Inhärenz der menschlichen Gedanken 397–401 sein absolutes Recht 601 sein Recht 267 sein Vorherwissen 204, 206, 209 sein Wesen 619 seine Ähnlichkeit mit den Menschen 458 f. seine Allmacht 78, 198, 274, 311, 533, 546, 596, 602, 610, 618 f., 639 seine Autorität 176, 230, 233, 245, 247, 254 f., 588, 591, 601, 604, 623, 633 seine Beständigkeit 290 seine Dauer 511–515 seine Einfachheit 556 f. seine Einheit 160 seine Ewigkeit 512 seine Existenz 272, 347, 350, 354, 356, 361, 365, 366, 431, 434 f., 441, 501 f., 508–510, 567, 592 seine Gerechtigkeit 162 seine Glückseligkeit 86, 95,

701

99, 100–102, 366, 403–405, 619 seine Güte 95, 97, 98, 99, 158, 161, 162, 163, 164, 197, 198, 199, 202, 205, 207, 208, 210, 216, 217, 218, 219, 220, 223, 276, 288, 293, 351, 407, 416, 504, 607, 620, 628 seine Macht 512 seine Natur 456–461 seine unbegreifliche Unendlichkeit 267 seine Unendlichkeit 313, 494 seine Unermeßlichkeit 432 f. seine Unfehlbarkeit 277 f. seine Unveränderlichkeit 394–397, 421–426, 488 seine Voraussicht 163 seine Weisheit 183, 199, 205, 216, 268, 271, 293, 325, 331, 579, 605, 629 seine Werke 639 und Ausdehnung ein und dasselbe bei Spinoza 391 f. Gottesbeweis 499, 503–510 Gottesdienst 85, 87, 184, 358, 362, 441, 574 Gottesfurcht 571 f. Gottesliebe 571 f. Gottesverächter 52 Gottesverehrung 292, 467 Gottheit, immaterielle 508 Gottlose 65, 66, 105, 237, 241, 247, 254, 255, 288 f., 441, 599, 604 Gottlosigkeit 74, 84, 86, 92–101, 105, 126, 137, 138, 140, 233, 234, 242–250, 363, 409, 418, 432, 442, 443, 444, 493, 556, 573, 591, 607, 617

702

Sachregister

Grammatik 28, 50, 567, 653, 659, 662 Griechen 140, 320, 442, 580 Gründe a posteriori 158, 161, 191 a priori 97, 158, 161, 191, 192 Gut, höchstes 82, 88, 359 Gute, das 122, 193–196, 198, 306, 408, 579, 621 das moralisch 160, 465–471 das physisch 160, 164 das sittlich 163 f., 165 seine dem Menschen zugeteilte absolute Quantität 475 seine Qualität 472–482 Übergewicht des G.n 454, 461–474 Gymnosophisten, indische 379, 446 Habsucht 214 Häresie 193, 443, 468, 591, 593, 609, 610 Häretiker 35, 36, 37, 150, 157, 167, 175, 182, 186, 187, 189, 191, 206, 211, 214, 215, 218, 240 f., 254, 375, 377, 445, 567, 568, 593 f. Handlungen, äußere 384 innere 384 Hang, natürlicher, zum Entscheiden 260 Harmonie, prästabilierte 329–342 Heiden 4, 11, 16, 40 f., 84, 117, 125, 128, 133, 134, 135, 140, 161, 167, 190, 212– 214, 253, 273, 446, 447, 482, 483, 573, 575, 576, 587, 626, 670, 677

gute Sitten der 571–581 Heidentum 82, 124, 128, 130 f., 131, 167, 265, 446, 572, 573, 575, 576, 609, 671 Heilsordnung, mosaische 166 Hervorbringung 97, 105, 132, 165, 217, 264, 314, 334, 335, 336, 384, 411, 415, 432, 461, 487, 661 der Welt 497, 617 f. Heterodoxe 609 Historiker 471, 569, 574, 608, 632, 669, 671, 676 seine Pflichten 115, 574, 632, 669 seine Rechte und Pflichten 115–117 Höflichkeit 113, 651 gewöhnliche 652, 667 Hölle 80, 86, 124, 210, 255, 273, 291, 300, 304, 356, 370, 381 Angst vor der 415–418 Hugenotten 451 Humanismus 442 Hungersnöte 213 Hurenkinder 47 Hypostasen 397 Ideen, klare 77, 104 f., 248, 249 Identität 264, 401, 436 Ignoratio elenchi 383, 428, 565 Immaterialität 135, 504 der Seele 79, 230 f., 244, 291, 334, 340 Inhärenz, Subjekt der 396, 397–401, 429, 431, 433 f., 436, 496 Inkarnation 236, 263, 454, 592, 594, 599, 600, 601

Sachregister Inquisition 238, 252, 508, 518 Inquisitoren 37 Intoleranz 151 Inzest, Inzucht 25, 54, 124, 127, 670 Irreligion 91 f., 245, 250, 254 Irrtum 27, 84, 125, 126, 128, 150, 151, 157, 175, 186, 187, 193, 214, 227, 228, 250, 252, 262, 296, 297, 405, 407, 425, 428, 446, 447, 467, 483, 485, 548, 565, 568, 569, 606, 677, 678 Jansenisten 168, 207, 208, 222, 661 Jesuiten 168, 207, 209, 305, 354, 379, 491, 564, 595 Juden 42, 46, 171, 293, 367, 369, 375, 393, 405, 444, 449, 451, 452, 467, 482 Judentum 171, 367, 400, 449 Kalküle, arithmetische 527 mathematische 637 Kanzel 241, 648, 654 Kasuist 45, 53, 56, 58, 60, 114, 153, 155, 290, 450, 646, 649, 653, 671 Katholiken 151, 304, 388, 441, 450, 451, 470 Keuschheit 1–4, 27, 46, 109, 114, 202, 205, 650, 655, 658, 659, 667, 668, 676, 678 Kirche, lutherische 181 protestantische 185, 670 reformierte 186, 569 römische 151, 168, 170, 182, 184, 185, 186, 222 wallonische 173 Kirchendisziplin 38

703

Kirchenspaltung 168, 185, 214 Kirchenväter 41, 58, 167, 171, 184, 191, 306, 582, 586–590, 671 Klöster 468 Klugheit 2, 34, 37, 56, 419, 420, 443, 459, 592 Konkubine 19, 44, 53, 54, 55 Konsistorium 609, 644, 645 Kontemplation 382 Kontiguität 532 Kontinuum 139, 523, 528, 529, 530, 531, 537, 543, 596 Kontradiktorisch 558 Konträr 506, 553, 594, 614 Kontroversschriften 591, 606, 622 Kontroversschriftsteller 32, 33, 35, 38, 606, 608, 660 Konversion 422, 449, 451, 599 Konvertiten 452 Konzilien 170 Körper, denkende 69, 74 Dichte der 472–474 durchlässige 472–474 Existenz der 267 Koran 441, 444 f. Korpuskel 311, 332 f., 336, 529, 555, 562 Krankenhäuser, Hospital, Hospitäler 17, 647, 648 Krankheit 100, 162, 185, 194, 251, 258, 276, 288, 312, 345, 364, 369, 388, 417, 472, 473, 482 Kriege 21, 25, 60, 61, 100, 106, 146, 147, 148, 149, 150, 165, 210, 260, 402, 465, 466, 469, 470, 610 Kultus, religiöser 124 Kummer 18, 98, 99, 101, 160, 161, 162, 210, 218, 364,

704

Sachregister

387, 473, 474 f., 476, 477, 478, 481, 482, 484 f. Kuppelei 3 Kurtisanen 641, 648, 664, 672 Kuß, küssen 155 Kyniker 108, 110, 111, 113, 114, 115, 228, 445, 446, 448, 564, 678 Labyrinth 335, 625 Laster 14, 25, 88, 128, 160, 161, 165, 203, 210, 256, 294, 360, 361–364, 365, 384, 463, 466, 467, 572, 574, 575, 579 Latein 110, 386, 491, 652, 672, 673, 674 Laxheit, moralische 2 Leben, bürgerliches 259 Lebensgeister 69, 71 Lebenswandel 83, 274, 369, 499, 578, 648 Leere s. Vakuum Lehre, die ungeheuerlichste 390–406 esoterische 380 f., exoterische 380 Leichnam 25, 69, 73, 74, 233, 306, 316, 376, 411, 448 öffentlich vorgenommene Züchtigung des L.s 306 Leichtgläubigkeit 443 Leid 44, 166, 404, 407, 464, 472 Leidenschaft, unkeusche 126 Leidenschaften 65, 66, 95, 108, 148, 212, 213, 280, 297, 298, 357, 365, 368, 401, 402, 433, 434, 445, 467, 480, 489, 641, 662

Lenkung der Welt 86, 93, 102, 105, 132, 190, 212, 403 Licht der ewigen Vernunft 639 des Glaubens 253 des Verstandes 269 himmlisches 639 natürliches 129, 179, 190, 194, 201, 216–223, 226, 228, 230, 236, 241, 254, 255, 300, 388, 499, 569, 584, 586, 587, 591, 595, 621, 622, 633, 639 offenbartes 117 philosophisches 117, 592 theologisches 194 übernatürliches 584 Liebe, christliche 176 Liebesabenteuer 641 Liebeslust 55, 89 Listen, räsonnierende 638–640 Liturgie 271, 668 Lob, Verlangen nach 366, 571, 572 Logik 266, 270, 433, 531, 548, 549, 566, 576, 588, 601, 624 Logomachie 432 Lohn s. Belohnung Lust 42, 89, 92, 110, 194–196, 305, 318, 336, 443, 445, 451, 472, 641, 653 Lutheraner 184, 207 Luthertum 187 Luxus 470 Mammillarier 152–156 Manichäer 157–167, 174, 189, 190, 191, 199, 200, 203, 208, 211, 212, 213, 214, 215, 223, 465, 567, 582–622 Einwände der 212–214, 407, 582–622 nicht widerlegt 609–613

Sachregister Manichäismus 157, 158, 190, 209, 213 Überlegungen gegen ihn 614–621 Marcioniten 158, 191, 465 Markt 46–48 Maschine 70, 73, 75, 97, 99, 288, 306, 308, 309, 325, 331, 332, 333, 339, 411 Masturbation 114 f. Materie 70, 75, 76, 77, 78, 83, 84, 92, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 125, 132, 134, 135, 244, 248, 249 f., 253, 264, 265, 276, 310, 393, 395, 429, 431, 434, 494 ätherische 329 denkende 78, 135, 138 der Welt 138 Erschaffung der 406 erste 376, 435 Ewigkeit der 420 Existenz der 103, 106, 518, 546–553 Teilbarkeit der 394–397 unendliche Teilbarkeit der 537 unerzeugbar und unzerstörbar 396 Veränderung der 384 Mathematik 186 Mathematiker 374, 498, 539, 540, 554, 555, 560, 561, 625, 637 Maximen, gemeinsame, der katholischen und protestantischen Theologen 590–593 Metempsychose 314 f. Mechanik 326, 339 Mechanismus, schicksalhafter 331

705

Mennoniten 371 Mensch als Modalität Gottes 398 f. als Modifikation derselben Substanz 402 als Modifikation Gottes 424 nur ein Modus der Substanz 404 seine Boshaftigkeit 280 seine Unerheblichkeit 483 Menschenopfer 125 Messe 219, 450 Metamorphose 337, 422 Metaphysik, Metaphysiker, metaphysisch 192, 208, 250, 253, 277, 278, 279, 297, 316, 334, 399, 438, 560, 561, 590, 594, 601, 610, 624 Modalität 70, 71, 74, 203, 393 f., 406, 407, 417, 421, 424, 425, 428, 430, 438, 488, 493, 497 Modernen, die 383 Modi 72, 265, 396, 402, 428, 430, 432, 433 Modifikation 70, 74, 77, 131, 251, 253, 261, 297, 332, 340, 370, 373, 390, 393, 394, 395, 397, 399, 426, 428, 430, 431, 436, 488 Charakteristikum der 433 der göttlichen Substanz 433, 438 inkompatible M.n 393 unsichtbare 412 wahrer Sinn des Wortes 434 Modus 401, 430, 431, 487, 488, 496, 556 Mohammedaner 375 Molinisten 187, 207, 209, 210 Molinosisten 155

706

Sachregister

Moral 56, 90, 117, 265–267 christliche 52, 236 Interessen der 65 f. natürliche 64 paradoxe 445 praktische 82, 360 praktizierte 15 theoretische 82 Moralist 4, 653, 669 Moralisten, christliche 153, 648 Moralität 662 Morulen 544 Mosynienser 112 Muslime 440 Mutmaßer 177 f. Mysterium, Mysterien 7, 102, 154, 172, 175, 176, 199, 229, 265, 269, 371, 440, 442, 552, 583–590, 591, 592, 593–595, 597, 598 f., 600–606, 621, 622, 627, 631, 632–637 der Eucharistie 264, 422 der Inkarnation 263, 599 der Trinität 35, 175, 231, 263, 264, 388, 397, 437, 495, 590, 592, 599, 601 der Transsubstantiation 265, 635

Naturzustand 21, 51, 164 Neigungen 162, 168, 201, 220, 253, 256, 364, 365, 424, 571, 580 des Fleisches 57 Nekromantik 11 Neues Testament 191, 236, 449, 586, 593–595 Nichtigkeit der Dinge 258 Nichts 204, 268, 290, 300, 380, 381, 383, 395, 407, 410, 421, 486, 488, 517, 519 f., 540, 557 Nireupan 358 Nominalisten 274 Notwendigkeit 96, 103, 150, 151, 243, 244, 333, 358, 408, 454, 462, 488, 502, 505, 527, 554, 576, 584, 602, 603, 619, 627, 638 der Dinge 26 der Natur 140 f., 406 der Ursachen 208 einer Offenbarung 166 eines Erlösers 166 schicksalhafte 106, 306, 335 unvermeidliche 306, 387, 388, 462 Nützlichkeit 62, 177, 266, 285, 305

Nachahmung 365, 366 der Götter 127 f., 366 eines Vorbildes 358 Nacktheit 445–448 Nächstenliebe, christliche 35, 37, 647 Naturgesetze 550 allgemeine 145 Naturphilosophen 92, 131, 132, 133 Naturrecht 113, 114, 321

Observanzen 580 Obszönitäten, obszön 26, 115, 117, 567, 641–679 Öffentlichkeit, Urteil der 647, 648 Offenbarung 20, 101, 102, 160, 166, 191, 215, 226, 230, 231, 236, 241, 246, 254, 263, 279, 438, 503, 512, 592, 599, 618, 624 Ordnung 94, 95, 104, 105, 106,

Sachregister 192, 217, 251, 289, 301, 335, 339, 340, 344, 352, 483, 505, 510, 511, 569, 576, 617 Begriffe der 158, 161, 162, 163, 164, 201, 406, 611, 612, 617, 622 der Natur 71, 344, 361 übernatürliche 586, 623 unveränderliche 106, 288 Orthodoxie 35, 274, 371 Oscularier 152, 155 f. Päpste, übles Leben mehrerer 181, 183 Pajonisten 207 Papismus 142, 185, 186, 450 Papisten 150 Paradies 86, 193, 255, 265, 291, 416, 470 der Tiere 293 Paradoxon 93, 260, 308, 502, 519, 554, 572, 577, 636, 665 Paralogismus 508 Partikularist 187 Paulicianer 158, 189–223 Pelagianer 575 Peripatetiker, peripatetisch 76, 203, 237, 243, 244, 252, 284, 299, 301, 308, 309, 312 f., 314, 327, 330, 376, 423, 429, 436, 506, 534, 618, 627, 628 Personalität 263, 438 Perzeption, klare 247 f., 249 Perzeptionen 317, 340 f., 341, 489, 535 Petitio principii 272, 413, 596 Pflicht, Pflichten 17, 65, 89, 107, 116, 149, 154, 170, 199, 219, 228, 230, 259,

707

278, 381, 580, 608, 652, 676 eheliche 108–113, 115 Pflichten der Religion 88 des Schöpfers 266 Philosophen, antike 70, 79, 244, 248, 249, 272, 303, 313, 506 arabische 444 atheistische 572 cartesianische 432 chinesische 508 christliche 15, 431, 614 Einwände der 595–600 heidnische 102, 117, 157, 158, 167, 260 ihre Ungläubigkeit 440–444 moderne 440, 518, 535, 536, 557 Philosophenschulen 34, 204, 227, 627 Philosophie 19 f., 34, 101, 190, 194, 215, 224, 227, 229, 233, 240, 244, 245, 251, 255, 257, 269, 313, 329, 353, 367, 396, 422, 438, 441, 442, 444, 565, 582, 583, 586, 591, 592, 593, 596, 600, 622, 623, 626 als Trösterin 353 cartesische 508 christliche 15 eine Gefahr für das Christentum 440–444 heidnische 444 f. ihre Maximen 622 neue 260, 261, 313, 443 peripatetische 244 Prinzipien der 592 scholastische 430, 528 Studium der 7 Phönizier 140

708

Sachregister

Physik 259, 328, 435, 491, 498, 520, 596, 625 Picarden 446, 448 Platoniker 11, 94–102, 190, 292 Plenum 518, 553–564 Politik 56, 62, 65 Polygamie 54 Prädestination 25, 28, 190, 203–211, 601, 604, 622 Prädestinationslehre 187, 601, 602 Preziöse 655, 656, 657, 664 Preziöse, Lächerliche 654 Prinzip, äußeres 502 böses 215 des Bösen 616 erstes 379 erstes, bei Spinoza 371 erstes böses 214 falsches 134 geistiges 302, 501 gutes 165 körperliches 300, 303 materielles 301, 500 Prinzipien, evidente 587 konträre 614 materielle 508 moralische 601 Pluralität der 617 Privatperson 21 f. Privilegien 22, 216, 219, 220, 644, 647, 648, 670 Propheten 42, 47, 48, 50, 56, 58, 61, 65, 101, 269, 275, 278, 293, 417, 587, 589, 670 Proselytenmacher 349 Prostituierte 670, 675 Prostitution 121 f., 450 Protestanten 36, 39, 142, 150 f., 170, 184, 186, 209, 388,

441, 443, 450, 469, 470, 583, 590–593, 595, 635, 644 reformierte 596, 650 Prüderie 656 Prunk des Wissens 639 Punkte, mathematische 391, 392, 513, 518, 528, 529, 530, 531, 537, 543, 544 physische 529, 531 Puristen 655, 657, 664, 669, 670 ihr inkonsequentes Verhalten 676–679 Pyrrhoneer 259–262, 267, 268, 272, 273, 354, 489, 640 ihre Eigenart 624–631 Pyrrhonismus 168, 169–173, 257, 258, 259–268, 272, 442, 520, 551, 591, 623–640 Pythagoreer 190 Qualen der Verdammten 196, 291 Qualität 557 distinkte 496 f. relative 475 Qualitäten 70, 264, 535 körperliche 546 Ursprung der 492 Quantität, absolute 475, 516 aktuale 172 diskrete 139, 523 formale 172 kontinuierliche 523 Quellen, heilige und profane 45 Quietismus 382–384, 676, 677 Quietisten 169, 382, 445, 676 Rabbiner 46, 47, 48, 159, 292, 293, 449, 483 Räsonnement 111, 125, 128,

Sachregister 174, 284, 302, 322, 348, 363, 365, 587, 611, 613, 638, 640 Ratschlüsse, absolute 209 Raum 136, 138, 383, 384, 473, 521, 522, 523, 524, 526, 527, 529, 532, 540, 541, 543, 544, 555, 556, 557, 558, 559, 562 Räume 432, 433, 522, 527, 559 unermeßliche 415 Rausch 482 Realitäten 161, 405, 407 Realpräsenz 264, 441, 591 Recht des Schwertes 22 des Stärksten 51 kanonisches 642 Rechte, göttliche 267, 601 Rechtfertigungsmittel 650 Rechtgläubige 35, 36, 37, 52, 78, 89, 157, 167, 190, 192, 199, 214 f., 223, 224, 244, 354, 361, 470, 508–510, 569, 609, 660 Rechtgläubigkeit 78, 79, 80, 93, 140, 172, 174, 228, 249, 288, 378, 431, 467, 492, 592 Rechtschaffenheit 7, 52, 266, 267, 364, 366, 573 Reductio ad absurdum 606 Reformation 208 Reformatoren 150, 442 Reformierte 15, 147, 168, 186, 208, 264, 469, 569, 591, 592, 596, 597 Regeln des menschlichen Anstands 648 Regress, unendlicher 504 Religion 3, 17, 34, 83, 84, 85, 88, 90, 92, 121, 128, 138, 145, 147, 168, 171, 173, 179, 183, 186, 213, 225,

709

226, 227, 230, 259, 269, 271, 286, 288, 289, 291, 299, 300, 304, 349, 363, 371, 374, 380, 388, 440, 444, 449, 450, 452, 469, 545, 571–581, 597, 600, 616, 623–642, 648, 660 Bekämpfung der 380 christliche 101, 168, 187, 229, 241, 252, 270, 345, 588, 589, 636, 638, 639 heidnische 124, 126, 127 f., 453, 464 ihr hauptsächlicher Nutzen 384 im Herzen 389 im Kopf 388 protestantische 224 wahre 52, 53, 65, 103, 113, 171, 357, 573, 574, 629, 634 Religionen, falsche 214 ihre Erfindung 384 Religionskriege 147, 150 Religionsprüfung 168–173, 177, 179 Religionsstreitigkeiten 173–179, 181, 186 Religionsverfolgung 150 Religionswechsel 183–188, 224 f., 449–452 Religionszweifler 178 Remonstranten 207, 209 Renegat 450 Replicatio circumscriptiva 595 Replicatio definitiva 596 Repliken 350, 352 Retorsion 118, 164, 208, 308, 530, 622 Rhetorik 5, 19, 498 Rhetoriker 125, 440, 564, 676 Richter, unsichtbarer 384 Rigorist 152, 153

710

Sachregister

Römisch-Katholische 38, 170, 207, 442, 583, 590–593, 595, 598, 602, 605, 607, 635, 676 Ruhe 71, 261, 335, 358, 381, 382, 406, 430, 434, 500, 501, 502, 515, 521, 540, 541, 542, 543, 545, 628, 631 ewige 98 öffentliche 150 Ruhm 18, 30, 32, 61, 63, 113, 159, 198, 199, 365, 366, 480, 481, 494, 571, 573, 580, 657 Gottes 65, 266, 363 Sadduzäer 375 Satan 636 Satiren 21 f., 475 Schändung 54, 148 Scham 112, 446 Schamgefühl 113, 642, 658 f., 661, 669, 673, 676, 678 Schamgegend 448 Schamhaftigkeit 109, 113, 661, 675 Schamlosigkeit 107, 109, 113, 114, 115, 116, 446, 599 Schande 18, 47, 54, 209, 220, 499, 532, 571, 572, 580 Schandflecke Davids 52, 66 Schandtaten 54, 671 Scheidungsgründe 642 Scheineinwände 629 Schicksal 25, 90, 199, 347, 360, 443, 454, 464, 475, 476, 477, 480, 482, 507, 582, 652, 676 blindes 360, 361, 362, 365 Schild des Glaubens 223, 613, 636

Schmähreden 669 Schmähschriften 22, 83, 453 Schmerz 69, 70, 98, 154, 160, 161, 162, 165, 194–197, 210, 220, 221, 287, 288, 290, 291, 318, 326, 327, 338, 404, 407, 430, 452, 454, 464, 465, 472–477, 481 Schmerzempfindung 69, 318, 337, 472, 476 Schmerzfreiheit 472 Schöngeist 442, 652 Schöpfung 84, 103, 104, 125, 268, 314, 317, 327, 332, 391, 407, 420, 435, 437, 483, 492, 494, 496, 502, 515 fortwährende 268, 516 Schöpfungsbeschluß 514, 515 Schöpfungslehre, christliche 102–107 Scholastiker 27, 79, 230, 232, 243, 274, 275, 295, 302 f., 304, 309, 314, 317, 326, 392, 437, 442, 472, 499, 513, 532, 557, 558, 563, 595, 596, 597, 598, 600, 629 spanische 27, 437 Schreiber, biblischer 183, 670 Schrift, hl., s. Bibel Schriften, obszöne 644 Schriftsteller des Heidentums 671 heilige 278, 670 Schule, eleatische 455, 459 Schulphilosophen 280, 296, 298, 435, 543 Schulphilosophie 296, 300, 329 Schwärmer 448 Schwärmerei 446

Sachregister Schwermut 48, 482 Schwierigkeiten im System Spinozas 408–410 Scientia media 208, 605 Scotisten 207, 629 Seele 72, 73, 76, 79, 125, 139, 244, 429, 431 als Haufen von Substanzen 337 f. der Pflanzen 158, 291 der Tiere s. Tierseele geistige 287, 322 identische 268 Immaterialität der 244, 344 körperliche 322 materielle 286, 303 menschliche 78, 133, 134, 281 sinnliche 322 Sterblichkeit der 9, 26, 68–72, 232, 234, 235 f., 242 f., 250, 255, 256, 286, 312, 415, 416, 633 Unsterblichkeit der 5–11, 68–80, 83, 86, 87, 91 f., 154, 193, 225–232, 233–256, 283, 286, 288, 299 f., 327, 366, 385, 416, 417, 499, 577, 633 Seelenheil 7, 449, 452 Seelensubstanz 203, 399 Sein 520, 556 zwei Arten von 429 f., 431 Sektierer 35, 150, 199, 200 Selbsttötung 463 f. Seligkeit des Paradieses 36, 230, 578 Semipelagianer 605 Seuchen 106, 213 Siamesen 356, 358, 359, 361, 363, 364, 365 Sinne 75, 227, 261, 284, 296, 302, 317, 324, 392, 459,

711

460, 461, 485, 486, 488, 489, 518, 535, 536, 546, 548, 565, 582, 624, 636, 668 Sinnestäuschungen 489 Sintflut 467 Sitten 128, 273, 358, 589, 650, 669 der Atheisten 571–581 Ehrbarkeit der 674 gute 13, 124, 127 f., 237, 363, 571–581, 658 Sittenlehre 661 Sittenlosigkeit 447, 641 der Heiden 670 Sittenregel 65 Sittenreinheit 667 Sittenverderbnis 128, 251, 468, 469 Sittlichkeit 58, 89, 571, 572, 573, 653, 658, 659, 660 Sittsamkeit 109, 202, 658 Skeptiker 34, 259, 261, 262, 267, 272, 273, 276, 403, 459, 494, 535, 565, 626 Skeptizismus 270, 519 Skotisten 629 Skythen 580 Sophisma 27, 111, 115, 117, 531, 676 Sorites 27 Sozinianer 102, 103, 104, 175, 186, 205, 206, 207, 209, 211, 294, 371, 421, 495, 569, 583, 591, 596, 597, 598, 607, 608 Sozinianismus 186 Spinozismus 131, 372, 377, 378, 409, 453, 456–461, 493 Spinozisten 103, 141, 371, 372, 374, 377, 387, 394, 395, 396, 397, 398, 400, 404,

712

Sachregister

408, 409, 412–414, 417, 423, 424, 425, 426, 428, 431, 437, 438, 439, 497, 562, 610 alte 372 Spitzfindigkeiten 27, 223, 400, 519, 597, 598, 619, 625, 631, 678 Spontaneität, spontan 304, 305, 317, 318, 319, 332 Sprünge 147 Staat 22, 259, 579 Sterbebett 63, 362 Stil 27, 126, 261 Bayles 654 freier 641 geschliffener 654 geschmackvoller 13 grober 654 guter 228 höflicher 675 reiner 13, 657, 659 wohlanständiger 652 Stoa 24, 32, 90 Stoiker 24, 25, 26, 82, 88, 90, 91, 115, 117, 129, 136, 212 f., 272, 378, 404, 445, 678 Strafe s. Bestrafung Streit, Streitigkeiten 28, 30, 34, 39, 44, 53, 68, 77, 78, 90, 93, 96, 151, 152, 164, 165, 166, 170, 172, 173, 181, 186, 199, 208, 233, 240, 241, 247, 260, 288, 323, 349, 370, 387, 412, 422, 429, 431, 467, 468, 499, 508, 510, 511, 512, 560, 562, 567, 582, 584, 585, 588, 589, 591, 597, 598, 600, 602, 607, 608, 623, 624, 626, 627, 653, 678

Streitgeist 586, 629 Streitgespräch 105, 160, 344, 348, 349, 352, 517, 594 Regeln des S.s 344 Strenge, sittliche 152–154 Studien, philosophische 19, 440, 441, 442 Subjekt 79, 161, 196, 210, 263, 265, 299, 316, 317, 390, 391, 393 f., 396, 397–401, 422, 423, 429, 430, 431, 433, 434, 436, 437, 438, 460, 461, 496, 562, 563, 602, 617, 618, 620, 629 Aufnahmefähigkeit des S.s 333 einfaches 401 Erhaltung des S.s 423 passives 401, 402, 460, 489, 661 sukzessives 422 Substanz 69, 70, 75, 76, 103, 125, 131, 134, 203, 244, 251, 265, 295, 296, 297, 304, 305, 309, 310, 312, 314, 315, 322, 332, 333, 337, 338, 340, 391, 392, 393, 395, 397, 399, 400, 401, 402, 404, 421–435, 458, 487, 488, 492, 496, 555–557, 560–563, 615, 620 alleinige 381, 390, 392, 427 f., 431 ausgedehnte 248, 251, 264 f., 276, 391, 399, 402, 421, 424, 425, 434, 532 bewegliche 426 Definition der 431, 432 denkende 69, 75, 96, 251, 421 einfache 400

Sachregister Einheit der 403, 437 einige 319, 322, 376, 390, 391, 394, 398, 399, 421, 423, 425, 435, 439, 459 Erhaltung der 422 erschaffene 429, 431–434, 436 gegenwärtiger Zustand der 340 geistige 246, 248, 265, 286, 299, 322 geschaffene 330 göttliche 426, 433 f., 436, 438, 458, 488 Gott die einzige 373, 428, 431, 556 Gottes 399, 426, 434, 435 immaterielle 340, 503, 504 intelligente 135 jeder Teil der Ausdehnung eine besondere S. 392 f. körperliche 247, 265, 286 luftige 360 Materie unerzeugbar und unzerstörbar bzgl. ihrer S. 396 materielle 78, 231 mehr als eine im Universum 562 mittlere 310 f. Menschen als Modifikationen einer S. 402, 406 Menschen als Modus einer S. 404 Modifikation der 430, 432 modifizierte 401 natürlicher Körper umfaßt zwei S.n 243 notwendigerweise existierende 103, 556 nur eine S. im Universum 392, 427, 460, 610 organisierte 315

713

subsistiert durch sich 429, 431 unendliche 421, 425 unerschaffene 429 ungeschaffene 556 Universum nur eine S. 375, 376 unkörperliche 286, 287 unsterbliche 244 Unsterblichkeit einer materiellen S. 231 Ursprung der 492 Vereinigung von materieller S. und Denken 78, 397, 439 Vielheit der S.n 374 vollkommene 290 vom Körper verschiedene 246 voneinander unabhängige S.n 420 weniger vollkommene 290 Wesen der 561 zwei Arten von 429 Subtilität 113, 270, 437, 546, 613 Sünde 2, 46, 64, 65, 66, 106, 114, 163, 164, 183, 194, 202, 208, 217, 266, 289, 327, 380, 470, 550, 551, 572, 578, 579, 589, 602, 603, 615, 616 der Tiere 293 erste 210 fleischliche 642 gegen die Keuschheit 678 Gott als Urheber der 26, 190, 207, 208, 602, 603 ihr Voraussehen durch Gott 163, 204 f., 206, 605 ihre Einführung durch Gott 207, 217 ihre Zulassung durch Gott

714

Sachregister

199, 201, 203 f., 216, 219, 550, 604 wider die Natur 5, 124 wider die Vernunft 546 Sünden, glänzende 573 Sündenfall 163, 166, 200, 206, 214, 221, 266, 465 Sünder 362, 470, 605 Suidas 67 Syllogismus 118, 531, 533, 585, 594, 628, 638 demonstrativer 594 Syllogistik, Regeln der 585 System Spinozas, seine Absurditäten 390–406 Taten, gute 384 schlechte 384 Täuschungen der Sinne 459, 489, 518 Tatsachenwahrheit 223, 574 Teilbarkeit, unendliche 529, 532–535, 540, 544, 545, 546 Teile, aliquote 532, 538, 540 distinkte 420, 556, 558 homogene 92 unendlich teilbare 523, 528, 531, 542, 543 Teilung 394–397, 523 f. Temperament 477, 572, 580 Teufel 214, 215, 465–471, 573, 574, 578 Theologen 150, 166, 173, 180, 186, 193, 194, 204, 222, 236, 252, 272, 274, 277, 362, 422, 432, 438, 466, 509, 533, 556, 569, 578, 583, 584, 593, 594, 595, 596, 625, 634, 672 cartesianische 432 gemeinsame Maximen der

prot. u. kath. Th.n 590–593 katholische 590 moderne 590 protestantische 590, 597, 600, 635 rechtgläubige 412, 487, 582, 592, 593, 600, 622 reformierte 604 scholastische 596 Theologie 19, 20, 34, 140, 225, 240, 257, 259, 265–268, 367, 493, 574, 600 christliche 79 f., 196, 260 der Stoiker 129, 136 einer chinesischen Sekte 367, 379–384 Thomisten 207, 342, 595, 629 Tiere 73, 76, 95, 112, 248, 280, 381, 393, 411, 428, 435, 459, 463 als Maschinen 284, 308, 325, 327 äußeres Prinzip ihrer Handlungen 324–327 Bestrafung der 307 bloße Automaten 284, 286, 326, 327–329 Denkfähigkeit der 76, 291 Empfindungsfähigkeit der 281, 295–300 Fähigkeiten der 284 f. Geschicklichkeit der 280, 325 ihre Fähigkeit zur Begriffsbildung 323 f. und der freie Wille 293 f., 305, 307 und die Sünde 288–290 Vernunftbegabtheit der 280, 283, 290–295, 307, 319–324 Tierseele 73, 74, 244, 280, 281–329, 506, 507

Sachregister Empfindungsfähigkeit der 288, 289, 291, 295–300, 309 f., 312, 323 ihr spezifischer Unterschied zur menschlichen S. 295–308 ihre Freiheit 303–308 ihre Vernunftbegabtheit 290–295 ist eine denkende Substanz 297 ist eine vom Körper verschiedene Substanz 314 ist eine zur Empfindung fähige Substanz 309 f., Tod 3, 4, 5, 8, 10, 11, 51, 69, 87, 129, 184, 218, 219, 220, 235, 246, 258, 285, 287, 288, 293, 314, 315, 316, 317, 331, 344, 345, 352, 358, 378, 380, 381, 403, 417, 418, 451, 463, 470, 507, 571, 572, 578, 620, 661 Todesstrafe 3, 61, 351 Todsünde 153 Toleranz 150, 176, 218 Toleranzedikte 148 Torheit 137, 313, 401, 441, 453, 587, 626, 629, 630 Totenbett 470 Tradition 170, 582, 606 Transelementation 422, 423 Transformation 315, 422, 423 Transsubstantiation 236, 264, 265, 274, 398, 400, 422, 423, 429, 437, 443, 513, 582, 595, 596, 602, 635 Traurigkeit 353, 404, 424, 473, 620 Tribunal 38, 39, 552 Triebfedern der menschlichen Handlungen 571 des Glaubens 361

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Trinität 35, 103, 175, 231, 236, 263, 264, 388, 397, 437, 438, 465, 495, 584, 588, 590, 592, 594–597, 599– 602, 613, 624, 635 Trinitätslehre 624 Tritheismus 598 Trost 45, 174, 197, 482, 409 Trugschluß 272, 383, 509, 526 Tugend, tugendhaft 25, 47, 76, 89, 109, 123, 148, 154, 160, 162, 165, 193, 194, 200, 210, 212, 227, 229, 256, 266, 271, 292, 294, 297, 298, 301, 342, 358, 360, 361–364, 365, 366, 384, 385, 407, 418, 466, 468, 573, 574, 575, 579, 601, 602, 605, 632, 637, 641, 642, 644, 648, 649, 659, 664, 674, 675 Beweggrund zur 356, 366 Turlupiner 445–448 Übel 86, 189–233 absolute Quantität der dem Menschen zugeteilten 475 f. äußere Ursachen des Ü.s 476 das moralische 2, 98, 160, 162, 163, 166, 192, 193, 214, 223, 390, 464–471, 603 das physische 26, 98, 160, 162, 192, 194, 223, 390, 454, 482 das sittliche 165 der Schuld 4, 205, 390, 464 der Strafe 4, 205, 390 des Schmerzes 465 ihre Qualität 472–482 ihre Quantität 461–471 kommt vom Mißbrauch des

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Sachregister

freien Willens 620 sein erstes Prinzip 214 sein Ursprung 164, 189, 190, 191–203, 208, 582, 600, 608, 613, 622, 676 seine drei Klassen nach Maimonides 484 seine erste Einführung 619, 620 sind reiner als das Gute 474 Übergewicht des Ü.s 454, 483–485, 615 zwei Arten von 473 Uhr 75, 317, 319 Umgangsformen 663 Unabhängigkeit 22, 95 Unanständigkeiten 117, 675 Unaufgeklärt 104 Unaufrichtigkeit 83, 413, 521 Unbegreiflichkeit 77, 79, 599, 631, 633 aller Dinge 257, 455, 485–497, 517, 560 der Wege Gottes 601 Unbesonnenheit 36, 178, 202 Unbeweglichkeit aller Dinge 459, 489 Unendliche, aktuales 523, 524 das U. als Gottheit 456 f. potentielles 523, 524 virtuelles 524 Unendlichkeitsproblem 529 Unflätereien 645, 653, 657, 676 Ungehorsam 2, 9 Ungewißheit 229, 245, 246, 254, 260, 276, 363, 625, 627 Unglaube 249, 442 Ungläubige 52, 145, 175, 245, 251, 569, 583–585, 593–595, 622, 630, 631 Unglück 36, 98, 100, 164, 271,

353, 359, 360, 361–364, 365, 409, 474, 476, 477, 479, 615, 652 der Guten 344 ewiges 359 menschliches U., seine Ursache 484 Unglücksfälle 160, 404, 462, 620 Unhöflichkeit 662–665, 667 Union, hypostatische 103 Unitarier 598, 610, 611, 612 Universalisten 207 Unkeuschheit, unkeusch 48, 120–123, 126, 214, 445, 448, 468, 646, 668, 669, 670 Unmäßigkeit 214 Unordnung 95, 97, 159, 199, 218, 220, 290, 412, 469, 484, 619, 632 bei den Menschen 344 der Welt 266 Unredlichkeit 33, 45, 62–64 Unregelmäßigkeiten 98–100 Unsittlichkeit 669 Untätigkeit 86, 381, 382, 384, 502 glückselige 382 Unteilbarkeit 403, 515, 522 Unterscheidung von Glaube und Vernunft 388 Unterschied zwischen Mensch und Tier 323 f. Unterwerfung 95, 171, 586, 588, 591, 604, 639 der Vernunft 635 unter Gott 230, 442, 588, 627 Unveränderlichkeit 159, 373, 394–397, 421, 460, 488, 489, 493, 495, 496

Sachregister der Dinge 489, 517 Unwissenheit 19, 177, 242, 259 f., 443, 559, 638 f. Gottes 99 menschliche 78, 257, 269 unüberwindliche 274 Unzucht 153, 468, 641, 642, 669 Ursache, allmächtige 511 blinde 413 geistige 501 immanente 496, 497 immaterielle 502 materielle 431, 435, 501 okkasionelle 159, 318, 330, 338 f. sekundäre 145 unmittelbare 412 veranlassende 159 Urteilsenthaltung 261, 270, 535–537, 625 Urteilskraft 97 Vakuum 334, 336, 374, 377, 380, 381, 383, 518, 532, 553–564 Verachtung 16 f., 18, 30, 47, 109, 114, 121, 440, 493, 499, 567, 573, 659, 662, 666 Veränderlichkeit 395, 489, 495, 507 Veränderung 26, 72, 94, 96, 104, 159, 173, 312, 331, 333, 335, 336, 338, 339, 340, 384, 395, 396, 397, 421, 422, 423, 424, 426, 459, 460 f., 496, 497, 503, 505 Definition der 423 Gottes 425, 426, 435, 487, 496, 497

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Verbindung, sympathetische 360, 361, 364 zwischen Tugend und Glück 361–364 Verbrechen 2, 98, 114, 124, 127, 128, 148, 160, 162, 163, 192, 214, 244, 256, 345, 346, 352, 390, 402, 407, 464, 467, 468, 580, 603, 621, 674, 678 Davids 49–66 Verdammnis, ewige 202, 217, 219, 572, 601 Verdammungsbeschlüsse 613 Verderben 90, 98, 202, 217, 573, 679 sittliches 82 Verderbnis 2, 56, 469, 579, 589, 620, 672 der Sitten 468, 469 Verderbtheit 12, 17, 117, 658 des menschlichen Herzens 117, 575, 675 unserer ersten Natur 271 unserer Zeit 674, 675 Verdienst, Verdienstlichkeit 18, 43, 44, 51, 52, 80, 97, 343, 364, 365, 633 Vereinigung von Körper und Geist 78, 331, 341, 550, 599 hypostatische 584, 592, 594 Verfasser der Bibel 181–183 Verfolgung 82, 175, 235, 450, 452, 586 Vergänglichkeit 486 Vergehen Davids 54–62 Vergnügen 82, 88, 98, 128, 150, 196, 197, 212, 221, 271, 290, 305, 337, 362, 364, 432, 472, 473, 474, 476, 481, 494, 551, 575, 582, 604, 632, 665, 677

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Sachregister

Vergnügungen, unzüchtige 677 Verlangen, fleischliches 322f. laszives 659 Vermögen, trügerische 485 Vernunft 20, 21, 22, 102, 105, 107, 111, 117, 139, 154, 166, 176, 177, 178, 179, 182, 187, 194, 199, 202, 205, 211, 216, 219, 225, 226, 227, 228, 229, 245, 247, 250, 251, 254, 268, 270, 271, 272, 280, 322, 348, 353, 387, 388, 406, 407, 409, 415, 418, 441, 485, 486, 489, 493, 496, 510, 518, 539, 552, 569, 583–585, 590, 592, 594, 596, 598, 599, 600, 601, 602, 620, 630, 631, 633, 635, 636, 638, 639, 640, 667 Aufopferung der 591, 596, 601, 604, 633 der Tiere 290, 283, 290–295, 307, 319–324 gesunde 39, 154, 408, 493 Licht der 102, 105, 107, 176, 250, 388 Mittel zu ihrer Zähmung 638 rebellische 636 Schwäche der 113–115, 408, 631, 639 stolze 639 Verpflichtung 16, 218 f., 591, 632, 638 Verschiedenheit von Tier- und Menschenseele 295–308 Verstand 78, 141, 251, 265, 285, 291, 347, 353, 354, 360, 370, 371, 392, 411, 439, 456, 457, 458, 462, 473, 480, 485, 493, 511,

515, 524, 537, 549, 555, 562, 613, 614, 634, 639 als Gottheit 456 f. Durchdringungskraft des V.s 639 Gefangennahme des V.s bzw. der Vernunft 211, 270, 271, 584, 591, 596, 601 göttlicher 93, 121, 414, 462 Licht des V.s 269 Verstellung 367 Versuchung 205, 222, 638 Verursachung, okkasionelle 329 Verworfene 317, 601, 607 Völker, barbarische 113 christliche 122 ungläubige 469 Völkerrecht 52 Volkszählung 45, 66 Vollkommenheit 154, 382, 445, 462, 504, 611, 612, 660, 668 Gottes 84, 102–107, 166, 266, 278, 547, 602 verschiedene Grade von 509 Vorbild, vorbildlich 7, 82, 358, 365, 567 Vorsehung 28, 82–84, 87, 91 f., 93, 96, 99, 101–107, 131, 192, 205, 213, 219, 248, 250, 251, 272, 293, 325, 344, 345, 347–355, 356, 360–366, 370, 374, 375, 378, 385, 407, 418, 419, 462, 480, 567, 576, 579, 580, 627 christliche Lehre der 361–364 Vorurteil 91, 251, 254, 372, 480, 522, 554, 660 der Sinne 392, 460 Vu guei Kiao 382 f. Wahrhaftigkeit Gottes 230, 276

Sachregister Wahrheit 21, 22, 30, 31, 32 f., 78, 79, 80, 93, 102, 103, 117, 122, 166, 172, 173 f., 175 177, 178, 179, 187, 226, 249, 257, 275, 295, 354, 444, 451, 466, 468, 469, 489, 490, 530, 576, 583, 624, 632 Liebe zur 583 Regel der 270, 490 Zeichen der 262 f., 267, 398 Wahrheiten 248, 264, 266, 633, 660 absolute 275, 277 allgemeine 320 der katholischen Religion 451 der Kirche 546 der Metaphysik 253 der Religion 186, 229, 259, 270, 572 des Evangeliums 17, 582, 583, 625 evidente 266 gewisse 31, 227 himmlische 613 Merkmal der theologischen W.n 174 nachteilige 608 f. natürliche 259 offenbarte 114, 231, 602, 628, 632, 633 übernatürliche 232, 631 unbegreifliche 495 Unterdrücken von 116, 574, 575 Wahrnehmung 78, 310, 311, 312, 318, 323, 337, 340, 460 Wahrscheinlichkeit 259, 261, 637 Wahrscheinlichkeiten 184, 418, 440 f.

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Wahrscheinlichkeitsargumente 232 Wahrscheinlichkeitsbeweise 510 Wahrscheinlichkeitsschlüsse 254 Wahrscheinlichkeitsurteile 490 Welt 15, 17, 51, 86, 94, 98, 99, 104, 131, 134, 159, 163, 205, 212, 267, 327, 354, 375, 377, 378, 390, 396, 411, 416, 419, 446, 458, 461, 500, 547, 558, 565, 616 Anfang der 262, 314, 471, 506, 512, 514 ein einziges Wesen 375 Entstehung der 92–101, 131 Erschaffung der 98 f., 101, 106, 132, 462, 510, 619 Ewigkeit der 499, 510–516 Hervorbringung einer 497, 617, 618 Materie der 92, 132, 495 Regierung der 99, 102, 105, 190, 403 Schöpfer der 102, 406, 462, 617 Unordnung in der 266 Ursprung der 92, 93, 382, 384 Verachtung der 16 Weltbrand 26 Weltmaschine 105 Weltseele 291, 377, 378 Wesen, boshafte 417 einfache 313, 376, 557 einiges 487 einziges 486 fürchterlicher als Gott 416 mittleres 312 mögliche 515 sämtlich Modifikationen Gottes 428 veränderliches 395

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Sachregister

Wiedertäufer 152 f., 155, 446 Wille 9, 33, 89, 95, 105, 192, 197, 221, 227, 265, 271, 293, 294, 412, 415, 461, 464, 488, 550, 603, 619, 659, 668 freier 25, 163, 164, 201, 202 f., 210, 216, 217, 218, 219 f., 222, 274, 293, 294, 303, 304, 305, 306, 307, 388, 620 Wirkursache 105, 129, 390, 401, 431, 436, 460, 493, 501 f., 506 Wissenschaften, Schöne 442 f. Wohlanständigkeit 651, 652 Wohlergehen der Bösen 344, 347, 354 Wohlstand 27, 477 Wohltaten 100, 201, 217, 221, 363, 477 Wollust 110, 153, 677 Wunder 143–146, 318, 329, 330, 356, 412–414, 467, 634 Wüstling 59, 652, 653, 665, 666

Zartsinnigkeiten 655, 669 Zehn Gebote 3 Zeit 511, 512, 514, 515, 516, 542, 544 unendliche Teilbarkeit der 521–527 Zeitpartikel, unendliche Teilbarkeit der 545 Zeremonien 367, 580 Zerstörbarkeit 395, 493, 495 Zerstörung 151, 166, 303, 315, 331, 422, 423, 426, 461, 488, 493, 497, 506, 507, 556, 597 Zerstreuung 482, 580 Zeugung 46, 132, 315, 496, 642, 649 Zindikiten 375 Zoten 117, 642, 661, 666, 676 Zufall 85, 344, 377, 468, 478, 624 Zulassung der Sünde 199, 201, 203 f., 216, 219, 550, 604 Zweckursache 351, 436 Zweifel 158, 166, 184, 206, 227, 281, 344–355, 367, 372, 441, 449, 623